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tibt^ts^a
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über die Gesetze
des
geordneten Denkverlaufs
r
Eine experimentelle Untersuchung
von
Dr. ato Selz
Privatdozent der Philosophie an der Universität Bonn
#
STUTTGART
VEBLAG VON W. SPEMANN
1913
Printed in Oermar/
I r\r^r^\r
y
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über die Gesetze
des geordneten Denkverlaufs
Erster Teil
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über die Gesetze des
geordneten Denkverlaufe
Eine experimentelle Untersuchung
von
Dr. Otto §elz
Privatdozent der Philosophie an der Universität Bonn
Erster Teil
STUTTGART
VERLAG VON W. SPEMANN
1918
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OOPTBiaBT 1918 BT W. 8PBM AKH IN STUTTOAET.
DBUOK: OHRISTLIOBBS VBRLA08HAUS, 8TUTTGABT.
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Vorwort.
Das voriiegende Buch ist aus Versuchen hervorg^;angen,
die im Jahre 1910 im psydiologischen Institut der Universität
Bonn ausgeführt wurden. Über die speziellere Fragestellung dieser
Versuche und ihre nahe Beziehung zu den Arbeiten der Würz-
burger Schule zur Psychologie des Denkens und WoUens gibt die
Einleitung Auskunft. Der hier veröffentlichte erste Teil der Unter-
suchungen enthält Analysen, die sich mir als von allgemeiner
Bedeutung für das Verständnis des geordneten Denkverlaufe er-
wiesen. Ich glaubte daher, einer größeren AusfiihrUchkeit in der
Mitteilung von Versuchseigebnissen und in der theoretischen Er-
örterung nicht «antraten zu können. Den Bedürfnissen des eiligen
Lesers habe ich durch einige Zusammenfassungen und durch Ver-
weisungen Rechnung zu tragen gesucht. Vielleicht habe ich bei der
Begründung meines Standpunktes manchmal das Unterscheidende
gegenüber dem Gemeinsamen in der Auffassung anderer Autoren
etwas zu sehr hervortreten lassen; vielleicht ist es mir auch trotz
aller Zurückhaltung nicht immer geglückt, mich bei der theore-
tischen Interpretation der Ergebnisse vor Einseitigkeit zu be-
wahren. So sehr ich das bedauern würde, sicher bin ich doch,
daß der Ausgleich sich durch spätere fremde oder eigene Unter-
suchungen von selbst vollziehen wird.
Die ersten beiden Abschnitte des Buches lag^n im wesent-
lichen in der heutigen (jestalt Binde des Sommersemealers 1912
V
4- DigitizedbyVjOOQlC
VI Vorwort.
der philosophischen Fakultät der Universität Bonn als Habilita-
tionsschrift vor. Über einen Teil der Ergebnisse, namentlich
über die im dritten Abschnitt behandelten, habe ich schon vorher
auf dem 5. Kongreß f. exper. Psychologie in Berlin 1912 beriditet.
Meinen tiefgefühlten Dank möchte ich an dieser Stelle meinem
verehrten Lehrer Herrn Professor Eülpe zum Ausdruck bringen^
der mir das Bonner Institut in freundlichster Weise zur Ver-
fügung gestellt imd mir durch die Möglichkeit ständiger Aus-
sprache bei der Bearbeitung der Ergebnisse die Freude und
Sicherheit bei der Arbeit erhöht hat In letzterer Hinsicht möchte
ich auch Herrn Privatdozenten Dr. Bühl er meinen herzlichsten
Dank aussprechen.
Bonn, im August 1918.
Der Verfasser,
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Inhaltsverzeichnis.
Seite
Vorwort V
Einleltttng.
§ 1. Der Untersuchungsgegenstand 1
§ 2. Die Methode 8
Erster Abschnitt
Die unvermittetten Lösungen als Wlssensaktnalislerungen und die
Bedentnng der Wissensaktnalisiening ffir die Attfgabelösnng*
§ 1. Die unvemuttelten Lösungen 26
§ 2. Unyennittelte Lösungen und Wissensaktualisierung 28
§ 8. Die Au%abelösung durch Wissensaktualisierung 8^
§ 4. Arten der Wissensaktualisierung und Stufen ihrer Nachweisbarkeit 46
§ 6. Gesetz des ZiuUcktretens der Wissensaktualisierung im Bewußt-
sein bei wachsender Gdäufigkeit des Wissens 60
§ 6. Beispide für graduelle Unterschiede in der Ausprfigung der Wissens-
aktualisierung im Bewußtsein 66
§ 7. Falle, in denen der vorherige Erwerb bezw. die Bereitstellung des
aktualisierten Wissens nachweisbar ist 60
§ 8l Bedingungen und Funktion der sukzessiven Wissensaktualisierung 62
§ 9. Die gesetzlichen Entstehungsbedingungen der unvermittelten Lö-
sungen und ihre Ableitung aus ihnen 74
§10. Hauptergebnisse 88
Zweiter Abschnitt.
Die Theorie der Wissensaictnalisiemng.
L Die Komplexassoziation.
§ i. Die Theorie der Komplexreproduktion 89
§ 2. Bdege aus anderen Untersuchungen 101
n. Die Komplexergänzung.
§ 1. Ergänzung eines KomplexstQcks 106
§ 2. Ergänzung auf Grund eines Schemas 111
§ 3. Die determinierte Komplexergänzung 117
§ 4. Belege aus anderen Untersuchungen 122
§ 6. Die drei Gesetze der Komplexergänzung 128
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Vm Infiaitsüerzeidinis.
m. Die Wissensaktualisierung als Komplexergänzung . . 129
•A. Allgemdne Charakterisierung der SachveiÜltnisse 190
B. Sachveriiältnisse als psychische Gegenstände 146
G. Das Wissen von Sachveriiftltnissen 151
a) Das durch Abstraktion entstandene Wissen von SachverhftHiiissen 161
b) Das durch Mitteilung entstandene Wissen von Sachverhftltnissen 162
c) Das durch mittelbare Erkenntnisprozesse entstandene \^^ssai
von Sachverhältnissen . . . ^ 172
D. Der Prozeß der Wissensaktualisienmg 176
Dritter Abschnitt
Die OeMmtanfgabe.
§ 1. Der Bildungsprozeß der Gesamtaufgabe 194
§ 2. Die Anpassung der Bedeutung des Reizwortes an den Sinn der
Aufgabe 222
§ 8. Die Anpassung des Sinnes der Angabe an die Bedeutung des
Reizwortes 237
§ 4. Verhältnis der einleitenden Denkprozesse zur Gesamtaufgabe . . 247
§ 5. Verhältnis der die Losung begleitenden Den^rozesse zur Gesamt-
aufgabe 254
§ 6. Das Gesetz der Berichtigung 261
Schlnss 281
Anhang. Bemerkungen zu G. E. Müller, „Zur Analyse der Gedächtnis-
tätigkeit und des Vorstellungsverlaufes**, DI. Teil 901
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Einleitung.
§ 1. Der Untersuchungsgegenstand.
Wie H. Liepmann in seiner im Jahre 1904 erschienenen
Abhandlung „Über Ideenflucht" auf Grund feinsinniger Analysen
gezeigt hat, ist es der durchgängige Zusanunenhang, welcher
den geordneten Denkverlauf sowohl vom Ablauf der Bewußtseins-
vorgänge beim Ideenflttchtigen als von der bloßen Träumerei
unterscheidet. Die Glieder eines geordneten Denkverlaufs lassen
sich immer unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt bringen. Sie
betreffen ein und denselben Gegenstand, den Gegenstand des
Nachdenkens oder der Forschung, der Mitteilung oder der Dar-
stellung. Beim Ideenflttchtigen imd in der Träumerei dagegen
besteht ein derartiger Zusammenhang nur gelegentlich oder nur
streckenweise. Eines der wichtigsten Probleme der Psychologie
des Denkens ist daher die Bestimmung der richtunggebenden
Faktoren, die den geordneten Ablauf des Denkens herbeiführen,
und die Auffindung der Gesetze ihrer Wirksamkeit. Auch das
Postulat, daß die allgemeinen Gesetze der Assoziation und Re-
produktion von Bewußtseinserlebmssen zur Erklärung der Denk-
zusammenhänge ausreichen mttssen, würde nicht von der Verpflich-
tung entheben, die besonderen Bedingungen aufzuzeigen, welche
im einen FaUe einen durchgängigen Zusammenhang, im anderen
Falle eine regellose Aufeinanderfolge von Bewußtseinserlebnissen
zur Folge haben. Mit Recht betont Liepmann im Hinblick hierauf,
daß die Berufung auf den allgemeinen Faktor der Konstellation
noch nicht ausreicht, um den Unterschied eines geordneten und
ungeordneten Bewußtseinsverlaufs zu erklären 0. Unter dem im
Vgl. H. Liepmann, Ober Ideenflucht (Halle 1904) S. 29, 68 ff.; siehe auch
Grundzflge der Psychologie von H. Ebbinghaus, fortgeführt von E. DOrr, 2. Bd.
(Leipzig 1911/12) S.297f.
Seil, Ober die Qesetie dei geordneten DenkTerUnli. \
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2 Einleitung,
Anschluß an Wähle und Ziehen viel verwendeten Begriff der
Konstellation pflegt man den jeweiligen psychischen Gesamtzustand
zu verstehen, soweit er durch die Gresamtheit der augenblicklich
wirksamen Reproduktionstendenzen und ihre gegenseitige Förde-
rung imd Hemmung bestimmt ist. Durch die Berücksichtigung
dieses Faktors wird zwar der Tatsache Rechnung getragen, daß
auch in dem von den Gesetzen der assoziativen Reproduktion
beherrschten Bewußtseinsverlauf die Richtung nicht ausschließlich
durch die gegenwärtig im Bewußtsein vorhandenen Reproduktions-
motive, sondern auch durch die von den vorausgegangenen Be-
wußtseinserlebnissen angeregten Reproduktionstendenzen bedingt
ist. Der Hinweis auf die Konstellation genügt, um verständlich
zu machen, daß keineswegs die stärkste Assoziation mit den jeweils
gegebenen Bewußtseinserlebnissen ausschließlich den Ablauf des
psychischen Geschehens zu bestimmen braucht Er genügt jedoch
nicht, um die Besonderheit des geordneten Denkens zu erklären.
Nimmt man aber zu diesem Zwecke an, daß im geordneten Denken
die Gesamtheit der vorangegangenen Bewußtseinserlebnisse zur
Geltung gelange, während dies in der Ideenflucht oder der Träumerei
nicht geschehe, so steht man von neuem vor der Frage, welchen
Faktoren jener Unterschied seine Entstehung verdankt, und ob
und wie die allgemeinen Gresetze der Assoziation und Reproduktion
von Bewußtseinserlebmssen ausreichen, um die tatsächliche Wirk-
samkeit dieser Faktoren verständlich zu machen.
Nahezu zur selben Zeit mit der Abhandlung H. Liepmanns
erschien das Buch von Ach „Über die Willenstätigkeit und das
Denken" •) und die Untersuchung von Watt „Experimentelle Bei-
träge zu einer Theorie des Denkens" '). In diesen Untersuchungen
wurde die Frage nach den richtunggebenden Faktoren im ge-
ordneten Ablauf der intellektuellen Prozesse in den Kreis plan-
mäßiger experimenteller Forschung gezogen. Der Einfluß, welchen
eine übernommene Aufgabe, ein selbstgestelltes Ziel auf den Ab-
lauf des psychischen Geschehens ausüben, wurde hier zum Gegen-
') Zur Geschichte des Konstellationsbegriffs vgl. 6. £. Müller, Zur Analyse
der Gedächtnistätigkeit und des Vorstellungsverlaufs, III.Teil, Zeitschr.f.Psychol.
8. Erg.-Bd (Leipzig 1913) S. 488 Anm. 1.
•) Göttingen 1905.
^ Archiv f. d. ges. Psychol. 4. 1904. S. 289.
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/. Der üntersuchangsgegenstanä.
stand selbsttfndiger Problemstellung erhoben ^). Durch den exakten
Nachweis der Bedeutung dieser Faktoren wurde die Notwendig-
keit ihrer Berücksichtigung bei der Erklärung intellektueller
Prozesse und durch intellektuelle Vorgänge mitbedingter äußerer
Handlungen dargetan. Die systematische Heranziehung der ex-
perimentellen Selbstbeobachtung ermöglichte es vor allem, zu
zeigen, daß die vorausgegangene Übernahme einer Auj^;abe, bezw.
die vortier stattgefundene eigene Zielsetzung den ganzen an die
Wahrnehmung eines Reizes sich anschließenden Ablauf qualitativ
bestimmt und eine Realisierung im Sinne der Absicht nach sich
zieht, ohne daß die Angabe bezw. das Ziel beim Erscheinen des
Reizes noch bewußt zu sein bezw. wieder reproduziert zu werden
braucht. Insbesondere betonte Ach die Eigenart dieser dauernden
und unterhalb der Bewußtseinsschwelle wirksamen Nachwirkungen,
die übrigens auch durch suggestive Beeinflussung entstehen können.
Ach führte zu ihrer Bezeichnung den Begriff der determinierenden
Tendenzen in die Psychologie ein und stellte sie den assoziativen
und perseverierenden Reproduktionstendenzen an die Seite'). Aus
der Anerkennung der determinierenden Tendenzen als besonderer
Faktoren im psychischen Geschehen eingibt sich nun eine doppelte
Fragestellung:
1. Welches sind die Gesetze, nach denen die determinierenden
Tendenzen den geordneten Ablauf der intellektuellen Prozesse
herbeiführen? Wieweit bestehen besondere, charakteristische (be-
setze für den Verlauf determinierter intellektueller Prozesse?
2. Kommt neben den determinierenden Tendenzen den durch
die einzelnen Verlaufsglieder angeregten assoziativen Reproduk-
tionstendenzen bei der Verwirklichung des Ziels der Determination
noch eine wesentliche positive Mitwirkung zu? Für den Fall der
Bejahung dieser Frage ergibt sich eine weitere, die auch schon
eine Unterfrage der ersten darstellt: Welches sind die Gesetze
des Zusammenwirkens der determinierenden Tendenzen mit
den durch die einzelnen Verlaufsglieder angeregten Reproduktions-
tendenzen? Die Anbahnung einer Beantwortung dieser Fragen
durch die experimentelle Analyse und Vergleichung einzelner
V0. O. Külpe, Psychologie und Medizin (Leipzig 1912) S. 26 f.
") W. u. D. S. 191, 195, 196, 228; ferner „Über den Willensakt und das
Temperament" (Leipzig 1910) S. 4, 284 ff.
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4 Einleitung.
Verlaufsfonnen determinierter intellektueller Prozesse bildete den
Hauptgegenstand der vorliegenden Untersuchung.
Man könnte versuchen, in möglichster Anlehnung an die be-
kannten Reproduktionsgesetze mit folgender Hypothese auszu-
kommen: Die Wirksamkeit der determinierenden Tendenzen be-
steht in einer starken und während des ganzen Realisierungs-
prozesses fortdauernden Anregung der Reproduktionstendenzen,
die von der Zielvorstellung (bezw. den die Aufgabe repräsen-
tierenden Bewußtseinserlebnissen) ausgehen. Hierdurch werden
die mit der Zielvorstellimg assoziierten Vorstellungen in einen
höheren Grad von Bereitschaft gesetzt als die übrigen Vor-
stellungen, es wird also eine ganz bestimmte Konstellation ge-
schaffen. Infolge dieser Konstellation werden unter den von den
einzelnen Verlaufsgliedem angeregten Reproduktionstendenzen
nach dem Gesetz der wechselseitigen Förderung gleichgerichteter
Reproduktionstendenzen diejenigen begünstigt, welche nach einem
mit der Zielvorstellung assoziierten Endglied führen. Andrerseits
werden durch die von der Zielvorstellimg ausgehende Anregung
einer größeren Gruppe von Reproduktionstendenzen infolge der
gegenseitigen Hemmimg konkurrierender psychischer Vorgänge
diejenigen Reproduktionstendenzen in ihrer Wirksamkeit gehemmt,
welche aus dem vorbereiteten Gebiet von Reproduktionstendenzen
hinausführen. Nach dieser Annahme würde also die Wirksamkeit
der determinierenden Tendenzen sich darauf beschränken, durch
die dauernde Bereitstellung der mit der Zielvorstellung
assoziierten Gruppe von Reproduktionsgrundlagen einen kon-
stellierenden Einfluß auf den Ablauf auszuüben, der im übrigen
nach den Gesetzen der assoziativen Reproduktion erfolgt. Aus
der Konstellationswirkung der durch die Determinierung ge-
schaffenen dauernden Einstellungen, der determinierenden Ten-
denzen, einerseits und der von den einzelnen Verlaufsgliedem
ausgehenden Reproduktionstendenzen andererseits wäre der ge-
ordnete Ablauf intellektueller Prozesse zu erklären.
Die bisherigen Versuche einer Theorie des geordneten Denk-
verlaufs bewegen sich mehr oder weniger in der Richtung einer
solchen Theorie. So führt Watt den geordneten Ablauf auf das
„Zusammenwirken" der Aufgabe und der „an die [in seinen Ver-
suchen dargebotenen] Reizwörter gebundenen Reproduktionsten-
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/. Der Untersüdiungsgegenstand,
denzen" zurück. Die letzteren bilden „die elementare Grundlage **
des Prozesses. Die Aufgabe ist nach Watts Hypothese als ein
„größeres und stärkeres Reproduktionsmotiv^ zu denken, durch
das ein weiteres Gebiet von Reproduktionstendenzen bestimmt
wird ^). Charakteristisch für sie ist die Hervorrufung allgemeiner
Einstellungen auf gewisse Gebiete z. B. auf Gesichtsvorstellungen.
Hierdurch werden ganze, durch dieselben formalen Eigentümlich-
keiten ausgezeichnete Gruppen von Reproduktionstendenzen be-
günstigt (formale Reproduktionstendenz) *). Eine Vorstellung wird
zur Aufgabe, indem sie dauernd und in der geschilderten Weise
wirksam wird*).
Auch Achs Auffassung nähert sich einer Konstellationstheorie.
Ach weist selbst auf die nahen Beziehungen zwischen den von
ihm untersuchten Erscheinungen und dem von Ziehen als Kon-
stellation bezeichneten Vorgang hin*). Bei der Determinierung
in der Vorperiode werden nach seiner Hypothese die von der
2äelvorsteUung [z. B. Addieren] ausgehenden Reproduktionsten-
denzen in einen höheren Grad der Erregung versetzt und in eine
bestimmte von ihm als simultane Assoziation bezeichnete Beziehung
zu dem kommenden Reizeindruck, der „Bezugsvorstellimg", ge-
bracht. Die Stiftung derartiger Beziehungen zwischen Ziel- und
BezugsvorsteUung nennt Ach eine Absicht*). Die determinieren-
den Tendenzen sind identisch mit den von der Absicht geschaffenen
„Einstellungen^ •). Auch nach Achs Auslegung seiner Ergebnisse
findet bei der Verwirkhchung der Zielvorstellung in der Regel
ein Zusammenwirken der determinierenden Tendenzen mit asso-
ziativen Reproduktionstendenzen statt. Namentlich bedient sich
Ach dieser Erklärung für solche Fälle, bei denen, wie er betont,
„die Determinierung in der auffälligsten Weise hervortritt". Hier
schließt sich an die Auffassung der BezugsvorsteUung z. B. der
TiSerHy mit denen eine Rechenoperation vorgenommen werden
soll, unmittelbar die richtige Vorstellung an. So treten beim Er-
scheinen von 6 I 2 entweder 8, 4 oder 3 im Bewußtsein auf, je
•) a.a.O. S.420ff.
^ a. a. 0. S. 846 mit S. 902.
•) a. a. 0. S. 346.
*) W. u. D. S. 24a
») W.U.D. S. 224 mit S.217f.
•) W. u. D. S. 22a
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6 Einleitung.
nachdem AddieFen, Subtrahieren oder Dividieren vorgenommen
wird. Ach führt dies darauf zurück, ;,daß die durch die Ziel-
vorstellung in Bereitschaft gesetzten Tendenzen unter den von
der BezugsvorsteUung ausgehenden Reproduktionstendenzen die-
jenige verstärken, welche der Bedeutung der ZielvorsteUung [d. h.
bei Ach den von der Zielvorstellung angeregten Reproduktions-
tendenzen] entspricht". Die determinierenden Tendenzen be-
wirken, daß unter den vielen durch die Wahrnehmung in Be-
reitschaft gesetzten Tendenzen diejenige zu einer überwertigen
verstärkt wird, welche einer dem Sinne der Absicht [d. h. den
von ihr angeregten Reproduktionstendenzen ")] entsprechenden
Vorstellung assoziativ zugeordnet ist'). Neben solchen ganz in
der Richtung einer Konstellationstheorie liegenden Annahmen
findet sich bei Ach allerdings auch der bedeutsame Hinweis,
daß eine vorherige Assoziation zwischen der konkreten Bezugs-
vorsteUung imd der determinierten Vorstellung kein unbedingtes
Erfordernis ist*). Ach sowohl wie Watt sind übrigens mit der
Aufstellung einer allgemeinen Theorie des Denkverlaufs noch
sehr zurückhaltend. Sie sind in erster Linie bemüht, charakteri-
stische Verlaufsformen festzustellen und die Wirksamkeit der
Aufgabe beziehungsweise der determinierenden Tendenzen darin
aufzuzeigen.
In der Literatur sind die Ergebnisse von Ach und Watt
meistens im Sinne einer EonsteUationstheorie der Wirksamkeit
der determinierenden Tendenzen verwendet worden*). Insbesondere
vertritt die nach der teilweisen Durchführung dieser Arbeit er-
schienene eingehende Untersuchung von Moskiewicz diese
Auslegung. Moskiewicz bekennt sich auf Grund der Ergebnisse
von Liepmann, Ach und Watt und seiner eigenen Analysen aus-
drücklich zu einer Konstellationstheorie des geordneten Denk-
*) Vgl.W.u.D. S.2l7f.
a. a. O.
•) W.U.D. S. 192 fr.
*) W. u. D. S. 209, 228 Anm. 3.
') Vgl z. B. Grundz. d. Psychol. von H. Ebbinghaus, fortgef. von E. Dürr
2. Bd., S. 295 f. H. Ebbinghaus, Grundz. d. Psychol. 1. Bd. a Auf L, bearbeitet
von E.DaiT (Leipzig 1911) S. 7Qß Anm. 1. M. Offner, das Gedächtnis 2. Aufl.
Berlin 1911. S. 171, 178 f., 182. O. Lipmann, Beitr. zur Psychologie und
Psychographie des Wollens und Denkens, Ztschr. f. angew. Psychol. 6. S. 338.
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/. Der Untersudumgsgegenstand.
verlaufe 0. „Das Unterscheidende gegenüber einem nicht geord-
neten Vorstellungsveriauf^ ist darin zu erblicken, daß beim ge-
ordneten Denken „eine Vorstellung, bezw. ein Vorstellungskom-
plex dauernd mit der Aufmerksamkeit festgehalten wird, dadurch
dauernd seine konstellierende Wirkung entfalten kann und die kon-
stellierende Wirkung anderer immerfort wechselnder Vorstellungen
lahmlegt ^^. Die Wirksamkeit der determinierenden Tendenzen
besteht demnach darin, „daß aus der Fülle von möglichen Re-
produktionen in einem gegebenen Falle durch die konstellierende
Wirkung der Aufgabe eine bestimmte hervorgehoben wird*)."
Eine Aufzählung der Gründe, welche gegen eine Eonstel-
lationstheorie wenigstens in der bisher angedeuteten Form und
gegen die ausschheßliche Anwendung einer solchen Theorie
sprechen, würde Ergebnisse der Untersuchung vorwegnehmen
müssen. Auch die von Ach und Watt selbst, sowie von Messer*)
gegebenen sorgfältigen Beschreibungen determinierter intellek-
tueller Prozesse weisen zum Teil nach einer anderen Richtung.
Dasselbe gilt für die über phänomenologischen Streitfragen nicht
immer genügend berücksichtigten wertvollen Beobachtungen von
Bühler in bezug auf die Reproduktion gedanklicher Zusammen-
hänge^). Die Frage, wie weit die Konstellationstheorie einer
möglichst vollständigen Analyse verschiedenartiger Verlaufeformen
standzuhalten vermag, bestimmte daher von Anfang an die An-
lage der Versuche und die Bearbeitung der Ergebnisse. Im Zu-
sammenhang mit dieser Frage ergab sich die Notwendigkeit einer
eingehenderen Analyse des Faktors der Aufgabe bezw.
der Zielvorstellung, die zu einer teilweisen Modifizierung
bezw. Erweiterung dieser Begriffe führte. Dem Beginn der Ex-
perimente gingen Vorversuche voraus, bei denen der Verfasser
nach einer der später angewandten ähnlichen Methode sich selbst
als Versuchsperson diente. Diese lehrten, daß Versuche, bei denen
*) G. Moskiewicz, zur Psychologie des Denkens I, Archiv f. d. ges. Psychol.
18. S. 904 ff., S. 828 ff.
•) a. a. O. S. 888.
*) Über die Konstellationstheorie von W. Poppehreuter siehe unten S. 290 ff.
A. Messer, Experimentell -psychologische Untersuchungen über das
Denken, Archiv f. d. ges. Psychol. 8.
•) K. Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denk-
vorgftnge, Archiv f. d. ges. Psychol. 9, insbes. S. 831 ff., 12, insbes. S. 46 ff.
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8 EüOeUang.
eine stärkere Inanspruchnahme anschaulicher Vorstellungen erfolgt,
vorzüglich geeignet sind, die Eigenart determinierter Prozesse
hervortreten zu lassen. Es erwies sich deshalb als zweckmäßig,
ein größeres entsprechendes Versuchsmaterial zu verwenden.
Damit trat von selbst die vielumstrittene Frage nach der
Funktion der Vorstellungen, soweit sie mit dem Problem
des geordneten Denkverlaufs zusammenhängt, in den Bereich der
Problemstellung. Sie bildete einen Nebengegenstand der Unter-
suchimg.
§ 2. Die Methode.
Die Untersuchungsmethode war im Prinzip dieselbe, wie sie
schon von Watt, Messer^) und anderen im Anschluß an ältere
Versuche über sogenannte gezwungene oder eingeengte Assozia-
tionen angewendet worden war. Die Versuchspersonen hatten
in bezug auf die ihnen dargebotenen Reizwörter bestimmte Auf-
gaben zu lösen. Die Beibehaltung dieser Methode hatte den Vor-
teil, daß sie eine Vergleichung der Ergebnisse mit den Ergeb-
nissen früherer Arbeiten erleichterte. Vor allem waren die bis-
herigen Ansichten über das Verhältnis der determinierenden
Tendenzen zu den assoziativen Reproduktionstendenzen im An-
schluß an das Verhältnis von „Aufgabe" und „Reizwort**, „Ziel-
und Bezugsvorstellung"* gebildet worden. Es empfahl sich daher,
die Gegenüberstellung dieser beiden Faktoren auch unseren Ver-
suchen zu Grunde zu legen. Auf der anderen Seite ergaben sich
aus dem Untersuchimgszweck einige wesentliche Abweichungen.
Zu einer Untersuchung der Verlaufsformen determinierter Prozesse
und ihrer Gesetzmäßigkeiten war es wünschenswert, den determi-
nierten Ablauf unter den für die experimentelle Selbstbeobachtung
günstigsten Bedingungen möglichst weit zurückverfolgen zu können.
Die Aufgabe wurde daher nicht für eine ganze Versuchsreihe im
voraus gegeben, sondern ihre Erteilung wurde in den Einzel-
versuch verlegt. Aufgabe und Reizwort wurden gleichzeitig dar-
geboten. Die Aufgabe variierte hierbei von Versuch zu Versuch.
Durch dieses Verfahren mit gleichzeitiger Darbie-
tung und variierender Aufgabe war es möglich, den Ein-
*) a. a. O.
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2, Die Methode.
fluß der Aufgabe vom Augenblick ihrer Darbietung an auf Grund
der Selbstbeobachtungen der Vpn. in der Hauptperiode festzu-
stellen. Da die Vpn. die jeweils zu lösende Aufgabe nicht vorher
kannten, konnten sie sich auch nicht bei der Vorbereitung und
in der Vorperiode auf die Lösung der betreffenden Aufgabe ein-
stellen, wodurch ein Teil des zu untersuchenden Prozesses aus
dem Versuch herausgefallen wäre. In der allgemeinen Instruktion
wurden nur einzelne Aufgaben beispielsweise erörtert. Die Vpn.
konnten daher auch völlig neuen Aufgaben unvorbereitet gegen-
übei^estellt werden. Das Watt'sche Verfahren hatte eine stereo-
type Art der Aufgabelösung schon durch die ständige Wiederholung
derselben Aufgabe begünstigt. Vor allem aber bestand die Mög-
Uchkeit und Notwendigkeit, sich ohne Rücksicht auf das später
erscheinende Reizwort auf die Aufgabelösung vorzubereiten. Hier-
durch wurde ein Motiv für die dauernde Einstellung auf diejenige
Art der Lösung einer bestimmten Aufgabe geschaffen, welche im
allgemeinen die günstigsten Ergebnisse zu Uefem versprach. Für
den Nachweis solcher allgemeiner Einstellungen ist die Watt'sche
Methode sehr geeignet *). Durch das Verfahren mit gleichzeitiger
Darbietung imd variierender Aufgabe dagegen wurde erreicht,
daß der Einfluß des jeweiligen, durch die Reizwörter bezeichneten
Aufgabegegenstandes auf die Art der Lösung ungehindert zur
Geltung kam. Für die Ermittelung des Verhältnisses von Auf-
gabe und Reizwort aber war gerade die Untersuchung dieses
Einflusses von größter Wichtigkeit.
Ein weiterer erheblicher Unterschied von den früheren Unter-
suchungen betraf die Auswahl des Versuchsmaterials. Die
Aufgaben waren zimi Teil dieselben, wie sie schon von Watt
verwendet worden waren. Bei der Auswahl der Reizwörter und
ihrer Zuordnung zu den einzehien Aufgaben aber waren besondere
Gesichtspunkte maßgebend. Will man wie Watt den Einfluß der
einzelnen Aufgaben auf die durchschnittliche Reaktionszeit fest-
stellen und daraus Schlüsse ziehen, so hat dies nur Sinn unter
der Voraussetzung, daß es sich, abgesehen von der durch die
Aufgabe bedingten Verschiedenheit der Richtung, um annähernd
gleiche Bedingungen, nämUch geläufige Reproduktionen handelt.
Auch unser Versuchsmaterial war zum Teil so gewählt, daß kurze
Watt a.a.O. S.800ff.
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10 Einleitung.
und einfache Lösimgsprozesse zu erwarten waren. Außerdem
aber wurde die weitgehendste Bemühung darauf gerichtet, trotz
der relativen Einfachheit der gestellten Aufgaben durch die
Schaffung geeigneter Versuchsbedingungen EinbUck in intellektuelle
Prozesse zu erhalten, welche über reine (redächtnisleistungen
hinausgehen. Es wurde daher in einem großen Teil der Fälle
die Auswahl der Reizwörter und ihre Zuordnung zu den Au^;aben
so vorgenommen, daß voraussichtlich wenigstens von der Mehr-
zahl der Vpn. die Lösung erst gefunden werden mußte, also
nicht eine schon vorhandene Lösung reproduziert werden konnte.
So kamen etwa bei der Aufgabe, einen Teil des Reizwortgegen-
standes anzugeben, als Reizwörter die Bezeichnungen solcher
Gregenstände zur Anwendung, an denen Teile nicht unterschieden
zu werden pflegen, bezw. deren Teile gewöhnlich nicht unter
diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. Oder es wurden bei
der Aufgabe, ein Ganzes zu dem Reizwortgegenstand anzugeben,
Gegenstände benützt, die nur in bestimmten Fällen inhärierende
Teile eines solchen Ganzen werden, wie der „Spiegel^ am Schrank
oder der „Kranz** in der Girlande. Die Auswahl der Versuche
erfolgte namentlich in der Weise, daß der Verfasser sich selbst
eine Reihe von Aufgaben probeweise an vorher ausgesuchten
Reizwörtern stellte und nach den Ergebnissen seiner Selbst-
beobachtung die passendsten Zusammenstellungen aussuchte. Dieses
Verfahren erleichterte dem Versuchsleiter zugleich trotz der be-
stehenden großen individueUen Verschiedenheiten das Verständnis
der Angaben seiner Vpn.
Sollte der Zweck, ernstliche Denkleistungen der Vpn. her-
beizuführen, erreicht werden, so mußte der an sich bei Reaktions-
versuchen bestehenden Beschleunigungstendenz entgegengewirkt
werden. Den Vpn. wurde daher in der Instruktion besonders
eingeschärft, daß es nicht darauf ankomme, schnell zu reagieren,
daß sie sich vielmehr die zu einer bequemen und sinn-
gemäßen Lösung nötige Zeit lassen sollten 0. Durch diese An-
*) Auf die Wichtigkeit derartiger Nebeninstruktionen haben inzwischen
auch Michotte und PrOm hingewiesen. <A. Michotte et E. PrOm, Sur le choix
volontaire et ses ant^c^dents inun^iats. Archives de Psychologie Tome X.
Vgl. namenüich S. 140, 216, 227 fr., 250 fr., 272 ff.) Sie haben zugleich den
großen Einfluß der den Vpn. nach der ausdrücklichen oder stillschweigenden
Instruktion zur Verfügung stehenden Reaktionszeit auf den qualitativen Ablauf
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2, Die Methode. 11
Weisung wurde verhindert, daß die Vpn. in Ermangelung einer
geläufigen Aufgabelösung sofort ohne ernstliches Nachdenken zu
wenig entsprechenden Aushilfislösungen griffen, wie sie bei frühe-
ren ähnlichen Versuchen häufig auftraten. Auch sonst erwies
sich diese Instruktion als sehr wertvoll zur Herbeiführung eines
dem Versuchszweck entsprechenden Verhaltens der Vpn. Um
ein tunlichst ungezwungenes Verhalten der Vpn. zu erzielen,
wurde femer eine die sinnliche Aufmerksamkeit der Vpn. mög-
lichst wenig inanspruchnehmende und möglichst geräuschlose
Versuchsanordnung gewählt Namentlich wurde auf genaue Zeit-
messung mit dem Chronoskop verzichtet. Dies konnte um so
leichter geschehen, als nach der Anlage der Versuche mit kom-
plizierteren Prozessen gerechnet werden mußte, bei denen feinere
Unterschiede der Zeitwerte weniger in Betracht kamen. Die
Reaktionszeit wurde mit der Fünftelsekundenuhr festgestellt.
Zeitmessungen sind, auch soweit die Ergebnisse auf qualitative
Analyse gestützt werden, keineswegs bloße Formalitäten, wie
A. Fischer anzunehmen scheint 0. Sie sind schon deswegen
nötig, um einen Maßstab für die Verwertbarkeit der Protokolle
zu bilden. Wo es auf Vollständigkeit und Feinheit der Ana-
lyse ankommt, sind bei der Möglichkeit einer Auswahl die Pro-
tokolle mit kürzeren Reaktionszeiten natürlich denen mit längeren
Reaktionszeiten vorzuziehen. Die Zeitmessimg gewährt außerdem
eine objektive Kontrolle der quantitativen Angaben der Vpn.
durch den Vergleich der Reaktionszeiten. In der vorliegenden
Untersuchung kam übrigens der Zeitmessung eine weitergehende
Bedeutung zu.
Die Darbietung von Aufgabe imd Reizwort erfolgte optisch.
Die Aufgabe wurde hierbei zu einem Schlagwort abgekürzt und
in der Regel durch Fragezeichen gekennzeichnet, z. B. „Über-
ordnung?**. Nur in einigen Fällen, in denen es sich weniger um
die Beantwortung einer Frage als die Ausführung einer Tätig-
keit handelte, trat an SteUe des Fragezeichens ein Rufzeichen.
Aufgabe und Reizwort waren mit Schreibmaschine untereinander
der Prozesse gezeigt (vgl. namenüich a. a. O. S. 159 ff., 214, 248 ff., 260 f.,
269, 284 ff.).
^) A. Fischer, Über Organisation und Aufgabe psychologischer Institute,
Zeitschr. f. pädagogische Psychol. 11. 1910. S. 100.
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12 Einleitung.
auf einzelne Papierblättchen niedergeschrieben. Jedes solche
Blättchen war durch einen Karton von gleicher Größe verdeckt,
dessen Mitte die Vp. in der Vorperiode fixierte. Nach dem Vor-
signal „bitte!" zog der VI. mit dem Worte „jetzt !** den ver-
deckenden ELarton weg, während er gleichzeitig mit der anderen
Hand die Fünftelsekundenuhr in Bewegung setzte*). Der Sinn
der Aufgabenabkürzung wurde den Vpn. an folgenden Beispielen
erläutert:
1. Die Aufgabe „Ganzes?" bedeute, es sei ein Ganzes zu
suchen zu dem durch das Reizwort bezeichneten Gegenstande,
2. die Aufgabe „Teil?", es sei ein Teil zu suchen von dem
durch das Reizwort bezeichneten Gegenstande,
3. die Aufgabe „Überordnimg"?, es sei ein Gegenstand zu
suchen, dessen Begriff dem Begriff des durch das Reizwort be-
zeichneten Gegenstandes übergeordnet ist,
4. die Aufgabe „Nebenordnung?", es sei ein Gegenstand zu
suchen, dessen Begriff dem Begriff des durch das Reizwort be-
zeichneten Gegenstandes gleichgeordnet ist,
B. Entsprechendes bedeute die Aufgabe „Unterordnung?".
Die Vpn. wurden ausdrücklich darauf hingewiesen, daß bei
den drei letzterwähnten Aufgaben ein Unterschied zwischen be-
grifflichem und gegenständlichem Denken von der Instruktion
nicht gemacht werden solle. Es komme nur darauf an, daß das
Reaktionswort einen der Aufgabe entsprechenden Gegenstand
bezeichne. Wie die Vp. zu der Lösung komme, sei ihr tiber-
lassen*).
6. Bei der Aufgabe „Beschreibung!" solle die Vp. bestrebt
sein, eine dem Reizwort entsprechende Vorstellung zu bilden.
Sie solle hierin so weit gehen, daß es möglich sein würde, an
das Vorgestellte eine Beschreibung anzuknüpfen.
Für die Aufgaben „Über- und Unterordnung" wurde noch
Bei B erfolgte in den ersten 12 Versuchen die Darbietung durch einen
Projektionsapparat und ohne Zeitmessung.
■) Bei zwei Vpn. (G und H) wurde auf Anregung von Herrn Prof. Kdlpe
die Instruktion zu den Aufgaben 3—5 in vereinfachter Form und ohne den
ausdrücklichen Hinweis in bezug auf den Gegensatz von begrifflichen und
gegenständlichem Denken gegeben. 1. ^Überordnung?** bedeutet, es sei die
höhere Gattung, 2. „Nebenordnung ?**, es sei ein anderer Gegenstand gleicher
Gattung zu suchen, „Unterordnung?** entsprechend.
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2. Die Methode. 13
die ausdrückliche Weisung erteilt, die Vp. solle bestrebt sein, wenn
möglich, das nächst Übergeordnete, bezw. nächst Untergeordnete
zu finden. Eki war dies nur eine durch den VI. selbst gegebene
Interpretation der Aufgabe zur sinngemäßen Lösung für einen
speziellen Fall. Eine besondere Erläuterung wurde später noch
für die Angabe „Definition?^ gegeben. Sie ging dahin, daß eine
zusammenfassende Formulierung zwar angestrebt werden solle,
aber nicht unbedingtes Erfordernis sei; insbesondere sei es nicht
notwendig, daß die Formulierung in Form eines Satzes erfolge.
Diese Erleichterung der Aufgabe ermöglichte es, auch schwierigere
Definitionsaufgaben zu stellen, ohne daß eine allzu große Ver-
längerung der Reaktionszeiten eine Verwertung der Protokolle
unmögUch machte. Außerdem sollte die Anweisung die begreif-
liche Scheu der Vpn. vor Definitionen im Rahmen eines Reaktions-
versuchs beseitigen. Die Aufgaben unter ZifT. 1 — 4, sowie die
Aufgabe „Definition*^ waren zugleich die am häufigsten ver-
wendeten. Die Aufgaben „Teil" und „Ganzes** waren sehr ge-
eignet, ein Denken unter Zuhilfenahme der Anschauung, die Auf-
gaben „Überordnung** und „Definition** ein mehr begriffliches
Denken anzuregen. Die Aufgabe „Nebenordnung** stand in dieser
Hinsicht zwischen beiden. Die Vpn. hatten nur die Instruktion,
Aufgaben imd Reizwörter in der Reihenfolge zu lesen, in denen
sie auf dem Darbietungsobjekt angeordnet waren. Im übrigen
hatten sie bei der Gleichzeitigkeit der Darbietung freie Wahl, ob
sie sich zuerst mit der Aufgabe oder zuerst mit dem Reizwort
näher befassen oder beide Faktoren gleichzeitig nebeneinander
zur Wirkung gelangen lassen wollten. Auf diese Weise konnte
erwartet werden, daß das Verhältnis von Aufgabe und Reizwort
im Verhalten der Vpn. zur Geltimg kommen werde. Um dieses
Verhältnis noch stärker hervortreten zu lassen und einen etwaigen
Einfluß der Reihenfolge der Darbietung erkennbar zu machen,
wurde teils die Aufgabe, teils das Reizwort vorangestellt. Die
letztere Anordnung war besonders geeignet, darüber Aufschluß
zu geben, wie weit den vom Reizwort ausgehenden Reproduktions-
tendenzen in Versuchen mit Auf gabestellung noch eine selbständige
Bedeutimg zukommt.
Die Erteilung der Instruktion erfolgte in der Hauptsache
gleichlautend unter Benützung einer schriftlichen Niederlegung.
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14 Einleitung.
Die Reaktion hatte in Worten zu erfolgen, wenn dies nach der
Natur der Aufgabe möglich war. Andernfalls wie bei der Auf-
gabe „Beschreibung!^ war mit ja eu reagieren. Nach der Reaktion
sollten die Vpn. sich bemühen, ihre Erlebnisse durch eine so-
fortige innerliche Zurückwendung zu ihnen festzuhalten, und ihr
Hauptaugenmerk dabei auf das erste Stadium des Versuches richten.
Die Feststellung der Einzelheiten des Verlaufe erfolgte jedoch
erst durch das Protokoll, das sich nach einer kurzen, in der an-
gegebenen Weise ausgefüllten Pause des Besinnens an die Re-
aktion anschloßt). Die Vpn. hatten eine tunlichst vollständige
Beschreibung des Verlaufs zu geben und die einzelnen Erlebnisse,
soweit es möglich war, auch zu analysieren. Den Vpn. wurde es
zur strengen Pflicht gemacht, jede Unsicherheit über die Richtig-
keit ihrer Angaben zu Protokoll zu geben, überhaupt wurden sie
dazu angehalten, Aussagen über den Grad der Sicherheit ihrer
Beobachtungen zu machen. Für die Vpn. selbst hatte dies den
Vorteil, daß sie nicht ängstlich zu überlegen brauchten, ob eine
Angabe sicher genug sei, um verwertbar zu sein. Sie konnten
das dem Versuchsleiter selbst überlassen. Dem VI. seinerseits
wurde hierdurch die Beurteilung der Brauchbarkeit einer Angabe
erleichtert. Er erhielt eine Reihe von Angaben, die mit dem
Prädikat völliger Sicherheit versehen waren und deshalb in erster
Linie zu verwenden waren. Auf der anderen Seite wurde eine
größere Vollständigkeit der Protokolle gewährleistet Im Zusammen-
halt mit anderen Aussagen derselben Vpn. oder mit Protokollen
anderer Vpn. können auch unsichere Angaben Bedeutung gewinnen.
Die zur Ergänzung der Protokolle notwendigen Fragen wurden,
um eine sug^stive Beeinflussimg zu verhindern, anfangs meist
alternativ gestellt. Später wurden die Vpn. daran gewöhnt, die
eine Alternative, z. B. die Frage, ob in einem bestimmten Stadium
*) Unser Verfahren, das sich dem VI. bei der Tätigkeit als Vp. bewährt
hatte, deckt sich also nicht mit dem von Michotte und Prüm eingeschlagenen
Verfahren einer vollständigen innerlichen Fixierung vor der Protokoll-
abgabe (a. a. 0. S. 144). Bei Versuchen mit längeren Reaktionszeiten, wie
sie die unseren zum Teil waren, wird sich das Verfahren von Michotte und
Prüm wahrscheinlich auch nicht sehr empfehlen. Eine unserer Vpn., welche
anfangs die obige Anweisung im Sinne einer vollständigen Fixierung verstanden
hatte, empfand eine solche Instruktion als störend. Die sprachliche Formulierung
erleichtert eben die Fixierung des Erlebten und wird dann am besten sogleich
mit der Protokollabgabe verbunden.
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2, Die Methode. 15
VorsteUungen vorhanden waren, im Sinne einer alternativen Frage-
steUung aufzufassen. Die Fragen betrafen namentlich das Vor-
handensein oder Fehlen anschaulicher oder emotionaler Erlebnisse
in den einzelnen Stadien, die Beschaffenheit imd Lokalisation der
Vorstellungen, die Art ihrer Verbindung mit anderen Erlebnissen,
femer die Reihenfolge der Vorgänge, die Sicherheit und Voll-
ständigkeit der Angaben imd die Aufklärung der von den Vpn.
gebrauchten Ausdrücke. Bei der Feststellimg unanschauUcher
Erlebnisse begnügte sich der VI. im allgemeinen mit der Angabe,
daß in einem bestimmten Stadium dies oder jenes bewußt gewesen
sei, ohne daß anschauliche Vorstellungen (bezw. emotionale Er-
lebnisse) vorhanden waren. Ergänzende Fragen bezogen sich
hierbei in erster Linie auf die Sicherheit der Angabe, daß wirk-
lich ein Bewußtsein von dem betreffenden Gegenstand oder Sach-
verhältnis bestanden habe einerseits, und auf die Sicherheit des
Ausschlusses von Wort- und Sachvorstellungen (bezw. emotionalen
Erlebnissen) bei diesem Bewußtsein andererseits. Der Gebrauch
technischer Ausdrücke, welche das Vorkommen unanschaulicher
Erlebnisse voraussetzen, wie „Bewußtheiten" oder „Gedanken'',
wurde absichtlich vermieden. Sie wurden aber von einzelnen Vpn.
gelegentlich spontan angewendet.
Für die Ermittelung von Gesetzmäßigkeiten des Verlaufs de-
terminierter intellektueller Prozesse kann man sich wenigstens
zum Teil mit der Feststellung begnügen, daß in einem bestimmten
Stadium ein bestimmter Gegenstand oder ein bestimmtes Sach-
verhältnis irgendwie bewußt gewesen ist. Auch wenn man
mit den Gegnern der Anerkennimg unanschauUcher Erlebnisse
annähme, daß die Angaben der Vpn. sich auf irgend welche Kri-
terien anschauUcher oder emotionaler Art stützen, deren Analyse
nur nicht gelungen ist, würden die Aussagen der Vpn. doch für
die Untersuchimg der Zusammenhänge im geordneten Denken
ihren Wert behalten. Für eine Reihe von Fragen, welche sich
auf die Gesetzmäßigkeiten des Denkverlaufs beziehen, ist es nicht
nur von relativ untergeordneter Bedeutung, zu wissen, welchem
Sinnesgebiete die Wort- oder Sachvorstellungen angehörten,
die das Bewußtsein von einem Gegenstand oder Sachverhältnis
in dem speziellen Fall repräsentierten. Es ist ebenso relativ gleich-
gültig, ob dieses Bewußtsein überhaupt von anschaulichen oder
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16 EinieUung,
emotionalen Erlebnissen begleitet oder völlig unanschaulicher
Natur war. Auch die bloße „Kundgabe*^, daß ein auf einen be-
stimmten Gregenstand bezw. ein bestimmtes Sachverhältnis be-
zügliches Erlebnis vorhanden gewesen sei, kann daher zur psycho-
logischen Beschreibung des Verlaufs eines Denkprozesses mit
Erfolg verwendet werden. Der von v. Aster und Titchener, in
anderer Formuherung auch von Dürr gemachte Einwand, daß es
sich bei den unanschaulichen Erlebnissen um eine bloße Kund-
gabe des Erlebten handle, würde selbst dann, wenn er berechtigt
wäre, sich nicht gegen die Verwendung solcher Kundgaben hei
der psychologischen Beschreibung von Denkverläufen richten
können ^). Analysen, welche wie die von H. Liepmann und Mos-
kiewicz gegebenen an häufig vorkommende Denkverläufe aus
dem täglichen Leben oder an fingierte typische Fälle anknüpfen,
müssen auf eine speziellere qualitative Bestimmung der den Ver-
lauf konstituierenden Teilprozesse vollständig verzichten. Dennoch
sind sie psychologische Analysen und können für bestimmte Zwecke
wertvolle Ergebnisse liefern, wenn sie auch in vielen Beziehungen
hinter den zuverlässigeren und genaueren Feststellungen auf
Grund der experimentellen Untersuchung konkreter Denkvorg^Lnge
zurückstehen müssen.
Man kann noch weiter gehen. Auch wenn die Aussagen
der Versuchspersonen sich auf Vorgänge bezögen, weldie die Be-
zeichnung als bewußte nicht oder wenigstens nicht im selben
Sinne verdienten wie anschauliche Erlebnisse, würde dies den
Wert der Angaben für eine auf die Zusammenhänge gerichtete
Untersuchimg nicht wesenüich zu beeinträchtigen brauchen.
Nehmen wir an, es handle sich bei den unanschauUchen Erleb-
nissen um eine besondere Art aktueller Veränderungen im Gebiet
der Reproduktionsgrundlagen, deren Wirkung derjenigen gewisser
Bewußtseinserlebnisse gleichwertig wäre. Zu der Eigentümlich-
keit dieser Vorgänge gehöre es auch, daß Angaben über sie in
ähnUcher Weise möglich sind wie etwa über die Gegenstände nicht
*) E. V. Aster, Die psychologische Beobachtung und experimentelle Unter-
suchung von Denkvorgängen, Zeitschf . f. Psychol. 49. E. B. Titchener, Lectures
on the Ejqperimental Psychology of the Thought-prozesses (New York 1909).
E. Dürr, Über die experimentelle Untersuchung der Denkvorgänge, Zeitschr.
f. Psychol. 49.
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2. Die Methode. 17
ntther analysierbarer anschaulicher Erlebnisse. Ob hierbei mittelbare
Kriterien auf Grund begleitender charakteristischer Bewußtseins-
erlebnisse eine Rolle spielen, oder ob die Gredächtnisdispositionen
jener nicht eigentlich bewußten Vorgänge ebenso wie die Gedächtnis-
dispositionen vollbewuflter Prozesse die Grundlage für Erinne-
rungen abgeben können, dürfte dahingestellt bleiben, falls die
Protokolle sich nur auf Vorgänge beziehen, die wirklich in dem
betreffenden Stadium stattgefunden haben. Darüber aber, daß
die Aussagen der Versuchspersonen, von Beobachtungsfehlem im
einzelnen natürlich abgesehen, den wirklichen Verlauf wieder-
geben, kann nach den Ergebnissen der Versuche kein Zweifel
bestehen. Die außerordentliche Übereinstimmung der Protokolle
untereinander und mit den Protokollen anderer Vpn., ihre innere
Geschlossenheit und Verwertbarkeit für die Ermittlung gesetz-
mäßiger Zusammenhänge, die Feinheit in der Differenzierung der
Angaben, die genaue Abgrenzung des „Bewußten*^, wie man diese
Bezeichnimg auch verstehen möge, von dem, was nicht bewußt
war, und endlich die Beobachtungsföhigkeit imd Gewissenhaftig-
keit der beteiligten Vpn. schließen einen Zweifel in dieser Hin-
sicht aus. Es wird sich Grelegenheit geben, im einzelnen auf die
Belege für die Zuverlässigkeit der Angaben der Vpn. in der frag-
lichen Richtung zurückzukommen. Hier kam es vor allem darauf
an, die relative Unabhängigkeit der Beurteilung der gewonnenen
Ergebnisse von dem Standpunkt des Beurteilers zu den schweben-
den phänomenologischen Streitfragen zu betonen.
Mit Rücksicht auf den Nebenzweck einer Untersuchung der
Funktion der Vorstellungen, femer um ein möglichst klares Bild
von dem Verlauf zu gewinnen, wurden die Vpn. zu einer ein-
gehenden Beschreibung der von ihnen beobachteten anschauUchen
Erlebnisse veranlaßt. Es zeigte sich, daß es nicht genügt, im
allgemeinen die Frage nach dem Vorhandensein von anschauUchen
Erlebnissen in einem Versuch zu stellen; die Frage muß vielmehr
auf bestimmte Versuchsstadien bezogen werden. Die Vpn., welche
selbst während der Protokollabgabe eine schärfere Gliederung des
Verlaufs nach den einzelnen Stadien nicht vorzimehmen pflegen
und auch meistens nicht vorzunehmen imstande sind, wurden
wiederholt erst durch Fragestellung auf vorhandene anschauliche
Elemente aufmerksam und konnten dann mit größter Bestimmt-
Selx, Ober die Geaetie des geordneten DenkrerUnCi. 2
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18 Einleitung,
heit angeben, daß diese oder jene Vorstellung in dem betreffenden
Stadium aufgetreten war. Bei einigen Vpn. war es möglich, die
erg^bizenden Aussagen sogleich an den Bericht über die einzelnen
Versuchsstadien anzuschließen, ohne daß die Eontinuierlichkeit
des Protokolls erheblich imterbrochen wurde. Der VI. pflegte bei
diesen Vpn. die Ergänzung namentlich durch abgekürzte Zwischen-
fragen, die sich an die Beschreibung der einzelnen Stadien an-
schlössen, z. B. durch die Frage „Vorstellungen?*^ zu veranlassen.
Dies geschah jedoch nur dann, wenn die Vp. solche Zwischen-
fragen nicht als störende Unterbrechung empfand. Nachtr%liche
Fragen in bezug auf die einzelnen Stadien sind häufig nicht mehr
von Erfolg begleitet.
Fragen, welche das Hauptproblem der Versuche, insbesondere
das Verhältnis von Aufgabe und Reizwort direkter betrafen, wurden
nur in äußerst beschi^Loktem Maße gestellt und meist nur im An-
schluß an eigene gegenwärtige oder bei früheren Versuchen ge-
machte Angaben der Vpn. Es sollte nicht durch häufigere Frage-
stellungen in dieser Richtung die strenge Unwissentlichkeit des
Verfahrens in bezug auf den tieferen Versuchszweck ge&Qirdet
werden. Der Verfasser konnte sich später durch die nächtig-
liehe Befragung der Vpn. überzeugen, daß die Geheimhaltung des
Versuchszweckes auch wirklich gelungen war. Nur eine Vp. (B)
kannte im allgemeinen die mit der Anlage der Versuche verfolgten
Absichten, im einzelnen war auch für sie das Verfahren ein
imwissentliches. Durch die Bekanntgabe des Versuchszweckes
hätte vielleicht die Zahl der Belege noch gesteigert werden können.
Die Unwissentlichkeit bot aber den großen Vorzug, daß nicht
nur eine imwillkürliche Beeinflussung durch Vermutungen des
Versuchsleiters, sondern vor allem auch ein eigenes Theoretisieren
der Vp. vermieden und damit Einwänden in dieser Hinsicht im
voraus begegnet wurde.
Ein besonderer Vorteil des Verfahrens mit variierender Auf-
gabe besteht in der Möglichkeit, Versuchsgruppen zu bilden,
bei denen unter Wiederholung desselben Reizwortes die Auf-
gabe wechselte. Hierdurch wurde die Vergleichung des Verhaltens
der Vpn. gegenüber verschiedenen Aufgaben bedeutend erleichtert.
Auch die Vpn. selbst wurden so spontan auf die charakteristischen
Verschiedenheiten ihrer Erlebnisse aufmerksam. Die Vpn. wußten
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2. Die Methode. 19
nicht, wann ein Reizwort wiederkehrte, so daß sie sich nicht auf
die Lösung der kommenden Aufgabe vorbereiten konnten. Auch
wenn Vermutungen in dieser Richtung bestanden, unterließen die
Vpn. doch eine Vorbereitung schon deswegen, weil diese störend
einwirken mußte, wenn eine andere als die erwartete Aufgabe
erschien. Außerdem hatten sie die ausdrückliche Instruktion, sich
der Vermutungen über das, was kommen würde, sowie nachträg-
hcher Reflexionen im Anschluß an die Versuche nach Kräften zu
enthalten. Dem gleichen Zweck wie die Versuchsgruppen diente
die Häufung von verschiedenen Aufgaben im selben Versuch. Es
wurden den Vpn. zu demselben Reizwort mehrere Aufgaben vor-
gelegt, die der Reihe nach zu lösen waren. Die Reaktion hatte
erst nach der Lösung sämthcher Au%aben zu erfolgen. Durch
die Aufgabenhäufung wird zwar die Reaktionszeit verlängert,
andererseits aber kommt der störende Einfluß eines zwischen den
einzelnen Aufgabelösungen liegenden Protokolls hier in Weg-
fall. Beide Verfahren ergänzten sich also wechselseitig. Auch
der Stellung alternativer Aufgaben zu demselben Reizwort
lagen zum Teil ähnliche Absichten zugrunde, zum Teil sollten sie
durch die Anregimg einer Wahl das Verhältnis von Aulgabe und
Reizwort deutlicher hervortreten lassen. Ein anderer Zweck wurde
mit der Wiederholung gleichartiger Aufgaben zu dem-
selben Reizwort innerhalb einer Versuchsgruppe oder der Häufung
gleichartiger Aufgaben verfolgt. Wenn eine Vp. z. B. zu
demselben Gegenstand fünf verschiedene Teile anzugeben hat, so
kann man den Einfluß der mit dem Verbrauche der geläufigen
Lösungen sich steigernden Schwierigkeit auf das Verhalten der
Vpn. beobachten. Schon frühere Untersuchungen hatten die An-
nahme nahegelegt, daß zur Lösung gewisser Aufgaben An-
Bchauungshilfen erforderlich sein können, imd daß Anschauungs-
hilfen um so mehr benötigt werden, je schwieriger die gestellten
Anforderungen sind*). Wenn diese Voraussetzimgen richtig sind,
so mußte es auch möglich sein, durch Versuchsgruppen oder Auf-
gabenhäufungen der eben angegebenen Art eine Vp. zu zwingen,
zur Lösung einer Aufgabe sich der Vermittlung von Vorstellimgen
*) C. O. Taylor, Über das Verstehen von Worten und Sätzen, Zeitschr.
f. Psydiol. 40. S. 225. G. H. Betts, The distribution and ftinction of mental
imagery (New York 1909).
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20 Einleitung,
zu bedienen. Außer der unmittelbaren Verwertbari^eit kommt den
Versuchsgruppen und Aufgabenhäufungen noch die Bedeutung zu,
daß die durch sie erzielte Hinlenkung der Vpn. auf ihr Verhalten
bei verschiedenartigen Aufgaben, bei gesteigerter Schwierigkeit
oder bei der Zuhilfenahme anschaulicher Vorstellungen auch der
Selbstbeobachtung in den isolierten Versuchen zugute kommt.
Die unmittelbare Verwertbari^eit der Aufgabenhäufung kann
zwar durch die Länge der Dauer der Versuche beeinträchtigt
werden, teilweise aber wirkt dieser ungünstigen Bedingung das
stärkere Hervortreten charakteristischer Erlebnisse entgegen. Eine
allgemeine Norm für das Höchstmaß der Dauer eines Versuchs,
die noch zuverlässige Beobachtungen ermöglicht, läßt sich wohl
überhaupt nicht aufstellen. Es kommt auf die Art der Fest-
stellungen an. So beziehen sich die von Michotte und Prüm mit-
geteilten Erfahrungen, nach denen die Reaktion vier bis fünf
Sekimden nicht übersteigen solle *), auf die Analyse äußerst schwer
zu beschreibender Willenserlebnisse und dürfen daher nicht ohne
weiteres veraUgemeinert werden. Einzelne Angaben kOnnen sehr
oft mit voller Sidierheit gemacht werden, wenn die Reaktions-
zeit sogar eine halbe Minute oder mehr beträgt. Entsprechendes
gilt für die Dauer der Protokollzeit. Bei der Untersuchimg kom-
plizierter Prozesse lassen sich längere Reaktionszeiten von zehn
und mehr Sekunden nicht vermeiden. Es wurde aber möglichst
dafür Sorge getragen, daß auch Versuche mit kurzen Reaktions-
zeiten für die einzelnen Feststellungen zur Verfügung standen.
Auch Versuche mit relativ langen Reaktions- und Protokollzeiten
sind übrigens noch zuverlässiger als die meisten aus dem Leben
stammenden Selbstbeobachtungen oder Analysen fingierter Pro-
zesse, wie sie von Moskiewicz mit gutem Erfolg angestellt wurden.
Tabelle 1 gibt zwei Beispiele für Versuchsgruppen mit ver-
schiedenen Aufgaben (ZifiF. 1 — 2 und 4 — 6), ein Beispiel für eine
Versuchsgruppe mit Wiederholimg gleichartiger Aufgaben (ZiflF.
7 — 9), femer ein Beispiel für eine ungleichartige, zwei für eine
gleichartige Aufgabenhäufimg imd eines für eine alternative Auf-
gabe (Ziff. 3; Ziff. 10 und 11; Ziff. 12).
Die ganze Reihe der bisher besprochenen Hauptversuche
umfaßt 141 Versuche. Die Gesamtzahl der verschiedenen Auf-
') a. a. 0. S. 124.
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2. Die Methode.
21
Tabelle 1.
1
Wirkung?
Biß
2
Biß
Ursache?
3
Brief
erst Nebenordnung,
dann Teil,
dann Ganzes?
4
Überordnung?
Klarinette
6
Ganzes?
Klarinette
6
Teü?
Klarinette
7
Gerüst
Teil?
8
Gerüst
andrer Teil?
9
Gerüst
wieder andrer Teil?
10
Flügel
6 TeUe?
11
Arbeit
dfache Bedeutung?
12
Blut
Bestandteü oder
Funktion?
gaben betrug 28. Die Reihe wurde in der angegebenen Instruk-
tion mit 7 Vpn. durchgeführt und zwar mit Vp. A 138, Vp. B 129,
Vp. G 65, Vp. D 138, Vp. E 139, Vp. F 34, Vp. G 105, zusammen
also 748 Versuche. Die bedeutend geringere Zahl der mit den
Vpn. G und F angestellten Versuche kommt daher, daß diese Vpn.
an der weiteren Teilnahme an den Versuchen verhindert waren.
84 Versuche der Hauptreihe wurden noch mit einer achten
Vp. (H) imter teilweise veränderter Instruktion durchgeführt An
Stelle der Instruktion zur bequemen und sinngemäßen LOsung
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22 Einleitung,
trat hier die Instruktion, möglichst schnell zu reagieren 0* Es
sollte festgestellt werden, wie weit die allgemeinen Erscheinungen,
namentlich die Heranziehimg anschauUcher Vorstellungen unter
bestimmten Bedingungen auch bei dieser Instruktion auftreten.
Die Folge der Instruktion war bei der teilweise größeren Schwierig-
keit der Aufgaben die Häufung von Fehlreaktionen und ein wieder-
holtes völliges Versagen. Auf die ersten 21 Versuche kamen vier
Fehlreaktionen imd ein dreimaliges Versagen der Vp. Die In-
struktion wurde daher nim ausdrücklich dahin interpretiert, sie
bedeute, „so schnell als es bei der Bewahrung der Buhe und
sinngemäßer Aufgabelösung noch irgendwie möglich ist^.
Mit zwei Vpn. (G imd H) wurde außerdem eine größere
Anzahl von Versuchen aus der Hauptreihe mit einer in anderer
Weise veränderten Instruktion durchgeführt*). Wir geben den
Zusatz zur Hauptinstruktion in der Fassung wieder, wie die In-
struktion der Vp. H erteilt und erläutert wurde: „Suchen Sie, auch
wenn die Aufgabe eine Veranschaulichung nahelegen sollte, also
tiberhaupt in allen Fällen, die Au%abe durch gedankliche Be-
sinnung zu lösen! Eine Anschauung, die sich von selbst ein-
stellt, soll nicht' zurückgedrängt werden. Nehmen Sie an, es gebe
zwei Arten, eine Aufgabe zu lösen, eine, sie durch Veranschau-
lichung imd eine zweite, sie durch gedankliches Besinnen auf
eine Lösung zu beantworten. Ihre Instruktion ist es, nach Mög-
lichkeit den zweiten Weg zu wählen." Die Instruktion sollte haupt-
sächlich die Feststellungen über die Funktion der Vorstellungen
ergänzen und eventuell zu einem mehr begrifflichen Denken an-
regen. Vp. H führte 43 Versuche, hiervon 28 mit akustischer
Darbietung, Vp. G mit einer im wesentlichen gleichlautenden In-
struktion 21 Versuche aus. Die Versuche fanden nach den übrigen
mit diesen Vpn. durchgeführten Versuchen statt. Die akustische
Darbietung wurde bei H eingeführt, da diese Vp. durch die op-
tische Darbietung das Auftreten von anschaulichen Vorstellungen
begünstigt glaubte®).
^) Die Versuche mit dieser Instruktion werden im folgenden als H" be-
zeichnet
*) Auch mit Vp. K, die sonst an der Hauptreihe nicht teilnahm, wurden
Versuche nach dieser Instruktion angestellt.
•) Die Versuche werden im folgenden durch den Index b ( besinnen)
und die akustischen Versuche außerdem durch den Index a bezeichnet
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2. Die Methode, 23
Mit drei Vpn. (A, D und E) wurde ein Teil der Versuche
der Hauptreihe nach einem Zeitraum von zwei bis vier Monaten
in einer besonderen Versuchsreihe wiederholt, vermischt mit neuen
Aulgaben. Die spezielle Instruktion für diese Reihe lautete:
„Wenn Reizwort oder Aufgabe Ihnen bekannt erscheinen sollte,
so kümmern Sie sich nicht darum, sondern suchen Sie ohne Rück-
sicht darauf zu einer L(toung zu kommen. Suchen Sie aber auch
nicht die Wiederkehr der früheren Losungen zu vermeiden."
Diese Instruktion war notwendig, um nicht die Vpn. bei Wieder-
kehr einer Aulgabe infolge der Überraschung von einer Lösung
abzuhalten. Der Zweck dieser Wiederholungsversuche war
einerseits, die Veränderungen zu beobachten, die durch die Wieder-
holung sich ergeben würden. Andererseits konnten auch von der
teilweise unveränderten Wiederitehr derselben Erlebniszusammen-
hänge Aufschlüsse über die Zufälligkeit oder Gesetzmäßigkeit der
einzehien Verlaufsformen und über die Zuverlässigkeit der Selbst-
beobachtungen der Vpn. erwartet werden. In beiden Hinsichten
waren die Versuche von Erfolg begleitet^).
Im Laufe der Versuche wurde es wünschenswert, näheren
Einblick in die Art und Weise zu gewionen, in der die Auswahl
imter einer Mehrzahl konkurrierender, namenth'ch gedächtnis-
mäßiger Lösungen derselben Aufgabe erfolgt. Es wurden daher
in einer Nebenreihe Versuche durchgeführt, bei denen eine
solche Konkurrenz in hohem Maße vorausgesetzt werden durfte.
Dem Reizwort ging in dieser Reihe der Artikel „ein** vorher.
Die Vpn. hatten die im voraus erteilte Instruktion, einen Gegen-
stand der betreffenden Art zu nennen, z. B. „ein Küchengerät",
„ein Adjektiv", „ein historisches Ereignis". Die Auswahl der
Reizwörter erfolgte wieder nach Vorversuchen, welche der Ver-
suchsleiter mit sich selbst als Vp. angestellt hatte. Diese Neben-
reihe umfaßte 16 Versuche, die mit 6 Vpn. zur Ausführung kamen.
Die Gesamtzahl der Versuche betrug 95. Die Vpn. A, B und D
hatten hierbei dieselbe Instruktion imd Darbietimgsweise wie in
der Hauptreihe. Die Vpn. G, H imd K hatten die Instruktion,
die Aufgabe durch „Besinnen" zu lösen. Bei G und H erfolgte
die Darbietung akustisch. Die Gründe für diese Abweichung von
') Die Wiederfaolungsversuche werden in den Belegstellen mit dem Index w
bezeichnet werden.
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24 Einleitung.
der gewöhnlichen Instruktion und Darbietung waren entsprechende
wie in den schon angegebenen Fällen.
Die Ergänzung zu den Versuchen mit Au^abelOsungen
bildeten Versuche mit sogenannten freien Assoziationen, denen
eine besondere Besprechung gewidmet werden wird. Durch ver-
schiedene Instruktionen wurde eine Variation der Bedingungen
geschaffen, welche einen tieferen Einblick in die Gesetzmäßig-
keiten des Ablaufs bei solchen Versuchen ermöglichten und da-
durch auch den Vergleich mit dem Verlauf bei Au^;abelOsungen
fruchtbarer gestalteten.
Die Versuche mit Au^gabelösimgen wurden im Februar 1910
begonnen und in den Osterferien und im Sommersemester zu
Ende geführt Als Vpn. beteiligten sich: Prof. Dr. Külpe, Privat-
dozent Dr. Bühler, Prof. Dr. Grirgensohn (Dorpat), Gymnasiallehrer
Fredlund (Stockhohn), Dr. phil. Honecker, Dr. phil. Eemp, Dr. phil.
Rieffert, Dr. phil. Rüster, Dr. phil. StOcker. Die Buchstabenfolge
in der Bezeichnung der Vpn. stimmt mit der obigen Reihenfolge
nicht überein. Allen Vpn. fühlt sich der Verfasser für ihre auf-
opfernde, zeitraubende Tätigkeit zu großem Dank verpflichtet.
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/. Die anvermitteäen Lösungen. 25
Erster Abschnitt
Die unvermittelten Lösungen
als Wissensaktualisierungen und die Bedeutung
der Wissensaktualisierung für die Aufgabelösung.
§ 1. Die unvermittelten Lösungen.
Schon Watt hatte den Fällen, in denen sich Gesichts- oder
Wortvorstellungen als Mittelglieder zwischen Beizwort und Auf-
gabe einschoben, zwei Gruppen von Au^gabelösungen gegenüber-
gestellt, in denen solche Mittelglieder fehlten^). In der einen
dieser Gruppen war in der Zwischenzeit noch ein Suchen oder
eine sich aufdrängende Masse von dunklen, nicht näher beschreib-
baren Vorstellungen vorhanden. In der anderen Gruppe dagegen
konnten zwischen dem Reizwort und dem Auftreten des Re-
aktionswortes überhaupt keine weiteren Erlebnisse konstatiert
werden. Der Watt'schen Einteilung entspricht in der vorliegen-
den Untersuchung in der Hauptsache die Unterscheidung zwischen
unvermittelten imd vermittelten Lösungen. Als unver-
mittelt sollen aUe Lösungen gelten, bei denen auf das von an-
schaulichen Bedeutimgsvorstellungen oder gleichwertigen Erleb-
nissen nicht begleitete Verständnis von Reizwort und Aufgabe
die Lösung ohne ein auf sie bezügliches Zwischenerlebnis erfolgt.
Ein bloßes Suchen oder Besinnen soll jedoch nicht als Vermitt-
lung betrachtet werden; femer soll es gleichgültig sein, ob die
auftretende Lösung die erstauftretende ist, imd ob ihr eine die
Aui^^e formulierende Frage, wie sie häufig vorkam, voraus-
gegangen ist. Ebenso bleiben Erlebnisse außer Betracht, welche
zweifellos erst mit der Lösimg oder im Anschlüsse an die Lösung
auftraten. Die Fälle, in denen das Verständnis von Au%abe und
Reizwort von anschauUchen Bedeutungserlebnissen begleitet ist,
*) Watt S.806f.
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26 Absdm. 1. Die unvermittelten L&stmgen als Wissensaktualisierungen usw,
wurden deshalb ausgeschlossen, weil solche Vorstellungen viel-
fach schon der Lösung dienen. Die unvermittelten Lösungen
verdienen schon deswegen an erster Stelle behandelt zu werden,
weil sie den phänomenologisch einfachsten Fall der Au^^elösung
bilden. Außerdem aber gehören sie zu den von Ach besonders
ausgezeichneten Fällen, in denen „sich die determinierte Vor-
stellung, das Ehidprodukt der Determinierung, im Anschluß an
die konkrete Bezugs Vorstellung unmittelbar im Bewußtsein
einstellt** *). Wie schon erwähnt*), hat Ach gerade diese Fälle
in einer sich einer Konstellationstheorie annähernden Weise er-
klärt. Auch aus diesem Grunde war es daher zweckmäßig, die
Untersuchungen mit der eingehenden Analyse der imvermittelten
Lösungen zu beginnen.
Wir lassen zunächst einige Beispiele folgen, und bevorzugen
hierbei solche Versuche, in denen verschiedene Vpn. dieselbe oder
wenigstens verwandte Verlaufsformen zeigen. Dieses Prinzip wird
auch im folgenden stets festgehalten werden.
Wirkung? — Biß.
H»i Wunde 2,2" •). Las Biß, erinnerte mich an Wirkung, antwortete Wunde
ohne sonstige Zwischenerlebnisse. Erst in der Nachperiode Vorstellung einer
Wunde.
Es Wunde 3,6". Nach dem Verständnis: es kam sogleich Bißwunde; dann
sagte ich Wunde mit dem Bewußtsein der Richtigkeit.
Ebenso erfolgt bei B» die Reaktion Schmerz ohne ein die
Lösung betreffendes Zwischenerlebnis: „Schmerz kam rein be-
grifflich. Es war ein Wissen dabei, daß Bisse Schmerzen ver-
ursachen." Auch bei Ca (6,8") erfolgt zuerst die Lösung Wimde,
dann die Verbesserung Schmerz ohne weiteres Zwischenerlebnis.
Nahezu unvermittelt ist auch noch nachstehende Lösung derselben
Aufgabe:
K^a Wunde 3''. Das Wort Biß wirkte durch seine onomatopoetische Eigen-
art als etwas Scharfes und dann kam gewissermaßen assoziativ das Wort
Wunde (akustisch). Es erschien als ein Auswendigwissen. Sonst kein Zwischen-
erlebnis. Es schien mir ziemlich selbstverständlich, daß das richtig war, und
ich sprach es aus.
*) Ach, W. u. D., S. 228.
*) Siehe oben S. 6f.
*) Die Zahlenindices geben die ProtokoUnununer an.
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/. Die anvermiäeiten Lösungen. 27
Ganzes? — Docht
Eis» Lampe 2'^ Ich habe die Aufgabe gelesen und verstanden; es kam
sofort Laiiq>e, als Lösung der Angabe, ohne Zwischenerlebnis. Auch an Vor-
stellungen erinnere ich mich nicht im mindesten.
Giot Lampe 2^' Sobald ich das Wort Docht gelesen hatte, das
ich gerade verstand, ohne mich viel um seinen Sinn zu kümmern, war auch
das Wort Lampe da; gleich nachher sah ich irgendwelche anschauliche Lampen-
fragmente, an denen ich verifizierte, daß die Lösung paßt Die Verifikation
bestand darin, daß ich einen Docht in der Lampe sah. Das Bild nur sehr
fragmentarisch und sicher erst nach der Lösung. Dann reagierte ich.
Baum — Teil? E* Ast 1^" *). Die Aufgabe kam mir sofort sehr simpel
vor, brauchte gar nicht zu suchen, habe das Wort Ast ausgesprochen, ohne
mich zu besinnen. Ich glaube. Anschauliches diesmal ausschließen zu können.
Auch kein Richten in die Höhe. — Hier geht der Reaktion nur ein Bewußtsein
der Leichtigkeit voraus, welches auf die Geläufigkeit der Lösung hinweist Im
übrigen ist auch diese Lösung völlig unvermittelt
Ein Verkehrsmittd?
Di8 Eisenbahn 1,8''. Gelesen und dabei mit dem Blick haften geblieben.
Dann Eisenbahn gleich laut Kann nicht sagen, daß etwas dazwischen ge-
wesen vräre. Auch keine bewußte Richtung auf etwas; nichts als die Sicher-
heit im Aussprechen.
G^^ts Eisenbahn 2,8^'. Eisenbahn förmlich automatisch nach einer mini-
malen Stockung, die aber völlig inhaltsleer war, als Lösung. Es steUte sich
auch nachtrfiglich nichts Anschauliches ein.
Das Bewußtsein der Au^abelösung kann beim Auftreten
des Reaktionswortes auch fehlen wie folgendes Beispiel zeigt:
Tiger — Überoi-dnung? Est Raubtier 2^\ Ich habe die Au%abe ge-
lesen, es kam sofort assoziativ Raubtier (akustisch) dazu. Erst nachdem das
Wort gekommen war, wurde mir klar, daß es eine Lösung der Aufgabe ist.
Vorstellungen waren sicher nicht da.
Tod — Nebenordnung?
H*it Leben 2,4^'. Ich las Tod mit akustisch motorischer Begleitung, ver-
stand den Sinn, las ebenso Nebenordnung, ohne den Sinn zu verstdien. Währ^d-
dessen verharrte die abstrakte Vorstellung von Tod*). Dann las ich wieder
Nebenordnung, verstand den Sinn und nun trat sofort optisch und akustisch
sLeben** auf. Bewußtsein der Richtigkeit vor dem Aussprechen.
K^ Leben 2,6'^ Verstand den Sinn der Aufgabe, besann mich. Als mir
nicht sofort etwas einfiel, wiederholte ich Tod noch einmal (ak.-mot.). Darauf
*) Mit Index i sind die eingeschobenen Versuche der Wiederholungsreihe
bezeichnet Vgl. oben S. 2B.
*) Vp. versteht hierunter ein nicht durch anschauliche Elemente repräsen-
tiertes Bewußtsein von dnem Gregenstand.
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ae Absdui. 1, Die tmvirmüteiten Lösungen als Wissensaktaaiisierttngen usw.
stellte sich sofort Oeise ak. und schwach opt) das Wort Ld^en ein, im flbrigen
sicher keine Anschauung^.
Dit Schlaf 6,4^'. Am Anfange war jedenfialls eine Tendenz vorhanden,
eine Leiche auf einem Tisch au^^ahrt zu sehen. Ich weiß sidier, daß es
sich entwickdt hätte, wenn ich dabei geblieben wäre; dann ganz mechanisch
Schlaff es kam genau wie beim Assoziationsversuch. Das, was vorher war,
spidte dabei gar keine Rolle. Beim Aussprechen deutliches Bewußtsein der
Aufgabelösung.
§ 2. Unvennittelte Lösungen und Wissensaktualisierung.
Wir stehen nun vor der Frage: Wie ist es möglich, daß bei
derartigen unvermittelten LQsimgen auf die Erteilung der Aufgabe
ohne Zwischenerlebnis die richtige Reaktion erfolgt? Ftir die
Ermittelung der diesem deskriptiven Befund zugrunde liegenden
Vorgänge können uns eine Reihe weiterer Protokolle des zuletzt
herangezogenen Versuchs „Tod-Nebenordnung?^ wichtige Anhalts-
punkte geben.
GW* Leben 4,4^'. Nach einigem Besinnen fid mir Leben, als Lösung, ein.
Vorher die Frage ^was ist zu Tod nebengeordnet ?**, in undeutlichen Worten
formuliert Es kam als etwas Geläufiges, vorher nicht erwartet, nach
der Reaktion sogar Bedenken, ob die Geläufigkeit nicht betrogen hat
Alt Ld)en 2,8^'. Reizwort und Aufgabe beim Lesen verstanden, bei Tod
verweilte idi nicht, sondern bei Nebenordnung, ich wußte, was es zu bedeuten
hatte, kannte die Au%abe aus der Instruktion; dann ging ich auf das Wort
Tod zurQck. Hierauf kam sofort das Wort Leben. Es war jedoch kein
automatisches Aufeinanderfolgen. Vielmehr hatte ich vorher schon
das Bewußtsein, daß es etwas dem Tod Nebengeordnetes gibt,
was man gewöhnlich zum Tod in Parallele setzt Ich kann mit
voller Bestimmtheit sagen, daß ich beim Besinnen das Bewußtsein hatte, daß
es eine derartige gebräuchliche Nebenordnung gibt (Sofort, nachdem ich es
genannt hatte, fragte ich mich unwillkürlich, was ist denn da eigentlich das
Obergeordnete? Ich könnte es auch jetzt noch nicht angeben.)
Bei der Wiederholung des Versuchs, vier Monate später,
gibt die Vp. an:
Ld)en 2,2^'. Ich wußte, es gibt da eine ganz allgemeine, vul-
gäre Nebenordnung; dann dachte ich an Leben; das Wort zunächst noch
nicht da, darauf sogleich das Wort, innerlich gesprochen. Der Versuch war
mir nicht bekannt
Erneute Wiederholung eine Woche später:
Leben i,&\ Etwas erstaunt, daß es schon wieder gekommen; zugleich
fiel mir ein, daß ich bei der letzten Lösung ein ganz gebräuchliches
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2. UnoermüUlU Lösungen und Wissensaktuaiisierung. 29
Reaktions wort gehabt hatte, und es kam auch jetzt, erst die Bedeutung
und dann das Wort.
Eis Schlaf 2,6'^ Die Aufgabe war mir sofort klar. Ich fragte mich so-
gleich, was nennt man gewöhnlich neben dem Tod, das ging sehr
schnell. Dann kam die Lösung Schlaf, die ich aussprach. Der Gedanke an
das, was man gewöhnlich neben Tod nennt, ging ganz sicher der Lösung
voraus.
Bei der Wiederholung 47« Monate später lautete das Protokoll:
E^u Schlaf 2,6''. Es war mir zuerst, als ob mir eine Oberordnung fehlte;
dann fiel mir unmittelbar Schlaf ein als etwas, von dem mir geläufig
war, daß man es mit Tod zusammen nennt. Dann habe ich mich
gefragt, ob das eine Nebenordnung sei, mit dem Bewußtsein, keine Ober-
Ordnung zu wissen. Dann habe ich reagiert. Der Versuch schien mir nicht
bekannt.
D hatte bei seinem oben (S. 28) angeführten Protokoll über
diesen Versuch nur erklärend hinzugefügt: Es ist mir sehr geläufig,
daß Schlaf und Tod nebeneinander gestellt werden. Bei der
fünf Monate später erfolgten Wiederholung des Versuchs gibt er
dagegen an:
D^st Schlaf 2,4". Ganz leicht zu beschreiben, es war gar nichts da, was
Schwierigkeit macht. Ich lese das Ding, es klingt etwas in mir nach, nach
einer kleinen Pause kommt gleich laut Schlaf, als etwas, was mir sehr
geläufig ist Vielleicht so ein bißchen die Sphäre des Poetischen, jeden-
falls gar nicht irgendwie medizinische Sphäre, sondern ganz anders. Ich kann
die Sphäre mehr negativ beschreiben. Was da nahelag, war die Phrase vom
Schlaf als Bruder des Todes. Versuch erst nachträglich bekannt.
Bit Schlaf 4,2". [Am Anfang Schwierigkeit in der Anpassung an die
Versuchsanordnung.] Erinnerung an das, was Sie über Nebenordnung aus-
geftkhrt hatten. Dann ein Suchen in diesem Sinne, und zwar unter dem aus-
drQcklichen Gesichtspunkt: nebengeordneter Begriff. Dann tauchte wie aus
dem Leeren heraus Schlaf auf, dabei Anklang an das bekannte Wort: der
Schlaf ist der Bruder des Todes. . . .
Hiermit sind von den 13 Fällen, in denen dieser Versuch zur
Ausführung gelangte, 1 1 Aussagen der Vpn. wiedergegeben. Läßt
man die 4 Wiederholungsversuche, in denen übrigens stets die
frühere Reaktion wiederkehrte, außer Betracht, so entfallen von
den verbleibenden 7 Lösungen 4 auf das Reaktionswort „Leben"
und 3 auf das Reaktionswort „Schlaf". Die zuerst angeführten
3 Lösungen, bei welchen auf das Verständnis die Lösung ähnUch
wie beim Assoziationsversuch folgte, könnte man für sich allein
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90 Abschn, 1. Die tmvermitteiten Lösungen als Wissensaktuaäsienmgen usw.
vielleicht in der Weise zu erklären versuchen, daß die durch die
Übernahme der Aufgabe begründeten determinierenden Tendenzen
die aufgabemäßige Reproduktionstendenz Tod — Leben bezw. Tod —
Schlaf zu einer überwertigen verstärken. Dies würde der Er-
klärungsweise entsprechen, welche Watt auf alle Aufgabelösungen
und Ach wenigstens auf die ohne Zwischenerlebnis erfolgenden
angewendet hat 0- Allein die anderen 8 Protokolle weisen sämt-
lich auf eine bei dieser Erklärung nicht berücksichtigte geläufige
Verbindung hin, die von der bloßen Eontiguitätsassoziation zwischen
Reiz- und Reaktionswort oder zwischen den dazugehörigen Be-
deutimgsvorstellungen durchaus verschieden ist *). Nicht die ein-
geübte Aufeinanderfolge der Vorstellungen Tod und Leben ver-
mittelt hier die Reaktion, sondern es ist nach den Aussagen der
Vpn. augenscheinlich die Geläufigkeit eines Beziehungsganzen, des
Bewußtseins von dem Sachverhältnis, daß Tod und Leben bezw.
Tod imd Schlaf einander häufig als Parallelbegriflfe gegenüber-
gestellt werden, auf welcher die Lösimg beruht. Wir können das
aktuelle bezw. potentielle Bewußtsein von einem Sachverhältnis
in Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch als „Wissen" be-
zeichnen'). Die Geläufigkeit dieses Wissens ist im vorliegenden
Fall aus dem wiederholten Erleben der Gegenüberstellxmg von Tod
und Leben bezw. Tod und Schlaf entstanden. Die Vpn. erinnern
sich ja selbst der Häufigkeit eines derartigen Erlebnisses.
Die Aktualisierung des Wissens, daß neben dem Tod das
Leben bezw. der Schlaf als gleichgeordnet genannt zu werden
pflegt, erfolgte auf zweifache Weise:
1. In der ersten Gruppe von Fällen kommt der Vp. zunächst
zu Bewußtsein, daß es eine ganz vulgäre Nebenordnung zu Tod
gibt, und durch Besinnen auf diese Nebenordnimg gelangt sie zur
*) Siehe oben S. 4ff.
^ Der Abschnitt bei Watt „Über die Geläufigkeit der Reproduktionen*^
(S. 860 ff.) läßt keinen Zweifel darOber zu, daß Watt die Unterschiede der
Häufigkeit und Schnelligkeit einer Reaktion ausschließlich auf die Greläufigkeit
der Reproduktionstendenzen der Reizwörter zurückfahrt (siehe insbes. S.358),
ohne an die Möglichkeit zu denken, daß die Zahl der Fälle, in denen ver-
schiedene Vpn. in der gleichen Weise reagieren, namentlich auch von der Ge-
läufigkeit eines der Aufgabe entsprechenden Wissens abhängen kann. (Vgl.
unten S. 44.)
*) Die psychologische Struktur dieses Wissens wird später den Giegen-
stand besonderer Erörterungen bilden, siehe 2. Abschnitt
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2. Unvermittelte Lösungen und Wissensaktuaiisierung. 81
Lösung. Auf diese Weise löst A bei allen Wiederholungen die
Aulgabe. Auch die erstmalige Lösung von E gehört hierher. Die
Frage, was man gewöhnlich neben dem Tod nenne, setzt das
Wissen von dem Sachverhältnis voraus, daß neben dem Tod ge-
wöhnlich etwas anderes in Parallele zu ihm genannt wird. Dahin-
gestellt kann hierbei bleiben, ob dieses Wissen aktuell gegenwärtig
sein muß oder bei der Herbeiführung der Frage auch als „dispo-
sitionelles Wissen^ wirksam gewesen sein kann.
2. Bei der zweiten Gruppe stellt sich unmittelbar die
Lösung ein mit dem Bewußtsein, daß es sich um eine geläufige
Gregenüberstellung handle. Diese Verlaufsform findet sich bei G,
welcher vorher nur die Aufgabe in ihrer Anwendimg auf das Reiz-
wort als Frage formulierte. Ebenso gehört die Lösung von E bei
der Wiederholung der Au^^e hierher. Auch die zweite Lösung
von D und die Lösung von B scheinen zu dieser Gruppe gerechnet
werden zu müssen. Hierbei gesellt sich bei D zum Bewußtsein
der Geläufigkeit der Nebenordnung noch ein Bewußtsein von der
Sphäre, in der die Gegenüberstellung zu erfolgen pflegt, während
bei B ein Anklang an das spezielle Sprichwort auftritt, in welchem
die Parallele von Schlaf und Tod gewöhnlich Ausdruck findet.
Die Zunahme der Geläufigkeit des Wissens durch seine Re-
produktion kommt bei A zum Ausdruck in der zunehmenden Ver-
kürzung der Reaktionszeiten (2,8"; 2,2"; 1,8"). BeiE äußert sie
sich dadurch, daß bei der Wiederholung das Wissen von einer
geläufigen Nebenordnung nicht mehr als selbständiges Zwischen-
erlebnis auftritt, sondern nur die Lösung von dem Bewußtsein
begleitet ist, daß man die beiden häufig nebeneinander nennt.
Auch besteht eine latente Verkürzung der Reaktionszeit, da trotz
der bei der Wiederholung der Reaktion vorausgehenden kritischen
Überlegung die Reaktionszeit die gleiche ist wie bei dem früheren
Versuch. Bei D äußert sich die größere Geläufigkeit des Wissens
dadurch, daß sofort der gerade Weg zur Lösung eingeschlagen
wird, während beim ersten Versuch sich anfangs eine Tendenz
zu optischen Vorstellungen aus der medizinischen Sphäre geltend
machte. Darauf ist wohl auch die bedeutende Verkürzimg der
Reaktionszeit zurückzuführen. Die Reproduktion auf Grund eines
Wissens wird demnach durch die Wiederholung derselben Pro-
zesse ebenso erleichtert und beschleunigt wie die Reproduktion
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32 Absdui, 1. Die unoermiäelten Lösungen als Wissensaktuaiisierungen usw.
auf Grund einfacher Berührungsassoziationen^). Bemericenawert
ist, daß der Versuch nur einmal, bei der letzten Wiederholung
mit A, bekannt erschien, und daß er bei der früheren Wieder-
holung mit A sowie bei der Wiederholung mit E auch nachträg-
lich nicht als schon dagewesen erkannt wurde.
§ 3. Die Aufgabelösung durch Wissensaktualisienmg.
Auch imter den Protokollen anderer Versuche finden sich
zahlreiche Fälle, in denen die Lösung auf Grund der Aktualisierung
eines schon vorhandenen aufgabegemäßen Wissens zustande kam:
Pfarrer — Nebenordnung? A41 Kaplan 2,4". Ich las hintereinander mit
Verständnis. Sogleich das Bewußtsein, daß mir etwas Nebengeordnetes sehr
geläufig wäre. Dann kam das Wort Kaplan, innerlich gesprochen. Es ist
sicher, daß das Bewußtsein der Bekanntheit einer L^^sung dem sonst unver-
mittelten Auftauchen des Wortes Kaplan vorausging.
Gottesdienst — Teil? H»8 Opferung 5,4". Sehr lebhaftes anschauliches
Bild von einem katholischen Hochamt. Es drängte sich mir besonders die
Gestalt des Priesters sehr in den Vordergrund, verknüpfte diese mit der Auf-
gabe Teil, erkannte den Irrtum, verließ das Anschauungsbild und erinnerte
mich, daß der Gottesdienst drei Teile habe. Dabei sicher weder
Worte noch Vorstellungen. Die sprachliche Benennung von Opferung fiel mir
zuerst ein. Der Sinn des Reaktionswortes wurde mir, glaube ich, erst nach
dem Aussprechen deutlich.
Daß in dem soeben angeführten Versuch das Reaktionsveort
erst nach dem Aussprechen seinem Sinne nach klar wurde, spricht
nicht gegen die Annahme, daß die Lösung auf Grund eines Wissens
erfolgte. Die Aktualisierung eines Wissens liegt schon dann vor,
wenn der Vp. zu Bewußtsein kommt, daß der Gottesdienst drei
Teile habe, von denen einer Opferung heißt. Was Opferung ist,
braucht dabei nicht bewußt zu sein.
Arbeit — Sfache Bedeutung? Gi». In der Physik, in der Nationalökonomie,
in der gewöhnlichen Bedeutung. 16,6". Beim Lesen der sofort verstandenen
Aufgabe das Bewußtsein, daß es sich hier um etwas handelt, was
ich kenne, nämlich daß die Arbeit mehrere Bedeutungen hat,
ohne daß sich damit die Erinnerung an eine ganz bestimmte
*) Vgl. S. 48 f., 50 flF., 64 flf., 73 flF. ~ Über den Zusammenhang von
Geläufigkeit und Kürze der Reproduktionszeit bei der BerOhrungsassoziation
vgl. A. Thumb und K. Marbe. Experimentelle Untersuchungen über die psycho-
logischen Grundlagen der sprachlichen Analogiebildung m (Leipzig 1901).
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3. Die Ättfgabelösung dunh Wissensaktualisierung, 33
Lösung der Aufgabe verband. Es ergaben sich sofort die Worte ^\n
der Physik^ innerlich gesprochen. Dabei das Bewußtsein, daß Arbeit
in der Physik eine bestimmte Bedeutung hat. Ich machte mir
nicht nfther klar, was das für eine Bedeutung ist Ganz dunkel suchte ich
dabei nach einem Wort, zu dem ich diesen Begriff in Beziehung setzen wollte.
Nachträglich weiß ich, daß „Energie*' gemeint war. Wfthrend des Versuches
ließ ich es aber fallen, weil ich auch ohne diese Beziehung genau wußte,
daßArbeit in derPhysik eine spezifische Bedeutunghat Suchte
dann nach einer weiteren Bedeutung. Dann mit deutlich ausgeprägten Worten
«in der Nationalökonomie'*, wobei ich auch mehr den Eindrudc hatte, daß es
mir einfiel, wie daß ich es erarbeitete. Hieraufsuchte ich nach der
dritte Bedeutung. Es bot sich an die gewöhnliche Aii>eit, und nun dachte
ich darOber nach, ob der Begriff Arbeit im gewöhnlichen Leben vom national-
ökonomischen wesentlich verschieden sei. Ich Oberzaigte mich, daß beides
verschieden ist, auf Grund eines sehr verschwommenen Wissens von einer
spezifischen Bedaitung des Begriffs Arbeit in nationalökonomischer Hinsicht;
es war dabei wie vorhin kein Bewußtsein vorhanden, was das in der National-
ökonomie ftkr eine Bedeutung ist, ich wußte aber, daß diese Bedeutung
verschieden ist von der der gewöhnlichen Arbeit Das ist ganz
sicher.
Die Wissensaktualisierung kommt bei diesem Versuch sehr
deutlich zum Ausdruck. So fallen der Vp. nicht etwa nur die
Worte »in der Physik^ mit dem entsprechenden Bedeutungsbe-
wußtsein ein, sondern es wird der ganze Wissenskomplex aktu-
alisiert, daß „Arbeit^ in der Physik eine spezifische Bedeutung
hat Bei der Aktualisierung des Wissens, daß das Reizwort in
einer weiteren spezifischen Bedeutung in der Nationalökonomie
gebraucht wird, tritt uns zum erstenmal der deskriptive Gegen-
satz zwischen dem Einfallen, richtiger Wiedereinfallen einer
Lösung auf Grund eines schon vorhandenen Wissens und dem
selbständigen Erarbeiten einer Lösung entg^en. Der Hinweis
der Vpn. auf diesen Gfegensatz wird in den nächsten Protokollen
in ausgeprägterer Form wiederkehren. Auch die kritische Be-
urteilung der sich anbietenden Lösung fär die dritte Bedeutung
erfolgt auf Grund einer Wissensaktualisierung, nämlich der Aktu-
alisierung des Wissens, daß die in der Nationalökonomie gebrauchte
Bedeutung der Arbeit verschieden ist von der gewöhnlichen Be-
deutung des Wortes. Wir werden hier zum erstenmal auf die
Rolle der Wissensaktualisierung bei der kritischen Beurteilung
der Lösungen aufmerksam. In allen drei Fällen konmit es
nicht zur vollständigen Aktualisierung des Wissens, daß „Arbeit^
StU, Ober die OeietM des geordneten OenkrerUnfli. 3
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84 Absdm, /. Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisierungen usw.
die spezifische Bedeutung x hat, sondern die Vp. begnügt sich mit
der Aktualisierung des geläufigeren Wissens, daß das Wort „Arbeit^
auf einem bestimmten Gebiete eine — nicht weiter gegen-
wärtige — spezifische Bedeutung besitzt. Durch die Aktualisierung
eines solchen Wissens wird nicht die gesuchte Bedeutung selbst
direkt bewußt, sondern nur mittelbar als diejenige Bedeutung,
welche auf einem bestimmten Gebiet besteht. Sie wird bewußt
in Gestalt ihrer indirekten Bestimmung durch das Bewußtsein
von dem Sachverhältnis, daß sie zu einem bestimmten (Gebiet
gehöre. Bühler hat solche Fälle, in denen ein Gegenstand „durch
seine Beziehungen zu anderen Gegenständen indirekt bestimmt^
wird, als indirektes Meinen bezeichnet '). Der Gegenstand ist hier
mittelbar bewußt als derjenige, welcher in einer bestimmten Bezieh-
ung zu bestimmten anderen Gregenständen steht. Wir nennen,
wie später näher auszuführen sein wird, das in einer bestimmten
Beziehung Stehen bestimmter Gegenstände ein Sach-
verhältnis. Das Bewußtsein von einem Gregenstand wird also
im vorliegenden Falle vermittelt durch das Bewußtsein von einem
Sachverhältnis, mithin nach der von uns gebrauchten Terminologie
durch ein Wissen'). Auch in diesem Sinne stellt sich das Auf-
treten der drei Bedeutungen als Wissensaktualisierung dar. Die
Aktualisierung des Wissens von den drei verschiedenen Bedeu-
tungen wird außerdem durch die Aktualisierung des allgemeineren
Wissens vorbereitet, daß das Wort „Arbeit" wirklich mehrere
Bedeutungen hat. Mit der Aktualisierung dieses Wissens ver-
bindet sich offenbar die Aktualisierung des mit ihm nicht identi-
schen Wissens, daß die Vp. solche Bedeutungen kennt. Das Sach-
verhältnis, daß wir etwas wissen, kann uns selbst wieder bewußt,
also Gegenstand eines Wissens werden. Die Protokolle der Auf-
gabe Tod — Nebenordnung enthalten ebenfalls schon derartige
Wissensaktualisierungen^. Wir werden ihnen auch in den folgen-
den Protokollen wieder begegnen.
Wahlrecht — 2 Hauptarten?
Biti direktes und indirektes 5J2f\ Ich hatte hier so einen Mchtigen Ge-
danken an eine mir bekannteUnterscheidung, ohnezu wissen,
worin diese Unterscheidung bestand. Ich weiß jetzt, es ist aktiv und
*) Bühler, Archiv f. d. ges. Psychol. 9. S. 868 ff.
") Vgl. oben S. 80.
') Auch A«! S. 82 gehört hierher.
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3. Die Aufgabeiösung durdi Wissensaktuatisierung. 86
passiv gewesen. Dann kam ein Suchen; hierauf fiel mir ein, daß man das
Wahlrecht direkt und indirekt ausüben kOnne, es waren dabei die
beiden Worte da. Dann laut Ich möchte sagen, es ist kein Schluß, wenn ich an-
gebe, daß die Richtung zuerst auf aktiv und passiv ging, sondern ich weiß unmittel-
bar nachher [d. h. nach dem Versuch], daß es so war. Sehr charakteristisch
im Gegensatz zum vorausgehenden Versuch war der bloße Appell
an das Gedächtnis, gar kein Bestreben, eine selbständige Unter-
scheidung zu machen, sondern nur ein Suchen nach einer be-
kannten Unterscheidung. Es ist mir diesmal der große Unter-
schied ganz besonders deutlich geworden, der schon in der
Einleitung des Prozesses zwischen dem Appell an das Ge-
dächtnis und der Tendenz zur selbständigen Lösung besteht
Auch im späteren Stadium lediglich Erwarten von einer disponiblen Erinnerung
her einen Aufschluß zu bekommen. Es ist ein Zustand der Abhängigkeit
Gte direktes und indirektes 6,4''. Sofort Appell an das Gedächt-
nis. Es ist dieses Suchen nach etwas Bekanntem von vorn-
herein im Erleben ganz und gar verschieden von den Fällen, -
wo iclM eine selbständige Lösung der Aufgabe versuche. Wenn
ich es so mache, so schwebt mir sofort vor, daß ich etwas
weiß, und ich suche festzustellen, was ich weiß; aber auch ein
¥^8sen um die WahLrechtsstreitigkeiten der letzten preußischen Vorlage war
ganz dunkel gegenwärtig; außer der dunklen Beziehung auf sie war dabei in
manem Bewußtsein noch etwas vorhanden, was mir den Gegenstand dieser
Beziehung zu repräsentieren scheint, und was macht, daß eben die Beziehung
auf russische Wahlkämpfe sich unterscheidet von der Beziehung auf preußische.
Dieses, was da den Gegenstand der Beziehung repräsentiert, hat nichts mit
Stimmungen oder Gefühlen zu tun, das ist ganz sicher. Vorstellungen fehlten
beim ganzen Prozeß, ich bin dessen subjektiv sicher; soviel ich mich erinnere,
bis dahin auch keine Worte. Nim kamen sofort die Worte „direkt und ge*
heim** und fast hätte ich schon so reagiert, sagte mir aber noch rechtzeitig:
Halt, das sind zwei vollständig verschiedene Gedankenkreise, aus denen da
Arten herausgegriffen werden. Es war eine Hemmung vorhanden, die diesen
Sinn hatte, und dunkel ein Bewußtsein, daß sich diese beiden
Großen auf irgendwelche andere Gruppen verteilen. Außer den
beiden Worten weiß ich keine Worte anzugeben, glaube auch nicht, daß sie
vorhanden waren. Vorstellungen dabei auch nicht (subjektiv sicher!). Es war
so, als ob sich etwas falsch zusammengeschoben hätte, was nicht zusammen-
gehört, und zwar hatte ich dunkel das Bewußtsein, daß diese Zusammen-
stellungen durch eine fragmentarische Erinnerung an die bekannte Formel
vom sog^iannten vierschwänzigen Wahlrecht (das direkte, geheime, allgemeine
und gleiche Wahlrecht) bedingt war. Von den Worten der Formel war nichts
da. Dennoch bezog ich mich dunkel auf sie. Es ist kein Schluß, daß ich
das tat, sondern ich weiß, daß ich während des Erlebnisses sicher daran
dachte. Nun beschränkte ich mich auf das eine Glied der Formel und rea-
gierte mit „dir^tes und indirektes". Tangiert waren dabei sicher die Er-
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96 Äbsdui, L Die unvermitUUen Lösungen als Wissensaktualisierungen usw.
innerungen an die Gegensätze der Parteien bei der preußischen Wahlredits-
vorläge, wo es sich um direktes oder indirektes Wahlrecht handdte.
Diese beiden Protokolle sind besonders beachtenswert, weil
sie zeigen, daß das Charakteristische der Ldsung auf Grund eines
schon vorhandenen Wissens sich den Vpn. selbst aufdrängt, und
daß sich die bloße Aktualisierung eines Wissens von einer selb-
ständigen Lösung auch dem Erlebnis nach deutlich unterscheidet.
Die Vpn. werden auf diesen Unterschied namentlich in den Fällen
aufmerksam, wo ihnen, wie in den angeführten Protokollen, zuerst
zu Bewußtsein kommt, daß sie eine Lösung der gestellten Auf-
gabe kennen, die sie dann sich ins Gedächtnis zu rufen suchen.
Es schwebt ihnen, wie G sagt, zimächst vor, daß sie etwas wissen
imd sie suchen nun festzustellen, was sie wissen. In unseren
Protokollen finden sich außer den obigen Fällen mehrfache Be-
schreibungen eines solchen „Appells an das Gedächtnis", genauer
eines Appells an das Gedächtnis fttr Sachverhältnisse oder an ein
Wissen. Das Protokoll von G enthält außerdem detaillierte An-
gaben über die Bewußtseinsrepräsentation des Wissens, die mit
Rücksicht auf die relativ kurze Reaktionszeit und die daraus ent-
springende größere Zuverlässigkeit von Bedeutung sind. Daß
hierbei wahrscheinlich in der berichteten Hemmung noch unanaly-
sierte Empfindungselemente stecken, soll keineswegs in Abrede
gestellt werden; diese smd aber ganz ungeeignet, als Träger
eines so speziellen Gedankens, wie er der Hemmung des Aus-
sprechens zugnmde liegt, zu fungieren. Wir haben hier nur
die Wahl, anzimehmen, daß sich die Angaben der Vp. auf nicht
eigentlich bewußte Vorg&nge beziehen, über deren Bedeutung für
den Verlauf sie aus irgend einem Grund Angaben zu machen
imstande ist, oder das Vorhandensein von unanschauUchen Er-
lebnissen anzuerkennen*). Die Feststellung der wenigen nach-
weisbaren anschaulichen Elemente, nämlich der beiden Worte
direkt und geheim, sowie der zwischen ihnen und der Reaktion
liegenden Hemmung bedeutet eine wertvolle qualitative Kontrolle
der Angaben der Vp. über den Gedankenverlauf. Man sieht aus
solchen Beispielen, wie wichtig es ist, die Vpn. zur sorgfältigen
Beobachtung der anschaulichen oder emotionalen Bestandstücke
des Verlaufs anzuhalten.
Vgl. oben S. 16f.
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3, Die Aufgabelösung durdi Wissensaktuaüsienmg, 37
Schon bei der Analyse des ProtokoUs Gi» S. 32f. waren wir
auf die Bedeutung der Wissensaktualisierung bei der kritischen
Beurteilung einer Lösung gestoßen. In dem vorliegenden Protokoll
finden wir zum erstenmal einen klar erkennbaren Fall der Be-
richtigung einer an&nglichen Lösung auf Grund eines Wissens,
das mit ihr im Widerspruch steht. Die Vp. hat zunächst die
Bezeichnungen direkt und geheim reproduziert und ist nahe daran,
mit ihnen zu reagieren. Da tritt der beabsichtigten Reaktion das
Wissen entgegen, daß jene beiden Wahlrechtsarten Glieder ver-
schiedener Wahlrechtseinteilungen seien und leitet die Verbesse-
rung der ursprünglichen Lösung ein. Wer sich die Tendenz,
mit direkt und geheim zu reagieren, so vorstellt, daß nur die
beiden Worte mit der motorischen Tendenz, sie auszusprechen,
auftreten, wird sich diesen Berichtigungsvorgang vergeblich ver-
ständlich zu machen suchen. Dagegen wird er sofort begreiflich,
wenn wir annehmen, daß sich mit der anfänglichen Reaktions-
tendenz der bewußte Gedanke, der Aufgabe entsprechend zwei
Hauptarten gefunden zu haben, oder wenigstens ein gleichwertiger
unbewußter Prozeß verbindet. Die Vp. hat, wie sie in der Be-
schreibung des Appells an das Gedächtnis angibt, sich auf zwei
ihr bekannte Hauptarten des Wahlrechts besonnen und als zwei
solche gesuchte Hauptarten treten nun auf Grund der teUweisen
Aktualisierung eines größeren Wissenskomplexes über die Arten
des Wahlrechts zimächst das direkte und geheime Wahlrecht auf.
Solange die Vp. die Aulgabe nur so auffaßt, daß sie nach irgend-
welchen zwei wichtigen Wahlrechtsarten sucht, ist es natürlich»
daß sie die beiden genannten als erste aus der ihr geläufigen
Formel herausgreift und diese zunächst als Lösung der Aufgabe
erscheinen. Indem sie aber nun das direkte und geheime Wahl-
recht imter Zurückbeziehung auf die Aufgabe als zwei Hauptarten
betrachtet, wird die speziellere Erinnerung an die bekannten Ein-
teilungen der Wahlrechtsarten geweckt, in denen die genannten
Wahlrechtsarten vorkommen. Zugleich aktualisiert sich jedoch
das Wissen, daß sie dort nicht als Glieder ein und derselben
Einteilung, sondern als Glieder verschiedener Zweiteilungen auf-
treten^). Daran schließt sich die Erkenntnis, daß solche Zwei-
tdlungen mit der Aufgabe gemeint sein werden. Hierdurch ist
*) Vgl. die beiden folgenden Protokolle.
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88 Absthn. 1. Die unvermiäeUen Lösungen ata Wissensaktuaäsierungen usw.
der weitere Weg vorgezeichnet. Die Vp. weiß, daß sie nur zu
einer der genannten Bezeichnungen das andere Glied anzugeben
braucht, um der Au^;abe zu genügen. Derartige Berichtigungen
weisen mit besonderem Nachdruck auf das Vorkommen von Repro-
duktionen hin, welche nicht darauf zurückgeführt werden können,
daß einzelne Vorstellungen oder Komplexe von solchen andere
ebensolche ins Gedächtnis zurückrufen, die früher mit ihnen
zusanunen im Bewußtsein waren. Nicht die Wortvorstellungen,
„direkt^ und „geheim^ oder die ihnen entsprechenden Bedeutungen
direktes und geheimes Wahlrecht^ führen zur Reproduktion des
Vorstellimgskomplexes „direkt und indirekt^, sondern das durch
die versuchsweise Lösung beigestellte Beziehungsganze „das direkte
imd das geheime Wahlrecht sind zwei Hauptarten des WaUrechts''
aktualisiert das Wissen, daß diese beiden Wahlrechtsarten Glieder
verschiedener Wahlrechtseinteilungen sind. Nicht Vorstellungen
also, sondern Beziehungsganze werden bei der Be-
richtigung durch einander reproduziert. Wir lernen
hiermit eine weitere Bedeutung der Wissensaktualisierung für die
Aulgabelösung kennen. Sie vermittelt die Berichtigung von
unrichtigen oder relativ geringwertigen Lösungen.
Die dabei obwaltende Gesetzmäßigkeit, das Gesetz der Berichti-
gung, wird den Gegenstand späterer Erörterungen bilden.
Eilt direkt, indirekt 7". Sofort verstanden. Es war etwas da von Wahl-
betätigung, nichts Sinnliches dabei, etwas Unanalysierbares. Es war darin die
Tätigkeit der Wahl, dabei Berlin, die gesetzgebenden Versammlungen, die dort
sind; das war auch nicht sinnlich, nur eine geographische Richtung nach
Berlin könnte voriianden gewesen sein. Ich wußte, daß man das Wahl-
recht verschieden gegeneinandersetzen könne, daß verschiedene
Einteilungen möglich sind und daß es immer Zweiteilungen
sind. Ich dachte zunächst an allgemein und nichtallgemein. Es waren nur
die Wörter da, ohne daß das Wesen dieses WahLrechts bewußt geworden wäre.
Ich wußte nur, es gibt eben eine solche Einteilung. Jetzt schien
es mir, als ob das nicht die Haupteinteilung wäre, die man machen kann,
weil ich eigentlich von einer nicht allgemeinen Wahl niemals als praktisch
existierend etwas gehört hatte. Deshalb nahm ich direkt und indirekt,
es war bereitgestellt, ich brauchte es sozusagen nur zu nehmen.
Damit habe ich dann reagiert, ohne tü)er die Bedeutung der Wörter weiter
nachzudenken, es bestand nur das allgemeine Bedeutungsbewußtsein.
Schon in den früheren Protokollen war die Aktualisierung
des abstrakten Wissens von einer Wahlrechtseinteilung, die jedoch
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3. Die Aufgabel&sung durch Wissensaktuaüsierung. 39
ihrem konkreten Inhalt nach noch nicht gegenwärtig ist, der
Lösung vorausgegangen *). Im vorUegenden Versuch bildet ein
solches abstraktes Wissen in besonders deutlicher Weise den Aus-
gangspunkt für die Lösung. Das gleiche ist in folgendem Ver-
such der FalL Der Vergleich der beiden Protokolle ergibt in
dieser Hinsicht eine frappante Ähnlichkeit. Der folgende Versuch
bietet gleichzeitig ein interessantes Beispiel für ein eigentümliches
Verhältnis von Wissensaktualisierung und VorsteUungsreproduktion.
