Otto Selz

Über die Gesetze des geordneten Denkverlaufs

이윤진이카루스 2015. 1. 4. 21:49

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über die Gesetze 
des 
geordneten Denkverlaufs 
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Eine experimentelle Untersuchung 
von 
Dr. ato Selz 
Privatdozent der Philosophie an der Universität Bonn 
# 
STUTTGART 
VEBLAG VON W. SPEMANN 
1913 
Printed in Oermar/ 
I r\r^r^\r 
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über die Gesetze 
des geordneten Denkverlaufs 
Erster Teil 
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über die Gesetze des 
geordneten Denkverlaufe 
Eine experimentelle Untersuchung 
von 
Dr. Otto §elz 
Privatdozent der Philosophie an der Universität Bonn 
Erster Teil 
STUTTGART 
VERLAG VON W. SPEMANN 
1918 
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OOPTBiaBT 1918 BT W. 8PBM AKH IN STUTTOAET. 
DBUOK: OHRISTLIOBBS VBRLA08HAUS, 8TUTTGABT. 
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Vorwort. 
Das voriiegende Buch ist aus Versuchen hervorg^;angen, 
die im Jahre 1910 im psydiologischen Institut der Universität 
Bonn ausgeführt wurden. Über die speziellere Fragestellung dieser 
Versuche und ihre nahe Beziehung zu den Arbeiten der Würz- 
burger Schule zur Psychologie des Denkens und WoUens gibt die 
Einleitung Auskunft. Der hier veröffentlichte erste Teil der Unter- 
suchungen enthält Analysen, die sich mir als von allgemeiner 
Bedeutung für das Verständnis des geordneten Denkverlaufe er- 
wiesen. Ich glaubte daher, einer größeren AusfiihrUchkeit in der 
Mitteilung von Versuchseigebnissen und in der theoretischen Er- 
örterung nicht «antraten zu können. Den Bedürfnissen des eiligen 
Lesers habe ich durch einige Zusammenfassungen und durch Ver- 
weisungen Rechnung zu tragen gesucht. Vielleicht habe ich bei der 
Begründung meines Standpunktes manchmal das Unterscheidende 
gegenüber dem Gemeinsamen in der Auffassung anderer Autoren 
etwas zu sehr hervortreten lassen; vielleicht ist es mir auch trotz 
aller Zurückhaltung nicht immer geglückt, mich bei der theore- 
tischen Interpretation der Ergebnisse vor Einseitigkeit zu be- 
wahren. So sehr ich das bedauern würde, sicher bin ich doch, 
daß der Ausgleich sich durch spätere fremde oder eigene Unter- 
suchungen von selbst vollziehen wird. 
Die ersten beiden Abschnitte des Buches lag^n im wesent- 
lichen in der heutigen (jestalt Binde des Sommersemealers 1912 
V 
4- DigitizedbyVjOOQlC 
VI Vorwort. 
der philosophischen Fakultät der Universität Bonn als Habilita- 
tionsschrift vor. Über einen Teil der Ergebnisse, namentlich 
über die im dritten Abschnitt behandelten, habe ich schon vorher 
auf dem 5. Kongreß f. exper. Psychologie in Berlin 1912 beriditet. 
Meinen tiefgefühlten Dank möchte ich an dieser Stelle meinem 
verehrten Lehrer Herrn Professor Eülpe zum Ausdruck bringen^ 
der mir das Bonner Institut in freundlichster Weise zur Ver- 
fügung gestellt imd mir durch die Möglichkeit ständiger Aus- 
sprache bei der Bearbeitung der Ergebnisse die Freude und 
Sicherheit bei der Arbeit erhöht hat In letzterer Hinsicht möchte 
ich auch Herrn Privatdozenten Dr. Bühl er meinen herzlichsten 
Dank aussprechen. 
Bonn, im August 1918. 
Der Verfasser, 
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Inhaltsverzeichnis. 
Seite 
Vorwort V 
Einleltttng. 
§ 1. Der Untersuchungsgegenstand 1 
§ 2. Die Methode 8 
Erster Abschnitt 
Die unvermittetten Lösungen als Wlssensaktnalislerungen und die 
Bedentnng der Wissensaktnalisiening ffir die Attfgabelösnng* 
§ 1. Die unvemuttelten Lösungen 26 
§ 2. Unyennittelte Lösungen und Wissensaktualisierung 28 
§ 8. Die Au%abelösung durch Wissensaktualisierung 8^ 
§ 4. Arten der Wissensaktualisierung und Stufen ihrer Nachweisbarkeit 46 
§ 6. Gesetz des ZiuUcktretens der Wissensaktualisierung im Bewußt- 
sein bei wachsender Gdäufigkeit des Wissens 60 
§ 6. Beispide für graduelle Unterschiede in der Ausprfigung der Wissens- 
aktualisierung im Bewußtsein 66 
§ 7. Falle, in denen der vorherige Erwerb bezw. die Bereitstellung des 
aktualisierten Wissens nachweisbar ist 60 
§ 8l Bedingungen und Funktion der sukzessiven Wissensaktualisierung 62 
§ 9. Die gesetzlichen Entstehungsbedingungen der unvermittelten Lö- 
sungen und ihre Ableitung aus ihnen 74 
§10. Hauptergebnisse 88 
Zweiter Abschnitt. 
Die Theorie der Wissensaictnalisiemng. 
L Die Komplexassoziation. 
§ i. Die Theorie der Komplexreproduktion 89 
§ 2. Bdege aus anderen Untersuchungen 101 
n. Die Komplexergänzung. 
§ 1. Ergänzung eines KomplexstQcks 106 
§ 2. Ergänzung auf Grund eines Schemas 111 
§ 3. Die determinierte Komplexergänzung 117 
§ 4. Belege aus anderen Untersuchungen 122 
§ 6. Die drei Gesetze der Komplexergänzung 128 
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Vm Infiaitsüerzeidinis. 
m. Die Wissensaktualisierung als Komplexergänzung . . 129 
•A. Allgemdne Charakterisierung der SachveiÜltnisse 190 
B. Sachveriiältnisse als psychische Gegenstände 146 
G. Das Wissen von Sachveriiftltnissen 151 
a) Das durch Abstraktion entstandene Wissen von SachverhftHiiissen 161 
b) Das durch Mitteilung entstandene Wissen von Sachverhftltnissen 162 
c) Das durch mittelbare Erkenntnisprozesse entstandene \^^ssai 
von Sachverhältnissen . . . ^ 172 
D. Der Prozeß der Wissensaktualisienmg 176 
Dritter Abschnitt 
Die OeMmtanfgabe. 
§ 1. Der Bildungsprozeß der Gesamtaufgabe 194 
§ 2. Die Anpassung der Bedeutung des Reizwortes an den Sinn der 
Aufgabe 222 
§ 8. Die Anpassung des Sinnes der Angabe an die Bedeutung des 
Reizwortes 237 
§ 4. Verhältnis der einleitenden Denkprozesse zur Gesamtaufgabe . . 247 
§ 5. Verhältnis der die Losung begleitenden Den^rozesse zur Gesamt- 
aufgabe 254 
§ 6. Das Gesetz der Berichtigung 261 
Schlnss 281 
Anhang. Bemerkungen zu G. E. Müller, „Zur Analyse der Gedächtnis- 
tätigkeit und des Vorstellungsverlaufes**, DI. Teil 901 
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Einleitung. 
§ 1. Der Untersuchungsgegenstand. 
Wie H. Liepmann in seiner im Jahre 1904 erschienenen 
Abhandlung „Über Ideenflucht" auf Grund feinsinniger Analysen 
gezeigt hat, ist es der durchgängige Zusanunenhang, welcher 
den geordneten Denkverlauf sowohl vom Ablauf der Bewußtseins- 
vorgänge beim Ideenflttchtigen als von der bloßen Träumerei 
unterscheidet. Die Glieder eines geordneten Denkverlaufs lassen 
sich immer unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt bringen. Sie 
betreffen ein und denselben Gegenstand, den Gegenstand des 
Nachdenkens oder der Forschung, der Mitteilung oder der Dar- 
stellung. Beim Ideenflttchtigen imd in der Träumerei dagegen 
besteht ein derartiger Zusammenhang nur gelegentlich oder nur 
streckenweise. Eines der wichtigsten Probleme der Psychologie 
des Denkens ist daher die Bestimmung der richtunggebenden 
Faktoren, die den geordneten Ablauf des Denkens herbeiführen, 
und die Auffindung der Gesetze ihrer Wirksamkeit. Auch das 
Postulat, daß die allgemeinen Gesetze der Assoziation und Re- 
produktion von Bewußtseinserlebmssen zur Erklärung der Denk- 
zusammenhänge ausreichen mttssen, würde nicht von der Verpflich- 
tung entheben, die besonderen Bedingungen aufzuzeigen, welche 
im einen FaUe einen durchgängigen Zusammenhang, im anderen 
Falle eine regellose Aufeinanderfolge von Bewußtseinserlebnissen 
zur Folge haben. Mit Recht betont Liepmann im Hinblick hierauf, 
daß die Berufung auf den allgemeinen Faktor der Konstellation 
noch nicht ausreicht, um den Unterschied eines geordneten und 
ungeordneten Bewußtseinsverlaufs zu erklären 0. Unter dem im 
Vgl. H. Liepmann, Ober Ideenflucht (Halle 1904) S. 29, 68 ff.; siehe auch 
Grundzflge der Psychologie von H. Ebbinghaus, fortgeführt von E. DOrr, 2. Bd. 
(Leipzig 1911/12) S.297f. 
Seil, Ober die Qesetie dei geordneten DenkTerUnli. \ 
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2 Einleitung, 
Anschluß an Wähle und Ziehen viel verwendeten Begriff der 
Konstellation pflegt man den jeweiligen psychischen Gesamtzustand 
zu verstehen, soweit er durch die Gresamtheit der augenblicklich 
wirksamen Reproduktionstendenzen und ihre gegenseitige Förde- 
rung imd Hemmung bestimmt ist. Durch die Berücksichtigung 
dieses Faktors wird zwar der Tatsache Rechnung getragen, daß 
auch in dem von den Gesetzen der assoziativen Reproduktion 
beherrschten Bewußtseinsverlauf die Richtung nicht ausschließlich 
durch die gegenwärtig im Bewußtsein vorhandenen Reproduktions- 
motive, sondern auch durch die von den vorausgegangenen Be- 
wußtseinserlebnissen angeregten Reproduktionstendenzen bedingt 
ist. Der Hinweis auf die Konstellation genügt, um verständlich 
zu machen, daß keineswegs die stärkste Assoziation mit den jeweils 
gegebenen Bewußtseinserlebnissen ausschließlich den Ablauf des 
psychischen Geschehens zu bestimmen braucht Er genügt jedoch 
nicht, um die Besonderheit des geordneten Denkens zu erklären. 
Nimmt man aber zu diesem Zwecke an, daß im geordneten Denken 
die Gesamtheit der vorangegangenen Bewußtseinserlebnisse zur 
Geltung gelange, während dies in der Ideenflucht oder der Träumerei 
nicht geschehe, so steht man von neuem vor der Frage, welchen 
Faktoren jener Unterschied seine Entstehung verdankt, und ob 
und wie die allgemeinen Gresetze der Assoziation und Reproduktion 
von Bewußtseinserlebmssen ausreichen, um die tatsächliche Wirk- 
samkeit dieser Faktoren verständlich zu machen. 
Nahezu zur selben Zeit mit der Abhandlung H. Liepmanns 
erschien das Buch von Ach „Über die Willenstätigkeit und das 
Denken" •) und die Untersuchung von Watt „Experimentelle Bei- 
träge zu einer Theorie des Denkens" '). In diesen Untersuchungen 
wurde die Frage nach den richtunggebenden Faktoren im ge- 
ordneten Ablauf der intellektuellen Prozesse in den Kreis plan- 
mäßiger experimenteller Forschung gezogen. Der Einfluß, welchen 
eine übernommene Aufgabe, ein selbstgestelltes Ziel auf den Ab- 
lauf des psychischen Geschehens ausüben, wurde hier zum Gegen- 
') Zur Geschichte des Konstellationsbegriffs vgl. 6. £. Müller, Zur Analyse 
der Gedächtnistätigkeit und des Vorstellungsverlaufs, III.Teil, Zeitschr.f.Psychol. 
8. Erg.-Bd (Leipzig 1913) S. 488 Anm. 1. 
•) Göttingen 1905. 
^ Archiv f. d. ges. Psychol. 4. 1904. S. 289. 
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/. Der üntersuchangsgegenstanä. 
stand selbsttfndiger Problemstellung erhoben ^). Durch den exakten 
Nachweis der Bedeutung dieser Faktoren wurde die Notwendig- 
keit ihrer Berücksichtigung bei der Erklärung intellektueller 
Prozesse und durch intellektuelle Vorgänge mitbedingter äußerer 
Handlungen dargetan. Die systematische Heranziehung der ex- 
perimentellen Selbstbeobachtung ermöglichte es vor allem, zu 
zeigen, daß die vorausgegangene Übernahme einer Auj^;abe, bezw. 
die vortier stattgefundene eigene Zielsetzung den ganzen an die 
Wahrnehmung eines Reizes sich anschließenden Ablauf qualitativ 
bestimmt und eine Realisierung im Sinne der Absicht nach sich 
zieht, ohne daß die Angabe bezw. das Ziel beim Erscheinen des 
Reizes noch bewußt zu sein bezw. wieder reproduziert zu werden 
braucht. Insbesondere betonte Ach die Eigenart dieser dauernden 
und unterhalb der Bewußtseinsschwelle wirksamen Nachwirkungen, 
die übrigens auch durch suggestive Beeinflussung entstehen können. 
Ach führte zu ihrer Bezeichnung den Begriff der determinierenden 
Tendenzen in die Psychologie ein und stellte sie den assoziativen 
und perseverierenden Reproduktionstendenzen an die Seite'). Aus 
der Anerkennung der determinierenden Tendenzen als besonderer 
Faktoren im psychischen Geschehen eingibt sich nun eine doppelte 
Fragestellung: 
1. Welches sind die Gesetze, nach denen die determinierenden 
Tendenzen den geordneten Ablauf der intellektuellen Prozesse 
herbeiführen? Wieweit bestehen besondere, charakteristische (be- 
setze für den Verlauf determinierter intellektueller Prozesse? 
2. Kommt neben den determinierenden Tendenzen den durch 
die einzelnen Verlaufsglieder angeregten assoziativen Reproduk- 
tionstendenzen bei der Verwirklichung des Ziels der Determination 
noch eine wesentliche positive Mitwirkung zu? Für den Fall der 
Bejahung dieser Frage ergibt sich eine weitere, die auch schon 
eine Unterfrage der ersten darstellt: Welches sind die Gesetze 
des Zusammenwirkens der determinierenden Tendenzen mit 
den durch die einzelnen Verlaufsglieder angeregten Reproduktions- 
tendenzen? Die Anbahnung einer Beantwortung dieser Fragen 
durch die experimentelle Analyse und Vergleichung einzelner 
V0. O. Külpe, Psychologie und Medizin (Leipzig 1912) S. 26 f. 
") W. u. D. S. 191, 195, 196, 228; ferner „Über den Willensakt und das 
Temperament" (Leipzig 1910) S. 4, 284 ff. 
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4 Einleitung. 
Verlaufsfonnen determinierter intellektueller Prozesse bildete den 
Hauptgegenstand der vorliegenden Untersuchung. 
Man könnte versuchen, in möglichster Anlehnung an die be- 
kannten Reproduktionsgesetze mit folgender Hypothese auszu- 
kommen: Die Wirksamkeit der determinierenden Tendenzen be- 
steht in einer starken und während des ganzen Realisierungs- 
prozesses fortdauernden Anregung der Reproduktionstendenzen, 
die von der Zielvorstellung (bezw. den die Aufgabe repräsen- 
tierenden Bewußtseinserlebnissen) ausgehen. Hierdurch werden 
die mit der Zielvorstellimg assoziierten Vorstellungen in einen 
höheren Grad von Bereitschaft gesetzt als die übrigen Vor- 
stellungen, es wird also eine ganz bestimmte Konstellation ge- 
schaffen. Infolge dieser Konstellation werden unter den von den 
einzelnen Verlaufsgliedem angeregten Reproduktionstendenzen 
nach dem Gesetz der wechselseitigen Förderung gleichgerichteter 
Reproduktionstendenzen diejenigen begünstigt, welche nach einem 
mit der Zielvorstellung assoziierten Endglied führen. Andrerseits 
werden durch die von der Zielvorstellimg ausgehende Anregung 
einer größeren Gruppe von Reproduktionstendenzen infolge der 
gegenseitigen Hemmimg konkurrierender psychischer Vorgänge 
diejenigen Reproduktionstendenzen in ihrer Wirksamkeit gehemmt, 
welche aus dem vorbereiteten Gebiet von Reproduktionstendenzen 
hinausführen. Nach dieser Annahme würde also die Wirksamkeit 
der determinierenden Tendenzen sich darauf beschränken, durch 
die dauernde Bereitstellung der mit der Zielvorstellung 
assoziierten Gruppe von Reproduktionsgrundlagen einen kon- 
stellierenden Einfluß auf den Ablauf auszuüben, der im übrigen 
nach den Gesetzen der assoziativen Reproduktion erfolgt. Aus 
der Konstellationswirkung der durch die Determinierung ge- 
schaffenen dauernden Einstellungen, der determinierenden Ten- 
denzen, einerseits und der von den einzelnen Verlaufsgliedem 
ausgehenden Reproduktionstendenzen andererseits wäre der ge- 
ordnete Ablauf intellektueller Prozesse zu erklären. 
Die bisherigen Versuche einer Theorie des geordneten Denk- 
verlaufs bewegen sich mehr oder weniger in der Richtung einer 
solchen Theorie. So führt Watt den geordneten Ablauf auf das 
„Zusammenwirken" der Aufgabe und der „an die [in seinen Ver- 
suchen dargebotenen] Reizwörter gebundenen Reproduktionsten- 
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/. Der Untersüdiungsgegenstand, 
denzen" zurück. Die letzteren bilden „die elementare Grundlage ** 
des Prozesses. Die Aufgabe ist nach Watts Hypothese als ein 
„größeres und stärkeres Reproduktionsmotiv^ zu denken, durch 
das ein weiteres Gebiet von Reproduktionstendenzen bestimmt 
wird ^). Charakteristisch für sie ist die Hervorrufung allgemeiner 
Einstellungen auf gewisse Gebiete z. B. auf Gesichtsvorstellungen. 
Hierdurch werden ganze, durch dieselben formalen Eigentümlich- 
keiten ausgezeichnete Gruppen von Reproduktionstendenzen be- 
günstigt (formale Reproduktionstendenz) *). Eine Vorstellung wird 
zur Aufgabe, indem sie dauernd und in der geschilderten Weise 
wirksam wird*). 
Auch Achs Auffassung nähert sich einer Konstellationstheorie. 
Ach weist selbst auf die nahen Beziehungen zwischen den von 
ihm untersuchten Erscheinungen und dem von Ziehen als Kon- 
stellation bezeichneten Vorgang hin*). Bei der Determinierung 
in der Vorperiode werden nach seiner Hypothese die von der 
2äelvorsteUung [z. B. Addieren] ausgehenden Reproduktionsten- 
denzen in einen höheren Grad der Erregung versetzt und in eine 
bestimmte von ihm als simultane Assoziation bezeichnete Beziehung 
zu dem kommenden Reizeindruck, der „Bezugsvorstellimg", ge- 
bracht. Die Stiftung derartiger Beziehungen zwischen Ziel- und 
BezugsvorsteUung nennt Ach eine Absicht*). Die determinieren- 
den Tendenzen sind identisch mit den von der Absicht geschaffenen 
„Einstellungen^ •). Auch nach Achs Auslegung seiner Ergebnisse 
findet bei der Verwirkhchung der Zielvorstellung in der Regel 
ein Zusammenwirken der determinierenden Tendenzen mit asso- 
ziativen Reproduktionstendenzen statt. Namentlich bedient sich 
Ach dieser Erklärung für solche Fälle, bei denen, wie er betont, 
„die Determinierung in der auffälligsten Weise hervortritt". Hier 
schließt sich an die Auffassung der BezugsvorsteUung z. B. der 
TiSerHy mit denen eine Rechenoperation vorgenommen werden 
soll, unmittelbar die richtige Vorstellung an. So treten beim Er- 
scheinen von 6 I 2 entweder 8, 4 oder 3 im Bewußtsein auf, je 
•) a.a.O. S.420ff. 
^ a. a. 0. S. 846 mit S. 902. 
•) a. a. 0. S. 346. 
*) W. u. D. S. 24a 
») W.U.D. S. 224 mit S.217f. 
•) W. u. D. S. 22a 
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6 Einleitung. 
nachdem AddieFen, Subtrahieren oder Dividieren vorgenommen 
wird. Ach führt dies darauf zurück, ;,daß die durch die Ziel- 
vorstellung in Bereitschaft gesetzten Tendenzen unter den von 
der BezugsvorsteUung ausgehenden Reproduktionstendenzen die- 
jenige verstärken, welche der Bedeutung der ZielvorsteUung [d. h. 
bei Ach den von der Zielvorstellung angeregten Reproduktions- 
tendenzen] entspricht". Die determinierenden Tendenzen be- 
wirken, daß unter den vielen durch die Wahrnehmung in Be- 
reitschaft gesetzten Tendenzen diejenige zu einer überwertigen 
verstärkt wird, welche einer dem Sinne der Absicht [d. h. den 
von ihr angeregten Reproduktionstendenzen ")] entsprechenden 
Vorstellung assoziativ zugeordnet ist'). Neben solchen ganz in 
der Richtung einer Konstellationstheorie liegenden Annahmen 
findet sich bei Ach allerdings auch der bedeutsame Hinweis, 
daß eine vorherige Assoziation zwischen der konkreten Bezugs- 
vorsteUung imd der determinierten Vorstellung kein unbedingtes 
Erfordernis ist*). Ach sowohl wie Watt sind übrigens mit der 
Aufstellung einer allgemeinen Theorie des Denkverlaufs noch 
sehr zurückhaltend. Sie sind in erster Linie bemüht, charakteri- 
stische Verlaufsformen festzustellen und die Wirksamkeit der 
Aufgabe beziehungsweise der determinierenden Tendenzen darin 
aufzuzeigen. 
In der Literatur sind die Ergebnisse von Ach und Watt 
meistens im Sinne einer EonsteUationstheorie der Wirksamkeit 
der determinierenden Tendenzen verwendet worden*). Insbesondere 
vertritt die nach der teilweisen Durchführung dieser Arbeit er- 
schienene eingehende Untersuchung von Moskiewicz diese 
Auslegung. Moskiewicz bekennt sich auf Grund der Ergebnisse 
von Liepmann, Ach und Watt und seiner eigenen Analysen aus- 
drücklich zu einer Konstellationstheorie des geordneten Denk- 
*) Vgl.W.u.D. S.2l7f. 
a. a. O. 
•) W.U.D. S. 192 fr. 
*) W. u. D. S. 209, 228 Anm. 3. 
') Vgl z. B. Grundz. d. Psychol. von H. Ebbinghaus, fortgef. von E. Dürr 
2. Bd., S. 295 f. H. Ebbinghaus, Grundz. d. Psychol. 1. Bd. a Auf L, bearbeitet 
von E.DaiT (Leipzig 1911) S. 7Qß Anm. 1. M. Offner, das Gedächtnis 2. Aufl. 
Berlin 1911. S. 171, 178 f., 182. O. Lipmann, Beitr. zur Psychologie und 
Psychographie des Wollens und Denkens, Ztschr. f. angew. Psychol. 6. S. 338. 
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/. Der Untersudumgsgegenstand. 
verlaufe 0. „Das Unterscheidende gegenüber einem nicht geord- 
neten Vorstellungsveriauf^ ist darin zu erblicken, daß beim ge- 
ordneten Denken „eine Vorstellung, bezw. ein Vorstellungskom- 
plex dauernd mit der Aufmerksamkeit festgehalten wird, dadurch 
dauernd seine konstellierende Wirkung entfalten kann und die kon- 
stellierende Wirkung anderer immerfort wechselnder Vorstellungen 
lahmlegt ^^. Die Wirksamkeit der determinierenden Tendenzen 
besteht demnach darin, „daß aus der Fülle von möglichen Re- 
produktionen in einem gegebenen Falle durch die konstellierende 
Wirkung der Aufgabe eine bestimmte hervorgehoben wird*)." 
Eine Aufzählung der Gründe, welche gegen eine Eonstel- 
lationstheorie wenigstens in der bisher angedeuteten Form und 
gegen die ausschheßliche Anwendung einer solchen Theorie 
sprechen, würde Ergebnisse der Untersuchung vorwegnehmen 
müssen. Auch die von Ach und Watt selbst, sowie von Messer*) 
gegebenen sorgfältigen Beschreibungen determinierter intellek- 
tueller Prozesse weisen zum Teil nach einer anderen Richtung. 
Dasselbe gilt für die über phänomenologischen Streitfragen nicht 
immer genügend berücksichtigten wertvollen Beobachtungen von 
Bühler in bezug auf die Reproduktion gedanklicher Zusammen- 
hänge^). Die Frage, wie weit die Konstellationstheorie einer 
möglichst vollständigen Analyse verschiedenartiger Verlaufeformen 
standzuhalten vermag, bestimmte daher von Anfang an die An- 
lage der Versuche und die Bearbeitung der Ergebnisse. Im Zu- 
sammenhang mit dieser Frage ergab sich die Notwendigkeit einer 
eingehenderen Analyse des Faktors der Aufgabe bezw. 
der Zielvorstellung, die zu einer teilweisen Modifizierung 
bezw. Erweiterung dieser Begriffe führte. Dem Beginn der Ex- 
perimente gingen Vorversuche voraus, bei denen der Verfasser 
nach einer der später angewandten ähnlichen Methode sich selbst 
als Versuchsperson diente. Diese lehrten, daß Versuche, bei denen 
*) G. Moskiewicz, zur Psychologie des Denkens I, Archiv f. d. ges. Psychol. 
18. S. 904 ff., S. 828 ff. 
•) a. a. O. S. 888. 
*) Über die Konstellationstheorie von W. Poppehreuter siehe unten S. 290 ff. 
A. Messer, Experimentell -psychologische Untersuchungen über das 
Denken, Archiv f. d. ges. Psychol. 8. 
•) K. Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denk- 
vorgftnge, Archiv f. d. ges. Psychol. 9, insbes. S. 831 ff., 12, insbes. S. 46 ff. 
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8 EüOeUang. 
eine stärkere Inanspruchnahme anschaulicher Vorstellungen erfolgt, 
vorzüglich geeignet sind, die Eigenart determinierter Prozesse 
hervortreten zu lassen. Es erwies sich deshalb als zweckmäßig, 
ein größeres entsprechendes Versuchsmaterial zu verwenden. 
Damit trat von selbst die vielumstrittene Frage nach der 
Funktion der Vorstellungen, soweit sie mit dem Problem 
des geordneten Denkverlaufs zusammenhängt, in den Bereich der 
Problemstellung. Sie bildete einen Nebengegenstand der Unter- 
suchimg. 
§ 2. Die Methode. 
Die Untersuchungsmethode war im Prinzip dieselbe, wie sie 
schon von Watt, Messer^) und anderen im Anschluß an ältere 
Versuche über sogenannte gezwungene oder eingeengte Assozia- 
tionen angewendet worden war. Die Versuchspersonen hatten 
in bezug auf die ihnen dargebotenen Reizwörter bestimmte Auf- 
gaben zu lösen. Die Beibehaltung dieser Methode hatte den Vor- 
teil, daß sie eine Vergleichung der Ergebnisse mit den Ergeb- 
nissen früherer Arbeiten erleichterte. Vor allem waren die bis- 
herigen Ansichten über das Verhältnis der determinierenden 
Tendenzen zu den assoziativen Reproduktionstendenzen im An- 
schluß an das Verhältnis von „Aufgabe" und „Reizwort**, „Ziel- 
und Bezugsvorstellung"* gebildet worden. Es empfahl sich daher, 
die Gegenüberstellung dieser beiden Faktoren auch unseren Ver- 
suchen zu Grunde zu legen. Auf der anderen Seite ergaben sich 
aus dem Untersuchimgszweck einige wesentliche Abweichungen. 
Zu einer Untersuchung der Verlaufsformen determinierter Prozesse 
und ihrer Gesetzmäßigkeiten war es wünschenswert, den determi- 
nierten Ablauf unter den für die experimentelle Selbstbeobachtung 
günstigsten Bedingungen möglichst weit zurückverfolgen zu können. 
Die Aufgabe wurde daher nicht für eine ganze Versuchsreihe im 
voraus gegeben, sondern ihre Erteilung wurde in den Einzel- 
versuch verlegt. Aufgabe und Reizwort wurden gleichzeitig dar- 
geboten. Die Aufgabe variierte hierbei von Versuch zu Versuch. 
Durch dieses Verfahren mit gleichzeitiger Darbie- 
tung und variierender Aufgabe war es möglich, den Ein- 
*) a. a. O. 
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2, Die Methode. 
fluß der Aufgabe vom Augenblick ihrer Darbietung an auf Grund 
der Selbstbeobachtungen der Vpn. in der Hauptperiode festzu- 
stellen. Da die Vpn. die jeweils zu lösende Aufgabe nicht vorher 
kannten, konnten sie sich auch nicht bei der Vorbereitung und 
in der Vorperiode auf die Lösung der betreffenden Aufgabe ein- 
stellen, wodurch ein Teil des zu untersuchenden Prozesses aus 
dem Versuch herausgefallen wäre. In der allgemeinen Instruktion 
wurden nur einzelne Aufgaben beispielsweise erörtert. Die Vpn. 
konnten daher auch völlig neuen Aufgaben unvorbereitet gegen- 
übei^estellt werden. Das Watt'sche Verfahren hatte eine stereo- 
type Art der Aufgabelösung schon durch die ständige Wiederholung 
derselben Aufgabe begünstigt. Vor allem aber bestand die Mög- 
Uchkeit und Notwendigkeit, sich ohne Rücksicht auf das später 
erscheinende Reizwort auf die Aufgabelösung vorzubereiten. Hier- 
durch wurde ein Motiv für die dauernde Einstellung auf diejenige 
Art der Lösung einer bestimmten Aufgabe geschaffen, welche im 
allgemeinen die günstigsten Ergebnisse zu Uefem versprach. Für 
den Nachweis solcher allgemeiner Einstellungen ist die Watt'sche 
Methode sehr geeignet *). Durch das Verfahren mit gleichzeitiger 
Darbietung imd variierender Aufgabe dagegen wurde erreicht, 
daß der Einfluß des jeweiligen, durch die Reizwörter bezeichneten 
Aufgabegegenstandes auf die Art der Lösung ungehindert zur 
Geltung kam. Für die Ermittelung des Verhältnisses von Auf- 
gabe und Reizwort aber war gerade die Untersuchung dieses 
Einflusses von größter Wichtigkeit. 
Ein weiterer erheblicher Unterschied von den früheren Unter- 
suchungen betraf die Auswahl des Versuchsmaterials. Die 
Aufgaben waren zimi Teil dieselben, wie sie schon von Watt 
verwendet worden waren. Bei der Auswahl der Reizwörter und 
ihrer Zuordnung zu den einzehien Aufgaben aber waren besondere 
Gesichtspunkte maßgebend. Will man wie Watt den Einfluß der 
einzelnen Aufgaben auf die durchschnittliche Reaktionszeit fest- 
stellen und daraus Schlüsse ziehen, so hat dies nur Sinn unter 
der Voraussetzung, daß es sich, abgesehen von der durch die 
Aufgabe bedingten Verschiedenheit der Richtung, um annähernd 
gleiche Bedingungen, nämUch geläufige Reproduktionen handelt. 
Auch unser Versuchsmaterial war zum Teil so gewählt, daß kurze 
Watt a.a.O. S.800ff. 
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10 Einleitung. 
und einfache Lösimgsprozesse zu erwarten waren. Außerdem 
aber wurde die weitgehendste Bemühung darauf gerichtet, trotz 
der relativen Einfachheit der gestellten Aufgaben durch die 
Schaffung geeigneter Versuchsbedingungen EinbUck in intellektuelle 
Prozesse zu erhalten, welche über reine (redächtnisleistungen 
hinausgehen. Es wurde daher in einem großen Teil der Fälle 
die Auswahl der Reizwörter und ihre Zuordnung zu den Au^;aben 
so vorgenommen, daß voraussichtlich wenigstens von der Mehr- 
zahl der Vpn. die Lösung erst gefunden werden mußte, also 
nicht eine schon vorhandene Lösung reproduziert werden konnte. 
So kamen etwa bei der Aufgabe, einen Teil des Reizwortgegen- 
standes anzugeben, als Reizwörter die Bezeichnungen solcher 
Gregenstände zur Anwendung, an denen Teile nicht unterschieden 
zu werden pflegen, bezw. deren Teile gewöhnlich nicht unter 
diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. Oder es wurden bei 
der Aufgabe, ein Ganzes zu dem Reizwortgegenstand anzugeben, 
Gegenstände benützt, die nur in bestimmten Fällen inhärierende 
Teile eines solchen Ganzen werden, wie der „Spiegel^ am Schrank 
oder der „Kranz** in der Girlande. Die Auswahl der Versuche 
erfolgte namentlich in der Weise, daß der Verfasser sich selbst 
eine Reihe von Aufgaben probeweise an vorher ausgesuchten 
Reizwörtern stellte und nach den Ergebnissen seiner Selbst- 
beobachtung die passendsten Zusammenstellungen aussuchte. Dieses 
Verfahren erleichterte dem Versuchsleiter zugleich trotz der be- 
stehenden großen individueUen Verschiedenheiten das Verständnis 
der Angaben seiner Vpn. 
Sollte der Zweck, ernstliche Denkleistungen der Vpn. her- 
beizuführen, erreicht werden, so mußte der an sich bei Reaktions- 
versuchen bestehenden Beschleunigungstendenz entgegengewirkt 
werden. Den Vpn. wurde daher in der Instruktion besonders 
eingeschärft, daß es nicht darauf ankomme, schnell zu reagieren, 
daß sie sich vielmehr die zu einer bequemen und sinn- 
gemäßen Lösung nötige Zeit lassen sollten 0. Durch diese An- 
*) Auf die Wichtigkeit derartiger Nebeninstruktionen haben inzwischen 
auch Michotte und PrOm hingewiesen. <A. Michotte et E. PrOm, Sur le choix 
volontaire et ses ant^c^dents inun^iats. Archives de Psychologie Tome X. 
Vgl. namenüich S. 140, 216, 227 fr., 250 fr., 272 ff.) Sie haben zugleich den 
großen Einfluß der den Vpn. nach der ausdrücklichen oder stillschweigenden 
Instruktion zur Verfügung stehenden Reaktionszeit auf den qualitativen Ablauf 
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2, Die Methode. 11 
Weisung wurde verhindert, daß die Vpn. in Ermangelung einer 
geläufigen Aufgabelösung sofort ohne ernstliches Nachdenken zu 
wenig entsprechenden Aushilfislösungen griffen, wie sie bei frühe- 
ren ähnlichen Versuchen häufig auftraten. Auch sonst erwies 
sich diese Instruktion als sehr wertvoll zur Herbeiführung eines 
dem Versuchszweck entsprechenden Verhaltens der Vpn. Um 
ein tunlichst ungezwungenes Verhalten der Vpn. zu erzielen, 
wurde femer eine die sinnliche Aufmerksamkeit der Vpn. mög- 
lichst wenig inanspruchnehmende und möglichst geräuschlose 
Versuchsanordnung gewählt Namentlich wurde auf genaue Zeit- 
messung mit dem Chronoskop verzichtet. Dies konnte um so 
leichter geschehen, als nach der Anlage der Versuche mit kom- 
plizierteren Prozessen gerechnet werden mußte, bei denen feinere 
Unterschiede der Zeitwerte weniger in Betracht kamen. Die 
Reaktionszeit wurde mit der Fünftelsekundenuhr festgestellt. 
Zeitmessungen sind, auch soweit die Ergebnisse auf qualitative 
Analyse gestützt werden, keineswegs bloße Formalitäten, wie 
A. Fischer anzunehmen scheint 0. Sie sind schon deswegen 
nötig, um einen Maßstab für die Verwertbarkeit der Protokolle 
zu bilden. Wo es auf Vollständigkeit und Feinheit der Ana- 
lyse ankommt, sind bei der Möglichkeit einer Auswahl die Pro- 
tokolle mit kürzeren Reaktionszeiten natürlich denen mit längeren 
Reaktionszeiten vorzuziehen. Die Zeitmessimg gewährt außerdem 
eine objektive Kontrolle der quantitativen Angaben der Vpn. 
durch den Vergleich der Reaktionszeiten. In der vorliegenden 
Untersuchung kam übrigens der Zeitmessung eine weitergehende 
Bedeutung zu. 
Die Darbietung von Aufgabe imd Reizwort erfolgte optisch. 
Die Aufgabe wurde hierbei zu einem Schlagwort abgekürzt und 
in der Regel durch Fragezeichen gekennzeichnet, z. B. „Über- 
ordnung?**. Nur in einigen Fällen, in denen es sich weniger um 
die Beantwortung einer Frage als die Ausführung einer Tätig- 
keit handelte, trat an SteUe des Fragezeichens ein Rufzeichen. 
Aufgabe und Reizwort waren mit Schreibmaschine untereinander 
der Prozesse gezeigt (vgl. namenüich a. a. O. S. 159 ff., 214, 248 ff., 260 f., 
269, 284 ff.). 
^) A. Fischer, Über Organisation und Aufgabe psychologischer Institute, 
Zeitschr. f. pädagogische Psychol. 11. 1910. S. 100. 
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12 Einleitung. 
auf einzelne Papierblättchen niedergeschrieben. Jedes solche 
Blättchen war durch einen Karton von gleicher Größe verdeckt, 
dessen Mitte die Vp. in der Vorperiode fixierte. Nach dem Vor- 
signal „bitte!" zog der VI. mit dem Worte „jetzt !** den ver- 
deckenden ELarton weg, während er gleichzeitig mit der anderen 
Hand die Fünftelsekundenuhr in Bewegung setzte*). Der Sinn 
der Aufgabenabkürzung wurde den Vpn. an folgenden Beispielen 
erläutert: 
1. Die Aufgabe „Ganzes?" bedeute, es sei ein Ganzes zu 
suchen zu dem durch das Reizwort bezeichneten Gegenstande, 
2. die Aufgabe „Teil?", es sei ein Teil zu suchen von dem 
durch das Reizwort bezeichneten Gegenstande, 
3. die Aufgabe „Überordnimg"?, es sei ein Gegenstand zu 
suchen, dessen Begriff dem Begriff des durch das Reizwort be- 
zeichneten Gegenstandes übergeordnet ist, 
4. die Aufgabe „Nebenordnung?", es sei ein Gegenstand zu 
suchen, dessen Begriff dem Begriff des durch das Reizwort be- 
zeichneten Gegenstandes gleichgeordnet ist, 
B. Entsprechendes bedeute die Aufgabe „Unterordnung?". 
Die Vpn. wurden ausdrücklich darauf hingewiesen, daß bei 
den drei letzterwähnten Aufgaben ein Unterschied zwischen be- 
grifflichem und gegenständlichem Denken von der Instruktion 
nicht gemacht werden solle. Es komme nur darauf an, daß das 
Reaktionswort einen der Aufgabe entsprechenden Gegenstand 
bezeichne. Wie die Vp. zu der Lösung komme, sei ihr tiber- 
lassen*). 
6. Bei der Aufgabe „Beschreibung!" solle die Vp. bestrebt 
sein, eine dem Reizwort entsprechende Vorstellung zu bilden. 
Sie solle hierin so weit gehen, daß es möglich sein würde, an 
das Vorgestellte eine Beschreibung anzuknüpfen. 
Für die Aufgaben „Über- und Unterordnung" wurde noch 
Bei B erfolgte in den ersten 12 Versuchen die Darbietung durch einen 
Projektionsapparat und ohne Zeitmessung. 
■) Bei zwei Vpn. (G und H) wurde auf Anregung von Herrn Prof. Kdlpe 
die Instruktion zu den Aufgaben 3—5 in vereinfachter Form und ohne den 
ausdrücklichen Hinweis in bezug auf den Gegensatz von begrifflichen und 
gegenständlichem Denken gegeben. 1. ^Überordnung?** bedeutet, es sei die 
höhere Gattung, 2. „Nebenordnung ?**, es sei ein anderer Gegenstand gleicher 
Gattung zu suchen, „Unterordnung?** entsprechend. 
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2. Die Methode. 13 
die ausdrückliche Weisung erteilt, die Vp. solle bestrebt sein, wenn 
möglich, das nächst Übergeordnete, bezw. nächst Untergeordnete 
zu finden. Eki war dies nur eine durch den VI. selbst gegebene 
Interpretation der Aufgabe zur sinngemäßen Lösung für einen 
speziellen Fall. Eine besondere Erläuterung wurde später noch 
für die Angabe „Definition?^ gegeben. Sie ging dahin, daß eine 
zusammenfassende Formulierung zwar angestrebt werden solle, 
aber nicht unbedingtes Erfordernis sei; insbesondere sei es nicht 
notwendig, daß die Formulierung in Form eines Satzes erfolge. 
Diese Erleichterung der Aufgabe ermöglichte es, auch schwierigere 
Definitionsaufgaben zu stellen, ohne daß eine allzu große Ver- 
längerung der Reaktionszeiten eine Verwertung der Protokolle 
unmögUch machte. Außerdem sollte die Anweisung die begreif- 
liche Scheu der Vpn. vor Definitionen im Rahmen eines Reaktions- 
versuchs beseitigen. Die Aufgaben unter ZifT. 1 — 4, sowie die 
Aufgabe „Definition*^ waren zugleich die am häufigsten ver- 
wendeten. Die Aufgaben „Teil" und „Ganzes** waren sehr ge- 
eignet, ein Denken unter Zuhilfenahme der Anschauung, die Auf- 
gaben „Überordnung** und „Definition** ein mehr begriffliches 
Denken anzuregen. Die Aufgabe „Nebenordnung** stand in dieser 
Hinsicht zwischen beiden. Die Vpn. hatten nur die Instruktion, 
Aufgaben imd Reizwörter in der Reihenfolge zu lesen, in denen 
sie auf dem Darbietungsobjekt angeordnet waren. Im übrigen 
hatten sie bei der Gleichzeitigkeit der Darbietung freie Wahl, ob 
sie sich zuerst mit der Aufgabe oder zuerst mit dem Reizwort 
näher befassen oder beide Faktoren gleichzeitig nebeneinander 
zur Wirkung gelangen lassen wollten. Auf diese Weise konnte 
erwartet werden, daß das Verhältnis von Aufgabe und Reizwort 
im Verhalten der Vpn. zur Geltimg kommen werde. Um dieses 
Verhältnis noch stärker hervortreten zu lassen und einen etwaigen 
Einfluß der Reihenfolge der Darbietung erkennbar zu machen, 
wurde teils die Aufgabe, teils das Reizwort vorangestellt. Die 
letztere Anordnung war besonders geeignet, darüber Aufschluß 
zu geben, wie weit den vom Reizwort ausgehenden Reproduktions- 
tendenzen in Versuchen mit Auf gabestellung noch eine selbständige 
Bedeutimg zukommt. 
Die Erteilung der Instruktion erfolgte in der Hauptsache 
gleichlautend unter Benützung einer schriftlichen Niederlegung. 
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14 Einleitung. 
Die Reaktion hatte in Worten zu erfolgen, wenn dies nach der 
Natur der Aufgabe möglich war. Andernfalls wie bei der Auf- 
gabe „Beschreibung!^ war mit ja eu reagieren. Nach der Reaktion 
sollten die Vpn. sich bemühen, ihre Erlebnisse durch eine so- 
fortige innerliche Zurückwendung zu ihnen festzuhalten, und ihr 
Hauptaugenmerk dabei auf das erste Stadium des Versuches richten. 
Die Feststellung der Einzelheiten des Verlaufe erfolgte jedoch 
erst durch das Protokoll, das sich nach einer kurzen, in der an- 
gegebenen Weise ausgefüllten Pause des Besinnens an die Re- 
aktion anschloßt). Die Vpn. hatten eine tunlichst vollständige 
Beschreibung des Verlaufs zu geben und die einzelnen Erlebnisse, 
soweit es möglich war, auch zu analysieren. Den Vpn. wurde es 
zur strengen Pflicht gemacht, jede Unsicherheit über die Richtig- 
keit ihrer Angaben zu Protokoll zu geben, überhaupt wurden sie 
dazu angehalten, Aussagen über den Grad der Sicherheit ihrer 
Beobachtungen zu machen. Für die Vpn. selbst hatte dies den 
Vorteil, daß sie nicht ängstlich zu überlegen brauchten, ob eine 
Angabe sicher genug sei, um verwertbar zu sein. Sie konnten 
das dem Versuchsleiter selbst überlassen. Dem VI. seinerseits 
wurde hierdurch die Beurteilung der Brauchbarkeit einer Angabe 
erleichtert. Er erhielt eine Reihe von Angaben, die mit dem 
Prädikat völliger Sicherheit versehen waren und deshalb in erster 
Linie zu verwenden waren. Auf der anderen Seite wurde eine 
größere Vollständigkeit der Protokolle gewährleistet Im Zusammen- 
halt mit anderen Aussagen derselben Vpn. oder mit Protokollen 
anderer Vpn. können auch unsichere Angaben Bedeutung gewinnen. 
Die zur Ergänzung der Protokolle notwendigen Fragen wurden, 
um eine sug^stive Beeinflussimg zu verhindern, anfangs meist 
alternativ gestellt. Später wurden die Vpn. daran gewöhnt, die 
eine Alternative, z. B. die Frage, ob in einem bestimmten Stadium 
*) Unser Verfahren, das sich dem VI. bei der Tätigkeit als Vp. bewährt 
hatte, deckt sich also nicht mit dem von Michotte und Prüm eingeschlagenen 
Verfahren einer vollständigen innerlichen Fixierung vor der Protokoll- 
abgabe (a. a. 0. S. 144). Bei Versuchen mit längeren Reaktionszeiten, wie 
sie die unseren zum Teil waren, wird sich das Verfahren von Michotte und 
Prüm wahrscheinlich auch nicht sehr empfehlen. Eine unserer Vpn., welche 
anfangs die obige Anweisung im Sinne einer vollständigen Fixierung verstanden 
hatte, empfand eine solche Instruktion als störend. Die sprachliche Formulierung 
erleichtert eben die Fixierung des Erlebten und wird dann am besten sogleich 
mit der Protokollabgabe verbunden. 
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2, Die Methode. 15 
VorsteUungen vorhanden waren, im Sinne einer alternativen Frage- 
steUung aufzufassen. Die Fragen betrafen namentlich das Vor- 
handensein oder Fehlen anschaulicher oder emotionaler Erlebnisse 
in den einzelnen Stadien, die Beschaffenheit imd Lokalisation der 
Vorstellungen, die Art ihrer Verbindung mit anderen Erlebnissen, 
femer die Reihenfolge der Vorgänge, die Sicherheit und Voll- 
ständigkeit der Angaben imd die Aufklärung der von den Vpn. 
gebrauchten Ausdrücke. Bei der Feststellimg unanschauUcher 
Erlebnisse begnügte sich der VI. im allgemeinen mit der Angabe, 
daß in einem bestimmten Stadium dies oder jenes bewußt gewesen 
sei, ohne daß anschauliche Vorstellungen (bezw. emotionale Er- 
lebnisse) vorhanden waren. Ergänzende Fragen bezogen sich 
hierbei in erster Linie auf die Sicherheit der Angabe, daß wirk- 
lich ein Bewußtsein von dem betreffenden Gegenstand oder Sach- 
verhältnis bestanden habe einerseits, und auf die Sicherheit des 
Ausschlusses von Wort- und Sachvorstellungen (bezw. emotionalen 
Erlebnissen) bei diesem Bewußtsein andererseits. Der Gebrauch 
technischer Ausdrücke, welche das Vorkommen unanschaulicher 
Erlebnisse voraussetzen, wie „Bewußtheiten" oder „Gedanken'', 
wurde absichtlich vermieden. Sie wurden aber von einzelnen Vpn. 
gelegentlich spontan angewendet. 
Für die Ermittelung von Gesetzmäßigkeiten des Verlaufs de- 
terminierter intellektueller Prozesse kann man sich wenigstens 
zum Teil mit der Feststellung begnügen, daß in einem bestimmten 
Stadium ein bestimmter Gegenstand oder ein bestimmtes Sach- 
verhältnis irgendwie bewußt gewesen ist. Auch wenn man 
mit den Gegnern der Anerkennimg unanschauUcher Erlebnisse 
annähme, daß die Angaben der Vpn. sich auf irgend welche Kri- 
terien anschauUcher oder emotionaler Art stützen, deren Analyse 
nur nicht gelungen ist, würden die Aussagen der Vpn. doch für 
die Untersuchimg der Zusammenhänge im geordneten Denken 
ihren Wert behalten. Für eine Reihe von Fragen, welche sich 
auf die Gesetzmäßigkeiten des Denkverlaufs beziehen, ist es nicht 
nur von relativ untergeordneter Bedeutung, zu wissen, welchem 
Sinnesgebiete die Wort- oder Sachvorstellungen angehörten, 
die das Bewußtsein von einem Gegenstand oder Sachverhältnis 
in dem speziellen Fall repräsentierten. Es ist ebenso relativ gleich- 
gültig, ob dieses Bewußtsein überhaupt von anschaulichen oder 
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16 EinieUung, 
emotionalen Erlebnissen begleitet oder völlig unanschaulicher 
Natur war. Auch die bloße „Kundgabe*^, daß ein auf einen be- 
stimmten Gregenstand bezw. ein bestimmtes Sachverhältnis be- 
zügliches Erlebnis vorhanden gewesen sei, kann daher zur psycho- 
logischen Beschreibung des Verlaufs eines Denkprozesses mit 
Erfolg verwendet werden. Der von v. Aster und Titchener, in 
anderer Formuherung auch von Dürr gemachte Einwand, daß es 
sich bei den unanschaulichen Erlebnissen um eine bloße Kund- 
gabe des Erlebten handle, würde selbst dann, wenn er berechtigt 
wäre, sich nicht gegen die Verwendung solcher Kundgaben hei 
der psychologischen Beschreibung von Denkverläufen richten 
können ^). Analysen, welche wie die von H. Liepmann und Mos- 
kiewicz gegebenen an häufig vorkommende Denkverläufe aus 
dem täglichen Leben oder an fingierte typische Fälle anknüpfen, 
müssen auf eine speziellere qualitative Bestimmung der den Ver- 
lauf konstituierenden Teilprozesse vollständig verzichten. Dennoch 
sind sie psychologische Analysen und können für bestimmte Zwecke 
wertvolle Ergebnisse liefern, wenn sie auch in vielen Beziehungen 
hinter den zuverlässigeren und genaueren Feststellungen auf 
Grund der experimentellen Untersuchung konkreter Denkvorg^Lnge 
zurückstehen müssen. 
Man kann noch weiter gehen. Auch wenn die Aussagen 
der Versuchspersonen sich auf Vorgänge bezögen, weldie die Be- 
zeichnung als bewußte nicht oder wenigstens nicht im selben 
Sinne verdienten wie anschauliche Erlebnisse, würde dies den 
Wert der Angaben für eine auf die Zusammenhänge gerichtete 
Untersuchimg nicht wesenüich zu beeinträchtigen brauchen. 
Nehmen wir an, es handle sich bei den unanschauUchen Erleb- 
nissen um eine besondere Art aktueller Veränderungen im Gebiet 
der Reproduktionsgrundlagen, deren Wirkung derjenigen gewisser 
Bewußtseinserlebnisse gleichwertig wäre. Zu der Eigentümlich- 
keit dieser Vorgänge gehöre es auch, daß Angaben über sie in 
ähnUcher Weise möglich sind wie etwa über die Gegenstände nicht 
*) E. V. Aster, Die psychologische Beobachtung und experimentelle Unter- 
suchung von Denkvorgängen, Zeitschf . f. Psychol. 49. E. B. Titchener, Lectures 
on the Ejqperimental Psychology of the Thought-prozesses (New York 1909). 
E. Dürr, Über die experimentelle Untersuchung der Denkvorgänge, Zeitschr. 
f. Psychol. 49. 
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2. Die Methode. 17 
ntther analysierbarer anschaulicher Erlebnisse. Ob hierbei mittelbare 
Kriterien auf Grund begleitender charakteristischer Bewußtseins- 
erlebnisse eine Rolle spielen, oder ob die Gredächtnisdispositionen 
jener nicht eigentlich bewußten Vorgänge ebenso wie die Gedächtnis- 
dispositionen vollbewuflter Prozesse die Grundlage für Erinne- 
rungen abgeben können, dürfte dahingestellt bleiben, falls die 
Protokolle sich nur auf Vorgänge beziehen, die wirklich in dem 
betreffenden Stadium stattgefunden haben. Darüber aber, daß 
die Aussagen der Versuchspersonen, von Beobachtungsfehlem im 
einzelnen natürlich abgesehen, den wirklichen Verlauf wieder- 
geben, kann nach den Ergebnissen der Versuche kein Zweifel 
bestehen. Die außerordentliche Übereinstimmung der Protokolle 
untereinander und mit den Protokollen anderer Vpn., ihre innere 
Geschlossenheit und Verwertbarkeit für die Ermittlung gesetz- 
mäßiger Zusammenhänge, die Feinheit in der Differenzierung der 
Angaben, die genaue Abgrenzung des „Bewußten*^, wie man diese 
Bezeichnimg auch verstehen möge, von dem, was nicht bewußt 
war, und endlich die Beobachtungsföhigkeit imd Gewissenhaftig- 
keit der beteiligten Vpn. schließen einen Zweifel in dieser Hin- 
sicht aus. Es wird sich Grelegenheit geben, im einzelnen auf die 
Belege für die Zuverlässigkeit der Angaben der Vpn. in der frag- 
lichen Richtung zurückzukommen. Hier kam es vor allem darauf 
an, die relative Unabhängigkeit der Beurteilung der gewonnenen 
Ergebnisse von dem Standpunkt des Beurteilers zu den schweben- 
den phänomenologischen Streitfragen zu betonen. 