Das Wissen erscheint mit der Vorstellung des Objekts, auf das
es sich bezieht, aufs engste verschmolzen. Es tritt gleichzeitig
mit der Vorstellung auf und ist auf das Objekt in dieser seiner
anschaulichen Veiigegenwärtigung in der gleichen Weise bezogen
wie ein Wissen, das einen zur Zeit wahrgenommenen Gegen-
stand betrifft, auf diesen bezogen sein kann. Hierbei ist nur der
Gregenstand des Wissens durch Vorstellungen repräsentiert, während
es für den gewußten Sachverhalt an jeder anschauUchen Re-
präsentation fehlt. Gerade wie es auch bei wahrgenommenen
Gegenständen der Fall ist, vervollständigt sich die Aktualisierung
des Wissens, während der Bestand der Vorstellung, auf die es
bezogen ist, unverändert bleibt. Bei der verhältnismäßig außer-
ordentlich kurzen Reaktionszeit von nur 3 Sekunden sind diese
Angaben über die Bewußtseinsrepräsentation des Wissens von
großem Wert:
Alts direktes, indirektes 3''. Ich wußte sofort, daß ich gleich
zwei Hauptarten nennen könne; aber ich wußte noch nicht,
welche. Ich wußte nur, es ist eine Auswahl da zwischen
Hauptarten, und daß es mehrere Zweiteilungen sind; keine aber
dem Sinne nach bewußt. Da kam ein Kartenbild, Preußen von der Südecke
der Rheii^)rovinz aus gesehen, und auf einmal springen mir die Worte „direkt*"
und „indirekt auf, innerlich gesprochen. Es lag auch darin, daß über
so etwas vor kurzem in der Öffentlichkeit gesprochen worden
ist, und daß ich, wenn ich mich weiter besinnen würde, noch
eine andere Einteilung finden würde. In dem Kartenbild lag
von Anfang an darin, daß eine von den Hauptarten mit diesem
Staat in Verbindung steht, aber genau habe ich es mir nicht durch-
gedacht, welche von den beiden es sein könnte. Durch das Auftauchen der
Reaktionsworte bekommt das Kartenbild einen besonderen Charakter, indem
ich weiß, daß gerade von diesen beiden eines zu diesem Land
in Besiehung steht, das da vor mir ist Es war ein Kartenbild von der
Vgl. hierzu noch den ganz ähnUchen Verlauf bei Gi» S. 32.
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40 Absdm. L Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisienmgen usw,
bduuintai Mischari^, halb kartographisch, halb real. Es wurde zuerst auf
clieBes Land besogen, daß Oberhaupt dne Wahlrechtsart hier eine Rolle spidt,
und später, daß es eine von den beiden ist Es macht das einen Unterschied
in der Art des Bezogenseins auf das Bild Das Bild erhftlt dadurch einen
anderen Charakter, natOrlich ohne Veränderung des anschaulichen Bestandes.
In den beiden folgenden Versuchen bildet nicht das Wissen
von bekannten Wahlrechtseinteilungen, wohl aber das Wissen
von bekannten Gegensätzen der Wahlrechte in verschiedenen
Ländern den Ausgangspunkt:
Dm Körperschaftswahlen und persönliche Wahlen 143". Diesmal ging
es nicht so seinen geraden und [sc. im einzehien] sicher angebbaren Gang.
Ich habe zunächst eine Tendenz gehabt nach direkten und indirekten Wahlen,
das blieb aber auch sehr unbestimmt, es war im Bewußtsein nur so
gegeben, als das, was man in Preußen und was man in Sod-
deutschland hat und worum sich in Preußen der Kampf dreht.
Es war etwas Optisches vom Norden und Süden dabei, ein räumliches Schema,
in dem ich herauf- und heruntergehen konnte, aber das Wissen war sehr reich,
es schlug so an, was man in Preußen bekämpft, was so Tagesfrage ist usw.
Ich hätte das alles ohne weiteres sagen können, ich habe das nicht genommen.
Weiß nicht genau warum. Ich hatte so die Unsicherheit, als ob ich
etwa nur ein kleines Stück herausgegriffen und das andere
nicht berücksichtigt hätte. Da hatte ich denn die Tendenz, nach
etwas noch Extremerem zu suchen, d. h. etwus, was noch weiter abliegt von
dem z. B. in Süddeutschland bestehenden Zustand als das preußische Wahl-
recht Keine Worte dabei, auch kein räumliches Schema. Da tauchte mir
als noch extremerer Zustand das auf, was man in Mecklen-
burg hat, aber auch da wieder nicht das Wort Mecklenburg, optisch aber
vielleicht etwas in dem Schema von vorhin und dazu ein Bewußtsein von
Mittelalterlichkeit, Ritterwesen, alles das soll Nuancen ausdrücken, ohne daß
es in meinem Bewußtsein bestimmtere Gestalt annahm. Vielleicht dabei etwas
Stimmungsmäßiges, die Hauptsache aber ist das Wissen; das Stinunungs-
mäßige hat, glaube ich, keine Rolle gespielt Ich war rein erkennend darauf
bezogen, so, wie wenn man so etwas theoretisch etwa in der Nationalökonomie
erörtert. Darauf habe ich angefangen zu sprechen, habe das eine geiionunen.
Hierauf hat sich das Wort Ständewahl eingestellt, es müßte heißen Stände-
vertretung. Es hat sich hier durch das Suchen nach etwas Extremerem etwas
verschoben. Darauf suchte ich das andere zu benennen, merkte selbst, daß
die Sache nicht klar war, sagte dann persönliche Wahl, meinte damit den
Gegensatz von Ständen und Einzelnem.
^) Solche Kartenbilder spielten bei einzelnen Vpn. eine große Rolle bei
der R^roduktion von Begebenheiten und Verhältnissen, die mit bestimmten
Örtlichkeiten verknüpft sind. Vgl. einstweilen auch schon das Protokoll von E,
sowie die beiden folgenden Protokolle.
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3. Die Aufgabeläsung dunh Wissensakiuaiisierung, 41
Zunäcdifit aktualisiert sich in diesem Versuch das Wissen, daß
es zwei Hauptarten des WaUrechts gibt, von denen die eine in
Preußen, die andere in Sttddeutschland besteht und in Preußen
den Gegenstand der gegenwärtigen Kämpfe bUdet. Hierbei spielt
eine geographische Vorstellung eine ähnliche RoUe wie bei A,
nur daß sie offenbar viel schematischer ist wie dort. Die Vp.
hat die Tendenz, mit jenen beiden Wahlrechtsarten, von denen
sie zunächst nur weiß, in welchen Ländern sie bestehen, zu rea-
gieren. Es handelt sich hier wieder um Fälle eines indirekten
Gegenstandsbewußtseins durch ein Wissen wie im Versuch Gia
(S. 32 ff.). Im weiteren Verlauf findet wieder in ähnlicher Weise
wie oben bei G (S. 36 ff.) eine Berichtigung der ursprünglichen
L(toung statt. Auf Grund der Aufgabe sucht die Vp. nach zwei
Wahlrechtsarten, welche Hauptarten darstellen. Sie kann da-
her für die Lösung nur solche Wahlrechtsarten verwenden, von
denen sie weiß, daß sie diese Bedingung erfüllen. Demnach ist
die Vergegenwärtigung des Verhältnisses der für die Lösung in
Betracht gezogenen Wahlrechtsarten zur Gesamtheit der existieren-
den Wahlrechtsarten durch die Aufgabe gefordert. Sie ist das
Mittel, um zu erkennen, ob nicht nur Arten, bezw. wichtige
Arten, sondern Hauptarten vorUegen. Zunächst erscheinen mit
Rücksicht auf den der Vp. bekannten großen Gegensatz des
preußischen und süddeutschen Wahlrechts diese als mögliche
Hauptarten. Indem sich jedoch durch fortschreitende Wissens-
aktualisierung ihr Verhältnis zur Gesamtheit der Wahlrechte klärt,
wird der Vp. bewußt, daß neben diesen beiden Arten noch andere
bestehen. Einer solchen Lösung aber stellt sich das
Wissen von der allgemeinen Regel entgegen, daß Auf-
gaben wie die vorliegende imter den zu nennenden Hauptarten
solche zu verstehen pflegen, durch welche der Gesamtgegenstand
in mehrere Arten zerlegt wird, die alle anderen als Unterarten
umfassen^). Wir können den Hergang bei der Berichtigung nur
dann verstehen, wenn wir uns dieses Wissen von Anfang an
irgendwie aktuell wirksam, oder was wahrscheinlicher ist, erst
durch den ihm widersprechenden Lösungsversuch in
') Vgl die Ausführungen von Bühler (Archiv f. d. ges. Psychol. 9. S.336)
Ober das „Regelbewußtsein*^. Die Frage der phänomenologischen Repräsentation
dieses Regelbewiißtseins soll jedoch hier nicht erörtert werden.
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42 AbsduL 1. Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisierungen usw.
irgend einer Form aktualisiert denken. Es liegt der von der Vp.
berichteten Unsicherheit, als ob sie nur etwa ein kleines Stück
herausgegriffen imd das andere nicht berücksichtigt hätte, offen-
bar, wenn auch nur sehr unklar zugrunde. Die Aktualisierung
dieses Wissens führt erstens zur Verwerfung der bisher angestrebten
Lösung, zweitens zur Aufsuchung jenes extremen Wahlrechts-
gegensatzes, von dem die Vp. zu wi^^en glaubt, daß er zu einer
alle anderen Wahlrechte umfassenden Zweiteilung dienen kann.
Hierbei ist das eine Glied der Einteilung zunächst wiederum in-
direkt bestimmt Die Vp. weiß, daß dieses „Wahlrecht" in dem
(anscheinend in dem optischen Schema lokalisierten) durch mittel-
alterUche Zustände ausgezeichneten Lande besteht. Die Art der
Auffindung des zweiten Gliedes ist deshalb von Bedeutung, weil
sie zeigt, wie unrichtig die Meinimg wäre, daß es sich beim
Fehlen von Sachvorstellungen nur um die Reproduktion von
Worten handeln könne. Die Vp. bildet hier erst mühsam ad hoc
ein Wort, um den von ihr gemeinten Gfegensatz des allgemeinen
Wahlrechts zur bloßen Ständevertretung auszudrücken. Man
wird nunmehr auch geneigter sein, den Protokollen der beiden
Wiederholungsversuche von Vp. A beim Versuch Tod — Neben-
ordnung Glauben zu schenken, nach denen der Sinn des Re-
aktionswortes vor diesem selbst vorhanden warO- Das Protokoll
ist ein Beispiel für die Verwertbarkeit derjenigen Protokolle,
die infolge der großen Mannigfaltigkeit der Erlebnisse nach der
eigenen Aussage der Vp. kein in allen Einzelheiten sicheres und
vollständiges Bild mehr geben. Die innere Geschlossenheit des
Protokolls berechtigt zu der Annahme, daß die wesentlichen
Punkte dennoch richtig wiedergegeben sind. Durch den Vergleich
mit anderen Protokollen (namentlich auch mit dem folgenden)
gewinnt diese Annahme noch festeren Boden. Wo es sich, wie
hier, darum handelt, wichtige Übereinstimmungen einer größeren
Anzahl von Vpn. im selben Versuch aufzuzeigen, ist die Heran-
ziehung derartiger Protokolle um so mehr gerechtfertigt.
H^Wio Ja. 7,2^'. Gleich nachdem ich die Aufgabe verstanden hatte, hatte
ich unbeschreibbare anschauliche BUder; das eine scheint mir jetzt in der
Nachperiode Deutschland gewesen zu sein, Bild der Karte, das andere Preußen,
') Siehe oben S. 28. Vgl. femer unten At« S. 46f., Da» S. 56.
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3, Die Aufgabelösitng durdi Wissensaktualisierung, 43
ebenfalls Rartenbild. In dem einen war auch die abstrakte Vorstellung^) des
Reichstages, in dem anderen abstrakte Vorstellung von Landtag. Dann fid
mir ein (ak.) „allgemeines, direktes*' und ich dachte dabei: allgemeines, ge-
heimes, direktes, gleiches und meinte damit das Reichstagswahlrecht Dann
hatte ich den Gedanken daran, daß das preußische Landtags-
wahlrecht dazu in einigen Punkten das Gegenteil sei, dabei
sicher keine Worte; Bewußtsein, daß dies zur Beantwortung der Frage ge-
nügen würde. Schwierigkeit zur Formulierung und Aussprache, dann ant-
wortete ich mit ja. Als Lösung sollten die zwei Wahlrechtsarten dienen, das
allgemeine, direkte usw. und sein Gegenteil, wie es in Preußen ist.
Auch bei diesem Versuch aktualisiert sich das Wissen von zwei
der Vp. bekannten Wahlrechtsarten in der Weise, daß die beiden
gewußten Wahlrechte nicht direkt vergegenwärtigt werden, sondern
nur indirekt durch das gewußte Sachverhältnis ihrer Zugehörigkeit
zu gewissen Ländern bewußt werden; sie sind als das Wahlrecht
im Reich und das Wahlrecht, das in Preußen besteht, gekenn-
zeichnet. Anscheinend war hierbei ein EartenbUd in ähnUcher
Funktion vorhanden, wie schon bei den beiden vorhergehenden
Ypn."). f^ das preußische Landtagswahlrecht verbleibt es bei
der indirekten Bestimmung, während die Vp. bezüglich des Reichs-
tagswahlrechts zur direkten Bestimmung fortschreitet. Die Akzep-
tierung der beiden Wahlrechtsarten als Hauptarten erfolgt auf
Grund des Wissens von ihrem gegensätzlichen Verhältnis.
Hiermit sind alle Protokolle zu dem Wahlrechtsversuch mit-
geteilt. Schon bei den Lösungen der Aufgabe Tod — Nebenordnung
mußte die außerordentUch große Übereinstimmung der Vpn. auf-
fallen. Bei der ungleich komplizierteren Wahlrechtsaufgabe ist
die Übereinstimmung im Bericht sowohl über den Verlauf als
über die in ihn eingehenden Bewußtseinserlebnisse von noch
höherem Werte. Eine hohe Zuverlässigkeit der Aussagen wird
weiterhin durch ihren durchgängigen inneren Zusammenhang ge-
währleistet, der die früheren Phasen als die zureichenden Be-
dingungen imd vielfach sogar als die Voraussetzungen der späteren
erkennen läßt. Dabei stehen die Reaktionszeiten mit der größeren
oder geringeren Kompliziertheit der Lösungen in Einklang. Von
*) VgL oben S. 27 Anm. 2.
') Durch den Zusammenhalt mit den vorausgegangenen Protokollen ge-
winnt diese Annahme ziemliche Sicherheit. Auch hier zeigt sich der Wert
der Protokollierung unsicherer Angaben, wenn diese nur mit dem ausdrück-
lichen Vermerk ihrer Unsicherheit versehen werden.
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44 Abadtn. 1. Die unvermitteäen Lösungen als Wissensaktaalwerungen usw,
Bedeutung ist femer, daß von den 6 Vpn. 4 mit „direkt" und „in-
direkt" reagierten. Die Reaktionszeiten betragen bei den 4 überein-
stimmenden Reaktionen 3", 5,2", 6,4" und 7", bei den beiden an-
deren 7,2" und 14,8". Nach der Theorie von Watt müßten wir die
relative Häufigkeit der Reaktion „direkt" und „indirekt" imd viel-
leicht auch die ihr entsprechenden kürzeren Reaktionszeiten dar-
auf zurückführen, daß unter den der Aufgabe entsprechenden
Reproduktionstendenzen, welche vom Reizwort Wahlrecht aus-
gehen, die auf die Reproduktion der Vorstellungen direkt imd in-
direkt gerichteten die relativ geläufigsten seiend- Auf Grund unserer
Protokolle dürfen wir dagegen annehmen, daß die Hauptbedingung
der relativen Häufigkeit und vielleicht auch der entsprechend kür-
zeren Reaktionszeiten nicht die Geläufigkeit einer solchen unmittel-
baren Berühnmgsassoziation zwischen Reiz- und Reaktions-
wort, sondern die relativ hohe Geläufigkeit des der Aufgabe ent-
sprechenden Wissens gewesen ist, daß das direkte und indirekte
Wahlrecht zwei Hauptarten des Wahlrechts darstellen"). Die rela-
tive Häufigkeit einer Reaktion und die Kürze der Reaktionszeiten
kann übrigens auch auf die Eindeutigkeit einer Aufgabe zurück-
zuführen sein, bei der nur wenige naheliegende bezw. völlig ent-
sprechende Lösungen konkurrieren, oder überhaupt nur eine Lösung
möglich ist'). Außerdem kann sowohl die relative Häufigkeit einer
Reaktion als die Kürze der Reaktionszeit auf die relative Leichtig-
keit der Auffindung einer nicht ausschließlich auf Reproduktion
beruhenden Lösung zurückgehen.
*) Vgl. oben S. 90 Anm. 2.
*) Die Möglichkeit, daß auch geläufige R^roduktionstendenzen der Reie -
Wörter die relative Häufigkeit einer Reaktion und insbesondere die Kürze
einer Reaktionszeit unter Umständen beeinflussen können, soll damit nicht in
Abrede gestellt werden.
') Vgl. insbesondere die Aufgabe Erregung — Gegensatz unten S. 68 ff.
Auch bei der Wahlrechtsaufgabe war vielleicht eine relative Eindeutigkeit der
Aufgabe von Einfluß auf das Ergebnis.
Die quantitativen Feststellungen von Watt Ober Reproduktionen mit mehr-
facher Richtung zeigen den verlangsamenden Einfluß der Mehrdeutigkeit einer
Lösung auf die Reaktionszeiten (Watt S. 321 ff.). Auch hier braucht es sich
nicht, wie Watt annimmt, um eine Konkurrenz verschiedener R^roduktions-
tendenzen der Reizwörter nach Maßgabe ihrer Stärkeveiiiältnisse zu handehi
(vgl. insbes. S. 928, 358 ff.), sondern es kann z. B. auch eine Konkurrenz zwischen
der Reproduktion verschiedener Wissenskomplexe nach Maßgabe ihrer Crdäufig-
keit stattfinden.
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4. Arten der Wisunsaktaalisierung und Stufen ihrer Nadtweisbarkeit 45
§ 4« Art^i der Wissensaktualisierung und Stufen ihrer
Nachweisbarkeit.
Die Protokolle der zuletzt angeführten Versuche zeigen sämt-
lich Losungen, welche der bei der Aufgabe Tod — Nebenordnung
unterschiedenen ersten Gruppe entsprechen. Die Vp. weiß, daß
es eine Lösung gibt und daß sie diese Lösung kennt; sie weiß
auch schon vielleicht allerhand über die Lösung. Die vollständige
Wissensaktualisierung erfolgt aber erst im weiteren Verlaufe.
Dagegen enthalten diese Protokolle keine Beispiele, welche der
oben gebildeten zweiten Gruppe entsprechen würden, in der die
Reaktion ohne Zwischenerlebnis als eine der Vp. bereits bekannte
Lösung der Aufgabe auftritt. Fälle, welche auf Grund ausdrück-
licher Angaben der Vpn. hierher gerechnet werden dürfen, finden
wir aber, wenn wir die früheren Beispiele einer unvermittelten
Lösung nunmehr wieder durchsehen. So berichtet B bei der Auf-
gabe Wirkung — Biß mit Bezug auf die Reaktion Schmerz: Es
war ein Wissen dabei, daß Bisse Schmerz verursachen ^). Ebenso
sagt E von dem Auftreten der Reaktion Wunde: Es erschien als
ein Auswendigwissen.
Wir können demnach zwei Arten der Aufgabelösung durch
Wissensaktualisierung unterscheiden:
1. Die Lösung erfolgt durch sukzessive Entwicklung eines die
Lösung enthaltenden Wissenskomplexes — sukzessive Wissens-
aktualisierung ^.
2. Die Lösung erfolgt durch unmittelbare Aktualisierung eines
die Lösung enthaltenden Wissens — unmittelbare Wissens-
aktualisierung. Die Fälle der unmittelbaren Wissensaktuali-
sienmg können zugleich FäUe unvermittelter Lösungen im Sinne
unserer Terminologie darstellen. Die von uns herangezogenen
Fälle sind zugleich unvermittelte bezw. nahezu unvermittelte
Lösungen.
Die zahlreichen nunmehr beigebrachten Belegstellen werden
genügen, um darzutun, daß viel&tch die Aufgabelösung einfach
*) Siehe oben S. 26.
*) Die Eigenart dieser sukzessiven Aktualisierung eines Wissenskomplexes
wird <kn Geg^istand besonderer Erörterungen bildai; siehe unten § 8 und
S.190flf.
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46 Absdui. /. Die unvermittelten Lösungen als WissensaktnaJisierungen usw.
auf Grund der Aktualisierung eines schon vorhandenen au|gabe-
gemttßen Wissens erfolgt. Wir sahen femer, daß sich auch eine
Reihe unvermittelter Lösungen nach den Beobachtungen der Vpn.
als aus der Aktualisierung eines Wissens hervorgegangen erwiesen.
Sobald wir aber einmal die Möglichkeit einer solchen Lösung in
Betracht zu ziehen gelernt haben, werden wir den Gedanken
nicht mehr von der Hand weisen können, daß vielleicht wenigstens
zum Teil auch diejenigen unvermittelten Lösungen auf die Aktuali-
sierung eines Wissens zurückgehen, bei denen die Beteiligung
eines solchen Wissens von den Vpn. nicht beobachtet wurde.
Wir werden um so mehr Anlaß haben, dieser Frage weiter nach-
zugehen, als bei Versuchen, in denen mehrere unvermittelte
Lösungen voi^ommen, sich häufig neben Lösungen, welche eine
Wissensaktualisierung nicht erkennen lassen, gleiche oder analoge
finden, in denen eine unmittelbare oder sukzessive Wissensaktuali-
sierung nachweisbar ist. Wir brauchen nur an die Aufgaben
Wirkung — Biß und vor allem Tod — Nebenordnung zu er-
innern. Ein weiteres lehrreiches Beispiel bildet folgender Versuch,
zu dem sämtliche Protokolle mitgeteilt werden.
Haß — Oberordnung?
H*tf2,6''. [Zuerst Verzögerung durch Veiiesen.] Mechanisch „Empfindung**
(ak.)i Bewußtsein der Lösung erst in der Nachperiode.
Gf4 Affekt 8''. Diesmal war eigentlich alles schon fertig, bevor ich zu
einem ganz klaren Erfassen kam. Ich hatte nur noch knapp Zeit, mich zu
vergewissem, daß es richtig ist, als ich schon sprach. Als ich mir die Frage
vorlegte: »Was ist nun dem Haß übeigeordnet?**, trat schon das Wort Affekt auf.
D*f Leidenschaft 3,4''. Gelesen und ein bißchen abgewartet Dann kam
sinnvoU das Wort Leidenschaft Beim ganzen Versuch keine Vorstellung, niur
beim Lesen des Wortes Haß etwas Stimmungsmfißiges, das Wort damit üngiert
Sehen wir dagegen die beiden folgenden Protokolle.
At« Leidenschaft 4,6''. [Zuerst Verzögerung durch Veriesen.] Dann be-
gann ich die Aufgabe zu lösen und erinnerte mich, früher in einem
lateinischen scholastischen Lehrbuch der Philosophie gelesen
zu haben, daß der Haß (das Wort in Schreibmaschinenschrift dabei inner-
lich gesehen) untergeordnet werde unter einen Begriff, ich wußte
genau welchen, aber konnte ihn nicht benennen. Der Gedanke
setzte mit dem Schriftbild ein. Das Auftauchen der Erinnerung erfolgte, indan
dieses Wortbild von mir festgehalten wurde. Dann kam auf einmal das Wort
Leidenschaft in Schreibmaschinenschrift; reagierte nicht ganz befriedigt, weil
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4. Arten der WissensaktuaÜsiefung und Stufen ihrer Naätweisbarkeit. 47
ich den gaooeinten Begriff nicht richtig bezeichnet hatte, ich hatte gemeint:
Affekt (Unter Leidenschaft verstehe ich das Dispositionelle, die Disposition
zu den Affekten.)
Es4 Affekt 4,6''. Ich habe die Aufgabe gelesen, jetzt kam die Vorstellung
eines kleinen Heftes, worin wir am Gymnasium unsere Religionssachen hinein-
schrieben. Ich war auf eine bestimmte Stelle gerichtet, die unten an einer
Sdte war, ich wußte, da muß Haß stehen, ohne daß ich es sah.
Ich hatte dabei das Bewußtsein, daß das eine Tabelle ist und
daß darin Haß vorkommt Auch war das Wort Augustinus da, darin
lag die Meinung, daß die Tabelle von Augustinus herstammt Dann auf ein-
mal das Bewußtsein, daß die Tabelle von den Affekten handelt
Dabei war das Wort Affekt da in dem Akt, in dem ich das dachte. Im An-
schluß daran das Bewußtsein, daß das ja das Obergeordnete zu
Haß sei (sicherO*
Nur bei A und E läßt sich schon aus den Selbstbeobachtungen
das Zustandekommen der LOsung durch Aktualisierung eines
Wissens nachweisen. Die Lösung von A ist als eine unvermittelte
zu betrachten; denn sie ist dem Sinne nach schon in dem ersten
auftretenden Erlebnis enthalten; bloß die Bezeichnung fttr den
übergeordneten Begriff fällt nicht ein. Aus dem gleichen Grunde
muß auch die Wissensaktualisierung als eine unmittelbare bezeich-
net werden. Im Gegensatz zu den bisher mitgeteilten Fällen ist
hier das der Aufgabe entsprechende Wissen noch an die indi-
viduellen Begleitumstände gebunden, unter denen es erworben
wurde. Die Vp. weiß, daß sie in einem speziellen Fall, dessen
Umstände ihr noch gegenwärtig sind, den Affekt als den dem Be-
griff Haß übergeordneten Gattungsbegriff kennen gelernt hat.
Ebenso löst die Aufgabe bei E die spezielle Erinnerung an eine
tabellarische Unterordnung des Hasses unter einen höheren Begriff
aus; indem sie sich dann erinnert, daß es die Tafel der Affekte
gewesen sei, wird ihr auch bewußt, daß sie die durch Appell an
das Gedächtnis gesuchte Lösung schon in Händen habe. Daß die
Wissensaktualisierung nicht darin besteht, daß auf Grund der
Reproduktion assoziativ verbundener Wortzusammenhänge das
Reaktionswort ins Bewußtsein tritt, zeigt wiederum der Umstand,
daß A gar nicht das früher gebrauchte Wort, sondern ein Wort
von ähnlichem Sinn reproduziert. Das ist nur verständlich, wenn
bei der Reproduktion außer den Wortzusammenhängen auch die
Bedeutungszusanunenhänge eine Rolle spielen*).
>) VgL oben S. 42 und S. 2a
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46 Ab§din, 1. Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisierungen usw.
Es ist die wahrsdieinlichste Annahme, daß auch bei den
übrigen Vpn. ein vorhandenes Wissen von dem übergeordneten
Begriff zur Lösung führte. Sehen wir von H, der sich mit einer
etwas vageren Überordnung begnügte*), ab, so dürfen wir die
kürzeren Reaktionszeiten gegenüber A und E bei der gleichen Ll5sung
(3,4'' und 8'' gegenüber 4,6'' und 4,6") auf eine größere Geläufig-
keit des Wissens bei 6 und D zurüdcführen. Wir dürfen dies
um so mehr, als die eine dieser Vpn. Theologe, die andere Psycho-
loge von Beruf und daher mit derartigen Unterordnungen vertraut
ist. Der größeren Geläufigkeit des Wissens würde die von den
individuellen Begleitumständen seiner Erwerbung losgelöste ") un-
gehemmte Reproduzierbarkeit und im Zusammenhang damit das
Zurücktreten der Wissensaktualisierung im Bewußtsein entsprechen.
Es ist durchaus verständlich, daß bei Aktualisierung eines geläu^
figen Wissens der Wissenszusammenhang vielfach nicht als solcher
im Bewußtsein hervortritt. Dies scheint im allgemeinen nur dann
zu geschehen, wenn die Wissensaktualisierung in ihrem Ablauf
gehemmt ist, überhaupt wenn eine sukzessive Wissensaktualisierung
stattfindet, oder wenn der Wissenszusammenhang durch irgend-
welche zu ihm gehörige, mitreproduzierte Nebenumstände sich
als solcher zu erkennen gibt Zu diesen Nebenumständen kann
auch die Greläufigkeit des Wissens gehören, welche den Vpn. nament-
lich infolge des Gegensatzes zu anderen Versuchen, wo sie die
Lösung erst erarbeiten mußten, zu Bewußtsein kommen kann.
Weitere das Wissen als solches kennzeichnende wichtige Neben-
umstände sind die Sphäre, der es entstammt, und die Umstände
seiner Erwerbung. Von den in diesem Abschnitt aus der Selbst-
beobachtung der Vpn. noch direkt nachweisbaren 9 unmittelbaren
Wissensaktualisierungen ist nur eine durch das Fehlen von mit-
reproduzierten Nebenumständen ausgezeichnet*). In 6 Fällen wird
^) Nach den allgemeinen Erfahrungen mit dieser Vp. hängt dies mit der
histruktion „möglichst schnell** susammen. Vgl oben S. 10 f.
*) Vgl. auch G. E. Müller, Zur Analyse der G^ächtnistätigkeit und des
Vorstellungsverlaufes, Ul. Teil, Zeitschr. f. Psychol., Erg.- Bd. 8 (Leipzig 1913)
S. 862 f. Die allmähliche Loslösung der Aktualisierung eines Wissens von den
Begleitumständen braucht im Übrigen nicht auf reproduktiver Hemmung zu
beruhen, wie dort angenommen wird, sondern es kommt auch die Erscheinung
der abstraktiven Reproduktion (siehe unten S. 186 ff.) für die Erklärung in
Betracht. Vgl. insbesondere S. 189 Anm. 1.
•) B» S. 26.
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4. Arten der Wissensaktuaüsierung und Stufen ihrer Nadiweisbarkeit, 49
die Geläufigkeit »), in 2 Fällen wird die Sphäre *), in 3 Fällen werden
die Umstände der Erwerbung^) mitbewußt. Bemerkt sei hier, daß
von dem Bewußtsein der Greläufigkeit einer Lösung die bloße
Sicherheit des Ablaufs wohl zu unterscheiden ist und auch von
den Vpn. unterschieden wird*). Die Sicherheit, mit der die Re-
produktion vor sich geht, kann an sich ebensogut durch die Ge-
läufigkeit einer vom Reizwort ausgehenden Reproduktionstendenz
bedingt sein und ist daher zimi Nachweis einer Wissensaktuali-
sierung nicht geeignet.
In den Fällen, in welchen das Protokoll keine Angaben ent-
hält, die direkt auf eine Wissensaktualisierung hinweisen, geht
übrigens die Wissensaktualisierung zum Teil doch indirekt aus
den Aussagen der Vpn. hervor. So berichten die Vpn. häufig bei
unmittelbaren Lösungen, daß das Reaktionswort „als Lösung" auf-
trat oder mit dem „Bewußtsein der Richtigkeit" verbunden bezw.
von ihm unmittelbar gefolgt war. In den in diesem Abschnitt
angeführten Protokollen finden sich eine Reihe solcher Aussagen ^).
In allen diesen Fällen besteht jedenfalls im Augenblick der Lösung
oder im unmittelbaren Anschluß daran das Wissen, daß die Lösung
der Aufgabe entspricht. Auch wenn man annehmen zu müssen
glaubt, daß dieses Wissen im Bewußtsein nur durch ein charak-
teristisches Gefühl repräsentiert sei, muß es doch bewußt oder
unbewußt wirksam gewesen sein, um ein solches Gefühl auslösen
zu können*). Es besteht daher nur die Möglichkeit, entweder
anzunehmen, daß jenes Wissen erst durch eine im Laufe des Ver-
suchs von der Vp. erworbene Erkenntnis entstanden sei, ohne daß
dieser Neuerwerb der Vp. zu Bewußtsein gekommen ist, oder eine
WiBsensaktuaUsierung zuzugeben. Für die letztere Annahme spricht
') Gti S. 28, Es« S. 29, Dti S. 29, Diu S. 59, Ke S. 26, Ott S. 60.
*) Dsi S.29, Dti S.66.
Et« S. 29 (häufig zusammengenannt),^ Bit S. 29 (Redensart), Att S. 46.
Vgl. Dit S. 27.
•) Vgl. Et S.26, Eiti S.27, Gtt S.27, Hit S.27, D.t S. 28, Gt« S.46,
Btt S.66, G« S.56, Ent S. 68.
*) In ähnlicher Weise schließt Marbe auf die Wirksamkeit eines Wissens
beim Verstehen ft^mder Urteilsäußerungen (R. Marbe, Experimentell-psycho-
togische Untersuchungen Ober das Urteil, Leipzig 1901).
Seit, über die Oewiae det geordneten DenkrerUnti. 4
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60 Absduu L Die unoermitteiten Losungen ais WissensaktuaUsiemngen usw.
namentlich auch die Leichtigkeit der betreffenden Aulgaben, bei
denen das Vorhandensein eines der Au|gabe entsprechenden Wis-
sens im allgemeinen vorausgesetzt werden darf').
§ 5. Gesetz des Zurücktretens derWissensaktualisiening
im Bewußtsein bei wachsender Geläufigkeit des Wissens.
Zu Gunsten der Ansicht, daß die unvermittelten Lösungen
ohne nachweisbare Wissensaktualisierung und mit nachweisbarer
Wissensaktualisierung nur verschiedene Formen sind, in denen
ein und derselbe Prozeß sich im Bewußtsein kundgibt, kOnnen
auch folgende beiden Protokolle angeführt werden.
Nebenordnung? — Jagd.
El Fischerei 9^'. Zunächst frappierte mich, daß die Aufgabe oben stand.
Ich sah sehr bald, welches die Aufgabe war. Dann versuchte ich zu einem
parallelen Begriff zu konmien, dachte zuerst, ich würde nichts finden, dann
dachte ich, es gibt doch bei derartigen Begriffen Parallel-
begriffe; ich meinte derartige Gegenüberstellungen wie Landwirtschaft imd
Viehzucht, ohne daß ich an derartige Beispiele gedacht hätte. Dann ist mir
plötzlich der Begriff Fischerei eingefallen, und ich habe das gesagt Es kam
ganz plötzlich ohne jede Vermittlung.
Es liegt hier eine sukzessive Wissensaktualisierung vor. Der
Vp. fällt zuerst ein, daß „Jagd^ zu den Begriffen gehört, bei denen
Gegenüberstellungen mit anderen Begriffen stattfinden. Die Aktu-
alisierung dieses allgemeinen Wissens führt dann zur Aktualisierung
des speziellen Wissens, daß die Fischerei ein solcher Begriff
ist, den man der Jagd gegenüberzustellen pflegt. Im zweiten Teil
des Prozesses tritt die Wissensaktualisierung nicht mehr als solche
in der Selbstbeobachtimg der Vp. hervor. Sie ergibt sich aber
aus der ersten Phase des Prozesses.
Vergleichen wir nun mit diesem Versuch seine Wiederholung
47« Monate später.
E^T Fischerei 8,6''. [Am Anfang Störung durch Perseveration des voraus-
gehenden Protokolls.] Hatte die Aufgabe gelesen, aber eigentlich nicht ver-
standen, trotzdem kam ohne Pause „Fischerei", wohl mechanisch; dann las ich
Nebenordnung, verstand nun die Aufgabe, damit sofort Bewußtsein der Richtig-
keit und nachher auch Erinnerung, daß ich die Aufgabe früher gehabt und
so gelöst hatte.
Vgl. die Zusammenstellung unten S. 68.
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5. Gesetz des Zurtuktretens der Wissensaktualisierung im Bewußtsein. 51
Scheinbar liegt in dem zweiten Protokoll eine bloße Asso-
ziation vor, die zuftllig mit der Aufgabe übereinstimmt. Es ist
aber fiußerst unwahrscheinlich, daß durch den ersten Versuch eine
so starke Assoziation zwischen Jagd und Fischerei gestiftet worden
ist, daß ohne Rücksicht auf die Aufgabe wiederum Fischerei auf-
trat Dem ersten Versuch war damals eine weitere Aufgabe mit
„Jagd*^ als Reizwort unmittelbar gefolgt, welche durch die Asso-
ziation mit Fischerei nicht im mindesten gestört wurde. Ebenso
ist es unwahrscheinlich, daß die einfache Eonstellationswirkung
der vor 4'/« Monaten mit dem Worte „Fischerei" durch Berührungs-
assoziation verbundenen Worte „Jagd" und „Nebenordnung" den
Erfolg herbeigeführt hat. Die Tatsache, daß auch in einer Reihe
anderer Fälle bei der Wiederfiolung derselbe Verlauf in verein-
fachter Form wiederkehrte 0, berechtigt vielmehr zu einer anderen
Erklärung. Durch die frühere Lösung hat offenbar das Wissen,
daß der Jagd die Fischerei nebengeordnet ist, einen so hohen
Grad der Geläufigkeit erlangt, daß auch schon ein oberflächliches
Au^abeverständnis zu einer scheinbar sich rein assoziativ an-
schließenden richtigen Reaktion führt. Die erste Phase des Pro-
zesses aus dem früheren Versuch ist vollkommen ausgefallen. Daß
ein Wissen durch den einzigen Versuch eine so hohe Greläufigkeit
erlangen konnte, ist bei dem außerordentlich hohen Einprägungs-
wert, den auch die Neustiftung von Beziehungsganzen besitzt,
nicht sehr verwunderlich*). Die am Beginn des Versuchs vor-
handene Zerstreutheit macht es begreiflich, 'daß die Vp. nach dem
innerlichen Aussprechen von Fischerei glaubte, die Aui^;abe noch
gar nicht verstanden zu haben. Vergleichen wir das Protokoll
dieses Versuchs mit den Protokollen der früher angeführten un-
vermittelten Lösungen Est (2,2'0 S. 27 und H'so (trotz anfänglichen
Verlesens nur 2,6") S. 46, so finden wir eine vollständige Überein-
stimmung. In allen drei Fällen wird das mechanische Auftreten
des Reizwortes besonders hervorgehoben und konstatiert, daß erst
in der Nachperiode ein Bewußtsein der Richtigkeit bezw. der
Losung sich anschloß. Bei der Jagdaufgabe konnten wir, weil es
*) Vgl oben S.28f., 31 f.
Vgl. namentlich Bühler, Archiv f. d. ges. Psychol. 12. S. 28f.; ferner
A. Balaban, Über den Unterschied des logischen und mechanischen Gedächt-
nisses, Zeitschr. f. Psychol. 56. 8.360 ff.
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62 Absdm, J, Die unvermittelten Lösungen als Wiasensaktuaiisierungen usw.
sich um einen Wiederholungsversuch handelt, mit Hilfe des Proto-
kolls des früheren Versuchs eine Wissensaktualisierung mit ziem-
licher Sicherheit nachweisen. In den beiden anderen F^en fehlt
uns eine solche Handhabe. Wir dürfen jedoch annehmen, daß
hier die Praxis des Lebens dieselbe Rolle spielte wie bei der
Jagdaufgabe der vorangegangene Versuch, nämlich die Herstellung
eines geläufigen Wissens von dem betreffenden Sachverhältnis.
Daß der Tiger ein Raubtier, und daß der Haß eine „Empfindung^
ist, sind aus dem Leben geläufige Begriffseinordnungen. In allen
drei Protokollen kommt das uns schon entgegengetretene Gesetz
zum Ausdruck^), daß unter den Bedingungen des Re-
aktionsversuchs bei wachsender Geläufigkeit, von
besonderen Umständen abgesehen, die Wissensaktua-
lisierung im Bewußtsein zurücktritt Dieses Gesetz er-
möglicht es uns auch, die von Watt gefundene Tatsache zu er-
klären, daß die Fälle, in denen nach dem Reizwort nichts konstatiert
werden konnte als das Reaktionswort (Ao- Fälle), die kürzesten
Reaktionszeiten ergaben'). Auf Grund der vorausgegangenen
Analyse, die im folgenden noch bestätigt werden wird, dürfen wir
annehmen, daß solche vOllig unvermittelten Lösungen in Versuchen
von der Art der Watt'schen meist Wissensaktualisierungen sind.
Daß diese Wissensaktualisierungen aber im Bewußtsein nicht her-
vortreten, bedeutet nach dem obigen Gresetz, daß es sich um die
ungehemmte Aktualisierung eines geläufigen Wissens handelt. Hier-
aus wird dann die Kürze der Reaktionszeiten verständlich.
Wir geben im folgenden 8 sehr gut übereinstimmende Proto-
kolle desselben Versuchs wieder, bei denen ebenfalls eine Wissens-
aktualisierung nicht direkt aus der Selbstbeobachtung der Vpn.
nachweisbar ist, aber doch iudirekt aus ihren Angaben hervorgeht.
Fieber — Oberordnung?
Gtt Krankheit 2,2^'. Ganz ohne meine Beteiligung kam nach dem Vei>
stfindnis der Aufgabe nach einer momentanen Pause, die aber nicht so lang
war, daß ich über die Aufgabe hätte weiter nachdenken kOnnen, unmittdbar
das Reaktionswort mit Beziehung zur Aufgabe. Es kam nicht als
etwas von mir Gefundenes, sondern wie eine Eingebung.
Btt Krankheit [sehr kurze R. Z.]. Wiederum sofort das Verständnis; dann
das Bewußtsein, das muß etwas ganz Leichtes sein; dann mit einem sym-
^ Si^e oben S.48f.
•) Watt S.306flf.
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5. Gesetz des Zurüdttretens der WissensafctualisUnmg im Bewußtsein. 68
Indischen Seitenblick, als wenn es sich nur darum handelte, das gerade auf-
zuraffen, Krankheit
Ät4 Krankheit 2"'. Nach etwas Unbeschreiblichem auf optischem Gebiet
trat optisch das Wort Krankheit sinnvoll auf, dann innerlich gesprochen:
Fieber ist eine Krankheit; dann reagiert
Der Anschein einer Reproduktion auf Grund einer Berührungs-
assoziation zwischen Reiz- und Reaktionswort ist am stärksten
bei G. Wir haben das Bild einer völligen Inaktivität ^). Immer-
hin sahen wir früher bei derselben Vp. eine nachweisbare Wissens-
aktualisierung durch einen ähnlichen Elindruck des Einfallens im
Gegensatz zum aktiven Finden einer Lösung gekennzeichnet').
Nur war dort ein Suchen vorausgegangen. Daß aber die Reaktion
nicht auf einer Berührungsassoziation zwischen Reiz- imd Reaktions-
wort beruhen kann, geht daraus hervor, daß das Reaktionswort
„mit Beziehung zur Aufgabe*^ auftrat. Es besteht also bei seinem
Auftreten das Bewußtsein, daß es in dem durch die Aufgabe ge-
forderten Sachverhältnis der Überordnimg zum Reizwort steht.
Daß dieses Wissen aber nicht ein neuerworbenes ist, dafür spricht
wieder gerade der Charakter der Eingebung, den das Auftreten
des Reaktionswortes trägt, sowie die mit der kurzen Reaktionszeit
im Einklänge stehende Angabe der Vp., daß die Reaktion kam,
ehe sie weiter über die Aufgabe nachdenken konnte. Das Vor-
liegen einer Wissensaktualisierung läßt sich also hier mit ziem-
licher Sicherheit indirekt nachweisen. Das gleiche ist bei Vp. B
der Fall. Hier deutet das Bewußtsein der Leichtigkeit,
das uns früher schon einmal in einer sonst unvermittelten Lösung
mit sehr kurzer Reaktionszeit entgegengetreten ist^), auf das Vor-
handensein einer Wissensaktualisierung hin. Das Bewußtsein der
Leichtigkeit könnte allerdings auch durch die leichte Möglichkeit
der Auffindung einer Lösung mittelst geläufiger Methoden bedingt
sein. Im vorliegenden Fall sprechen aber verschiedene Gründe
für die Annahme, daß es durch die Geläufigkeit eines Wissens
') Wir schlagen die Bezeichnung „Inaktivität** für derartige Zustande
vor, um sie, wie Michotte mit Recht fordert, von den Zuständen der Passivität
im Sinne eines leidenden Verhaltens, einer inneren Nötigung zu unterscheiden.
VergL Michotte et PrOm, Sur le choix volontaire. Note compltoentaire par
Michotte, S. dOZf.
•) S.82f.
•) E? S. 27.
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54 Absdm, L Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisierungen usw.
hervorgerufen ist. Zunächst wird das 8}rmbolische Erlebnis des
Aufraffens von etwas schon Bereitliegendem durch diese Deutung
am besten verständlich. Dann ist nach der Art der Au^abe und
ihrer Lösimg das Vorhandensein eines der Aufgabe entsprechen-
den Wissens sehr wahrscheinlich 0- Die Auffassung des Fiebers
als Krankheit ist gerade die vulgäre. Außerdem ergibt sich das
Vorliegen einer Wissensaktualisierung aus dem Zusammenhalt mit
den beiden anderen Protokollen desselben Versuchs.
Wenn diese Auslegung richtig ist, so stellt das Bewußtsein
der Leichtigkeit die Bewußtseinsrepräsentation eines nicht voll-
ständig zur Entwicklung gelangten Prozesses dar, den wir früher
in voller Entwicklung kennen gelernt haben. Es liegt ihm die
Aktualisierung des Wissens von einem der Aufgabe entsprechen-
den geläufigen Wissensbesitz zugrunde. Die Reaktion schließt
sich so rasch an, daß das Wissen, eine Lösung zu kennen, nicht
voll aktualisiert wird wie in den früheren Fällen. Wenigstens
entzieht es sich der Selbstbeobachtimg der Vp. Es äußert sich
jedoch mittelbar im Bewußtsein dadurch, daß es das Bewußtsein
der Leichtigkeit hervorruft. Übereinstimmend fanden Michotte
und Prüm, daß bei zunehmender Übimg der Vpn. die Leichtig-
keit einer Rechenoperation als Motiv der Wahl auftrat, ohne daß
ein Bewußtsein von der Grundlage, auf der dieses Motiv sich
aufbaute, nachweisbar war^. Ob man sich das Bewußtsein der
Leichtigkeit anschaulich, emotional oder unanschaulich denkt, ist
hier von untergeordneter Bedeutimg. Li allen drei Fällen wird
man zu der Annahme gedrängt, daß es der latenten Aktualisierung
des Wissens von einem geläufigen Wissensbesitz seine Entstehung
verdankt. Derartige Fälle, in denen ein Bewußtsein der Leichtig-
keit der Lösung vorausgeht, stellen demnach Grenzfillle zwischen
der sukzessiven imd der unmittelbaren Wissensaktualisierung dar.
Die Aktualisierung des abstrakten Wissens, eine der Aufgabe ent-
sprechende geläufige Lösung zu kennen, die jedoch ihrem kon-
kreten Lihalte nach noch nicht gegenwärtig ist, geht zwar in
') Dieser Grund im Zusammenhalt mit der sehr kurzen Reaktionsz^t
berechtigt auch bei dem in der vorigen Anmerkung zitierten Versuch dazu,
das Bewußtsein der Leichtigkeit zum indirekten Nachweis einer Wissens-
aktualisierung zu verwenden.
■) a. a. O. S. 226.
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5. Gesetz de» ZurüdUretens der Wissensaktualisienmg im Bewußtsein, 56
rudimentärer Weise der Lösung voraus. Sie kommt aber als
solche infolge des raschen Anschlusses der Lösung nicht nach-
weisbar zum Bewußtsein, sondern äußert sich nur mittelbar in
dem der Lösung vorausgehenden Bewußtsein der Leichtigkeit.
Im voiliegenden Falle ist sie auch noch durch das sjnnboUsche
Erlebnis des Aufraffens von etwas Bereitliegendem im Bewußt-
sein repiiteentiert 0*
Bei Vp. A fehlt im Einklang mit der sehr kurzen Reaktions-
zeit vor dem Auftreten des Reaktionswortes durch inneres Sprechen
jedes auf eine Wissensaktualisierung hindeutende Erlebnis. Da-
gegen enthält der im unmittelbaren Anschluß an das innere
Sprechen formulierte Satz „Fieber ist eine Krankheit** einen Hin-
weis auf das Vorliegen einer Wissensaktualisierung. Die Vpn.
bedienten sich auch sonst bei der Au^;abe „Überordnung** solcher
Istsätze, um das Verhältnis von Reiz- imd Reaktionswort aus-
zudrücken. Daß der Satz hier zwischen das innere und äußere
Aussprechen des Reaktionswortes eingeschoben ist, zeigt seinen
EontroUzweck an"). Die Möglichkeit des sinnvollen Vollzugs des
Satzes bietet der Vp. die Gewähr für die Richtigkeit der Lösung.
Sinnvoll aber wird die Formulierung nur durch die mit ihr ver-
bimdene Gegenwart des Wissens von einem ihr entsprechenden
BegrifPsverhältnis. Wir werden daher annehmen dürfen, daß die
Aktualisierung dieses Wissens schon dem ersten Auftreten des
Reaktionswortes irgendwie zugrunde liegt. Alle drei Protokolle,
sowie die Reaktionszeiten bestätigen die Annahme eines gesetz-
mäßigen Zusammenhanges zwischen der Geläufigkeit eines Wissens
und dem Zurücktreten der Wissensaktualisierung im Bewußtsein*).
Vg^ Eist S. 88 die analoge Aussage bei einer direkt nachweisbaren
sukzessiven Wissensaktualisierung: „Es war bereitgestellt, ich brauchte es
sozusagen nur zu nehmen.*' Siehe femer unten S. 61.
*) Solche Kontrollsatze sind auch sonst wiederholt vorgekommen; so gab
z. B. Vp. G bei der Aufgabe Mauer — Teil an, daß sie die zuerst auf optischem
Weg gefundene Lösung „Stein** durch den Satz kontrolliert habe: Der Stein
ist ein Teil der Mauer.
*) Vgl. auch die indirekt nachweisbare Wissensaktualisierung Ott S. 27,
femer die Protokolle zum Versuch Erregung — Gegensatz S. 58 ff.
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66 Absdm. L Die umfemUtUUen Lösungen als Wissensaktaalisieningen usw.
§ 6. Beispiele für graduelle Unterschiede in der Aus-
prägung der Wissensaktualisierung im Bewußtsein.
Die sechs folgenden Protokolle enthalten dem Sume nach
ziemlich übereinstimmende Lösungen derselben Aufgabe. Ihre
Zusammenstellung ist dadurch wertvoll, daß sie alle Stufen der
Nachweisbarkeit einer Wissensaktualisierung umfassen. Wir finden
nebeneinander zwei aus dem Protokoll überhaupt nicht nachweis-
bare Wissensaktualisierungen, zwei indirekt nachweisbare und eine
an der Grenze der direkten Nachweisbarkeit stehende unmittel-
bare Wissensaktualisierung (Dsq), aber auch eine deutlich nach-
weisbare sukzessive Wissensaktualisierung.
Schuld — Folge?
H'tt Strafe 3,6". Sofort die Aufgabe verstanden. Es fiel mir optisch
und akustisch „Strafe*" ein, natürlich auch der Sinn. War versucht, mit ja
zu reagieren, drftngte die Reaktion zurück und antwortete Strafe. Sonst kein
Zwischenerlebnis.
Dtt Strafe 3,2". Gelesen und ein bißchen dabei verweilt, es kam sehr
schnell „Strafe** (gleich laut) und zwar der Sinn voraxis. Ich habe es so ge-
faßt, wie man es etwa in der Ethik als zusammenhängend faßt
Dadurch, daß hier das Bewußtsein von der Sphäre mit-
reproduziert wird, in der die durch die Aufgabe geforderte Be-
ziehung zwischen Reiz- und Reaktionswort besteht, wird die un-
mittelbare Wissensaktualisierung als solche erkennbar. Es kommt
der Vp. zu Bewußtsein, daß das Reaktionswort nicht völlig be-
ziehungslos auftritt, sondern aus der Aktualisierung des der Ethik
entstammenden Wissens hervorgeht, daß die Strafe die (zu postu-
lierende) Folge der Schuld ist.
Bsf Haft [d. i. Strafhaft] 8,8". Sofort kam mir zum Bewußtsein,
daß diese Folge nicht logisch gemeint sei, sondern sachlich
und zeitlich. Dann einen Moment Pause, eine Leere, mit Erwartung aus-
gefällt. Dann kam Haft (ak.-mot.) von selbst, mit dem Bewußtsein, das
ist das richtige und sogleich mit dem Bewußtsein, es ist eine
mögliche Folge.
Q* Strafe 6,8". Es dauerte diesmal beträchtig länger, bis die Aufgabe
verstanden wurde, nämlich was für einen Sinn das Wort »Folge** hatte. Wenn
ich mich recht erinnere, kehrte ich dann nochmals zum ersten Worte zurQck
imd durch nochmalige Verbindung der beiden Worte ergab sich
dann das Erfassen des Sinnes der Aufgabe, daß wahrschein-
lich eine sachliche Folge der Schuld gemeint sei. Anschauliche
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6, Beispiele für graduelle Unterschiede, 57
Erlebnisse sind ausgeschlossen, auch Worte außer den beiden Worten des
Versuchs nicht vorhanden. Dachte dann darüber nach, was itLr Folgen die
Schuld haben könnte. Dieser Gedanke war sicher da; dunkle Wortvorstellungen.
Dann kam das Wort Strafe als Lösung; wieder ganz kurze Kontrolle und
dann ausgesprochen.
In diesen beiden Protokollen wird schon das Verständnis des
Sinnes der Aufgabe im speziellen Fall durch eine aus den Aus-
sagen der Vpn. indirekt hervorgehende Wissensaktualisierung ver-
mittelt. Die Vpn. wissen, daß in Fällen wie dem vorliegenden
das Wort Folge in sachlicher Bedeutung zu verstehen ist. Erst
nach dieser Klärung des Verständnisses der Aufgabe stellt sich
bei B nach einer Pause, bei O auf Besinnen nach einer sach-
lichen Folge der Schuld unvermittelt das Reaktionswort ein. Aus
dem Bewußtsein der Richtigkeit beim Auftreten bezw. aus dem
Auftreten als Lösung geht aber indirekt die Wissensaktualisierung
hervor. Ebenso deutet bei B das Bewußtsein, es handle sich um
eine mögliche Folge der Schuld, auf die Aktualisierung vorhan-
denen Wissens hin^).
Csft Verurteilung 5,4''. Sogleich ein Wissen, daß das, was ich
zu antworten habe, etwas mit dem Gericht zu tun habe. Ich
suchte etwas Kriminelles, was auf ein Vergehen tolgt Die
Lösung bewegte sich in Richtung auf den Begriff Strafe als Vergeltimg ftlr
die Schuld. Es kam aber nicht das Wort Strafe, sondern Verurteilung (opt.)
als Benennung der Folge der Schuld, durch welche sie ge-
sühnt wird.
Wir haben hier ein gutes Beispiel einer sukzessiven Wissens-
aktualisierung. Die Aktualisierung des allgemeineren Wissens,
daß die Folge der Schuld etwas sei, was mit dem Gericht zu tun
habe, geht voraus und führt erst durch weiteres Suchen nach dem
mit dem Gericht Zusanmienhängenden, das auf ein Vergehen folgt,
zur Lösung. Das Reaktionswort tritt hierbei nicht beziehungslos
auf, sondern mit dem Bewußtsein, daß es die Folge der Schuld
bezeichnet. Ein ganz ähnlicher Prozeß scheint dem folgenden
Protokoll zugrunde zu liegen.
Est Strafe 2,8''. Ich habe die Aufgabe sofort verstanden; dann fiel mir
zuerst ein, ganz begriffhch ohne Worte: Gericht Ich glaube allerdings nach
^) Bemerkenswert ist die gute Übereinstinunung zwischen den Angaben
von B und G über die Dauer der einzelnen Phasen mit dem Unterschied ihrer
Reaktionszeiten.
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66 Absdm, I. Die unvermUUUen Lösungen als WissensaktuaüMerungen usm.
der begrifflichen Einstellung auf Gericht einen kurzen Augenblick einen Gerichts-
saal vorgestellt zu haben. Dann kam sofort das Wort «»Strafe** mit Bedeutungs-
bewußtsein.
Daß die Wissensaktualisiening sich nicht als solche zu er-
kennen gibt, steht im Einklang mit ^iner allgemeinen Eigentüm-
lichkeit dieser Vp., daß ihr die Beziehungen zwischen Aufgabe
und Lösung und zwischen den einzehien Ll5sungsphasen häufig
nicht zu Bewußtsein kommen, obwohl der Verlauf oft ohne die
Annahme der Wirksamkeit solcher Beziehungen gänzhch unver-
ständlich bleiben wttrde '). Außerdem macht die unverhältnismäßig
größere Schnelligkeit des Prozesses gegenüber G den in Rede
stehenden Unterschied begreiflich.
Auch die nächste Gruppe von Protokollen zeigt 5 Wissens-
aktualisierungen in den verschiedenen Stufen der Nachweisbarkeit.
Es sind alle Protokolle der Hauptinstruktion mitgeteilt
Erregung — Gegensatz?
Aiit Beruhigung d"'. Ich las gleich hintereinander Reizwort und Aufgabe
mit allgemeinem Verständnis. Danach sah ich „Erregung^ nochmals in Schreib-
maschinenschrift inneiüch vor mir mit Bewußtsein der Bedeutung, aber ohne
Anschauungsbild; ebenso darauf das Wort Gegensatz mit Beziehung auf
Erregung. Gleich darauf kam ganz blitzartig das Wort Beruhigung
ohne irgend welche andere Vermittlung. Es tauchte lediglich in der Schreib-
maschinenschrift auf. Es war wie eine plötzliche Exposition, wie automatisch
auf das volle Verständnis von G^;ensatz hin. Ich war mehr passiv dabei.
Auch etwas Überraschung Ober das rasche Erscheinen.
Nur die Angabe, daß beim Verständnis die Aufgabe „Gegen-
satz" auf „Erregung" bezogen wurde, weist ^darauf hin, daß es
sich nicht um eine bloße Eonstellationswirkung der Aufgabe einer-
seits und isolierter vom Reizwort ausgehender Reproduktions-
tendenzen andererseits handelt').
Eilt Beruhigung 4,6". Gelesen und verstanden. Dann kam ohne Ver-
mittlung Beruhigung als Lösung der Aufgabe. Dann habe ich mir die
Sache noch einmal ganz ruhig überdacht: Ist es auch richtig, daß Erregung
Gegensatz von Beruhigung ist? Ich kam zu dem Resultat, daß es richtig ist
Das Auftreten als Lösung deutet auf eine Wissensaktualisierung
hin. Das Fehlen von Erlebnissen, die auf den Neuerwerb einer
*) Vgl. auch schon oben S. 50.
^ Von der Bedeutung dieser Einheitsbildung aus Aufgabe und Reizwort
wird im zweiten und dritten Abschnitt zu reden sein. VgL auch schon oben
Bts und G4 S. 66.
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6, Beispiele für graduelle Untersdiiede, 59
Erkenntnis hindeuten, bei der Kontrolle spricht dafür, daß auch
sie in der Klärung eines schon vorhandenen Wissens besteht. Die
lange Reaktionszeit ist offenbar durch die Kontrolle herbeigeführt.
Diit Beruhigung 8,2^'. Gelesen. Ohne irgend eine Vorstellung oder ein
Geftihl wurde das Wort Erregung aufgefaßt, und wurde auch noch sinnvoller,
als icb bei ihm blieb, sinnvoller insofern, als es in eine bestimmte Sphäre
ging, nämlich in die Psychologie, was ohne Worte bewußt war. Dann kam
als etwas Geläufiges das Wort Beruhigung.
Die Wissensaktualisierung ist hier durch das Auftreten des
Reaktionswortes „als etwas Geläufiges^ direkt nachweisbar. Die
Entwicklung des Bedeutungsbewußtseins des Reizwortes, durch
welches es den Charakter eines der psychologi3chen Sphäre an-
gehOrigen Wortes erlangt, entMlt vielleicht schon den Ansatz zu
einer sukzessiven Wissensaktualisierung, doch geht das aus
dem Protokoll nicht hervor.
Biff Beruhigung 2,6^'. Beim Worte Erregung sofort gedacht an die
Wundtsche GefQhlstheorie. Der Name Wundt klang dabei so inneiiich mit,
sonst sicher ohne Anschauung. Wie ich [sc. beim Lesen] zu dem Worte Gegen-
satz kam, brauchte ich nur zu suchen nach dem Worte, das in der
Wundtschen Gefühlstheorie den Gegensatz bildet Außerdem
klang noch etwas an, wie das Wort Spannung, das lag aber nicht in der
Richtung des Versuchs, sondern nur neb^ibei
Wir haben hier eine ausgesprochene sukzessive Wissens-
aktualisierung. Das Wort Erregung allein schon hatte die Er-
innerung an die Wundtsche Gefühlstheorie wachgerufen. Als das
Wort Gegensatz erkannt wurde, stellte sich daher ohne weiteres
das Bewußtsein ein, daß der bekannte Gegensatz aus dieser Ge-
fühlstheorie anzugeben sei. Dieser wird dann aktiv herbeigeholt.
Der Verlauf ist also ein ganz ähnlicher wie bei G im Versuch
Schuld-Folge. Wie dort die gesuchte Folge schon in der ersten
Phase indirekt näher bestimmt ist als etwas, was mit dem Gericht
zu tun hat, so ist hier der Gegensatz zu Erregung durch die
Beziehung zu der Wundtschen Gefühlstheorie iudirekt näher be-
stimmt. Die direkte Bestimmung des Gesuchten erfolgt dann in
beiden Fällen durch einen aktiven Appell an das Gedächtnis.
Denselben Prozeß wie bei B finden wir in rudimentärer Form
im folgenden Protokoll wieder. Die erste Phase des Prozesses
ist hier durch ein „Gefühl" der Bekanntheit im Bewußtsein re-
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60 Absdin, 1, Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktuaiisierungen usw.
präsentiert. Erst nachtraglich kommt die Ghrundlage des „Ge-^
fOhls'^, die in der Wundtschen Geftthlstheorie zu suchen ist, zu
bewußter Entwicklung,
Gif Beruhigung 2,6''. Ich hatte lehhaftes GeitÜü der Bekanntheit, und
Beruhigung kam dann aus dem GeitÜü der Bekanntheit heraus. Was eigent-
Hch bekannt war, war, wenn ich mich nicht irre, während des Erlebnisses
nicht gegenwärtig, jedoch spätestens bei Vollendung der Reaktion war ein
leiser Zweifel, ob nicht „LOsung** die richtige Reaktion ist, das Wort LGsung
war da. Das Ganze orientierte sich dann schließlich an wohlgeläufigen Gefühls-
gegensätzen. Hieraus glaube ichschließenzu dürfen, daß sie schon während
des Erlebnisses tangiert waren.
Wie früher das Bewußtsein der Leichtigkeit, so stellt auch
das der Ltfsung vorausgehende „Gefühl*^ der Bekanntheit einen
Grenzfall zwischen sukzessiver und unmittelbarer Wissensaktuali-
sierung dar. Im Bewußtsein der Bekanntheit tritt jedoch die
Aktualisierung des Wissens, eine Ltfsung der Aufgabe zu kennen^
schon etwas deutlicher hervor. Wir dürfen daher derartige Pro-
zesse noch zu den nachweisbaren Fällen sukzessiver Wissens-
aktualisierung rechnen. Ob das Bewußtsein der Bekanntheit
wirklich ein Gefühl ist, oder welcher Kategorie von Bewußtseins-
erlebnissen es sonst angehören mag, ist hier ebenso relativ gleich-
gültig wie oben dieselbe Frage bezügUch des Bewußtseins der
Leichtigkeit.
§ 7. Fälle, in denen der vorherige Erwerb bezw. die
Bereitstellung des aktualisierten Wissens nachweisbar ist.
Zum Schluß ist noch eine Gruppe von Fällen zu erwähnen^
in denen die vorherige Erwerbung, bezw. Bereitstellung des
aktualisierten Wissens durch die Selbstbeobachtung der Vpn. zu
einem vorhergehenden Versuch selbst wieder nachgewiesen werden
kann. Es sind die Fälle, in denen die Reaktion auf der Wieder-
verwendung der schon in einem früheren Versuch aufgetretenen
Ltfsung einer ähnlichen Aufgabe beruht. In derartigen Fällen
pflegt sich zimächst das Wissen zu aktualisieren, daß eine der
Aufgabe entsprechende Lösung schon aus dem früheren Versuch
bekannt sei, worauf in einem zweiten Akt des aktiven Zurttck-
greifens darauf die Reproduktion dieser Ltfsung erfolgt Wir
geben ein Beispiel:
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7. FäUe, in denen der vorherige Erwerb usw, 61
Gottesdienst — anderer Teil ? [Vorausgegangen war Gottesdienst — Teil ?].
D« Opfer 4,8". . . . Wußte, daß ich die Lösung der Aufgabe
schon parat hatte. Das hatte sich mir vorher ip der Nachperiode auf-
gedrängt Ich griff da rauf zurück und reproduzierte es^.
Denselben Prozeß finden wir in der rudimentären Form eines
der Lösung vorausgehenden, mit dem AflFekt der Freude ver-
bundenen Bewußtseins der Leichtigkeit bei einer anderen Vp.:
H*4 Wandlung 2,8". Eindruck, das Ganze mit einem Blick gelesen zu
haben, freudige Überraschung, daß die Aufgabe so leicht sei, ak.-mot und
opt, „Opferung —Wandlung*" hintereinander. Dann Wandlung ausgesprochen.
Darin, daß die Aufgabe so leicht erschien, lag die Erinnerung, daß Ähnliches
in der vorigen Aufgabe vorgekonmien sei.
Aus dem früher (S. 32) mitgeteilten Protokoll des voraus-
gegangenen Versuchs (R. Z. 5,4") geht hervor, daß die Vp. die
Aktualisierung ihres Wissens von den drei Teilen des Gottes-
dienstes wieder von vom anfängt und diesmal die Bezeichnung
des zweiten ausspricht. Bei der zweiten Wiederkehr der Auf-
gabe „anderer Teil*^ ist die Aktualisierung eines bereitgestellten
Wissens nur mehr aus der Wiederbenützung der auswendig ge-
lernten Reihenfolge der drei Teile und der dunklen Beziehung
auf die frühere Aufgabe zu erkennen. Im übrigen macht der
Prozeß denselben automatischen Eindruck, wie bei den imver-
mittelten Lösungen, bei denen eine Wissensaktualisierung über-
haupt aus den Protokollen nicht nachweisbar ist.
H«» Kommunion 2,6". Las instruktionsgemftß. Erkannte unmittelbar den
Sinn der Frage. Abstrakte Vorstellung „Opferung — Wandlung — Kommunion** ;
dabei keine Worte, aber die Vorstellung einer Blickrichtung von links nach
rechts Ober drei Perioden weg. Es ist das etwas Anschauliches. Dabei un-
deutliches Wiedererkennen der einzelnen Teile mit Beziehung auf die vorige
Aufgabe. All das ist sicher. Sprach dann mechanisch laut Kommunion aus.
Wir führen noch ein letztes Beispiel aus dieser Gruppe an,
um nochmals darauf hinzuweisen, daß das Fehlen von Vorstellungen
nicht dahin gedeutet werden darf, daß es sich nicht um die
Aktualisierung von Wissenskomplexen handle, sondern daß eine
bloße Reproduktion von Wortkomplexen vorUege*). Auf die Auf-
gabe „Nagel — Überordnung?" mit der Reaktion „Gegenstand
zum Befestigen'^ folgte folgende Aufgabe:
') Vgl oben S. 28 den ahnlichen Prozeß beim zweiten Wiederholungs-
versuch von A.
*) Vg^ oben S. 42 und die dort angefahrten Stellen.
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62 Absdui, /. Die anvermitUlten Lösungen als Xflssensaktuaiisierungen usw,
Nagel — Zweck?
A»e festhalten 8^. »Nagel** kam mir sofort bekamit vor, wollte dann
die Aufgabe Zweck lösen; hatte hierauf den Gedanken, daß ich es in
der vorigen Aufgabe schon mitgelOst hfttte. Ich wollte schon so-
fort „festhalten "* sagen, aber zur Vorsicht verdeutlichte ich mir die Sache noch
anschaulich an der Vorstellung einer ebensolchen Kiste, wie ich sie im vorigen
Versuch zur Lösung benutzte.
Das Wort Zweck war weder im vorhergehenden Versuch
noch im Protokoll gebraucht worden, wohl aber hatte sich die
Vp. dem Sinne nach auf den Zweck des Nagels gerichtet und
dies im Protokoll dadurch wiedergegeben, daß an der von ihr
erzeugten Vorstellung die „Funktion^ des Nagels beachtet wurde.
Der im ersten Versuch noch nicht völlig bestimmten Richtung
auf den Zweck des Nagels entspricht es auch, daß die Vp. erst
noch unter Zuhilfenahme der Anschauung nachkontrolliert, ob das
Festhalten wirklich der Zweck des Nagels sei. Wie schon die
früher angeführten Fälle, so zeigt auch dieses Protokoll, daß bei
der Aktualisierung früherer Wissenskomplexe sowohl die gegen-
wärtigen durch Aufgabe und Reizwort gegebenen Wortzusammen-
hänge als der Zusammenhang der bei der Erwerbung des Wissens
gebrauchten Worte nicht von ausschlaggebender Bedeutung sind,
daß es vielmehr auf die Bedeutungszusammenhänge ankonmit.
Nur hierdurch wird es auch verständlich, daß die Bezeichnung
der durch die Aufgabe geforderten Beziehung zwischen Reiz- und
Reaktionswort durch logische termini wie Überordnung und Neben-
ordnung die Aktualisierung von Wissenskomplexen herbeiführen
konnte, bei deren Erwerbung diese logischen termini aller Wahr-
scheinhchkeit nach meistens nicht zur Anwendung gekommen
waren.
§ 8. Bedingungen und Funktion der sukzessiven Wissens-
aktualisierung.
Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die Ergebnisse der Analyse
der in diesem Abschnitt angeführten Protokolle. Die erste Kolumne
enthält die nachweisbaren sukzessiven Wissensaktualisierungen, die
zweite die aus dem Protokoll direkt nachweisbaren, die dritte die
aus dem Protokoll wenigstens indirekt nachweisbaren unmittelbaren
Wissensaktualisierungen, die vierte die unvermittelten Lösungen, bei
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8. Bedingungen und Funktion dir sukzessiven Wissensaktualisierung. 63
Tat
»eile
2.
Aufgab«
■nlueMiTe W.
dlnkt nmehwei»-
bare niuiiil««!-
bu«W.
anTCnnittcIte
Utmugan mit
Indlrakt nseh-
w«Ub. W.
anTennittelte
liOranc«!! ohn«
luohwelabknW.
1.
Tod
Nebenordnung?
A
E
2,8
2,6
G
B
4,4
H»
D
2,4
6,4
K
2,6
2.
Tod
Nebenordnung?
W.-Versuche
A
2,2
1,8
E
D
2,6
2,4
3.
Haß
tJberordnung?
E
4,6
A
4,6
G
3
H»
D
2,6
3,4
4.
Schuld
Folge?
C
(E
6,4
2,8)
D
3^
B
G
3,8
6,8
H«
3,6
6.
Erregung
Gegensatz?
B
G
2,6
2,6
D
3,2
E
4,6
A
3
6.
Wirkung?
Biß
B
K
8
E
3,6
H«
C
2,2
63
7.
Wahlrecht
2 Hauptarten?
B
G
E
A
D
H
6,2
r
3
14,8
7ß
a
Fieber
Überordnung?
G
B
A
2^
2
9.
Ganzes?
Docht
E
2
G
2,2
10.
Ein Verkehrs-
mittel?
G
2,8
D
.i,8
11.
Nebenordnung?
Jagd
E
9
12.
dass. Wiederh.
E
3,6
13.
Baum
Teil?
E
1,8
14.
Überordnung?
E
2,2
16.
Pfarrer
Nebenordnung?
A
2,4
16.
Arbeit
3fache Bedeutung ?
G
16,6
17.
Gottesdienst
Teil?
H»
5,4
la
Gottesdienst
andrer Teil?
D
4y8
Hu
H».
2,8
2,6
19.
Nage)
Zweck?
A
3^
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6^ Ähsdui. L Die unvenrnäelten Lösungen als Wissensaläualisiemngen usw.
welchen eine Wissensaktualisierung aus dem Protokoll nicht
nachweisbar ist. Aus der Tabelle ist die Verteilung auf diese vier
Gruppen nach Aufgaben, Vpn. und Reaktionszeiten zu ersehen.
Die Fälle, in denen der Reaktion nur ein Bewußtsein der Leichtig-
keit vorherging, sind zu den indirekt nachweisbaren unmittelbaren
Wissensaktualisierungen gerechnet 0- Bei der Angabe Schuld —
Folge ist der Versuch E89 in Klammer gesetzt, weil die sukzessive
Wissensaktualisierung im Gegensatz zu den anderen Fällen hier
nicht direkt nachweisbar ist'). Die Wahrscheinlichkeit einer suk-
zessiven Wissensaktualisierung war nur aus dem Vergleich mit
dem Protokoll von Vp. G hervorgegangen.
Betrachten wir in der Tabelle zunächst die unter Ziffer 1 und
3 — 7 angeführten Aufgaben, bei denen uns 5 imd mehr Reaktionen
zu Gebote stehen. Hier springt sofort ein Gegensatz zwischen
den Ergebnissen der Wahlrechtsaufgabe der Ziffer 7 und den Er-
gebnissen der übrigen Aufgaben hinsichtlich der Verteilung der
Reaktionen auf die vier Gruppen in die Augen. Bei 4 Angaben
sind alle Gruppen vertreten, bei der 5. Aufgabe Wirkung— Biß
fehlt nur die sukzessive Wissensaktualisierung. Die sukzessiven
Wissensaktualisierungen betragen bei diesen 5 Aulgaben 7 von
28 Fällen, d. h. 25 ^/o, auf die 3 anderen Gruppen kommen eben-
falls je 25 7o« Die durchschnittliche Verteilung ist also eine sehr
regelmäßige. Bei der Wahlrechtsaufgabe dagegen, bei der alle
Protokolle mitgeteilt wurden, haben wir nur suksessive Wissens-
aktualisierungen. Dem Unterschied in der Gruppierung der Re-
aktion entspricht eine beträchtliche Verschiedenheit der Reaktions-
zeiten. Die durchschnittliche Reaktionszeit beträgt bei den ersten
5 Aufeaben der Reihe nach 3,6", 3,6", 4,1", 3,2" und 3,9"; a. M.
3,7", bei der Wahlrechtsaufgabe 7,3". Dies berechtigt zu der
Vermutung, daß dieselben Umstände, welche die Verlängerung der
Reaktionszeit herbeiführen, auch den Grund für das Auftreten der
sukzessiven Wissensaktualisierungen enthalten. Als ein veriang-
samender Umstand käme an sich die Tatsache in Frage, daß die
Fälle, in denen das Bewußtsein der Lösung bezw. der Richtigkeit
(S. 49) nicht nach der Aussage der Vpn. spätestens bei der Reaktion vor-
handen war, wurden zu den nicht nachweisbaren unvermittelten Lösungen
gerechnet.
■) Vgl. oben S. 67.
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8, Bedingimgen tmä Funktion der sitkxesuven WisaensaktuaUsienmg, 66
Wahlrechtsau^gabe formell eine Au%abeiil]^fuiig enthält; es sollen
zwei Hauptarten des Wahlrechts angegeben werden. Wird von
mehreren Au^^aben zuerst die eine und dann mehr oder weniger
unabhängig davon die andere gelöst, so entsteht dadurch natürlich
eine beträchtliche Verlängerung der Reaktionszeit. Allein aus den
Protokollen geht hervor, daß die Lösung nicht in dieser Weise
erfolgt^). Die Vpn. fassen die Angabe ihrem Sinne gemäß als
eine einheitUche imd lösen sie, indem sie aus einer Gruppe von
Wahlrechtseinteilungen bezw. aus einer Wahlrechtsformel zwei
Arten h^ausgreifen, oder indem sie das Wissen von bekannten
Wahlrechtsgegensätzen aktualisieren. Die Protokolle zeigen, daß
die längeren Reaktionszeiten in erster Linie auf die geringere
Geläufigkeit eines der Aufgabe entsprechenden Wissens zurttck-
zuführen sind, und sie zeigen auch, wie dieser Umstand mit
dem Auftreten der Form der sukzessiven Wissensaktualisierung
zusammenhängt. Das Wissen von den zwei Arten des Wahlrechts
ist nämlich zwar nicht geläufig genug, um eine sofortige au%abe-
gemäße Reproduktion zweier Hauptarten zu ermöglichen, wohl
aber besteht ein geläufiges (oder wenigstens relativ geläufigeres)
Wissen von zunächst nicht näher bestimmten Wahlrechtseinteilungen
besw. von großen, zunächst nur indirekt bestimmten Wahlrechts-
gegensätzen. Dieses geläufigere abstraktere Wissen aktualisiert sich
zuerst, und zwar ist es kein bloßer Vorläufer der Reaktion, son-
dern durch seinen Inhalt wird die speziellere Richtung des weiteren
Verlaufe schon mehr oder weniger vorgezeichnet. So fällt z. B.
der Vp« ein, daß sie mehrere Wahlrechtseinteilungen kennt, und
sie stellt sidi nun die spezielle Angabe, eine dieser Einteilungen
zu reproduzieren, oder es kommt einer Vp. zu Bewußtsein, daß
es einen extremen Wahlrechtsgegensatz gebe, der den zwischen
dem deutschen Süden und dem deutschen Norden noch übertreffe,
und sie sucht nun diesen Gegensatz näher zu bestimmen, wobei
die geläufigere Bestimmung nach der örtlichen Beziehung der
weniger geläufigen inhaltlichen wieder vorhergeht. Von den Vpn.
B, G und D wird ein aktives Suchen in der durch das abstraktere
Wissen bestimmten Richtung ausdrücklich konstatiert. Bei den
übrigen Vpn. wird es durch den Zusammenhang zum mindesten
wahrscheinl ich gemacht.
') Siehe oben S. 34ff.
Seil, Über die Oeaetie des geordneten DenkrerUuib. 6
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66 Absthn, /. Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisienmgen usw.
Wir sehen also, wie sukzessive Wissensaktualisienmgen da-
durch entstehen ktfnnen, daß ein (relativ) weniger geläufiges Wissen
durch Vermittlung eines geläufigeren Wissens aktualisiert wird,
das Bestimmungen über denselben Gegenstand enthält. Ein volles
Verständnis dieses Vorganges, bei dem es sich nicht bloß um eine
konstellierende Mitwirkung assoziativer Hilfen handelt, ist erst
nach der theoretischen Erörterung der determinierten Wissens-
aktualisierung möglich. Jedenfalls aber können wir aus dem Ver-
halten der Vpn. schließen, daß die Aktualisierung des geläufigeren
Wissens einen positiven Beitrag zur Lösung der Aufgabe leistet,
indem es einen aktiven Appell an das Gedächtnis motiviert und
in vielen Fällen zugleich dem allgemeinen Suchen nach einer
Lösung eine bestimmtere Richtung gibt. Denken wir uns die (Je-
läufigkeit des zur schließlichen Lösung führenden Wissens sehr
gering, so kann der Fall eintreten, daß dieses Wissen überhaupt
nicht direkt reproduzierbar ist, sondern zu seiner Aktualisierung
der Mitwirkung des geläufigeren Wissens bedarf. In diesem Fall
wird die sukzessive Wissensaktualisierung eine notwendige. Je
weniger geläufig demnach ein Wissen ist, desto mehr ist die Ge-
legenheit bezw. die Notwendigkeit einer sukzessiven Wissens-
aktualisierung gegeben. Hieraus erklärt sich die Zunahme der
sukzessiven Wissensaktualisierungen bei Versuchen mit längeren
Reaktionszeiten.
Auch abgesehen von der Wahlrechtsaufgabe finden sich in
der Tabelle einige durch mehr oder weniger lange Reaktionszeiten
ausgezeichnete sukzessive Wissensaktualisierungen, die nach den
dazugehörigen Protokollen zweifellos durch die geringere Ge-
läufigkeit des Wissens veranlaßt sind. Hierher gehört zunächst
die Lösung der Aufgabe Arbeit — dreifache Bedeutung 0- Die
sehr lange Reaktionszeit von 16,6" ist hier zwar durch die Auf-
gabenhäufung wesentlich mitbedingt. Sie zeigt aber doch zugleich
an, daß ein geläufiges Wissen, welches diese drei Bedeutungen
sind, nicht bestanden hat. Die Folge davon ist jedoch nicht, daß
zuerst die geläufigste Bedeutung, nämlich die der gewöhnlichen
Arbeit, ins Bewußtsein gehoben wird imd sich dann weitere Be-
deutimgen anschließen. Die Vp. faßt die Aufgabe vielmehr wieder
in gewissem Sinne als eine Einheit auf; die drei Au^;aben der
') Siehe Tab. 2 Ziff. 16 und oben S. 32.
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8. Bedingungen und Funktion der sukzessiven Wissensaktualisierung. 67
AufgabenMufung sind ja nicht xmabhängig voneinander, sondern
sind dadurch aufeinander bezogen, daß jede folgende Bedeutung
von der vorhergehenden verschieden sein muß. Die einheitliche
Aufgabe nun, drei verschiedene Bedeutungen der Arbeit anzu-
geben, kann zwar nicht unmittelbar durch die Aufzählimg dieser
Bedeutungen gelöst werden, wohl aber ist der Vp. das Wissen
geläufig, daß das Wort Arbeit mehrere Bedeutungen hat, und
daß sie solche Bedeutungen kennt. Dieses Wissen aktualisiert
sich und führt dazu, daß nicht durch besondere Lösungsmethoden
die verschiedenen Bedeutungen aufgesucht werden, Bondem daß
die Vp. einfach die ihr schon bekannten spezifischen Bedeutungen
von „Arbeit^ im Gedächtnis aufsucht. Unter dem auf diese be-
sonderen Bedeutungen bezüglichen Wissen ist ihr am geläufigsten,
daß „Arbeit^ in der Physik eine spezifische Bedeutung hat, und
so kommt es, daß diese Bedeutung zuerst reproduziert wird,
und daß erst am Schluß die an sich geläufigste Bedeutung von
Arbeit im gewöhnlichen Sinne in Betracht gezogen wird.
Wie in dem eben erwähnten Fall hängt auch in dem unter
Ziffer 11 der Tabelle angeführten Versuch die lange Reaktions-
zeit und die ihr entsprechende sukzessive Wissensaktualisierung
mit der geringeren Geläufigkeit der Lösung zusammen, wie aus
dem Protokoll ohne weiteres hervorgeht*). Ebenso ergibt das
Protokoll von G zu Ziffer 4, daß der Vp. zwar geläufig ist, daß
die Folge der Schuld etwas ist, was mit dem Gericht zu tim hat,
daß ihr aber die genauere Bestimmung einige Schwierigkeit macht.
Eine Besonderheit bietet die Wissensaktualisierung in Ziffer 3,
die ebenfalls hierher gehört'). In diesem Fall ist nicht nur das
abstrakte Wissen geläufig, von einer zunächst nicht inhaltlich
bestimmten Unterordnung von Haß unter den höheren Begriff,
etwas zu wissen, sondern es sind außerdem die ganz speziellen
Nebenumstände geläufig, unter welchen dieses Wissen erworben
wurde. Die Lösung erfolgt, indem sich die Vp. dasjenige ins
Gedächtnis zurückzurufen sucht, worunter jene tabellarische Unter-
ordnung damals erfolgte. Weil im gegebenen Fall das Wissen
von dem individuellen Tatbestand, worunter damals der Haß
imtergeordnet wurde, geläufiger ist als das Wissen von dem ab-
') Siehe oben S. 60.
^ Siehe oben S. 47.
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68 Ab$dtn. /. Die unvermittelten Lösungen als WissensaktuaÜslemngen usw.
strakten Begriffsverhältnis zwischen Haß und Affekt, geht der
Weg zur Lösung der abstrakten Aufgabe über die Aktualisierung
des Wissens von einem individuellen Erlebnis, in dem dieses Be-
griffsverhältnis eine Rolle spielte 0*
Auch bei den übrigen sukzessiven Wissensaktualisierungen
mit zum Teil sehr kurzen Reaktionszeiten sprechen die Protokolle
für die Annahme, daß die Wissensaktualisierung der ersten Phase
bei ihnen mehr ist als ein bloßer Vorläufer und auch mehr als
ein bloßes Motiv für den aktiven Appell an das Gedächtnis. Es
wird z. B. zuerst das abstraktere Wissen aktualisiert, daß es eine
vulgäre Gegenüberstellung zum Reizwortgegenstand gibt (Ziffer 1,
2, 15), oder es wird die Erinnerung an eine bekannte, früher
memorierte Einteilung, die ihrem Inhalt nach noch nicht näher
bestimmt ist, lebendig (Ziffer 17), oder es aktualisiert sich das
Wissen, daß es sich um einen Gegensatz in einer bekannten Ge-
fühlstheorie handelt (Ziffer 5). In allen diesen Fällen wird durch
die vorangegangene Wissensaktualisierung eine bestimmtere Rich-
tung für den weiteren Verlauf angegeben. Die Vp. kann jetzt,
statt allgemein ein Nebengeordnetes zum Reizwortgegenstand zu
suchen, jene bekannte Gegenüberstellung sich ins Gedächtnis
zurückzurufen suchen. Sie kann, statt allgemein nach einem
Gegensatz zu Erregung überhaupt zu suchen, nach dem Gegen-
satz in der Wundtschen Psychologie suchen, oder sie kann statt
einfach nach einem Teil des Gottesdienstes zu suchen, nach einem
der drei früher memorierten Teile des Gottesdienstes suchen. Das
ursprüngliche Ziel wird also wie in den früher angeführten Fällen
mit einem bestimmteren Ziel vertauscht ■), das durch die Aktuali-
sierung eines mehr oder weniger geläufigen Wissens erreicht
werden kann. Nicht schon deswegen, weil das neue Ziel das
spezieUere ist oder mehr konkretere Bestimmungen enthält*),
wohl aber deswegen, weil es im gegebenen Fall zur AktuaU-
') Es könnte natOriich auch sehr wohl das Umgekehrte der Fall sdn,
daß das abstrakte Wissen von dem Begriffsverhältnis geläufiger wftre als das
Wissen von den Umstanden seiner Erwerbung.
*) Von solchen Transformationen der Aufgabe, denen eine all-
gemeinere Bedeutung zukommt, wird noch besonders zu sprechen sem.
•) Vgl. oben Anm. 1 ; siehe femer meine Bemerkungen zu dem von Ach
aufgestellten Gesetz der speziellen Determination, Zeitschr. f. Psychol. 67
S. 260ff.
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8. Bedingungen und Funktion der sukzessiven Wissensaktualisierung. 6B
äening eines geläufigeren Wissens führt, wird durch die suk*-
zessive Wissensaktualisierung die Angabe erleichtert, wenn nicht
zum Teil überhaupt erst ermtfgUcht.
Dasselbe Wissen, das der allgemeineren Zielbestimmung der
Aulgabe gegenüber eine speziellere Zielbestimmung ermöglicht,
verhält sich andererseits gegenüber dem Wissen, dessen Aktuali-
sierung es vermittelt, wie das Abstraktere ziun Konkreteren;
denn es enthält noch keine direkte Bestimmung des gesuchten
Gegenstandes, auf den es sich bezieht, wie das die Lösung ent*
haltende Wissen, dessen Aktualisierung es dient. Diese Tatsache,
daß bei der sukzessiven Wissensaktualisierung das relativ ab-
straktere Wissen von der Richtung, in welcher das Ziel zu suchen
ist, die Reproduktion des entsprechenden konkreteren Wissens
vermittelt, ist von großer Bedeutung; denn sie berechtigt zu der
Annahme, daß häufig ein solches abstrakteres Wissen geUlufiger
ist als das entsprechende konkrete. Das Wissen, daß es eine
vulgäre Gegenüberstellung zu Tod gebe, kann geläufiger sein
als das konkretere Wissen, daß Tod und Leben häufig einander
gegenübeigestellt werden. Das abstraktere Wissen, daß der
Gottesdienst drei Teile habe, kann geläufiger sein als das Wissen,
wie sie heißen, imd in welchen Handlungen sie bestehen. Das
relativ -abstraktere Wissen, einen übergeordneten Begriff zu Haß
in einem bestimmten Fall kennen gelernt zu haben, kann ge-
läufiger sein als das konkrete Wissen, den Begriff des Affektes
unter jenen Bedingungen als übergeordneten Begriff zu Haß
kennen gelernt zu haben. Allgemeiner ausgedrückt, das ab-
straktere Wissen, daß ein bestimmter Gregenstand A zu einem
anderen Gregenstand oder zu mehreren anderen Gegenständen in
einer bestimmten Beziehung steht, kann geläufiger sein als das
konkretere Wissen, daß der Gegenstand A zu dem Gegenstand B
oder zu den Gegenständen B, G und D in jener bestimmten Be-
ziehung steht. Hierbei kann auch das Wissen, unter welchen
Umständen jene bestimmte Beziehung zwischen dem Gegen-
stand A und einem anderen Gegenstand besteht, bezw. das Wissen,
imter welchen Umständen die Kenntnis von dieser Beziehung ge-
wonnen wurde, geläufiger sein als das Wissen, welches der in
der betreffenden Beziehung zu dem Gegenstand A stehende Gegen-
stand ist Man beachte: Es handelt sich nicht darum,
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70 Absdin. 1. Die anuermiäeUen L&stmgen als WissensaktaaUsienmgen usw.
daß die Nebenumstände durch eine geläufigere Be-
rtthrungsassoziation mit dem Gegenstand A verbunden
sind, als der Gegenstand B, und nun mit der ^Vor-
stellung*^ von A zusammen eine assoziative Kon-
stellation bilden. Sondern das ganze komplexe Wissen,
daß unter diesen Umständen ein anderer Gegenstand
zu A in einer bestimmten Beziehung steht, oder zu
ihm in eine bestimmte Beziehung gesetzt wurde, ist
geläufiger als das Wissen, daß der Gegenstand A zum
Gegenstand B in jener Beziehung steht, und das ge^
läufigere abstraktere Wissen vermittelt die Aktuali-
sierung des entsprechenden konkreteren Wissens.
Es zeigt sich also, daß die Nebenumstände bei der Reproduktion
nicht bloß als rein „assoziative*^ Hilfen zu wirken brauchen,
durch die konvergente Reproduktionstendenzen angeregt werden.
In den bisher berücksichtigten Fällen war in dem abstrakteren
Wissen nur das eine Beziehungsglied unbestimmt. Es können
aber auch beide Beziehungsglieder mehr oder weniger unbestimmt
sein. Das Wissen, daß Gegenstände bestimmter Art in einer be-
stimmten Beziehung stehen, kann geläufiger sein als das Wissen,
welches diese Gegenstände sind ^). So kann das abstraktere Wissen,
daß man das Wahlrecht verschieden gegeneinander setzen ktfnne,
und daß es immer Zweiteilungen sind, geläufiger sein als das
konkretere Wissen von dem Inhalt einer solchen Wahlrechts-
einteilung. (Vgl. oben Eiss S. 38, Aiss S. 39, auch Bisi S. 34.)
Wie das Wissen von den Nebenumständen der Inbeziehung-
setzung geläufiger sein kann als das Wissen, welches das gesuchte
BeziehungsgUed ist, so kann auch das Wissen, daß das gesuchte
Beziehungsglied wieder zu anderen Gegenständen in einer be-
stimmten Beziehung steht, geläufiger sein als das Wissen von
seiner direkten Bestimmung. In solchen Fällen geht die suk-
zessive Wissensaktualisierung den Weg über die indirekte Be-
stimmung des gesuchten Gegenstandes durch ein Wissen (vgL
oben S. 33 f., S. 40 ff.). So kann es geläufiger sein, daß die Folge
Jedenfalls ist auch der umgekehrte Fall möglich; es kann das Wissen,
daß zwischen bestimmten Gegenständen eine Beziehung besteht, geläufiger
sein, als das Wissen, welches diese Beziehung ist Solche Fälle sind aber in
den analysierten Protokollen nicht enthalten.
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8, Bedingungen und Funktion der sukzessiven Wissensaktualisierung. 71
der Schuld etwas ist, was mit dem Gericht zu tim hat, ak daß
es die Strafe ist. Oder es kann geläufiger sein, daß das Wort
„Arbeit" auf einem bestimmten Gebiete, in der Physik, in der
Nationalökonomie, eine spezifische Bedeutung hat, während die
Zurückrufung des Inhalts dieser Bedeutungen Schwierigkeiten
macht. Oder es kann geläufiger sein, daß ein großer und aktueller
Gegensatz zwischen dem Wahlrecht im Reich imd in Preußen
besteht, während die direkte Bestimmung dieser Wahlrechte durch
ihre Beschaffenheit sich in geringerer Bereitschaft befindet Zum
Teil kam in unseren Versuchen die geringere Geläufigkeit des
Wissens von der direkten Bestimmung des gesuchten Gegen-
standes gegenüber dem Wissen von seiner indirekten Bestimmung
darin zum Ausdruck, daß die Vpn. bei der indirekten Bestimmung
stehen blieben imd sich mit ihr begnügten, zum Teil aber wurde
sie durch die Fortsetzung der sukzessiven Wissensaktualisierung
noch ganz oder teilweise in die direkte Bestimmung übergeführt.
Nicht nur das Wissen, daß ein gesuchter Gegenstand zu einem
bekannten Gegenstand in einer bestimmten Beziehung steht, kann
geläufiger sein als das Wissen, welches jener Gegenstand ist. Es
kann auch das Wissen bestehen, daß die Beziehung des bekannten
G^^standes zu dem gesuchten Gegenstand zu der Beziehung
des bekannten Gegenstandes zu einem anderen bekannten Gegen-
stand selbst wieder in einer bestimmten Beziehung steht, und
dieses abstraktere Wissen kann die Aktualisierung des konkreteren
Wissens vermitteln, welches der in diesem Beziehungsnetz als
GUed einer der Beziehungen enthaltene Gegenstand ist So be-
steht bei D in der Wahlrechtsaufgabe nicht nur das Wissen, daß
ein anderes Wahlrecht zu dem in Süddeutschland bestehenden
(indirekte Bestimmung!) im Gegensatz stünde, sondern es besteht
das weitere Wissen, daß dieser Gegensatz ein extremerer sei
(Steigerungsverhältnis!) als der Gegensatz zwischen dem in Süd-
deutschland und dem in Preußen (indirekte Bestimmung!) be-
stehenden Wahlrecht. Dieses abstraktere Wissen vermittelt die
Aktualisierung des konkreteren, welches der in jenes Beziehungs-
netz verschlungene Gegenstand ist. Es wird nicht nur das Be-
wußtsein von dem in Mecklenburg bestehenden Zustand reprodu-
ziert, sondern das Mecklenburgische „Wahlrecht" tritt, wie die Vp.
ausdrücklich angibt, „als noch extremerer Zustand*^ auf. Es kann
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72 Ahmhn, L Die rnnvemdUelten Lösungen als Wis&eneaktuMßeiermngen usw.
also bei der sukzessiven Wissensaktualisierung das Wissen von
einem ganzen Netz von Beziehungen zu anderen Gregenständen^
in welchen der gesuchte Gegenstand steht, die Aktualisierung des
Wissens vermitteln, welches der gesuchte Gegenstand ist.
Die von Btthler bei seinen Versuchen über Gedankenerinne-
rungen gemachten Beobachtungen weisen schon zum Teil nach
derselben Richtung wie die bei unseren Versuchen gefundenen
Tatsachen^). Ebenso stimmt die Beobachtung Bühlers, daß die
Gegenstände beim Denken häufig nur durch ihre Beziehungen zu
anderen Gegenständen bewußt sind*), sehr gut mit der Tatsache
überein, daß solche indirekte Bestimmungen häufig leichter aktua-
lisierbar sind als die direkten. Wir haben Beispiele kennen ge-
lernt, in denen die indirekte Bestimmung nachweisbar diesen Grund
hatte"). Aus den Beobachtungen Bühlers ergibt sich auch, daß
ein abstrakteres Wissen, z. B. daß ein Gegenstand in einer be-
stimmten Beziehung stand, noch erhalten sein kann, während das
entsprechende konkrete Wissen, z. B. welches der betreffende
Gegenstand ist, nicht mehr aktualisierbar ist. Der häufigen größeren
Geläufigkeit des abstrakteren Wissens entspricht also ein häufiges
längeres Behalten. Auf die theoretische Würdigung dieser Er-
scheinung soll hier nicht eingegangen werden.
Die Vermittlung eines konkreteren Wissens durch ein abstrak-
teres kommt nicht nur dann vor, wenn es sich um ältere, längere
Zeit nicht mehr aktualisierte Wissenskomplexe handelt, sondern
auch dann, wenn ein soeben aktuell gewesenes Wissen benützt
wird. Das zeigen die Fälle, in welchen eine Aufgabe durch
Aktualisierung eines im vorhergehenden Versuch erworbenen oder
') Vgl. oben S. 7 Anm. 5. Über den Zusammenhang mit den Beobach-
tungen von Balaban und Michotte et Ransy (Gontribution ä T^tude de la memoire
logique, Louvain 1912) wird später zu sprechen sein (siehe unten S. 283 fif.), ebenso
Ober den ZusammenJiang mit gewissen von G. E. Müller gefundenen Gesetz-
mäßigkeiten (Zur Analyse der Gedächtnistätigkeit und des VorsteUungsveriaufs,
I. Teü, 6. Erg.-Bd. d. Zdtschr. f. Psychol., Leipzig 1911, & 816, 348 f^ 860 ff.).
Vgl. unten S. 126 ff.
•) Vgl. oben S. 34.
") Die schnellere Aktualisierbarkeit der indirekten Bestimmung kann
übrigens nicht bloB auf der größeren Gdäußgkeit des auf sie bezügtidien
Wissens, sondern auch auf seiner weniger komplexen Natur beruhen; außer-
dem kann die Aktualisierung der Indirekten Bestimmung durch das gänzliche
Fehlen eines Wissens von der direkten Bestimmung bedingt sein.
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-8. BeiSngtmgen und Funktion der sukzessiven Wissensakiuaiisierung. 78
aktuell gewesenen Wissens gelöst wurde. So trat im Versuch
Gottesdienst — anderer Teil bei Vp. D der im vorhergehenden
Versuch bereitgestellte weitere Teil „Opfer" nicht unmittelbar
wieder ins Bewußtsein, sondern es aktualisierte sich zunächst das
abstraktere Wissen, daß ein anderer Teil soeben bereitgestellt
worden war, und erst durch Zurückgreifen auf diese Lösung wurde
der Vp. wieder bewußt, welches dieser eben dagewesene Teil ge-
wesen ist. Das abstraktere Wissen, einen in einer bestimmten
Beziehung stehenden Gegenstand in einem unmittelbar voraus-
gehenden Zeitpunkt gegenwärtig gehabt zu haben, scheint also
in solchen Fällen geläufiger zu sein als das konkretere Wissen,
welches der betreffende Gegenstand war. Daß bei genügend hoher
Bereitschaft das konkrete Wissen auch immittelbar aktualisiert
werden kann, ei^t sich aus den beiden Versuchen H% und H*6
(oben S. 61). In dem ersten dieser Versuche geht nur noch ein
Bewußtsein der Leichtigkeit der Aktualisierung des konkreten
Wissens voraus, im zweiten Versuch setzt die Aktualisierung des
bereitgestellten Wissens sofort ein und ist nur von einer dunklen
Beziehung zur früheren Aufgabe begleitet. Dieser Fall ist auch
dadurch interessant, daß er zeigt, daß auch eine Einteilung bei
genügender Geläufigkeit reproduziert werden kann, ohne daß zu-
erst das allgemeinere Wissen von dem Bestehen einer solchen
Einteilung für sich allein aktualisiert werden müßte, wie es bei
dem den eben angeführten Versuchen vorausgehenden Versuch
Gottesdienst — Teil und zum Teil bei der Wahlrechtsaufgabe der
Fall war.
Wenn es richtig ist, daß die sukzessive Wissensaktualisierung
durch die relativ geringe Geläufigkeit eines Wissens begünstigt
wird, so muß sie bei wachsender Geläufigkeit dieses Wissens die
Tendenz zeigen, sich in eine unmittelbare zu verwandeln. Ta-
belle 2 zeigt 4 Fälle einer solchen Umwandlung; sie finden sich
bei Vp. E in Ziffl 1 mit 2 (siehe oben S. 29) und Ziff. 11 mit 12
(siehe oben S. BOf.), femer bei Vp. H in Ziff. 17 mit 18 (siehe
oben S. 61). In drei Fällen finden wir die Umwandlung mit einer
betiilchtlichen Verkürzung der Reaktionszeit verbimden. Daß auch
im vierten Fall eine latente Verkürzung der Reaktionszeit vorliegt,
ist früher (S. 31) ausgeführt worden. Die beiden Wiederholungen
der Aufgabe Tod— Nebenordnung mit A (Ziff. 2 der Tabelle) zeigen
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74 Absdin. L Die unvermUtelten Lösungen als Wissensaktualisierungen usw.
übrigens, daß auch bei sehr kurzer Reaktionszeit noch eine suk-
zessive Wissensaktualisierung stattfinden kann. Das abstraktere
Wissen scheint hier immer noch erheblich geläufiger zu sein als
das konkretere imd daher dessen Aktualisierung zu vermitteln ').
Für eine Tendenz der sukzessiven WissensaktuaUsienmg, bei
größerer Geläufigkeit in die unmittelbare überzugehen, sprechen
auch die wiederholt erwähnten Zwischenstufen, in welchen das
Wissen, eine noch nicht gegenwärtige Lösung der Au^^e zu
kennen, nur mehr durch ein Bewußtsein der Bekanntheit oder
der Leichtigkeit repräsentiert ist").
§ 9. Die gesetzlichen Entstehungsbedingimgen der un-
vermittelten Lösungen und ihre Ableitung aus ihnen.
Wir fanden früher, daß die Wissensaktualisierung bei wachsen-
der Geläufigkeit die Tendenz zeigt, im Bewußtsein zurückzutreten.
Wir können dieser Wirkung der wachsenden Geläufigkeit nun-
mehr eine weitere hinzufügen und den Satz aufstellen: Bei
wachsender Geläufigkeit zeigt die sukzessive Wissensaktualisierung
die Tendenz, in die unmittelbare überzugehen. Beide Gesetz-
mäßigkeiten sind jedoch nicht voneinander unabhängig. Vielmehr
begünstigt der Übergang der sukzessiven Wissensaktualisierung
in die unmittelbare, wie wir früher sahen, zugleich das Zurück-
treten der Wissensaktualisierung im Bewußtsein, weil die unmittel-
bare Wissensaktualisierung im Bewußtsein nur hervorzutreten
pflegt, wenn besondere Nebenumstände sie erkennbar machen').
Daß die sukzessive Wissensaktualisierung im Gegensatz zur un-
mittelbaren als Wissensaktualisierung erkennbar zu sein pflegt,
steht im Einklang mit der allgemeineren Tatsache, daß gehemmte
Prozesse sich im Bewußtsein stärker bemerkbar machen*). Wir
') Vgl. auch Aii S. 82. Vielleicht bestehen individuelle Unterschiede im
Verhältnis der Geläufigkeit eines abstrakteren Wissens zu der des entsprechenden
konkreteren.
•) Vgl. namentlich oben S. 52 ff.; 60 f.
^ Siehe oben S. 48f.
*) Achs Buch ^Über den Willensakt und das Temperament** enthält zahl-
reiche Belege für eine solche allgemeine Gesetzmäßigkeit. Auch die Fest-
stellungen von Michotte und Prüm (a. a. 0. S. 227 ff.) über das Wiederbewußt-
werden der Instruktion, wenn ihrer Verwirklichung Hindemisse im Wege stehen,
gehören zum Teil hieiher.
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9. Die gesetzlidten Entstehangsbedingungen der unvermitteiten Lösungen. 75
fanden ja, daß die sukzessive Wissensaktualisierung häufig darauf
zurückzuführen ist, daß das aktualisierte Wissen nicht geläufig
genug ist, um unmittelbar ins Bewußtsein zu treten. Die leichtere
Nachweisbarkeit des Vorliegens einer Wissensaktualisierung bei
der sukzessiven Form ergibt sich jedoch nicht nur aus jener all-
gemeinen Gesetzmäßigkeit, sondern auch aus der von uns be-
obachteten Besonderheit der hier der Lösung vorausgehenden
Prozesse. Bei der unmittelbaren Wissensaktualisierung ist der
gesuchte Gegenstand direkt bewußt Auf diesem direkten Be-
wußtsein liegt der Hauptnachdruck bei der Wissensaktualisierung ;
denn es enthält die Lösung und meist auch schon das Reaktionswort
Den sonstigen Bestandstücken des aktualisierten Wissens, darunter
dem Bewußtsein von der au|gabegemäßen Beziehimg des zur
Lösung verwendeten Gregenstandes zmn Reizwortgegenstand, kommt
daneben nur insoweit Bedeutimg für die Reaktion zu, als es sich
um die Kontrolle der Richtigkeit der Lösung handelt'). Ganz
anders bei der sukzessiven Wissensaktualisierung. Hier fehlt in
den ersten Phasen der sukzessiven Entwicklung das direkte Be-
wußtsein von dem gesuchten Gegenstand; er ist ausschließUch
durch seine Beziehungen zmn Reizwortgegenstand und zu anderen
Gegenständen, also durch ein auf ihn bezügliches Wissen bewußt;
dieses Wissen aber steht im Vordergrund des Bewußtseins; denn
es vermittelt die Herbeiführung des direkten Bewußtseins von
dem gesuchten Gegenstand und dient häufig der Zielbestinmiimg
für einen mehr oder weniger deutUch im Bewußtsein hervor-
tretenden aktiven Appell an das Gedächtnis. In der Schlußphase
der sukzessiven Wissensaktualisierung ist die Hemmung über-
wunden und auch das direkte Bewußtsein von dem gesuchten
Gegenstand vorhanden. Dem entspricht es durchaus, daß ein
sicherer Nachweis der sukzessiven Wissensaktualisierung meist auch
nur aus den Angaben der Vpn. über die ersten Phasen möglich ist
Betrachten wir mit Hilfe der Tabelle die Ergebnisse der
6 Aulgaben, in denen uns 6 und mehr Lösungen zur Verfügung
stehen, so erhalten wir einen zahlenmäßigen Ausdruck für den
gesetzlichen Zusammenhang zwischen dem Übergang von der
*) Vgl. die Ausführungen über abstraktive Rq)roduktion im nächsten Ab-
schnitt S. 185 ff.
•) Vgl. oben S. 37 f., 41 f., 55.
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76 Absthn, 1. Die unoermitteiUn Lösungen aie WiaMensaktuaäsierungen usw.
sukzessiven Wissensaktualisierung in die unmittelbare und der
Tendenz zum Zurücktreten der Wissensaktualisierung im Bewußt-
sein. Bei der Wahlrechtsaufgabe haben wir ausschließlich suk-
zessive Wissensaktualisierungen und dementsprechend ist die
Wissensaktualisierung in 100 ®/o der FttUe nachweisbar. Bei den
übrigen 4 Aufgaben haben wir nur 26 ^/o sukzessive Wissens-
aktualisierungen. Dieser Abnahme der Zahl der sukzessiven
Wissensaktualisierungen entspricht es, daß nur noch in 13 von
28 Fällen, d. h.46®/o, eine Wissensaktualisierung direkt nachweis-
bar ist In den Fällen der sukzessiven Wissensaktualisierung ist
auch hier die Wissensaktualisierung mit einer einzigen Ausnahme
direkt nachweisbar, dagegen bei den immittelbaren Wissens-
aktualisierungen nur noch in einem Drittel der Fälle; in einem
zweiten Drittel ist die Wissensaktualisierung noch indirekt, in
einem weiteren Drittel aus dem Protokoll überhaupt nicht mehr
nachweisbar.
Wir kennen jetzt die zwei im engsten Konnex miteinander-
stehenden Hauptbedingungen des Zurücktretens der Wissens-
aktualisierung im Bewußtsein:
1. die wachsende Geläufigkeit eines Wissens,
2. den selbst wieder durch die wachsende Geläufigkeit des
Wissens bedingten Übergang von der sukzessiven Wissensaktuali-
sierung zur unmittelbaren.
Mit Hilfe der Kenntnis dieser Bedingimgen sind wir nun
imstande, noch eine Reihe weiterer tatsächlicher Ergebnisse
verständlich zu machen, die aus der Tabelle hervorgehen.
Betrachten wir die 4 Au^;aben in Ziff. 3— B und 7, bei denen
sämtliche Protokolle, bezw. sämtliche Protokolle der Haupt-
instruktion mitgeteilt sind^), und stellen wir uns zunächst auf
den Standpunkt, daß nur die nachweisbaren Wissensaktuali-
sierungen als Wissensaktualisierungen angesehen werden dürfen.
Wir haben dann bei der Wahlrechtsaufgabe ausschließlich
Wissensaktualisierungen, bei den drei anderen Aufgaben da-
gegen nur in 7 von 16 Fällen (44®/o). Dies entspricht jedoch
keineswegs dem, was man nach der Art der betreffenden Auf-
gabe erwarten sollte. Wie bei der Wahlrechtsaufgabe, so handelt
*) Zwei weitere ProtokoUe der Aufgabe Ziflf. 4 kommen nicht in Betracht,
da Schuld als Geldschuld aufgefaßt wurde.
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9. Die gesetiiiihen Entstehangsbedingungen der unvermUtelten Lösungen. T7
es sich auch bei den drei übrigen Aufgaben um Begri£fsyerhalt-
nisse, bei denen das Vorhandensein eines schon bestehenden
Wissens sehr wahrscheinlich ist. Der tibergeordnete Begriff zu
Haß, die Folge der Schuld, der Gegensatz zu Erregung sind bei
philosophisch und psychologisch Gebildeten mindestens ebenso
geläufige Dinge als die Arten des Wahlrechts. Vor allem aber
deutet das Vorkommen von unmittelbaren Wissensaktualisierungen
und die beträchtUch kürzeren Reaktionszeiten bei den nachweis-
baren Wissensaktualisierungen dieser Aufgaben darauf hin, daß
das Wissen, soweit es nachweisbar ist, höhere Geläufigkeit besaß
als bei der Wahlrechtsaufgabe. DurchschnittUch größere Geläufig-
keit eines im Leben erworbenen Wissens läßt aber auf die größere
Häufigkeit seiner Aktuaüsierung bei entsprechender Aufgabe eben-
so mit Wahrscheinlichkeit schließen, wie die durchschnittlich
größere Geläufigkeit von Berührungsassoziationen auf die durch-
schnittlich größere Häufigkeit ihres Auftretens^). Es muß also
erwartet werden, daß die Zahl der Wissensaktualisierungen bei
den Angaben in Ziff. 3—5 hinter der Zahl der Wissensaktuali-
sierungen bei der Wahlrechtsau|gabe nicht zurückbleibt. Dieser
Erwartung entspricht auch das Ergebnis, sobald wir uns der uns
nunmehr zu Gebote stehenden Mittel zur Erklärung der unver-
mittelten Lösungen bedienen.
Wir werden dann sagen: Sowohl aus der Art der Angabe
wie aus den kürzeren Reaktionszeiten bei den nachweisbaren
Wissensaktualisierungen folgt die zu erwartende größere Geläufig-
keit eines der Aufgabe entsprechenden Wissens in den drei Auf-
gaben in Ziff. 3 — 5 gegenüber der Wahlrechtsaufgabe. Eine Folge
dieser größeren Geläufigkeit ist aus den Protokollen direkt nach-
weisbar, nämlich der teilweiBe Übergang zur unmittelbaren
Wissensaktualisierung, während die Wahlrechtsaufgabe nur suk-
zessive Wissensaktualisierungen zeigt. Der größeren Geläufig-
keit eines Wissens überhaupt und dem Übergang zur unmittel-
baren Wissensaktualisierung insbesondere entspricht aber eine
Tendenz zum stäi^eren Zurücktreten der Wissensaktualisierung
im Bewußtsein. Diese Tendenz kommt im vorliegenden Falle
zum Ausdruck in dem Auftreten von unvermittelten Lösungen,
in denen eine Wissensaktualisierung überhaupt nicht nachweis-
Vgl. oben a 44.
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78 Absdui, /. Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisierungen usw.
bar ist. Nehmen wir an, daß die unvermittelten Lösungen bei
den drei Aufgaben Wissensaktualisierungen sind, so erhalten
wir ebenso wie bei der Wahlrechtsaufgabe 100 ^o Wissensaktuali-
sierungen. Die zu erwartende größere Geläufigkeit des Wissens
gegenüber der Wahlrechtsaufgabe aber kommt in der Verteilung
der Wissensaktualisierungen nach ihren Arten und nach ihren
Ausprägungsformen im Bewußtsein deutlich zur Erscheinung.
Von 16 FäUen sind nur noch 5 sukzessive WissensaktuaUsierungen,
d. h. 31^0 (aus den Protokollen nachweisbare sukzessive Wissens-
aktualisierungen sogar nur 4, d. h. 25 ^/o), 11 dagegen, d. h. 69 ^/o
sind unmittelbare Wissensaktualisierungen. Direkt nachweisbar
ist die Wissensaktualisierung im Gegensatz zur Wahlrechtsauf-
gabe, bei der sie in allen FäUen nachweisbar war, nur noch in
7 von 16 Fällen, d. h. 44 ^/o; in 4 Fällen, d. h. 26 «/o, ist sie noch
indirekt, in 6 Fällen, d. h. 31 ^/o aus dem Protokoll überhaupt
nicht mehr nachweisbar. Der Zusammenhang zwischen Geläufig-
keit und Häufigkeit des Auftretens von Reproduktionen ist von
Thumb und Marbe zunächst für Assoziationen nachgewiesen
worden*). Unsere Ergebnisse sprechen für die soeben erwähnte
naheliegende Annahme, daß ein analoger Zusammenhang auch
für Wissenskomplexe besteht. Je größer die durchschnittliche
(Geläufigkeit eines Wissens ist, desto häufiger werden die ent-
sprechenden WissensaktuaUsierungen auftreten.
Eine ähnliche Verteilung finden wir auch bei den Aufgaben
Tod — Nebenordnung und Wirkung — Biß (ZiflF. I und 6 der Tabelle).
Die Art der Aufgaben, die Reaktionszeiten und die Angaben der
Vpn. berechtigen zu der Annahme, daß auch hier die Verteilung
auf die vier Gruppen ihre Entstehung denselben Bedingungen
verdankt, wie bei den drei zuerst besprochenen Angaben. Be-
ziehen wir diese zwei Aufgaben in die Berechnung ein, so er-
halten wir folgenden Ausdruck des Einflusses der Geläufigkeit auf
die Verteilung der Wissensaktualisierungen nach Art und Form
der Ausprägung bei den fünf Aufgaben. Von 28 Fällen sind nur
noch?, d.h. 25 7o, sukzessive Wissensaktualisierungen; ihnen stehen
21 FäUe, d. h. 75 ^/o, unmittelbare Wissensaktualisierungen gegen-
über. Dementsprechend ist die Wissensaktualisierung nur mehr in
*) A. Thumb und K. Marbe : Experimentelle Untersuchungen über die psycho-
logischen Grundlagen der sprachlichen Analogiebildung (Leipzig 1901) UL
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9. Die gesetzlichen Entstehungshedingungen der unvermittelten Lösungen, 79
13 Fällen, d. h. 46 >, nachweisbar, in 7 Fällen, d. h. 25^0, ist sie
noch indirekt, in weiteren 8 Fällen, d. h. 29%, aus dem Protokoll
überhaupt nicht nachweisbar. Die Zahlen stimmen mit den bei
Zugrundelegung von nur 3 Aufgaben gefundenen wenigstens an-
nähernd tiberein, wenn man berücksichtigt, daß bei der geringen
Zahl der Fälle schon ein einziger Fall eine relativ große Ver-
schiebung der Prozentzahlen hervorruft. Nach unserer Feststellimg
würde also bei einer durchschnittlichen Geläufigkeit, bei der nur
noch in einem Viertel der Fälle eine sukzessive Wissensaktuali-
siening erfolgt, nur mehr in etwa der Hälfte der Fälle eine
Wissensaktualisierung aus dem Protokoll direkt nachweisbar sein.
Der Grund wäre darin zu suchen, daß die sukzessive Wissens-
aktualisierung fast immer, die unmittelbare Wissensaktualisierung
auf der betreffenden Stufe durchschnittlicher Geläufigkeit des
aktualisierten Wissens nur noch in einem Drittel der Fälle aus
dem Protokoll direkt nachweisbar ist (Vgl. S. 76.) Wie weit
das zuletzt angeführte Verhältnis auch bei einem ausgedehnteren
Material bestehen bleibt, muß natürlich dahingestellt bleiben.
Es wäre auch zu prüfen, ob bei einem wissentUchen Verfahren
der Bruchteil der direkt nachweisbaren Wissensaktualisierungen
sich nicht als ein höherer herausstellt
Es ist noch darauf hinzuweisen, daß sich die Berechtigung
der Auffassung der unvermittelten Lösungen als Wissensaktuali-
sierungen, wenn wir von dem geringen Umfang des Materials ab-
sehen, auch schon mit Hilfe der Statistik der qualitativen Versuchs-
ergebnisse allein sehr wahrscheinlich machen läßt, ohne daß wir
die aus der eingehenderen Analyse der Protokolle und aus den Re-
aktionszeiten gezogenen Folgerungen mithereinzuziehen brauchen.
Wir fanden das in Tabelle 3 zusammengestellte Ergebnis:
Tabelle 3.
sukzessive W.
(direkt nachw.)
unmittelbare W.
unvermittelte L.
(ohne direkt
nachweisb.W.)
Bei der
Wahlrechtsaufgabe
100 ^/o
Bei den
5 anderen Aufgaben
25 >
26 >
60 «/o
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80 Abiduu L Die uiwermiäeUen LOmu^pi ais WtssmsaktuaUdenmgen usw.
Das voUständige Fehlen von unvennittelten Losungen war
demnach verbunden mit dem ausschließlichen Vorkommen von
sukzessiven Wissensaktualisierungen; umgekehrt traten mit
den unmittelbaren Wissensaktualisierungen auch zugleich die
imvermittelten Lösungen [im engeren Sinne], also ohne direkt
nachweisbare Wissensaktualisierung, auf. Mit dem phänomeno-
logisch einfacheren Prozeß der unmittelbaren Wissensaktuali-
sierungen erschien also zugleich auch der phänomenologisch
einfachste Prozeß der völlig unvermittelten Lösungen, und zwar
geschah dies, wie Tabelle 3 zeigt, übereinstimmend bei allen
fünf Angaben. Es ist sehr imwahrscheinlich, daß dieses Zu-
sammentreffen ein bloßer Zufall ist. Dagegen ist es die ein-
fachste Erklärung, anzunehmen, daß die unvermittelten Lösungen
im engeren Sinne ebenfalls Wissensaktualisierungen sind, die nur
infolge des glatten und von Nebenerscheinungen nicht begleiteten
Ablaufs nicht als solche im Bewußtsein hervortreten. Diese An-
nahme hat zu^eich den Vorteil, daß nach ihr dem phänomeno-
logisch einfacheren auch der einfachere reale Prozeß entspricht').
Wenn wir noch die Statistik auf S. 48 f. heranziehen, so können
wir unter ausschließlicher Berufung auf die Statistik der qualita-
tiven Versuchsergebnisse noch einen weiteren Grund für die Auf-
&ssung der völlig unvermittelten Lösimgen als Wissensaktuali-
sierungen beibringen. Von den sieben unmittelbaren Wissens-
aktualisierungen der Gruppe von fünf Angaben fehlt nur bei
einer einzigen das Bewußtsein von Nebenumständen. Es ist nun
sehr unwahrscheinlich, daß so wenige Fälle von unmittelbaren
Wissensaktualisierungen ohne das Bewußtsein von Nebenumständen
vorkommen sollen. Es ist vielmehr auch hier das nächstliegende,
anzunehmen, daß die unvermittelten Lösungen, die überall mit
den unmittelbaren Wissensaktualisierungen zusammen auftraten,
die vermißten unmittelbaren Wissensaktualisierungen ohne die
Mitreproduktion von Nebenumständen darstellen.
Sehen wir schließlich, wie weit die Mittelwerte der Reaktions-
zeiten mit unseren Ergebnissen im Einklang stehen. Eine große
') Zum realen Prozeß gehört auch das, was im Bewußtsein nicht hervor-
tritt, sei es, daß es nur nicht bemerkt wird, sei es, daß es völlig unbewußt
ist. Ob dieser reale Prozeß als ein psychischer im engeren Sinne oder als ein
rein physiologischer Prozeß zu denken ist, ist hier gleichgültig.
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9. DU gnttMlkhen EnMeHMUtgsimdingiuignn ägr tmotrmiäeUen Lösungen. 81
Bedeutung kann dem positiven oder negativen Aus&ll einer solchen
Berechnung nicht beigelegt werden, weil die zur Verfügung
stehende Zahl der Versuche zu gering und die Streuung der
Werte zu groß ist. Namentlich kommt auch in Betracht, daß
bei unserem Verfahren die Reaktionszeit nicht nur von der
Sdiwierigkeit der Au^;abe, sondern auch von der jeweils zu ihrem
Verständnis nötigen Zeit abhing« Bei den Vorteilen, welche das
Verfahren mit variierender Au^^abe in der gewählten Form für
die qualitative Analjnse bot, mußte dieser Mißstand mit in Kauf
genommen und die Gewinnung exakterer Ergebnisse aus den
Reaktionszeiten besonderen ergänzenden Untersuchungen vor-
behalten werden, bei denen wohl am besten ein wissentliches
Verfahren einzuschlagen wäre.
Tabelle 4 gibt die aus Tabelle 2 (S. 68) berechneten Mittel-
werte an. Ausgeschaltet wurden die Versuche in Ziffer 7 und 16,
weil die Reaktionszeit bei ihnen zum Teil auf die Au^abenhäufung
zurückzuführen ist, femer Ziffer 10, weil diese Versudie aus der
Nebenreihe herrühren, bei der die Au%abe vorher bekannt war.
Tabelle 4.
sukzess. W.
dirdct nachw.
umnittelbareW.
unverm. L. mit
indir.nachw.W.
unvenii.L.ohne
nachweisb. W.
a.M.
3,8
8,4
3,8
8,2
Z.
2,8
3,2
2,8
2,8
m.V.
1,5
0,7
1,2
0,9
n»)
14
8
13
10
Die Reaktionszeiten stehen nach dieser Tabelle mit der Auf-
fassung der unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisierungen
mindestens nicht im Widerspruch. Daß das arithmetische Mittel
bei der sukzessiven Wissensaktualisierung den entsprechenden Wert
bei den nachweisbaren unmittelbaren Wissensaktualisierungen nur
um einen relativ geringen Betrag übersteigt, hat seinen Grund
darin, daß wir gerade die Fälle bei der Berechnung von Mittel-
werten ausscheiden mußten, in welchen nach den Protokollen
*) n == Anzahl der Versuche.
Seil, Ob«r die Oetetse des geordneten DenkrerUab. 6
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82 Absdm, /. Die imoermitteiten Löumgen als WissensaktualisUnmgien usw,
die Bedeutung der sukzessiven Wissensaktualisierungen bei weniger
geläufigem Wissen am deutlichsten zum Ausdruck kam. Darauf
aber, daß die sukzessive Wissensaktualisierung auch sehr rasch
zum Ziele führen kann, wurde sdion früher hingewiesen ^). Unter
den bei der Berechnung berücksichtigten Versuchen überwiegen
die kurzzeitigen sukzessiven Wissensaktualisierungen. Daherkommt
es auch, daß der Zentralwert hinter dem bei den nachweisbaren
unmittelbaren Wissensaktualisierungen gefundenen zurückbleibt
Die hohe mittlere Variation bei der sukzessiven Wissensaktuali-
sierung ist ebenfalls dadurch bedingt, daß unter diese Gruppe
Wissensaktualisierungen von ganz verschiedener Geläufigkeit des
Prozesses fallen. Von den beiden höchsten Werten der dritten
Kolumne der Tabelle 2 ist der eine (G B,8") nach dem Protokoll durch
eine besondere Schwierigkeit beim Verständnis der Angabe, der
andere (D 6,4'0 dadurch entstanden, daß die Vp. zuerst eine andere
Richtung hatte. Der höchste Wert der vierten Kolumne (G 6,8") ist
dadurch bedingt, daß die Vp. die erste Lösung nicht beibehielt,
sondern durch eine andere verbesserte. Lassen wir diese Werte
unberücksichtigt, so erhalten wir für die unvermittelten Lösungen
beider Gruppen übereinstimmend: a. M. 2,8", Z. 2,6". Die größere
Geläufigkeit des Prozesses bei den unvermittelten Lösungen kommt
dann also deutlicher zimi Ausdruck.
Wir erinnern ims hier der schon erwähnten Tatsache, daß
Watt bei einer unseren unvermittelten Lösungen entsprechenden
Gruppe von Reaktionen die kürzesten Reaktionszeiten fand'). Wir
können hinzufügen, daß nach den Feststellungen Watts solche
unvermittelte Lösungen bei den begrifflichen Aufgaben Über-
ordnung und Unterordnimg am häufigsten vorkamen, also bei Auf-
gaben, bei denen ihrer Natur nach die Gelegenheit zur Anwendimg
eines geläufigen begrifflich fixierten Wissens am größten sein
mußte. Auch unsere Versuche lehren, daß die unvermittelten
Lösungen mit Vorliebe dort auftreten, wo ein begrifflich fixiertes
Wissen zu Gebote steht. (Vgl. Tabelle 2 und namentlich S. 46 ff.,
Bl f., 58 f., 76 ff., auch 27 f.)
^ Vg^.oben S.78f.
•) Vgl. oben S. 52.
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10, Hauptergebnisse, 88
§ 10. Hauptergebnisse.
Die Ergebnisse dieses Abschnitts führen uns zu der Annahme,
daß die unvermittelten Lösungen bei Aufgaben, bei denen ein
bestimmtes Begrifibveiiiältnis oder eine bestinunte Beziehung
zwischen einem Ausgangsgegenstand und dem gesuchten Gegen-
stand gefordert ist, zum großen Teil Wissensaktualisierungen sind.
Die Methode, die wir bei diesem Nachweis befolgten, war
im wesentlichen folgende:
1. Wir zeigten, daß stufenweise Übergänge vom deut-
lichsten Hervortreten einer Wissensaktualisierung im Bewußtsein
bis zu jenen unvermittelten Lösungen stattfinden, bei denen die
Aufeinanderfolge von Reiz- und Reaktionswort scheinbar durch
eme unmittelbare Berührungsassoziation zwischen ihnen bedingt ist
2. Wir konnten zeigen, daß bei gleicher Aufgabe,
gleichem Reizwort und gleicher oder analoger Reaktion
die verschiedensten Abstufungen der Ausprägung einer Wissens-
aktualisierung im Bewußtsein nebeneinander und neben
scheinbar rein berührungsassoziativ bedingten Re-
aktionen vorkommen.
3. Wir fanden in der wachsenden Geläufigkeit eines Wissens
und in dem mit dieser Geläufigkeit im engsten Zusammenhang
stehenden Übergang von der sukzessiven zur immittelbaren Wissens-
aktualisierung die Bedingungen für das Zurücktreten der
Wissensaktualisierung im Bewußtsein.
4. Bei einer Gruppe von Versuchen ließ sich eine Statistik
derVerteilung der Wissensaktualisierungen nach ihren
Arten und Ausprägungsformen im Bewußtsein durch-
führen. Wo die in Ziffer 3 angeführten Bedingungen für das
Zurücktreten der WissensaktuaUsierung im Bewußtsein fehlten,
fehlten auch die unvermittelten Lösungen. Wo sie gegeben waren,
traten zugleich mit den direkt nachweisbaren auch die nur mehr
indirekt nachweisbaren unmittelbaren Wissensaktualisierungen und
die scheinbar rein assoziativ bedingten unvermittelten Lösungen auf.
Nicht um eine durch die Wirksamkeit der Aufeabe verstärkte
unmittelbare Berührungsassoziation zwischen Reiz- und Reaktions-
wort bezw. den entsprechenden Vorstellimgen handelt es sich
also bei den von uns untersuchten unvermittelten Lösungen, sondern
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84 Absduu /. Die itnvermiänitm LOaungen ats Wissensakätaüsierungen usw.
um die Reproduktion eines Beziehungsganzen, dessen Glieder
Reiz- und Reaküonswort bezw. die ihren Bedeutungen entsprechen-
den Bewußtseinserlebnisse und deren Dispositionen bilden. Nicht
die Dispositionen eines blofien Nebeneinander von Vorstellungen,
sondern die Dispositionen des Bewußtseins von Sachveriifiltniss^i,
ein dispositionelles Wissen und dessen Aktualisierung, lagen den un-
vermittelt»! Lösungen zugrunde. Daß solche Wissensdispositicmen
komplexe Einheiten sind, die sich nicht resttos in die bloße
assoziative Aneinanderreihung von Vorstellungen bezw. der ent-
sprechenden Reproduktionsgrundlagen auflösen lassen, wird un
folgenden Abschnitt dargetan werden. Dort wird sich auch heraus-
stellen, daß die Eonstellationstheorie nicht ausreicht, um die Auf-
gabeltfsung durch Wissensaktualisierung verständlich zu machen,
daß sie vielmehr durch eine Theorie der Eomplexergänzung er-
setzt werden muß. Schon jetzt können wir feststellen, daß die
Eiklärung der Versuche mit sogenannten eingeengten Assoziationen
mit Hilfe der Annahme einer durch den Einfluß der Aufgabe ver-
stärkten unmittelbaren Berührungsassoziation zwischen Reiz- und
Reaktionsvorstellung nicht einmal auf den phänomenologisch ein-
fachsten Fall der Aufgabelösung, auf die unvermittelten Lösungen,
angewendet werden darf, bei denen der Anschein am meisten ffir
eine solche Erklärung zu sprechen schien.
Dem Nachweis der imvermittelten Lösungen als Wissens-
aktualisierungen kommt auch aus einem anderen Grunde eine all-
gemeine Bedeutung zu. Er lehrt ims, daß die Aufeinanderfolge
der im Bewußtsein hervortretenden Erlebnisse nur mit größter
Vorsicht der Eridärung der gesetzmäßigen Zusammenhänge zu-
grunde gelegt werden darf, weil sie häufig nur ein unvollständiges
Büd von den realen Prozessen gibt Wo es sich nicht um bloße
Beschreibung, sondern mn die Erklärung eines psychischen (Ge-
schehens handelt, ist es von größter Bedeutung, die einzelnen
Verlaufeformen gemeinschaftlich zu untersuchen und miteinander
zu vergleichen. Wir erlangen damit namentlich die Möglichkeit,
durch die Auffindimg gradueller Abstufungen und vielleicht auch
genetischer Beziehungen zwischen ihnen eine richtigere Einsieht
in die realen Zusammenhänge zu erhalten, als wenn wir uns auf
die isolierte Anal}rse einzelner Verlaufeformen beschränk^i. Vor
allem können wir das wichtige Prinzip aufstellen, daß die
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10. Hauptergebnisse. 85
einfache Aufeinanderfolge von VorBtellungen ohne
bewußte Beziehungen zwischen ihnen keinen SchluB
darauf zuläßt, daß die Reproduktion durch die un-
mittelbare Berührungsassoziation zwischen ihnen
bedingt ist^. Unsere Untersuchungen über freie Assoziationen
werden zeigen, daß dieser Satz auch für Assoziationsversuche
ohne Au^abestellung gilt Fälle einer rein automatischen Re-
aktion, die jedoch nur durch die Annahme eines vorhandenen
Wissens erklärt werden konnten, waren es auch in erster Linie,
welche Marbe in seinen experimentell-psychologischen Unter-
suchungen über das Urteil zur Aufstellung des Satzes führten,
daß ein Wissen niemals im Bewußtsein gegeben sein ktfnne').
Die anscheinende Selbstverständlichkeit dieses Satzes, dem schon
die späteren Ergebnisse von Acb und Bühler entgegenstanden,
rührt daher, daß Marbe nicht zwischen dispositionellem und
aktuellem Wissen unterschied. Ein dispositionelles Wissen, d. h.
die Wissensdisposition, kann niemals bewußt werden. Das dis-
positionelle Wissen kann aber aktuell werden, und dieses aktuelle
Wissen kann im Bewußtsein deutlich als Wissen nachweisbar
sein; es kann aber auch als solches im Bewußtsein nicht erkenn-
bar hervortreten; es kann also in diesem Sinne sowohl bewußt
als unbewußt sein. Die von Marbe untersuchten Fälle waren
mdst Fälle, bei denen ein geläufiges Wissen in Frage kam; sie
waren daher naturgemäß namentlich von der letzteren Art
Bei der Untersuchung der Bedingungen des Zurücktretens
der Wissensaktualisierung im Bewußtsein fanden wir, daß ein
Wissen, also das Bewußtsein von einem Sachverl^tnis, ebenso
verschiedene Stadien der Geläufigkeit durchlaufen kann, wie eine
einfache Berührungsassoziation. Für uns kommt dieser Tatsache
aus zwei Gründen eine besondere Wichtigkeit zu.
1. Sie zeigt, daß bei identischer Aufgabe die Kürze der Re-
aktionszeiten und die Häufigkeit des Auftretens einer Reaktion
ebensogut vom Grade der Geläufigkeit eines der Aufgabe ent-
h) den Untersudiungen von Michotte-Prfim und Michotte-Ransy scheint
dieser Schluß vidiach als eine sdbstverständliche Voraussetzung angewendet
zu werden.
") K. Marbe, Experimentell-psychologische Untersudiungen Ober das UrteU
(Leipzig 1901) S. 91 f.
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86 Absdm. L Die unvermitUUen Lösungen als Wissensaktuaiisierungen usw.
sprechenden Wissens abhängen kann als von der Geläufigkeit
einer unmittelbaren Berührungsassoziation zwischen Reiz- und
Reaktionswort, wie auch Watt noch ftnnftliTn.
2. Sie weist darauf hin, daß eine Reproduktion ebenso von
der Konkurrenz verschiedener Wissenskomplexe nach dem Grade
ihrer Geläufigkeit als von der Konkurrenz unmittelbarer BerOhrungs-
assoziationen abhängen kann. Diese Möglichkeit kommt ebenso
wie die in Ziff. 1 erwähnte auch für freie und unwillkürliche
Reproduktionen in Betracht Namentlich aber dürfen wir an-
nehmen, daß bei Versuchen mit Aufgaben, die eine mehrfache
Lösimg zulassen, die Entscheidimg zwischen ihnen vielfach durch
die Konkurrenz verschiedener Wissenskomplexe nach dem Grade
ihrer Geläufigkeit herbeigeführt wird. Das Bewußtsein von einer
mehrfachen Richtung braucht nicht durch die Konkurrenz ver-
schiedener vom Reizwort ausgehender Reproduktionstendenzen ver-
anlaßt zu sein ^), sondern kann auf der Konkurrenz verschiedener
der Aufgabe entsprechender Wissenskomplexe beruhen.
Da ein Wissen häufig als solches im Bewußtsein nicht her-
vortritt, so ist es begreiflich, daß vieles als rein assoziative Auf-
einanderfolge und als Konkurrenz verschiedener vom Reizwort
ausgehender Reproduktionstendenzen erscheint, während in Wirk-
lichkeit die Aktualisierung eines geläufigen Wissens oder die Kon-
kurrenz verschiedener Wissenskomplexe vorliegt. In Versuchen,
bei denen die Vpn. wie bei Reaktionsversuchen mit exakter Zeit-
messung auf möglichst schnelle Reaktion bedacht sind, ist wegen
der mit dieser Tendenz verbundenen Verkürzung der Prozesse
die Gefahr einer Täuschung über die Natur der betreffenden Vor-
g^Uige durch den unmittelbaren deskriptiven Befund besonders
groß»).
Wir fanden nicht nur verschiedene Formen der Auspi^igung
der Wissensaktualisierung im Bewußtsein, sondern auch zwei
verschiedene Arten der Wissensaktualisierung, nämUch die un-
mittelbare und die sukzessive Wissensaktualisienmg. Mit der
sukzessiven Wissensaktualisierung traten bereits kompliziertere
Prozesse der Aufgabelösung in den Kreis der Betrachtung. Wir
fanden, daß durch die ersten Phasen der sukzessiven Wissens-
') Vgl. oben S. 44 Anm. 8.
*) Vgl. auch die Verteilung der H>- fälle in der Tabelle 2.
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W. Hauptergebnisse. 87
aktuaüjsienmg das Bewußtsein von einem der Aufgabe ent-
sprechenden Wissensbesitz entstehen und das Motiv ftlr einen
aktiven Appell an das Gedächtnis '), d. h. ftlr eine selbstgestellte,
auf die Aktualisierung des betreffenden Wissens gerichtete Unter-
auf gäbe werden kann. Schon dadurch, daß ein solcher Appell
an das Gredächtnis erfolgt, also die Bereitstellung von Lösungs-
methoden für eine selbständige Ltfsung überflüssig wird, erhält
der Prozeß eine bestimmtere Richtimg. Das in den ersten Phasen
der sukzessiven Wissensaktualisierung aktualisierte Wissen kann
aber dem weiteren Verlauf auch dadurch eine bestimmtere Rich-
tung geben, daß es eine Transformation der Aufgabe imd zwar
eine Vertauschung des ursprünglichen Ziels mit einem spezielleren
und hierdurch die Aktualisierung eines geläufigeren Wissens er-
möglicht. Als Voraussetzimg der Entstehung einer sukzessiven
Wissensaktualisierung erkannten wir den Umstand, daß das ab-
straktere Wissen, daß ein noch nicht direkt bestimmter Gregen-
stand in bestimmten Beziehungen zu anderen Gregenständen steht *),
in derartigen Fällen geläufiger oder sonst leichter aktualisierbar
ist als das konkretere Wissen, welches der in den betreffenden
Beziehungen stehende Gregenstand ist. Die Aktualisierung des
abstrakteren Wissens kann hierbei die Aktualisierung des ihm
entsprechenden konkreteren Wissens in Bezug auf denselben Gegen-
stand vermitteln. In einem solchen abstrakteren Wissen kann der
Gegenstand, dessen direkte Bestimmung gesucht ist, durch ein
ganzes Netz von Beziehungen zu anderen Gegenständen indirekt
bestimmt sein, und dieses abstraktere Wissen kann der Aktuali-
sierung des konkreteren Wissens dienen, welches der in dieses
komplexe Beziehungsnetz verflochtene Gegenstand ist.
In einigen Fällen trat in unseren Protokollen schon die Be-
deutung der Wissensaktualisierung für die kritische Beurteilung
und Berichtigung einer ursprünglichen Lösung zutage^, ein
Vorgang, der uns im weiteren Verlauf der Untersuchung noch
in eingehender Weise beschäftigen wird. Die Analyse der bisher
^ Den Gegensatz hierzu bildet der Versuch einer „selbständigen Lösung**,
d. h. die Anwendung bestimmter Lösungsmethoden zur Gewinnung einer neuen
Erkenntnis.
*) Dieser Gegenstand kann auch eine Beziehimg sein. Vg^. oben S. 70
Anm. 1.
•) Vgl S. 38, 37 f., 41 f.
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SB Absdui. /. Die tmvermitMien Lömmgpi als Wiase n sa kt u aK si e nmgen usw.
angeführten Fttlle wies bereits darauf hin, daß gerade die Prozesse
bei der Prüfung und Beriditigung einer Lösung vom Standpunkt
einer Konstellationstheorie, nadi der die Reaktion auf einer durch
den Einfluß der Aufgabe nur verstärkten unmittelbaren BerOhrungs-
assoziation swischen Reiz- und Reaktionswort beruhen würde,
nicht versttfndlidi sind.
Wir haben in der bisherigen Untersuchung eine Analjrse
der AufgabelOsungen durch Wissensaktualisierung nach den
Arten der Wissensaktualisierung und ihren Ausprtfgungsformen
im Bewußtsein vorgenommen. Dabei sind uns auch schon eine
Reihe von Schwierigkeiten entgegengetreten, die sich fttr eine
Eonstellationstheorie bei der ErkUüimg dieser Wissensaktuali-
sierungen ergeben. Eine weitere Aufgabe wird es nun sein, die
Gesetzmäßigkeiten festzustellen, welche dem Prozeß der Angabe-
lOsung durch WissensaktualisiiBrung zugrunde hegen.
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/. Die KompkxüSioxiation. 89
Zweiter Abschnitt.
Die Theorie der Wissensaktualisierung.
Wie schon angedeutet wurde, gehört die Aufgabeltfsung durch
Wissensaktualisierung zur Klasse derjenigen Reproduktionen, bei
denen komplexe Verbände beziehungsweise komplexe Bestandstücke
von solchen als nicht weiter zerlegbare Einheiten beteiligt sind.
Die Bedeutung, welche dieser Klasse von Reproduktionen zukommt,
und die eigentümlichen Gesetzmäßigkeiten, die sie beherrschen,
werden noch nicht immer ausreichend gewürdigt. Bevor daher
auf den speziellen Fall der Aufgabelösung durch Wissensaktuali-
sierung eingegangen werden kann, müssen zuerst einfachere und
zum Teil schon bekannte Fälle solcher Reproduktionen erörtert
werden. Diese Voruntersuchung wird zugleich das Verständnis
anderer Verlaufsformen der Au^abelösung vorbereiten, bei denen
es sich nicht um Wissensaktualisierung, sondern um die Repro-
duktion anschaulicher Komplexe handelt.
L Die Komplexassoziation.
§. 1. Die Theorie der Komplexreproduktion.
Nehmen wir an, der Zuruf des Zahlwortes „sieben** wecke in
einer Vp. die visuelle Vorstellung der geschriebenen arabischen
ZilSer 7. Dieser Vorgang scheint zunächst nadi Anerkennung des
Prinzips der BerUhrungsassoziation keine Schwierigkeiten mehr zu
bieten; er beruht eben darauf, daß gleichzeitig stattgefundene
psychische Vorgänge die Tendenz haben, einander zu reprodu-
zieren. Dennoch läßt eine derartige Reproduktion an sich zwei
vollständig verschiedene Arten der Erklärung zu:
1. Man kann sagen, jeder der einzelnen Laute des Zahlwortes
sei vom Zeitpunkte der Erlemimg des Zahlenlesens und -Schreibens
an imzählige Male mit dem Schriftbild der Ziffer 7 zugleich im
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90 Abschn. 2, Die Theorie der Wissensaktuaäsietung.
Bewußtsein gewesen und habe hierdurch mit diesem eine feste
Berührungsassoziation eingegangen. Jeder dieser Laute stehe nun
freilich in ebenso festen Berührungsassoziationen mit unzahligen
anderen Wort- und Sachvorstellungen. Indem aber von allen 5
das Zahlwort „sieben'' konstituierenden Lauten eine Reproduktions-
tendenz ausgehe, die auf die Reproduktion der Ziffer 7 gerichtet
sei, trete das Gesetz in Wirksamkeit, daß mehrere Reproduktions-
tendenzen mit gemeinschaftlichem Elndglied einander untersttttz^i.
Hierdurch entstehe eine Reproduktionstendenz, die an Stärke alle
Reproduktionstendenzen übertreffe, welche nur von einem oder
einigen der Laute ausgehen, und es werde daher nur diejenige
Assoziation überwertig, die allen 6 Lauten gemeinsam sei. Die
Reproduktion des Schriftbildes der Ziffer durch das Zahlwort würde
also auf die konstellierende Wirkung der von den einzelnen Lauten
des Zahlworts ausgehendenReproduktionstendenzen zurückzuführen
sein^). (Eonstellationstheorie.)
2. Einer solchen, die assoziierte Wortvorstellung in isolierte
Elemente auflösenden Theorie kann die Ansicht gegenübei^gestellt
werden, nicht die einzelnen Laute, sondern das 2^ahlwort als
Ganzes habe eine Berührungsassoziation mit dem Schriftbild der
Ziffer eingegangen, sodaß es innerhalb dieses assoziativen Ver-
bandes die Rolle eines letzten Elementes spiele. (Komplex-
theorie).
Zu den Vertretern einer Eonstellationstheorie muß auch Ebbing-
haus noch gerechnet werden. Dasselbe Erklärungsprinzip nämlich,
das für den besonderen Fall der Assoziation von Zahlwort und
Zifferbild gilt, wird auf jede Assoziation eines Wortes mit einem
Symbol oder einer Sachvorstellung Anwendung finden müssen.
Über einen besonders wichtigen Fall dieser Art aber, über das
Verhältnis des Wortes zu der ihm zugehörigen Bedeutungsvor-
stellung hat Ebbinghaus seine Ansicht mitgeteilt^. Alles was
man als Sinn, Zusammenhang und Zusammengehörigkeit be-
zeichnet, beruht nach ihm auf „mehrfachen Assoziationen
zwischen denselben Gliedern''. Wie die Glieder eines
Reimpaares einmal durch die Vermittelung der verbindenden Worte,
außerdem aber noch direkt durch den Gleichklang verbunden sind,
*) Vgl. oben S. 2.
*) GnmdsOge der Psychologie, 1. Bd., 2. Aufl. 1905. S. 700 ff.
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/. Die Komplexassoziation. 91
so sind auch die Laute eines sinnvollen Wortes in doppelter
Weise miteinander assoziativ verknttpft. ^Ein Wort hat Sinn, das
heißt: die in ihm enthaltenen Laute hängen nicht bloß in der
Weise zusanunen, die durch ihre Aufeinanderfolge gegeben ist,
sondern sie sind zugleich mit einer ihnen allen gemeinschafUichen
Vorstellung eines sichtbaren oder greifbaren Dinges, einer ein-
heitlichen Handlung u. dergl. verbunden^ '). Jeder Laut hat nicht
nur die Tendenz, die übrigen Laute, sondern auch die Tendenz,
die Sachvorstellung zu reproduzieren, die ihrerseits ebenfalls wieder
zur Reproduktion der übrigen Laute tendiert. So haben wir den
Fall einer „Verknüpfung derselben Glieder durch eine Mehrheit
von Assoziationsbahnen^ vor uns: „Von einem Ausgangsglied
gehen Reproduktionstendenzen nach verschiedenen Richtungen
aus, sie vereinigen sich aber wieder in demselben EndgUede/
Nicht das Wort als Ganzes, sondern die einzelnen Laute sind
mithin nach Ebbinghaus mit der Sachvorstellung assoziiert. Die
Reproduktion der letzteren bei gegebenem Worte müßte daher
als Eonstellationswirkung betrachtet werden. Der Hauptgrund
der Anwendung der Eonstellationstheorie zur Erklärung von
Komplexreproduktionen, d. h. von Reproduktionen von
Komplexen bezw. durch Komplexe ist in physiologischen Vor-
stellungen über die Entstehung der Empfindungen und die Lokali-
sation ihrer Reproduktionsgrundlagen in der Grroßhimrinde zu
suchen. Deutlich zeigt sich dies bei Ziehen. „Physiologisch,^
sagt Ziehen, „sind die meisten Vorstellungen keine Einheiten,
sondern nur psychologisch; demgemäß vollzieht sich nun tat-
sächlich auch die Gleichzeitigkeitsassoziation nicht zwischen
zwei einfachen Elementen a und b, sondern zwischen den zahl-
losen in a enthaltenen Teilvorstellungen respektive Talerregungen
und den ebenso zahlreichen inb enthaltenen^ *). Ebenso führt James,
der gleich&Us die Konstellation zur Erklärung des geordneten
Zusammenhangs im psychischen Geschehen heranzieht, alle Re-
produktionen auf das Zusammenwirken der Assoziationen zwischen
isolierten elementaren Gehimdispositionen zurück^.
*) a. a. 0. S. 700.
■) Th. Ziehen, Leitfaden der physiologischen Psychologie (9. Aufl.) S. 208.
*) W. James, The prindples of Psychology, VoL I (London 1890) S.566flF.
W. James, Psychologie, übersetzt von M. Dürr (Leipzig 1909) S. 266 ff.
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92 Absdm, 2. Die Theorie der WissensaJäualisierung.
Die Unhaltbarkeit der EonstellationsUieorie ergibt sich jedoch
aus folgender Überlegung. Würde die Reproduktion eines Sym-
bols oder einer Sachvorstellung durch ein Wort auf einer Eon-
stellationswirkung der einzelnen Laute beruhen, so würden diese
Laute in ihrer Gesamtheit auch dann eine sehr starke Tendenz
zur Hervorrufung des Symbols bezw. der Sachvorstellung er-
zeugen, wenn sie in ganz anderer Reihenfolge aufeinander folgten.
So würde etwa das akustische Wortbild ,,Ibsen^, namentlich mit
langem I gesprochen, eine starke Tendenz zur Reproduktion des
Zahlensymbols 7 hervorrufen, und diese Reproduktion würde vor
allem dann erfolgen, wenn einer Person der Name „Ibsen^ nicht
geläufig wäre und daher keine Reproduktionstendenzen anzureg^i
vermöchte. Wenn wir jemandem das Wort „verleiten" oder das
Wort „verteilen**, das Wort „verlaufen** oder das Wort „verfaulen"
zuriefen, immer bestände beim Hörer eine erhebliche Tendenz,
auch die dem anderen der beiden gleichlautigen Worte ent-
sprechenden Sachvorstellungen zu erzeugen. In den zuletzt er-
wähnten Fällen sind die Anlaute der Worte die gleichen, die
Berufung auf eine besonders starke Assoziation des Anlautes mit
der Sachvorstellung, durch dessen Wiederholung sie sofort in
hohe Bereitschaft gesetzt würde, würde also versagen. Auch die
trotz der Gleichheit der Laute bestehenden phonetischen Unter-
schiede sind nicht ausschlaggebend. Ähnliche Abweichungen
kommen z. B. bei der Aussprache durch Ausländer vor, ohne
daß sie die Entstehung der Sachvorstellung verhindern. Da nun
die soeben gezogenen Eonsequenzen der EonsteUationstheorie
der Erfahrung durchaus widersprechen, so zeigen sie indirekt
die Unzulänglichkeit der zugrunde gelegten Theorie. Die völlige
Verschiedenheit der Wirkung je nach der zeitlichen Anordnung
der Laute aber weist auf die Abhängigkeit der Reproduktion von
der speziellen zeitlichen Anordnung der Elemente hin, durdi
welche hier allein ein durch absichtliche oder unabsichtliche
Eigentümlichkeiten der Sprechweise nicht zu verwischender Unter-
schied gleichlautiger Worte geschaffen wird. Sobald wir jedoch
die zeitiiche Anordnung innerhalb der Lautkombinationen als maß-
gebend für die Reproduktion erklären, sind wir auch gezwungen,
die Eomplextheorie anzunehmen; denn die spezielle zeitliche
Anordnung von Lauten ist eine Bestimmtheit, die nicht den
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/. DU KompUxasMOMiation, 96
emzdnen Elementen des Lautkomplexes oder Gruppen von sol-
chen, sondern dem Komplex als Ganzem zukommt (Komplex-
bestimmtheit). Sie besteht darin» daß gerade solche, die allge-
meinen Merkmale der betreffenden Laute tragende Elemente in
dieser bestimmten zeitlichen Anordnung beisammen sind. Durch
sie unterscheidet sich also der Lautkomplex als Ganzes von
jedem Lautkomplex, der eine andere zeitliche Anordnung der-
selben Laute zeigt^).
Nur wenn wir uns den ganzen Lautkomplex und nicht oder
nur in untergeordnetem Maße seine isolierten Elemente mit dem
Symbol oder der Sachvorstellung assoziiert denken, wird die Be-
deutsamkeit der speziellen zeitlichen Anordnung der Laute fttr
die Reproduktion begreiflich (Komplexassoziation im Gegen-
satz zur Elementarassoziation). Sind die Komplexe und nicht die
Elemente assoziiert, so verstehen wir, daß nur ein Komplex von
Reicher Beschaffenheit, der also dieselben Laute in gleicher An-
ordnung enthält, auf Grund der vorhandenen Bertihrungsassoziation
die Reproduktion des Symbols, bezw. der Sachvorstellung herbei-
zuführen pflegt, wahrend die Konstellationswirkung der einzelnen
Laute ohne Rücksicht auf ihre Anordnung diesen Erfolg im all-
gemeinen nicht zu erzielen vermag.
Wie die akustisch-motorischen Wortvorstellungen, so unter-
scheiden sich rilumlich-zeitliche Vorstellungskomplexe jeder Art
durch die spezielle i^umlich-zeitliche Anordnung ihrer Elemente
von anderen Komplexen, welche dieselben Elemente in anderer
Anordnung enthalten. Sie haben eine sie als Ganze kennzeich-
nende Komplexbestimmtheit. Wir wollen solche räumlich-zeitliche
Komplexe Anschauungsganze nennen und können nun den
allgemeinen Satz aufstellen: Ist ftlr einen assoziativen Repro-
duktionsvorgang die rilumlich-zeitliche Anordnung der Elemente
eines Anschauungsganzen maßgebend, so beruht die Reproduktion
auf einer Komplexassoziation. Ist auch das andere Glied des
assoziativen ye]i)andes ein Anschauungsganzes und ist die i^um-
lich-zeitliche Anordnung der Elemente dieses Anschauungsganzen
fttr die Reproduktion maßgebend, so ist die Komplexassoziation
räie gegenseitige. Würde der assoziative Verband, dessen
^ Ob diese Komplexbestimmtheit eine nGestahqualitftt*' im Sinne von
V. Ehrenfels ist, kann dahingestdh bleU>en.
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94 Absdin. 2. Die Theorie der XTissensaktuaÜsiening.
Glied ein bestimmtes Anschauungsganzes ist, ausschließlich auf
einer Assoziation der Vorstellungen von Element zu Element be-
ruhen, so würde die nur dem Komplex als Ganzem eigentümliche
rilumlich-zeitliche Anordnung der Elemente (relativ zu ein-
ander) einen Einfluß auf die Reproduktion nicht auszuüben
vermögen.
Daß „komplexe Eindrücke als Ganzes reproduzierend wirken^)/
ist schon wiederholt hervorgehoben worden. Namentlich hat auch
Schumann bei Gelegenheit der Diskussion über die Ehrenfels'schen
„Gestaltqualitäten^ im Anschluß an die bekannten Diktate aus
G. E. Müllers Vorlesimgen auf diesen Umstand hingewiesen*).
Voraussetzung einer solchen Komplexwii^ung ist aber die An-
nahme, daß die Komplexe Verbindungen eingehen, welche nicht
in Verbindungen ihrer Elemente auflösbar sind. Wenn ich, um
das bekannte Ehrenfels'sche Beispiel für Gestaltqualitäten') heran-
zuziehen, eine Melodie als die eines bekannten Volksliedes erkenne
und benenne, so ist hierbei eine Konstellationstheorie der Elemente
möglicherweise vollständig ausgeschlossen; denn durch die ge-
wählte Tonart können die Elemente der Melodie den früheren
völlig unähnlich geworden sein. Bei Annahme einer Komplex-
assoziation wird es dagegen verständlich, daß die Wiederkehr
derselben Komplexbestimmtheit, nämlich derselben Tonschritte in
gleicher Aufeinanderfolge, die richtige Benennung herbeiführt^).
Umgekehrt ist es vom Standpunkte einer Konstellationstheorie
aus nicht einzusehen, warum eine Melodie trotz vollständig ver-
änderter Tonfolge nicht wiedererkannt werden soll, wenn nur die
einzelnen Töne dieselben sind. Ist die durch die Veränderung
*) 0. Külpe, Grundriß der Psychologie (Leipzig 1893) S. 193, 2ÜQ.
■) Siehe ferner unten S. 101.
•) V. Ehrenfels, Über Gestaltqualitäten, Viertel jahrsschrifl f. wiss. Philos.
14. S. 259.
*) Auch die Untersuchungen von Katharina von Maltzew (Das Erkennen
sukzessiv gegebener musikalischer Intervalle in den äußeren Tonregionen,
Zeitschr. f. PsychoL 64, S. 161) scheinen mir die Annahme zu rechtfertigen,
daß es sich bei den Tonschritten ebenso wie bei den verschiedenartigen Raum-
gestalten um charakteristische Komplexbestimmtheiten handelt Die Verfasserin
betont ausschließlich die charakteristische Beschaffenheit der verschiedenen
Tonschritterlebnisse, ohne ihre Unselbständigkeit hervorzuheben, welche diese
Erlebnisse nicht ab neue Elemente neben den einzelnen Tönen, sondern als
eigentfimliche Komplexbestimmtheiten an dem Tonkomplex erscheinen läßt.
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/. Die Komplexassoziation, 95
entstandene Melodie neu, also nicht imstande, ihrerseits Erinne-
rungen anzuregen, so müßten doch die Töne der früheren Melodie
durch ihre starke Eonstellationswirkung den Text oder die Be-
nennung der Melodie reproduzieren. Niemand aber wird zweifeln,
daß dies auch dann bei genügender Verschiedenheit der Auf-
einanderfolge der Töne nicht der Fall sein wird, wenn es auf
mechanischem Wege gelänge, die einzelnen Töne der Melodie in
beiden Fällen genau in der gleichen Betonung zu erzeugen.
Wir brauchen femer nur das frühere Beispiel von der Re-
produktion der Ziffer durch das Zahlwort umzukehren, um ein
gutes Beispiel einer Reproduktion durch ein räumliches An-
schauungsganzes auf Grund einer Eomplexassoziation zu haben.
Das Schriftbild der Ziffer 7 wird mit großer Regehnäßigkeit das
Zahlwort reproduzieren. Daß jedoch die isoherten Empfindungen,
aus denen sich dieses Schriftbild zusammensetzt, durch Konstel-
lation das Zahlwort zu reproduzieren imstande seien, wird nie-
mand behaupten wollen. Die Reproduktion ist aber auch nicht
aus der Konstellationswirkung von Elementegruppen zu erklären.
Durch einen Reiz von der Form ^ / wird nicht leicht das Zahl-
wort „sieben" reproduziert werden, imd doch ist die Ziffer hierbei
nur in zwei isoherte Komplexe zerlegt. Zu beachten ist, daß die
Annahme einer absoluten, den einzelnen Empfindimgen anhaften-
den Ortsbestimmtheit nicht zur Rechtfertigung einer Konstellations-
theorie herangezogen werden kann. Denn erfahrungsgemäß ist
diese absolute Ortsbestimmtheit für die reproduktive Wirkung völlig
gleichgültig. So könnte in unserem Beispiel die Ziffer 7 eine be-
Uebige Größe annehmen, die absoluten Ortsbestimmtheiten der
einzelnen Empfindungen von denen früherer Empfindungen also
vollständig verschieden sein, ohne daß dadurch die Reproduktion
des Zahlwortes verhindert würde. Zieht man hingegen die (re-
lative) lüumliche Anordnimg zur Erklärung der Reproduktion heran,
so betrachtet man eine Bestinmitheit als maßgebend für die Re-
produktion, welche keine Bestimmtheit der isolierten Elemente,
sondern eine Komplexbestimmtheit ist, imd ist daher zur Annahme
einer Eomplexassoziation genötigt^).
Schon B. Erdmann und R Dodge, Psychologische Untersuchungen Ober
das Lesen (Halle 1896) S. 161, haben darauf hingewiesen, daß Buchstaben,
ZifTem und andere Objekte nidht auf Grund der optischen Bestandteile, in die
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96 Absdm. 2. Dk Theorie der Wissenaakütalisierung.
Nehmen wir an, es seien Reihen von optisch dargebotenen Kom-
plexen nach Art der von Ach und Meyer bei der Untersuchung
von Simultanassoziationen verwendeten') ohne begriffliche oder
anschauliche Hilfen in der Weise erlernt worden, daß zu einem
Komplex immer ein bestimmter dazugehöriger einzuprtigen war.
Unter den erlernten Komplexpaaren sollen sich nun die beiden
folgenden befunden haben:
♦ ♦ ♦
a »
+
+ +
Figur 1.
Es wird dann bei gelungener Einprägung der Komplex a den
dazugehörigen Komplex b und der Komplex a' den dazugehörigen
Komplex b' reproduzieren. Durch eine etwaige Vergrößerung
oder Verkleinerung der dargebotenen Komplexe imter Beibehaltung
der zwischen ihren Elementen bestehenden räumlichen Veihält-
nisse würde diese Wirkung erfahrungsgemäß nicht beseitigt werden.
Infolge der Gleichheit der Elemente kann ausschließlich deren
sie sich auflösen lass^ sondern infolge der ihnen eigenen Konfiguration dieser
Bestandteile, ihrer optischen Gresamtform, erkannt werden. Vgl femer die
Versuche von E. Becher über die Assoziation von Gestaltresiduen und das
Wiedererkennen von Gestalten: Gehirn und Sede (Heidelberg 1911) S. 215 fr.,
222 fr. Diese Versuche eii)ringen namentlich den experimentdien Nachweis
dafOr, daß es f&r das Wiedererkennen und die reproduzierende Wirksamkeit
von räumlichen Gebilden nicht auf die Wiederkehr derselben absoluten Orts-
werte, sondern auf die Wiederkehr derselben räumlichen AncMxlnung ankommt
Im Einklang hiermit stehen auch die Ergebnisse von K. Bühler, Die Gestalt-
Wahrnehmungen, 1. Bd., Stuttgart 1913. Sie zeigen, daß räumliche und zeit-
liche Gestalten von bestimmten Proportionen statt in der ursprünglichen Ab-
messung auch in einer größeren oder kleineren Abmessung r^roduziert werden
können. Vgl. a. a. 0. S. 180, 284 fr. Was hier im strengen Sinne r^rodudert
wird, ist die räumliche oder zeitliche, bestimmte Verhältnisse begründende
Ordnung des ursprünglichen Eindrucks.
N. Ach, Ober eine Methode zur Untersuchung der simultanen Asso-
ziationen. Bericht über den 3. Kongreß f. experiment Psychol., Leipzig 1909.
E. Meyer, Üb«r die Gesetze der umultanen Assoziation und das Wiedererkennen.
Untersuchungen zur Psychologie und Phibsophie, herausgegd^en von N. Ach,
1. Bd. 3. Heft (Leipzig 1910).
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/. Die KompiexassogiaÜon. 97
räumliche Anordnung fttr die Verschiedenheit der Reproduktion
maßgebend sein*). Diese rttumliche Anordnung aber kann als
Eomplexbestimmtheit nur dann Einfluß auf die Reproduktion ge-
winnen, wenn nicht die isolierten Elemente, sondern die Komplexe
in den assoziativen Verband eingegangen sind.
Nun läßt sich wie in den angeführten Beispielen zu jedem
beliebigen Anschauungsganzen ein anderes Anschauungsganzes
denken, das dieselben Elemente in g^Uizlich verschiedener räum-
lich-zeitlicher Anordnung enthält. Auf Grund allgemeiner Er-
fehrungen dürfen wir aber dann annehmen, daß das zweite Ghmze
überhaupt nicht oder doch nicht in gleicher Weise wie das erste
geeignet wäre, die mit jenen assoziierten Vorstellungen zu re-
produzieren. Allein nicht nur die räunüich-zeitUche Anordnung
der Ausgangsglieder der Assoziationen von Anschauungsganzen,
sondern auch die Eomplexbestimmtheit der EndgUeder ist für die
Reproduktion maßgebend. In dem soeben angeführten Beispiel
wird bei gelungener Einprtigung der Komplex a nur den mit ihm
assoziierten Komplex b, der Komplex a' nur den Komplex b' re-
produzieren, obwohl beide sich nicht nach ihren Elementen, sondern
nur nach ihren Komplexbestimmtheiten unterscheiden. Komplexe
wirken also nicht nur als Granze reproduzierend, sondern
werden auch als Qsnze reproduziert. So gelangen wir zu dem
Satz: Alle Assoziationen zwischen Anschauungsganzen
sind gegenseitige Komplexassoziationen. Die Anschau-
migsganzen sind eben keine bloßen Aggregate von Elementen,
sondern Komplexe. Es ist bei ihnen nicht wie bei einem Aggregat
^eichgültig, ob die Elemente in der Reihenfolge a + b -f c + d
oder in einer anderen Reihenfolge angeordnet sind, sondern eine
andere Anordnung bedeutet auch ein anderes Anschauungsganzes;
denn sie hat andere Komplexbestimmtheiten zur Folge. Darum
sind auch die Assoziationen, welche Anschauimgsganze eingehen,
Komplexassoziationen und nicht gleichbedeutend mit den Assozia-
tionen zwischen ihren Elementen einerseits und den Elementen
der mit ihnen assoziierten Anschauungsganzen andererseits. Was
Man müßte denn die Verschiedenheit der Reproduktion auf die Ver-
schiedenheit von Nebeneindrücken (Begleiterscheinungen) bei der Einprfigung
stützen. Über die Unwahrscheinhchkeit einer solchen Annahme vgl. EL Becher
a. a. O. S. 286-266.
Bell, Ober die Gkeetse dee geordneten DenkTerUufi. 7
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96 Absdm, 2, Die Theorie der Wissensaktuatisierung.
von AnBchauungsgaiizen gilt, muß von beliebigen Komplexen
gelten, wenn wir hierunter zusammengesetzte psychische Gebilde
verstehen, die durch besondere Komplexbestimmtheiten ausgezeich-
net, also keine bloßen Aggregate von Elementen sind. Wir können
daher den weiteren Satz aufstellen: Assoziationen zwischen
Komplexen sind nicht Assoziationen zwischen ihren Elementen,
sondern sind gegenseitige Komplexassoziationen.
Dieser Satz bringt ein Strukturgesetz*) der Assoziationen
zwischen Komplexen zum Ausdruck. Wir können es kurz das
Gesetz der Komplexassoziation nennen. Dieses Struktur-
gesetz hat nach dem allgemeinen (kausalen) Assoziationsgesetz,
daß die Glieder assoziativer Verbände die Tendenz haben, ein-
ander zu reproduzieren, bei der Wiederkehr des einen Komplexes
die Tendenz zur Reproduktion des anderen Komplexes zur Folge.
Zu beachten ist, daß das Gesetz der Komplexassoziation nicht
besagt, daß jede Reproduktion eines Komplexes durch einen
anderen Komplex auf einer Komplexassoziation beruht Ein Kom-
plex kann auch mit einem bestimmten Glied eines anderen Kom-
plexes assoziiert sein, z. B. ein Takt einer Silbenreihe mit dem
ersten Glied des folgenden Taktes. In derartigen Fällen repro-
duziert der erste Komplex nur das erste Glied des zweiten Kom-
plexes, das dann seinerseits die weiteren Glieder dieses Komplexes
reproduziert. Insoweit besteht aber auch eben keine Komplex-
assoziation. Es sind nicht die beiden Takte miteinander, sondern
nur der eine Takt mit dem ersten Glied des anderen Taktes
assoziiert. Das Gesetz der Komplexassoziation besagt nur, daß
Assoziationen von Komplex zu Komplex, wo sie bestehen,
nicht auf Assoziationen der Elemente dieser Komplexe zurttck-
geführt werden können.
Wir beschicken uns zunächst auf die Erörterung der Komplex-
assoziationen von Anschauungsganzen. Die Voraussetzung einer
Komplexassoziation von Anschauungsganzen ist, daß diese nicht
nur i^umlich-zeitliche Erlebniseinheiten bilden, sondern es muß
dem rämnlich-zeitlichen Zusammenhang der hypothetischen Vor-
stellungselemente auch ein Zusammenhang der Reproduktions-
grundlagen entsprechen, der es ermöglicht, daß sie als Granze
*) Ober den Begriff des Strukturgesetzes siehe C Stumpf, Zur Einigung
der Wissenschaften. Abhandlungen d. Akad. d. Wiss. zu Berlin 1906, S. 61 IL
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/. Die Komplexassoziation, 99
Assoziationen eingehen. Wir können solche komplexe disposi-
tionelle Einheiten Eomplexdispositionen nennen und daher
sagen: Voraussetzung der Komplexassoziationen von Anschauungs-
ganzen ist das Vorhandensein von Komplexdispositionen').
Neben den Komplexassoziationen zwischen Anschauungsganzen
mögen noch Assoziationen der Elemente des einen Ganzen mit
den Elementen des anderen Ganzen oder mit diesem selbst be-
stehen. Jedenfalls aber ist zur Erklärung der Reproduktion eines
Anschauungsganzen durch ein durch Berührungsassoziation mit
ihm verbundenes anderes Anschauungsganzes die Heranziehimg
einer Konstellationswirkung der Elemente nicht notwendig. Da
die Komplexe miteinander assoziiert sind imd innerhalb des asso-
ziativen Verbandes als Elemente desselben fungieren, so vermag
auf Grund des allgemeinen Assoziationsgesetzes der eine Komplex
als Ganzes den anderen zu reproduzieren. Daß gewisse An-
schauungsganze wie namentlich die Worte beim Normalen in
weitaus der Mehrzahl der Fälle Vorstellungen zu reproduzieren
pflegen, welche mit ihnen assoziiert sind und nur ausnahmsweise
solche, welche lediglich mit ihren Elementen durch Berührungs-
assoziation verbunden sind, vermag die Komplextheorie ebenfalls
besser verständlich zu machen als die Konstellationstheorie. So-
gar die Klangassoziationen beruhen ja noch zum Teil auf sprach-
Uchen Berührungsassoziationen, also auf Komplexassoziationen der
gleichklingenden Worte.
Nach der Konstellationstheorie müßten bei Worten die allen
Lauten gemeinsamen Reproduktionstendenzen in fast allen Fällen
stärker sein als die nur von einem oder einigen der Laute aus-
*) Ob schon die gedächtnismäßige Aufbewahrung der räumlich-zeitlichen
Anordnung das Vorhandensein von Komplexdispositionen notwendig macht,
kann hier dahingestellt bleiben. Auch wenn jedem Empiindungsel^nent oder
den Verschmelzungsprodukten elementarer Empfindungen ein gewisser Raum-
oder Zeitwert innewohnte, und etwa schon durch die bloße Assoziation dieser
Elemoate bezw. Verschmelzungsprodukte ein dem räumlich -zeitlichen ent-
sprechender Zusammenhang der Reproduktionsgrundlagen entstehen würde,
müßte das Vorhandensein von Komplexdispositionen angenommen werden,
um die Komplexassoziationen verständlich zu machen. Zu betonen ist femer,
daß in der Annahme dispositioneller Einheiten keineswegs eine bestimmte
physiologische Theorie enthalten ist Ob man sich z. B. die in die Komplex-
dispositionen eingehenden Elementardispositionen als räumlich benachbart, und
wie man sie sich miteinander verknüpft zu denken hat, bleibt vollständig un-
entschieden.
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100 Absdin, 2, Die Theorie der Wissensaktualisierung.
gehenden. Das wird aber umso unwahrscheinlicher, je weniger
Laute das Wort hat, je weniger Reproduktionstendenzen in ihm
daher zu dem gleichen Ziel wirken. Es müßte dann für lange
Worte eine größere Aussicht auf eine dem ganzen Wort gemäße
Reproduktion vorliegen als fflr kurze, wofür keinerlei Erfahrungen
sprechen, und es wäre gar nicht einzusehen, warum z. B. die von
den zwei Lauten der akustischen Wortvorstellung „See^ nach
dem gleichen Endglied gerichteten Reproduktionstendenzen fast
immer stärker sein sollen als eine sehr starke Reproduktions-
tendenz, welche nur von einem der Laute ausgeht, z. B. die Ten«
denz, ein geläufiges mit dem Laut S beginnendes Wort zu repro-
duzieren. Entsprechendes gilt für zusammengesetzte Worte, deren
Teile einen selbständigen Sinn haben. E^ ist nicht recht zu ver-
stehen, warum die Konstellationswirkung der in dem Worte „Vater-
mörder^ vereinigten Laute beim Normalen fast ausnahmslos stärker
sein soll als die der in den Bestandteilen „Vater^ und „Mörder^
vereinigten Laute, die gewiß für sich allein sehr starke Repro-
duktionstendenzen auszulosen imstande sind.
Vom Standpunkte der Eomplextheorie werden wir dagegen
die vorzugsweise Reproduktion solcher Vorstellungen, welche mit
dem ganzen Komplex assoziiert sind, darauf zurückführen, daß
gewisse Anschauungsganze für unser Interesse, unser Denken und
Handeln vor allem als Ganze in Betracht zu kommen pflegen,
während ihre Elemente relativ gleichgültig sind. Es wird daher
solchen Anschauungsganzen gegenüber, die durch gewisse Komplex-
bestimmtheiten als Granze der betreffenden Art z. B. als Worte
gekennzeichnet sind, ganz allgemein die determinierende Tendenz
(Einstellung) zur Komplexauffassung bestehen, d.h. die Auf-
merksamkeit wendet sich nicht den einzelnen Bestandstücken für
sich, sondern dem ganzen einheitUchen Komplex mit seinen charak-
teristischen Eigenschaften zu. Hierbei mag die Erkenntnis des
Ganzen sehr wohl durch die Erkenntnis von Einzelheiten bedingt
sein, wie z. B. die Untersuchungen über das Lesen von Zeitler,
Schumann und Wiegand es für gewisse Bedingimgen dargetan
haben. Aber diese Elemente bezw. Elementegruppen sind infolge
der vorhandenen Einstellung nur als integrierende Bestandstücke
eines wenn auch noch mehr oder weniger indifferenzierten Ganzen
bestimmter Art gegeben und in den Dienst der in Entstehung be-
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/. Die Kompiexassozutäon, 101
griffenen Komplexauffassung gestellt, so daß sie nicht in der Weise
wie isolierte Elemente reproduzierend wirken. Es werden daher
nur die Komplexassoziationen wirksam werden, welche die
JKomplexdispositionen entsprechender früher erlebter An-
schauungsganzen, z. B. der entsprechenden optischen oder akusti-
schen Wortvorstellung eingegangen haben ^).
§ 2. Belege aus anderen Untersuchungen.
Die Bedeutung der Eomplexauffassung fflr die Assoziation
und Reproduktion hat namentlich G. E. Müller betont. Schon in
seinen von Schumann veröffentlichten Diktaten wird die von Kom-
plexen als Ganzen ausgehende reproduzierende Wirkung auf eine
„kollektive Auffassung^ ") von Erscheinungsganzen zurückgeführt.
Neuerdings hat Müller die Herbeiführung einer engeren assozia-
tiven Verknüpfung der Glieder einer Reihe durch die kollektive
Auffassung und die durch sie in erster Linie bedingte Eomplex-
bildung beim Lernen eingehend untersucht^). Er weist hierbei
auch im Sinne der obigen Ausführungen darauf hin, „daß, wenn
eine Anzahl von Reihengliedem zu einem schon früher dagewesenen
und mit irgend welchen anderen Vorstellungen assoziierten Kom-
plexe zusammengefaßt werden, alsdann dieser Komplex Vor-
stellungen reproduzieren und in Bereitschaft setzen wird, mit
denen er sich früher als Komplex assoziiert hat. Werden dagegen
die Reihenglieder als einzelne angefaßt, so können sie solche
Vorstellungen erwecken, mit denen sie sich als früher singulär
aufgefaßte assoziiert haben^^).
') Damit ist nicht gesagt, daß nicht eine besonders starke Reproduktions-
tendenz eines in dem Komplex enthaltenen Elements oder einer Gruppe von
solchen sich trotz der vorhandenen KomplexaufTassung durchsetzen könne.
") F. Schumann, Zur Psychologie der Zeitanschaimng, Zeitschr. f. PsychoL
17. S. 109 ff.
•) Vgl „Zur Analyse der Gedächtnistätigkeit", S. 263 ff. und die dort an-
geführten früheren Abhandlungen.
a. a. O. S. 267. — Das phänomenologische Zurücktreten der Teile eines
Ganzen ist namentlich von Th. Ldpps, Leitfaden d. PsychoL, 3. Aufl. (Leipzig 1909)
S. 172 ff., besonders S. 176 f., 179 f., eingehend beschrieben worden. Mit diesem
Zurücktreten hängt natürlich das Fehlen einer selbständigen reproduktiven
Wiiksamkeit aufs engste zusammen.
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102 Absdm, 2. Die Theorie der Wissensaktualisierung.
In einer Anmerkung berichtet Müller, er habe nach dem
Hersagen einer Reihe der Vp. oft ein Reihenglied genannt nach
vorheriger Instruktion, daß sie sobald als möglich dasjenige Glied
zu nennen habe, das dem ausgesprochenen Gliede in der Reihe
unmittelbar gefolgt sei. War nun das ausgesprochene Glied das
Endglied eines Komplexes, so tauchte das AnfangsgUed des nächst-
folgenden Komplexes oft erst auf, nachdem der ganze Komplex,
dem das ausgesprochene Glied angehörte, reproduziert worden
war. Wir dürfen wohl auf Grund dieser Mitteilung vermut^i,
daß in den betreffenden Fällen zwar die Assoziationen zwischen
den beiden benachbarten, aber verschiedenen Komplexen ange-
hörigen Gliedern sehr schwach waren, dagegen hinreichend starke
Assoziationen von Komplex zu Komplex bestanden. Die auf-
fallende Schwäche der Assoziationen zwischen unmittelbar be-
nachbarten Gliedern verschiedener Komplexe hatten auch schon
die Untersuchungen von Müller und Pilzecker") quantitativ nach-
gewiesen. Für die Annahme von Komplexassoziationen spricht
femer die Tatsache der von Müller und Schumann und Müller
und Pilzecker') nachgewiesenen initialen Reproduktionstendenz.
Schon Müller und Schumann bemerken hierüber, daß die von
ihnen festgestellte „erhebliche Tendenz, welche die Endsilbe
eines zweisilbigen Taktes besitzt, die ihr unmittelbar, vorher-
gehende Silbe zu reproduzieren, ganz unverständlich bleibt, wenn
man die Silben und Wörter im Sinne von Grashey u. a. als bloße
Reihen singulär aufgefaßter Buchstaben ansieht; denn nach dieser
Ansicht können beim Auswendiglernen eines Silbenpaares, z. B.
des Taktes laf jek außer den vorwärtsläufigen Assoziationen, welche
im Sinne einer richtigen Reproduktion dieser ganzen aus sechs
Buchstaben bestehenden Reihe wirken, sich nur noch rückläufige
Assoziationen bilden, welche bewirken, daß sich die Buchstaben-
reihe ke] f al schneller einprägt. Wie aber beim Auswendiglernen
des Silbenpaares laf jek die Buchstabenreihe jek erhebliche Ten-
denz erhalten kann, die Buchstaben laf zu reproduzieren, bleibt
a. a. 0. S. 263 Anm. 1.
^ 6. E. Maller und A. Püzecker, Experimentelle Beiträge zur Lehre vom
Gedächtnis, Zeitschr. f. PsychoL, Erg.-Bd. 1. 1900. S. 208 fr.
*) G. E. Maller und F. Schmnann, Experimentelle Beiträge zur Unter-
suchung des Gedächtnisses, Zeitschr. f. Psychol. 6. 1894. S. 909. Maller und
Pilzecker S. 200 ff.
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/. Die Komplexassoziation. 108
nach jener Ansicht unverständlich." Das festgestellte Bestehen
dieser Tendenz sei daher mit ein Beweis für die Ansicht, „daß
die Vorstellungen von Wörtern und Silben im allgemeinen auf
kollektiver Auffassung der die Silbe oder das Wort bildenden
Buchstaben beruhende, einheitliche Vorstellungskomplexe sind,
die sich als einheitUche Vorstellungskomplexe mit anderen Vor-
stellungen assoziieren und durch andere Vorstellungen reproduziert
werden können/
Endlich zeigen die zahlreichen wertvollen Beobachtungen,
die 6. E. Müller über den Zusammenschluß von Komplexen zu
EomplexverbKnden ^) und über den Übergang von Komplex zu
Komplex') gesammelt hat, die große selbständige Bedeutung,
welche den Komplexen gegenüber den Elementen zukommen.
Für den Nachweis von Komplexassoziationen würde freilich die
Berufung auf diese Untersuchungen und ebenso auch die Be-
rufung auf das aus der Tatsache der initialen Reproduktions-
tendenz hergeleitete Argument für sich allein nicht ausreichen;
denn die Gregner einer solchen Annahme werden zwar zugeben,
daß infolge der Tatsache der Komplexbildimg die Reproduktionen
vorzugsweise innerhalb eines Komplexes oder von Komplex zu
Komplex vor sich gehen. Für die bitrakomplexreproduktion nun
kommt eine Komplexassoziation nicht in Frage. Daß aber Kom-
plexe Verbindungen eingehen und infolgedessen einander repro-
duzieren, werden sie wieder darauf zurückzuführen suchen, daß
ihre Elemente wechselseitig miteinander assoziiert seien und da-
her die Elemente des einen Komplexes durch ihr Zusammen-
wirken den anderen Komplex ins Bewußtsein zurückrufen').
Damit wäre dann die Konstellationstheorie wieder hergestellt.
Haben wir aber einmal aus den früher angegebenen Gründen
die Undurchfühii)arkeit der Konstellationstheorie eingesehen, so
sind gerade die Untersuchungen 6. E. Müllers über Komplex-
bildung beim Lernen in hervorragendem Maße geeignet, die Not-
wendigkeit der Annahme von Komplexdispositionen und der Ver-
knüpfung der Komplexe als Ganzen darzutun und uns ein Bild
von ihrer Wichtigkeit für das psychische Geschehen zu geben.
') Zur Analyse der Gedächtnistätigkeit S. 309 ff.
") a.a.O. S. 325 ff.
^ DeuÜich zeigt sich dies bei James, siehe oben S. 91 Anm. 3.
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104 Absdui, 2, Die Theorie der Wissensaktuaäsienmg.
Experimentell ist die Mitwirkung von Komplexassoziationen
außer den von Müller und seinen Mitaiiieitem beigebrachten Be-
legen wenigstens fflr einen Spezialfall, nämlich für die Repro-
duktion des akustisch-motorischen Wortbildes durdi das optische
beim Lesen, untersucht worden. Hier handelte es sich allerdings
nicht um die Frage, ob eine Konstellationswirkung der einzelnen
Buchstaben oder eine Komplexassoziation vorliege, vielmdir war
es, wie schon eben erwähnt, überhaupt streitig, ob die Umsetzung
des Schriftbildes in das Lautbild auf eine Wirkung des ganzen
optischen Wortbildes und nicht auf ein sukzessives Buchstabieren
und Aneinanderreihen zurückzuführen sei, wie es von einer Reihe
von Psychiatern früher angenommen wurde. Glegenüber dieser
Auffassung haben Erdmann und Dodge den Einfluß der Gesamt-
form des optischen Wortbildes auf die Reproduktion hervor-
gehoben ^). Die experimentellen Nachweise, welche die genanntoi
Autoren für die ausschlaggebende Bedeutung der Gesamtförm
beim Lesen zu erbringen suchten, haben zwar durch spätere
Untersuchungen eine teilweise Modifikation erfahren. Allein es hat
sich jedenfalls soviel bestätigt, daß unter gewissen Bedingungen,
z. B. Erschwerung der Lesbarkeit, die Reproduktion des akustisch-
motorischen Bildes durch die optische Gesamtform bei manchen
Versuchspersonen wesentlich mitbedingt ist'). In gleicher Weise
zeigte sich auch die Wortlänge, die ja gleichfalls eine wenn auch
sehr rohe Komplexbestimmtheit ist, für die Reproduktion maß-
gebend. Soweit nun der aus der „gröberen Gesamtförm^, der
Wortlänge und den erkannten an bestimmten Stellen lokalisierten
Einzelheiten sich konstituierende Gesamteindruck das Klangbild
direkt und namentlich ohne visuelle Vermittelung auslöste, ist die
Reproduktion der akustisch-motorischen Wortvorstellung durch
die Komplexbestimmtheit der optischen hervorgerufen worden;
sie kann daher nur auf einer Komplexassoziation beruhen, die
zwischen dem optischen Gesamtbild und der akustisch-motorischen.
Wortvorstellung sich gebildet hat. Bei den Vpn. von Wiegand
') a. a. 0. S. 161 f.
*) F. Schumann, Psychologie des Lesens, Bericht tkber den 2. Kongreß
f. experiment Psycho!. (Leipzig 1907) S. 178. C. F. Wiegand, Untersnchungen
über die Bedeutung der Gk^taltqualität fQr die Erkennung von Wörtern, Zeit-
schrift f. Psychol. 48., insbes. S. 190 f., 199 ff.
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IL Die Komplexergänzung. 106
scheint der Prozeß häufig in dieser Weise vor sich gegangen zu
sein. Besonders beweisend für die Mtf^chkeit von Komplex-
assoziationen sind diejenigen Fälle, in denen den Vpn. vorher
mühsam bei allmählicher Annäherung identifizierte Wortbilder zur
Einprägung vorgelegt und dann in anderer Reihenfolge exponiert
wurden, z. B. S. 201 : Exponiert ist ,,Esperantistenversammlung^.
(Entfernung 5 m, mittelzeilige Typenhtfhe 2,8 mm.) Referat:
,,Esperantistenversanmüung. Ich vermutete am Anfang E, am
Schlüsse g. Bestimmend ist für mich außerdem die Länge und
die Schrumpfung des Bandes in vertikaler Richttmg, die mir bei
den früheren Versuchen auffallend war.^ Man sieht also, daß
der frühere Gesamteindruck eine Komplexdisposition hinterUeß,
und daß diese eine Verbindung mit dem dazu gehörigen Laut-
wort eingegangen hat, welche dessen Reproduktion oder doch
wenigstens die Identifikation mit dem optischen Bilde ermöglichte.
Die Reproduktion auf Grund einer Komplexassoziation ist der
einfachste Fall, in dem komplexe Verbände als einheitliche Ganze
an einem Reproduktionsvorgang beteiligt sind. Die Erörterungen
zu dieser ersten Klasse von Komplexreproduktionen erleichtem
uns das Verständnis einer zweiten komplizierteren Klasse, der
auch die von uns imtersuchten Wissensaktualisierungen und eine
Reihe anderer Verlaufsformen von Aufgabelösungen angehören,
der Komplexei^fänzung.
IL Die Komplexergänzung.
§ 1. Ergänzung eines Komplexstücks.
Wenn einem Examenskandidaten ein Name augenbUcklich
nicht einfällt, so pflegen ihn wohlwollende Examinatoren manch-
mal durch Nennung des Anfangsbuchstabens zu unterstützen.
Nützt das noch nichts, so kann durch Nennung der ersten zwei,
drei, vier Buchstaben die fehlende Erinnerung oft noch geweckt
werden. Daß in einem solchen Falle die Erleichterung der Re-
produktion des ganzen Komplexes auf das Zusammenwirken mehrerer
seiner Elemente zurückzuführen ist, ist unzweifelhaft. Die Frage
ist nur, wie dieses Zusanmienwirken gedacht werden muß. Meistens
sieht man hierin kein besonderes Problem; denn die Reproduktion
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106 Absdm, 2, Die Theorie der Wissensaktuaiisierung,
des Restkomplexes scheint damit genügend erklärt, daß die Re-
prodnktionstendenzen der einzelnen Elemente, die ja alle mit den
übrigen Komplexgliedem assoziiert sind, sich gegenseitig ver-
stärken. Es würde sich darnach nur um den Spezialfall einer
Konstellationswirkung handeln«
James, einer der konsequentesten Vertreter der Konstellations-
theorie, hat das Zusammenwirken mehrerer Elemente bei der Re-
produktion eines ganzen Komplexes besonders eingehend erörtert
So wirft er z. B. die Frage auf, warum beim Hersagen des Verses
aus „Locksley Hall^ „I, the heir ofalltheagesinthe formost
files of time^, wenn wir bis zu „the ages^ gekommen sind, nicht
jener Teil eines anderen Verses derselben Dichtung ins Gedächtnis
springe, der gleichfalls die Worte the ages enthalte. James ant-
wortet: „Wenn die Prozesse von „„I, the heir of all the ages""
gleichzeitig im Grehim sich abspielen, der letzte von ihnen in
einer maximalen, die anderen in einer verklingenden Phase der
Erregung, dann wird die stärkste Entladungstendenz in der Rich-
ttmg wirksam sein, in der sie alle übereinstimmen; dann
wird „in" und nicht „one" oder irgend ein anderes Wort zu-
nächst erweckt werden; denn sein Gehimprozeß ist früher nicht
nur mit dem von ages gleichzeitig verlaufen, sondern auch mit
dem von all den anderen Wörtern, die noch auf eine im Ab-
nehmen begriffene Wirksamkeit entfallen 0«" Wie auch aus einem
weiteren Beispiele von James hervorgeht, denkt er sich die Intra-
komplexreproduktion oder Komplexergänzung in der Weise vor
sich gehend, daß jedes Glied das mit ihm am stärksten assoziierte
früher benachbart gewesene Glied zu reproduzieren strebt und
hierbei von den übrigen schwächer mit dem zu reproduzierenden
Glied assoziierten Gliedern unterstützt wird. „Wenn a, b, c, d, e
die durch den letzten Akt [eines] Diners, nennen wir ihn A, er-
regten elementaren Prozesse sind und 1, m, n, o, p diejenigen, die
dem Nachhausegehen durch die frostige Nacht, das wir B nennen
können, entsprechen, dann muß der Gedanke an A den an B
erwecken, weil a, b, c, d, e sich samt und sonders durch die Bahn,
durch welche ihre erste Entladung stattfand, in 1 entladen werden.
Ahnlich werden sie sich auch in m, n, o imd p entladen; und jeder
dieser letzteren Prozesse wird ebenfalls die Tätigkeit der anderen
*) James, Psychologie, Qbersetzt von M. Dürr, S. 257.
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//. Die Komplexergänzung, 107
verstärken, weil sie in der Erfahrung B alle schon zusammen er-
regt waren ^)."
So einleuchtend diese Erklärung auf den ersten Blick er-
scheinen mag, so ergibt doch wiederum schon die einfache Elr-
innerung an allgemein bekannte Tatsachen, daß sie nicht genügt,
mn die für die Eomplexerg^inzung bestehende Oesetzmäßigkeit
erkenntlich zu machen. Denken wir uns die Reproduktion eines
bekannten Gemäldes in sehr schmale vertikale Streifen zerschnitten,
sodaß keiner dieser Streifen allein mehr etwas Charakteristisches
erkennen läßt. Setzen wir nun die Streifen vor den Augen einer
nicht eingeweihten Vp. etwa von links nach rechts wieder in rich-
tiger Reihenfolge aneinander, so wird einmal der Moment ein-
treten, wo das dargebotene Stück des (Gemäldes die Vorstellung
des ganzen (Gemäldes reproduzieren wird. Nehmen wir an, die
Streifen seien so schmal, daß dieser Erfolg erst bei Aneinander-
reihung von etwa 20 Streifen eintritt. Geben wir nun bei einem
Versuch mit einer anderen Vp. dem letzten der 20 Streifen,
welcher nach der James'schen Theorie für die Reproduktion des
Restkomplexes vor allem von Bedeutung ist, seine richtige Stelle,
setzen wir dagegen die übrigen Streifen in bunter Reihenfolge
aneinander; so wird diesmal die Reproduktion des ganzen Kom-
plexes nicht eintreten. Nach der James'schen Theorie müßte jetzt
die gleiche Wirkung wie vorher entstehen; denn hier wie dort
entladen sich dieselben den Elementen der 20 Streifen entsprechen-
den Elementarprozesse auf Grund der früher von ihnen ein-
gegangenen Assoziationen alle in der Richttmg auf die Reproduktion
der auf den 20. Streifen folgenden Elemente des Gemäldes. Die
Berufung darauf, daß durch die verschiedene Anordnung der
Streifen absolute Raumwerte der den einzelnen Streifen entsprechen-
den Empfindungen vertüidert würden, muß auch hier versagen;
denn die zerschnittene Reproduktion kann das Original in ver-
kleinertem Maßstab wiedergeben, die absoluten Raumwerte der
*) a. a. 0. S. 260. Sehr charakteristisch für die ein Zusammenwirken
isolierter elementarer Gehimdispositionen mit gleichgerichteten Reproduktions-
tendenzen annehmende Konstellationstheorie von James ist die schematische
Zeichnung, durch die James ^dit Summation von EnÜadungen nach jeder der
Komponenten von B und die daraus folgende Stärke der Kombination von
Einflüssen, durch welche B in seiner Totalität erweckt wird*^, zu symboli-
sier^i sudit
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106 Absdm. 2, Die Theorie der Wissensaktualisierung.
Elementarempfindungen bei der Wahmehmung des Originals und
bei der Wahrnehmung der Reproduktion können also vollkommen
verschieden sein, ohne daß dadurch die Erg^üizung des Gemäldes
bei richtiger Zusammensetzung gehindert würde. Nicht von
den absoluten Raumwerten also, sondern von den durch die
Konstellationstheorie unberücksichtigt gelassenen relativen httngt die
reproduzierende Wirksamkeit der zusammengesetzten Streifen ab.
Nach der James'schen Konstellationstheorie müßte ein Exami-
nator dem Kandidaten, den er auf den Namen des Reformators
Melanchthon bringen will, annähernd ebensogut durch die Zu-
flüsterung Malen . . als durch den Anfang Melan . . beispringen
können; denn be&nden sich auch beim Aussprechen des n die
Reproduktionstendenzen des Lautes a in schwächerer Erregung
als bei der richtigen Lautfolge, so würde dies doch durch die
stärkere Wirkimg der von dem Laute e ausgehenden Reproduk-
tionstendenzen wieder kompensiert werden. Angenommen, es seien
ohne begriffliche Hilfen Komplexreihen gelernt worden, die unter
anderem die Komplexe -| ho und h + O enthalten,
so wird das später dargebotene Komplexstück + — + die
Komplexergänzimg g und das Komplexstück 1 — [-die Kom-
plexergänzung o herbeiführen, aber nicht umgekehrt. Trotzdem
also die Elemente der Komplexstücke H -|- imd 1 — |-
die gleichen sind und ihr letztes Glied dasselbe ist, haben sie
infolge ihrer verschiedenen i^umlichen Anordnung verschiedene
Komplexer^üizungen zur Folge. Eine Theorie, welche die Kom-
plexergänzung auf eine Konstellationswirkung isolierter Elemente
zurückführen will, vermag solchen Tatsachen nicht gerecht zu
werden. Eine Berufung auf die absoluten Raumwerte der einge-
pi%ten Elementarempfindungen ist hier aus den gleichen Gründen
imzulässig wie früher.
Aus den angeführten Beispielen ergibt sich, daß durch das
Zusammenwirken einer Mehrheit von Elementen eines Komplexes
die Reproduktion des ganzen Komplexes dann am meisten ge-
fördert, bezw. überhaupt erst ermdgUcht wird, wenn die Elemente
in derselben (relativen) räumlich-zeithchen Anordnung gegeben
sind, in der sie zu dem Komplex zusammengeschlossen wurden.
Um diesen Einfluß der i^umlich- zeitlichen Anordnung auf die
Komplexergänzung berücksichtigen zu können, sind wir aber ge-
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//. Die Komplexergänzung. 109
nötigt, die Eonstellationstheorie &llen zu lassen und uns einer
anderen Erklärungsweise zu bedienen. Nehmen wir an, ein Ver-
suchsleiter biete einer Vp. akustisch einen Buchstabenkomplex dar
nach der vorangegangenen Instruktion, das erste, was ihr auf den Zu-
ruf einfalle, auszusprechen. Dargeboten sei der Buchstabenkomplex
„spr", die Vp. reagiere mit sprechen. Wir können diesen Vorgang
folgendermaßen eiMären. Der schon in der Aussprache zu einer
Einheit zusammengeschlossene Buchstabenkomplex „spr^ wird
unserer Grewohnheit entsprechend, Sprechlaute zu einer Einheit
zusammenzufossen, auch im voriiegenden Versuch zum Gegenstand
einer Komplexauffassung. Damit ist nach dem früher Ausgeführten
von Anfang an die Wirksamkeit der von den einzelnen Buch-
staben s, p, r dieser Lautgruppe eingegangenen Assoziationen staric
herabgesetzt Dagegen könnten zunächst solche Assoziationen
wirksam werden, welche der Lautkomplex „spr^ als isoUerter Kom-
plex, etwa als bekannter Sprachanlaut, mit anderen Komplexen
oder Elementen eingegangen hat. Wir wollen annehmen, daß
solche Assoziationen, wie sie etwa bei Sprachforschem sehr wohl
vorhanden sein könnten, von der betre£Fenden Vp. nicht in erheb-
licher Stärke gestiftet seien. Der Lautkomplex „spr^ bildet aber
auch ein Stück aller Wortkomplexe, in denen er enthalten ist. Er
wird daher als einheitlicher Komplex imstande sein, die Komplex-
dispositionen der betreffenden Worte in einen Erregungszustand
zu versetzen. Da „spr^ isoUert gesprochen ähnlich wiiid, wie
wenn es den Anlaut eines Wortkomplexes bildet, so werden vor-
zugsweise diejenigen Wortkomplexdispositionen erregt werden,
welche mit diesem Lautkomplex beginnen. Andererseits werden
Wortkomplexdispositionen, welche nur einen der Laute s, p, r oder
diese Laute nicht in unmittelbarer Aufeinanderfolge oder endlich
in anderer Reihenfolge enthalten, keine erhebliche Erregung er-
fahren, da ja die Wirksamkeit der einzelnen Laute (und dem-
entsprechend auch ihre Konstellations wirkung) ^ durch die Komplex-
auffassung stark beeinti^chtigt ist. Sind nun vorzugsweise solche
Komplexdispositionen in Erregung, die den Lautkomplex „spr" als
Anlaut enthalten, so wird nach dem allgemeinen Gesetz der Weiter-
leitung der psychophysischen Erregung sich die Erregung von
dem mit diesem Lautkomplex übereinstimmenden Stück auf die
^) Daß eine solche stattfinden könne, soll keineswegs geleugnet werden.
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HO Absdin. 2. Die Theorie der X^ssensaJäualisierung.
ganzen Komplexe ausbreiten, und es wird dasjenige Wort ins Be-
wußtsein treten, bei dem diese Ausbreitung auf den geringsten
Widerstand stößt. Daß aber die Reproduktion eines ganzen Kom-
plexes durch die Zahl der in adäquater Anordnung gegebenen
Elemente erleichtert wird, wird durch folgende Erwägung ver-
ständlich. Allerdings kann auch durch den isoliert dargebotenen
Laut 8 der Komplex ,,sprechen'' erregt werden. Diese Erregung
wird aber aus zwei Grttnden viel schwächer ausfallen müssen:
1. Durch den Laut s können alle Wortkomplexe in Err^ung ge-
setzt werden, die ein s enthalten, imd besonders diejenigen, welche
mit s beginnen. Die Erregung wird sich daher auf eine viel
größere Zahl von Komplexen verteilen und dadurch nach einer
allgemeinen psychophysischen Gesetzmäßigkeit sehr geschwächt
werden*). 2. Wir werden annehmen dürfen, daß die Erregung
sich innerhalb eines Komplexes um so leichter fortpflanzt, je
größer das bereits in Erregung befindliche Stück des Komplexes ist.
Man wird noch die Frage aufwerfen, warum die Err^ung
bei der Ausbreitung innerhalb eines Komplexes nicht von den
den Komplex konstituierenden Elementardispositionen auf andere
Komplex- oder Elementardispositionen überspringe. Der Grund
ist hier wahrscheinlich ein ähnlicher wie bei der Tatsache, daß
bei der Wahrnehmung gewisser Komplexe die Elementar-
assoziationen von der Reproduktion ausgeschaltet bleiben. Wir
haben uns innerhalb der Komplexdispositionen die einzelnen Ele-
mente') in analoger enger Verbindung zu denken, wie sie uns
in der Wahmehmtmg von i^umlich-zeitlichen einheitlichen An-
schauungsganzen erscheinen. Der große Einpriigungswert der
Komplexbildtmg, den G. E. Müller nachgewiesen hat, ist ja gerade
auf diese enge Verbindtmg der Elementardispositionen innerhalb
einer Komplexdisposition zum großen Teile zurückzuführen. Wir
Im vorliegenden Fall würde noch hinzukommen, daß das s in spr einen
vollständig anderen Lautcharakter hat als ein isoliertes s; es würde aber bd
Wörtern, bei denen auf das s ein Vokal folgt, nicht in gleichem Maße zutreffen
und kann daher hier unberücksichtigt bleiben.
*) Ob die in einem Komplex veii)undenen Eäementardispositionen mit
den Elementardispositionen anderer Komplexe identisch sind, ob also dieselben
Elemente sich in verschiedener Weise verbinden, oder ob die Elementar-
dispositionen verschiedener Komplexe nicht identisch, sondern nur gleichartig
sind, bleibt dahingestellt.
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//. Die Kompiexergänzung, 111
können diese enge Verbindung, ohne eine Entscheidung darüber
zu treflPen, ob sie auf der bloßen Festigkeit von Berührungs-
assoziationen beruht, Komplexkohärenz nennen und sagen:
Die Eomplexkohärenz ist der Grund, weshalb sich die Erregung
innerhalb eines Komplexes fortzupflanzen und nicht auf andere
Komplexe oder Elemente außerhalb des Komplexes überzuspringen,
sondern erst von Komplex zu Komplex fortzuschreiten pflegt.
§ 2. Ergänzung auf Grund eines Schemas.
Wir sind bei der Theorie der Komplexer^üizung zimächst
von dem einfachsten Fall ausgegangen, daß die Komplexer^üizung
ausschließlich durch das dargebotene Komplexstück hervorgerufen
wird. Unberücksichtigt blieb dabei der Umstand, daß wir bei der
Komplexerg^tnzung in vielen Fällen schon wissen, daß das bisher
Vorhandene ein Stück eines größeren Komplexes ist,
und daß wir in solchen Fällen auch meistens schon etwas von
der Beschaffenheit des Komplexes wissen, zu dem jenes Komplex-
stück gehört. So weiß der Examenskandidat, dem der Examinator
die ersten Buchstaben des Namens Melanchthon vorspricht, nicht
nur, daß die ihm vom Examinator dargebotene Lautfolge ein
Stück eines größeren Komplexes ist, sondern auch, daß dieser
Komplex ein Anschauungsganzes bestimmter Art, nämlich ein Wort
ist, und daß dieses Wort mit der vorgesprochenen Lautfolge be-
ginnt^).
Wie haben wir uns mm die Mitwirkung eines solchen
Wissens, dessen Entstehimg hier nicht analysiert werden soll,
bei der KomplexergKnzung zu denken? Man könnte wieder ver-
sucht sein, zu einer Konstellationstheorie zu greifen. Man könnte
nämlich annehmen, daß das Wissen, daß es sich um ein Wort
handelt, eine allgemeine Einstellung zur Reproduktion von Worten,
also eine formale Reproduktionstendenz im Sinne Watts hervor-
^) Das bei der Reproduktion des Namens Melanchthon beteiligte Wissen
wird hier absichtlich nur so weit berücksichtigt, als es sich auf die Be-
schaffenheit des zu ergänzenden Anschauungsganzen bezieht, da uns die
Berücksichtigung des darüber hinausgehenden Wissens schon zu tief in das
Problem der Wissensaktualisierung hineinftlhren würde.
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112 Absthn. 2. Die Theorie der Wisaensaktualisierung,
rufe'). Es würden demnach alle Wortkomplexdispositionen in
einen höheren Grad der Err^^ung versetzt werden, und diese
Erregung würde durch Eonstellationswirkung diejenigen von dem
dargebotenen Lautkomplex ausgehenden Reproduktionstendenzen
verstärken, durch die gleichfeUs Wortkomplexe in Erregung ver-
setzt werden. Allein das Wissen, daß es sich um ein Wort han-
delt, ist kein bloßes Bewußtsein von Worten einerseits und von
dem dargebotenen Lautkomplex andererseits, sondern ein Bewußt-
sein von dem Sachverhältnis, daß der dargebotene Lautkom-
plex einen Teil eines Wortes darstellt Die Mitwirkung dieses
weitergehenden Inhalts des Wissens bleibt bei der erwähnten
Konstellationstheorie unberücksichtigt. Ebensowenig vermag eine
Konstellationstheorie der Mitwirkung des weiteren Wissens ge-
nügend Rechnung zu tragen, daß das Wort, um das es sich
handelt, mit der dargebotenen Lautfölge beginnt. Dag^en
können wir als vorläufige Hypothese folgende Komplextheorie
au&tellen.
Nicht durch ein konstellationsartiges Zusammenwirken des
dargebotenen Lautkomplexes einerseits und eines bestehenden
Wissens andererseits, sondern durch das Bewußtsein von dem
einheitlichen Sachverhältnis, daß die dargebotene Lautfolge den
Anfang eines Wortes bildet, wird die Komplexerg^inzung ver-
mittelt. Durch dieses Wissen wird im (Gegensatz zum Falle der
sukzessiven Wissensaktualisierung nicht ein anderes Wissen, sondern
es wird die Beschaffenheit eines Anschauungsganzen in schema-
tischer Weise antizipiert. Es ist von diesem Anschauungsganzen
bewußt, daß es ein Wort ist, daß es also die allgemeinen Be-
stimmtheiten besitzt, die einem Wort zukommen, nämlich die
kontinuierliche zeitliche Aufeinanderfolge bestimmter artikulierter
Laute. Die Laute, mit denen das Wort beginnt, sind schon
ihrem speziellen Lautcharakter nach bestimmt, es steht z. B. fest,
daß es die Lautfolge Mel .... ist, während von den übrigen nur
feststeht, daß es bestimmte Sprachlaute sind, aber nicht, welche
es sind.
Denken wir uns den durch die Aussprache eines Wortes ent-
standenen akustischen oder akustisch-motorischen Empfindungs-
komplex infolge eines Abstraktionsvorganges derart modifiziert,
') Siehe oben S. 5.
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//. Die Kompiexergänzung, 118
daß lediglich die Aufeinanderfolge von Sprachlauten, die jedem
Wort eigentümlich ist, zur Auffassung gelangt, oder daß sie
wenigstens zu gesonderter Auffassung kommt, während von allen
spezielleren Bestimmtheiten des Wortes dabei abgesehen wird^.
Durch eine solche Auffassung eines Wortkomplexes entsteht das
Bewußtsein von einem Wort, dessen besondere Beschaffenheit,
seine Länge, die Laute, die es konstituieren, und deren Aufeinander-
folge, jedoch nicht bewußt oder wenigstens nicht beachtet ist,
d. h. es entsteht das schematische, auf alle konkreten Worte
passende Bewußtsein von einem Wort. Denken wir uns nim
durch eine derartige Modifikation eines Empfindungskomplexes
auf Grund einer bestimmten Auffasstuig Reproduktionsgrundlagen
entstanden, die in einer der Modifikation des Empfindungskom-
plexes entsprechenden Weise modifiziert sind. Es wird dann durch
die Wiedererregung dieser Reproduktionsgrundlagen bei geeig-
netem Anlaß, z. B. auf Grund einer Mitteilung lediglich das ab-
strakte Bewußtsein von einem konkreten, aber nicht näher be-
stimmten Wort entstehen. Auch in unserem Beispiel besteht bei
dem Examenskandidaten ein solches Bewußtsein von einem kon-
kreten, noch nicht näher bestimmten Wort. Durch die Unter-
stützung des Examinators wird nun nicht bloß neben dieses
Bewußtsein noch das weitere Bewußtsein von einer bestimmten
Lautfolge gesetzt, sondern es entsteht zugleich das Bewußtsein
von dem zwischen der dargebotenen Lautfolge und dem schema-
tisch antizipierten Wort bestehenden Sachverhältnis, daß das eine
einen Teil imd zwar den Anfang des anderen bildet. Es kommt
also durch das Verständnis der Mitteilung das Bewußtsein von
der qualitativen Identität zwischen der dargebotenen Lautfolge
und dem Anfang des schematisch antizipierten Wortkomplexes
zustande. Wir können uns demnach das zustandegekommene
Wissen in folgender Weise (Figur 2 S. 114) veranschaulichen.
Die durch die Mitteilung des Examinators vermittelte Sach-
verhaltserkenntnis zieht nun nach einer hier nicht zu untersuchen-
den psychologischen Gesetzmäßigkeit auch die Veränderung eines
Gegenstandsbewußtseins nach sich. Das Bewußtsein von dem
Vgl. Ober das tatsächliche Vorkommen einer derartigen abstrakten Auf-
hasoDg von Empfindung8kon4>lexen 0. KOlpe, Versuche Ober Abstraktion. Be-
richt Ober den 1. Kongreß f. experiment. Psychol. (Leipzig 1904) S. 67.
Seil, Über die 0«MtM dat geordneten Denkrerleatt. 8
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114 Abmhn. 2. Die Theorie der WiseenaaktuaHsierung.
Figur 2.
Mal
Benehung der qualitativen
IdentiUt, d. i. Gleichheit
Wortschema.
gesuchten Wort geht nämlich aus dem Bewußtsein von einem
nicht näher bestimmten konkreten Wort in das Bewußtsein von
einem Wort über, das mit Mel .... anfiüigt Die Entstehung
dieses Bewußtseins haben wir uns so zu denken, daß das leere
Schema eines konkreten Wortes durch die Einsetzung der vor-
gesprochenen Lautfolge an seinen Anfang, also durch einen Eom-
binationsprozeß, teilweise ausgefüllt wird. Wir können uns dieses
teilweise ausgefüllte, wieder einen einheitlichen Komplex bildende
Wortschema in folgender Weise veranschaulichen, wobei aus der
graphischen Darstellung zugleich das Verhältnis des durch die
Sachverhaltserkenntnis veränderten Wortschemas zu dem die Ver-
änderung herbeiführenden Wissen ersichtlich wird^).
Figur 3.
Wortschema.
Die Bildung derartiger einen Komplex antizipierender ab-
strakter Schemata, bezw. das mit ihnen verbundene Wissen be-
^) Ob solche Schemata als „abstrakte**, mu* hinsichtlich gewisser Meik-
male zur Auffassung gelangende VorsteUungen oder in unanschaulicher Form
gegenwärtig sind, oder ob sie nur als aktuell wirksame Dispositionen zu denken
sind, oder ob alle drei Möglichkeiten bestehen, ist für das Problem der Komplex-
ergfinzung wieder von relativ untergeordneter Bedeutung. Dahingestellt bleiben
kann auch, ob etwa infolge einer Mechanisierung des ganzen Prozesses die
vorgesprochene Lautfolge immittelbar die Bildung eines abstrakten Wortschemas
auslosen kann. Über abstrakte Vorstellungen vgl. namentlich 0. Külpe
a. a. 0. ; K. KofPka, Zur Analyse der Vorstellungen und ihrer Gesetze (Leipzig
1912), insbesondere S. 206 ff., 267 ff.; 6. E. Müller, Zur Analyse der Gedächtnis-
tätig^eit und des VorsteUungsverlaufes S. 646 ff. Mollers Argumentation gegen
die unbestimmten Vorstellungen trifft eine durch die Auffassung bedingte
Unbestimmtheit nicht
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//. Die Komplexergämung. 115
gtinstigt die Eomplexergänzung gegenüber der bloßen Komplex-
auffassung der gegebenen Elemente in dreifacher Weise. Das
abstrakte Wissen, bezw. das ihm entsprechende Schema vermittelt
hierbei ebenso die Reproduktion des ihm entsprechenden konkreten
Anschauungsganzen wie in den im vorigen Abschnitt be-
handelten Fällen ein abstraktes Wissen die Reproduktion des ihm
entsprechenden konkreteren Wissens vermiüelte.
1. Während einerseits ebenso wie bei der isolierten Komplex-
auffassung der vorhandenen Elemente deren räumlich-zeitliche
Anordnung für die Reproduktion bestimmend wird, befindet sich
andererseits das gegebene Komplexstück nicht in der festen Ab-
geschlossenheit, die entsteht, wenn die dargebotenen Elemente zu
einem Komplex für sich zusammengefaßt werden. Es kommt dem
gegebenen Komplexstück in dem abstrakten Schema vielmehr
schon die Bestimmtheit zu, Stück eines größeren Ganzen zu sein,
die es auch in dem zu reproduzierenden Komplex besitzt. Wie
nun die Komplexauffassung gegenüber der isolierten Auffassung
der Elemente die Reproduktion solcher Verbindungen begünstigt,
welche der Komplex als Ganzes eingegangen hat, so begünstigt
die Auffasstuig als Komplexstück gegenüber der Auffassung
als selbständiger Komplex die Komplexerg^tozung gegenüber der
Reproduktion solcher Veri)indungen, in welchen die gegebenen
Elemente als selbständiger Komplex enthalten waren. Bei der
Auffassung der dargebotenen Elemente als Komplexstück wirkt
eben das Schema als ein Ganzes, während die selbständige Be-
deutimg der Verbindtmg der gegebenen Elemente als Komplex
dagegen zurücktritt.
2. Außer der allgemeinen Komplexbestimmtheit antizipiert das
abstrakte Schema auch sonstige Bestimmtheiten des ganzen Kom-
plexes, die über die dargebotenen Elemente imd deren Verbindung
hinausgehen. So antizipiert es in unserem Beispiel schon den
allgemeinen Charakter des Ganzen als eines konkreten Wortes,
und dieses Wort ist weiterhin noch spezieller als ein solches be-
stimmt, das mit der dai^ebotenen Lautfolge beginnt. Soweit
nun ein solches Schema als ein Ganzes wirkt, wird es diejenigen
Komplexdispositionen am leichtesten in reproduktive Erregung ver-
setzen können, die ihm seinen konkreten und abstrakten Bestimmt-
heiten nach am meisten entsprechen. Die Erregung wird hierbei
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116 Absdm, 2. Die Theorie der Wisaensaktuaiisierung.
nicht bloß infolge der Komplexkohärenz von dem bekannten
Eomplexstück aus innerhalb des Komplexes weitei^leitet werden
wie bei der isolierten reproduzierenden Wirkung des gegebenen
Komplexstücks. Vielmehr werden die fehlenden Bestandstücke des
Komplexes infolge ihrer Antizipation in dem den Komplex er-
regenden Schema schon in einen erhöhten Grad der Erregung
versetzt und dadurch ihre vollständige Reproduktion vorbereitet
Auch die schematische Antizipation des allgemeinen Charakters
als eines das bekannte Komplexstück enthaltenden größeren Kom-
plexes (S. 11 5 Ziff. 1 ) wirkt schon im selben l^nne, nur werden hier von
der Wirkung der Antizipation des ganzen Komplexes alle Kom-
plexe in gleicher Weise betroffen, welche das bekannte Komplex-
stück enthalten. Je vollständiger die Bestimmung des Komplexes
in seiner schematischen Antizipation ist, desto stärker wird die
Tendenz zur Erregung der dem Schema entsprechenden Komplex-
dispositionen und die Tendenz zur vollständigen Reproduktion der
erregten Komplexe sein. Es findet also allerdings ein Zusammen-
wirken der konkreten und abstrakten Bestimmtheiten des anti-
zipierten Komplexes statt; dieses Zusammenwirken darf aber nicht
als eine Konstellationswirkung gleichgerichteter isolierter Re-
produktionstendenzen gedacht werden ; denn bei einer solchen würde
das Verhältnis der konkreten zu den abstrakten Bestimmtheiten,
z. B. die Tatsache, daß die bekannten Elemente den Anfang des
Komplexes bilden, nicht zur Geltung kommen. Vielmehr beruht
die Steigerung der Wirkimg bei wachsender Vollständigkeit der
Bestimmung eben auf der größeren Vollständigkeit der Antizipation
des einheitlichen Ganzen, das der Komplex bildet.
3. Das bloße Gegebensein einer Verbindimg von Elementen,
die tatsächlich ein Komplexstück darstellen, ohne ein mit ihm
verbundenes Wissen, kann nicht zum Ausgangspunkt einer auf
Komplexer^üizung gerichteten Zielsetzung werden. Denn die ge-
gebene Verbindung von Elementen für sich allein weist nicht über
sich hinaus. Wohl aber weist das Wissen, daß die gegebene Ver-
bindung Stück eines größeren, eventuell auch schon gewissen
abstrakten Bestünmtheiten nach antizipierten Komplexes ist, über
sich hinaus auf diesen schematisch antizipierten Komplex. Es er-
möglicht daher das Zustandekommen einer auf die Ergänzung des
schematisch antizipierten Komplexes gerichteten Determination.
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//. Die KompiexergOnzung. 117
So wird in unserem Beispiel das Wissen, daß die vorgesprochene
Lautfolge Mel .... den Anfang eines Wortes bildet, im Zusammen-
hang mit dem Wissen, daß dieses Wort die vom Examinator ge-
meinte Persönlichkeit bedeutet, wegen der bestehenden Deter-
mination, die gestellte Frage zu beantworten, die weitere Deter-
mination zur Ergänzung des Wortkomplexes herbeiführen.
§ 3. Die determinierte Komplexergänzung.
Wir sahen bisher, daß bei der Theorie der Komplexergänzung
die Annahme eines konsteUierenden Zusammenwirkens der ein-
zelnen Elemente ersetzt werden muß durch die Annahme einer
Eomplexwirkung dieser Elemente. Wir fanden femer, daß die
Mitwirkung eines über die gegebenen Elemente hinausgehenden
Wissens durch die Annahme eines konstellierenden Zusanunen-
wirkens dieses Wissens mit den bekannten Elementen nicht er-
klärt werden kann. Die Bedeutung eines solchen Wissens wird
vielmehr nur ausreichend berücksichtigt durch die Annahme einer
Komplexwirkung des auf Grrund des Wissens gebildeten, den
Komplex antizipierenden einheitlichen Schemas. Ebensowenig nun
läßt sich die Wirkung der Determination zur Komplexergänzung
auf ein konstellationsartiges Zusammenwirken einer allgemeinen
determinierenden Tendenz zur Komplexerg^knzung (oder spezieller
zur Wortergänzung) und der von dem gegebenen Eomplexstück
bezw, von dem Komplexschema ausgehenden Reproduktionsten-
denzen zurückführen.
So beruht in unserem Beispiel die Wirkung der Determination
zur Komplexergänzung auf einer einheitlichen, in ein Nebenein-
ander verschiedener Tendenzen nicht auflösbaren determinierenden
Tendenz zur Ergänzimg eines Komplexes ganz bestimmter Art,
nämlich eines mit Mel , • • . beginnenden Wortes. Daß die dieser
Determination zugrunde liegende Zielbestimmung eine Mehrheit
von inhaltlichen Bestimmungen enthält, hindert nicht ihre Einheit.
Die verschiedenen inhaltlichen Bestimmungen der vorzunehmenden
Tätigkeit bestehen nämlich nicht nebeneinander, sondern jede
folgende verhält sich zur vorhergehenden wie das Speziellere zu
dem in ihm enthaltenen Allgemeineren. Die bestehende Deter-
mination ist
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118 Absdui, 2. Die Theorie der Wissensaktualisierung,
1. Determination, d. h. Zielsetzung überhaupt und zwar
bewußte Zielsetzung.
2. Diese Determination ist näher bestimmt als — Deter-
mination zur Reproduktion.
3. Diese Reproduktion ist näher bestimmt als eine Repro-
duktion bestimmter Art — Determination zur Reproduktion
eines Komplexes.
4. Dieser Komplex ist näher bestimmt als ein Komplex be-
stimmter Art — Determination zur Reproduktion eines
Wortkomplexes.
5. Dieser Wortkomplex ist näher bestimmt als ein Wort-
komplex bestimmter Art — Determination zur Reproduktion
eines Wortes, das die Lautfolge Mel .... enthält.
6. Das Enthaltensein der Lautfolge Mel .... in dem Wort
ist näher bestimmt — Determination zur Reproduktion
eines Wortes, das die Lautfolge Mel .... als Anfang
enthält.
Die einheitliche Determination enthält wie das sie motivierende
Wissen das schematische Bewußtsein von einem konkreten Wort,
das mit der Lautfolge Mel beginnt. Worin imterscheidet sich
nun die Wirkung der Determination zur Reproduktion eines mit
Mel begumenden Wortes von dem einfachen Gregenwärtigsein
des abstrakten Schemas eines solchen Wortes?
1. Zunächst ist zu beachten, daß die in der Determination
enthaltene Zielbestimmung nicht bloß in der Antizipation des
Bewußtseins von einem mit Mel.... beginnenden Worte be-
steht, sondern das antizipierende Bewußtsein von einem solchen
Wort dient der gedanklichen Antizipation eines psychophysischen
Prozesses bestimmter Art, nämlich einer Komplexeigänzimg, durch
die nähere Bestimmung des zu ergänzenden Komplexes. Die
Frage, in welcher Form eine solche gedankhche Antizipation gegen-
wärtig ist, und ob sie eventuell in verschiedener Weise gegen-
wärtig sein kann, soll hier nicht erörtert werden. Vermuthch
spielt bei der gedanklichen Antizipation des Vorgangs der Kom-
plexergänzung das irgendwie wirksame allgemeine Schema des
Vorgangs einer Komplexergänzung der betreffenden Art (hier von
Worten) eine Rolle. Hierbei wäre das im konkreten Falle den
Ausgangspunkt bildende, den Komplex antizipierende Schema als
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//. Die Komplexergänzung. 119
Anfangsphase in die schematische Vergegenwärtigung des zeitlich
verlaufenden Vorganges einer Eomplexerg^inzung eingesetzt zu
denken.
Es ist eine allgemeine, durch unsere Untersuchungen Überall
bestätigte Gesetzmäßigkeit, daß die Determinierung die Aktuali-
sierung gewisser allgemeiner intellektueller Opera-
tionen nach sich zieht, die zur Verwirklichung eines derartigen
Zieles geeignet sind. Daß die Determination sich auf Repro-
duktion richtet, hat daher zur Folge, daß die eingeleitete intellek-
tuelle Operation ein Reproduktionsprozeß ist, während die
schematische Antizipation eines Komplexes an sich auch einem
Abstraktionsprozeß oder einem Kombinationsprozeß dienen könnte.
2. Daß die Determination sich auf eine Komplexergänzung
richtet, hat zur Folge, daß die bestimmte reproduktive Operation
der Komplexergänzung zur Anwendtmg kommt Das den
Komplex im konkreten Falle antizipierende Schema wird als ein
Ganzes zum Ausgangspunkt eines Reproduktionsvorganges, durch
welchen die dem Schema entsprechenden Komplexe ihrem ganzen
Bestände nach in Erregung versetzt werden und ihre vollständige
Reproduktion herbeigeführt wird. Die Einleitung der determi-
nierten Operation der Komplexergänzung gewährleistet also 1) die
reproduktive Wirksamkeit desSchemas(s. voriger Absatz), 2) seine
reproduktive Wiricsamkeit als eines Ganzen und 8) sie gewähr-
leistet, daß diese reproduktive Wirksamkeit eine bestimmte Rich-
tung, nämlich zur Erregung der Reproduktion der dem Schema
entsprechenden vollständigen Komplexe nimmt imd nicht etwa
zur Reproduktion dessen führt, was mit dem Schema als solchem
assoziiert ist (z. B. der Umstände, unter denen man schon einmal
auf diese Frage keine Antwort gewußt hat).
Wenn innerhalb der reproduktiven Operationen als ein be-
stimmter Fall die Operation der determinierten Komplexergänzung
unterschieden wird, so soll damit nicht behauptet werden, daß es
sich um einen, von anderen determinierten Reproduktionsvorgängen
spezifisch verschiedenen Prozeß handle. Aber es liegt ein
Reproduktionsprozeß von besonderer Richtung vor, der überall
dort veiederkehrt, wo die Determination zur Komplexerg^zung
besteht. Die spezielle Richtung wird bestimmt durch die ge-
dankliche Antizipation des Vorgangs der Komplexergänzung,
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120 Absdm, 2. Die Theorie der Wissensaktuaüsierung.
welche zu der in der einheitlichen Determination enthaltenen Ziel-
bestimmung gehört Die Einleitung der Operaticm der Komplex-
ergänzung wird durch die Determinierung zur Ergänzung eines
bestimmten Komplexes für sich allein herbeigeführt. Die Wirk-
samkeit der Determinierung setzt also nicht voraus, daß schon
von dem abstrakten Schema, oder von der rein gedanklichen
Antizipation des Vorgangs der Komplexergänzung eine Tendenz
zur Vervollständigung des Komplexes ausgeht Sie bedarf nicht
der konstellierenden Mitwirkung einer solchen Tendenz; vielmehr
würde die Determinierung auch zum Ziele führen können, wenn
im konkreten Falle sonstige Tendenzen zur Komplexer^üizung
fehlen würden, bezw. von minimaler Stärke wären.
3. Außer der Einleitung der zur Verwirklichung des Zieles
geeigneten intellektuellen Operationen, zieht die Determinierung
auch diejenige Energie und Dauer bezw. dauernde Be-
reitstellung der in ihnen enthaltenen psychophysischen Pro-
zesse nach sich, die zur Verwirklidiung des Ziels erforderlich ist.
Die Untersuchungen von Ach haben gezeigt, daß die durch die
Determinierung eingeleiteten Prozesse von sehr großer Energie
sein können, und daß diese Energie von dem Grade der zu er-
wartenden Schwierigkeit der Verwirklichung abhängt ^). Die Be-
harrlichkeit der determinierenden Tendenzen ist in den Unter-
suchungen von Ach, Watt, Messer und Michotte-Prüm überall
hervorgetreten '). Sie zeigt sich auch in den im ersten Abschnitt
angeführten Protokollen. Die Erlebnisse des Suchens oder Be-
sinnens, die sich bei Schwierigkeit der Realisierung einstellen,
das wieder von vorne Beginnen sind der phänomenologische
Ausdruck d ieser Beharrlichkeit').
N. Ach, Über den Willensakt und das Temperament (Leipzig 1910).
Einige der von mir an anderer Stelle hervorgehobenen möglichen Fehlerquellen,
welche den Achschen Untersuchungen noch anhafteten, sind in der Unter-
suchung von Gustav Gläßner, Über Willenshemmung und Willensbahnimg,
Untersuchungen zur Psychologie und Philosophie, herausgegeben von N. Ach,
i. Bd, 7. Heft (Leipzig 1912), ausgeschaltet worden. Ob die verschiedene Energie
der eingeleiteten determinierten Prozesse eine verschiedene Stärke des Willens-
vorgangs erfordert oder auch von dem Inhalt der auf stärkere oder schwächere
Prozesse gerichteten Determination abhängen kann, bedarf noch weiterer Unter-
suchung.
") Vgl. oben S.3ff.
•) Vgl namenti. oben H'itS.27, Kt>S.27, Gi. S. 28, Git S. 32, Biti S. 34,
Ai88 S. 89, Di.i S. 40, Aso S. 46, E» S. 50, E^t S.50, G« 8,56. Die im Druck
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//. Die Kompiexergänzung. 131
Wenden wir die Kenntnis dieser allgemeinen Tatsachen auf
den Fall der Komplexergänzung an, so kommen wir zu dem Er-
gelRiis, daß die in der determinierten Operation der Komplex-
ergSnzung enthaltenen psydiophysischen Prozesse infolge ihrer
Energie und Beharrlichkeit in der Konkurrenz mit den von den
gegebenen Elementen des Komplexes oder dem abstrakten Schema
ausgehenden anders gerichteten Tendenzen in der Regel den Sieg
davontragen werden. Sie werden daher, wenn die vorhandenen
Komplexdispositionen nicht sehr schwach sind, die Komplex-
ergänzung herbeiführen.