Mit Rücksicht auf den Nebenzweck einer Untersuchung der 
Funktion der Vorstellungen, femer um ein möglichst klares Bild 
von dem Verlauf zu gewinnen, wurden die Vpn. zu einer ein- 
gehenden Beschreibung der von ihnen beobachteten anschauUchen 
Erlebnisse veranlaßt. Es zeigte sich, daß es nicht genügt, im 
allgemeinen die Frage nach dem Vorhandensein von anschauUchen 
Erlebnissen in einem Versuch zu stellen; die Frage muß vielmehr 
auf bestimmte Versuchsstadien bezogen werden. Die Vpn., welche 
selbst während der Protokollabgabe eine schärfere Gliederung des 
Verlaufs nach den einzelnen Stadien nicht vorzimehmen pflegen 
und auch meistens nicht vorzunehmen imstande sind, wurden 
wiederholt erst durch Fragestellung auf vorhandene anschauliche 
Elemente aufmerksam und konnten dann mit größter Bestimmt- 
Selx, Ober die Geaetie des geordneten DenkrerUnCi. 2 
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18 Einleitung, 
heit angeben, daß diese oder jene Vorstellung in dem betreffenden 
Stadium aufgetreten war. Bei einigen Vpn. war es möglich, die 
erg^bizenden Aussagen sogleich an den Bericht über die einzelnen 
Versuchsstadien anzuschließen, ohne daß die Eontinuierlichkeit 
des Protokolls erheblich imterbrochen wurde. Der VI. pflegte bei 
diesen Vpn. die Ergänzung namentlich durch abgekürzte Zwischen- 
fragen, die sich an die Beschreibung der einzelnen Stadien an- 
schlössen, z. B. durch die Frage „Vorstellungen?*^ zu veranlassen. 
Dies geschah jedoch nur dann, wenn die Vp. solche Zwischen- 
fragen nicht als störende Unterbrechung empfand. Nachtr%liche 
Fragen in bezug auf die einzelnen Stadien sind häufig nicht mehr 
von Erfolg begleitet. 
Fragen, welche das Hauptproblem der Versuche, insbesondere 
das Verhältnis von Aufgabe und Reizwort direkter betrafen, wurden 
nur in äußerst beschi^Loktem Maße gestellt und meist nur im An- 
schluß an eigene gegenwärtige oder bei früheren Versuchen ge- 
machte Angaben der Vpn. Es sollte nicht durch häufigere Frage- 
stellungen in dieser Richtung die strenge Unwissentlichkeit des 
Verfahrens in bezug auf den tieferen Versuchszweck ge&Qirdet 
werden. Der Verfasser konnte sich später durch die nächtig- 
liehe Befragung der Vpn. überzeugen, daß die Geheimhaltung des 
Versuchszweckes auch wirklich gelungen war. Nur eine Vp. (B) 
kannte im allgemeinen die mit der Anlage der Versuche verfolgten 
Absichten, im einzelnen war auch für sie das Verfahren ein 
imwissentliches. Durch die Bekanntgabe des Versuchszweckes 
hätte vielleicht die Zahl der Belege noch gesteigert werden können. 
Die Unwissentlichkeit bot aber den großen Vorzug, daß nicht 
nur eine imwillkürliche Beeinflussung durch Vermutungen des 
Versuchsleiters, sondern vor allem auch ein eigenes Theoretisieren 
der Vp. vermieden und damit Einwänden in dieser Hinsicht im 
voraus begegnet wurde. 
Ein besonderer Vorteil des Verfahrens mit variierender Auf- 
gabe besteht in der Möglichkeit, Versuchsgruppen zu bilden, 
bei denen unter Wiederholung desselben Reizwortes die Auf- 
gabe wechselte. Hierdurch wurde die Vergleichung des Verhaltens 
der Vpn. gegenüber verschiedenen Aufgaben bedeutend erleichtert. 
Auch die Vpn. selbst wurden so spontan auf die charakteristischen 
Verschiedenheiten ihrer Erlebnisse aufmerksam. Die Vpn. wußten 
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2. Die Methode. 19 
nicht, wann ein Reizwort wiederkehrte, so daß sie sich nicht auf 
die Lösung der kommenden Aufgabe vorbereiten konnten. Auch 
wenn Vermutungen in dieser Richtung bestanden, unterließen die 
Vpn. doch eine Vorbereitung schon deswegen, weil diese störend 
einwirken mußte, wenn eine andere als die erwartete Aufgabe 
erschien. Außerdem hatten sie die ausdrückliche Instruktion, sich 
der Vermutungen über das, was kommen würde, sowie nachträg- 
hcher Reflexionen im Anschluß an die Versuche nach Kräften zu 
enthalten. Dem gleichen Zweck wie die Versuchsgruppen diente 
die Häufung von verschiedenen Aufgaben im selben Versuch. Es 
wurden den Vpn. zu demselben Reizwort mehrere Aufgaben vor- 
gelegt, die der Reihe nach zu lösen waren. Die Reaktion hatte 
erst nach der Lösung sämthcher Au%aben zu erfolgen. Durch 
die Aufgabenhäufung wird zwar die Reaktionszeit verlängert, 
andererseits aber kommt der störende Einfluß eines zwischen den 
einzelnen Aufgabelösungen liegenden Protokolls hier in Weg- 
fall. Beide Verfahren ergänzten sich also wechselseitig. Auch 
der Stellung alternativer Aufgaben zu demselben Reizwort 
lagen zum Teil ähnliche Absichten zugrunde, zum Teil sollten sie 
durch die Anregimg einer Wahl das Verhältnis von Aulgabe und 
Reizwort deutlicher hervortreten lassen. Ein anderer Zweck wurde 
mit der Wiederholung gleichartiger Aufgaben zu dem- 
selben Reizwort innerhalb einer Versuchsgruppe oder der Häufung 
gleichartiger Aufgaben verfolgt. Wenn eine Vp. z. B. zu 
demselben Gegenstand fünf verschiedene Teile anzugeben hat, so 
kann man den Einfluß der mit dem Verbrauche der geläufigen 
Lösungen sich steigernden Schwierigkeit auf das Verhalten der 
Vpn. beobachten. Schon frühere Untersuchungen hatten die An- 
nahme nahegelegt, daß zur Lösung gewisser Aufgaben An- 
Bchauungshilfen erforderlich sein können, imd daß Anschauungs- 
hilfen um so mehr benötigt werden, je schwieriger die gestellten 
Anforderungen sind*). Wenn diese Voraussetzimgen richtig sind, 
so mußte es auch möglich sein, durch Versuchsgruppen oder Auf- 
gabenhäufungen der eben angegebenen Art eine Vp. zu zwingen, 
zur Lösung einer Aufgabe sich der Vermittlung von Vorstellimgen 
*) C. O. Taylor, Über das Verstehen von Worten und Sätzen, Zeitschr. 
f. Psydiol. 40. S. 225. G. H. Betts, The distribution and ftinction of mental 
imagery (New York 1909). 
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20 Einleitung, 
zu bedienen. Außer der unmittelbaren Verwertbari^eit kommt den 
Versuchsgruppen und Aufgabenhäufungen noch die Bedeutung zu, 
daß die durch sie erzielte Hinlenkung der Vpn. auf ihr Verhalten 
bei verschiedenartigen Aufgaben, bei gesteigerter Schwierigkeit 
oder bei der Zuhilfenahme anschaulicher Vorstellungen auch der 
Selbstbeobachtung in den isolierten Versuchen zugute kommt. 
Die unmittelbare Verwertbari^eit der Aufgabenhäufung kann 
zwar durch die Länge der Dauer der Versuche beeinträchtigt 
werden, teilweise aber wirkt dieser ungünstigen Bedingung das 
stärkere Hervortreten charakteristischer Erlebnisse entgegen. Eine 
allgemeine Norm für das Höchstmaß der Dauer eines Versuchs, 
die noch zuverlässige Beobachtungen ermöglicht, läßt sich wohl 
überhaupt nicht aufstellen. Es kommt auf die Art der Fest- 
stellungen an. So beziehen sich die von Michotte und Prüm mit- 
geteilten Erfahrungen, nach denen die Reaktion vier bis fünf 
Sekimden nicht übersteigen solle *), auf die Analyse äußerst schwer 
zu beschreibender Willenserlebnisse und dürfen daher nicht ohne 
weiteres veraUgemeinert werden. Einzelne Angaben kOnnen sehr 
oft mit voller Sidierheit gemacht werden, wenn die Reaktions- 
zeit sogar eine halbe Minute oder mehr beträgt. Entsprechendes 
gilt für die Dauer der Protokollzeit. Bei der Untersuchimg kom- 
plizierter Prozesse lassen sich längere Reaktionszeiten von zehn 
und mehr Sekunden nicht vermeiden. Es wurde aber möglichst 
dafür Sorge getragen, daß auch Versuche mit kurzen Reaktions- 
zeiten für die einzelnen Feststellungen zur Verfügung standen. 
Auch Versuche mit relativ langen Reaktions- und Protokollzeiten 
sind übrigens noch zuverlässiger als die meisten aus dem Leben 
stammenden Selbstbeobachtungen oder Analysen fingierter Pro- 
zesse, wie sie von Moskiewicz mit gutem Erfolg angestellt wurden. 
Tabelle 1 gibt zwei Beispiele für Versuchsgruppen mit ver- 
schiedenen Aufgaben (ZifiF. 1 — 2 und 4 — 6), ein Beispiel für eine 
Versuchsgruppe mit Wiederholimg gleichartiger Aufgaben (ZiflF. 
7 — 9), femer ein Beispiel für eine ungleichartige, zwei für eine 
gleichartige Aufgabenhäufimg imd eines für eine alternative Auf- 
gabe (Ziff. 3; Ziff. 10 und 11; Ziff. 12). 
Die ganze Reihe der bisher besprochenen Hauptversuche 
umfaßt 141 Versuche. Die Gesamtzahl der verschiedenen Auf- 
') a. a. 0. S. 124. 
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2. Die Methode. 
21 
Tabelle 1. 
1 
Wirkung? 
Biß 
2 
Biß 
Ursache? 
3 
Brief 
erst Nebenordnung, 
dann Teil, 
dann Ganzes? 
4 
Überordnung? 
Klarinette 
6 
Ganzes? 
Klarinette 
6 
Teü? 
Klarinette 
7 
Gerüst 
Teil? 
8 
Gerüst 
andrer Teil? 
9 
Gerüst 
wieder andrer Teil? 
10 
Flügel 
6 TeUe? 
11 
Arbeit 
dfache Bedeutung? 
12 
Blut 
Bestandteü oder 
Funktion? 
gaben betrug 28. Die Reihe wurde in der angegebenen Instruk- 
tion mit 7 Vpn. durchgeführt und zwar mit Vp. A 138, Vp. B 129, 
Vp. G 65, Vp. D 138, Vp. E 139, Vp. F 34, Vp. G 105, zusammen 
also 748 Versuche. Die bedeutend geringere Zahl der mit den 
Vpn. G und F angestellten Versuche kommt daher, daß diese Vpn. 
an der weiteren Teilnahme an den Versuchen verhindert waren. 
84 Versuche der Hauptreihe wurden noch mit einer achten 
Vp. (H) imter teilweise veränderter Instruktion durchgeführt An 
Stelle der Instruktion zur bequemen und sinngemäßen LOsung 
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22 Einleitung, 
trat hier die Instruktion, möglichst schnell zu reagieren 0* Es 
sollte festgestellt werden, wie weit die allgemeinen Erscheinungen, 
namentlich die Heranziehimg anschauUcher Vorstellungen unter 
bestimmten Bedingungen auch bei dieser Instruktion auftreten. 
Die Folge der Instruktion war bei der teilweise größeren Schwierig- 
keit der Aufgaben die Häufung von Fehlreaktionen und ein wieder- 
holtes völliges Versagen. Auf die ersten 21 Versuche kamen vier 
Fehlreaktionen imd ein dreimaliges Versagen der Vp. Die In- 
struktion wurde daher nim ausdrücklich dahin interpretiert, sie 
bedeute, „so schnell als es bei der Bewahrung der Buhe und 
sinngemäßer Aufgabelösung noch irgendwie möglich ist^. 
Mit zwei Vpn. (G imd H) wurde außerdem eine größere 
Anzahl von Versuchen aus der Hauptreihe mit einer in anderer 
Weise veränderten Instruktion durchgeführt*). Wir geben den 
Zusatz zur Hauptinstruktion in der Fassung wieder, wie die In- 
struktion der Vp. H erteilt und erläutert wurde: „Suchen Sie, auch 
wenn die Aufgabe eine Veranschaulichung nahelegen sollte, also 
tiberhaupt in allen Fällen, die Au%abe durch gedankliche Be- 
sinnung zu lösen! Eine Anschauung, die sich von selbst ein- 
stellt, soll nicht' zurückgedrängt werden. Nehmen Sie an, es gebe 
zwei Arten, eine Aufgabe zu lösen, eine, sie durch Veranschau- 
lichung imd eine zweite, sie durch gedankliches Besinnen auf 
eine Lösung zu beantworten. Ihre Instruktion ist es, nach Mög- 
lichkeit den zweiten Weg zu wählen." Die Instruktion sollte haupt- 
sächlich die Feststellungen über die Funktion der Vorstellungen 
ergänzen und eventuell zu einem mehr begrifflichen Denken an- 
regen. Vp. H führte 43 Versuche, hiervon 28 mit akustischer 
Darbietung, Vp. G mit einer im wesentlichen gleichlautenden In- 
struktion 21 Versuche aus. Die Versuche fanden nach den übrigen 
mit diesen Vpn. durchgeführten Versuchen statt. Die akustische 
Darbietung wurde bei H eingeführt, da diese Vp. durch die op- 
tische Darbietung das Auftreten von anschaulichen Vorstellungen 
begünstigt glaubte®). 
^) Die Versuche mit dieser Instruktion werden im folgenden als H" be- 
zeichnet 
*) Auch mit Vp. K, die sonst an der Hauptreihe nicht teilnahm, wurden 
Versuche nach dieser Instruktion angestellt. 
•) Die Versuche werden im folgenden durch den Index b ( besinnen) 
und die akustischen Versuche außerdem durch den Index a bezeichnet 
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2. Die Methode, 23 
Mit drei Vpn. (A, D und E) wurde ein Teil der Versuche 
der Hauptreihe nach einem Zeitraum von zwei bis vier Monaten 
in einer besonderen Versuchsreihe wiederholt, vermischt mit neuen 
Aulgaben. Die spezielle Instruktion für diese Reihe lautete: 
„Wenn Reizwort oder Aufgabe Ihnen bekannt erscheinen sollte, 
so kümmern Sie sich nicht darum, sondern suchen Sie ohne Rück- 
sicht darauf zu einer L(toung zu kommen. Suchen Sie aber auch 
nicht die Wiederkehr der früheren Losungen zu vermeiden." 
Diese Instruktion war notwendig, um nicht die Vpn. bei Wieder- 
kehr einer Aulgabe infolge der Überraschung von einer Lösung 
abzuhalten. Der Zweck dieser Wiederholungsversuche war 
einerseits, die Veränderungen zu beobachten, die durch die Wieder- 
holung sich ergeben würden. Andererseits konnten auch von der 
teilweise unveränderten Wiederitehr derselben Erlebniszusammen- 
hänge Aufschlüsse über die Zufälligkeit oder Gesetzmäßigkeit der 
einzehien Verlaufsformen und über die Zuverlässigkeit der Selbst- 
beobachtungen der Vpn. erwartet werden. In beiden Hinsichten 
waren die Versuche von Erfolg begleitet^). 
Im Laufe der Versuche wurde es wünschenswert, näheren 
Einblick in die Art und Weise zu gewionen, in der die Auswahl 
imter einer Mehrzahl konkurrierender, namenth'ch gedächtnis- 
mäßiger Lösungen derselben Aufgabe erfolgt. Es wurden daher 
in einer Nebenreihe Versuche durchgeführt, bei denen eine 
solche Konkurrenz in hohem Maße vorausgesetzt werden durfte. 
Dem Reizwort ging in dieser Reihe der Artikel „ein** vorher. 
Die Vpn. hatten die im voraus erteilte Instruktion, einen Gegen- 
stand der betreffenden Art zu nennen, z. B. „ein Küchengerät", 
„ein Adjektiv", „ein historisches Ereignis". Die Auswahl der 
Reizwörter erfolgte wieder nach Vorversuchen, welche der Ver- 
suchsleiter mit sich selbst als Vp. angestellt hatte. Diese Neben- 
reihe umfaßte 16 Versuche, die mit 6 Vpn. zur Ausführung kamen. 
Die Gesamtzahl der Versuche betrug 95. Die Vpn. A, B und D 
hatten hierbei dieselbe Instruktion imd Darbietimgsweise wie in 
der Hauptreihe. Die Vpn. G, H imd K hatten die Instruktion, 
die Aufgabe durch „Besinnen" zu lösen. Bei G und H erfolgte 
die Darbietung akustisch. Die Gründe für diese Abweichung von 
') Die Wiederfaolungsversuche werden in den Belegstellen mit dem Index w 
bezeichnet werden. 
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24 Einleitung. 
der gewöhnlichen Instruktion und Darbietung waren entsprechende 
wie in den schon angegebenen Fällen. 
Die Ergänzung zu den Versuchen mit Au^abelOsungen 
bildeten Versuche mit sogenannten freien Assoziationen, denen 
eine besondere Besprechung gewidmet werden wird. Durch ver- 
schiedene Instruktionen wurde eine Variation der Bedingungen 
geschaffen, welche einen tieferen Einblick in die Gesetzmäßig- 
keiten des Ablaufs bei solchen Versuchen ermöglichten und da- 
durch auch den Vergleich mit dem Verlauf bei Au^;abelOsungen 
fruchtbarer gestalteten. 
Die Versuche mit Au^gabelösimgen wurden im Februar 1910 
begonnen und in den Osterferien und im Sommersemester zu 
Ende geführt Als Vpn. beteiligten sich: Prof. Dr. Külpe, Privat- 
dozent Dr. Bühler, Prof. Dr. Grirgensohn (Dorpat), Gymnasiallehrer 
Fredlund (Stockhohn), Dr. phil. Honecker, Dr. phil. Eemp, Dr. phil. 
Rieffert, Dr. phil. Rüster, Dr. phil. StOcker. Die Buchstabenfolge 
in der Bezeichnung der Vpn. stimmt mit der obigen Reihenfolge 
nicht überein. Allen Vpn. fühlt sich der Verfasser für ihre auf- 
opfernde, zeitraubende Tätigkeit zu großem Dank verpflichtet. 
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/. Die anvermitteäen Lösungen. 25 
Erster Abschnitt 
Die unvermittelten Lösungen 
als Wissensaktualisierungen und die Bedeutung 
der Wissensaktualisierung für die Aufgabelösung. 
§ 1. Die unvermittelten Lösungen. 
Schon Watt hatte den Fällen, in denen sich Gesichts- oder 
Wortvorstellungen als Mittelglieder zwischen Beizwort und Auf- 
gabe einschoben, zwei Gruppen von Au^gabelösungen gegenüber- 
gestellt, in denen solche Mittelglieder fehlten^). In der einen 
dieser Gruppen war in der Zwischenzeit noch ein Suchen oder 
eine sich aufdrängende Masse von dunklen, nicht näher beschreib- 
baren Vorstellungen vorhanden. In der anderen Gruppe dagegen 
konnten zwischen dem Reizwort und dem Auftreten des Re- 
aktionswortes überhaupt keine weiteren Erlebnisse konstatiert 
werden. Der Watt'schen Einteilung entspricht in der vorliegen- 
den Untersuchung in der Hauptsache die Unterscheidung zwischen 
unvermittelten imd vermittelten Lösungen. Als unver- 
mittelt sollen aUe Lösungen gelten, bei denen auf das von an- 
schaulichen Bedeutimgsvorstellungen oder gleichwertigen Erleb- 
nissen nicht begleitete Verständnis von Reizwort und Aufgabe 
die Lösung ohne ein auf sie bezügliches Zwischenerlebnis erfolgt. 
Ein bloßes Suchen oder Besinnen soll jedoch nicht als Vermitt- 
lung betrachtet werden; femer soll es gleichgültig sein, ob die 
auftretende Lösung die erstauftretende ist, imd ob ihr eine die 
Aui^^e formulierende Frage, wie sie häufig vorkam, voraus- 
gegangen ist. Ebenso bleiben Erlebnisse außer Betracht, welche 
zweifellos erst mit der Lösimg oder im Anschlüsse an die Lösung 
auftraten. Die Fälle, in denen das Verständnis von Au%abe und 
Reizwort von anschauUchen Bedeutungserlebnissen begleitet ist, 
*) Watt S.806f. 
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26 Absdm. 1. Die unvermittelten L&stmgen als Wissensaktualisierungen usw, 
wurden deshalb ausgeschlossen, weil solche Vorstellungen viel- 
fach schon der Lösung dienen. Die unvermittelten Lösungen 
verdienen schon deswegen an erster Stelle behandelt zu werden, 
weil sie den phänomenologisch einfachsten Fall der Au^^elösung 
bilden. Außerdem aber gehören sie zu den von Ach besonders 
ausgezeichneten Fällen, in denen „sich die determinierte Vor- 
stellung, das Ehidprodukt der Determinierung, im Anschluß an 
die konkrete Bezugs Vorstellung unmittelbar im Bewußtsein 
einstellt** *). Wie schon erwähnt*), hat Ach gerade diese Fälle 
in einer sich einer Konstellationstheorie annähernden Weise er- 
klärt. Auch aus diesem Grunde war es daher zweckmäßig, die 
Untersuchungen mit der eingehenden Analyse der imvermittelten 
Lösungen zu beginnen. 
Wir lassen zunächst einige Beispiele folgen, und bevorzugen 
hierbei solche Versuche, in denen verschiedene Vpn. dieselbe oder 
wenigstens verwandte Verlaufsformen zeigen. Dieses Prinzip wird 
auch im folgenden stets festgehalten werden. 
Wirkung? — Biß. 
H»i Wunde 2,2" •). Las Biß, erinnerte mich an Wirkung, antwortete Wunde 
ohne sonstige Zwischenerlebnisse. Erst in der Nachperiode Vorstellung einer 
Wunde. 
Es Wunde 3,6". Nach dem Verständnis: es kam sogleich Bißwunde; dann 
sagte ich Wunde mit dem Bewußtsein der Richtigkeit. 
Ebenso erfolgt bei B» die Reaktion Schmerz ohne ein die 
Lösung betreffendes Zwischenerlebnis: „Schmerz kam rein be- 
grifflich. Es war ein Wissen dabei, daß Bisse Schmerzen ver- 
ursachen." Auch bei Ca (6,8") erfolgt zuerst die Lösung Wimde, 
dann die Verbesserung Schmerz ohne weiteres Zwischenerlebnis. 
Nahezu unvermittelt ist auch noch nachstehende Lösung derselben 
Aufgabe: 
K^a Wunde 3''. Das Wort Biß wirkte durch seine onomatopoetische Eigen- 
art als etwas Scharfes und dann kam gewissermaßen assoziativ das Wort 
Wunde (akustisch). Es erschien als ein Auswendigwissen. Sonst kein Zwischen- 
erlebnis. Es schien mir ziemlich selbstverständlich, daß das richtig war, und 
ich sprach es aus. 
*) Ach, W. u. D., S. 228. 
*) Siehe oben S. 6f. 
*) Die Zahlenindices geben die ProtokoUnununer an. 
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/. Die anvermiäeiten Lösungen. 27 
Ganzes? — Docht 
Eis» Lampe 2'^ Ich habe die Aufgabe gelesen und verstanden; es kam 
sofort Laiiq>e, als Lösung der Angabe, ohne Zwischenerlebnis. Auch an Vor- 
stellungen erinnere ich mich nicht im mindesten. 
Giot Lampe 2^' Sobald ich das Wort Docht gelesen hatte, das 
ich gerade verstand, ohne mich viel um seinen Sinn zu kümmern, war auch 
das Wort Lampe da; gleich nachher sah ich irgendwelche anschauliche Lampen- 
fragmente, an denen ich verifizierte, daß die Lösung paßt Die Verifikation 
bestand darin, daß ich einen Docht in der Lampe sah. Das Bild nur sehr 
fragmentarisch und sicher erst nach der Lösung. Dann reagierte ich. 
Baum — Teil? E* Ast 1^" *). Die Aufgabe kam mir sofort sehr simpel 
vor, brauchte gar nicht zu suchen, habe das Wort Ast ausgesprochen, ohne 
mich zu besinnen. Ich glaube. Anschauliches diesmal ausschließen zu können. 
Auch kein Richten in die Höhe. — Hier geht der Reaktion nur ein Bewußtsein 
der Leichtigkeit voraus, welches auf die Geläufigkeit der Lösung hinweist Im 
übrigen ist auch diese Lösung völlig unvermittelt 
Ein Verkehrsmittd? 
Di8 Eisenbahn 1,8''. Gelesen und dabei mit dem Blick haften geblieben. 
Dann Eisenbahn gleich laut Kann nicht sagen, daß etwas dazwischen ge- 
wesen vräre. Auch keine bewußte Richtung auf etwas; nichts als die Sicher- 
heit im Aussprechen. 
G^^ts Eisenbahn 2,8^'. Eisenbahn förmlich automatisch nach einer mini- 
malen Stockung, die aber völlig inhaltsleer war, als Lösung. Es steUte sich 
auch nachtrfiglich nichts Anschauliches ein. 
Das Bewußtsein der Au^abelösung kann beim Auftreten 
des Reaktionswortes auch fehlen wie folgendes Beispiel zeigt: 
Tiger — Überoi-dnung? Est Raubtier 2^\ Ich habe die Au%abe ge- 
lesen, es kam sofort assoziativ Raubtier (akustisch) dazu. Erst nachdem das 
Wort gekommen war, wurde mir klar, daß es eine Lösung der Aufgabe ist. 
Vorstellungen waren sicher nicht da. 
Tod — Nebenordnung? 
H*it Leben 2,4^'. Ich las Tod mit akustisch motorischer Begleitung, ver- 
stand den Sinn, las ebenso Nebenordnung, ohne den Sinn zu verstdien. Währ^d- 
dessen verharrte die abstrakte Vorstellung von Tod*). Dann las ich wieder 
Nebenordnung, verstand den Sinn und nun trat sofort optisch und akustisch 
sLeben** auf. Bewußtsein der Richtigkeit vor dem Aussprechen. 
K^ Leben 2,6'^ Verstand den Sinn der Aufgabe, besann mich. Als mir 
nicht sofort etwas einfiel, wiederholte ich Tod noch einmal (ak.-mot.). Darauf 
*) Mit Index i sind die eingeschobenen Versuche der Wiederholungsreihe 
bezeichnet Vgl. oben S. 2B. 
*) Vp. versteht hierunter ein nicht durch anschauliche Elemente repräsen- 
tiertes Bewußtsein von dnem Gregenstand. 
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ae Absdui. 1, Die tmvirmüteiten Lösungen als Wissensaktaaiisierttngen usw. 
stellte sich sofort Oeise ak. und schwach opt) das Wort Ld^en ein, im flbrigen 
sicher keine Anschauung^. 
Dit Schlaf 6,4^'. Am Anfange war jedenfialls eine Tendenz vorhanden, 
eine Leiche auf einem Tisch au^^ahrt zu sehen. Ich weiß sidier, daß es 
sich entwickdt hätte, wenn ich dabei geblieben wäre; dann ganz mechanisch 
Schlaff es kam genau wie beim Assoziationsversuch. Das, was vorher war, 
spidte dabei gar keine Rolle. Beim Aussprechen deutliches Bewußtsein der 
Aufgabelösung. 
§ 2. Unvennittelte Lösungen und Wissensaktualisierung. 
Wir stehen nun vor der Frage: Wie ist es möglich, daß bei 
derartigen unvermittelten LQsimgen auf die Erteilung der Aufgabe 
ohne Zwischenerlebnis die richtige Reaktion erfolgt? Ftir die 
Ermittelung der diesem deskriptiven Befund zugrunde liegenden 
Vorgänge können uns eine Reihe weiterer Protokolle des zuletzt 
herangezogenen Versuchs „Tod-Nebenordnung?^ wichtige Anhalts- 
punkte geben. 
GW* Leben 4,4^'. Nach einigem Besinnen fid mir Leben, als Lösung, ein. 
Vorher die Frage ^was ist zu Tod nebengeordnet ?**, in undeutlichen Worten 
formuliert Es kam als etwas Geläufiges, vorher nicht erwartet, nach 
der Reaktion sogar Bedenken, ob die Geläufigkeit nicht betrogen hat 
Alt Ld)en 2,8^'. Reizwort und Aufgabe beim Lesen verstanden, bei Tod 
verweilte idi nicht, sondern bei Nebenordnung, ich wußte, was es zu bedeuten 
hatte, kannte die Au%abe aus der Instruktion; dann ging ich auf das Wort 
Tod zurQck. Hierauf kam sofort das Wort Leben. Es war jedoch kein 
automatisches Aufeinanderfolgen. Vielmehr hatte ich vorher schon 
das Bewußtsein, daß es etwas dem Tod Nebengeordnetes gibt, 
was man gewöhnlich zum Tod in Parallele setzt Ich kann mit 
voller Bestimmtheit sagen, daß ich beim Besinnen das Bewußtsein hatte, daß 
es eine derartige gebräuchliche Nebenordnung gibt (Sofort, nachdem ich es 
genannt hatte, fragte ich mich unwillkürlich, was ist denn da eigentlich das 
Obergeordnete? Ich könnte es auch jetzt noch nicht angeben.) 
Bei der Wiederholung des Versuchs, vier Monate später, 
gibt die Vp. an: 
Ld)en 2,2^'. Ich wußte, es gibt da eine ganz allgemeine, vul- 
gäre Nebenordnung; dann dachte ich an Leben; das Wort zunächst noch 
nicht da, darauf sogleich das Wort, innerlich gesprochen. Der Versuch war 
mir nicht bekannt 
Erneute Wiederholung eine Woche später: 
Leben i,&\ Etwas erstaunt, daß es schon wieder gekommen; zugleich 
fiel mir ein, daß ich bei der letzten Lösung ein ganz gebräuchliches 
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2. UnoermüUlU Lösungen und Wissensaktuaiisierung. 29 
Reaktions wort gehabt hatte, und es kam auch jetzt, erst die Bedeutung 
und dann das Wort. 
Eis Schlaf 2,6'^ Die Aufgabe war mir sofort klar. Ich fragte mich so- 
gleich, was nennt man gewöhnlich neben dem Tod, das ging sehr 
schnell. Dann kam die Lösung Schlaf, die ich aussprach. Der Gedanke an 
das, was man gewöhnlich neben Tod nennt, ging ganz sicher der Lösung 
voraus. 
Bei der Wiederholung 47« Monate später lautete das Protokoll: 
E^u Schlaf 2,6''. Es war mir zuerst, als ob mir eine Oberordnung fehlte; 
dann fiel mir unmittelbar Schlaf ein als etwas, von dem mir geläufig 
war, daß man es mit Tod zusammen nennt. Dann habe ich mich 
gefragt, ob das eine Nebenordnung sei, mit dem Bewußtsein, keine Ober- 
Ordnung zu wissen. Dann habe ich reagiert. Der Versuch schien mir nicht 
bekannt. 
D hatte bei seinem oben (S. 28) angeführten Protokoll über 
diesen Versuch nur erklärend hinzugefügt: Es ist mir sehr geläufig, 
daß Schlaf und Tod nebeneinander gestellt werden. Bei der 
fünf Monate später erfolgten Wiederholung des Versuchs gibt er 
dagegen an: 
D^st Schlaf 2,4". Ganz leicht zu beschreiben, es war gar nichts da, was 
Schwierigkeit macht. Ich lese das Ding, es klingt etwas in mir nach, nach 
einer kleinen Pause kommt gleich laut Schlaf, als etwas, was mir sehr 
geläufig ist Vielleicht so ein bißchen die Sphäre des Poetischen, jeden- 
falls gar nicht irgendwie medizinische Sphäre, sondern ganz anders. Ich kann 
die Sphäre mehr negativ beschreiben. Was da nahelag, war die Phrase vom 
Schlaf als Bruder des Todes. Versuch erst nachträglich bekannt. 
Bit Schlaf 4,2". [Am Anfang Schwierigkeit in der Anpassung an die 
Versuchsanordnung.] Erinnerung an das, was Sie über Nebenordnung aus- 
geftkhrt hatten. Dann ein Suchen in diesem Sinne, und zwar unter dem aus- 
drQcklichen Gesichtspunkt: nebengeordneter Begriff. Dann tauchte wie aus 
dem Leeren heraus Schlaf auf, dabei Anklang an das bekannte Wort: der 
Schlaf ist der Bruder des Todes. . . . 
Hiermit sind von den 13 Fällen, in denen dieser Versuch zur 
Ausführung gelangte, 1 1 Aussagen der Vpn. wiedergegeben. Läßt 
man die 4 Wiederholungsversuche, in denen übrigens stets die 
frühere Reaktion wiederkehrte, außer Betracht, so entfallen von 
den verbleibenden 7 Lösungen 4 auf das Reaktionswort „Leben" 
und 3 auf das Reaktionswort „Schlaf". Die zuerst angeführten 
3 Lösungen, bei welchen auf das Verständnis die Lösung ähnUch 
wie beim Assoziationsversuch folgte, könnte man für sich allein 
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90 Abschn, 1. Die tmvermitteiten Lösungen als Wissensaktuaäsienmgen usw. 
vielleicht in der Weise zu erklären versuchen, daß die durch die 
Übernahme der Aufgabe begründeten determinierenden Tendenzen 
die aufgabemäßige Reproduktionstendenz Tod — Leben bezw. Tod — 
Schlaf zu einer überwertigen verstärken. Dies würde der Er- 
klärungsweise entsprechen, welche Watt auf alle Aufgabelösungen 
und Ach wenigstens auf die ohne Zwischenerlebnis erfolgenden 
angewendet hat 0- Allein die anderen 8 Protokolle weisen sämt- 
lich auf eine bei dieser Erklärung nicht berücksichtigte geläufige 
Verbindung hin, die von der bloßen Eontiguitätsassoziation zwischen 
Reiz- und Reaktionswort oder zwischen den dazugehörigen Be- 
deutimgsvorstellungen durchaus verschieden ist *). Nicht die ein- 
geübte Aufeinanderfolge der Vorstellungen Tod und Leben ver- 
mittelt hier die Reaktion, sondern es ist nach den Aussagen der 
Vpn. augenscheinlich die Geläufigkeit eines Beziehungsganzen, des 
Bewußtseins von dem Sachverhältnis, daß Tod und Leben bezw. 
Tod imd Schlaf einander häufig als Parallelbegriflfe gegenüber- 
gestellt werden, auf welcher die Lösimg beruht. Wir können das 
aktuelle bezw. potentielle Bewußtsein von einem Sachverhältnis 
in Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch als „Wissen" be- 
zeichnen'). Die Geläufigkeit dieses Wissens ist im vorliegenden 
Fall aus dem wiederholten Erleben der Gegenüberstellxmg von Tod 
und Leben bezw. Tod und Schlaf entstanden. Die Vpn. erinnern 
sich ja selbst der Häufigkeit eines derartigen Erlebnisses. 
Die Aktualisierung des Wissens, daß neben dem Tod das 
Leben bezw. der Schlaf als gleichgeordnet genannt zu werden 
pflegt, erfolgte auf zweifache Weise: 
1. In der ersten Gruppe von Fällen kommt der Vp. zunächst 
zu Bewußtsein, daß es eine ganz vulgäre Nebenordnung zu Tod 
gibt, und durch Besinnen auf diese Nebenordnimg gelangt sie zur 
*) Siehe oben S. 4ff. 
^ Der Abschnitt bei Watt „Über die Geläufigkeit der Reproduktionen*^ 
(S. 860 ff.) läßt keinen Zweifel darOber zu, daß Watt die Unterschiede der 
Häufigkeit und Schnelligkeit einer Reaktion ausschließlich auf die Greläufigkeit 
der Reproduktionstendenzen der Reizwörter zurückfahrt (siehe insbes. S.358), 
ohne an die Möglichkeit zu denken, daß die Zahl der Fälle, in denen ver- 
schiedene Vpn. in der gleichen Weise reagieren, namentlich auch von der Ge- 
läufigkeit eines der Aufgabe entsprechenden Wissens abhängen kann. (Vgl. 
unten S. 44.) 
*) Die psychologische Struktur dieses Wissens wird später den Giegen- 
stand besonderer Erörterungen bilden, siehe 2. Abschnitt 
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2. Unvermittelte Lösungen und Wissensaktuaiisierung. 81 
Lösung. Auf diese Weise löst A bei allen Wiederholungen die 
Aulgabe. Auch die erstmalige Lösung von E gehört hierher. Die 
Frage, was man gewöhnlich neben dem Tod nenne, setzt das 
Wissen von dem Sachverhältnis voraus, daß neben dem Tod ge- 
wöhnlich etwas anderes in Parallele zu ihm genannt wird. Dahin- 
gestellt kann hierbei bleiben, ob dieses Wissen aktuell gegenwärtig 
sein muß oder bei der Herbeiführung der Frage auch als „dispo- 
sitionelles Wissen^ wirksam gewesen sein kann. 
2. Bei der zweiten Gruppe stellt sich unmittelbar die 
Lösung ein mit dem Bewußtsein, daß es sich um eine geläufige 
Gregenüberstellung handle. Diese Verlaufsform findet sich bei G, 
welcher vorher nur die Aufgabe in ihrer Anwendimg auf das Reiz- 
wort als Frage formulierte. Ebenso gehört die Lösung von E bei 
der Wiederholung der Au^^e hierher. Auch die zweite Lösung 
von D und die Lösung von B scheinen zu dieser Gruppe gerechnet 
werden zu müssen. Hierbei gesellt sich bei D zum Bewußtsein 
der Geläufigkeit der Nebenordnung noch ein Bewußtsein von der 
Sphäre, in der die Gegenüberstellung zu erfolgen pflegt, während 
bei B ein Anklang an das spezielle Sprichwort auftritt, in welchem 
die Parallele von Schlaf und Tod gewöhnlich Ausdruck findet. 
Die Zunahme der Geläufigkeit des Wissens durch seine Re- 
produktion kommt bei A zum Ausdruck in der zunehmenden Ver- 
kürzung der Reaktionszeiten (2,8"; 2,2"; 1,8"). BeiE äußert sie 
sich dadurch, daß bei der Wiederholung das Wissen von einer 
geläufigen Nebenordnung nicht mehr als selbständiges Zwischen- 
erlebnis auftritt, sondern nur die Lösung von dem Bewußtsein 
begleitet ist, daß man die beiden häufig nebeneinander nennt. 
Auch besteht eine latente Verkürzung der Reaktionszeit, da trotz 
der bei der Wiederholung der Reaktion vorausgehenden kritischen 
Überlegung die Reaktionszeit die gleiche ist wie bei dem früheren 
Versuch. Bei D äußert sich die größere Geläufigkeit des Wissens 
dadurch, daß sofort der gerade Weg zur Lösung eingeschlagen 
wird, während beim ersten Versuch sich anfangs eine Tendenz 
zu optischen Vorstellungen aus der medizinischen Sphäre geltend 
machte. Darauf ist wohl auch die bedeutende Verkürzimg der 
Reaktionszeit zurückzuführen. Die Reproduktion auf Grund eines 
Wissens wird demnach durch die Wiederholung derselben Pro- 
zesse ebenso erleichtert und beschleunigt wie die Reproduktion 
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32 Absdui, 1. Die unoermiäelten Lösungen als Wissensaktuaiisierungen usw. 
auf Grund einfacher Berührungsassoziationen^). Bemericenawert 
ist, daß der Versuch nur einmal, bei der letzten Wiederholung 
mit A, bekannt erschien, und daß er bei der früheren Wieder- 
holung mit A sowie bei der Wiederholung mit E auch nachträg- 
lich nicht als schon dagewesen erkannt wurde. 
§ 3. Die Aufgabelösung durch Wissensaktualisienmg. 
Auch imter den Protokollen anderer Versuche finden sich 
zahlreiche Fälle, in denen die Lösung auf Grund der Aktualisierung 
eines schon vorhandenen aufgabegemäßen Wissens zustande kam: 
Pfarrer — Nebenordnung? A41 Kaplan 2,4". Ich las hintereinander mit 
Verständnis. Sogleich das Bewußtsein, daß mir etwas Nebengeordnetes sehr 
geläufig wäre. Dann kam das Wort Kaplan, innerlich gesprochen. Es ist 
sicher, daß das Bewußtsein der Bekanntheit einer L^^sung dem sonst unver- 
mittelten Auftauchen des Wortes Kaplan vorausging. 
Gottesdienst — Teil? H»8 Opferung 5,4". Sehr lebhaftes anschauliches 
Bild von einem katholischen Hochamt. Es drängte sich mir besonders die 
Gestalt des Priesters sehr in den Vordergrund, verknüpfte diese mit der Auf- 
gabe Teil, erkannte den Irrtum, verließ das Anschauungsbild und erinnerte 
mich, daß der Gottesdienst drei Teile habe. Dabei sicher weder 
Worte noch Vorstellungen. Die sprachliche Benennung von Opferung fiel mir 
zuerst ein. Der Sinn des Reaktionswortes wurde mir, glaube ich, erst nach 
dem Aussprechen deutlich. 
Daß in dem soeben angeführten Versuch das Reaktionsveort 
erst nach dem Aussprechen seinem Sinne nach klar wurde, spricht 
nicht gegen die Annahme, daß die Lösung auf Grund eines Wissens 
erfolgte. Die Aktualisierung eines Wissens liegt schon dann vor, 
wenn der Vp. zu Bewußtsein kommt, daß der Gottesdienst drei 
Teile habe, von denen einer Opferung heißt. Was Opferung ist, 
braucht dabei nicht bewußt zu sein. 
Arbeit — Sfache Bedeutung? Gi». In der Physik, in der Nationalökonomie, 
in der gewöhnlichen Bedeutung. 16,6". Beim Lesen der sofort verstandenen 
Aufgabe das Bewußtsein, daß es sich hier um etwas handelt, was 
ich kenne, nämlich daß die Arbeit mehrere Bedeutungen hat, 
ohne daß sich damit die Erinnerung an eine ganz bestimmte 
*) Vgl. S. 48 f., 50 flF., 64 flf., 73 flF. ~ Über den Zusammenhang von 
Geläufigkeit und Kürze der Reproduktionszeit bei der BerOhrungsassoziation 
vgl. A. Thumb und K. Marbe. Experimentelle Untersuchungen über die psycho- 
logischen Grundlagen der sprachlichen Analogiebildung m (Leipzig 1901). 
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3. Die Ättfgabelösung dunh Wissensaktualisierung, 33 
Lösung der Aufgabe verband. Es ergaben sich sofort die Worte ^\n 
der Physik^ innerlich gesprochen. Dabei das Bewußtsein, daß Arbeit 
in der Physik eine bestimmte Bedeutung hat. Ich machte mir 
nicht nfther klar, was das für eine Bedeutung ist Ganz dunkel suchte ich 
dabei nach einem Wort, zu dem ich diesen Begriff in Beziehung setzen wollte. 
Nachträglich weiß ich, daß „Energie*' gemeint war. Wfthrend des Versuches 
ließ ich es aber fallen, weil ich auch ohne diese Beziehung genau wußte, 
daßArbeit in derPhysik eine spezifische Bedeutunghat Suchte 
dann nach einer weiteren Bedeutung. Dann mit deutlich ausgeprägten Worten 
«in der Nationalökonomie'*, wobei ich auch mehr den Eindrudc hatte, daß es 
mir einfiel, wie daß ich es erarbeitete. Hieraufsuchte ich nach der 
dritte Bedeutung. Es bot sich an die gewöhnliche Aii>eit, und nun dachte 
ich darOber nach, ob der Begriff Arbeit im gewöhnlichen Leben vom national- 
ökonomischen wesentlich verschieden sei. Ich Oberzaigte mich, daß beides 
verschieden ist, auf Grund eines sehr verschwommenen Wissens von einer 
spezifischen Bedaitung des Begriffs Arbeit in nationalökonomischer Hinsicht; 
es war dabei wie vorhin kein Bewußtsein vorhanden, was das in der National- 
ökonomie ftkr eine Bedeutung ist, ich wußte aber, daß diese Bedeutung 
verschieden ist von der der gewöhnlichen Arbeit Das ist ganz 
sicher. 
Die Wissensaktualisierung kommt bei diesem Versuch sehr 
deutlich zum Ausdruck. So fallen der Vp. nicht etwa nur die 
Worte »in der Physik^ mit dem entsprechenden Bedeutungsbe- 
wußtsein ein, sondern es wird der ganze Wissenskomplex aktu- 
alisiert, daß „Arbeit^ in der Physik eine spezifische Bedeutung 
hat Bei der Aktualisierung des Wissens, daß das Reizwort in 
einer weiteren spezifischen Bedeutung in der Nationalökonomie 
gebraucht wird, tritt uns zum erstenmal der deskriptive Gegen- 
satz zwischen dem Einfallen, richtiger Wiedereinfallen einer 
Lösung auf Grund eines schon vorhandenen Wissens und dem 
selbständigen Erarbeiten einer Lösung entg^en. Der Hinweis 
der Vpn. auf diesen Gfegensatz wird in den nächsten Protokollen 
in ausgeprägterer Form wiederkehren. Auch die kritische Be- 
urteilung der sich anbietenden Lösung fär die dritte Bedeutung 
erfolgt auf Grund einer Wissensaktualisierung, nämlich der Aktu- 
alisierung des Wissens, daß die in der Nationalökonomie gebrauchte 
Bedeutung der Arbeit verschieden ist von der gewöhnlichen Be- 
deutung des Wortes. Wir werden hier zum erstenmal auf die 
Rolle der Wissensaktualisierung bei der kritischen Beurteilung 
der Lösungen aufmerksam. In allen drei Fällen konmit es 
nicht zur vollständigen Aktualisierung des Wissens, daß „Arbeit^ 
StU, Ober die OeietM des geordneten OenkrerUnfli. 3 
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84 Absdm, /. Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisierungen usw. 
die spezifische Bedeutung x hat, sondern die Vp. begnügt sich mit 
der Aktualisierung des geläufigeren Wissens, daß das Wort „Arbeit^ 
auf einem bestimmten Gebiete eine — nicht weiter gegen- 
wärtige — spezifische Bedeutung besitzt. Durch die Aktualisierung 
eines solchen Wissens wird nicht die gesuchte Bedeutung selbst 
direkt bewußt, sondern nur mittelbar als diejenige Bedeutung, 
welche auf einem bestimmten Gebiet besteht. Sie wird bewußt 
in Gestalt ihrer indirekten Bestimmung durch das Bewußtsein 
von dem Sachverhältnis, daß sie zu einem bestimmten (Gebiet 
gehöre. Bühler hat solche Fälle, in denen ein Gegenstand „durch 
seine Beziehungen zu anderen Gegenständen indirekt bestimmt^ 
wird, als indirektes Meinen bezeichnet '). Der Gegenstand ist hier 
mittelbar bewußt als derjenige, welcher in einer bestimmten Bezieh- 
ung zu bestimmten anderen Gregenständen steht. Wir nennen, 
wie später näher auszuführen sein wird, das in einer bestimmten 
Beziehung Stehen bestimmter Gegenstände ein Sach- 
verhältnis. Das Bewußtsein von einem Gregenstand wird also 
im vorliegenden Falle vermittelt durch das Bewußtsein von einem 
Sachverhältnis, mithin nach der von uns gebrauchten Terminologie 
durch ein Wissen'). Auch in diesem Sinne stellt sich das Auf- 
treten der drei Bedeutungen als Wissensaktualisierung dar. Die 
Aktualisierung des Wissens von den drei verschiedenen Bedeu- 
tungen wird außerdem durch die Aktualisierung des allgemeineren 
Wissens vorbereitet, daß das Wort „Arbeit" wirklich mehrere 
Bedeutungen hat. Mit der Aktualisierung dieses Wissens ver- 
bindet sich offenbar die Aktualisierung des mit ihm nicht identi- 
schen Wissens, daß die Vp. solche Bedeutungen kennt. Das Sach- 
verhältnis, daß wir etwas wissen, kann uns selbst wieder bewußt, 
also Gegenstand eines Wissens werden. Die Protokolle der Auf- 
gabe Tod — Nebenordnung enthalten ebenfalls schon derartige 
Wissensaktualisierungen^. Wir werden ihnen auch in den folgen- 
den Protokollen wieder begegnen. 
Wahlrecht — 2 Hauptarten? 
Biti direktes und indirektes 5J2f\ Ich hatte hier so einen Mchtigen Ge- 
danken an eine mir bekannteUnterscheidung, ohnezu wissen, 
worin diese Unterscheidung bestand. Ich weiß jetzt, es ist aktiv und 
*) Bühler, Archiv f. d. ges. Psychol. 9. S. 868 ff. 
") Vgl. oben S. 80. 
') Auch A«! S. 82 gehört hierher. 
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3. Die Aufgabeiösung durdi Wissensaktuatisierung. 86 
passiv gewesen. Dann kam ein Suchen; hierauf fiel mir ein, daß man das 
Wahlrecht direkt und indirekt ausüben kOnne, es waren dabei die 
beiden Worte da. Dann laut Ich möchte sagen, es ist kein Schluß, wenn ich an- 
gebe, daß die Richtung zuerst auf aktiv und passiv ging, sondern ich weiß unmittel- 
bar nachher [d. h. nach dem Versuch], daß es so war. Sehr charakteristisch 
im Gegensatz zum vorausgehenden Versuch war der bloße Appell 
an das Gedächtnis, gar kein Bestreben, eine selbständige Unter- 
scheidung zu machen, sondern nur ein Suchen nach einer be- 
kannten Unterscheidung. Es ist mir diesmal der große Unter- 
schied ganz besonders deutlich geworden, der schon in der 
Einleitung des Prozesses zwischen dem Appell an das Ge- 
dächtnis und der Tendenz zur selbständigen Lösung besteht 
Auch im späteren Stadium lediglich Erwarten von einer disponiblen Erinnerung 
her einen Aufschluß zu bekommen. Es ist ein Zustand der Abhängigkeit 
Gte direktes und indirektes 6,4''. Sofort Appell an das Gedächt- 
nis. Es ist dieses Suchen nach etwas Bekanntem von vorn- 
herein im Erleben ganz und gar verschieden von den Fällen, - 
wo iclM eine selbständige Lösung der Aufgabe versuche. Wenn 
ich es so mache, so schwebt mir sofort vor, daß ich etwas 
weiß, und ich suche festzustellen, was ich weiß; aber auch ein 
¥^8sen um die WahLrechtsstreitigkeiten der letzten preußischen Vorlage war 
ganz dunkel gegenwärtig; außer der dunklen Beziehung auf sie war dabei in 
manem Bewußtsein noch etwas vorhanden, was mir den Gegenstand dieser 
Beziehung zu repräsentieren scheint, und was macht, daß eben die Beziehung 
auf russische Wahlkämpfe sich unterscheidet von der Beziehung auf preußische. 
Dieses, was da den Gegenstand der Beziehung repräsentiert, hat nichts mit 
Stimmungen oder Gefühlen zu tun, das ist ganz sicher. Vorstellungen fehlten 
beim ganzen Prozeß, ich bin dessen subjektiv sicher; soviel ich mich erinnere, 
bis dahin auch keine Worte. Nim kamen sofort die Worte „direkt und ge* 
heim** und fast hätte ich schon so reagiert, sagte mir aber noch rechtzeitig: 
Halt, das sind zwei vollständig verschiedene Gedankenkreise, aus denen da 
Arten herausgegriffen werden. Es war eine Hemmung vorhanden, die diesen 
Sinn hatte, und dunkel ein Bewußtsein, daß sich diese beiden 
Großen auf irgendwelche andere Gruppen verteilen. Außer den 
beiden Worten weiß ich keine Worte anzugeben, glaube auch nicht, daß sie 
vorhanden waren. Vorstellungen dabei auch nicht (subjektiv sicher!). Es war 
so, als ob sich etwas falsch zusammengeschoben hätte, was nicht zusammen- 
gehört, und zwar hatte ich dunkel das Bewußtsein, daß diese Zusammen- 
stellungen durch eine fragmentarische Erinnerung an die bekannte Formel 
vom sog^iannten vierschwänzigen Wahlrecht (das direkte, geheime, allgemeine 
und gleiche Wahlrecht) bedingt war. Von den Worten der Formel war nichts 
da. Dennoch bezog ich mich dunkel auf sie. Es ist kein Schluß, daß ich 
das tat, sondern ich weiß, daß ich während des Erlebnisses sicher daran 
dachte. Nun beschränkte ich mich auf das eine Glied der Formel und rea- 
gierte mit „dir^tes und indirektes". Tangiert waren dabei sicher die Er- 
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96 Äbsdui, L Die unvermitUUen Lösungen als Wissensaktualisierungen usw. 
innerungen an die Gegensätze der Parteien bei der preußischen Wahlredits- 
vorläge, wo es sich um direktes oder indirektes Wahlrecht handdte. 
Diese beiden Protokolle sind besonders beachtenswert, weil 
sie zeigen, daß das Charakteristische der Ldsung auf Grund eines 
schon vorhandenen Wissens sich den Vpn. selbst aufdrängt, und 
daß sich die bloße Aktualisierung eines Wissens von einer selb- 
ständigen Lösung auch dem Erlebnis nach deutlich unterscheidet. 
Die Vpn. werden auf diesen Unterschied namentlich in den Fällen 
aufmerksam, wo ihnen, wie in den angeführten Protokollen, zuerst 
zu Bewußtsein kommt, daß sie eine Lösung der gestellten Auf- 
gabe kennen, die sie dann sich ins Gedächtnis zu rufen suchen. 
Es schwebt ihnen, wie G sagt, zimächst vor, daß sie etwas wissen 
imd sie suchen nun festzustellen, was sie wissen. In unseren 
Protokollen finden sich außer den obigen Fällen mehrfache Be- 
schreibungen eines solchen „Appells an das Gedächtnis", genauer 
eines Appells an das Gedächtnis fttr Sachverhältnisse oder an ein 
Wissen. Das Protokoll von G enthält außerdem detaillierte An- 
gaben über die Bewußtseinsrepräsentation des Wissens, die mit 
Rücksicht auf die relativ kurze Reaktionszeit und die daraus ent- 
springende größere Zuverlässigkeit von Bedeutung sind. Daß 
hierbei wahrscheinlich in der berichteten Hemmung noch unanaly- 
sierte Empfindungselemente stecken, soll keineswegs in Abrede 
gestellt werden; diese smd aber ganz ungeeignet, als Träger 
eines so speziellen Gedankens, wie er der Hemmung des Aus- 
sprechens zugnmde liegt, zu fungieren. Wir haben hier nur 
die Wahl, anzimehmen, daß sich die Angaben der Vp. auf nicht 
eigentlich bewußte Vorg&nge beziehen, über deren Bedeutung für 
den Verlauf sie aus irgend einem Grund Angaben zu machen 
imstande ist, oder das Vorhandensein von unanschauUchen Er- 
lebnissen anzuerkennen*). Die Feststellung der wenigen nach- 
weisbaren anschaulichen Elemente, nämlich der beiden Worte 
direkt und geheim, sowie der zwischen ihnen und der Reaktion 
liegenden Hemmung bedeutet eine wertvolle qualitative Kontrolle 
der Angaben der Vp. über den Gedankenverlauf. Man sieht aus 
solchen Beispielen, wie wichtig es ist, die Vpn. zur sorgfältigen 
Beobachtung der anschaulichen oder emotionalen Bestandstücke 
des Verlaufs anzuhalten. 