Vergleichen wir die Wirksamkeit der determinierenden Ten-
denz zur Komplexerg^üizung mit der früher erörterten Wirksam-
keit der Antizipation des Komplexes durch ein abstraktes Schema
ohne den Oedanken an die Komplexergänzung und die auf sie
gerichtete Determination, so sehen wir, daß in beiden Fällen der
eingeleitete Prozeß den gleichen Ausgangspunkt hat, nämlich das
abstrakte Schema, und den gleichen Erfo^ herbeiführt, nämUch
die Vervollständigung des Komplexes. Der Unterschied besteht
aber darin, daß im einen Falle die Komplexerg^üizung auf einer
immanenten Tendenz des abstrakten Schemas, bezw. der ihm
entsprechenden psycho-physischen Erregung beruht, während im
anderen Fall dieses Schema den bloßen Ausgangspunkt
einer allgemeinen, auf alle derartigen Schemata anwendbaren,
infolge der Determinierung zur Komplexergänzung eingelei-
teten intellektuellen Operation bildet Weil die Determi-
nierung zur Ergänzimg eines bestimmten Komplexes Determi-
nierung zur Komplexer^Lnzung ist, hat sie die E^eitung der
allgemeinen intellektuellen Operation der Komplexergänzimg zur
Folge, weil sie Determinierung zur Ergänzimg eines bestimmten
Komplexes ist, hat sie zur Folge, daß die zu der Operation der
Komplexergänzung gehörigen psychophysischen Prozesse von dem
unterstrichenen Fälle sind Fälle des wieder von vorne Beginnens. Es handelt
sich bei ihnen zum Teil um die Determination zum Verständnis der Aufgabe. —
Im weiteren Sinne gehört natOrlich auch die dauernde Einleitung oder Bereit-
stellimg von intellektuellen Operationen bezw. ihre Wiederholung beim von vorne
Beginnen zu den inteUektuellen Operationen, wdche zur Verwirklichung des
Zides geeignet sind. Eine Operation wird solange fortgesetzt oder durch
andere geeignete ersetzt, bis das Ziel verwirklicht oder die Verwirklichung
aufgegd)en ist
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122 Absdm, 2, Die Theorie der Wissensaktualisierung,
abstrakten Schema dieses bestimmten Komplexes ihren Aus-
gang nehmen. Die einzehien Bestimmungen des Inhalts der De-
terminierung verhalten sich also nicht zueinander wie ein Neben-
einander konstellationsartig zusammenwirkender Faktoren, sondern
wie die Bestimmung einer Tätigkeit bestinunter Art zur Bestim-
mung ihres als einheitliches Ganzes in Betracht kommenden An-
griffspunktes im konkreten Falle. Auch die Wirkung der De-
terminierung zur Eomplexergttnzung ist Komplexwirkung in-
sofern, als das abstrakte Schema des Komplexes als Ganzes zum
Angriffspunkt einer infolge der Determinierung eingeleiteten intel-
lektuellen Operation wird.
§ 4. Belege aus anderen Untersuchungen.
Die Notwendigkeit, die Konstellationstheorie durch eine Kom-
plextheorie zu ersetzen, wird in besonders eindringlicher Weise
durch die Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen über
das Lesen demonstriert. Wenn z. B. bei EIrdmann und Dodge
,) verrinn enden " zu „vernein enden " und von einer anderen Vp. zu
n verhinde rnden " verkannt wird 0, so sehen wir, wie die mehr oder
weniger deutlich erkannten Bestandteile des Wortes mit ihren
Zwischenräumen ein Schema bilden, durch das die Oedächtnis-
residuen von Schriftworten erregt werden, welche diesem Schema
entsprechen. Das Lesen überhaupt, besonders aber das Lesen in
solchen Versuchen ist ein determinierter Vorgang. Die Vp. hat
die Determination, die dargebotenen Worte, deren Charakter als
Worte ihr im voraus bekannt ist, zu erkennen. Nach dem all-
gemeinen Gesetz nun, daß eine Determinierung die Aktualisierung
derjenigen allgemeinen intellektuellen Operationen nach sich zieht,
die zu ihrer Verwirklichung geeignet sind, wird das von den er-
kannten Bestandteilen des Wortes und seinen Zwischenräumen
gebildete Schema zum Ausgangspunkt einer starken, in den Dienst
des Erkennens des Wortganzen gestellten Erregung der dem Schema
entsprechenden Reproduktionsgrundlagen von Worten. Da diese
^) a. a. O. S. 183. Unter Verkennung verstdien die genannten Autoren im
Gegensatz zur Verlesung den Fall, daß die irrtümliche Auffassung des Wortes
auf einer optischen Illusion beruht, welche durch apperzeptive Verschmdzung
des Wahrgenommenen mit Gedächtnisresiduen von Schriftworten entsteht
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//. Die Kompiexerganzung, 123
der Auffassung des undeutlich wahrgenommenen Wortes dienen,
80 werden nicht nur die ihnen entsprechenden Vorstellungen re-
produziert, sondern sie verschmelzen zugleich mit dem gegebenen
Elmpfindungskomplex und führen so bei Nichtübereinstimmung mit
dem wirklich Dargebotenen zuweilen die Illusion eines anderen
Wortes herbei 0.
Wie die soeben erwähnten Fälle, so sind auch zahlreiche von
Zeitler') angeführte Beispiele „falscher Assimilationen^ sprechende
Belege für eine Komplextheorie. (Dahingestellt bleiben mag, ob
wirklich in allen jenen Fällen Verkennungen vorliegen.) So
wurde nach Zeitler verkannt:
Phalanstöre zu Polar stem
H edsch ra „ Hei dschn uk
Lepidodendron „ Leoparden
Musix (statt Musik) „ Mastix
usf.
Die Bedeutung des aus den erkannten Bestandteilen in ihrer
räumlichen Anordnung gebildeten Schemas ist hier unverkennbar.
Nicht die erkannten Bestandteile erregen durch die von ihnen
isoliert ausgehenden und im Endglied erst zusammentreffenden
Reproduktionstendenzen die Gedächtnisresiduen geläufiger Schrift-
wörter und ermOglidien hierdurch die assimilierende Verschmelzung
mit dem gegebenen Empfindungskomplex. Vielmehr wird diese
Wirkung durch das ganze Schema herbeigeführt, zu dem die
räumlidie Aufeinanderfolge der erkannten Bestandteile und ihre
vielleicht noch durch einen allgemeinen Charakter (z. B. als
Mittelzeiler) gekennzeichneten Abstände als integrierende Bestand-
teile gehören. Es handelt sich hier also um Tatsachen, welche
eine Konstellationstheorie vergebhch zu erklären sich bemühen wird.
Allerdings treten, wie Zeitler gezeigt hat, beim taclusto-
*) Wie sehr die beim Lesen eingeleiteten inneren und äußeren Operationen
von der jeweils bestehenden Determination abhängig sind, zeigt der von Wiegand
ert)rachte Nachweis, daß der Aufmerksamkeitsumfang imd die durch ihn be-
dingte Treue der Beobachtung von der erteilten Instruktion abhängt Wiegand
S.202ff.
■) J. Zeitler, Tachistoskopische Untersuchungen über das Lesen. Philos.
Studien, 16. S. 380.
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124 Absdui, 2, Die Theorie der Wissensaktualisierung.
skopischen Lesen in einzelnen Fällen auch „Inversionen^ und
„Permutationen" auf. So wurde
Hudsonbai verkannt zu Hasdrubal
Kande laber „ „ Kan adabalsam.
Allein, wie Zeitler ausdrücklich betont, kommen Buchstaben-
vertauschungen nur innerhalb eines gewissen engen Spielraums vor.
Sie sind nach ihm darauf zurückzufuhren, daß die dominierenden
Buchstaben, welche zuerst erkannt werden, nicht genau lokalisiert
sind, sondern in ihrem Herd von unerkannten Buchstaben oszil-
lieren und daher miteinander vertauscht werden können, oder
daß die zeitliche Reihenfolge des Auftretens der Buchstaben mit
ihrer räumlichen Reihenfolge verwechselt wird. Diese scheinbaren
Ausnahmen bestätigen also nur die Regel, daß die räumlich-zeit-
liche Anordnung für die Komplexergänzung maßgebend ist, mn
so mehr, als gerade Beispiele, wie die angeführten, von der teil-
weisen Permutation abgesehen, die Bedeutung des Gesamtschemas
deutlich erkennen lassen.
Auch die Ergebnisse von Wiegand kOnnen wir zum Teil zur
Bestätigung des Gesetzes der Komplexassoziation heranziehen.
So führt Wiegand bei der Besprechung seiner tachistoskopischen
Untersuchimgen mit auslöschendem Reiz aus^: „Handelte es sich
um ein längeres, aus zwei selbstständigen kürzeren zusammen-
gesetztes Wort und ist dann nur der erste oder zweite Teil er-
kaimt, so hat in einzelnen Fällen das Lautbild des erkannten
Teiles das Lautbild des Restes reproduziert Dies beweisen die
Fälle, in denen eine vollständig falsche Ergänzung stattfand, und
der reproduzierte Wortteil mit dem exponierten weder hinsichtlich
einer Reihe von Buchstaben noch hinsichtlich der Gresamtform
übereinstimmt." So wurde „Meinungsäußerung" verlesen zu „Mei-
nungsverschiedenheiten". Die Vp. gibt an, sie habe nur „Mein-"
identifiziert, dazu noch ungefähr die WorUänge. Wir werden
uns hier die Reproduktion durch ein Wortschema vermittelt zu
denken haben, das sich räumlich durch „Mein " oder
„Meinungs " (allerdings nur unvollkommen) darstellen läßt
Infolge der vorhandenen Determination zur Wortergänzung werden
die Komplexdispositionen derjenigen Schrift- oder Lautworte in
') Wiegand S. 230.
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//. Die Kompiexergänzung. 126
Erregung versetzt werden, die mit diesem den Wortanfang und
die ungefiUire Wortlänge vorschreibenden Schema übereinstinmien.
Außerdem zeigen die Protokolle von Wiegand ziemlich zahl-
reiche besonders interessante Fälle, in denen zwar zwischen der
Annahme einer Kompiexergänzung und einer Komplex asso -
ziation nicht sicher entschieden werden kann, in denen dagegen
eine Konstellationswirkung isolierter erkannter Einzelheiten als
ausgeschlossen betrachtet werden darf.
Beispiel^):
Exponiert ist Landungsbr ticke. Bei 4 m Entfernung
gibt die Vp. an, sie sehe ein Band mit 8 Oberlängen an vierter
Stelle, an viertletzter und am Ende. Bei 3,50 m Entfernung ver-^
mutet die Vp. in der Mitte eine Unterlänge.
3,80 m Entfernung: „Ein L — steht am Anfang. Mir kommt
akustisch das Wort „Landesgemeinde^. Die Reproduktion ist auf
Grund erkannter Einzelheiten zustande gekommen. Ich sehe in
der Mitte ziemlich deutlich — g — ."
Nehmen wir die dargebotenen Reize, soweit ihnen die Re-
produktion des unrichtigen Wortes Landesgemeinde entspricht,
als irgendwie wirksam an, wozu auch die obigen Angaben berech-
tigen, so erhalten wir ungefähr folgendes Schema:
Land g | e
(Landungsbrücke)
Dieses Schema vermag daim die Reproduktion des ihm ent-
sprechenden Wortes Landesgemeinde hervorzurufen.
Zwischen der Annahme einer durch den optischen Gesamt-
eindruck auf Grund einer Komplexassoziation herbei-
geführten Reproduktion und der Annahme, daß das aus den
erkannten Bestandstücken gebildete optische oder akustische Ge-
samtschema die Komplexdispositionen solcher Schrift- oder Laut-
worte in Erregung versetzte, die ihm entsprechen, und deren
Reproduktion durch Komplexergänzung herbeiführte, wird
man sich in derartigen Fällen zu entscheiden haben. Dagegen wird
es nicht gelingen, sie auf eine Konstellationswirkung der isolierten
das Gesamtschema konstituierenden Elemente zurückzuführen. Nicht
die in ihren allgemeinen oder besonderen Eigenschaften erkannten
*) a. a. 0. S. 188.
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126 Abschn. 2, Die Theorie der Wissensaktuaüsierung.
Einzelheiten und ihre Abstände vermögen durch das Zusammen-
treffen der von ihnen für sich allein ausgehenden Reproduktions-
tendenzen die Reproduktion herbeizuführen, sondern nur das
Gesamtschema, das sich aus diesen in bestimmter
Reihenfolge und in bestimmten Abständen gegebenen
Einzelheiten konstituiert, wird in seiner ihm nur als
Komplex zukommenden Gesamtbestimmtheit imstande sein,
gerade diejenigen Komplexdispositionen anzusprechen, die mit der
gegebenen Anordnung von Elementen übereinstimmen. Daß die
Übereinstimmung mit dem Schema nicht etwa nur eine zufiQlige
ist, zeigt die große Zahl der Fälle, in welchen sie besteht So
bildete sich bei einem Versuch, in dem „Sammetkragen^ exponiert
war, bei wachsender Annäherung des Reizobjektes laut Aussage
der Vp. Prof. Schumann ein Schema von der ungefiQir^i Form
Sol I I I I I— ka|en
heraus, das in seinem Werdestadium, in dem namentlich das k
nur als Oberlänge wirksam gewesen zu sein scheint, die Vp. auf
„Sonntagen^ und später auf „Sommertagen*' raten ließ ^).
In ähnlicher Weise wurde in anderen Fällen „verrennen" zu
„verworren", „verriimen" zu „vereinen", „meinem" zu „minus",
„minnen" zu „mimen", „Abstinentenversammlung" zu „Unter-
richtsverwaltung", „Akrobatenversammlung" zu „Arbeiterinnen-
versammlung" verlesen*).
Auf die Tatsache, daß das Wissen von abstrakten Bestimmt-
heiten eines Elements oder eines Komplexes die Reproduktion des
betreffenden Elements oder Komplexes erleichtert, hat G.E.Müller
im Anschluß an seine Untersuchungen über die Komplexbildung
beim Lernen hingewiesen (Satz von der reproduktiven
Wirksamkeit der gewußten Teilinhalte'). So erleichtert
das Lernen mit konstantem Komplexumfang oder in bestimmtem
Rhythmus die Reproduktion des jeweils zu reproduzierenden Kom-
a. a. 0. S. 1®.
■) a. a. O. S. 171, 172, 183. Vgl. femer S. 184—186 u. a. Ganz ahnUche
Vorgänge wie beim Lesen finden auch beim Erkennen gesprochener Worte
statt Vgl. namentlich K. Kroiß, Zur Methodik des HOrunteirichts. BeitrSge
zur Psychologie der Wortvorstellung (Wiesbaden 1908).
•) Vgl. oben S. 72 Anm. 1.
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//. Die Komplexergänzung. 127
plexes einer Reihe durch das Wissen von der Zahl seiner Elemente
bezw. von seiner Betonung.
Auch in der Anwendung dieser Fälle zeigen sich die Vor-
züge einer Komplextheorie vor einer Eonstellationstheorie. Neh-
men wir an, der Übergang von der zweiten zur dritten Silbe
einer trochäisch gelernten Reihe werde durch das Wissen ge-
fördert, daß die dritte SUbe zu den betonten gehört. Nach
der Eonstellationstheorie würde das heißen: Es besteht einer-
seits die vom ersten Takt der Reihe ausgehende Tendenz zur
Reproduktion des ersten Gliedes des zweiten Taktes. Außerdem
werden gleichzeitig durch das irgendwie repi^entierte Bewußtsein
von der stattgefundenen Betonung sämtliche betonten Glieder der
Reihe in reproduktive Erregimg versetzt. Nach dem Gresetz der
gegenseitigen Förderung gleichgerichteter Reproduktionstendenzen
würde dann die nächste betonte Silbe ins Bewußtsein treten. Be-
ende sich nun eine der betonten Silben in sehr hoher Bereitschaft,
so bestände bei der Annahme einer Eonstellationswirkung eine
große Wahrscheinlichkeit, daß diese Silbe und nicht die in der
Reihe folgende ins Bewußtsein träte. Vom Standpunkt der Eom-
plextheorie dagegen werden wir sagen: Das auf die Betonung
des gesuchten Reihengliedes bezügliche Wissen ist mehr als die
bloße Vorstellung einer bestimmten Betonung, es ist ein Bewußt-
sein von dem Sachverhältnis, daß das auf den vorausgegangenen
Takt folgende Reihenglied betont war. Dieses Wissen, das nicht
als immer bewußt gegenwärtig gedacht zu werden braucht, hat
die Bildung eines einheitlichen Schemas von dem Anfang der
Silbenreihe zur Folge, indem der erste Takt in concreto, das erste
Glied des zweiten Taktes aber als eine eventuell auch schon der
Zahl der Buchstaben nach bestimmte Silbe von bestimmter Be-
tonung bestimmt ist. Dieses Schema wird als Ganzes der Aus-
gangspunkt einer determinierten Reproduktion, so daß die selb-
ständige Wirksamkeit des allgemeinen Gedankens an eine bestimmte
Betonung, durch die auch andere betonte Reihenglieder reproduziert
werden könnten, sehr eingeschränkt ist.
Selbst wenn man, wozu G. E. Müller zu neigen scheint 0» an-
nähme, daß das Wissen von der Betonung der gesuchten Silbe
nur in der Reproduktion einer bei der Einprägung vorhanden ge-
a. a. O. S. 344.
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128 Absdm, 2. Die Theorie det Wissensaktualisierung,
wesenen charakteristischen motorischen Begleiterscheinung be-
stände, so würde man doch zu der Annahme einer Komplexwirkung
gelangen, nach der der erste Takt und die den zweiten Takt teil-
weise antizipierende motorische Begleiterscheinung als Ganzes
die Reproduktion der gesuchten Silbe herbeiführen. Für das
abstrakte Wissen, daß es sich um eine Silbe und zwar um eine
Silbe mit einer bestimmten Zahl von Elementen handle, ließe sich
übrigens schon viel schwerer eine konkrete sinnliche Reprtlsen-
tation ausfindig machen. Das Wort Silbe zum Beispiel und das
der Zahl der Elemente entsprechende Zahlwort könnten einen
direkten Einfluß auf die Reproduktion nur dann ausüben, wenn
sie bei der Einprtigung mit jeder Silbe der Reihe assoziiert worden
wären, was sehr unwahrscheinlich ist.
§ 5. Die drei Gesetze der Komplexergänzung.
Fassen wir die vorangegangenen Ausführungen zur Theorie
der Komplexergänzung kurz zusammen, so erhalten wir folgende
3 Gesetze der Komplexergänzung:
1. Ein gegebenes als einheitlich Ganzes wirkendes Komplex-
stück hat die Tendenz, die Reproduktion des ganzen Komplexes
herbeizuführen.
2. Ein einen Komplex seinem ganzen Bestände nach anti-
zipierendes Schema hat die Tendenz, die Reproduktion des ganzen
Komplexes herbeizuführen.
3. die auf die Ergänzung eines schematisch anti-
zipierten Komplexes gerichtete Determination be-
gründet die Tendenz zur Reproduktion des ganzen Komplexes *).
In den beiden ersten Fällen beruht die Tendenz zur Komplex-
ergänzung auf einer immanenten Reproduktionstendenz des Kom-
plexstücks bezw. des Schemas, im dritten Fall bildet das Schema
nur den Ausgangspunkt für die auf Grund der Determinierung
eingeleitete allgemeine intellektuelle Operation der Komplex-
ergänzung. Bezüglich der Vorteile des dritten Falles vor dem
*) Ober die Konkurrenz mdirerer dem KomplexstQck entsprechender
Komplexe siehe oben S. 109 f. Das dort Gesagte findet auch in den dem zweiten
und dritten Gesetz der Komplexergänzung entsprechenden Fällen Anwendung
(vgl. auch oben S. 115 f.).
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///. Die WiSsensaJättaäsierung als Komplexergänzung. 129
zweiten und des zweiten Falles vor dem ersten ist auf die früheren
Ausführungen zu verweisen.
Bei dem ersten der 3 Gesetze der Eomplexerg^üizung könnte
man an Hamiltons Gesetz der Redintegration ^) oder HOffdings
(besetz der Totalität denken^. Allein diese (besetze sudien nur
das allgemeine Gesetz der Assoziation in der besonderen Fassung
zum Ausdruck zu bringen, daß jedes Element eines Komplexes
die Tendenz hat, den ganzen Komplex wieder zu erzeugen. Sie
enthalten keine Aufstellung darüber, wie dieser Redintegrations-
prozeß vor sich geht So sucht James unter ausdrücklicher An-
führung von Hamiltons allgemeinem Gesetz der Redintegration
den speziellen Fall der „vollständigen Redintegration^ durch seine
Konstellationstheorie zu erklären'). Er führt also die Redinte-
gration nicht auf die Wirkung des Komplexstückes als eines ein-
heitlichen Ganzen, sondern auf die Konstellationswirkung der in
ihm enthaltenen Elemente zurück^). In den von uns aufgestellten
3 Gesetzen der Komplexerg^bizung kommt dagegen das Ergebnis
zum Ausdruck, daß die Konstellationstheorie der Komplexer^nzung,
von Ausnahmen abgesehen, sowohl für den Fall der undetermi-
nierten als für den Fall der determinierten Komplexergänzung
durch eine Komplextheorie ersetzt werden muß.
IIL Die Wissensaktualisierung als Komplex-
ergänzung.
Die Gesetze der Komplexergänzimg wurden zunächst für
Anschauungsganze abgeleitet. Sie gelten aber ebenso wie das
Gesetz der Komplexassoziation für Komplexe überhaupt^), also
auch für Beziehungsganze und daher auch für Wissenskomplexe,
die für uns hier zunächst ausschließUch in Betracht kommen. Zu
einem vollen Verständnis des Vorgangs der Wissensaktualisierung
W. HamiUonB, Lectures on Metaphsrsies and Logics edited by Hansel
and Veitch (London 1866) VoL U, p. 288.
*) H. Höffding, Psychologie, 4. daitsche Aufl. (Leipzig 190^ S. 210 f., 2ia
Vf^ oben S. 91 Anm. 3.
*) Nfiher scheint der hier vertretenen AufÜBissung die Fassung des Ge-
setzes der BerOhrungsassoziation bei Koflfka, Zur Analyse der Vorstellungen
und ihrer Gesetze (Ldpzig 1912) S. S4A, zu konunen.
•) Vfi^oben S.97f.
Seil, Über die <3etetae des geordneten DenkTerlaote. 9
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190 Aiwhn, 2, Die Theork der Wissensaktualisienmg.
genügt jedoch die bloBe Übertragung der Gesetze der Komplex-
ergänzung auf WiBsensaktualirierungen nicht, sondern es bedarf
hierzu einer vorhergehenden Analyse der Struktur der Wissens-
komplexe.
Wir haben das Wissen früher vorläufig definiert als das
aktuelle, bezw. dispositionelle Bewußtsein von Sachverhtfltnissen.
Hieraus ergeben sich für die Analyse der Wissenskomplexe
folgende drei Fragen:
1. Was sind Sachverhältnisse?
2. Was sind Sachverhältnisse als psychische Gregenstände?
3. Wie entsteht ein Bewußtsein von Sachverhältnissen, bezw.
die Disposition zu einem solchen Bewußtsein, und welches
ist die Struktur dieser Bewußtseinserlebnisse, bezw. der ent-
sprechenden Dispositionen?
Wir beginnen mit der Beantwortung der ersten Frage.
A. Allgemeine Charakterisierung der Sachverhältnisse*
Die Frage nach der allgemeinen Charakterisierung der Sach-
verhältnisse ist zwar eine Vorfrage für die psychologische
Frage nach der Struktur der Wissenskomplexe, sie ist aber, an
sich betrachtet, keine psychologische Frage. Sachverhältnisse be-
stehen nicht nur in der Welt der realen psychischen Gr^^nstände,
sondern auch im Gebiete der realen physischen Gegenstände und
im Gebiete der idealen Gegenstände, z. B. der Gegenstände der
Mathematik. Die allgemeine Charakterisierung der Sachver-
hältnisse gehört daher nicht in die Psychologie, die es nur mit
Bewufitseinvorgängen und deren Voraussetzungen zu tun hat,
sondern in eine allgemeine Theorie der Erkenntnisgegenstände,
eine allgemeine Gegenstandstheorie im Sinne Meinongs oder
Külpes*), oder in eine besondere Wissenschaft von den Sach-
Über den von Meinong geprägten Begriff der Gegenstandstheorie vgl.
„Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie**, herausgegeben von
A. Meinong (Leipzig 1904) I. über Gegenstandstheorie, namentlich S. 3, 5, 13,
17 ff., 25, 26, 28, 30, 37, 40, 42; femer „Über die Stellung der Gegenstands-
theorie im System der Wissenschaften**, Zeitschr. f. Philos. und philos. Kritik,
Bd. 129, 130. Nach Meinong umfaßt die Gegenstandstheorie alles, was aus
der Natur der Gregenstände erkannt werden kann, soweit es nicht zum G^;en-
stand besonderer Wissenschaften, z. B. der Mathematik geworden ist Wie
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///. Die Wissensaktuaiisierung als Komplexergänzung, 181
Verhältnissen 0. Eine ausgeführte Theorie über die Natur der
Sachverhältnisse und eine Erörterung der bei derartigen gegen-
standstheoretischen Untersuchungen einzuschlagenden Methode und
ihrer Beziehungen zu den Aufgaben und Methoden der deskrip-
tiven Psychologie würde den Rahmen dieser Untersuchungen über-
schreiten. Es soll vielmehr nur versucht werden, an der Hand
typischer F^e auf das allen Sachverhältnissen Gremeinsame kurz
hinzuweisen. Wir sehen hierbei zunächst sowohl von allenfallsigen
Besonderheiten ab, welche für Sachverhältnisse gelten, die in der
Welt der psychischen Gegenstände bestehen, als von der Frage,
wie ein Bewußtsein von Sachverhältnissen überhaupt und von
bestimmten Sachverhältnissen möglich ist
Lassen wir nacheinander zwei Töne eiAJingen, so wird jeder
der erzeugten Tonempfindungen aus der Reihe der möglichen
Tonstärken eine bestimmte zukommen. Nennen wir die der zeit*
lieh vorausgehenden Tonempfindung A zukommende absolute, also
auch ohne eine Beziehung auf irgend em Einheitsmaß zu be-
aus den Untersuchungen zur Gegenstandstheorie von Ameseder und Mally
(Untersuchungen zur Gegenstandstheorie, II und DI) hervorgeht, gehört zur
Gegenstandstheorie in diesem Sinne auch die oberste Klassifikation der Gegen-
stände und die allgemeine Charakteristik der einzehien Klassen. Eine engere
Au^l^abe stellt KOlpe der Gegenstandstheorie, nämUch die Feststellung derjenigen
Bestimmungen, die alle Gegenstände des Denkens zulassen, z. B. Gleichheit,
Ungleichheit, Zitfilbarkeit Vgl 0. KOlpe, Einleitung in die Philosophie, 6. Aufl.
(Leipzig 1918) S. 42, 66. Die Realisierung, 1. Bd. (Leipzig 1912) S. 9 ff. Da
Sachverhältnisse in bezug auf Gegenstände aller Art möglich sind, so würde
auch die Gegenstandstheorie im engeren Sinne die allgemeine Charakterisierung
der Sachverhältnisse in sich schließen. (Vgl. KOlpe, Die Realisierung, S. 11.)
Außer den verschiedenen Untersuchungen Meinongs enthalten namentlich auch
die logischen Untersuchungen Husserls wichtige Beiträge zur Begründung einer
Gegenstandstheorie. E. Husserl, Logische Untersuchungen (Halle a. S. 1900/01).
Stumpf, Husseri, Meinong und vor ihnen Bolzano und Brentano haben unter
verschiedenen Namen zuerst auf Sachverhältnisse als eine besondere Art von
Gegenständen hingewiesen und ihnen gegenstandstheoretische Betrachtungen
gewidmet Vgl. C. Stiunpf, Erscheinungen und psychische Funktionen 1907
(Aus den Abhandlungen der K. preuß. Akad. d. W. v. Jahre 1906) S. 29f. Stumpf
ftkhrte den Ausdruck „Sachverhalt** ein. Wir gebrauchen statt dessen den Aus-
druck „Sachverhaltnis**, um durch das Wort „Verhältnis** die eigentümliche
Natur der Sachverhaltnisse als ein sich zueinander in einer bestimmten Weise
Verhalten von bestimmten Gregenständen zum Ausdruck zu bringen.
') Vgl. G. Stumpf, Zur Einteilung der Wissenschaften 1907, aus den Ab-
handlungen der K. preuß. Akad. d. W. v. Jahre 1906, IV. S. 32 ff., 40 ff. Auch
nach Meinong können sich von der allgemeinen Gegenstandstheorie außer der
Mathematik weitere gegenstandstheoretische Wissenschaften abspalten.
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182 AMm. 2. Die Theorie der Wisaensaiäaalisierung,
zeichnende Intensität ^^ so kann der zeitlich nachfolgenden Ton-
empfindung B entweder eine beliebige andere Intensität zukommen,
oder es kann auch diese Tonempfindung die Intensität A besitzen.
Im letzteren Falle ist dann gegeben:
1. Die Tonempfindung A mit der Intensität ^,
Damit zugleich aber
3. das Sachverhältnis, daß die Tonempfindungen A und B die
Intensität ^ gemeinsam haben, oder was dasselbe ist, das in
der Beziehung des die Intensität i gemeinsam Habens Stehen
von A und B.
Dieses Sachverhältnis ist mit den beiden Tonempfindungen
und ihren absoluten Bestimmtheiten ohne weiteres mitgegeben.
Es liegt in der Natur der beiden Empfindungen, die Intensität A
gemeinsam zu haben, also in der Beziehung des die Intensität ^
gemeinsam Habens zueinander zu stehen. In demselben Sinne,
in dem mit einem Dreieck die Gesamtgröße seiner Winkel ohne
weiteres mitgegeben ist und nicht als etwas, was nicht mit dem
Dreieck schon vorhanden wäre, erst hinzukommt, ist auch mit
den beiden Tonempfindungen das Sachverhältnis der Gemeinsam-
keit der Intensität ^ schon mitgegeben. Es kommt nicht erst
durch einen beziehenden Akt des erkennenden Subjekts hinzu
imd besteht völlig imabhängig davon, ob es von irgend einem
Subjekt bemerkt wird. Mit dem konkreten Sachverhältnis aber,
daß die Tonempfindungen A und B die Intensität i gemeinsam
haben, ist wieder implizite das abstraktere Sachverhältnis, als in
ihm enthalten, mitgegeben, daß die Tonempfindungen A und B
die Intensität gemeinsam haben, oder anders ausgedrückt, daß die
Tonempfindungen A und B dieselbe Intensität haben. Unter der
identischen Intensität der beiden Tonempfindungen (der Intensität^)
ist hierbei nicht die einen realen Teilgegenstand der einzelnen
Empfindungen bildende Intensität der Tonempfindungen A oder B
zu verstehen, sondern die reine Wiebestimmtheit, welche diese
realen Intensitäten besitzen. Diese kann für eine beliebige An-
zahl von Tonempfindungen dieselbe sein.
Besitzen die Tonempfindungen A und B nicht nur beide die
Intensität >t, sondern auch beide die Tonhöhe juty die Tonfarbe v,
das Volumen o und die Dauer ^, so ist gegeben:
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///. Die WissensaMtuaüsierung als KompiexergOnzung. laS
1. die Tonempfindimg A mit
2. die Tonempfindung B mit
Intensität ^l
Tonhöhe jul
Tonfarbe v
Volumen o
Dauer . . 7t
Damit zugleidi aber ist mitgegeben
3. das SachverhältniSy daß die Tonempfindungen A und B die
Intensität ^, die Tonhöhe /«, die Tonfarbe v, das Volumen o
und die Dauer Jt gemeinsam haben und mit ihm zugleich
das in ihm enthaltene abstraktere Sachverhältnis, daß die
Tonempfindungen A und B dieselbe Intensität, Tonhöhe, Ton-
farbe und Dauer und dasselbe Volumen haben.
Nehmen wir an, daß Intensität, Tonhöhe, Tonfarbe, Volumen
und Dauer die totale Wiebestimmtheit einer Tonempfindung
darstellen, sodaß sich die Tonempfindungen A und B nur noch
ihrer Zeitlage und ihrem getrennten Dasein nach unterscheiden,
so ist mit den eben erwähnten Sachverhältnissen das Sachverhält-
nis mitgegeben, daß die Tonempfindungen A und B dieselbe totale
Wiebestimmtheit haben, oder was dasselbe ist, daß die Ton-
empfindungen A und B gleich sind; denn unter Gleichheit verstehen
wir die Identität der totalen Wiebestimmtheit von Gregenständen,
bezw. die Identität ihrer Wiebestimmtheiten, soweit sie nicht bei
der Betrachtung vernachlässigt werden ^. Das Sachverhältms der
Gleichheit der Tonempfindungen A und B ist also mit den Ton-
empfindungen A und B mitgegeben. Es ist in der Natur dieser
Gegenstände begründet, denn es liegt in ihrer Natur, daß sie die-
selbe totale Wiebestimmtheit haben, und damit gleich sind.
Es leuchtet ein, daß das, was von den Tonempfindungen
A und B gilt, von beliebigen anderen Gegenständen gelten muß.
Haben wir:
^) Unter den Wiebestimmtheiten eines Gegenstandes verstehen wir seine
qualitativen Bestimmtheiten im weitesten Sinne im Gegensatz zu seiner Existenz
und der ihm zukommenden räumlichen und zeitlichen Lagebestimmtheit, gleich-
gOltig, ob diese als eine absolute oder bloß relative zu denken ist
■) VgL die Definition der Gleichheit bei E. Husserl, Logische Unter-
suchongen, 2. Bd. (HaUe 1901) S. 112 f. Die obige Definition gilt nur für m-
dividuelle Gegenstände. Allgemeine Gegenstände, z. B. ein ideales Dreieck,
können streng genommen nicht gleich sein, sondern sind bei Übereinstimmimg
ihrer totalen Wiebestimmtheit, da ihnen Dasein und räumliche oder zeitliche
Lagebestimmtheit fehlen, identisch.
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184 Absdin, 2. Die Theorie der Wissensaktuaäsierung.
1. einen beliebigen (Gegenstand A mit den Wiebestimmt-
heiten
2. einen beliebigen Gregenstand B mit den Wiebestimmt-
heiten
XI
xt
xt
X4
[UBW.,
XI
xt
xt
X4
USW.,
so liegt in der Natur dieser beiden Gegenstände
3. das Sachverhttltnis, daß die GregenstMnde A und B dieselbe
totale Wiebestimmtheit haben, also gleich sind. Umgekehrt
liegt es in der Natur des dieselbe totale Wiebestimmtheit
Habens zweier Gregenstände, also eines Sachverhältiüsses der
Gleichheit, daß es nicht selbständig für sich, sondern nur
dann gegeben sein kann, wenn die gleichen Gegenstände
gegeben sind.
Nennen wir Gegebenheiten, die keine selbständigen Gregeben-
heiten sind, sondern in deren Natur es liegt, mit anderen Gregen-
ständen mitgegeben zu sein, Mitgegebenheiten, so ist jedes
Sachverhältnis der Gleichheit eine Mitgegebenheit, die in der
Natur der gleichen Gegenstände liegt. Wir gelangen zu einer all-
gemeinen Charakteristik solcher Mitgegebenheiten, wenn wir ver-
schiedene Sachverhältnisse der Gleichheit miteinander vergleichen.
Angenommen, wir haben folgende Sachverhältnisse der Gleichheit:
1. die Gegenstände A und B haben dieselbe totale Wiebestimmtheit,
2. die Gegenstände B und C haben dieselbe totale Wiebestimmtheit,
3. die Gegenstände E und F haben dieselbe totale Wiebestimmtheit,
usw.
Wie dieselbe reine QuaUtät, z. B. eine bestimmte Tonhöhe in einer
ganzen Reihe von gleichartigen Empfindungen wiederkehren kann,
so kehrt in allen solchen Sachverhältnissen etwas Identisches wieder,
das sie von Sachverhältnissen anderer Art unterscheidet. Es ist
das dieselbe totale Wiebestimmtheit Haben oder das Gleichsein.
Dieses in allen Sachverhältnissen der Gleichheit Wiederkehrende
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///. Die Wissensaktualisi e rung als Komplexergämung, 186
nennen wir in Übereinstimmung mit einem engeren Sprachgebrauch
des Wortes Beziehung: die Beziehimg' der Gleichheit 0- Wie es
in der Natur einer reinen Qualität liegt, an verschiedenen indivi-
duellen realen Gegenständen, z. B. an verschiedenen Empfindungen
vorzukommen, so liegt es in der Natur des Gleichseins oder der
Beziehung der Gleichheit, in verschiedenen individuellen Sach-
verhältnissen vorzukommen.
Außer der identischen Beziehimg der Gleichheit, welche in
allen Sachverhältnissen der Gleichheit dieselbe ist, und sie nur
von Sachverhältnissen anderer Art unterscheidet, finden wir in
allen Sachverhältnissen der Gleichheit die in der Beziehung der
Gleichheit stehenden Gegenstände, welche in den verschiedenen
Sachverhältnissen wechseln und sie dadurch voneinander unter-
scheiden. Es genügt hierzu schon, daß einer der in der Beziehung
der Gleichheit stehenden ' Gegenstände von den Gegenständen
eines anderen Sachverhältnisses verschieden ist. Wir haben dem-
nach in allen Sachverhältnissen der Gleichheit zu unterscheiden
1. die beiden Gegenstände, die von Fall zu Fall wechseln,
2. die Beziehung der Gleichheit, welche immer dieselbe iden-
tische Beziehung ist.
Daß in allen Sachverhältnissen der Gleichheit die beiden Gegen-
stände und die Beziehung der Gleichheit eine Rolle spielen, be-
deutet jedoch nicht, daß das Sachverhältnis der Gleichheit in einem
Aggregat aus ihnen bestände oder sich aus ihnen zusammensetzte
wie ein Ganzes aus seinen Teilen. Ein individuelles Sachverhält-
nis der Gleichheit verhält sich vielmehr zu der Beziehung der
Gleichheit, die ihm mit anderen Gleichheitsverhältnissen gemein-
sam ist, analog wie ein individueller realer Teilgegenstand, etwa
eine reale Tonhöhe, zu der allgemeinen reinen Wiebestimmt-
heit, die ihr in Gemeinschaft mit den realen Tonhöhen anderer
Töne zukommt Dieses Verhältnis ist also jedenfalls anderer Art
als das Verhältnis zwischen einem Ganzen imd seinen selbständigen
') Auch an den Beziehungen ist der allgemeine Beziehungs-
charakter, welcher die Beziehungen von anderen Gegenständen unterscheidet,
von der speziellen Beziehungsqualität, die durch die Worte „gleich^
«verschieden'" usw. bezeichnet wird, zu unterscheiden. Die Beziehungsqualität
darf nicht mit der Beziehung identifiziert werden. Vgl. den Begriff des „Relats"
bei Meinong und Mally, Untersuchungen zur Qegenstandstheorie, III. S. 142.
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186 Abadin. 2. Die Theorie der Wissensaktuaüsierung.
Teilen oder als das Verbttltnis eines bloßen Nebeneinander. Das
Gleiche gilt fttr die Rolle, welche den Gregenstttnden, mit denen
das Sachverhältnis der Gleichheit mitgegeben ist, in diesem Sach-
verhältnis zukommt. Sie ist eine durchaus eigenartige, mit Hilfe
anderweitiger Begriffe nicht beschreibbare, sondern kann nur bei
der Analyse eines Sachverhaltnisses vorgefunden und mit den uns
durch die Sprache zur Verfügung gestellten Mitteln bezeichnet
werden. Es ist die Rolle dessen, was zu einem anderen in einer
bestimmten Beziehung steht, bei seinem in dieser bestimmten Be-
ziehimg Stehen zu dem andern. Das Sachverhältnis der Gleich*
heit aber ist das in der Beziehung der Gleichheit Stehen
(das dieselbe Wiebestimmtheit Haben oder Gleichsein) bestimmter
Gegenstände, das durch die Gegenstände, welche in der Be-
ziehung stehen, seine individuelle Charakteristik und durch die
Beziehung, in der sie stehen, seine Charakteristik als ein Sach-
verhältnis bestimmter Art empföngt.
Entsprechendes wie fttr die Sachverhältnisse der Gleichheit
gilt auch für Sachverhältnisse der Verschiedenheit Haben wir:
XI
xs
X8
X4
USW.,
einen beliebigen Gegenstand A mit der totalen
Wiebestimmtheit
einen beliebigen Gegenstand mit der totalen Wie-
bestimmtheit
80 liegt in der Natur dieser Gegenstände
y«
y«
y*
usw.
3. das Sachverhältnis, daß die Gegenstände A und B eine nicht-
identische totale Wiebestimmtheit haben ^), oder was dasselbe
Die Nichtidentitat der totalen Wiebestimmtheit zweier GegenstAnde
ist ebenso wie ihre Identität eine positive Gegebenheit und nicht ein Nichtvor-
handenes. Die Nichtidentitat kann auch als Verschiedenheit bezeichnet werden,
muß aber dann als Verschiedenheit, welche der Identität entgegengesetzt ist,
unterschieden werden von der Verschiedenheit, wddie der GldcUidt als Nicht-
gleichheit entgegengesetzt ist
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///. DU Wissensakhtalisientng als Kompiexergänxung. 187
ist, das Sachverhältnis, daß die (Gegenstände A und B (total)
verschieden sind. Umgekehrt liegt es in der Natur des eine
nichtidentische totale Wiebestumntheit Habens zweier Gegen-
stände, also eines Sachverhältnisses der Verschiedenheit, daß
es nicht selbständig für sich, sondern nur dann gegeben
sein kann, wenn die verschiedenen Gegenstände gegeben sind.
Ebenso würde in der Natur von Gegenständen, deren Wiebestimmt-
heiten teilweise nichtidentisch sind, ihre partielle Verschiedenheit
begründet sein, der eine partielle Gleichheit entspräche.
Auch Sachverhältnisse der Verschiedenheit sind also Mit-
gegebenheiten, die in der Natur der verschiedenen Gegen-
stände begründet sind. In allen Sachverhältnissen der Verschieden-
heit kehrt etwas Identisches wieder, nämlich das Nichtidentisch-
sein von reinen Wiebestimmtheiten. Dieses in allen Sachverhält-
nissen der Verschiedenheit Wiederkehrende ist die Beziehung
der Verschiedenheit. Wie es in der Natur einer reinen
Qualität liegt, in verschiedenen realen Gegenständen vorzukommen,
so liegt es in der Natur der Beziehung der Verschiedenheit, in
verschiedenen individuellen Sachverhältnissen wiederzukehren. Von
der Beziehimg der Verschiedenheit, die in allen Sachverhältnissen
der Verschiedenheit identisch ist, sind die individuellen Sach-
verhältnisse der Verschiedenheit zu unterscheiden. Sie
sind das in der Beziehung der Verschiedenheit Stehen
bestimmter Gegenstände.
Nicht alle Sachverhältnisse sind wie die Sachverhältnisse der
Gleichheit und Verschiedenheit in der Natur der in der Beziehung
stehenden Gegenstände, der Sachverhaltsglieder, begründet, ohne
Rücksicht auf die Stelle, welche ihnen innerhalb der Gegenstands-
ordnung zukommt, in die sie gehören. Es gibt vielmehr zwei
Klassen von Sachverhältnissen, bezw. der in ihnen enthaltenen
Beziehungen. Die Sachverhältnisse der ersten Klasse sind Mit-
gegebenheiten, die in der Natur der Sachverhaltsglieder ohne
Rücksicht auf ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gegenstands-
ordnung, z. B. auf ihre Stelle in der i^umlich-zeitlichen Ordnung
realer Gegenstände, begründet sind. Schon Hume hat auf diese
Klasse von Sachverhältnissen bezw. Beziehungen aufmerksam ge-
macht 0* Zu ihr gehören außer den schon behandelten Sachver-
•) Treat, Part lU, Sect. 1.
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188 Abadui. 2. Die Theorie der Wissensaktaaüsierung,
hältnissen auch die GrößenverfaKltnisse und die uns besonders
interessierenden Verhältnisse zwischen Begriffen. Auch die Sach-
verhältnisse der zweiten Klasse sind Mitgegebenheiten. Sie sind
aber nicht in der Natur der Sachverhaltsglieder schlechthin, sondern
in der Natur einer bestimmten Ordnung der in Beziehimg stehen-
den Oegenstände, z. B. in einer bestimmten räumlich-zeitlichen
Gtegenstandsordnung begründet. Dahingestellt bleiben kann, ob
diese Gegensümdsordnimg selbst wieder auf die Natur der (xegen-
stände, z. B. auf eine ihnen zukommende absolute Orts- oder Zeit-
bestimmtheit zurückgeht 0- In die zweite Klasse gehören z. B.
die Verhältnisse des räumlichen Nebeneinander, der zeitlichen
Koexistenz und des Nacheinander. Wir können die in den Sach-
verhältnissen der ersten Klasse enthaltenen, in der Natur der Gregen-
stände schlechthin begründeten Beziehimgen „Gegenstands -
beziehungen^, die in der zweiten Klasse enthaltenen, in der
Natur einer Gegenstandsordnimg begründeten Beziehungen „Ord-
nungsbeziehungen^ nennen. Diese Einteilung fällt inhaltlich,
wenigstens zum großen Teil, mit der von Erdmann gegebenen
Einteilung in ideale und reale Beziehungen zusammen^. Nach
unserer Auffassung sind jedoch auch die Beziehungen der ersten
Klasse nicht ideale Beziehimgen, die lediglich für unser Denken
vorhanden wären, sondern beide Arten von Beziehungen und die
ihnen entsprechenden Sachverhältnisse sind in der Natur des
objektiv Gegebenen begründet, mit ihm mitgegeben.
Auch in allen Ordnungsverhältnissen haben wir die in ver-
schiedenen Sachverhältnissen der gleichen Art verschiedenen Gegen-
stände und die in allen Ordnungsverhältnissen derselben Art iden-
tische Ordnungsbeziehung zu unterscheiden. Auch hier besteht
das Sachverhältnis in dem in einer bestimmten Ordnungsbeziehung
Stehen bestimmter Gegenstände. So stehen die mit einer Seite
aneinander grenzenden Flächen einer schachbrettartigen Figur
alle in der überall identischen Beziehung des Nebeneinander.
Das in der Beziehung des Nebeneinander Stehen zweier Felder
^) Vgl. über die Annahme einer absoluten Orts- und ZeiÜ>estiniintheit
A. Meinong, Humestudien, II. (aus den Sitzungsberichten der R. Akad. d. W., phüos.
histor. Klasse, Wien 1882) S. 618 f.
*) B. Erdmann, Logische Elementarlehre, 1. Bd., 2. Aufl. (Halle a. S. 1907)
S.98, 490.
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///. Die Wissensaktualisierung als Komplexergänzung. 139
aber ist es, was wir meinen, wenn wir das Sachveriiältnis fest-
stellen, daß sie nebeneinander liegen, es ist mit dem Sachver-
hflltnis dieses Nebeneinanderliegens identisch. In die Gruppe der
Ordnimgsverhältnisse gehört auch das Sachverhältnis zwischen
einem Gkmzen und einem selbständigen oder unselbständigen Teile ^),
und das umgekehrte Sachverhältnis eines selbständigen oder un-
selbständigen Teiles zu dem (janzen, in dem er enthalten ist.
Sachverhältnisse dieser Art sind mit der durch eigenartige Be-
ziehungen ausgezeichneten Gegenstandsordnung mitgegeben, welche
innerhalb eines Ganzen besteht und in der Natur des betre£Penden
Ganzen begründet ist.
Außer in Gegenstandsverhältnisse und Ordnungsverhältnisse
lassen sich die Sachverhältnisse noch auf zwei andere Klassen
verteilen, die für unsere Untersuchung von Bedeutung sind. Wir
haben zwischen umkehrbaren oder gegenseitigen und
nichtumkehrbaren oder einseitigen Sachverhältnissen
zu unterscheiden"). In der Natur der umkehrbaren Sachverhält-
nisse liegt es, daß ein Sachverhältnis der gleichen Art audi in
der umgekehrten Richtung besteht. Ist A von B verschieden, so
ist auch B von A verschieden. Ist A der Gegensatz zu B, so ist
auch B der Gegensatz zu A. Ist A dagegen links von B, so ist B
nicht Unks von A, sondern rechts von A. Ist A ein Teil von B,
so ist B nicht ein Teil von A, sondern das Ganze zu A. Ist A
dem B übergeordnet, so ist B dem A nicht über-, sondern unter-
geordnet. Der Grund der Nichtumkehrbarkeit liegt in der Natur
der in den betreffenden Sachverhältnissen enthaltenen Beziehungen.
Den umkehrbaren Sachverhältnissen liegen nämlich gegenseitige
Beziehungen zugrunde, d. h. Beziehungen, die sowohl in der
Richtung von A zu B als in der Richtimg von B zu A bestehen.
Den nichtiunkehrbaren Sachverhältnissen dagegen liegen einseitige
Beziehungen zugrunde. Besteht von A zu B eine einseitige Be-
ziehung, so besteht in der Richtung von B zu A nicht dieselbe,
sondern die entgegengesetzte Beziehung und dementsprechend
*) Vgl. über den Begriflf der unselbständigen Teile oder Momente Husserl,
Logische Untersuchungen, Bd. II, Abschn. m.
") Auch bei Michotte et Ransy, La mtoioire logique, gewann dieser
Unterschied praktische Bedeutung; siehe dort S. 23.
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140 Ab9(hn. 2. Die Theorie der Wissensaktuaßsierung.
auch ein Sachverhältnis der entgegengesetzten ArtO- Auch die
einseitigen Sachverhältnisse teilen jedoch die allgemeine Natur
aller Sachverhältnisse, daß sie das in einer bestimmten Beziehung
Stehen bestimmter Gregenstände sind.
Sowohl die gegenseitigen als die einseitigen Sachverhältnisse
sind dadurch als ein in einer bestimmten Beziehung Stehen er-
kennbar, daß sie in Sätzen von der Form „x steht in der Be-
ziehung y zu y^') oder in gleichbedeutenden Sätzen aussagbar sind,
z. B. „A steht in der Beziehung der Verschiedenheit zu B"" oder
^A ist verschieden von B". ^A steht in der Beziehung der Über-
ordnung zu B", oder „A ist dem B übergeordnet^. „A steht in
der Beziehimg des Teils zum Granzen zu B^, oder „A ist ein
Teil von B^. Nur sind in den Aussagen über einseitige Sach-
verhältnisse die Sachverhaltsglieder nicht vertauschbar, während
sie in den Aussagen über gegenseitige Sachverhältnisse vertausch-
bar sind').
A. Reinach hat in seiner wichtige Beiträge zur Theorie der
Sachverhältnisse enthaltenden Abhandlung „Zur Theorie des nega-
tiven Urteils" bestritten, daß alle Sachverhältnisse Beziehimgen
enthalten ^). Nach Reinach fehlt es bei Sachverhältnissen, welche
in Sätzen von der Form „A ist B" ausgesagt werden, z. B. „die
Die Tatsache, daß es sowohl einseitige als gegenseitige Beziehungen
gibt, spricht gegen die Auffassung von Dürr, daß Gleichheit, Ähnlichkeit, Ver-
schiedenheit, Identität die einzigen Beziehungen seien (Grandzüge der Psycho-
logie von H. Ebbinghaus, fortgemhrt von E. Dürr, 2. Bd., Leipzig 1911, S.278f.);
denn dann könnte es nur gegenseitige Beziehungen geben, da diese vier Be-
ziehungen alle gegenseitige Beziehungen sind. Es könnte keine Beziehungen
geben, in deren Natur es liegt, daß sie in der umgekehrten Richtung nicht
bestehen.
*) Diese Sätze können das in einer bestimmten Beziehung Stehen be-
stimmter Gegenstände allein oder auch zugleich das Sachverhältnis aussagen,
daß die zwischen den Gegenständen bestehende Beziehimg eine bestimmte Be-
ziehung ist Hier ist nur die erste Bedeutung gemeint. Praktisch würde man
zu einer solchen umständlichen Formulierung dagegen in der Regel niu* greifen,
wenn man das Fallen unter eine bestimmte Kategorie von Sachverhältnissen
betonen will.
*) Gegenseitige Sachverhältnisse werden in der Regel in Sätzen von der
Form „A und B stehen in der Beziehung y^ bezw. in der entsprechenden
gekürzten Formulierung (z. B. „A und B sind gleich*') ausgesagt. Auf einen
etwaigen Bed^itungsunterschied zwischen den Sätzen von der einen und der
anderen Form braucht hier nicht eingegangen zu werden.
*) Münchener Philosophische Abhandlungen (Leipzig 1911), S. 217 f., 229 f.
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///. Die Wissensaktualisierung als Komplexergänzung. 141
Roee ist rot^, an einer Relation. Nehmen wir zur Prüfung dieser
Frage den speziellen Fall einer Sachverhaltserkenntnis. Ein Kind
habe wohl Mäuse, aber niemals weiße M&use gesehen. Wenn es
nun ziun erstenmal eine weiße Maus sieht, so wird ihm weder die
Maus, noch die allgemeine Bestimmtheit der Weiße, die ihm nichts
Neues ist, für sich allein auffallen, sondern das Weißsein der
Maus, das Sachverhältnis, daß die Maus weiß ist, d. h. es bemerkt,
daß die Maus die ihm bekannte allgemeine Bestimmtheit der
Weiße „hat" oder „besitzt". Daher können Sätze von der Form
„die Maus ist weiß" ohne Veränderung ihres Sinnes umgewandelt
werden in Sätze von der Form „die Maus hat Weiße" *) oder
„die Maus besitzt Weiße". Dieses „Haben" oder „Besitzen" einer
Eigenschaft aber ist offenbar eine Beziehung, nämlich die eigen-
tümliche Beziehung zwischen einem Objekt, diesem individuellen
Seienden, und der allgemeinen Bestimmtheit, die ihm zukommt.
Daß dem Sachverhältnis „die Rose ist rot" nicht die Beziehung
der Inhärenz zugrunde liegt, hat Reinach allerdings mit Recht
hervorgehoben; denn in der Beziehung der Inhärenz steht nicht
die Rose zum Rot, sondern das Rot zu der Rose. Vielmehr liegt
dem genannten Sachverhältnis die Umkehrung der Beziehung der
Inhärenz, des dem Gegenstande Zukommens, dem Gegenstand
eigen Seins zugrunde, die in der Bezeichnimg „die Bestimmtheit
haben", sie „besitzen" ihr sprachliches Äquivalent hat Ob
diese Beziehimg mit der Beziehung der Subsistenz zusammenfidlt,
was Reinach bestreitet, oder nicht, jedenfalls ist sie eine Be-
ziehung, freilich keine Beziehung von der Art der Gleichheit und
Verschiedenheit, d. h. keine gegenseitige Beziehung, sondern eine
Beziehung von der Art des „sich Linksbefindens", des „Teilseins",
also eine einseitige Beziehung. Das Sachverhältnis des B-seins
des A, das mit dem die Bestimmtheit B besitzenden Gegenstand
A mitgegeben ist, ist demnach identisch mit der Tatsache, daß
der Gegenstand A in der eigenartigen Beziehung des eine Eigen-
schaft „Habens" oder „Besitzens" zu der allgemeinen Bestimmt-
heit B steht'). Es bildet sohin keine Ausnahme von dem Satz,
') Reinach selbst macht auf die Möglichkeit dieser Umwandhing auf-
merksam S. 2d0.
*) Ich kann daher Reinach nicht zustimmen, wenn er meint, die Relation
verhalte sich zum Sachverhalt wie das Rot zmn Rotsein (S. 229). Beide ver-
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142 Ab9(hn. 2. Die Theorie der WissensaktuaUsierung.
daß alle Sachverhältnisse das in einer bestimmten Beziehung
Stehen bestimmter Gegenstände sind. Dieser Satz wird daher
solange aufrecht erhalten werden dürfen, bis wirklich ein Sach-
verhältnis au^;ezeigt wird, dem keine Beziehimg zugrunde liegt ^).
Wir gelangen demnach zu folgender Charakteristik der
Sachverhältnisse. Sachverhältnisse sind das in einer be-
stimmten Beziehung Stehen bestimmter Gegenstände.
In allen Sachverhältnissen können wir die Gegenstände, die in
der Beziehung stehen, und die in verschiedenen Sachverhältnissen
der gleichen Art verschieden sind, und die Beziehung, in der sie
stehen, die in allen Sachverhältnissen der gleichen Art dieselbe
Beziehung ist, unterscheiden'). Sachverhältnisse sind aber kein
Aggregat aus den Gegenständen und der Beziehung, in der sie
stehen, und setzen sich auch nicht aus ihnen zusammen wie ein
Ganzes aus seinen Teilen, sondern das in einer bestimmten Be-
ziehung Stehen ist nicht nur eine in ein Nebeneinander anderer
Gegebenheiten nicht restlos auflösbare, also in diesem Sinne ein-
heitlidie Gegebenheit, sondern eine einheitliche Gegebenheit be-
halten sich viehnehr wie das Besitzen einer Eigenschaft, das in allen Sadi-
verhfiHnissen dieser Art wiederkehrt, zu der Tatsache, daß das bestimmte
Objekt A die bestimmte Eigenschaft B besitzt
') Erwähnt sei noch, daß auch Impersonalien, wie „es regnet, es schneit**
ein Sachveriialtnis aussagen, das eine Beziehung enthfilt, nämlich die Be-
ziehung zwischen einem Voigang und dem Orte, an welchem oder der Zdt,
zu welcher er stattfindet „Es r^gnet^ z. B. heißt so viel als „es regnet jetzt
und hier''. Die Aussage ist unrichtig, wenn es jetzt und hier nicht regnet —
Daß femer die Existenzialsätze ebenfalls zweigliedrige Urteile sind, die ein in
einer bestimmten Beziehung Stehen bestimmter Gegenstände aussagen, glaube
ich an anderer Stelle gezeigt zu haben (Vgl. Existenz als Gegenstandsbestimmt-
heit, Manchener Philosophische Abhandlungen (Leipzig 1911) S. 275 ff., 287);
denn sie sagen aus, daß eine vergegenwärtigte totale Objektsbestimmtheit, der
Gegenstand einer Vorstellung im logischen Sinne, einem Objekt, d. h. einem
existierenden Gegenstande, zukommt — Natürlich kann man auch, wenn
man alle Sachverhältnisse als ein in Beziehung Stehen betrachtet, das in Be-
ziehimg Stehen eines Gegenstandes zu anderen Gegenständen z. B. ander^i
Objekten dem Haben von Beschaffenheiten eines Gegenstandes und dem Sein
eines Gegenstandes gegenübersteUen. Die Einteilung der Sachverhalte, welche
Külpe in seiner „Realisierung** (S. 11) gibt, behält also auch bei der hier ver-
tretenen Auffassung der Natur der Sachverhältnisse ihre Bedeutung.
*) Die Beziehung ist ihrer Natur nach ein Universale, sie kann in einer
Reihe von Sachverhältnissen vorkommen, wenn sie auch tatsächlich nur in
einem einzigen Sachverhältnis vorkommen sollte. Jedes Sachverhältnis dagegen
kann nur einmal vorkommen, es ist das in der allgemeinen Beziehung Stehen
dieser bestimmten Gegenstände und daher ein Individuum.
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///. Die Wissensaktualisierung als Komplexergämung. 143
sonderer Art, und zwar ist es keine selbständige Gegebenheit, viel-
mehr sind Sachverhältnisse Mitgegebenheiten, die in der
Natur anderer Gegenstände, bezw. einer gegebenen Gegenstands-
ordnung begründet sind.
Die bisherige Bestimmung der Natur der Sachverhältnisse be-
zog sich auf einfache Sachverhältnisse. Es gibt aber auch
zusammengesetzte Sachverhältnisse. Unter einem zu-
sammengesetzten Sachverhältnis ist eine Verbindimg von Sach-
verhältnissen zu verstehen, die dadurch gekennzeichnet ist, daß
die in dem Sachverhaltsverband enthaltenen Sach Verhältnisse Sach-
verhaltsglieder oder Beziehungen gemeinsam haben, oder daß Sach-
verhältnisse Glieder anderer Sachverhältnisse sind ^). Ein zusammen-
gesetztes Sachverhältnis sagt z.B. der Satz aus: „A und B sind
gleich C." Die beiden Sachverhältnisse „A ist gleich B" und „B
ist gleich C^ gehören einem Sachverhaltsverband an, der durch
die Identität eines Sachverhaltsgliedes (C) und die Gemeinsamkeit
der in den dem Verband angehörigen einfachen Sachverhältnissen
enthaltenen Beziehung (Gleichheit) gekennzeichnet ist. Bei einem
großen Teil der früher mitgeteilten Wissensaktualisierungen spielte
ein Bewußtsein von zusammengesetzten Sachverhältnissen eine Rolle.
Hierher gehören z. B. die Fälle, in denen das Wissen aktualisiert
wird, daß ein Gegenstand unter bestimmten Nebenumständen
zu einem anderen Gegenstand in eine bestimmte Beziehung gesetzt
wurde'.) So enthält das Wissen, daß die Vp. unter bestimmten
Bedingungen „Affekt^ als übergeordneten Begriff zu „Haß"^
kennen gelernt hat, ein Bewußtsein von einem zusammen-
gesetzten Sachverhältnis. Dieses zusammengesetzte Sachverhältnis
enthält 1) das Sachverhältnis, daß die Vp. den Affekt als über-
geordneten Begriff zu Haß kennen gelernt hat, also ein
Verhältnis, dem eine modale Beziehung, d. h. eine Beziehung
zwischen dem erkennenden Subjekt und dem erkannten Gegen-
stand zugrunde liegt'). Der erkannte Gegenstand, also das eine
GUed des modalen Sachverhältnisses, ist aber 2) wieder selbst ein
Den einfachen und zusammengesetzten Sachverhältnissen entsprechen
die einfachen und zusammengesetzten Urteile im Sinne Wundts. Vgl. W. Wimdt,
Logik, 8. Aufl. 1. Bd. (Stuttgart 1906) S. 157.
■) Vgl. oben S. 69 f.
^ V^. über den Begriff der modalen Beziehungen Chr. Sigwart, Logik,
3. Aufl. l.Bd. S.46f.
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144 Abadin, 2, Die Theorie der Wisse n a a k tuatt siemng.
Sachveiiiältnifl, nämlich das SachverhKltnis, daß Affekt der über-
geordnete Begriff zu Hafi ist Femer ist das ganze modale Saeh-
verhtfltnis 3) Glied des Sachverhtfltnisses, daß das Sachverhttlt-
nis, daß die Vp. den Affekt als übergeordneten Begriff zu Haß
kennen gelernt hat, unter bestimmten Umständen stattgefunden
hat, also eines Sachverhältnisses, dem die Beziehung zwischen
einem Sachverhältnis und den Umständen, unter denen das in
einer bestimmten Beziehimg Stehen bestimmter Gegenstände statt-
gefunden hat, zugrunde liegt. Die Struktur des zusammengesetzten
Sachverhältnisses ist demnach die, daß ein Sachverhältnis Glied
eines zweiten Sachverhältnisses und dieses Glied eines dritten Sach-
verhältnisses ist.
Ein Wissen von einem zusammengesetzten Sachverhältnis
mit identischem Sachverhaltsglied liegt denjenigen suk-
zessiven WiBsensaktualisierungen zugrunde, in denen die Versuchs-
person weiß, daß der Gegenstand, der zu dem Reizwortgegen-
stand in der durch die Aufgabe geförderten Beziehung steht, zu
einem bekannten anderen Gregenstand in einer bestimmten Be-
ziehimg steht, in denen also der gesuchte Gegenstand bei der
Wissensaktualisierung zunächst indirekt durch sein Sachverl^tnis
zu einem bekannten dritten Gegenstand bestimmt istO« So ent-
hält das Wissen, daß ein großer und aktueller Gegensatz zwischen
dem Wahlrecht im Reich und dem in Preußen besteht, ein Be-
wußtsein von dem zusammengesetzten Sachverhältnis, daß erstens
im Reich ein bestimmtes Wahlrecht A besteht, daß zweitens in
Preußen ein bestimmtes Wahlrecht B bestdit, und daß drittens
das Wahlrecht A zu dem Wahlrecht B in einem aktuellen Gegen-
satz steht. £>ie Struktur dieses zusammengesetzten Sachverhält-
nisses ist die, daß das erste Glied des dritten Sachverhältnisses
mit einem Glied des ersten und das zweite GUed des dritten
Sachverhältnisses mit einem Ghed des zweiten Sachverhältnisses
identisch ist. Ein Bewußtsein von einem zusammengesetzten
Sachverhältnis mit identischer Beziehung liegt der Lösung
der Wahlrechtsaufgabe durch die Vp. D zugrunde. (S. 40, 71 f.)
Die Vp. wußte
1. daß das preußische Wahlrecht zu dem süddeutschen in
einem bestimmten Gegensatz a steht,
*) Vgl. oben S. 70 ff.
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///. [He WisBensakiuatisierung als Kompiexergämung. 146
3. daß das preußische Wahlrecht zum mecklenburgischen
Wahlrecht in einem bestimmten Gegensatz ß steht und
8. daß der Gegensatz a extremer ist als der Gegensatz ß.
Glieder des dritten Sadiverhältnisses sind also zwei Be-
ziehungen, von denen die eine mit der im ersten, die andere
mit der im zweiten Sachverhältnis enthaltenen Beziehung iden-
tisch ist.
Auch die zusammengesetzten Sachverhältnisse sind Mit-
gegebenheiten, die in der Natur der in Beziehimg steh^iden
(Gegenstände bezw. einer gegebenen Gegenstandsordnung be-
gründet sind. Haben z. B. die Gegenstände A, B und C dieselbe
totale Wiebestimmtheit, so ist in der Natur dieser Gegenstände
ihr in der Beziehimg der Gleichheit untereinander Stehen be-
gründet, es sind daher mit ihnen die zi^ammengesetzten Sach-
veihältnisse mitgegeben, daß A und B gleich G sind, oder daß
B und C gleich A und A und C gleich B sind. Zusammengesetzte
Saehveriiältnisse sind kein bloßes Aggregat von Sachverhältnissen,
sondern unterscheiden sich von einem solchen dadurch, daß ihnen
Bestimmtheiten zukommen, die den in ihnen enthaltenen einfachen
Sachverhältnissen nicht zukommen, so die Identität von Sachver-
haltsgUedem oder Beziehungen der in dem zusammengesetzten
Sachverhältnis enthaltenen einfachen Sachverhältnisse oder die
Identität eines der in dem zusammengesetzten Sachveriiältnis
enthaltenen Sachverhältnisse mit einem Sachverhaltsglied eines
anderen der in ihm enthaltenen Sachverhältnisse. Zusammen-
g^etzte Sachverhältnisse sind hiemach ebenso wie einfache Saeh-
veriiältnisse unzerlegbare Einheiten, die sich aus einer eigentüm-
lichen Verbindung von einfachen Sachverhältnissen, also des in
einer bestimmten Beziehung Stehens von bestimmten Gegenständen
konstituieren.
B. Sachverhältnisse als psychische Gegenstände.
Unter psychischen Gegenständen verstehen wir in folgenden
die einfachen und komplexen Bewußtseinserlebnisse und ihre unselb-
sUndigen Momente 0. Psychische Gegenstände können untereinander
Unter unselbständigen Homeaten verstehen wir Gegenstände, in deren
Natur es Uegt, nur als Bestimmtheiten an anderen Gegenständen bestinunter
Seil, Ob«r die OeselM des geordneten DenkrerUafs. 10
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Ii6 Absdin. 2. Die Theorie der WissensaktnaHsierun g.
in bestimmten Beziehungen stehen, also Gliedervon Sachverhältnissen
sein, z. B. von Sachverhältnissen der Gleichheit und Verschiedenheit,
als deren GUeder Gregenstände beliebiger Art vorkommen können.
Es ergibt sich nun die Frage, sind Sachveihältnisse zwischen psy-
chischen Gegenständen, sofern es sich um Bewußtseinseilebnisse
desselben Subjekts handelt, selbst psychische Gregenstände im
Sinne der gegebenen Definition? Wären nicht nur Sachverhält-
nisse zwischen außerpsychischen Gregenständen, sondern auch
Sachverhältnisse zwischen psychischen Gegenständen selbst keine
psychischen Gegenstände, so wäre das Bewußtsein von Sach-
verhältnissen ein Bewußtsein von eigenartigen Gregenständen, deren
Bestimmtheiten in den Bestimmtheiten der psychischen Gegen-
stände kein Analogon fitnden. Wir hätten also eine Ausnahme
von dem bewährten Forschungsprinzip, daß unsere Bewußtseins-
erlebnisse, bezw. die ihnen entsprechenden Reproduktionsgrund-
lagen das ausreichende, wenn auch kombinatorischer Verarbeitung
imterliegende Material sein müssen, dem das Bewußtsein von
irgendwelchen Gegenständen des Denkens seine Entstehung ver-
dankt 0. Der Nachweis, daß Sachverhältnisse zwischen psychischen
Gegenständen selbst psychische G^enstände sind, bildet demnach
ein Postulat eines allgemeinen Prinzips psychologischer Forschung,
das wir das genetische Universalprinzip nennen können.
Nun ist das in einer bestimmten Beziehung Stehen von bestimmten
Gegenständen, wie wir früher sahen, keine selbständige Gegeben-
Art vorzukommen. Sie sind unselbständige Momente der Gegenstände der
betreffenden Art, an denen sie vorkommen. Vgl. E. Husserl, Logische Untere
suchungen, 2. Teil, Abschn. III, und die dortigen Zitate; siehe insbes. S. 236,
252, 260, 268 f. Die hier gegebene Definition stimmt wohl im wesentlichen mit
der Auffassung Husserls Oberein, ist aber wahrscheinlich etwas enger, da sie
nur solche Gegenstände begreift, die den Charakter von Bestimmtheiten
an anderen Gegenständen tragen, als Bestimmtheiten an ihnen „haften". —
Die Frage, ob es außer den angeftüirten psychischen Gegenständen noch ein
unbewußtes Psychisches gibt, kommt für die vorliegenden Erörterungen
nicht in Betracht
^) Dieses Prinzip schließt, wie ausdrücklich betont werden muß, nicht
die Aimahme in sich, daß den Bestimmtheiten der gedachten Gegenstände
auch Bestinmitheiten der gegenwärtigen Be wußtseinseriebnisse entsprechen
müßten, die beim Denken an sie stattfinden, ein Prinzip, über dessen Geltung
hier nichts ausgesagt werden soll. Ebensowenig schließt es die Annahme in
sich, daß jeder einfachen Vorstellung eine vorangegangene Empfindung ent-
sprechen müsse.
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IlL Die Wissensaktualisierung als Komplexerganzang, 147
heit, sondern eine Mitgegebenheit, die in der Natur der in Be-
ziehung stehenden Gegenstände oder einer gegebenen Gegen-
standsordnung liegt. Sachverhältnisse zwischen psychischen
Gegenständen können demnach keine selbstständigen psychischen
Gegenstände, keine selbständigen Bewußtseinserlebnisse, sondern
nur unselbständige Momente von Bewußtseinserlebnissen sein.
Daß die Bewußtseinstatsachen dieser Schlußfolgerung entsprechen,
läßt sich an einigen Beispielen klarmachen. Die im folgenden
gegebenen Analysen sind zwar gegenstandstheoretischer Natur,
da es sich um Erkenntnisse handelt, die aus der Natur gewisser
Gegenstände gewonnen werden (vergl. oben S. 130 Anm. 1). Trotz-
dem werden derartige Analysen mit Recht als psychologische
Analysen betrachtet; denn die Untersuchung der Gegenstände,
mit denen es eine bestimmte Einzelwissenschaft zu tun hat, bildet,
soweit sie unter Gesichtspunkten erfolgt, die durch
die Aufgaben dieser Wissenschaft bestimmt sind, einen
Bestandteil der betreffenden Einzelwissenschaft 0.
1. Durch die Zeichnung des Rechtecks AB CD entsteht im
liii
iil
Figur 4.
Bewußtsein des Betrachters ein Anschauungsganzes, das sich aus
einer bestimmten räumlichen Anordnung der Teilkomplexe ai, as,
as und a4 konstituiert. Zu den Eomplexbestimmtheiten dieses
Anschauungsganzen aber gehören auch eine Reihe von Sachver-
hältnissen. So ist z. B. das Enthaltensein des Teilkomplexes ai
in dem Gesamtkomplex AB CD eine Bestimmtheit, die dem Kom-
plex AB CD als Ganzem zukommt, mithin eine Eomplexbestimmt-
heit dieses Komplexes. Andererseits ist diese Komplexbestimmt-
heit ein Sachverhältnis, nämlich das Verhältnis eines Teils zu dem
zugehörigen Ganzen. Wenn ich das Sachverhältnis feststelle, daß
ai in AB CD enthalten ist, so stelle ich die eigentümliche Komplex-
bestimmtheit des Enthaltenseins von ai in ABGD fest Beide
Vgl. auch C. Stumpf, Zur Einteilung der Wissenschaften, S. 40 f.
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148 Ahsthn, 2. Die Theorie der Wissensaktaatisierung.
sind ein und dasselbe. Eomplexbestimmtheiten aber sind unselb-
stibadige Momente an dem Ganzen, zu dem sie gehören; denn es
liegt in ihrer Natur, nur als Bestimmtheiten an Ganzen vorzu-
kommen. Entsprechendes gilt auch für die Sachverhältnisse des
Enthaltenseins der tlbrigen Teilkomplexe in dem Gesamtkomplex
und für das zusammengesetzte Sachveriiältnis des Enthaltenseins
von ai, as, as und a4 in demselben Granzen ABGD, sowie fQr
die Umkehrungen aller dieser Sachverhältnisse, welche die ent-
gegengesetzte Beziehimg des Ganzen zum Teil enthalten. Sie
alle sind Eomplexbestimmtheiten des Ganzen AB CD und tragen
damit den Charakter von unselbständigen Momenten.
Ein unselbständiges Moment an dem Ganzen ist auch die
überall wiederkehrende Beziehung des Teils zimi Ganzen, bezw.
des Ganzen zum Teil, die in jenen Sachverhältnissen enthalten
ist; denn es liegt in der Natur dieser Beziehungen, nur an einem
Ganzen vorzukommen*).
2. Haben wir eine gleichmäßig gefärbte Fläche vor ims, so
Figur 5.
ist der weiße Farbenton nicht nur eine Bestimmtheit des gegebenen
Anschauungsganzen, sondern auch eine Bestimmtheit der (einfachen)
Empfindungen, auf die wir uns dieses Anschauungsganze durch
W^all von Teilen schließlich reduziert denken können. Dagegen
ist die gleichförmige Ausbreitung des weißen Farbentons auf der
ganzen Fläche') eine Bestimmtheit, welche nicht den einzelnen
Elementarempfindungen, sondern nur dem Komplex als Ganzem
zukommt, mithin eine Komplexbestimmtheit. Ebenso ist die in
der Bestimmtheit der gleichförmigen Ausbreitung des weißen
Daß Beziehungen Universalien sind, hindert nicht, daß sie unselbständige
Momente bestimmter Gegenstände sind, an denen sie vorkonmien. Es ist d)en
gerade die Eigentümlichkeit der üniversalien, daß sie an einer Mehrheit von
Gegenständen zugleich vorkommen können.
*) Wir verstehen unter der Fläche im folgenden die durch die von der
Fläche ausgehenden Reize entstandenen Bewußtseinserlebnisse.
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///. Die Wissensaktualisierung als KomplexergOnzung, 149
FarbentoBs auf der ganzen Fläche implizite mitenthaltene Be-
stimmtheit der Gleichförmigkeit des Farbentons auf der ganzen
Fläche eine Eomplexbestimmtheit dieses Anschauimgsganzen.
Allen einfarbigen Flächen ist eine solche Eomplexbestimmtheit
der Gleichförmigkeit des Farbentons eigentümlich und unterscheidet
sie von Flächen mit variierendem Farbenton, z. B. von Flächen,
die ein Spektrum wiedergeben, denen eine solche Eomplexbestimmt-
heit fehlt. Als Eomplexbestimmtheit aber ist die Gleichförmigkeit
des Farbentons ebenso ein unselbständiges Moment an dem An-
schauungsganzen wie seine Rechtecksgestalt, die nur dem ganzen
Komplex, nicht den einzelnen Empfindungen eigene räumliche
Anordnung der Ellemente.
Teilen wir nun die gleichförmig weiße Fläche durch eine
senkrechte in zwei Teilflächen ai und as
M
Figur 6.
SO entsteht ein Anschauungsganzes, das sich aus zwei Teilkom-
plexen konstituiert. Damit tritt an die Stelle der Gleichförmigkeit
des Farbentons in dem einheitlichen Anschauungsganzen die Gleich-
förmigkeit des Farbentons innerhalb der beiden Teilflächen
einerseits und das Sachverhältnis der Gleichheit der
Farbentöne der beiden Teilflächen andererseits. Die Gleich-
förmigkeit des Farbentons in der früher gegebenen einheitlichen
Fläche war charakterisiert durch die durchgängige Identität der
reinen Wiebestimmtheit des Farbentons in der Gesamtfläche. Ent-
sprechend ist die Gleichheit der Farbentöne der beiden Teilflächen
diarakterisiert durch die Identität der reinen Wiebestimmtheit
der beiden Teilflächen 0- Beide Bestimmtheiten zeigen also quali-
tativ den gleichen Charakter, nämlich Identität des reinen Farben-
tons. Nur besteht die Identität des Farbentons das eine Mal innerhalb
eines einheitUchen Eomplexes, das andere Mal in zwei verschiedenen
Teilkomplexen. Im ersten Falle ist die durch die Identität des
') Vgl oben S. 188.
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160 Absdin. 2. Die Theorie der Wissensaktualisierung.
Farbentons gekennzeichnete Bestimmtheit eine Komplexbestimmt-
heit und als solche ein unselbständiges Moment des gegebenen
Änschauimgsganzen. Ist sie dies aber auch im zweiten Falle?
Das Sachverhältnis der Gleichheit der Farbentöne der beiden
Teilflächen ai und ai ist kein unselbständiges Moment an der
(Gesamtfläche, welche diese Teilfläche in bestimmter räumlicher
Anordnimg enthält, denn es liegt nicht in der Natur solcher Gleich-
heitsverhiUtnisse, nur an zusammenhängenden Anschauungsganzen
vorzukommen. Die Gleichheit der Farbentöne würde auch bestehen,
wenn die Anschauungsganzen ai und ai durch einen Zwischen-
raum getrennt wären oder zu verschiedenen Zeiten ins Bewußt-
sein träten. Dennoch ist die Gleichheit der Farbentöne der beiden
Teilflächen ein unselbständiges Moment an einem aus den Teil-
flächen bestehenden Ganzen. Ein Ganzes im weitesten Sinne
bildet nämlich jede Mehrheit von Gegenständen, die durch eine
den in ihr enthaltenen Einheiten nicht zukommende „Eomplex-
bestimmtheit^ ausgezeichnet ist. Ein solches Ganzes aber bilden
Gegenstände mit gleichen Farbentönen, mögen sie i^umlich-zeit-
lich getrennt sein oder nicht. Denn der aus ihnen bestehenden
Mehrheit psychischer Gegenstände kommt als eine Komplex-
bestimmtheit, die der Gleichförmigkeit des Farbentons in der un-
geteilten Fläche entspricht, die Identität der reinen Wiebestinmit-
' heit, genauer das dieselbe Wiebestimmtheit Besitzen der realen
Farbentöne der in der Mehrheit enthaltenen Gegenstände zu. Dieses
ist jedoch mit dem Sachverhältnis der Gleichheit der Farbentöne
identisch. Das Sachverhältnis der Gleichheit des Farbentons zweier
psychischer Gegenstände bildet demnach ein unselbständiges Mo-
ment an dem aus ihnen ohne Rücksicht auf die Art ihrer i^um-
lich-zeitlichen Verbindung bestehenden Ganzen.
Entsprechendes gilt für andere Gleichheitsverhältnisse und für
alle G^genstandsverhältnisse zwischen psychischen Gegenständen
überhaupt, sowie für die in ihnen enthaltenen Beziehungen. Sie
sind unselbständige Momente an dem aus den in der betreffenden
Beziehung stehenden psychischen Gegenständen (bezw. aus den
selbständigen Gegenständen, deren Momente sie sind) ohne Rück-
sicht auf ihre räumlich-zeitliche Verbindung bestehenden Granzen.
Statt dessen können wir auch sagen: Gegenstandsverhältnisse
zwischen psychischen Gegenständen und die in ihnen enthaltenen
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///. Die Wissensaktuaiisiemng als Komplexergünzung. 161
Beziehungen sind unselbständige Momente an der Gesamtheit
psychischer Gregenstände, sofern sie die in der betreffenden Be-
ziehung stehenden Gegenstände zusammen enthält^). Wir
kömien uns die Gesamtheit psychischer Gegenstände auf die in
der Gegenstandsbeziehung stehenden Gegenstände reduziert denken,
ohne daß das Sachverhältnis, dessen Glieder sie sind, au^ehoben
wird. Dagegen wird mit einem der in Beziehung stehenden Gegen-
stände zugleich das zwischen ihnen bestehende Sachverhältnis
aufgehoben, das als unselbständiges Moment an ihnen haftet. Wie
(xegenstandsverhältnisse und Gegenstandsbeziehungen, so sind
Ordnungsverhältnisse und Ordnungsbeziehungen, auch soweit sie
nicht von der in Ziff. 1 (S. 147) beschriebenen Art sind, unselbständige
Momente an der Gesamtheit psychischer Gegenstände, sofern sie
die in der Beziehung stehenden Gegenstände in bestimmter
Anordnung enthält Sie sind unselbständige Momente an der
realen psychischen Gegenstandsordnung der in Beziehung stehen-
den Gegenstände. So ist das sich Nebeneinanderbefinden der
Teilflächen ai und aa in der Figur 2 ein unselbständiges Moment
an der durch diese Anschauungsganzen gebildeten räumlichen
Gegenstandsordnung.
Sachverhältnisse zwischen psychischen Gegenständen sind
demnach unselbständige Momente an der Gesamtheit psychischer
Gegenstände und damit selbst psychische Gegenstände^. Im
übrigen gilt die früher gegebene allgem^e Charakteristik der
Sachverhältnisse auch für Sachverhältnisse zwischen psychischen
(jtegenständen.
C. Das Wissen von Sachverhältnissen.
a) Das durch Abstraktion entstandene Wissen von Sach-
verhältnissen.
Es gibt zwei Arten des Bewußtseins von Gegenständen.
Gegenstände können uns entweder selbst gegenwärtig sein oder
es können sich in unserem Bewußtsein nur Erlebnisse befinden,
welche sich auf diese Gegenstände beziehen, ohne daß sie selbst
*) Entsprechendes gut auch für physische GegenstAnde.
Hierbei ist es möglich, daß Sachveiiiältnisse dersdben Art, z. B. der
Gleichheit, auch an einem Granzen von nichtpsychisch^ Gegenständen als un-
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162 Aästkn. 2. Die Theorie der WieeeMoktimUmerung.
gegenwärtig sind. Selbstgegenwttrtig ^) im strengen länne können
nur psychische Gegenstände sein, wobei es natttrlich gleichgültig
ist, ob sie vom Subjekt als psychische Gegenstände genommen
werden oder nicht. Andererseits können auch psychische Gregen-
stände nichtselbstgegenwärtig, dennoch aber im zweiten Sinne
bewußt sein, z. B. eine vergangene Empfindung, die wir gegen-
wärtig analysieren. Sind psychische Gegenstände selbstgegen-
wärtig, so sind auch die zwischen ihnen bestehenden Gegenstands-
verhältnisse selbstgegenwärtig, denn diese Sachverhältnisse haften
als unselbständige Momente an der Gesamtheit des Selbstgegen-
wärtigen, sofern es die in der Beziehung stehenden Gegenstände
zusammen enthält. Ist die von psychischen Gregenständen ge-
bildete reale psychische Gegenstandsordnung selbstgegenwärtig,
so sind die in dieser Gegenstandsordnung begründeten Ordnungs-
verhältnisse ebenfalls selbstgegenwärtig; denn sie haften als un-
selbständige Momente an der Gesamtheit des Selbstgegenwärtigen,
sofern sie diese Gegenstandsordnung enthält.
Die bloße Selbstgegenwart eines Sachverhältnisses ist jedoch
noch keine zureichende Bedingung für die Entstehung eines
Wissens von ihm. Hierzu ist vielmehr notwendig, daß das
Sachverhältnis in der Gresamtheit des Selbstgegenwärtigen be-
meri^t wird. Daß uns Sachverhältnisse selbstg^enwärtig sein
können, ohne daß wir etwas von ihnen wissen, habai namentlich
auch die Untersuchungen von A. Grünbaum „Über Abstraktion
der Gleichheit"" gezeigt. Grünbaum wies nach, daß simultan ex-
ponierte Figuren nicht bloß perzipiert, sondern sogar apperzipiert
werden können, ohne daß ein Wissen von dem mitgegebenen
Sachverhältnis ihrer Gleichheit zustande kommt*).
Der Zustand des Bemerktseins eines selbstgegenwärtigen Sach-
verhältnisses, der willkürlich oder unwillkürlich entstehen kann.
selbständige Momente haften können. Es braucht einer bestimmten Art von
Sachverhältnissen nicht wesentlich zu sein, gerade an psychischen Gegen-
ständen als unselbständiges Moment zu haften.
*) Der Begriff der Selbstgegenwart entspricht dem Begriff der Selbst-
gegebenheit in Husserls logischen Untersuchungen.
•) Archiv f. d. ges. Psychol. 12. S. 442, 447, 449, 462. Vgl. auch M. Foucault,
Etüde exp^rimentale sur Tassociation de ressemblance. Archives de Psycho-
logie, 10. S. 865 ff. Hier wurden partieU gleiche Gegenstände vielfach ein-
geprägt, ohne daß diese partielle Gleichheit bemerkt wurde.
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///. Die Wissensaktualisiemng als Komplexergänzung. 158
besteht darin, daß das unselbständige Moment an der Gesamtheit
des Selbstgegenwärtigen, als welches sich das Sachverhältnis dar-
stellt, für sich zum Bewußtsein kommt, während es vorher nicht
für sich bewußt, sondern nur in der Gesamtheit des Selbst-
gegenwärtigen mitenthalten, also in diesem Sinne mitbewußt
war. Die nähere Analyse dieses Bewußtseinszustandes bildet eine
Aufgabe der experimentellen Selbstbeobachtung. Hierf)ei dürfen
jedoch nur solche Untersuchungen herangezogen werden, bei
welchen es zu einem Bemerken des selbstgegenwärtigen Sach-
verhältnisses wirklich kommt und nicht dessen Bestehen nur aus
anderweitigen Kriterien (Nebeneindrücken) erschlossen wird^).
Wir bezeichnen die psychophysischen Vorgänge, die zum Fürsich-
bewußtwerden selbständiger Teile oder unselbständiger Momente
führen, als positive Abstraktion. Zum Zustandekommen eines
Wissens von selbstgegenwärtigen Sachverhältnissen ist demnach
die positive Abstraktion dieser Sachverhältnisse erforderlich, aber
auch genügend*).
Der Ausdruck „Bemerken" ist aus Stumpfs „Erscheinungen und psychische
Funktionen** (S. 16) entnommen. Er ist dem von Stumpf und anderen gleich-
falls gebrauchten Ausdruck „Wahrnehmen" insofern vorzuziehen, als dieser
auch noch in anderem, teils engeren, teils weiteren Sinne gebraucht wird.
Nach Stumpfe Auffassung") können jedoch Sachverhalte nicht ebenso wie selb-
ständige und unselbständige Teile oder „Verhältnisse" (Beziehungen) des Selbst-
gegenwärtigen auf Grund eines Vorgangs der positiven Abstraktion einfach
„bemerkt" oder „wahrgenommen" werden, vidmehr setzt nach Stumpf jedes
Bewußtsein von Sachverhalten die Anwendung einer besonderen Funktion
des Urteüens voraus, als deren Gebilde Stumpf die Sachverhalte betrachtet
Sind die Sachverhältnisse jedoch, wie wir zu zeigen suchten, das in einer be-
stimmten Beziehung Stehen bestimmter Gegenstände, so wird dieses in Be-
ziehung Stehen bestimmter Gegenstände ebenso gut einfach „bemerkt" oder
„wahrgenommen" werden können wie die Gegenstände selbst und die Be-
ziehungen („Verhältnisse"), in denen sie stehen. Denn da es ein unselbständiges
^) A. Brunswig, Das Vergleichen und die Relationserkenntnis (Leipzig
und Berlin 1910), insbes. S. 81 ff., 37 flf.
*) Die Abstraktionsversuche von Ktilpe (vgl. oben S. 113 Anm. 1) und
GrOnbaum, femer die Untersuchungen von E. Westphal, Über Haupt- und
Nebenau%aben bei Reaktionsversuchen (Archiv f. d. ges. Psychol. 21 ; vgl. ins-
besondere S. 229, 397 ff.), enthalten grundlegende Beobachtungen tiber die posi-
tive Abstraktion von unselbständigen Momenten und zum Teil auch von Sach-
verhältnissen.
») a. a. 0. S. 16, 30.
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154 Absdm, 2. Die Theorie der Wissensaktualisierung.
Moment an der Gesamtheit des Selbstgegenwärtigen ist, wird auch zur Ent-
stehung des Bewußtseins von ihm die positive Abstraktion mit dem durch sie
herfoeigeftduien Bewußtseinszustande des Bemerktseins genügen. Inwieweit
mit dem Bemerken von Sachverhältnissen immer eine Komplexauffassung (Zu-
sammenfassen im Sinne Stumpfs) der in Beziehung stehenden Gegenstände
verbunden ist, kann hier dahingestellt bleiben. Diese Frage müßte übrigens
entsprechend auch beim Bemei^en von komplexen Gegenständen und Ver-
hältnissen angeworfen werden. Das Bemerken (Wahrnehmen) von Sachver-
hältnissen ist ein Urteil, wenn man als Urteil die „ Setzung*' eines Sachver-
hältnisses bezeichnet. Denn, wie ich an anderem Orte (Existenz als Gregenstands-
bestimmtheit, S. 276 ff.) nachgewiesen zu haben glaube, ist nicht nur das
Bemerken von Sachverhältnissen, sondern auch das Bemerken von Gfegenständen
jederzeit ein „Setzen^, da ein setzungsloses Verhalten niemals ein Bewußtsdn
von Objekten oder Sachverhältnissen ist, sondern nur die totale Bestimmtheit
von solchen vergegenwärtigt. Beide psychischen Verhaltungsweisen unter-
scheiden sich nicht durch die Betätigung verschiedener psychischer Fimktionen,
sondern dadurch, daß sie ein Bewußtsein von verschiedenen Cregenständen
darstellen. Wenn wir nur das Bemerken von Sachverhältnissen und nicht
auch das Bemerken von (Gegenständen Urteil nennen, so rührt dies dah», daß
wir den Terminus Urteil auf solche Setzungen zu beschränken pflegen, welche
in Satzform ausgesagt werden, nämlich auf die Setzung von Sadiveiiiältnissen.
Das Bemerktsein eines selbstgegenwärtigen Sachverhältnisses
pflegen wir nicht als „Wissen^, sondern als „Erkenntnis^ zu
bezeichnen; denn wir verstehen unter Erkenntnis jedes neu er-
worbene Bewußtsein von einem Sachverhältnis, das nicht durch
bloße Mitteilung erworben ist. Dagegen verstehen wir unter
einem „Wissen^ zimächst die dauernde Fähigkeit, das Bewußt-
sein von einem bestimmten Sachverhältnis (Sachverhaltsbewußt-
sein) zu reproduzieren. Das Bemerktsein eines selbstgegenwärtigen
Sachverhältnisses bildet eine der Quellen eines solchen Wissens.
Voraussetzung filr das Zustandekommen eines Wissens durch das
Bemerktsein eines Sachverhältnisses ist, daß von diesem Bewußt-
seinszustand Gredächtnisdispositionen zurückbleiben. Wir nennen
solche Gedächtnisdispositionen „Wissensdispositionen^ und
dementsprechend das auf ihnen beruhende Wissen „disposi-
tionelles Wissen ')". Durch die Wiedererregung der Wissens-
^ Das „dispositionelle Wissen** ist wohl zu unterscheiden von dem, was
Westphal (Üher Haupt- und Nebenaufgaben) unter einem „potentiellen Wissen**
versteht. Es handelt sich dort nicht um die Disposition ziu* Reproduktion
des Bewußtseins von einem Sachverhältnis, sondern mn einen Bewußtseins-
vorgang (vgl. a. a. O. S. 229), auf den hier nicht näher eingegangen zu
werden braucht.
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///. Die Wissensaktualisienmg als Komplexergänzung. 166
disposition wird das Bewußtsein von dem Sachverhttltnis re-
produziert, also das dispositionelle Wissen aktualisiert. Die
Aktualisierung von Wissensdispositionen bezeichnen wir als
„Wissensaktualisierung^, das reproduzierte Sachverhalts-
bewußtsein als ^aktuelles Wissen^)/ Hierbei ist es für den
Begriff des aktuellen Wissens gleichgültig, ob die Reproduktion
des Bewußtseins von einem Sachverhältnis von Vorstellungen be-
gleitet ist oder ohne die Beteiligung von Vorstellungen vor sich
geht
Wir haben die Entstehungsbedingungen von Wissensdisposi-
tionen hiermit für den einfachsten Fall der Erwerbung durch das
Bemerken von selbstgegenwärtigen Sachverhältnissen dargestellt,
um uns an ihm die Struktur dieser Wissensdispositionen klar-
machen und damit dem Vorgang der Aktualisierung des disposi-
tionellen Wissens näher treten zu können.
Das Bewußtsein von einem Sachverhältnis ist das Bewußtsein
vom in einer bestimmten Beziehung Stehen bestimmter Gregen-
stände. Ein solches Bewußtsein schließt seiner Natur nach ein
Bewußtsein von den Gegenständen ein, die in der Beziehung
stehen, und ein Bewußtsein von der Beziehung, in der sie stehen.
Es besteht deswegen ebensowenig aus einem bloßen Nebeneinander
des Bewußtseins von den Gegenständen und von der Beziehung
wie das Sachverhältnis aus einem bloßen Nebeneinander der Gegen-
stände und der Beziehung besteht. (VergL oben S. 135 ff.). Hätte
ein Subjekt gleichzeitig einerseits ein Bewußtsein von den Gegen-
ständen A und B, andererseits ein Bewußtsein von der allgemeinen
Beziehung der Gleichheit, so enthielte der G^amtbewußtseins-
zustand dieses Subjekts keinerlei Bewußtsein von der Tatsache,
daß die Gegenstände A und B in der Beziehung der Gleich-
heit stehen. Der beschriebene Bewußtseinszustand wäre demnach
^) Auch die „Bewußtheiten"^ Achs, die als das »Gegenwärtigsein eines
unanschaulich gegebenen Wissens" charakterisiert werden, sind zum Teil als
im Bewußtsein von Sachverhältnissen und daher als ein aktuelles Wissen im
obigen Sinne anzusehen. Vgl „Über die Wiüenstatigkeit und das Denken*"
(insbes. S. 210 ff.) ; femer „Über den Willensakt und das Temperament*" (insbes.
S. 9 f. und das dritte Kapitel). BOhlers „Wissen um etwas"" (Tatsachen und
Probleme usw^ Archiv f. d. ges. Philos. 9. S. 361 ff.) läßt sich wahrscheinlich
als ein aktuelles Wissen im obigen Sinne auffassen, das der indirekten Be-
stimmung eines Gegenstandes dienstbar gemacht ist Vgl. unten S. 180 ff.,
insbes. auch S. 180 Anm. 1.
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166 Absdui, 2. Die Theorie der Wissensaktuaiisierung,
kein Bewußtsein von einem Sachverhältnis. Das Bewußtsein von
einem Sachverhältnis ist also zwar kein einfacher, sondern ein
komplexer Bewußtseinszustand, da es ein Bewußtsein von Gregen-
ständen und deren Beziehung in sich schließt; dieser komplexe
Bewußtseinszustand ist aber zugleich ebenso wie die Sachverhält-
nisse selbst eine untrennbare Einheit, insofern er sich nicht
in ein Bewustsein von den Gegenständen einerseits und von der
Beziehung andererseits auflösen läßt.
Kann das Bemerktsein eines Sachverhältnisses demnach nicht
in das Bemerktsein der selbstgegenwärtigen Gegenstände bezw.
Teilgegenstände und das Bemerktsein der zwischen ihnen be-
stehenden Beziehung au%elöst werden, so dürfen auch die Wissens-
dispositionen, welche vom Bemerktsein eines Sachverhältnisses
zurückbleiben, nicht verwechselt werden mit bloßen assoziativen
Verbänden von Dispositionen, die einerseits der Bewußtseins-
zustand des Bemerktseins der Gegenstände, andererseits der Be-
wußtseinszustand des Bemerktseins der Beziehung hinterläßt. Denn
durch die Wiedererregung derartiger Verbände von Gedächtnis-
dispositionen würde ein Bewußtsein von Gegenständen einerseits
und von einer allgemeinen Beziehung andererseits entstehen, aber
kein Bewußtsein davon, daß diese Gegenstände in dieser Be-
ziehung stehen. Sie können daher nicht die Fähigkeit zur Re-
produktion des Bewußtseins von dem Sachverhältnis, also kein
dispositionelles Wissen, begründen und demgemäß auch nicht zur
Aktualisierung eines solchen Wissens dienen.
Um die Struktur der Wissensdispositionen zu bestimmen,
müssen wir uns vielmehr an unsere früheren Feststellungen halten,
nach denen jedes selbstgegenwärtige Sachverhältnis ein imselb-
ständiges Moment an der Gesamtheit des selbstgegenwärtigen
Erlebniszusammenhanges bildet. Der Zustand des Bemerktseins
des Sachverhältnisses, durch welchen die Wissensdispositionen be-
gründet werden, ist eine durch einen Abstraktionsvorgang herbei-
geführte besondere Bewußtseinsweise dieses selbstgegenwärtigen
Erlebniszusammenhanges. Das Bewußtsein von den in der Be-
ziehung stehenden Gegenständen bezw. von der selbstgegenwärtigen
Gegenstandsordnung, der sie angehören, wird hierbei in der Weise
modifiziert, daß das als imselbständiges Moment an ihm haftende
Sachverhältnis für sich zum Bewußtsein kommt. Die Gegenstände
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///. Die WissenstUUuaüsiemng als Komplexergänzung. 157
und die zwischen ihnen bestehende Beziehung, sowie die räumlich-
zeitliche Gegenstandsordnung brauchen bei dieser Bewußtseins-
modifikation nur soweit bemerkt zu werden, als dies zum Zu-
standekommen des Bewußtseins von dem betreffenden Sachverhält-
nis notwendig ist. EKe Abstraktionsversuche von Külpe und die
Untersuchungen von Westphal haben gezeigt, daß an einem und
demselben Erlebniskomplex bald diese, bald jene unselbständigen
Momente für sich bewußt werden können. Durch die von Westphal
eingeführte Unterscheidung verschiedener Bewußtseinsstufen wird
auch verständlich, wie derartige Bewußtseinsmodifikationen mög-
lich sind*). Wir müssen nun annehmen, daß der Modifikation
des Bewußtseins von den in Beziehung stehenden Gegenständen
bezw. von der sie enthaltenden Gegenstandsordnung Modifikationen
der Reproduktionsgrundlagen entsprechen, welche die Reproduk-
tion des bemerkten Sachverhältnisses ermöglichen*). Die Wissens-
dispositionen von bemerkten Sachverhältnissen sind also modi-
fizierte Dispositionen des Bewußtseins von den in der
Beziehung stehenden Gegenständen bezw. der von
ihnen gebildeten Gegenstandsordnung. Diese modi-
fizierten Dispositionen aber sind imzerlegbare Einheiten:
Zunächst läßt sich die durch das Bemerktsein von Sachver-
hältnissen entstandene Wissensdisposition nicht in eine einfache
Mehrheit assoziierter Dispositionen elementarer Bewußtseins-
zustände auflösen, von denen jede für sich die Reproduktion des
ihr entsprechenden Teilbewußtseinszustandes vermitteln würde.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Dispositionen des Bewußt-
seins von den SachverhaltsgUedem, bezw. der von ihnen gebildeten
Gegenstandsordnung, abgesehen von ihrer Modifikation durch das
Bemerktsein des Sachverhältnisses, bloße assoziative Verbände
elementarer Dispositionen von Empfindungen oder anderen elemen-
taren Bewußtseinserlebnissen sind. Die Modifikationen, welche
diese Dispositionen erfahren müssen, damit sie der Reproduktion
von Sachverhältnissen dienen können, betreffen jedenfalls die
*) Vg^. oben S. 158 Anm. 2, Der Begriff der Bewußtseinsstufen ist bei
Westphal allerdings noch kein völlig einheitlicher.
*) Daß derartige Bewußtseinsmodifikationen, durch welche unselbständige
Momente für sich bewußt werden, Gedächtnisdispositionen hinterlassen, ergibt
sich schon daraus, daß sie von den Vpn. in den angefahrten Untersuchungen
genau beschrieben wurden.
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166 Aifsdin, 2, Die Theorie der Wissensafctuatisierang.
Gesamtdisposition und sind auf keine Weise in Modifikationen
einzelner Elemente zerlegbar.
Angenommen, es seien zwei punktuelle Lichtempfindungen
gegeben, welche der Reizung zweier Netzhautelemente entsprechen.
Beide Lichtempfindungen seien von verschiedener Helligkeit Die
Verschiedenheit der Helligkeit beider Lichtempfindungen ist dann
ein xmselbständiges Moment an dem Gesamtbewußtseinszustande,
sofern er die beiden Lichtempfindungen zusammen hält, luid dieses
unselbständige Moment an dem Gesamtbewußtseinszustand läßt
sich nicht in xmselbständige Momente an den einzelnen Empfin-
dungen auflösen. Demgemäß ist auch das Bemerktsein der
Verschiedenheit der Helligkeit dieser Empfindungen eine Bewußt-
seinsmodifikation des Gesamtbewußtseinszustandes, durch welche
jenes unselbständige Moment an ihm für sich bewußt wird, und
diese Bewußtseinsmodifikation läßt sich nicht aus Modifikationen
des Bewußtseins von den einzelnen Empfindungen zusammensetzen.
Die letzteren vermöchten vielmehr nur unselbständige Momente
an den einzelnen Empfindungen zu gesondertem Bewußtsein
zu bringen. Hieraus folgt aber, daß auch die durch das Bemerkt-
sein des Sachverhältnisses der Verschiedenheit beider Lichtempfin-
dimgen entstehende Wissensdisposition eine Modifikation des
Gesamtbewußtseinszustandes, sofern er die beiden Lichtempfin-
dungen zusammen enthält, darstellt, w^che nidit auf Modifikationen
von Reproduktionsgrundlagen der einzelnen Empfindungen zurück-
geführt werden kann. Denn durch Modifikationen der elemen-
taren Reproduktionsgrundlagen könnten nur Modifikationen der
entsprechenden elementaren Bewußtseinszustände im Gedächtnis
aufbewahrt werden ^). Die modifizierte Disposition vom Zusammen-
bewußtsein der beiden Empfindungen, auf welche die Reprodu-
zierbarkeit des Bewußtseins von ihrer Verschiedenheit beruht, ist
also eine unauflösbare Einheit.
Die modifizierte Disposition vom Zusammenbewußtsein der
beiden Empfindungen, welche die Reproduktion des Bewußtseins
*) Nach dem Prinzip eines durchgängigen psychophysischen Parallelismus
müßte übrigens auch schon dem Zustande des Bemerktseins der Verschieden-
heit der Helligkeit beider Lichtempfindungen eine Modifikation des physiologischen
Gesamtvorgangs zugrunde liegen, so daß durch die Frage nadi der Struktur
der Wissensdispositionen in physiologischer Hinsicht kein neues Problem
entstünde.
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///. Die Wissensaktuaiisierttng als Komplexergänzung. 160
von der Verschiedenheit ihrer Helligkeit ermöglicht, ist aber auch
noch in anderer Hinsicht eine untrennbare Einheit. Sie ist kein
bloßes Nebeneinander der Dispositionen vom Zustande des Be-
merktseins der beiden Empfindungen bezw. ihrer Helligkeiten
einerseits und vom Zustande des Bemerktseins der zwischen ihnen
bestehenden allgemeinen Beziehung der Verschiedenheit anderer-
seits, sondern eine Disposition von dem einheitlichen Bewußtseins-
zustand des Bemerktseins der Verschiedenheit der Helligkeit dieser
bestimmten Empfindungen. Dieser Bewußtsernszustand schließt das
Bemerktsein der Helligkeiten und der zwisdien ihnen bestehenden Be-
ziehung der Verschiedenheit in sich, ohne sich in diese Teilmodifika-
tionen des Bewußtseins von den in Beziehung stehenden Empfindun-
gen auflösen zu lassen. Das bloße Nebeneinander der Dispositionen
vom Bemerktsein der beiden Helligkeiten und vom Bemerktsein
der allgemeinen Beziehung der Verschiedenheit würde die Re-
produktion des Wissens, daß die Helligkeiten dieser bestimmten
Empfindungen verschieden sind, wie wir früher sahen, auch nicht
vermitteln können. Die Wissensdisposition von dem Sachverhält-
nis der Verschiedenheit der beiden Helligkeiten kann demnach
weder auf eine Mehrheit assoziierter, modifizierter elementarer
Ehnpfindungsdispositionen noch auf eine Assoziation der Dis-
positionen vom Bemerktsein der Empfindungen einerseits und
vom Bemerktsein der allgemeinen Beziehung der Verschiedenheit
andererseits zurückgeführt werden. Sie ist somit eine unteilbare
Einheit in doppelter Hinsicht.
Was für diesen Beispielsfall gilt, gilt aber strukturgesetzlich
auch für alle anderen durch das Bemerktsein von Sachverhält-
nissen entstandenen Wissensdispositionen. Sie entstehen durch
eine Gesamtmodifikation des Bewußtseins von den in der Be-
ziehung stehenden Gegenständen, bezw. des Bewußtseins von der
aus ihnen gebildeten Gegenstandsordnung und bilden daher in
doppelter Hinsicht untrennbare Einheiten. Sie lassen sich weder
auf eine Mehrheit assoziierter Elementardispositionen noch auf
eine Assoziation isolierter Dispositionen von den in Beziehung
stehenden Gegenständen einerseits und vom Bewußtsein einer
Beziehung andererseits restlos zurückführen. Die gleiche Un-
zurückführbarkeit besteht übrigens auch für Dispositionen vom
Bemerktsein einer Beziehung. Auch das Bemerktsein einer Be-
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160 Akmhn. 2, Die Theorie der WissensaktuaUsierung.
Ziehung ist eine einheitliche Modifikation des Gesamtbewufitseins
von den in der Beziehimg stehenden Gegenständen bezw. Uirer
Gegenstandsordnung, der eine einheitliche Modifikation der Gre-
samtdisposition entsprechen muß.
Nur ein verhältnismäßig geringer Teil der Wissensdispositionen
entsteht durch das Bemerktsein eines selbstgegenwärtigen Sach-
verhältnisses. Allein die Einsicht in die Struktur der auf diese
Weise entstandenen Wissensdispositionen ermöglicht uns gl^ch-
zeitig das Verständnis der Struktur der Wissensdispositionen tU>er-
haupt. Beginnen wir mit demjenigen Fall, der dem bisher be-
hand^ten am nächsten verwandt ist. Ein selbstgegenwärtiges
Sachverhältnis werde erst nachträglich bei Gelegenheit der Er-
innerung an die in der Beziehung stehenden selbstgegenwärtigen
Gegenstände erkannt. So ist z. B. bei den Versuchen von Grtin-
baum gelegentUch die Gleichheit zweier dargebotener Figuren erst
bei dem Versuch, das Gesehene zeichnerisch wiederzugeben, er-
kannt worden. Denken wir uns in einem solchen Falle die Er-
kenntnis der Gleichheit der Figuren mit Hilfe ihrer anschaulichen
Wiedervergegenwärtigung zustande gekommen, dann entsteht die
Modifikation des Zusammenbewußtseins der beiden Figuren, durch
welche das Moment der Gleichheit für sich bewußt wird, erst
auf Grund eines Abstraktionsvorganges bei Gelegenheit der an-
schaulichen Reproduktion dieses Zusammenbewußtseins. Der Er-
folg aber ist der gleiche, als wenn die Gleichheit der gesehenen
Figuren schon ursprünglich bei deren Darbietung bemerkt worden
wäre. Es besteht von nun an ein Wissen von ihrer Gleichheit.
Wir werden daher annehmen dürfen, daß durch den nachträg-
lichen Abstraktionsvorgang die Gedächtnisdispositionen vom Zu-
sammenbewußtsein der beiden Figuren in derselben Weise modi-
fiziert werden, als wennr ihre Gleichheit schon bei ihrer Darbietung
bemerkt worden wäre. Demnach ist die Struktur der Wissens-
dispositionen bei der nachträglichen Erkenntnis eines selbstgegen-
wärtig gewesenen Sachverhältnisses auf Grund einer anschauUchen
Vorstellung der in Beziehung stehenden Gegenstände als die gleiche
anzusehen wie bei dem sofortigen Bemerktsein des Sachverhält-
nisses. Dasselbe würde aber auch dann gelten, wenn die Repro-
duktionsgrundlagen von den in einer bestimmten Beziehung stehen-
den Gegenständen, bezw. von der Gegenstandsordnung, der sie
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///. Die Wissensaktualisierung ais KomplexergOmung. 161
angehören, ohne die Beteiligung anschaulicher Vorstellungen aktuell
würden und hierbei die positive Abstraktion des Sachverhältnisses
und die ihr entsprechende Modifikation der Reproduktionsgrund-
lagen statt&nde. Alles, was über die Einheit der Wissensdispo-
sitionen in doppelter Hinsidit ausgeführt worden ist, findet daher
auch auf Wissensdispositionen von selbstgegenwärtig gewesenen
Sachverhältnissen Anwendung, die erst nachti^lich bei der Re-
produktion des Bewußtseins von den in der Beziehung stehenden
Gegenständen, bezw. der von ihnen gebildeten Gegenstandsordnung
für sich bewußt werden 0.
Nicht nur unsere simultanen, sondern auch unsere sukzessiven
Erlebniszusanunenhänge sind Zusammenhänge selbstgegenwärtiger,
wenn auch sukzessiv selbstgegenwärtiger Gegenstände. Mit
ihnen sind die Sachverhältnisse selbstgegenwärtig, die als unselb-
ständige Momente an den sukzessiven Erlebniszusammenhängen
haften, insofern als sie die in der Beziehung stehenden Gregenstände
zusammen enthalten, bezw. insofern sie die von den in der Be-
ziehung stehenden Gegenständen gebildete Gegenstandsordnung
enthalten. Auch diese Sachverhältnisse bilden also unselbständige
Momente an der Gesamtheit psychischer Gregenstände und können
daher durch Abstraktionsprozesse erkannt werden. Hierbei ist es
für die uns hier beschäftigenden Fragen gleichgültig, ob der Ab-
straktionsprozeß schon wlUirend des sukzessiven Erlebnisverlaufs
oder erst nachtiiiglich stattfindet. Zeitliche Ordnungsverhältnisse
können ihrer Natur nach nur durch Abstraktionsprozesse an sukzes-
siven Erlebniszusammenhängen erkannt werden. Auch der Ab-
straktionsprozeß, durch welchen sukzessiv selbstgegenwärtige Sach-
verhältnisse erkannt werden, besteht in einer Modifikation des
Zusammenbewußtseins der in der Beziehung stehenden G^egen-
Mände oder des Bewußtseins von einer psychischen Gegenstands-
Unsere Versuche enthalten zahkeiche Beispiele, in denen eine solche
nachträgliche Abstraktion durch die Aufgabe heri^eigeftlhrt wurde und sich an
der VorsteQung der in Beziehung stehenden Gegenstände, bezw. der von ihnen
g^ildeten Gegenstandsordnung vollzog. Namentlich wurden durch solche
nachträgliche Abstraktionsprozesse Sachverhältnisse des Teils zum Ganzen
erkannt Daß durch sie neue Wissensdispositionen entstehen, zeigten auch
rarere Wiederholungsversuche. Vgl. auch oben S. 62. Es handelt sich dort
um das Verhältnis zwischen Mittel und Zweck.
Sels, über die Geeetee dee geordneten DenkrerlMiti. 11
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162 AMm, 2. Die Theorie der Wissensaktaalisiening.
Ordnung, durch weldie das als unselbständiges Moment an ihnen
haftende Sachverhältnis filr sich zum Bewußtsein kommt Durch
eine entsprechende Modifikation der Reproduktionsgrundlagen ent-
stehen die Wissensdispositionen von sukzessiv selbstgegenwärtig
gewesen^i Sachverhältnissen. Ihre Struktur ist daher die gleiche
wie die der Wissensdispositionen von simultan selbstgegenwärtigen
Sachverhältnissen. Auch sie sind unzerlegbare Einheiten in
doppelter Hinsicht.
Analog wie die Struktur der aus Abstraktionsprozessen hervor-
gegangenen Wissensdispositionen von selbstgegenwärtig gewesenen
Sachverhältnissen haben wir uns auch die Struktur der durch
Abstraktion entstandenen Wissensdispositionen von nicht selbst-
gegenwärtig gewesenen Sachverhältnissen zu denken. Auch sie
entstehen durch eine einheitliche Modifikation des Zusammen-
bewußtseins der in Beziehung stehenden Gegenstände oder des
Bewußtseins von der von ihnen gebildeten Gegenstandsordnung,
bezw. durch die entsprechende Modifikation der Reproduktions-
grundlagen. Sie sind daher ebenso wie die Wissensdispositionen von
selbstgegenwärtig gewesenen Sachverhältnissen unzerlegbare Ein-
heiten.
b) Das durch Mitteilung entstandene Wissen von Sach-
verhältnissen.
Ein großer Teil unserer Wissensdispositionen gründet sich
nicht auf eigene Erkeimtnisprozesse, sondern auf fremde Mit-
teilungen. Die Entstehung des auf Mitteilungen beruhenden Be-
wußtseins von Sachverhältnissen ist filr die vorliegende Unter-
suchung deshalb von besonderem Interesse, weil in der Au%abe-
stellung Mitteilungen über das Bestehen von Sachverhältnissen
enthalten sind, deren Verständnis durch die Vp. den Ausgangs-
pimkt für die Aufgabelösung und insbesondere für den Prozeß
der Wissensaktualisierung bildet. Wir legen der Analyse der
Struktur der Wissensdisposition von mitgeteilten Sachverhältnissen
wieder den einfachsten Fall zugrunde, in welchem es sich um
eine schon bekannte und selbstgegenwärtig gewesene Beziehung
und um Gegenstände handelt, die bekannt und von der Art sind,
daß sie auch selbstgegenwärtig gewesen sein könnten.
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///. Die Wissensaktuaiisienmg als KompiexergOnzung. 168
Bei der Beschreibung einer Yersuchsanordnung seien eine
Reihe von Figuren durch Zeichnung dem Leser bekannt gegeben
worden. Später werde ihm dann mitgeteilt, daß in einer be-
stimmten Versuchsreihe eine dieser bekannten Figuren, die Figur a,
vor der Figur b dai^eboten wurde. Hierdurch entsteht ein Wissen
von diesem nicht selbstgegenwärtig gewesenen Sachverhältnis.
Trotz der Bekanntheit der Gregenstände und der Beziehung kann
nun die Entstehung eines solchen Wissens nicht auf eine bloße
Reproduktion früherer Bewußtseinserlebnisse zurückgeführt werden.
Denn das Bewußtsein, daß die bekannte Beziehung gerade abwi-
schen diesen bekannten Gegenständen besteht, ist erst durch die
Mitteilung neu geschaffen worden, kann also nicht auf Repro-
duktion früherer Bewußtseinserlebnisse beruhen. Yiebnehr liegt
der Entstehung eines derartigen Wissens durch Mitteilung ein
Kombinationsvorgang zugrunde. Der Empfonger der Mit-
teilung besitzt zwar keine Wissensdisposition von dem speziellen
Sachverhältnis, daß die Darbietung der Figur a der Darbietung
der Figur b vorausging. Dagegen besitzt er jedenfalls Wissens-
dispositionen von anderen Sachverhältnissen des Vorhergehens.
Außerdem dürfen wir annehmen, daß sich im Laufe des Lebens
durchAbstraktionsprozesseschematischeWissensdispositionen
von einem Sachverhältnis des Vorhergehens gebildet haben, dessen
Gregenstände jedoch unbestimmt gelassen sind und deren Aktuell-
werden es uns ermöglicht, an ein Sachverhältnis des Vorhergehens
zu denken, ohne uns bestimmte Gegenstände als Glieder dieses
Sachverhältnisses zu denken. Daß es ein abstraktes Wissen, bei
dem die Sachverhaltsglieder oder die Beziehimg mehr oder weniger
unbestimmt sind, gibt, haben die im ersten Abschnitt behandelten
Fälle der Vermittlung der Wissensaktualisierung durch ein solches
abstraktes Wissen gezeigt^). Außerdem hat sich früher schon
die Notwendigkeit der Annahme des Vorhandenseins analoger
schematischer Gredächtnisdispositionen bei Anschauungsganzen als
notwendig erwiesen"). Wir haben uns derartige schematische
Wissensdispositionen durch eine Weiterführung des Abstraktions-
prozesses entstanden zu denken, durch welchen auch das Bewußt-
Vgl. oben S.69ff.
•) Vgl oben S. 112i
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164 Absdin. 2. Die Theorie der Wissen$akttiaiisierung,
sein von vollständig bestimmten Sachverhttltnissen entsteht 0» näm-
lich durch eine Modifikation des Zusammenbewußtseins der in
Beziehung stehenden Gegenstände bezw. des Bewußtseins der
von ihnen gebildeten Gegenstandsordnung, bei welcher jedoch
nicht das in einer bestimmten Beziehung Stehen näher bestimmter
Gegenstände, sondern das in einer bestinmiten Beziehung Stehen
von irgend welchen Gregenständen, von deren näheren Bestimmung
abgesehen wird, zum Bewußtsein kommt Da nun in unserem
Beispiel die Mitteilung sowohl die Bezeichnung der beiden Figuren
als den sprachlichen Hinweis auf ein Sachverhältnis des Vorfaer-
gehens enthält, so werden durch sie sowohl die Reproduktions-
grundlagen der beiden Figuren als die schematische Wissens-
disposition von einem Sachverhältnis des Vorhei^hens in Er-
regung versetzt werden. Allein die Wirkung der Mitteilung kann
sich nicht darauf beschicken, daß diese drei schon vorhandenen
Gedächtnisdispositionen gleichzeitig wieder erregt werden; denn
in diesem Falle würde durch die Mitteilung ein bloßes Neben-
einander des Bewußtseins von den beiden Figuren a und b und
des schematischen Wissens von dem Vorhergehen eines nidit
näher bestimmten Vorgangs vor einem andern entstehen, nicht
aber das Wissen von dem Vorhergehen des Erscheinens der
Figur a vor dem Erscheinen der Figur b. Die Mitteilung hat viel-
mehr zur Folge, daß mit Hilfe der drei vorhandenen Gedächtnis-
dispositionen eine neue gebildet wird, in welcher an die Stelle der
unbestimmten Gegenstände der schematischen Wissensdisposition
die bekannten Gegenstände, Figur a und b, treten^. Die auf
diese Weise entstehende vollständige Wissensdisposition erhält
denmadi genau dieselbe Struktur, als wenn das Sachverhältnis
des Vorhergehens der Darbietung der Figur a vor der Darbietung
von Figur b selbstgegenwärtig gewesen wäre. Durch die Aktuali-
sierung dieser neugebildeten Disposition entsteht das Bewußtsein
von dem Sachverhältnis, daß die Darbietung von Figur a vor der
*) Vgl. oben S. 166 ff.
*) Wir sagten absichtlich nicht, daß die neue Wissensdisposition aus
den drei vorhandenen Gedächtnisdispositionen, sondern daß sie mit ihrer Hilfe
gebildet werde. Denn die alten (xedächtnisdispositionen werden ja nicht zer-
stört, sie bestehen vielmehr fort; dagegen müssen wir annehmen, daß sie bd
der Bildung der neuen Gedächtnisdisposition, deren Bestimmtheiten ihnen ent-
lehnt sind, irgendwie mitwirken.
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///. Die Wissensaktualisienmg als Komplexergänzung. 165
Darbietung von Figur b vorausging, in derselben Weise, als wenn
dieses Sachverhttltnis selbstgegenwärtig gewesen wäre^.
Wir nannten den Vorgang, welcher der Entstehung einer
Wissensdisposition durch Mitteilung zugrunde liegt, einen Kom-
binationsvorgang. Hierbei verstehen wir unter Kombination
einen den Prozessen der Reproduktion von Bewußtseinserlebnissen
und der Abstraktion an die Seite zu stellenden psychophysischen
Prozeß, durch welchen infolge des Zusammenwirkens der Repro-
duktionsgrundlagen früherer Erlebnisse neue Dispositionen zu Be-
wußtseinserlebnissen entstehen, deren selbständige Teile oder un-
selbständige Momente*) den Bestimmtheiten der jenen Repro-
duktionsgrundlagen entsprechenden Bewußtseinserlebnisse gleichen,
während das entstandene Bewußtseinserlebnis in seiner Gesamt-
heit mit keinem der früheren Erlebnisse übereinstimmt^). Es emp-
fiehlt sich, für derartige Prozesse die schon gebräuchliche Bezeich-
nung „Kombination" beizubehalten, obwohl eine wirkliche Ver-
einigung der Reproduktionsgrundlagen der früheren Bewußtseins-
erlebnisse in dem Sinne, wie etwa mehrere Stoffe mechanisch oder
chemisch miteinander verbunden werden, hierbei nicht stattfindet.
Während in Fällen der letzteren Art das Material in der Verbin-
dung aufgeht, bleiben beim Kombinationsprozeß die beteiligten
Reproduktionsgrundlagen erhalten. Sie sind Faktoren, welche bei
der Bildung der neuen Bewußtseinserlebnisse bezw. der ihnen
entsprechenden Dispositionen mitwirken. Ebensowenig findet eine
wirkliche Verbindung von Bewußtseinserlebnissen, welche den
^ Da diese Wissensdisposition nur eine modifizierte Disposition einer
anschaulichen Gegenstandsordnung ist, in welcher die Darbietung von a der
Darbietung von b vorhergeht, so ist es leicht verständlich, daß das ihr ent-
sprechende Sachverhaltsbewußtsein mit der anschaulichen Vorstellimg einer
solchen Gegenstandsordnung verbunden sein kann.
*) Nicht nur selbständige Teile, sondern auch unselbständige Momente
froherer Bewußtseinserlebnisse können neue Kombinationen eingehen.
*) Wenn das Kombinationsprodukt mit keinem der früheren Bewußtseins-
erlebnisse übereinstimmt, so muß es auch Bestimmtheiten haben, welche den
froheren Erlebnissen nicht zukommen. Es sind dies die ihm spezieU eigenen
Komplezbestimmtheiten. GleichgOltig ist es, ob etwa das Erlebnis mit sonstigen
froheren Bewußtseinserlebnissen des Subjekts übereinstimmt, deren Repro-
dnktionsgrundlagen bei seiner Entstehung nicht beteiligt waren. Kombinations-
vorgänge im obigen Sinne liegen wenigstens zum Teil auch den psychischen
Produkten der 8ch(ypferischen Phantasie zugrunde. V^. auch Selz, Die Gesetze
der produktiven Tätigkeit, Archiv f. d. ges. Psychol. 27. S. 367 ff.
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166 Absdm, 2, Die Theorie der Wissensaktualisierung,
einzelnenReproduktionsgrundlagen entsprechen, statt Selbst wenn
solche Bewußtseinserlebnisse zuerst für sich vorhanden sein sollten,
so besteht doch das neue psychische Gebilde im strengen Sinne
nicht aus ihnen, sondern tritt nur an ihre Stelle. Bewußtseins-
erlebnisse sind keine konstanten Objekte, die miteinander Ver-
bindungen eingehen und sich wieder aus ihnen losltf sen konnten. Nur
der Erfolg ist der gleiche, als wenn solche Verbindungen statt-
fiüiden. Es ktfnnen daher auch ohne Gefahr Redewendimgen ge-
braucht werden, die streng genommen nur auf die Herstellung
materieller Verbindungen passen würden.
Wie alle Eombinationsprozesse, so sind auch die Prozesse
bei Erwerbung eines Wissens durch Mitteilung keine Prozesse
der einfachen Reproduktion früherer Bewußtseinserlebnisse.
Dennoch sind die meisten dieser Prozesse Reproduktionsprozesse.
Die Entstehimg des Wissens durch Mitteilung beruht nämlich zwar
nicht auf einer Reproduktion von Bewußtseinserlebnissen,
wohl aber auf der Reproduktion einer bestimmten kom-
binatorischen Operation. So hat in unserem Beispiel der
Empfänger der Mitteilung die Kombination der schematischen
Wissensdisposition von einem Sachverhältnis des Vorhergehens mit
den Dispositionen bestimmter Gegenstände in allen den Fällen
vorgenommen, in welchen ihm früher eine Mitteilung nach dem
Schema „x ging y voraus^ zuging. In allen diesen Fällen wieder-
holte sich der gleiche Prozeß, daß der durch die erste Stelle in
dem Satz ausgezeichnete Vorgang als Ausgangsglied des einseitigen
Sachverhältnisses, der an zweiter Stelle bezeichnete Vorgang als
Bezugsglied in das Schema eines Sachverhältnisses des Vorher-
gehens eingesetzt wurde*). Nur die Gegenstände, welche in das
*) Wir nennen in einseitigen Sachverhältnissen denjenigen Cregenstand,
der in der einseitigen Beziehung zu einem anderen Gegenstand steht, Ausgangs-
glied, denjenigen Gegenstand, in bezug auf den er in der einseitigen Beziehung
steh^ Bezugsglied. Die Rede von einem „Einsetzen^ in das Sachverhaltsschema
ist, wie schon angedeutet, natürlich eine uneigenüiche, in Wirklichkdt findet
keine Verbindung des Sachverhaltsschemas mit den Dispositionen der betreffoiden
Vorgänge statt, sondern nur ein Zusammenwirken dieser verschiedenen Dis-
positionen bei der Entstehung einer neuen Wissensdisposition. Nur der Erfolg
ist der gleiche, als ob eine Einsetzung stattgefunden hätte. Dasselbe gilt
übrigens auch ftU* die früher erwähnte „Ausfüllung'^ der Schemata von
Anschauungsganzen (vgl. oben S. 114) und in allen Fällen, in denen wir weit^iün
derartige Ausdrücke gd)rauchen werden.
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///. Die WissensaktuaUsierung als Komplexergämung, 167
Sachverhaltsschema als Sachverhaltsglieder eingesetzt wurden, also
ein Teil des Materials des Eombinationsprozesses, wediselte,
während die kombinatorische Operation in sdlen Fällen genau so
die gleiche bUeb, wie die Operationen der Abstraktion die gleichen
bleiben, gleichgültig, an welchem Empfindungsmaterial sie statt-
finden, oder wie Muskelkontraktionen die gleichen Prozesse bleiben,
gleichgültig, welche äußeren Objekte durch sie eine Einwirkung
erfahren. Trotzdem demnach der durch die meisten Mitteilungen
ausgelöste Prozeß reproduktiver Natur ist, entstehen durch die
Mitteilung neue Wissensdispositionen. Denn die reproduzierte
Operation der Kombination findet an einem wechselnden Material
statt, das noch nicht in der betreffenden Weise kombiniert worden
ist, so daß durch die Kombination eine vorher nicht dagewesene
Verbindung von Reproduktionsgrundlagen sowie der entsprechen-
den Bewußtseinserlebmsse zustande kommt ^).
Die Reproduktion der kombinierenden Operation, welche zur
Entstehung neuer Wissensdispositionen durch Mitteilung führt,
zeigt sich gebunden an eine gewisse allgemeine, einem be-
stimmten Schema gehorchende Beschaffenheit der Mitteilung.
Es müssen in der Mitteilung die Bezeichnungen von Gegenständen
und eine auf ein Sachverhältnis bestimmter Grattung hinweisende
Bezeichnung in bestimmter Weise miteinander verbunden sein.
Solche bestimmte Verbindungsweisen ermöglicht die Satzform
der entwickelten Sprachen durch die Stellung der Worte im Satz,
ihre flexivischen Abwandlungen, die Verbindimgswörter und andere
sprachliche Ausdrucksmittel'). Ist diese Voraussetzung erfüllt, so
wird durch die Mitteilung ein Kombinationsvorgang herbeigeführt,
welcher die der gattungsmäßigen Sachverhaltsbezeichnung ent-
sprechende schematische Wissensdisposition mit den Dispositionen
vom Bewußtsein der in der Beziehung stehenden Gegenstände
zu einer vollständigen Wissensdisposition vereinigt. Hierbei hat
die Form der Mitteilung nicht nur die Einsetzung der bezeichneten
Einiges weitere über die Bedeutung der Reproduktion von Operationen
gegenüber der Reproduktion von Bewußtseinserlebnissen enthält der S. 165
Anm. 3 angeführte Vortrag.
^ VgL über die sprachlichen Ausdrucksmittel das Sammehreferat von
K. Bühler, Über das Sprachverständnis vom Standpunkt der Normalpsychologie
aus. Bericht über den m. Kongreß f. experiment. PsychoL, herausgegeben von
F. Schumann (Leipzig 1909) S. Ua
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168 Abschn, 2, Die TheorU der Wiasensakhtaiisiemng.
Oegenstttnde in ein Sachverhältnis der bezeichneten Art zur Folge,
sondern bei einseitigen Sachverfafiltnissen wird durch die Form der
Mitteilung auch bestimmt, welcher von den bezeichneten Gregen-
ständen als Ausgangsglied und welcher als Bezugsglied in das Sach-
verhaltsschema einzusetzen ist. Es entspricht also einer bestimmten
Weise der Vereinigung der Worte in der Mitteilung immer auch eine
bestimmte Weise der kombinier^iden Vereinigung der Gredächtnis-
dispositionen, welche durch sie erregt werden. Die Wiederkehr eines
bestimmten Schemas der Mitteilung zieht stets die gleiche kom-
binierende Operation nach sich, durch welche eine vollständige
Wissensdisposition von bestimmtem Schema entsteht Ob man die Re-
produktion einer bestimmten kombinierenden Operation durch eine
Mitteilung vom bestimmten Schema als eine assoziative bezeichnen
darf, hängt von der Beantwortung der noch zu klärenden Frage
nach der Entstehung dieser reproduktiven Zuordnung und von
der Ausdehnung ab, welche man dem Begriff der Assoziation gibt
Jedenfalls handelt es sich nicht um die Assoziation von Bewußtseins-
erlebnissen mit Bewußtseinserlebnissen, sondern um die Assoziation
von Bewußtseinserlebnissen mit bestimmten intdlektuellen Opera-
tionen. Zu beachten ist auch, daß im Gegensatz zur gewöhn-
lichen assoziativen Reproduktion die Reproduktion der kombinieren-
den Operation nur davon abhängig ist, daß das MitteUungserlebnis
einem bestimmten Schema gehorcht, während bei Einhaltung dieses
Schemas seine übrige Beschaffenheit völlig gleichgültig ist Die
bezeichneten Gegenstände und demgemäß auch die Bezeichnungen
der Gegenstände können bei der Wiederkehr des Schemas ganz
andere sein^).
^) Derartige quasiassoziative Verknüpfungen (das Wort asso-
ziativ hier im weitesten Sinne genommen) zwischen einem bestimmten all-
gemeinen Erlebnischarakter und anderen Bewußtseinserlebnissen, bezw. in-
tellektuellen Operationen oder Bewegungsimpulsen liegen wahrscheinlich auch
zahlreichen anderen Erscheinungen zugrunde. So bildet die Annahme ein^
quasiassoziativen Verknüpfung die einfachste Erklärung fOr die Tatsache, daß
gesprochene Worte trotz der großen Verschiedenheit der individuellen Sprech-
weise die gleichen Wirkungen auslosen. Nicht individuelle akustische Wort-
bilder, sondern ein bestimmtes akustisches Schema, dessen Eigenart auch bei
Verschiedenheit der individuellen Sprechweise erhalten bleibt, haben wir uns
mit den entsprechenden Bedaitungserlebnissen verknüpft zu denken. Die Be-
deutungserlebnisse sind also nicht individuellen Wortbildem, sondern diesen in-
dividuellen Wortbildem gemeinsamen Komplexbestinmitheiten reproduktiv zu-
geordnet. (Vgi, tlber solche Komplexbestimmtheiten auch das angeftüirte
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///. Die WisaensaktuaHsierung als Komplexergänzung. 169
Die reproduktive Zuordnung einer bestimmten kombinieren-
den Operation zu einem bestimmten, in verschiedenen Mitteilungen
wiederkehrenden Schema einer Mitteilung führt notwendig zurück
auf einen Fall, in welchem zum erstenmal eine dem Schema ent-
sprechende Mitteilung die betreffende kombinierende Operation
nach sidi zog, d. h. es entsteht die Frage, wie jene reproduktive Zu-
ordnung entstehen konnte. Zum Zweck der Beantwortung dieser
Frage müssen wir unser Augenmerk statt auf die Operation der
Kombination auf ihren Erfolgrichten, der soeben zur Charakterisierung
der kombinierenden Operation schon beschrieben wurde. Er besteht,
wie wir sahen, darin, daß einer bestinmiten Weise der Vereinigung von
Zeichen eine bestimmte Weise der Vereinigung der durch jene Zeichen
erregten Gedächtnisdispositionen entspricht. Eine solche Korre-
spondenz zwischen einer Mitteilimg einerseits und einer Wissens-
disposition andererseits kann nun aber keineswegs nur auf Grund
eines an die Mitteilung sich anschließenden Kombinationsvorganges
entstehen. Dieselbe Korrespondenz besteht vielmehr auch dann,
wenn sich die Mitteilimg auf ein Sachverhältnis bezieht, welches
dem Empfilnger der Mitteilung selbstgegenwärtig ist oder war,
Sammefareferat von Bühler a. a. 0. S. 94 f.). Es wird dann klar, warum die
Abweichungen der individuellen Sprechweise unschädlich sind, während Ab-
weichungen in anderer Richtung, z, B. die Veränderung der Stellung der Laute
oder ihres allgemeinen Klangcharakters das Verständnis beeinträchtigen. Die
Berufung auf das allgemeine Gesetz, daß die assoziative R^roduktion nicht
nur durch Bewußtseinserlebnisse, die dem Mheren völlig gleichartig sind,
sondern auch durch ähnliche Bewußtseinserlebnisse herbeigeftlhrt werden kann,
vermag in derartigen Fällen der Tatsache nicht gerecht zu werden, daß Ab-
weichungen, die in einer bestimmten Richtung liegen, imschädlich sind, während
Abweichungen in anderer Richtung die Reproduktion erschweren. — Zu den
quasiassoziativen Verknüpfungen im weitesten Sinne gehören — wenigstens
zum großen Teil — auch die substitutiven Attributionen G. E. Müllers (Zur
Analyse der Gedächtnistätigkeit usw., JJI. Teil S.963f). Die Verknüpfung besteht
hier imd ebenso bei den übrigen attributiven Reproduktionen (a. a. 0. S. S61 ff.)
in der Zugehörigkeit zu derselben Wissensdisposition; denn das Bewußtsein,
daß ein b einem a ^in einer dauernden Weise als sein Name, sein Bedeutungs-
äquivalent, als eine seiner charakteristischen Eigenschaften oder dergleichen
zukomme**, kurz, jedes Bewußtsein von einer dauernden Zugehörigkeit eines
Gegenstandes zu einem anderen Gegenstand ist ein Bewußtsein von einem
SachverhäHnis und daher ein Wissen. Bei den substitutiven Attributionen
ist das eine der SachverhaKsglieder ein nur nach gewissen allgemeinen Merk-
malen bestimmter Gegenstand, z. B. ein Wort, das durch eine bestimmte all-
gemeine Komplexbestimmtheit, nämlich eine bestimmte Aufeinanderfolge be-
stimmter Sprachlaute in bestimmter Betonung usw. gekennzeichnet ist.
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170 Abschn. 2, Die Theorie der Wissensak t ii a ii s ierung.
und auf welches durch die Mitteilung etwa nur die Aufmerksam-
keit des Empftngers gelenkt werden solL Ebenso würde eine
solche Korrespondenz gegeben sein, wenn das Bewustsein von
dem Sachverhältnis, auf welches die Mitteilung hinweist, durch
einen sich zur gleichen Zeit im Empftnger abspielenden Abstrak-
tions- oder Denkprozeß zustande gekommen wäre. Wir müssen
fttiTiAhniAfi, daß derartige Eorrespondenzfiüle der erstmaligen
kombinatorischen Konstruktion einer Wissensdisposition auf Orund
einer Mitteilung vorbeigegangen sind. Unter dieser Voraussetzung
erscheint dann das durch die Kombination entstehende Sach-
veiiialtsbewußtsein zwar nicht als das Ergebnis der Reproduk-
tion vergangener Erlebniszusammenhänge, wohl aber
als das Ergebnis ihrer analogen Nachkonstruktion. Die
erstmalige Ausführung der kombinierenden Operation auf Grund
einer Mitteilung hat also mit assoziativen Reproduktionsprozessen
gemeinsam, daß sie sich durch vergangene Erlebniszusammen-
hänge bedingt zeigt. Sie unterscheidet sich aber von einer
assoziativen Reproduktion sehr wesentlich dadurch, daß bei der
Wiederkehr einer Mitteilimg von dem gleichen Schema nicht die
Reproduktion eines früheren Erlebniszusammenhanges,
sondern nur seine analoge Nachkonstruktion durch die
kombinatorische Erzeugung eines neuen Bewußtseins-
erlebnisses erfolgt, in dem die Verbindungsweise der
einzelnen Bestandstücke der Verbindungsweise der
ihnen entsprechenden Worte in der Mitteilung in ge-
nau der gleichen Weise entspricht wie in den früheren
Erlebniszusammenhängen. Der Tendenz zur Reproduktion
früherer Erlebniszusammenhänge bei assoziativen Verbindungen
(Reproduktionstendenz) entspricht demnach eine Tendenz
zu einer analogen Nachkonstruktion bei der erstmaligen Ausführung
einer kombinierenden Operation. Während die Reproduktions-
tendenz die Wiederherstellung des früheren Erlebniszusammen-
hanges anstrebt, wird durch die Tendenz zur analogen Nach-
konstruktion ein neuer Zusammenhang geschaffen, dessen Glieder
mit denen des früheren Erlebniszusammenhanges nur hinsichtlich
gewisser allgemeiner Bestimmtheiten imd der zwischen den Gliedern
bestehenden Beziehung übereinstimmt.
Die Entstehimgsbedingungen der Tendenz zur analogen Nach-
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///. Die Wissensaktualisierung als Komplexergämung. 171
konstruktion bedürfen noch psychologischer Aufklärung durch zu-
künftige Untersuchungen. Wahrscheinlich genügt es nicht, um
die Operation der Kombination herbeizuführen, daß in den voran-
gegangenen Fällen die eigentümliche Korrespondenz zwischen
Mitteilung und Sachverhältnis bloß vorhanden war, sondern sie
muß auch ftir sich zum Bewußtsein gebracht worden sein. Viel-
leicht ist es sogar notwendig, daß nicht nur die Korrespondenz
von Mitteilung und Sachverhältnis im einzelnen Fall, sondern
auch die allgemeine Bedeutimgsfunktion derartiger Mitteilungen
dem Empfilnger der Mitteilung schon irgendwie zum Bewußtsein
gekommen ist. Auch die voUständige Ermittelung der psycho-
logischen Voraussetzungen für die Entstehung der Tendenz zur
analogen Nachkonstruktion würde übrigens keinen Aufischluß dar-
über geben ktfnnen, wieso dann, wenn die Voraussetzungen ihrer
Entstehung gegeben sind, sich der entsprechende Kombinations-
prozeß einstellt. Wir stoßen hier auf eine Tatsache, welche sich
auf keine Weise aus dem Zusammensein im Bewußtsein von ver-
gangenen Erlebnissen erklären läßt, und die vielleicht auf phylo-
genetisch begründete, psychologisch letzte Gesetzmäßigkeiten hin-
weist 0.
Trotz der für die Erklärung der Entstehung von Wissens-
dispositionen durch Mitteilung noch bestehenden Forschungsauf-
gaben können wir auf Grund der vorangegangenen Analyse doch
die Tatsache als festgestellt betrachten, daß die durch Mitteilung
entstandenen Wissensdispositionen aus Kombinationsprozessen her-
vorgehen und den Wissensdispositionen von abstrahierten selbst-
gegenwärtig gewesenen oder anderweitig erkannten Sachverhält-
') Analoge Kombinationsprozesse wie auf seilen des Empfängers einer
MitteUung finden in umgekehrter Richtung auch auf seiten des MitteUenden
statt Dieser kombiniert die sprachlichen Ausdrucksmittel in der Weise, wie
sie durch die allgemeine Beschaffenheit des Auszudrückenden gefordert ist
Auch hier findet also eine analoge Nachkonstruktion früher erlebter Zusammen-
hänge zwischen der allgemeinen Beschaffenheit des Mitzuteilenden und einer
bestimmten Form der Mitteilung statt Beim Erwachsenen beschränken sich
diese Kombinationsprozesse hauptsächlich auf die Satzbildung, während sie
in der kindlichen Sprachentwicklung auch ftlr die Wortbildung von großer Be-
deutung sind, wie namentlich auch aus den zahlreichen falschen Analogie-
bildungen beim Kinde hervorgeht Vgl. insbesondere Klara und William Stern,
Die Kindersprache (Leipzig 1907) S. 185 ff., 846 ff., 862 ff.; K. Bühler, Kinder-
psychologie. Aus dara Handbuch der Erforschung und Fürsorge des Jugend-
lidien Schwachsinns (Jena 1911) S. 164 ff.
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172 Abachn, 2. Die Theorie der Wisaensaktualisierung.
nissen nachgebildet sind. Im ersten Falle haben sie die gleiche
Struktur wie die Wissensdispositionen von selbstgegenwärtigen
Sachveriiältnissen und sind daher im selben Sinne wie sie unzer-
legbare Einheiten 0. Das Gleiche gilt für den Fall, daß sie den
Wissensdispositionen eines durch Abstraktionsprozesse erkannten
nicht selbstgegenwärtig gewesenen Sachveiiiältnisses nachgebildet
sind *). Sind sie dagegen den Wissensdispositionen erst mittelbar
durch Denkprozesse erkannter Sachverhältnisse nachgebildet, so
teilen sie die Struktur dieser Wissensdispositionen, von denen
sogleich zu reden sein wird*).
c) Das durch mittelbare Erkenntnisprozesse entstandene
Wissen von Sachverhaitnlssen.
Die dritte Gruppe von Wissensdispositionen umfaßt diejenigen
Dispositionen, welche weder durch unmittelbare, auf Abstraktion
beruhende Erkenntnisprozesse noch durch das Verständnis von
Mitteilungen entstehen. Hierher gehtfren auch die Wissensdis-
positionen von selbstgegenwärtig gewesenen Sachverhältnissen,
soweit sie nicht durch deren abstraktive Hervorhebung, sondern
auf Grund mittelbarer Kriterien z. B. von Nebeneindrücken zu-
stande kommen. Lassen wir zunächst die Frage ganz o£Pen, ob
alle diese Sachverhältnisse der Gattung nach den selbstgegen-
wärtig gewesenen Sachverhältnissen gleichen müssen, die wir durch
unmittelbare Abstraktion erkannt haben. Sicher ist jedenfalls,
daß das Wissen von Sachverhältmssen aller jener Gattungen,
welchen die uns früher selbstgegenwärtig gewesenen angehören,
auch durch Denkprozesse entstehen kann. So vermag z. B. der
*) Zu demselben Ergebnis würde man übrigens auch gelangen, wenn
man nicht eine Kombination von den in der Beziehung stehenden Gegenständen
mit einer schematischen Wissensdisposition, sondern mit vollständigen
Wissensdispositionen der betreffenden Art annähme. Es würden dann un-
mittelbar an Stelle der in Beziehung stehenden Gegenstände in schon vor-
handenen Wissensdispositionen die in der Mitteilung bezeichneten Gegenstände
treten.
•) Vgl. oben S. 162.
') Soweit der Gedanke in der Mitteilung keinen vollständigen sprach-
lichen Ausdruck findet, kommen auch beim Verständnis einer Mitteilung un-
mittelbare und mittelbare Erkenntnisprozesse in Frage, die der Erfassung des
Sinnes dienen. Vgl. hierzu die Ausfllhrungen über das Satzverständnis bd
Bühler a. a. 0. S. 113 ff. und die dortigen Verweisimgen.
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///. Die Wissensaktuaüsierung als KompiexergOmung. 173
Greometer die Gleichheit zweier nicht direkt vergleichbarer
Höhen durch Messung festzustellen. Die psychologischen Vor-
gänge, welche die Entstehung solcher neuer Wissensdispositionen
vermitteln, können hier nicht untersucht werden. Was aber den
Vorgang der Entstehung selbst betri£Pt, so müssen wir annehmen,
daß die letzte Phase des Prozesses in einem Eombinationsprozeß
derselben Art besteht, wie er durch Mitteilung herbeigeführt wird.
Auch hier werden die schon vorhandenen schematischen (oder
möglicherweise vollständigen) Wissensdispositionen von Sachver-
hältnissen der betreffenden Art zur Konstruktion des von dem
erkenntnisbegründenden Zusammenhang geforderten Sachverhalts-
bewußtseins verwendet werden, indem sie mit Dispositionen des
Bewußtseins von Gegenständen, die eine derartige Verbindung
noch nicht eingegangen haben, zu einer neuen vollständigen
Wissensdisposition zusammentreten. Die durch den Denkvorgang
entstehenden Wissensdispositionen besitzen daher die gleiche
Struktur und Einheit wie die Wissensdispositionen von selbst-
gegenwärtig gewesenen Sachverhältnissen.
Nehmen wir an, alle unsere Wissensdispositionen entständen
in der bisher geschilderten Weise auf Grund von Abstraktions-
voi^gängen oder von Eombinationsvorgängen, durch welche nach
Analogie der durch Abstraktion entstandenen Wissensdispositionen
neue gebildet werden. Unter dieser Voraussetzung wäre nicht
nur nachgewiesen, daß alle Wissensdispositionen Einheiten in
doppelter Hinsicht sind, sondern es wäre auch verständlich ge-
macht, wie solche einheitlichen Wissensdispositionen zu entstehen
vermögen, und wie selbst die Tatsache, daß eine Wissensdis-
position aus einer Mehrheit von Bestandstücken konstruiert worden
ist, nicht als Gegenbeweis gegen diese Einheit verwendet werden
darf; denn die Eombinationsprodukte sind ja den Wissensdisposi-
tionen von unmittelbar abstrahierten Sachverhältnissen völlig gleich-
artig und daher ebenso einheitlicher Natur wie diese. Ob sich
diese Hypothese durchführen läßt, braucht hier nicht entschieden
zu werden. Auch wenn es noch andere Entstehungsbedingungen
von Wissensdispositionen gäbe, würden die aus ihnen hervor-
gegangenen Wissensdispositionen unzerlegbare Einheiten sein.
Sie würden sich nicht in ein bloßes Nebeneinander der Disposi-
tionen von Gegenständen und der Disposition von einer Beziehung
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174 Abschn. 2. Die Theorie der Wissensaßttualisiemng,
auflösen lassen; denn durch die Wiedererr^^ung dieser Disposi-
tionen würde kein Bewußtsein von einem Sachverfaältnis entstehen.
f3)ensowenig aber würden sie sich als blofier assoziativer Verband
elementarer gegenstfindhcher Dispositionen, etwa von Empfin-
dungen, betrachten lassen; denn durch ein solches Nebeneinander
von Dispositionen würde nur das Bewußtsein von den einzelnen
elementaren Gegenständen und ihren unselbständigen Momenten,
nicht aber das Bewußtsein von einer zwischen einer Mehrheit von
Gegenständen bestehenden Beziehung, geschweige denn das Bewußt-
sein von ihrem in dieser Beziehung Stehen reproduzierbar werden,
wie es der Bestand einer einheitlichen Wissensdisposition ermöglicht
Durch die Entstehung des Bewußtseins von einem zwischen
ihnen bestehenden Sachverhältnis können Gegenstände, welche
in der zeitlichen oder räumlichen Ordnung unserer Bewußtseins-
erlebnisse bezw. ihrer Reproduktionsgrundlagen beliebige SteUen
einnehmen, miteinander zu derselben Wissensdisposition vereinigt
werden. Wir haben also zwei Arten von Komplexdispositionen
zu unterscheiden: 1. Dispositionen von Komplexen, deren Bestand-
teile dadurch charakterisiert sind, daß sie sich zu einem simultan
oder sukzessiv zu vergegenwärtigenden i^umlichen oder zeitlichen
bezw. i^umlich-zeitlichen Anschauungsganzen zusammenschließen.
2. Komplexe, deren selbständige Bestandteile dadurch charakteri-
siert sind, daß sie durch Beziehungen miteinander verknüpft sind.
Demgemäß erhalten wir durch die Bildung umfassender Komplexe
eine doppelte Ordnung unserer Bewußtseinserlebnisse
bezw. ihrer Reproduktionsgrundlagen: 1. eine räum-
lich-zeitliche Ordnung, 2. eine Ordnung durch Be-
ziehungsverknüpfung, in welcher die einzelnen Gregenstände
des Bewußtseins als Glieder vielfach zusammengesetzter Sach-
verhältnisse erscheinen. Die letztere Ordnung hatte schon Bühler
im Auge, wenn er das Bewußtsein von einem indirekt durch seine
Beziehungen zu anderen Gegenständen bestimmten Gegenstand
als ein Bewußtsein von Platzbestimmtheiten innerhalb einer Gregen-
standsordnung bezeichnet. (Vgl. Tatsachen und Probleme etc.,
Archiv f. d. ges. Psychol. 9. S. 259 ff.) Unsere Analyse der Struktur
der Wissensdispositionen von einfachen bezw. zusammengesetzten
Sachverhältnissen hat die Möglichkeit und die Struktur einer
solchen psychischen Gregenstandsordnung verständlich gemacht.
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///. Die WisaensaktuaÜsierung als Komplexergänzung, 176 *^
D. Der Prozeß der Wissensaktualisierung.
Bei der früheren Erörterung der Dispositionen von Anschauimgs-
ganzen blieb es dahingestellt, ob sie sich als bloße assoziative
Verbände von Elementardispositionen auffassen lassen ^). Daß sie
jedenftdls relativ geschlossene komplexe dispositionelle Einheiten,
also Eomplexdispositionen, darstellen, wurde nicht aus der Be-
schaffenheit der ihnen entsprechenden Bewußtseinserlebnisse, son-
dern aus der Tatsache abgeleitet, daß sie an gewissen Reproduktions-
vorgängen als einheitliche Ganze beteiligt sind. Daß die Wissens-
dispositionen dagegen relativ geschlossene komplexe dispositionelle
Einheiten, also Eomplexdispositionen, sind, ging unmittelbar aus
der Beschaffenheit der ihnen entsprechenden Bewußtseioserlebnisse
hervor, die sich nicht in ein Nebeneinander elementarer oder
komplexer Bewußtseinserlebmsse auflösen lassen. Wir können da-
her umgekehrt aus der Einheit der Wissensdispositionen darauf
schließen, daß sie auch bei der Reproduktion als einheitliche Ganze
eine Rolle spielen. Wie die Eomplexdispositionen von Anschauungs-
ganzen können sie als Granze Assoziationen eingehen. Ebenso
werden sie als Ganze Glieder anderer Wissensdispositionen ") und
ermöglichen so die Reproduktion des Bewußtseios von zusammen-
gesetzten Sachverhältnissen, die andere Sachverhältnisse als Glieder
enthalten. Vor allem aber finden auf die Wissensdispositionen die
Gesetze der Eomplexeigänzung Anwendung^).
Nach dem ersten Gesetz der Eomplexergänzung hat ein ge-
gebenes als einheitliches Ganzes wirkendes Eomplexstück die Ten-
denz, die Reproduktion des ganzen Eomplexes herbeizuführen.
Den selbständigen Teilen oder „Stücken^ eines Anschauimgsganzen
entsprechen in einem Sachverhältnis die in der Beziehung stehen-
den Gegenstände. Auf den Fall der Wissensaktualisierung an-
gewendet, lautet daher das erste Gresetz der Eomplexergänzimg:
Das als Ganzes wirkende Bewußtsein von einem Sachverhalts-
glied hat die Tendenz, die Reproduktion des Bewußtseins von dem
") Vgl. oben S. 99 Amn. 1.
*) Auch die in einer Wissensdisposition enthaltenen Dispositionen des
Bewußtseins von Anschauungsganzen, die Glieder eines Sachverhältnisses sind,
sind als Ganze in der Wissensdisposition enthalten, bilden also Komplex-
dispositionen innerhalb der Wissensdisposition.
•) V^.oben S. ICefif., 128 f.
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176 Abschn, 2, Die Theorie der WissensalUuaiisierung.
ganzen Sachverhältnis herbeizuführen. Da jedoch das Bewußtsein
von den in der Beziehung stehenden Gegenständen auch die ver-
schiedensten anderweitigen Verbindungen einzugehen pflegt, so
kommt dem ersten Gresetz der Eomplexergänzung für die Repro-
duktion von Sachverhältnissen im Gegensatz zu dem Fall der
Reproduktion von Anschauungsganzen nur eine geringe richtung-
gebende Bedeutung zu.
Ganz anders verhält es sich mit dem zweiten Gesetz der
Eomplexergänzung, nach dem ein den Komplex als Ganzes an-
tizipierendes Schema die Tendenz hat, die Reproduktion des ganzen
Komplexes nach sich zu ziehen. Die schematische Antizipation
eines Wissens durch das schematische Bewußtstein von dem ge-
wußten Sachverhältnis ist in mehrfacher Hinsicht möglich. Es
können 1) in dem schematischen Sachverhaltsbewußtsein ^) die in
der Beziehung stehenden G^enstände vollständig bestimmt, die
zwischen ihnen bestehende Beziehung dagegen mehr oder weniger
unbestimmt sein; oder es kann 2) die Beziehung vollständig be-
stimmt sein, während die in der Beziehung stehenden Gegen-
stände mehr oder weniger unbestimmt sind. Es kann femer
3) einer der Gegenstände und die Beziehung vollständig bestimmt
sein, während der andere Gegenstand mehr oder weniger un-
bestimmt ist, und es können endlich 4) sowohl die Gegenstände
als die Beziehung in dem Schema mehr oder weniger unbestimmt
sein. In allen diesen Fällen gilt das dem zweiten Gesetz der
Komplexergänzung entsprechende Gesetz, daß ein schematisches
Bewußtsein von einem Sachverhältnis die Tendenz hat, die Re-
produktion des Bewußtseins von denjenigen Sachverhältnissen
herbeizuführen, die dem Schema entsprechen. Namentlich dem
ersten und dritten der angeführten Fälle einer schematischen An-
tizipation des Bewußtseins von einem Sachverhältnis kommt nun
eine sehr hohe richtung^bende Bedeutung für die Reproduktion
zu. Der erste Fall beschränkt die Wissensaktualisierung auf Sach-
verhältnisse zwischen den in dem Schema bezeichneten G^egen-
ständen, von denen häufig nur eines oder wenige geläufig sein
werden. Der dritte Fall beschränkt die Wissensaktualisierung auf
^) Ober die Entstehung eines derartigen schematischen Bewußtseins von
einem Sachverhältnis, bezw. der entsprechenden schematischen Wissens-
disposition siehe oben S. 163 f.
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///. Die WissensafctuaUsierung als KomplexergOnzung. VT!
m
Sachverhältnisse, in denen ein Gegenstand zu einem in dem Schema
bestimmten anderen Gegenstand in der in dem Schema bezeich-
neten Beziehung steht. Steht nur ein einziger Gegenstand zu dem
in dem Schema bestimmten Gegenstand in der betre£Penden Be-
ziehung, so ist die Reproduktionsrichtung durch die schematische
Antizipation des Bewußtseins von einem Sachverhältnis ein-
deutig bestimmt.
Durch die Möglichkeit der schematischen Antizipation von
Sachverhältnissen wird zugleich das dritte Gesetz der Eomplex-
ergänzung anwendbar: Die auf die Ergänzung eines schematisch
antizipierten Sachverhältnisses gerichtete Determination begründet
die Tendenz zur Reproduktion des ganzen Sachverhältnisses. Je
eindeutiger die Bestimmung des gesuchten Sachverhältnisses in der
schematischen Antizipation ist, desto größer ist die richtunggebende
Bedeutung der determinierten Wissensaktualisierung.
Zu den Fällen der determinierten WissensaktuaUsierung gehören
auch die im ersten Abschnitt untersuchten Aufgabelösungen durch
WissensaktuaUsierung. Durch die Kenntnis der Gesetze der Kom-
plexerg^Lnzung, femer durch die gewonnene Einsicht in die Ent-
stehungsbedingungen und die Struktur des dispositionellen und
aktuellen Wissens sind wir jetzt in der Lage, das Zustandekommen
der früher nachgewiesenen Wissensaktualisierungen verständlich
zu machen. Zu diesem Zweck müssen wir jedoch durch eine vor-
hergehende Analyse feststellen, worin in Versuchen nach Art der
unsrigen die Angabe, bezw. das ihr entsprechende Zielbewußt-
sein besteht, welches die WissensaktuaUsierung herbeiführt.
Im weitesten Sinne umfaßt die Aufgabe aUe von der Vp. in
dem Versuch zu befolgenden Anordnungen des Versuchsleiters.
Die Aufgabe im weitesten Sinn war in imseren Versuchen
zum Teil schon durch die vorangegangene Instruktion bestimmt.
Wir können diesen allen Versuchen gemeinsamen Teil der Auf-
gabe im weitesten Sinn konstante Aufgabe nennen. Der kon-
stanten Aufgabe stand die von Versuch zu Versuch variierende
durch das Aulgabewort bezeichnete variable Aufgabe gegen-
über. Die variable Aufgabe steUte eine bestimmte Anforderung
an die Denktätigkeit bezw. Vorstellungstätigkeit der Vp., sie ent-
spricht dem, was von Watt und nach ihm „Au%abe" schlecht-
hin genannt zu werden pflegte, nur daß sie bei den früheren
8«U, Über die Oetetae des geordneten DenkTeriaufi. 12
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178 Abschn, 2. Die Theorie der Wissensakätaiisierung.
Untersuchungen innerhalb einer Versuchsreihe gewöhnlich kon-
stant blieb. Wir können die variable Angabe, um ihrer Bedeu-
tung als der von der Vp. zu erfüllenden Hauptleistung Rechnung
zu tragen, auch „Aufgabe im engeren Sinne" nennen. Die
Erteilung und Übernahme der Au^;abe im engeren Sinne erfolgte
nicht erst, wie man zu meinen versucht sein könnte, mit der
Darbietung des Au|gabewortes, vielmehr fand sie schon beim
Empfang der Instruktion statt, nur war sie hier in ganz allge-
meiner Weise bestimmt, während ihre nähere Bestimmung dem
Einzelversuch vorbehalten blieb. Hinsichtlich dieser näheren Be-
stimmung war sie eben variabel und konnte deshalb nicht ein
für allemal festgesetzt werden.
Die konstante Aufgabe hatte demnach im wesentlichen fol-
genden Inhalt:
1. Das die variable Aufgabe bezeichnende Aulgabewort in einer
den gegebenen Beispielen entsprechenden Weise zu deuten
— Aufgabe in bezug auf das Verständnis der
Aufgabe im engeren Sinne,
2. den jeweils geforderten Denk- oder Vorstellungsprozeß, wie
er durch die gegebenen Beispiele in allgemeiner Weise ge-
kennzeichnet war, auszuführen — unvollständige Auf-
gabe im engeren Sinne,
3. die jeweilige Angabe im engeren Sinne sinngemäß zu lösen
und sich hierbei die zur bequemen und sinngemäßen Lösung
erforderliche Zeit zu lassen — Aufgabe in bezug auf
die Weise der Lösung der Aufgabe im engeren
Sinne,
4. die erfolgte Lösung wennmöglich in Worten, andernfalls
aber durch „ja" kundzugeben — Aufgabe in bezug auf
die Kundgabe der Lösung der Aufgabe im engeren
Sinne.
Die konstante Aufgabe war also nicht in dem Sinne ein Teil
der Angabe im weitesten Sinne oder der Gesamtaufgabe, daß zu
ihr die variable Aufgabe im Einzelversuch als weitere Aufgabe
neben den bisherigen hinzutrat. Vielmehr war sie nur in dem
Sinne unvollständig, daß die Aufgabe im engeren Sinne noch
einer näheren Bestimmung bedurfte, die wegen ihrer Verschieden-
heit von Versuch zu Versuch erst im Einzelversuch erfolgen konnte.
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///. Die Wissensaktualisienmg als Kamplexergänzung, 179
Um die unvollständig bestimmte Aufgabe im engeren Sinne als
Hauptaufgabe gruppieren sich in der allgemeinen Instruktion
die Nebenaufgaben in bezug auf ihr Verständnis, die Weise
und die Kundgabe ihrer Lösung 0. Da die Nebenau^aben in
allen Versuchen konstant blieben, konnten sie auch in der all-
gemeinen Instruktion schon vollständig bestimmt werden.
Die weitere Analyse der Aufgabe in imseren Versuchen läßt
sich am besten an der Hand eines konkreten Beispiels durch-
führen. Nehmen wir etwa den früher mitgeteilten Versuch ,,Er-
regung — Gegensatz?***). Die Aufgabe in bezug auf das Ver-
ständnis der Aulgabe im engeren Sinne hat ein determiniertes
Verständnis') des dargebotenen Wortes „Gegensatz?" zur Folge.
Es erhält für die Vp. die Bedeutung der Aufgabe: „Es soll zu
dem durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand der Gegensatz
gesucht werden!** Aber auch mit diesem Verständnis der variablen
Aufgabe ist die von der Vp. zu erfüllende Gesamtaufgabe noch
nicht vollständig bestimmt. Die Aufgabe im engeren Sinne ist
i^Lmlich noch keine vollständige, d. h. keine Aufgabe, welche
hinreichend bestimmt ist, um ihre Ausführung zu ermöglichen.
So lautet die Aufgabe im engeren Sinne in imserem Beispiel nicht,
es soUe ein Gegensatz angegeben werden. Eine solche Aufgabe
wäre allerdings durch die Angabe des Gegensatzes zu einem be-
liebigen Gegenstand ausführbar und daher vollständig. Die Auf-
gabe im engeren Sinne lautet vielmehr: „Es soll zu dem durch
das Reizwort bezeichneten Gegenstand der Gegensatz gesucht
werden!*' Diese Aufgabe aber ist unvollständig; denn sie ist nicht
ausführbar, solange der Gegenstand, zu dem ein Gegensatz ge-
sucht werden soll, nur indirekt als der durch das Reizwort be-
zeichnete Gegenstand bestimmt ist. Erst wenn dieser Gegenstand
direkt bestimmt ist, wird die Aufgabe ihrem Inhalte nach aus-
führbar und damit vollständig. Die vollständige Aufgabe lautet
also: „Es soll der Gegensatz zu Erregung gesucht werden!** Wir
können die so vervollständigte Aufgabe im engeren Sinne, mit
Ober die Bezeichnung Haupt- imd Nebenaufgabe vgl. A. Grünbaum, Über
die Abstraktion der Gleichheit, Archiv f. d. ges. Psychol. 12. E. Westphal, Über
Hatipt- und Nebenaufgaben bei Reaktionsversuchen, Archiv f. ges. Psychol. 21.
•) V^.oben S.68ff.
■) Wieweit das Verständnis von sprachlichen Äußerungen auch sonst ein
determinierter Prozeß ist, kann hier unentschieden bleiben.
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180 Abschn. 2, Die Theorie der Wissensaktuaäsienmg,
Rücksicht darauf, daß sie den eigentlichen Kern der Gesamtau^abe,
die (}esamthauptaufgabe, bildet, auch Gesamtaufgabe im
engeren Sinne oder Gresamtaulgabe schlechthin n^men und
zum Unterschied von ihr die Aufgabe im weitesten Sinne als
Gesamtaufgabe im weiteren Sinne bezeichnen. Auf die
Gesamtaufgabe im engeren Sinne bezieht sich die Lösung durch
Wissensaktualisierung. Von ihr ist daher im folgenden in erster
Linie die Rede.
Die Gesamtaufgabe, „den Gegensatz zu Erregung zu suchen,"
ist erfüllt, wenn der bestimmte G^egenstand, welcher in diesem
Gregensatz steht, in irgend einer Form, z. B. in der des akustisch-
motorischen Auftauchens seiner Benennung, nämlich „Beruhigung",
der Vp. zum Bewußtsein gekommen ist. Das Ziel der auf die
Erfüllung der Aufgabe gerichteten Determination ist damit erreicht
Dieses Ziel kann natürlich in der Gresamtaufgabe noch nicht direkt
bestimmt sein; denn dann würde ja in dem Bewußtsein von der
Aufgabe schon das Bewußtsein von dem gesuchten Gegenstand,
also die Lösung selbst, enthalten sein. Wohl aber ist das Ziel der
geforderten Determination in der Gesamtau^abe schon indirekt
bestimmt als „das direkte Bewußtsein von dem Gegenstande,
welcher den Gegensatz zu Erregung bildet". Nur in-
sofern besteht auch schon eine schematische direkte, d. h. die Be-
schaffenheit des Ziels antizipierende Bestimmung, als es als
ein inneres Geschehen bestimmter Art, nämlich als das Be-
wußtsein von einem bestimmten Gegenstand bestimmt ist. Die
indirekte Bestimmung des Ziels der Determination erfolgt durch
die indirekte Bestimmung des Gegenstandes, auf den sich das
durch die Aufgabe geforderte Bewußtsernserlebnis beziehen soll.
Dieser Gegenstand 8J>er wird indirekt bestimmt durch sein in einer
bestimmten Beziehung Stehen zu einem anderen Gregenstand, mit-
hin als Glied eines Sachverhältnisses. So ist der gesuchte Gegen-
stand in unserem Beispiel bestimmt als derjenige Gegenstand,
welcher den Gegensatz zu Erregung bildet^).
Auf die allgemeine Bedeutung solcher indirekter Bestimmungen im
Denkverlauf, auf die BQhler zuerst die Aufknerksamkeit der experimentelien
Psychologie gelenkt hat, wurde schon im ersten Abschnitt hingewiesen. VgL
S. 84^ 41, 48, 70 f., 87. Ober die hierhergehörigen Untersuchungen von Michotte
und Ransy, sowie von Michotte und Portych siehe unten S. 283 ff.
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///. Die WissensaktuaUsierung als Komplexergänzung, 181
Man hat das Bewußtsein von dem Ziel einer Determination
häufig „Zielvorstellung" genannt; der Bezeichnimg „Vorstellung"
könnte jedoch eine bestimmte Theorie zugrunde gelegt werden,
nach der das Ziel durch anschauliche Vorstellungen repräsentiert
sein müßte. Wir werden daher besser die Bezeichnung „Ziel-
vorstellung" durch die Bezeichnung „Zielbewußtsein" ersetzen.
Das durch das Verständnis der übernommenen Aufgabe entstehende
Zielbewußtsein besteht bei Aufgaben von der Art unseres
Beispiels in dem Bewußtsein von einem durch das Bewußtsein
von einem Sachverhältnis indirekt bestimmten inneren Geschehen,
auf dessen Verwirklichung die Determination gerichtet ist. Das
Ziel aber besteht in diesem Geschehen selbst, in unserem Falle
in dem direkten Bewußtsein von dem Gegenstand, der in der be-
zeichneten Beziehung zu dem bezeichneten anderen Gegenstand steht.
Durch die indirekte Bestimmung des gesuchten Gegenstandes
in der Gesamtau^abe wird in der Vp. hiemach das schematische
Bewußtsein von einem Sachverhältnis erzeugt. Bekannt ist in
diesem Sachverhältnis das eiae Sachverhaltsghed (Erregung), und
die das Sachverhältnis der Art nach kennzeichnende Beziehung
(Gegensatz), während die nähere Bestimmung des anderen Sach-
verhaltsgliedes, auf dessen Bewußtwerden die Determination ge-
richtet ist, noch aussteht. Dieses im Zielbewußtsein enthaltene
schematische Sachverhaltsbewußtsein verdankt seine Entstehung
der Mitteilungsfunktion, welche die Darbietung von Aufgabe- und
Reizwort durch die vorangegangene Instruktion erhält. Infolge
der in der Instruktion enthaltenen Anweisung über das Verständ-
nis der Gesamtaufgabe hat die Darbietung der Worte „Erregung"
und „Gegensatz?" die gleiche Wirkung, als ob an die Vp. die zu-
sammenhängende Frage gerichtet wäre: „Was ist der Gegensatz
zu Erregung?" Diese Frage enthält aber implicite eine Mitteilung
von dem Sachverhältnis, daß es einen nicht näher bestimmten
Gegensatz zu Erregung gibt, d. h. sie enthält die sprachliche An-
weisung zum Vollzug des schematischen Bewußtseins von einem
solchen Sachverhältnis 0, dessen anderes GHed zu suchen ist.
') Das durch die Mitteüungsfunktion der Gesamtaufgabe hervorgerufene
schematische Sachverhaltsbewußtsein ist ein abstraktes Wissen (vgL oben
S. 69), wenn ein wirkliches Bewußtsein von einem Sachveihaltnis und nicht
eine bloße Vergegenwärtigung der totalen Bestimmtheit des betreffoiden Sach-
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182 Abschn, 2. Die Theorie der Wissensakiuaiisierung.
Besitzt nun die Vp. eine dem im Zielbewußtsein enthaltenen
Sachverhaltsschema entsprechende Wissensdisposition, so kann
nach dem zweiten und dritten Gresetz der Komplexer^ü[izung ^)
durch das schematische Sachverhaltsbewußtsein, bezw. durch die
auf die Ergänzung des schematisch antizipierten Sachverhalts-
bewußtseins gerichtete Determinierung die Aktualisierung des
dispositionellen Wissens hert)eigeführt werden. Schon bei der
Besprechung der determinierten Eomplexergänzung von Anschau-
ungsganzen wurde auf das allgemeine Gresetz Bezug genommen,
daß die Determinierung zur Vornahme einer intellektuellen Tätig-
keit die Aktualisierung derjenigen allgemeinen intellektuellen
Operationen nach sich zieht, die zur Verwirklichung eines der-
artigen Zieles geeignet sind. Das der Gesamtaufgabe entsprechende
Zielbewußtsein nun enthält, wie wir sahen, die Determinierung
zur Herbeiführung des Bewußtseins von einem Gegenstand, der
zu dem durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand in der durch
das Auf gabewort bezeichneten Beziehung steht. Zu den intellektuellen
Operationen, die zur Herbeiführung dieses Zieles geeignet sind,
gehört aber vor allem die Operation der determinierten Wissens-
aktualisierung, welche die Aktualisierung der allenfalls vorhandenen
Wissensdispositionen ermöglicht, die einen zu dem Reizwortgegen-
stand in der geforderten Beziehung stehenden Gegenstand ent-
halten; denn durch die Aktualisierung dieser Wissensdispositionen
wird auch das Bewußtsein von dem gesuchten Gegenstand mit-
aktualisiert Die Determinierung zur Erfüllung der Gesamtauf-
gabe zieht demnach die Tendenz zur determinierten Aktualisierung
der der Gesamtaufgabe entsprechenden Wissensdispositionen nach
sich. So hat die Gesamtaufgabe, den Gegensatz zur Erregung
zu suchen, die Tendenz zur Aktualisierung des Wissens zur Folge,
daß der Gegensatz zur Erregimg Beruhigung ist Ebenso wird
etwa durch die Aufgabe, eine Folge der Schuld anzugeben, die
Tendenz zur Aktualisierung von Wissensdispositionen begründet,
Verhältnisses zustande kommt, weil die Vp. die Frage offen läßt, ob es ein
solches Sachverhältnis, wie es in der Frage behauptet ist, wirklich gibt (Vgl.
oben S. 154). Die Struktur des Sachverhaltsbewußtseins ist jedoch in beiden
Fällen genau die gleiche, so daß der Unterschied der beiden Fälle für unsere
Betrachtung vernachlässigt werden darf. — Über die Entstehung des Sach-
Verhaltsbewußtseins auf Grund der Mitteilungsftinktion S. 183 f.
*) Vgl. S. 176 f.
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///. Die Wlsse n sak t ualisierung als KompiexergOnzung. 183
die sidi auf eine Folge der Schuld beziehen^). Oder es wird
durch die Aulgabe, den nebengeordneten Begriff zu Tod an-
zugeben, die Tendenz zur Aktualisierung von allenfalls vorhandenen
Wissendispositionen b^;ründet, welche einen nebengeordneten
Begriff zu Tod enthalten •) usw.
Die allgemeine Operation der determinierten Wissensaktuali-
sierung, welche die Aufgabelösung durch Wissensaktualisierung
vermittelt, ist nur ein Spezialfall der Operation der determinierten
Eomplexergänzung, in dem der zu ergänzende schematisch anti-
zipierte Komplex ein Wissenskomplex ist, während es sich in den
früher besprochenen Fällen um die Ergänzung von Anschauungs-
ganzen handelte. Dieselbe Sicherung einer bestimmten Richtung
des Ablaufs der intellektuellen Prozesse, welche die determinierte
Eomplexergänzung im allgemeinen auszeichnet, besteht daher auch
für die Au^;abeltfsung durch Wissensaktualisierung und bietet die
zureichende Erklärung für die Erreichung des Ziels der der Gre-
8amtau^;abe entsprechenden Determinierung*):
1. Die Einleitung der Operation der determinierten Wissens-
aktualisierung zum Zwecke der Au^abelösung gewährleistet die
reproduktive Wirksamkeit des. im Zielbewußtsein enthaltenen
sdbematischen Sachverhaltsbewußtseins, während ein schematisches
Sachverhaltsbewußtsein an sich auch einem Abstraktionsprozeß
oder einem Eombinationsprozeß dienen könnte. Das erstere könnte
z. B. der Fall sein, wenn die Au^;abe in der Abstraktion eines
Sadiverhältnisses, z. B. eines Sachverhältnisses der Gleichheit, an
optisch dargebotenen Objekten bestünde. Die schematische Anti-
zipation des zu abstrahierenden Sachverhältnisses der Gleichheit
im Zielbewußtsein kann hier die determinierte Abstraktion eines
dem Schema entsprechenden Sachverhältnisses herbeiführen^).
Die Beteiligung eines Sachverhaltsschemas an einem Eom-
binationsprozeß liegt der Erwerbung eines neuen Wissens
durch Mitteilung zugrunde^). Auch das durch die Mitteilimgs-
funktion der Gesamtaufgabe in unseren Versuchen hervorgerufene
>) VgL olxm S. 56.
■) Vgl. oben S.27ff.
") Siehe oben S. 118 ff.
*) Vgl. Ober den Begriff der determinierten Abstraktion N. Ach, Über die
WiHensUtigkeit und das Denken (GOttingen 1906) S. 289.
•) Vgl. oben S. 162 ff.
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184 Abschn. 2, Die Theorie der Wissensaktaalisierung,
Sachverhaltsbewußtsein haben wir uns durch einen Kombinations-
prozeß entstanden zu denken, bei dem das Schema eines Sach-
verhältnisses der durch die Aufgabe im engeren Sinne bezeich-
neten Art mit den Dispositionen vom Bewußtsein des Reizwort-
gegenstandes zu dem Schema eines Sachverhältnisses zusammen-
tritt, in dem die Beziehung und das eine Sachverhaltsglied voll-
ständig bestimmt sind ^).
2. Die Einleitung der Operation der determinierten Wissens-
aktualisierung gewährleistet die reproduktive Wirksamkeit des im
Zielbewußtsein enthaltenen schematischen Sachverhaltsbewußtseins
als eines Ganzen, sodäß das in ihm enthaltene Bewußtsein von
dem einen der in Beziehung stehenden Gregenstände und von der
bestehenden Beziehung keine selbständige reproduzierende Wirk-
samkeit zu entfalten pflegt.
3. Die Einleitung der Operation der determinierten Wissens-
aktualisierung bestimmt die Richtung, welche die reproduktive
Wirksamkeit des im Zielbewußtsein enthaltenen, als einheitliches
Ganzes wirkenden schematischen Sachverhaltsbewußtseins nimmt
Die Sachverhaltsergänzung ist nämlich nicht der einzige repro-
duktive Vorgang, welchen das schematische Sachverhaltsbewußt-
sein als Ganzes auszulösen vermag. So schloß sich bei imseren
Wiederholungsversuchen, die ja mit erstmaligen Versuchen ver-
mischt waren, häufig an das determinierte Verständnis der Ge-
samtaufgabe die Erinnerung an, daß diese Aufgabe in den Ver-
suchen früher dagewesen war, wobei auch nähere Umstände,
z. B. die Schwierigkeit der Lösung mit bewußt werden können.
In solchen Fällen versetzt das im Zielbewußtsein enthaltene Sach-
verhaltsschema die Dispositionen von dem Sachverhalts Schema in
dem früheren Versuch in Erregung und hat die Tendenz, von da aus
weitere Reproduktionsprozesse herbeizuführen. Da den Vpn. aber
Ausgenommen sind diejenigen F&lle, in denen etwa schon durch die
Worte der Gesamtaufgabe direkt die ihr entsprechenden Sachveiiialtsdisposi-
tionen aktualisiert werden. Auch kann natürlich eine dem Bewußtsein von
der Gesamtaufgabe entsprechende indirekte Gegenstandsbestimmung wie etwa
„Folge der Schuld** (vgl. S. 56 ff.) bereits vorhanden sein und durch die dar-
gebotenen als Ganzes wirkenden Worte „Schuld — Folge'', welche infolge der
Instruktion den Worten „Folge der Schuld*" gleichwertig sind, aktualisiert
werden. Daß dies sehr oft gesdiieht, ist nicht wahrscheinlich, sonst würde
nicht so häufig erst nach einer kleineren oder größeren Pause das Bewußtsdn
auftreten, etwas dergleichen zu kennen.
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///. DU Wissensaktualisiemng als Komplexergänzung, 185
die Instruktion gegeben worden war, Aufgaben, welche ihnen be-
kannt vorkämen, ohne Rücksicht auf die frühere Lösung zu er-
füllen, so verweilten sie nicht bei dieser Erinnerung, sondern
machten sich an die unabhängige Lösung 0- Die Einleitung der
determinierten Wissensaktualisierung hat also auch zur Folge,
daß der Reproduktionsprozeß gerade der Sachverhalts ergänzung
dienstbar gemacht wird.
4. Da die eingeleitete Operation der Wissensaktualisierung
ein determinierter Vorgang ist, so kommt den in dieser Ope-
ration enthaltenen psychophysischen Prozessen auch diejenige
Energie und Dauer zu, die zur Verwirklichung der Wissens-
aktualisierung erforderhch ist*).
5. Die Operation der determinierten Wissensaktualisierung
kann die Wissensaktualisierung für sich allein herbeiführen.
Das Bestehen anderweitiger Tendenzen zur Herbeiführung des
Bewußtseins von dem gesuchten Gegenstand ist neben ihr nicht
erforderlich •). Insbesondere hat die Wirksamkeit der determi-
nierten Wissensaktualisienmg nicht zur Voraussetzung, daß von
dem schematischen Sachverhaltsbewußtsein als solchem eine er-
hebliche immanente Tendenz zur Aktualisierung der ihr ent-
sprechenden Wissensdispositionen ausgeht. Das schematische Sach-
verhaltsbewußtsein bildet vielmehr nur den Ausgangspunkt
für die Einleitung der allgemeinen intellektuellen Operation der
Komplexei^^üizung, welche die Wissensaktualisierung herbeiführt*).
Wir haben bis jetzt von den Besonderheiten abgesehen, welche
sich daraus ei^eben, daß in Reaktionsversuchen nach Art der von
uns angestellten nicht die Herbeiführung des vollständigen Bewußt-
seins von einem Sachverhältnis das der Gesamtaufgabe ent-
sprechende Ziel bildet, sondern nur die Herbeiführung des direkten
^) Ob das Auftreten der Erinnerung als völlig unwillkürliche, also nicht
im Sinne der Determination zur Aufgabelösung liegende Reproduktion auf-
gefaßt werden muß, ist sehr ft*aglich; denn die Versuchsperson hatte gerade
bei unserer Anordnung der Versuche ein gewisses Interesse daran, die Auf-
' gaben miteinander zu vergleichen, um daraus Nutzen ftlr die Lösung zu ziehen.
Außerdem spielt hier natürlich ein unüberwindUches Interesse an der Anlage
der Versuche die Rolle einer nicht vom Versuchsleiter durch Instruktion herbei-
geführten Determination.
") Vgl. oben S. 120.
•) Vgl. oben S. 120.
*) Vgl. oben S. 121 f.
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186 Absdm. 2. Die Theorie der Wissensaktuaüsierang.
Bewußtseins von dem Gegenstand, welcher zu einem andern
Gegenstand in einer bestinmiten Beziehung steht. Die determinierte
Wissensaktualisierung dient nur als Mittel zur Herbeiführung des
direkten Bewußtseins von einem indirekt bestimmten Gegenstand
(S. 180 f.). Daher ist die Determination zur Wissensaktualisierung
nicht auf die vollständige Wissensaktualisierung, d. h. nicht auf die
Reproduktion des Bewußtseins von dem ganzen Wissenskomplez
gerichtet, sondern nur auf partielle Wissensaktualisierung, näm-
lich auf die Aktualisierung der in der in Erregung versetzten
Wissensdisposition enthaltenen Disposition vom direkten Bewußt-
sein des Gegenstandes, welcher in der geforderten Beziehung zum
Reizwortgegenstand steht Hierbei besteht mit Rücksicht auf die
Nebenaufgabe in Bezug auf die Kundgabe der Lösung vor allem
die determinierende Tendenz zur Reproduktion der Bezeich-
nung für den gesuchten Gegenstand 0. Die Aktualisierung der
übrigen Bestandstücke des Wissenskomplexes liegt nur soweit in
der Richtung der bestehenden Determinierung, als sie für die
Eontrolle der Richtigkeit der Lösung von Bedeutung ist. Je ober-
flächlicher die Kontrolle ist, mit der sich die Vp. begnügt, desto
weniger wird daher eine Determination zur vollständigen Aktuali-
sierung der vorhandenen Wissensdispositionen bestehen. Aus dem
bei Reaktionsversuchen natürlichen Bestreben, den Versuch nicht
zu lange auszudehnen, ergibt sich außerdem die Beschrilnknng der
Kontrolle auf das zulässige Minimum. Nehmen wir nun an, daß
auch in dieser Hinsicht dem Inhalt der Determinierung die Art des
Ablaufs der intellektuellen Operationen entspricht, welche ihrer
Verwirklichung dienen, so gelangen wir von der Analyse der Auf-
gabe, bezw. der ihr entsprechenden Determinierung her zur Postu-
Uerung derjenigen Tatsachen, welche wir im ersten Abschnitt fest-
gestellt haben. Die unvermittelten Lösungen ohne aus dem Pro-
') Streng genommen ist die Bezeichnung des gesuchten Gegenstandes
keine direkte Bestimmung, sondern eine indirekte. Sie bestimmt den Gegen-
stand als denjenig^ welcher diese bestimmte Bezeichnung trftgt. Wir können
aber der Einfachheit der Darstellung halber hier ohne Gefahr die Bezeichnung
eines Gregenstandes seinen direkten Bestimmungen gleichstellen. Für die Vp.
hat das Bewußtsein von der Bezeichnung des gesuchten Gegenstandes im Ver-
hältnis zu seiner in der Gesamtaufgabe gegebenen indirekten Bestimmung in
der Tat den Wert einer direkten Bestimmung, durch wdche die Hauptaufgabe
erfüllt wird.
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///. Die Wisaensaktualisiemng als Kompiexergänzung, 187
tokoU nachweisbare oder mit nur indirekt aus dem Protokoll
nachweisbarer Wissensaktualisierung erscheinen dann als der Aus-
druck der Tatsache, daß den Vpn. die Einschränkung der Wissens-
aktualisierung auf das durch die Aufgabe bei der Kürze der zu
Grebote stehenden Zeit geforderte Maß gelingt. Sie bestätigen die
allgemeine Gesetzmäßigkeit, daß die Determinierung die Einleitung
derjenigen intellektuellen Operationen nach sich zieht, welche zu
ihrer Verwirklichung geeignet sind.
Die Beschränkung der determinierten Wissensaktualisierung
auf diejenigen Bestandstücke des Wissenskomplexes, deren Re-
produktion zur Lösung der Aufgabe erforderlich ist, zeigt auch
folgende aus den im ersten Abschnitt angeführten Protokollen
hervorgehende Tatsache. Sind durch das im Bewußstsein von der
Gesamtaufgabe enthaltene schematische Sachverhaltsbewußtsein
größere Wissenskomplexe, d. h. mehr oder weniger zusammen-
gesetzte Wissensdispositionen tangiert, so werden diese keines-
wegs vollständig aktualisiert, sondern nur, soweit es zur Lösung
notwendig ist So erfolgt die Reaktion „Schlaft bei der Gesamt-
aufgabe „Tod — Nebenordnung?^ in allen Fällen, ohne daß die
Hinsicht, in der beide einander gleichgeordnet sind, den Vpn. zum
Bewußtsein kommt ^). Die sonstigen näheren Umstände der Neben-
einanderstellung werden ebenfalls von E bei der zweimaligen Aus-
führung des Versuches überhaupt nicht, von D nur im Wieder-
holungsversuch und lediglich als dunkler, mehr negativ zu be-
schreibender Anklang der poetischen Sphäre aktualisiert Auch
bei B ist nur ein dunkler Anklang an das Wort „der Schlaf ist
der Bruder des Todes" vorhanden. Li ähnlicher Weise wird der
durch die Gesamtaufgabe „Erregung — Gegensatz?" (S. 58 flF.)
tangierte größere Wissenskomplex, welcher sich auf die Wundt-
sche Gefühlstheorie bezieht, bei denjenigen Vpn., bei welchen sein
Anklingen erkennbar ist, nur ganz flüchtig gestreift^. Bei G tritt
die Wundtsche Gefühlstheorie erst bei der Reaktion nachweisbar
hervor. D und B verhalten sich ganz entsprechend wie in dem
soeben zitierten Versuch. Bei D findet nämlich eine Verlegung
in die Sphäre der Psychologie statt, während bei B wie dort die
») Vgl. oben S.28ff.
") Vgl. ferner 6t» S. 82, wo die Beschrftnkung der Wissensaktualisierung
auf das zur Reaktion erforderliche Maß sehr deuüich ist, u. a.
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188 Absdin. 2, Die Theorie der Wissensaktuaiisierung.
näheren Umstände der Gegenüberstellung relativ am stärksten
entwickelt werden. Bei beiden Vpn,, die am meisten psychologisch
interessiert waren, wurde übrigens, wie es scheint, die psycho-
logische Sphäre schon von dem Verständnis des Reizwortes an-
geregt. Ein derartiges Reizwort führt eben naturgemäß die Elin-
stellung auf eine psychologische Aufgabe herbei *). Von Interesse
ist noch, daß bei E in diesem Versuch ebenso wie bei der Wieder-
holung der Aufgabe „Tod — Nebenordnung?** auf die unmittelbar
sich einstellende Lösung eine nachträgliche Kontrolle, bezw. der
Versuch dazu erfolgt. Es zeigt sich also eine gewisse Eonstanz des
Verhaltens derselben Vpn. in den verschiedenen Versuchen. Bei
E, der sich stets als Vp. sehr ehrgeizig und infolgedessen zuweilen
etwas hastig zeigte, überwiegt zunächst das Bedürfnis, möglichst
rasch zur Lösung zu kommen; infolgedessen wird die Wissens-
aktuahsierung, soweit sie über das immittelbare Bewußtsein des
gesuchten Sachverhaltsgliedes hinausgeht, auf ein Mindestmaß redu-
ziert, wodurch sich dann eine nachträgliche Kontrolle als not-
wendig erweist ').
Die Determinierung zur Herbeiführung des direkten Bewußt-
seins von einem im Zielbewußtstein indirekt bestimmten Gegenstand
durch partielle Wissensaktualisierung bestimmt also die Richtung
des eingeleiteten Reproduktionsprozesses nicht nur insofern, als
er die dem im Zielbewußtsein enthaltenen Sachverhaltsschema
entsprechenden vollständigen Wissensdispositionen anspricht *).
Jede Determinierung hat vielmehr auch zur Folge, daß innerhalb
der in Erregung befindlichen Dispositionen der Reproduktions-
prozeß in ganz bestimmter Weise verläuft. Die Regulierung des
Verlaufs des determinierten Reproduktionsprozesses innerhalb einer
Wissensdisposition wird möglich durch die schematische Antizipation
des zu verwirklichenden inneren Geschehens im Zielbewußtsein.
Wie schon früher dargelegt wurde*), sind Gegenstände und Be-
ziehung innerhalb einer Wissensdisposition in entsprechender Weise
verbunden zu denken, wie in dem zu ihr gehörigen Sachverhalts-
Die Angaben von 6 machen es wahrscheinlich, daß auch die bei B
nebenher erfolgte Berührung eines anderen Geföhlsgegensatzes nicht ganz
ohne Beziehung zur Lösung der Aufgabe stand.
•) Vgl. Ees S. 27, Ew, S. 50.
^ Siehe oben S. 184 f.
*) Vgl. namentlich S. 156 ff.; siehe auch S. HO.
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///. Die Wissensakiuaäsiening als Komplexergänzung. 189
bewußtsein. Das Zielbewußtsem bezeichnet daher genau die Stelle
innerhalb der Wissensdisposition, an welcher die partielle Wissens-
aktualisierung stattzufinden hat. Sie entspricht der Stelle, welche
in dem Sachverhaltsschema des Zielbewußtseins der noch nicht
direkt bestimmte Gegenstand einnimmt. Auf die Herbeiführung
einer partiellen Wissensaktualisierung an der entsprechenden Stelle
der Wissensdisposition ist der determinierte Reproduktionsprozeß
in erster Linie gerichtet. Wir können einen derartigen Re-
produktionsprozeß, durch welchen einzelne selbständige Teile oder
unselbständige Momente einer Gesamtdisposition für die Reproduk-
tion ausgesondert und für sich allein ins Bewußtsein gehoben
werden, als abstraktive Reproduktion bezeichnen^). Unsere
Aulgabelösungen durch Wissensaktualisierung und namentlich die
Fälle der unvermittelten Lösung ohne aus dem Protokoll nachweis-
bare oder mit nur indirekt aus dem Protokoll nachweisbarer Wissens-
aktualisierung sind demnach determinierte abstraktive Re-
produktionsprozesse. Zu beachten ist, daß in diesen Fällen
durch den abstraktiven Reproduktionsprozeß gerade die Reproduk-
tion desjenigen Bestandstücks der Gesamtdisposition herbeigeführt
wird, welches in dem Sachverhaltsschema seiner Beschaffen-
heit nach am wenigsten antizipiert war. Dies zeigt, daß die
Aufgabelösung durch Wissensaktualisierung nicht auf einer von
dem im Zielbewußtsein enthaltenen Sachverhaltsschema selbst
ausgehenden psychophysischen Erregung beruhen kann. Wäre
dies der Fall, so müßte erwartet werden, daß in erster Linie die-
jenigen Bestandstücke des Sachverhältnisses reproduziert würden,
welche den in dem Schema der Beschaffenheit nach antizipierten
Bestandstücken entsprechen. Das Sachverhaltsschema bildet viel-
mehr nur den Ausgangspunkt für die eingeleitete Operation der
partiellen Wissensaktualisierung, die auf Reproduktion
des Bewußtseins von dem in dem Schema noch unbestimmt ge-
lassenen Gegenstand gerichtet ist.
Bleiben bei wiederholter Aktualisierung eines größeren Wissenskomplexes
bestimmte Bestandstflcke, z. B. die Beg^tumstände der Erwerbung infolge ab-
straktiver Reproduktion unreproduziert, so geraten sie allmählich in Vergessen-
heit ELs bleiben nur die praktisch wichtigen Teile des Wissenskomplexes er-
halten; vgl S. 46 und Anm. 2 daselbst Wir berOhren damit eine aus dem Leben
wohlbduumte Ausleseerscheinung unseres Gedächtnisses.
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190 Ahsdm, 2. Die Theorie der WissensiMaalisierung,
Die Gesamtaufgabe im engeren Sinne bestimmt nur, daß der
in der bezeichneten Beziehung zu dem bezeichneten anderen
Gregenstand stehende gesuchte Gegenstand irgendwie zum Be-
wußtsein gelangen soll. Es ist also keineswegs eine möglichst
vollständige Reproduktion des auf die Beschaffenheit dieses Gregen-
standes bezüglichen Erlebniskomplexes verlangt. Infolge der Neben-
au^abe in bezug auf die Kundgabe der Lösung richtet sich nun
das Bestreben der Vp. schon bei der zimi Zweck der Lösung der
Gresamthauptaufgabe erfolgenden Wissensaktualisierung vorzugs-
weise auf die Reproduktion der Bezeichnung des gesuchten
Gegenstandes, durch welche beiden Aufgaben zugleich genügt
wird. Der abstraktive Reproduktionsprozeß wird daher in erster
Linie die Tendenz haben, diejenigen den gesuchten Gegenstand
betreffenden Reproduktionsgrundlagen anzusprechen, welche den
schematisch antizipierten Charakter von Worten tragen. Eine
weitergehende Reproduktion unterbleibt, soweit sie nicht durch
den Kontrollzweck veranlaßt ist oder als Durchgangspunkt für
die Reproduktion der Bezeichnungen dient Die Folge davon ist,
daß auch die den gesuchten Gegenstand betreffenden Sachvor-
stellungen nicht zur Entwicklung gelangen oder nur der nach-
träglichen Verifikation dienen *). Sobald auf diese Weise das Ziel
der Hauptaufgabe durch die Reproduktion der Bezeichnung des
zu dem Reizwortgegenstand in der geforderten Beziehung stehen-
den Gegenstandes erreicht ist, setzt die auf die Kundgabe der
Lösung gerichtete Determination ein und führt zur motorischen
Entladung der determinierten psychophysischen Erregung im Wege
der sprachlichen Reaktion. Li vielen, bei einzelnen Vpn. in den
meisten Fällen kommt es gar nicht erst zu einer inneren Re-
produktion der Bezeichnung, sondern der determinierte Prozeß
schlägt ohne eine dazwischen liegende innere Wortreaktion so-
gleich den Weg der äußeren sprachlichen Reaktion ein. Die Vp.
erfüllt in solchen Fällen die Hauptaufgabe in demselben Akt mit
der Nebenaufgabe in Bezug auf die Kundgabe der Lösung.
Nicht in allen Fällen zieht die Determination zur Herbei-
führung des direkten Bewußtseins von dem im Zielbewußtsein
indirekt bestimmten Gegenstand dieses direkte Bewußtsein im-
•) Vgl. z. B. die Protokolle oben S. 26f.
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///. Die Wissensakiuaäsiemng als Komplexergänzung, 191
mittelbar nach sich. Häufig kommt es viehnehr, wie die Unter-
guchmigen des ersten Abschnittes zeigten, zu einer sukzessiven
Wissensaktualisierung. Die von dem im Zielbewußtsein enthaltenen
schematischen Sachverhaltsbewußtsein ausgehende Operation der
determinierten Wissensaktualisierung führt zunächst zur Aktuali-
sierung eines dem Sachverhaltsschema entsprechenden geläufige-
ren abstrakten Wissens, z. B. des Wissens, daß die Vp. einen
Gfegenstand kennt, der zu dem Reizwortgegenstand in der ge-
forderten Beziehung steht. Hierbei findet durch die erste Wissens-
aktualisierung oft eine speziellere Bestimmung des Zieles durch
das Hinzutreten weiterer indirekter Bestimmungen statt. So wird
etwa das Wissen von dem zusammengesetzten Sachverhältnis ak-
tualisiert, daß ein noch nicht näher bestimmter Gegenstand zu
dem Reizwortgegenstand unter bestimmten Umständen in
die geforderte Beziehung gesetzt wurde. Oder es wird das Wissen
von dem zusammengesetzten Sachverhältnis aktualisiert, daß der
Gegenstand, welcher zum Reizwortgegenstand in der geforderten
Beziehung steht, durch eine Beziehung zu einem bestimmten
anderen Gegenstand, etwa die Zugehörigkeit zu einem bestimmten
Wissensgebiete, gekennzeichnet ist*)-
In der Regel ist mit dem zunächst aktualisierten abstrakteren
Wissen das Wissen von dem Besitz eines entsprechenden kon-
kreteren Wissens verbunden'). Solange das Wissen von einem
der Gesamtaufgabe entsprechenden Wissensbesitz noch nicht
aktualisiert ist, konkurriert die Tendenz zur Einleitung der Ope-
ration der determinierten Wissensaktualisierung mit der Tendenz
zur Anwendung anderer für die Lösung von Aufgaben der be-
treffenden Art in Betracht kommender Lösungsmethoden. Die
Aktualisierung des Wissens von einem der Angabe entsprechenden
Wissensbesitz pflegt dagegen die ausschließliche determinierende
Tendenz zur Wissensaktualisierung nach sich zu ziehen. Besonders
deutlich tritt dies in den Fällen hervor, in denen durch die Aktuali-
*) Siehe oben S. 70 ff., 144 f.
*) In den froher angeführten Protokollen ist in zahlreichen F&Den das
Bewußtsein von einem solchen Wissensbesitz ausdrücklich erwähnt VgL nament-
lich Gl» S. 82, Bi»i S. 34, G%% S. 86, Aiss S. 89, hierher gehören auch die Falle,
in denen die Geläufigkeit des dem abstrakten Wissen entsprechenden konkreten
Wissens der Vp. mit zu Bewußtsein kommt, z. B. A«! S. 82.
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192 Absdm, 2. Die Theorie der Wissensaktuaäsierung,
sierung des Wissens von einem vorhandenen Wissensbesitz ein
aktiver „Appell an das Gedächtnis'^ oder ein bewußtes „Suchen^
in der durch das abstrakte Wissen vorgezeichneten Richtung
motiviert wird ^). Diese Fälle sind es auch, in welchen der CSha-
rakter der determinierten Wissensaktualisierung als Ergänzung
eines schematisch antizipierten Wissenskomplexes schon aus der
unmittelbaren Selbstbeobachtung hervorgeht Denn das Bewußt-
sein von dem abstrakten Sachverhältnis, das zum Motiv für den
Appell an das Gredächtnis wird, stellt im Verhältnis zu dem Be-
wußtsein von dem entsprechenden konkreteren Sachverhältnis ein
schematisches Bewußtsein von einem Sachverhältnis dar, in dem
das eine Sachverhaltsglied nur indirekt bestimmt ist Der „Appell
an das (jedächtnis^, das „Suchen^, in der durch das abstrakte
Wissen angezeigten Richtung ist daher nichts anderes als die be-
wußte Determination zur Herbeiführung des direkten Bewußtseins
von einem durch das schematische Bewußtsein von einem kon-
kreten Sachverhältnis indirekt bestimmten Gegenstand mittels
der Aktualisierung des in dem schematischen Sachverhaltsbewußt-
sein antizipierten Wissens.
Die Analyse der determinierten Wissensaktualisierung hat uns
demnach zu der Feststellung geführt, daß die Aufgabeltfsung durch
Wissensaktualisierung nicht auf einem konstellationsartigen Zu-
sammenwirken vom Reizwort ausgehender Reproduktionstendenzen
einerseits und von der Aufgabe, d. h. nach unserer Terminologie
der Aufgabe im engeren Sinne, ausgehender determinierender
Tendenzen andererseits beruht. Die Aufgabelösung durch Wissens-
aktualisierung stellt vielmehr die Umsetzung der in dem einheit-
lichen, der Gesamtau^abe entsprechenden Zielbewußtsein ent-
haltenen indirekten Bestimmung eines inneren Geschehens durch
ein Sachverhältnis in dieses Greschehen selbst dar. Diese Um-
setzung aber erfolgt durch die allgemeine intellektuelle Operation
der Wissensaktualisierung, die einen Spezialfall der Operation der
determinierten Komplexergänzung bildet. Wie die Wirkung der
Determination zur Komplexergänzung im allgemeinen, so ist auch
die Wirkung der Determination zur Wissensaktualisierung, dundi
welche die Aufgabelösung herbeigeführt wird, Ko mplex w irkung,
*) Vgl. oben S. 85f., 40; femer S. 120 Anm. 8.
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///. Die WisunmitaaMerung als Komplexergänzung. 19B
msofem als bei ihr das der Ctosamtaulgabe entsprechende schema-
tische Bewußtsein von einem Sachverh<nis als Ganzes zum
AngriflGspunkt einer infolge der Determinierung eingeleiteten
intellektuellen Operation wird^* Damit ist fttr den Fall der
determinierten WissensaktuaUsierung überiiaupt und daher auch
für den Fall der AulgabelOsung durch ^^Hssensaktualisierung die
schon frtther vermutete Notwendigkeit der EIrsetzung der Eon-
stellationstheorie durch eine Eomplextheorie erwiesen.
*) VgL iibea S. 121 f.
8«ls» Obtr At CkMtM dM ff«ordA«t«B DenkTtfUtote. 18
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IM AhuHn. 3. Die QesamUutfgabe.
Dritter Abschnitt.
Die Gesamtaufgabe.
§ 1. Der Bildungsprozeß der Gesamtaufgabe.
Der Verlauf bei der AulgabelOsung durch Wissensaktualisierong
und die Rolle, welche die Determination hierbei spielt, ist nun
verständlich gemacht Eine Voraussetzung des ganzen Vorgangs
ist, wie wir sahen, die Entstehung eines einheitlichen Zielbewußt-
seins (oder eines ihm äquivalenten unbewußten psychophjrsischen
Prozesses). Vor allem ist hierzu notwendig, daß das Bewußtsein
von der Aufgabe im engeren Sinne und das Bewußtsein von dem
durch das Reizwort bezeichneten G^egenstand nicht einfach neben-
einander bestehen bleiben, sondern zum Bewußtsein von der Ge-
samtau^abe im engeren Sinne vereinigt werden '). Daß eine solche
Vereinigung stattfindet, läßt sich auch aus imseren Protokollen
nachweisen'). Hierbei kommt der stattfindende kombinatorische
Prozeß in verschiedener Weise zum Ausdruck.
Beispiele:
Ai Nebenordnung? — Jagd. — Rudern 12,8''. Ich las beide Worte nach-
einander, Aufgabe und Reizwort verstanden. Ich erinnere mich, daß wir Ober
den Sinn des Wortes Nebenordnung gesprochen haben. Ich bezog die
Aufgabe auf das Reizwort in Erinnerung an die vorbeigegangene Be-
sprechung. Dann richtete ich meine Aufineritsamkeit auf die Bedeutung des
Wortes Jagd; was Jagd ist, das wußte ich [sc im allgemeinen] schon beim
Verständnis des Reizwortes. Dann suchte ich zu Jagd einen Obergeordneten
Begriff, um von da aus einen nebengeordneten zu finden. Ich suchte lange;
dann fand ich schließlich den übergeordneten Begriff Sport . . .
Schon bei diesem ersten Versuch, der mit Vp. A angestellt
wurde, ist der Verlauf charakteristisch. Zunächst werden beim
Vgl. oben S. 177 ff.
") Die angeftlhrten Beispiele umfassen auch solche Falle, in welchen die
Lösung der Aufgabe nicht dmt^ Wissensaktualisierung erfolgte.
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/. Der Büdungsprozefi der Qesamtaufgabe. 195
Lesen die Aui^;abe und das Reizwort jedes für sich in allgemeiner
Weise verstanden; dann bringt sich die Vp. in Erinnerung an die
Erläuterung der Aufgabe Nebenordnung den genaueren Sinn dieser
Aulgabe zu Bewußtsein und bezieht diesem gemäß die Aufgabe
auf das Reizwort Jagd, d. h. sie bildet das einheitliche Bewußt-
sdn von der Gesamtaufgabe, daß zu Jagd ein Nebengeordnetes
zu suchen seL Erst nachdem dieses geschehen, wendet sie sich
der Bedeutung des Reizwortes näher zu. Den Gesichtspunkt für
die Auffindung des Nebengeordneten sucht sie hierauf durch die
Au&uchung des Übergeordneten zu gewinnen. Auch hier wieder-
um wird nicht an die Stelle der Aufgabe Nebenordnung nun zu-
nächst die abstrakte Aufgabe Überordnung gesetzt, während das
Reizwort Jagd daneben für sich reproduzierend wirkte, sondern
die Anwendung der LOsungsmethode, die Nebenordnung durch
die Überordnung zu bestimmen, erfolgt durch die Bildung einer
Gresamtunteraufgabe; denn die Vp. ist sich bewußt, daß sie das
Übergeordnete „zu Jagd^ suchen müsse ^).
Ähnlich berichtet Bss bei der Aufgabe: Ganzes? — Tanz.
Kunst 8". Zuerst auftnerksam „GaDzes** gelesen, hierauf „Tanz**. Dann
Beziehung zwischen beiden dunkel gesucht Dabei vennischte sich
mir die Angabe Überordnung mit diesem ^Ganzen'' und es kam auch ein
Miscfaprodukt zustande. Bei dem Worte Kunst war an Tanz als Teü einer
kOnstlerischen Veranstaltung gedacht, aber als Nebengedanke auch an Kunst-
Produkt als Gattungsbegriff zu Tanz.
DaB die Vermischung der Angaben „Ganzes" und „Über-
ordnung*^ durch die Beziehung der Aufgabe i. e. S. auf das Reiz-
wort begünstigt wird, wird sich später bei der Besprechung der
Anpassung der Angabe an das Reizwort zeigen. Die größere
Schwierigkeit der Aufgabe Granzes beim Reizwort Tanz befördert
die Verwechslung mit der leichteren Angabe Überordnung.
^) Ähnlich Alt Nebenordnung? — Bahnsteig. — Geleise 6,6''. Las die
beiden Worte hintereinander mit sofortigem Verständnis. Dann ging ich zu
Nebenordnung zurück; dann wurde mir der Sinn der Aufgabe explicite klar.
Ich versuchte die Aufgabe in bezug auf das Reizwort zu lösen. — Die
Klärung der Aufgabe itlhrt auch hier zur bewußten Beziehung der Aufgabe
auf das Reizwort. Erst nach der Herstellung dieser Beziehung
tritt eine Vorstellung des Bahnsteigs auf. (Vgl in dieser Ifinsicht
unten Bis S. 196, An S. 196, Dt« S. 197, Bt S. 199, Ai S. 201, D* S. 202, Gw
S.206f., Est S. 282).
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IW AlnOm, 3. Dk Oaamtaufgabe,
Bi« Unterordnung? — Werkzeug. — HUtenitid 6^'. F. R Naditriglidi
Zweifd, ob die Aufgabe richtig erfaßt Sofort wieder Blick auf die ob««
Zeile gerichtet und Verständnis der Aufjg^abe su Bewußtsein gebracht Dann
schaute ich nach unten: ^Werkzeug*. Sofort Wiedererkennen [des Reizworts
Yom vorhergehenden Versuch] und so etwas wie Vermutung eines Tricks.
Dann Versuch einer Beziehung in dem Sinne, daß ich für Werk-
zeug das Obergeordnete suchte, also Werkzeug in dem Sinne faßta^
Werkzeug als Untergeordnetes zu betrachten. Nun war das Suchen durch
diese Richtung bestimmt Wiederum eine Leere; dann tauchte von
selbst ^^Hilfsmittel* auf. Dann Versuch einer Verifikation, kurze Überlegung,
ob das entsprediend ist, dann Reaktion.
Wie in dem Beispiel Ai pflegt auch sonst die Bedeutung des
Reizwortes, da diesem eine selbständige Bedeutung für den Ver-
such nicht zukommt, erst nach dem Verständnis der Gesamtauf-
gabe näher ins Auge gefaßt zu werden. Erst, nachdem die auszu-
führende Tätigkeit bekannt ist, kann die Vp. wissen, unter welchem
Gesichtspunkt sie sich zum Zweck der Au^;abelösung mit dem
durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand zu befassen hat
Btt Brücke — Teil? — Bogen 2,2"'. Das Obere, Brücke, war zunächst
ganz indifferent, nur das Bedeutungsbewußtsein in allgemeinsten Umrissen. —
Wie ich dann die Aufgabe Teil gesehen habe, stellte sicdi sofort ein volles
VerotAndnis des Reizwortes ein, dabei optisdiesBüd Ton einer Brücke mit
ein paar Bogen. Dann Richtung auf den Bogen, (^ er als Teü zu brauchen '
wAre. ...
Die Bildung des Bewußtseins von der Gesamtau^;abe tritt
hier nicht direkt hervor, macht sich aber indirekt bemerkbar 1) in
negativer Hinsicht dadurch, daß vor dem Verständnis der Auf-
gabe i. e. S., welches die Bildung der Gesamtau^;abe ermOgiieht,
das isolierte Reizwort nahezu wirkungslos bleibt, S) in positiver
Hinsicht dadurch, daß nach dem Verständnis der Aufgabe Teil
sich sofort ein spezielleres, dem Charakter der am besten anschau-
lich zu lösenden Gresamtaufgabe entsprechendes, von Vorstellungen
begleitetes Bedeutungsbewußtsein von dem Reizwortgegenstand
einstellt.
Einen ganz ähnlichen Verlauf finden wir z. B. bei Ait:
Spiegel — erst Teil, dann Ganzes? — Glas, Zimmer IS^'^ Ich las lang-
sam hintereinander mit Verständnis, ohne bei einer Zeile lu verweilen.
Ich kann mit Bestimmtheit angeben, daß das Wort Spiegel
mich in keiner Weise zu einerReproduktion angeregt hat, be-
vor ich die ganze Aufgabe gelesen hatte. Dann machte ich mir die
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/. Der BUdtmgfpraxefi der Gesamtaufgabe. 197
:■ r ■ SB3easEa^BS5sa=a - ■ "t i ,■ ."i i i , , ■ ■ u ' ' ■ ' i sss^^ssssa
Aui^S^be klar*): Zuerst soll ein Teil gesucht werd^i zum Reizwort; dann ein
Granzes, zu dem der gegebene Gegenstand ein Teil ist Hierauf machte ich
mich erst an die Losung. Ich erweckte zum Zwecke der Lösung der
Aufgabe ein Phantasiebild eines Spiegels, voriäufig ohne bestimmte Um-
gebung. Es war, als ob er an einer Wand hinge, ohne daß ich den Hinter-
grund deutlich sah. Ich konnte daran unterscheiden den rokokoartigen, goldenen
Rahmen imd das glänzende Spiegelglas. [Die Umgebung wurde erst bei der
Aufgabe Cranzes hinzuvorgestellt Hier sind der Angabe Teil gemäß die Teile
des Spi^;els deutlich unterscheidbar, während die Umgebung imdeuthch ist ',]
Die bloß vorläufige Kenntnisnahme von dem voranstehenden
Reizwort vor dem Verständnis der Aufgabe äußert sich auch
darin, daß nach dem Verständnis der Aufgabe i. e. S. ein Zu-
rückgreifen auf das Reizwort stattfindet, welches nun als Aus-
gangsgegenstand einer von ihm aus in bestimmter Richtung vor-
zunehmenden Operation, z. B. einer Wissensaktualisierung fest-
gehalten wird. Namentlich bei Vp. D wurde zeitweise ein solches
Zurückgreifen zur Regel. Die enge Aufeinanderfolge solcher Fälle
(in den Versuchen 47 — BO, 56, 60, 79) zeigt, daß es sich hierbei
um eine zeitweise von der Vp. angewandte Methode handelt^).
Wir führen ein paar Beispiele an:
D4» Zeitung — Überordnung? — Schrift 8,8". Gelesen und so im all-
gemeinen gewußt, was ich zu machen habe. Zustand der Sicherheit, ich weiß,
was ich damit anzufangen habe. [Grund: die vorausgehenden Aufgaben.]
Nochmals das erste beachtet, nochmals gelesen und innerlich gesprochen
«Zdtung**. . . .
Dit Pfand — Überordnung? — Sicherheit 6,8". Ich habe es gelesen.
Dann Zustand der Sicherheit, das kann ich lösen. Nochmals Pfand be-
tont und von der unbestimmten nicht n&her präzisierten Bedeutung aus-
gegangen. Darin das Moment hervorgehoben, das ich nachher benannt
habe, nämlich das Moment, wozu es dient.
Dl« Stern — Überordnung? — Himmelskörper 8,8^^ Gelesen, dann wieder
Zustand der Sicherheit, von neuem angefangen, Stern nochmals ausgesprochen.
[Hierauf erst stellen sich Vorstellungen zum Reizwort ein.]
In zwei Fällen kam bei D auch ein Zurückgreifen auf das
Reizwort vor, obwohl in den betreffenden Versuchen die Aufgabe
vorangestellt war. Da diese Fälle (Versuch 64 und 66) zwischen
') Es wird hier das Ganze als Aufgabe bezeichnet
Vgl. S. 196 Anm. 1, Bemerkungen zu Dt S. 205; Ait oben S. 2a
*) Vielleicht ist die Methode durch die mehrmalige Wiederkehr derselben
Aufgabe Überordnung in den Versuchen 46—50 angeregt worden.
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196 Atidin, 3. Die Qe$amtaufgabe.
den anderen, nämlich zwischen den Fällen der Versuche 60 und 79,
liegen, so ergibt sich noch deutlicher, daß die nochmalige Kon-
zentration auf das Reizwort eine zeitweise eingeschlagene Methode
der Vp. darstellt
Dm Definition? — Eigentum 15,6^. Gelesen, gedacht aha, das ist also
eine Definition. Nochmals gelesen „Eigentimi**, dann eine Zeit einer bedeutungs-
vollen Leere 0' Dann kam mir als erstes das Wort „Sache* im Geg^isatz
zur Person. Damit war weiter gemeint, Eigentum kann nur eine Sache sein.
Statt von einem Aufeinanderbeziehen von Aufgabe und Reiz-
wort spricht Vp. B auch von einem „Zusammenfessen^ der beiden,
um den bewußten Prozeß der Bildung der Gesamtau^abe zu be-
zeichnen *). Das Ergebnis der Zusammenfassung wird von dieser
Vp. als Verständnis der „Gresamtau^gabe*^ ^, der „vollen^ oder
„ganzen Aufgabe" bezeichnet
Bto Gedicht — Gberordnung? — Kunstwerk %^\ Zunächst wieder ein
volles Verständnis für die volle Aufgabe. Dann wieder d^ intensiven
Blick, die symbolische Fixation desjenigen, was man sucht; dann tauchte zu-
nächst auf die flachtige Erinnerung an Kunst, Poesie oder so etwas. Das
Wort Kunst, glaube ich, akustisch-motorisch. Dann der Gedanke, daß ich
Gedidit nicht unter Kunst subsumieren kann, sondern nur unter ane Lastung
der Kunst Dabei, wie ich sicher weiß, keine Worte und Vorstellungen; dann
sagte ich Kunstwerk.
Nicht an das Verständnis des Reizwortes oder an das Ver-
ständnis der Aufgabe im engeren Sinne allein, oder an beide in
ihrer Isolienmg zugleich, sondern an das Verständnis der Oesamt-
au^;abe schließt sich hier das charakteristische Suchen an, das
bei B häufig von einer symbolischen Fixation des Zieles, einer
„Einstellung der Augen auf unendlich" ^) begleitet ist. Erst das
Verständnis der vollen Aufgabe gibt eben die indirekte Bestimmung
des gesuchten Gregenstandes, welche ein Suchen möglich macht
Denken wir uns den Gredanken des gesuchten Übergeordneten
*) Ganz ähnlich auch der andere Fall: Dm Definition? — Hypothek 11".
Gelesen und gleich verstanden. Dann nochmals das Wort Hypothdc aus-
gesprochen und dabei verweilt. Das Nachwirken des sinnlichen Klanges scheint
dabei von Bedeutung zu sein. Man stellt es gewissermaßen vor sich hin und
es wird dabei fester.
*) B«i 8,6". Sofort beides zusammengefaßt und verstanden.
") B«« 3,6". Sofortiges Verständnis der Gesamtaufgabe.
Vgl. Bt> S. 210.
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/. Der Bildung^rozeß der Gesamtaufgabe. 199
zu Gredicht nicht scharf präzisiert, sondern etwa als den Gredanken
an ein Größeres, Umfossenderetf, unter welches auch das (Gedicht
ftlltO* Wir begreifen dann, daß die von einem solchen schematischen
Zielbewußtsein ausgehende determinierte Wissensaktualisierung
zunächst das ^em Schema entsprechende Wissen reproduzieren
kann, daß ein solches Umfassenderes die Kunst oder enger ge-
nommen die Poesie sei. Es wird statt des Übergeordneten die
umfassende Sphäre reproduziert *). Indem jedoch die Vp. das
Resultat klarer ausdenkt, erlangt dieses den Wert der Behauptung,
daß das Gedicht eine Art der Kunst sei. Nach dem schon er-
wähnten Gesetz der Berichtigung ") kommt ihr hierdurch aber zum
Bewußtsein, daß das Gredicht nicht unter die Kunst selbst, sondern
unter ihre Produkte zu subsumieren sei.
Einen charakteristischen Verlauf derselben Art zeigt auch
folgende LOsung:
BiBiß— Ursache? — Hund. Bei Biß nur ein allg^neines Verständnis. Dann,
sobald ich die Aufgabe gelesen hatte, ging das Suchen los. Ich hatte
auch ein Bild etwa von einem Bein mit einer Wunde daran, sonst sah ich
nichts; dann fiel mir »Hund** begrifflich ein mit dem Bewußtsein: Hunde beißen.
Das Reizwort für sich allein lOst außer dem allgemeinen
Verständnis wieder keine Wirkung aus. Sobald aber die Auf-
gabe gelesen ist, beginnt das Suchen, auf das sich nun wie bei
Bts sofort ein spezielles, von Vorstellimgen begleitetes Be-
deutungsbewußtsein einstellt. Dieses stellt den Biss unter dem
Gesichtspunkt eines Verursachten, einer Wunde (also nicht etwa
den Vorgang des Beißens) dar, imd bereitet dadurch die Ak-
tualisierung des Wissens von etwas vor, das derartige Bißwunden
verursacht. Die Wissensaktualisienmg tritt im vorliegenden Fall
dadurch besonders deutlich hervor, daß nicht das Wort „Himd^
allein ins Bewußtsein tritt, sondern das Wissen von dem ganzen
Sachverhältnis, daß Hunde beißen^).
*) Wir werden solche unpräzise Fassungen des Bewußtseins von der
Gesamtaufgabe namentlich bei der Besprechung der Fehlreaktionen noch öfter
kennen lernen.
*) Eine interessante Parallele bietet bei Vp. G die anfängliche LOsung
von ,»Stem — Überordnung?** mit Astronomie.
*) Vgl. oben S. d2fr., 40fr. und unten § 6.
•) Vom sofortigen Verständnis der „vollen Aufgabe** spricht B audi in
den Versuchen 96 und HO. Btt, t« konstatieren das sofortige Verständnis der
„ganz^ Aufgabe**. Ebenso Git si^e unten S. 204, Ft siehe unten S. 205.
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900 AJb&dm. 3. Die onmiUmu/gßke.
Erst das Verständiiis der Gtosamtau^abe gibt der Vp. die
TolktMndige EenntiiiB der von ihr vorgunehmenden Tätigkeit Dem
Bewußtsein von der Gesamtaiii^;abe gegenüber erscheint daher
die Angabe im engeren Sinne als eui bloßes Blankett, dessen
Ausfüllung auf Orund des Verständnisses des Reizwortes der Vp.
überiassen bleibt Vp. B schildert gelegentlidi das Bewußtsebi
V(m dieser Ergttnzungsbedürftigkeit und Unselbständigkeit, von
der Blankettnatur der Au|g^dl>e im engeren Sinne.
Bit Überordnung? — Klarinette. — Musikinstrument 2,4''. Sofortiges Ver-
standnis. Es ist eigentOmlich, w^in die Auijs;abe Überordnung zuerst stdit,
ist die Bewußtseinslage eine andere, als w^m sie an zweiter Stdle steht Es
ist mir diesmal besonders au^s^aOen. Wenn das Reizwort vorang^t wie
bei dem [unmittelbar vorangegangenoi] Versuch «Geweih — Überordnung?'',
80 habe ich sofort etwas, womit ich mich beruhigen oder befriedigen kann,
was sozusagen in sich selbst geschlossen ist; wenn ich dann [zur Auijs;abe]
hinter gehe, so geschieht es nur, weil ich die Instruktion kenne *). Es ist etwas
per se. Habe ich dagegen Überordnung zuerst, so kommt es mir vor wie ein
leeres Qefäß, in das ich erst einen Inhalt hineintun muß. Es
ist sozusagen nur eine Richtung, aber nichts für sich Be-
stehendes. Es enthält gleich die Aufforderung, weiterzugehen.
Durch die Aufgabe Überordnung wird der Vp. die Anweisung
erteilt, in einer bestimmten, allen Aufgaben dieser Art gemein-
samen Richtung fortzuschreiten, nämlich in der Richtung auf die
höhere (Gattung. Solange aber nicht bekannt ist, von welchem
Punkt aus der in dieser Richtung fortschreitende Prozeß statt-
finden, von welchem Gegenstand aus ein Übergeordnetes gesucht
werden soll, fehlt es an der konkreten Bestimmung der auszu-
führenden Tätigkeit und damit an deren Ausführbarkeit Dies
kommt der Vp. besonders hier deutlich zu Bewußtsein, weil un-
mittelbar vorher die gleiche Angabe gestellt worden und dabei
das Reizwort vorangegangen war. In solchen Fällen kann die
Auffassung des Aufgabewortes Überordnung sofort zur Bildung
der Gesamtaufgabe') führen, da der Gegenstand, an dem die Auf-
gabe im engeren Sinne auszuführen ist, schon bekannt ist Auch
in dem weiteren Fall, in dem die Blankettnatur der Aufgabe L e. S.
^) Daß infolge der Instruktion auch das Reizwort trots seiner an sich
bestehenden Selbständigkeit eine selbständige Wirkung nicht enthaltet, darüber
sidie oben Bit S. 19a
") V^ oben die Bonerkungen zu Bfs.
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/. Der BiUtu^Mprouß der GesMUaufgabe. dOl
beeonders hervortrat, war unmittelbar vorher dieselbe Au^abe,
Überordnung aber mit Voranstellung des Reizwortes gegeben
worden.
Biit Überordnung? — Barometer. — Meteorologisches Instrument 8,6''.
Überrascht über die Umstellung. Wieder die eigentümliche Leere, bezw. die
bloße Formalität, die Richtung auf etwas, wodurch erst diese Aufgabe Sinn und
Bedeutung gewflnne.
Im folgenden sei eine Reihe von Fallen mitgeteilt, in welchen
der kombinatorische Verbindungsprozeß der Bildung der Gesamt-
aufgabe in seiner nach den Umständen variierenden Beschaffen-
heit deutlich ziun Ausdruck kommt.
At Jagd — Beschreibung! ll'^ Erst Jagd verstanden. Gar nicht
dabei verweilt; dann ohne Zwischenpause die Aufgabe gelesen. Ich sagte
mir, du sollst das, was dir hier gegeben ist, anschaulich vorstellen, so
daß du es beschreiben kannst Dann wandte ich mich dem ersten
Wort Jagd wieder zu und suchte mir eine visuelle Vorstellung
einer Jagd zu bilden.
Die Bildung der Gesamtaui^abe wird hier eingeleitet durch
die Zurückbeziehung auf das voranstehende, noch nicht näher
ins Auge gefaßte Reizwort. Es besteht nicht die determinierende
Tendenz, eine Vorstellung zu erzeugen, einerseits und das Be-
wußtsein vom Reizwort andererseits, sondern es besteht die ein-
heitliche Determinierung, eine zum Reizwort Jagd gehörige Be-
deutungsvorstellung zu erzeugen.
Aio Teil? — Gemftlde. — Vordergrund 29". Ich las die beiden Worte
sofort hintereinander mit dem Bewußtsein, daß das erste die Aufgabe und
das zweite das Reizwort sei. Dann las ich es zum zweitenmal langsamer. Beim
Worte Teil wußte ich, daß ich zu dem genannten Ganzen einen Teil
zu suchen hätte. Dann begann ich die Aufgabe zu lösen mit dem Bewußtsein,
das ist schwer.
Auch hier wird die Gesamtaufgabe durch Zur ückbeziehung
auf das soeben gegebene Reizwort gebildet. Die Tatsache, daß
sich schon beim Beginn der LOsung ein Schwierigkeitsbewußtsein
einstellt, ist, wie später noch ausführlicher zu besprechen sein
wird, dadurch zu erklären, daß die determinierende Tendenz zu
einer der Gesamtauf gäbe entsprechenden Wissensaktualisierung
das Bewußtsein hervorruft, daß ein auf die LOsung bezü^ches
Wissen nicht vorhanden sei. Während in den beiden angeführten
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Ab^hn, 3, Die Gesamtaufgahe.
Protokollen die Bildung der Gtosamtaufgabe in der Zurückbezd^ung
auf das Reizwort zu Tage tritt, äußerte sie sich in anderen Fällen
durch die Auffassung des Reizwortes als Ausgangsgegenstand
einer von ihm ausgehenden Tätigkeit
Ali Nebenordnung? — Werkzeug. — Spielzeug 20^'. Ich las sofort hinter-
einander Aufgabe und Reizwort Die Aufgabe als bekannt hingenommen. Dann
wandte ich mich nochmals zum Reizwort und las es audi nochmals. Ich
machte mir klar, daß iah dazu einen ndsengeordneten Gegenstand zu sudi^
hätte. Daran schloß sich das Bewußtsein an, die Aufgabe [d. h. die Gesamt-
aufgabe] sei schwer. Das geschah schon, ehe ich an die LOsung heranging.
Das hinweisende ^dazu^ kennzeichnet vorzüglich den Vorgang
der kombinatorischen Einstellung des Bewußtseins von dem das
Reizwort bezeichnenden Gegenstand in das Sachverhaltsschema.
Auch hier finden wir das Schwierigkeitsbewußtsein vor der In-
angrifhahme der Lösung. Noch deutlicher tritt die Auffassung
des durch das Reizwort bezeichneten Gegenstandes als Ausgangs-
gegenstand der auszuführenden Tätigkeit im folgenden Protokoll
hervor.
Dt Jagd — Beschreibung! 9,8". Ich las die beiden Worte, konstatierte
die Gleichheit des ersten mit dem im vorhergehenden Versuch dagewesenen.
Darauf war ich auf den Begriffsinhalt [von Jagd] so bezogen, als ob ich
ihn festhalten wollte, ich wußte, was ich damit zumachen hatte ^). Es
tauchte [NB. erst jetzt] eine Vorstellung auf.
Greht das Reizwort vorher, so kann das Bewußtsein von dem
durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand auch einstweilen
als Ausgangsgegenstand der noch unbekannten Tätigkeit fest-
gehalten werden, um dann sofort mit dem Verständnis der Auf-
gabe i. e. S. der Einstellung in das Aufgabenschema zu imterliegen.
Git Pfand — Überordnung? — Mittel zur Sicherung 46,2". Ich las Pfand.
Pause. Dabei erkannt, daß darunter Überordnung st^t; dann Überordnimg
gelesen; wußte, was ich zu tun hatte.
Das Festhalten des Reizwortes äußert sich hier wie bei dieser
Vp. auch sonst häufig (vgl. unten S. 207 f.) in einer inhaltsvollen
Pause. Da das Bewußtsein von dem durch das Reizwort bezeich-
neten Gregenstand festgehalten worden ist, weiß die Vp. nadi
') Vgl. öbea D4. S. 197.