Vgl. oben S. 16f. 
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3, Die Aufgabelösung durdi Wissensaktuaüsienmg, 37 
Schon bei der Analyse des ProtokoUs Gi» S. 32f. waren wir 
auf die Bedeutung der Wissensaktualisierung bei der kritischen 
Beurteilung einer Lösung gestoßen. In dem vorliegenden Protokoll 
finden wir zum erstenmal einen klar erkennbaren Fall der Be- 
richtigung einer an&nglichen Lösung auf Grund eines Wissens, 
das mit ihr im Widerspruch steht. Die Vp. hat zunächst die 
Bezeichnungen direkt und geheim reproduziert und ist nahe daran, 
mit ihnen zu reagieren. Da tritt der beabsichtigten Reaktion das 
Wissen entgegen, daß jene beiden Wahlrechtsarten Glieder ver- 
schiedener Wahlrechtseinteilungen seien und leitet die Verbesse- 
rung der ursprünglichen Lösung ein. Wer sich die Tendenz, 
mit direkt und geheim zu reagieren, so vorstellt, daß nur die 
beiden Worte mit der motorischen Tendenz, sie auszusprechen, 
auftreten, wird sich diesen Berichtigungsvorgang vergeblich ver- 
ständlich zu machen suchen. Dagegen wird er sofort begreiflich, 
wenn wir annehmen, daß sich mit der anfänglichen Reaktions- 
tendenz der bewußte Gedanke, der Aufgabe entsprechend zwei 
Hauptarten gefunden zu haben, oder wenigstens ein gleichwertiger 
unbewußter Prozeß verbindet. Die Vp. hat, wie sie in der Be- 
schreibung des Appells an das Gedächtnis angibt, sich auf zwei 
ihr bekannte Hauptarten des Wahlrechts besonnen und als zwei 
solche gesuchte Hauptarten treten nun auf Grund der teUweisen 
Aktualisierung eines größeren Wissenskomplexes über die Arten 
des Wahlrechts zimächst das direkte und geheime Wahlrecht auf. 
Solange die Vp. die Aulgabe nur so auffaßt, daß sie nach irgend- 
welchen zwei wichtigen Wahlrechtsarten sucht, ist es natürlich» 
daß sie die beiden genannten als erste aus der ihr geläufigen 
Formel herausgreift und diese zunächst als Lösung der Aufgabe 
erscheinen. Indem sie aber nun das direkte und geheime Wahl- 
recht imter Zurückbeziehung auf die Aufgabe als zwei Hauptarten 
betrachtet, wird die speziellere Erinnerung an die bekannten Ein- 
teilungen der Wahlrechtsarten geweckt, in denen die genannten 
Wahlrechtsarten vorkommen. Zugleich aktualisiert sich jedoch 
das Wissen, daß sie dort nicht als Glieder ein und derselben 
Einteilung, sondern als Glieder verschiedener Zweiteilungen auf- 
treten^). Daran schließt sich die Erkenntnis, daß solche Zwei- 
tdlungen mit der Aufgabe gemeint sein werden. Hierdurch ist 
*) Vgl. die beiden folgenden Protokolle. 
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88 Absthn. 1. Die unvermiäeUen Lösungen ata Wissensaktuaäsierungen usw. 
der weitere Weg vorgezeichnet. Die Vp. weiß, daß sie nur zu 
einer der genannten Bezeichnungen das andere Glied anzugeben 
braucht, um der Au^;abe zu genügen. Derartige Berichtigungen 
weisen mit besonderem Nachdruck auf das Vorkommen von Repro- 
duktionen hin, welche nicht darauf zurückgeführt werden können, 
daß einzelne Vorstellungen oder Komplexe von solchen andere 
ebensolche ins Gedächtnis zurückrufen, die früher mit ihnen 
zusanunen im Bewußtsein waren. Nicht die Wortvorstellungen, 
„direkt^ und „geheim^ oder die ihnen entsprechenden Bedeutungen 
direktes und geheimes Wahlrecht^ führen zur Reproduktion des 
Vorstellimgskomplexes „direkt und indirekt^, sondern das durch 
die versuchsweise Lösung beigestellte Beziehungsganze „das direkte 
imd das geheime Wahlrecht sind zwei Hauptarten des WaUrechts'' 
aktualisiert das Wissen, daß diese beiden Wahlrechtsarten Glieder 
verschiedener Wahlrechtseinteilungen sind. Nicht Vorstellungen 
also, sondern Beziehungsganze werden bei der Be- 
richtigung durch einander reproduziert. Wir lernen 
hiermit eine weitere Bedeutung der Wissensaktualisierung für die 
Aulgabelösung kennen. Sie vermittelt die Berichtigung von 
unrichtigen oder relativ geringwertigen Lösungen. 
Die dabei obwaltende Gesetzmäßigkeit, das Gesetz der Berichti- 
gung, wird den Gegenstand späterer Erörterungen bilden. 
Eilt direkt, indirekt 7". Sofort verstanden. Es war etwas da von Wahl- 
betätigung, nichts Sinnliches dabei, etwas Unanalysierbares. Es war darin die 
Tätigkeit der Wahl, dabei Berlin, die gesetzgebenden Versammlungen, die dort 
sind; das war auch nicht sinnlich, nur eine geographische Richtung nach 
Berlin könnte voriianden gewesen sein. Ich wußte, daß man das Wahl- 
recht verschieden gegeneinandersetzen könne, daß verschiedene 
Einteilungen möglich sind und daß es immer Zweiteilungen 
sind. Ich dachte zunächst an allgemein und nichtallgemein. Es waren nur 
die Wörter da, ohne daß das Wesen dieses WahLrechts bewußt geworden wäre. 
Ich wußte nur, es gibt eben eine solche Einteilung. Jetzt schien 
es mir, als ob das nicht die Haupteinteilung wäre, die man machen kann, 
weil ich eigentlich von einer nicht allgemeinen Wahl niemals als praktisch 
existierend etwas gehört hatte. Deshalb nahm ich direkt und indirekt, 
es war bereitgestellt, ich brauchte es sozusagen nur zu nehmen. 
Damit habe ich dann reagiert, ohne tü)er die Bedeutung der Wörter weiter 
nachzudenken, es bestand nur das allgemeine Bedeutungsbewußtsein. 
Schon in den früheren Protokollen war die Aktualisierung 
des abstrakten Wissens von einer Wahlrechtseinteilung, die jedoch 
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3. Die Aufgabel&sung durch Wissensaktuaüsierung. 39 
ihrem konkreten Inhalt nach noch nicht gegenwärtig ist, der 
Lösung vorausgegangen *). Im vorUegenden Versuch bildet ein 
solches abstraktes Wissen in besonders deutlicher Weise den Aus- 
gangspunkt für die Lösung. Das gleiche ist in folgendem Ver- 
such der FalL Der Vergleich der beiden Protokolle ergibt in 
dieser Hinsicht eine frappante Ähnlichkeit. Der folgende Versuch 
bietet gleichzeitig ein interessantes Beispiel für ein eigentümliches 
Verhältnis von Wissensaktualisierung und VorsteUungsreproduktion. 
Das Wissen erscheint mit der Vorstellung des Objekts, auf das 
es sich bezieht, aufs engste verschmolzen. Es tritt gleichzeitig 
mit der Vorstellung auf und ist auf das Objekt in dieser seiner 
anschaulichen Veiigegenwärtigung in der gleichen Weise bezogen 
wie ein Wissen, das einen zur Zeit wahrgenommenen Gegen- 
stand betrifft, auf diesen bezogen sein kann. Hierbei ist nur der 
Gregenstand des Wissens durch Vorstellungen repräsentiert, während 
es für den gewußten Sachverhalt an jeder anschauUchen Re- 
präsentation fehlt. Gerade wie es auch bei wahrgenommenen 
Gegenständen der Fall ist, vervollständigt sich die Aktualisierung 
des Wissens, während der Bestand der Vorstellung, auf die es 
bezogen ist, unverändert bleibt. Bei der verhältnismäßig außer- 
ordentlich kurzen Reaktionszeit von nur 3 Sekunden sind diese 
Angaben über die Bewußtseinsrepräsentation des Wissens von 
großem Wert: 
Alts direktes, indirektes 3''. Ich wußte sofort, daß ich gleich 
zwei Hauptarten nennen könne; aber ich wußte noch nicht, 
welche. Ich wußte nur, es ist eine Auswahl da zwischen 
Hauptarten, und daß es mehrere Zweiteilungen sind; keine aber 
dem Sinne nach bewußt. Da kam ein Kartenbild, Preußen von der Südecke 
der Rheii^)rovinz aus gesehen, und auf einmal springen mir die Worte „direkt*" 
und „indirekt auf, innerlich gesprochen. Es lag auch darin, daß über 
so etwas vor kurzem in der Öffentlichkeit gesprochen worden 
ist, und daß ich, wenn ich mich weiter besinnen würde, noch 
eine andere Einteilung finden würde. In dem Kartenbild lag 
von Anfang an darin, daß eine von den Hauptarten mit diesem 
Staat in Verbindung steht, aber genau habe ich es mir nicht durch- 
gedacht, welche von den beiden es sein könnte. Durch das Auftauchen der 
Reaktionsworte bekommt das Kartenbild einen besonderen Charakter, indem 
ich weiß, daß gerade von diesen beiden eines zu diesem Land 
in Besiehung steht, das da vor mir ist Es war ein Kartenbild von der 
Vgl. hierzu noch den ganz ähnUchen Verlauf bei Gi» S. 32. 
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40 Absdm. L Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisienmgen usw, 
bduuintai Mischari^, halb kartographisch, halb real. Es wurde zuerst auf 
clieBes Land besogen, daß Oberhaupt dne Wahlrechtsart hier eine Rolle spidt, 
und später, daß es eine von den beiden ist Es macht das einen Unterschied 
in der Art des Bezogenseins auf das Bild Das Bild erhftlt dadurch einen 
anderen Charakter, natOrlich ohne Veränderung des anschaulichen Bestandes. 
In den beiden folgenden Versuchen bildet nicht das Wissen 
von bekannten Wahlrechtseinteilungen, wohl aber das Wissen 
von bekannten Gegensätzen der Wahlrechte in verschiedenen 
Ländern den Ausgangspunkt: 
Dm Körperschaftswahlen und persönliche Wahlen 143". Diesmal ging 
es nicht so seinen geraden und [sc. im einzehien] sicher angebbaren Gang. 
Ich habe zunächst eine Tendenz gehabt nach direkten und indirekten Wahlen, 
das blieb aber auch sehr unbestimmt, es war im Bewußtsein nur so 
gegeben, als das, was man in Preußen und was man in Sod- 
deutschland hat und worum sich in Preußen der Kampf dreht. 
Es war etwas Optisches vom Norden und Süden dabei, ein räumliches Schema, 
in dem ich herauf- und heruntergehen konnte, aber das Wissen war sehr reich, 
es schlug so an, was man in Preußen bekämpft, was so Tagesfrage ist usw. 
Ich hätte das alles ohne weiteres sagen können, ich habe das nicht genommen. 
Weiß nicht genau warum. Ich hatte so die Unsicherheit, als ob ich 
etwa nur ein kleines Stück herausgegriffen und das andere 
nicht berücksichtigt hätte. Da hatte ich denn die Tendenz, nach 
etwas noch Extremerem zu suchen, d. h. etwus, was noch weiter abliegt von 
dem z. B. in Süddeutschland bestehenden Zustand als das preußische Wahl- 
recht Keine Worte dabei, auch kein räumliches Schema. Da tauchte mir 
als noch extremerer Zustand das auf, was man in Mecklen- 
burg hat, aber auch da wieder nicht das Wort Mecklenburg, optisch aber 
vielleicht etwas in dem Schema von vorhin und dazu ein Bewußtsein von 
Mittelalterlichkeit, Ritterwesen, alles das soll Nuancen ausdrücken, ohne daß 
es in meinem Bewußtsein bestimmtere Gestalt annahm. Vielleicht dabei etwas 
Stimmungsmäßiges, die Hauptsache aber ist das Wissen; das Stinunungs- 
mäßige hat, glaube ich, keine Rolle gespielt Ich war rein erkennend darauf 
bezogen, so, wie wenn man so etwas theoretisch etwa in der Nationalökonomie 
erörtert. Darauf habe ich angefangen zu sprechen, habe das eine geiionunen. 
Hierauf hat sich das Wort Ständewahl eingestellt, es müßte heißen Stände- 
vertretung. Es hat sich hier durch das Suchen nach etwas Extremerem etwas 
verschoben. Darauf suchte ich das andere zu benennen, merkte selbst, daß 
die Sache nicht klar war, sagte dann persönliche Wahl, meinte damit den 
Gegensatz von Ständen und Einzelnem. 
^) Solche Kartenbilder spielten bei einzelnen Vpn. eine große Rolle bei 
der R^roduktion von Begebenheiten und Verhältnissen, die mit bestimmten 
Örtlichkeiten verknüpft sind. Vgl. einstweilen auch schon das Protokoll von E, 
sowie die beiden folgenden Protokolle. 
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3. Die Aufgabeläsung dunh Wissensakiuaiisierung, 41 
Zunäcdifit aktualisiert sich in diesem Versuch das Wissen, daß 
es zwei Hauptarten des WaUrechts gibt, von denen die eine in 
Preußen, die andere in Sttddeutschland besteht und in Preußen 
den Gegenstand der gegenwärtigen Kämpfe bUdet. Hierbei spielt 
eine geographische Vorstellung eine ähnliche RoUe wie bei A, 
nur daß sie offenbar viel schematischer ist wie dort. Die Vp. 
hat die Tendenz, mit jenen beiden Wahlrechtsarten, von denen 
sie zunächst nur weiß, in welchen Ländern sie bestehen, zu rea- 
gieren. Es handelt sich hier wieder um Fälle eines indirekten 
Gegenstandsbewußtseins durch ein Wissen wie im Versuch Gia 
(S. 32 ff.). Im weiteren Verlauf findet wieder in ähnlicher Weise 
wie oben bei G (S. 36 ff.) eine Berichtigung der ursprünglichen 
L(toung statt. Auf Grund der Aufgabe sucht die Vp. nach zwei 
Wahlrechtsarten, welche Hauptarten darstellen. Sie kann da- 
her für die Lösung nur solche Wahlrechtsarten verwenden, von 
denen sie weiß, daß sie diese Bedingung erfüllen. Demnach ist 
die Vergegenwärtigung des Verhältnisses der für die Lösung in 
Betracht gezogenen Wahlrechtsarten zur Gesamtheit der existieren- 
den Wahlrechtsarten durch die Aufgabe gefordert. Sie ist das 
Mittel, um zu erkennen, ob nicht nur Arten, bezw. wichtige 
Arten, sondern Hauptarten vorUegen. Zunächst erscheinen mit 
Rücksicht auf den der Vp. bekannten großen Gegensatz des 
preußischen und süddeutschen Wahlrechts diese als mögliche 
Hauptarten. Indem sich jedoch durch fortschreitende Wissens- 
aktualisierung ihr Verhältnis zur Gesamtheit der Wahlrechte klärt, 
wird der Vp. bewußt, daß neben diesen beiden Arten noch andere 
bestehen. Einer solchen Lösung aber stellt sich das 
Wissen von der allgemeinen Regel entgegen, daß Auf- 
gaben wie die vorliegende imter den zu nennenden Hauptarten 
solche zu verstehen pflegen, durch welche der Gesamtgegenstand 
in mehrere Arten zerlegt wird, die alle anderen als Unterarten 
umfassen^). Wir können den Hergang bei der Berichtigung nur 
dann verstehen, wenn wir uns dieses Wissen von Anfang an 
irgendwie aktuell wirksam, oder was wahrscheinlicher ist, erst 
durch den ihm widersprechenden Lösungsversuch in 
') Vgl die Ausführungen von Bühler (Archiv f. d. ges. Psychol. 9. S.336) 
Ober das „Regelbewußtsein*^. Die Frage der phänomenologischen Repräsentation 
dieses Regelbewiißtseins soll jedoch hier nicht erörtert werden. 
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42 AbsduL 1. Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisierungen usw. 
irgend einer Form aktualisiert denken. Es liegt der von der Vp. 
berichteten Unsicherheit, als ob sie nur etwa ein kleines Stück 
herausgegriffen imd das andere nicht berücksichtigt hätte, offen- 
bar, wenn auch nur sehr unklar zugrunde. Die Aktualisierung 
dieses Wissens führt erstens zur Verwerfung der bisher angestrebten 
Lösung, zweitens zur Aufsuchung jenes extremen Wahlrechts- 
gegensatzes, von dem die Vp. zu wi^^en glaubt, daß er zu einer 
alle anderen Wahlrechte umfassenden Zweiteilung dienen kann. 
Hierbei ist das eine Glied der Einteilung zunächst wiederum in- 
direkt bestimmt Die Vp. weiß, daß dieses „Wahlrecht" in dem 
(anscheinend in dem optischen Schema lokalisierten) durch mittel- 
alterUche Zustände ausgezeichneten Lande besteht. Die Art der 
Auffindung des zweiten Gliedes ist deshalb von Bedeutung, weil 
sie zeigt, wie unrichtig die Meinimg wäre, daß es sich beim 
Fehlen von Sachvorstellungen nur um die Reproduktion von 
Worten handeln könne. Die Vp. bildet hier erst mühsam ad hoc 
ein Wort, um den von ihr gemeinten Gfegensatz des allgemeinen 
Wahlrechts zur bloßen Ständevertretung auszudrücken. Man 
wird nunmehr auch geneigter sein, den Protokollen der beiden 
Wiederholungsversuche von Vp. A beim Versuch Tod — Neben- 
ordnung Glauben zu schenken, nach denen der Sinn des Re- 
aktionswortes vor diesem selbst vorhanden warO- Das Protokoll 
ist ein Beispiel für die Verwertbarkeit derjenigen Protokolle, 
die infolge der großen Mannigfaltigkeit der Erlebnisse nach der 
eigenen Aussage der Vp. kein in allen Einzelheiten sicheres und 
vollständiges Bild mehr geben. Die innere Geschlossenheit des 
Protokolls berechtigt zu der Annahme, daß die wesentlichen 
Punkte dennoch richtig wiedergegeben sind. Durch den Vergleich 
mit anderen Protokollen (namentlich auch mit dem folgenden) 
gewinnt diese Annahme noch festeren Boden. Wo es sich, wie 
hier, darum handelt, wichtige Übereinstimmungen einer größeren 
Anzahl von Vpn. im selben Versuch aufzuzeigen, ist die Heran- 
ziehung derartiger Protokolle um so mehr gerechtfertigt. 
H^Wio Ja. 7,2^'. Gleich nachdem ich die Aufgabe verstanden hatte, hatte 
ich unbeschreibbare anschauliche BUder; das eine scheint mir jetzt in der 
Nachperiode Deutschland gewesen zu sein, Bild der Karte, das andere Preußen, 
') Siehe oben S. 28. Vgl. femer unten At« S. 46f., Da» S. 56. 
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3, Die Aufgabelösitng durdi Wissensaktualisierung, 43 
ebenfalls Rartenbild. In dem einen war auch die abstrakte Vorstellung^) des 
Reichstages, in dem anderen abstrakte Vorstellung von Landtag. Dann fid 
mir ein (ak.) „allgemeines, direktes*' und ich dachte dabei: allgemeines, ge- 
heimes, direktes, gleiches und meinte damit das Reichstagswahlrecht Dann 
hatte ich den Gedanken daran, daß das preußische Landtags- 
wahlrecht dazu in einigen Punkten das Gegenteil sei, dabei 
sicher keine Worte; Bewußtsein, daß dies zur Beantwortung der Frage ge- 
nügen würde. Schwierigkeit zur Formulierung und Aussprache, dann ant- 
wortete ich mit ja. Als Lösung sollten die zwei Wahlrechtsarten dienen, das 
allgemeine, direkte usw. und sein Gegenteil, wie es in Preußen ist. 
Auch bei diesem Versuch aktualisiert sich das Wissen von zwei 
der Vp. bekannten Wahlrechtsarten in der Weise, daß die beiden 
gewußten Wahlrechte nicht direkt vergegenwärtigt werden, sondern 
nur indirekt durch das gewußte Sachverhältnis ihrer Zugehörigkeit 
zu gewissen Ländern bewußt werden; sie sind als das Wahlrecht 
im Reich und das Wahlrecht, das in Preußen besteht, gekenn- 
zeichnet. Anscheinend war hierbei ein EartenbUd in ähnUcher 
Funktion vorhanden, wie schon bei den beiden vorhergehenden 
Ypn."). f^ das preußische Landtagswahlrecht verbleibt es bei 
der indirekten Bestimmung, während die Vp. bezüglich des Reichs- 
tagswahlrechts zur direkten Bestimmung fortschreitet. Die Akzep- 
tierung der beiden Wahlrechtsarten als Hauptarten erfolgt auf 
Grund des Wissens von ihrem gegensätzlichen Verhältnis. 
Hiermit sind alle Protokolle zu dem Wahlrechtsversuch mit- 
geteilt. Schon bei den Lösungen der Aufgabe Tod — Nebenordnung 
mußte die außerordentUch große Übereinstimmung der Vpn. auf- 
fallen. Bei der ungleich komplizierteren Wahlrechtsaufgabe ist 
die Übereinstimmung im Bericht sowohl über den Verlauf als 
über die in ihn eingehenden Bewußtseinserlebnisse von noch 
höherem Werte. Eine hohe Zuverlässigkeit der Aussagen wird 
weiterhin durch ihren durchgängigen inneren Zusammenhang ge- 
währleistet, der die früheren Phasen als die zureichenden Be- 
dingungen imd vielfach sogar als die Voraussetzungen der späteren 
erkennen läßt. Dabei stehen die Reaktionszeiten mit der größeren 
oder geringeren Kompliziertheit der Lösungen in Einklang. Von 
*) VgL oben S. 27 Anm. 2. 
') Durch den Zusammenhalt mit den vorausgegangenen Protokollen ge- 
winnt diese Annahme ziemliche Sicherheit. Auch hier zeigt sich der Wert 
der Protokollierung unsicherer Angaben, wenn diese nur mit dem ausdrück- 
lichen Vermerk ihrer Unsicherheit versehen werden. 
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44 Abadtn. 1. Die unvermitteäen Lösungen als Wissensaktaalwerungen usw, 
Bedeutung ist femer, daß von den 6 Vpn. 4 mit „direkt" und „in- 
direkt" reagierten. Die Reaktionszeiten betragen bei den 4 überein- 
stimmenden Reaktionen 3", 5,2", 6,4" und 7", bei den beiden an- 
deren 7,2" und 14,8". Nach der Theorie von Watt müßten wir die 
relative Häufigkeit der Reaktion „direkt" und „indirekt" imd viel- 
leicht auch die ihr entsprechenden kürzeren Reaktionszeiten dar- 
auf zurückführen, daß unter den der Aufgabe entsprechenden 
Reproduktionstendenzen, welche vom Reizwort Wahlrecht aus- 
gehen, die auf die Reproduktion der Vorstellungen direkt imd in- 
direkt gerichteten die relativ geläufigsten seiend- Auf Grund unserer 
Protokolle dürfen wir dagegen annehmen, daß die Hauptbedingung 
der relativen Häufigkeit und vielleicht auch der entsprechend kür- 
zeren Reaktionszeiten nicht die Geläufigkeit einer solchen unmittel- 
baren Berühnmgsassoziation zwischen Reiz- und Reaktions- 
wort, sondern die relativ hohe Geläufigkeit des der Aufgabe ent- 
sprechenden Wissens gewesen ist, daß das direkte und indirekte 
Wahlrecht zwei Hauptarten des Wahlrechts darstellen"). Die rela- 
tive Häufigkeit einer Reaktion und die Kürze der Reaktionszeiten 
kann übrigens auch auf die Eindeutigkeit einer Aufgabe zurück- 
zuführen sein, bei der nur wenige naheliegende bezw. völlig ent- 
sprechende Lösungen konkurrieren, oder überhaupt nur eine Lösung 
möglich ist'). Außerdem kann sowohl die relative Häufigkeit einer 
Reaktion als die Kürze der Reaktionszeit auf die relative Leichtig- 
keit der Auffindung einer nicht ausschließlich auf Reproduktion 
beruhenden Lösung zurückgehen. 
*) Vgl. oben S. 90 Anm. 2. 
*) Die Möglichkeit, daß auch geläufige R^roduktionstendenzen der Reie - 
Wörter die relative Häufigkeit einer Reaktion und insbesondere die Kürze 
einer Reaktionszeit unter Umständen beeinflussen können, soll damit nicht in 
Abrede gestellt werden. 
') Vgl. insbesondere die Aufgabe Erregung — Gegensatz unten S. 68 ff. 
Auch bei der Wahlrechtsaufgabe war vielleicht eine relative Eindeutigkeit der 
Aufgabe von Einfluß auf das Ergebnis. 
Die quantitativen Feststellungen von Watt Ober Reproduktionen mit mehr- 
facher Richtung zeigen den verlangsamenden Einfluß der Mehrdeutigkeit einer 
Lösung auf die Reaktionszeiten (Watt S. 321 ff.). Auch hier braucht es sich 
nicht, wie Watt annimmt, um eine Konkurrenz verschiedener R^roduktions- 
tendenzen der Reizwörter nach Maßgabe ihrer Stärkeveiiiältnisse zu handehi 
(vgl. insbes. S. 928, 358 ff.), sondern es kann z. B. auch eine Konkurrenz zwischen 
der Reproduktion verschiedener Wissenskomplexe nach Maßgabe ihrer Crdäufig- 
keit stattfinden. 
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4. Arten der Wisunsaktaalisierung und Stufen ihrer Nadtweisbarkeit 45 
§ 4« Art^i der Wissensaktualisierung und Stufen ihrer 
Nachweisbarkeit. 
Die Protokolle der zuletzt angeführten Versuche zeigen sämt- 
lich Losungen, welche der bei der Aufgabe Tod — Nebenordnung 
unterschiedenen ersten Gruppe entsprechen. Die Vp. weiß, daß 
es eine Lösung gibt und daß sie diese Lösung kennt; sie weiß 
auch schon vielleicht allerhand über die Lösung. Die vollständige 
Wissensaktualisierung erfolgt aber erst im weiteren Verlaufe. 
Dagegen enthalten diese Protokolle keine Beispiele, welche der 
oben gebildeten zweiten Gruppe entsprechen würden, in der die 
Reaktion ohne Zwischenerlebnis als eine der Vp. bereits bekannte 
Lösung der Aufgabe auftritt. Fälle, welche auf Grund ausdrück- 
licher Angaben der Vpn. hierher gerechnet werden dürfen, finden 
wir aber, wenn wir die früheren Beispiele einer unvermittelten 
Lösung nunmehr wieder durchsehen. So berichtet B bei der Auf- 
gabe Wirkung — Biß mit Bezug auf die Reaktion Schmerz: Es 
war ein Wissen dabei, daß Bisse Schmerz verursachen ^). Ebenso 
sagt E von dem Auftreten der Reaktion Wunde: Es erschien als 
ein Auswendigwissen. 
Wir können demnach zwei Arten der Aufgabelösung durch 
Wissensaktualisierung unterscheiden: 
1. Die Lösung erfolgt durch sukzessive Entwicklung eines die 
Lösung enthaltenden Wissenskomplexes — sukzessive Wissens- 
aktualisierung ^. 
2. Die Lösung erfolgt durch unmittelbare Aktualisierung eines 
die Lösung enthaltenden Wissens — unmittelbare Wissens- 
aktualisierung. Die Fälle der unmittelbaren Wissensaktuali- 
sienmg können zugleich FäUe unvermittelter Lösungen im Sinne 
unserer Terminologie darstellen. Die von uns herangezogenen 
Fälle sind zugleich unvermittelte bezw. nahezu unvermittelte 
Lösungen. 
Die zahlreichen nunmehr beigebrachten Belegstellen werden 
genügen, um darzutun, daß viel&tch die Aufgabelösung einfach 
*) Siehe oben S. 26. 
*) Die Eigenart dieser sukzessiven Aktualisierung eines Wissenskomplexes 
wird <kn Geg^istand besonderer Erörterungen bildai; siehe unten § 8 und 
S.190flf. 
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46 Absdui. /. Die unvermittelten Lösungen als WissensaktnaJisierungen usw. 
auf Grund der Aktualisierung eines schon vorhandenen au|gabe- 
gemttßen Wissens erfolgt. Wir sahen femer, daß sich auch eine 
Reihe unvermittelter Lösungen nach den Beobachtungen der Vpn. 
als aus der Aktualisierung eines Wissens hervorgegangen erwiesen. 
Sobald wir aber einmal die Möglichkeit einer solchen Lösung in 
Betracht zu ziehen gelernt haben, werden wir den Gedanken 
nicht mehr von der Hand weisen können, daß vielleicht wenigstens 
zum Teil auch diejenigen unvermittelten Lösungen auf die Aktuali- 
sierung eines Wissens zurückgehen, bei denen die Beteiligung 
eines solchen Wissens von den Vpn. nicht beobachtet wurde. 
Wir werden um so mehr Anlaß haben, dieser Frage weiter nach- 
zugehen, als bei Versuchen, in denen mehrere unvermittelte 
Lösungen voi^ommen, sich häufig neben Lösungen, welche eine 
Wissensaktualisierung nicht erkennen lassen, gleiche oder analoge 
finden, in denen eine unmittelbare oder sukzessive Wissensaktuali- 
sierung nachweisbar ist. Wir brauchen nur an die Aufgaben 
Wirkung — Biß und vor allem Tod — Nebenordnung zu er- 
innern. Ein weiteres lehrreiches Beispiel bildet folgender Versuch, 
zu dem sämtliche Protokolle mitgeteilt werden. 
Haß — Oberordnung? 
H*tf2,6''. [Zuerst Verzögerung durch Veiiesen.] Mechanisch „Empfindung** 
(ak.)i Bewußtsein der Lösung erst in der Nachperiode. 
Gf4 Affekt 8''. Diesmal war eigentlich alles schon fertig, bevor ich zu 
einem ganz klaren Erfassen kam. Ich hatte nur noch knapp Zeit, mich zu 
vergewissem, daß es richtig ist, als ich schon sprach. Als ich mir die Frage 
vorlegte: »Was ist nun dem Haß übeigeordnet?**, trat schon das Wort Affekt auf. 
D*f Leidenschaft 3,4''. Gelesen und ein bißchen abgewartet Dann kam 
sinnvoU das Wort Leidenschaft Beim ganzen Versuch keine Vorstellung, niur 
beim Lesen des Wortes Haß etwas Stimmungsmfißiges, das Wort damit üngiert 
Sehen wir dagegen die beiden folgenden Protokolle. 
At« Leidenschaft 4,6''. [Zuerst Verzögerung durch Veriesen.] Dann be- 
gann ich die Aufgabe zu lösen und erinnerte mich, früher in einem 
lateinischen scholastischen Lehrbuch der Philosophie gelesen 
zu haben, daß der Haß (das Wort in Schreibmaschinenschrift dabei inner- 
lich gesehen) untergeordnet werde unter einen Begriff, ich wußte 
genau welchen, aber konnte ihn nicht benennen. Der Gedanke 
setzte mit dem Schriftbild ein. Das Auftauchen der Erinnerung erfolgte, indan 
dieses Wortbild von mir festgehalten wurde. Dann kam auf einmal das Wort 
Leidenschaft in Schreibmaschinenschrift; reagierte nicht ganz befriedigt, weil 
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4. Arten der WissensaktuaÜsiefung und Stufen ihrer Naätweisbarkeit. 47 
ich den gaooeinten Begriff nicht richtig bezeichnet hatte, ich hatte gemeint: 
Affekt (Unter Leidenschaft verstehe ich das Dispositionelle, die Disposition 
zu den Affekten.) 
Es4 Affekt 4,6''. Ich habe die Aufgabe gelesen, jetzt kam die Vorstellung 
eines kleinen Heftes, worin wir am Gymnasium unsere Religionssachen hinein- 
schrieben. Ich war auf eine bestimmte Stelle gerichtet, die unten an einer 
Sdte war, ich wußte, da muß Haß stehen, ohne daß ich es sah. 
Ich hatte dabei das Bewußtsein, daß das eine Tabelle ist und 
daß darin Haß vorkommt Auch war das Wort Augustinus da, darin 
lag die Meinung, daß die Tabelle von Augustinus herstammt Dann auf ein- 
mal das Bewußtsein, daß die Tabelle von den Affekten handelt 
Dabei war das Wort Affekt da in dem Akt, in dem ich das dachte. Im An- 
schluß daran das Bewußtsein, daß das ja das Obergeordnete zu 
Haß sei (sicherO* 
Nur bei A und E läßt sich schon aus den Selbstbeobachtungen 
das Zustandekommen der LOsung durch Aktualisierung eines 
Wissens nachweisen. Die Lösung von A ist als eine unvermittelte 
zu betrachten; denn sie ist dem Sinne nach schon in dem ersten 
auftretenden Erlebnis enthalten; bloß die Bezeichnung fttr den 
übergeordneten Begriff fällt nicht ein. Aus dem gleichen Grunde 
muß auch die Wissensaktualisierung als eine unmittelbare bezeich- 
net werden. Im Gegensatz zu den bisher mitgeteilten Fällen ist 
hier das der Aufgabe entsprechende Wissen noch an die indi- 
viduellen Begleitumstände gebunden, unter denen es erworben 
wurde. Die Vp. weiß, daß sie in einem speziellen Fall, dessen 
Umstände ihr noch gegenwärtig sind, den Affekt als den dem Be- 
griff Haß übergeordneten Gattungsbegriff kennen gelernt hat. 
Ebenso löst die Aufgabe bei E die spezielle Erinnerung an eine 
tabellarische Unterordnung des Hasses unter einen höheren Begriff 
aus; indem sie sich dann erinnert, daß es die Tafel der Affekte 
gewesen sei, wird ihr auch bewußt, daß sie die durch Appell an 
das Gedächtnis gesuchte Lösung schon in Händen habe. Daß die 
Wissensaktualisierung nicht darin besteht, daß auf Grund der 
Reproduktion assoziativ verbundener Wortzusammenhänge das 
Reaktionswort ins Bewußtsein tritt, zeigt wiederum der Umstand, 
daß A gar nicht das früher gebrauchte Wort, sondern ein Wort 
von ähnlichem Sinn reproduziert. Das ist nur verständlich, wenn 
bei der Reproduktion außer den Wortzusammenhängen auch die 
Bedeutungszusanunenhänge eine Rolle spielen*). 
>) VgL oben S. 42 und S. 2a 
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46 Ab§din, 1. Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisierungen usw. 
Es ist die wahrsdieinlichste Annahme, daß auch bei den 
übrigen Vpn. ein vorhandenes Wissen von dem übergeordneten 
Begriff zur Lösung führte. Sehen wir von H, der sich mit einer 
etwas vageren Überordnung begnügte*), ab, so dürfen wir die 
kürzeren Reaktionszeiten gegenüber A und E bei der gleichen Ll5sung 
(3,4'' und 8'' gegenüber 4,6'' und 4,6") auf eine größere Geläufig- 
keit des Wissens bei 6 und D zurüdcführen. Wir dürfen dies 
um so mehr, als die eine dieser Vpn. Theologe, die andere Psycho- 
loge von Beruf und daher mit derartigen Unterordnungen vertraut 
ist. Der größeren Geläufigkeit des Wissens würde die von den 
individuellen Begleitumständen seiner Erwerbung losgelöste ") un- 
gehemmte Reproduzierbarkeit und im Zusammenhang damit das 
Zurücktreten der Wissensaktualisierung im Bewußtsein entsprechen. 
Es ist durchaus verständlich, daß bei Aktualisierung eines geläu^ 
figen Wissens der Wissenszusammenhang vielfach nicht als solcher 
im Bewußtsein hervortritt. Dies scheint im allgemeinen nur dann 
zu geschehen, wenn die Wissensaktualisierung in ihrem Ablauf 
gehemmt ist, überhaupt wenn eine sukzessive Wissensaktualisierung 
stattfindet, oder wenn der Wissenszusammenhang durch irgend- 
welche zu ihm gehörige, mitreproduzierte Nebenumstände sich 
als solcher zu erkennen gibt Zu diesen Nebenumständen kann 
auch die Greläufigkeit des Wissens gehören, welche den Vpn. nament- 
lich infolge des Gegensatzes zu anderen Versuchen, wo sie die 
Lösung erst erarbeiten mußten, zu Bewußtsein kommen kann. 
Weitere das Wissen als solches kennzeichnende wichtige Neben- 
umstände sind die Sphäre, der es entstammt, und die Umstände 
seiner Erwerbung. Von den in diesem Abschnitt aus der Selbst- 
beobachtung der Vpn. noch direkt nachweisbaren 9 unmittelbaren 
Wissensaktualisierungen ist nur eine durch das Fehlen von mit- 
reproduzierten Nebenumständen ausgezeichnet*). In 6 Fällen wird 
^) Nach den allgemeinen Erfahrungen mit dieser Vp. hängt dies mit der 
histruktion „möglichst schnell** susammen. Vgl oben S. 10 f. 
*) Vgl. auch G. E. Müller, Zur Analyse der G^ächtnistätigkeit und des 
Vorstellungsverlaufes, Ul. Teil, Zeitschr. f. Psychol., Erg.- Bd. 8 (Leipzig 1913) 
S. 862 f. Die allmähliche Loslösung der Aktualisierung eines Wissens von den 
Begleitumständen braucht im Übrigen nicht auf reproduktiver Hemmung zu 
beruhen, wie dort angenommen wird, sondern es kommt auch die Erscheinung 
der abstraktiven Reproduktion (siehe unten S. 186 ff.) für die Erklärung in 
Betracht. Vgl. insbesondere S. 189 Anm. 1. 
•) B» S. 26. 
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4. Arten der Wissensaktuaüsierung und Stufen ihrer Nadiweisbarkeit, 49 
die Geläufigkeit »), in 2 Fällen wird die Sphäre *), in 3 Fällen werden 
die Umstände der Erwerbung^) mitbewußt. Bemerkt sei hier, daß 
von dem Bewußtsein der Greläufigkeit einer Lösung die bloße 
Sicherheit des Ablaufs wohl zu unterscheiden ist und auch von 
den Vpn. unterschieden wird*). Die Sicherheit, mit der die Re- 
produktion vor sich geht, kann an sich ebensogut durch die Ge- 
läufigkeit einer vom Reizwort ausgehenden Reproduktionstendenz 
bedingt sein und ist daher zimi Nachweis einer Wissensaktuali- 
sierung nicht geeignet. 
In den Fällen, in welchen das Protokoll keine Angaben ent- 
hält, die direkt auf eine Wissensaktualisierung hinweisen, geht 
übrigens die Wissensaktualisierung zum Teil doch indirekt aus 
den Aussagen der Vpn. hervor. So berichten die Vpn. häufig bei 
unmittelbaren Lösungen, daß das Reaktionswort „als Lösung" auf- 
trat oder mit dem „Bewußtsein der Richtigkeit" verbunden bezw. 
von ihm unmittelbar gefolgt war. In den in diesem Abschnitt 
angeführten Protokollen finden sich eine Reihe solcher Aussagen ^). 
In allen diesen Fällen besteht jedenfalls im Augenblick der Lösung 
oder im unmittelbaren Anschluß daran das Wissen, daß die Lösung 
der Aufgabe entspricht. Auch wenn man annehmen zu müssen 
glaubt, daß dieses Wissen im Bewußtsein nur durch ein charak- 
teristisches Gefühl repräsentiert sei, muß es doch bewußt oder 
unbewußt wirksam gewesen sein, um ein solches Gefühl auslösen 
zu können*). Es besteht daher nur die Möglichkeit, entweder 
anzunehmen, daß jenes Wissen erst durch eine im Laufe des Ver- 
suchs von der Vp. erworbene Erkenntnis entstanden sei, ohne daß 
dieser Neuerwerb der Vp. zu Bewußtsein gekommen ist, oder eine 
WiBsensaktuaUsierung zuzugeben. Für die letztere Annahme spricht 
') Gti S. 28, Es« S. 29, Dti S. 29, Diu S. 59, Ke S. 26, Ott S. 60. 
*) Dsi S.29, Dti S.66. 
Et« S. 29 (häufig zusammengenannt),^ Bit S. 29 (Redensart), Att S. 46. 
Vgl. Dit S. 27. 
•) Vgl. Et S.26, Eiti S.27, Gtt S.27, Hit S.27, D.t S. 28, Gt« S.46, 
Btt S.66, G« S.56, Ent S. 68. 
*) In ähnlicher Weise schließt Marbe auf die Wirksamkeit eines Wissens 
beim Verstehen ft^mder Urteilsäußerungen (R. Marbe, Experimentell-psycho- 
togische Untersuchungen Ober das Urteil, Leipzig 1901). 
Seit, über die Oewiae det geordneten DenkrerUnti. 4 
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60 Absduu L Die unoermitteiten Losungen ais WissensaktuaUsiemngen usw. 
namentlich auch die Leichtigkeit der betreffenden Aulgaben, bei 
denen das Vorhandensein eines der Au|gabe entsprechenden Wis- 
sens im allgemeinen vorausgesetzt werden darf'). 
§ 5. Gesetz des Zurücktretens derWissensaktualisiening 
im Bewußtsein bei wachsender Geläufigkeit des Wissens. 
Zu Gunsten der Ansicht, daß die unvermittelten Lösungen 
ohne nachweisbare Wissensaktualisierung und mit nachweisbarer 
Wissensaktualisierung nur verschiedene Formen sind, in denen 
ein und derselbe Prozeß sich im Bewußtsein kundgibt, kOnnen 
auch folgende beiden Protokolle angeführt werden. 
Nebenordnung? — Jagd. 
El Fischerei 9^'. Zunächst frappierte mich, daß die Aufgabe oben stand. 
Ich sah sehr bald, welches die Aufgabe war. Dann versuchte ich zu einem 
parallelen Begriff zu konmien, dachte zuerst, ich würde nichts finden, dann 
dachte ich, es gibt doch bei derartigen Begriffen Parallel- 
begriffe; ich meinte derartige Gegenüberstellungen wie Landwirtschaft imd 
Viehzucht, ohne daß ich an derartige Beispiele gedacht hätte. Dann ist mir 
plötzlich der Begriff Fischerei eingefallen, und ich habe das gesagt Es kam 
ganz plötzlich ohne jede Vermittlung. 
Es liegt hier eine sukzessive Wissensaktualisierung vor. Der 
Vp. fällt zuerst ein, daß „Jagd^ zu den Begriffen gehört, bei denen 
Gegenüberstellungen mit anderen Begriffen stattfinden. Die Aktu- 
alisierung dieses allgemeinen Wissens führt dann zur Aktualisierung 
des speziellen Wissens, daß die Fischerei ein solcher Begriff 
ist, den man der Jagd gegenüberzustellen pflegt. Im zweiten Teil 
des Prozesses tritt die Wissensaktualisierung nicht mehr als solche 
in der Selbstbeobachtimg der Vp. hervor. Sie ergibt sich aber 
aus der ersten Phase des Prozesses. 
Vergleichen wir nun mit diesem Versuch seine Wiederholung 
47« Monate später. 
E^T Fischerei 8,6''. [Am Anfang Störung durch Perseveration des voraus- 
gehenden Protokolls.] Hatte die Aufgabe gelesen, aber eigentlich nicht ver- 
standen, trotzdem kam ohne Pause „Fischerei", wohl mechanisch; dann las ich 
Nebenordnung, verstand nun die Aufgabe, damit sofort Bewußtsein der Richtig- 
keit und nachher auch Erinnerung, daß ich die Aufgabe früher gehabt und 
so gelöst hatte. 
Vgl. die Zusammenstellung unten S. 68. 
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5. Gesetz des Zurtuktretens der Wissensaktualisierung im Bewußtsein. 51 
Scheinbar liegt in dem zweiten Protokoll eine bloße Asso- 
ziation vor, die zuftllig mit der Aufgabe übereinstimmt. Es ist 
aber fiußerst unwahrscheinlich, daß durch den ersten Versuch eine 
so starke Assoziation zwischen Jagd und Fischerei gestiftet worden 
ist, daß ohne Rücksicht auf die Aufgabe wiederum Fischerei auf- 
trat Dem ersten Versuch war damals eine weitere Aufgabe mit 
„Jagd*^ als Reizwort unmittelbar gefolgt, welche durch die Asso- 
ziation mit Fischerei nicht im mindesten gestört wurde. Ebenso 
ist es unwahrscheinlich, daß die einfache Eonstellationswirkung 
der vor 4'/« Monaten mit dem Worte „Fischerei" durch Berührungs- 
assoziation verbundenen Worte „Jagd" und „Nebenordnung" den 
Erfolg herbeigeführt hat. Die Tatsache, daß auch in einer Reihe 
anderer Fälle bei der Wiederfiolung derselbe Verlauf in verein- 
fachter Form wiederkehrte 0, berechtigt vielmehr zu einer anderen 
Erklärung. Durch die frühere Lösung hat offenbar das Wissen, 
daß der Jagd die Fischerei nebengeordnet ist, einen so hohen 
Grad der Geläufigkeit erlangt, daß auch schon ein oberflächliches 
Au^abeverständnis zu einer scheinbar sich rein assoziativ an- 
schließenden richtigen Reaktion führt. Die erste Phase des Pro- 
zesses aus dem früheren Versuch ist vollkommen ausgefallen. Daß 
ein Wissen durch den einzigen Versuch eine so hohe Greläufigkeit 
erlangen konnte, ist bei dem außerordentlich hohen Einprägungs- 
wert, den auch die Neustiftung von Beziehungsganzen besitzt, 
nicht sehr verwunderlich*). Die am Beginn des Versuchs vor- 
handene Zerstreutheit macht es begreiflich, 'daß die Vp. nach dem 
innerlichen Aussprechen von Fischerei glaubte, die Aui^;abe noch 
gar nicht verstanden zu haben. Vergleichen wir das Protokoll 
dieses Versuchs mit den Protokollen der früher angeführten un- 
vermittelten Lösungen Est (2,2'0 S. 27 und H'so (trotz anfänglichen 
Verlesens nur 2,6") S. 46, so finden wir eine vollständige Überein- 
stimmung. In allen drei Fällen wird das mechanische Auftreten 
des Reizwortes besonders hervorgehoben und konstatiert, daß erst 
in der Nachperiode ein Bewußtsein der Richtigkeit bezw. der 
Losung sich anschloß. Bei der Jagdaufgabe konnten wir, weil es 
*) Vgl oben S.28f., 31 f. 
Vgl. namentlich Bühler, Archiv f. d. ges. Psychol. 12. S. 28f.; ferner 
A. Balaban, Über den Unterschied des logischen und mechanischen Gedächt- 
nisses, Zeitschr. f. Psychol. 56. 8.360 ff. 
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62 Absdm, J, Die unvermittelten Lösungen als Wiasensaktuaiisierungen usw. 
sich um einen Wiederholungsversuch handelt, mit Hilfe des Proto- 
kolls des früheren Versuchs eine Wissensaktualisierung mit ziem- 
licher Sicherheit nachweisen. In den beiden anderen F^en fehlt 
uns eine solche Handhabe. Wir dürfen jedoch annehmen, daß 
hier die Praxis des Lebens dieselbe Rolle spielte wie bei der 
Jagdaufgabe der vorangegangene Versuch, nämlich die Herstellung 
eines geläufigen Wissens von dem betreffenden Sachverhältnis. 
Daß der Tiger ein Raubtier, und daß der Haß eine „Empfindung^ 
ist, sind aus dem Leben geläufige Begriffseinordnungen. In allen 
drei Protokollen kommt das uns schon entgegengetretene Gesetz 
zum Ausdruck^), daß unter den Bedingungen des Re- 
aktionsversuchs bei wachsender Geläufigkeit, von 
besonderen Umständen abgesehen, die Wissensaktua- 
lisierung im Bewußtsein zurücktritt Dieses Gesetz er- 
möglicht es uns auch, die von Watt gefundene Tatsache zu er- 
klären, daß die Fälle, in denen nach dem Reizwort nichts konstatiert 
werden konnte als das Reaktionswort (Ao- Fälle), die kürzesten 
Reaktionszeiten ergaben'). Auf Grund der vorausgegangenen 
Analyse, die im folgenden noch bestätigt werden wird, dürfen wir 
annehmen, daß solche vOllig unvermittelten Lösungen in Versuchen 
von der Art der Watt'schen meist Wissensaktualisierungen sind. 
Daß diese Wissensaktualisierungen aber im Bewußtsein nicht her- 
vortreten, bedeutet nach dem obigen Gresetz, daß es sich um die 
ungehemmte Aktualisierung eines geläufigen Wissens handelt. Hier- 
aus wird dann die Kürze der Reaktionszeiten verständlich. 
Wir geben im folgenden 8 sehr gut übereinstimmende Proto- 
kolle desselben Versuchs wieder, bei denen ebenfalls eine Wissens- 
aktualisierung nicht direkt aus der Selbstbeobachtung der Vpn. 
nachweisbar ist, aber doch iudirekt aus ihren Angaben hervorgeht. 
Fieber — Oberordnung? 
Gtt Krankheit 2,2^'. Ganz ohne meine Beteiligung kam nach dem Vei> 
stfindnis der Aufgabe nach einer momentanen Pause, die aber nicht so lang 
war, daß ich über die Aufgabe hätte weiter nachdenken kOnnen, unmittdbar 
das Reaktionswort mit Beziehung zur Aufgabe. Es kam nicht als 
etwas von mir Gefundenes, sondern wie eine Eingebung. 
Btt Krankheit [sehr kurze R. Z.]. Wiederum sofort das Verständnis; dann 
das Bewußtsein, das muß etwas ganz Leichtes sein; dann mit einem sym- 
^ Si^e oben S.48f. 
•) Watt S.306flf. 
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5. Gesetz des Zurüdttretens der WissensafctualisUnmg im Bewußtsein. 68 
Indischen Seitenblick, als wenn es sich nur darum handelte, das gerade auf- 
zuraffen, Krankheit 
Ät4 Krankheit 2"'. Nach etwas Unbeschreiblichem auf optischem Gebiet 
trat optisch das Wort Krankheit sinnvoll auf, dann innerlich gesprochen: 
Fieber ist eine Krankheit; dann reagiert 
Der Anschein einer Reproduktion auf Grund einer Berührungs- 
assoziation zwischen Reiz- und Reaktionswort ist am stärksten 
bei G. Wir haben das Bild einer völligen Inaktivität ^). Immer- 
hin sahen wir früher bei derselben Vp. eine nachweisbare Wissens- 
aktualisierung durch einen ähnlichen Elindruck des Einfallens im 
Gegensatz zum aktiven Finden einer Lösung gekennzeichnet'). 
Nur war dort ein Suchen vorausgegangen. Daß aber die Reaktion 
nicht auf einer Berührungsassoziation zwischen Reiz- imd Reaktions- 
wort beruhen kann, geht daraus hervor, daß das Reaktionswort 
„mit Beziehung zur Aufgabe*^ auftrat. Es besteht also bei seinem 
Auftreten das Bewußtsein, daß es in dem durch die Aufgabe ge- 
forderten Sachverhältnis der Überordnimg zum Reizwort steht. 
Daß dieses Wissen aber nicht ein neuerworbenes ist, dafür spricht 
wieder gerade der Charakter der Eingebung, den das Auftreten 
des Reaktionswortes trägt, sowie die mit der kurzen Reaktionszeit 
im Einklänge stehende Angabe der Vp., daß die Reaktion kam, 
ehe sie weiter über die Aufgabe nachdenken konnte. Das Vor- 
liegen einer Wissensaktualisierung läßt sich also hier mit ziem- 
licher Sicherheit indirekt nachweisen. Das gleiche ist bei Vp. B 
der Fall. Hier deutet das Bewußtsein der Leichtigkeit, 
das uns früher schon einmal in einer sonst unvermittelten Lösung 
mit sehr kurzer Reaktionszeit entgegengetreten ist^), auf das Vor- 
handensein einer Wissensaktualisierung hin. Das Bewußtsein der 
Leichtigkeit könnte allerdings auch durch die leichte Möglichkeit 
der Auffindung einer Lösung mittelst geläufiger Methoden bedingt 
sein. Im vorliegenden Fall sprechen aber verschiedene Gründe 
für die Annahme, daß es durch die Geläufigkeit eines Wissens 
') Wir schlagen die Bezeichnung „Inaktivität** für derartige Zustande 
vor, um sie, wie Michotte mit Recht fordert, von den Zuständen der Passivität 
im Sinne eines leidenden Verhaltens, einer inneren Nötigung zu unterscheiden. 
VergL Michotte et PrOm, Sur le choix volontaire. Note compltoentaire par 
Michotte, S. dOZf. 
•) S.82f. 
•) E? S. 27. 
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54 Absdm, L Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisierungen usw. 
hervorgerufen ist. Zunächst wird das 8}rmbolische Erlebnis des 
Aufraffens von etwas schon Bereitliegendem durch diese Deutung 
am besten verständlich. Dann ist nach der Art der Au^abe und 
ihrer Lösimg das Vorhandensein eines der Aufgabe entsprechen- 
den Wissens sehr wahrscheinlich 0- Die Auffassung des Fiebers 
als Krankheit ist gerade die vulgäre. Außerdem ergibt sich das 
Vorliegen einer Wissensaktualisierung aus dem Zusammenhalt mit 
den beiden anderen Protokollen desselben Versuchs. 