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/. Der Büdungsprozefi der Gesamtau fgabe, 208
dem Verständnis der Au^abe L e. S. sofort, was sie zu machen,
d. h. welche konkrete Tätigkeit sie zu entfalten hat.
Das Bewußtsein der Bedeutung des Reizwortes als Ausgangs-
gegenstand einer von ihm ausgehenden Tätigkeit äußert sich
namentlich auch als Bewußtsein einer bestimmten Richtung des
Fortschreitens von dem durch das Reizwort bezeichneten Gregen-
stand aus.
Bi Nebenordnung? — Jagd. — Kunst Beides als BeschäfUgung gedacht.
Ich las zuerst die Aufgabe, deren Sinn ich verstand; dann das Wort Jagd; es
löste keine VorsteUungen aus. Ich hatte nur ein volles Verständnis dessen,
was das Wort bedeutet. Hierauf suchte ich gleich in der Richtung,
welche mir durch die Aufgabe gegeben war. Etwas Unbestimmtes
wie „Tätigkeit^ [übergeordneter Begriff!] schwebte mir dabei vor. Ich möchte
nicht sagen, daß es ausdrücklich formuliert war, aber es lag so in der Rich-
tung des Suchens. Dann kam mir nKunst**, und zwar mit dem Bewußtsein,
daß sich beides auf eine höhere Gattung [etwa nTätigkeit**] beziehen ließe.
Ich hatte dabei ein Wissen von einer mibesümmt höheren, nicht der zunächst
gehörigen Gattung, der ich beides unterordnete.
Worin das Suchen in der durch die Aui^abe gegebenen Rich-
tung besteht, zeigt der folgende Verlauf. Die Vp. reproduziert
nicht BeUebiges zu Jagd. Sie wendet vielmehr eiue, wie wir später
sehen werden, auch sonst gebriluchliche Lösungsmethode für die
Aufgabe Nebenordnung an, nämlich die Aufsuchung eines dem
durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand mit anderen Gegen-
ständen gemeinsamen Charakteristikums und weiterhin die Auf-
suchung eines anderen Gegenstandes mit demselben Charakte-
ristikum. Auf den speziellen Fall angewendet heißt dies, die
Vp. bildet zimächst die Gesamtunteraui^abe, ein allgemeines
Charakteristikum des Gegenstandes Jagd zu suchen, das ihm mit
anderen Gegenständen gemeinsam ist. Die Gesamtunterau^abe
führt durch Wissensaktualisierung zur Hervorhebung des all-
gemeinen Charakteristikimis, daß die Jagd eine menschliche Be-
tätigungsweise ist. Der ganze Vorgang tritt nur sehr wenig hervor,
da sofort im fortschreitenden Vollzug der Gesamtoberaufgabe die
weitere Gesamtunteraufgabe gebildet wird, einen anderen Gegen-
stand zu suchen, der das betreffende allgemeine Charakteristikum
mit der Jagd gemeinsam hat. Durch Wissensaktualisierung er-
gibt sich als eine solche andere Betätigungsweise die Kunst, wo-
durch zugleich mit der Lösung der Unteraufgabe die der Ober-
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904 AJb&äm. S. Die QemmUutfgabe.
aulgabe gegeben ist '). Auf ein eigentümliches Eilebms des Fort-
schreitens in einer bestimmten Richtimg weist auch folgendes
Protokoll hin, obwohl hier nicht ausdrttckUch von Richtung ge-
sprochen wird. Die Richtung auf anschauhche Zusammenhänge
wird hier plötzlich durch die Richtung auf begriffliche Zusammen-
hänge abgelöst
B« Gottesdienst — Teil? — Kommuiiion. Ich sah zuerst oben hin und
las daB Wort Gottesdienst Ich stand noch imter der Perseveration der vorher-
gehenden Aufjg^abe [Jagd — Beschreibung!]' Zuerst kam mir [infolge der
Perseveration einer anschaulich su lösenden Aufgabe] das Bild einer Kirche
mit Altar und Zubehör; dann sah ich nach imten und las TeiL Die neue
Angabe führte, einmal gelesen, einen vollständigen Bruch mit dem
Alten herbei; sie war wie ein Abschnitt Dann kam mir Kommunion, rein
begrifflich [Ggs. zur Lösung unter B^mtzung von Vorstellungen].
Git Pfand — Gberordnung? — Verschuldung 2ißf\ Erst eins nach dem
andern gelesen; dann suchte ich, was zu Pfand tkbergeordnet sein könnte.
Diese Richtung des Suchens vollständig bewußt Es war schon die ganze
Aufgabe wirksam. Ich hatte dann das Bewußtsein, daß es schwer sein
werde und es wurde mir auch schwer. [Wir haben hier wieder das Schwierig-
keitsbewußtsein bei Beginn der Lösung, welches die determinierende Tendenz
zu dner der Gesamtaufgabe entsprechenden Wissensaktuahsierung verrät]
Wie schon früher erwähnt, wurde in einer Reihe von Ver-
suchsgruppen das ReizvfTort t)eibehalten, während die Aufgabe
wechselte. Hierbei wurde in einigen Fällen an Stelle der yor-
angegangenen Beziehung die entgegengesetzte gewählt. Während
z. B. im ersten Versuch die Vp. von dem durch das Reizwort
bezeichneten Gegenstand als Wirkung zu seiner Ursache auf-
zusteigen hatte, mußte im folgenden Versuch derselbe Gegenstand
IQ das Schema eines Kausalverhältnisses an der entgegengesetzten
Stelle, also als Ursache eingesetzt und seine Wirkung gesucht
werden. Der Gegensatz der Richtungen bei Gleichheit des Aus-
gangsgegenstandes war naturgemäß besonders dazu geeignet, das
Bewußtsein von der Gesamtaufgabe in der Gestalt hervortreten
zu lassen, daß von dem Reizwortgegenstande aus in einer be-
stimmten Richtung fortzuschreiten sei.
Biß — Ursache? [Vorausgegangen war Wirkung? — Biß.]
At Tollwut 7,4^'. Ich las die beiden Worte hintereinander. Ahnlidikeit
im Reizwort und auch in der Au^g^abe wurde im Verständnis schon klar. Es
*) Vgl. oben Bit S. 196.
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/. Der BUdungsprozefi der Gesamtaufgabe. 205
war auch schon darin, daß es die entgegengesetzte Rich-
tung ist
Dt ToUwut 5". Beides gdes^i. Erkannte sofort die Ähnlichkeit und
Oberhaupt das ganze Verhältnis der Angaben [d. h. der Gesamtaufjg^aben], also
auch die Verschiedenheit Diese drückte sich speziell aus durch eine Art
Richtung, das eine nach vorne von mir, das andere zurück, „Wirkung** nach
vom, „Ursache'' zurück, diese merkwürdigen optischen Richtungen, die so viel
ausdrücken . . .
Das optische Symbol bringt hier vorztig^ch zum Ausdruck,
daß vorher von einem bestimmten Gegenstand auf die zeitlich vor-
wärtsliegende Wirkimg zu gehen war, während jetzt von dem-
selben Gegenstand aus auf die Ursache zurückzugehen ist. Der
Reizwortgegenstand als identischer Ausgangspunkt beider Rich-
tungen ist im Symbol durch den Körper der Vp. repräsentiert.
Der Gegensatz der Richtungen macht sich auch bei der räum-
lichen Entvncklung der an der LOsung beteiligten Vorstellungen
deutlich bemerkbar. Im Versuch „Wirkung — Biß* hatte sich
die Vorstellung einer menschlichen EOrperstelle, eines runden
Stückes Fleisch eingestellt, „daran ein Himdekopf, wie wenn ein
Hund da hineingebissen hat und die Zähne darin hält Von dem
Hund war nichts weiter zu erkennen, als das charakteristisch da
hineingesetzte Maul.^ Dasselbe Bild taucht auch bei der Auf-
gabe „Biß — Ursache*' wieder auf, wird aber nun mit Rücksicht
auf den geforderten Regreß auf die Ursache nach rückwärtshin
erweitert. Wir geben die Fortsetzung des oben begonnenen
Protokolls zu diesem Versuch:
An diese Richtung schloß sich wieder das Bild von vorhin an, und zwar
q>ezidl der Hund wurde da klarer. Zunächst tauchte wieder das ursprOng-
fiche Bild auf und dann wuchs an den Kqpf ein Hundeleib daran . . . Auf den
Hund war ich intensiv gerichtet, es drftngte sich das Wort Hund auf. Beiseite
gelassai als zu trivial Ich ging dann in d^i Körper hinein in dem Gedanken»
ich will die tieferliegende Ursache sagen und habe mir Tdlwut in den Körper
hineingedacht . . .
Bei Vp. B wurde die Au^;abe „Biß — Ursache** zuerst ge-
geben. Hier gibt die Vp. bei der Aui^abe „Wirkung — Biß^ an:
Ich war erst gestört durch die Erinnerung an dai Vorversuch und mußte
mir erst klar machen, daß eine andere Richtung vorliege.
Dieselbe Aui^abe bei F9 „der Hund^ 4^:
Ich las beide Worte in einem, ich ging also über Biß gleich hin-
weg. Ich sah das Ganze als eines an. Dann habe ich den Zusammen-
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906 Ab9dm, 3. IHe Gesamtaafgabe.
hang mit der vorigen Aui|;abe [das ist Ge8amtaid^;abe] aiil|sefaßt Ich wußte
nur, es besteht ein Zusammenhang, ohne mich weiteriiin in die Art dieses
Znsammenhangs jeu vertiefen, es war jedoch etwas vom Gegensatz der
beiden Aufgaben [d. L der Gesamtau^abcn] da.
Bii Gemftlde — (janzes? ~ (Valerie [vorausgegangen war Teil? — Ge-
mfllde]. Wie ich Gemftlde sah, flüchtige Erinnerung, daß das Wort
Gemftlde im früheren Versuch vorkam. Als ich die Aufgabe gdesen
hatte, sofortiges Verstftndnis und sofortiges Bewußtsein, das ist eine
andere Richtung.
Ein besonderes Hervortreten des Prozesses der Bildung der
Gesamtau^abe wurde auch dadurch herbeigeftthrty daß bei ge-
wissen Au^aben Zweifel entstehen konnten, welche Stelle dem
Reizwortgegenstand innerhalb des Au^abeschemas anzuweisen
sei. Es sind dies die Aulgaben, bei welchen ein Sachverhaltsglied
zu einem einseitigen, nicht umkehrbaren Sachverhältnis zu sudien
war, wie die Angaben „Teil?^ bezw. „Ganzes^, ebenso „Über-
ordnung^ bezw. „Unterordnung*^ ^). Wenn z. B. die Angabe Teil
gegeben war, so war sich die Vp. zwar in der Regel klar, daß
die Ermittelung eines Gliedes eines Sachverhältnisses zwischen
Teil und Ganzen verlangt sei. Dagegen bestanden manchmal
Zweifel über die dem Reizwortgegenstande im Schema eines solchen
Sachverhältnisses anzuweisende Stelle. Nach der Instruktion war
ein Gegenstand zu suchen, der ein Teil des Reizwortgegenstandes
ist. Der Reizwortgegenstand war demgemäß als das Granze zu
betrachten und an der entsprechenden Stelle in das Sachverhalts-
schema einzusetzen. Die Vpn. zeigten aber statt dessen manch-
mal die Tendenz, die Aufgabe so au&ufassen, daß anzugeben sei,
wovon der Reizwortgegenstand ein Teil seL In diesem Fall war
der Reizwortgegenstand als Teil zu betrachten und in dem Schema
an die Stelle des Teils zu setzen. Es ergaben sich also Schwierig-
keiten bei der Bildung der Gesamtaufgabe oder es entstanden Fehl-
reaktionen infolge unrichtiger BUdung. Das veranlaßte die Vpn.,
die Verbindung von Aufgaben imd Reizwort mit besonderer Sorg-
falt herzustellen, so daß die Bildung der Gesamtaufgabe stärker
bemerkbar wurde. So fand Vp. C nach Vorausgang zweier Fehl-
^) Bei nicht umkehrbaren Sachverhftltnissen bestehen immer solche ent-
gegengesetzte Beziehimgen wie die des Teils zum Ganzen und die entgegen-
gesetzte des Ganzen zum Teil.
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/. Der BUdungsproxgß der Gesamtaufgabe. 2CIT
reaktionenO eine schematische Formulierung, welche die Stelle
des Reizwortgeg^istandes im Au%abenschema in einer für alle
derartigen Aufgaben gültigen Weise bezeichnete und dadurch die
richtige Einsetzung in das Schema bewirkte. Der Reizwortgegen-
stand war nämlich stets derjenige Gegenstand, zu dem das in
der Aulgabe allgemein bezeichnete Sachverhaltsglied, z. B. ein
TeU, ein Übergeordnetes, die Ursache zu suchen war. Der Reiz-
wortgegenstand war also nicht an Stelle des Teils, des Über-
geordneten, der Ursache, sondern an der entgegengesetzten Stelle
in das Au^abenschema einzusetzen. Demgemäß gebrauchte die
Vp., wenn das Reizwort vorausging, nach dessen Lektüre die
stereotype Redewendung: „dazu sollst du suchen", oder einen
ähnlichen formelhaften Übergang, ehe sie sich der folgenden Auf-
gabe zuwendete. Die Formel gewährleistete durdi die in ihr
enthaltene Anweisung die richtige Bildung des Bewußtseios von
der Gesamtaufgabe, daß zu dem betreffenden Reiz-
wortgegenstand ein Teil, ein Übergeordnetes, die
Ursache usw. zu suchen sei. Ging die Aufgabe voraus, so
erreichte die Vp. den nämlichen Erfolg, indem sie nach den Auf-
gaben Teil, Granzes usw. die Frage „wovon?" bezw. „wozu?** vor
dem Lesen des Reizwortes einschob. Hierdurch erschien der
folgende Reizwortgegenstand als der Gregenstand, von dem ein
Teil anzugeben, bezw. zu dem ein Ganzes zu suchen sei. Die
folgenden Protokolle sollen die Ausbildung dieser Hilfen für die
richtige Bildung der Gesamtaufgabe veranschaulichen.
la Teil? — Bahnsteig^ 7^\ Ich las Teil mit Fragezeichen. Dann machte
ich Halt und steUte mir die Frage »Teil suchen! wovon?** und las dann
Bahnsteig.
22. Cranzes? — Kirchturm. — Kirche 6,2^^ Sagte mir, Ganzes soll
ich suchen, wozu? Keine Wortvorstellung dabei, dann las ich Kirchturm.
28. Kirchturm — 6 Teile? ca. 17'^ Ich las Kirchturm, dann kam der
^) Auch diese lassen deutlich die Bildung der Gesamtau^abe erkennen,
die hier durch fehlerhafte Einordnung in das Aufgabenschema erfolgt:
Cs Gottesdienst — Teil? ReligionsObung 9", Ich las Gottesdienst; dann
,,Teil** mit Beachtung des Fragezeichens und formulierte: „Gottesdienst soll Teil
sein, wovon? und das wovon muß ich suchen.**
Gl« Teil? — Gemälde. — Galerie 6". Ich las das Wort Teil; dann Ge-
mälde. Dachte: Gemälde ist Teil wovon? Dann kam Gemäldegalerie ohne
Vermittlung.
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908 Ab9dm. 3. Die Qeamtaafgabe,
Gedanke: was sollst du denn dasu suchen? Dann las ich S Teile
und ttginzte ^»suchen!**.
29. AbfEdui — voiher? — Einsteigen 7,6''. Ich las Abfohrt; dann hOiie
ich gewohnheitsmäßig auf^. Dann Bewußtsein, daß ich dasu wieder
etwas suchen müsse. Ich las dann „voriier^ Stutzen, wdl etwas ganz
Neues. Dann Gedanke, daß ich zu Abfahrt etwas suchen mfisse,
das vorhergeht.
41. Mauer — Tdl oder Ganzes oder Neb^iordnung? — 24,6'^ Ich las
zuerst Mauer; dann merkte ich erst, daß sehr viel da war. Oberraacfaung.
Ich las nochmalsMauer; innerlich gesprochen „dazu soUstdu
suchen . . ., dann „Teil oder . . .**
42. Käfig — Ganzes oder Teil? — 11,4''. Gelesen. Wie immer bewußt
eine Pause gemacht, den Sinn des Reizwortes nicht vergegen-
wärtigt Zum Schluß der Pause gesprochen „dazu sollst du sudien . . .*
Nun las ich Ganzes ...
48. Zeitung — Überordnung? — 8,8". Zeitung gelesen. Lange Pause
gemacht Sprach bei mir „dazu sollst du suchend Ich wollte
mich vorOberraschungenhüten. Idi las dann Oberordnung. Spannm^.
„Presse** optisch und gesprochen . . .
66. Strafe — Zweck oder Wirkung? — SQhne 6". „Strafe**, Pause.
Während der Pause schon erkannt, daß drei Worte folgen und ein oder dabei
ist Ich sagte mir, dazu sollst du suchen . . ., dabei „suchen** deutlich akustisdi.
Dann las ich „Zwedc oder ^rkung** . . •
Sa Nagel — Überordnung? — Befbstigungsmittd 18,4". Gelesen „Nagel**.
Dann kam der Gedanke, dazu sollst du suchen . • ., „suchen** dabei geschriebea
gesdien, „such** in scharfer Eq[M>sition.
60. Sttte — Tefl oder Ganzes? — Dreieck 12,4". Idi las Seite . . . diditet,
dazu sollst du suchen, „suchen** geqHrocben und geschrid)«! gesehen, dann
las ich „Teil oder . . .**
61. Ursache? — Glatteis. — Frost 8". Ich las Ursadie, dann sonder-
bares Erlebnis. Ich wollte nämlich gewohnheitsmäßig formulieren „dazu sollst
du suchen . . .** Hatte es sogar schon bei mir gesprochen, dann der Gedanke,
halt, das geht nicht Dann ging ich zu Glatteis.
62 *). Wirkung? — Regen. — 8,2". Wirkung gelesen. Erkannte, daß jetzt
die Aufgabe in umgekdirter Reihenfolge gestefit ist [nämUdi, wie schon bei
21 das Aufgabewort vor dem Reizwort]. Ich dachte aber doch, daß ich etwas
zu suchen hätte und sprach und sah geschrieben „such^**. [Vp. kann infolge
der nicht mehr gewohnten Stellung der Aufgabe nicht sofort mit der Bildung
der Gesamtaufgabe beginnen wie sonst]. Dann las ich „Regen**. Geg^Qber
dem Ganzen formulierte ich nocnmals: „Du sollst suchen das, was
Regen bewirkt** Nach einer kleinen Pause kam optisch ein ausgedehntes
Vgl. oben S. 202 und die folgenden Protokolle.
*) Einen Tag später gegeben wie 61.
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/. Der BUdungsproxefi der Gesamtaufgabe, 209
Etwas, was schwärzlich fisucht war, als sei ein Regen niedergegangen. Gfegen-
über diesem Bilde formulierte ich d^ Gedanken »feucht werden^, „feucht*'
dabei verschwommen gesehen und gesprochen . . . [Erst nach dem Verständnis
der Gesamtauijs;abe tritt also nach dner kleinen Pause, innerhalb deren die
Gesamtaul9g;abe wirksam zu denken ist, eine Vorstellung zum Reizwort auf,
die schon ganz auf die Lösung zugeschnittai ist]
64. Definition? — Eig^itum. [Vorletzter Versuch bei dieser Vp.] 10,4"'.
Ich las Definition, repetierte mir zunächst die Instruktion dieser Au^s^abe.
Dann gewohnheitsmäßig: „Definition sollst du suchen, wovon?**, „such*' ge-
schridsen gesehen.
Das gewöhnliche Verfahren von G ist dadurch ausgezeichnet,
daß das an erster Stelle dargebotene Versuchswort, Reizwort oder
Aufgabe, zunächst isoliert aufgefaßt imd dann meist nach einer
Pause durch die Einschiebung einer stereotjrpen Formel die rich-
tige Verbindung von Aufgabe und Reizwort zur Gresamtau^^abe
im voraus gesichert wird. Andere Vpn. pflegen die beiden Worte
hintereinander zu lesen und dann erst, indem sie sie nun auf-
einander beziehen, eine gedankliche Verbindung zwischen ihnen
herzustellen 0, die manchmal auch von einer sprachlichen Ver-
knüpfung begleitet ist'). Am stärksten ausgeprägt ist dieses
Verfahren bei A, auch hier mitveranlaßt durch das Bestreben der
Vermeidung von Fehlreaktionen:
11. Gemälde — Ganzes? — Galerie 6^^'. Ich las die beiden Worte hinter-
einander mit Verständnis der Bedeutung. Beim zweitenmal verweilte ich
länger, um mir die Aufgabe [d. i. Gesamtau%abe] klarzumachen. Ich formu-
lierte die Aufjg^abe so: „Du sollst zu Gemälde ein Ganzes suchen,
von dem Gemälde ein Teil ist**
la Teil? — Bahnsteig — BQfett 27 ßf'. Ich las beides hintereinander mit
Verständnis, dann suchte ich mir die Aufjg^abe, die ich von frOh^ her kannte,
klarzumachen. [Das Klarmachen bezieht sich demnach auf die spezielle Gesamt-
aufgabe, die natOrlich noch nicht bekannt ist]. Ich sollte also einen realen
Bestandteil suchen, wozu Bahnsteig ein Ganzes bilden sollte.
26. Ganzes? — Tanz. Siehe unten S. 247.
2a Abfahrt — vorher? — Einsteigen 3,8". Als ich die Worte las und
zwar mit allgemeinem Verständnis, kam mir die Aufgabe sehr fremd vor.
Zuerst wußte ich nicht recht, was ich zu madiai hatte. Ich mußte es mir
erst deutlich machen und dachte, ich müsse jedenfalls das angeben, was der
Abfahrt vorhergehe.
*) Gelegentlidi Andet sich dieses Verfiihren auch bei G.
*) Die Vpn. sind nicht immer imstande, anzugeben, ob die Verknüpfung
von Wortvorstellungen begleitet war.
Sels, Ob«r dto (}«mim dat geordneten DenkrerUnte. 14
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210 Aä$ihn. 3. Die Gesamtaufgabe.
84. Schuld — Voraussetzimg? — G^dmangel Sß'\ Idi las die beiden
Worte; die Aufgabe schien mir neu. Ich machte mir wieder klar, es sei
etwas XU suchen, das eine Veranlassung dazu ist, daß eine
Schuld entsteht
87. Ganzes? — FlOgel — Vogel 5,4"'. Idi las hintereinander die beiden
Worte mit allgemeinem Verständnis *). Dann betrachtete ich ipezidl die Auf-
gabe. Ich war anfimgs etwas unsicher, weil ich einmal eine solche Auljg^abe
falsch angefaßt hatte. Ich mußte mir ausdrOcküch BBg&ki ein Ganzes
suchen zu dem FlOgel als Teil!
5a Ursache? — Glatteis — Frost und Regen 8^. Ich las Reizwort
und Angabe hintereinander mit Verständnis. Ich wußte, daß ich die
Ursache des Glatteises angeben sollte.
69. Operation — vorher? — Blinddarmentzündung 6,6''. Ich las hinter-
einander Reizwort und Aufgabe und faßte die Aufgabe so auf, daß
ich das angeben sollte, was der Operation vorhergeht. Das
Wort „vorhergehen** war dabei da.
In den angeführten Protokollen von Vp. A äußert sich das
Bevnißtsein von der Gesamtaufgabe in einem wirklichen Auf-
gabebewußtsein^ in einem Bewußtsein von dem, was geschehen
soll, also in dem Bewußtsein einer von außen her an die Vp.
herantretenden Anforderung. Im Gregensatz hierzu tritt bei Vp. B.
das eigentliche Aufgabebewußtsein in der Regel weniger in den
Vordergrund. Die Protokolle zeigen uns statt dessen meist so-
gleich das durch das Verständnis der Gesamtaufgabe hervor-
gerufene Zielbewußtsein, das Suchen oder Besinnen in
der durch die Gesamtaufgabe bestimmten Richtung'). In diesem
Zielbevnißtsein ist aber der darin aufgenommene Inhalt der Ge-
samtaulgabe deutlich zu eikennen.
Vp. B:
52. Wirkung? — Regen — Feuchtigkeit 5,2". [Zunächst beim Anblick
von Wirkung und Regen eine ganz allgemeine Beziehung anf den voraus-
gehenden Versuch.] Dann ein rein gedankliches Oberlegen und Erwägen,
was vom Regen ausgeht, was durch den Regen hervorgerufen wird.
82. Acker — Ganzes? — Erde 8". Zunächst ein volles Verständnis des
Bezugswortes und der Aufgabe. Dann ein intensives Fixieren, nicht eigent-
hch des Blattes, sondern mehr als wenn ins Weite gestarrt würde, als wenn
') Dieses auch schon in 11, 18 und 28 konstatierte allgemeine Verständnis
ist offenbar nur ein Verständnis des Aufgabewortes, nicht der Angabe, auch
nicht der Aufgabe i. e. S., wie die nachfolgende Unsicheibeit ei^t
") Vgl hierOber oben S. 196 f., 206 ff.
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/. Der BÜdungßprozeß der Gesamtaufgabe. 211
die Augen auf unendlich eingestellt würden und in Verbindung
damit ein Suchen nach dem, wovon der Acker ein Teil ist.
Die Yp. gibt der Gesamtau^abe die umgekehrte Fassung,
nämlich statt: das Ganze zu Acker zu suchen, dasjenige zu suchen,
wovon der Acker ein Teil ist. Indem sie den Reizwortgegenstand
als Aasgangsgegenstand der auszuführenden Tätigkeit betrachtet,
ist es ihr natürlicher, statt des Sachverhältnisses des Ganzen zum
Teil das lungekehrte, der anzuschlagenden Richtung besser ent-
sprechende Sachverhältnis des Teils zimi Granzen zu nehmen^).
88a. Sprache — Überordnung? — Ausdrucksbewegung 6,4". Verständnis
und Einstellung darauf, etwas zu suchen, was der Sprache über-
geordnet sei.
112. Gewürz — Überordnung? — Beisatz zur Speise 5,2". Ich habe zu-
nächst ein volles Verständnis ftlr die Au^^abe gehabt und mich dann sofort
eingestellt auf eine Gattung, unter die ich Gewürz subsumieren
könnte.
In einigen Fällen nimmt bei B das Zielbewußtsein die Form
der Frage an. Der Fragecharakter kann hierbei deutlich ge-
geben sein, ohne daß eine sprachliche Formulierung zu erfolgen
brauchte •). Die Frage wird namentiich auch verwendet, um eine
voihandene Unklarheit über die Gresamtaufgabe zu beseitigen.
Als eine den Vpn. besonders geläufige, kurze und präzise Ziel-
bestimmung ist die durch die Frage herbeigeführte Verknüpfung
von Aufgabe und Reizwort hierzu in hervorragender Weise ge-
eignet. Sowohl dem bei sprachlicher Formulierung durch das
Fragewort bezeichneten gesuchten Gegenstand als dem bekannten
Gegenstand wird nämlich durch die Frage sein Platz in dem Sach-
verhältnis, dessen eines Glied gesucht werden soll, genau an-
gewiesen und damit die auszufüllende Stelle des Sachverhalts-
s<diemas in unzweideutiger Weise gekennzeichnet.
4a Nagel — Überordnung? — Gerät 6,2^. Zunächst den Eindruck,
als passe das gar nicht zusammen. [Die Vp. sucht also die Ver-
bindung von Aufgabe und Reizwort herzustellen, wobei sie den
Ebenso Bi» S. 212. Ähnliche Bestrebungen einer bequemen Fassung
der Aufj^abe durch Verwendung des entgegengesetzten Sachveriiältnisses siehe
oben S. 209 f. An, n, ••, si.
*) Dieselbe Erscheinung findet sich auch bei anderen Vpn. Siehe oben
Cflt S. 207 und später im folgenden.
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2iS Ab$ehn, 3. Die Qesamiaufgabe.
Efaidrack der UngewOhnlichkeit erfaftÜ] Es kam auch eine Anzahl von Ge-
danken an eingeschlagene Nägel, Nftgel im Werkzeugkasten, letztere andeutungs-
weise auch anschaulich vorhanden. Eine gewisse aufgerOhrte Mannigfaltigkeit,
dem dann ein quos ego! folgte auf Grund der Einsicht in die Oberordnung.
Damit zugleich gesagt, daß das alles mehr zu der froheren Aufgabe „Teil
oder Ganzes?*" gehöre. Nun ins Auge gefaßt die Überordnung für d^i
Nagel, 80, als wenn ich die Frage aufwflrfe: Was ist dem Nagel über-
geordnet?
40. Nagel — Zweck? — Festigung 8^6''. Wie ich hier herunterging, so-
fort das Verständnis für die neue Aufgabe und dabei so einen Gedanken,
wie ich ihn in die Worte kleiden kannte: Wozu dient nun der
Nagel?
Wie in 48 dient auch in den beiden folgenden Protokollen
die Frage der Sammlung und Klärung.
126. Ganzes? — Docht — Lampe 9,4". Hier zunächst nicht das volle
Verständnis, was eigentlich gemdnt war, ich glaube infolge der voiiieigehenden
Angabe Überordnung. Merkwürdig, wie leicht nOberordnung" und „Ganzes*
miteinander interferieren. Ich hatte entschieden eine Neigung, im Sinne der
Überordnung zu verfahren. [Wird beschrieben] . . . Dann machte ich Schhiß
mit alledem, indem ich mir sagte, es ist etwas ganz anderes gemeint
KGanzes** noch einmal gesprochen. Dann fing ich noch einmal von
vorne an. Fragte in Wortfragmenten: „Wozu gehM der Docht, wovon ist
er Bestandteil ?*"
80. Abfahrt — vorher — Ankunft 6,4". Hier war ich zunächst etwas
verwirrt und überrascht über die mir durch die Instruktion nicht be-
kannte Aufgabe. Dann habe ich sofort den Gedanken des Zeitveriiältnisses
gdiabt und die Frage: „Was geht der Abfahrt vorher ?** Da kam mir sofort
der Gedanke an Ankunft [Wissensaktualisierung!] ^).
Statt der Frage finden wir bei Schwierigkeit des Aufgabe-
verständnisses gelegentlich auch bei B ein eigentUches Au^;abe-
bewußtsein, wie es uns bei A entgegentrat
') Vg^. denselben Veriauf bei diesem Versuch oben C*% S. 206 und Ate S. 209,
bei denen ebenfalls die Bildung des Bewußtseins von der Gesamtaufgabe infolge
der Schwierigkeit besonders hervortritt Alle drei Vpn. versuchen die Schwierig-
keit nicht dadurch zu klären, daß sie die Aufgabe für sich aUein betrachtoi,
sondern dadurch, daß sie Aufgabewort und Reizwort aufeinander beziehen
und zum Bewußtsein von einer Gesamtaufgabe zu verknüpfen suchen. Eboiso
H*fl« (4^0) cici' sich wie B der Form der Frage bedient Der VerknC^füngs-
versuch hat hier zuerst eine falsche Auffassung der Aufgabe zur Folge: Ich
habe die Aufgabe nicht gleich verstanden, sondern formulierte in Worten: «Ist
die Abfahrt vorher ?** Erkannte, daß dies eine falsche Auffassung sei, und
sagte: „Was geht der Abfahrt vorher ?**
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/. Der Büdungsprozefi der Gesamtaufgabe, 2ifr
81. Teil? — Nadel — Öhr 4,8". Zweifel, soll es ein Teil der Nadel sein
oder umgekehrt?
Bei Yp. D kam 68 trotz gelegentlicher Tendenz zu einem
ialschen Aufgabeverständnis niemals zu einer Fehlreaktion. Dem-
entsprechend pflegt hier auch die Bildung des Bewußtseins von der
Gtesamtau^abe nicht so direkt hervorzutreten. Daß aber auch bei ihm
der Prozeß der Verknüpfung von Aufgabe und Reizwort stattfand,
beweisen die früher angeführten Protokolle. Bei Yp. E bezeugt
namentlich ein mit dem Charakter der Frage auftretendes Ziel-
bewußtsein in einigen Fällen die Zusammenfassimg von Reizwort
und Aufgabe. Wie bei B ist die Frage wiederholt nicht in Worten
formuliert. Ygl. z. B. unten Eio S. 214. Yp. F bedient sich zur
Klärung der Gesamtaufgabe und zur Verstärkung ihrer Wirksam-
keit stets der Frage 0*
Beispiele:
16. Unterordnung? — Werkzeug. — Hammer 6,6'^ [Vorhergegangen war
Nebenordnung? — Werkzeug.] Ich habe das Ganze gelesen und gesehen, daß
es dieselbe Aufgabe [das ist Gesamtaufgabe] in entgegengesetzter (?) Richtung
ist; so habe ich mir diese Richtung verdeutlicht dadurch, daß ich mir die
Frage gestellt habe: ^ Welche Arten von Werkzeugen gibt es?**
31. Bühne — erst Ganzes, dann Überordnung, dann Teil? — 29,8^'. . . .
Die zweite Aufgabe war schwieriger; nichts stellte sich direkt ein, ich mußte
fhigen: „Gibt es eine Art von Gegenständen, welche die Bühne
in sich einschließen?**
86. Schuld — Voraussetzung? — Leihen 6,8^'. Ich habe die Aufgabe ge-
lesen und mich gefragt: „Unter welcher Bedingung tritt eine
Schuld ein?**
Die Verknttpfung von Aufgabe und Reizwort tritt hier nidit
nur in der Verbindung beider in der Frage zu Tage, sondern
äußert sidi zugleich darin, daß die Au%abe eine spezielle Inter-
pretation erfährt, die auf den konkreten Fall der Schuld zuge^
schnitten ist. Das Wort Voraussetzung wird als gleichbedeutend
mit „Bedingung der Entstehung^ angefaßt Eine ähnliche Aus-
legung fanden wir übrigens auch schon bei Asi S. 210. Der
Prozeß der Auf einanderbeziehung, der diese Anpassung des Sinnes
') Trotzdem die Vp. die Fragen mit Bestimmtheit konstatiert, gdang es
ihr auf Frage des Versuchsleiters nicht, anzugeben, ob sie in Worten formuliert
gewesen seien.
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dl4 Abadui. 3. Die Öesamiaufgabe.
der Aulgabe an den Reizwortgegenstand herbeiführt, tritt bei
den bisher genannten Vpn. nicht aelbst hervor; wir können ihn
aber bei einer anderen Yp. direkt feststellen:
Gl. Versuchung Sf*. Erst las ich die beiden Worte g^ch hintereinander
und fragte in Worten: «Was heißt Voraussetxungder Schuld?* Diese
Frage kam ganz von selbst Es folgte eine kurze Periode der Überlegung;
darauf wurde es mir klar, ohne daß ich sagen kann, wie. Ich kann auch
nicht eigentlich angeben, was. Zum Teil war etwas von einem anschaulichen
Erlebnis vorhanden, insofern als ich die Voraussetzung der
Schuld auf dem Blatt irgendwie schräg links nach oben suchte.
Das durch den Sinn der Gresamtau^;abe geforderte Zurück-
gehen auf die Entstehungsbedingungen der Schuld ist hier durdi
ein tthnliches Symbol charakterisiert wie früher das Zurückgehen
auf die Ursache bei Vp. D*). Wie dort enthält das Symbol nicht
nur die allgemeine Richtung, welche durch die Aufgabe i. e. S.
vorgeschrieben ist, sondern auch eine Beziehung zu dem Ausgangs-
gegenständ, von dem aus diese Richtung eingeschlagen werden
soll. Dadurch, daß die zu suchende Voraussetzung symbolisch
über dem Reizwort gedacht wird, wird ausgedrückt, daß das
Zurückgehen vom Reizwortgegenstande aus stattzufinden
hat Das Symbol zeigt demgemäß auch hier das Zustandekommen
des Bewußtseins von der Gesamtaufgabe an^.
Eine noch einschneidendere spezielle Interpretation der Auf-
gabe auf Grund der Herstellung der Beziehung zwischen ihr und
dem Reizwort als bei F finden wir in demselben Yersudi bei
Vp. E40 (6,8"): „Ich habe die Aufgabe sofort verstanden und es
war so, als ob ich eine Frage gestellt hätte: Was muß einer
getan haben, damit er eine Schuld auf sich lädt?^ — Die
Aufgabe i. e. S. hat ihren allgemeinen Sinn hier g^Uizlich eioge-
büßt und jede selbständige Bedeutung innerhalb der
Gesamtaufgabe verloren.
Wie bei B kommt es auch bei G zum besonderen Hervor-
treten eines eigentlichen Aufgabebewußtseins nur, wenn das Ver-
ständnis der Aufgabe im speziellen Fall besondere Schwierigkeiten
bietet. Diese zwingen die Vp., sich klarzumachen, wie die Auf-
') Wir werden diese Erscheinung noch ausführlich zu erOrtem hab«L
Siehe oben D% S. 206.
■) Weiteres über solche Symbole bei G siehe unten S. 216 ff.
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/. Der Bikümgßprozefi der Qesamtaufgabe. 216
gäbe gemeint Bei, worin der Inhalt der an sie gestellt^i Anforde-
rung bestehe.
Beispiele:
26. Ursache? — Glatteis. — Frost 8^'. Befremden darüber, daß die
Au^pbe oben stand. Dann aber die Überzeugung, daß trotzdem die Sache so
gemeint so, daß zu GUdteis die Ursache gesucht werden soll.
20. Strafe — Zweck oder Wiriomg? — Besserung 16''. Diesmal verstand
ich beim erstmaligen Lesen nicht, was ich sollte. Las daher sofort noch ein-
mal und sp&ter wiederholt die Angabe „Zweck oder Wirkimg**, und zwar in
deutlich ausgq)rSgten Worten. Mußte mir erst klarmachen, daß Zweck oder
Wirkung der Strafe gemeint sei . . .
da Si^ie unten S. 216.
Wenn sich das Au^abeverständnis ohne weiteres einstellt,
so tritt der Inhalt der Gesamtaufgabe, wenn überhaupt, wie bei B
erst in dem das Suchen nach einer LOsung einleitenden Zielbe-
wufitsein mehr hervor.
9. See — Ganzes? — Landschaft 6,4''. Ich habe beides nacheinander
gelesen. Dann suchte ich, in welches zusammenhGrige Ganze ein
See gehören kann. Das Suchen, auch das Ziel des Suchens war mir
bewußt
18. Pftirrer — Nä)enordnung? — Arzt 3,4". Nachdem ich die Sache ge-
lesen und beim Lesen verstanden habe, suchte ich nach dem, was einem
P6irrer nebengeordnet wäre und es schwebte mir dabei der Begriff Beruf vor.
Durch diese Vermittdung kam ich dann auf den Begriff Arzt, überzeugte mich,
daB das richtig geantwortet sei, und reagierte damit.
Es wurde hier der ganze Verlauf des Versuchs mitgeteilt,
lun zu zeigen, daß dieser in der Tat einem Zielbewußtsein ent-
spricht, das den Inhalt der Gesamtaufgabe in sich au^nommen
hat. Das Verfahren der Vp. ist im wesentlichen das Gleiche,
wie das bei Bi (S. 203) besprochene: 1) Bildung der Gtesamtunter-
aufgäbe, ein dem Reizwortgegenstand mit anderen Gegenständen
gemeinsames allgemeines Charakteristikum zu suchen, demgemäß
Hervorhebung des allgemeinen Merkmals, daß es sich um einen Beruf
handelt, 2) im stetigen Anschluß daran, Bildung der weiteren Gte-
samtunteraufgabe, einen anderen Gegenstand zu suchen, welcher
das gefundene allgemeine Charakteristikum mit dem Pfarrer ge-
meinsam hat Wahrscheinlich besteht hierbei auch noch die latente
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816 i4Mkff. 3. DU Q^aamtmrfgähe.
Tendenz, eine verwandte Art der beruflichen Betätigung heraus^
zugreifen.
18. Siehe oben S. 204.
Auch G verwendet zur Klärung von Verständnisschwierig-
keiten die Frage:
88. Eroberung — nachher? — Unterdrückung 8^. Nac^ dem Lesen der
Aufgabe Oberiegte ich, daß wohl gondnt sei: „Was ist nach der Eroberung?*
Die Worte waren vorhanden mit der Bedeutung, daß der Sinn der Aufig;abe
darin ausgedrückt werden soll.
Ebenso werden im Versuch 27 Verständnisschwierigkeiten
festgestellt, auf die eine Frage folgt. Die Frage tritt jedoch
auch auf, ohne daß besondere Gründe hierfür aus dem Protokoll
erkennbar sind.
Das Bewußtsein von der Gesamtausgabe äußert sich bei G
hodi in einer Form, die bei anderen Vpn. nur selten eindeutig
in Erscheinung tritt, nämlich in der Form des Symbols'). Die
Symbolisierung der Gesamtau^abe, eine Voraussetzimg der Schuld
anzugeben, durch die Lokalisierung der zu suchenden Lösung
oberhalb des Reizwortes ist schon besprochen worden'). Dasselbe
Symbol findet sich nun auch wiederholt angewendet, imi b^ der
Angabe Überordnung auszudrücken, daß das betreffende Reiz-
wort den Ausgangsgiegenstand für die Auisuchung eines über-
geordneten Begriffs zu bilden habe.
U. Stern — Oberordnung? — WdtkOrper 4,4^'. Zuerst die Aui)9^abe ge-
lesen, ziemlich schnell nach dem Erfassen der Aufgabe, wobei
konstatiert wurde, daß es wieder dieselbe war, sofort wieder Zurück-
wendung zum Reizwort, und nun scheint es mir so, als ob ich ver-
anlaßt durch das Wort Überordnung die Lösung irgendwie oberhalb des
Reizwortes suchte. Ich stellte mir die Frage: „Was ist Obergeordnet Ober
Stern?"...
*) Vgl. oben S. 215, Gt. Auch H«t» wird hierher gerechnet werden dürfen:
Ganzes? — Tanz — Lebensfreude 4,2". Ich las beides, hatte die anschau-
liche Vorstellung einer tanzenden Gesellschaft Dann verstand ich Ganzes,
hatte einen Moment die Tendenz, einen Teil zu nennen. Dann fiel mir wieder
ein „Ganzes!**. Nun hatte ich so eine imbestimmte anschauliche Vorstellung,
als ob ich von dem Tanz aus weit in die Feme geschweift wäre, um viel
zu erfassen. Es war ein räumliches in die Feme Gehen. Es fiel mir nun
Lebensfreude ein mit dem Bewußtsein, ein ziemlich Weites genommen zu
haben. — Ich hatte die Tendenz, etwas zu suchen, von dem Tanz ein Teil
ist, ich halte mein in die Feme Gehen für etwas Sj^robolisches, ein Schema.
*) Sidie oben S. 214.
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/. Der BUdungsprozeß der Gesamtaufgabe. 217
68. Tiger — Oberordnung? — Raubtier 2,6''. Die Überordnung suchte
ich nun wieder irgendwie räumlich über dem Wort Tiger. Zugleich war mir
auch unabhängig davon der Sinn der Angabe klar, denn ich suchte nach einem
Übergeordneten Begriff.
Ähnlich 69: Wieder das räumliche Sj^robol, daß irgendwo Ober ,, Gedicht*',
aber nicht auf dem Papier, sondern etwas höher die Lösung gesucht wurde.
Das Symbol ist zwar nicht der alleinige Repräsentant des
Verständnisses der Gesamtau^abe im Bewußtsein. Das ergibt
sich sowohl aus den eigenen Angaben der Vp. (oben Nr. 63) als
daraus, daß genau das gleiche Symbol bei der Au%abe ^Voraus-
setzung?^ (S. 214X vorkam. Wohl aber bedeutet das Symbol eine
Unterstützung des Bewußtseins der vom Reizwort aus ein-
zuschlagenden Richtung. Durch die LokaUsierung über dem Reiz-
wort gibt es wenigstens in analoger Weise das Sachverhältnis
wieder, in dem der gesuchte Gegenstand zimi Reizwortgegenstand
zu steh^i hat und bezeichnet die durch die Lösung auszufüllende
Stelle in dem im fflelbewußtsein enthaltenen Sachverhaltsschema.
Dem entspricht es vorzüglich, daß die LOsimg manchmal geradezu
als Ausfüllung der leeren Stelle des räumUchen Symbols erscheint,
welches freilich nur in einem Fall vorher bemerkt wurde.
la Pfand — Überordnung? — Verschuldung 21,2". . . Jetzt nachträglich
in der Erinnerung konunt es mir so vor, als ob die Worte oder der Begriff
Schuld oder Verschuldung links auf dem Zettel über das Wort Pfand lokalisiert
wurden.
14. (Den Anfang des Protokolls siehe oben S. 2ia) . . . Darauf fiel mir
[als erste später verworfene Losung] der Himmel ein, der durch einen schwarzai
Fleck mit einem leichten weißen Punkt oder einigen solchen symbolisiert war.
Auch die Wortvorstellung war undeutlich vorhanden. Wenn ich mich
recht erinnere, so lag dieser schwarze Fleck räumlich in der
Richtung auf diesen Fleck des Papiers, wo ich die Lösung
suchte.
99. MOrtel — Überordnung? — Baumaterial 8,4''. . . Dabei befand sich die
Lösung irgendwie durch ein vages, räumliches Symbol tlber dem Wort Mörtd,
als das Wort sich einstellte, und zwar schwebend über dem Blatt.
Noch deutlicher wird das im Bewußtsein von der Gesamt-
aufgabe enthaltene Sachverhaltsschema und dessen Ausfüllung
durch die Lösung im folgenden Versuch gekennzeichnet.
66. Stahl — Nebenordnung? -~ Messing 11,4''. Nachdem ich das Wort
und die Aufgabe gelesen hatte, symbolisierte sich die Aufgabe durch einen
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818 AHdm. 3. DU Qe9Mmttutf§abe.
leeren Fleck neben «Stahl^ an den sich dann alles weitere
orientierte. . . .
Vp. H stellt die Verbindung zwischen Aufgabe und Reizwort
öfter durch eine formulierte Frage her, wobei es wiederholt zu
falschen Verknüpfungen kommt, die dann nachträglich berichtigt
werden *). Besonderes Interesse beansprucht die bei H gelegent-
lich vorkommende Blankettf ormulierung des Inhalts der Ge-
samtaufgabe in dem die Liösung einleitenden Zielbewußtsein.
24«. Ganzes? ~ Gruft — 6,8". Dachte an eine Familiengruft, das Wort
da und die Vorstellung einer solchen Gruft. Dann Oberlegte ich mir: «Dieses
ist ein Teil von . . .?**, akustisch. Dann hatte ich die anschauliche Vor-
stelhmg eines Kirchhofe und nun suchte ich nach dem Worte Kirchhof^ das
ich nidit fand.
Das im Zielbewußtsein enthaltene schematische Bewußtsein
von einem Sachverhttltnis, das durch Erg^lnzung des fehlenden
Sachverhaltsgliedes auszufüllen ist, kommt hier in der sprachlichen
Formulierung deutlich zum Ausdruck. Daß die Formulierung des
ZSels im unvollendeten Satz nicht etwa bloß der Erweckung
sprachlicher Assoziationen dient, zeigt der Verlauf: Die Vor-
stellung des gesuchten (Gegenstandes stellt sich sofort ein, wahrend
die Versuchsperson innerhalb des Versuches seine Bezeichnung
überhaupt nicht finden kann. Ebenso wie das optische Schema
bei G erleichtert vielmehr auch diese schematische sprachliche
Formulierung vor allem die Klärung und zweckmäßige Fassung
des Zielbewußtseins durch die in der Sprache gelegenen präzisen
Anweisimgen für den Gedankenvollzug; z. B. liegt hier eine zweck-
mäßigere Fassung des Zielbewußtseins auch in der umgekehrten
Formulierung der Aufgabe, welche der Betrachtung des Reizwort-
gegenstandes als Ausgangsgegenstand der auszuführenden Tätig-
keit besser entspricht ").
Hierher gehört auch folgender Versuch mit einer unrichtigen
Blankettformulierung*).
49«. Kranz ~ Ganzes? — Blumengeschäft 5,4''. Tendenz möglichst
schndl und sinngemäß, akustisch: „Der Kranz ist ein . . .?** Erkenntnis, daß
Vgl oben S. 212 Anm. 1.
*) Siehe oben S. 211 und Amn. 1. Dieselbe Umkdmmg findet sich auch
bei H44: See — Ganzes? — Meer 2,2^'. Verstand die Au%ahe und fragte:
„Zu See ein Ganzes! Wovon ist der See ein TeU?*" Alles akustisch.
*) Es waren vier Versuche mit der Au^g^abe Überordnung vorausgegangen.
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/. Der BüdangsproMefi der Geeamiaufgabe. 219
— — —
eine sdche FormuHenuig mm übergeordneten Begriff fOhren würde, rein ge-
danklich ohne Anschauungen und Worte . . .
Zusammenfassung: Der Prozeß der Bildimg der (Gesamt-
au^abe ließ sich teils umnittelbar, teils mittelbar aus den Selbst-
beobachtungen der Vpn. nachweisen. Die unmittelbare Beschrei-
bung gibt teils eine allgemeine Charakteristik des Prozesses bezw.
seines Ergebnisses. Die Vpn. berichten z. B. von einem Auf-
einandeii)eziehen oder von einem Zusammenfassen von Aufgabe
und Reizwort, von einem Verständnis der ,,(}esamtaufgabe'', der
„vollen** oder „ganzen Aufgabe**. Teils wird der spezielle
Bildungsprozeß bezw. das sich aus ihm ergebende Bewußtsein
von der Gesamtaufgabe beschrieben. Mittelbar ließ sich die Bildung
der G^esamtau^abe namentUch an folgenden Kriterien erkennen:
1. Indifferenz gegen das Reizwort vor dem Verständnis der
Angabe i. e. S., gesteigerte Beschäftigung mit der Bedeutung des
Reizwortes nach dem Verständnis der Aufgabe.
2. Auftreten von Vorstellimgen erst nach dem Verständnis
der Aulgabe; die sodann auftretenden Vorstellungen sind sofort
dem Charakter der Aufgabe angepaßt.
3. Blankettnatur der dem Reizwort vorausgehenden Aufgabe
(S. 200ff.)
4. Das durch das Verständnis von Aufgabe und Reizwort
hervorgerufene Zielbewußtsein hat einen der Oesamtaufgabe ent-
sprechenden Gegenstand.
6. Erst durch die Analyse der Gesamtaui^;abe und die Er-
kenntnisy daß der Gegenstand des Zielbewußtseins mit dem Gegen-
stand der Gesamtaufgabe übereinstimmt, wird eine auch in anderen
Untersuchimgen zutage getretene Beschaffenheit des Zielbewußt-
seins verständlich: Das Zielbewußtsein wird häufig beschrieben
als ein Suchen in bestimmter, wenn auch nicht immer an-
gebbarer Richtung'). Nicht weil das Suchen manchmal von
optischen Richtungssymbolen begleitet ist, sprechen die Vpn. da-
von, daß in einer bestimmten Richtung gesudit wird. Vielmehr
umgekehrt, weil das Suchen eine bestimmte Richtung hat, ist es
von optischen Richtungssjrmbolen begleitet. Dem entspricht es,
daß die Vpn. von einer Richtung auch da reden, wo derartige
«) Vgl oben S. 198 f., 208 ff., 210, 216 ff.
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AkBdui. 3. Die QgMmtaafgabe.
optkche Hilfevorstellungen fehlen ^). Die bestimmte Richtung des
Suchens ist gegeben durch die indirekte Bestimmung des Zäels
in dem im Zielbewußtsein enthaltenen schematischen Sachverhalts-
bevmßtsein "). In diesem Sachverhaltsbewußtsein gibt das dem
Reizwort entsprechende Oegenstandsbewußtsein den speziellen
Ausgangspunkt des Fortschreitens in bestimmter Richtung, das
dem Aufgabewort entsprechende Beziehungsbewußtsein die ab-
strakte Riditung des Fortschreitens an^. Das schematische
Sachverfaaltsbewußtsein als (ganzes hat daher die Bedeutung einer
konkreten Richtungsbestimmung für den determinierten Prozeß*).
Durch die in der Angabe i. e. S. bezeichnete Beziehung sind ver-
schiedene Gtegenstandspaare miteinander verimttpft. Es soll aber
ein Gegenstand gesucht werden, der gerade mit dem Reizwort-
gegenstand durch die betreffende Beziehung verbunden ist Anderer-
seits steht der Reizwortgegenstand in einer Reihe verschiedener
Beziehimgen zu anderen Gegenständen. Die einzuleitenden Ope-
rationen sollen aber zur Ermittelung eines Gegenstandes fOhr^i,
der gerade in einer bestimmten Beziehung zu ihm steht
Die ohne Rücksicht auf die besondere Natur der Aufgabe in jedem
Zielbewußtsein enthaltene Richtungsbestimmung findet in der von
Vp. B wiederholt berichteten symbolischen f^xation des Zieles
eine charakteristische Reprtlsentation. Durch die besondere Natur
der Aufgabebeziehung können sich speziellere Analogien zum
Fortschreiten in bestimmten räumlichen Richtungen ergeben. Diese
können dann als s}rmbolische Hilfisvorstellungen dienen, die das
*) Th. Haering bezeichnet die nRichtungserlebnisse'* als „relativ unwesent-
liche Nebensymptome**. (Untersuchungen zur Psychologie der Wertung, Archiv
f. d. ges. PsychoL 27. S. 107.) Diese Charakteristik ist durchaus zulässig, so-
weit die optischen Richtungs Symbole gemeint sind. In dem einen der von
Haering angeführten ProtokoUe (12) findet sich jedoch keine Angabe über eine
symbolische Richtungsrepräsentation, wohl aber der Bericht Ober eine Richtungs-
änderung durch Veränderung des Gegenstandes des Zielbewußtseins. (Ober-
gang zum Suchen nach einem speziellen Mittel zum Reichwerden.)
*) Siehe oben S. 198^ 180 ff. Besonders klar tritt der Zusammenhang
zwischen dem Erlebnis einer bestimmten Richtung des Fortschreitens mit der
indirekten Bestimmung des Ziels in dem Protokoll Btt S. 210 in die Erschei-
nung. (Vgl auch die indirekte Bestimmung des Gegenstands des Suchens in
den beiden folgenden Protokollen.)
•) Vgl. B.7 S. 200f.
Ö Es handelt sich in unseren Versuchen meist nur um eine relativ konkrete
Richtungsbestimmung; vgl. oben S. 176 f.
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/. Der Bildungsprozeß der Oesamtaufgabe, 221
Festhalten der durch die betreffende Beziehung angegebenen
Richtung und die Unterscheidung von anderen Beziehungen er-
leichtem *).
6. Die Bildung der (}esamtau%abe findet femer eine Art von
Objektivierung in der sprachlichen Verknüpfung, welche die
Vpn. zwischen Aufgabe und Reizwort vornehmen. Sie bringt das
durch die Gesamtau^abe geforderte Sachverhältnis zwischen dem
gesuchten Gegenstand und dem Reizwortgegenstand ziun Ausdmck.
Die sprachliche Verbindung erleichtert dabei vermöge der an sie
gebundenen Eombinationsprozesse *) die gedankliche Verbindung.
Die indirekte 2iielbestimmung durch das Schema eines Sachverhält-
nisses, dessen eines Beziehungsglied fehlt, kommt namentlich auch
in der Frageformulierung und in der Blankettformulierung der
Gesamtaufgabe zum Ausdruck. Aus der Bedeutung der sprach-
lichen Formulierung der Gesamtaufgabe ergibt sich, daß die Bil-
dung der Gesamtaufgabe im Bewußtsein weniger hervortreten
wird, sobald ihre Erteilung, wie es im Leben geschieht, in Satz-
form, z. B. in Frageform erfolgt. Es treten dann die an das be-
treffende Satzschema gebundenen, mechanisierten Eombinations-
prozesse in Wirksamkeit. (Vgl. S. 167 ff.). Auch in diesen Fällen
vollzieht sich jedoch derselbe Prozeß der Bildung des Bewußt-
seins von einer einheitlichen Gesamtau^abe (s. insbesondere S. 181),
nur daß sich dieser Bildungsprozeß selbst weniger im Bewußtsein
bemerkbar machen wird. Die gleiche Mechanisierung des Bildungs-
prozesses der Gesamtaufgabe vollzieht sich auch, wenn bei Iso-
lierung von Aufgabe imd Reizwort dieselbe Aufgabe L e. S. sehr
oft kurz hintereinander wiederkehrt. Die Isolierung von Aufgabe
und Reizwort in unseren Versuchen und das Verfahren mit vari-
ierender Angabe hatten sohin den Vorteil, die Bildung der Gre-
samtaufgabe zu erschweren und dadurch in den Erlebnissen der
Vpn. stärker hervortreten zu lassen. Der Prozeß der Bildung
der Gesamtaufgabe wurde also durch die besonderen Bedingungen
unserer Versuche nicht erst künstlich zur Entstehung gebracht,
sondern nur erschwert imd dadurch seine Feststellung erleichtert
7. Das im 2iielbewußtsein enthaltene schematische Sachverhalts-
bewußtsein äußert sich femer auch in den schon erwähnten Sym-
*) Vgl. oben Dt S. 205 und S. 216 ff.
■) Vgl. oben S. 162 ff., 188 f.
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Absthn. 3. Die Qesamtaufgabe,
holen, welche das zwischen dem Reizwortgegenstand und dem
gesuditen (Gegenstand bestdiende Sachverfattltnis räumlich ver-
sinnbildlichen.
§ 2. Die Anpassung der Bedeutung des Reizwortes an
den Sinn der Aufgabe.
Die Vereinigung von Aufgabe und Reizwort zur Gesamtauf-
gabe kommt auch in besonders charakteristischer Weise in den
Veitoderungen zum Ausdruck, welche die Bedeutung des Reiz-
wortes und der Aufgabesinn durch diesen Verbindungsprozeß
erfahren. Wir behandeln zunächst die Anpassung der Bedeutung
des Reizwortes an den Sinn der Aufgabe und suchen die sich
hierbei abspielenden Vorgänge wieder an der Hand von Beispielen
zu erläutern.
Krebs — Ursache oder Wirkung?
As* Tod 5,2''. Hintereinander gelesen. Sofort, wie ich das Wort Rrdw
gdesen hatte, dachte ich an Krebs im zoologischen Sinn, dabei schwaches
Anschauungsbild. Ich ging dann weiter und las nun erst eigentlich die Auf-
gabe. Nun kam mir die Sache komisch vor, weil ich noch immer an das
Tier dachte und auch das Anschauungsbild vor Augen hatte. Ich sagte mir,
es muß doch eine Lösung geben, Krebs muß eine andere Bedeutung haben;
dann wurde mir bewußt, daß es noch eine andere Bedeutung tatsächlich gä)e
und schließlich wurde mir die Bedeutung Krebs im Sinne der Krankheit be-
wußt. . . .
Die Vereinigung von Aufgabe und Reizwort äußert sich hier
sofort im Anschluß an das Verständnis der Aufgabe in dem Ein-
druck des Komischen. Der durch die Gesamtau%abe anscheinend
geforderte Gedanke an eine Ursache des Krebses im zoolo-
gischen Sinn gibt keinen verständigen Sinn. Die mit dem Ein-
druck des Komischen verbundene Feststellung des Sachverhält-
nisses, daß die Gesamtaufgabe keine vernünftige Lösung zulasse,
führt nun nach dem Gesetz der Berichtigung zur Aktualisierung
des Wissens von der ihr entgegenstehenden Erfahrungsregeli daß
es eine Lösung der Gtesamtaufgabe geben müsse. Dieser Gedanke
motiviert die Determination, nach der Möglichkeit einer richtigen
Lösung zu suchen. Als einzige Möglichkeit bietet sich der Ge-
danke dar, daß das Reizwort unrichtig auffaßt sei. Die De-
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2. Anpassung der Bedeutung des Reizwortes an den Sinn der Aufgabe. 228
temiination, demgemäß eine andere Bedeutung des Reizworts zu
suchen, führt zunächst zur Aktualisierung des abstrakten
Wissens, daß es eine andere Bedeutung von Krebs tatsächlich
gebe, und erst im weiteren Verlauf zur Aktualisierung des
konkreten Wissens von dieser Bedeutung, d. h. zur Aktuah-
sierung des Bewußtseins von dem Sachverhältnis, daß eine be-
stimmte Krankheit den Namen Krebs trage.
Wir können schon an diesem Einzelfall vorläufig folgende
allgemeine Regel abstrahieren: Lassen Aufgabe und Reiz-
wort eine Vereinigung zu einer sinnvollen Gesamt-
aufgabe nicht zu, weil der Reizwortgegenstand seiner
Natur nach nicht geeignet ist, in der durch die Auf-
gabe i.e.S. geforderten Beziehung zu stehen, steht anderer-
seits der Sinn der Aufgabe i.e. S. unveränderlich fest,
so wird so lange nach einer geeigneten Bedeutung
des Reizwortes gesucht, bis eine besser zur Aufgabe
passende Bedeutung gefunden ist. Vom Standpunkt einer
Konstellationstheorie aus wäre dieser ganze Vorgang un-
verständUch. Beim Fehlen einer Beziehung zwischen
der Aufgabe und dem aktuell gewordenen Reizwort-
sinn durch eine ihnen gemeinschaftlich assoziierte
Vorstellung müßte hier vielmehr eine Konstellations-
wirkung eben einfach ausbleiben. Aufgabe und Reizwort
müßten für sich allein wirken, imd es müßte zu unrichtigen
Au^abelösungen kommen.
Wir geben zum Vergleich sofort anschließend auch die übrigen
Protokolle zu derselben Aufgabe.
Gtt Tod 5f&*, Nach dem Lesen mußte ich wieder einen Augenblick bei
der Aufgabe verweilen und mir klar machen, daß entweder das eine oder das
andere [Ursache oder Wirkung] gemeint ist Die Doppeldeutigkeit des Wortes
Krebs machte mir etwas zu schaffen. Wie sie auftauchte, weiß ich nicht,
ich weiß nur, daß ich mich abwechselnd mit der Bedeutung des
Tieres und der der Krankheit beschäftigte und die Krankheit
wählte in dem Bewußtsein, daß man bei einem Tier schwerlich von
einer Ursache reden würde. Ich habe den Eindruck, als ob das Tier
Krebs ganz undeutlich optisch dagewesen wäre. Während des Prozesses waren
jedenfalls auch einzelne Wortvorstellungen vorhanden. Als ich die Aufgabe
noch einmal durchlas, fiel mir ganz von sdbst das Sterben ein, gleichzeitig
dunkle Erinnerung an einen Todesfall durch Krebs, der mir einmal sehr nahe
gegangen ist; dann ungesucht das Wort Tod.
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224 Ab$(hn. 3. Die Gesamiaufgabe,
Die Yp. hat hier sofort beide Bedeutungen von Krd)8 gegen-
wärtig und wählte nach einigem Schwanken die der Krankheit
in der Erwägung» daß man von einer Ursache des Tieres schwer-
lich reden würde. Es werden also offensichtlich die beiden Be-
deutungen des Reizwortes abwechselnd mit der Aufgabe zum
Bewußtsein von der Gesamtaufgabe vereinigt und hierbei ihr Zu-
sammenpassen beurteilt. Erst nachdem auf Grund dieser Be-
urteilung eine definitive Auffassung der Gesamtau%abe zustande-
gekommen ist, schreitet die Yp. unter nochmaligem Lesen der
Aufgabe zu der sich nun sofort einstellenden Lösung.
Cm Tod 7,2". Ich las Krebs; gewohnheitsmäßige Pause; ich hatte in der
Pause den Begriff des Tieres mit sehr konfuser Vorstellung. Ich las dann
weiter. Dann hatte ich den Gedanken an Beißen [Wirkung!]. Dabei das
Wort Biß optisch angedeutet. Das Ganze wurde sofort zurückgedrängt
durch den plötzlich auftauchenden Gedanken, daß Krebs auch eine Krankheit
bedeuten könne. Da kam der Gedanke, daß Krebs unheilbar sei. . . .
Wie bei Vp. A wird hier zuerst der Begriff des Tieres wirk-
sam. Zu beachten ist, daß sowohl Vp. A als G nach Inhalt des
Protokolls das Reizwort zunächst unabhängig von der Aufgabe
auffaßten, sodaß diese bei der Entwicklung des Bedeutungsbewußt-
seins noch nicht wirksam werden konnte. Das plötzliche Auf-
tauchen der anderen Bedeutung nach dem ersten Ldsungsversuch
hängt höchstwahrscheinlich mit der unbefriedigenden Beschaffen-
heit dieser Lösung zusammen. 'Jedenfalls aber wird durch die
Auffindung der anderen Bedeutung das Bisherige sofort vollständig
zurückgedrängt. Dies wird nur dadurch erkUlrlich, daß die Vp.
sofort das bessere Zusammenpassen dieser Bedeutung mit der
Aufgabe erkannt, also die Bildung der Gesamtaufgabe „Ursache
bezw. Wirkung der Krankheit Krebs" vollzogen hat. Daß bei
einer Krankheit besser von Ursache und Wirkung geredet werden
kann als bei einem Tiere, ist der Vp. eben ohne Rücksicht auf die
Lösung im speziellen Fall bekannt.
Ee* Tod 3,8"'. Ich las die Aufgabe und verstand sie. Ich wußte sofort,
daß Krebs mehrere Bedeutungen haben kann. Ich kam zuerst auf die Be-
deutung der Krankheit, die andere Bedeutung wurde nicht weiter verfolgt . . .
Bei dieser Vp. entwickelt sich zunächst kein deutliches Be-
wußtsein einer bestimmten Bedeutung von Krebs, sondern nur
das Bewußtsein der Mehrdeutigkeit. Daß sich nur die Bedeutung
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2. Anpassung der BedmUimg dss Reiswortss an den Sinn der Aufgabe, 395
■ ■ ■ ■ ■■■■'■ ■ ■ ■ I ■ I- ■■ — —
der Krankheit weiter entwickelt, dürfen wir darauf zurückführen,
daß infolge der bereits geschehenen Bildung der (Gesamtausgabe nur
mehr eine Bedeutung in Frage kommt, bei der sinnvoll von Ur*
Sache und Wirkung gesprochen werden kann. Die Eonstellations-
theorie müßte hier annehmen, daß durch die Worte Ursache und
Wirkung die endlose Zahl der Reproduktionsgrundlagen in (er-
hebliche) Erregung versetzt werden, die mit den Begriffen Ursache
besw. Wirkung irgendwie assoziiert sind. Darunter müßte sich
auch die Bedeutung der Krankheit Krebs befinden, die zugleich
vom Reizwort aus wachgerufen und daher durch Konstellation
reproduziert würde. Vom Standpunkte unserer Komplextheorie
gelangen wir dagegen zu einer viel einfacheren Erklärung: Die
Vp. weiß von einer Mehrdeutigkeit des Reizwortes und steht dem-
gemäß unter der Determination, die hier gemeinte d. h. diejenige
Bedeutung von Krebs zu entwickeln, bei der von Ursache und
Wirkung gesprochen werden kann. Die gesuchte Bedeutung ist
durch mehrfache indirekte Bestimmung schematisch antizipiert als
diejenige Bedeutung des Wortes Krebs, welche in den ge-
forderten Beziehungen stehen kann. Es gelangt daher nur
die Bedeutung zur Entwicklung, welche den in der
gegebenen Determination gestellten Anforderungen
genügt, also nach der Natur des betreffenden Oegenstandes Glied
eines zusammengesetzten Sachverhältnisses der im Zielbewußtsein
antizipierten Art sein kann, bezw. als Glied eines derartigen Sach-
verhältnisses bereits erlebt wurde. Die Entwicklung einer
bestimmten unter den verschiedenen Bedeutungen
vollzieht sich demnach durch einen Vorgang der
(partiellen) Wissensaktualisierung (S. 186). Und zwar
wird diejenige Bedeutung ins Bewußtsein gehoben, von welcher
die Vp. weiß, daß der betreffende Gegenstand in Sachverhält-
nissen der durch die Gesamtaufgabe geforderten Art steht, bezw.
seiner Natur nach stehen kann. Auch in den beiden noch übrigen
Protokollen zu dem vorliegenden Versuch wird der LOsung die
Bedeutung der Krankheit zugrunde gelegt. Die andere Bedeutung
von Krebs gelangt hier überiiaupt nicht zum Bewußtsein. Wahr-
scheinlich ist diese Pi^lzisierung der Bedeutung ebenfalls auf die
Wirkung der Zusammenfassung von Aufgabe und
Reizwort zur Gresamtau^;abe zurückzuführen, welche nur
Seil, Über die Ckaetae det geordneten DenkrerUnfB. 15
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906 Ab&dm. 3. Die Qeaamiatifgabe.
die homogene Bedeutung zur Entwicklung gelangen
läßt Hierfür spricht auch der Umstand, daß in beiden F^en
im Gegensatz zu Vp. A und G keine isolierte Auffassung des Reiz-
wortes sattfindet Die Vorteile der Komplextheorie vor der
Konstellationstheorie sind hier die gleichen wie im Falle der Vp. E.
Dm Marasmus 9^^. Ich habe es gelesen mit dem Bewußtsein des Vet-
ständnisses, das noder*" dabei betont Nochmals gelesen, da fiel mir das Auge
auf Ursache. Nochmals gelesen, innerlich gesprochen: Ja, das möchten auch
andere gerne wissen. Die Frage war für mich als Mediziner sehr reich an
Beziehungen. . . .
H'tt Ansteckmig 4,2^'. Ich las die Aufig;abe. Erinnerte mich an die In-
struktion. Es fiel mir als Ursache Ansteckung ein. . . .
Bei Vp. D geht die Zusammenfassung von Reizwort und Auf-
gabe zur Oesamtaulgabe auch aus dem Ausruf bei dem wieder-
holten Lesen der Au^;abe hervor: Ja, das möchten auch andere
gerne wissen, nämUch die Ursache des Krebses. Der durch
die Bildung der Gesamtausgabe entstandene Gedanke an die Ur-
sache des Krebses aktualisiert als einheitliches Ganzes sofort das
Wissen von den Schwierigkeiten, welche die Au&uchung dieser
Ursache der medizinischen Wissensdiaft bereitet. Nicht die Be-
deutung Krebs oder die Bedeutimg der Aulgabe Ursache fttr sich,
wohl aber die „Frage^ nach der Ursache des Krebses,
welche den Sinn derGesamtau^abe ausmacht, ist es, die in der
Vp. als Mediziner reiche Beziehimgen weckt
Ein sehr charakteristisches Beispiel ftlr das Suchen nach einer
zu der Aufgabe passenden Bedeutung des Reizwortes gibt das
folgende Protokoll des Versuches:
Seite — Teil oder Ganzes?
Bt« Zeile 7'\ Viele Schwankmigen. Zunächst, wie ich die Au%abe [i. e. S.]
sah, dachte ich, es müsse Verschreibmig vorliegen statt Saite, dachte an
Klaviersaite und dergl. Dann dachte ich, es müsse doch gefaßt sein, wie es
dastehe, und hatte zunädist einen abstrakten Begriff davon, nämlich bloß zur
Unterscheidung dienend, wie wenn man sagt, das ist die eine, das ist die
andere Seite. Dann sagte ich mir, es ist ganz unmöglich, ein Ganzes oder
einen Teil davon aufzufinden. Das kann nicht gemeint sein, ich müsse eine
konkrete Bedeutimg davon aufsuchen. Dann bot sich mir die Buchseite dar,
nun wußte ich Bescheid, ich wußte, davon kann ich einen Teil angeben, näm-
lich Zeile. Mit dieser Schilderung ist das Oszillationsbewußtsein noch nicht
gekennzeichnet Es hat auch einen visuellen Untergrund, indem die Augen
zwischen Aufgabe und Reizwort hin und her schwankten.
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2. Anpassung der Bedettiang des Revtmortes an den Sinn der Aufgabe. 227
Die Bfldmig des Bewußtseins von der Gesamtaufgabe kommt
hier zunächst sehr schön zur Greltung in dem Gedanken, es müsse
eine Verschreibung vorliegen. Der Grund dieses Gredankens ist
sichtlich in der Erkenntnis zu suchen, daß die Aufgabe Teil
oder Ganzes zu der Bedeutung ^Saite^ besser passet« Der
Versuch, von der mit der vorgefundenen Schreibweise im Wider-
spruch stehenden Auffassung des Reizwortsinnes auszugehen,
fOhrt nach dem Gesetz der Berichtigung zur Aktualisierung des
Wissens von der diesem Verhalten entgegenstehenden Regel, daß
die Reize so angefaßt werden müssen, wie sie dastehen. Hier-
durch wird nun für den folgenden Veriauf das Ausgehen von
der Bedeutung von Seite mit ei motiviert Der Versuch, die nun
durch determinierte Wissensaktualisierung zuerst auftauchende
Bedeutung von Seite der Bildung der Gresamtaui^gabe zu Grunde
zu legen, führt zur Erkenntnis der Unmöglichkeit, eine Seite in
diesem abstrakten Sinn als Glied eines SachverhKltnisses eines
Teils zum Ganzen zu denken. Analog wie bei Aeo (S. 222) führt
diese Feststellung sodann zu dem Gedanken, daß eine andere und
zwar konkretere Bedeutung gemeint sein müsse, die schließlich
durch determinierte Wissensaktualisierung aufgefunden wird. Daß
die Vertbiderungen in der Bedeutung des Reizwortes durch das
Bestreben hervorgerufen sind, eine zur Aufgabe passende Bedeu-
tung ausfindig zu machen, äußert sich auch sinnlich in sehr be-
zeichnender Weise durch ein Hin- und Hergehen des Blicks zwischen
Aulgabe und Reizwort
Einen anderen, wenn auch zum Teil verwandten Verlauf,
nimmt die Anpassung des Reizwortsinnes an die Aui^;abe in dem-
selben Versuch bei:
Gt» Dreieck 16>4''. Zunächst las ich alles hintereinander, mußte mir erst
klar machen, was Aufgabe und was Reizwort war; dann Verweilen bei der
Au%abe Teil oder Ganzes, um mir das klar zu machen. Dann begann ich
zunächst und zwar deutlich deshalb, weil es die zuerst gegebene Aufgabe war,
einen Teil zu einer Seite zu suchen. Ich dachte dabei ganz abstrakt an eine
Seite, mir schwebte dunkel so ein Sinn vor wie in dem Satz, jedes Ding hat
verschiedene Seiten. Vorher hatte ich auf das Reizwort nicht in dieser Weise,
nämlich auf die Bedeutung, geachtet, ich war zu sehr mit der Aufgabe be-
schäftigt Dann suchte ich einen Teil zu einer Seite, es schien mir aber sehr
*) Auch bei D tritt die Bedeutung Saite zuerst auf, bei E sogar nur diese
Bedeutung.
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29B AbMhn. 3. Die Qesamtaufgabi.
sdiwierig, an dem abstrakt«! Begriff eineii Teil zu finden; ich beschlofi, zu
der, wie ich giaubta, leichteren Aufgabe Ganzes tkberzug^ien. Nun zunächst
eine kleine räumliche Anschauung eines schräg aufstehenden Etwas, irgend eine
stereometrische Figur in zwei sich schneidenden Flädien. Das kam plötzlich.
Damit hatte sich die Sache verschoben, Seite bedeutete etwas anderes. Die
veränderte Bedeutung ist mir in Form des Bildes au%etaucht (das ist sicher).
Von hier aus suchte ich nach einem Ganzen. Bevor ich aber hierin weiter-
kam, drängte sich schon die Einzelfläche der geometrischen Figur auf; dabei
unterlag das Wort noch einmal einem Bedeutungswandel, insofern als nun-
mehr die Seite einer Fläche gemeint war. Dieser Bedeutungswandel voll-
zog sich niu* an der Figur (sicher!). Hierdurch wurde die Richtung auf einen
geometrischen Körper, die ursprOnglich vorhanden war, verschoben und es
folgte nun die Reaktion im letzteren Sinne als Seite einer Fläche. Da kam
die Reaktion Dreieck auf in deutlicher Erinnerung an einen früheren Versuch,
wo Dreieck vorkam.
Auch O geht zunächst von dem ganz abstrakten Begriff von
Seite aus. Da die Vp. infolgedessen mit der Aufgabe Teil nicht
zurecht kommt, versucht sie es mit der Aufgabe Oanzes. Indem
sie nun aber das Bewußtsein von der Gtosamtaui^abe bildet, daß
ein größeres Ganzes zu dem durch das Wort ^Seite*^ bez^chneten
Gegenstand zu suchen sei, springt auch eine Bedeutung von
^Seite" auf, bei der „Seite" als ein solcher Teil eines Ganzen in
Betracht kommt. „Seite" wird nun als Seite eines Körpers ge-
faßt Nach dem Gesetz der Berichtigung wird jedoch diese Auf-
fassung durch die geometrisch korrektere, Seite einer Flädie, ver-
drängt Die Eonstellationstheorie müßte hier zu der w^t kompli-
zierteren Annahme greifen, daß durch das Wort Ganzes alle Re-
produktionsgrundlagen, die mit dem Wort oder Begriff eines
Ganzen assoziiert sind, in erhebliche Erregung versetzt werden«
darunter auch die der geometrischen Bedeutung von „Seite".
Erst durch das konstellative Zusammenwirken der von der Auf-
gabe und dem Reizwort isoliert ausgehenden Reproduktionsten-
denzen würde dann die passende Bedeutung von Seite ins Be-
wußtsein gehoben. Zu der Umständlichkeit dieser Erklärungs-
weise käme die Schwierigkeit, daß nicht einzusehen ist, warum
nicht eine der Reproduktionstendenzen, die vom Reizwort und
von der Angabe für sich allein ausgehen, stärker sein soll als
die Summe der beiden gleichgerichteten Reproduktionstendenzen.
Die von der Aufgabe ausgehenden Reproduktionstendenzen würden
ja auch bei erheblicher Stärke durch reproduktive Hemmung eine
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2. Anpassung der Bedeutung des Remtortes an den Sinn der Auf gabe. 229
gewaltige Schwächung erfahren. Endlich wttre nicht verständlich,
warum zuerst eine passende Bedeutung des Reizwortes und nicht
gleich etwa die Lösung Würfel oder Dreieck auftritt, die doch
ebenfalls sowohl mit dem Begri£F eines Ganzen als mit dem Reiz-
wort Seite assoziiert ist Dem Protokoll von O verwandt ist das
von G. Auch hier führt die Bildung der Gesamtaufgabe zur
Aktualisierung der geometrischen Bedeutung von Seite, während
vorher das Bewußtsein einer bestimmten Bedeutung gänzlich
fehlte. Wie bei G tritt auch hier das bestimmte Bedeutungs-
bewußtsein in Form einer Vorstellimg auf.
Cf« 12,4'^ Ich las Seite, ich weiß nicht, wie es kam, es kam mir furcht-
bar fremd vor; ich dachte, es wird eine sonderbare Aufgabe sein,
welche sich daran knüpfen wird. Ich hatte kein Bewußtsein einer Bedeutung
des Wortes Seite. Dann mußte ich mich gewaltsam zur Aufgabe in Position
setzen, ich dachte, dazu sollst du suchen . . ., gesprochen imd kallign^hisch
gesehen. Dann lese ich „Teil oder . . .** Ich wollte schon an die Lösimg der
Aufgabe gehen, da traten mit einer geometrischen Geraden zugleich links und
rechts Grenzpunkte auf, dick markiert [als Teil] . . .
In dem folgenden Protokoll tritt die Aufeinanderbeziehüng
von Aufgabe und Reizwort wieder sehr deutlich in dem Bewußt-
sein hervor, daß die Aufgabe mit der aktualisierten Bedeutimg
des Reizwortes nicht zusammenpaßt. Diese Erkenntnis ftlhrt
dann wieder zu einem Umschlag der Bedeutung.
A»« Ganzes? — Draht — Gitter 5,4". Ich las hintereinander. Nun faßte
ich näher das Wort Draht ins Auge, dann fiel mir die Bedeutung von Draht
gleich Geld ein, das Wort Geld als Druckbild. Die Aufgabe war dabei ver-
gessen. Sah jetzt zur Aufgabe hin, da wurde mir klar, daß zu
dieser Bedeutung die Aufgabe keinen Sinn hatte. Nun Rück-
kehr zur gewöhnlichen Bedeutung, die voiiier beim Lesen in dem
allgemeinen Verständnis schon gegenwärtig war. [Nun erst treten Vorstellungen
zum Reizwort auf.]
In dem nächsten Protokoll ist die Bildung der Gesamtauf-
gabe an dem sich auf sie beziehenden Schwierigkeitsbewußtsein
und der dadurch motivierten Aufsuchung und Weiterverfolgung
der anderen Bedeutung des Reizwortes erkennbar, die eine leichtere
Lösung verspricht.
Aiti Rrisis — Ursache? — Krankheit 6,6". Ich las hintereinander. Die
Aufj^abe [d. i. Gesamtau^abel kam mir nicht gerade leicht vor. Ich dachte
Dämlich bei Krisis beim Lesen zunächst an eine wirtschaftliche Krisis. Hatte
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290 Abschn. 3. Die Gesamiaufgabe,
im Anschhiß daran Karienbild, in dem eine Stadt betont war, die der Lage
nach Hamburg war. Ich wußte, daß es mir schwer fallen wQrde,
eine Ursache einer solchen Krisis anzugeben. Ich dachte mir
dann, es gibt ja noch eine andere Krisis. Dann allgemeines Be-
deutungsverständnis, dabei gleich darauf ein Anschauungsd)üd, wohl ein mensch-
licher Oberkörper, sdu- verschwömme, in Beridiung zu jenem Bedeutungs-
inhalt Ich habe innerlich hingd^lickt Ich dadite dann, daß dieser Körper
irgendwie in einer Krisis sei, dachte an die Aufgabe, die Ursache anzugd)en
und wußte nun, daß in dem Körper etwas stecke; es war eine Tendenz vor-
handen, in den Körper hineinzusehen. Ich habe das, was da darin ist, Krank-
keit genannt und damit reagiert, ohne ganz von der Richtigkeit Oberzeugt
zu sein. ^
Ein weiteres Beispiel ftlr die Entstehung eines Bedeutungs-
wandels im Anschluß an ein die Oesamtaufgabe betreffendes
Schwierigkeitsbewußtsein gibt der Versuch:
Eilt Steuern — andere Nebenordnung? [vorher Steuern — Nebenordnung?].
Rudern 12,4". Steuern kam zunächst im alten Sinn [von Abgaben], ich hatte
von vornherein das Bewußtsein, daß ich nichts finden werde mit Beziehung
darauf, daß ich vorher schon solange gesucht hatte. Ich fing doch an, zu
suchen und sah dabei das Reizwort an; plötzlich scheint sich an dem Worte
etwas zu verändern. Es war, wie wenn ich am Bilde den Komplex anders
zusammengefaßt hätte, und damit hatte das Ding einen anderen Sinn, nämlich
den des Infinitivs Steuern. [Diese Bedeutung wird nun weiter verfolgt]
Bei der Eindeutigkeit der Aufgabe kann die Überwindung
der Schwierigkeit der Auffindung einer Nebenordnung nur durch
die Aufsuchung eines geeigneten Gresichtspunktes ftlr die Neben-
ordnung an der Bedeutung des Reizwortes erfolgen. Durch dieses
Bestreben aber kann die Bedeutimg des Reizwortes als Verbum
wachgerufen werden. Daß ein solches Durchstöbern der Be-
deutung des Reizwortes zum Zwecke der Ermöglichung der Auf-
gabelösung in der Tat stattfmdet, zeigt in besonders offenkundiger
Weise der Versuch:
Alte Überordnung? — Beerdigung. — Zug 13,6". Ich las beides hinter-
einander. Beerdigung verstand ich eigentlich als die Tätigkeit, daß jemand
in die Erde begraben wird, also als den Begräbnisakt Aber ich wußte
nicht, wie ich hierzu irgend einen Gesichtspunkt für die Ober-
ordnung finden könnte. Ich suchte etwas an der Bedeutung
herum. Dabei war betont, als allgemein daran, daß es ein Akt nach dem
Tode sei, aber es fiel mir nicht ein, daß man von hier aus eine Oberordnung
finden könne. Nebenher während der ganzen Oberiegung ein verschwommenes
Anschauungsbild eines Grabes, um das Leute herumstanden. Darauf dachte
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2. Anpassung der Bedeutung des Reizwortes an den Sinn der Aufgabe. 231
ich, irgend eine andereBedeutung von Beerdigung zu nehmen.
Ich wußte, daß ich eine finden würde, und es kam mir gleich darauf
die Bedeutung eines Trauergeleites und dann auch die Anschauung eines solchen,
nur gesehen eine Menge von Männern mit Zylindern . . .
Zum Nachweis der Anpassung des Reizwortes an den Sinn
der Aufgabe geeignet sind auch die Versuchsgruppen und Auf-
gabenhäufungen 0* So wurde mit dem Reizwort Schuld eine Ver-
suchsgruppe aus 7 Versuchen gegeben: 1. Schuld — Reim?
2. Schuld — Klangahnlichkeit? 8. Schuld — Wortergänzung?
4. Schuld — Folge? 6. Schuld — Voraussetzung? 6. Schuld —
Arten? 7. Schuld — Definition? Vp. C reagiert bei der ersten
Aufgabe infolge eines Mißverständnisses mit zwei Verszeilen und
dem Reim Huld, bei der zweiten Aufgabe wieder mit Huld, bei
der dritten Aufgabe mit Schulden, „gemeint im Sinne von Greld-
schulden^, bei der vierten Aufgabe mit Verurteilung (5,4^', siehe
das Protokoll S. 57). Auf Befragen über die Bedeutung des Wortes
Schuld in den bisherigen Versuchen gibt die Vp. an:
Bei der ersten Aufgabe habe ich Schuld zum Zwecke des Reimens
im Sinne des salonmäßigen Wortgebrauchs von Schuld, also im Sinne einer
hoflichen Redensart, verstanden wie das Wort ,, Verzeihung**! Ich hatte gleich
die Einstellung auf diese Bedeutung. Bei der dritten Aufgabe hatte das Wort
Schuld zunächst keinen bestimmten Sinn, es war nur als Teil eines größeren
Wortganzen au^efaßt, das ich zu suchen hatte. Ich kann das mit unzweifel-
hafter Gewißheit angeben. Bei der vierten Aufgabe kam gleich das kriminelle
Moment hinein, insofern als ich etwas Kriminelles suchte, was aut
ein Vergehen folgt. [Bei den folgenden Aufgaben wird Schuld im Sinne
von krimineller und moralischer Schuld genommen].
Sowohl die Auffassung von Schuld „im Sinne des salon-
mäßigen Wortgebrauchs" im ersten Versuch als der Bedeutungs-
wandel im vierten Versuch ist hier durch die Bildung der Oesamt-
aulgabe veranlaßt. Im ersten Versuch nimmt die Vp. zum „Zwecke
des Reimens" eine Bedeutimg von Schuld, wie sie in Gedichten
vorzukommen pflegt. Im vierten Versuch ist die den Bedeutungs-
wandel bedingende Bildung der Gesamtaufgabe erkennbar an der
Aufgabe und Reizwort in einem einheitlichen Zielbewußtsein um-
fassenden Richtimg des Suchens auf etwas, was auf ein Vergehen
folgt.
^) Siehe oben S. 18f.
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MI AtBthn. 3. Dk (hMomtmifgabe*
In der Verguchsgnippe 1. Ganies? — Flügel 2, Flügel —
6 Teile? (gleichartige Äufgabenhäufung!) kam bei Vp. G in beiden
Versuchen durch die Schwierigkeiten der Aufgabelösung ein Be-
deutungswandel und zwar das zweite Mal in umgekehrter Rich-
tung zustande. In beiden Fällen fand der Umsdilag zugunsten
der Bedeutung statt, welche die leichtere Lösung ermöglichte.
Ganzes? — Flügel C%% Vogel 4,8". Zunächst gedacht an den Klavier-
flügel, unklares» optisches Bild einer lang hingestreckten, ebenen, schwanen
Flache, von der Spitze aus gesehen; mehr kam nicht. Auf einmal Ein-
stellung auf die andere Bedeutung von FlOgel ohne optisches Bild, in confuso
der Begrifif, das ist etwas, was mit der Vogelwelt zu tun hat; dann kam Vogel
Flügel — 6 Teile? €«• 47,2^'. [Nachdem (tie Vp. 4 Teile gefunden hat,
entstehen große Schwierigkeiten, es gelingt ihr nicht mehr, etwas zu finden.]
Lebhaftes Unlustgeföhl, Gedanke, ah, du kannst ja schließlich das Riavier
nehmen und daran bequem sechs Teile finden.
Das Wiederauftreten der bei der Angabe Ghuizes verlassenen
Bedeutimg von Fltlgel infolge der bestehenden Lösungsschwierig-
keiten ist offenbar mit einer Beziehung dieser Bedeutung auf die
Aufgabe „6 Teile^ verbunden. Nur so erklärt sich das das Auf-
treten dieser Bedeutimg begleitende Bewußtsein, daß an dem
Klavier sich bequem 6 Teile finden ließen. Das Bewußtsein von
der bei Zugrundelegung dieser Bedeutung bestehenden (Jesamt-
aufgabe führt eben zur unmittelbaren Aktualisierung des Wissens,
eine größere Reihe von Teilen an einem Flügel unterscheiden zu
können.
Vp. E löst die erste Aufgabe „Oanzes^^ doppelt imter Zu-
grundelegung l^eider Bedeutungen von Flügel.
Flügel — 6 Teile? Et» 28^'. Ich habe die Aufgabe gelesen und ver-
standen. Zuerst Zweifel, welche Bedeutung ich zugrunde legen sollte, ich
wußte, daß ich dabei die Wahl hätte; ich entschloß mich it&r das Instrument,
weil ich dachte, das kenne ich besser als die Anatomie des Vogels. [Jetzt
erst Vorstellimg eines Klavierflügels.]
Auch hier ist das Motiv der Wahl des Instruments dasselbe
wie bei Vp. G: Durch versuchsweise Bildung der Gresamtau^abe,
zu dem Instrument 6 Teile zu suchen, wird das Wissen aktuali-
siert, daß hier bessere Kenntnisse als bei der Anatomie des Vogels
im Hinblick auf die zu lösende Aufgabe zu Gebote stehen.
In der Aufgabenhäufung »Säge — erst Teil, dann Überord-
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2. Anpassung der Bsdmhmg des Reigwortes an den Sinn der Aufgabe. 98B
mmgj dann Ganzes, dann Produkt?^ findet bei mehreren Vpn.
ein Bedeutungswandel in derselben Richtung statt.
Et« Messer, Handwerkszeug, Maschine, Sftgmehl bi^'. [Vp. hatte bei
den Lösungen der ersten beiden Aufgaben eine kleine Handsäge im Auge, wie
sie sie in einer bekannten Schreinerwerkstfttte gesehen hatte.] Dritte Au%abe:
Hierauf war es nicht leicht fCar mich, an d^iielben Säge ein (Ganzes zu finden.
Die Säge ist ja an und für sich schon ein Ganzes. Dann fiel mir ein, daß
es auch Sägemaschinen gibt, davon ist nun tatsächlich die Säge ein Teil. . . .
Das der Gesamtaufgabe entsprechende Bestreben, die Hand»
säge nun als Teil eines größeren Granzen anzusehen, führt zu
der Erkenntnis, daß diese Säge selbst ein abgeschlossenes Granzes
bilde» und damit zum Bewußtsein der Schwierigkeit einer Lösung.
Die hieraus entspringende Determination, eine Säge zu finden,
die in einem größeren Ganzen enthalten sei, bringt die Vp. dann
auf die Sägemaschine, welche dieser Anforderung genügt
Ein derartiger Vorgang läßt eine mehrfache Erklärung zu.
1) Eis kann schon die Determination, eine andere Bedeutung
von Säge zu finden, zur Aktualisierung des Wissens von der Be-
deutung „Sägemaschine'' führen imd diese kann sich dann als
brauchbar erweisen. 2) Es kann die speziellere Determination,
eine ^Säge'' zu finden, die in einem größeren Ganzen enthalten
ist, zur Aktualisierung des Wissens von einer solchen Säge führen.
3) Das zum Zielbewußtsein der spezielleren Determination (Ziff. 2)
gehörige Sachverhaltsbewußtsein ist das Bewußtsein von dem
zusammengesetzten Sachverhältnis, daß der gesuchte Gegenstand,
welcher als ^Säge'' bezeichnet werden kann (indirekte Be-
stimmung!) Teil eines größeren Ganzen ist. Dieses zusammen-
gesetzte Sachverhältnis enthält das einfache Sachverhältnis, daß
ein direkt nicht näher bestimmter Gegenstand Teil eines größeren
Ganzen ist. Das Bewußtsein von diesem Sachverhältnis ist nach
den früheren theoretischen Erörterungen ein modifiziertes Bewußt-
sein von einer anschaulichen Gegenstandsordnung, in welcher ein
Gegenstand einen Teil eines größeren Ganzen bildet. (2. Abschnitt C.)
Es kann daher im Wege der determinierten partiellen oder voll-
ständigen Eomplexerg^Uizung die Reproduktion von entsprechenden
Anschauungsganzen herbeiführen. Dieses Sachverhaltsbewußtsein
bildet aber nur einen Teil des einheitlichen Bewußtseins von dem
zusammengesetzten Sachveriiältnis, nach dem der gesuchte Teil
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234 Atmhn. 3. Die GuanUtmfgabe.
des größeren Oanzen eine „Sttge^ sein muß. Es werden daher
nur die Reproduktionsgrundlagen von solchen dem abstrakten
Sachverhaltsbewußtsein entsprechenden Anschauungsganzen in
reproduktive Erregung versetzt werden, welche mit dem Wort
„I^Lge^ in Bedeutungszusammenhang stehen. Auf diese Weise
kann eine passende Bedeutung von I^Lge ins Bewußtsein gehoben
werden, ohne daß im Gegensatz zum Falle der Ziffer 2 bereits
früher ein Bewußtsein von dem SachverhKltnis, daß diese Säge
einen Teil eines größeren Granzen bildet, bestanden zu haben
braucht *).
Einen analogen Prozeß wie bei E dürfen wir auch bei Vp. G
annehmen. Das scheinbar assoziative Auftreten des Bildes der
Bandsäge und später des Sägwerks brauchen wir in Anbetracht
der uns bekannten ähnlichen Fälle eines nur scheinbar assozia^
tiven Ablaufs nicht als Oegeninstanz zu betrachten:
Gti Metallblatt, Handwerkszeug, Sägewerk, Bretter 41,4''. [Vp. denkt bei
der Lösung der ersten beiden Aufgaben an eine Handsäge.] 8. Au^abe: Ich
hatte wieder ein räumlich konfuses Bild von etwas Grofion, vielleicht eine
große Aii)eitswerkstätte. Dieses Etwas verdichtete sich aber nicht und ver-
sdiwand. Ganz unvermittelt stieg darnach ein optisches Bild einer Bandsäge
auf, die ich in L. gesehen hatte. Im Anschluß daran der Gedanke, diese
Maschinensäge könne man als Ganzes nehmen, wobei dann das Metallblatt
diesmal als Säge zu betrachten wäre. Es störte mich aber die Inkonsequenz,
daß ich dabei das Band, das ich vorher als Teil der Säge genommen hatte,
nun als die Säge selbst nehmen mußte. Ich ließ diese Mög^chkeit daher fallen.
Dann kam, wieder unvermittelt, das konfuse Bild des Sägewerks in G. auf,
mit dem Bewußtsein, hier das gesuchte Ganze zu haben. Idi entschloß mich,
das zu nehmen, aber hatte dabei das imbefriedigende Bewußtsein, daß die
Säge, die hier in Betracht kommt, eine andere Säge ist, als die bei der Auf-
gabe Teil verwendete. [Im selben Sinne wird Säge bei der letzten Aufgabe ge-
nommen.]
F«t Ja 1' 37,8". [Vp. löst die erste Aufgabe mit „Künge", an der Vor-
stellung einer Handsäge vorgefunden, die Aufgabe Oberordnung mit Holz-
schneidewerkzeug, wobei sowohl die Anordnung für das Holzsägen mit der
Handsäge als die großen Sägewerke in Seh. vorgestellt werden.] Die Aufgabe
Ganzes verursachte wieder Schwierigkeiten, ich konnte nämUch nicht den
Rahmen inkl. Klinge als Ganzes nehmen, wobei dann die Säge als identisch
mit der Klinge zu nehmen gewesen wäre; denn das wäre iiüconsequent ge-
*) Näheres Ober derartige Reproduktionen von Anschauungsganzen auf
Grund des im Zielbewußtsein enthsütenen schematischen Sachverhaltsbewußt-
seins wird erst der zweite Teil dieser Untersuchungen bringen.
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2, Anpassung der Beäeatung des Reirwortes an den Sinn der Aufgabe. 235
gegen meine vorherige Aufifassung, welche die Klinge als Teil der Sftge
nahm. Deswegen habe ich das abgelehnt Ich bin dann zu einem Säge-
werk übergegangen, um da das Ganze zu finden. Es entstand
wieder die Vorstellung von voiiier und ich fand nun sehr leicht das Wort
SAgewerk . . . [Die VpT kehrt jedoch dann bei der Lösung dieser und der
folgenden Aufgabe zur Handsäge zurück, um keine Inkonsequenz zu begehen.)
Auf Befragen über die Zuveriässi^dt dieses Protokolls: Es fiel mir nicht
schwer, die Erinnerung bis zum Abschlüsse des Protokolls festzuhalten, der
ganze Vorgang stand als ein einheitliches Ganzes vor mir.
Die Schwierigkeit, daß die Handsäge ein in sich abgeschlossenes
Ganzes bildet, führt hier nicht wie bei E und C sofort zum Ver-
lassen dieser Bedeutung, bezw. dieses Spezialfalles einer Säge,
sondern zu dem Bewußtsein, daß man dieses Oanze als Lösung
nehmen könne, wenn man den Begri£F Säge auf die eigentliche
l^lge, die EQinge, besclu^Lnke. Dieser Bedeutungsverschiebimg in
der Richtung der Aufgabe folgt dann eine zweite, welche der von
E und G analog ist. Die schon bei G aufgetretene Tendenz
zur Eonsequenz in der Auffassung des Reizwortes bei allen Auf-
gaben ist ein gutes Beispiel für eine in der Instruktion nicht ver-
langte selbstverständliche Interpretation einer Aufgabe auf Grund
der allgemeinen Praxis des Lebens. Diese verlangt der Einheit-
lichkeit der Bezeichnung ftlr den Gegenstand mehrerer Auf-
gaben entsprechend auch eine einheitliche Auffassung dieses Gegen-
standes ^).
Dil Zahn, Wasserweric, Sagemühle, Brett 27,6". Der Reihe nach vor-
genonmien. Das erste war sehr leicht Kleines Bildchen, bloß das Sftgeblatt
einer Handsftge und da einen Teil genommoi. Ich ging darauf und meinte es
auch, gleich benannt; dann wieder Bedeutungswandel Ich machte mir,
um das lösen zu können, eine andere Bedeutungzurecht, es war
mir sofort klar, daß ich diese andere Bedeutimg nehmen müsse, ohne vorher-
gdienden Lösungsversuch; dann nochmals Säge ausgesprochen und als die
Sage gleich Sftgewerk genommen. Dazu das Übergeordnete: Wasserwerk. Ich
meinte die Gesamtheit der Wasserwerke, Mühle usw. An die Möglichkeit der
Lösung Werkzeug [zur Handsäge] hatte ich nicht gedacht. Ob beim ersten
Durchlesen etwa schon die späteren Aufgaben die Auffassung beeinflußt haben,
kann ich nicht sagen. Ich bin dann zu der nächsten Aufgabe übergegangen.
Säge bekam wieder eine andere Bedeutung als die Säge im Sägewerk, nun
wurde das Haus als Ganzes benannt Optisch dabei verfahren. Bei der letzten
Aufgabe fragte ich mich einfach, was geht aus dem Sägewerk hervor.
*) VgL Bovet, La consdence de devoir dans Tintrospection provoqu^e,
Archives de Psychol. t DL 1910. S. 866, 327 ff. Michotte et Prüm, Sur le choix
volontaire etc., S. 281 f. Note compl^mentaire par Michotte, S. 801 ff.
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AäsduL 3. Die Qesamtaufgabe,
Der Bedeutungswandel bei der zweiten Aulgabe ist offenbar
durch die Meinung der Vp. bestimmt^ daß sich die Bedeutung
Sägewerk besser zur Einordnung in den Umfang eines umfassen-
deren Begriffs eigne. Die Bedeutungsverschiebung bei der dritten
Auj^;abe bildet ein vollständiges Analogon zu dem Bedeutungs-
wandel, den F bei derselben Aufgabe Granzes vollzog. Eine Be-
stätigung imserer Interpretation des Bedeutungswandels bei der
Aufgabe Uberordnung gibt das folgende lehrreiche Protokoll der-
selben Vp. bei einer anderen Aufgabenhäufung, die unmittelbar
vorherging:
Dt« Btthne — erst Ganzes, dann Überordnung, dann Teil? [8,4" bis zur
Lösung Theater, die die Vp. instruktionswidrig laut aussprach]. Ich habe das
Ding gesehen, heruntergelesen, ohne in die Lösung einzutreten. Das erste
drängte mich ohne weiteres zu einer Vorstellung hin. Das ist immer so; w&m
ich sehe „ Ganzes**, denke ich mir etwas räumlich Ganzes als das Nächstlieg^ide.
Kleines Bild der Bühne, wie man es vom Zuschauerraum aus hat und die
AuAnerksamkeit erweitert auf das, was darum herum ist Es war wohl auch
eine optische Vermehrung dabei. Ich habe das dann benannt, nämlich das
Gebäude, in dem die Bfihne darin ist, als Theater. Das habe ich dann aiis-
gesprochen. Dann habe ich die zweite Aufgabe in Angriff genomm^ ich
wußte, das soll jetzt begrifflich genommen werden. Frage,
wie mache ich das. Nochmals Bühne ausgesprochen und mir
den Sinn von Bühne zu verwandeln gesucht [nämlich so, daß sich
Bühne in einen größeren Begrififsumfang einordnen läßt]. Ich kam auf etwas
Symbolisches, wie wenn man sagt, die Bühne hat den und den Einfluß gehabt
Das Übergeordnete war ;lann Kunst [Der Übergang zur folgenden Aufgabe
itlhrt ein sofortiges Zurückgreifen auf die hier wieder geeignetere erste Be-
deutung von Bühne, und die zu ihr gehörige Vorstellung herbeL] Dann kam
Teil, das war ganz leicht, ich hatte an eine Beziehung ztur ersten Angabe
gedacht, ich wußte, ich brauche das Gesehene nur zu verengem, nahm mir
etwas mehr heraus, das sollte ein Teil sein, nämlich Kulisse. [Von der bei
den Aufgaben Teil und Ganzes angewendeten Lösungsmethoden der räumlichen
Ausbreitung bezw. Zusammenziehung wird später noch zu reden sein. Auch
diese Lösungsmethoden werden erst verständlich, wenn man die Lösung von
dem Bewußtsein der Gesamtaufgabe ihren Ausgang nehmen läßt]
In derselben Weise wie bei D vollzieht sich der Bedeutungs-
wandel bei der zweiten Aufgabe und die Rückkehr zur ursprüng-
lichen Bedeutung auch bei G. Nur kommt dies hier der Vp. selbst
nicht zu klarem Bewußtsein.
Ct« Theater, KulturbUdungsmittel, Vorhang 27,6'^ Zuerst das E^dmis,
das ist aber viel, mit Überraschung verknüpft Dann las ich Btlhne, hierauf
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3. Anpassung des Sinnes der Aufgabe an die Bedeutung des Reizwortes, 287
erst nGanses**. Ich stutzte hier und hatte in mir fest den Gedanken an Theater,
undeutlich verschwonunen das Bild eines großen, viereckigen, hochaufragenden
Gebäudes, das ein Theater darstellen sollte . . . Dann ging ich zum Suchen
des Übergeordneten Ober. Im Anschluß an das Sudien hatte ich das Erlebnis
eines großen, weiten, umfossenden räumlichen Etwas, das vieles unter sich be-
h£L Hinter diesem Eriebnis stieg der Gedanke auf, daß die Bühne in einem
grOßerai Genamtbereich, der für meine Nation von Bedeutung ist, eine RoUe
i^ielt [Das führte im Zusammenhang mit persönlichen Erinnerungen weiter
zur Lösung Kulturbildungsmittel]. Dann ging ich zur dritten Aufgabe Ober.
In konfusen, nicht scharfen Umrissen, aber festbleibend während des ganzen
Folgenden war da: das Bild einer viereckigen ö&ung [nämlich der BOhnen-
Offhung] zug^ch mit dem Bewußtsein des von da aus tief Hineingehens. Dann
kam eine Richtung des Sdiens nach oben, und zwar nach etwas, was mit dem
technischen Apparat der BOhne zu tun hatte. Intendiert war, wie ich sicher
weiß, der SchnOrboden, ich konnte aber den Namen nicht finden, lebhaftes
Unbehagen und Ärger. Da es nicht ging, ging ich bewußt von dieser Tendenz
ab und ging wieder ziuück. Hierauf sah ich den Rahmen der Bohne wieder
vor mir. Ich dachte dann bei mir, ohne den Vorhang zu sehen, Vorhang,
und nannte das dann mit dem Nebenerlebnis, daß mir das andere lidi)er ge-
wesen wäre.
Bei der Ltfsung der Aufgabe Teil zeigt sich das ganze Ver-
halten der Vp. sichtlich von der Gesamtaulgabe beherrscht. Es
findet nicht ein Herumsuchen nach Teilen statt, sondern es ak-
tualisiert sich sofort im Anschluß an den Übergang zu der Auf-
gabe Teil das Wissen, in welcher Richtung bei einer Bühne
Teile gefunden werden können. Von diesem Wissen ist dann der
weitere Vorgang beherrscht.
§ 3. Die Anpassung des Sinnes der Aufgabe an die
Bedeutung des Reizwortes.
Infolge der Eindeutigkeit der in unseren Versuchen für die
Au^gabestellung im allgemeinen verwendeten Beziehungen war
bei richtiger Auffassung der Aufgabe zu einer Modifizierung des
Au^;abesinnes durch die Bildung der Gesamtaufgabe wenig Ge-
legenheit. Zu den seltenen Fällen, in denen die Angabe, ftlr
sich allein betrachtet, eine verschiedene Auffassung zuließ, ge-
hörten die Versuche Schuld — Folge? und Schuld — Voraus-
setzung? Das Wort Folge kann eine logische, aber auch eine
sachliche imd zwar sowohl eine zeitUche, als eine kausale Folge
bedeuten. Ebenso gibt das Wort Voraussetzung für sich allein
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286 Abwdm. 3. DU Qemmtaufgahe.
keinen eindeutigen Sinn. Bei beiden Au^;aben sehen wir daher
in mehreren F^en, daß das Reizwort erst durch die Bildung der
Gresamtaulgabe einen pi^Lzisen Sinn erhält.
Die hierher gehörigen, äußerst charakteristischen Protokolle
von Btft und O4 zur Angabe Schuld — Folge sind schon auf
S. 66 mitgeteilt, und zum Teil besprochen worden. Analog den
Fällen, in denen die Auffossung des Reizwortsinnes Schwierig-
keiten bereitete, zeigen beide Protokolle, wie bis zur Bildung
der Gesamtaui^gabe die nicht dieser Bildung dienenden Reproduk-
tionen gehemmt sind. Sobald dagegen die Vereinigung von Auf-
gabe und Reizwort zu einer sinnvollen Gesamtaui^;abe geglückt
ist, setzt ein Prozeß der Wissensaktualisierung ein. Die Bildung
der Gresamtaufgabe ist eben die notwendige Voraussetzung einer
sinngemäßen Reaktion. Solange sie nicht erfolgt ist, können die
auf die Litfsung gerichteten determiniert^i Prozesse nicht ein-
geleitet werden. Bei Vp. B führt die Aufeinanderbeziehung von
Aufgabe und Reizwort sofort zu der negativen Feststellung, „daß
diese Folge nicht logisch gemeint sei, sondern sachlich und zeit-
lich.^ Vp. 6. hat zunächst Schwieri^eit, den Sinn des Wortes
Folge zu erfassen. Die Oberwindung dieser Schwierigst erfolgt
laut Protokoll durch Rückkehr zum ersten Worte Schuld und
„durch nochmalige Verbindung der beiden Worte". Wir
haben hier also einen unzweideutigen Bericht über die Bildung
der Gesamtausgabe. Dem entspricht auch das Ergebnis der noch-
maligen Verbindung „das Erfassen des Sinnes der Au^^abe, daß
wahrscheinlich eine sachliche Folge der Schuld gemeint
sei." Es kommt also ein unzweifelhaftes Gesamtau^^abebewußt-
sein zustande, dem dann auch wieder das die Einleitung der
Lösung durch Wissensaktualisierung begleitende dnheitliche Ziel-
bewußtsein entspricht: „Dachte darüber nach, was für Folgen
die Schuld haben könnte". Der ganze Prozeß vom Auf-
gabeverständnis bis zur Lösung läßt sich in diesem Protokoll mit
besonderer Klarheit verfolgen.
Auch bei Vp. A findet bei der Bildung der Gesamtaulgabe
eine nähere Pi^isierung des Sinnes der Aufgabe statt:
Ass Hypothek aufnehmen. [Die Vp. faßte Schuld entsprechend der Lösung
der beiden vorangegangenen Aufgaben der Versuchsgruppe als Geldschuld.]
12,6''. Ich las beide Worte hintereinander, die Aufgabe war mir neu. Ich er-
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3. Anpassung des Sinnes der Aufgabe an die Bedeutung des Reizwortes, 299
klärte mir die Au%abe dahin, daß ich etwas suchen sollte, was auf
eine Schuld folgt und zwar zeitlich und kausal Nun fing ich an
zu suchen. Beim Suchen trat das kausale Momait mehr hervor . . .
In dem Versuch ^Schuld — Voraussetzung?^ fand bei 6 von
den 8 Vpn. eine Interpretation der Aufgabe mit Rücksicht auf
das Reizwort statt Von den Protokollen wurden vier schon mit-
geteilt Bei Gft (S. 214) äußert sich die Interpretation in der
Frage: ^Was heißt Voraussetzung der Schuld?^, die nach einer
kurzen Periode der Überlegung eine nicht näher analysierbare
Klärung herbeiführt. Ftt (S. 213) interpretiert die Gesamtaufgabe
durch die Frage: Unter welcher Bedingung tritt eine Schuld
ein? At4 (S. 210) macht sich die Aufgabe dahin klar, es sei etwas
zu suchen, was eine Veranlassung dazu ist, daß eine Schuld
entsteht. Eio (S. 214) gibt an, er habe die Aufgabe sofort ver-
standen und es sei so gewesen, als ob er eine Frage gestellt
hätte: Was muß einer getan haben, damit er eine Schuld auf sich
lädt? Bei B und 6 findet zuerst eine ungeeignete Interpretation
statt, die dann durch eine dem Reizwort angemessenere ersetzt
wird:
Bt« Willen^ntschhiß 4^'. Hier war ich beim Wort Voraussetzung wiederum
sofort eingestellt auf den sachlich-zeitlichen Sinn im Gegensatz
zum logischen [vgl. Bt» S. 66]. Ein Moment war gegenwärtig: Haft als
Folge und das Suchen wurde dadurch bestimmt, daß idi etwas Analoges für
die Voraussetzung haben wollte. Aber davon wurde ich wieder abgelenkt
und zwar mit dem Gedanken, hier muß psychische Kausalität
angenommen werden; es war mir klar, daß das etwas anderes sei als
die Bezi^ung ztu* Haft, und dann kam mir auch sofort Willensentschluß . . .
Di« Wille 5,2". Ich habe es gelesen und Voraussetzung zunächst im
logischen Sinn au%efaßt; es war nicht klar, sondern nur gesudit, ob es
in dieser Richtung zu finden wäre. Es war Voraussetzung einer Gel-
tung intendiert. Dann bekam ich eine andere Richtung, mehr auf das
Reale; ich hatte vorher das Bewußtsein, daß ich eine andere Richtung
brauche, und daß es mir überhaupt nicht klar wäre, wie die
erste Richtung anzuwenden wäre. Dann kam „Bewußtsein** auf als
erste Möglichkeit, wurde jedoch ohne ausgeftkhrte Begründung abgelehnt, wohl
aber mit dem Wissen, daß ich die Ablehnung begründen könnte. (Es kann
jemand ein ganz klares Bewußtsein von der Tat haben und doch nicht schuldig
sein.) Dann habe ich als zu etwas Besserem zu „Wille** gegriffen . . .
Die meisten in unseren Versuchen vorgekommenen Fälle einer
Anpassung der Aufgabe an das Reizwort bestehen in einer un-
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MO Ab§dm. 3. Dk Omamtott/gabe.
richtigen Deutung des Aufgabesinnes unter demBin-
fluB der Bildung der Gesamtaufgabe. Zum Teil führten
diese Umdeutimgen auch zu Fehlreaktionen, in denen wir
dann einen objektiven Beleg fttr die Beeinflussung des Auf-
gabesinnes durch die Bildung der Gesamtau^abe besiteen.
Beispiele:
Pfarrer — Nebenordnung?
Est Lehrer 10|8'' . . . Dann suchte ich eins Nebenordnung und kam zu-
erst auf Küster . . . Dann kam dßr Gedanke, daß der KQster doch
dem Pfarrer untergeordnet sei und deshalb nicht als nebengeordnet
angesehen werden könne. Ich dachte, ich müsse einen ndunen, der sozial
hoher gestellt ist wie der Küster . . . Dann kam ich auf Lehrer, dabei das
Bewußtsein, daß Pfarrer und Lehrer auf verschiedenen Gebieten
gemeinsame Aufgaben erfüllen. Dann wieder der Gedanke, der
Pfarrer ist sozial höher gestellt wie der Lehrer. Jetzt fiel mir
aber zum erstenmal die Verschiedenheit von begrififlicher und sozialer Neben-
bezw. Unterordnung auf; und da sagte ich dann Lehrer.