Wenn diese Auslegung richtig ist, so stellt das Bewußtsein 
der Leichtigkeit die Bewußtseinsrepräsentation eines nicht voll- 
ständig zur Entwicklung gelangten Prozesses dar, den wir früher 
in voller Entwicklung kennen gelernt haben. Es liegt ihm die 
Aktualisierung des Wissens von einem der Aufgabe entsprechen- 
den geläufigen Wissensbesitz zugrunde. Die Reaktion schließt 
sich so rasch an, daß das Wissen, eine Lösung zu kennen, nicht 
voll aktualisiert wird wie in den früheren Fällen. Wenigstens 
entzieht es sich der Selbstbeobachtimg der Vp. Es äußert sich 
jedoch mittelbar im Bewußtsein dadurch, daß es das Bewußtsein 
der Leichtigkeit hervorruft. Übereinstimmend fanden Michotte 
und Prüm, daß bei zunehmender Übimg der Vpn. die Leichtig- 
keit einer Rechenoperation als Motiv der Wahl auftrat, ohne daß 
ein Bewußtsein von der Grundlage, auf der dieses Motiv sich 
aufbaute, nachweisbar war^. Ob man sich das Bewußtsein der 
Leichtigkeit anschaulich, emotional oder unanschaulich denkt, ist 
hier von untergeordneter Bedeutimg. Li allen drei Fällen wird 
man zu der Annahme gedrängt, daß es der latenten Aktualisierung 
des Wissens von einem geläufigen Wissensbesitz seine Entstehung 
verdankt. Derartige Fälle, in denen ein Bewußtsein der Leichtig- 
keit der Lösung vorausgeht, stellen demnach Grenzfillle zwischen 
der sukzessiven imd der unmittelbaren Wissensaktualisierung dar. 
Die Aktualisierung des abstrakten Wissens, eine der Aufgabe ent- 
sprechende geläufige Lösung zu kennen, die jedoch ihrem kon- 
kreten Lihalte nach noch nicht gegenwärtig ist, geht zwar in 
') Dieser Grund im Zusammenhalt mit der sehr kurzen Reaktionsz^t 
berechtigt auch bei dem in der vorigen Anmerkung zitierten Versuch dazu, 
das Bewußtsein der Leichtigkeit zum indirekten Nachweis einer Wissens- 
aktualisierung zu verwenden. 
■) a. a. O. S. 226. 
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5. Gesetz de» ZurüdUretens der Wissensaktualisienmg im Bewußtsein, 56 
rudimentärer Weise der Lösung voraus. Sie kommt aber als 
solche infolge des raschen Anschlusses der Lösung nicht nach- 
weisbar zum Bewußtsein, sondern äußert sich nur mittelbar in 
dem der Lösung vorausgehenden Bewußtsein der Leichtigkeit. 
Im voiliegenden Falle ist sie auch noch durch das sjnnboUsche 
Erlebnis des Aufraffens von etwas Bereitliegendem im Bewußt- 
sein repiiteentiert 0* 
Bei Vp. A fehlt im Einklang mit der sehr kurzen Reaktions- 
zeit vor dem Auftreten des Reaktionswortes durch inneres Sprechen 
jedes auf eine Wissensaktualisierung hindeutende Erlebnis. Da- 
gegen enthält der im unmittelbaren Anschluß an das innere 
Sprechen formulierte Satz „Fieber ist eine Krankheit** einen Hin- 
weis auf das Vorliegen einer Wissensaktualisierung. Die Vpn. 
bedienten sich auch sonst bei der Au^;abe „Überordnung** solcher 
Istsätze, um das Verhältnis von Reiz- imd Reaktionswort aus- 
zudrücken. Daß der Satz hier zwischen das innere und äußere 
Aussprechen des Reaktionswortes eingeschoben ist, zeigt seinen 
EontroUzweck an"). Die Möglichkeit des sinnvollen Vollzugs des 
Satzes bietet der Vp. die Gewähr für die Richtigkeit der Lösung. 
Sinnvoll aber wird die Formulierung nur durch die mit ihr ver- 
bimdene Gegenwart des Wissens von einem ihr entsprechenden 
BegrifPsverhältnis. Wir werden daher annehmen dürfen, daß die 
Aktualisierung dieses Wissens schon dem ersten Auftreten des 
Reaktionswortes irgendwie zugrunde liegt. Alle drei Protokolle, 
sowie die Reaktionszeiten bestätigen die Annahme eines gesetz- 
mäßigen Zusammenhanges zwischen der Geläufigkeit eines Wissens 
und dem Zurücktreten der Wissensaktualisierung im Bewußtsein*). 
Vg^ Eist S. 88 die analoge Aussage bei einer direkt nachweisbaren 
sukzessiven Wissensaktualisierung: „Es war bereitgestellt, ich brauchte es 
sozusagen nur zu nehmen.*' Siehe femer unten S. 61. 
*) Solche Kontrollsatze sind auch sonst wiederholt vorgekommen; so gab 
z. B. Vp. G bei der Aufgabe Mauer — Teil an, daß sie die zuerst auf optischem 
Weg gefundene Lösung „Stein** durch den Satz kontrolliert habe: Der Stein 
ist ein Teil der Mauer. 
*) Vgl. auch die indirekt nachweisbare Wissensaktualisierung Ott S. 27, 
femer die Protokolle zum Versuch Erregung — Gegensatz S. 58 ff. 
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66 Absdm. L Die umfemUtUUen Lösungen als Wissensaktaalisieningen usw. 
§ 6. Beispiele für graduelle Unterschiede in der Aus- 
prägung der Wissensaktualisierung im Bewußtsein. 
Die sechs folgenden Protokolle enthalten dem Sume nach 
ziemlich übereinstimmende Lösungen derselben Aufgabe. Ihre 
Zusammenstellung ist dadurch wertvoll, daß sie alle Stufen der 
Nachweisbarkeit einer Wissensaktualisierung umfassen. Wir finden 
nebeneinander zwei aus dem Protokoll überhaupt nicht nachweis- 
bare Wissensaktualisierungen, zwei indirekt nachweisbare und eine 
an der Grenze der direkten Nachweisbarkeit stehende unmittel- 
bare Wissensaktualisierung (Dsq), aber auch eine deutlich nach- 
weisbare sukzessive Wissensaktualisierung. 
Schuld — Folge? 
H'tt Strafe 3,6". Sofort die Aufgabe verstanden. Es fiel mir optisch 
und akustisch „Strafe*" ein, natürlich auch der Sinn. War versucht, mit ja 
zu reagieren, drftngte die Reaktion zurück und antwortete Strafe. Sonst kein 
Zwischenerlebnis. 
Dtt Strafe 3,2". Gelesen und ein bißchen dabei verweilt, es kam sehr 
schnell „Strafe** (gleich laut) und zwar der Sinn voraxis. Ich habe es so ge- 
faßt, wie man es etwa in der Ethik als zusammenhängend faßt 
Dadurch, daß hier das Bewußtsein von der Sphäre mit- 
reproduziert wird, in der die durch die Aufgabe geforderte Be- 
ziehung zwischen Reiz- und Reaktionswort besteht, wird die un- 
mittelbare Wissensaktualisierung als solche erkennbar. Es kommt 
der Vp. zu Bewußtsein, daß das Reaktionswort nicht völlig be- 
ziehungslos auftritt, sondern aus der Aktualisierung des der Ethik 
entstammenden Wissens hervorgeht, daß die Strafe die (zu postu- 
lierende) Folge der Schuld ist. 
Bsf Haft [d. i. Strafhaft] 8,8". Sofort kam mir zum Bewußtsein, 
daß diese Folge nicht logisch gemeint sei, sondern sachlich 
und zeitlich. Dann einen Moment Pause, eine Leere, mit Erwartung aus- 
gefällt. Dann kam Haft (ak.-mot.) von selbst, mit dem Bewußtsein, das 
ist das richtige und sogleich mit dem Bewußtsein, es ist eine 
mögliche Folge. 
Q* Strafe 6,8". Es dauerte diesmal beträchtig länger, bis die Aufgabe 
verstanden wurde, nämlich was für einen Sinn das Wort »Folge** hatte. Wenn 
ich mich recht erinnere, kehrte ich dann nochmals zum ersten Worte zurQck 
imd durch nochmalige Verbindung der beiden Worte ergab sich 
dann das Erfassen des Sinnes der Aufgabe, daß wahrschein- 
lich eine sachliche Folge der Schuld gemeint sei. Anschauliche 
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6, Beispiele für graduelle Unterschiede, 57 
Erlebnisse sind ausgeschlossen, auch Worte außer den beiden Worten des 
Versuchs nicht vorhanden. Dachte dann darüber nach, was itLr Folgen die 
Schuld haben könnte. Dieser Gedanke war sicher da; dunkle Wortvorstellungen. 
Dann kam das Wort Strafe als Lösung; wieder ganz kurze Kontrolle und 
dann ausgesprochen. 
In diesen beiden Protokollen wird schon das Verständnis des 
Sinnes der Aufgabe im speziellen Fall durch eine aus den Aus- 
sagen der Vpn. indirekt hervorgehende Wissensaktualisierung ver- 
mittelt. Die Vpn. wissen, daß in Fällen wie dem vorliegenden 
das Wort Folge in sachlicher Bedeutung zu verstehen ist. Erst 
nach dieser Klärung des Verständnisses der Aufgabe stellt sich 
bei B nach einer Pause, bei O auf Besinnen nach einer sach- 
lichen Folge der Schuld unvermittelt das Reaktionswort ein. Aus 
dem Bewußtsein der Richtigkeit beim Auftreten bezw. aus dem 
Auftreten als Lösung geht aber indirekt die Wissensaktualisierung 
hervor. Ebenso deutet bei B das Bewußtsein, es handle sich um 
eine mögliche Folge der Schuld, auf die Aktualisierung vorhan- 
denen Wissens hin^). 
Csft Verurteilung 5,4''. Sogleich ein Wissen, daß das, was ich 
zu antworten habe, etwas mit dem Gericht zu tun habe. Ich 
suchte etwas Kriminelles, was auf ein Vergehen tolgt Die 
Lösung bewegte sich in Richtung auf den Begriff Strafe als Vergeltimg ftlr 
die Schuld. Es kam aber nicht das Wort Strafe, sondern Verurteilung (opt.) 
als Benennung der Folge der Schuld, durch welche sie ge- 
sühnt wird. 
Wir haben hier ein gutes Beispiel einer sukzessiven Wissens- 
aktualisierung. Die Aktualisierung des allgemeineren Wissens, 
daß die Folge der Schuld etwas sei, was mit dem Gericht zu tun 
habe, geht voraus und führt erst durch weiteres Suchen nach dem 
mit dem Gericht Zusanmienhängenden, das auf ein Vergehen folgt, 
zur Lösung. Das Reaktionswort tritt hierbei nicht beziehungslos 
auf, sondern mit dem Bewußtsein, daß es die Folge der Schuld 
bezeichnet. Ein ganz ähnlicher Prozeß scheint dem folgenden 
Protokoll zugrunde zu liegen. 
Est Strafe 2,8''. Ich habe die Aufgabe sofort verstanden; dann fiel mir 
zuerst ein, ganz begriffhch ohne Worte: Gericht Ich glaube allerdings nach 
^) Bemerkenswert ist die gute Übereinstinunung zwischen den Angaben 
von B und G über die Dauer der einzelnen Phasen mit dem Unterschied ihrer 
Reaktionszeiten. 
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66 Absdm, I. Die unvermUUUen Lösungen als WissensaktuaüMerungen usm. 
der begrifflichen Einstellung auf Gericht einen kurzen Augenblick einen Gerichts- 
saal vorgestellt zu haben. Dann kam sofort das Wort «»Strafe** mit Bedeutungs- 
bewußtsein. 
Daß die Wissensaktualisiening sich nicht als solche zu er- 
kennen gibt, steht im Einklang mit ^iner allgemeinen Eigentüm- 
lichkeit dieser Vp., daß ihr die Beziehungen zwischen Aufgabe 
und Lösung und zwischen den einzehien Ll5sungsphasen häufig 
nicht zu Bewußtsein kommen, obwohl der Verlauf oft ohne die 
Annahme der Wirksamkeit solcher Beziehungen gänzhch unver- 
ständlich bleiben wttrde '). Außerdem macht die unverhältnismäßig 
größere Schnelligkeit des Prozesses gegenüber G den in Rede 
stehenden Unterschied begreiflich. 
Auch die nächste Gruppe von Protokollen zeigt 5 Wissens- 
aktualisierungen in den verschiedenen Stufen der Nachweisbarkeit. 
Es sind alle Protokolle der Hauptinstruktion mitgeteilt 
Erregung — Gegensatz? 
Aiit Beruhigung d"'. Ich las gleich hintereinander Reizwort und Aufgabe 
mit allgemeinem Verständnis. Danach sah ich „Erregung^ nochmals in Schreib- 
maschinenschrift inneiüch vor mir mit Bewußtsein der Bedeutung, aber ohne 
Anschauungsbild; ebenso darauf das Wort Gegensatz mit Beziehung auf 
Erregung. Gleich darauf kam ganz blitzartig das Wort Beruhigung 
ohne irgend welche andere Vermittlung. Es tauchte lediglich in der Schreib- 
maschinenschrift auf. Es war wie eine plötzliche Exposition, wie automatisch 
auf das volle Verständnis von G^;ensatz hin. Ich war mehr passiv dabei. 
Auch etwas Überraschung Ober das rasche Erscheinen. 
Nur die Angabe, daß beim Verständnis die Aufgabe „Gegen- 
satz" auf „Erregung" bezogen wurde, weist ^darauf hin, daß es 
sich nicht um eine bloße Eonstellationswirkung der Aufgabe einer- 
seits und isolierter vom Reizwort ausgehender Reproduktions- 
tendenzen andererseits handelt'). 
Eilt Beruhigung 4,6". Gelesen und verstanden. Dann kam ohne Ver- 
mittlung Beruhigung als Lösung der Aufgabe. Dann habe ich mir die 
Sache noch einmal ganz ruhig überdacht: Ist es auch richtig, daß Erregung 
Gegensatz von Beruhigung ist? Ich kam zu dem Resultat, daß es richtig ist 
Das Auftreten als Lösung deutet auf eine Wissensaktualisierung 
hin. Das Fehlen von Erlebnissen, die auf den Neuerwerb einer 
*) Vgl. auch schon oben S. 50. 
^ Von der Bedeutung dieser Einheitsbildung aus Aufgabe und Reizwort 
wird im zweiten und dritten Abschnitt zu reden sein. VgL auch schon oben 
Bts und G4 S. 66. 
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6, Beispiele für graduelle Untersdiiede, 59 
Erkenntnis hindeuten, bei der Kontrolle spricht dafür, daß auch 
sie in der Klärung eines schon vorhandenen Wissens besteht. Die 
lange Reaktionszeit ist offenbar durch die Kontrolle herbeigeführt. 
Diit Beruhigung 8,2^'. Gelesen. Ohne irgend eine Vorstellung oder ein 
Geftihl wurde das Wort Erregung aufgefaßt, und wurde auch noch sinnvoller, 
als icb bei ihm blieb, sinnvoller insofern, als es in eine bestimmte Sphäre 
ging, nämlich in die Psychologie, was ohne Worte bewußt war. Dann kam 
als etwas Geläufiges das Wort Beruhigung. 
Die Wissensaktualisierung ist hier durch das Auftreten des 
Reaktionswortes „als etwas Geläufiges^ direkt nachweisbar. Die 
Entwicklung des Bedeutungsbewußtseins des Reizwortes, durch 
welches es den Charakter eines der psychologi3chen Sphäre an- 
gehOrigen Wortes erlangt, entMlt vielleicht schon den Ansatz zu 
einer sukzessiven Wissensaktualisierung, doch geht das aus 
dem Protokoll nicht hervor. 
Biff Beruhigung 2,6^'. Beim Worte Erregung sofort gedacht an die 
Wundtsche GefQhlstheorie. Der Name Wundt klang dabei so inneiiich mit, 
sonst sicher ohne Anschauung. Wie ich [sc. beim Lesen] zu dem Worte Gegen- 
satz kam, brauchte ich nur zu suchen nach dem Worte, das in der 
Wundtschen Gefühlstheorie den Gegensatz bildet Außerdem 
klang noch etwas an, wie das Wort Spannung, das lag aber nicht in der 
Richtung des Versuchs, sondern nur neb^ibei 
Wir haben hier eine ausgesprochene sukzessive Wissens- 
aktualisierung. Das Wort Erregung allein schon hatte die Er- 
innerung an die Wundtsche Gefühlstheorie wachgerufen. Als das 
Wort Gegensatz erkannt wurde, stellte sich daher ohne weiteres 
das Bewußtsein ein, daß der bekannte Gegensatz aus dieser Ge- 
fühlstheorie anzugeben sei. Dieser wird dann aktiv herbeigeholt. 
Der Verlauf ist also ein ganz ähnlicher wie bei G im Versuch 
Schuld-Folge. Wie dort die gesuchte Folge schon in der ersten 
Phase indirekt näher bestimmt ist als etwas, was mit dem Gericht 
zu tun hat, so ist hier der Gegensatz zu Erregung durch die 
Beziehung zu der Wundtschen Gefühlstheorie iudirekt näher be- 
stimmt. Die direkte Bestimmung des Gesuchten erfolgt dann in 
beiden Fällen durch einen aktiven Appell an das Gedächtnis. 
Denselben Prozeß wie bei B finden wir in rudimentärer Form 
im folgenden Protokoll wieder. Die erste Phase des Prozesses 
ist hier durch ein „Gefühl" der Bekanntheit im Bewußtsein re- 
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60 Absdin, 1, Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktuaiisierungen usw. 
präsentiert. Erst nachtraglich kommt die Ghrundlage des „Ge-^ 
fOhls'^, die in der Wundtschen Geftthlstheorie zu suchen ist, zu 
bewußter Entwicklung, 
Gif Beruhigung 2,6''. Ich hatte lehhaftes GeitÜü der Bekanntheit, und 
Beruhigung kam dann aus dem GeitÜü der Bekanntheit heraus. Was eigent- 
Hch bekannt war, war, wenn ich mich nicht irre, während des Erlebnisses 
nicht gegenwärtig, jedoch spätestens bei Vollendung der Reaktion war ein 
leiser Zweifel, ob nicht „LOsung** die richtige Reaktion ist, das Wort LGsung 
war da. Das Ganze orientierte sich dann schließlich an wohlgeläufigen Gefühls- 
gegensätzen. Hieraus glaube ichschließenzu dürfen, daß sie schon während 
des Erlebnisses tangiert waren. 
Wie früher das Bewußtsein der Leichtigkeit, so stellt auch 
das der Ltfsung vorausgehende „Gefühl*^ der Bekanntheit einen 
Grenzfall zwischen sukzessiver und unmittelbarer Wissensaktuali- 
sierung dar. Im Bewußtsein der Bekanntheit tritt jedoch die 
Aktualisierung des Wissens, eine Ltfsung der Aufgabe zu kennen^ 
schon etwas deutlicher hervor. Wir dürfen daher derartige Pro- 
zesse noch zu den nachweisbaren Fällen sukzessiver Wissens- 
aktualisierung rechnen. Ob das Bewußtsein der Bekanntheit 
wirklich ein Gefühl ist, oder welcher Kategorie von Bewußtseins- 
erlebnissen es sonst angehören mag, ist hier ebenso relativ gleich- 
gültig wie oben dieselbe Frage bezügUch des Bewußtseins der 
Leichtigkeit. 
§ 7. Fälle, in denen der vorherige Erwerb bezw. die 
Bereitstellung des aktualisierten Wissens nachweisbar ist. 
Zum Schluß ist noch eine Gruppe von Fällen zu erwähnen^ 
in denen die vorherige Erwerbung, bezw. Bereitstellung des 
aktualisierten Wissens durch die Selbstbeobachtung der Vpn. zu 
einem vorhergehenden Versuch selbst wieder nachgewiesen werden 
kann. Es sind die Fälle, in denen die Reaktion auf der Wieder- 
verwendung der schon in einem früheren Versuch aufgetretenen 
Ltfsung einer ähnlichen Aufgabe beruht. In derartigen Fällen 
pflegt sich zimächst das Wissen zu aktualisieren, daß eine der 
Aufgabe entsprechende Lösung schon aus dem früheren Versuch 
bekannt sei, worauf in einem zweiten Akt des aktiven Zurttck- 
greifens darauf die Reproduktion dieser Ltfsung erfolgt Wir 
geben ein Beispiel: 
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7. FäUe, in denen der vorherige Erwerb usw, 61 
Gottesdienst — anderer Teil ? [Vorausgegangen war Gottesdienst — Teil ?]. 
D« Opfer 4,8". . . . Wußte, daß ich die Lösung der Aufgabe 
schon parat hatte. Das hatte sich mir vorher ip der Nachperiode auf- 
gedrängt Ich griff da rauf zurück und reproduzierte es^. 
Denselben Prozeß finden wir in der rudimentären Form eines 
der Lösung vorausgehenden, mit dem AflFekt der Freude ver- 
bundenen Bewußtseins der Leichtigkeit bei einer anderen Vp.: 
H*4 Wandlung 2,8". Eindruck, das Ganze mit einem Blick gelesen zu 
haben, freudige Überraschung, daß die Aufgabe so leicht sei, ak.-mot und 
opt, „Opferung —Wandlung*" hintereinander. Dann Wandlung ausgesprochen. 
Darin, daß die Aufgabe so leicht erschien, lag die Erinnerung, daß Ähnliches 
in der vorigen Aufgabe vorgekonmien sei. 
Aus dem früher (S. 32) mitgeteilten Protokoll des voraus- 
gegangenen Versuchs (R. Z. 5,4") geht hervor, daß die Vp. die 
Aktualisierung ihres Wissens von den drei Teilen des Gottes- 
dienstes wieder von vom anfängt und diesmal die Bezeichnung 
des zweiten ausspricht. Bei der zweiten Wiederkehr der Auf- 
gabe „anderer Teil*^ ist die Aktualisierung eines bereitgestellten 
Wissens nur mehr aus der Wiederbenützung der auswendig ge- 
lernten Reihenfolge der drei Teile und der dunklen Beziehung 
auf die frühere Aufgabe zu erkennen. Im übrigen macht der 
Prozeß denselben automatischen Eindruck, wie bei den imver- 
mittelten Lösungen, bei denen eine Wissensaktualisierung über- 
haupt aus den Protokollen nicht nachweisbar ist. 
H«» Kommunion 2,6". Las instruktionsgemftß. Erkannte unmittelbar den 
Sinn der Frage. Abstrakte Vorstellung „Opferung — Wandlung — Kommunion** ; 
dabei keine Worte, aber die Vorstellung einer Blickrichtung von links nach 
rechts Ober drei Perioden weg. Es ist das etwas Anschauliches. Dabei un- 
deutliches Wiedererkennen der einzelnen Teile mit Beziehung auf die vorige 
Aufgabe. All das ist sicher. Sprach dann mechanisch laut Kommunion aus. 
Wir führen noch ein letztes Beispiel aus dieser Gruppe an, 
um nochmals darauf hinzuweisen, daß das Fehlen von Vorstellungen 
nicht dahin gedeutet werden darf, daß es sich nicht um die 
Aktualisierung von Wissenskomplexen handle, sondern daß eine 
bloße Reproduktion von Wortkomplexen vorUege*). Auf die Auf- 
gabe „Nagel — Überordnung?" mit der Reaktion „Gegenstand 
zum Befestigen'^ folgte folgende Aufgabe: 
') Vgl oben S. 28 den ahnlichen Prozeß beim zweiten Wiederholungs- 
versuch von A. 
*) Vg^ oben S. 42 und die dort angefahrten Stellen. 
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62 Absdui, /. Die anvermitUlten Lösungen als Xflssensaktuaiisierungen usw, 
Nagel — Zweck? 
A»e festhalten 8^. »Nagel** kam mir sofort bekamit vor, wollte dann 
die Aufgabe Zweck lösen; hatte hierauf den Gedanken, daß ich es in 
der vorigen Aufgabe schon mitgelOst hfttte. Ich wollte schon so- 
fort „festhalten "* sagen, aber zur Vorsicht verdeutlichte ich mir die Sache noch 
anschaulich an der Vorstellung einer ebensolchen Kiste, wie ich sie im vorigen 
Versuch zur Lösung benutzte. 
Das Wort Zweck war weder im vorhergehenden Versuch 
noch im Protokoll gebraucht worden, wohl aber hatte sich die 
Vp. dem Sinne nach auf den Zweck des Nagels gerichtet und 
dies im Protokoll dadurch wiedergegeben, daß an der von ihr 
erzeugten Vorstellung die „Funktion^ des Nagels beachtet wurde. 
Der im ersten Versuch noch nicht völlig bestimmten Richtung 
auf den Zweck des Nagels entspricht es auch, daß die Vp. erst 
noch unter Zuhilfenahme der Anschauung nachkontrolliert, ob das 
Festhalten wirklich der Zweck des Nagels sei. Wie schon die 
früher angeführten Fälle, so zeigt auch dieses Protokoll, daß bei 
der Aktualisierung früherer Wissenskomplexe sowohl die gegen- 
wärtigen durch Aufgabe und Reizwort gegebenen Wortzusammen- 
hänge als der Zusammenhang der bei der Erwerbung des Wissens 
gebrauchten Worte nicht von ausschlaggebender Bedeutung sind, 
daß es vielmehr auf die Bedeutungszusammenhänge ankonmit. 
Nur hierdurch wird es auch verständlich, daß die Bezeichnung 
der durch die Aufgabe geforderten Beziehung zwischen Reiz- und 
Reaktionswort durch logische termini wie Überordnung und Neben- 
ordnung die Aktualisierung von Wissenskomplexen herbeiführen 
konnte, bei deren Erwerbung diese logischen termini aller Wahr- 
scheinhchkeit nach meistens nicht zur Anwendung gekommen 
waren. 
§ 8. Bedingungen und Funktion der sukzessiven Wissens- 
aktualisierung. 
Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die Ergebnisse der Analyse 
der in diesem Abschnitt angeführten Protokolle. Die erste Kolumne 
enthält die nachweisbaren sukzessiven Wissensaktualisierungen, die 
zweite die aus dem Protokoll direkt nachweisbaren, die dritte die 
aus dem Protokoll wenigstens indirekt nachweisbaren unmittelbaren 
Wissensaktualisierungen, die vierte die unvermittelten Lösungen, bei 
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8. Bedingungen und Funktion dir sukzessiven Wissensaktualisierung. 63 
Tat 
»eile 
2. 
Aufgab« 
■nlueMiTe W. 
dlnkt nmehwei»- 
bare niuiiil««!- 
bu«W. 
anTCnnittcIte 
Utmugan mit 
Indlrakt nseh- 
w«Ub. W. 
anTennittelte 
liOranc«!! ohn« 
luohwelabknW. 
1. 
Tod 
Nebenordnung? 
A 
E 
2,8 
2,6 
G 
B 
4,4 
H» 
D 
2,4 
6,4 
K 
2,6 
2. 
Tod 
Nebenordnung? 
W.-Versuche 
A 
2,2 
1,8 
E 
D 
2,6 
2,4 
3. 
Haß 
tJberordnung? 
E 
4,6 
A 
4,6 
G 
3 
H» 
D 
2,6 
3,4 
4. 
Schuld 
Folge? 
C 
(E 
6,4 
2,8) 
D 
3^ 
B 
G 
3,8 
6,8 
H« 
3,6 
6. 
Erregung 
Gegensatz? 
B 
G 
2,6 
2,6 
D 
3,2 
E 
4,6 
A 
3 
6. 
Wirkung? 
Biß 
B 
K 
8 
E 
3,6 
H« 
C 
2,2 
63 
7. 
Wahlrecht 
2 Hauptarten? 
B 
G 
E 
A 
D 
H 
6,2 
r 
3 
14,8 
7ß 
a 
Fieber 
Überordnung? 
G 
B 
A 
2^ 
2 
9. 
Ganzes? 
Docht 
E 
2 
G 
2,2 
10. 
Ein Verkehrs- 
mittel? 
G 
2,8 
D 
.i,8 
11. 
Nebenordnung? 
Jagd 
E 
9 
12. 
dass. Wiederh. 
E 
3,6 
13. 
Baum 
Teil? 
E 
1,8 
14. 
Überordnung? 
E 
2,2 
16. 
Pfarrer 
Nebenordnung? 
A 
2,4 
16. 
Arbeit 
3fache Bedeutung ? 
G 
16,6 
17. 
Gottesdienst 
Teil? 
H» 
5,4 
la 
Gottesdienst 
andrer Teil? 
D 
4y8 
Hu 
H». 
2,8 
2,6 
19. 
Nage) 
Zweck? 
A 
3^ 
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Google 
6^ Ähsdui. L Die unvenrnäelten Lösungen als Wissensaläualisiemngen usw. 
welchen eine Wissensaktualisierung aus dem Protokoll nicht 
nachweisbar ist. Aus der Tabelle ist die Verteilung auf diese vier 
Gruppen nach Aufgaben, Vpn. und Reaktionszeiten zu ersehen. 
Die Fälle, in denen der Reaktion nur ein Bewußtsein der Leichtig- 
keit vorherging, sind zu den indirekt nachweisbaren unmittelbaren 
Wissensaktualisierungen gerechnet 0- Bei der Angabe Schuld — 
Folge ist der Versuch E89 in Klammer gesetzt, weil die sukzessive 
Wissensaktualisierung im Gegensatz zu den anderen Fällen hier 
nicht direkt nachweisbar ist'). Die Wahrscheinlichkeit einer suk- 
zessiven Wissensaktualisierung war nur aus dem Vergleich mit 
dem Protokoll von Vp. G hervorgegangen. 
Betrachten wir in der Tabelle zunächst die unter Ziffer 1 und 
3 — 7 angeführten Aufgaben, bei denen uns 5 imd mehr Reaktionen 
zu Gebote stehen. Hier springt sofort ein Gegensatz zwischen 
den Ergebnissen der Wahlrechtsaufgabe der Ziffer 7 und den Er- 
gebnissen der übrigen Aufgaben hinsichtlich der Verteilung der 
Reaktionen auf die vier Gruppen in die Augen. Bei 4 Angaben 
sind alle Gruppen vertreten, bei der 5. Aufgabe Wirkung— Biß 
fehlt nur die sukzessive Wissensaktualisierung. Die sukzessiven 
Wissensaktualisierungen betragen bei diesen 5 Aulgaben 7 von 
28 Fällen, d. h. 25 ^/o, auf die 3 anderen Gruppen kommen eben- 
falls je 25 7o« Die durchschnittliche Verteilung ist also eine sehr 
regelmäßige. Bei der Wahlrechtsaufgabe dagegen, bei der alle 
Protokolle mitgeteilt wurden, haben wir nur suksessive Wissens- 
aktualisierungen. Dem Unterschied in der Gruppierung der Re- 
aktion entspricht eine beträchtliche Verschiedenheit der Reaktions- 
zeiten. Die durchschnittliche Reaktionszeit beträgt bei den ersten 
5 Aufeaben der Reihe nach 3,6", 3,6", 4,1", 3,2" und 3,9"; a. M. 
3,7", bei der Wahlrechtsaufgabe 7,3". Dies berechtigt zu der 
Vermutung, daß dieselben Umstände, welche die Verlängerung der 
Reaktionszeit herbeiführen, auch den Grund für das Auftreten der 
sukzessiven Wissensaktualisierungen enthalten. Als ein veriang- 
samender Umstand käme an sich die Tatsache in Frage, daß die 
Fälle, in denen das Bewußtsein der Lösung bezw. der Richtigkeit 
(S. 49) nicht nach der Aussage der Vpn. spätestens bei der Reaktion vor- 
handen war, wurden zu den nicht nachweisbaren unvermittelten Lösungen 
gerechnet. 
■) Vgl. oben S. 67. 
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8, Bedingimgen tmä Funktion der sitkxesuven WisaensaktuaUsienmg, 66 
Wahlrechtsau^gabe formell eine Au%abeiil]^fuiig enthält; es sollen 
zwei Hauptarten des Wahlrechts angegeben werden. Wird von 
mehreren Au^^aben zuerst die eine und dann mehr oder weniger 
unabhängig davon die andere gelöst, so entsteht dadurch natürlich 
eine beträchtliche Verlängerung der Reaktionszeit. Allein aus den 
Protokollen geht hervor, daß die Lösung nicht in dieser Weise 
erfolgt^). Die Vpn. fassen die Angabe ihrem Sinne gemäß als 
eine einheitUche imd lösen sie, indem sie aus einer Gruppe von 
Wahlrechtseinteilungen bezw. aus einer Wahlrechtsformel zwei 
Arten h^ausgreifen, oder indem sie das Wissen von bekannten 
Wahlrechtsgegensätzen aktualisieren. Die Protokolle zeigen, daß 
die längeren Reaktionszeiten in erster Linie auf die geringere 
Geläufigkeit eines der Aufgabe entsprechenden Wissens zurttck- 
zuführen sind, und sie zeigen auch, wie dieser Umstand mit 
dem Auftreten der Form der sukzessiven Wissensaktualisierung 
zusammenhängt. Das Wissen von den zwei Arten des Wahlrechts 
ist nämlich zwar nicht geläufig genug, um eine sofortige au%abe- 
gemäße Reproduktion zweier Hauptarten zu ermöglichen, wohl 
aber besteht ein geläufiges (oder wenigstens relativ geläufigeres) 
Wissen von zunächst nicht näher bestimmten Wahlrechtseinteilungen 
besw. von großen, zunächst nur indirekt bestimmten Wahlrechts- 
gegensätzen. Dieses geläufigere abstraktere Wissen aktualisiert sich 
zuerst, und zwar ist es kein bloßer Vorläufer der Reaktion, son- 
dern durch seinen Inhalt wird die speziellere Richtung des weiteren 
Verlaufe schon mehr oder weniger vorgezeichnet. So fällt z. B. 
der Vp« ein, daß sie mehrere Wahlrechtseinteilungen kennt, und 
sie stellt sidi nun die spezielle Angabe, eine dieser Einteilungen 
zu reproduzieren, oder es kommt einer Vp. zu Bewußtsein, daß 
es einen extremen Wahlrechtsgegensatz gebe, der den zwischen 
dem deutschen Süden und dem deutschen Norden noch übertreffe, 
und sie sucht nun diesen Gegensatz näher zu bestimmen, wobei 
die geläufigere Bestimmung nach der örtlichen Beziehung der 
weniger geläufigen inhaltlichen wieder vorhergeht. Von den Vpn. 
B, G und D wird ein aktives Suchen in der durch das abstraktere 
Wissen bestimmten Richtung ausdrücklich konstatiert. Bei den 
übrigen Vpn. wird es durch den Zusammenhang zum mindesten 
wahrscheinl ich gemacht. 
') Siehe oben S. 34ff. 
Seil, Über die Oeaetie des geordneten DenkrerUuib. 6 
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66 Absthn, /. Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisienmgen usw. 
Wir sehen also, wie sukzessive Wissensaktualisienmgen da- 
durch entstehen ktfnnen, daß ein (relativ) weniger geläufiges Wissen 
durch Vermittlung eines geläufigeren Wissens aktualisiert wird, 
das Bestimmungen über denselben Gegenstand enthält. Ein volles 
Verständnis dieses Vorganges, bei dem es sich nicht bloß um eine 
konstellierende Mitwirkung assoziativer Hilfen handelt, ist erst 
nach der theoretischen Erörterung der determinierten Wissens- 
aktualisierung möglich. Jedenfalls aber können wir aus dem Ver- 
halten der Vpn. schließen, daß die Aktualisierung des geläufigeren 
Wissens einen positiven Beitrag zur Lösung der Aufgabe leistet, 
indem es einen aktiven Appell an das Gedächtnis motiviert und 
in vielen Fällen zugleich dem allgemeinen Suchen nach einer 
Lösung eine bestimmtere Richtung gibt. Denken wir uns die (Je- 
läufigkeit des zur schließlichen Lösung führenden Wissens sehr 
gering, so kann der Fall eintreten, daß dieses Wissen überhaupt 
nicht direkt reproduzierbar ist, sondern zu seiner Aktualisierung 
der Mitwirkung des geläufigeren Wissens bedarf. In diesem Fall 
wird die sukzessive Wissensaktualisierung eine notwendige. Je 
weniger geläufig demnach ein Wissen ist, desto mehr ist die Ge- 
legenheit bezw. die Notwendigkeit einer sukzessiven Wissens- 
aktualisierung gegeben. Hieraus erklärt sich die Zunahme der 
sukzessiven Wissensaktualisierungen bei Versuchen mit längeren 
Reaktionszeiten. 
Auch abgesehen von der Wahlrechtsaufgabe finden sich in 
der Tabelle einige durch mehr oder weniger lange Reaktionszeiten 
ausgezeichnete sukzessive Wissensaktualisierungen, die nach den 
dazugehörigen Protokollen zweifellos durch die geringere Ge- 
läufigkeit des Wissens veranlaßt sind. Hierher gehört zunächst 
die Lösung der Aufgabe Arbeit — dreifache Bedeutung 0- Die 
sehr lange Reaktionszeit von 16,6" ist hier zwar durch die Auf- 
gabenhäufung wesentlich mitbedingt. Sie zeigt aber doch zugleich 
an, daß ein geläufiges Wissen, welches diese drei Bedeutungen 
sind, nicht bestanden hat. Die Folge davon ist jedoch nicht, daß 
zuerst die geläufigste Bedeutung, nämlich die der gewöhnlichen 
Arbeit, ins Bewußtsein gehoben wird imd sich dann weitere Be- 
deutimgen anschließen. Die Vp. faßt die Aufgabe vielmehr wieder 
in gewissem Sinne als eine Einheit auf; die drei Au^;aben der 
') Siehe Tab. 2 Ziff. 16 und oben S. 32. 
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8. Bedingungen und Funktion der sukzessiven Wissensaktualisierung. 67 
AufgabenMufung sind ja nicht xmabhängig voneinander, sondern 
sind dadurch aufeinander bezogen, daß jede folgende Bedeutung 
von der vorhergehenden verschieden sein muß. Die einheitliche 
Aufgabe nun, drei verschiedene Bedeutungen der Arbeit anzu- 
geben, kann zwar nicht unmittelbar durch die Aufzählimg dieser 
Bedeutungen gelöst werden, wohl aber ist der Vp. das Wissen 
geläufig, daß das Wort Arbeit mehrere Bedeutungen hat, und 
daß sie solche Bedeutungen kennt. Dieses Wissen aktualisiert 
sich und führt dazu, daß nicht durch besondere Lösungsmethoden 
die verschiedenen Bedeutungen aufgesucht werden, Bondem daß 
die Vp. einfach die ihr schon bekannten spezifischen Bedeutungen 
von „Arbeit^ im Gedächtnis aufsucht. Unter dem auf diese be- 
sonderen Bedeutungen bezüglichen Wissen ist ihr am geläufigsten, 
daß „Arbeit^ in der Physik eine spezifische Bedeutung hat, und 
so kommt es, daß diese Bedeutung zuerst reproduziert wird, 
und daß erst am Schluß die an sich geläufigste Bedeutung von 
Arbeit im gewöhnlichen Sinne in Betracht gezogen wird. 
Wie in dem eben erwähnten Fall hängt auch in dem unter 
Ziffer 11 der Tabelle angeführten Versuch die lange Reaktions- 
zeit und die ihr entsprechende sukzessive Wissensaktualisierung 
mit der geringeren Geläufigkeit der Lösung zusammen, wie aus 
dem Protokoll ohne weiteres hervorgeht*). Ebenso ergibt das 
Protokoll von G zu Ziffer 4, daß der Vp. zwar geläufig ist, daß 
die Folge der Schuld etwas ist, was mit dem Gericht zu tim hat, 
daß ihr aber die genauere Bestimmung einige Schwierigkeit macht. 
Eine Besonderheit bietet die Wissensaktualisierung in Ziffer 3, 
die ebenfalls hierher gehört'). In diesem Fall ist nicht nur das 
abstrakte Wissen geläufig, von einer zunächst nicht inhaltlich 
bestimmten Unterordnung von Haß unter den höheren Begriff, 
etwas zu wissen, sondern es sind außerdem die ganz speziellen 
Nebenumstände geläufig, unter welchen dieses Wissen erworben 
wurde. Die Lösung erfolgt, indem sich die Vp. dasjenige ins 
Gedächtnis zurückzurufen sucht, worunter jene tabellarische Unter- 
ordnung damals erfolgte. Weil im gegebenen Fall das Wissen 
von dem individuellen Tatbestand, worunter damals der Haß 
imtergeordnet wurde, geläufiger ist als das Wissen von dem ab- 
') Siehe oben S. 60. 
^ Siehe oben S. 47. 
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68 Ab$dtn. /. Die unvermittelten Lösungen als WissensaktuaÜslemngen usw. 
strakten Begriffsverhältnis zwischen Haß und Affekt, geht der 
Weg zur Lösung der abstrakten Aufgabe über die Aktualisierung 
des Wissens von einem individuellen Erlebnis, in dem dieses Be- 
griffsverhältnis eine Rolle spielte 0* 
Auch bei den übrigen sukzessiven Wissensaktualisierungen 
mit zum Teil sehr kurzen Reaktionszeiten sprechen die Protokolle 
für die Annahme, daß die Wissensaktualisierung der ersten Phase 
bei ihnen mehr ist als ein bloßer Vorläufer und auch mehr als 
ein bloßes Motiv für den aktiven Appell an das Gedächtnis. Es 
wird z. B. zuerst das abstraktere Wissen aktualisiert, daß es eine 
vulgäre Gegenüberstellung zum Reizwortgegenstand gibt (Ziffer 1, 
2, 15), oder es wird die Erinnerung an eine bekannte, früher 
memorierte Einteilung, die ihrem Inhalt nach noch nicht näher 
bestimmt ist, lebendig (Ziffer 17), oder es aktualisiert sich das 
Wissen, daß es sich um einen Gegensatz in einer bekannten Ge- 
fühlstheorie handelt (Ziffer 5). In allen diesen Fällen wird durch 
die vorangegangene Wissensaktualisierung eine bestimmtere Rich- 
tung für den weiteren Verlauf angegeben. Die Vp. kann jetzt, 
statt allgemein ein Nebengeordnetes zum Reizwortgegenstand zu 
suchen, jene bekannte Gegenüberstellung sich ins Gedächtnis 
zurückzurufen suchen. Sie kann, statt allgemein nach einem 
Gegensatz zu Erregung überhaupt zu suchen, nach dem Gegen- 
satz in der Wundtschen Psychologie suchen, oder sie kann statt 
einfach nach einem Teil des Gottesdienstes zu suchen, nach einem 
der drei früher memorierten Teile des Gottesdienstes suchen. Das 
ursprüngliche Ziel wird also wie in den früher angeführten Fällen 
mit einem bestimmteren Ziel vertauscht ■), das durch die Aktuali- 
sierung eines mehr oder weniger geläufigen Wissens erreicht 
werden kann. Nicht schon deswegen, weil das neue Ziel das 
spezieUere ist oder mehr konkretere Bestimmungen enthält*), 
wohl aber deswegen, weil es im gegebenen Fall zur AktuaU- 
') Es könnte natOriich auch sehr wohl das Umgekehrte der Fall sdn, 
daß das abstrakte Wissen von dem Begriffsverhältnis geläufiger wftre als das 
Wissen von den Umstanden seiner Erwerbung. 
*) Von solchen Transformationen der Aufgabe, denen eine all- 
gemeinere Bedeutung zukommt, wird noch besonders zu sprechen sem. 
•) Vgl. oben Anm. 1 ; siehe femer meine Bemerkungen zu dem von Ach 
aufgestellten Gesetz der speziellen Determination, Zeitschr. f. Psychol. 67 
S. 260ff. 
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8. Bedingungen und Funktion der sukzessiven Wissensaktualisierung. 6B 
äening eines geläufigeren Wissens führt, wird durch die suk*- 
zessive Wissensaktualisierung die Angabe erleichtert, wenn nicht 
zum Teil überhaupt erst ermtfgUcht. 
Dasselbe Wissen, das der allgemeineren Zielbestimmung der 
Aulgabe gegenüber eine speziellere Zielbestimmung ermöglicht, 
verhält sich andererseits gegenüber dem Wissen, dessen Aktuali- 
sierung es vermittelt, wie das Abstraktere ziun Konkreteren; 
denn es enthält noch keine direkte Bestimmung des gesuchten 
Gegenstandes, auf den es sich bezieht, wie das die Lösung ent* 
haltende Wissen, dessen Aktualisierung es dient. Diese Tatsache, 
daß bei der sukzessiven Wissensaktualisierung das relativ ab- 
straktere Wissen von der Richtung, in welcher das Ziel zu suchen 
ist, die Reproduktion des entsprechenden konkreteren Wissens 
vermittelt, ist von großer Bedeutung; denn sie berechtigt zu der 
Annahme, daß häufig ein solches abstrakteres Wissen geUlufiger 
ist als das entsprechende konkrete. Das Wissen, daß es eine 
vulgäre Gegenüberstellung zu Tod gebe, kann geläufiger sein 
als das konkretere Wissen, daß Tod und Leben häufig einander 
gegenübeigestellt werden. Das abstraktere Wissen, daß der 
Gottesdienst drei Teile habe, kann geläufiger sein als das Wissen, 
wie sie heißen, imd in welchen Handlungen sie bestehen. Das 
relativ -abstraktere Wissen, einen übergeordneten Begriff zu Haß 
in einem bestimmten Fall kennen gelernt zu haben, kann ge- 
läufiger sein als das konkrete Wissen, den Begriff des Affektes 
unter jenen Bedingungen als übergeordneten Begriff zu Haß 
kennen gelernt zu haben. Allgemeiner ausgedrückt, das ab- 
straktere Wissen, daß ein bestimmter Gregenstand A zu einem 
anderen Gregenstand oder zu mehreren anderen Gegenständen in 
einer bestimmten Beziehung steht, kann geläufiger sein als das 
konkretere Wissen, daß der Gegenstand A zu dem Gegenstand B 
oder zu den Gegenständen B, G und D in jener bestimmten Be- 
ziehung steht. Hierbei kann auch das Wissen, unter welchen 
Umständen jene bestimmte Beziehung zwischen dem Gegen- 
stand A und einem anderen Gegenstand besteht, bezw. das Wissen, 
imter welchen Umständen die Kenntnis von dieser Beziehung ge- 
wonnen wurde, geläufiger sein als das Wissen, welches der in 
der betreffenden Beziehung zu dem Gegenstand A stehende Gegen- 
stand ist Man beachte: Es handelt sich nicht darum, 
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70 Absdin. 1. Die anuermiäeUen L&stmgen als WissensaktaaUsienmgen usw. 
daß die Nebenumstände durch eine geläufigere Be- 
rtthrungsassoziation mit dem Gegenstand A verbunden 
sind, als der Gegenstand B, und nun mit der ^Vor- 
stellung*^ von A zusammen eine assoziative Kon- 
stellation bilden. Sondern das ganze komplexe Wissen, 
daß unter diesen Umständen ein anderer Gegenstand 
zu A in einer bestimmten Beziehung steht, oder zu 
ihm in eine bestimmte Beziehung gesetzt wurde, ist 
geläufiger als das Wissen, daß der Gegenstand A zum 
Gegenstand B in jener Beziehung steht, und das ge^ 
läufigere abstraktere Wissen vermittelt die Aktuali- 
sierung des entsprechenden konkreteren Wissens. 
Es zeigt sich also, daß die Nebenumstände bei der Reproduktion 
nicht bloß als rein „assoziative*^ Hilfen zu wirken brauchen, 
durch die konvergente Reproduktionstendenzen angeregt werden. 
In den bisher berücksichtigten Fällen war in dem abstrakteren 
Wissen nur das eine Beziehungsglied unbestimmt. Es können 
aber auch beide Beziehungsglieder mehr oder weniger unbestimmt 
sein. Das Wissen, daß Gegenstände bestimmter Art in einer be- 
stimmten Beziehung stehen, kann geläufiger sein als das Wissen, 
welches diese Gegenstände sind ^). So kann das abstraktere Wissen, 
daß man das Wahlrecht verschieden gegeneinander setzen ktfnne, 
und daß es immer Zweiteilungen sind, geläufiger sein als das 
konkretere Wissen von dem Inhalt einer solchen Wahlrechts- 
einteilung. (Vgl. oben Eiss S. 38, Aiss S. 39, auch Bisi S. 34.) 
Wie das Wissen von den Nebenumständen der Inbeziehung- 
setzung geläufiger sein kann als das Wissen, welches das gesuchte 
BeziehungsgUed ist, so kann auch das Wissen, daß das gesuchte 
Beziehungsglied wieder zu anderen Gegenständen in einer be- 
stimmten Beziehung steht, geläufiger sein als das Wissen von 
seiner direkten Bestimmung. In solchen Fällen geht die suk- 
zessive Wissensaktualisierung den Weg über die indirekte Be- 
stimmung des gesuchten Gegenstandes durch ein Wissen (vgL 
oben S. 33 f., S. 40 ff.). So kann es geläufiger sein, daß die Folge 
Jedenfalls ist auch der umgekehrte Fall möglich; es kann das Wissen, 
daß zwischen bestimmten Gegenständen eine Beziehung besteht, geläufiger 
sein, als das Wissen, welches diese Beziehung ist Solche Fälle sind aber in 
den analysierten Protokollen nicht enthalten. 
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8, Bedingungen und Funktion der sukzessiven Wissensaktualisierung. 71 
der Schuld etwas ist, was mit dem Gericht zu tim hat, ak daß 
es die Strafe ist. Oder es kann geläufiger sein, daß das Wort 
„Arbeit" auf einem bestimmten Gebiete, in der Physik, in der 
Nationalökonomie, eine spezifische Bedeutung hat, während die 
Zurückrufung des Inhalts dieser Bedeutungen Schwierigkeiten 
macht. Oder es kann geläufiger sein, daß ein großer und aktueller 
Gegensatz zwischen dem Wahlrecht im Reich imd in Preußen 
besteht, während die direkte Bestimmung dieser Wahlrechte durch 
ihre Beschaffenheit sich in geringerer Bereitschaft befindet Zum 
Teil kam in unseren Versuchen die geringere Geläufigkeit des 
Wissens von der direkten Bestimmung des gesuchten Gegen- 
standes gegenüber dem Wissen von seiner indirekten Bestimmung 
darin zum Ausdruck, daß die Vpn. bei der indirekten Bestimmung 
stehen blieben imd sich mit ihr begnügten, zum Teil aber wurde 
sie durch die Fortsetzung der sukzessiven Wissensaktualisierung 
noch ganz oder teilweise in die direkte Bestimmung übergeführt. 
Nicht nur das Wissen, daß ein gesuchter Gegenstand zu einem 
bekannten Gegenstand in einer bestimmten Beziehung steht, kann 
geläufiger sein als das Wissen, welches jener Gegenstand ist. Es 
kann auch das Wissen bestehen, daß die Beziehung des bekannten 
G^^standes zu dem gesuchten Gegenstand zu der Beziehung 
des bekannten Gegenstandes zu einem anderen bekannten Gegen- 
stand selbst wieder in einer bestimmten Beziehung steht, und 
dieses abstraktere Wissen kann die Aktualisierung des konkreteren 
Wissens vermitteln, welches der in diesem Beziehungsnetz als 
GUed einer der Beziehungen enthaltene Gegenstand ist So be- 
steht bei D in der Wahlrechtsaufgabe nicht nur das Wissen, daß 
ein anderes Wahlrecht zu dem in Süddeutschland bestehenden 
(indirekte Bestimmung!) im Gegensatz stünde, sondern es besteht 
das weitere Wissen, daß dieser Gegensatz ein extremerer sei 
(Steigerungsverhältnis!) als der Gegensatz zwischen dem in Süd- 
deutschland und dem in Preußen (indirekte Bestimmung!) be- 
stehenden Wahlrecht. Dieses abstraktere Wissen vermittelt die 
Aktualisierung des konkreteren, welches der in jenes Beziehungs- 
netz verschlungene Gegenstand ist. Es wird nicht nur das Be- 
wußtsein von dem in Mecklenburg bestehenden Zustand reprodu- 
ziert, sondern das Mecklenburgische „Wahlrecht" tritt, wie die Vp. 
ausdrücklich angibt, „als noch extremerer Zustand*^ auf. Es kann 
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72 Ahmhn, L Die rnnvemdUelten Lösungen als Wis&eneaktuMßeiermngen usw. 
also bei der sukzessiven Wissensaktualisierung das Wissen von 
einem ganzen Netz von Beziehungen zu anderen Gregenständen^ 
in welchen der gesuchte Gegenstand steht, die Aktualisierung des 
Wissens vermitteln, welches der gesuchte Gegenstand ist. 
Die von Btthler bei seinen Versuchen über Gedankenerinne- 
rungen gemachten Beobachtungen weisen schon zum Teil nach 
derselben Richtung wie die bei unseren Versuchen gefundenen 
Tatsachen^). Ebenso stimmt die Beobachtung Bühlers, daß die 
Gegenstände beim Denken häufig nur durch ihre Beziehungen zu 
anderen Gegenständen bewußt sind*), sehr gut mit der Tatsache 
überein, daß solche indirekte Bestimmungen häufig leichter aktua- 
lisierbar sind als die direkten. Wir haben Beispiele kennen ge- 
lernt, in denen die indirekte Bestimmung nachweisbar diesen Grund 
hatte"). Aus den Beobachtungen Bühlers ergibt sich auch, daß 
ein abstrakteres Wissen, z. B. daß ein Gegenstand in einer be- 
stimmten Beziehung stand, noch erhalten sein kann, während das 
entsprechende konkrete Wissen, z. B. welches der betreffende 
Gegenstand ist, nicht mehr aktualisierbar ist. Der häufigen größeren 
Geläufigkeit des abstrakteren Wissens entspricht also ein häufiges 
längeres Behalten. Auf die theoretische Würdigung dieser Er- 
scheinung soll hier nicht eingegangen werden. 
Die Vermittlung eines konkreteren Wissens durch ein abstrak- 
teres kommt nicht nur dann vor, wenn es sich um ältere, längere 
Zeit nicht mehr aktualisierte Wissenskomplexe handelt, sondern 
auch dann, wenn ein soeben aktuell gewesenes Wissen benützt 
wird. Das zeigen die Fälle, in welchen eine Aufgabe durch 
Aktualisierung eines im vorhergehenden Versuch erworbenen oder 
') Vgl. oben S. 7 Anm. 5. Über den Zusammenhang mit den Beobach- 
tungen von Balaban und Michotte et Ransy (Gontribution ä T^tude de la memoire 
logique, Louvain 1912) wird später zu sprechen sein (siehe unten S. 283 fif.), ebenso 
Ober den ZusammenJiang mit gewissen von G. E. Müller gefundenen Gesetz- 
mäßigkeiten (Zur Analyse der Gedächtnistätigkeit und des VorsteUungsveriaufs, 
I. Teü, 6. Erg.-Bd. d. Zdtschr. f. Psychol., Leipzig 1911, & 816, 348 f^ 860 ff.). 
Vgl. unten S. 126 ff. 
•) Vgl. oben S. 34. 
") Die schnellere Aktualisierbarkeit der indirekten Bestimmung kann 
übrigens nicht bloB auf der größeren Gdäußgkeit des auf sie bezügtidien 
Wissens, sondern auch auf seiner weniger komplexen Natur beruhen; außer- 
dem kann die Aktualisierung der Indirekten Bestimmung durch das gänzliche 
Fehlen eines Wissens von der direkten Bestimmung bedingt sein. 
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-8. BeiSngtmgen und Funktion der sukzessiven Wissensakiuaiisierung. 78 
aktuell gewesenen Wissens gelöst wurde. So trat im Versuch 
Gottesdienst — anderer Teil bei Vp. D der im vorhergehenden 
Versuch bereitgestellte weitere Teil „Opfer" nicht unmittelbar 
wieder ins Bewußtsein, sondern es aktualisierte sich zunächst das 
abstraktere Wissen, daß ein anderer Teil soeben bereitgestellt 
worden war, und erst durch Zurückgreifen auf diese Lösung wurde 
der Vp. wieder bewußt, welches dieser eben dagewesene Teil ge- 
wesen ist. Das abstraktere Wissen, einen in einer bestimmten 
Beziehung stehenden Gegenstand in einem unmittelbar voraus- 
gehenden Zeitpunkt gegenwärtig gehabt zu haben, scheint also 
in solchen Fällen geläufiger zu sein als das konkretere Wissen, 
welches der betreffende Gegenstand war. Daß bei genügend hoher 
Bereitschaft das konkrete Wissen auch immittelbar aktualisiert 
werden kann, ei^t sich aus den beiden Versuchen H% und H*6 
(oben S. 61). In dem ersten dieser Versuche geht nur noch ein 
Bewußtsein der Leichtigkeit der Aktualisierung des konkreten 
Wissens voraus, im zweiten Versuch setzt die Aktualisierung des 
bereitgestellten Wissens sofort ein und ist nur von einer dunklen 
Beziehung zur früheren Aufgabe begleitet. Dieser Fall ist auch 
dadurch interessant, daß er zeigt, daß auch eine Einteilung bei 
genügender Geläufigkeit reproduziert werden kann, ohne daß zu- 
erst das allgemeinere Wissen von dem Bestehen einer solchen 
Einteilung für sich allein aktualisiert werden müßte, wie es bei 
dem den eben angeführten Versuchen vorausgehenden Versuch 
Gottesdienst — Teil und zum Teil bei der Wahlrechtsaufgabe der 
Fall war. 
Wenn es richtig ist, daß die sukzessive Wissensaktualisierung 
durch die relativ geringe Geläufigkeit eines Wissens begünstigt 
wird, so muß sie bei wachsender Geläufigkeit dieses Wissens die 
Tendenz zeigen, sich in eine unmittelbare zu verwandeln. Ta- 
belle 2 zeigt 4 Fälle einer solchen Umwandlung; sie finden sich 
bei Vp. E in Ziffl 1 mit 2 (siehe oben S. 29) und Ziff. 11 mit 12 
(siehe oben S. BOf.), femer bei Vp. H in Ziff. 17 mit 18 (siehe 
oben S. 61). In drei Fällen finden wir die Umwandlung mit einer 
betiilchtlichen Verkürzung der Reaktionszeit verbimden. Daß auch 
im vierten Fall eine latente Verkürzung der Reaktionszeit vorliegt, 
ist früher (S. 31) ausgeführt worden. Die beiden Wiederholungen 
der Aufgabe Tod— Nebenordnung mit A (Ziff. 2 der Tabelle) zeigen 
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74 Absdin. L Die unvermUtelten Lösungen als Wissensaktualisierungen usw. 
übrigens, daß auch bei sehr kurzer Reaktionszeit noch eine suk- 
zessive Wissensaktualisierung stattfinden kann. Das abstraktere 
Wissen scheint hier immer noch erheblich geläufiger zu sein als 
das konkretere imd daher dessen Aktualisierung zu vermitteln '). 
Für eine Tendenz der sukzessiven WissensaktuaUsienmg, bei 
größerer Geläufigkeit in die unmittelbare überzugehen, sprechen 
auch die wiederholt erwähnten Zwischenstufen, in welchen das 
Wissen, eine noch nicht gegenwärtige Lösung der Au^^e zu 
kennen, nur mehr durch ein Bewußtsein der Bekanntheit oder 
der Leichtigkeit repräsentiert ist"). 
§ 9. Die gesetzlichen Entstehungsbedingimgen der un- 
vermittelten Lösungen und ihre Ableitung aus ihnen. 
Wir fanden früher, daß die Wissensaktualisierung bei wachsen- 
der Geläufigkeit die Tendenz zeigt, im Bewußtsein zurückzutreten. 
Wir können dieser Wirkung der wachsenden Geläufigkeit nun- 
mehr eine weitere hinzufügen und den Satz aufstellen: Bei 
wachsender Geläufigkeit zeigt die sukzessive Wissensaktualisierung 
die Tendenz, in die unmittelbare überzugehen. Beide Gesetz- 
mäßigkeiten sind jedoch nicht voneinander unabhängig. Vielmehr 
begünstigt der Übergang der sukzessiven Wissensaktualisierung 
in die unmittelbare, wie wir früher sahen, zugleich das Zurück- 
treten der Wissensaktualisierung im Bewußtsein, weil die unmittel- 
bare Wissensaktualisierung im Bewußtsein nur hervorzutreten 
pflegt, wenn besondere Nebenumstände sie erkennbar machen'). 
Daß die sukzessive Wissensaktualisierung im Gegensatz zur un- 
mittelbaren als Wissensaktualisierung erkennbar zu sein pflegt, 
steht im Einklang mit der allgemeineren Tatsache, daß gehemmte 
Prozesse sich im Bewußtsein stärker bemerkbar machen*). Wir 
') Vgl. auch Aii S. 82. Vielleicht bestehen individuelle Unterschiede im 
Verhältnis der Geläufigkeit eines abstrakteren Wissens zu der des entsprechenden 
konkreteren. 
•) Vgl. namentlich oben S. 52 ff.; 60 f. 
^ Siehe oben S. 48f. 
*) Achs Buch ^Über den Willensakt und das Temperament** enthält zahl- 
reiche Belege für eine solche allgemeine Gesetzmäßigkeit. Auch die Fest- 
stellungen von Michotte und Prüm (a. a. 0. S. 227 ff.) über das Wiederbewußt- 
werden der Instruktion, wenn ihrer Verwirklichung Hindemisse im Wege stehen, 
gehören zum Teil hieiher. 
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9. Die gesetzlidten Entstehangsbedingungen der unvermitteiten Lösungen. 75 
fanden ja, daß die sukzessive Wissensaktualisierung häufig darauf 
zurückzuführen ist, daß das aktualisierte Wissen nicht geläufig 
genug ist, um unmittelbar ins Bewußtsein zu treten. Die leichtere 
Nachweisbarkeit des Vorliegens einer Wissensaktualisierung bei 
der sukzessiven Form ergibt sich jedoch nicht nur aus jener all- 
gemeinen Gesetzmäßigkeit, sondern auch aus der von uns be- 
obachteten Besonderheit der hier der Lösung vorausgehenden 
Prozesse. Bei der unmittelbaren Wissensaktualisierung ist der 
gesuchte Gegenstand direkt bewußt Auf diesem direkten Be- 
wußtsein liegt der Hauptnachdruck bei der Wissensaktualisierung ; 
denn es enthält die Lösung und meist auch schon das Reaktionswort 
Den sonstigen Bestandstücken des aktualisierten Wissens, darunter 
dem Bewußtsein von der au|gabegemäßen Beziehimg des zur 
Lösung verwendeten Gregenstandes zmn Reizwortgegenstand, kommt 
daneben nur insoweit Bedeutimg für die Reaktion zu, als es sich 
um die Kontrolle der Richtigkeit der Lösung handelt'). Ganz 
anders bei der sukzessiven Wissensaktualisierung. Hier fehlt in 
den ersten Phasen der sukzessiven Entwicklung das direkte Be- 
wußtsein von dem gesuchten Gegenstand; er ist ausschließUch 
durch seine Beziehungen zmn Reizwortgegenstand und zu anderen 
Gegenständen, also durch ein auf ihn bezügliches Wissen bewußt; 
dieses Wissen aber steht im Vordergrund des Bewußtseins; denn 
es vermittelt die Herbeiführung des direkten Bewußtseins von 
dem gesuchten Gegenstand und dient häufig der Zielbestinmiimg 
für einen mehr oder weniger deutUch im Bewußtsein hervor- 
tretenden aktiven Appell an das Gedächtnis. In der Schlußphase 
der sukzessiven Wissensaktualisierung ist die Hemmung über- 
wunden und auch das direkte Bewußtsein von dem gesuchten 
Gegenstand vorhanden. Dem entspricht es durchaus, daß ein 
sicherer Nachweis der sukzessiven Wissensaktualisierung meist auch 
nur aus den Angaben der Vpn. über die ersten Phasen möglich ist 
Betrachten wir mit Hilfe der Tabelle die Ergebnisse der 
6 Aulgaben, in denen uns 6 und mehr Lösungen zur Verfügung 
stehen, so erhalten wir einen zahlenmäßigen Ausdruck für den 
gesetzlichen Zusammenhang zwischen dem Übergang von der 
*) Vgl. die Ausführungen über abstraktive Rq)roduktion im nächsten Ab- 
schnitt S. 185 ff. 
•) Vgl. oben S. 37 f., 41 f., 55. 
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76 Absthn, 1. Die unoermitteiUn Lösungen aie WiaMensaktuaäsierungen usw. 
sukzessiven Wissensaktualisierung in die unmittelbare und der 
Tendenz zum Zurücktreten der Wissensaktualisierung im Bewußt- 
sein. Bei der Wahlrechtsaufgabe haben wir ausschließlich suk- 
zessive Wissensaktualisierungen und dementsprechend ist die 
Wissensaktualisierung in 100 ®/o der FttUe nachweisbar. Bei den 
übrigen 4 Aufgaben haben wir nur 26 ^/o sukzessive Wissens- 
aktualisierungen. Dieser Abnahme der Zahl der sukzessiven 
Wissensaktualisierungen entspricht es, daß nur noch in 13 von 
28 Fällen, d. h.46®/o, eine Wissensaktualisierung direkt nachweis- 
bar ist In den Fällen der sukzessiven Wissensaktualisierung ist 
auch hier die Wissensaktualisierung mit einer einzigen Ausnahme 
direkt nachweisbar, dagegen bei den immittelbaren Wissens- 
aktualisierungen nur noch in einem Drittel der Fälle; in einem 
zweiten Drittel ist die Wissensaktualisierung noch indirekt, in 
einem weiteren Drittel aus dem Protokoll überhaupt nicht mehr 
nachweisbar. 
Wir kennen jetzt die zwei im engsten Konnex miteinander- 
stehenden Hauptbedingungen des Zurücktretens der Wissens- 
aktualisierung im Bewußtsein: 
1. die wachsende Geläufigkeit eines Wissens, 
2. den selbst wieder durch die wachsende Geläufigkeit des 
Wissens bedingten Übergang von der sukzessiven Wissensaktuali- 
sierung zur unmittelbaren. 
Mit Hilfe der Kenntnis dieser Bedingimgen sind wir nun 
imstande, noch eine Reihe weiterer tatsächlicher Ergebnisse 
verständlich zu machen, die aus der Tabelle hervorgehen. 
Betrachten wir die 4 Au^;aben in Ziff. 3— B und 7, bei denen 
sämtliche Protokolle, bezw. sämtliche Protokolle der Haupt- 
instruktion mitgeteilt sind^), und stellen wir uns zunächst auf 
den Standpunkt, daß nur die nachweisbaren Wissensaktuali- 
sierungen als Wissensaktualisierungen angesehen werden dürfen. 
Wir haben dann bei der Wahlrechtsaufgabe ausschließlich 
Wissensaktualisierungen, bei den drei anderen Aufgaben da- 
gegen nur in 7 von 16 Fällen (44®/o). Dies entspricht jedoch 
keineswegs dem, was man nach der Art der betreffenden Auf- 
gabe erwarten sollte. Wie bei der Wahlrechtsaufgabe, so handelt 
*) Zwei weitere ProtokoUe der Aufgabe Ziflf. 4 kommen nicht in Betracht, 
da Schuld als Geldschuld aufgefaßt wurde. 
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9. Die gesetiiiihen Entstehangsbedingungen der unvermUtelten Lösungen. T7 
es sich auch bei den drei übrigen Aufgaben um Begri£fsyerhalt- 
nisse, bei denen das Vorhandensein eines schon bestehenden 
Wissens sehr wahrscheinlich ist. Der tibergeordnete Begriff zu 
Haß, die Folge der Schuld, der Gegensatz zu Erregung sind bei 
philosophisch und psychologisch Gebildeten mindestens ebenso 
geläufige Dinge als die Arten des Wahlrechts. Vor allem aber 
deutet das Vorkommen von unmittelbaren Wissensaktualisierungen 
und die beträchtUch kürzeren Reaktionszeiten bei den nachweis- 
baren Wissensaktualisierungen dieser Aufgaben darauf hin, daß 
das Wissen, soweit es nachweisbar ist, höhere Geläufigkeit besaß 
als bei der Wahlrechtsaufgabe. DurchschnittUch größere Geläufig- 
keit eines im Leben erworbenen Wissens läßt aber auf die größere 
Häufigkeit seiner Aktuaüsierung bei entsprechender Aufgabe eben- 
so mit Wahrscheinlichkeit schließen, wie die durchschnittlich 
größere Geläufigkeit von Berührungsassoziationen auf die durch- 
schnittlich größere Häufigkeit ihres Auftretens^). Es muß also 
erwartet werden, daß die Zahl der Wissensaktualisierungen bei 
den Angaben in Ziff. 3—5 hinter der Zahl der Wissensaktuali- 
sierungen bei der Wahlrechtsau|gabe nicht zurückbleibt. Dieser 
Erwartung entspricht auch das Ergebnis, sobald wir uns der uns 
nunmehr zu Gebote stehenden Mittel zur Erklärung der unver- 
mittelten Lösungen bedienen. 
Wir werden dann sagen: Sowohl aus der Art der Angabe 
wie aus den kürzeren Reaktionszeiten bei den nachweisbaren 
Wissensaktualisierungen folgt die zu erwartende größere Geläufig- 
keit eines der Aufgabe entsprechenden Wissens in den drei Auf- 
gaben in Ziff. 3 — 5 gegenüber der Wahlrechtsaufgabe. Eine Folge 
dieser größeren Geläufigkeit ist aus den Protokollen direkt nach- 
weisbar, nämlich der teilweiBe Übergang zur unmittelbaren 
Wissensaktualisierung, während die Wahlrechtsaufgabe nur suk- 
zessive Wissensaktualisierungen zeigt. Der größeren Geläufig- 
keit eines Wissens überhaupt und dem Übergang zur unmittel- 
baren Wissensaktualisierung insbesondere entspricht aber eine 
Tendenz zum stäi^eren Zurücktreten der Wissensaktualisierung 
im Bewußtsein. Diese Tendenz kommt im vorliegenden Falle 
zum Ausdruck in dem Auftreten von unvermittelten Lösungen, 
in denen eine Wissensaktualisierung überhaupt nicht nachweis- 
Vgl. oben a 44. 
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78 Absdui, /. Die unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisierungen usw. 
bar ist. Nehmen wir an, daß die unvermittelten Lösungen bei 
den drei Aufgaben Wissensaktualisierungen sind, so erhalten 
wir ebenso wie bei der Wahlrechtsaufgabe 100 ^o Wissensaktuali- 
sierungen. Die zu erwartende größere Geläufigkeit des Wissens 
gegenüber der Wahlrechtsaufgabe aber kommt in der Verteilung 
der Wissensaktualisierungen nach ihren Arten und nach ihren 
Ausprägungsformen im Bewußtsein deutlich zur Erscheinung. 
Von 16 FäUen sind nur noch 5 sukzessive WissensaktuaUsierungen, 
d. h. 31^0 (aus den Protokollen nachweisbare sukzessive Wissens- 
aktualisierungen sogar nur 4, d. h. 25 ^/o), 11 dagegen, d. h. 69 ^/o 
sind unmittelbare Wissensaktualisierungen. Direkt nachweisbar 
ist die Wissensaktualisierung im Gegensatz zur Wahlrechtsauf- 
gabe, bei der sie in allen FäUen nachweisbar war, nur noch in 
7 von 16 Fällen, d. h. 44 ^/o; in 4 Fällen, d. h. 26 «/o, ist sie noch 
indirekt, in 6 Fällen, d. h. 31 ^/o aus dem Protokoll überhaupt 
nicht mehr nachweisbar. Der Zusammenhang zwischen Geläufig- 
keit und Häufigkeit des Auftretens von Reproduktionen ist von 
Thumb und Marbe zunächst für Assoziationen nachgewiesen 
worden*). Unsere Ergebnisse sprechen für die soeben erwähnte 
naheliegende Annahme, daß ein analoger Zusammenhang auch 
für Wissenskomplexe besteht. Je größer die durchschnittliche 
(Geläufigkeit eines Wissens ist, desto häufiger werden die ent- 
sprechenden WissensaktuaUsierungen auftreten. 
Eine ähnliche Verteilung finden wir auch bei den Aufgaben 
Tod — Nebenordnung und Wirkung — Biß (ZiflF. I und 6 der Tabelle). 
Die Art der Aufgaben, die Reaktionszeiten und die Angaben der 
Vpn. berechtigen zu der Annahme, daß auch hier die Verteilung 
auf die vier Gruppen ihre Entstehung denselben Bedingungen 
verdankt, wie bei den drei zuerst besprochenen Angaben. Be- 
ziehen wir diese zwei Aufgaben in die Berechnung ein, so er- 
halten wir folgenden Ausdruck des Einflusses der Geläufigkeit auf 
die Verteilung der Wissensaktualisierungen nach Art und Form 
der Ausprägung bei den fünf Aufgaben. Von 28 Fällen sind nur 
noch?, d.h. 25 7o, sukzessive Wissensaktualisierungen; ihnen stehen 
21 FäUe, d. h. 75 ^/o, unmittelbare Wissensaktualisierungen gegen- 
über. Dementsprechend ist die Wissensaktualisierung nur mehr in 
*) A. Thumb und K. Marbe : Experimentelle Untersuchungen über die psycho- 
logischen Grundlagen der sprachlichen Analogiebildung (Leipzig 1901) UL 
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9. Die gesetzlichen Entstehungshedingungen der unvermittelten Lösungen, 79 
13 Fällen, d. h. 46 >, nachweisbar, in 7 Fällen, d. h. 25^0, ist sie 
noch indirekt, in weiteren 8 Fällen, d. h. 29%, aus dem Protokoll 
überhaupt nicht nachweisbar. Die Zahlen stimmen mit den bei 
Zugrundelegung von nur 3 Aufgaben gefundenen wenigstens an- 
nähernd tiberein, wenn man berücksichtigt, daß bei der geringen 
Zahl der Fälle schon ein einziger Fall eine relativ große Ver- 
schiebung der Prozentzahlen hervorruft. Nach unserer Feststellimg 
würde also bei einer durchschnittlichen Geläufigkeit, bei der nur 
noch in einem Viertel der Fälle eine sukzessive Wissensaktuali- 
siening erfolgt, nur mehr in etwa der Hälfte der Fälle eine 
Wissensaktualisierung aus dem Protokoll direkt nachweisbar sein. 
Der Grund wäre darin zu suchen, daß die sukzessive Wissens- 
aktualisierung fast immer, die unmittelbare Wissensaktualisierung 
auf der betreffenden Stufe durchschnittlicher Geläufigkeit des 
aktualisierten Wissens nur noch in einem Drittel der Fälle aus 
dem Protokoll direkt nachweisbar ist (Vgl. S. 76.) Wie weit 
das zuletzt angeführte Verhältnis auch bei einem ausgedehnteren 
Material bestehen bleibt, muß natürlich dahingestellt bleiben. 
Es wäre auch zu prüfen, ob bei einem wissentUchen Verfahren 
der Bruchteil der direkt nachweisbaren Wissensaktualisierungen 
sich nicht als ein höherer herausstellt 
Es ist noch darauf hinzuweisen, daß sich die Berechtigung 
der Auffassung der unvermittelten Lösungen als Wissensaktuali- 
sierungen, wenn wir von dem geringen Umfang des Materials ab- 
sehen, auch schon mit Hilfe der Statistik der qualitativen Versuchs- 
ergebnisse allein sehr wahrscheinlich machen läßt, ohne daß wir 
die aus der eingehenderen Analyse der Protokolle und aus den Re- 
aktionszeiten gezogenen Folgerungen mithereinzuziehen brauchen. 
Wir fanden das in Tabelle 3 zusammengestellte Ergebnis: 
Tabelle 3. 
sukzessive W. 
(direkt nachw.) 
unmittelbare W. 
unvermittelte L. 
(ohne direkt 
nachweisb.W.) 
Bei der 
Wahlrechtsaufgabe 
100 ^/o 
Bei den 
5 anderen Aufgaben 
25 > 
26 > 
60 «/o 
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80 Abiduu L Die uiwermiäeUen LOmu^pi ais WtssmsaktuaUdenmgen usw. 
Das voUständige Fehlen von unvennittelten Losungen war 
demnach verbunden mit dem ausschließlichen Vorkommen von 
sukzessiven Wissensaktualisierungen; umgekehrt traten mit 
den unmittelbaren Wissensaktualisierungen auch zugleich die 
imvermittelten Lösungen [im engeren Sinne], also ohne direkt 
nachweisbare Wissensaktualisierung, auf. Mit dem phänomeno- 
logisch einfacheren Prozeß der unmittelbaren Wissensaktuali- 
sierungen erschien also zugleich auch der phänomenologisch 
einfachste Prozeß der völlig unvermittelten Lösungen, und zwar 
geschah dies, wie Tabelle 3 zeigt, übereinstimmend bei allen 
fünf Angaben. Es ist sehr imwahrscheinlich, daß dieses Zu- 
sammentreffen ein bloßer Zufall ist. Dagegen ist es die ein- 
fachste Erklärung, anzunehmen, daß die unvermittelten Lösungen 
im engeren Sinne ebenfalls Wissensaktualisierungen sind, die nur 
infolge des glatten und von Nebenerscheinungen nicht begleiteten 
Ablaufs nicht als solche im Bewußtsein hervortreten. Diese An- 
nahme hat zu^eich den Vorteil, daß nach ihr dem phänomeno- 
logisch einfacheren auch der einfachere reale Prozeß entspricht'). 
Wenn wir noch die Statistik auf S. 48 f. heranziehen, so können 
wir unter ausschließlicher Berufung auf die Statistik der qualita- 
tiven Versuchsergebnisse noch einen weiteren Grund für die Auf- 
&ssung der völlig unvermittelten Lösimgen als Wissensaktuali- 
sierungen beibringen. Von den sieben unmittelbaren Wissens- 
aktualisierungen der Gruppe von fünf Angaben fehlt nur bei 
einer einzigen das Bewußtsein von Nebenumständen. Es ist nun 
sehr unwahrscheinlich, daß so wenige Fälle von unmittelbaren 
Wissensaktualisierungen ohne das Bewußtsein von Nebenumständen 
vorkommen sollen. Es ist vielmehr auch hier das nächstliegende, 
anzunehmen, daß die unvermittelten Lösungen, die überall mit 
den unmittelbaren Wissensaktualisierungen zusammen auftraten, 
die vermißten unmittelbaren Wissensaktualisierungen ohne die 
Mitreproduktion von Nebenumständen darstellen. 
Sehen wir schließlich, wie weit die Mittelwerte der Reaktions- 
zeiten mit unseren Ergebnissen im Einklang stehen. Eine große 
') Zum realen Prozeß gehört auch das, was im Bewußtsein nicht hervor- 
tritt, sei es, daß es nur nicht bemerkt wird, sei es, daß es völlig unbewußt 
ist. Ob dieser reale Prozeß als ein psychischer im engeren Sinne oder als ein 
rein physiologischer Prozeß zu denken ist, ist hier gleichgültig. 
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9. DU gnttMlkhen EnMeHMUtgsimdingiuignn ägr tmotrmiäeUen Lösungen. 81 
Bedeutung kann dem positiven oder negativen Aus&ll einer solchen 
Berechnung nicht beigelegt werden, weil die zur Verfügung 
stehende Zahl der Versuche zu gering und die Streuung der 
Werte zu groß ist. Namentlich kommt auch in Betracht, daß 
bei unserem Verfahren die Reaktionszeit nicht nur von der 
Sdiwierigkeit der Au^;abe, sondern auch von der jeweils zu ihrem 
Verständnis nötigen Zeit abhing« Bei den Vorteilen, welche das 
Verfahren mit variierender Au^^abe in der gewählten Form für 
die qualitative Analjnse bot, mußte dieser Mißstand mit in Kauf 
genommen und die Gewinnung exakterer Ergebnisse aus den 
Reaktionszeiten besonderen ergänzenden Untersuchungen vor- 
behalten werden, bei denen wohl am besten ein wissentliches 
Verfahren einzuschlagen wäre. 
Tabelle 4 gibt die aus Tabelle 2 (S. 68) berechneten Mittel- 
werte an. Ausgeschaltet wurden die Versuche in Ziffer 7 und 16, 
weil die Reaktionszeit bei ihnen zum Teil auf die Au^abenhäufung 
zurückzuführen ist, femer Ziffer 10, weil diese Versudie aus der 
Nebenreihe herrühren, bei der die Au%abe vorher bekannt war. 
Tabelle 4. 
sukzess. W. 
dirdct nachw. 
umnittelbareW. 
unverm. L. mit 
indir.nachw.W. 
unvenii.L.ohne 
nachweisb. W. 
a.M. 
3,8 
8,4 
3,8 
8,2 
Z. 
2,8 
3,2 
2,8 
2,8 
m.V. 
1,5 
0,7 
1,2 
0,9 
n») 
14 
8 
13 
10 
Die Reaktionszeiten stehen nach dieser Tabelle mit der Auf- 
fassung der unvermittelten Lösungen als Wissensaktualisierungen 
mindestens nicht im Widerspruch. Daß das arithmetische Mittel 
bei der sukzessiven Wissensaktualisierung den entsprechenden Wert 
bei den nachweisbaren unmittelbaren Wissensaktualisierungen nur 
um einen relativ geringen Betrag übersteigt, hat seinen Grund 
darin, daß wir gerade die Fälle bei der Berechnung von Mittel- 
werten ausscheiden mußten, in welchen nach den Protokollen 
*) n == Anzahl der Versuche. 
Seil, Ob«r die Oetetse des geordneten DenkrerUab. 6 
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82 Absdm, /. Die imoermitteiten Löumgen als WissensaktualisUnmgien usw, 
die Bedeutung der sukzessiven Wissensaktualisierungen bei weniger 
geläufigem Wissen am deutlichsten zum Ausdruck kam. Darauf 
aber, daß die sukzessive Wissensaktualisierung auch sehr rasch 
zum Ziele führen kann, wurde sdion früher hingewiesen ^). Unter 
den bei der Berechnung berücksichtigten Versuchen überwiegen 
die kurzzeitigen sukzessiven Wissensaktualisierungen. Daherkommt 
es auch, daß der Zentralwert hinter dem bei den nachweisbaren 
unmittelbaren Wissensaktualisierungen gefundenen zurückbleibt 
Die hohe mittlere Variation bei der sukzessiven Wissensaktuali- 
sierung ist ebenfalls dadurch bedingt, daß unter diese Gruppe 
Wissensaktualisierungen von ganz verschiedener Geläufigkeit des 
Prozesses fallen. Von den beiden höchsten Werten der dritten 
Kolumne der Tabelle 2 ist der eine (G B,8") nach dem Protokoll durch 
eine besondere Schwierigkeit beim Verständnis der Angabe, der 
andere (D 6,4'0 dadurch entstanden, daß die Vp. zuerst eine andere 
Richtung hatte. Der höchste Wert der vierten Kolumne (G 6,8") ist 
dadurch bedingt, daß die Vp. die erste Lösung nicht beibehielt, 
sondern durch eine andere verbesserte. Lassen wir diese Werte 
unberücksichtigt, so erhalten wir für die unvermittelten Lösungen 
beider Gruppen übereinstimmend: a. M. 2,8", Z. 2,6". Die größere 
Geläufigkeit des Prozesses bei den unvermittelten Lösungen kommt 
dann also deutlicher zimi Ausdruck. 
Wir erinnern ims hier der schon erwähnten Tatsache, daß 
Watt bei einer unseren unvermittelten Lösungen entsprechenden 
Gruppe von Reaktionen die kürzesten Reaktionszeiten fand'). Wir 
können hinzufügen, daß nach den Feststellungen Watts solche 
unvermittelte Lösungen bei den begrifflichen Aufgaben Über- 
ordnung und Unterordnimg am häufigsten vorkamen, also bei Auf- 
gaben, bei denen ihrer Natur nach die Gelegenheit zur Anwendimg 
eines geläufigen begrifflich fixierten Wissens am größten sein 
mußte. Auch unsere Versuche lehren, daß die unvermittelten 
Lösungen mit Vorliebe dort auftreten, wo ein begrifflich fixiertes 
Wissen zu Gebote steht. (Vgl. Tabelle 2 und namentlich S. 46 ff., 
Bl f., 58 f., 76 ff., auch 27 f.) 
^ Vg^.oben S.78f. 
•) Vgl. oben S. 52. 
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10, Hauptergebnisse, 88 
§ 10. Hauptergebnisse. 
Die Ergebnisse dieses Abschnitts führen uns zu der Annahme, 
daß die unvermittelten Lösungen bei Aufgaben, bei denen ein 
bestimmtes Begrifibveiiiältnis oder eine bestinunte Beziehung 
zwischen einem Ausgangsgegenstand und dem gesuchten Gegen- 
stand gefordert ist, zum großen Teil Wissensaktualisierungen sind. 
Die Methode, die wir bei diesem Nachweis befolgten, war 
im wesentlichen folgende: 
1. Wir zeigten, daß stufenweise Übergänge vom deut- 
lichsten Hervortreten einer Wissensaktualisierung im Bewußtsein 
bis zu jenen unvermittelten Lösungen stattfinden, bei denen die 
Aufeinanderfolge von Reiz- und Reaktionswort scheinbar durch 
eme unmittelbare Berührungsassoziation zwischen ihnen bedingt ist 
2. Wir konnten zeigen, daß bei gleicher Aufgabe, 
gleichem Reizwort und gleicher oder analoger Reaktion 
die verschiedensten Abstufungen der Ausprägung einer Wissens- 
aktualisierung im Bewußtsein nebeneinander und neben 
scheinbar rein berührungsassoziativ bedingten Re- 
aktionen vorkommen. 
3. Wir fanden in der wachsenden Geläufigkeit eines Wissens 
und in dem mit dieser Geläufigkeit im engsten Zusammenhang 
stehenden Übergang von der sukzessiven zur immittelbaren Wissens- 
aktualisierung die Bedingungen für das Zurücktreten der 
Wissensaktualisierung im Bewußtsein. 
4. Bei einer Gruppe von Versuchen ließ sich eine Statistik 
derVerteilung der Wissensaktualisierungen nach ihren 
Arten und Ausprägungsformen im Bewußtsein durch- 
führen. Wo die in Ziffer 3 angeführten Bedingungen für das 
Zurücktreten der WissensaktuaUsierung im Bewußtsein fehlten, 
fehlten auch die unvermittelten Lösungen. Wo sie gegeben waren, 
traten zugleich mit den direkt nachweisbaren auch die nur mehr 
indirekt nachweisbaren unmittelbaren Wissensaktualisierungen und 
die scheinbar rein assoziativ bedingten unvermittelten Lösungen auf. 
Nicht um eine durch die Wirksamkeit der Aufeabe verstärkte 
unmittelbare Berührungsassoziation zwischen Reiz- und Reaktions- 
wort bezw. den entsprechenden Vorstellimgen handelt es sich 
also bei den von uns untersuchten unvermittelten Lösungen, sondern 
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84 Absduu /. Die itnvermiänitm LOaungen ats Wissensakätaüsierungen usw. 
um die Reproduktion eines Beziehungsganzen, dessen Glieder 
Reiz- und Reaküonswort bezw. die ihren Bedeutungen entsprechen- 
den Bewußtseinserlebnisse und deren Dispositionen bilden. Nicht 
die Dispositionen eines blofien Nebeneinander von Vorstellungen, 
sondern die Dispositionen des Bewußtseins von Sachveriifiltniss^i, 
ein dispositionelles Wissen und dessen Aktualisierung, lagen den un- 
vermittelt»! Lösungen zugrunde. Daß solche Wissensdispositicmen 
komplexe Einheiten sind, die sich nicht resttos in die bloße 
assoziative Aneinanderreihung von Vorstellungen bezw. der ent- 
sprechenden Reproduktionsgrundlagen auflösen lassen, wird un 
folgenden Abschnitt dargetan werden. Dort wird sich auch heraus- 
stellen, daß die Eonstellationstheorie nicht ausreicht, um die Auf- 
gabeltfsung durch Wissensaktualisierung verständlich zu machen, 
daß sie vielmehr durch eine Theorie der Eomplexergänzung er- 
setzt werden muß. Schon jetzt können wir feststellen, daß die 
Eiklärung der Versuche mit sogenannten eingeengten Assoziationen 
mit Hilfe der Annahme einer durch den Einfluß der Aufgabe ver- 
stärkten unmittelbaren Berührungsassoziation zwischen Reiz- und 
Reaktionsvorstellung nicht einmal auf den phänomenologisch ein- 
fachsten Fall der Aufgabelösung, auf die unvermittelten Lösungen, 
angewendet werden darf, bei denen der Anschein am meisten ffir 
eine solche Erklärung zu sprechen schien. 
Dem Nachweis der imvermittelten Lösungen als Wissens- 
aktualisierungen kommt auch aus einem anderen Grunde eine all- 
gemeine Bedeutung zu. Er lehrt ims, daß die Aufeinanderfolge 
der im Bewußtsein hervortretenden Erlebnisse nur mit größter 
Vorsicht der Eridärung der gesetzmäßigen Zusammenhänge zu- 
grunde gelegt werden darf, weil sie häufig nur ein unvollständiges 
Büd von den realen Prozessen gibt Wo es sich nicht um bloße 
Beschreibung, sondern mn die Erklärung eines psychischen (Ge- 
schehens handelt, ist es von größter Bedeutung, die einzelnen 
Verlaufeformen gemeinschaftlich zu untersuchen und miteinander 
zu vergleichen. Wir erlangen damit namentlich die Möglichkeit, 
durch die Auffindimg gradueller Abstufungen und vielleicht auch 
genetischer Beziehungen zwischen ihnen eine richtigere Einsieht 
in die realen Zusammenhänge zu erhalten, als wenn wir uns auf 
die isolierte Anal}rse einzelner Verlaufeformen beschränk^i. Vor 
allem können wir das wichtige Prinzip aufstellen, daß die 
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10. Hauptergebnisse. 85 
einfache Aufeinanderfolge von VorBtellungen ohne 
bewußte Beziehungen zwischen ihnen keinen SchluB 
darauf zuläßt, daß die Reproduktion durch die un- 
mittelbare Berührungsassoziation zwischen ihnen 
bedingt ist^. Unsere Untersuchungen über freie Assoziationen 
werden zeigen, daß dieser Satz auch für Assoziationsversuche 
ohne Au^abestellung gilt Fälle einer rein automatischen Re- 
aktion, die jedoch nur durch die Annahme eines vorhandenen 
Wissens erklärt werden konnten, waren es auch in erster Linie, 
welche Marbe in seinen experimentell-psychologischen Unter- 
suchungen über das Urteil zur Aufstellung des Satzes führten, 
daß ein Wissen niemals im Bewußtsein gegeben sein ktfnne'). 
Die anscheinende Selbstverständlichkeit dieses Satzes, dem schon 
die späteren Ergebnisse von Acb und Bühler entgegenstanden, 
rührt daher, daß Marbe nicht zwischen dispositionellem und 
aktuellem Wissen unterschied. Ein dispositionelles Wissen, d. h. 
die Wissensdisposition, kann niemals bewußt werden. Das dis- 
positionelle Wissen kann aber aktuell werden, und dieses aktuelle 
Wissen kann im Bewußtsein deutlich als Wissen nachweisbar 
sein; es kann aber auch als solches im Bewußtsein nicht erkenn- 
bar hervortreten; es kann also in diesem Sinne sowohl bewußt 
als unbewußt sein. Die von Marbe untersuchten Fälle waren 
mdst Fälle, bei denen ein geläufiges Wissen in Frage kam; sie 
waren daher naturgemäß namentlich von der letzteren Art 
Bei der Untersuchung der Bedingungen des Zurücktretens 
der Wissensaktualisierung im Bewußtsein fanden wir, daß ein 
Wissen, also das Bewußtsein von einem Sachverl^tnis, ebenso 
verschiedene Stadien der Geläufigkeit durchlaufen kann, wie eine 
einfache Berührungsassoziation. Für uns kommt dieser Tatsache 
aus zwei Gründen eine besondere Wichtigkeit zu. 
1. Sie zeigt, daß bei identischer Aufgabe die Kürze der Re- 
aktionszeiten und die Häufigkeit des Auftretens einer Reaktion 
ebensogut vom Grade der Geläufigkeit eines der Aufgabe ent- 
h) den Untersudiungen von Michotte-Prfim und Michotte-Ransy scheint 
dieser Schluß vidiach als eine sdbstverständliche Voraussetzung angewendet 
zu werden. 
") K. Marbe, Experimentell-psychologische Untersudiungen Ober das UrteU 
(Leipzig 1901) S. 91 f. 
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86 Absdm. L Die unvermitUUen Lösungen als Wissensaktuaiisierungen usw. 
sprechenden Wissens abhängen kann als von der Geläufigkeit 
einer unmittelbaren Berührungsassoziation zwischen Reiz- und 
Reaktionswort, wie auch Watt noch ftnnftliTn. 
2. Sie weist darauf hin, daß eine Reproduktion ebenso von 
der Konkurrenz verschiedener Wissenskomplexe nach dem Grade 
ihrer Geläufigkeit als von der Konkurrenz unmittelbarer BerOhrungs- 
assoziationen abhängen kann. Diese Möglichkeit kommt ebenso 
wie die in Ziff. 1 erwähnte auch für freie und unwillkürliche 
Reproduktionen in Betracht Namentlich aber dürfen wir an- 
nehmen, daß bei Versuchen mit Aufgaben, die eine mehrfache 
Lösimg zulassen, die Entscheidimg zwischen ihnen vielfach durch 
die Konkurrenz verschiedener Wissenskomplexe nach dem Grade 
ihrer Geläufigkeit herbeigeführt wird. Das Bewußtsein von einer 
mehrfachen Richtung braucht nicht durch die Konkurrenz ver- 
schiedener vom Reizwort ausgehender Reproduktionstendenzen ver- 
anlaßt zu sein ^), sondern kann auf der Konkurrenz verschiedener 
der Aufgabe entsprechender Wissenskomplexe beruhen. 
Da ein Wissen häufig als solches im Bewußtsein nicht her- 
vortritt, so ist es begreiflich, daß vieles als rein assoziative Auf- 
einanderfolge und als Konkurrenz verschiedener vom Reizwort 
ausgehender Reproduktionstendenzen erscheint, während in Wirk- 
lichkeit die Aktualisierung eines geläufigen Wissens oder die Kon- 
kurrenz verschiedener Wissenskomplexe vorliegt. In Versuchen, 
bei denen die Vpn. wie bei Reaktionsversuchen mit exakter Zeit- 
messung auf möglichst schnelle Reaktion bedacht sind, ist wegen 
der mit dieser Tendenz verbundenen Verkürzung der Prozesse 
die Gefahr einer Täuschung über die Natur der betreffenden Vor- 
g^Uige durch den unmittelbaren deskriptiven Befund besonders 
groß»). 
Wir fanden nicht nur verschiedene Formen der Auspi^igung 
der Wissensaktualisierung im Bewußtsein, sondern auch zwei 
verschiedene Arten der Wissensaktualisierung, nämUch die un- 
mittelbare und die sukzessive Wissensaktualisienmg. Mit der 
sukzessiven Wissensaktualisierung traten bereits kompliziertere 
Prozesse der Aufgabelösung in den Kreis der Betrachtung. Wir 
fanden, daß durch die ersten Phasen der sukzessiven Wissens- 
') Vgl. oben S. 44 Anm. 8. 
*) Vgl. auch die Verteilung der H>- fälle in der Tabelle 2. 
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W. Hauptergebnisse. 87 
aktuaüjsienmg das Bewußtsein von einem der Aufgabe ent- 
sprechenden Wissensbesitz entstehen und das Motiv ftlr einen 
aktiven Appell an das Gedächtnis '), d. h. ftlr eine selbstgestellte, 
auf die Aktualisierung des betreffenden Wissens gerichtete Unter- 
auf gäbe werden kann. Schon dadurch, daß ein solcher Appell 
an das Gredächtnis erfolgt, also die Bereitstellung von Lösungs- 
methoden für eine selbständige Ltfsung überflüssig wird, erhält 
der Prozeß eine bestimmtere Richtimg. Das in den ersten Phasen 
der sukzessiven Wissensaktualisierung aktualisierte Wissen kann 
aber dem weiteren Verlauf auch dadurch eine bestimmtere Rich- 
tung geben, daß es eine Transformation der Aufgabe imd zwar 
eine Vertauschung des ursprünglichen Ziels mit einem spezielleren 
und hierdurch die Aktualisierung eines geläufigeren Wissens er- 
möglicht. Als Voraussetzimg der Entstehung einer sukzessiven 
Wissensaktualisierung erkannten wir den Umstand, daß das ab- 
straktere Wissen, daß ein noch nicht direkt bestimmter Gregen- 
stand in bestimmten Beziehungen zu anderen Gregenständen steht *), 
in derartigen Fällen geläufiger oder sonst leichter aktualisierbar 
ist als das konkretere Wissen, welches der in den betreffenden 
Beziehungen stehende Gregenstand ist. Die Aktualisierung des 
abstrakteren Wissens kann hierbei die Aktualisierung des ihm 
entsprechenden konkreteren Wissens in Bezug auf denselben Gegen- 
stand vermitteln. In einem solchen abstrakteren Wissen kann der 
Gegenstand, dessen direkte Bestimmung gesucht ist, durch ein 
ganzes Netz von Beziehungen zu anderen Gegenständen indirekt 
bestimmt sein, und dieses abstraktere Wissen kann der Aktuali- 
sierung des konkreteren Wissens dienen, welches der in dieses 
komplexe Beziehungsnetz verflochtene Gegenstand ist. 
In einigen Fällen trat in unseren Protokollen schon die Be- 
deutung der Wissensaktualisierung für die kritische Beurteilung 
und Berichtigung einer ursprünglichen Lösung zutage^, ein 
Vorgang, der uns im weiteren Verlauf der Untersuchung noch 
in eingehender Weise beschäftigen wird. Die Analyse der bisher 
^ Den Gegensatz hierzu bildet der Versuch einer „selbständigen Lösung**, 
d. h. die Anwendung bestimmter Lösungsmethoden zur Gewinnung einer neuen 
Erkenntnis. 
*) Dieser Gegenstand kann auch eine Beziehimg sein. Vg^. oben S. 70 
Anm. 1. 
•) Vgl S. 38, 37 f., 41 f. 
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SB Absdui. /. Die tmvermitMien Lömmgpi als Wiase n sa kt u aK si e nmgen usw. 
angeführten Fttlle wies bereits darauf hin, daß gerade die Prozesse 
bei der Prüfung und Beriditigung einer Lösung vom Standpunkt 
einer Konstellationstheorie, nadi der die Reaktion auf einer durch 
den Einfluß der Aufgabe nur verstärkten unmittelbaren BerOhrungs- 
assoziation swischen Reiz- und Reaktionswort beruhen würde, 
nicht versttfndlidi sind. 
Wir haben in der bisherigen Untersuchung eine Analjrse 
der AufgabelOsungen durch Wissensaktualisierung nach den 
Arten der Wissensaktualisierung und ihren Ausprtfgungsformen 
im Bewußtsein vorgenommen. Dabei sind uns auch schon eine 
Reihe von Schwierigkeiten entgegengetreten, die sich fttr eine 
Eonstellationstheorie bei der ErkUüimg dieser Wissensaktuali- 
sierungen ergeben. Eine weitere Aufgabe wird es nun sein, die 
Gesetzmäßigkeiten festzustellen, welche dem Prozeß der Angabe- 
lOsung durch WissensaktualisiiBrung zugrunde hegen. 
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/. Die KompkxüSioxiation. 89 
Zweiter Abschnitt. 
Die Theorie der Wissensaktualisierung. 
Wie schon angedeutet wurde, gehört die Aufgabeltfsung durch 
Wissensaktualisierung zur Klasse derjenigen Reproduktionen, bei 
denen komplexe Verbände beziehungsweise komplexe Bestandstücke 
von solchen als nicht weiter zerlegbare Einheiten beteiligt sind. 
Die Bedeutung, welche dieser Klasse von Reproduktionen zukommt, 
und die eigentümlichen Gesetzmäßigkeiten, die sie beherrschen, 
werden noch nicht immer ausreichend gewürdigt. Bevor daher 
auf den speziellen Fall der Aufgabelösung durch Wissensaktuali- 
sierung eingegangen werden kann, müssen zuerst einfachere und 
zum Teil schon bekannte Fälle solcher Reproduktionen erörtert 
werden. Diese Voruntersuchung wird zugleich das Verständnis 
anderer Verlaufsformen der Au^abelösung vorbereiten, bei denen 
es sich nicht um Wissensaktualisierung, sondern um die Repro- 
duktion anschaulicher Komplexe handelt. 
L Die Komplexassoziation. 
§. 1. Die Theorie der Komplexreproduktion. 
Nehmen wir an, der Zuruf des Zahlwortes „sieben** wecke in 
einer Vp. die visuelle Vorstellung der geschriebenen arabischen 
ZilSer 7. Dieser Vorgang scheint zunächst nadi Anerkennung des 
Prinzips der BerUhrungsassoziation keine Schwierigkeiten mehr zu 
bieten; er beruht eben darauf, daß gleichzeitig stattgefundene 
psychische Vorgänge die Tendenz haben, einander zu reprodu- 
zieren. Dennoch läßt eine derartige Reproduktion an sich zwei 
vollständig verschiedene Arten der Erklärung zu: 
1. Man kann sagen, jeder der einzelnen Laute des Zahlwortes 
sei vom Zeitpunkte der Erlemimg des Zahlenlesens und -Schreibens 
an imzählige Male mit dem Schriftbild der Ziffer 7 zugleich im 
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90 Abschn. 2, Die Theorie der Wissensaktuaäsietung. 
Bewußtsein gewesen und habe hierdurch mit diesem eine feste 
Berührungsassoziation eingegangen. Jeder dieser Laute stehe nun 
freilich in ebenso festen Berührungsassoziationen mit unzahligen 
anderen Wort- und Sachvorstellungen. Indem aber von allen 5 
das Zahlwort „sieben'' konstituierenden Lauten eine Reproduktions- 
tendenz ausgehe, die auf die Reproduktion der Ziffer 7 gerichtet 
sei, trete das Gesetz in Wirksamkeit, daß mehrere Reproduktions- 
tendenzen mit gemeinschaftlichem Elndglied einander untersttttz^i. 
Hierdurch entstehe eine Reproduktionstendenz, die an Stärke alle 
Reproduktionstendenzen übertreffe, welche nur von einem oder 
einigen der Laute ausgehen, und es werde daher nur diejenige 
Assoziation überwertig, die allen 6 Lauten gemeinsam sei. Die 
Reproduktion des Schriftbildes der Ziffer durch das Zahlwort würde 
also auf die konstellierende Wirkung der von den einzelnen Lauten 
des Zahlworts ausgehendenReproduktionstendenzen zurückzuführen 
sein^). (Eonstellationstheorie.) 
2. Einer solchen, die assoziierte Wortvorstellung in isolierte 
Elemente auflösenden Theorie kann die Ansicht gegenübei^gestellt 
werden, nicht die einzelnen Laute, sondern das 2^ahlwort als 
Ganzes habe eine Berührungsassoziation mit dem Schriftbild der 
Ziffer eingegangen, sodaß es innerhalb dieses assoziativen Ver- 
bandes die Rolle eines letzten Elementes spiele. (Komplex- 
theorie). 
Zu den Vertretern einer Eonstellationstheorie muß auch Ebbing- 
haus noch gerechnet werden. Dasselbe Erklärungsprinzip nämlich, 
das für den besonderen Fall der Assoziation von Zahlwort und 
Zifferbild gilt, wird auf jede Assoziation eines Wortes mit einem 
Symbol oder einer Sachvorstellung Anwendung finden müssen. 
Über einen besonders wichtigen Fall dieser Art aber, über das 
Verhältnis des Wortes zu der ihm zugehörigen Bedeutungsvor- 
stellung hat Ebbinghaus seine Ansicht mitgeteilt^. Alles was 
man als Sinn, Zusammenhang und Zusammengehörigkeit be- 
zeichnet, beruht nach ihm auf „mehrfachen Assoziationen 
zwischen denselben Gliedern''. Wie die Glieder eines 
Reimpaares einmal durch die Vermittelung der verbindenden Worte, 
außerdem aber noch direkt durch den Gleichklang verbunden sind, 
*) Vgl. oben S. 2. 
*) GnmdsOge der Psychologie, 1. Bd., 2. Aufl. 1905. S. 700 ff. 
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/. Die Komplexassoziation. 91 
so sind auch die Laute eines sinnvollen Wortes in doppelter 
Weise miteinander assoziativ verknttpft. ^Ein Wort hat Sinn, das 
heißt: die in ihm enthaltenen Laute hängen nicht bloß in der 
Weise zusanunen, die durch ihre Aufeinanderfolge gegeben ist, 
sondern sie sind zugleich mit einer ihnen allen gemeinschafUichen 
Vorstellung eines sichtbaren oder greifbaren Dinges, einer ein- 
heitlichen Handlung u. dergl. verbunden^ '). Jeder Laut hat nicht 
nur die Tendenz, die übrigen Laute, sondern auch die Tendenz, 
die Sachvorstellung zu reproduzieren, die ihrerseits ebenfalls wieder 
zur Reproduktion der übrigen Laute tendiert. So haben wir den 
Fall einer „Verknüpfung derselben Glieder durch eine Mehrheit 
von Assoziationsbahnen^ vor uns: „Von einem Ausgangsglied 
gehen Reproduktionstendenzen nach verschiedenen Richtungen 
aus, sie vereinigen sich aber wieder in demselben EndgUede/ 
Nicht das Wort als Ganzes, sondern die einzelnen Laute sind 
mithin nach Ebbinghaus mit der Sachvorstellung assoziiert. Die 
Reproduktion der letzteren bei gegebenem Worte müßte daher 
als Eonstellationswirkung betrachtet werden. Der Hauptgrund 
der Anwendung der Eonstellationstheorie zur Erklärung von 
Komplexreproduktionen, d. h. von Reproduktionen von 
Komplexen bezw. durch Komplexe ist in physiologischen Vor- 
stellungen über die Entstehung der Empfindungen und die Lokali- 
sation ihrer Reproduktionsgrundlagen in der Grroßhimrinde zu 
suchen. Deutlich zeigt sich dies bei Ziehen. „Physiologisch,^ 
sagt Ziehen, „sind die meisten Vorstellungen keine Einheiten, 
sondern nur psychologisch; demgemäß vollzieht sich nun tat- 
sächlich auch die Gleichzeitigkeitsassoziation nicht zwischen 
zwei einfachen Elementen a und b, sondern zwischen den zahl- 
losen in a enthaltenen Teilvorstellungen respektive Talerregungen 
und den ebenso zahlreichen inb enthaltenen^ *). Ebenso führt James, 
der gleich&Us die Konstellation zur Erklärung des geordneten 
Zusammenhangs im psychischen Geschehen heranzieht, alle Re- 
produktionen auf das Zusammenwirken der Assoziationen zwischen 
isolierten elementaren Gehimdispositionen zurück^. 
*) a. a. 0. S. 700. 
■) Th. Ziehen, Leitfaden der physiologischen Psychologie (9. Aufl.) S. 208. 
*) W. James, The prindples of Psychology, VoL I (London 1890) S.566flF. 
W. James, Psychologie, übersetzt von M. Dürr (Leipzig 1909) S. 266 ff. 
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92 Absdm, 2. Die Theorie der WissensaJäualisierung. 
Die Unhaltbarkeit der EonstellationsUieorie ergibt sich jedoch 
aus folgender Überlegung. Würde die Reproduktion eines Sym- 
bols oder einer Sachvorstellung durch ein Wort auf einer Eon- 
stellationswirkung der einzelnen Laute beruhen, so würden diese 
Laute in ihrer Gesamtheit auch dann eine sehr starke Tendenz 
zur Hervorrufung des Symbols bezw. der Sachvorstellung er- 
zeugen, wenn sie in ganz anderer Reihenfolge aufeinander folgten. 