Die Beeinflussung des Sinnes der au|gabemä^gen Beziehung
macht sich hier in Form einer wiederholten Berichtigung der ge-
fundenen Losung geltend« Die Vp. hat zunächst die der Au^;abe
durchaus entsprechende Lösung Küster gefunden. Indem sie aber
nun den Sinn der in dieser Lösung liegenden Feststellung ausdenkt,
daß der Küster dem Pfarrer nebengeordnet sei, wird ein scheinbar
mit einer solchen Lösung im Widerspruch stehendes Wissen von
dem zwischen Pfarrer und Küster bestehenden Sachverhältnis
aktualisiert Es kommt der Vp. zum Bewußtsein, daß man den
Küster doch als unter dem Pfarrer stehend aufzufassen habe.
Indem also die Vp., der Gesamtaufgabe entsprechend, den Gegen«
stand des Reaktionswortes in dem Sachveriittltnis der Nebenord-
nung zu Pfarrer stehend denkt, verschiebt sich der Sinn von
„Nebenordnimg" in der Richtung, in der bei solchen Personen
gewöhnlich Sachverhältnisse der Gleich-, Über- oder Unterordnung
in Frage stehen. Die Beziehung der Nebenordnung gewinnt einen
hierarchischen Sinn. Hierdurch kann nun nach dem Gesetz
der Berichtigung ein anderweitiges Wissen von dem zwischen
Pfarrer und Küster in der betreffenden Hinsicht bestehenden Sach-
verhältnis aktualisiert werden und zu einer fälschlichen Berich-
tigung der Lösung, zum Suchen nach einer sozial höher gestellten
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3. Anpassung des Sinms der Aufgabe an die Bedeutung des Reizwortes. d41
Person fUhreiL Wtthrend in diesem ersten Berichtigungsfall das
Ausdenken des Verhältnisses zwischen Reizwort- und Reaktions-
wortgegenstand nicht unmittelbar zur. Beobachtung gelangt, gibt
hn zweiten Berichtigungsfall die Vp. ausdrücklich an, daß mit
dem Aufkommen der Reaktion das Bewußtsein verknüpft war,
daß Pfarrer und Lehrer auf verschiedenen Gebieten gemeinsame
Aufgaben erfüllen (also als Ti^er dieser nicht näher bestimmten
Aufgaben unter den Oberbegriff der in bestimmter Richtung tätigen
Berufe fallen). Die Auffassung der Nebenordnung zum Pfarrer
als Gleichstellung dem Range nach wirkt aber noch nach, bestand
doch die ausdrttckUche Determination, nach einer sozial gleich-
stehenden Person zu suchen. Hierdurch entsteht wieder das Be-
wußtsein^ daß der Pfarrer höher stehe als der Lehrer. Es besteht
demnach einerseits die Tendenz, mit Lehrer zu reagieren, wegen
der (Gemeinsamkeit der von Pfarrer und Lehrer zu erfüllenden
Aufgaben, andererseits die Tendenz, diese Lösung zu verwerfen
wegen der sozial höheren Stellung des Pfarrers. Beide Sach-
verhältnisse, das der Gleichordnung von Pfarrer und Lehrer in
der einen Hinsicht, das ihrer Ungleichheit in der anderen Hinsicht,
sind also gleichzeitig bezw. unmittelbar hintereinander aktuell
gegenwärtig, wodurch dann schließlich die Abstraktion der Ver-
schiedenheit der beiden Betrachtungsweisen der begrifflichen und
sozialen Neben- bezw. Unterordnung und damit die Auflösimg
des Widerstreits herbeigeführt wird. Wie schon früher (S. 37 f.)
ausgeführt wurde, sind Berichtigungsprozesse, wie sie hier vor-
liegen, nur vom Standpunkt einer Komplextheorie aus befriedigend
zu erklären. Nur weil Reizwort- und Reaktionswortgegenstand, der
Gesamtaufgabe entsprechend, mit der aufgabegemäßen Beziehimg
zum Bewußtsein von einem einheitlichen zwischen Pfarrer und
Küster bestehenden Sachveriiältnis verknüpft werden, können sie
nach dem Gesetz der Berichtigung die Aktualisierung eines schein-
b€tr entgegengesetzten Wissens von dem betreffenden Sachverhältnis
herbeiführen. Ebenso beruht der weitere Verlauf darauf, daß das
Bewußtsein von dem Sachverhältnis einer Nebenordnung zwischen
Pfarrer und Lehrer das Bewußtsein von dem scheinbar entgegen-
stehenden Sachverhältnis ihrer sozialen Ungleichheit hervorruft, imd
daß hierdurch ein scheiDbarer Widerstreit zwischen den beiden
einheitlich^! Sachverhältnissen entsteht, der durch Abstraktion
8 eis, Üb«r die Oeaetse de« geordnetea DenkTerUaCs. 16
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aia Ab$duL 3, Die Qe$amtoufgabe.
der Verschiedenheit der in beiden Sachverhtfltnissen enthaltenen
Art^i der Beziehung beseitigt wird.
Ein Oegenstttck zum zweiten Teil des Verlaufs bei E bietet
das Protokoll von G.
G4t Vikar 16,4". Ich las Pfarrer, dann Nebenordnung. Dann beherrschte
mich das Erld)nis des Peiplexseins, das Bewußtsein, es handle sich um dne
sdiwierige Aullg^abe . . . [Die erste Lösung war wieder Küster, sie wurde als
unbefriedigend verworfen.] Nun aber kam etwas, was mir mehr als Lösung
erschien. Es war, als stdge ein allgemeiner Begriff in mir auf^ unter
den Pfarrer und das Gesuchte als logische Teile gehen könnten.
Ich wußte nun, daß mich das zur Lösimg brächte. Das Allgemeine wurde
nicht nfther prftzisiert, aber mir war es, als wüßte ich es genau und suchte
nun nur mehr das Nebengeordnete. Dann kam mir Vikar, innerlich gesprochen.
Es griff dann folgendes ineinander: Ich erkannte, Vikar ist doch eigent-
lich unter dem Pfarrer; dadurch wurde ich gewissermaßen ge-
zwungen, das vorher gehabte Allgemeine mir zu verdeutlichen
in dem Sinne, daß ich mir sagte, hierum handelt es sich nicht, sondern ich
fasse Vikar und Pfarrer als nebengeordnet unter dem Allgemeinen. Das
Allgemeine wurde noch immer nicht genauer präzisiert, gemeint war aber
etwas wie geistlicher Beruf, worunter Pfarrer und Vikar fallen.
Daß der Lösung Vikar die Bildung der Oesamtau%abe voraus-
geht, ergibt sich aus der diese Lösung vorbereitenden, der Gre-
samtau|g^d)e entsprechenden Wissensaktualisierung. Es entsteht
das Bewußtsein von dem einheitlichen Sachverhältnis, daß es etwas
geben müsse, was nxit Pfarrer unter denselben bestimmten
Allgemeinbegriff (nämlich geistlicher Beruf) fällt, und die
Vp. sucht nun nach einem zweiten Glied dieses Sachverhältnisses
der Nebenordnung. Indem aber Pfarrer und Vikar einander als
nebengeordnet gegenübergestellt werden, verschiebt sich die Be-
deutung der Ordnimg wieder in der Richtung des gewohnten
hierarchischen Sinnes und führt eine Tendenz zur Berichtigung
des zwischen beiden bestehenden Verhältnisses herbei. Der Wider-
streit beider Auffassungen motiviert sodann, wie bei C unmittel-
bar aus dem Protokoll selbst hervorgeht, die Klärung, daß es sich
bei der festgestellten Nebenordnung von Pfarrer und Vikar um
ein Begriffsverhältnis handelt, sodaß der scheinbare Widerspruch
zur Auflösung gelangt
Die Erfahrungen mit der soeben besprochenen Gesamtausgabe
gaben die Veranlassung zur Einreihung ähnlicher Gresamtau^aben,
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3. Anpassung des Sinnes der Aufgabe an die Bedeutung des Reizwortes. 248
bei denen die Verwechslung des begrifflichen Sinnes von Über-
ordnung mit dem einer Rangordnung besonders nahe gelegt war.
Ets Professor — Überordnung? — Kuhusnunister SJBf^* Zuerst kam
ordentlicher Professor und zwar das Wort, dabei eine besonders hochstehende
Gattung von Professor im Kopf, gemeint, daß sie Aber den anderen stehe.
Dann hatte ich das Bewußtsein, daß ich noch höher gehen mOsse. [Ordent-
licher Professor ist ja selbst Professor.] Dann kam Kultusminister.
£•6 Professor -— andere Überordnung? — Rector magnificus 8,2". Ich
dachte an Kaiser; dann Regierungspräsident Dann kam ich auch auf einmal
ins Rektorzimmer, ich weiß, da ist dann im Rektorzimmer der höchste Mann
an der Universität
£•• Kaiser — Überordnung? — Herrscher 10,2". Das erste, was kam,
war Papst [wie das weitere Protokoll zeigt als Nebengeordnetes, zu dem das
gemeinsame Übergeordnete zu suchen gewesen wäre]. Dann merkte ich, das
ist wieder so eine Aufgabe, wo man hereinfallen kann. ...
Ähnlich D bei dem ersten und dritten der drei obigen Ver-
suche:
Diti Beamter 6,8^^ Zunächst eine merkwürdige Auslegung, nämlich
Überordnung im hierarchischen Sinne, als ob dazu ein Vorgesetzter
gesucht würde. Das Erlebnis ist nicht näher zu analysieren. Dann habe
ich das ins Begriffliche gewandt und Beamter gesagt
DiM Herrscher A^\ Zunächst wieder so ein Erlebnis des Paradoxen,
des Unmöglichen, wie wenn ich sagen wollte, ja, das hat nichts
über sich. Bin aber nicht etwa dadurch versucht, mich ablehnend zu ver-
halten, sondern es ging ganz von selbst, daß das verschwand und das Richtige
kam; aber einen Moment war es doch ernst Darauf mich anders eingestellt,
andere Richtung, ich kann nicht sagen, daß ich aktiv gesucht habe, die Richtungs-
änderung war aber aktiv. Dann kam Herrscher.
Get [dritter Versuch] Herrscher 8,6". Nach dem Lesen der Aufgabe:
Frage, was ist denn einem Kaiser noch übergeordnet, die je-
doch sofort fallen gelassen wurde, da ja eine begriffliche, nicht faktische Über-
ordnung veriangt wurde. Dieser Gedanke war nicht formuliert, aber die Sache
war mir vollständig klar. Dann drängte sich das Wort Regent auf. [Wird
schließlich nach einigen Überlegungen verbessert in Herrscher.]
Der Annahme einer bloßen konstellativen Vei^Lnderung des
Aui^gabesinnes durch das spezielle Reizwort stehen außer den
schon oft berührten allgemeinen Gesichtspunkten besonders die
Angaben der drei letzten Protokolle entgegen. Bei Dioi finden
wir ein der Bildimg der Gesamtau^abe entsprechendes Zielbevnißt-
sein: Suchen nach einem Vorgesetzten zu Professor. Vor allem
aber läßt sich das Erlebnis des Paradoxen bei Dio4 nur aus einer
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9U AbaOm. 3, Die Qesamtaufgabe.
Auf ei]iandeii)eziehuiig von Aulgabe und Reizwort durch die Bfldung
der Oesamtaufgabe verständlich machen. Indem die Vp. Aufgabe
und Reizwort zu einer Ge6amtau^;abe vereinigt, entsteht wieder
die Bedeutungsverschiebung im Sinne der Rangordnung und da-
mit das Bewußtsein des scheinbaren Widerstreits mit den tatsäch-
lich bestehenden Verhältnissen, da die Person des Kaisers als die
des Trägers des höchsten Ranges keine Überordnimgen zuzulassen
scheint In ähnlicher Weise ist bei G das Zustandekommen der
Frage zu denken, was denn einem Kaiser noch übergeordnet sei.
Bemerkt sei noch, daß der Erfolg solcher Versuche
lehrt, daß es möglich ist, Bedeutungsverschiebungen
willkürlich herbeizuführen und den Mechanismus
dieser Irrtumsquelle der experimentellen Untersu-
chung zugänglich zu machen. Damit ist ein Weg für die
systematische psychologische Untersuchung der Entstehung logischer
Irrtümer und der Gesetzmäßigkeiten bei ihrer Berichtigung gezeigt ^).
Sehr schöne Beispiele für die Anpassung des Sinnes der Auf-
gabe an die Bedeutung des Reizwortes geben die Verwechslungen
der Aufgabe „Überordnung", der Aufgabe, das begriflElich Um-
fassendere zu suchen, mit der verwandten Aufgabe „Ganzes*', der
Aufgabe, das räumlich oder zeitlich Umfassendere zu sudien.
Solche Verwechslungen traten nämUch nur dann ein, wenn sie
durch das Reizwort nahegelegt waren, das sich in den betreffenden
Fällen leichter einem zeitlich oder räumlich als einem begrifflich
Umfassenderen einordnen ließ.
Stunde — Oberordnung?
Gii Tag 6,6". [Im vorausgehenden Versuch war die Aufgabe Oberordnung
richtig gelöst worden. Dasselbe gilt auch bei den Protokollen der später an-
gefahrten Vpn.] Auch diesmal mindestens zweimal es gelesen, um mir die
Aufgabe klar zu machen. Darauf Verweilen beim Reizwort, um mir die Be-
deutung des Reizwortes klar zu machen, und von da sich klar zu machen,
in welchen Zusammenhang das Wort gehört. Bewußtsein, daß
die Stunde einen Abschnitt einer Zeit bedeute, von hier aus er-
gab sich Tag als der größere Zeitzusammenhang. Während des Protokolls
merkte ich, daß ich die Aufgabe falsch gelöst hatte.
Die Bildimg der Gesamtaufgabe tritt in diesem Protokoll deut-
lich in Erscheinung. Trotz dem Vorhergehen des Reizwortes sucht
^ Vgl. unten S. 272f.
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3, Anpassung des Sinnes der Aufgabe an die Bedeutung des Reizwortes, SM
die Vp. sich zuerst die Angabe klar zu machen. Erst nachdem
80 der Gesichtspunkt für die Auffassung des Reizwortes gegeben
ist, wendet sie sich seiner Bedeutung näher zu. In dem nun ent-
stehenden der Gesamtaulgabe entsprechenden einheitlichen Ziel-
bewußtsein, zu suchen, in welchen Zusammenhang Stunde
gehtfrt, scheint die Bedeutung schon zugunsten der Aufgabe Granzes
verschoben zu sein. Die Auffassung der Stunde als Abschnitt
einer Zeit bringt daher keineswegs auf den Gedanken, daß „Zeit-
abschnitt*^ ein passender übergeordneter Begriff sei, sondern leitet
nur die Bestimmung des nächstgrOßeren Zeitabschnitts als des
vermeintlich verlangten Umfassenderen ein.
H*4e Tag 1^'. Tendenz: möglichst schnell. Verstand und suchte die
Antwort mit einer sich QberstOrzenden Hast Anschauliche Vorstellung
des logischen Schemas; darin ein großer und ein kleiner Umfang räum-
lich angedeutet Mit kinftsthetischen Begleitersdieinungen in der Hand suchte
ich nach dem Größeren. Dann kiun sofort Tag. Ich halte die Lösung
auch jetzt noch för richtig. Erst auf Ihre Bemerkung merke ich jetzt, daß
ich „Zeit** (?) hätte antworten müssen.
Dieses Protokoll ist vorzüglich geeignet, wn den Vorgang der
Bedeutungsverschiebung in seinen Stadien zu verfolgen. Die Auf-
gabe ist trotz des vorangegangenen Lesens des Reizwortes richtig
verstanden, wie das Auftauchen des logischen Schemas zeigt In-
dem nun aber das Suchen nach einem Umfassenderen eingeleitet
wird, tritt schon die präzise Bestimmung des zu Suchenden als
des begrifflich Um&ssenderen zurück zugunsten eines vagen
Suchens nach einem „Ghrößeren"^, aus dem dann schließlich das
zeitiich OrOßere wird.
Dieselbe Fdilreaktion findet sich noch bei Vp. E, während
bei Vp. A wenigstens eine ausdrückliche Abweisung der Lösung
Tag erfolgen muß.
E46 Tag 2,2"'. Ich habe die Aufgabe gelesen und verstanden, es kam
ohne jede Vermittlung Tag. Erst auf Ihre Bemerkung merkte ich, daß die
lAsang falsch ist.
A44 Zeit 2,4^' [Stunde als „Mittel der Zeiteinteilung*" gefkßt]. Bei der
Reaktion hatte ich das Bewußtsein, daß ich richtig übergeordnet hatte, daß
ich nicht etwa hätte »Tag** sagen dürfen.
Unter 7 Vpn. fand demnach in 4 Fällen eine Bedeutungs-
verschiebung durch die Aufeinanderbeziehung von Au^;abe und
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246 Absdm, 3, Die Qnamiaafgabe.
Reizwort statt, die in 3 Fttllen zu Fehlreaktionen führte. Die-
selbe Erscheinung trat in 2 FMllen beim Versuch Stern — Über*
Ordnung? auf^):
H"46 Himmel 8,4^^ Tendenz, möglichst schndL Es drftngte sich mir zu-
erst Gestirn auf. Einen Augenblick das Bewußtsein, daß Gestirn auch eine
Einzelbezeichnung sei [also kdn GattungsbegrifiT] ; anschaulidie Vorstellung des
Sternenhimmels, antwortete Himmd; g^dch nachher war mir bewußt, daß ich
wieder das Ganze statt der Überordnung gesagt hatte.
Wie oben bei H*4« besteht hier anfangs eine richtige Auf-
fassung der Aulgabe. Erst nachdem die erste Lösung verworfen
worden ist, tritt eine Bedeutungsverschiebung ein, die vielleicht
erst durch das Auftauchen des Bildes des Firmaments herbei-
geführt wurde. Hierfür spricht wenigstens der Vergleich mit dem
Protokoll 6i4, das auf Seite 216 und 217 in zwei Stücken mit-
geteilt ist. Die Vp. bemerkt hier nämlich noch zum Schluß, daß
das Bild des Sternenhimmels sicher in Beziehung zu der späteren
Lösung Weltkörper gestanden sei. Wir müssen also annehmen,
daß erst durch dieses Bild die Bedeutung der Au%abe verschoben
und die später verworfene Lösung Himmel herbeigeführt wurde.
Die im Protokoll von 6 in den S3naibolen besonders deutlich sidi
kundgebende Bildung der Gesamtau%abe ist schon früher be-
sprochen worden.
Die Vereinigung von Au^;abe und Reizwort zur Qesamt-
aufgabe erleichtert das Verständnis mehrdeutiger Angaben, indem
die Aufgabe in dem durch die Natur des Reizwortgegenstandes
nahegelegten Sinn interpretiert wird. Paßt nun aber die Aufgabe
in dem Sinne, in dem sie zufiQlig oder gewohnheitsn^ig genom-
men wird, nicht zum Reizwort, so versagt diese Hilfe. Es kommt
daher zu Mißdeutungen der Aufgabe und zu Fehlreaktionen, und
zwar erfolgen die Mißdeutimgen in der durch die Natur des Reiz-
wortes nahegelegten Richtung. Ein sehr charakteristisches Bei-
spiel dieses Vorganges liefert der Versuch Ganzes? — Tanz. Die
Aufgabe Ganzes pflegte von den Vpn. gewöhnlich im räumlichen
Sinn genommen zu werden (vgl. oben Dso, S. 236). Hier dagegen
konnte die Aufgabe nur durch Aufsuchung eines zeitlichen Ganzen
richtig gelöst werden, während sie in dem gewohnten Sinn auf-
gefaßt nicht zum Reizwort paßte. Die Folge dieses Umstandes
*) Vgl auch noch Cio S. 271.
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4, Verhäänia der einleitenden Denkprozesse zur Qesamtaufgabe, 247
war, daß in 4 von 7 FttUen Mißdeutungen der Aufgabe (bezw.
die Tendenz dazu) eintraten. Das Protokoll von A zeigt deutlich
den eben angegebenen Entstehungsgrund dieser Erscheinung:
Ate Tanzsaal 22,8'^ Ich las wie immer beides hintereinander, beides mit
Verstftndnis. Ich mußte mir die Aullg^abe wieder erst klar machen. Ich sagte
mir, es soll zu Tanz ein Ganzes gesucht werden, von dem Tanz ein Teil ist.
Die Aufgabe kam mir so sonderbar vor. Ich hatte dann undeutlich
die Vorstellung eines Tanzsaales mit einigen tanzenden Paaren. Es war ein
Gemenge, ohne daß ich viel dabei unterschied. Es kamen mir Zweifel, ob
ich nicht die Aufgabe wieder umgekehrt aufgefaßt hatte; es
ergab sich sofort eine Lösung zu der anderen Aufgabe, näm-
lich Tanz als Ganzes zu fassen: Tanzschritt Ich hatte zufkllig an
einem vorObergehenden Paare dabei einen Tanzschritt gesehen. Es wurde mir
nun klar, daß das doch nicht die Aufgabe sei, und ich versuchte dann ein
wirkliches Ganzes zu finden. Ich wußte nichts Besseres anzugeben als Tanz-
saal, die Lösung kam mir sehr unbeiHedigend vor, den Tanz so als Teil eines
rftumhchen Objekts zu fassen. Ich gab mich jedoch damit zufrieden, weil ich
sagte, etwas Besseres kann ich doch nicht finden, augenblicklich weiß ich
auch nichts.
Der Zweifel der Vp. an dem Sinn der Au%abe entsteht also
dadurch, daß die Aufgabe in der richtigen Auffassung nicht zum
Reizwort zu passen scheint, während die Auffassung des Tanzes
als (Ganzes, zu dem ein Teil zu suchen sei, einen sehr verständigen
Sinn ergibt und die Mög^chkeit einer Lösung bietet. Wie A, so
hat auch H die Tendenz, die Aufgabe „Ganzes'' mit der Aufgabe
„Teil" zu verwechseln*). G (Vergnügen B,8") verwechselt die Auf-
gabe Ganzes mit der Au^;abe Überordnung und bei B tritt ein
Mischprodukt aus diesen beiden Au^;aben ein*).
§ 4. Verhältnis der einleitenden Denkprozesse zur Ge-
samtaufgabe.
Nur unter der Voraussetzung, daß die Tätigkeit der Vp. mit
der Bildung der Gesamtaufgabe beginnt, werden auch eine Reihe
von Denkprozessen verständlich, die den Lösungsversuchen voraus-
gehen oder sich bei ihrem Beginn einstellen. Hierher gehören vor
allem die Fälle einer sich an das Verständnis unmittelbar an-
schließenden kritischen Beurteilung der Zusammenstel-
*) Siehe das Protokoll oben S. 216 Anm. 1.
^ Siehe das Protokoll oben S. 196.
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948 AMm. 3. Dk Oe§amimtfgBke.
lung von Aufgabe und Reizwort Diese seigt, daB Aufgabe
und Reizwort aufeinanderbezogen und zur Oeeamtaulgabe vereinigt
worden sind« So wurden, wie schon in der Einleitung (S. 10) er-
wähnt, bei der Aulgabe „Ganzes?^ mit Vorliebe Oegenstttnde ge-
wählt, welche in der Regel ein fttr sich abgeschlossenes Ganzes
bilden und nur unter bestimmten Umständen als Teile eines
größeren (Ganzen erscheinen. Indem nun der Reizwortgegenstand
bei der Bildung der Gesamtaufgabe in das Schema eines größeren
Granzen als Teil eingesetzt wird, kommt die scheinbare UnvertrHg-
lichkeit seiner Abgeschlossenheit mit der Anforderung, räi Ganzes
zu ihm zu suchen, zu Bewußtsein. Es ist, als verlange die G^
samtau%abe, den fttr sich abgeschlossenen Gegenstand als nicht
abgeschlossen zu denken. Die Opposition der Vp. gegen diese
Zumutimg macht sich dann in dem verwunderten Ausruf, der be-
treffende Gegenstand sei doch selbst ein Glanzes, oder in einem
äquivalenten G^edanken geltend.
Beispiele:
Kranz — Ganzes? A«t Schaufenster 16,6". Nachdem ich die Auf-
gabe gelesen hatte, hörte ich ganz deutlich den Satz: Aber
derKranzistja selbst ein Ganzes» ganz leise motorische hmervation
dabei. Dann suchte icli nun doch irgend ein Granzes, in dem ein Kranz vor-
kommen kann. . . .
Gemälde — Ganzes? H»io nach 14,6": Finde keine Antwort — Las Ge-
mälde, erkannte die Ähnlichkeit zur vorigen Aufgabe [Teil? — Gemälde]. Ver-
stand auch die Aufgabe gleich. Dann mit akustisch-motorisdier Wortbegleitung
«Das G^nälde ist selbst ein Ganzes**.
Das Hervortreten der Abgeschlossenheit des Reizwortgegen-
standes sofort nach dem Verständnis von Reizwort und Auf-
gabe läßt keinen anderen Erklärungsgrund zu als den Ver-
such, den Reizwortgegenstand als unabgeschlossenen Teil eines
noch näher zu bestimmenden Ganzen zu denken. In analoger
Weise kann bei der Angabe „Teil?** der Versuch, den Reizwort-
gegenstand als ein aus einer Mehrheit noch imbestimmter Teile
bestehendes Ganzes zu denken, zum Hervortreten seiner schein-
bar unteilbaren Einheitlichkeit führen. So stellte sich in dem
Versuch Teil? — Meer bei Vp. Eao Insel 4" das Bewußtsein
ein, „daß das Meer doch etwas ganz Einheitliches sei, von dem
man kaum Teile angeben kann, und daß man schon scharf suchen
müsse, um solche zu finden."
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4. Verhältnis der mieitmdem DetUtßrouau zur Gesamtaufgabe. ^ dIO
Bei der Au|gabe Definition kam es wiederholt su einer kri-
tifidieii Bttirteilung der ZiiMminenstellimg v(m Au%abe und Reis-
wort:
Deinition? — Hauptstadt An« Ja 19,4^. Ich las hintereinander die Auf-
gabe mid das Reiiwort. Allgemeines Bedeatongsbewiißtsein von Hauptstadt
von Aafeuog an vorhaadoo. Die Au%abe hatte für mich noch einen besonderen
Charakter, weil mir eine Definition von Hauptstadt ziemlich schwer ersduen
und außerdem etwas überflüssig, weil so gewissermaßen schon
in der Zusammensetzung liegt, was es ist Ich begann dann
innerlich zu formulieren: Hauptstadt ist . . . War nun versucht, fortzufahren:
Die Hauptstadt eines Landes. Habe das nicht ansgesprocfaoi, wdß aber
sicher» daß ich diese Richtung hatte. Es war das Bewußtsebi, daß das kam,
was ich vorher schon als unpassend erkannt hatte. Ich wollte jetzt das ver>
meiden und begann . . . ist d i e Stadt eines Landes . . . Jetzt wollte ich weiter
das „Haupt . . .*^ nfther erklären. . . .
Auch bei Vp. Dns 8,4'' beginnt das Protc^oU zu diesem Versuch in
ähnlicher Weise: Gelesen, es schien mir ein bißchen unzusammengehörig, als
vde wenn Definition nidit recht hierher passe. . . .
Was hier vorliegt, geht aus dem Protokoll von A deutlich
hervor. Die Bezeichnung des Reizwortgegenstandes bestimmt
diesen durch eine Wortzusammensetzung, bei der das Grundwort
,,Stadt*^ das genus proximum angibt, während das Bestimmungs-
wort ,,Haupt" aui die differentia specifica hindeutet Gerade
sokhe Bestimmungen aber sind es auch, welche die (Jesamtauf-
gäbe fordert. Es gewinnt daher den Anschein, als sei das durch
die Gesamtaulgabe Verlangte schon durch die Bezeichnung des
Reizwortgegenatandes geleistet und eine weitere Definition daher
überflüssig bezw. nicht gut m(}gliclL Wir haben uns also aui der
einen Seite durch die Bildung des Bewußtseins von der Gresamt*
aufgäbe ein Bewußtsein von dem durch diese Geforderten als
entstehend zu denken. Auf der andern Seite entsteht durch das
Verständnis des Reizwortes das Bewußtsein von der Art und
Weise, wie das Reizwort seinen Gegenstand bestimmt Durch
Abstraktion entsteht sodann das Bewußtsein der Identität des dort
Gefordert^DL mit dem hier bereits Gegebenen und damit die schein-
bare Erkenntnis der Überflüssigkeit einer Definition.
Die kritische Stellungnahme zur Gresamtaufgabe bei der Auf-
gabe „Definition?^ kann femer auf der Meinung beruhen, daß
es sich bei dem zu definierenden um etwas Letztes, nicht weiter
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960 Abmhn. 3. Die öe$amtaufgabe.
ZurUckfCihrbares handle. Eine eigentlidie Definition, die eine
Mehrheit von Merianalen, nämlich mindestens ein allgemeines und
ein spezielleres voraussetzt, wäre in diesem Falle nicht mOglich.
So gibt Vp. Ait4 in dem Versuch „Gewalt — Definiti<m?^ an:
,,Ich las hintereinander Reizwort und Au^;abe und war davon sdur
befremdet. Von vorne herein wußte ich gar nicht, was an Ge-
walt noch zu definieren sei.^ Die Meinung, daß es sich bei dem
Reizwortgegenstand um etwas Spezifisches handle, das sich nicht
mit anderen Gegenständen unter eine gemeinsame höhere Gattung
einordnen lasse, veranlaßt auch bei der Au^;abe „Überordnung?^
gelegentlich eine Kritik der Zusammenstellung von Aufgabe und
Reizwort:
Oberordnung? — Beerdigung Gti 18,6'^ Zuerst große Oberraschung,
daß man zu Beerdigung dne Überordnung suchen soll, der Gedanke: CKbt es
denn Oberhaupt so etwas ?0
Eine Beurteilung der Gresamtau^^abe und dadurch zugleich
eine unzweifelhafte Bestätigung ihrer Bildung enthält weiterhin
das Schwierigkeits- bezw. Leichtigkeitsbewußtsein,
das sich häufig in unmittelbarem Anschluß an das Verständnis
vor der Einleitung eines bestimmten Lösungsversuches einstellt*)
tmd sich auf die Gesamtaui^be bezieht. So gibt die Vp. A bei
der Aufgabe „Pfand— Überordnung?'' an: ^Ich las hintereinander
die beiden Worte mit Verständnis, ohne Zwischenerlebnis. Wie
ich das zweite gelesen und auf das erste bezogen hatte, wurde
mir sofort bewußt, daß die Aufgabe schwer sei.*' Daß das Schwierig-
keitsbewußtsein nur durch die Gesamtaufgabe hervorgerufen sein
kann, ergibt sich auch aus der Tatsache, daß die Aufgabe Über-
ordnung in den vorausgehenden Versuchen ebenfalls vorlag. Ein
ähnliches Schwierigkeitsbewußtsein findet sich bei derselben Vp.
bei der Aufgabe Überordnung zum Reizwort Bühne. Dagegen
stellt sich im Versuch „Nagel — Überordnung?" vor der Inangriff-
nahme einer bestimmten Lösung ein Bewußtsein der Leichtigkeit
ein. Zum Verständnis solcher Beurteilungen der (Jesamtaufgabe
hat man sich zu vergegenwärtigen, daß die Aufgabe Überordnung
die Behauptung enthält, der Reizwortgegenstand gehöre zu einer
*) Vgl. Aiii S. 290.
*) Das Schwierigkeits- und Leichtigkeitsbewußtsein tritt natüriich auch
häufig im späteren Veriauf des Versuches auf.
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4. Verhältnis der einleitenden Denkproxesse zur Gesamiaufgabe. 261
G^ppe von Gregenständen, die sich auf Grund eines gemeinsamen
Merkmals unter einem Oberbegriff vereinigen lassen. Weiß die
Vp. daher, daß der betreffende Gregenstand in eine größere Gruppe
gleichartiger Gegenstände gehört, so wird infolge der bestehenden
auf die Lösung der Gesamtaufgabe gerichteten Determination
dieses Wissen wenigstens dunkel aktualisiert werden und ein Be-
wußtsein der Leichtigkeit herbeiführen. So beim Reizwort Nagel,
da der Nagel in eine Gruppe von Gregenständen gehört, die man
als Handwerkszeug bezeichnet. Die erste Lösung von Vp. A war
in der Tat Handwerkszeug. Bei den Reizworten Pfand und Bühne
ist begreiflicherweise ein Wissen von einer Gruppe gleichartiger
Gegenstände im allgemeinen nicht geläufig, und ebensowenig ist
hier ein mit anderen Gregenständen gemeinsames, zur Bildung
eines Gattungsbegriffes geeignetes charakteristisches Merkmal ohne
weiteres zur Hand« Der Nichteintritt des Wiedererkennens
von Gegenständen zieht bei vorhandener auf ein Wieder-
erkennen gerichteter Determination ein Bewußtsein der Unbekannt-
heit des betreffenden Gegenstandes, ein Fremdheitsbewußtsein nach
sich; in analoger Weise zieht der Nichteintritt einer Wissens-
aktualisierung bei vorhandener Tendenz zu einer solchen das
Bewußtsein der Unbekanntheit des in Frage stehenden Sachver-
hältnisses nach sich. Demgemäß wird das Fehlen eines bereit-
stehenden Wissens von einer Gruppenzugehörigkeit des Reizwort-
gegenstandes, wie sie für die Lösimg der Aufgabe Überordnung
erforderlich erscheint (bezw. das Fehlen des Wissens von einem
passenden charakteristischen Merkmal), ein Bewußtsein der Fremd-
heit und daher der Schwierigkeit der Gesamtaui^abe zur Folge
haben. Hierher gehört auch folgender Versuch:
Professor — andere Oberordnung: A»6 Geehrter 7jBf\ [Vorausgegangen
Professor — Oberordnung? — Lehrer 3,8".] Hintereinander gelesen. Gleich
darnach, bevor ein LOsungsversuch eingeleitet war, wurde mir bewußt, daß
eine andere Oberordnung vielleicht schwer zu finden sein würde.
Die Selbständigkeit des Reizwortgegenstandes, die in ver-
schiedenen Fällen zu einer kritischen Beurteilung der Aufgabe
Ganzes führte, kann auch zu einem Schwierigkeitsbewußtsein
Anlaß geben. So gibt Vp. E im Versuch „Spiegel — Teil, dann
Ganzes?*^ an: „Dachte sogleich im Anschluß an das Lesen der
Aufgaben: das Ganze finde ich nicht." Während die Lösung
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M$(kn. 3. Du Oesamitatfgabe.
der ersten Aulgabe 'sofort einfiel, nahm denn audi der Versuch
einer befriedigenden Lösung der Eweiten Aufgabe nahezu zwei
Minuten in Anspruch. Handelt es sich bei der Aufgabe Teil um
einen gegUederten Gegenstand, so kann die Kenntnis dieses Um-
standes schon vor der Einleitung eines bestimmten Lösungsvomiches
ein Bewußtsein der absoluten oder relativen Leichtig^dt der Ge-
samtau^abe zur Entstehung bringen«
Käfig — Ganzes oder Teil? C4t Gitterwerk 11,4". [Die Lösung Zimmer
z\a Aufgabe Ganzes befriedigt die Vp. nicht, sie geht daher auf (Üe zweite
Aufgabe über] ... Da hatte ich gleich das Erld>nis, daß das leichter zu finden
seL Ich setzte midi bewufit an das Ausmalen des Kflfigs, um da dnen Tai
herauszuheben, d. h. ich ließ den Kftfig scharf heraustreten und beachtete
scharf die einzelnen Teile. . . .
Dieses Beispiel zeigt in charakteristischer Weise, wie die
Bildung der Oesamtaufgabe zunächst das Hervortreten der all-
gemeinen fttr die Lösung der Au^;abe Teil erforderlichen Eigen-
schaft der Oliederung in Teile an dem Reizwortgegenstand nach
sich zieht, und wie dann erst hierdurch die Einleitung der LOsung
durch Verdeutlichung der im Bewußtseinshintergnmd befindlichen
Vorstellung und durch die Abstraktion von Teilen an ihr motiviert
wird»).
Am häufigsten gab die wegen ihrer Schwierigkeit von den
Vpn. etwas gefürchtete Aufgabe „Definition** Anlafi zu einer den
Lösungsversuchen vorausgehenden allgemeinen Beurteilimg der
Gresamtaufgabe nach ihrer Schwierigkeit Z. B.:
Definition? — Handel Em 20". Die Definition erschien mir zunächst sdir
schwer, schon ehe ich den geringsten Versuch zur Lösung gemacht hatte.
Am deutlichsten zeigt sich das Bezogensein der Schwierig-
keitsbeurteilung auf die Gesamtau^abe in den Fällen, in denen
schon die Aufgabe Definition fttr sich allein ein Schwierigkeits-
bewußtsein erzeugt, das dann beim Lesen des nachfolgenden Reiz-
wortes verstärkt wird. So wurde bei Vp. Bss die beim Anblick
der Au^;abe Definition auftretende ,,iuiheimliche Empfindung, daß
es sich um eine wenigstens während der Versuche eigentlich
unlösbare Aufgabe handle", verstärkt, als die Vp. das Wort Eigen-
') Vgl. als Gegenstück Eto S. 24a
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4. Verhältnis der eMeÜemäen Denkproxesse zur Gesamtaufgabe, 268
tum erblickte. Der Eindruck war so stark, daß die Vp. nun, wie
sie angibt, etwas lachen mußte ^).
Ähnlich bei Vp. Aiot im Versuch Definition? — Organismus. Ich las eu-
ersi das Wort Definition, erkannte es mit einem gewissen Unlustgeflihl wieder
als ein Wort, das mir eine schwere Aufgabe bringen würde. Dieses Unlust-
gefdhl wurde noch gesteigert durch das Lesen des Reizwortes Organismus.
Mein erster Gedanke war der, einfach auf die Lösung zu verzichten, weil ich
nicht glaubte, eine finden zu können*).
Als Gtogenstttck diene ein Fall eines Bewußtseins der Leichtig-
keit bei derselben Aufgabe „Definition^ und derselben Vp.:
Stiftung — Definition? ki%% 20,8". Ich las hintereinander Reizwort und
Aufgabe, wußte auch von vornherein, daß die Aufgabe nicht schwer fallen
würde, weil mir der Begriff der Stiftung nach meiner Meinung völlig präsent
war, so daß idi ihn vermeintlich nur in Worten auseinanderzulegen brauchte,
um eine Definition zu finden. . . .
Es ist hier ersichüicb, daß das Bewußtsein der Leichtigkeit
sich auf das vermeintliche Prttsentsein eines gegliederten Begriffes
stützt, von dem die Vp. glaubt, daß sie ihn zum Zwecke der
Definition nur in Worten auseinanderzulegen habe. Es läßt sich
daher vermuten, daß das Fehlen einer solchen Präsenz, das Vor-
handensein eines ungegliederten, vielleicht sogar scheinbar unzer-
legbaren Bedeutungsbewußtseins, wenigstens in einem Teil der
Fälle fttr das Bewußtsein der Schwierigkeit vor dem Beginn eines
bestimmten Lösungsversuches der Aufgabe Definition verantwort-
Uch zu machen ist. Hierher gehört z. B. wahrscheinlich der Ver-
such „Verwandtschaft — Definition?," bei dem zwei Vpn. ein
Schwierigkeitsbewußtsein vor Inangriffiiahme der Lösung konsta-
') Wir haben hier ein Lachen, das durch einen komplizierten Denkprozeß
ausgelöst wird, nämlich durch das Bewußtsein des Kontrastes zwischen dem
Sachverh<nis, daß die Gesamtaufgabe außerordentlich schwierig ist, und dem
Sachverhäitnis, daß in dem Versuch nur eine sehr kurze Zeit zu ihrer Lösung
zur Verfügung steht Das Lachen ist also bedingt durch das Bewußtsein von
einem zusammengesetzten Sachverhältnis des Kontrastes, dessen Glieder selbst
wieder Sachvexhältnisse sind. Wer solche Denkprozesse wegzuinterpretieren
sucht und nur die Begleiterscheinungen, etwa die vorhandenen Gefühle und
Organempfindungen gelten läßt, wird die Entstehung eines derartigen Gemüts-
ausdruckes vergeblich verständlich zu machen suchen.
■) Dennoch gelingt es der Vp. in der bei der Schwierigkeit der Gesamt-
aufgabe verhältnismäßig kurzen Zeit von 46'^ nach mehrfachem Herumprobieren
eine recht brauchbare Definition zu geben.
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254 Ab9(hn. 3. Die öesämtaitfgabe.
tieren, während Vp. Eiss, der nach 38^ eine annähernd richtige
Lösung gelingt, angibt:
Allgemeines Bedeutungsbewußtsein [von Verwandtschaft], aber kdne
Mannigfaltigkeit von Mericmalen bewußt Von dem, was ich spftter angab,
war auch dem Sinne nach noch nichts bewußt Dennoch ein voUes Verständ-
nis, aber ich hätte es in dem Augenblick niemals definieren können. Dann
starrte ich zuerst eine Zeitlang ins Blaue hinein, fand aber nichts *), —
Es ist klar, daß das Bewußtwerden des Gregensatzes zwischen
der in der Gesamtaufgabe liegenden Forderung einer Auseinander-
legung des Begriffs des Reizwortgegenstandes und der unge-
gliederten Beschaffenheit des vorhandenen Bedeutungsbewußtseins
geeignet ist, ein Schwierigkeitsbewußtsein hervorzurufen. Sieht
man von den ein solches Schwierigkeits- bezw. Leichtigkeits-
bewußtsein allenfalls begleitenden zustfindlichen Erlebnissen ab,
so ist es nichts anderes als das Bewußtsein von dem Sachver-
hältois, daß die ungegliederte bezw. gegliederte Beschaffenheit
des Bedeutungsbewußtseins von dem Reizwortgegenstand die
Lösimg der Gesamtaufgabe voraussichtlich zu einer schwierigen
bezw. einer leichten gestalten wird. Das Schvnerigkeits- bezw.
Leichtigkeitsbewußtsein besteht in dem Bewußtsein von einem
zwischen der Beschaffenheit des Bedeutungsbewußtseins vom Reiz-
wortgegenstand und der Lösung der Gesamtaufgabe bestehenden
Abhängigkeitsverhältnis und setzt demnach die Bildimg des Be-
wußtseins von der Gesamtaufgabe voraus. Das gleiche gilt auch
in den übrigen behandelten Fällen eines Schwierigkeits- oder
Leichtigkeitsbewußtseins. Überall stellt es die Erkenntnis eines
Abhängigkeitsverhältnisses zwischen der Beschaffenheit des Reiz-
wortgegenstandes bezw. des der Vp. über ihn zu Gebote stehenden
Wissens und der Lösimg der Gesamtau^;abe dar.
§ 5. Verhältnis der die Lösung begleitenden Denk-
prozesse zur Gesamtaufgabe.
Wie die einleitenden Denkprozesse so sind auch die Denk-
prozesse, welche die Lösung begleiten, nur unter Voraussetzung
der Bildung der Gesamtauigabe zu verstehen. So zeigt sich das
*) Vgl. ferner Ait4 S. 260. Auch Vp. Eist hatte bei dem dort angeitÜirieD
Versuch „von vorne herein den Eindnick, das ist sehr schwer*.
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5. Verhältnis der die K^sung begleitenden Denkprozesse zur Gesamtaufgabe. 265
mit dem Auftreten des Reaktionswortes häufig verbimdene Be-
wußtsein der Richtigkeit oder der Lösung davon ab-
hängig, daß das Reaktionswort (wirklich oder vermeintlich) in der
durch die Gresamtaufgabe geforderten Beziehung zum Reizwort-
gegenstand steht ^). Es genügt also nicht, daß der Gegenstand
des Reaktionswortes überhaupt in der durch die Aufgabe im
engeren Sinne geforderten Beziehimg steht, sondern die Beziehimg
muß zwischen ihm imd dem Reizwortgegenstand vorhanden
sein. Die Notwendigkeit einer solchen Abhängigkeitsbeziehimg
leuchtet sofort ein, wenn man sich klar macht, worin die Richtig-
keit der Reaktion besteht. Sie besteht in der Tatsache, daß das
zwischen dem Reaktionswortgegenstand und dem Reizwort-
gegenstand bestehende Sachverhältnis mit dem in der Gesamt-
aulgabe geforderten Sachverhältnis übereinstimmt. Demgemäß
besteht das Bewußtsein von der Richtigkeit der Reaktion in
dem Bewußtsein von dem Sachverhältnis dieser Übereinstimmung').
Ein Bewußtsein der Übereinstimmung der Reaktion mit den An-
forderungen der Gesamtaufgabe setzt aiber natürlich die Bildung
des Bewußtseins von der Gesamtaufgabe voraus. Das gleiche
gilt Air die emotionalen Erlebnisse der Befriedigung im Falle
einer glücklichen bezw. der Unbefriedigung im Falle einer nicht
ganz entsprechenden Lösung; denn diese zuständlichen Erlebnisse
sind an das Bemerktwerden der völligen bezw. nicht völligen
Übereinstimmung des tatsächlich bestehenden Sachverhältnisses
und des von der Gresamtaufgabe geforderten Sachverhältnisses
zwischen Reaktionswort- und Reizwortgegenstand geknüpft.
Beispiele:
(jottesdienst — Teil? Dt Gebet 6,6'' . . . Dann wollte ich erst Sakrament
sagen, zurückgedrängt, schien mir nicht recht zu passen. Ich verwarf es,
ohne mir recht klar zu machen, warum das nicht stimmt Einen Augenblick
Falle dieser Art wurden schon bei der Wissensaktualisierung behandelt
(vgl. S. 49 und Anm. 6) ; sie kommen aber ebenso auch bei der Anwendung
anderer Lösungsmethoden vor.
*) Schon Ach hat darauf hingewiesen, daß die Bewußtheit der „Richtig-
keit** ein Urteil darüber darsteUt, ob der auftretende Inhalt dem entspricht,
was früher Gegenstand des Vorsatzes war. (Ober den Willensakt und das
Temperament, S. 264.) Nur die Auffassung der Gesamtaufgabe als Inhalt
jenes Vorsatzes fehlt bei Ach.
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966 Ab^dm. 3. Dk Qntmksufgt^.
abgewartet; dann kam mir erlösend, mit einer Nuance des Freudigen^
das Wort Gebet, das Wort kam suerst und dann gestaltete sich die Bedeutung
aus. Wußte auch, daß das stimmt: Ja, das ist ein Teil des
tiottesdienstes.
Die Feststellung der Übereinstimmung der Reakticm mit den
Anforderungen der Gesamtau^abe tritt hier deutlich hervor. Das
gleiche ist in dem folgenden Protokoll der Fall:
Gegensatz? -- Hafen Ai Meer 7,6" . . . Dann ging ich mit dem Blicke
die WasserflAche entlang und kam ins Meer. Ob ich optisch ganz hinaus-
gekommen bin, weiß ich nicht, ich hatte aber die Richtung und das Bewußt-
sein, ich komme siun Meer. Sobald der Gedanke an das Meer in mir bewußt
wurde, dachte ich: Halt! Das ist ein guter Gegensatz zum Hafen.
Dann reagierte ich mit freudigem Bewußtsein der glOcklichen
Losung.
In dem Versuch Teil? — Gemälde verwirft Vp. Aio zunächst
zwei Reaktionsworte, die zwar Teile, aber nicht Teile des Gemäldes
im strengen Sinne, nämlich des Dargestellten bezeidmen. Als
die Vp. daher nach einem komplizierten Denkprozeß von 23^' die
Lösmig Vordergrund findet, wird diese ^mit starker Befriedigung''
ausgesprochen 0* Der Zustand der Unbefriedigung und seine
Beziehung zur Gesamtausgabe ist am deutlichsten bei Vp. F zu
erkennen, welcher eine besonders strenge Auffassung der Ge-
samtau%abe eigen ist, während sie andererseits sich im Gegen-
satz zu Vp. A nicht immer die zur Auffindung einer völlig be-
friedigenden Lösung nötige Zeit läßt Von Interesse ist hier
namentlich das Seitenstück zu dem eben erwähnten Protokoll
von Vp. A:
Teil? — Gemälde Fit der Rahmen*) 10,8" ... Ich war Ober die Lösungs-
möglichkeit, den Rahmen xu nehmen, sehr unbefriedigt in dem Be-
wußtsein, daß es keine gute Lösung sei, weil der Rahmen
doch nur in einer äußeren Beziehung zum Gemälde steht, und
ich suchte sogar noch einmal etwas im Gemälde im engeren Sinne zu finden,
was mich befriedigen könnte; ich habe es nicht gefunden und bin so zum
Wort Rahmen zurückgekehrt, da die Sache doch eine allzulange Zeit ge-
nommen hatte.
') Vgl. Achs Ausftlhrungen Ober den Begriff der determinierten Gefühle
und ihrer ftmktionellen Abhängigkeit von der Größe der bei der AusfOhning
einer Determination tlberwundenen Schwierigkeiten. Ober den Willensakt und
das Temperament, S. 807 if .
*) Vp. A hatte diese Lösung verworfen.
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5. Verhaänis der die Lösung begieUenden Denkprozesse zur Gesamtaufgabe. 257
Der Zustand der Unbefriedigung gründet sich in diesem Ver-
such sichtlich darauf, daß der Gresamtaufgabe insofern nicht ent-
sprochen ist, als der Rahmen nur ein Teil von Gemälde in einem
erweiterten, etwas oberflächlichen Sinne ist Die Lösung wird
nur akzeptiert, weil das Suchen in einem der Gesamtau^abe
völlig entsprechenden Sinne nicht zum Ziele führt.
Ganz ähnlich lautet das Protokoll zum nächsten Versuch: Gemälde —
Ganzes? Fn Wand W* . . . Auch in diesem FaU war ich ebenso unbefriedigt
wie vorher, weil die Wand nur in einem äußerlichen Veiiiältnis zu dem Ge-
mälde steht
Das Bewußtsein der Richtigkeit und die Zustände der Be-
friedigung bezw. Unbefriedigung verdanken, wie gezeigt worden
ist, ihre Entstehung der Abstraktion des zwischen der Reaktion
und den Anforderungen der Gesamtausgabe bestehenden Sach-
vertiältnisses. Es ist sehr wahrscheinlich, daß das Zustande-
kommen solcher Abstraktionsprozesse in der Regel auf ein Eon-
troUbedürfnis ^ der Ypn. imd die aus ihm entspringenden determi-
nierenden Tendenzen zurückzuführen ist. Eine determinierende
Tendenz zur Eontrolle der Lösung müßte ja gerade auf die Fest-
stellung ihrer Richtigkeit und demgemäß auf die Ermittelung des
Verhältnisses zwischen der tatsächlich bestehenden Beziehung des
Reaktionswortes zum Reizwort imd dem in der Gesamtaufgabe
geforderten Sachverhältnis gerichtet sein. Durch die Annahme
einer determinierten Lösimgskontrolle wird die Tatsache sofort
verständlich, daß bei der Aufgabelösung nicht wie bei einem
rein assoziativen Ablauf jedes Erlebnis von dem folgenden ab-
gelöst wird und damit aus dem Bewußtsein verschwindet, sondern
daß der weitere Verlauf auf den Ausgangspunkt, die Gesamtauf-
gabe, zurückbezogen erscheint. Das Auftreten des Bewußtseins
der Richtigkeit sowie der zuständUchen Erlebnisse der Befriedigung
bezw. Unbefriedigung ist nach dieser Annahme als das Ergebnis
eines determinierten Abstraktionsprozesses anzusehen. ^
Deutlich tritt die determinierende Tendenz zur Lösimgskontrolle
in den Fällen hervor, in denen sich an das Auftreten der Lösung
*) Vgl über das Vorliegen eines solchen KontrollbedOrfhisses schon oben
S. 186 f. Mit dieser Erklärung stimmt auch die Erfahrung von Ach überein,
daß die Bewußtheit der Richtigkeit bei sehr leichten und stark geübten Tätig-
keiten wegfallen kann. W. und T. S. 264.
SeU, Ober die Oeietie dee geordneten DenkTorUab. 17
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266 AbaduL 3. Die Qesamtaafgabe.
ein Prozeß der Verifikation (Bestätigung) anachließt Eine
solche Verifikation ist nichts anderes als die auf Grund einer
determinierten Lösungskontrolle in einem besonderen Akte erfol-
gende Feststellung der Übereinstimmung des tatsächlich bestehenden
Sachverhältnisses des Reaktionswortes zum Reizwort mit dem in
der Gresamtau^abe geforderten Sadiverhältnis ; kürzer gesagt, sie be-
steht in der determinierten Feststellung der Richtigkeit der Lösung
in einem besonderen Akt.
Beispiele:
Ganzes? — Flügel Gt» Vogel 4,8"' . . . Nach dem Aussprechen kurze
Kontrolle durch das Urteil, daß Vogel und FlOgel sich in dem
verlangten Verhältnis befinden*).
Schuld — Wortergftnxung? Gt (Schuld-) Verhaftung 4" . . . Zwischai
der fertigen Reaktion und dem Aussprechen noch eine kurze Pause, hi der
Pause erfolgte noch einmal eine kleine Kontrolle, ob das Wort, das
sich eingestellt hatte, der geforderten Lösung entsprach.
Ganzes? — Gruft Bit Erde 3'' . . . Sofort ein Anschluß an das optische
Bild „Erde*^, vielleicht angeregt durch den Gedanken, worin befindet sich die
Gruft. Bevor die Reaktion ausgesprochen wurde, fand noch eine kurze Be-
stätigung, ein innerer PrOftingsblick statt
Teil? — Meer Ott Welle 3,2" . . . Erst nachdem ich Welle ausgesprocfa^
hatte, kam mit einer gewissen Bangigkeit die Bestätigung: Ja, Welle ist
ein Teil des Meeres.
Derselbe Versuch. Ai» Brandung 9J&' ... Ich sah auf das offene Meer
hinaus. Dann sah ich in einiger Entfernung vom Strand die Meeresbrandung,
die hohen WeUen. Da kam mir der Gedanke: Kann man das als Teil,
des Meeres benutzen? Ich bejahte diese Frage und reagierte*).
Das zuletzt angeführte Beispiel weist darauf hin, daß die
Prüfung der Übereinstimmung mit der Gesamtau^abe sich nicht
nur an das Auftreten als Lösung, sondern auch schon an das
Auftauchen des Gedankens an die Möglichkeit einer Verwendung
als Lösung anschließen kann.
Die Einleitung eines determinierten Verifikationsprozesses ist
ebenso wie die Einleitung anderer determinierter Prozesse teils
von der Individualität des betreffenden Subjekts, teils von
obiektiven Faktoren abhängig. Einige Vpn., z. B. C und G,
*) Vgl. auch G oben S. 55 Anm. 2.
*) Vgl auch die Verißkationsprozesse in den früher angeftlhrten Protokollen,
z. B. Giti S. 27, Gt« S. 46, A.« S. 53/55, G S. 55 Anm. 2, G« S. 56, Bit S. 196.
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5, Verhältnis der die Lösung begießenden Denkprozesse zur Gesamtaufgabe. 269
bedienten sich zur Sicherstellung der Lösung besonders häufig
eines eigenen Verifikationsverfahrens. Dem entspricht zwar eine
große Sorgsamkeit der betreffenden Vpn., dagegen läßt sich aus
der Seltenheit eines Verifikationsverfahrens kein Schluß auf einen
Mangel an Soigsamkeit bei der betreffenden Vp. ziehen. Es kann
vielmehr z. B. die Beziehung zwischen dem Lösungsprozeß und
der Gesamtaufgabe von Anfang an so konstant aufrecht erhalten
bleiben, daß eine gesonderte Eontrolle nicht mehr erforderlich
ist^. In objektiver Hinsicht wird der Verifikationsprozeß
namentlich dadurch motiviert, daß die Lösung nicht auf Grund
einer klaren Einsicht in das Vorliegen des geforderten Sachverhält-
nisses gefunden wurde, sondern als mehr oder weniger unsichere
Vermutung auftritt. Dies ist wieder besonders dann der Fall,
wenn mittelbare Kriterien für das Vorliegen des verlangten Sach-
verhältnisses zu der Lösung Anlaß geben. Häufig gelingt es der
Vp. dabei nicht, die Prüfung der Richtigkeit sofort vollständig
durchzuführen, so daß es bei einem bloßen Verifikationsversuch
bleibt.
Beispiele:
Tod — Nebenordnung? Ast Leben 2,8" [die Vp. findet Leben als etwas,
was man gewöhnlich zum Tod in ParaUele setzt *)]... Sofort, nachdem ich
es genannt hatte, fiagte ich mich unwillkürlich, was ist denn da eigentlich
das Übergeordnete. Ich konnte es auch jetzt noch nicht angeben.
Die Vp. bedient sich für die Feststellung der Nebenordnung
eines mittelbaren Ejriteriums, lüüaalich der bekannten Gtegentiber-
stellung. Es regt sich in ihr daher das Bedürfnis, zu prüfen, ob
das geforderte Sachverhältnis wirklich vorliegt Hierzu bedurfte
es der Einsicht, daß Tod und Leben unter einen gemeinsamen
Oberbegriff fallen. Daher das Suchen nach einem Übergeordneten.
Bit Schlaf 4,2". [Auch hier ist die geläufige GegenOberstellung der
Grund des Auftretens des Reaktionswortes *)]... Sofort an das Auftauchen
des Wortes Schlaf schloß sich ein Verifikationsbedürfhis an, so ein Gedanke:
Kann ich das als Begriff nebenordnen? Flüchtige Bestätigung ermöglichte
dann die Reaktion. Die Reaktion verbunden mit einem gewissen Lösungs-
zustand nach einer Spannung.
Über den Einfluß der Tendenz, möglichst schnell zu reagieren, auf die
Notwendigkeit einer nachträglichen KontroUe siehe S. 186.
*) Siehe das ProtokoU oben S. 2a
*) Siehe das ProtokoU S. 29.
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280 AbaduL 3. Die Gesamtaufgabe.
Fit Leben 4^6'^ Ich dachte mehr an den Tod als Allgemeines in der
Natur, wobei die Natur durch VorsteUungen von Bäumen repräsentiert war.
Es war etwas Dunkles von Nichtlebendigem darin und nun stellte sich als
Gegensatz dazu das Leben ein. [Die Lösung tritt also auf Grund eines mittel-
baren Kriteriums der Nebenordnung, nämlich des Gegensatzes auf. Hieraus
erklärt sich der weitere Veriauf.] Dann fragte ich mich, ob Leben und Tod
in logischer Nebenordnung stehen, ob sie also unter dieselbe Art zusammen-
zufassen sind. Die Frage habe ich eigentlich nicht entschieden, sondern ich
ging von der Voraussetzung aus, daß ich zu den beiden Begriffen einen
gemeinsamen höheren Begriff finden würde, wenn ich suchte.
Nebenordnung? — Bahnsteig Bit Brücke 6,6". Wiederum ein kurzer
Versuch der Verifikation, die namentlich unter dem allgemeineren
Begriff eines Verkehrsmittels die beiden zusammenzufassen
bestrebt war; dann Reaktion. — [Voiiier bestand bei der Vp. eine dunkle Rich-
tung auf den Obeii)egriff VeriL^irsmittel, während das Auftreten der Lösung
sich vorwiegend im Anschluß an die optische Vorstellung des funktionellen
Ganzen vollzog, dem der Bahnsteig angehört Bei den Teilen eines funktionellen
Ganzen besteht eben die Vermutung, daß sie sich unter einen durch die
Funktion bestimmten gemeinschaftlichen Oberbegriff subsumieren lassen.]
Einen sehr ähnlichen Verlauf nimmt derselbe Versuch bei Vp. Cit Schienen-
weg 15" . . . Dachte, aha, das ist etwa ein Nebengeordnetes zum Bahnsteig.
Ziu- Kontrolle dachte ich, daß es in diesem di£fusen, nicht näher bezeichneten
großen umfassenden Etwas, das ich eben hatte, als Art neben dem Bahnsteig
enthalten sei! [Gemeint war unter jenem Etwas das durch die Linie Bonn-—
Köln repräsentierte „ganze System von Veranstaltungen für Bahn-
zwecke**.]
Nebenordnung? — Meer.
Cit Ebene 4,6" . . . Plötzlich stieg das Bild einer weit hingestreckten
Ebene auf dem Festiande auf. Gleich damit war die Erinnerung gegeben an
die bildliche Zusammenstellung von Ebene, Meer, Bergen und Flüssen usw. in
Seydlitz' Geographiebuch. Dieses Bild kam flüchtig und verschwand wieder.
Die Ebene blieb allein. Ich bezog nun dieses Bild der Ebene auf
das Meer und suchte, ob diese beiden Gegenstände im Ver-
hältnis einer Nebenordnung stünden. Wie ich beides neben-
einander stellte, hatte ich den Eindruck, es gibt ein gewisses
höheres Gemeinsames, gemeint war: geographischer Typus.
Das mittelbare Kriterium fiir die Nebenordnung ist hier die
Gegentibersteilung in der Geographie. Erst die Kontrolle gewährt
eine dunkle Erkenntnis des Oberbegriffes und damit eine unmittel-
bare Einsicht in das bestehende Sachverhältnis der Nebenordnung.
Die Prüfung, ob das zwischen Reaktionswort und Reizwort be-
stehende Sachverhältnis mit dem in der Gresamtaufgabe geforderten
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6, Das Gesetz der Berichtigung. 261
Sachverhältnis übereinstimmt, tritt in diesem Versuch mit außer-
ordentlicher Deutlichkeit in die Erscheinung.
Ein ähnliches unmittelbares Kriterium wie bei C wird auch
bei B für die Lösung maßgebend gewesen sein, sei es nun die
Zugehörigkeit zu einem gleichartigen, nämlich geographischen
Ganzen oder das Wissen von einer gebräuchlichen Gregenüber-
stellung oder beides:
Bi» Land 8,8". Schwaches optisches Bild einer MeereskOste. Das Meer
lag nach außen, wie wenn ich davor stehe, aber mit besonderer Betonung des
Kostenrandes. Das führte mich sofort auf „Land**. Versuch der Bestätigung
mit dem Gesichtspunkt: Lassen sie sich begrifflich nebeneinander ordnen?
Dann Reaküon.
Daß gerade die Aufgabe Nebenordnung die zahlreichsten
und bezeichnendsten Beispiele für den Prozeß der Verifikation
liefert, ist kein Zufall. Dieser Umstand erklärt sich vielmehr aus
der Natur der Aufgabe Nebenordnung, welche zur Verwendimg
mittelbarer Kriterien mehr als andere Aufgaben Gelegenheit gibt
und dadurch besonders häufig ein Bedürfnis zur Kontrolle der
Richtigkeit entstehen läßt.
§ 6. Das Gesetz der Berichtigung.
Der determinierte Prüfungsprozeß, der auf die Ermittelung
des zwischen der Reaktion und den Anforderungen der Gesamt-
aulgabe bestehenden Sachverhältnisses gerichtet ist, kann auch
zu einem negativen Ergebnis führen. Es kann sich die Nicht-
übereinstimmung mit der Gesamtaufgabe herausstellen. In diesem
Falle kommt es statt zu einem Bewußtsein der Richtigkeit, bezw.
zur Bestätigung der in Aussicht genommenen Lösung zu deren
Berichtigung.
Beispiele:
Teil? — Bahnsteig.
Alt Büfett 27,8". [Vorstellung des Bonner Bahnhofes] ... Ich fing nun
an, mir den Bahnsteig recht genau anzusehen. Zunächst sah ich mir den
Boden an und fragte mich, ob ich nun die Einfassungssteine und andere
Bestandteile des Bodens, der in Vierecke eingeteilt ist, als Teile nehmen
könnte. Es widerstrebte mir aber diese Reaktion, weil dabei als
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362 Ab$(kH. 3. DU Ouamtaufgabe.
das Ganze nBahnsteig** eigentlich nur der Fußboden erscheinen
warde. Dieser Gedanke war bestimmt da. Dann ging ich weiter und sah
zuerst die Sftulen, welche das Glasdach tragen, und das Glasdach selbst und
dachte, das kOnne ich vielleicht nehmen; aber diesen Gedanken habe ich eben-
falls zurOckgewiesen, weil ich mir dachte, diese Teile könne
man weniger zum Bahnsteig rechnen als zum ganzen Bahnhof.
Dann sah ich mich um, was oben auf dem Fußboden sich befand in der
Hohe, wo man sich bewegt Ich drehte mich um und sah den ganzen Bahn-
hof entlang, ob ich etwas Derartiges finden würde. Es fiel mir zuerst der
blaue Briefkasten in die Aug^iL Das paßte mir auch nicht Dann ging
ich weiter und sah rechts vom Briefkasten, indem ich mich drdite (ich habe
dieses Drehen erlebt), mir nun gegenüber die Bank, welche dort steht.
Dachte, das könnte ich als Teil nehmen, weil es mir klar war,
daß es mit zum Bahnsteig gehöre. Ich wollte aber sehen, ob ich
nicht noch etwas Besseres ftnde, ich habe mich dann weiter nach rechts ge-
dreht und sah dann das RestaurationsbOfett, das ich in meiner früheren
Stellung nicht sehen konnte. Dieses schien mir sehr geeignet, die
Aufgabe zu lösen, wobei ich das Bewußtsein hatte, daß hier Bahnsteig
in sehr weitem Sinne genommen sei. Trotzdem war ich aber ganz befriedigt,
weil es schon sehr lang gedauert hatte.
Die Vp. geht hier zunächst von einer aus dem täglichen
Sprachgebrauch stammenden unklaren Bedeutung von Bahnsteig
aus. Den Kern dieser Bedeutung bildet die symbolische Beziehung
des Wortes Bahnsteig zu der dem Ein- und Aussteigen dienenden
Plattform. Die Yp. sucht daher zunächst auf der Plattform nach
einem Teil. Das führt zu einer determinierten Beachtung der
Fliesen, welche in Bestandteilsbeziehung zu der Plattform stehen,
und zur Aufwerfung der Frage, ob man sie als Teile des Bahn-
steiges nehmen könne. Die Beantwortung der Frage bedingte
einen determinierten Prüfungsprozeß, bei dem die in der
in Aussicht genommenen Reaktion liegende Feststellung, die
Fliesen seien Teile des Bahnsteiges, mit dem tatsächlich be-
stehenden Sachverhältnis verglichen wird. Nach dem tatsächlich
beatehenden Sachverhältnis sin(l nun die FUesen Teile des Fuß-
bodens; Übereinstimmung der Reaktion mit dem in der Gesamt-
aufgabe verlangten Sachverhältnis besteht daher nur, wenn der
Fußboden mit dem Bahnsteig identifiziert werden darf 0- Der
Fußboden würde, wie die Vp. sagt, als das Ganze „Bahnsteig''
') Andernfalls wären die Fliesen nur mittelbare Teile des Bahnsteigs.
Die Angabe von Teilen von Teilen aber wurde von den Vpn. auch sonst als
der Aufgabe nicht völlig entsprechend betrachtet.
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6. Das Gesetz der Beriehtigung. 263
erscheinen. Die Erwägung einer solchenldentif izierung
führt zur Aktualisierung des mit ihr in Widerspruch
stehenden Wissens, daß das Wort Bahnsteig eine weitere
Bedeutung habe. Die mit der Wissensaktualisierung verbundene
Abstraktion des Widerspruchs zwischen der bei Annahme
der Losung zugrunde zu legenden und der wirklichen Bedeutimgs-
funktion des Wortes Bahnsteig hat dann die Verwerfung der
Losung zur Folge. Als Bahnsteig erscheint nun der ganze Raum,
in dem sich der Verkehr der Reisenden abspielt. In diesem Raum
wird jetzt nach Teilen gesucht. Als in ihm befindlich werden
daher die ^ulen und das Glasdach fttr die Lösung in Betracht
gezogen. Der determinierte Vergleich der in der in Aussicht ge-
nommenen Lösung liegenden Feststellung mit dem tatsächlich be-
stehenden Sachverhältnis führt jedoch zu dem negativen Ergebnis,
daß das Glasdach und damit auch die tragenden Säulen nicht
eigentlich mehr zum Bahnsteig, sondern zu dem größeren Ganzen
Bahnhof gehören. In analoger Webe kommt es dann zur Ver-
werfung des Briefkastens. Hierbei spielt vielleicht auch noch die
Tatsache mit, daß der Bahnsteig ein funktionelles Ganzes ist, so
daß Gegenstände, die nur in loser funktioneller Beziehung zu ihm
stehen, keine eigentlichen Teile von ihm sind. Dagegen ent-
sprechen die Bank imd das Büfett, die den Zwecken des Bahn-
steiges dienen, der Anforderung, Teile dieses funktionellen Ganzen
zu sein. Nur muß, wie die Vp. sich wohl bewußt ist, der Begriff
des Bahnsteigs entsprechend weit genommen werden. Hier führt
der determinierte Prüfungsprozeß daher zu einem positiven Aus-
gang. Das Büfett wird wohl wegen seiner engeren Beziehung
zu der Funktion des Bahnsteigs und wegen seiner festeren Ver-
bindung mit ihm vorgezogen.
Ein ähnlicher Berichtigungsprozeß findet in demselben Ver-
such bei Vp. E statt:
Eis Sperre 1' 18,8". [Vorstellung des Dürener Bahnhofs. Die Vp. faßt
zunächst nPerron** als LOsung ins Auge. Diese Möglichkeit wird aber sofort ver-
worfen, da es dasselbe sei wie Bahnsteig. Vp. versteht nämlich unter dem Bahn-
steig „den mit Steinen belegten Boden**] ... Ich nahm nun einen Anlauf und be-
gann den ganzen Bahnsteig auf und ab zu wandern und zwar mit Verände-
rung des Standpunktes, kein bloßes Umherblicken 0. Mir war es, als ob ich
*) Es sei hier nur einstweilen auf das wahmehmungsähnliche Verhältnis
der Vp. zu ihren Vorstellimgen beim Suchen nach einem Teil hingewiesen.
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964 Absdm. 3, Die Gesamtattfgabe.
mich vor den gesehenen Objekten beftode. Ich sudite etwas, was vom Bafan-
ho%ebäude in den Bahnsteig hereinrage, um dadurch einen Teil angäien zu
können, da mir der Boden des Bahnsteigs selbst keinen Anhaltspunkt zu bieten
schien. Dann sah ich den Briefkasten, der an dem Telegn^henbureau hängt»
mit dem Gedanken, daß er vielleicht in Betracht käme. Ich
lehnte ihn aber ab als mehr zum Bahnhofgebäude gehörig.
Es war dabei das an der Mauer Hängen besonders beachtet,
und es war die Grundlage der Ablehnung. Dann kam die Vor-
steüung eines Büfetts, das auf dem Bahnhof stand. Ich war schon versucht»
es zu sagen. Das Daraufstehen auf dem Bahnsteig war besonders beachtet
Das kann ich mit voller Sicherheit angeben. Das Beachten des Darauf-
Stehens bildete die Grundlage für meine Tendenz, es auszu-
sprechen. Ich hatte schon motorisch angesetzt, das Wort auszusprechen.
Dann fiel mir ein, daß das Büfett doch nichts mit dem Zweck des Bahnsteigs,
nämlich zimi Einsteigen zu dienen, zu tun habe; deswegen wurde es dann
abgelehnt.
Der Versuch, den Perron, d. h. die Plattfonn, als Teil des Bahn-
steigs zu denken, führt bei der engen Auffassung der Yp. von
der Bedeutung Bahnsteig zu der Konstatierung, dafi zwisdien
Perron und Bahnsteig das Verhältnis der Identität, nicht das des
Teils zum Ganzen besteht. Da der Bahnsteig im engsten Sinne
keine Lösung zu bieten scheint, wird die Auffassung des Wortes
Bahnsteig wenigstens insofern erweitert, als auch das in dem Raum
über dem Fußboden Befindliche mit zum Bahnsteig gerechnet wird.
Durch Umherwandem werden nun die in diesem Raum befind-
lichen Gegenstände als Teile des Bahnsteigs in Betracht gezogen.
Ähnlich wie bei A führt auch hier die Prüfung, ob der Brief-
kasten sich als Teil betrachten läßt, zum Bewußtwerden des tat-
sächlich bestehenden Sachverhältnisses, das ihn nicht dem Bahnsteig,
sondern mehr dem Bahnhofgebäude als Teil zuweist Das Her-
vortreten des mit dem LOsungsversuch in Widerspruch stehenden
Sachverhältnisses kommt dabei sehr deutlich anschauUch in dem
Beachten des an der Mauer Hängens zur Geltung. Auch bei dem
Büfett gelangt der Vorgang der Prüfung, ob es sich als Teil des
Bahnsteigs betrachten läßt, in der Beachtung seiner festen Ver-
bindung mit dem Bahnsteig sinnMlig zur Erscheinung. Auf
Grund dieser Verbindung erfolgt zunächst die positive Feststellung,
Auf dieses wahmehmungsfthnliche Verhältnis, das auch im vorausgehenden
Protokoll von Vp. A hervortritt, kann erst im zweiten Teil dieser Untersuchungen
nfther eingegangen werden.
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6, Das Gesetz der Beruhägung. 266
daß die Ltfsimg Büfett der Gesamtaufgabe entspricht, d. h., daß
das Büfett in der geforderten Beziehung des Teils zum Ganzen
zu dem Bahnsteig steht Noch bevor es zur Reaktion kommt,
führt jedoch offenbar der Versuch, einen selbständigen Gegen-
stand auf Grund einer äußeren Veri)indung mit einem anderen
G^enstand als dessen Teil zu betrachten, zur Aktualisierung des
Wissens von einer noch zu erfüllenden Bedingung. Derartige
Verbindungen berechtigen nämlich zu der Auffassung als Teil
nur beim Bestehen eines funktionellen Zusammenhangs mit der
Hauptsache. Die Prüfung des Vorliegens dieser Bedingung bringt
der Vp. zu Bewußtsein, daß das Büfett mit der von ihr dem
Bahnsteig allein beigelegten Funktion, dem Einsteigen zu dienen,
nichts zu tun hat^).
Die Aufgabe „Teil?^ zeigte sich bei entsprechender Auswahl
der Reizworte als besonders geeignet zur Erzeugung von Berich-
tigungsprozessen. Es sei daher noch ein Protokoll zu dieser Auf-
gabe wiedergegeben :
Teil? — Gemälde Aio 23". [Vp. ist in einen Ausstellungsraum vor ein
Gemälde versetzt] . . . Ich dachte, du könntest den Rahmen nennen. Ich
dachte, das ist kein Teil, ich soll etwas von der gemalten
Fläche nehmen. Ich sagte mir, du könntest ja Farbenkleckse nennen.
Das paßte mir nicht recht, weil ich ^Gemälde^ anders fassen
IV o Ute. Ich woUte etwas von dem Dargestellten nehmen. [Das ftihrt im
weiteren Verlauf zu der Lösung Vordergrund.]
Die Vp. geht zunächst von einer unklaren Auffassung der Be-
deutung Gemälde aus, bei der noch das in dem Ausstellungsraum
an der Wand hängende Bild einschließlich des Rahmens imter
dem Gemälde verstanden wird. Der Rahmen kann daher als Teil
in Betracht gezogen werden. Indem jedoch die Konsequenz dieses
Lösimgsversuchs klar ausgedacht wird, daß der Rahmen mit zum
Gemälde gehört, wird das ihm entgegenstehende Wissen aktuali-
siert, daß man unter dem Gemälde doch nur die Bildfläche ver-
steht. Die Lösung muß daher als der Gesamtau^abe nicht ent-
sprechend verworfen werden. Als Gemälde wird nim die bemalte
Fläche angesehen imd in dieser nach Teilen gesucht. Als solche
*) Das Wirksamwerden des Wissens von der zu erftülenden Bedingung
und die Feststellung ihrer Nichterfüllung scheinen bei der Vp. in einen Akt
zusammengefallen zu sein.
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266 AbaduL 3. Die Geaamiaufgabe.
kommen die einzelnenFarbenkleckse in Betracht Bei diesemLösungs-
versuch würde das Gemälde als eine Veri)indung von materiellen
Stoffen erscheinen. Allein der Versuch, das Gtomälde als ein der-
artiges Ganzes aus materiellen Teilen zu betrachten, aktualisiert
wieder das ihm entgegenstehende Wissen, daß man unter dem
G^emälde doch eigentUch nicht eine solche materielle Einheit, son-
dern die ideelle Einheit des Dargestellten versteht Es wird da-
her auch die zweite Lösung verworfen und von der nunmehr
geläuterten Auffassung des Wortes Gtomälde ausgehend nach Teilen
des Daigestellten gesucht
Auch bei anderen Angaben fanden sich zahlreiche Berich-
tigungsprozesse. E}s können hier nur einige Beispiele zu ihrer
Charakteristik angeführt werden:
Fieber — Nebenordnung? D»» Abmagerung 9,4^'. [Vp. sucht nach anderen
Krankheitserscheinungen.] ... Ich habe erst an den Puls gedacht, „Puls*^ ge-
sprochen, habe das 9JbeT abgelehnt Es wurde mir bewußt, daß das ein Teil
des Fieberkomplexes sei. Die Ablehnung gründete sich auf diese bewußte
Beziehung.
Nach der in dem Lösungsv ersuch liegenden Feststellung würden
Fieber und Pulsbeschleunigung als gesonderte Krankheitserschei-
nungen einander nebengeordnet erscheinen. Der Versuch einer
solchen Lösung aktualisiert jedoch das mit ihr im Widerspruch
stehende Wissen, daß die Pulsbeschleunigung nur einen Teil des
Fieberkomplexes bildet.
Zeitung — Überordnung? A4t Mittel zum Mitteilen 27'' . . . Dann kam
„Buch**, ich wußte, daß Buch gleichgeordnet ist mit Zeitung; es war als Weg
zur Lösung gedacht Hierauf kam Belehrungsmittel als Bezeichnung ftlr etwas
beiden Gremeinsames. Ich habe das abgelehnt, weil es nicht der eigentliche
Zweck der Zeitung und des Buches sei. . . .
Ursache? — Glatteis.
A*s Frost auf Regenwetter 8^''. [Vorstellung der Franziskanerstraße bei
Glatteis.] ... Ich suchte nun die Ursache zu diesem Glatteis, auf das ich da-
bei hinblickte. Zunächst kam mir der Gedanke, daß Frost dazu nötig sei.
Dabei das Wort Frost in meiner Handschrift geschrieben gesehen. Nun woUte
ich schon mit dem Wort Frost reagieren, aber da fiel mir ein, daß Frost allein
nicht genOgt, um Glatteis zu bilden. Es war dabei ein plötzliches Sichhalt-
gebieten, wie wenn man sagen wollte, wir sind noch nicht so weit Das war
aber nicht die einzige Bewußtseinsrepräsentation des Gedankens. Es wurde
mir jetzt bewußt, daß dem Frost noch etwas vorausgehen mußte, um Glatteis
zu erzeugen. . . .
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6. Das Gesetz der Berithtigung. 267
Die einzelnen Phasen sind hier durch das Hinsehen auf das
Glatteis, durch das Schriftbild von Frost und vermutlich auch
durch ein das Sichhaltgebieten begleitendes kinästhetisches Erleb-
nis anschaulich repräsentiert. Wer jedoch in diesen anschaulichen
Begleiterscheinungen die eigentlichen Ti^lger des Berichtigungs-
prozesses sehen wollte, würde ihm ohne jede Möglichkeit des
Verständnisses gegenüber stehen. Mag man die derartigen Ver-
läufen zugrunde liegenden Denkprozesse den Angaben der Vpn.
entsprechend als bewußt anerkennen oder nicht, jedenfalls kann
die Annahme ihres Vorhandenseins nicht entbehrt werden. —
Von den bisher angeführten Berichtigungsfällen unterscheidet sich
der vorliegende dadurch, daß hier nicht eine Lösung als unrichtig
oder nicht ganz entsprechend verworfen und durch eine andere
ersetzt wird. Die anfiüigliche Lösung wird vielmehr hier nur als
unvollständig und daher ergänzungsbedürftig erkannt. Wir haben
demnach zwischen einer verwerfenden Berichtigung und
einer ergänzenden Berichtigung zu unterscheiden. Eine
besonders wichtige regulierende Funktion erfüllt die erg^üizende
Berichtigung bei der Aufgabe Definition, indem sie die Korrektur
einer anfänglich zu engen oder zu weiten Definition herbeiführt.
Definition? — Hypothek A«t Ja 61,6"0 • • * Wie ich das Reizwort las,
kam mir die Scu^e doch leichter vor als vorhin [beim Versuch Definition? —
Eigentum]. Ich hatte dann Begriff und Druckbild von Dariehen. Ich wußte
aber, daß Darlehen allein nicht genügt, sondern Dariehen gegen eine ganz
bestimmte Sicherheit Dann sah ich ein Haus vor mir stehen mit rechts und
links anstoßenden Häuserreihen, mit dem Gedanken, daß das einzelne Haus,
das da vor mir stand, hypothekarisch belastet sei. Nun begann ich mir eine
Formulierung zusammenzustellen: „Eine Hypothek besteht darin, daß ein Dar-
lehen gewährt wird gegen eine Sicherheit in . . .**, nun wollte ich sagen
»in einem Hause**, dachte aber, das genOgt nicht, weil es nicht
gerade ein Haus zu sein braucht, auf dem eine Hypothek steht,
sondern daß auch ein unbebautes Land hypothekarisch be-
lastet sein könne. Bei dieser GegenOberstelhmg von Haus und unbebautem
Land besonderes Anschauungsbild, im gleichen Akt mit dem Gedanken. Es
Wir geben sowohl dieses Protokoll als das des späteren Wiederholungs-
versuches seinem wesentlichen Inhalt nach vollständig wieder. Es soll dadurch
auf die strenge Gesetzmäßigkeit in dem Auftreten von Berichtigungsprozessen
hingewiesen und zugleich durch die Obereinstimmung des ganzen Veriaufes
gezeigt werden, wie zuveriässig auch bei längeren Reaktionszeiten die Pro-
tokolle sein können und wie wenig Zufälligkeiten in dem Auftreten von Vor-
stellungB- und Denkprozessen herrschen.
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266 Ah$dm. 3. Die Geaamiaufgabe.
war eine bestimmte Straße an der Peripherie d^ Stadt hier, die zum Teil
ausgebaut ist und zum Teil noch Baustilen hat, und ich sagte mir, daß so-
wohl auf dem Hause wie auf den Baustellen eine Hypoth^ lasten könne.
Dann suchte ich die Formulierung von vorhin zu ergänzen. Ich wiederholte
die ganze Formulierung von vorne an und fügte nach „in^ hinzu, „bebauten
oder unbebaut»» Grundstöcken*'.
Wiederholungsversuch nach über zwei Monaten:
A^4t Ja 29,6'' ... Ich hatte schon lange befürchtet, daß diese Aufgabe
einmal kommen würde, weil es nach meiner Meinung bisher die schwerste
war. Der ganze Begriff der Hypothek war mir präsent, aber
nicht explizite, sondern in einem einfachen Erlebnis enthalten*).
Ich hatte jetzt nur zu formulieren, das fiel mir schrecklich schwer. Ich hatte
dabei ein Anschauungsbild, ein Haus, es kann an der Franziskaner- oder
Stockenstraße [in der Nähe des Instituts] gestanden haben, ich glaube, es war
dasselbe Bild auch früher da. Von diesem Haus weiß ich, daß es mit Hypo-
theken belastet ist; das war mir auch im Versuch bewußt Ich begann jetzt
zu formulieren, während die Vorstellung des Hauses bestehen blieb. Ich be-
gann: „Hypothek ist . . .*^ Ich merkte, daß ich so nicht weiter kam . . . Ich
begann wieder von vorne: „Hypothek besteht darin, daß ein Darlehen gegeben
wird gegen eine Sicheiiieit . . .**, nun wollte ich sagen, in Häusern,
da fiel mir ein, daß es nicht gerade Häuser sein müßten, und
daß mir das auch damals bewußt geworden sein müßte. Dabei kam ein An-
schauungsbild, eine noch unbebaute Straße hier an der Peripherie der Stadt,
an der rechts und links Grundstücke liegen. Nun fügte ich in meine Definition
ein „gegen eine Sicherheit in Grundstücken*^, indem ich dabei dachte, daß ein
Haus auch ein Grundstück ist; ich war dabei optisch auf die unbebauten
Grundstücke gerichtet ... In dem mir während des ganzen Versuchs gegen-
wärtigen Sinn war mit enthalten, daß eine Hypothek auf Grundstücken Hegt,
dabei war der Gegensatz von bebauten und unbebauten nicht vorhanden.
Dadurch, daß mir ein Grundstück in Gestalt eines Hauses später vorschwebte,
kam ich zunächst nur zur Formulierung Haus. Die Korrektur geschah dann
im Sinne eines schon vorher Bewußten und jetzt nur bei der Formulierung
Vernachlässigten. In dem früheren Versuch war das anders.
Auch in diesen beiden Protokollen wird die Aufeinanderfolge
der Wort- und Sachvorstellungen erst durch die Heranziehung
der Denkprozesse, mit denen ihr Auftreten verbunden ist, ver-
stlUidlich. Als weiterer Beleg für die Gesetzmäßigkeit des Auf-
Zu beachten ist die starke Verkürzung der Reaktionszeit und im Zu-
sammenhalt damit die Angaben der Vp. über das Präsentsein des Begriffs der
Hypothek.
") Vgl. oben Am S. 253.
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6. Das Gesetz der Beridttigung.
tretens derartiger Berichtiguiigsprozesse werden noch zwei Proto-
kolle zu demselben Versuch im Auszug angeführt:
Bs4. Auf einem Grundstack liegendes Kapital 20^'. . . . Dann bot
sich mir an der Begriff des Kapitals, woran sich die Erinnerung an national-
ökonomische Bestimmungen anschloß. Dann suchte ich diesen Begriff genauer
zu determinieren mit der bestimmten Direktion, daß es sich um ein Ki4>ital
handle, welches auf irgend einem Werte ruht (Das Wort „Wert** war nicht
gegenwärtig.) Dann dachte ich an ein Haus, vielleicht auch mit einem sinn-
Uchen Bilde, aber nur schematisch. [Vgl. die Protokolle von A.] Dann ver-
aUgemeinerte sich mir das Haus zum Grundstück, indem ich mir vergegen-
wärtigte, daß nicht nur ein Haus, sondern überhaupt ein beliebiger Bodenwert
durch eine Hypothek belastet werden kOnne . . .
Um eine noch wesentlichere Erg^btizung handelt es sich bei
Vp. E, die anfiUiglich nicht nur den Kreis der zur Sicherung
dienenden Gegenstände zu eng zieht, sondern deren Bestimmung
ganz unterläßt Dient dort die Berichtigung der Erweiterung
der zu engen BegrijBbbestimmung, so dient sie hier der Verenge-
rung einer zu weiten Begriflbbestimmung durch nähere Deter-
mination.
Ett Ja. Es ist eine Grarantie für geliehene Kapitalien, die in Grund-
stücken und Gebäuden besteht 99,6''. ... Ich spradi innerlich: „Hypothek
ist (jrarantie ftlr gdiehene Kapitalien** und wollte damit aufhören. In
diesem Augenblick fiel mir ein, daß ich dabei das Wesentliche
der Hypothek vergessen hatte, nämlich, daß es darauf an-
kommt, daß Immobilien belastet sind.
Definition? — Gebäude.
Bftf Wohnungs- und Schutzgelegenheit, ich habe willkürlich abgebrochen
17,8^'. Das erste, was mir kam, als ich auf das Wort Gebäude blickte und
ein Verständnis der Bedeutung hatte, war „Wohnung**. Es war auch das
Wort da. Darauf der Gedanke, daß Wohnung nicht ausreiche.
Es gäbe viele andere Zwecke, dachte dabei an Scheune. (Dabei weder
Worte noch Vorstellungen erinnerlich.) Auch das Wort Unterkunft war da,
vielleicht auch Unterbringung. Dann dachte ich auch daran, daß ich allerlei
leblose Gegmistände in einem Gebäude vereinigen kann, auch daß Tiere
in Gebäuden untergebracht werden. (Vielleicht habe ich das Wort im Bewußt-
sein gehabt, die Worte „leblose Gregenstände** waren nicht da.) Dann entschloß
ich mich, unter dem Worte „Schutz** alles das zusammenzufassen, was ich
zuletzt erwähnt hatte, und mit Wohnung den anderen Hauptzweck zu be-
zeichnen. Sagte dann Wohnungs- und Schutzgelegenheit, Grelegenheit in dem
Sinne gefaßt, in welchem man das als Oberbegriff auffassen kann . . .
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270 Abadin. 3. Die Gesamtaufgabe.
Gas, bei 60^' vom VL unterbrochen ... Es bot sich an: Raum für W(^m-
zwecke. Das Wort Raum war zweifellos da. Versuchte flüchtig, wie
sich dieDefinition ausnehme*)} verwarf sie jedoch sehr schnell,
da Gebäude ja auch anderen Zwecken dienen kOnnen ...
H*§t Ja 10,4''. ... Es fiel mir gleich dne Antwort ein: Wohnung der
Mensdien, mehrere Male akustisch*). Wandte mich davon ab in
dem unbestimmtenBewußtsein, daß das nicht richtig sei*).. .
Bei der Definition von Hypothek hatten die Vpn. A und B
bei der Bestimmung des G^egenstandes der Belastung zunächst
nur an das in der Mehrzahl der Fälle belastete und daher als
Gregenstand eines solchen Rechtsverhältnisses geläufige Obj^t
gedacht, nämlich an ein Haus. Erst durch den Versuch der zu
engen Definition auf dieser Grundlage wurde das einer solchen
Begriffsbestinmiung entgegenstehende Wissen aktualisiert, daJQ auch
unbebaute Grundstücke hypothekarisch belastet werden können.
Ebenso denken bei der Definition von Gtebäude alle drei an-
geführten Vpn. bei der Bestimmung des zur Definition dienendoi
Zweckes des zu definierenden Gegenstandes zunächst nur an den
geläufigsten Zweck von Gebäuden, an den Wohnzweck. Auch
hier wird erst durch den Versuch der zu engen Definition das
ihr entgegenstehende Wissen von anderen Zwecken aktualisiert
Wir stoßen damit auf folgende wichtige Tatsache: Ein Wissen,
das nicht geläufig oder in Bereitschaft genug ist, um
bei dem auf die Lösung der Aufgabe gerichteten Pro-
zeß sofort wirksam zu werden, kann dennoch durch
einen mit ihm in Widerspruch stehenden Lösungs-
versuch ins Bewußtsein gehoben werden. Die Be-
deutung der Berichtigungsprozesse für die Siche-
rung der Richtigkeit der Aufgabelösung tritt dadurch
in ein neues Licht. Wir verstehen jetzt auch, wie das Wissen
von einem zur Bedeutung des Reizwortes oder der Auf-
gabe gehörigen Bestandstück zwar zu wenig geläufig bezw.
in Bereitschaft sein kann, um sich bei der Aui^gabelösuDg un-
Der determinierte PrOfungsprozeß tritt hier also deutlich in die Er-
scheinung.
■) Auch hier deutet sich der determinierte Prüftmgsprozeß in der noch-
maligen Wiederholung der Lösung an.
*) Der instruktionsgemäßen Tendenz „möglichst schnell" (S.21 f.) entspricht
die Unklarheit des Prüftmgsergebnisses.
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6, Das Gesetz der Beriditigung. 271
mittelbar geltend zu machen, während es durch eine mit ihm in
Widerspruch stehende Lösung später aktualisiert wird und zu ihrer
Berichtigung Anlaß gibt. Die hierhergehörigen Erscheinungen
der früher angeführten Protokolle finden dadurch eine nachträg-
liche Erklärung^). Wenn femer Lösungen wie „Fisch*' oder „SchifiT'
als Teile des Meeres, „ Vogel** als Teil des Käfigs, statt ganz zu unter-
bleiben, von den Vpn. zuerst versucht und dann erst verworfen
wurden, so erklärt sich das aus der eben festgestellten Gesetz-
mäßigkeit Es wird in solchen Fällen bei dem Suchen nach einem
Teil zunächst von der Bedeutung Teil nur das Erfordernis des
Enthaltenseins in dem Granzen wirksam, ohne daß die nähere Be-
stimmung der Weise dieses Enthaltenseins (das Erfordernis sub-
stanzieller bezw. funktioneller Einheit) zur Greltung kommt Das
Wissen von dem Erfordernis eines engeren Zusammenhangs
mit dem Ganzen wird dann erst durch den mit ihm in Wider-
spruch stehenden Lösungsversuch aktualisiert. In analoger Weise
erklärt es sich, daß das Wissen von den Bedingungen einer sinn-
gemäßen bezw. instruktionsgemäßen Interpretation der Angabe
häufig erst durch das Auftreten der Tendenz zu einer unrichtigen
Interpretation*) bezw. erst durch die Tendenz zu einer Fehl-
reaktion aktualisiert wurde.
Beispiel:
Stern — Überordnung? €•• Weltkörper 14^". ... Auf einmal das Wort
Astronomie gesehen. Ich dachte zuerst, ach, das wird man schon als Lösung
nehmen können. Ich dachte das etwas näher aus und verwarf es
dann. Dann wurde eine andere Lösung als falsch verworfen, weil ich
merkte, das gehe in die Richtung auf die Aufgaben „Teil" und
^Ganzes"*. Es war die Richtung auf den Weltraum .... Dadurch
wurde es mir wieder deutlich, daß ich hier das logisch Über-
geordnete zu suchen hatte und Stern sozusagen als ein logischer
Teil genommen werden müsse. Dann kam das Wort Weltkörper ohne
Vermittlung. Kontrolle und dann Reaktion.
Indem im Vordergrund des Verständnisses der Angabe Über-
ordnung das allgemeine Erfordernis steht, es sei etwas Umfassen-
deres zu suchen, gelangt die nähere Bestimmung dieses Umfas-
senden als des begrifflich Umfassenden zunächst nicht zur Geltung,
') Vgl. namentlich die Protokolle oben S. 261—266.
•) Vgl. z. B. oben S. 248, 216 Anm. 1.
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272 Ab$dui. 3. Die Gesamtaafgabe,
80 dafi die Vp. zuerst in das umfassende Gebiet, in dem von
Sternen die Rede ist, und dann in der Richtung auf das rttumlich
Um&ssendere abirrt. Erst dieser Tendenz zu einer Fehlreaktion
gegenüber wird der volle Aufgabesinn wirksam, so daß auf Grund
seiner Klärung eine richtige Lösung gefunden wird ^).
Wegen desdeutlichenHervortretens desdeterminierten Prtlfungs-
prozesses sei noch das folgende Protokoll in dem hier in Betracht
kommenden Teil angeführt:
Definition? — Werkzeug Eti. Ja, Werkzeug ist ein Instrument, das die
menschliche Hand bei Anfertigung von Gegenständen untersttttzt i9^\ . . .
Ich wußte auch, daß die Definition [Instrument, das der Anfertigung
von Gegenständen dient] zu eng sei, nachher, wie ich sie nochmals
besah. Ich kam aber in dem Augenblick nicht auf andere An-
wendungen vonWerkzeug. Ich wollte Ansätze machen, sie zu
suchen . . .
Der Vp. wird abo bei der nochmaligen Überprüfung bewußt,
daß es noch andere Anwendungen von Werkzeugen gibt, ohne
daß sie diese im Augenblick näher pi^Lzisieren kann. In Frage
k&me z. B. die Bearbeitung von Gregenständen*).
Hauptergebnisse.
Die in diesem Paragraphen mitgeteilten Protokolle bestätigen
die uns schon früher wiederholt begegnete (Gesetzmäßigkeit, welche
für die Prozesse der Berichtigung unrichtiger oder relativ gering-
wertiger Lösungen gilt und daher als Gesetz der Berichti-
gung bezeichnet wurde: Die in dem Lösungsversuch
einer Aufgabe liegende Sachverhaltsfeststellung
zeigt die Tendenz, die Aktualisierung eines mit ihr
in Widerspruch stehenden Wissens, verbunden mit
der Erkenntnis des bestehenden Widerspruchs, her-
beizuführen. Das Gesetz der Berichtigung stellt demnach zu-
gleich eine psychologische Gesetzmäßigkeit dar, welche für die
Entdeckung logischer Widersprüche, d.h. eines Unver-
träglichkeitsverhältnisses zwischen verschiedenen
^) Hieriier gehört wohl auch £•• S. 243 und die folgenden Protokolle.
■) Vgl. ferner zu diesem Paragraphen die früher behandelten Berichtigungs-
prozesse imd Ausführungen zum Gesetz der Berichtigung S. 37 f., 87 f., 222,
226 fif., 240fif.
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6. Das Gesetz aei Beriäiägung. 27B
Sachverhaltsfeststellungen („Urteilen'^) maßgebend ist
Man könnte versuchen, die Reproduktion eines Wissens durch eine
mit ihm in Widerspruch stehende Sachverhaltsfeststellung auf ein
allgemeines (besetz der Gleichheits- bezw. Ähnhchkeitsreproduktion
zurückzuftthren, nach dem Bewußtseinserlebnisse die Tendenz
haben, gleiche oder ähnliche frühere Bewußtseinserlebnisse zu
reproduzieren^). Zwischen der in der Lösung liegenden Sach-
verhaltsfeststellung und dem ihr entgegenstehenden Wissen besteht
nämlich als Bedingung des Widerspruchs stets eine partielle Über-
einstimmung. So kann sich der Widerspruch auf das Bestehen
eines anderen Sachveiiiältnisses der nämlichen Kategorie, z.B.
eines anderen räumlichen, zeitUchen oder begriffUchen Verhält-
nisses zwischen denselben Gliedern stützen. Oder eines der
Sachverhaltsglieder kann zu einem anderen als dem in dem
Lfösungsversuch angenommenen Gegenstand in dem fraglichen
Sachverhältnis stehen. Eine solche Erklärung des Gesetzes
der Berichtigung erscheint jedoch aus verschiedenen Gründen als
für sich allein wenigstens nicht ausreichend. Vor allem bestehen
derartige partielle Übereinstimmungen nicht nur mit den einer
Lösung entgegenstehenden, sondern auch mit andern Wissens-
dispositionen. Es können z. B. auch andere Gegenstände als der
Reizwortgegenstand zu dem Reaktionswortgegenstand in der auf-
gabegemäßen Beziehung stehen. Ebenso müßte sich eine Tendenz
zeigen, im Anschluß an eine Lösung, das Wissen von weiteren
Fällen zu aktualisieren, in denen ebenfalls die aufgabegemäße Be-
ziehung zum Reizwortgegenstand besteht. Die Erfahrung lehrt
aber gerade im Gegenteil, daß durch das Auftreten einer mangel-
freien Lösung weitere Reproduktionen in der Richtung der Auf-
gabe abgeschnitten zu werden pflegen. Die Tendenz zur Gleich-
heitsreproduktion würde femer mit der determinierenden Tendenz
zur Reaktion beim Auftreten einer Lösung in Konkurrenz treten,
die wie alle determinierenden Tendenzen von relativ großer Stärke
ist. Endlich wäre zu erklären, warum nicht nur die Aktualisierung
einer partiell übereinstimmenden Wissensdisposition, sondern in
Vgl. neuerdings die hierher gehörigen Ausführungen von K. Koffka
zugunsten der sogenannten Ähnlichkeitsassoziation (Zur Analyse der Vor-
stellungen und ihrer Gesetze 1912, S. 948 ff.), auf die hier im einzelnen nicht
eingegangen werden kann«
Sels, Ol>er die OeteUe de« geordneten DenkrarUab. 18
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274 Aämkn. 3. Die Oemmiattfgßbe.
Verbindung damit auch die Abstraktion des zwischen der LOsung
und dem aktualisierten Wissen bestehenden Verhältnisses des
Widerstreites erfolgt
Zu einer befriedigenderen Erklärung des Gesetzes der Be-
richtigung gelangen wir, wenn wir den in einem großen Teil der
Protokolle enthaltenen Anhaltspunkten folgen und die Vorgänge
bei der Berichtigung auf einen determinierten Prttfungs-
prozeß zurttckftthren: Wenn das Auftreten des Reaktionswortes
nicht schon auf Grund des klaren Bewußtseins vom Bestehen
eines der Gresamtaulgabe entsprechenden Sachverhältnisses erfolgt,
so beginnt die Prüfung der Richtigkeit der Lösung damit, daß
die Vp. die in dem Lösungsversuch hegende Sachverhaltsfest-
stellung klarer ausdenkt ^). Die Klärung kann auch in Form einer
den eigentUchen PrUfungsprozeß einleitenden Frage oder eines
äquivalenten Vorgangs erfolgen*). Die verschiedenen Hinsichten,
in denen die Prüfung stattfinden kann, ermitteln wir durch die
Analyse der in der ausgedachten Lösung liegenden Feststellung
der Erfüllung der Qesamtaulgabe. Diese Feststellung besteht im
Zustandekommen des Bewußtseins von dem zusammengesetzten
Sachverhältnis, daß der Reaktionswortgegenstand zu einem be-
stimmten anderen Gegenstand, der durch das Reizwort be-
zeichnet ist, in einer bestimmten Beziehung steht, welche
mit der durch das Aufgabewort bezeichneten Be-
ziehung übereinstimmt Entsprechend den drei Sachverhalts-
feststellungen, die das zusammengesetzte Sachverhaltsbewußtsein
enthält, ist eine unrichtige Feststellung und demgemäß eine Prü-
fung in drei Hauptrichtungen möglich
1. hinsichtUch der Identität des einen Sachverhaltsghedes mit
dem durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand,
2. hinsichtlich der Übereinstimmung der tatsächUch bestehenden
mit der durch die Aufgabe geforderten Beziehung,
3. hinsichtUch der Übereinstimmung der tatsächhchen Fest-
stellungen, welche der Subsumtion unter die Anforderungen
Vgl. namentiich €•• S. 271, Ets S. 272, Gst S. 270; ferner die Aus-
fOhningen S. 87, 41, 240 und 242.
") Vgl Alt S. 261 fiP., Elf S.268fiP., Ai« S.266; femer Gt, Ai« S.268, Bit
S. 269, Git S. 260, Bi« S. 261, wo die PrOfung zu einan positiven Ei^^nis
führte.
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6. Das Gesetz der BeiiMigung, 275
der Gresamtaufgabe zugrunde liegen, mit den nach dem
gesamten Wissensbesitz des Subjekts wirklich
bestehenden Tatsachen.
Bestanden schon bei der versuchsweisen Lösung Zweifel in
einer der drei angegebenen Richtungen, so wird sich der determi-
nierte Prüfungsprozeß vorzugsweise nach der betreffenden Rich-
tung erstrecken. Die Tendenz zur Prüfung in den beiden ersten
Richtungen bewirkt einen höheren Bewußtseinsgrad bezw. eine
höhere Bereitschaft der zur Bedeutung des Reizwortes, bezw. der
Aufgabe gehörigen Bestandstücke. Hierbei besteht im ersten Falle
die determinierende Tendenz zur Abstraktion der Identität des
einen Sachverhaltsgliedes, z. B. bei der Aufgabe „Teil*' des Granzen
mit dem durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand 0. Im
zweiten Falle besteht die Tendenz zur Abstraktion des Verhält-
nisses der Übereinstimmung der tatsächlich bestehenden mit der
durch die Au^;abe geforderten Beziehung ^. Wir haben uns diesen
determinierten Abstraktionsprozeß in der Weise vor sich gehend
zu denken, daß die allgemeine Operation der determinierten Ab-
straktion ihren Ausgang von einer schematischen Antizipation des
festzustellenden Sachverhältnisses der Übereinstimmung mit dem
Reizwortgegenstand, bezw. der Aufgabebeziehung nimmt Infolge-
dessen läßt der eingeleitete Abstraktionsprozeß gerade dieses der
Antizipation entsprechende Sachverhältnis im Bewußtsein hervor-
treten. Das Bestehen einer analogen determinierenden T^idenz
zur Feststellung eines allenfallsigen Widerstreits ist möglich, aber
wohl nicht erforderlich. Es darf vielmehr hier von folgen-
der allgemeiner psychologischer Gresetzmäßigkeit ausgegangen
werden: Wenn statt eines erwarteten Erlebnisses ein anderes
Erlebnis eintritt, so gelangt dieses auch ohne eine besondere
dcurauf gerichtete Determination zur Apperzeption ^). Der Zustand
der Enttäuschung gründet sich auf eine auf diese Weise herbei-
geführte Beachtung, ebenso die Tatsache, daß die Veränderung
Vgl namenüich die Bemeriaingen zum ersten L<)8ung8ver8uch von Ais
oben S. 261 f.; ferner Ai« S. 265f.
^ Vgl. namentlich die Bemerkungen zu Eis S. 263 ff. in bezug auf die
Lösung Büfett
5 hl unseren Versuchen trat diese Erscheinung z. B. dann auf, wenn die
bei einer Reihe von Versuchen konstant gebliebene Stellung von Aufgabe und
Reizwort vertauscht wurde.
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S76 Absdm. 3. Die Oesamtaufgabe,
einer gewohnten Erscheinung die Aufmertcsamkeit auf sich zieht.
Die auf die Abstraktion der Übereinstimmung gerichtete determi-
nierende Tendenz genttgt daher, um die Abstraktion der Nicht-
übereinstimmung des einen Sachverhaltsgliedes mit dem Reizwort-
gegenstand oder der tatsächlich bestehenden Beziehung mit der Auf-
gabebeziehung zustande zu bringen. Beim Vollzug der Abstraktion
des vorliegenden konkreten Sachverhttltnisses der Übereinstim-
mung oder Nichtübereinstimmung treten auf der einen Seite die-
jenigen tatsächlichen Momente, auf der anderen Seite diejenigen
Bestandstücke des Wissens *) von der Bedeutung des Reizwortes
bezw. der Aufgabe im Bewußtsein hervor, die das Veiiiältnis der
Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung fundieren*).
Die determinierende Tendenz zur Nachprüfung der Lösung
erweist sich demnach als der Grund für den gesetzmäßigen Zu-
sammenhang zwischen einem Lösungsversuch und der Aktuali-
sierung eines mit ihm in Widerspruch stehenden Wissens von
den (durch die Bedeutimg des Reizwortes und der Aufgabe be-
dingten) Anforderungen der Gesamtaufgabe. Der früher erörterte
Vorzug der Berichtigungsprozesse, ein bei der direkten Aui^gabe-
lösung nicht wirksam gewordenes Bestandstück der Bedeutung
von Aufgabe oder Reizwort nachträglich zur Geltung zu bringen^,
findet durch diese Zurückführung eine einfache Erklärung: Es ist
leichter, durch determinierte Abstraktion die Nichtübereinstim-
mung einer bestimmten Lösung mit einem einzelnen Bestand-
stück der Aufgabe- oder Reizwortbedeutung festzustellen, als den
ganzen Bedeutungsgehalt simultan zu reproduzieren und wäh-
rend der direkten Lösung in der Weise präsent zu halten,
daß keines seiner Bestandstücke unwirksam bleibt. Es schieben
sich vielmehr, wie die Protokolle zeigen, bei der direkten Lösung
leicht einzelne Bestandstücke der Bedeutung in den Vordergrund,
so daß sie die Lösung allein bestimmen^), oder es findet zimiächst
keine klare Aktualisierung der Bedeutung und demgemäß eine
*) Es sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Bedeutungs-
bewußtsein (bezw. die entsprechende Disposition) sich deswegen als Wissen
charakterisiert, weil es ein Bewußtsein von dem symbolischen Verhältnis zwischen
bestimmten Zeichen und bestimmten Gegenstandsbestimmtheiten ist.
•) Vgl. z. B. die Lösung Bafett Eis S. 263 ff.
") Siehe oben S.270f.
*) Vgl oben S. 271 f.
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6. Das Gesetz der BeridUigung. 277
unscharfe Abgrenzung ihres Geltungsbereichs statt ^). In engstem
Zusammenbang mit der eben erörterten GresetzmäBigkeit steht
die bekannte Tatsache, dafi es leichter ist, in einem konkreten
Anwendungsfall einenVerstoß gegen eine bestimmte Anwendungs-
bedingung eines sprachlich fixierten B^frifib festzustellen als eine
erschöpfende Begriflbbestimmung zu geben').
In analoger Weise ist der Beriditigungsprozeß zu denken,
bei dem es zur Aktualisierung des Wissens von Tatsachen kommt,
welche mit den tatsächlichen Feststellungen des Lösungsversuchs
in Widerspruch stehen. Nehmen wir etwa den Versuch: Fieber
und Pulsbeschleunigung als gleichgeordnete Erankheitssymptome
zu denken*). Das KontroUbedttrfnis wird hier die Tendenz be-
gründen, das Wissen von dem Verhältnis zwischen Fieber und
Pulsbeschleunigung soweit zu klären, daß seine Übereinstimmung
bezw. Nichtübereinstimmung mit dem in dem Lösungsversuch an-
genommenen Verhältnis zur Abstraktion gelangen kann. So kommt
es zur Abstraktion des Widerstreits zwischen der Lösung und der
Tatsache, daß die Pulsbeschleunigung selbst zum Fieberkomplex
gehört. Ebenso wird die Kontrolle der Lösung „Belehrungs-
mittel*'^) dahin tendieren, das Wissen von dem Zweck der Zeitung
soweit zu klären, daß die Abstraktion seiner Übereinstimmung
oder Nichtübereinstimmung mit dem in der Lösung angegebenen
Zweck erfolgen kann. Hierdurch kommt es zum Bewußtwerden
der die Nichtübereinstimmung fundierenden Tatsache, daß es noch
andere Zwecke der Zeitung gibt^). Die Angabe von „Haus^ als
Belastungsgegenstand der Hypothek wird bei vorhandener EontroU-
tendenz zur Abstraktion des Widerstreits zwischen dieser Lösung
und der Tatsache führen, daß Hypotheken auch an unbebauten
Grundstücken bestehen*) usw.
Zur Verhütung von Mißverständnissen sei noch ausdrücklich
Vgl. oben S. 261-266.
*) Die moderne Gesetzgebung vermeidet daher Definitionen und überlftßt
es der Praxis der Rechtsprechung, namentlich im Wege der Korrektur un-
richtiger Begriffsanwendungen im Einzelfalle (Instanzenzug), die einzelnen
Bestimmungsstocke eines Begriffs allmählich zu fixieren.
*) Siehe oben S. 266.
*) Siehe oben 8. 266.
*) Entsprechendes gilt bei der zu engen Bestimmung des Gebäudezweckes
S. 269 f., wo in zwei FftUen der Kontrollvorgang sich deutlich bemerkbar macht
•) Vgl. oben 8.267 ff.
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278 Absdm. 3. Die Qesamtaufgabe,
betont, daß die zur Berichtigung fahrende Tendenz zur LOsungs-
kontrolle sich keineswegs in einem gesonderten Verifikations-
verfahren geltend zu machen braucht, sondern daß der determi-
nierte Eontrollprozeß unmittelbar mit dem Auftreten der Lösung
verbunden sein kann, ohne in einem getrennten Akt in Erscheinung
zu treten^). E^ ist daher sehr begreiflich, daß die Kontrolle
sich in der Selbstbeobachtung nicht immer bemerkbar macht Jede
Beschäftigung mit der Lösung, welche ihr unmittelbares Auftreten
tiberdauert, kann die Bedeutung eines zur Berichtigung führenden
Kontrollprozesses besitzen. Hierbei ist wie bei jedem gewohn-
heitsmäßig eingeleiteten determinierten Prozeß die Möglichkeit eines
automatischen Ablaufes gegeben '). Ausdrücklich sei auch darauf
hingewiesen, daß durch die Annahme einer determinierten Kon-
trolle nur die Regelmäßigkeit des Auftretens von Berichtigungs-
prozessen verständlich gemacht werden soll, ohne im Einzelfalle
die Möglichkeit einer anderen Entstehungsweise auszuschließen.
Wie die als Beispiele von Berichtigungsprozessen in diesem
Paragraphen und früher angeftUirten Protokolle zeigen, pflegt es
sich in den FäUen einer Berichtigung nicht etwa um die Ab-
lehnung bezw. Hemmung von starken aufgabewidrigen Assozia-
tionen zu handeln, die sich trotz der Wirksamkeit der Aufgabe
durchgesetzt haben. Vielmehr handelt es sich um die Korrektur
von Lösungsversuchen, welche durch Prozesse von ganz derselbe!
Art wie diejenigen, die zu richtigen Lösungen führen, zustande
kommen; nur führen diese Prozesse aus besonderen Gründen,
z. B. infolge eines falschen bezw. unklaren Aufgabeverständnisses
oder der anfönglichen Unwirksamkeit des Wissens von einem der
Lösung entgegenstehenden Umstand, nicht zum Ziel.
Im engen Zusammenhang mit dem Gesetz der Berichtigung
und seiner Erklärung durch einen determinierten Prüfungsprozeß
steht eine von Michotte und Prüm gefundene Gesetzmäßigkeit:
Entspricht der Ablauf der Bewußtseinserlebnisse nicht der In-
struktion, so tritt die letztere wieder ins Bewußtsein ■). Hierdurch
^ Vgl oben § 5, insbesondere S. 257 f.
^ Vgl. N. Ach, Über den Willensakt und das Temperament, S.279, 289, 296ff.
*) Michotte et PrOm, l^tude exp^rimentale sur le choix volontaire, S. 227 ff.,
296 Ziff. 11 ; siehe femer die ebenfalls hierher gehörige Erklärung der Henmiung
vor der Entscheidung a. a. 0. S. 272 ff.