So würde etwa das akustische Wortbild ,,Ibsen^, namentlich mit 
langem I gesprochen, eine starke Tendenz zur Reproduktion des 
Zahlensymbols 7 hervorrufen, und diese Reproduktion würde vor 
allem dann erfolgen, wenn einer Person der Name „Ibsen^ nicht 
geläufig wäre und daher keine Reproduktionstendenzen anzureg^i 
vermöchte. Wenn wir jemandem das Wort „verleiten" oder das 
Wort „verteilen**, das Wort „verlaufen** oder das Wort „verfaulen" 
zuriefen, immer bestände beim Hörer eine erhebliche Tendenz, 
auch die dem anderen der beiden gleichlautigen Worte ent- 
sprechenden Sachvorstellungen zu erzeugen. In den zuletzt er- 
wähnten Fällen sind die Anlaute der Worte die gleichen, die 
Berufung auf eine besonders starke Assoziation des Anlautes mit 
der Sachvorstellung, durch dessen Wiederholung sie sofort in 
hohe Bereitschaft gesetzt würde, würde also versagen. Auch die 
trotz der Gleichheit der Laute bestehenden phonetischen Unter- 
schiede sind nicht ausschlaggebend. Ähnliche Abweichungen 
kommen z. B. bei der Aussprache durch Ausländer vor, ohne 
daß sie die Entstehung der Sachvorstellung verhindern. Da nun 
die soeben gezogenen Eonsequenzen der EonsteUationstheorie 
der Erfahrung durchaus widersprechen, so zeigen sie indirekt 
die Unzulänglichkeit der zugrunde gelegten Theorie. Die völlige 
Verschiedenheit der Wirkung je nach der zeitlichen Anordnung 
der Laute aber weist auf die Abhängigkeit der Reproduktion von 
der speziellen zeitlichen Anordnung der Elemente hin, durdi 
welche hier allein ein durch absichtliche oder unabsichtliche 
Eigentümlichkeiten der Sprechweise nicht zu verwischender Unter- 
schied gleichlautiger Worte geschaffen wird. Sobald wir jedoch 
die zeitiiche Anordnung innerhalb der Lautkombinationen als maß- 
gebend für die Reproduktion erklären, sind wir auch gezwungen, 
die Eomplextheorie anzunehmen; denn die spezielle zeitliche 
Anordnung von Lauten ist eine Bestimmtheit, die nicht den 
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/. DU KompUxasMOMiation, 96 
emzdnen Elementen des Lautkomplexes oder Gruppen von sol- 
chen, sondern dem Komplex als Ganzem zukommt (Komplex- 
bestimmtheit). Sie besteht darin» daß gerade solche, die allge- 
meinen Merkmale der betreffenden Laute tragende Elemente in 
dieser bestimmten zeitlichen Anordnung beisammen sind. Durch 
sie unterscheidet sich also der Lautkomplex als Ganzes von 
jedem Lautkomplex, der eine andere zeitliche Anordnung der- 
selben Laute zeigt^). 
Nur wenn wir uns den ganzen Lautkomplex und nicht oder 
nur in untergeordnetem Maße seine isolierten Elemente mit dem 
Symbol oder der Sachvorstellung assoziiert denken, wird die Be- 
deutsamkeit der speziellen zeitlichen Anordnung der Laute fttr 
die Reproduktion begreiflich (Komplexassoziation im Gegen- 
satz zur Elementarassoziation). Sind die Komplexe und nicht die 
Elemente assoziiert, so verstehen wir, daß nur ein Komplex von 
Reicher Beschaffenheit, der also dieselben Laute in gleicher An- 
ordnung enthält, auf Grund der vorhandenen Bertihrungsassoziation 
die Reproduktion des Symbols, bezw. der Sachvorstellung herbei- 
zuführen pflegt, wahrend die Konstellationswirkung der einzelnen 
Laute ohne Rücksicht auf ihre Anordnung diesen Erfolg im all- 
gemeinen nicht zu erzielen vermag. 
Wie die akustisch-motorischen Wortvorstellungen, so unter- 
scheiden sich rilumlich-zeitliche Vorstellungskomplexe jeder Art 
durch die spezielle i^umlich-zeitliche Anordnung ihrer Elemente 
von anderen Komplexen, welche dieselben Elemente in anderer 
Anordnung enthalten. Sie haben eine sie als Ganze kennzeich- 
nende Komplexbestimmtheit. Wir wollen solche räumlich-zeitliche 
Komplexe Anschauungsganze nennen und können nun den 
allgemeinen Satz aufstellen: Ist ftlr einen assoziativen Repro- 
duktionsvorgang die rilumlich-zeitliche Anordnung der Elemente 
eines Anschauungsganzen maßgebend, so beruht die Reproduktion 
auf einer Komplexassoziation. Ist auch das andere Glied des 
assoziativen ye]i)andes ein Anschauungsganzes und ist die i^um- 
lich-zeitliche Anordnung der Elemente dieses Anschauungsganzen 
fttr die Reproduktion maßgebend, so ist die Komplexassoziation 
räie gegenseitige. Würde der assoziative Verband, dessen 
^ Ob diese Komplexbestimmtheit eine nGestahqualitftt*' im Sinne von 
V. Ehrenfels ist, kann dahingestdh bleU>en. 
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94 Absdin. 2. Die Theorie der XTissensaktuaÜsiening. 
Glied ein bestimmtes Anschauungsganzes ist, ausschließlich auf 
einer Assoziation der Vorstellungen von Element zu Element be- 
ruhen, so würde die nur dem Komplex als Ganzem eigentümliche 
rilumlich-zeitliche Anordnung der Elemente (relativ zu ein- 
ander) einen Einfluß auf die Reproduktion nicht auszuüben 
vermögen. 
Daß „komplexe Eindrücke als Ganzes reproduzierend wirken^)/ 
ist schon wiederholt hervorgehoben worden. Namentlich hat auch 
Schumann bei Gelegenheit der Diskussion über die Ehrenfels'schen 
„Gestaltqualitäten^ im Anschluß an die bekannten Diktate aus 
G. E. Müllers Vorlesimgen auf diesen Umstand hingewiesen*). 
Voraussetzung einer solchen Komplexwii^ung ist aber die An- 
nahme, daß die Komplexe Verbindungen eingehen, welche nicht 
in Verbindungen ihrer Elemente auflösbar sind. Wenn ich, um 
das bekannte Ehrenfels'sche Beispiel für Gestaltqualitäten') heran- 
zuziehen, eine Melodie als die eines bekannten Volksliedes erkenne 
und benenne, so ist hierbei eine Konstellationstheorie der Elemente 
möglicherweise vollständig ausgeschlossen; denn durch die ge- 
wählte Tonart können die Elemente der Melodie den früheren 
völlig unähnlich geworden sein. Bei Annahme einer Komplex- 
assoziation wird es dagegen verständlich, daß die Wiederkehr 
derselben Komplexbestimmtheit, nämlich derselben Tonschritte in 
gleicher Aufeinanderfolge, die richtige Benennung herbeiführt^). 
Umgekehrt ist es vom Standpunkte einer Konstellationstheorie 
aus nicht einzusehen, warum eine Melodie trotz vollständig ver- 
änderter Tonfolge nicht wiedererkannt werden soll, wenn nur die 
einzelnen Töne dieselben sind. Ist die durch die Veränderung 
*) 0. Külpe, Grundriß der Psychologie (Leipzig 1893) S. 193, 2ÜQ. 
■) Siehe ferner unten S. 101. 
•) V. Ehrenfels, Über Gestaltqualitäten, Viertel jahrsschrifl f. wiss. Philos. 
14. S. 259. 
*) Auch die Untersuchungen von Katharina von Maltzew (Das Erkennen 
sukzessiv gegebener musikalischer Intervalle in den äußeren Tonregionen, 
Zeitschr. f. PsychoL 64, S. 161) scheinen mir die Annahme zu rechtfertigen, 
daß es sich bei den Tonschritten ebenso wie bei den verschiedenartigen Raum- 
gestalten um charakteristische Komplexbestimmtheiten handelt Die Verfasserin 
betont ausschließlich die charakteristische Beschaffenheit der verschiedenen 
Tonschritterlebnisse, ohne ihre Unselbständigkeit hervorzuheben, welche diese 
Erlebnisse nicht ab neue Elemente neben den einzelnen Tönen, sondern als 
eigentfimliche Komplexbestimmtheiten an dem Tonkomplex erscheinen läßt. 
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/. Die Komplexassoziation, 95 
entstandene Melodie neu, also nicht imstande, ihrerseits Erinne- 
rungen anzuregen, so müßten doch die Töne der früheren Melodie 
durch ihre starke Eonstellationswirkung den Text oder die Be- 
nennung der Melodie reproduzieren. Niemand aber wird zweifeln, 
daß dies auch dann bei genügender Verschiedenheit der Auf- 
einanderfolge der Töne nicht der Fall sein wird, wenn es auf 
mechanischem Wege gelänge, die einzelnen Töne der Melodie in 
beiden Fällen genau in der gleichen Betonung zu erzeugen. 
Wir brauchen femer nur das frühere Beispiel von der Re- 
produktion der Ziffer durch das Zahlwort umzukehren, um ein 
gutes Beispiel einer Reproduktion durch ein räumliches An- 
schauungsganzes auf Grund einer Eomplexassoziation zu haben. 
Das Schriftbild der Ziffer 7 wird mit großer Regehnäßigkeit das 
Zahlwort reproduzieren. Daß jedoch die isoherten Empfindungen, 
aus denen sich dieses Schriftbild zusammensetzt, durch Konstel- 
lation das Zahlwort zu reproduzieren imstande seien, wird nie- 
mand behaupten wollen. Die Reproduktion ist aber auch nicht 
aus der Konstellationswirkung von Elementegruppen zu erklären. 
Durch einen Reiz von der Form ^ / wird nicht leicht das Zahl- 
wort „sieben" reproduziert werden, imd doch ist die Ziffer hierbei 
nur in zwei isoherte Komplexe zerlegt. Zu beachten ist, daß die 
Annahme einer absoluten, den einzelnen Empfindimgen anhaften- 
den Ortsbestimmtheit nicht zur Rechtfertigung einer Konstellations- 
theorie herangezogen werden kann. Denn erfahrungsgemäß ist 
diese absolute Ortsbestimmtheit für die reproduktive Wirkung völlig 
gleichgültig. So könnte in unserem Beispiel die Ziffer 7 eine be- 
Uebige Größe annehmen, die absoluten Ortsbestimmtheiten der 
einzelnen Empfindungen von denen früherer Empfindungen also 
vollständig verschieden sein, ohne daß dadurch die Reproduktion 
des Zahlwortes verhindert würde. Zieht man hingegen die (re- 
lative) lüumliche Anordnimg zur Erklärung der Reproduktion heran, 
so betrachtet man eine Bestinmitheit als maßgebend für die Re- 
produktion, welche keine Bestimmtheit der isolierten Elemente, 
sondern eine Komplexbestimmtheit ist, imd ist daher zur Annahme 
einer Eomplexassoziation genötigt^). 
Schon B. Erdmann und R Dodge, Psychologische Untersuchungen Ober 
das Lesen (Halle 1896) S. 161, haben darauf hingewiesen, daß Buchstaben, 
ZifTem und andere Objekte nidht auf Grund der optischen Bestandteile, in die 
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96 Absdm. 2. Dk Theorie der Wissenaakütalisierung. 
Nehmen wir an, es seien Reihen von optisch dargebotenen Kom- 
plexen nach Art der von Ach und Meyer bei der Untersuchung 
von Simultanassoziationen verwendeten') ohne begriffliche oder 
anschauliche Hilfen in der Weise erlernt worden, daß zu einem 
Komplex immer ein bestimmter dazugehöriger einzuprtigen war. 
Unter den erlernten Komplexpaaren sollen sich nun die beiden 
folgenden befunden haben: 
♦ ♦ ♦ 
a » 
+ 
+ + 
Figur 1. 
Es wird dann bei gelungener Einprägung der Komplex a den 
dazugehörigen Komplex b und der Komplex a' den dazugehörigen 
Komplex b' reproduzieren. Durch eine etwaige Vergrößerung 
oder Verkleinerung der dargebotenen Komplexe imter Beibehaltung 
der zwischen ihren Elementen bestehenden räumlichen Veihält- 
nisse würde diese Wirkung erfahrungsgemäß nicht beseitigt werden. 
Infolge der Gleichheit der Elemente kann ausschließlich deren 
sie sich auflösen lass^ sondern infolge der ihnen eigenen Konfiguration dieser 
Bestandteile, ihrer optischen Gresamtform, erkannt werden. Vgl femer die 
Versuche von E. Becher über die Assoziation von Gestaltresiduen und das 
Wiedererkennen von Gestalten: Gehirn und Sede (Heidelberg 1911) S. 215 fr., 
222 fr. Diese Versuche eii)ringen namentlich den experimentdien Nachweis 
dafOr, daß es f&r das Wiedererkennen und die reproduzierende Wirksamkeit 
von räumlichen Gebilden nicht auf die Wiederkehr derselben absoluten Orts- 
werte, sondern auf die Wiederkehr derselben räumlichen AncMxlnung ankommt 
Im Einklang hiermit stehen auch die Ergebnisse von K. Bühler, Die Gestalt- 
Wahrnehmungen, 1. Bd., Stuttgart 1913. Sie zeigen, daß räumliche und zeit- 
liche Gestalten von bestimmten Proportionen statt in der ursprünglichen Ab- 
messung auch in einer größeren oder kleineren Abmessung r^roduziert werden 
können. Vgl. a. a. 0. S. 180, 284 fr. Was hier im strengen Sinne r^rodudert 
wird, ist die räumliche oder zeitliche, bestimmte Verhältnisse begründende 
Ordnung des ursprünglichen Eindrucks. 
N. Ach, Ober eine Methode zur Untersuchung der simultanen Asso- 
ziationen. Bericht über den 3. Kongreß f. experiment Psychol., Leipzig 1909. 
E. Meyer, Üb«r die Gesetze der umultanen Assoziation und das Wiedererkennen. 
Untersuchungen zur Psychologie und Phibsophie, herausgegd^en von N. Ach, 
1. Bd. 3. Heft (Leipzig 1910). 
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/. Die KompiexassogiaÜon. 97 
räumliche Anordnung fttr die Verschiedenheit der Reproduktion 
maßgebend sein*). Diese rttumliche Anordnung aber kann als 
Eomplexbestimmtheit nur dann Einfluß auf die Reproduktion ge- 
winnen, wenn nicht die isolierten Elemente, sondern die Komplexe 
in den assoziativen Verband eingegangen sind. 
Nun läßt sich wie in den angeführten Beispielen zu jedem 
beliebigen Anschauungsganzen ein anderes Anschauungsganzes 
denken, das dieselben Elemente in g^Uizlich verschiedener räum- 
lich-zeitlicher Anordnung enthält. Auf Grund allgemeiner Er- 
fehrungen dürfen wir aber dann annehmen, daß das zweite Ghmze 
überhaupt nicht oder doch nicht in gleicher Weise wie das erste 
geeignet wäre, die mit jenen assoziierten Vorstellungen zu re- 
produzieren. Allein nicht nur die räunüich-zeitUche Anordnung 
der Ausgangsglieder der Assoziationen von Anschauungsganzen, 
sondern auch die Eomplexbestimmtheit der EndgUeder ist für die 
Reproduktion maßgebend. In dem soeben angeführten Beispiel 
wird bei gelungener Einprtigung der Komplex a nur den mit ihm 
assoziierten Komplex b, der Komplex a' nur den Komplex b' re- 
produzieren, obwohl beide sich nicht nach ihren Elementen, sondern 
nur nach ihren Komplexbestimmtheiten unterscheiden. Komplexe 
wirken also nicht nur als Granze reproduzierend, sondern 
werden auch als Qsnze reproduziert. So gelangen wir zu dem 
Satz: Alle Assoziationen zwischen Anschauungsganzen 
sind gegenseitige Komplexassoziationen. Die Anschau- 
migsganzen sind eben keine bloßen Aggregate von Elementen, 
sondern Komplexe. Es ist bei ihnen nicht wie bei einem Aggregat 
^eichgültig, ob die Elemente in der Reihenfolge a + b -f c + d 
oder in einer anderen Reihenfolge angeordnet sind, sondern eine 
andere Anordnung bedeutet auch ein anderes Anschauungsganzes; 
denn sie hat andere Komplexbestimmtheiten zur Folge. Darum 
sind auch die Assoziationen, welche Anschauimgsganze eingehen, 
Komplexassoziationen und nicht gleichbedeutend mit den Assozia- 
tionen zwischen ihren Elementen einerseits und den Elementen 
der mit ihnen assoziierten Anschauungsganzen andererseits. Was 
Man müßte denn die Verschiedenheit der Reproduktion auf die Ver- 
schiedenheit von Nebeneindrücken (Begleiterscheinungen) bei der Einprfigung 
stützen. Über die Unwahrscheinhchkeit einer solchen Annahme vgl. EL Becher 
a. a. O. S. 286-266. 
Bell, Ober die Gkeetse dee geordneten DenkTerUufi. 7 
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96 Absdm, 2, Die Theorie der Wissensaktuatisierung. 
von AnBchauungsgaiizen gilt, muß von beliebigen Komplexen 
gelten, wenn wir hierunter zusammengesetzte psychische Gebilde 
verstehen, die durch besondere Komplexbestimmtheiten ausgezeich- 
net, also keine bloßen Aggregate von Elementen sind. Wir können 
daher den weiteren Satz aufstellen: Assoziationen zwischen 
Komplexen sind nicht Assoziationen zwischen ihren Elementen, 
sondern sind gegenseitige Komplexassoziationen. 
Dieser Satz bringt ein Strukturgesetz*) der Assoziationen 
zwischen Komplexen zum Ausdruck. Wir können es kurz das 
Gesetz der Komplexassoziation nennen. Dieses Struktur- 
gesetz hat nach dem allgemeinen (kausalen) Assoziationsgesetz, 
daß die Glieder assoziativer Verbände die Tendenz haben, ein- 
ander zu reproduzieren, bei der Wiederkehr des einen Komplexes 
die Tendenz zur Reproduktion des anderen Komplexes zur Folge. 
Zu beachten ist, daß das Gesetz der Komplexassoziation nicht 
besagt, daß jede Reproduktion eines Komplexes durch einen 
anderen Komplex auf einer Komplexassoziation beruht Ein Kom- 
plex kann auch mit einem bestimmten Glied eines anderen Kom- 
plexes assoziiert sein, z. B. ein Takt einer Silbenreihe mit dem 
ersten Glied des folgenden Taktes. In derartigen Fällen repro- 
duziert der erste Komplex nur das erste Glied des zweiten Kom- 
plexes, das dann seinerseits die weiteren Glieder dieses Komplexes 
reproduziert. Insoweit besteht aber auch eben keine Komplex- 
assoziation. Es sind nicht die beiden Takte miteinander, sondern 
nur der eine Takt mit dem ersten Glied des anderen Taktes 
assoziiert. Das Gesetz der Komplexassoziation besagt nur, daß 
Assoziationen von Komplex zu Komplex, wo sie bestehen, 
nicht auf Assoziationen der Elemente dieser Komplexe zurttck- 
geführt werden können. 
Wir beschicken uns zunächst auf die Erörterung der Komplex- 
assoziationen von Anschauungsganzen. Die Voraussetzung einer 
Komplexassoziation von Anschauungsganzen ist, daß diese nicht 
nur i^umlich-zeitliche Erlebniseinheiten bilden, sondern es muß 
dem rämnlich-zeitlichen Zusammenhang der hypothetischen Vor- 
stellungselemente auch ein Zusammenhang der Reproduktions- 
grundlagen entsprechen, der es ermöglicht, daß sie als Granze 
*) Ober den Begriff des Strukturgesetzes siehe C Stumpf, Zur Einigung 
der Wissenschaften. Abhandlungen d. Akad. d. Wiss. zu Berlin 1906, S. 61 IL 
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/. Die Komplexassoziation, 99 
Assoziationen eingehen. Wir können solche komplexe disposi- 
tionelle Einheiten Eomplexdispositionen nennen und daher 
sagen: Voraussetzung der Komplexassoziationen von Anschauungs- 
ganzen ist das Vorhandensein von Komplexdispositionen'). 
Neben den Komplexassoziationen zwischen Anschauungsganzen 
mögen noch Assoziationen der Elemente des einen Ganzen mit 
den Elementen des anderen Ganzen oder mit diesem selbst be- 
stehen. Jedenfalls aber ist zur Erklärung der Reproduktion eines 
Anschauungsganzen durch ein durch Berührungsassoziation mit 
ihm verbundenes anderes Anschauungsganzes die Heranziehimg 
einer Konstellationswirkung der Elemente nicht notwendig. Da 
die Komplexe miteinander assoziiert sind imd innerhalb des asso- 
ziativen Verbandes als Elemente desselben fungieren, so vermag 
auf Grund des allgemeinen Assoziationsgesetzes der eine Komplex 
als Ganzes den anderen zu reproduzieren. Daß gewisse An- 
schauungsganze wie namentlich die Worte beim Normalen in 
weitaus der Mehrzahl der Fälle Vorstellungen zu reproduzieren 
pflegen, welche mit ihnen assoziiert sind und nur ausnahmsweise 
solche, welche lediglich mit ihren Elementen durch Berührungs- 
assoziation verbunden sind, vermag die Komplextheorie ebenfalls 
besser verständlich zu machen als die Konstellationstheorie. So- 
gar die Klangassoziationen beruhen ja noch zum Teil auf sprach- 
Uchen Berührungsassoziationen, also auf Komplexassoziationen der 
gleichklingenden Worte. 
Nach der Konstellationstheorie müßten bei Worten die allen 
Lauten gemeinsamen Reproduktionstendenzen in fast allen Fällen 
stärker sein als die nur von einem oder einigen der Laute aus- 
*) Ob schon die gedächtnismäßige Aufbewahrung der räumlich-zeitlichen 
Anordnung das Vorhandensein von Komplexdispositionen notwendig macht, 
kann hier dahingestellt bleiben. Auch wenn jedem Empiindungsel^nent oder 
den Verschmelzungsprodukten elementarer Empfindungen ein gewisser Raum- 
oder Zeitwert innewohnte, und etwa schon durch die bloße Assoziation dieser 
Elemoate bezw. Verschmelzungsprodukte ein dem räumlich -zeitlichen ent- 
sprechender Zusammenhang der Reproduktionsgrundlagen entstehen würde, 
müßte das Vorhandensein von Komplexdispositionen angenommen werden, 
um die Komplexassoziationen verständlich zu machen. Zu betonen ist femer, 
daß in der Annahme dispositioneller Einheiten keineswegs eine bestimmte 
physiologische Theorie enthalten ist Ob man sich z. B. die in die Komplex- 
dispositionen eingehenden Elementardispositionen als räumlich benachbart, und 
wie man sie sich miteinander verknüpft zu denken hat, bleibt vollständig un- 
entschieden. 
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100 Absdin, 2, Die Theorie der Wissensaktualisierung. 
gehenden. Das wird aber umso unwahrscheinlicher, je weniger 
Laute das Wort hat, je weniger Reproduktionstendenzen in ihm 
daher zu dem gleichen Ziel wirken. Es müßte dann für lange 
Worte eine größere Aussicht auf eine dem ganzen Wort gemäße 
Reproduktion vorliegen als fflr kurze, wofür keinerlei Erfahrungen 
sprechen, und es wäre gar nicht einzusehen, warum z. B. die von 
den zwei Lauten der akustischen Wortvorstellung „See^ nach 
dem gleichen Endglied gerichteten Reproduktionstendenzen fast 
immer stärker sein sollen als eine sehr starke Reproduktions- 
tendenz, welche nur von einem der Laute ausgeht, z. B. die Ten« 
denz, ein geläufiges mit dem Laut S beginnendes Wort zu repro- 
duzieren. Entsprechendes gilt für zusammengesetzte Worte, deren 
Teile einen selbständigen Sinn haben. E^ ist nicht recht zu ver- 
stehen, warum die Konstellationswirkung der in dem Worte „Vater- 
mörder^ vereinigten Laute beim Normalen fast ausnahmslos stärker 
sein soll als die der in den Bestandteilen „Vater^ und „Mörder^ 
vereinigten Laute, die gewiß für sich allein sehr starke Repro- 
duktionstendenzen auszulosen imstande sind. 
Vom Standpunkte der Eomplextheorie werden wir dagegen 
die vorzugsweise Reproduktion solcher Vorstellungen, welche mit 
dem ganzen Komplex assoziiert sind, darauf zurückführen, daß 
gewisse Anschauungsganze für unser Interesse, unser Denken und 
Handeln vor allem als Ganze in Betracht zu kommen pflegen, 
während ihre Elemente relativ gleichgültig sind. Es wird daher 
solchen Anschauungsganzen gegenüber, die durch gewisse Komplex- 
bestimmtheiten als Granze der betreffenden Art z. B. als Worte 
gekennzeichnet sind, ganz allgemein die determinierende Tendenz 
(Einstellung) zur Komplexauffassung bestehen, d.h. die Auf- 
merksamkeit wendet sich nicht den einzelnen Bestandstücken für 
sich, sondern dem ganzen einheitUchen Komplex mit seinen charak- 
teristischen Eigenschaften zu. Hierbei mag die Erkenntnis des 
Ganzen sehr wohl durch die Erkenntnis von Einzelheiten bedingt 
sein, wie z. B. die Untersuchungen über das Lesen von Zeitler, 
Schumann und Wiegand es für gewisse Bedingimgen dargetan 
haben. Aber diese Elemente bezw. Elementegruppen sind infolge 
der vorhandenen Einstellung nur als integrierende Bestandstücke 
eines wenn auch noch mehr oder weniger indifferenzierten Ganzen 
bestimmter Art gegeben und in den Dienst der in Entstehung be- 
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/. Die Kompiexassozutäon, 101 
griffenen Komplexauffassung gestellt, so daß sie nicht in der Weise 
wie isolierte Elemente reproduzierend wirken. Es werden daher 
nur die Komplexassoziationen wirksam werden, welche die 
JKomplexdispositionen entsprechender früher erlebter An- 
schauungsganzen, z. B. der entsprechenden optischen oder akusti- 
schen Wortvorstellung eingegangen haben ^). 
§ 2. Belege aus anderen Untersuchungen. 
Die Bedeutung der Eomplexauffassung fflr die Assoziation 
und Reproduktion hat namentlich G. E. Müller betont. Schon in 
seinen von Schumann veröffentlichten Diktaten wird die von Kom- 
plexen als Ganzen ausgehende reproduzierende Wirkung auf eine 
„kollektive Auffassung^ ") von Erscheinungsganzen zurückgeführt. 
Neuerdings hat Müller die Herbeiführung einer engeren assozia- 
tiven Verknüpfung der Glieder einer Reihe durch die kollektive 
Auffassung und die durch sie in erster Linie bedingte Eomplex- 
bildung beim Lernen eingehend untersucht^). Er weist hierbei 
auch im Sinne der obigen Ausführungen darauf hin, „daß, wenn 
eine Anzahl von Reihengliedem zu einem schon früher dagewesenen 
und mit irgend welchen anderen Vorstellungen assoziierten Kom- 
plexe zusammengefaßt werden, alsdann dieser Komplex Vor- 
stellungen reproduzieren und in Bereitschaft setzen wird, mit 
denen er sich früher als Komplex assoziiert hat. Werden dagegen 
die Reihenglieder als einzelne angefaßt, so können sie solche 
Vorstellungen erwecken, mit denen sie sich als früher singulär 
aufgefaßte assoziiert haben^^). 
') Damit ist nicht gesagt, daß nicht eine besonders starke Reproduktions- 
tendenz eines in dem Komplex enthaltenen Elements oder einer Gruppe von 
solchen sich trotz der vorhandenen KomplexaufTassung durchsetzen könne. 
") F. Schumann, Zur Psychologie der Zeitanschaimng, Zeitschr. f. PsychoL 
17. S. 109 ff. 
•) Vgl „Zur Analyse der Gedächtnistätigkeit", S. 263 ff. und die dort an- 
geführten früheren Abhandlungen. 
a. a. O. S. 267. — Das phänomenologische Zurücktreten der Teile eines 
Ganzen ist namentlich von Th. Ldpps, Leitfaden d. PsychoL, 3. Aufl. (Leipzig 1909) 
S. 172 ff., besonders S. 176 f., 179 f., eingehend beschrieben worden. Mit diesem 
Zurücktreten hängt natürlich das Fehlen einer selbständigen reproduktiven 
Wiiksamkeit aufs engste zusammen. 
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102 Absdm, 2. Die Theorie der Wissensaktualisierung. 
In einer Anmerkung berichtet Müller, er habe nach dem 
Hersagen einer Reihe der Vp. oft ein Reihenglied genannt nach 
vorheriger Instruktion, daß sie sobald als möglich dasjenige Glied 
zu nennen habe, das dem ausgesprochenen Gliede in der Reihe 
unmittelbar gefolgt sei. War nun das ausgesprochene Glied das 
Endglied eines Komplexes, so tauchte das AnfangsgUed des nächst- 
folgenden Komplexes oft erst auf, nachdem der ganze Komplex, 
dem das ausgesprochene Glied angehörte, reproduziert worden 
war. Wir dürfen wohl auf Grund dieser Mitteilung vermut^i, 
daß in den betreffenden Fällen zwar die Assoziationen zwischen 
den beiden benachbarten, aber verschiedenen Komplexen ange- 
hörigen Gliedern sehr schwach waren, dagegen hinreichend starke 
Assoziationen von Komplex zu Komplex bestanden. Die auf- 
fallende Schwäche der Assoziationen zwischen unmittelbar be- 
nachbarten Gliedern verschiedener Komplexe hatten auch schon 
die Untersuchungen von Müller und Pilzecker") quantitativ nach- 
gewiesen. Für die Annahme von Komplexassoziationen spricht 
femer die Tatsache der von Müller und Schumann und Müller 
und Pilzecker') nachgewiesenen initialen Reproduktionstendenz. 
Schon Müller und Schumann bemerken hierüber, daß die von 
ihnen festgestellte „erhebliche Tendenz, welche die Endsilbe 
eines zweisilbigen Taktes besitzt, die ihr unmittelbar, vorher- 
gehende Silbe zu reproduzieren, ganz unverständlich bleibt, wenn 
man die Silben und Wörter im Sinne von Grashey u. a. als bloße 
Reihen singulär aufgefaßter Buchstaben ansieht; denn nach dieser 
Ansicht können beim Auswendiglernen eines Silbenpaares, z. B. 
des Taktes laf jek außer den vorwärtsläufigen Assoziationen, welche 
im Sinne einer richtigen Reproduktion dieser ganzen aus sechs 
Buchstaben bestehenden Reihe wirken, sich nur noch rückläufige 
Assoziationen bilden, welche bewirken, daß sich die Buchstaben- 
reihe ke] f al schneller einprägt. Wie aber beim Auswendiglernen 
des Silbenpaares laf jek die Buchstabenreihe jek erhebliche Ten- 
denz erhalten kann, die Buchstaben laf zu reproduzieren, bleibt 
a. a. 0. S. 263 Anm. 1. 
^ 6. E. Maller und A. Püzecker, Experimentelle Beiträge zur Lehre vom 
Gedächtnis, Zeitschr. f. PsychoL, Erg.-Bd. 1. 1900. S. 208 fr. 
*) G. E. Maller und F. Schmnann, Experimentelle Beiträge zur Unter- 
suchung des Gedächtnisses, Zeitschr. f. Psychol. 6. 1894. S. 909. Maller und 
Pilzecker S. 200 ff. 
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/. Die Komplexassoziation. 108 
nach jener Ansicht unverständlich." Das festgestellte Bestehen 
dieser Tendenz sei daher mit ein Beweis für die Ansicht, „daß 
die Vorstellungen von Wörtern und Silben im allgemeinen auf 
kollektiver Auffassung der die Silbe oder das Wort bildenden 
Buchstaben beruhende, einheitliche Vorstellungskomplexe sind, 
die sich als einheitUche Vorstellungskomplexe mit anderen Vor- 
stellungen assoziieren und durch andere Vorstellungen reproduziert 
werden können/ 
Endlich zeigen die zahlreichen wertvollen Beobachtungen, 
die 6. E. Müller über den Zusammenschluß von Komplexen zu 
EomplexverbKnden ^) und über den Übergang von Komplex zu 
Komplex') gesammelt hat, die große selbständige Bedeutung, 
welche den Komplexen gegenüber den Elementen zukommen. 
Für den Nachweis von Komplexassoziationen würde freilich die 
Berufung auf diese Untersuchungen und ebenso auch die Be- 
rufung auf das aus der Tatsache der initialen Reproduktions- 
tendenz hergeleitete Argument für sich allein nicht ausreichen; 
denn die Gregner einer solchen Annahme werden zwar zugeben, 
daß infolge der Tatsache der Komplexbildimg die Reproduktionen 
vorzugsweise innerhalb eines Komplexes oder von Komplex zu 
Komplex vor sich gehen. Für die bitrakomplexreproduktion nun 
kommt eine Komplexassoziation nicht in Frage. Daß aber Kom- 
plexe Verbindungen eingehen und infolgedessen einander repro- 
duzieren, werden sie wieder darauf zurückzuführen suchen, daß 
ihre Elemente wechselseitig miteinander assoziiert seien und da- 
her die Elemente des einen Komplexes durch ihr Zusammen- 
wirken den anderen Komplex ins Bewußtsein zurückrufen'). 
Damit wäre dann die Konstellationstheorie wieder hergestellt. 
Haben wir aber einmal aus den früher angegebenen Gründen 
die Undurchfühii)arkeit der Konstellationstheorie eingesehen, so 
sind gerade die Untersuchungen 6. E. Müllers über Komplex- 
bildung beim Lernen in hervorragendem Maße geeignet, die Not- 
wendigkeit der Annahme von Komplexdispositionen und der Ver- 
knüpfung der Komplexe als Ganzen darzutun und uns ein Bild 
von ihrer Wichtigkeit für das psychische Geschehen zu geben. 
') Zur Analyse der Gedächtnistätigkeit S. 309 ff. 
") a.a.O. S. 325 ff. 
^ DeuÜich zeigt sich dies bei James, siehe oben S. 91 Anm. 3. 
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104 Absdui, 2, Die Theorie der Wissensaktuaäsienmg. 
Experimentell ist die Mitwirkung von Komplexassoziationen 
außer den von Müller und seinen Mitaiiieitem beigebrachten Be- 
legen wenigstens fflr einen Spezialfall, nämlich für die Repro- 
duktion des akustisch-motorischen Wortbildes durdi das optische 
beim Lesen, untersucht worden. Hier handelte es sich allerdings 
nicht um die Frage, ob eine Konstellationswirkung der einzelnen 
Buchstaben oder eine Komplexassoziation vorliege, vielmdir war 
es, wie schon eben erwähnt, überhaupt streitig, ob die Umsetzung 
des Schriftbildes in das Lautbild auf eine Wirkung des ganzen 
optischen Wortbildes und nicht auf ein sukzessives Buchstabieren 
und Aneinanderreihen zurückzuführen sei, wie es von einer Reihe 
von Psychiatern früher angenommen wurde. Glegenüber dieser 
Auffassung haben Erdmann und Dodge den Einfluß der Gesamt- 
form des optischen Wortbildes auf die Reproduktion hervor- 
gehoben ^). Die experimentellen Nachweise, welche die genanntoi 
Autoren für die ausschlaggebende Bedeutung der Gesamtförm 
beim Lesen zu erbringen suchten, haben zwar durch spätere 
Untersuchungen eine teilweise Modifikation erfahren. Allein es hat 
sich jedenfalls soviel bestätigt, daß unter gewissen Bedingungen, 
z. B. Erschwerung der Lesbarkeit, die Reproduktion des akustisch- 
motorischen Bildes durch die optische Gesamtform bei manchen 
Versuchspersonen wesentlich mitbedingt ist'). In gleicher Weise 
zeigte sich auch die Wortlänge, die ja gleichfalls eine wenn auch 
sehr rohe Komplexbestimmtheit ist, für die Reproduktion maß- 
gebend. Soweit nun der aus der „gröberen Gesamtförm^, der 
Wortlänge und den erkannten an bestimmten Stellen lokalisierten 
Einzelheiten sich konstituierende Gesamteindruck das Klangbild 
direkt und namentlich ohne visuelle Vermittelung auslöste, ist die 
Reproduktion der akustisch-motorischen Wortvorstellung durch 
die Komplexbestimmtheit der optischen hervorgerufen worden; 
sie kann daher nur auf einer Komplexassoziation beruhen, die 
zwischen dem optischen Gesamtbild und der akustisch-motorischen. 
Wortvorstellung sich gebildet hat. Bei den Vpn. von Wiegand 
') a. a. 0. S. 161 f. 
*) F. Schumann, Psychologie des Lesens, Bericht tkber den 2. Kongreß 
f. experiment Psycho!. (Leipzig 1907) S. 178. C. F. Wiegand, Untersnchungen 
über die Bedeutung der Gk^taltqualität fQr die Erkennung von Wörtern, Zeit- 
schrift f. Psychol. 48., insbes. S. 190 f., 199 ff. 
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IL Die Komplexergänzung. 106 
scheint der Prozeß häufig in dieser Weise vor sich gegangen zu 
sein. Besonders beweisend für die Mtf^chkeit von Komplex- 
assoziationen sind diejenigen Fälle, in denen den Vpn. vorher 
mühsam bei allmählicher Annäherung identifizierte Wortbilder zur 
Einprägung vorgelegt und dann in anderer Reihenfolge exponiert 
wurden, z. B. S. 201 : Exponiert ist ,,Esperantistenversammlung^. 
(Entfernung 5 m, mittelzeilige Typenhtfhe 2,8 mm.) Referat: 
,,Esperantistenversanmüung. Ich vermutete am Anfang E, am 
Schlüsse g. Bestimmend ist für mich außerdem die Länge und 
die Schrumpfung des Bandes in vertikaler Richttmg, die mir bei 
den früheren Versuchen auffallend war.^ Man sieht also, daß 
der frühere Gesamteindruck eine Komplexdisposition hinterUeß, 
und daß diese eine Verbindung mit dem dazu gehörigen Laut- 
wort eingegangen hat, welche dessen Reproduktion oder doch 
wenigstens die Identifikation mit dem optischen Bilde ermöglichte. 
Die Reproduktion auf Grund einer Komplexassoziation ist der 
einfachste Fall, in dem komplexe Verbände als einheitliche Ganze 
an einem Reproduktionsvorgang beteiligt sind. Die Erörterungen 
zu dieser ersten Klasse von Komplexreproduktionen erleichtem 
uns das Verständnis einer zweiten komplizierteren Klasse, der 
auch die von uns imtersuchten Wissensaktualisierungen und eine 
Reihe anderer Verlaufsformen von Aufgabelösungen angehören, 
der Komplexei^fänzung. 
IL Die Komplexergänzung. 
§ 1. Ergänzung eines Komplexstücks. 
Wenn einem Examenskandidaten ein Name augenbUcklich 
nicht einfällt, so pflegen ihn wohlwollende Examinatoren manch- 
mal durch Nennung des Anfangsbuchstabens zu unterstützen. 
Nützt das noch nichts, so kann durch Nennung der ersten zwei, 
drei, vier Buchstaben die fehlende Erinnerung oft noch geweckt 
werden. Daß in einem solchen Falle die Erleichterung der Re- 
produktion des ganzen Komplexes auf das Zusammenwirken mehrerer 
seiner Elemente zurückzuführen ist, ist unzweifelhaft. Die Frage 
ist nur, wie dieses Zusanmienwirken gedacht werden muß. Meistens 
sieht man hierin kein besonderes Problem; denn die Reproduktion 
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106 Absdm, 2, Die Theorie der Wissensaktuaiisierung, 
des Restkomplexes scheint damit genügend erklärt, daß die Re- 
prodnktionstendenzen der einzelnen Elemente, die ja alle mit den 
übrigen Komplexgliedem assoziiert sind, sich gegenseitig ver- 
stärken. Es würde sich darnach nur um den Spezialfall einer 
Konstellationswirkung handeln« 
James, einer der konsequentesten Vertreter der Konstellations- 
theorie, hat das Zusammenwirken mehrerer Elemente bei der Re- 
produktion eines ganzen Komplexes besonders eingehend erörtert 
So wirft er z. B. die Frage auf, warum beim Hersagen des Verses 
aus „Locksley Hall^ „I, the heir ofalltheagesinthe formost 
files of time^, wenn wir bis zu „the ages^ gekommen sind, nicht 
jener Teil eines anderen Verses derselben Dichtung ins Gedächtnis 
springe, der gleichfalls die Worte the ages enthalte. James ant- 
wortet: „Wenn die Prozesse von „„I, the heir of all the ages"" 
gleichzeitig im Grehim sich abspielen, der letzte von ihnen in 
einer maximalen, die anderen in einer verklingenden Phase der 
Erregung, dann wird die stärkste Entladungstendenz in der Rich- 
ttmg wirksam sein, in der sie alle übereinstimmen; dann 
wird „in" und nicht „one" oder irgend ein anderes Wort zu- 
nächst erweckt werden; denn sein Gehimprozeß ist früher nicht 
nur mit dem von ages gleichzeitig verlaufen, sondern auch mit 
dem von all den anderen Wörtern, die noch auf eine im Ab- 
nehmen begriffene Wirksamkeit entfallen 0«" Wie auch aus einem 
weiteren Beispiele von James hervorgeht, denkt er sich die Intra- 
komplexreproduktion oder Komplexergänzung in der Weise vor 
sich gehend, daß jedes Glied das mit ihm am stärksten assoziierte 
früher benachbart gewesene Glied zu reproduzieren strebt und 
hierbei von den übrigen schwächer mit dem zu reproduzierenden 
Glied assoziierten Gliedern unterstützt wird. „Wenn a, b, c, d, e 
die durch den letzten Akt [eines] Diners, nennen wir ihn A, er- 
regten elementaren Prozesse sind und 1, m, n, o, p diejenigen, die 
dem Nachhausegehen durch die frostige Nacht, das wir B nennen 
können, entsprechen, dann muß der Gedanke an A den an B 
erwecken, weil a, b, c, d, e sich samt und sonders durch die Bahn, 
durch welche ihre erste Entladung stattfand, in 1 entladen werden. 
Ahnlich werden sie sich auch in m, n, o imd p entladen; und jeder 
dieser letzteren Prozesse wird ebenfalls die Tätigkeit der anderen 
*) James, Psychologie, Qbersetzt von M. Dürr, S. 257. 
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//. Die Komplexergänzung, 107 
verstärken, weil sie in der Erfahrung B alle schon zusammen er- 
regt waren ^)." 
So einleuchtend diese Erklärung auf den ersten Blick er- 
scheinen mag, so ergibt doch wiederum schon die einfache Elr- 
innerung an allgemein bekannte Tatsachen, daß sie nicht genügt, 
mn die für die Eomplexerg^inzung bestehende Oesetzmäßigkeit 
erkenntlich zu machen. Denken wir uns die Reproduktion eines 
bekannten Gemäldes in sehr schmale vertikale Streifen zerschnitten, 
sodaß keiner dieser Streifen allein mehr etwas Charakteristisches 
erkennen läßt. Setzen wir nun die Streifen vor den Augen einer 
nicht eingeweihten Vp. etwa von links nach rechts wieder in rich- 
tiger Reihenfolge aneinander, so wird einmal der Moment ein- 
treten, wo das dargebotene Stück des (Gemäldes die Vorstellung 
des ganzen (Gemäldes reproduzieren wird. Nehmen wir an, die 
Streifen seien so schmal, daß dieser Erfolg erst bei Aneinander- 
reihung von etwa 20 Streifen eintritt. Geben wir nun bei einem 
Versuch mit einer anderen Vp. dem letzten der 20 Streifen, 
welcher nach der James'schen Theorie für die Reproduktion des 
Restkomplexes vor allem von Bedeutung ist, seine richtige Stelle, 
setzen wir dagegen die übrigen Streifen in bunter Reihenfolge 
aneinander; so wird diesmal die Reproduktion des ganzen Kom- 
plexes nicht eintreten. Nach der James'schen Theorie müßte jetzt 
die gleiche Wirkung wie vorher entstehen; denn hier wie dort 
entladen sich dieselben den Elementen der 20 Streifen entsprechen- 
den Elementarprozesse auf Grund der früher von ihnen ein- 
gegangenen Assoziationen alle in der Richttmg auf die Reproduktion 
der auf den 20. Streifen folgenden Elemente des Gemäldes. Die 
Berufung darauf, daß durch die verschiedene Anordnung der 
Streifen absolute Raumwerte der den einzelnen Streifen entsprechen- 
den Empfindungen vertüidert würden, muß auch hier versagen; 
denn die zerschnittene Reproduktion kann das Original in ver- 
kleinertem Maßstab wiedergeben, die absoluten Raumwerte der 
*) a. a. 0. S. 260. Sehr charakteristisch für die ein Zusammenwirken 
isolierter elementarer Gehimdispositionen mit gleichgerichteten Reproduktions- 
tendenzen annehmende Konstellationstheorie von James ist die schematische 
Zeichnung, durch die James ^dit Summation von EnÜadungen nach jeder der 
Komponenten von B und die daraus folgende Stärke der Kombination von 
Einflüssen, durch welche B in seiner Totalität erweckt wird*^, zu symboli- 
sier^i sudit 
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106 Absdm. 2, Die Theorie der Wissensaktualisierung. 
Elementarempfindungen bei der Wahmehmung des Originals und 
bei der Wahrnehmung der Reproduktion können also vollkommen 
verschieden sein, ohne daß dadurch die Erg^üizung des Gemäldes 
bei richtiger Zusammensetzung gehindert würde. Nicht von 
den absoluten Raumwerten also, sondern von den durch die 
Konstellationstheorie unberücksichtigt gelassenen relativen httngt die 
reproduzierende Wirksamkeit der zusammengesetzten Streifen ab. 
Nach der James'schen Konstellationstheorie müßte ein Exami- 
nator dem Kandidaten, den er auf den Namen des Reformators 
Melanchthon bringen will, annähernd ebensogut durch die Zu- 
flüsterung Malen . . als durch den Anfang Melan . . beispringen 
können; denn be&nden sich auch beim Aussprechen des n die 
Reproduktionstendenzen des Lautes a in schwächerer Erregung 
als bei der richtigen Lautfolge, so würde dies doch durch die 
stärkere Wirkimg der von dem Laute e ausgehenden Reproduk- 
tionstendenzen wieder kompensiert werden. Angenommen, es seien 
ohne begriffliche Hilfen Komplexreihen gelernt worden, die unter 
anderem die Komplexe -| ho und h + O enthalten, 
so wird das später dargebotene Komplexstück + — + die 
Komplexergänzimg g und das Komplexstück 1 — [-die Kom- 
plexergänzung o herbeiführen, aber nicht umgekehrt. Trotzdem 
also die Elemente der Komplexstücke H -|- imd 1 — |- 
die gleichen sind und ihr letztes Glied dasselbe ist, haben sie 
infolge ihrer verschiedenen i^umlichen Anordnung verschiedene 
Komplexer^üizungen zur Folge. Eine Theorie, welche die Kom- 
plexergänzung auf eine Konstellationswirkung isolierter Elemente 
zurückführen will, vermag solchen Tatsachen nicht gerecht zu 
werden. Eine Berufung auf die absoluten Raumwerte der einge- 
pi%ten Elementarempfindungen ist hier aus den gleichen Gründen 
imzulässig wie früher. 
Aus den angeführten Beispielen ergibt sich, daß durch das 
Zusammenwirken einer Mehrheit von Elementen eines Komplexes 
die Reproduktion des ganzen Komplexes dann am meisten ge- 
fördert, bezw. überhaupt erst ermdgUcht wird, wenn die Elemente 
in derselben (relativen) räumlich-zeithchen Anordnung gegeben 
sind, in der sie zu dem Komplex zusammengeschlossen wurden. 
Um diesen Einfluß der i^umlich- zeitlichen Anordnung auf die 
Komplexergänzung berücksichtigen zu können, sind wir aber ge- 
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//. Die Komplexergänzung. 109 
nötigt, die Eonstellationstheorie &llen zu lassen und uns einer 
anderen Erklärungsweise zu bedienen. Nehmen wir an, ein Ver- 
suchsleiter biete einer Vp. akustisch einen Buchstabenkomplex dar 
nach der vorangegangenen Instruktion, das erste, was ihr auf den Zu- 
ruf einfalle, auszusprechen. Dargeboten sei der Buchstabenkomplex 
„spr", die Vp. reagiere mit sprechen. Wir können diesen Vorgang 
folgendermaßen eiMären. Der schon in der Aussprache zu einer 
Einheit zusammengeschlossene Buchstabenkomplex „spr^ wird 
unserer Grewohnheit entsprechend, Sprechlaute zu einer Einheit 
zusammenzufossen, auch im voriiegenden Versuch zum Gegenstand 
einer Komplexauffassung. Damit ist nach dem früher Ausgeführten 
von Anfang an die Wirksamkeit der von den einzelnen Buch- 
staben s, p, r dieser Lautgruppe eingegangenen Assoziationen staric 
herabgesetzt Dagegen könnten zunächst solche Assoziationen 
wirksam werden, welche der Lautkomplex „spr^ als isoUerter Kom- 
plex, etwa als bekannter Sprachanlaut, mit anderen Komplexen 
oder Elementen eingegangen hat. Wir wollen annehmen, daß 
solche Assoziationen, wie sie etwa bei Sprachforschem sehr wohl 
vorhanden sein könnten, von der betre£Fenden Vp. nicht in erheb- 
licher Stärke gestiftet seien. Der Lautkomplex „spr^ bildet aber 
auch ein Stück aller Wortkomplexe, in denen er enthalten ist. Er 
wird daher als einheitlicher Komplex imstande sein, die Komplex- 
dispositionen der betreffenden Worte in einen Erregungszustand 
zu versetzen. Da „spr^ isoUert gesprochen ähnlich wiiid, wie 
wenn es den Anlaut eines Wortkomplexes bildet, so werden vor- 
zugsweise diejenigen Wortkomplexdispositionen erregt werden, 
welche mit diesem Lautkomplex beginnen. Andererseits werden 
Wortkomplexdispositionen, welche nur einen der Laute s, p, r oder 
diese Laute nicht in unmittelbarer Aufeinanderfolge oder endlich 
in anderer Reihenfolge enthalten, keine erhebliche Erregung er- 
fahren, da ja die Wirksamkeit der einzelnen Laute (und dem- 
entsprechend auch ihre Konstellations wirkung) ^ durch die Komplex- 
auffassung stark beeinti^chtigt ist. Sind nun vorzugsweise solche 
Komplexdispositionen in Erregung, die den Lautkomplex „spr" als 
Anlaut enthalten, so wird nach dem allgemeinen Gesetz der Weiter- 
leitung der psychophysischen Erregung sich die Erregung von 
dem mit diesem Lautkomplex übereinstimmenden Stück auf die 
^) Daß eine solche stattfinden könne, soll keineswegs geleugnet werden. 
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HO Absdin. 2. Die Theorie der X^ssensaJäualisierung. 
ganzen Komplexe ausbreiten, und es wird dasjenige Wort ins Be- 
wußtsein treten, bei dem diese Ausbreitung auf den geringsten 
Widerstand stößt. Daß aber die Reproduktion eines ganzen Kom- 
plexes durch die Zahl der in adäquater Anordnung gegebenen 
Elemente erleichtert wird, wird durch folgende Erwägung ver- 
ständlich. Allerdings kann auch durch den isoliert dargebotenen 
Laut 8 der Komplex ,,sprechen'' erregt werden. Diese Erregung 
wird aber aus zwei Grttnden viel schwächer ausfallen müssen: 
1. Durch den Laut s können alle Wortkomplexe in Err^ung ge- 
setzt werden, die ein s enthalten, imd besonders diejenigen, welche 
mit s beginnen. Die Erregung wird sich daher auf eine viel 
größere Zahl von Komplexen verteilen und dadurch nach einer 
allgemeinen psychophysischen Gesetzmäßigkeit sehr geschwächt 
werden*). 2. Wir werden annehmen dürfen, daß die Erregung 
sich innerhalb eines Komplexes um so leichter fortpflanzt, je 
größer das bereits in Erregung befindliche Stück des Komplexes ist. 
Man wird noch die Frage aufwerfen, warum die Err^ung 
bei der Ausbreitung innerhalb eines Komplexes nicht von den 
den Komplex konstituierenden Elementardispositionen auf andere 
Komplex- oder Elementardispositionen überspringe. Der Grund 
ist hier wahrscheinlich ein ähnlicher wie bei der Tatsache, daß 
bei der Wahrnehmung gewisser Komplexe die Elementar- 
assoziationen von der Reproduktion ausgeschaltet bleiben. Wir 
haben uns innerhalb der Komplexdispositionen die einzelnen Ele- 
mente') in analoger enger Verbindung zu denken, wie sie uns 
in der Wahmehmtmg von i^umlich-zeitlichen einheitlichen An- 
schauungsganzen erscheinen. Der große Einpriigungswert der 
Komplexbildtmg, den G. E. Müller nachgewiesen hat, ist ja gerade 
auf diese enge Verbindtmg der Elementardispositionen innerhalb 
einer Komplexdisposition zum großen Teile zurückzuführen. Wir 
Im vorliegenden Fall würde noch hinzukommen, daß das s in spr einen 
vollständig anderen Lautcharakter hat als ein isoliertes s; es würde aber bd 
Wörtern, bei denen auf das s ein Vokal folgt, nicht in gleichem Maße zutreffen 
und kann daher hier unberücksichtigt bleiben. 
*) Ob die in einem Komplex veii)undenen Eäementardispositionen mit 
den Elementardispositionen anderer Komplexe identisch sind, ob also dieselben 
Elemente sich in verschiedener Weise verbinden, oder ob die Elementar- 
dispositionen verschiedener Komplexe nicht identisch, sondern nur gleichartig 
sind, bleibt dahingestellt. 
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//. Die Kompiexergänzung, 111 
können diese enge Verbindung, ohne eine Entscheidung darüber 
zu treflPen, ob sie auf der bloßen Festigkeit von Berührungs- 
assoziationen beruht, Komplexkohärenz nennen und sagen: 
Die Eomplexkohärenz ist der Grund, weshalb sich die Erregung 
innerhalb eines Komplexes fortzupflanzen und nicht auf andere 
Komplexe oder Elemente außerhalb des Komplexes überzuspringen, 
sondern erst von Komplex zu Komplex fortzuschreiten pflegt. 
§ 2. Ergänzung auf Grund eines Schemas. 
Wir sind bei der Theorie der Komplexer^üizung zimächst 
von dem einfachsten Fall ausgegangen, daß die Komplexer^üizung 
ausschließlich durch das dargebotene Komplexstück hervorgerufen 
wird. Unberücksichtigt blieb dabei der Umstand, daß wir bei der 
Komplexerg^tnzung in vielen Fällen schon wissen, daß das bisher 
Vorhandene ein Stück eines größeren Komplexes ist, 
und daß wir in solchen Fällen auch meistens schon etwas von 
der Beschaffenheit des Komplexes wissen, zu dem jenes Komplex- 
stück gehört. So weiß der Examenskandidat, dem der Examinator 
die ersten Buchstaben des Namens Melanchthon vorspricht, nicht 
nur, daß die ihm vom Examinator dargebotene Lautfolge ein 
Stück eines größeren Komplexes ist, sondern auch, daß dieser 
Komplex ein Anschauungsganzes bestimmter Art, nämlich ein Wort 
ist, und daß dieses Wort mit der vorgesprochenen Lautfolge be- 
ginnt^). 
Wie haben wir uns mm die Mitwirkung eines solchen 
Wissens, dessen Entstehimg hier nicht analysiert werden soll, 
bei der KomplexergKnzung zu denken? Man könnte wieder ver- 
sucht sein, zu einer Konstellationstheorie zu greifen. Man könnte 
nämlich annehmen, daß das Wissen, daß es sich um ein Wort 
handelt, eine allgemeine Einstellung zur Reproduktion von Worten, 
also eine formale Reproduktionstendenz im Sinne Watts hervor- 
^) Das bei der Reproduktion des Namens Melanchthon beteiligte Wissen 
wird hier absichtlich nur so weit berücksichtigt, als es sich auf die Be- 
schaffenheit des zu ergänzenden Anschauungsganzen bezieht, da uns die 
Berücksichtigung des darüber hinausgehenden Wissens schon zu tief in das 
Problem der Wissensaktualisierung hineinftlhren würde. 
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112 Absthn. 2. Die Theorie der Wisaensaktualisierung, 
rufe'). Es würden demnach alle Wortkomplexdispositionen in 
einen höheren Grad der Err^^ung versetzt werden, und diese 
Erregung würde durch Eonstellationswirkung diejenigen von dem 
dargebotenen Lautkomplex ausgehenden Reproduktionstendenzen 
verstärken, durch die gleichfeUs Wortkomplexe in Erregung ver- 
setzt werden. Allein das Wissen, daß es sich um ein Wort han- 
delt, ist kein bloßes Bewußtsein von Worten einerseits und von 
dem dargebotenen Lautkomplex andererseits, sondern ein Bewußt- 
sein von dem Sachverhältnis, daß der dargebotene Lautkom- 
plex einen Teil eines Wortes darstellt Die Mitwirkung dieses 
weitergehenden Inhalts des Wissens bleibt bei der erwähnten 
Konstellationstheorie unberücksichtigt. Ebensowenig vermag eine 
Konstellationstheorie der Mitwirkung des weiteren Wissens ge- 
nügend Rechnung zu tragen, daß das Wort, um das es sich 
handelt, mit der dargebotenen Lautfölge beginnt. Dag^en 
können wir als vorläufige Hypothese folgende Komplextheorie 
au&tellen. 
Nicht durch ein konstellationsartiges Zusammenwirken des 
dargebotenen Lautkomplexes einerseits und eines bestehenden 
Wissens andererseits, sondern durch das Bewußtsein von dem 
einheitlichen Sachverhältnis, daß die dargebotene Lautfolge den 
Anfang eines Wortes bildet, wird die Komplexerg^inzung ver- 
mittelt. Durch dieses Wissen wird im (Gegensatz zum Falle der 
sukzessiven Wissensaktualisierung nicht ein anderes Wissen, sondern 
es wird die Beschaffenheit eines Anschauungsganzen in schema- 
tischer Weise antizipiert. Es ist von diesem Anschauungsganzen 
bewußt, daß es ein Wort ist, daß es also die allgemeinen Be- 
stimmtheiten besitzt, die einem Wort zukommen, nämlich die 
kontinuierliche zeitliche Aufeinanderfolge bestimmter artikulierter 
Laute. Die Laute, mit denen das Wort beginnt, sind schon 
ihrem speziellen Lautcharakter nach bestimmt, es steht z. B. fest, 
daß es die Lautfolge Mel .... ist, während von den übrigen nur 
feststeht, daß es bestimmte Sprachlaute sind, aber nicht, welche 
es sind. 
Denken wir uns den durch die Aussprache eines Wortes ent- 
standenen akustischen oder akustisch-motorischen Empfindungs- 
komplex infolge eines Abstraktionsvorganges derart modifiziert, 
') Siehe oben S. 5. 
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//. Die Kompiexergänzung, 118 
daß lediglich die Aufeinanderfolge von Sprachlauten, die jedem 
Wort eigentümlich ist, zur Auffassung gelangt, oder daß sie 
wenigstens zu gesonderter Auffassung kommt, während von allen 
spezielleren Bestimmtheiten des Wortes dabei abgesehen wird^. 
Durch eine solche Auffassung eines Wortkomplexes entsteht das 
Bewußtsein von einem Wort, dessen besondere Beschaffenheit, 
seine Länge, die Laute, die es konstituieren, und deren Aufeinander- 
folge, jedoch nicht bewußt oder wenigstens nicht beachtet ist, 
d. h. es entsteht das schematische, auf alle konkreten Worte 
passende Bewußtsein von einem Wort. Denken wir uns nim 
durch eine derartige Modifikation eines Empfindungskomplexes 
auf Grund einer bestimmten Auffasstuig Reproduktionsgrundlagen 
entstanden, die in einer der Modifikation des Empfindungskom- 
plexes entsprechenden Weise modifiziert sind. Es wird dann durch 
die Wiedererregung dieser Reproduktionsgrundlagen bei geeig- 
netem Anlaß, z. B. auf Grund einer Mitteilung lediglich das ab- 
strakte Bewußtsein von einem konkreten, aber nicht näher be- 
stimmten Wort entstehen. Auch in unserem Beispiel besteht bei 
dem Examenskandidaten ein solches Bewußtsein von einem kon- 
kreten, noch nicht näher bestimmten Wort. Durch die Unter- 
stützung des Examinators wird nun nicht bloß neben dieses 
Bewußtsein noch das weitere Bewußtsein von einer bestimmten 
Lautfolge gesetzt, sondern es entsteht zugleich das Bewußtsein 
von dem zwischen der dargebotenen Lautfolge und dem schema- 
tisch antizipierten Wort bestehenden Sachverhältnis, daß das eine 
einen Teil imd zwar den Anfang des anderen bildet. Es kommt 
also durch das Verständnis der Mitteilung das Bewußtsein von 
der qualitativen Identität zwischen der dargebotenen Lautfolge 
und dem Anfang des schematisch antizipierten Wortkomplexes 
zustande. Wir können uns demnach das zustandegekommene 
Wissen in folgender Weise (Figur 2 S. 114) veranschaulichen. 
Die durch die Mitteilung des Examinators vermittelte Sach- 
verhaltserkenntnis zieht nun nach einer hier nicht zu untersuchen- 
den psychologischen Gesetzmäßigkeit auch die Veränderung eines 
Gegenstandsbewußtseins nach sich. Das Bewußtsein von dem 
Vgl. Ober das tatsächliche Vorkommen einer derartigen abstrakten Auf- 
hasoDg von Empfindung8kon4>lexen 0. KOlpe, Versuche Ober Abstraktion. Be- 
richt Ober den 1. Kongreß f. experiment. Psychol. (Leipzig 1904) S. 67. 
Seil, Über die 0«MtM dat geordneten Denkrerleatt. 8 
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114 Abmhn. 2. Die Theorie der WiseenaaktuaHsierung. 
Figur 2. 
Mal 
Benehung der qualitativen 
IdentiUt, d. i. Gleichheit 
Wortschema. 
gesuchten Wort geht nämlich aus dem Bewußtsein von einem 
nicht näher bestimmten konkreten Wort in das Bewußtsein von 
einem Wort über, das mit Mel .... anfiüigt Die Entstehung 
dieses Bewußtseins haben wir uns so zu denken, daß das leere 
Schema eines konkreten Wortes durch die Einsetzung der vor- 
gesprochenen Lautfolge an seinen Anfang, also durch einen Eom- 
binationsprozeß, teilweise ausgefüllt wird. Wir können uns dieses 
teilweise ausgefüllte, wieder einen einheitlichen Komplex bildende 
Wortschema in folgender Weise veranschaulichen, wobei aus der 
graphischen Darstellung zugleich das Verhältnis des durch die 
Sachverhaltserkenntnis veränderten Wortschemas zu dem die Ver- 
änderung herbeiführenden Wissen ersichtlich wird^). 
Figur 3. 
Wortschema. 
Die Bildung derartiger einen Komplex antizipierender ab- 
strakter Schemata, bezw. das mit ihnen verbundene Wissen be- 
^) Ob solche Schemata als „abstrakte**, mu* hinsichtlich gewisser Meik- 
male zur Auffassung gelangende VorsteUungen oder in unanschaulicher Form 
gegenwärtig sind, oder ob sie nur als aktuell wirksame Dispositionen zu denken 
sind, oder ob alle drei Möglichkeiten bestehen, ist für das Problem der Komplex- 
ergfinzung wieder von relativ untergeordneter Bedeutung. Dahingestellt bleiben 
kann auch, ob etwa infolge einer Mechanisierung des ganzen Prozesses die 
vorgesprochene Lautfolge immittelbar die Bildung eines abstrakten Wortschemas 
auslosen kann. Über abstrakte Vorstellungen vgl. namentlich 0. Külpe 
a. a. 0. ; K. KofPka, Zur Analyse der Vorstellungen und ihrer Gesetze (Leipzig 
1912), insbesondere S. 206 ff., 267 ff.; 6. E. Müller, Zur Analyse der Gedächtnis- 
tätig^eit und des VorsteUungsverlaufes S. 646 ff. Mollers Argumentation gegen 
die unbestimmten Vorstellungen trifft eine durch die Auffassung bedingte 
Unbestimmtheit nicht 
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//. Die Komplexergämung. 115 
gtinstigt die Eomplexergänzung gegenüber der bloßen Komplex- 
auffassung der gegebenen Elemente in dreifacher Weise. Das 
abstrakte Wissen, bezw. das ihm entsprechende Schema vermittelt 
hierbei ebenso die Reproduktion des ihm entsprechenden konkreten 
Anschauungsganzen wie in den im vorigen Abschnitt be- 
handelten Fällen ein abstraktes Wissen die Reproduktion des ihm 
entsprechenden konkreteren Wissens vermiüelte. 
1. Während einerseits ebenso wie bei der isolierten Komplex- 
auffassung der vorhandenen Elemente deren räumlich-zeitliche 
Anordnung für die Reproduktion bestimmend wird, befindet sich 
andererseits das gegebene Komplexstück nicht in der festen Ab- 
geschlossenheit, die entsteht, wenn die dargebotenen Elemente zu 
einem Komplex für sich zusammengefaßt werden. Es kommt dem 
gegebenen Komplexstück in dem abstrakten Schema vielmehr 
schon die Bestimmtheit zu, Stück eines größeren Ganzen zu sein, 
die es auch in dem zu reproduzierenden Komplex besitzt. Wie 
nun die Komplexauffassung gegenüber der isolierten Auffassung 
der Elemente die Reproduktion solcher Verbindungen begünstigt, 
welche der Komplex als Ganzes eingegangen hat, so begünstigt 
die Auffasstuig als Komplexstück gegenüber der Auffassung 
als selbständiger Komplex die Komplexerg^tozung gegenüber der 
Reproduktion solcher Veri)indungen, in welchen die gegebenen 
Elemente als selbständiger Komplex enthalten waren. Bei der 
Auffassung der dargebotenen Elemente als Komplexstück wirkt 
eben das Schema als ein Ganzes, während die selbständige Be- 
deutimg der Verbindtmg der gegebenen Elemente als Komplex 
dagegen zurücktritt. 
2. Außer der allgemeinen Komplexbestimmtheit antizipiert das 
abstrakte Schema auch sonstige Bestimmtheiten des ganzen Kom- 
plexes, die über die dargebotenen Elemente imd deren Verbindung 
hinausgehen. So antizipiert es in unserem Beispiel schon den 
allgemeinen Charakter des Ganzen als eines konkreten Wortes, 
und dieses Wort ist weiterhin noch spezieller als ein solches be- 
stimmt, das mit der dai^ebotenen Lautfolge beginnt. Soweit 
nun ein solches Schema als ein Ganzes wirkt, wird es diejenigen 
Komplexdispositionen am leichtesten in reproduktive Erregung ver- 
setzen können, die ihm seinen konkreten und abstrakten Bestimmt- 
heiten nach am meisten entsprechen. Die Erregung wird hierbei 
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116 Absdm, 2. Die Theorie der Wisaensaktuaiisierung. 
nicht bloß infolge der Komplexkohärenz von dem bekannten 
Eomplexstück aus innerhalb des Komplexes weitei^leitet werden 
wie bei der isolierten reproduzierenden Wirkung des gegebenen 
Komplexstücks. Vielmehr werden die fehlenden Bestandstücke des 
Komplexes infolge ihrer Antizipation in dem den Komplex er- 
regenden Schema schon in einen erhöhten Grad der Erregung 
versetzt und dadurch ihre vollständige Reproduktion vorbereitet 
Auch die schematische Antizipation des allgemeinen Charakters 
als eines das bekannte Komplexstück enthaltenden größeren Kom- 
plexes (S. 11 5 Ziff. 1 ) wirkt schon im selben l^nne, nur werden hier von 
der Wirkung der Antizipation des ganzen Komplexes alle Kom- 
plexe in gleicher Weise betroffen, welche das bekannte Komplex- 
stück enthalten. Je vollständiger die Bestimmung des Komplexes 
in seiner schematischen Antizipation ist, desto stärker wird die 
Tendenz zur Erregung der dem Schema entsprechenden Komplex- 
dispositionen und die Tendenz zur vollständigen Reproduktion der 
erregten Komplexe sein. Es findet also allerdings ein Zusammen- 
wirken der konkreten und abstrakten Bestimmtheiten des anti- 
zipierten Komplexes statt; dieses Zusammenwirken darf aber nicht 
als eine Konstellationswirkung gleichgerichteter isolierter Re- 
produktionstendenzen gedacht werden ; denn bei einer solchen würde 
das Verhältnis der konkreten zu den abstrakten Bestimmtheiten, 
z. B. die Tatsache, daß die bekannten Elemente den Anfang des 
Komplexes bilden, nicht zur Geltung kommen. Vielmehr beruht 
die Steigerung der Wirkimg bei wachsender Vollständigkeit der 
Bestimmung eben auf der größeren Vollständigkeit der Antizipation 
des einheitlichen Ganzen, das der Komplex bildet. 
3. Das bloße Gegebensein einer Verbindimg von Elementen, 
die tatsächlich ein Komplexstück darstellen, ohne ein mit ihm 
verbundenes Wissen, kann nicht zum Ausgangspunkt einer auf 
Komplexer^üizung gerichteten Zielsetzung werden. Denn die ge- 
gebene Verbindung von Elementen für sich allein weist nicht über 
sich hinaus. Wohl aber weist das Wissen, daß die gegebene Ver- 
bindung Stück eines größeren, eventuell auch schon gewissen 
abstrakten Bestünmtheiten nach antizipierten Komplexes ist, über 
sich hinaus auf diesen schematisch antizipierten Komplex. Es er- 
möglicht daher das Zustandekommen einer auf die Ergänzung des 
schematisch antizipierten Komplexes gerichteten Determination. 
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//. Die KompiexergOnzung. 117 
So wird in unserem Beispiel das Wissen, daß die vorgesprochene 
Lautfolge Mel .... den Anfang eines Wortes bildet, im Zusammen- 
hang mit dem Wissen, daß dieses Wort die vom Examinator ge- 
meinte Persönlichkeit bedeutet, wegen der bestehenden Deter- 
mination, die gestellte Frage zu beantworten, die weitere Deter- 
mination zur Ergänzung des Wortkomplexes herbeiführen. 
§ 3. Die determinierte Komplexergänzung. 
Wir sahen bisher, daß bei der Theorie der Komplexergänzung 
die Annahme eines konsteUierenden Zusammenwirkens der ein- 
zelnen Elemente ersetzt werden muß durch die Annahme einer 
Eomplexwirkung dieser Elemente. Wir fanden femer, daß die 
Mitwirkung eines über die gegebenen Elemente hinausgehenden 
Wissens durch die Annahme eines konstellierenden Zusanunen- 
wirkens dieses Wissens mit den bekannten Elementen nicht er- 
klärt werden kann. Die Bedeutung eines solchen Wissens wird 
vielmehr nur ausreichend berücksichtigt durch die Annahme einer 
Komplexwirkung des auf Grrund des Wissens gebildeten, den 
Komplex antizipierenden einheitlichen Schemas. Ebensowenig nun 
läßt sich die Wirkung der Determination zur Komplexergänzung 
auf ein konstellationsartiges Zusammenwirken einer allgemeinen 
determinierenden Tendenz zur Komplexerg^knzung (oder spezieller 
zur Wortergänzung) und der von dem gegebenen Eomplexstück 
bezw, von dem Komplexschema ausgehenden Reproduktionsten- 
denzen zurückführen. 
So beruht in unserem Beispiel die Wirkung der Determination 
zur Komplexergänzung auf einer einheitlichen, in ein Nebenein- 
ander verschiedener Tendenzen nicht auflösbaren determinierenden 
Tendenz zur Ergänzimg eines Komplexes ganz bestimmter Art, 
nämlich eines mit Mel , • • . beginnenden Wortes. Daß die dieser 
Determination zugrunde liegende Zielbestimmung eine Mehrheit 
von inhaltlichen Bestimmungen enthält, hindert nicht ihre Einheit. 
Die verschiedenen inhaltlichen Bestimmungen der vorzunehmenden 
Tätigkeit bestehen nämlich nicht nebeneinander, sondern jede 
folgende verhält sich zur vorhergehenden wie das Speziellere zu 
dem in ihm enthaltenen Allgemeineren. Die bestehende Deter- 
mination ist 
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118 Absdui, 2. Die Theorie der Wissensaktualisierung, 
1. Determination, d. h. Zielsetzung überhaupt und zwar 
bewußte Zielsetzung. 
2. Diese Determination ist näher bestimmt als — Deter- 
mination zur Reproduktion. 
3. Diese Reproduktion ist näher bestimmt als eine Repro- 
duktion bestimmter Art — Determination zur Reproduktion 
eines Komplexes. 
4. Dieser Komplex ist näher bestimmt als ein Komplex be- 
stimmter Art — Determination zur Reproduktion eines 
Wortkomplexes. 
5. Dieser Wortkomplex ist näher bestimmt als ein Wort- 
komplex bestimmter Art — Determination zur Reproduktion 
eines Wortes, das die Lautfolge Mel .... enthält. 
6. Das Enthaltensein der Lautfolge Mel .... in dem Wort 
ist näher bestimmt — Determination zur Reproduktion 
eines Wortes, das die Lautfolge Mel .... als Anfang 
enthält. 
Die einheitliche Determination enthält wie das sie motivierende 
Wissen das schematische Bewußtsein von einem konkreten Wort, 
das mit der Lautfolge Mel beginnt. Worin imterscheidet sich 
nun die Wirkung der Determination zur Reproduktion eines mit 
Mel begumenden Wortes von dem einfachen Gregenwärtigsein 
des abstrakten Schemas eines solchen Wortes? 
1. Zunächst ist zu beachten, daß die in der Determination 
enthaltene Zielbestimmung nicht bloß in der Antizipation des 
Bewußtseins von einem mit Mel.... beginnenden Worte be- 
steht, sondern das antizipierende Bewußtsein von einem solchen 
Wort dient der gedanklichen Antizipation eines psychophysischen 
Prozesses bestimmter Art, nämlich einer Komplexeigänzimg, durch 
die nähere Bestimmung des zu ergänzenden Komplexes. Die 
Frage, in welcher Form eine solche gedankhche Antizipation gegen- 
wärtig ist, und ob sie eventuell in verschiedener Weise gegen- 
wärtig sein kann, soll hier nicht erörtert werden. Vermuthch 
spielt bei der gedanklichen Antizipation des Vorgangs der Kom- 
plexergänzung das irgendwie wirksame allgemeine Schema des 
Vorgangs einer Komplexergänzung der betreffenden Art (hier von 
Worten) eine Rolle. Hierbei wäre das im konkreten Falle den 
Ausgangspunkt bildende, den Komplex antizipierende Schema als 
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//. Die Komplexergänzung. 119 
Anfangsphase in die schematische Vergegenwärtigung des zeitlich 
verlaufenden Vorganges einer Eomplexerg^inzung eingesetzt zu 
denken. 
Es ist eine allgemeine, durch unsere Untersuchungen Überall 
bestätigte Gesetzmäßigkeit, daß die Determinierung die Aktuali- 
sierung gewisser allgemeiner intellektueller Opera- 
tionen nach sich zieht, die zur Verwirklichung eines derartigen 
Zieles geeignet sind. Daß die Determination sich auf Repro- 
duktion richtet, hat daher zur Folge, daß die eingeleitete intellek- 
tuelle Operation ein Reproduktionsprozeß ist, während die 
schematische Antizipation eines Komplexes an sich auch einem 
Abstraktionsprozeß oder einem Kombinationsprozeß dienen könnte. 
2. Daß die Determination sich auf eine Komplexergänzung 
richtet, hat zur Folge, daß die bestimmte reproduktive Operation 
der Komplexergänzung zur Anwendtmg kommt Das den 
Komplex im konkreten Falle antizipierende Schema wird als ein 
Ganzes zum Ausgangspunkt eines Reproduktionsvorganges, durch 
welchen die dem Schema entsprechenden Komplexe ihrem ganzen 
Bestände nach in Erregung versetzt werden und ihre vollständige 
Reproduktion herbeigeführt wird. Die Einleitung der determi- 
nierten Operation der Komplexergänzung gewährleistet also 1) die 
reproduktive Wirksamkeit desSchemas(s. voriger Absatz), 2) seine 
reproduktive Wiricsamkeit als eines Ganzen und 8) sie gewähr- 
leistet, daß diese reproduktive Wirksamkeit eine bestimmte Rich- 
tung, nämlich zur Erregung der Reproduktion der dem Schema 
entsprechenden vollständigen Komplexe nimmt imd nicht etwa 
zur Reproduktion dessen führt, was mit dem Schema als solchem 
assoziiert ist (z. B. der Umstände, unter denen man schon einmal 
auf diese Frage keine Antwort gewußt hat). 
Wenn innerhalb der reproduktiven Operationen als ein be- 
stimmter Fall die Operation der determinierten Komplexergänzung 
unterschieden wird, so soll damit nicht behauptet werden, daß es 
sich um einen, von anderen determinierten Reproduktionsvorgängen 
spezifisch verschiedenen Prozeß handle. Aber es liegt ein 
Reproduktionsprozeß von besonderer Richtung vor, der überall 
dort veiederkehrt, wo die Determination zur Komplexerg^zung 
besteht. Die spezielle Richtung wird bestimmt durch die ge- 
dankliche Antizipation des Vorgangs der Komplexergänzung, 
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120 Absdm, 2. Die Theorie der Wissensaktuaüsierung. 
welche zu der in der einheitlichen Determination enthaltenen Ziel- 
bestimmung gehört Die Einleitung der Operaticm der Komplex- 
ergänzung wird durch die Determinierung zur Ergänzung eines 
bestimmten Komplexes für sich allein herbeigeführt. Die Wirk- 
samkeit der Determinierung setzt also nicht voraus, daß schon 
von dem abstrakten Schema, oder von der rein gedanklichen 
Antizipation des Vorgangs der Komplexergänzung eine Tendenz 
zur Vervollständigung des Komplexes ausgeht Sie bedarf nicht 
der konstellierenden Mitwirkung einer solchen Tendenz; vielmehr 
würde die Determinierung auch zum Ziele führen können, wenn 
im konkreten Falle sonstige Tendenzen zur Komplexer^üizung 
fehlen würden, bezw. von minimaler Stärke wären. 
3. Außer der Einleitung der zur Verwirklichung des Zieles 
geeigneten intellektuellen Operationen, zieht die Determinierung 
auch diejenige Energie und Dauer bezw. dauernde Be- 
reitstellung der in ihnen enthaltenen psychophysischen Pro- 
zesse nach sich, die zur Verwirklidiung des Ziels erforderlich ist. 
Die Untersuchungen von Ach haben gezeigt, daß die durch die 
Determinierung eingeleiteten Prozesse von sehr großer Energie 
sein können, und daß diese Energie von dem Grade der zu er- 
wartenden Schwierigkeit der Verwirklichung abhängt ^). Die Be- 
harrlichkeit der determinierenden Tendenzen ist in den Unter- 
suchungen von Ach, Watt, Messer und Michotte-Prüm überall 
hervorgetreten '). Sie zeigt sich auch in den im ersten Abschnitt 
angeführten Protokollen. Die Erlebnisse des Suchens oder Be- 
sinnens, die sich bei Schwierigkeit der Realisierung einstellen, 
das wieder von vorne Beginnen sind der phänomenologische 
Ausdruck d ieser Beharrlichkeit'). 
N. Ach, Über den Willensakt und das Temperament (Leipzig 1910). 
Einige der von mir an anderer Stelle hervorgehobenen möglichen Fehlerquellen, 
welche den Achschen Untersuchungen noch anhafteten, sind in der Unter- 
suchung von Gustav Gläßner, Über Willenshemmung und Willensbahnimg, 
Untersuchungen zur Psychologie und Philosophie, herausgegeben von N. Ach, 
i. Bd, 7. Heft (Leipzig 1912), ausgeschaltet worden. Ob die verschiedene Energie 
der eingeleiteten determinierten Prozesse eine verschiedene Stärke des Willens- 
vorgangs erfordert oder auch von dem Inhalt der auf stärkere oder schwächere 
Prozesse gerichteten Determination abhängen kann, bedarf noch weiterer Unter- 
suchung. 
") Vgl. oben S.3ff. 
•) Vgl namenti. oben H'itS.27, Kt>S.27, Gi. S. 28, Git S. 32, Biti S. 34, 
Ai88 S. 89, Di.i S. 40, Aso S. 46, E» S. 50, E^t S.50, G« 8,56. Die im Druck 
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//. Die Kompiexergänzung. 131 
Wenden wir die Kenntnis dieser allgemeinen Tatsachen auf 
den Fall der Komplexergänzung an, so kommen wir zu dem Er- 
gelRiis, daß die in der determinierten Operation der Komplex- 
ergSnzung enthaltenen psydiophysischen Prozesse infolge ihrer 
Energie und Beharrlichkeit in der Konkurrenz mit den von den 
gegebenen Elementen des Komplexes oder dem abstrakten Schema 
ausgehenden anders gerichteten Tendenzen in der Regel den Sieg 
davontragen werden. Sie werden daher, wenn die vorhandenen 
Komplexdispositionen nicht sehr schwach sind, die Komplex- 
ergänzung herbeiführen. 
Vergleichen wir die Wirksamkeit der determinierenden Ten- 
denz zur Komplexerg^üizung mit der früher erörterten Wirksam- 
keit der Antizipation des Komplexes durch ein abstraktes Schema 
ohne den Oedanken an die Komplexergänzung und die auf sie 
gerichtete Determination, so sehen wir, daß in beiden Fällen der 
eingeleitete Prozeß den gleichen Ausgangspunkt hat, nämlich das 
abstrakte Schema, und den gleichen Erfo^ herbeiführt, nämUch 
die Vervollständigung des Komplexes. Der Unterschied besteht 
aber darin, daß im einen Falle die Komplexerg^üizung auf einer 
immanenten Tendenz des abstrakten Schemas, bezw. der ihm 
entsprechenden psycho-physischen Erregung beruht, während im 
anderen Fall dieses Schema den bloßen Ausgangspunkt 
einer allgemeinen, auf alle derartigen Schemata anwendbaren, 
infolge der Determinierung zur Komplexergänzung eingelei- 
teten intellektuellen Operation bildet Weil die Determi- 
nierung zur Ergänzimg eines bestimmten Komplexes Determi- 
nierung zur Komplexer^Lnzung ist, hat sie die E^eitung der 
allgemeinen intellektuellen Operation der Komplexergänzimg zur 
Folge, weil sie Determinierung zur Ergänzimg eines bestimmten 
Komplexes ist, hat sie zur Folge, daß die zu der Operation der 
Komplexergänzung gehörigen psychophysischen Prozesse von dem 
unterstrichenen Fälle sind Fälle des wieder von vorne Beginnens. Es handelt 
sich bei ihnen zum Teil um die Determination zum Verständnis der Aufgabe. — 
Im weiteren Sinne gehört natOrlich auch die dauernde Einleitung oder Bereit- 
stellimg von intellektuellen Operationen bezw. ihre Wiederholung beim von vorne 
Beginnen zu den inteUektuellen Operationen, wdche zur Verwirklichung des 
Zides geeignet sind. Eine Operation wird solange fortgesetzt oder durch 
andere geeignete ersetzt, bis das Ziel verwirklicht oder die Verwirklichung 
aufgegd)en ist 
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122 Absdm, 2, Die Theorie der Wissensaktualisierung, 
abstrakten Schema dieses bestimmten Komplexes ihren Aus- 
gang nehmen. Die einzehien Bestimmungen des Inhalts der De- 
terminierung verhalten sich also nicht zueinander wie ein Neben- 
einander konstellationsartig zusammenwirkender Faktoren, sondern 
wie die Bestimmung einer Tätigkeit bestinunter Art zur Bestim- 
mung ihres als einheitliches Ganzes in Betracht kommenden An- 
griffspunktes im konkreten Falle. Auch die Wirkung der De- 
terminierung zur Eomplexergttnzung ist Komplexwirkung in- 
sofern, als das abstrakte Schema des Komplexes als Ganzes zum 
Angriffspunkt einer infolge der Determinierung eingeleiteten intel- 
lektuellen Operation wird. 
§ 4. Belege aus anderen Untersuchungen. 
Die Notwendigkeit, die Konstellationstheorie durch eine Kom- 
plextheorie zu ersetzen, wird in besonders eindringlicher Weise 
durch die Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen über 
das Lesen demonstriert. Wenn z. B. bei EIrdmann und Dodge 
,) verrinn enden " zu „vernein enden " und von einer anderen Vp. zu 
n verhinde rnden " verkannt wird 0, so sehen wir, wie die mehr oder 
weniger deutlich erkannten Bestandteile des Wortes mit ihren 
Zwischenräumen ein Schema bilden, durch das die Oedächtnis- 
residuen von Schriftworten erregt werden, welche diesem Schema 
entsprechen. Das Lesen überhaupt, besonders aber das Lesen in 
solchen Versuchen ist ein determinierter Vorgang. Die Vp. hat 
die Determination, die dargebotenen Worte, deren Charakter als 
Worte ihr im voraus bekannt ist, zu erkennen. Nach dem all- 
gemeinen Gesetz nun, daß eine Determinierung die Aktualisierung 
derjenigen allgemeinen intellektuellen Operationen nach sich zieht, 
die zu ihrer Verwirklichung geeignet sind, wird das von den er- 
kannten Bestandteilen des Wortes und seinen Zwischenräumen 
gebildete Schema zum Ausgangspunkt einer starken, in den Dienst 
des Erkennens des Wortganzen gestellten Erregung der dem Schema 
entsprechenden Reproduktionsgrundlagen von Worten. Da diese 
^) a. a. O. S. 183. Unter Verkennung verstdien die genannten Autoren im 
Gegensatz zur Verlesung den Fall, daß die irrtümliche Auffassung des Wortes 
auf einer optischen Illusion beruht, welche durch apperzeptive Verschmdzung 
des Wahrgenommenen mit Gedächtnisresiduen von Schriftworten entsteht 
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//. Die Kompiexerganzung, 123 
der Auffassung des undeutlich wahrgenommenen Wortes dienen, 
80 werden nicht nur die ihnen entsprechenden Vorstellungen re- 
produziert, sondern sie verschmelzen zugleich mit dem gegebenen 
Elmpfindungskomplex und führen so bei Nichtübereinstimmung mit 
dem wirklich Dargebotenen zuweilen die Illusion eines anderen 
Wortes herbei 0. 
Wie die soeben erwähnten Fälle, so sind auch zahlreiche von 
Zeitler') angeführte Beispiele „falscher Assimilationen^ sprechende 
Belege für eine Komplextheorie. (Dahingestellt bleiben mag, ob 
wirklich in allen jenen Fällen Verkennungen vorliegen.) So 
wurde nach Zeitler verkannt: 
Phalanstöre zu Polar stem 
H edsch ra „ Hei dschn uk 
Lepidodendron „ Leoparden 
Musix (statt Musik) „ Mastix 
usf. 
Die Bedeutung des aus den erkannten Bestandteilen in ihrer 
räumlichen Anordnung gebildeten Schemas ist hier unverkennbar. 
Nicht die erkannten Bestandteile erregen durch die von ihnen 
isoliert ausgehenden und im Endglied erst zusammentreffenden 
Reproduktionstendenzen die Gedächtnisresiduen geläufiger Schrift- 
wörter und ermOglidien hierdurch die assimilierende Verschmelzung 
mit dem gegebenen Empfindungskomplex. Vielmehr wird diese 
Wirkung durch das ganze Schema herbeigeführt, zu dem die 
räumlidie Aufeinanderfolge der erkannten Bestandteile und ihre 
vielleicht noch durch einen allgemeinen Charakter (z. B. als 
Mittelzeiler) gekennzeichneten Abstände als integrierende Bestand- 
teile gehören. Es handelt sich hier also um Tatsachen, welche 
eine Konstellationstheorie vergebhch zu erklären sich bemühen wird. 
Allerdings treten, wie Zeitler gezeigt hat, beim taclusto- 
*) Wie sehr die beim Lesen eingeleiteten inneren und äußeren Operationen 
von der jeweils bestehenden Determination abhängig sind, zeigt der von Wiegand 
ert)rachte Nachweis, daß der Aufmerksamkeitsumfang imd die durch ihn be- 
dingte Treue der Beobachtung von der erteilten Instruktion abhängt Wiegand 
S.202ff. 
■) J. Zeitler, Tachistoskopische Untersuchungen über das Lesen. Philos. 
Studien, 16. S. 380. 
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124 Absdui, 2, Die Theorie der Wissensaktualisierung. 
skopischen Lesen in einzelnen Fällen auch „Inversionen^ und 
„Permutationen" auf. So wurde 
Hudsonbai verkannt zu Hasdrubal 
Kande laber „ „ Kan adabalsam. 
Allein, wie Zeitler ausdrücklich betont, kommen Buchstaben- 
vertauschungen nur innerhalb eines gewissen engen Spielraums vor. 
Sie sind nach ihm darauf zurückzufuhren, daß die dominierenden 
Buchstaben, welche zuerst erkannt werden, nicht genau lokalisiert 
sind, sondern in ihrem Herd von unerkannten Buchstaben oszil- 
lieren und daher miteinander vertauscht werden können, oder 
daß die zeitliche Reihenfolge des Auftretens der Buchstaben mit 
ihrer räumlichen Reihenfolge verwechselt wird. Diese scheinbaren 
Ausnahmen bestätigen also nur die Regel, daß die räumlich-zeit- 
liche Anordnung für die Komplexergänzung maßgebend ist, mn 
so mehr, als gerade Beispiele, wie die angeführten, von der teil- 
weisen Permutation abgesehen, die Bedeutung des Gesamtschemas 
deutlich erkennen lassen. 
Auch die Ergebnisse von Wiegand kOnnen wir zum Teil zur 
Bestätigung des Gesetzes der Komplexassoziation heranziehen. 
So führt Wiegand bei der Besprechung seiner tachistoskopischen 
Untersuchimgen mit auslöschendem Reiz aus^: „Handelte es sich 
um ein längeres, aus zwei selbstständigen kürzeren zusammen- 
gesetztes Wort und ist dann nur der erste oder zweite Teil er- 
kaimt, so hat in einzelnen Fällen das Lautbild des erkannten 
Teiles das Lautbild des Restes reproduziert Dies beweisen die 
Fälle, in denen eine vollständig falsche Ergänzung stattfand, und 
der reproduzierte Wortteil mit dem exponierten weder hinsichtlich 
einer Reihe von Buchstaben noch hinsichtlich der Gresamtform 
übereinstimmt." So wurde „Meinungsäußerung" verlesen zu „Mei- 
nungsverschiedenheiten". Die Vp. gibt an, sie habe nur „Mein-" 
identifiziert, dazu noch ungefähr die WorUänge. Wir werden 
uns hier die Reproduktion durch ein Wortschema vermittelt zu 
denken haben, das sich räumlich durch „Mein " oder 
„Meinungs " (allerdings nur unvollkommen) darstellen läßt 
Infolge der vorhandenen Determination zur Wortergänzung werden 
die Komplexdispositionen derjenigen Schrift- oder Lautworte in 
') Wiegand S. 230. 
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//. Die Kompiexergänzung. 126 
Erregung versetzt werden, die mit diesem den Wortanfang und 
die ungefiUire Wortlänge vorschreibenden Schema übereinstinmien. 
Außerdem zeigen die Protokolle von Wiegand ziemlich zahl- 
reiche besonders interessante Fälle, in denen zwar zwischen der 
Annahme einer Kompiexergänzung und einer Komplex asso - 
ziation nicht sicher entschieden werden kann, in denen dagegen 
eine Konstellationswirkung isolierter erkannter Einzelheiten als 
ausgeschlossen betrachtet werden darf. 
Beispiel^): 
Exponiert ist Landungsbr ticke. Bei 4 m Entfernung 
gibt die Vp. an, sie sehe ein Band mit 8 Oberlängen an vierter 
Stelle, an viertletzter und am Ende. Bei 3,50 m Entfernung ver-^ 
mutet die Vp. in der Mitte eine Unterlänge. 
3,80 m Entfernung: „Ein L — steht am Anfang. Mir kommt 
akustisch das Wort „Landesgemeinde^. Die Reproduktion ist auf 
Grund erkannter Einzelheiten zustande gekommen. Ich sehe in 
der Mitte ziemlich deutlich — g — ." 
Nehmen wir die dargebotenen Reize, soweit ihnen die Re- 
produktion des unrichtigen Wortes Landesgemeinde entspricht, 
als irgendwie wirksam an, wozu auch die obigen Angaben berech- 
tigen, so erhalten wir ungefähr folgendes Schema: 
Land g | e 
(Landungsbrücke) 
Dieses Schema vermag daim die Reproduktion des ihm ent- 
sprechenden Wortes Landesgemeinde hervorzurufen. 
Zwischen der Annahme einer durch den optischen Gesamt- 
eindruck auf Grund einer Komplexassoziation herbei- 
geführten Reproduktion und der Annahme, daß das aus den 
erkannten Bestandstücken gebildete optische oder akustische Ge- 
samtschema die Komplexdispositionen solcher Schrift- oder Laut- 
worte in Erregung versetzte, die ihm entsprechen, und deren 
Reproduktion durch Komplexergänzung herbeiführte, wird 
man sich in derartigen Fällen zu entscheiden haben. Dagegen wird 
es nicht gelingen, sie auf eine Konstellationswirkung der isolierten 
das Gesamtschema konstituierenden Elemente zurückzuführen. Nicht 
die in ihren allgemeinen oder besonderen Eigenschaften erkannten 
*) a. a. 0. S. 188. 
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126 Abschn. 2, Die Theorie der Wissensaktuaüsierung. 
Einzelheiten und ihre Abstände vermögen durch das Zusammen- 
treffen der von ihnen für sich allein ausgehenden Reproduktions- 
tendenzen die Reproduktion herbeizuführen, sondern nur das 
Gesamtschema, das sich aus diesen in bestimmter 
Reihenfolge und in bestimmten Abständen gegebenen 
Einzelheiten konstituiert, wird in seiner ihm nur als 
Komplex zukommenden Gesamtbestimmtheit imstande sein, 
gerade diejenigen Komplexdispositionen anzusprechen, die mit der 
gegebenen Anordnung von Elementen übereinstimmen. Daß die 
Übereinstimmung mit dem Schema nicht etwa nur eine zufiQlige 
ist, zeigt die große Zahl der Fälle, in welchen sie besteht So 
bildete sich bei einem Versuch, in dem „Sammetkragen^ exponiert 
war, bei wachsender Annäherung des Reizobjektes laut Aussage 
der Vp. Prof. Schumann ein Schema von der ungefiQir^i Form 
Sol I I I I I— ka|en 
heraus, das in seinem Werdestadium, in dem namentlich das k 
nur als Oberlänge wirksam gewesen zu sein scheint, die Vp. auf 
„Sonntagen^ und später auf „Sommertagen*' raten ließ ^). 
In ähnlicher Weise wurde in anderen Fällen „verrennen" zu 
„verworren", „verriimen" zu „vereinen", „meinem" zu „minus", 
„minnen" zu „mimen", „Abstinentenversammlung" zu „Unter- 
richtsverwaltung", „Akrobatenversammlung" zu „Arbeiterinnen- 
versammlung" verlesen*). 
Auf die Tatsache, daß das Wissen von abstrakten Bestimmt- 
heiten eines Elements oder eines Komplexes die Reproduktion des 
betreffenden Elements oder Komplexes erleichtert, hat G.E.Müller 
im Anschluß an seine Untersuchungen über die Komplexbildung 
beim Lernen hingewiesen (Satz von der reproduktiven 
Wirksamkeit der gewußten Teilinhalte'). So erleichtert 
das Lernen mit konstantem Komplexumfang oder in bestimmtem 
Rhythmus die Reproduktion des jeweils zu reproduzierenden Kom- 
a. a. 0. S. 1®. 
■) a. a. O. S. 171, 172, 183. Vgl. femer S. 184—186 u. a. Ganz ahnUche 
Vorgänge wie beim Lesen finden auch beim Erkennen gesprochener Worte 
statt Vgl. namentlich K. Kroiß, Zur Methodik des HOrunteirichts. BeitrSge 
zur Psychologie der Wortvorstellung (Wiesbaden 1908). 
•) Vgl. oben S. 72 Anm. 1. 
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//. Die Komplexergänzung. 127 
plexes einer Reihe durch das Wissen von der Zahl seiner Elemente 
bezw. von seiner Betonung. 
Auch in der Anwendung dieser Fälle zeigen sich die Vor- 
züge einer Komplextheorie vor einer Eonstellationstheorie. Neh- 
men wir an, der Übergang von der zweiten zur dritten Silbe 
einer trochäisch gelernten Reihe werde durch das Wissen ge- 
fördert, daß die dritte SUbe zu den betonten gehört. Nach 
der Eonstellationstheorie würde das heißen: Es besteht einer- 
seits die vom ersten Takt der Reihe ausgehende Tendenz zur 
Reproduktion des ersten Gliedes des zweiten Taktes. Außerdem 
werden gleichzeitig durch das irgendwie repi^entierte Bewußtsein 
von der stattgefundenen Betonung sämtliche betonten Glieder der 
Reihe in reproduktive Erregimg versetzt. Nach dem Gresetz der 
gegenseitigen Förderung gleichgerichteter Reproduktionstendenzen 
würde dann die nächste betonte Silbe ins Bewußtsein treten. Be- 
ende sich nun eine der betonten Silben in sehr hoher Bereitschaft, 
so bestände bei der Annahme einer Eonstellationswirkung eine 
große Wahrscheinlichkeit, daß diese Silbe und nicht die in der 
Reihe folgende ins Bewußtsein träte. Vom Standpunkt der Eom- 
plextheorie dagegen werden wir sagen: Das auf die Betonung 
des gesuchten Reihengliedes bezügliche Wissen ist mehr als die 
bloße Vorstellung einer bestimmten Betonung, es ist ein Bewußt- 
sein von dem Sachverhältnis, daß das auf den vorausgegangenen 
Takt folgende Reihenglied betont war. Dieses Wissen, das nicht 
als immer bewußt gegenwärtig gedacht zu werden braucht, hat 
die Bildung eines einheitlichen Schemas von dem Anfang der 
Silbenreihe zur Folge, indem der erste Takt in concreto, das erste 
Glied des zweiten Taktes aber als eine eventuell auch schon der 
Zahl der Buchstaben nach bestimmte Silbe von bestimmter Be- 
tonung bestimmt ist. Dieses Schema wird als Ganzes der Aus- 
gangspunkt einer determinierten Reproduktion, so daß die selb- 
ständige Wirksamkeit des allgemeinen Gedankens an eine bestimmte 
Betonung, durch die auch andere betonte Reihenglieder reproduziert 
werden könnten, sehr eingeschränkt ist. 
Selbst wenn man, wozu G. E. Müller zu neigen scheint 0» an- 
nähme, daß das Wissen von der Betonung der gesuchten Silbe 
nur in der Reproduktion einer bei der Einprägung vorhanden ge- 
a. a. O. S. 344. 
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128 Absdm, 2. Die Theorie det Wissensaktualisierung, 
wesenen charakteristischen motorischen Begleiterscheinung be- 
stände, so würde man doch zu der Annahme einer Komplexwirkung 
gelangen, nach der der erste Takt und die den zweiten Takt teil- 
weise antizipierende motorische Begleiterscheinung als Ganzes 
die Reproduktion der gesuchten Silbe herbeiführen. Für das 
abstrakte Wissen, daß es sich um eine Silbe und zwar um eine 
Silbe mit einer bestimmten Zahl von Elementen handle, ließe sich 
übrigens schon viel schwerer eine konkrete sinnliche Reprtlsen- 
tation ausfindig machen. Das Wort Silbe zum Beispiel und das 
der Zahl der Elemente entsprechende Zahlwort könnten einen 
direkten Einfluß auf die Reproduktion nur dann ausüben, wenn 
sie bei der Einprtigung mit jeder Silbe der Reihe assoziiert worden 
wären, was sehr unwahrscheinlich ist. 
§ 5. Die drei Gesetze der Komplexergänzung. 
Fassen wir die vorangegangenen Ausführungen zur Theorie 
der Komplexergänzung kurz zusammen, so erhalten wir folgende 
3 Gesetze der Komplexergänzung: 
1. Ein gegebenes als einheitlich Ganzes wirkendes Komplex- 
stück hat die Tendenz, die Reproduktion des ganzen Komplexes 
herbeizuführen. 
2. Ein einen Komplex seinem ganzen Bestände nach anti- 
zipierendes Schema hat die Tendenz, die Reproduktion des ganzen 
Komplexes herbeizuführen. 
3. die auf die Ergänzung eines schematisch anti- 
zipierten Komplexes gerichtete Determination be- 
gründet die Tendenz zur Reproduktion des ganzen Komplexes *). 
In den beiden ersten Fällen beruht die Tendenz zur Komplex- 
ergänzung auf einer immanenten Reproduktionstendenz des Kom- 
plexstücks bezw. des Schemas, im dritten Fall bildet das Schema 
nur den Ausgangspunkt für die auf Grund der Determinierung 
eingeleitete allgemeine intellektuelle Operation der Komplex- 
ergänzung. Bezüglich der Vorteile des dritten Falles vor dem 
*) Ober die Konkurrenz mdirerer dem KomplexstQck entsprechender 
Komplexe siehe oben S. 109 f. Das dort Gesagte findet auch in den dem zweiten 
und dritten Gesetz der Komplexergänzung entsprechenden Fällen Anwendung 
(vgl. auch oben S. 115 f.). 
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///. Die WiSsensaJättaäsierung als Komplexergänzung. 129 
zweiten und des zweiten Falles vor dem ersten ist auf die früheren 
Ausführungen zu verweisen. 
Bei dem ersten der 3 Gesetze der Eomplexerg^üizung könnte 
man an Hamiltons Gesetz der Redintegration ^) oder HOffdings 
(besetz der Totalität denken^. Allein diese (besetze sudien nur 
das allgemeine Gesetz der Assoziation in der besonderen Fassung 
zum Ausdruck zu bringen, daß jedes Element eines Komplexes 
die Tendenz hat, den ganzen Komplex wieder zu erzeugen. Sie 
enthalten keine Aufstellung darüber, wie dieser Redintegrations- 
prozeß vor sich geht So sucht James unter ausdrücklicher An- 
führung von Hamiltons allgemeinem Gesetz der Redintegration 
den speziellen Fall der „vollständigen Redintegration^ durch seine 
Konstellationstheorie zu erklären'). Er führt also die Redinte- 
gration nicht auf die Wirkung des Komplexstückes als eines ein- 
heitlichen Ganzen, sondern auf die Konstellationswirkung der in 
ihm enthaltenen Elemente zurück^). In den von uns aufgestellten 
3 Gesetzen der Komplexerg^bizung kommt dagegen das Ergebnis 
zum Ausdruck, daß die Konstellationstheorie der Komplexer^nzung, 
von Ausnahmen abgesehen, sowohl für den Fall der undetermi- 
nierten als für den Fall der determinierten Komplexergänzung 
durch eine Komplextheorie ersetzt werden muß. 
IIL Die Wissensaktualisierung als Komplex- 
ergänzung. 
Die Gesetze der Komplexergänzimg wurden zunächst für 
Anschauungsganze abgeleitet. Sie gelten aber ebenso wie das 
Gesetz der Komplexassoziation für Komplexe überhaupt^), also 
auch für Beziehungsganze und daher auch für Wissenskomplexe, 
die für uns hier zunächst ausschließUch in Betracht kommen. Zu 
einem vollen Verständnis des Vorgangs der Wissensaktualisierung 
W. HamiUonB, Lectures on Metaphsrsies and Logics edited by Hansel 
and Veitch (London 1866) VoL U, p. 288. 
*) H. Höffding, Psychologie, 4. daitsche Aufl. (Leipzig 190^ S. 210 f., 2ia 
Vf^ oben S. 91 Anm. 3. 
*) Nfiher scheint der hier vertretenen AufÜBissung die Fassung des Ge- 
setzes der BerOhrungsassoziation bei Koflfka, Zur Analyse der Vorstellungen 
und ihrer Gesetze (Ldpzig 1912) S. S4A, zu konunen. 
•) Vfi^oben S.97f. 
Seil, Über die <3etetae des geordneten DenkTerlaote. 9 
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190 Aiwhn, 2, Die Theork der Wissensaktualisienmg. 
genügt jedoch die bloBe Übertragung der Gesetze der Komplex- 
ergänzung auf WiBsensaktualirierungen nicht, sondern es bedarf 
hierzu einer vorhergehenden Analyse der Struktur der Wissens- 
komplexe. 
Wir haben das Wissen früher vorläufig definiert als das 
aktuelle, bezw. dispositionelle Bewußtsein von Sachverhtfltnissen. 
Hieraus ergeben sich für die Analyse der Wissenskomplexe 
folgende drei Fragen: 
1. Was sind Sachverhältnisse? 
2. Was sind Sachverhältnisse als psychische Gregenstände? 
3. Wie entsteht ein Bewußtsein von Sachverhältnissen, bezw. 
die Disposition zu einem solchen Bewußtsein, und welches 
ist die Struktur dieser Bewußtseinserlebnisse, bezw. der ent- 
sprechenden Dispositionen? 
Wir beginnen mit der Beantwortung der ersten Frage. 
A. Allgemeine Charakterisierung der Sachverhältnisse* 
Die Frage nach der allgemeinen Charakterisierung der Sach- 
verhältnisse ist zwar eine Vorfrage für die psychologische 
Frage nach der Struktur der Wissenskomplexe, sie ist aber, an 
sich betrachtet, keine psychologische Frage. Sachverhältnisse be- 
stehen nicht nur in der Welt der realen psychischen Gr^^nstände, 
sondern auch im Gebiete der realen physischen Gegenstände und 
im Gebiete der idealen Gegenstände, z. B. der Gegenstände der 
Mathematik. Die allgemeine Charakterisierung der Sachver- 
hältnisse gehört daher nicht in die Psychologie, die es nur mit 
Bewufitseinvorgängen und deren Voraussetzungen zu tun hat, 
sondern in eine allgemeine Theorie der Erkenntnisgegenstände, 
eine allgemeine Gegenstandstheorie im Sinne Meinongs oder 
Külpes*), oder in eine besondere Wissenschaft von den Sach- 
Über den von Meinong geprägten Begriff der Gegenstandstheorie vgl. 
„Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie**, herausgegeben von 
A. Meinong (Leipzig 1904) I. über Gegenstandstheorie, namentlich S. 3, 5, 13, 
17 ff., 25, 26, 28, 30, 37, 40, 42; femer „Über die Stellung der Gegenstands- 
theorie im System der Wissenschaften**, Zeitschr. f. Philos. und philos. Kritik, 
Bd. 129, 130. Nach Meinong umfaßt die Gegenstandstheorie alles, was aus 
der Natur der Gregenstände erkannt werden kann, soweit es nicht zum G^;en- 
stand besonderer Wissenschaften, z. B. der Mathematik geworden ist Wie 
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///. Die Wissensaktuaiisierung als Komplexergänzung, 181 
Verhältnissen 0. Eine ausgeführte Theorie über die Natur der 
Sachverhältnisse und eine Erörterung der bei derartigen gegen- 
standstheoretischen Untersuchungen einzuschlagenden Methode und 
ihrer Beziehungen zu den Aufgaben und Methoden der deskrip- 
tiven Psychologie würde den Rahmen dieser Untersuchungen über- 
schreiten. Es soll vielmehr nur versucht werden, an der Hand 
typischer F^e auf das allen Sachverhältnissen Gremeinsame kurz 
hinzuweisen. Wir sehen hierbei zunächst sowohl von allenfallsigen 
Besonderheiten ab, welche für Sachverhältnisse gelten, die in der 
Welt der psychischen Gegenstände bestehen, als von der Frage, 
wie ein Bewußtsein von Sachverhältnissen überhaupt und von 
bestimmten Sachverhältnissen möglich ist 
Lassen wir nacheinander zwei Töne eiAJingen, so wird jeder 
der erzeugten Tonempfindungen aus der Reihe der möglichen 
Tonstärken eine bestimmte zukommen. Nennen wir die der zeit* 
lieh vorausgehenden Tonempfindung A zukommende absolute, also 
auch ohne eine Beziehung auf irgend em Einheitsmaß zu be- 
aus den Untersuchungen zur Gegenstandstheorie von Ameseder und Mally 
(Untersuchungen zur Gegenstandstheorie, II und DI) hervorgeht, gehört zur 
Gegenstandstheorie in diesem Sinne auch die oberste Klassifikation der Gegen- 
stände und die allgemeine Charakteristik der einzehien Klassen. Eine engere 
Au^l^abe stellt KOlpe der Gegenstandstheorie, nämUch die Feststellung derjenigen 
Bestimmungen, die alle Gegenstände des Denkens zulassen, z. B. Gleichheit, 
Ungleichheit, Zitfilbarkeit Vgl 0. KOlpe, Einleitung in die Philosophie, 6. Aufl. 
(Leipzig 1918) S. 42, 66. Die Realisierung, 1. Bd. (Leipzig 1912) S. 9 ff. Da 
Sachverhältnisse in bezug auf Gegenstände aller Art möglich sind, so würde 
auch die Gegenstandstheorie im engeren Sinne die allgemeine Charakterisierung 
der Sachverhältnisse in sich schließen. (Vgl. KOlpe, Die Realisierung, S. 11.) 
Außer den verschiedenen Untersuchungen Meinongs enthalten namentlich auch 
die logischen Untersuchungen Husserls wichtige Beiträge zur Begründung einer 
Gegenstandstheorie. E. Husserl, Logische Untersuchungen (Halle a. S. 1900/01). 