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6. Das Gesetz der Berithägung, 279
wird der mstroktionsgemäße Ablauf gesichert. Bei den Wahl-
versuchen von Michotte und Prüm zeigte sich diese Erscheinung
namentlich, wenn der Verlauf den Bedingungen der Nebenauf-
gaben in bezug auf die Art und Weise der Lösung nicht genügte.
Die Tendenz zu einer oberflächlichen Wahl rief die Nebenau|gabe
ins Bewußtsein zurück, sich nur aus ernsthaften Motiven zu ent-
scheiden. Eine wirkliche oder scheinbare Verzögerung der Wahl
bewirkte die Erinnerung an die bei derartigen Reaktionsversuchen
selbstverständliche Nebenau%abe, möglichst rasch zu reagieren.
Solche FäUe eines Wiederauftretens der Aufgabe lassen sich in
ganz analoger Weise wie die Wissensaktualisierungen erklären,
die nach dem Gresetz der Berichtigung stattfinden: Wir haben in
der determinierten Kontrolle der Übereinstimmung einer Lösung
mit der Aufgabe eine allgemeine Lösungsmethode zu
erblicken, welche die Erfüllung von Angaben irgendwelcher
Art gewährleistet Da sie zu den Lösungsmethoden gehört,
die gewohnheitsn^ig angewendet werden, so braucht sie, wie
schon erwähnt, im Bewußtsein nicht hervorzutreten. Die An-
wendung dieser Lösungsmethode setzt in dem S^itpunkt ein,
in dem die betreffende Aufgabe zur Erfüllung gelangt Es muß
daher angenommen werden, daß bei den Wahlversuchen von
Michotte und Prüm im Augenblick der Vornahme der Wahl die
determinierende Tendenz wirksam war, die Übereinstimmung der
Besdiaffenheit der Motive mit dem Erfordernis der Ernsthaftigkeit
zu kontrollieren. Im Falle einer Nichtübereinstimmung der tat-
sächlichen und der von der Angabe geforderten Beschaffenheit
der Motive kam es daher zur determinierten Abstraktion dieses
Sachverhältnisses. Dabei trat als das eine Fundament des Verhält-
nisses der Nichtübereinstimmung die Instruktion wieder ins Be-
wußtsein 0* Bei der Au%abe, möglichst rasch zu reagieren, kann
der determinierte Kontrollprozeß in einer Art Vergleich von Zeit-
strecken bestehen. Die bei derartigen Reaktionsversuchen ange-
messen erscheinende Zeit bildet die Normalzeit, die Zeit des kon-
kreten Versuchs die Vergleichszeit Dem entspricht es durchaus,
daß bei der Überschreitung der üblichen Reaktionszeit im kon-
kreten Versuch der Eindruck entsteht, es dauere lang oder es sei
«) Vg^.oben S.276f.
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2B0 Abadui. 3. Die Gesamtaafgabe.
jetzt Zeit zu reagieren ^). Von dieser Auffassung aus wird auch
die zunächst auffalloide Tatsache leicht begreiflich, daß Michotte
und Prüm als Versuchspersonen trotz eines ganz verschiedraien
Verhaltens bei der Wahl im Mittel annähernd gleiche Reaktions-
zeiten hatten (2268 ö gegen 2256 ö) *).
') Michotte et PrOm a. a. O. S. 214, 228f.
^ a. a. 0. S. 260. Michotte und Prüm betrachten im Einklang mit dem
oben Ausgeführten die übereinstimmenden Zeiten als das Ergebnis der ein-
ander entgegenwirkenden Nebenau%aben, möglicfast schndl zu reagiere einer-
seits und sich aus ernsthaften Motiven zu entscheide anderseits.
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Sduuß. asi
Schluß.
Die Theorie der determinierten Komplexei^g^inzung überhaupt
und der determinierten Wissensaktualisierung im speziellen forderte
die Ersetzung der Konstellationstheorie der reproduktiven Vor-
gänge im geordneten Denkverlauf durch eine Komplextheorie.
Die Analyse der Gesamtaufgabe hat nunmehr die Komplextheorie
durch den experimentellen Nachweis ihrer Voraussetzungen ge-
klärt und bestätigt. Erst durch die Einsicht in die Natur der
Gesamtaufgabe konnten auch die Prozesse der Bestätigung und
Berichtigung von Lösungsversuchen wirklich verständlich gemacht
werden. Es erübrigt noch zum Schluß auf ein bisher nicht be-
rührtes Argument gegen die Konstellationstheorie hinzuweisen,
das ihre Unzulänglichkeit für die Erklärung des geordneten Denk-
verlaufe besonders einleuchtend dartut. Bei einem konstellieren-
den Zusammenwirken von Angabe und Reizwort könnten näm-
lich selbst dann durchaus verkehrte Reaktionen zustande kommen,
wenn die konstellierende Wirkung der von der Aufgabe aus-
gehenden Tendenzen beliebig stark angenommen werden dürfte.
Zur Erläuterung mögen einige Zusammenstellungen von Aufgaben
und Reizwörtern dienen, die alle unseren Versuchen entnommen
sind. Auf dem Boden einer Konstellationstheorie würde z. B. die
Aufgabe, ein (Ganzes zu suchen, bei dem Reizwort „Seite*' zu der
Reaktion „Zeile^, also zur Angabe eines Teiles der Seite führen
können. Denn durch das Aufgabewort Ganzes würden unter
anderem auch die mit seiner Bedeutimg assoziativ verknüpften
Reproduktionsgrundlagen von „Zeile" in Erregung versetzt werden.
(Die Zeile ist ein Ganzes im Verhältnis zu den Worten und
Silben.) Hierdurch würde die Reproduktionstendenz Seite — Zeile
verstärkt werden und daher ebenso gut „Zeile" als die richtige
Lösung „Band" zur Reproduktion gelangen können. Entsprechend
könnte die Aufgabe, einen Teil anzugeben, beim Reizwort „Seite"
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^2 SdUufi.
die Reproduktion des Gfanzen ^Band*' herbeifahren. Denn erstens
sind „Band^ und „Seite^ und zweitens „Band^ und der BegaS
eines Teils miteinander assoziiert (Der Band ist ein Teil des ganzen
Werkes oder der Bibliothek.) Statt einer Voraussetzung könnte
eine Folge der Schuld, nfimlich Verurteilung reproduziert werden.
Denn ^Verurteilung^ ist sowohl mit Schuld als auch mit dem
Begriff einer Voraussetzung (als Voraussetzung der Bestrafung)
assoziiert. Analoge Fehlreaktionen, bei denen das Reaktions-
wort zum Reizwort statt in der geforderten in der entgegen-
gesetzten Beziehung steht, wären:
1. Strafe Wii^ung?
(=» Wiiinmg der Strafe)
\ /
Verbrechen
(Verbrechen ist die Wirkung verschiedener Faktoren).
2. Biß Ursache?
(= Ursache des Bisses)
Blutvergiftung
(Blutvei^^ung ist die Ursache der Vergiftungserscheinungen).
3. Stern Überordnung?
(= übergeordneter Begriff zu Stern)
Fixstern
(Fixstern ist übergeordnet zu Sonne).
4. Preufie Unterordnung?
(= untergeordneter Begriff zu Preuße)
Deutscher
(Deutscher ist untergeordnet zu Germane oder Europäer).
6. Eroberung nachher?
(= was ist nach der Eroberung?)
Sturm
(Sturm erfolgt nach der Zemierung).
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SdUafi. a^
Zugegeben also, durch die Aufgabe würden alle mit der
Aufgabebeziehung assoziierten Vorstellungen derart in erh(^hte
Bereitschaft gesetzt, daß unter den mit dem Reizwort assoziierten
Vorstellungen nur die gleichzeitig von der Aufgabe aus in Bereit-
schaft gesetzten zur Reproduktion gelangen. Wie die angeführten
Beispiele dartun, würde hierdurch nicht die mindeste Gewähr für
eine richtige Aufgabelösung gegeben sein. Es würden vielmehr
bei einer solchen Eonstellationstheorie Fehlreaktionen erwartet
werden müssen, wie sie weder die tägliche noch die experimen-
telle Erfahrung uns zeigt
Alle diese Erwägungen weisen von neuem auf die großen
Vorzüge der Theorie der Eomplexergänzung für die ErUärung
der geordneten Reproduktion sinnvoller Zusammenhänge hin. Es
darf daher erwartet werden, daß in zukünftigen Untersuchungen
über das sogenannte logische Gredächtnis der Anteil der Eomplex-
er^üizung an der Reproduktion sinnvollen Materials eine eingehende
Berücksichtigung findet. Vor allem die Bedeutung der determi-
nierten Komplexergänzung und speziell der determinierten Wissens-
aktualtsierung darf nirgends außer acht gelassen werden. Die
Untersuchung von Michotte und Ransy über das logische Gredächt-
nis sucht z. B. das Zusanmienwirken des einen Relationsgliedes
und der Relation bei der Reproduktion des anderen Relations-
gliedes noch in erster Linie durch die Annahme einer Eonstel-
lationswirkung verständlich zu machen 0* Die Verfasser beschi^Uiken
allerdings ihre Theorie des logischen Gedächtnisses vorsichtig auf
ihre speziellen Versuchsbedingungen'). Diese waren nun in der
Tat für die Entstehung von Eonstellationswirkungen besonders
günstig. Es wurde nämlich den Versuchspersonen nicht ein fertiges
Beziehungsganzes zur Einprägung dargeboten, sondern nur die
beiden Worte, welche die Beziehungsglieder repräsentierten. Die
Versuchspersonen hatten die Beziehung zwischen den beiden dar-
gebotenen Worten selbst aufzusuchen. Unter diesen Bedingungen
ist es sehr wohl denkbar, daß einerseits eine mehr oder weniger
^ Michotte et Ransy, Gontribution k F^tude de la m^oire logique
(Louvain 1912) S. 24—27, 75—78, 80. Das gleiche gilt für Balaban, der seinen
theoretischen Standpunkt aber weniger deutlich erkennen läßt Vgl. Michotte
und Ransy S. 73 Anm. 1.
") a. a. 0. S. 72.
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^4 SdUufi.
feste unmittelbare Assoziation zwischen den beiden Worten ge-
stiftet wurde, während andererseits eine mittelbare Verknttpfung
durch die zwischen ihnen bestehende Beziehung erfolgte^). Die
Selbstbeobachtungen der Versuchspersonen von Michotte und Ransy
sprechen indessen sehr für die Annahme, daß auch hier im all-
gemeinen nicht ein konstellatives Zusammenwirken von Relations-
glied und Relationsbewußtsein stattfand, sondern daß es sich um
Vorgänge der Eomplexergänzung und zwar um Wissensaktuali-
sierungen handelte. Michotte und Ransy betonen selbst, daß die
Relation nach der Darbietung des einen Ghedes nicht als ein
abstraktes Beziehungsbewufltsein erschien, sondern immer in kon-
kreter Form auftrat*). „Die Versuchspersonen sagen nicht, daß sie
in einem bestimmten Augenblick an ,61eichzeitigkeit' oder ,Auf-
einanderf olge' gedacht hätten, sondern, daß sie das Bewußtsein ge-
habt hätten, daß ,das andere' [nämlich das andere Beziehungs-
glied] zu dem Reizwort in einer solchen Beziehung
stand" •). Nach dieser Beschreibung sind die in Frage stehenden
durch ein Relationsbewußtsein vermittelten Reproduktionsvorgänge
nichts anderes als sukzessive determinierte Wissensaktualisie-
rungen ^). Die Vp. steht von Anfang an unter der Determination,
das andere Wort zu suchen, das ihr mit dem Reizwort zusammen
dargeboten worden war. Michotte und Ransy stellen sogar nach
*) Ähnliches gilt für die Versuchsbedingungen von A. Michotte et Th. Forsch,
Deuxi^me l^tude sur la memoire logique. Extrait du tome 11 des Annales de
llnstitut Sup^eur de Philosophie (Louvain 1913). Hier hatten die Vpn. freie
Wahl bezüglich der Art der Einprftgung der dargebotenen Worte.
*) a. a. 0. S. 15 ff. Vgl. auch die dort angefahrten Beispiele.
^ An Stelle dieses entwickelten Sadiverhaltsbewußtseins konnte allerdings
auch ein bloßes „Bewußtsein von etwas Ähnlichem" oder „Identischem" u. dergL
treten. Allein in dieser weniger entwickelten Form ist der konkrete Charakter
des Relationsbewußtseins ebenfalls noch erkennbar, eine Auffassung, die auch
der Ansicht der Verfasser selbst entspricht (a. a. 0. S. 16 f.). In der ersten
Form scheint mir das Bewußtsein von dem Sachverh<nis zwischen Reiz- und
Reaktionswort hervorzutreten. Sie wurde ganz dementsprechend von den Vpn.
von Michotte imd Ransy speziell als Wissen (savoir) bezeichnet In der anderen
Form dagegen scheint der Nachdruck mehr auf der indirekten Gegenstands-
bestimmung, der Bestimmimg des Reaktionswortgegenstandes, zu liegen, so daß
das Sachverhaltsbewußtsein, das aktualisierte Wissen, nur als Bestandstück
dieser indirekten Bestimmung zur Geltimg kommt. Die Vpn. bezeichnen diese
Form des Relationsbewußtseins nicht als „Wissen", sondern als „Gedanken"
(pens6e) der konkreten Relation.
*) Siehe oben 1. Abschnitt, insbes. S. 4öff., 62 ff., 2. Abschnitt S. 190 ff.
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Sdiluß, 286
dem Erscheinen des Reizwortes ein bewußtes Gerichtetsein der
Vpn. auf das Reaktionswort fest, das dabei indirekt bestimmt ist
als das mit dem Reizwort zusammen dargeboten gewesene Wort^-
Auf das Erscheinen des Reizwortes hin aktualisiert sich nun infolge
der bestehenden Determination zunächst das abstrakte Wissen,
daß das gesuchte Wort zu dem Reizwort in einer bestimmten Be-
ziehung gestanden habe *). Die Aktualisierung dieses Wissens zieht
genau wie in den früher beschriebenen Fällen der sukzessiven
Wissensaktualisierung die Aktualisierung des ihnen entsprechen-
den konkreten Wissens von dem Wort nach sich, das zu dem Reiz-
wort in der betreffenden Beziehung stand'). Darin besteht wohl
eine Hauptbedeutung der indirekten Bestimmung des Reaktions-
wortes durch die Reproduktion des Bewußtseins von seiner Be-
ziehung zum Reizwort, auf die Michotte und Ransy hingewiesen
haben *). Michotte und Ransy bezeichnen die Reproduktionen auf
Grund indirekter Bestimmungen als reproductions däfinies. Das
Wesen dieser Reproduktionen findet durch die Theorie der Kom-
plexergänzung und insbesondere durch die Theorie der Wissens-
aktualisienmg seine Aufklärung^).
Michotte und Ransy lassen die Tatsache unberücksichtigt, daß eine in-
direkte Bestimmung des Reaktionswortes durch seine Beziehung zum Reizwort
auch schon durch das Wissen gegeben ist, daß das Reaktionswort mit dem
Reizwort zusammen in der Versuchsreihe dargeboten war. Vermöge dieser
indirekten Bestimmung kann sich die Determination auf die Reproduktion
desjenigen Wortes richten, das mit dem Reizwort zusammen
dargeboten war. Wie wichtig es ist, auf die Möglichkeit des Bestehens
einer solchen Determination hinzuweisen, zeigt folgender Umstand: Michotte
und Ransy suchen eine Erklärung daftlr, daß durch das Reizwort gerade das
früher mit ihm dargebotene Wort reproduziert wird und nicht ein anderes auf
Grund älterer Assoziationen des täglichen Lebens mit ihm allein oder mit ihm
*) a.a.O. S. 16f.
^ Dieser Wissensaktualisierung kann natürlich auch eine spezielle Deter-
mination zur Aktualisierung des Wissens von der Beziehung vorausgegangen
sein, die zwischen dem Reizwort und dem dazugehörigen Wort bestand.
*) Statt dessen kann die sukzessive Wissensaktualisierung zunächst auch
nur zur Aktualisierung des konkreten Wissens von irgendwelchen Gegen-
ständen ftUiren, die zum Reizwort in der gesuchten Beziehung stehen. In
solchen Fällen wird dann erst im Wege des Wiedererkennens unter den re-
produzierenden Worten das gesuchte aufgefunden. Michotte et Ransy, S. 27, 73 f.
*) a. a. O. S. 78 f. Vgl. auch Michotte und Portych S. 903 ff.
^ Vgl. namentlich 2. Abschnitt III D, insbes. S. 180 ff.
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29B Sdilafi.
und dem bei der Einprftgung eingeschobenen Zwischenglied (interm^aire)
assoziiertes Wort Da nun die Determination^ gerade das vorher mit dem
Reizwort zusammen dargebotene Wort zu reproduzieren, keine BerOcksichtigung
findet, muß ausschließlich die Stärke der bei der nur einmaligen Darbietung
gestifteten Assoziationen zur Eridärung herangezogen werden. Diese müssen
zurzeit der R^roduktion an St&rke die stftiksten filteren Assoziationen des
Reizwortes übertreffen^. Berücksichtigt man jedoch die bestehende Deter-
mination, das mit dem Reizwort früher zusammen dargebotene Wort zu re-
produzieren, so kommt diese neben der Stfirke der bei der Einprfigung ge-
stifteten Assoziationen als ein wesentlicher Faktor in Betracht, und es braucht
nicht angenommen zu werden, daß jene neuen Assoziationen ft&r sich allein
zurzeit der Reproduktion stäricere Reprodukticmstendenzen begründen als die
filteren Assoziationen des tfiglichen Lebens. Dem determinierten R^roduktions-
prozeß dient die schematische Antizipation des Verhältnisses d^ gesuchten
Wortes zum Reizwort, nämlich die Antizipation ihrer gemeinsamen Darbietung,
zum Ausgangspunkt, so daß nur die in einem der Antizipation entsprechenden
Verhältnis zum Reizwort stehenden Worte zur Reproduktion gelangen. Das
Beispiel zeigt, daß auch bei Ged&chtnisuntersuchungen die bestehenden Deter-
minationen keineswegs immer vernachlässigt werden dürfen.
Auch Micbotte und Ransy erkennen an, daß durch die „Pro-
duktion*' der Relation eine besonders innige Einheit zwischen den
beiden dargebotenen Worten und der zwischen ihnen gestifteten
Relation begründet wird. Die Relation bildet mit ihren Funda-
menten eine Eomplexion höherer Ordnung (Gomplexion d'un ordre
äevä). Reizwort und Relation „bieten der Vp. den größeren Teil
einer Eomplexion dar, deren fehlender Teil zu suchen ist.^ Allein
die beiden Verfasser erblicken dann anscheinend die Bedeutung
der Bildung einer solchen Eomplexion doch wieder nur in der
Stiftung besonders fester Assoziationen zwischen den dargebotenen
Worten untereinander und zwischen ihnen und der Relation*).
Die Zugehörigkeit zu demselben Eomplex soll also nur die kon-
stellative Wirkung des einen Relationsgliedes und der Relation
erhöhen. Nach den Ergebnissen unserer Untersuchungen wird
man dagegen bei dieser Auffassung nicht stehen bleiben können,
sondern der besonderen Natur der Eomplexer^üizung Rechnung
tragen müssen. Die Einsicht in die Bedeutung und die Vorzüge
der determinierten Eomplexerg^Lnzung läßt im Zusammenhalt mit
den Selbstbeobachtungen von Michotte imd Ransy vermuten, daß
der Anteil eines bloßen konstellativen Zusammenwirkens von Reiz-
*) a. a. 0. S. 76ff. Vgl auch Michotte und Portych S. 804f., 866 ff.
•) a. a. 0. S. 26.
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Sdtlufi. ^
wort und Relationsbewußtsem von den beiden Verfassern über-
schätzt worden sein dttrfte.
Es soll hier nochmals nachdrücklich betont werden, daß unsere
Komplextheorie des geordneten Denkverlaufs die Möglichkeit von
Konstellationswirkungen durchaus nicht in Abrede stellen will.
Bemedit werden muß übrigens, daß die von Ach als reproduktiv-
determinierende Bahnung bezeichneten Tatsachen nicht notwendig
als Ergebnisse des konstellativen Zusammenwirkens determinieren-
der Tendenzen einerseits imd von ihnen unabhängig vom Reiz-
wort ausgehender Reproduktionstendenzen andererseits angefaßt
zu werden brauchen. Ach imd 6. Glässner, der die Untersuchungen
Achs fortgeführt hat, neigen zu dieser Anschauung^). Nehmen
wir als Beispiel folgenden von Glässner festgestellten Fall einer
reproduktiv determinierenden Bahnung: Es wurde eine Reihe sinn-
loser Silben in verschiedenen Kombinationen gelernt, so daß sie
nicht wirksam miteinander assoziiert wurden, aber starke Bekannt-
heitsquaUtät erhielten. Befand sich nun unter den gelernten
Silben z. B. die Silbe gef und wurde bei der Instruktion, einen
Reim zu bilden, die Silbe mef dargeboten, so wurde mit der Silbe
gef reagiert, deren Anfangskonsonant bei der Erlernung der vor-
her gegebenen Reihe mit einem Teil der dargebotenen Silbe (ef)
rückläufig assoziiert worden war. Glässner nimmt an, daß diese
Teilassoziation bei der Herbeiführung der Reimsilbe gef die Wirk-
samkeit der determinierenden Tendenz zu reimen unterstützt, und
zwar können derartige reproduktiv-determinierende Bahnungen
eintreten, ohne daß der Vp. die Hilfe, die sie durch die frühere
Assoziation empfängt, zu Bewußtsein kommt *). Es wird also in
solchen Fällen vor allem nicht etwa willkürlich die früher gelernte
Silbe reproduziert, die sich auf die Reizsilbe reimt. Auch bei
unabsichtlicher Verwendimg der gelernten Silbe braucht aber nicht
angenommen zu werden, daß die von der Reizsilbe, bezw. ihren
Teilen ausgehenden assoziativen Reproduktionstendenzen neben
der determinierenden Tendenz zu reimen eine selbständige Wirk-
samkeit entfalten, so äaß die Wirksamkeit der determinierenden
N.Ach, Über den WiUensakt und das Temperament, S.264ff. G. Glässner,
Über Willenshemmung und Willensbahnung. Untersuchungen zur Psychologie
und Phüosophie, herau8g^;eben von N. Ach, 1. Bd., 7. Heft (Leipzig 1912); vgl.
insbesondere auch S. 182 Anm.
•) a. a. O. S. 88, 36.
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^ Sdiluß,
Tendenzen durch die rückläufige Assoziation g^^t unterstützt
wird. Viel einfacher ist vielmehr folgende Lösung: Es besteht
die Gesamtaufgabe, auf die Silbe mef einen Reim zu bilden,
das heißt eine Silbe zu nennen, die auf ef endigt und mit
einem anderen Konsonanten als m beginnt. Die dieser Gresamt-
aufgabe entsprechende Determination zieht die Tendenz zur
Aktualisierung der allgemeinen intellektuellen Operationen nach
sich, die zur Verwirklichung einer derartigen Au%abe geeignet
sind. Zu diesen Operationen gehört auch die Operation der
determinierten Komplexer^^Lnzung. Es besteht demnach eine
determinierende Tendenz zur Komplexei^änzung, die im Bewußt-
sein hervortreten kann, aber nicht hervorzutreten braucht. Nach
dem dritten Gesetz der Komplexergänzung wird nun diese determi-
nierende Tendenz solche früher im Bewußtsein gewesene Silben
in reproduktive Erregung versetzen, die auf ef endigen, und diese
Silben werden um so leichter reproduziert werden, in je höherer
Bereitschaft sie sich befinden 0- Da diese Bedingungen bei der
eben gelernten Silbe gef erfüllt sind, so wird sie reproduziert,
ohne daß neben der determinierenden Tendenz zur Komplex-
ei^^bizung eine selbständige Wirksamkeit der von der Reizsilbe
mef ausgehenden assoziativen Reproduktionstendenzen angenom-
men zu werden braucht. In gleicher Weise erklären sich z. B.
die analogen FäUe, in denen auf die Reizsilbe nicht mit einer
vorher gelernten Silbe, sondern mit einem bekannten Klan^ild,
z. B. dem eines sinnvollen Wortes reagiert wird, also Reaktionen
wie schuk — ruck, baus — maus.
Hier soll indes, wie wiederholt gesagt, die Möglichkeit einer
konstellativen Mitwirkung von assoziativen Reproduktionstendenzen
am geordneten Denkverlauf nicht in Frage gestellt werden.
Unsere Untersuchungen zeigten ledigUch, daß solche Konstella-
tionswirkungen auch zur Erklärung der reproduktiven Vor-
gänge im geordneten Denken nicht ausreichen. Sie zeigten
femer, daß die Analyse des tatsächlichen Verlaufs dazu führt, in
schematischen Komplexantizipationen, wie sie das im Bewußt-
sein von der Gesamtau%abe enthaltene Sachverhaltsbewußtsein
darstellt, und in determinierten Komplexergänzungen der anti-
zipierten Komplexe die ausschlaggebenden Faktoren des ge-
*) Vgl. oben S. 128 mit S. 109 f.
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SMufi. 2B9
ordneten reproduktiven Ablaufe zu erblicken. Solche schema-
tischen Antizipationen und determinierten Eomplexergänzungen
liegen auch schon dann stets vor, wenn sinnloses oder sinnvolles
Lemmaterial in der ursprünglichen Ordnung willkürlich zu re-
produzieren gesucht wird. Das zu Reproduzierende kann in solchen
Fttllen in abstrakter Form z. B. antizipiert sein: als die erste oder
die auf die eben dagewesene folgende Silbe der gelernten Reihe
oder als die auf die eben rezitierte Verszeile folgende mit ihr
sinnvoll zusammenhSng^ide Zeile aus einem ein bestimmtes Thema
behandelnden Gedicht. Die Tragweite dieser Tatsache für 6e-
dächtmsuntersuchungen kann jedoch nicht prinzipiell, sondern nur
im einzelnen entschieden werden^). Jedenfalls aber hat James
nicht recht, wenn er in dem früher angeführten Beispiel *) aus-
schließlich die Konstellation dafür verantworüich macht, daß wir
nicht von einem Wort des Gredichts plötzlich auf die Worte über-
springen, die mit demselben Wort in einem anderen Gedicht
assoziiert sind. Es müssen auch hier vielmehr die Gesetze der
Eomplexerg^üizung und speziell der determinierten Komplex-
er^üizung zur Erklärung herangezogen werden. Man kann die
Reproduktion einer Sübenreihe und die Rezitation eines (Gedichts
nach dem eben Gesagten als die allmähliche Ausfüllimg eines
Schemas auffassen, durch das die Reihe oder das Gedicht schon
vor Beginn der Reproduktion in abstrakter Form antizipiert wird.
Solche abstrakte Antizipationen eines ganzen Komplexes sind wohl
zu unterscheiden von konkreten „Gtesamtvorstellungen'' oder „Total-
vorstellungen'' *) des Komplexes, die in nuce schon den ganzen zu
reproduzierenden Komplex enthalten würden. Die fehlenden Kom-
plexbestandteile sind in der schematischen Antizipation nur ihren
abstrakten Merkmalen nach, z. B. als Silben oder als Verse be-
stimmt, oder sie sind nicht direkt ihrer Beschaffenheit nach, sondern
indirekt durch ihre Beziehungen zu den gegebenen Bestandstücken
des Komplexes bezw. zu dem ganzen Komplex bestimmt Dies
ist z. B. der Fall, wenn eine Verszeile bestimmt ist als die auf
eine bestimmte andere Verszeile folgende oder als eine in einem
*) Vgl über die Bedeutung der Determination zur Reproduktion bei Ge-
dftchtnisuntersuchungen auch Koffka, Zur Analjrse der Vorstellungen usw., S. 968.
*) Sidie oben S. 106.
•) Vgl. unten S.290f.
8«lB, über dto 0«Mtae d«f f«ordtt«t«n DenkTerUnlk 19
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290 SdOuß.
Gedicht bestimmten Namens enthaltene ^). Die Analyse der Ge-
samtaufgabe in unser^i Versuchen war die Analyse von Anti-
zipationen eines fehlenden Komplexstüeks durch solche indirekte
Bestimmungen. Wie die schematische Antizipation eines Kom-
plexes von seiner Antizipation durch eine unklare oder unent-
wickelte Gesamtvorstellung zu trennen ist, so ist sie auch keine
Obervorstellung'), die mit den gegebenen oder jeweils reprodu-
zierten Komplexgliedemkonstellativ zusammenwirkt Dieg^;ebenen
und die bereits reproduzierten Komplexbestandteile treten vielmehr
als konkrete Bestandstticke in das sich allmählich konkretisierende
Schema ein und dienen als Bestandteile dieses einheitlichen Ganzen
zum Ausgangspunkt für die determinierte Komplexerg^bizung').
Die früher analysierten sukzessiven Wissensaktualisierungen haben
gezeigt, wie die schematische Antizipation eines Komplexes durch
die Reproduktion einzelner Bestandstttcke eine immer bestimmtere
Gestalt annehmen kann, ohne ihre Einheitlichkeit zu verlieren.
In einer kurz vor demAbschluß diesesBuches erschienenen Schrift
hat W. Poppelreuter die Konstellationstheorie des geordneten
Denkverlaufs auf Grund seiner Untersuchungen über elementare
Reproduktionsgesetze zu rechtfertigen gesucht^). Poppelreuter be-
schi^tokt sich allerdings in dem bisher erschienenen ersten Teil
seiner Schrift im wesentlichen auf eine Erkttrung des Verstehens
sinnvoller Zusammenhänge, z. B. zusammenhängender Worte.
Poppelreuter weicht von der üblichen Auffassung der elementaren
Reproduktionsvorg^üige dadurch ab, daß er die Annahme einer
kettenartigen, von Glied zu Glied sukzessiv fortschreitenden Re-
') In der Regel vereinigen sich abstrakte direkte und indirekte Be-
stimmungen zu einer einheitlichen schematischen Antizipation des Komplexes,
z. B. diejenige durch eine bestimmte rhjrthmische Gliederung ausgezeichnete
Verszeile (1), die auf eine bestimmte andere Verszeile (2) eines bestinuntei
Gedichts (3) folgt
•) Vgl. H. Liepmann, Über Ideenflucht
*) Vgl. S. 117 fr. Wie wiederholt erwähnt wurde, lassen wir ganz dahin-
gestellt, wieweit diese schematischen Antizipationen als bewußt anzusehen sind.
Daß sie im Bewußtsein zur Geltung konmien können, hat die Analyse der
Gesamtaufgabe dargetan.
*) Walter Poppelreuter, Über die Ordnung des Vorstellungsablaufes, I.,
Archiv f. d. ges. Psycho!. 25. S. 206; außerdem erschienen in den Abhandlungen
zur psychol. Pädagogik, herausgegeben von Meumann, III. Bd., 8. Heft Vgl.
femer den Vortrag von Poppelreuter im Bericht Ober den V. Kongreß f. exper.
Psychol. (Leipzig 1912) S. 169 f.
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Sdüufi. 291
Produktion verwirft JDie Reproduktionstendenz geht nicht nach
dem Prinzip der engsten Eontiguität, sukzessiv von Teil zu Teil,
sondern vom Teil sofort auf das Ganze^^). (Totalität der Re-
produktionstendenz'). Es erneuert sich die im Anschluß an die
ursprüngliche Perzeption als „Sekundärerlebnis'' entstandene Total-
vorstellimg, in welcher auch die sukzessiven Teile in ihrer zeit-
lichen Ordnimg simultan enthalten sein sollen. Die Reproduktion
erfolgt durch Explikation der Teile dieser Totalvorstellung nach
Maßgabe ihrer verschiedenen Reproduzibilität, die von der Hohe
des Bewußtseinsgrades und der Andauer im Sekundärerlebnis ab-
hängt'). Die Entwicklimg einer durch ein Reproduktionsmotiv
erneuerten Totalvorstellung wird durch den Hinzutritt eines weiteren
Reproduktionsmotivs beeinträchtigt, soweit dieses Reproduktions*
motiv nicht in der gleichen Richtung wirkt Infolge des Hinzu-
tritts eines konvergenten Reproduktionsmotivs wird andererseits
die Entwicklung der durch das erste Reproduktionsmotiv aktuali-
sierten oder potentialisierten Totalvorstellimg gefördert, bezw. es
wird die Entwicklimg der durch das zweite Reproduktionsmotiv
aktualisierten Totalvorstellung in der durch das erste Reproduktions-
motiv vorbereiteten Richtung beeinflußt. Es werden sich daher
nur die konvei^nten Reproduktionsmotive durchsetzen*). Auf
die Beweisführung Poppelreuters für seine Theorie und ihre Wür-
digung im einzelnen braucht hier nicht näher eingegangen zu
werden. Jedenfalls sprechen gegen die Heranziehung dieser Hypo-
these zur Erklärung des geordneten Denkverlaufs unsere
Versuchsergebnisse und alle sonstigen Gründe, die wir gegen eine
Eonstellationstheorie des geordneten Denkverlaub überhaupt vor-
gebracht haben. Alle solchen Theorien lassen die besondere Be-
deutung der Einheitsbildimg mehr oder weniger unberü(dLsichtigt,
indem sie das konstellative Zusammenwirken einer Mehrheit von
Bestandstücken und das Zusammenwirken als einheitliches Ganzes
nicht genügend auseinanderhalten^). Erst die Einsicht in die
*) a. a. 0. S. 252. Das Wort „sofort" ist von mir hervorgehoben.
") a. a. 0. S. 258.
•) Vgl. z. B. a. a. 0. S. 24Q, 261 ff., 261 f., 263 ff.
*) Vgl. z. B. a. a. 0. S. 217, 906 ff., 312, 316, 331 ff., 836 ff., 3441.
*) Poppelreuter ist wiederholt auf dem Wege einer richtigen Würdigung
der Einheitlichkeit eines aus mehreren Bestandstücken bestehenden Reproduktions*
motivs. Das einheitliche Reproduktionsmotiv löst sich ihm aber alsbald wieder
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Eigenart der Komplexwirkung aber gestattet, wie wir sahen, die
volle Würdigung der Bedeutung schematischer Antizipationen des
ganzen Komplexes und der durch sie ermöglichten determinierten
Operationen der Komplexergänzung.
Im einzelnen soll hier nur darauf hingewiesen werden, daß
durchaus nicht in allen Fällen, deren sich Poppelreuter zum
Nachweis einer Konstellationswirkung bedient, wirkliche Kon-
stellationswif'kungen vorzuliegen brauchen. Es finden sich viel-
mehr verschiedentlich Anhaltspunkte daftlr, daß der instruktions-
gemäße Ausschluß eines willkürlichen Verhaltens nicht verhindert,
daß isoliert dargebotene Worte oder andere Reize unwillkürlich
aufeinander bezogen werden und zu ähnlichen Prozessen der Bildung
von Beziehungsganzen Anlaß geben, wie wir sie bei der Analyse
der Gesamtaufgabe kennen gelernt haben. Beispiele für eine
solche imwillkürliche Aufeinanderbeziehimg sind namentlich Fälle,
die Poppelreuter anführt, um zu zeigen, daß durch die einfache
Sukzession von Worten neue Kombinationen entstehen können^).
So wurde z. B. die Parataxe gegeben: Blei — Amboß. Die Vp.
denkt zuerst an Bleistift; „dann anschaulich eine Schmiede mit
einem Amboß. Auf einmal wurde der Amboß aus Blei. Dann
Gedanke: bleierner Amboß ist Unsinn, er ist zu weich.^ Die Er-
klärung dieses Vorganges ist unschwierig, wenn wir einen durch
die dauernde Determination zum Sprachverständnis geschaffenen
Einstellungsmechanismus annehmen, demzufolge Wortsukzessionen
automatisch die zur Herstellung sinnvoller Bedeutungszusanmien-
hänge dienenden Operationen auslösen. Es würde sich also um
automatisierte determinierte Prozesse handeln, wie sie Ach nament-
lich in seinem Buche „Über den Willensakt und das Temperament^
beschrieben hat. Die Tendenz, zwischen Blei und Amboß einen
sinnvollen Zusammenhang, d. h. eine Beziehung zwischen den Be-
deutungen bezw. den entsprechenden Gegenständen herzustellen*).
auf in eine Mehrheit konvergenter Reproduktionsmotive. Vgl. a. a. O. S. 312 ff.,
831-337.
*) aa.O. S.334f.
*) hihaltlich zusanunenhftngend sein, heißt nicht, wie Poppebeuter, der
sich hier mit Ebbinghaus berührt (siehe oben S. 91), annimmt, „daß sich Re-
produktionsmotive folgen, weiche in einer Richtung wirken** (a. a. O. S. 344),
es heißt viehnehr, daß dsis Verständnis der aufeinanderfolgenden Worte dazu
führt, an einen einheitlichen gegenständlichen Zusammenhang zu denken, wie
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Sdüufi, ^
kann nun zwar nicht zur determinierten Aktualisierung des
Wissens von einer bekannten Beziehung speziell zwischen Blei
und AmboB führen, wohl aber führt sie zur Aktualisierung
des Wissens von der Beziehung zwischen den zum Bedeutungs-
bewußtsein des einen Beziehungsgliedes Blei gehörigen allgemeinen
Materialcharakters und dem zum Bedeutungsbewußtsein des
anderen Beziehungsgliedes Amboß gehörigen Charakters als Ge-
brauchsgegenstand. Es wird also das Wissen wirksam, daß
solche Gegenstände wie Blei als Rohmaterial zur Herstellung
von Gebrauchsgegenständen wie Amboß dienen. Damit ist der
Versuch einer Aufeinanderbeziehung von Blei und Amboß in
diesem Sinne nahe gelegt, der sich in der Vorstellung eines bleiernen
Ambosses äußert. Für den gedanklichen Hintergrund des Auf-
tretens dieser Vorstellung spricht auch die sich sofort an sie an-
schließende gedankliche Kritik, welche Blei als ungeeignetes
Material für die Herstellung eines Ambosses bezeichnet^). Die
Tendenz zur Herstellung eines sinnvollen Zusammenhanges ist die
Tendenz, die aufeinanderfolgenden Worte so zu deuten, daß das
Bewußtsein von einem einheitlichen gegenständlichen Zusammen-
hang entsteht. Durch die Auffassung der Wortsukzession Blei —
Amboß im Sinne von bleierner Amboß wird ein solcher gegen-
ständlicher Zusammenhang hergestellt, also die bestehende Ein-
stellung verwirklicht. Ohne die Annahme einer derartigen deter-
minierenden Tendenz zur sinnvollen Interpretation dagegen gibt
es kaum eine imgezwungene Erklärung dafür, wieso durch das
Zusammentreffen der von Blei und Amboß ausgehenden Re-
produktionsmotive gerade eine solche Kombination entstehen soll,
die in der Erfahrung nie gegeben war. Warum wird nicht statt
er etwa durch zeitliche und kausale Beziehungen zwischen den Ereignissen einer
Geschichtserzählung oder durch die Beziehungen zwischen den Teilen eines be-
schriebenen räumlichen Ganzen, z. B. einer Landschaft, oder durch die logischen
Beziehungen zwischen den Bestandstücken einer Beweisführung gegeben ist
Weil das Verständnis der aufeinanderfolgenden Worte zur Konstituierung des
Bewußtseins von einem solchen gegenständlichen Zusammenhang führt,
bezeichnen wir die Worte als zusammenhängend. Ob die Konstituierung
des Bewußtseins von solchen Zusammenhängen im Wege einer Konstellations-
wirkung der aufeinanderfolgenden Worte oder auf andere Weise erfolgt, das
ist eine Frage für sich (über diese Frage siehe unten S. 296 ff.).
*) Vgl. die Erörterungen zum Gesetz der Berichtigung, 3. Abschnitt § 6.
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294 Sdüuß.
dessen etwa konstellativ die durch die Materialbezeichnong
Blei in Bereitschaft gesetzte Vorstellung eines Materials ge-
weckt, aus dem ein Amboß bestehen kann? Von unserem Stand-
punkt ist die Erklärung hierfür wieder einfach. Wenn die Wort-
folge nach Art einer unvollständigen Sprachäußerung aufgefaßt
wird, so liegt es näher, eine unmittelbare Beziehung zwischen
Blei und Amboß als eine derartige mittelbare Beziehung her-
zustellen.
In einem anderen Beispiel führte die Parataxe „Tennisplatz —
Blttthner Flügel*' zur Vorstellung eines Blüthner-Flügels auf einem
Tennisplatz ^). Auch hier liegt die Annahme nahe, daß diese Kom-
bination ihre Entstehung einer unwillkürlichen Tendenz zur Her-
stellung gegenständlicher Zusammenhänge verdankt, wie sie im
Anschluß an sinnvoll zusammenhängende Sprachäußerungen ge-
bildet werden.
Durch die Annahme einer unwillkürlichen Tendenz zur Her-
stellung sinnvoller Zusammenhänge werden auch die von Poppel-
reuter mitgeteilten interessanten Fälle am besten verständlich, in
denen unbekannte Worte infolge des Vorhergehens eines bekannten
Wortes eine bestinmite Interpretation erfuhren ^. So wurde nach
dem Wort „Pflanze" das Wort „hakip** als der vermutliche Name
einer unbekannten japanischen Pflanze aufgefaßt. Nach „Eranken-
haus** erschien das Wort „Keratitis** zuerst sinnlos, dann „Gedanke,
ist das vielleicht eine Krankheit, klingt so medizinisch*'. Analog
wurde das Wort „Misitis** nach Afrika als Name einer afrikanischen
Gegend gedeutet. In allen diesen Fällen handelt es sich nicht
um bloße Reproduktion, sondern vielmehr um die Herstellimg
einer neuen Beziehimg zwischen dem unbekannten Wort und dem
Bedeutungsgebiet des bekannten Wortes. So wird das Wort Kera-
titis zu dem Bedeutungsgebiet des Wortes Krankenhaus deutlich
in Beziehung gesetzt durch die Frage: Ist das vielleicht eine
Krankheit? Es wird nicht etwa bloß die Vorstellimg „Krankheit**
reproduziert. Die Tatsache der Herstellung solcher Beziehungen
aber wird sofort verständlich, wenn wir eine unwillkürliche Ten-
denz zur Herstellung eines sinnvollen Zusammenhanges zwischen
*) a.a.O. S.335f.
") a. a. O. S. 336.
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SdUuß, ^
den aufemanderfolgenden Worten annehmen. Gegen die Annahme
einer bloßen Eonstellationswirkung spricht auch der Umstand,
daß das unbekannte Wort, wenn es vorausging, noch nachü^lich
im Sinne des folgenden Wortes gedeutet wurde. Es ist äußerst
unwahrscheinlich, daß die schwachen Reproduktionstendenzen, die
von dem unbekannten Wort nach allen mögUchen Richtungen
ausgehen, durch die konveigenten Reproduktionstendenzen des
folgenden Wortes eine solche Verstärkimg erfuhren, daß sie zu
ein^ nachti^lichen Interpretation führen. Es wäre viel wahr-
scheinlicher, zu vermuten, daß das bekannte Wort allein die Re-
produktion bestimmen würde. Dagegen ist die nachträgliche Inter-
pretation bei der Annahme einer Aufeinanderbeziehung der beiden
Worte mit der Tendenz der Herstellung eines sinnvollen Zu-
sammenhanges ohne weiteres verständlich.
Sehr deutlich ist auch die Aufeinanderbeziehung der folgen-
den Worte imd der vorhergehenden, bezw. ihres Bedeutungsgebiets
in dem Beispiel der Parataxe Meer — Bibel — Fisch — Bauch *):
Zuerst anschauliche Erinnerung an einen Badeort; dann Erinnerung
an die Arche Noah; bei Fisch Gedanke, ob Noah auch
Fische mitgenommen hat, „ach nein, das ist ja nicht nötig,
weil diese doch nicht umkamen^ .... — Auf die Darbietimg des
Wortes Fisch folgt hier wieder nicht eine einfache Reproduktion,
sondern die deuthche Herstellung einer Beziehung zwischen der
Bedeutung dieses Wortes und der durch die vorhergehenden Worte
angeregten Erinnerung an die Arche Noah. Diese Aufeinander-
beziehung erklärt sich ohne weiteres, wenn wir das Bestehen
einer Tendenz zur Herstellung sinnvoller Zusammenhänge voraus-
setzen. Auch hier äußert sich die Herstellung der Beziehimg
nicht nur in der Frage, sondern auch in der sofort einsetzenden
Kritik der versuchsweise hergestellten Beziehung. Beim Vor-
liegen einer bloßen Eonstellationswirkung hätte sich der Prozeß
ganz anders abspielen müssen. Es würde etwa durch den Ge-
danken an die Arche Noah der Gedanke an Tiere, die in der
Arche waren, in Bereitschaft gesetzt worden sein, durch den
Tiemamen Fisch würde diese Reproduktionstendenz dann ver-
stärkt worden sein und zur Reproduktion des Gedankens an die
*) a. a, O. S. 337.
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296 Sdiiaß.
' ' ' ■ ' ■■■.»■■■■■. ■■■■- ■■ II
Tiere in der Arche geführt haben. Keinesfalls aber würde durch
Konstellation eine Beziehung zwisch^i der Arche Noah und der
mit ihr nicht assoziierten Bedeutung des Wortes Fisdi entstanden
sein. Nimmt man dagegen eine Tendenz zur Herstellung eines
sinnvollen Zusammenhanges an, so wird die Tendenz, eine Be-
ziehung zwischen Fisch und der Arche Noah zu finden, zwar
nicht das Wiss^i von einer Beziehung speziell von Fischen, wohl
aber das Wissen von einer Beziehung von Tieren überhaupt ^ zur
Arche Noah aktualisieren. Hierdurch kann dann der Gedanke
motiviert werden, ob speziell auch Fische in der Arche waren.
Sehen wir von der aus den Lebensgewohnheiten stammenden
Einstellung ab, Wortfolgen in sinnvollen Zusammenhang zu bringen.
Es kann dann immer noch die Einstellung zur Herstellung sinn-
voller Zusammenhänge durch die konstante Darbietung von Wort-
folgen hervorgerufen werden, welche anfangs möglicherweise auf
demWege bloßer Konstellationswirkung einen sinnvollen Zusammen-
hang ei^^en. Koffkas Untersuchungen über die latente Ein-
stellung haben gezeigt, wie sich unwillkürlich solche determinie-
r^ide Tendenzen bilden können^. Auch die Untersuchungen von
Poppelreuter lassen also wohl den Anteil der Konstellation an der
Ordnung des Vorstellungsablaufes größer erseheinen als er vnrk-
lich ist. Wir haben uns vielmehr das Verständnis sinnvoller Zu-
sammenhänge durch ganz ähnliche Kombinationsprozesse vermittelt
zu denken, wie sie das determinierte Verständnis der Gesamt-
aufgabe in unseren Versuchen herbeiführt Schon früher wurde
darauf hingewiesen, daß dem Verständnis von Mitteilungen ein
Kombinationsprozeß zugrunde liegt. Bei dem Verständnis der
Gesamtaufgabe in unseren Versuchen lag die Anweisimg für den
Kombinationsprozeß in der vorausgegangenen Instruktion. Beim
Verständnis von Wortzusammenhängen treten an die Stelle einer
solchen Instruktion die in der sprachlichen Verknüpfung der Worte
') Vgl. das Beispiel S. 292 f.
•) Koffka, Zur Analyse der Vorstellungen und ihrer Gesetxe (Leipzig 1912)
und Bericht über den IV. Kongreß f. exper. PsychoL, herausgeg. von Schumann,
1911, S. 239—241. Die Untersuchungen von Koffka und ebenso die von mir
zur Erg&nzung der vorliegenden Untersuchungen angestellten Assoziations-
versuche zeigten, daß ein passives Verhalten der Vpn. die Wirksamkeit von
determinierenden Tendenzen durchaus nicht aufhebt
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Sdilufi. 297
Hegenden Anweisungen für ihre gedankliche Verknüpfung. Be-
stimmten Formen der sprachlichen Verknüpfung ist jeweils ein
bestimmter Eombinationsprozeß zugeordnet 0- Wir sahen früher,
wie die Vpn. auch bei der Bildung der (resamtaulgabe zwischen
Angabe und Reizwort sprachliche Verknüpfungen herstellten
und sich dadurch die Bildimg der (Gesamtausgabe erleichterten').
Die sprachliche Verknüpfung bietet auf Grund der durch den
Sprachgebrauch fixierten Zuordnimg von sprachlicher und gedank*
licher Verknüpfung die beste Gewähr für die Entstehung ganz
bestimmter Kombinationen. Infolge der Tendenz zur Herstellung
sinnvoller Zusammenhänge erhalten in dem eingeleiteten Kom-
binationsprozeß die einzelnen Worte die Bedeutungen, durch
welche sie mit den Bedeutungen der anderen Worte zusammen
in der durch die sprachlichen Anweisungen geforderten gedank-
lichen Verknüpfung einen einheitlichen Sinn ergeben. Dieser
Prozeß der Anpassung der einzelnen Wortbedeutungen an den
herzustellenden Zusammenhang konnte in unseren Versuchen in
zwei Fällen beobachtet werden, nämlich bei der Anpassung der
Bedeutung des Reizwortes an den Sinn der Au^^abe und bei der
Anpassung des Sinnes der Angabe an die Bedeutung des Reiz-
wortes^. Dort konnte auch an vielen Fällen die Unzulänglich-
keit einer Konstellationstheorie zur Erklärung der betreffenden
Vorginge dargetan werden. Vermöge der wechselseitigen, durch
den Sprachgebrauch fixierten Zuordnung von sprachlicher und
gedanklicher Verknüpfung zieht die determinierende Tendenz zur
Mitteilung einer bestimmten gedanklichen Verknüpfung beim
Sprechenden die Herstellung derjenigen sprachlich^iVerknüpfungen
nach sich, die beim Verstehenden wiederum zur Herstellung einer
entsprechenden gedanklichen Verknüpfung führen muß. Da der
Sprechende die einem einheitlichen gegenständlichen Zusammen-
hang zugeordnete sprachliche Verknüpfung anwendet, so muß
auch im Verstehenden das Bewußtsein von einem solchen einheit-
lichen gegenständlichen Zusammenhang entstehen, die Wortfolge
hat für ihn einen sinnvollen Zusammenhang. Je vollständiger die
Vgl oben S. ie7f.
*) Vgl oben 3. Abschniü § 1, namenüich S. 221.
*) Siehe oben 8. Abschnitt § 2 und 8.
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296 Sdüufi,
gedankliche Verknüpfung in der sprachlichen Verknüpfung zum
Ausdruck konunt« desto sicherer und rascher vollzieht sich die
Rekonstruktion der gedanklichen Verknüpfung im Bewußtsein
des Verstehenden. Darin beruht der Vorzug des flektierten Satzes
der entwickelten Sprache vor den einfachen Parataxen der primi-
tiven. Die entwickelten Sprachen spiegeln also die Vorgänge im
Bewußtsein des Verstehenden besser wieder als die primitiven
Sprachen. Bei ihnen haben die vom Verstehenden vorzunehmen-
den gedanklichen Verknüpfungen im sprachlichen Ausdruck eine
weitgehende Ob|ektivierung gefunden. Es ist daher möglich, aus
dieser Objektivierung auf die Art der stattfindenden gedanklichen
Verknüpfung zurückzuschließen. Wir haben diese Methode bei
der Interpretation der von den Versuchspersonen spontan vor-
genommenen sprachlichen Verknüpfung von Aufgabe und Reiz-
wort wiederholt zur Anwendung bringen können. Es hegen hier
Fälle vor, in denen in der Tat ein Rückschluß von der Sprach-
äußerung auf die entsprechenden Denkvorg^üige, wie ihn vor
allem die Wundt'sche Völkerpsychologie anstrebt, wenigstens in
beschränktem Umfange gestattet ist
Wo nun, wie in den Parataxen primitiver Sprachen, keine
sprachliche Verknüpfung stattfindet, da fehlt nicht etwa dem-
entsprechend auch beim Verstehenden die gedankliche Verknüpfung.
Die Form dieser Verknüpfung bleibt hier vielmehr nur dem Er-
raten des Verstehenden ebenso überlassen, wie es etwa beim
Verstehen von Gebärden der Fall ist. Die determinierende Tendenz
zur Herstellung eines sinnvollen Zusammenhanges führt zu den-
jenigen Kombinationen der einzelnen Wortbedeutungen, welche
einen einheitlichen Sinn ergeben. Analoge Prozesse kamen in
unseren Versuchen bei der Auf einanderbeziehung der unverbunden
nebeneinander gesetzten Reizworte und Aufgaben zur Beobachtung.
Die Versuche zeigten, wie die Voi^änge der gedankUchen Ver-
knüpfung im Bewußtsein um so stärker hervortreten, |e mehr sie
durch die Unvollständigkeit der sprachlichen Äußerung erschwert
sind. Die experimentelle Untersuchung des Verständnisses un-
vollständiger Sprachäußerungen darf demnach als ein geeigneter
Weg zur Erforschung der Vorgänge beim Verständnis sinnvoller
sprachlicher Zusammenhänge betrachtet werden. Je vollständiger
die Sprachäußerungen sind, je weniger Schwierigkeiten auch sonst
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Schluß, 299
der Herstellung eines sinnvollen Zusammenhanges im Wege stehen,
desto automatischer kann sich der in ungezählten Fällen eingeübte
Prozeß des Sprachverständnisses vollziehen. Die einzuleitenden
Operationen können sich dann automatisch selbst ohne eine auf
das Verständnis gerichtete Absicht einstellen, es kommt zu einem
unwillkürlichen Sprachverständnis. Die Tatsache eines solchen
unwillkürlichen Sprachverständnisses aber darf nicht zu der An-
nahme verleiten, als lägen hier oder überhaupt beim Sprachver-
ständnis stets einfache Eonstellationswirkungen der aufeinander-
folgenden Worte vor. Es kann sich vielmehr auch in derartigen
Fällen um den in der experimentellen Willensforschimg wohl-
bekannten automatischen Ablauf eingeübter determinierter Prozesse
handeln. Nach den Ergebnissen der Untersuchungen von Ach^)
läßt es sich sehr wohl verstehen, daß die Zuordnimg ^swischen
dem Hören von zusammenhängenden Sprachäußerungen imd der
Einleitung der zu ihrem Verständnis dienenden Operationen sogar
eine derartig feste geworden ist, daß selbst eine auf die Unter-
drückung des Verständnisses gerichtete Determination diesem
Mechanismus gegenüber mehr oder weniger erfolglos bleibt. Die
Annahme einer einfachen Konstellationswirkung würde übrigens
wegen der beim Sprachverständnis stattfindenden Kombinations-
prozesse selbst dann nicht haltbar sein, wenn die Vorg^ü[ige beim
Sprachverständnis nicht als determinierte Prozesse zu betrachten
wären; es müßte dann vielmehr eine assoziationsartige Zuordnung
von bestimmten Formen der sprachlichen Verknüpfung und be-
stimmten Kombinationsprozessen angenommen werden*).
Die Konstellationstheorie erweist sich also für die Erklärung
des Verständnisses sinnvoller Wortzusammenhänge ebenso wenig
als zureichend wie für die Erklärung des reproduktiven Denk-
verlaufs. Dagegen wurden wir hier wie dort auf die Beteiligung
allgemeiner intellektueller Operationen, z. B. von determinierten
Operationen der Komplexergänzung oder der Kombination, hin-
gewiesen. Solche Operationen stellen Lösungsmethoden dar, welche
der Verwirklichung einer Determination, der Erfüllung einer Auf-
gabe dienen^. Ihre Anwendung steht in einem gesetzlichen Zu-
») Vgl. oben S. 278 Anm. 2.
^ Vgl. oben S. 168.
•) Vgl. oben S. 119, 182.
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800 Sdiiafl.
ordnuDgsverhaltnis zur Einleitung determinierter Prozesse, zu
deren Durchführung sie geeignet sind. Weit mehr noch als beim
bloßen reproduktiven Denkveiiauf tritt die Bedeutung der allge-
meinen Lösungsmethoden bei denjenigen Denkprozessen in die
Erscheinung, durch welche neue Ei^enntnisse erwori>en werden.
Die zusammenfassende Betrachtung der Lösungsmethoden und
ihre Bedeutung für die Gewinnung neuer Erkenntnisse wird einen
Hauptgegenstand des zweiten Teiles dieser Untersuchungen bilden.
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Anhang, 901
Anhang.
Bemerkungen zu G. E. Müller, „Zur Analyse der Ge-
dächtnistätigkeit und des Vorstellungsverlauf es. ^ HI. Teil 0.
Die Niederschrift des vorliegenden Buches war bis auf wenige
Zusätze vollendet, als der dritte Teil des Werkes von G. E. Müller
erschien. Im folgenden sollen einige Beziehungen zu den Müller'schen
Untersuchungen nachträglich erörtert werden').
1. Auch den theoretischen Erörterungen von G. E. Mtiller
liegt zum Teil eine Eonstellationstheorie der Ordnung im Denk-
verlauf zugrunde. So unterscheidet Müller bei der Erinnerungs-
intention die Wirksamkeit zweier Faktoren^): a) die Wirksam-
keit der Ausgangsvorstellung, z. B. der Vorstellung der Person,
deren Namen wir suchen, b) die Wirksamkeit der Richtungs-
vorstellung, d. h. der Vorstellung von der Art des Objektes oder
Ereignisses, dessen man sich erinnern wiU, z. B. der Vorstellung
„davon, daß das Gesuchte ein zweisilbiger, mSnnlicher Personen-
name sei.^ „Die Richtungsvorstellung dient dazu, unter den Re-
produktionstendenzen, die von der oft mit vielen anderen Vor-
stellungen assoziierten Ausgangsvorstellung angeregt werden, der-
jenigen eine gewisse Förderung zuteil werden zu lassen, welche
auf die gesuchte Vorstellung gerichtet ist.^ Ihre Wirksamkeit
greift „in die von der Ausgangsvorstellung erweckten Reproduk-
tionstendenzen teils hemmend, teils steigernd ein.^
Vom Standpunkte dieser Eonstellationstheorie aus muß die
Tatsache einige Schwierigkeiten bereiten, daß die Richtungsvor-
stdUung auch dann „das Spiel der Reproduktionstendenzen^ er-
folgreich zu beeinflussen pflegt, wenn sie nur die Vorstellung der
Kategorie ist, unter welche das Wiederzuvergegenwärtigende Mit,
^ a Erg.-Bd. d. Zeitschr. f. Psychol. (Leipzig 1918).
*) Ich muß hierbei auch schon einige Punkte berOhren, auf die ursprüng-
lich erat im zweiten Teil dieser Unterauchungen auf Qrund eines ausgedehnteren
Materials eingegangen werden sollte.
•) a.a.O. S. 408 ff.
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902 Anßumg.
z. B. nur in dem Bewußtsein besteht, einen Namen zu suchen *).
Ist z. B. die Assoziation des gesuchten Namens mit der Vorstellung
der Person, deren Name gesucht wird, nur schwach, oder sind
die dem Namen entsprechenden Reproduktionsgrundlagen von
geringer Stärke, so bestände erhebliche Grefahr, daß durch die
von der Richtungsvorstellung ausgehenden Reproduktionstendenzen
beliebige besonders geläufige Namen, also auch dem gesuchten
Namen ganz unähnliche imd außer jeder Beziehung zu ihm
stehende, reproduziert würden. Vom Standpunkte einer Eom-
plextheorie des Besinnens aus dagegen ist die erfolgreiche Wirk-
samkeit ganz allgemeiner Richtungen des Besinnens ohne weiteres
verständlich. Wenn wir uns z. B. auf den Namen eines einstigen
Universitätsfreundes besinnen, so stehen wir unter der einheit-
lichen (Jesamtaufgabe, den Namen dieser bestimmten Person zu
suchen. Das der Gtesamtaufgabe entsprechende Zielbewußtsein
enthält die schematische Antizipation eines einheitlich^! Sach-
verhältnisses. Das eine Glied dieses Sachverhältnisses ist der
bdtannte Namenstrtiger, das andere Glied der gesuchte Name. Die
in dem Sachverhältnis enthaltene Beziehung ist die allgemeine
Bedeutungsbeziehung zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem,
die durch den Sprachgebrauch, also durch die tatsächliche Ver-
wendung des 2ieichens zum Hinweis auf die betreffende Sache
oder Person, geschaffen wird'). Ea wirken also nicht isolierte
Reproduktionstendenzen konstellativ zusammen, die einerseits von
der Ausgangsvorstellung des Namensti^ers, andererseits von der
Richtungsvorstellung „Name!" ausgehen. Vielmehr wird die Re-
produktion des Namens durch determinierte Aktualisierung des
schematisch antizipierten Wissenskomplexes herbeigeführt, der den
Namensträger und den Namen in ihrer Verknüpfung durch die
zwischen ihnen bestehende Bedeutungsbeziehung enthält.
2. Auch an Aufgabelösungen, bei denen es sich nicht um
den einfachen Fall einer Erinnerungsintention handelt, räumt
G. E. Müller der Konstellation einen erheblichen Anteil ein^).
Namentlich entspricht der Watt'schen „formalen Reproduktions-
*) a.a.O. S.406f.
*) Das Bewußtsein von dieser Beziehung besteht in dem Bewußtsein von
der betreffenden tatsächlichen Verwendung.
•) Vgl. insbesondere a. a. O. S. 427 f., 440, 446, 460 f., 487 f.
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Anhang. 306
tendenz^ bei Müller die „Einstellung auf einen bestimmten Vor-
stellungskreis^ : Durch die aufmerksame Vergegenwärtigung der
Aulgabe werden infolge von Assoziation „die Vorstellungen, die
einem bestimmten Vorstellungskreis angdiören, in Bereitschaft
versetzt*^, z. B. durch Vergegenwärtigung der Aufgabe: Farbe des
Gregenstandes nennen! die verschiedenen Farbenbezeichnungen.
Dies kann dann zur Folge haben, „daß von allen Reproduktions-
tendenzen, die von dem nachher erscheinenden Reizworte oder
der Vorstellung eines entsprechenden Gregenstandes ausgehen, die-
jenige, welche auf den entsprechenden Farbennamen gerichtet ist,
sofort den Sieg davontj^igt*^. Auch für die Erklärung der Lfösung
der Watt'schen Aufgabe: Nennung eines übergeordneten Begriffs!
wird diese konstellierende Wirkung der Aufgabe mit in Betracht
gezogen. „Auch bei solchen Versuchen besteht eine Wirkung der
Vergegenwärtigung der Aufgabe darin, daß sie zahlreiche Namen,
die allgemeinen Begriffen entsprechen, und deren jeden wir schon
mehr oder weniger oft bei Definitionen als den Namen des über-
geordneten Oattungsbegriffes angeführt haben, in gewisse Bereit-
schaft setzt. ^ Nach den Ergebnissen imserer Untersuchungen ist
jedenfalls in der Zurückführung von Au^abelOsungen auf der-
artige Eonstellationswirkungen große Zurückhaltung geboten. Die
Analyse der Gtesamtaufgabe zeigte, daß die Vpn. Aufgabe und
Reizwort nicht isoliert zur Geltung kommen lassen, sondern zu
einer einheithchen Gesamtau^abe vereinigen, von der der deter-
minierte Lösungsprozeß seinen Ausgang nimmt. Dieses Verhalten
der Vpn. erwies sich als geboten, da nur die Bildung der Gesamt-
aufgabe eine richtige Au^abelösung gewährleistet imd eine Kon-
trolle der Richtigkeit ermöglicht. Die Einstellung auf einen be-
stimmten Vorstellungskreis im Zusammenwirken mit den vom
Reizwort ausgehenden Reproduktionstendenzen würde die Gefahr
des Auf tauchens von unrichtigen Lösungen mit sich bringen. Ist
z. B. der dem Reizwort untergeordnete Begriff selbst wieder einem
anderen Begriff übergeordnet, so würde er, bezw. seine Bezeich-
nung bei der Aufgabe „Überordnung" mit zu den durch die Ein-
stellung auf den Vorstellimgskreis (nämlich auf Gattungsbegriffe)
in Bereitschaft gesetzten Vorstellungen gehören. Da dieser Be-
griff, bezw. der Begriffsname nun auch mit dem Reizwort assoziiert
Siehe oben S. 5.
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804 Anhang,
ist, so würde bei Herbeiführung der Au^abelOsung durch Kon-
stellation auch der untergeordnete B^^riff statt des übergeordneten
B^^riffs reproduziert werden können^). In Wirklidikeit pflegen
solche Fehlreaktionen aber nicht oder nur aus anderen Gründen,
z. B. infolge eines unrichtigen Verständnisses der Aulgabe vorzu-
kommen. Sind die dem bereitgestellten Yorstellungskreis ange-
hörigen, der Au^^abe entsprechenden Vorstellungen auch mit dem
Reizwort assoziiert, so wird die Entstehung dieser Assoziation in
der Regel mit der Entstehung des Wissens von dem au%abe-
gemäßen Sachverhfiltnis im Zusammenhang stehen, das zwischen
dem Reizwortgegenstand und der durch die Einstellung auf den
Vorstellungskreis bereitgestellten Vorstellung besteht. Ist z. B. in-
folge nicht rein mechanisch erlernter Definitionen ein (Gattungs-
name mit dem Wort „Überordnung^ oder „(Gattung^ einerseits und
andererseits mit dem Reizwort fest assoziiert worden, so steht
die Entstehung dieser assoziativen Verimüpfung im Zusammenhang
mit der Entstehung des Wissens von dem Sachverhältnis, daß der
(Gattungsbegriff zu dem Reizwortbegriff im Verhältnis der Über-
ordnung steht, bezw. des Wissens von dem zusammengesetzten
SachverhHltnis, daß der Begriff, welcher den Namen x triigt, zu
dem dem Reizwort entsprechenden Begriff, welcher den Namen y
trägt, in dem durch das Wort „Überordnung**, bezw. „(Gattung**
bezeichneten Verhältnis steht"). Es wird daher in den Fällen, in
welchen eine Einstellung auf einen bestimmten Vorstellungskreis
für die Erklärung in Betracht kommt, auch die Mög^chkeit der
Beteiligung einer determinierten Wissensaktualisierung in Frage
stehen. Daß im Bewußtsein eine solche determinierte Wissens-
aktualisierung nicht nachweisbar ist, läßt nach unseren Ergeb-
nissen keinen Schluß auf ihr Nichtvorhandensein zu. Gerade die
Aktualisierung eines durch Definition^i oder auf verwandte Weise
begrifflich fixierten Wissens bleibt nach den Feststellungen des
1. Abschnitts oft latent, so daß der äußere Eindruck einer Re-
produktion auf Grund einer durch die Konstellation geförderten
*) Vgl oben S. 281 f.
") Ein solches Wissen ist von einer bloßen sprachlichen BerOhrungs-
assoziation zwischen den AusdrQdcen, welche das Sachverhaltnis und die
Sachyerhaltsglieder bezeichnen, wohl zu scheiden. Vgl auch die Bemerkungen
zu dem Protokoll H>t S. 82.
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Anhang, 906
BerOhnmgsassoziation mit dem Reizwort zustande konmien kaim^.
Die auf die Reproduktion der sprachlichen Bezeichnung des ge-
suchten SachverhaltsgUedes gerichtete abstraktive Reproduktion
begünstigt hierbei den Schein einer rein sprachlichen Berührungs-
assoziation *).
Die Bereitstellung eines bestimmten Vorstellungsgebietes durch
die an die EIrteilung der Aufgabe sich anschließende Vorbereitung
gefährdet die Richtigkeit der Au%abelösung nur dann, wenn man
annimmt, daß die Einstellung auf den bestinmiten Vorstellungs-
kreis mit den vom Reizwort ausgehenden Berührungsasso-
ziationen zusammenwirkt. Sie kann aber auch dazu dienen,
die determinierte Wissensaktualisierung zu erleichtem.
Durch die Bereitstellung von Grattungsnamen oder Oattungs-
begriffen kann z. B. bei der Aufgabe Überordnung die zu dem
zu aktualisierenden Wissenskomplex gehörige Teildisposition, welche
dem gesuchten Gattungsnamen oder dem Grattungsbegriff ent-
spricht, in erhöhte Bereitschaft versetzt worden sein. Hierdurch
wird die auf die Reproduktion dieses Gattungsnamens oder Oattungs-
begrifis gerichtete partielle Wissensaktualisierung gefördert wer-
den'). Denkt man sich also die Wirksamkeit der Einstellung auf
einen bestimmten Vorstellungskreis darauf beschränkt, daß infolge
der entstandenen Bereitschaft bei der nachherigen durch die Ge-
samtaufgabe bedingten Wissensaktualisierung die Reproduktion
des gesuchten Sachverhaltsgliedes leichter von statten geht, so
sind der Gresamtaufgabe entgegenstehende Wirkungen der Ein-
stellung auf den Vorstellungskreis nicht zu befürchten. Die Tat-
sache, daß solche nachteilige Wirkungen nicht vorzukommen
pflegen, spricht dafür, daß die Einstellimg auf einen bestimmten
Vorstellungskreis, soweit sie auf die Au^gabelösung von Einfluß
ist, gewöhnlich in der eben angegebenen oder in ähnlicher Weise
wirksam wird. Ebenso kann die Vergegenwärtigung einzelner
der im voraus erteilten Aufgabe im engeren Sinne entsprechender
Beispiele die Reproduktion des gesuchten Sachverhaltsgliedes durch
^) Vgl. namenüich auch S. 82 und die dort angeführten Stellen.
*) Siehe oben S. 185 fT. Darüber, daß den rein sprachlichen Assoziationen
g^^enOber den Bedeutungszusammenhängen wahrscheinlich nur eine unter-
geordnete Rolle bei der AufgabelOsung zukommt, vgl. auch oben S. 61 f. und die
dort angefahrten Stellen. Siehe auch S. 218.
•) Vgl. oben S.287f.
8«li, Ober die Oetetse det g;eordneteii DenkrerUaCi. 20
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906 Anhang.
determinierte Wissensaktualisierung dadurch erleichtem, daB es
bei der Vorbereitung als Beispiel gegenwärtig war oder infolge
der zwischen ihm und den Beisinelen bestehenden Assoziation in
erhöhte Bereitschaft gesetzt wurde. Werden einzelne Beispiele,
z. B. als Namen von Oattungsbegriffen, bei der Aufgabe Über-
ordnung vergegenwärtigt, so kann dabei auch schon der dem
späteren Reizwort entsprechende Begriff als deijenige Begriff, zu
dem der Gattungsbegriff den übergeordneten Begriff darstellt,
mitreproduziert bezw. in erhöhte Bereitschaft gesetzt werden. In
solchen FäUen besteht schon räie erhöhte Bereitschaft des ganzen
später der Au^^abelösung dienenden Wissens und kann nach der
Darbietung des Reizwortes die Wissensaktualisierung erleichtem.
Wenn die Vpn. von einer Richtung oder Einstellung auf
einen bestimmten Vorstellungskreis oder ein bestimmtes Grebiet
sprechen, so braucht das ttbrigens nicht immer dahin gedeutet
zu werden, daß durch die Vorbereitung die Vorstellungen des be-
treffenden Gebietes in erhöhte Bereitschaft gesetzt werden. Diese
Äußerung der Vpn. kann auch auf eine ErgAnzimg oder Um-
bildung der Aufgabe hinweisen. Wenn sich z. B. die Vp. bei der
Aufgabe Teil auf das visuelle Vorstellungsgebiet einstellt, so braucht
das nicht zu bedeuten, daß sämtliche visuelle Vorstellungen in
erhöhte Bereitschaft gesetzt werden. Die „EinsteUung auf das
visuelle Gebiet^ kann vielmehr auch die Bedeutung einer Ergän-
zung der Hauptaufgabe durch eine selbstgestellte Nebenau^gabe
in bezug auf die Art imd Weise der Lösung haben: Die Vp. nimmt
sich vor, die Hauptaufgabe mit Hilfe visueller Vorstellungen zu
lösen. Es werden daher nach der Darbietung des Reizwortes die
zur visuellen Lösung einer solchen Aufgabe geeigneten Operationen
eingeleitet. Hierher gehört z. B. die determinierte Reproduktion
der dem Reizwort entsprechenden Bedeutungsvorstellung und die
Aufsuchung eines Teils an ihr durch determinierte Abstraktion.
Die optischen Eindrücke von benannten Objekten sind mit den
zu ihnen gehörenden Bezeichnungen durch das Bewußtsein von
der zwischen ihnen bestehenden Bedeutungsbeziehung verknüpft ^).
') Über das Bewußt werden dieses Bedeutungszusanimenhanges vgl. K. Koffka,
Zur Analyse der Vorstellungen und ihre Gesetze, S. 258 ff. Vgl. femer Au S. 196f.
und At S. 201. In beiden Fällen wird die Determination, die mit dem Reiz-
wort durch Bedeutungsbeziehung verknüpfte Vorstellung hervorzurufen, von der
Vp. ausdrQcklich konstatiert.
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Anhang, 807
Es bestehen ako Wissensdispositionen, welche der Reproduktion
des Bewußtseins dienen, daß ein bestimmter Name ein Objekt
von bestimmtem (bei der Aktualisierung der Disposition optisch
gegenwärtigen) Aussehen bezeichnet Die Determination zur visu-
ellen Lfösung der Aufgabe Teil kann sohin die Reproduktion der
dem Reizwort zugeordneten Bedeutungsvorstellung durch determi-
nierte Wissensaktualisierung nach sich ziehen. Die determinierte
Wissensaktualisierung nimmt dabei ihren Ausgang von der schema-
tischen Antizipation eines Sachverhältnisses, von dem das eine
Glied, der Name des gesuchten Gegenstandes, und die Beziehung
bekannt sind, während das gesuchte andere Sachverhaltsglied als
die in der Bedeutungsbeziehung zu dem Namen stehende optische
Vorstellung antizipiert ist. Die „Einstellung auf das visuelle
Gebiet" hat also in solchen Fällen die Wirkung, daß durch determi-
nierte Reproduktion der zum Reizwort gehörigen optischen Be-
deutungsvorstellung die Auffindung eines Teils an ihr durch de-
terminierte Abstraktion ermöglicht wird'). Die Bedeutung einer
Umbildung der Aufgabe könnte z. B. bei der Aufgabe Neben-
ordnung eine Einstellung auf sprachliche Gegenüberstellimgen
haben. Die Wirksamkeit einer solchen Einstellung braucht nicht
oder nicht in erster Linie in einer allgemeinen Bereitstellung von
sprachUchen Gegenüberstellungen zu bestehen. Sie kann vielmehr
die Bedeutung haben, daß die Vp. sich vornimmt, auf das Reiz-
wort mit einem Wort zu reagieren, das ihm in Redewendungen
gegenübergestellt zu werden pflegt. Diese Determination kann
dann durch Wissensaktualisierungen verwirklicht werden, wie sie
z. B. bei der Aufgabe Tod — Nebenordnung im ersten Abschnitt
vorgekomm^i sind.
In anderen Fällen, die G. E. MüUer im Sinne eines kon-
stellativen Zusammenwirkens des Reizwortes mit einer Richtungs-
vorstellung deutet*), läßt sich der Vorgang sehr gut durch de-
terminierte Eomplexergänzung eines zugleich durch das Bewußtsein
von einem Sachverhältnis bestimmten Komplexes verständlich
machen. Hat sich z. B. die Vp. bei der Watt'schen Aufgabe:
Nennung eines Teiles! eingeprägt: „Durch Anfügung eines anderen
Näheres über die LOsungsmethoden der Aufgabe Teil im 2. Teil dieser
UDt^*8Uchungeii.
*) a. a. o. O. S. 446 mit 404.
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908 Anhang.
Wortes ein zusammengesetztes Wort bilden!'^, so kann dieser
Vorsatz die Bedeutung folgender Umformung der Aufgabe zu einer
spezielleren Aulgabe haben: Die Vp. nimmt sich vor, das Reizwort zu
einem zusammengesetzten Wort zu ergänzen, welches einen Teil vom
Reizwortgegenstand bezeichnet. Der zu erg^bizende Komplex ist also
z. B. bei dem Reizwort Wagen in dem der Gesamtausgabe entsprechen-
den Zielbewußtsein (bezw. einem gleichwertigen unbewußtenProzeß)
direkt bestimmt als eine Wortzusammensetzung, deren erstes Wort
das Wort „Wagen" ist, und zugleich indirekt als eine Wortzu-
sammensetzung, die einen Teil des Reizwortgegenstandes Wagen
bezeichnet. Durch den determinierten Prozeß der Eomplexergän-
zung werden daher in der Regel nur Wortzusammensetzungen
überwertig werden, welche der direkten und indirdrten Bestim-
mung des antizipierten Komplexes und damit auch der Gresamt-
aulgabe entsprechen, z. B. in dem angeführten Beispiel, die Wort-
zusammensetzung Wagenrad, nicht dagegen die Zusammensetzung
Wagenbauer, welche keinen Teil des Wagens bezeichnet. Infolge
der indirekten Bestimmung des zu ergänzenden Komplexes durch
ein Sachverhältnis trägt die determinierte Komplexergänzung zu-
gleich den Charakter einer determinierten Wissensaktualisierung,
bei welcher das gesuchte Sachverhaltsglied schon eine teilweise
direkte Bestimmung erfahren hat. Sind beim betreffenden Reiz-
wortgegenstand einigermaßen geläufige Wortzusammensetzungen
vorhanden, welche Teile von ihm bezeichnen, so wird die deter-
minierte Wissensaktualisierung infolge der teilweisen direkten Be-
stimmung des Gesuchten schneller zum Ziele führen als bei all-
gemeinem Suchen nach einem nicht näher bestimmten Teil des
Reizwortgegenstandes, bezw. einer nicht näher bestimmten Be-
zeichnung eines Teiles von ihm. Sind dagegen solche Teil-
bezeichnungen nicht vorhanden oder sehr ungeläufig, so wird die
speziellere Determination die Lösung verzögern, da sie die Aktuali-
sierung des Wissens von Teilen, welche der schematischen Anti-
zipation der gesuchten Teilbezeichnung nicht entsprechen, er-
schwert*). Weil jedoch geläufige Teilbezeichnungen häufig vor-
handen sind, so wird bei ständiger Wiedei^ehr der Aufgabe Teil
innerhalb einer Versuchsreihe der allgemeine Vorsatz, die Au%abe
') Vgl. hierzu auch die Bemerkungen von G. E. Müller zu Achs „Gesetz
der speziellen Determination" a. a. O. S. 481.
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Anhang. 80^
mit Hilfe einer Wortzusammensetzung zu lösen, im Durchschnitt
von Vorteil sein können.
3. In nahen Beziehungen zu den von mir behandelten FäUen
der Aufgabelösung durch determinierte Eomplexeii^Uizung und
determinierte Wissensaktualisierung stehen die Fälle, in denen
G. E. MüUer von einer ^^Kooperation der Aufgabe^ spricht*).
Eine solche Kooperation der Aufgabe liegt z. B. vor, ^wenn nach
gefaßtem Vorsatze, die beiden demnächst erscheinenden Ziffern
zu multiplizieren, beim Erscheinen von 5 | 7 das aus diesen beiden
Ziffern und der reproduzierten Aufgabe: Multiplizieren! besteh^ide
Ganze ohne weiteres die Vorstellung von 35 weckt^. Als weiteres
Beispiel fuhrt Müller folgenden Fall an: „Hat eine Vp. früher
gelernt, daß koordinierte Begriffe z. B. die Begriffe Tier und
Pflanze seien, so wird bei Gegebensein der fünften Watt'schen
Aufgabe das Reizwort »Tier^ in Verbindung mit der wieder-
vergegenwärtigten Angabe (Tier, etwas Koordiniertes!) ohne
weiteres das Reaktionswort „Pflanze*^ herbeiführen können*^. Müller
gründet die Bezeichnung Kooperation der Angabe darauf, „daß
in den betreffenden Fällen die Vorstellung der Aufgabe mit der
Wahrnehmung der Reaktionsgelegenheit in reproduktiver Hinsicht
zusammenwirkt (kooperiert).^ Außer der manifesten Kooperation
kann auch eine latente Kooperation der Aufgabe vorkommen, wo
die Vorstellung der Aufgabe nur als latente Vorstellung ihre
kooperative Rolle spielt.
Die Ausdrücke „Zusammenwirken (Kooperieren)*^ legen zwar
die Deutung nahe, als nehme Müller auch in den Fällen der Ko-
operation der Au^fabe ein konstellatives Zusammenwirken von
Aufgabe und Reaktionsgelegenheit an. Allein es scheint doch,
daß MüUer nicht eine Konstellationswirkimg, sondern eine Kom-
plexwirkung im Auge hat, wenn er sagt, daß das aus der Re-
aktionsgelegenheit und der reproduzierten Aui^abe bestehende
Ganze infolge früher gestifteter Assoziation das Reaktionswort
reproduziert'). Jedenfalls dürfen wir annehmen, daß es sich in
den betreffenden Fällen imi determinierte Komplexerg^Uizungen,
sei es um Komplexergänzungen von schematisch antizipierten An-
schauungsganzen (z. B. von akustischen oder optischen Wort-
a. a. O. S. 466if., 466 f.
') Vgl. auch oben S. 101 ff.
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810 Anhang,
bezw. Zahlen- und 2ieichenkomplexen), sei es um Wissenaktuali-
sierungen handelt. Wenn z. B. bei der Versuchsperson auf den
innerlich vergegenwärtigten Wortkomplex „Tier, etwas Ko-
ordiniertes!" imvermittelt das Wort „Pflanze" auftritt, so braucht
das nicht darauf zu beruhen, daß ledigUch der Komplex der drei
unverbundenen Worte das mit ihm assoziierte Wort „Pflanze"
reproduziert ^). Mit den von der Vp. innerUch gesprochenen Worten
kann sich viehnehr die latent bleibende Bildung der Gresamtauf-
gabe verbinden, zu „Tier" die Bezeichnung eines koordinierten
Begriffes zu suchen und hierdurch kann die Aktualisierung des
in der Gresamtaufgabe schematisch antizipierten Wissens von dieser
Bezeichnung herbeigeführt werden.
Müller weist darauf hin, daß die von ihm zunächst durch die
Annahme einer latenten Kooperation erklärten Fälle auch durch
eine konnektive Einstellung im Sinne von von Kries verständ-
lich gemacht werden können'). Allerdings habe die Erklärung
durch Kooperation der durch das Auftreten der Reaktionsgeleg^iheit
wieder in erhöhte Bereitschaft gesetzten Angabe den Vorteil, die
Wirksamkeit der Au^^abe in denjenig^i Fällen besser verständ-
lich zu machen, in denen ein längerer Zwischenraum zwischen
der Vergegenwärtigung der Aui^;abe und dem Auftreten der Re-
aktionsgelegenheit hege. Bei Au^^abelösungen von der Art der
in unseren Versuchen geforderten lassen sich nun gegen die An-
nahme einer konnektiven Einstellung auch unsere Versuchs-
ergebnisse geltend machen'). Bei Zugrunddegung einer konnek-
tiven Einstellung würde z. B. die Angabe „Überordnung?" die
Wirkung einer Art zerebraler Schaltung hab^a. Diese hätte zur
*) Vgl oben S. 218.
•) a.a.O. S. 403 ff.
*) Ob in besonders gelagerten Fallen, wie z. B. dem v. Kries'schen Beispiel
der Befolgung eines Notenschlüssels eine konnektive Einstellung in Frage
kommt, bleibt dahingestellt. Bei dem Notenschlüsselbeispid ist jedenfalls auch
folgendes zu beachten: Die einem Notenzeichen entsprechende Tonhöhe ergibt
sich nicht nur aus der Beschaffenheit des isolierten Zeichens, sondern auch
aus dem in der Notenschrift erkennbaren Intervall zwischen ihm und dem
vorausgehenden Zeichen, das außerdem der Gegenstand mehr oder weniger
bestimmter musikalischer Erwartungen ist (v. Kries hat übrigens sdbst auf
diese Möglichkeit einer Erkenntnis aus dem Intervall schon auimeiksam ge-
macht) Denkt man sich diese beiden Kennzeichen der Tonhöhe als Ganzes
wirkend, so ist die dem jeweiligen Schlüssel entsprechende Tonhöhe eindeutig
bestimmt
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Anhang, 811
Folge, daß die Assoziationen, welche von dem jeweils dargebotenen
Wort zu übergeordneten (und daher auch mit dem Wort oder Be-
griff Überordnung assoziierten) Begriffen führen, besonders leicht
ansprechen. Infolgedessen würde die Assoziation des Reizwortes
mit dem übergeordneten Begriff überwertig werden. Gegen das
Vorliegen eines solchen rein physiologischen Schaltungsvorganges
sprechen aber die Ergebnisse über die Bildung der Gesamtaufgabe
und die von der in ihr enthaltenen scheinatischen Antizipation
ausgehende Komplexwirkung 0. Der Nachweis der Bildung der
Gtesamtau^;abe wurde allerdings für Fälle geführt, in denen Auf-
gabe und Reizwort gleichzeitig dargeboten und unmittelbar hinter-
einander auffaßt wurden. Die Analyse der Funktion der Gte-
samtaulgabe bei der Au&uchung, Kontrolle und Berichtigung der
Au^abdiösungen berechtigt aber zu der Annahme, daß der Prozeß
bei vorangehender Erteilung der Aufgabe im engeren Sinne in
analoger Weise verläuft. Nur ist hier durch die stetige Wieder-
kehr derselben Au%abe eine Mechanisierung der Bildung der
G^esamtau^abe wahrscheinlicher.
4. An eine Beq>rechung der Ach'schen Lehre von den Be-
wußtheiten knüpft G. E. Müller eine Erörterung über das Wesen
des Wissens'). Müller betrachtet das Wissen als eine „geistige
Disposition, die in dem Vorhandensein bestimmter fester Assozia-
tionen und eventuell auch in einer höheren Bereitschaft gewisser
Vorstellungen besteht*^. Er stimmt daher dem Marbe'schen Satz
zu, daß ein Wissen niemals im Bewußtsein gegeben seL Hierzu
ist folgendes zu bemerken^: Nach unseren Untersuchungen über
die Struktur des Wissens handelt es sich bei den Wissenskomplexen
nicht um assoziativeVeii)ände im gewöhnlichen Sinne. Die Wissens-
dispositionen sind keine Reproduktionsgrundlagen von Vorstellungen,
die durch Berührungsassoziationen miteinander verbunden sind,
sondern Dispositionen von einem einheitlichen Sachverhaltsbewußt-
sein, das sich nicht in ein Nebeneinander assoziierter Vorstellungen
auflösen läßt. Durch die Aktualisierung von Wissensdispositionen
Vgl auch die Bemerkungen yon Roffka gegen die Identifiaerung der
detemünierenden Tendenzen mit der zerebralen Einstellung. Zur Analyse der
Vorstellungen imd ihrer Gesetze S. 386 ff.
•) a.a.O. S. 628 ff.
") Vgl auch schon die Bemerkungen in bezug auf den Marbescben Satz
oben S. 86.
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812 Anhang.
kann das Sachveihaltabewußtsein erneuert werden, also das Wissen
wieder ins Bewußtsein treten. Ein solches wieder zum Bewußtsein
gelangtes Wissen und nicht eine geistige Disposition meinten
unsere Vpn., wenn sie davon sprachen, daß sie dieses oder jenes
gewußt hätten. Hierbei ist daran eu erinnern, daß der Nachweis
eines bewußt gegenwärtig^! Wissens überhaupt nidit auf die Be-
zeidmungen der Vpn. als „Wissen*^, „Bewußtheit^ u. dgl. gestützt
wurde, sondern auf seine Charakterisierung, die es als Bewußt-
sein von einem Sachverhältnis erscheinen ließ. Das Bewußtsein
von einem Sachverhältnis kann bei der Aktualisierung eines Wissens
mit der anschaulichenVergegenwärtigung der in Beziehung stehenden
Gegenstände, bezw. der Gtegenstandsordnung, an der das Sach-
verhältnis als unselbsUbidiges Moment haftet, verbimden sein.
Anschauliche Vorstellungen können aber auch fehlen. Der von
Müller zur Eitiärung solcher Fälle zum Teil herangezogenen
Annahme, daß sich die Angaben der Vpn. über ein bewußt gegen-
wärtiges Wissen auf undeutliche Vorstcdlungsbilder stützen, stehen
namentlich folgende Gründe entgegen:
1. In vielen Fällen versichern die Vpn. bestimmt, daß Wort-
bezw. Sachvorstellungen bei dem Erlebnis auszuschließen seien.
2. Nach der Art des Wissens, insbesondere nach seiner Prä-
zision, seiner Kompliziertheit oder Abstraktheit ist vielfach nicht
einzusehen, durch welche imdeutliehen Vorstellungen ein der-
artiges Sachverhaltsbewußtsein im Bewußtsein repräsentiert ge-
wesen sein soll, bezw. welche Vorstellungen als lÜterium seiner
Wirksamkeit hätten dienen können.
Die gleichen Erwägungen, die entgegenstehenden bestimmten
Aussagen der Vpn. imd vor allem die Art des Wissens, stehen
auch der Annahme entgegen, daß sich die Angaben der Vpn. auf
gefühlsartige Begleiterscheinungen, z. B. irgendwelche Bekannt-
heits- oder Bedeutimgsgefühle oder auf Spannungsempfindungen
imd dergl. gründen. Die Mannigfaltigkeit verschiedener Wissens-
aktualisierungen ist viel zu groß, um annehmen zu dürfen, daß
begleitende charakteristische Gefühle, Eörperempfindimgen oder
Bewußtseinslagen ausreichen, lun die präzisen Aussagen der Vpn.
^) Natürlich kann das Wissen auch sogleich im Anschluß an seinen Er-
werb fortbestehen bleiben, ohne aus dem Bewußtsein entschwunden zu sein,
z. B. das Wissen von der Gesamtaufgabe.
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Anhang, 813
' ' ' ; ' ' ' II ' , ■ [ I I ' I , 11 1 1 i i I
über das im konkreten, Falle wirksam gewesene Sachverhalts-
bewußtsein zu ermöglichen. Die anschaulichen Bestandteile des
Prozesses &ber sind in zahlreichen Fällen keineswegs eindeutig
genug, um eine Mehrdeutigkeit der Begleiterscheinungen zu kom-
pensieren und dadurch die bestimmten Aussagen der Vpn. ver-
ständlich zu machen. Die Analyse der unvermittelten Lösung
hat außerdem gezeigt, wie wenig die Tatsache, daß die Umstände
die Mitwirkung eines Wissens nahelegen, die Vpn. zu der Be-
hauptung veranlaßt, daß ein solches Wissen im Bewußtsein vor-
hand^i gewesen sei. Gerade in den Fällen der Mitwirkung eines
besonders geläufigen, z. B. eines begrifflich fixierten Wissens, be-
richten dieselben Vpn., die in anderen Fällen ein Wissen konsta-
tieren, häufig über eine bloße Aufeinanderfolge von Reiz- und
Reaktionswort, die sie selbst vielfach auf eine einfache Berührungs-
assoziation zwischen Reiz und Reaktion zurttckfOhren zu müssen
glauben.
Mit der Meinung, daß die Aussagen der Vpn. über das Gegen-
wärtigsein eines Wissens sich auf anschauliche oder zuständliche
Erlebnisse als mittelbare Kriterien stützen, ist also nicht durch-
zukommen. Wenn man die Auffassung des Wissens als bloßer
geistiger Disposition aufrecht erhalten will, so bleibt daher
nur noch die Annahme übrig, daß die Aussagen der Vpn. nicht
auf mittelbare Ejiterien, sondern unmittelbar auf das unbewußt
gebliebene Wissen selbst zurückgehen. Die Wissensaktualisierung
Wäre dann als ein Zustand erhöhter Bereitschaft der Wissens-
disposition anzusehen, der die eigentümliche Folge hätte, daß an
ihn ebenso Erinnerungen stattfiüiden wie an bewußte Prozesse.
Gerade die Tatsache solcher Erinnerungen aber spricht gegen die
Gleichstellung der betreffenden Fälle eines aktuellen Wissens mit
den Fällen einer Bereitschaft von Wissensdispositionen im ge-
wöhnlichen Sinne. In den gewöhnlichen Fällen erhöhter Bereit-
schaft einer Disposition fehlt eine Erinnerung an den im Gebiet
der Reproduktionsgrundlagen stattfindenden Prozeß ebenso wie
ein ihm entsprechender gleichzeitiger Bewußtseinsvorgang.
Von solchen Bereitschaften gilt wirklich das, was G. E. Müller
von allen Fällen eines Wissens annimmt: sie sind etwas bloß
Erschlossenes. Knüpft man die Möglichkeit späterer Erinnerung
') Zu diesen gehören auch die dargebotenen Worte und das Reaktionswort.
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814 Anhang.
an die Erreichung eines bestimmten, sehr hohen Grades der
Bereitschaft der erregten Dispositionen, so bleibt immer noch das
merkwürdige Ergebnis, daß Erinnerungen an unbewußte
Prozesse und zwar sehr genaue und bestimmte Erinnerungen statt-
i^den. Der Erinnerungscharakter würde sich ganz regehnäßig
mit Reproduktionen von Vorgängen verbinden, die nur wirksam
gewesen waren, ohne ins Bewußtseiu zu treten. Die Psychologie
kennt bisher aber keine Erinnerungsvorgttnge, die sich auf unbe-
wußte Prozesse beziehen. Wenn daher die Vpn. auch im Falle
der Wissensaktualisierung die erinnerten Vorgänge als bewußte
bezeichnen^), so sprechen für die Richtigkeit dieser Charakteri-
sierung außer der Bestimmtheit, der Konstanz und Übereinstimmung
der Selbstbeobachtungen der Vpn. auch unsere Kenntnisse von der
Natur und den Voraussetzungen der Erinnerungsvorjg^üige, wenn
auch die Frage nach dem Sinne des hier angewendeten Be-
wußtseinsbegriffs noch weiterer Klärung bedarf. Ebenso wie die
Wissensaktualisierungen müßten femer auch die zahlreichen Fälle
neuer Sachverhaltseikenntnisse ohne zureichende Vorstellungs-
grundlage behandelt werden, wie sie in den bisher analysierten
Protokollen namentlich beim Verständnis und der Beurteilung der
Gesamtau^abe, der Kontrolle, Kritik und Berichtigung der LOsung
auftraten. Es würden also gerade diejenigen Vorgänge als „un-
bewußte^ angesehen werden müssen, in welchen wir die eigent-
lichen Denkleistungen erbUcken.
5. Unsere Untersuchungen wiesen uns immer wieder auf die
Tatsache hin, daß einer bestimmten Zielsetzung nicht unmittelbar
Vorstellungen oder andere gegenständliche Bewußtseinserlebnisse
reproduktiv zugeordnet sind, sondern daß die Zielsetzung die An-
wendung gewisser allgemeiner intellektueller Operationen nach sich
zieht, welche zur Verwirklichung eines Zieles der betreffenden Art
geeignet sind'). Ich habe solche Operationen wegen ihrer Funk-
tion, als Mittel der Au^abelösung zu dienen, auch als „Lösungs-
Vp. A wurde in einigen Fällen aufgefordert, willkürlich den Zustand,
in dem das betreifende Bewußtsein vorhanden gewesen war, wieder zurQck-
zurufen und die Identifizierung mit dem früheren Zustand yorzunehmen. Es
gelang ihr das in der gleichen Weise wie bei anschaulichen Vorstellungen.
*) Ich habe auf diese Erscheinung schon in meinem Vortrag auf dem
V. Kongreß für experimentelle Psychologie 1912 hingewiesen. Siehe femer den
auf S.165 Anm. 3 angefUhrtenVortrag über „Die Gesetze der produktiven Tätigkeit*".
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Anhang, 315
methoden^ bezeichnet und auch schon in dem ersten Teile dieser
Untersuchungen eine nähere Analyse einiger dieser Lösungs-
methoden zu geben versucht Um Erscheinungen der hierher ge-
hörigen Art handelt es sich, wenn 6. E. Müller eine reproduktive
Zuordnung zwischen der Zielsetzung und bestimmten „zweck-
mäßigen Verhaltungsweisen^ feststellt^). Müller gibt zahlreiche
Beispiele solcher Verhaltungsweisen, die namentlich den Unter-
suchungen von Ach und Watt und seinen eigenen Untersuchungen
entnommen sind. Wie die Entstehung der reproduktiven Zuord-
nung von Zielsetzungen bestimmter Art und der Aktualisierung
bestimmter Lösimgsmethoden zu denken ist, habe ich an anderer
Stelle (unter teilweiser Verwendung des im zweiten Teil dieser
Untersuchungen zu veröffentlichenden Materials) in vorläufiger
Weise zu zeigen versucht"). Meine dortigen Ausführungen be-
rühren sich, so viel ich sehe, vielfach in erfreulicher Weise mit
den Ergebnissen, zu denen G. E. Müller gelangt"). Sie enthalten
aber auch die Gründe, aus denen ich eine solche reproduktive
Zuordnung zwischen einer Zielsetzung und bestimmten intellek-
tuellen Operationen nicht wie Müller als assoziative Verknüpfungen,
sei es mit, sei es ohne Zwischenglieder bezeichnet habe. Die re-
produktive Zuordnung zwischen einer Zielsetzung bestimmter Art
und einer bestimmtenLösungsmethode entsteht namentlich auf Grund
der Erkenntnis, daß das betreffende Verfahren zur Herbeiführung
eines Ziels der in Frage stehenden Art geeignet ist Sie entsteht
also infolge der Einsicht in ein Sachverhältnis, auf Grund dessen
das betreffende Verfahren als Mittel zur Erreichung des Zieles
sich darstellt Die Erkenntnis dieses Zusammenhanges zwischen
Zweck und Mittel kann unmittelbar die Anwendung der Lösungs-
Vj^ a. a. O. S. 426f., 429f., 438, 4d9£f., 472, 474.
*) Siehe den angeführten Vortrag.
*) Vgl. z. B. G. E. Müllers Ausführungen über „taktische Reminiszenzen *"
und „taktische Einstellung*' (a. a. O. S. 490, 44^) mit den Bemerkungen über
die Aktualisierung des Wissens von Lösungsmethoden und das routinemäßige
Schaffen in meinem Vortrag (a. a, O. S. 872). Der von Müller erörterte Fall
der Zuordnung auf Grund „empirischer Erprobung** (a. a. O. S. 440) steht in
naher Beziehung zu dem vierten Hauptfall der organisierten produktiven Tätig-
keit (a. a. O. S. 877). Die Zuordnung auf Grund einer Reflexion über die Auf-
gabe und eines sich daran anschließenden Einfalles (MtiUer a. a. O. S. 440 f.)
habe ich als zweiten Hauptfall der organisierten produktiven Tätigkeit näher
zu analysieren versucht (a. a. O. S. 878 f.).
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816 Anhang.
methode zur Verwirklichung eines schon bestehenden Zieles
motivieren. Es kann aber auch bei der späteren Seisetzung der-
selben Art das Bewußtsein von diesem Zusammenhang reproduziert
werden und das Motiv fttr die Anwendung der Lösungsmethode
auf den konkreten Fall bilden. In einem solchen Falle erfolgt
die Reproduktion des Bewußtseins von der Lösungsmethode nicht
auf Grund von Bertthrungsassoziationen mit der Vorstellung
des Zieles, sondern auf Ghrund der Aktualisierung des Wissens
von dem früher erkannten Zusammenhang von Zweck und Mittel.
Eb liegt also keine assoziative Reproduktion im gewöhnlichen
Sinne vor. Auf die Frage nach der Natur des Motivations-
zusammenhanges zwischen dem erstmaligen oder reproduzierten
Bewußtsein von der Eignung der Lösungsmethode zur Verwirk-
lichung des Zieles und ihrer Anwendung kann an dieser Stelle
nicht näher eingegangen werden. Es handelt sich hier um die
G^esetzmäßigkeit, daß die Determination zur Herbeiführung eines
bestimmten Zieles die Determination zur Verwirklichung der Mittel
nach sich zieht. Die Ergebnisse der neuesten Willensuntersuch-
ungen sind der Einrdhung solcher Zusammenhänge zwischen
Determinationen unter die assoziativen Zusammenhänge im ge-
wöhnlichen Sinne nicht günstig.
Bei geläufigen Lösungsmethoden hat die Zielsetzung un-
mittelbar die Anwendung der betreffenden Lösungsmethoden zur
Folge, ohne daß der zwischen ihnen und der Zielsetzung be-
stehende Zusammenhang vc^rher ins Bewußtsein tritt Auch in
diesem Falle braucht jedoch der Verlauf nicht auf einer durch
Ausschaltung von Zwischengliedern entstandenen unmittelbaren
Assoziation zwischen der Zielvorstellung und einem bestimmten
Verhalten zu beruhen. Es kann auch in ähnlicher Weise wie
bei den unvermittelten Lösungen des ersten Abschnittes ein Zu-
rücktreten der Wissensaktualisierung, bezw. des sich an sie an-
schließenden Motivationsprozesses im Bewußtsein vorliegen^).
Ohne die latente Mitwirkung des Wissens von dem Zusammen-
hang der Lösungsmethoden würde namentlich bei zusammen-
Dabei kann sich die latente Wissensaktualisierung auf einen Teil des
vorhandenen Wissenskomplexes beschränken, es kann z. B. lediglich das Wissen
von dem Bestehen des Zusammenhanges von Zweck und Mittel, nicht das
Wissen von den Erkenntnisgründen dieses Zusammenhanges wirksam werden.
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Anhang, 817
■ ■ ■' " ■■■■.III II ■ I. — — ^— .-— --_-___^ _
gesetzten Operationen die Kontrolle der Richtigkeit des ange-
wendeten Verfahrens und die Kontrolle der einzelnen Teillösungen
verloren gehen *).
Daß femer für die Entstehung der Zuordnung bestimmter
intellektueller Operationen zu anderen, sie auslösenden Vorgängen
und daher auch zu Zielsetzungen nicht ausschließlich Erfahrungs-
und Erkenntniszusammenhänge in Betracht kommen, zeigen z. B.
die früheren Erörterungen über die Entstehung des Zusammen-
hanges zwischen Mitteilungen und bestimmten Kombinations-
prozessen, mögen in diesem letzteren Falle nun determinierte
Prozesse vorliegen oder nicht").
G. E. Moller neigt dazu, auch determinierte Kombinationsprozesse als
assoziative Mischwirkungen im Sinne von Müller und Pilzecker zu betrachten*).
So liegt nach Müllers Auffassung eine assoziative Mischwirkung vor, wenn eine
visuelle Vp., die noch niemals Buchstaben in violetter Farbe gesehen oder vor-
gestellt hat, der AufTorderung, die Silbe han in violetter Farbe vorzustellen,
Folge zu leisten vermag. Durch die Aufforderung werde einerseits eine solche
R^roduktionstendenz erweckt, die auf eine Vorstellung der Silbe han als einer
in gewöhnlicher Weise geschriebenen gerichtet sei, und andererseits eine solche,
die auf die Vorstellung einer violetten Fläche gerichtet sei. Das Resultat beider
Tendenzen sei das Auftreten eines Silbenbildes, dessen Form der einen und
dessen Farbe der andern Tendenz enstamme. Es ist hier zunächst von Wichtig-
keit, festzustellen, daß der Vorgang jedenfalls komplizierterer Natur sein muß,
als er nach dieser Darstellung erscheint Die beiden angegebenen Rq>roduktions-
tendenzen würden auch geweckt werden, wenn die Aufforderung lautete, sich
einerseits die Silbe han, andererseits die Farbe violett vorzustellen. In diesem
Falle würde aber im allgemeinen keine Mischwirkung entstehen. Was die Misch-
wirkung oder, was dasselbe ist, die Kombination hervorruft, können also nicht
die beiden assoziativ geweckten Reproduktionstendenzen sein, sondern es muß
zu diesen noch etwas Drittes hinzutreten, nämlich die Wirkung der Aufforderung,
daß die zu erzeugende Vorstellung die benannte Silbe und die benannte Farbe
in derselben Verbindung zeigen solle, wie sonst Farbe und
Gestalt an optischen Objekten vereinigt sind. Würde durch diesen
speziellen Inhalt der Aufforderung wieder nur eine weitere Reproduktionstendenz
geweckt werden, z. B. die Tendenz, ein beliebiges Objekt, das Farbe und Ge-
stalt vereinigt, vorzustellen, so würde dadurch das Auftreten einer entsprechenden
Vorstellung, nicht aber die Kombination verständlich werden. Wir müssen
statt dessen annehmen, daß durch den erwähnten speziellen Inhalt der Auf-
') Vgl einstweUen die ProtokoUe Ai S. Id4, Bi S.2(», Git S.215, Ait S.266
und die zugehörigen B^nerkungen.
•) Siehe S. 171.
*) a. a. 0. S. 496f ; siehe auch S. 488f u. S. 482.
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918 Anhang.
fordening ein diesem Inhalte entsprechender Prozeß der analogen Nachkonstruktion
ausgdOst wird, der die den bekannten Veii>indungen entsprechende Verbindung
von Farbe und Gestalt auch im gegenwärtigen Falle zustande bringt Durch
den Inhalt der Aufforderung ist die zu erzeugende Vorstellimg indirdct bestimmt
durch das Bewußtsein von dem Sachverhältnis, daß ihre Farbe mit der Farbe
Violett und ihre Gestalt mit der Gestalt des Druckbildes han Obereinstimmt
Die auf die Erzeugung der so indirekt bestimmten Vorstellung gerichtete Deter-
mination muß die Einleitung eines Kombinationsprozesses zur Folge haben,
der zu ihrer Verwirklichung geeignet ist
Auch in den Fällen der von Müller und Pilzecker behandelten assoziativen
Mischwirkimgen ist folgendes zu berQcksichtigen: Wenn z. B. als Resultat der
auf die beiden Silben söl und han gerichteten Reproduktionstendenzea die Silbe
San im Bewußtsein auftaucht, so kann an der Mischwirkung auch die Deter-
mination beteiligt sein, eine Silbe oder eine Silbe von bestimmtem T3rpus zu
nennen, z. B. eine aus einem von zwei Konsonanten und einem von ihnen imi-
schlossenen Vokal bestehende Silbe. Diese Determination kann als Ursache
dafür in Betracht kommen, daß die wirksam werdenden Silbenfragmente zu
einer einheitlichen Silbe verbunden werden.
Auch G. E. MoUer weist fibrigens imter Anführung einer Reihe von Beleg-
stellen darauf hin, daß es neben der assoziativen Mischwirkung wahrscheinlidi
auch noch eine teilinhaltliche EinsteUung gäbe, z. B. von der Art, daß ein
visuelles Vorstellungsbild eine Tendenz hinterlasse, ein nachfolgendes visuelles
Vorstellungsbild mit der gleichen SehgrOße zu erzeugen'). Eine solche teil-
inhaltliche Einstellung aber wäre wohl nichts anderes als ein besonderer Fall
einer Tendenz zur analogen Nachkonstruktion einer erlebten Veii)indung von
Teilinhalten. Wir hätten es also bei der teilinhaltlichen Einstellung mit Kom-
binationsprozessen von der gleichen Art zu tim, wie wir sie diux^ Determinationen
ausgelost dachten, zu deren Verwirklichung Kombinationsprozesse erforder-
lich sind.
In enger Beziehung zu den von Müller erwähnten teilinhaltlichen Ein-
stellungen auf eine SehgrOße von bestimmter Größenordnung steht die von
Bühler bei seinen Vpn. festgestellte Fähigkeit, räumliche und zeitliche Gebilde
proportional vergrößert oder verkleinert vorzustellen, also mit verschiedenen
Sehgrößen zu kombinieren"). Solche proportionale Größenänderungen entstanden
teils beabsichtigt, teils unbeabsichtigt unter dem Einfluß der auf einen Pro-
portionsvergleich gerichteten Determination. Bei der Einstellung auf eine be-
stimmte Sehgröße findet offenbar ebenfalls eine solche proportionale Größen-
änderung der reproduzierten Vorstellungen statt mit der Besonderheit, daß der
Maßstab durch die Sehgröße der vorangegangenen Vorstellung vorgezeichnet ist
6. 6. E. Müller bekämpft die Annahme, daß von der Ziel-
setzung eigenartige Wirkungen ausgehen, und vertritt die Ansicht,
daß der Verlauf bei der Aufgabelösung ausschließlich auf die
') a.a.O. S.502f.
•) Vgl. oben S. 96 Anm. 1.
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Anhang, 819
Wirksamkeit assoziativer und perseverativer Reproduktionsten-
denzen zurückgeführt werden könne ^). Ich habe soeben schon eine
Reihe von Gründen angeführt, welche der Einreibung der Zuordnung
zwischen Zielsetzungen und bestimmten Operationen unter die
assoziativen Verbindungen im gewöhnlichen Sinne entgegenstehen.
Ebenso wurde schon auf die Schwierigkeit hingewiesen, die an
der Aufgabelösung beteiligten Eombinationsprozesse auf die aus-
schUeßliche Wirksamkeit assoziativer Reproduktionstendenzen zu-
rückzuführen. Die zahlreichen am Denkverlauf beteiligten Ab-
straktionsprozesse, die sich namentlich auf Sachverhältnisse beziehen,
wird man auch dann von den Reproduktionsvorgängen im engeren
Sinne zweckmäßig zu trennen haben, wenn man zu ihrer Erklänmg
mit den Gesetzen der Vorstellungsreproduktion auskommen zu
können glaubt *). Selbst wenn man von der Frage nach der Natur
der in den Verlauf determinierter intellektueller Prozesse ein-
gehenden Motivationszusammenhänge absieht, bleibt noch immer
eine sehr wesentliche Eigentümlichkeit solcher Prozesse zu be-
rücksichtigen, welche die Annahme einer eigenartigen Wirkung
der Zielsetzung rechtfertigt. Wie wiederholt betont wurde, hat
die Zielsetzung unmittelbar nicht die Reproduktion gegenständ-
licher Bewußtseinserlebnisse, sondern die Anwendung allgemeiner
der Natur der Gesamtaufgabe angepaßter komplexer intellektueller
Operationen zur Folge. Es soll die Möghchkeit nicht bestritten
werden, daß solche intellektuelle Operationen auf Grund assoziativer
Reproduktionstendenzen von Vorstellungen auftreten können.
Die übliche Auffassung, daß der Vorstellungsablauf nur auf Asso-
ziationen von Vorstellungen mit Vorstellungen zurückzuführen
sei, könnte dahin geändert werden müssen, daß auch gewisse
*) a.a.O. S. 475 ff.
*) Vgl. über den von MüUer verwendeten erweiterten Begriff der R^ro-
duktionsgesetze, a. a. 0. S. 4^, Anm. 2. Siehe auch die AusfOhrungen a. a. O.
S. 494 f. über den von Müller verwendeten weiteren Vorstellungsbegriff, der auch
das Bewußtsein von Beziehungen und Sachverhältnissen und in gleicher Weise
anschauliche wie unanschauliche Erlebnisse umfassen würde. Bei der heute
in der Psychologie eingebürgerten engeren Bedeutung des Begriffs Vorstellung
scheint mir die Anwendung eines solchen umfassenderen Begriffs wegen der
damit verbundenen Gefahr der Verdeckimg der Unterschiede nicht zweckmäßig.
Bei Müller selbst verhindert dieser weite Vorstellimgsbegriff namentlich, daß
die Eigenart des Bewußtseins von Sachverhältnissen gegenüber den Vorstellungen
im engeren Sinne zur (jeltung kommt
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920 Anhang,
intellektuelle Operationen mit Vorstellungen assoziiert sein und
dadurch den weiteren Ablauf beeinflussen können. Allein dadurch
würden zu den jeweils konkurrierenden assoziativen und per-
severativen Reproduktionstendenzen, die auf Vorstellungen ge-
richtet sind, nur noch assoziative und perseverative Reproduktions-
tendenzen, die auf Aktualisierung bestimmter intellektueller Ope-
rationen gerichtet sind, hinzutreten. Wenn dagegen durdi die
Zielsetzimg die ausschließUche Wirksamkeit der zur Lösung der
Gesamtaufgabe geeigneten Operationen in der zur Verwirklichung
des Zieles erforderlichen Reihenfolge im allgemeinen gewähr-
leistet wird ^), so müssen wir annehmen, daß es sich \m der Zu-
ordnung von Zielsetzungen bestimmter Art zu bestimmten kom-
plexen intellektuellen Operationen*) um relativ gesonderte, wenn
auch den assoziativen Verbänden im gewöhnlichen Sinne ver-
wandte, teils phylogenetisch begründete, teils auf Erfahrungs- und
Erkenntniszusammenhängen beruhende Verbände handelt. Die
Entstehung solcher Verbände und ihr Wirksamwerden durch eine
konkrete Zielsetzung stellt also eine eigenartige Wirkung der
Determinierung dar.
*) Auch Fehlreaktionen pflegen ja, wir wir sahen, nicht auf einer Durch-
brechung des Zusammenhanges zwischen einer Zielsetzung bestimmter Art und
den ihr zugeordneten Operationen zu beruhen.
") Zu den der Zielsetzimg zugeordneten Operationen gehören auch die-
jenigen Operationen, welche die dauernde Wirksamkeit der Determination ge-
währleisten (vgl. oben S. 120 Anm. 3). Es handelt sich hier dsenso wie zum
Teil bei den Operationen der Wissensaktualisierung und bei den Operationen
zur Kontrolle und Berichtigung der Lösung um Operationen, welche Zielsetzungen
aller Art zugeordnet sind, um allgemeine LOsungsmethoden (vgl oben
S. 279). Es versteht sich leicht, daß die Zuordnung zwischen Zielsetzimgen
und den allgemeinen Lösungsmethoden eine besonders feste sein imd daher
das Auftreten aufgabewidriger Prozesse in besonders hohem Maße erschweren muß.
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