Stumpf, Husseri, Meinong und vor ihnen Bolzano und Brentano haben unter 
verschiedenen Namen zuerst auf Sachverhältnisse als eine besondere Art von 
Gegenständen hingewiesen und ihnen gegenstandstheoretische Betrachtungen 
gewidmet Vgl. C. Stiunpf, Erscheinungen und psychische Funktionen 1907 
(Aus den Abhandlungen der K. preuß. Akad. d. W. v. Jahre 1906) S. 29f. Stumpf 
ftkhrte den Ausdruck „Sachverhalt** ein. Wir gebrauchen statt dessen den Aus- 
druck „Sachverhaltnis**, um durch das Wort „Verhältnis** die eigentümliche 
Natur der Sachverhaltnisse als ein sich zueinander in einer bestimmten Weise 
Verhalten von bestimmten Gregenständen zum Ausdruck zu bringen. 
') Vgl. G. Stumpf, Zur Einteilung der Wissenschaften 1907, aus den Ab- 
handlungen der K. preuß. Akad. d. W. v. Jahre 1906, IV. S. 32 ff., 40 ff. Auch 
nach Meinong können sich von der allgemeinen Gegenstandstheorie außer der 
Mathematik weitere gegenstandstheoretische Wissenschaften abspalten. 
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182 AMm. 2. Die Theorie der Wisaensaiäaalisierung, 
zeichnende Intensität ^^ so kann der zeitlich nachfolgenden Ton- 
empfindung B entweder eine beliebige andere Intensität zukommen, 
oder es kann auch diese Tonempfindung die Intensität A besitzen. 
Im letzteren Falle ist dann gegeben: 
1. Die Tonempfindung A mit der Intensität ^, 
Damit zugleich aber 
3. das Sachverhältnis, daß die Tonempfindungen A und B die 
Intensität ^ gemeinsam haben, oder was dasselbe ist, das in 
der Beziehung des die Intensität i gemeinsam Habens Stehen 
von A und B. 
Dieses Sachverhältnis ist mit den beiden Tonempfindungen 
und ihren absoluten Bestimmtheiten ohne weiteres mitgegeben. 
Es liegt in der Natur der beiden Empfindungen, die Intensität A 
gemeinsam zu haben, also in der Beziehung des die Intensität ^ 
gemeinsam Habens zueinander zu stehen. In demselben Sinne, 
in dem mit einem Dreieck die Gesamtgröße seiner Winkel ohne 
weiteres mitgegeben ist und nicht als etwas, was nicht mit dem 
Dreieck schon vorhanden wäre, erst hinzukommt, ist auch mit 
den beiden Tonempfindungen das Sachverhältnis der Gemeinsam- 
keit der Intensität ^ schon mitgegeben. Es kommt nicht erst 
durch einen beziehenden Akt des erkennenden Subjekts hinzu 
imd besteht völlig imabhängig davon, ob es von irgend einem 
Subjekt bemerkt wird. Mit dem konkreten Sachverhältnis aber, 
daß die Tonempfindungen A und B die Intensität i gemeinsam 
haben, ist wieder implizite das abstraktere Sachverhältnis, als in 
ihm enthalten, mitgegeben, daß die Tonempfindungen A und B 
die Intensität gemeinsam haben, oder anders ausgedrückt, daß die 
Tonempfindungen A und B dieselbe Intensität haben. Unter der 
identischen Intensität der beiden Tonempfindungen (der Intensität^) 
ist hierbei nicht die einen realen Teilgegenstand der einzelnen 
Empfindungen bildende Intensität der Tonempfindungen A oder B 
zu verstehen, sondern die reine Wiebestimmtheit, welche diese 
realen Intensitäten besitzen. Diese kann für eine beliebige An- 
zahl von Tonempfindungen dieselbe sein. 
Besitzen die Tonempfindungen A und B nicht nur beide die 
Intensität >t, sondern auch beide die Tonhöhe juty die Tonfarbe v, 
das Volumen o und die Dauer ^, so ist gegeben: 
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///. Die WissensaMtuaüsierung als KompiexergOnzung. laS 
1. die Tonempfindimg A mit 
2. die Tonempfindung B mit 
Intensität ^l 
Tonhöhe jul 
Tonfarbe v 
Volumen o 
Dauer . . 7t 
Damit zugleidi aber ist mitgegeben 
3. das SachverhältniSy daß die Tonempfindungen A und B die 
Intensität ^, die Tonhöhe /«, die Tonfarbe v, das Volumen o 
und die Dauer Jt gemeinsam haben und mit ihm zugleich 
das in ihm enthaltene abstraktere Sachverhältnis, daß die 
Tonempfindungen A und B dieselbe Intensität, Tonhöhe, Ton- 
farbe und Dauer und dasselbe Volumen haben. 
Nehmen wir an, daß Intensität, Tonhöhe, Tonfarbe, Volumen 
und Dauer die totale Wiebestimmtheit einer Tonempfindung 
darstellen, sodaß sich die Tonempfindungen A und B nur noch 
ihrer Zeitlage und ihrem getrennten Dasein nach unterscheiden, 
so ist mit den eben erwähnten Sachverhältnissen das Sachverhält- 
nis mitgegeben, daß die Tonempfindungen A und B dieselbe totale 
Wiebestimmtheit haben, oder was dasselbe ist, daß die Ton- 
empfindungen A und B gleich sind; denn unter Gleichheit verstehen 
wir die Identität der totalen Wiebestimmtheit von Gregenständen, 
bezw. die Identität ihrer Wiebestimmtheiten, soweit sie nicht bei 
der Betrachtung vernachlässigt werden ^. Das Sachverhältms der 
Gleichheit der Tonempfindungen A und B ist also mit den Ton- 
empfindungen A und B mitgegeben. Es ist in der Natur dieser 
Gegenstände begründet, denn es liegt in ihrer Natur, daß sie die- 
selbe totale Wiebestimmtheit haben, und damit gleich sind. 
Es leuchtet ein, daß das, was von den Tonempfindungen 
A und B gilt, von beliebigen anderen Gegenständen gelten muß. 
Haben wir: 
^) Unter den Wiebestimmtheiten eines Gegenstandes verstehen wir seine 
qualitativen Bestimmtheiten im weitesten Sinne im Gegensatz zu seiner Existenz 
und der ihm zukommenden räumlichen und zeitlichen Lagebestimmtheit, gleich- 
gOltig, ob diese als eine absolute oder bloß relative zu denken ist 
■) VgL die Definition der Gleichheit bei E. Husserl, Logische Unter- 
suchongen, 2. Bd. (HaUe 1901) S. 112 f. Die obige Definition gilt nur für m- 
dividuelle Gegenstände. Allgemeine Gegenstände, z. B. ein ideales Dreieck, 
können streng genommen nicht gleich sein, sondern sind bei Übereinstimmimg 
ihrer totalen Wiebestimmtheit, da ihnen Dasein und räumliche oder zeitliche 
Lagebestimmtheit fehlen, identisch. 
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184 Absdin, 2. Die Theorie der Wissensaktuaäsierung. 
1. einen beliebigen (Gegenstand A mit den Wiebestimmt- 
heiten 
2. einen beliebigen Gregenstand B mit den Wiebestimmt- 
heiten 
XI 
xt 
xt 
X4 
[UBW., 
XI 
xt 
xt 
X4 
USW., 
so liegt in der Natur dieser beiden Gegenstände 
3. das Sachverhttltnis, daß die GregenstMnde A und B dieselbe 
totale Wiebestimmtheit haben, also gleich sind. Umgekehrt 
liegt es in der Natur des dieselbe totale Wiebestimmtheit 
Habens zweier Gregenstände, also eines Sachverhältiüsses der 
Gleichheit, daß es nicht selbständig für sich, sondern nur 
dann gegeben sein kann, wenn die gleichen Gegenstände 
gegeben sind. 
Nennen wir Gegebenheiten, die keine selbständigen Gregeben- 
heiten sind, sondern in deren Natur es liegt, mit anderen Gregen- 
ständen mitgegeben zu sein, Mitgegebenheiten, so ist jedes 
Sachverhältnis der Gleichheit eine Mitgegebenheit, die in der 
Natur der gleichen Gegenstände liegt. Wir gelangen zu einer all- 
gemeinen Charakteristik solcher Mitgegebenheiten, wenn wir ver- 
schiedene Sachverhältnisse der Gleichheit miteinander vergleichen. 
Angenommen, wir haben folgende Sachverhältnisse der Gleichheit: 
1. die Gegenstände A und B haben dieselbe totale Wiebestimmtheit, 
2. die Gegenstände B und C haben dieselbe totale Wiebestimmtheit, 
3. die Gegenstände E und F haben dieselbe totale Wiebestimmtheit, 
usw. 
Wie dieselbe reine QuaUtät, z. B. eine bestimmte Tonhöhe in einer 
ganzen Reihe von gleichartigen Empfindungen wiederkehren kann, 
so kehrt in allen solchen Sachverhältnissen etwas Identisches wieder, 
das sie von Sachverhältnissen anderer Art unterscheidet. Es ist 
das dieselbe totale Wiebestimmtheit Haben oder das Gleichsein. 
Dieses in allen Sachverhältnissen der Gleichheit Wiederkehrende 
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///. Die Wissensaktualisi e rung als Komplexergämung, 186 
nennen wir in Übereinstimmung mit einem engeren Sprachgebrauch 
des Wortes Beziehung: die Beziehimg' der Gleichheit 0- Wie es 
in der Natur einer reinen Qualität liegt, an verschiedenen indivi- 
duellen realen Gegenständen, z. B. an verschiedenen Empfindungen 
vorzukommen, so liegt es in der Natur des Gleichseins oder der 
Beziehung der Gleichheit, in verschiedenen individuellen Sach- 
verhältnissen vorzukommen. 
Außer der identischen Beziehimg der Gleichheit, welche in 
allen Sachverhältnissen der Gleichheit dieselbe ist, und sie nur 
von Sachverhältnissen anderer Art unterscheidet, finden wir in 
allen Sachverhältnissen der Gleichheit die in der Beziehung der 
Gleichheit stehenden Gegenstände, welche in den verschiedenen 
Sachverhältnissen wechseln und sie dadurch voneinander unter- 
scheiden. Es genügt hierzu schon, daß einer der in der Beziehung 
der Gleichheit stehenden ' Gegenstände von den Gegenständen 
eines anderen Sachverhältnisses verschieden ist. Wir haben dem- 
nach in allen Sachverhältnissen der Gleichheit zu unterscheiden 
1. die beiden Gegenstände, die von Fall zu Fall wechseln, 
2. die Beziehung der Gleichheit, welche immer dieselbe iden- 
tische Beziehung ist. 
Daß in allen Sachverhältnissen der Gleichheit die beiden Gegen- 
stände und die Beziehung der Gleichheit eine Rolle spielen, be- 
deutet jedoch nicht, daß das Sachverhältnis der Gleichheit in einem 
Aggregat aus ihnen bestände oder sich aus ihnen zusammensetzte 
wie ein Ganzes aus seinen Teilen. Ein individuelles Sachverhält- 
nis der Gleichheit verhält sich vielmehr zu der Beziehung der 
Gleichheit, die ihm mit anderen Gleichheitsverhältnissen gemein- 
sam ist, analog wie ein individueller realer Teilgegenstand, etwa 
eine reale Tonhöhe, zu der allgemeinen reinen Wiebestimmt- 
heit, die ihr in Gemeinschaft mit den realen Tonhöhen anderer 
Töne zukommt Dieses Verhältnis ist also jedenfalls anderer Art 
als das Verhältnis zwischen einem Ganzen imd seinen selbständigen 
') Auch an den Beziehungen ist der allgemeine Beziehungs- 
charakter, welcher die Beziehungen von anderen Gegenständen unterscheidet, 
von der speziellen Beziehungsqualität, die durch die Worte „gleich^ 
«verschieden'" usw. bezeichnet wird, zu unterscheiden. Die Beziehungsqualität 
darf nicht mit der Beziehung identifiziert werden. Vgl. den Begriff des „Relats" 
bei Meinong und Mally, Untersuchungen zur Qegenstandstheorie, III. S. 142. 
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186 Abadin. 2. Die Theorie der Wissensaktuaüsierung. 
Teilen oder als das Verbttltnis eines bloßen Nebeneinander. Das 
Gleiche gilt fttr die Rolle, welche den Gregenstttnden, mit denen 
das Sachverhältnis der Gleichheit mitgegeben ist, in diesem Sach- 
verhältnis zukommt. Sie ist eine durchaus eigenartige, mit Hilfe 
anderweitiger Begriffe nicht beschreibbare, sondern kann nur bei 
der Analyse eines Sachverhaltnisses vorgefunden und mit den uns 
durch die Sprache zur Verfügung gestellten Mitteln bezeichnet 
werden. Es ist die Rolle dessen, was zu einem anderen in einer 
bestimmten Beziehung steht, bei seinem in dieser bestimmten Be- 
ziehimg Stehen zu dem andern. Das Sachverhältnis der Gleich* 
heit aber ist das in der Beziehung der Gleichheit Stehen 
(das dieselbe Wiebestimmtheit Haben oder Gleichsein) bestimmter 
Gegenstände, das durch die Gegenstände, welche in der Be- 
ziehung stehen, seine individuelle Charakteristik und durch die 
Beziehung, in der sie stehen, seine Charakteristik als ein Sach- 
verhältnis bestimmter Art empföngt. 
Entsprechendes wie fttr die Sachverhältnisse der Gleichheit 
gilt auch für Sachverhältnisse der Verschiedenheit Haben wir: 
XI 
xs 
X8 
X4 
USW., 
einen beliebigen Gegenstand A mit der totalen 
Wiebestimmtheit 
einen beliebigen Gegenstand mit der totalen Wie- 
bestimmtheit 
80 liegt in der Natur dieser Gegenstände 
y« 
y« 
y* 
usw. 
3. das Sachverhältnis, daß die Gegenstände A und B eine nicht- 
identische totale Wiebestimmtheit haben ^), oder was dasselbe 
Die Nichtidentitat der totalen Wiebestimmtheit zweier GegenstAnde 
ist ebenso wie ihre Identität eine positive Gegebenheit und nicht ein Nichtvor- 
handenes. Die Nichtidentitat kann auch als Verschiedenheit bezeichnet werden, 
muß aber dann als Verschiedenheit, welche der Identität entgegengesetzt ist, 
unterschieden werden von der Verschiedenheit, wddie der GldcUidt als Nicht- 
gleichheit entgegengesetzt ist 
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///. DU Wissensakhtalisientng als Kompiexergänxung. 187 
ist, das Sachverhältnis, daß die (Gegenstände A und B (total) 
verschieden sind. Umgekehrt liegt es in der Natur des eine 
nichtidentische totale Wiebestumntheit Habens zweier Gegen- 
stände, also eines Sachverhältnisses der Verschiedenheit, daß 
es nicht selbständig für sich, sondern nur dann gegeben 
sein kann, wenn die verschiedenen Gegenstände gegeben sind. 
Ebenso würde in der Natur von Gegenständen, deren Wiebestimmt- 
heiten teilweise nichtidentisch sind, ihre partielle Verschiedenheit 
begründet sein, der eine partielle Gleichheit entspräche. 
Auch Sachverhältnisse der Verschiedenheit sind also Mit- 
gegebenheiten, die in der Natur der verschiedenen Gegen- 
stände begründet sind. In allen Sachverhältnissen der Verschieden- 
heit kehrt etwas Identisches wieder, nämlich das Nichtidentisch- 
sein von reinen Wiebestimmtheiten. Dieses in allen Sachverhält- 
nissen der Verschiedenheit Wiederkehrende ist die Beziehung 
der Verschiedenheit. Wie es in der Natur einer reinen 
Qualität liegt, in verschiedenen realen Gegenständen vorzukommen, 
so liegt es in der Natur der Beziehung der Verschiedenheit, in 
verschiedenen individuellen Sachverhältnissen wiederzukehren. Von 
der Beziehimg der Verschiedenheit, die in allen Sachverhältnissen 
der Verschiedenheit identisch ist, sind die individuellen Sach- 
verhältnisse der Verschiedenheit zu unterscheiden. Sie 
sind das in der Beziehung der Verschiedenheit Stehen 
bestimmter Gegenstände. 
Nicht alle Sachverhältnisse sind wie die Sachverhältnisse der 
Gleichheit und Verschiedenheit in der Natur der in der Beziehung 
stehenden Gegenstände, der Sachverhaltsglieder, begründet, ohne 
Rücksicht auf die Stelle, welche ihnen innerhalb der Gegenstands- 
ordnung zukommt, in die sie gehören. Es gibt vielmehr zwei 
Klassen von Sachverhältnissen, bezw. der in ihnen enthaltenen 
Beziehungen. Die Sachverhältnisse der ersten Klasse sind Mit- 
gegebenheiten, die in der Natur der Sachverhaltsglieder ohne 
Rücksicht auf ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gegenstands- 
ordnung, z. B. auf ihre Stelle in der i^umlich-zeitlichen Ordnung 
realer Gegenstände, begründet sind. Schon Hume hat auf diese 
Klasse von Sachverhältnissen bezw. Beziehungen aufmerksam ge- 
macht 0* Zu ihr gehören außer den schon behandelten Sachver- 
•) Treat, Part lU, Sect. 1. 
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188 Abadui. 2. Die Theorie der Wissensaktaaüsierung, 
hältnissen auch die GrößenverfaKltnisse und die uns besonders 
interessierenden Verhältnisse zwischen Begriffen. Auch die Sach- 
verhältnisse der zweiten Klasse sind Mitgegebenheiten. Sie sind 
aber nicht in der Natur der Sachverhaltsglieder schlechthin, sondern 
in der Natur einer bestimmten Ordnung der in Beziehimg stehen- 
den Oegenstände, z. B. in einer bestimmten räumlich-zeitlichen 
Gtegenstandsordnung begründet. Dahingestellt bleiben kann, ob 
diese Gegensümdsordnimg selbst wieder auf die Natur der (xegen- 
stände, z. B. auf eine ihnen zukommende absolute Orts- oder Zeit- 
bestimmtheit zurückgeht 0- In die zweite Klasse gehören z. B. 
die Verhältnisse des räumlichen Nebeneinander, der zeitlichen 
Koexistenz und des Nacheinander. Wir können die in den Sach- 
verhältnissen der ersten Klasse enthaltenen, in der Natur der Gregen- 
stände schlechthin begründeten Beziehimgen „Gegenstands - 
beziehungen^, die in der zweiten Klasse enthaltenen, in der 
Natur einer Gegenstandsordnimg begründeten Beziehungen „Ord- 
nungsbeziehungen^ nennen. Diese Einteilung fällt inhaltlich, 
wenigstens zum großen Teil, mit der von Erdmann gegebenen 
Einteilung in ideale und reale Beziehungen zusammen^. Nach 
unserer Auffassung sind jedoch auch die Beziehungen der ersten 
Klasse nicht ideale Beziehimgen, die lediglich für unser Denken 
vorhanden wären, sondern beide Arten von Beziehungen und die 
ihnen entsprechenden Sachverhältnisse sind in der Natur des 
objektiv Gegebenen begründet, mit ihm mitgegeben. 
Auch in allen Ordnungsverhältnissen haben wir die in ver- 
schiedenen Sachverhältnissen der gleichen Art verschiedenen Gegen- 
stände und die in allen Ordnungsverhältnissen derselben Art iden- 
tische Ordnungsbeziehung zu unterscheiden. Auch hier besteht 
das Sachverhältnis in dem in einer bestimmten Ordnungsbeziehung 
Stehen bestimmter Gegenstände. So stehen die mit einer Seite 
aneinander grenzenden Flächen einer schachbrettartigen Figur 
alle in der überall identischen Beziehung des Nebeneinander. 
Das in der Beziehung des Nebeneinander Stehen zweier Felder 
^) Vgl. über die Annahme einer absoluten Orts- und ZeiÜ>estiniintheit 
A. Meinong, Humestudien, II. (aus den Sitzungsberichten der R. Akad. d. W., phüos. 
histor. Klasse, Wien 1882) S. 618 f. 
*) B. Erdmann, Logische Elementarlehre, 1. Bd., 2. Aufl. (Halle a. S. 1907) 
S.98, 490. 
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///. Die Wissensaktualisierung als Komplexergänzung. 139 
aber ist es, was wir meinen, wenn wir das Sachveriiältnis fest- 
stellen, daß sie nebeneinander liegen, es ist mit dem Sachver- 
hflltnis dieses Nebeneinanderliegens identisch. In die Gruppe der 
Ordnimgsverhältnisse gehört auch das Sachverhältnis zwischen 
einem Gkmzen und einem selbständigen oder unselbständigen Teile ^), 
und das umgekehrte Sachverhältnis eines selbständigen oder un- 
selbständigen Teiles zu dem (janzen, in dem er enthalten ist. 
Sachverhältnisse dieser Art sind mit der durch eigenartige Be- 
ziehungen ausgezeichneten Gegenstandsordnung mitgegeben, welche 
innerhalb eines Ganzen besteht und in der Natur des betre£Penden 
Ganzen begründet ist. 
Außer in Gegenstandsverhältnisse und Ordnungsverhältnisse 
lassen sich die Sachverhältnisse noch auf zwei andere Klassen 
verteilen, die für unsere Untersuchung von Bedeutung sind. Wir 
haben zwischen umkehrbaren oder gegenseitigen und 
nichtumkehrbaren oder einseitigen Sachverhältnissen 
zu unterscheiden"). In der Natur der umkehrbaren Sachverhält- 
nisse liegt es, daß ein Sachverhältnis der gleichen Art audi in 
der umgekehrten Richtung besteht. Ist A von B verschieden, so 
ist auch B von A verschieden. Ist A der Gegensatz zu B, so ist 
auch B der Gegensatz zu A. Ist A dagegen links von B, so ist B 
nicht Unks von A, sondern rechts von A. Ist A ein Teil von B, 
so ist B nicht ein Teil von A, sondern das Ganze zu A. Ist A 
dem B übergeordnet, so ist B dem A nicht über-, sondern unter- 
geordnet. Der Grund der Nichtumkehrbarkeit liegt in der Natur 
der in den betreffenden Sachverhältnissen enthaltenen Beziehungen. 
Den umkehrbaren Sachverhältnissen liegen nämlich gegenseitige 
Beziehungen zugrunde, d. h. Beziehungen, die sowohl in der 
Richtung von A zu B als in der Richtimg von B zu A bestehen. 
Den nichtiunkehrbaren Sachverhältnissen dagegen liegen einseitige 
Beziehungen zugrunde. Besteht von A zu B eine einseitige Be- 
ziehung, so besteht in der Richtung von B zu A nicht dieselbe, 
sondern die entgegengesetzte Beziehung und dementsprechend 
*) Vgl. über den Begriflf der unselbständigen Teile oder Momente Husserl, 
Logische Untersuchungen, Bd. II, Abschn. m. 
") Auch bei Michotte et Ransy, La mtoioire logique, gewann dieser 
Unterschied praktische Bedeutung; siehe dort S. 23. 
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140 Ab9(hn. 2. Die Theorie der Wissensaktuaßsierung. 
auch ein Sachverhältnis der entgegengesetzten ArtO- Auch die 
einseitigen Sachverhältnisse teilen jedoch die allgemeine Natur 
aller Sachverhältnisse, daß sie das in einer bestimmten Beziehung 
Stehen bestimmter Gregenstände sind. 
Sowohl die gegenseitigen als die einseitigen Sachverhältnisse 
sind dadurch als ein in einer bestimmten Beziehung Stehen er- 
kennbar, daß sie in Sätzen von der Form „x steht in der Be- 
ziehung y zu y^') oder in gleichbedeutenden Sätzen aussagbar sind, 
z. B. „A steht in der Beziehung der Verschiedenheit zu B"" oder 
^A ist verschieden von B". ^A steht in der Beziehung der Über- 
ordnung zu B", oder „A ist dem B übergeordnet^. „A steht in 
der Beziehimg des Teils zum Granzen zu B^, oder „A ist ein 
Teil von B^. Nur sind in den Aussagen über einseitige Sach- 
verhältnisse die Sachverhaltsglieder nicht vertauschbar, während 
sie in den Aussagen über gegenseitige Sachverhältnisse vertausch- 
bar sind'). 
A. Reinach hat in seiner wichtige Beiträge zur Theorie der 
Sachverhältnisse enthaltenden Abhandlung „Zur Theorie des nega- 
tiven Urteils" bestritten, daß alle Sachverhältnisse Beziehimgen 
enthalten ^). Nach Reinach fehlt es bei Sachverhältnissen, welche 
in Sätzen von der Form „A ist B" ausgesagt werden, z. B. „die 
Die Tatsache, daß es sowohl einseitige als gegenseitige Beziehungen 
gibt, spricht gegen die Auffassung von Dürr, daß Gleichheit, Ähnlichkeit, Ver- 
schiedenheit, Identität die einzigen Beziehungen seien (Grandzüge der Psycho- 
logie von H. Ebbinghaus, fortgemhrt von E. Dürr, 2. Bd., Leipzig 1911, S.278f.); 
denn dann könnte es nur gegenseitige Beziehungen geben, da diese vier Be- 
ziehungen alle gegenseitige Beziehungen sind. Es könnte keine Beziehungen 
geben, in deren Natur es liegt, daß sie in der umgekehrten Richtung nicht 
bestehen. 
*) Diese Sätze können das in einer bestimmten Beziehung Stehen be- 
stimmter Gegenstände allein oder auch zugleich das Sachverhältnis aussagen, 
daß die zwischen den Gegenständen bestehende Beziehimg eine bestimmte Be- 
ziehung ist Hier ist nur die erste Bedeutung gemeint. Praktisch würde man 
zu einer solchen umständlichen Formulierung dagegen in der Regel niu* greifen, 
wenn man das Fallen unter eine bestimmte Kategorie von Sachverhältnissen 
betonen will. 
*) Gegenseitige Sachverhältnisse werden in der Regel in Sätzen von der 
Form „A und B stehen in der Beziehung y^ bezw. in der entsprechenden 
gekürzten Formulierung (z. B. „A und B sind gleich*') ausgesagt. Auf einen 
etwaigen Bed^itungsunterschied zwischen den Sätzen von der einen und der 
anderen Form braucht hier nicht eingegangen zu werden. 
*) Münchener Philosophische Abhandlungen (Leipzig 1911), S. 217 f., 229 f. 
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///. Die Wissensaktualisierung als Komplexergänzung. 141 
Roee ist rot^, an einer Relation. Nehmen wir zur Prüfung dieser 
Frage den speziellen Fall einer Sachverhaltserkenntnis. Ein Kind 
habe wohl Mäuse, aber niemals weiße M&use gesehen. Wenn es 
nun ziun erstenmal eine weiße Maus sieht, so wird ihm weder die 
Maus, noch die allgemeine Bestimmtheit der Weiße, die ihm nichts 
Neues ist, für sich allein auffallen, sondern das Weißsein der 
Maus, das Sachverhältnis, daß die Maus weiß ist, d. h. es bemerkt, 
daß die Maus die ihm bekannte allgemeine Bestimmtheit der 
Weiße „hat" oder „besitzt". Daher können Sätze von der Form 
„die Maus ist weiß" ohne Veränderung ihres Sinnes umgewandelt 
werden in Sätze von der Form „die Maus hat Weiße" *) oder 
„die Maus besitzt Weiße". Dieses „Haben" oder „Besitzen" einer 
Eigenschaft aber ist offenbar eine Beziehung, nämlich die eigen- 
tümliche Beziehung zwischen einem Objekt, diesem individuellen 
Seienden, und der allgemeinen Bestimmtheit, die ihm zukommt. 
Daß dem Sachverhältnis „die Rose ist rot" nicht die Beziehung 
der Inhärenz zugrunde liegt, hat Reinach allerdings mit Recht 
hervorgehoben; denn in der Beziehung der Inhärenz steht nicht 
die Rose zum Rot, sondern das Rot zu der Rose. Vielmehr liegt 
dem genannten Sachverhältnis die Umkehrung der Beziehung der 
Inhärenz, des dem Gegenstande Zukommens, dem Gegenstand 
eigen Seins zugrunde, die in der Bezeichnimg „die Bestimmtheit 
haben", sie „besitzen" ihr sprachliches Äquivalent hat Ob 
diese Beziehimg mit der Beziehung der Subsistenz zusammenfidlt, 
was Reinach bestreitet, oder nicht, jedenfalls ist sie eine Be- 
ziehung, freilich keine Beziehung von der Art der Gleichheit und 
Verschiedenheit, d. h. keine gegenseitige Beziehung, sondern eine 
Beziehung von der Art des „sich Linksbefindens", des „Teilseins", 
also eine einseitige Beziehung. Das Sachverhältnis des B-seins 
des A, das mit dem die Bestimmtheit B besitzenden Gegenstand 
A mitgegeben ist, ist demnach identisch mit der Tatsache, daß 
der Gegenstand A in der eigenartigen Beziehung des eine Eigen- 
schaft „Habens" oder „Besitzens" zu der allgemeinen Bestimmt- 
heit B steht'). Es bildet sohin keine Ausnahme von dem Satz, 
') Reinach selbst macht auf die Möglichkeit dieser Umwandhing auf- 
merksam S. 2d0. 
*) Ich kann daher Reinach nicht zustimmen, wenn er meint, die Relation 
verhalte sich zum Sachverhalt wie das Rot zmn Rotsein (S. 229). Beide ver- 
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142 Ab9(hn. 2. Die Theorie der WissensaktuaUsierung. 
daß alle Sachverhältnisse das in einer bestimmten Beziehung 
Stehen bestimmter Gegenstände sind. Dieser Satz wird daher 
solange aufrecht erhalten werden dürfen, bis wirklich ein Sach- 
verhältnis au^;ezeigt wird, dem keine Beziehimg zugrunde liegt ^). 
Wir gelangen demnach zu folgender Charakteristik der 
Sachverhältnisse. Sachverhältnisse sind das in einer be- 
stimmten Beziehung Stehen bestimmter Gegenstände. 
In allen Sachverhältnissen können wir die Gegenstände, die in 
der Beziehung stehen, und die in verschiedenen Sachverhältnissen 
der gleichen Art verschieden sind, und die Beziehung, in der sie 
stehen, die in allen Sachverhältnissen der gleichen Art dieselbe 
Beziehung ist, unterscheiden'). Sachverhältnisse sind aber kein 
Aggregat aus den Gegenständen und der Beziehung, in der sie 
stehen, und setzen sich auch nicht aus ihnen zusammen wie ein 
Ganzes aus seinen Teilen, sondern das in einer bestimmten Be- 
ziehung Stehen ist nicht nur eine in ein Nebeneinander anderer 
Gegebenheiten nicht restlos auflösbare, also in diesem Sinne ein- 
heitlidie Gegebenheit, sondern eine einheitliche Gegebenheit be- 
halten sich viehnehr wie das Besitzen einer Eigenschaft, das in allen Sadi- 
verhfiHnissen dieser Art wiederkehrt, zu der Tatsache, daß das bestimmte 
Objekt A die bestimmte Eigenschaft B besitzt 
') Erwähnt sei noch, daß auch Impersonalien, wie „es regnet, es schneit** 
ein Sachveriialtnis aussagen, das eine Beziehung enthfilt, nämlich die Be- 
ziehung zwischen einem Voigang und dem Orte, an welchem oder der Zdt, 
zu welcher er stattfindet „Es r^gnet^ z. B. heißt so viel als „es regnet jetzt 
und hier''. Die Aussage ist unrichtig, wenn es jetzt und hier nicht regnet — 
Daß femer die Existenzialsätze ebenfalls zweigliedrige Urteile sind, die ein in 
einer bestimmten Beziehung Stehen bestimmter Gegenstände aussagen, glaube 
ich an anderer Stelle gezeigt zu haben (Vgl. Existenz als Gegenstandsbestimmt- 
heit, Manchener Philosophische Abhandlungen (Leipzig 1911) S. 275 ff., 287); 
denn sie sagen aus, daß eine vergegenwärtigte totale Objektsbestimmtheit, der 
Gegenstand einer Vorstellung im logischen Sinne, einem Objekt, d. h. einem 
existierenden Gegenstande, zukommt — Natürlich kann man auch, wenn 
man alle Sachverhältnisse als ein in Beziehung Stehen betrachtet, das in Be- 
ziehimg Stehen eines Gegenstandes zu anderen Gegenständen z. B. ander^i 
Objekten dem Haben von Beschaffenheiten eines Gegenstandes und dem Sein 
eines Gegenstandes gegenübersteUen. Die Einteilung der Sachverhalte, welche 
Külpe in seiner „Realisierung** (S. 11) gibt, behält also auch bei der hier ver- 
tretenen Auffassung der Natur der Sachverhältnisse ihre Bedeutung. 
*) Die Beziehung ist ihrer Natur nach ein Universale, sie kann in einer 
Reihe von Sachverhältnissen vorkommen, wenn sie auch tatsächlich nur in 
einem einzigen Sachverhältnis vorkommen sollte. Jedes Sachverhältnis dagegen 
kann nur einmal vorkommen, es ist das in der allgemeinen Beziehung Stehen 
dieser bestimmten Gegenstände und daher ein Individuum. 
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///. Die Wissensaktualisierung als Komplexergämung. 143 
sonderer Art, und zwar ist es keine selbständige Gegebenheit, viel- 
mehr sind Sachverhältnisse Mitgegebenheiten, die in der 
Natur anderer Gegenstände, bezw. einer gegebenen Gegenstands- 
ordnung begründet sind. 
Die bisherige Bestimmung der Natur der Sachverhältnisse be- 
zog sich auf einfache Sachverhältnisse. Es gibt aber auch 
zusammengesetzte Sachverhältnisse. Unter einem zu- 
sammengesetzten Sachverhältnis ist eine Verbindimg von Sach- 
verhältnissen zu verstehen, die dadurch gekennzeichnet ist, daß 
die in dem Sachverhaltsverband enthaltenen Sach Verhältnisse Sach- 
verhaltsglieder oder Beziehungen gemeinsam haben, oder daß Sach- 
verhältnisse Glieder anderer Sachverhältnisse sind ^). Ein zusammen- 
gesetztes Sachverhältnis sagt z.B. der Satz aus: „A und B sind 
gleich C." Die beiden Sachverhältnisse „A ist gleich B" und „B 
ist gleich C^ gehören einem Sachverhaltsverband an, der durch 
die Identität eines Sachverhaltsgliedes (C) und die Gemeinsamkeit 
der in den dem Verband angehörigen einfachen Sachverhältnissen 
enthaltenen Beziehung (Gleichheit) gekennzeichnet ist. Bei einem 
großen Teil der früher mitgeteilten Wissensaktualisierungen spielte 
ein Bewußtsein von zusammengesetzten Sachverhältnissen eine Rolle. 
Hierher gehören z. B. die Fälle, in denen das Wissen aktualisiert 
wird, daß ein Gegenstand unter bestimmten Nebenumständen 
zu einem anderen Gegenstand in eine bestimmte Beziehung gesetzt 
wurde'.) So enthält das Wissen, daß die Vp. unter bestimmten 
Bedingungen „Affekt^ als übergeordneten Begriff zu „Haß"^ 
kennen gelernt hat, ein Bewußtsein von einem zusammen- 
gesetzten Sachverhältnis. Dieses zusammengesetzte Sachverhältnis 
enthält 1) das Sachverhältnis, daß die Vp. den Affekt als über- 
geordneten Begriff zu Haß kennen gelernt hat, also ein 
Verhältnis, dem eine modale Beziehung, d. h. eine Beziehung 
zwischen dem erkennenden Subjekt und dem erkannten Gegen- 
stand zugrunde liegt'). Der erkannte Gegenstand, also das eine 
GUed des modalen Sachverhältnisses, ist aber 2) wieder selbst ein 
Den einfachen und zusammengesetzten Sachverhältnissen entsprechen 
die einfachen und zusammengesetzten Urteile im Sinne Wundts. Vgl. W. Wimdt, 
Logik, 8. Aufl. 1. Bd. (Stuttgart 1906) S. 157. 
■) Vgl. oben S. 69 f. 
^ V^. über den Begriff der modalen Beziehungen Chr. Sigwart, Logik, 
3. Aufl. l.Bd. S.46f. 
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144 Abadin, 2, Die Theorie der Wisse n a a k tuatt siemng. 
Sachveiiiältnifl, nämlich das SachverhKltnis, daß Affekt der über- 
geordnete Begriff zu Hafi ist Femer ist das ganze modale Saeh- 
verhtfltnis 3) Glied des Sachverhtfltnisses, daß das Sachverhttlt- 
nis, daß die Vp. den Affekt als übergeordneten Begriff zu Haß 
kennen gelernt hat, unter bestimmten Umständen stattgefunden 
hat, also eines Sachverhältnisses, dem die Beziehung zwischen 
einem Sachverhältnis und den Umständen, unter denen das in 
einer bestimmten Beziehimg Stehen bestimmter Gegenstände statt- 
gefunden hat, zugrunde liegt. Die Struktur des zusammengesetzten 
Sachverhältnisses ist demnach die, daß ein Sachverhältnis Glied 
eines zweiten Sachverhältnisses und dieses Glied eines dritten Sach- 
verhältnisses ist. 
Ein Wissen von einem zusammengesetzten Sachverhältnis 
mit identischem Sachverhaltsglied liegt denjenigen suk- 
zessiven WiBsensaktualisierungen zugrunde, in denen die Versuchs- 
person weiß, daß der Gegenstand, der zu dem Reizwortgegen- 
stand in der durch die Aufgabe geförderten Beziehung steht, zu 
einem bekannten anderen Gregenstand in einer bestimmten Be- 
ziehimg steht, in denen also der gesuchte Gegenstand bei der 
Wissensaktualisierung zunächst indirekt durch sein Sachverl^tnis 
zu einem bekannten dritten Gegenstand bestimmt istO« So ent- 
hält das Wissen, daß ein großer und aktueller Gegensatz zwischen 
dem Wahlrecht im Reich und dem in Preußen besteht, ein Be- 
wußtsein von dem zusammengesetzten Sachverhältnis, daß erstens 
im Reich ein bestimmtes Wahlrecht A besteht, daß zweitens in 
Preußen ein bestimmtes Wahlrecht B bestdit, und daß drittens 
das Wahlrecht A zu dem Wahlrecht B in einem aktuellen Gegen- 
satz steht. £>ie Struktur dieses zusammengesetzten Sachverhält- 
nisses ist die, daß das erste Glied des dritten Sachverhältnisses 
mit einem Glied des ersten und das zweite GUed des dritten 
Sachverhältnisses mit einem Ghed des zweiten Sachverhältnisses 
identisch ist. Ein Bewußtsein von einem zusammengesetzten 
Sachverhältnis mit identischer Beziehung liegt der Lösung 
der Wahlrechtsaufgabe durch die Vp. D zugrunde. (S. 40, 71 f.) 
Die Vp. wußte 
1. daß das preußische Wahlrecht zu dem süddeutschen in 
einem bestimmten Gegensatz a steht, 
*) Vgl. oben S. 70 ff. 
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///. [He WisBensakiuatisierung als Kompiexergämung. 146 
3. daß das preußische Wahlrecht zum mecklenburgischen 
Wahlrecht in einem bestimmten Gegensatz ß steht und 
8. daß der Gegensatz a extremer ist als der Gegensatz ß. 
Glieder des dritten Sadiverhältnisses sind also zwei Be- 
ziehungen, von denen die eine mit der im ersten, die andere 
mit der im zweiten Sachverhältnis enthaltenen Beziehung iden- 
tisch ist. 
Auch die zusammengesetzten Sachverhältnisse sind Mit- 
gegebenheiten, die in der Natur der in Beziehimg steh^iden 
(Gegenstände bezw. einer gegebenen Gegenstandsordnung be- 
gründet sind. Haben z. B. die Gegenstände A, B und C dieselbe 
totale Wiebestimmtheit, so ist in der Natur dieser Gegenstände 
ihr in der Beziehimg der Gleichheit untereinander Stehen be- 
gründet, es sind daher mit ihnen die zi^ammengesetzten Sach- 
veihältnisse mitgegeben, daß A und B gleich G sind, oder daß 
B und C gleich A und A und C gleich B sind. Zusammengesetzte 
Saehveriiältnisse sind kein bloßes Aggregat von Sachverhältnissen, 
sondern unterscheiden sich von einem solchen dadurch, daß ihnen 
Bestimmtheiten zukommen, die den in ihnen enthaltenen einfachen 
Sachverhältnissen nicht zukommen, so die Identität von Sachver- 
haltsgUedem oder Beziehungen der in dem zusammengesetzten 
Sachverhältnis enthaltenen einfachen Sachverhältnisse oder die 
Identität eines der in dem zusammengesetzten Sachveriiältnis 
enthaltenen Sachverhältnisse mit einem Sachverhaltsglied eines 
anderen der in ihm enthaltenen Sachverhältnisse. Zusammen- 
g^etzte Sachverhältnisse sind hiemach ebenso wie einfache Saeh- 
veriiältnisse unzerlegbare Einheiten, die sich aus einer eigentüm- 
lichen Verbindung von einfachen Sachverhältnissen, also des in 
einer bestimmten Beziehung Stehens von bestimmten Gegenständen 
konstituieren. 
B. Sachverhältnisse als psychische Gegenstände. 
Unter psychischen Gegenständen verstehen wir in folgenden 
die einfachen und komplexen Bewußtseinserlebnisse und ihre unselb- 
sUndigen Momente 0. Psychische Gegenstände können untereinander 
Unter unselbständigen Homeaten verstehen wir Gegenstände, in deren 
Natur es Uegt, nur als Bestimmtheiten an anderen Gegenständen bestinunter 
Seil, Ob«r die OeselM des geordneten DenkrerUafs. 10 
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Ii6 Absdin. 2. Die Theorie der WissensaktnaHsierun g. 
in bestimmten Beziehungen stehen, also Gliedervon Sachverhältnissen 
sein, z. B. von Sachverhältnissen der Gleichheit und Verschiedenheit, 
als deren GUeder Gregenstände beliebiger Art vorkommen können. 
Es ergibt sich nun die Frage, sind Sachveihältnisse zwischen psy- 
chischen Gegenständen, sofern es sich um Bewußtseinseilebnisse 
desselben Subjekts handelt, selbst psychische Gregenstände im 
Sinne der gegebenen Definition? Wären nicht nur Sachverhält- 
nisse zwischen außerpsychischen Gregenständen, sondern auch 
Sachverhältnisse zwischen psychischen Gegenständen selbst keine 
psychischen Gegenstände, so wäre das Bewußtsein von Sach- 
verhältnissen ein Bewußtsein von eigenartigen Gregenständen, deren 
Bestimmtheiten in den Bestimmtheiten der psychischen Gegen- 
stände kein Analogon fitnden. Wir hätten also eine Ausnahme 
von dem bewährten Forschungsprinzip, daß unsere Bewußtseins- 
erlebnisse, bezw. die ihnen entsprechenden Reproduktionsgrund- 
lagen das ausreichende, wenn auch kombinatorischer Verarbeitung 
imterliegende Material sein müssen, dem das Bewußtsein von 
irgendwelchen Gegenständen des Denkens seine Entstehung ver- 
dankt 0. Der Nachweis, daß Sachverhältnisse zwischen psychischen 
Gegenständen selbst psychische G^enstände sind, bildet demnach 
ein Postulat eines allgemeinen Prinzips psychologischer Forschung, 
das wir das genetische Universalprinzip nennen können. 
Nun ist das in einer bestimmten Beziehung Stehen von bestimmten 
Gegenständen, wie wir früher sahen, keine selbständige Gegeben- 
Art vorzukommen. Sie sind unselbständige Momente der Gegenstände der 
betreffenden Art, an denen sie vorkommen. Vgl. E. Husserl, Logische Untere 
suchungen, 2. Teil, Abschn. III, und die dortigen Zitate; siehe insbes. S. 236, 
252, 260, 268 f. Die hier gegebene Definition stimmt wohl im wesentlichen mit 
der Auffassung Husserls Oberein, ist aber wahrscheinlich etwas enger, da sie 
nur solche Gegenstände begreift, die den Charakter von Bestimmtheiten 
an anderen Gegenständen tragen, als Bestimmtheiten an ihnen „haften". — 
Die Frage, ob es außer den angeftüirten psychischen Gegenständen noch ein 
unbewußtes Psychisches gibt, kommt für die vorliegenden Erörterungen 
nicht in Betracht 
^) Dieses Prinzip schließt, wie ausdrücklich betont werden muß, nicht 
die Aimahme in sich, daß den Bestimmtheiten der gedachten Gegenstände 
auch Bestinmitheiten der gegenwärtigen Be wußtseinseriebnisse entsprechen 
müßten, die beim Denken an sie stattfinden, ein Prinzip, über dessen Geltung 
hier nichts ausgesagt werden soll. Ebensowenig schließt es die Annahme in 
sich, daß jeder einfachen Vorstellung eine vorangegangene Empfindung ent- 
sprechen müsse. 
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IlL Die Wissensaktualisierung als Komplexerganzang, 147 
heit, sondern eine Mitgegebenheit, die in der Natur der in Be- 
ziehung stehenden Gegenstände oder einer gegebenen Gegen- 
standsordnung liegt. Sachverhältnisse zwischen psychischen 
Gegenständen können demnach keine selbstständigen psychischen 
Gegenstände, keine selbständigen Bewußtseinserlebnisse, sondern 
nur unselbständige Momente von Bewußtseinserlebnissen sein. 
Daß die Bewußtseinstatsachen dieser Schlußfolgerung entsprechen, 
läßt sich an einigen Beispielen klarmachen. Die im folgenden 
gegebenen Analysen sind zwar gegenstandstheoretischer Natur, 
da es sich um Erkenntnisse handelt, die aus der Natur gewisser 
Gegenstände gewonnen werden (vergl. oben S. 130 Anm. 1). Trotz- 
dem werden derartige Analysen mit Recht als psychologische 
Analysen betrachtet; denn die Untersuchung der Gegenstände, 
mit denen es eine bestimmte Einzelwissenschaft zu tun hat, bildet, 
soweit sie unter Gesichtspunkten erfolgt, die durch 
die Aufgaben dieser Wissenschaft bestimmt sind, einen 
Bestandteil der betreffenden Einzelwissenschaft 0. 
1. Durch die Zeichnung des Rechtecks AB CD entsteht im 
liii 
iil 
Figur 4. 
Bewußtsein des Betrachters ein Anschauungsganzes, das sich aus 
einer bestimmten räumlichen Anordnung der Teilkomplexe ai, as, 
as und a4 konstituiert. Zu den Eomplexbestimmtheiten dieses 
Anschauungsganzen aber gehören auch eine Reihe von Sachver- 
hältnissen. So ist z. B. das Enthaltensein des Teilkomplexes ai 
in dem Gesamtkomplex AB CD eine Bestimmtheit, die dem Kom- 
plex AB CD als Ganzem zukommt, mithin eine Eomplexbestimmt- 
heit dieses Komplexes. Andererseits ist diese Komplexbestimmt- 
heit ein Sachverhältnis, nämlich das Verhältnis eines Teils zu dem 
zugehörigen Ganzen. Wenn ich das Sachverhältnis feststelle, daß 
ai in AB CD enthalten ist, so stelle ich die eigentümliche Komplex- 
bestimmtheit des Enthaltenseins von ai in ABGD fest Beide 
Vgl. auch C. Stumpf, Zur Einteilung der Wissenschaften, S. 40 f. 
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148 Ahsthn, 2. Die Theorie der Wissensaktaatisierung. 
sind ein und dasselbe. Eomplexbestimmtheiten aber sind unselb- 
stibadige Momente an dem Ganzen, zu dem sie gehören; denn es 
liegt in ihrer Natur, nur als Bestimmtheiten an Ganzen vorzu- 
kommen. Entsprechendes gilt auch für die Sachverhältnisse des 
Enthaltenseins der tlbrigen Teilkomplexe in dem Gesamtkomplex 
und für das zusammengesetzte Sachveriiältnis des Enthaltenseins 
von ai, as, as und a4 in demselben Granzen ABGD, sowie fQr 
die Umkehrungen aller dieser Sachverhältnisse, welche die ent- 
gegengesetzte Beziehimg des Ganzen zum Teil enthalten. Sie 
alle sind Eomplexbestimmtheiten des Ganzen AB CD und tragen 
damit den Charakter von unselbständigen Momenten. 
Ein unselbständiges Moment an dem Ganzen ist auch die 
überall wiederkehrende Beziehung des Teils zimi Ganzen, bezw. 
des Ganzen zum Teil, die in jenen Sachverhältnissen enthalten 
ist; denn es liegt in der Natur dieser Beziehungen, nur an einem 
Ganzen vorzukommen*). 
2. Haben wir eine gleichmäßig gefärbte Fläche vor ims, so 
Figur 5. 
ist der weiße Farbenton nicht nur eine Bestimmtheit des gegebenen 
Anschauungsganzen, sondern auch eine Bestimmtheit der (einfachen) 
Empfindungen, auf die wir uns dieses Anschauungsganze durch 
W^all von Teilen schließlich reduziert denken können. Dagegen 
ist die gleichförmige Ausbreitung des weißen Farbentons auf der 
ganzen Fläche') eine Bestimmtheit, welche nicht den einzelnen 
Elementarempfindungen, sondern nur dem Komplex als Ganzem 
zukommt, mithin eine Komplexbestimmtheit. Ebenso ist die in 
der Bestimmtheit der gleichförmigen Ausbreitung des weißen 
Daß Beziehungen Universalien sind, hindert nicht, daß sie unselbständige 
Momente bestimmter Gegenstände sind, an denen sie vorkonmien. Es ist d)en 
gerade die Eigentümlichkeit der üniversalien, daß sie an einer Mehrheit von 
Gegenständen zugleich vorkommen können. 
*) Wir verstehen unter der Fläche im folgenden die durch die von der 
Fläche ausgehenden Reize entstandenen Bewußtseinserlebnisse. 
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///. Die Wissensaktualisierung als KomplexergOnzung, 149 
FarbentoBs auf der ganzen Fläche implizite mitenthaltene Be- 
stimmtheit der Gleichförmigkeit des Farbentons auf der ganzen 
Fläche eine Eomplexbestimmtheit dieses Anschauimgsganzen. 
Allen einfarbigen Flächen ist eine solche Eomplexbestimmtheit 
der Gleichförmigkeit des Farbentons eigentümlich und unterscheidet 
sie von Flächen mit variierendem Farbenton, z. B. von Flächen, 
die ein Spektrum wiedergeben, denen eine solche Eomplexbestimmt- 
heit fehlt. Als Eomplexbestimmtheit aber ist die Gleichförmigkeit 
des Farbentons ebenso ein unselbständiges Moment an dem An- 
schauungsganzen wie seine Rechtecksgestalt, die nur dem ganzen 
Komplex, nicht den einzelnen Empfindungen eigene räumliche 
Anordnung der Ellemente. 
Teilen wir nun die gleichförmig weiße Fläche durch eine 
senkrechte in zwei Teilflächen ai und as 
M 
Figur 6. 
SO entsteht ein Anschauungsganzes, das sich aus zwei Teilkom- 
plexen konstituiert. Damit tritt an die Stelle der Gleichförmigkeit 
des Farbentons in dem einheitlichen Anschauungsganzen die Gleich- 
förmigkeit des Farbentons innerhalb der beiden Teilflächen 
einerseits und das Sachverhältnis der Gleichheit der 
Farbentöne der beiden Teilflächen andererseits. Die Gleich- 
förmigkeit des Farbentons in der früher gegebenen einheitlichen 
Fläche war charakterisiert durch die durchgängige Identität der 
reinen Wiebestimmtheit des Farbentons in der Gesamtfläche. Ent- 
sprechend ist die Gleichheit der Farbentöne der beiden Teilflächen 
diarakterisiert durch die Identität der reinen Wiebestimmtheit 
der beiden Teilflächen 0- Beide Bestimmtheiten zeigen also quali- 
tativ den gleichen Charakter, nämlich Identität des reinen Farben- 
tons. Nur besteht die Identität des Farbentons das eine Mal innerhalb 
eines einheitUchen Eomplexes, das andere Mal in zwei verschiedenen 
Teilkomplexen. Im ersten Falle ist die durch die Identität des 
') Vgl oben S. 188. 
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160 Absdin. 2. Die Theorie der Wissensaktualisierung. 
Farbentons gekennzeichnete Bestimmtheit eine Komplexbestimmt- 
heit und als solche ein unselbständiges Moment des gegebenen 
Änschauimgsganzen. Ist sie dies aber auch im zweiten Falle? 
Das Sachverhältnis der Gleichheit der Farbentöne der beiden 
Teilflächen ai und ai ist kein unselbständiges Moment an der 
(Gesamtfläche, welche diese Teilfläche in bestimmter räumlicher 
Anordnimg enthält, denn es liegt nicht in der Natur solcher Gleich- 
heitsverhiUtnisse, nur an zusammenhängenden Anschauungsganzen 
vorzukommen. Die Gleichheit der Farbentöne würde auch bestehen, 
wenn die Anschauungsganzen ai und ai durch einen Zwischen- 
raum getrennt wären oder zu verschiedenen Zeiten ins Bewußt- 
sein träten. Dennoch ist die Gleichheit der Farbentöne der beiden 
Teilflächen ein unselbständiges Moment an einem aus den Teil- 
flächen bestehenden Ganzen. Ein Ganzes im weitesten Sinne 
bildet nämlich jede Mehrheit von Gegenständen, die durch eine 
den in ihr enthaltenen Einheiten nicht zukommende „Eomplex- 
bestimmtheit^ ausgezeichnet ist. Ein solches Ganzes aber bilden 
Gegenstände mit gleichen Farbentönen, mögen sie i^umlich-zeit- 
lich getrennt sein oder nicht. Denn der aus ihnen bestehenden 
Mehrheit psychischer Gegenstände kommt als eine Komplex- 
bestimmtheit, die der Gleichförmigkeit des Farbentons in der un- 
geteilten Fläche entspricht, die Identität der reinen Wiebestinmit- 
' heit, genauer das dieselbe Wiebestimmtheit Besitzen der realen 
Farbentöne der in der Mehrheit enthaltenen Gegenstände zu. Dieses 
ist jedoch mit dem Sachverhältnis der Gleichheit der Farbentöne 
identisch. Das Sachverhältnis der Gleichheit des Farbentons zweier 
psychischer Gegenstände bildet demnach ein unselbständiges Mo- 
ment an dem aus ihnen ohne Rücksicht auf die Art ihrer i^um- 
lich-zeitlichen Verbindung bestehenden Ganzen. 
Entsprechendes gilt für andere Gleichheitsverhältnisse und für 
alle G^genstandsverhältnisse zwischen psychischen Gegenständen 
überhaupt, sowie für die in ihnen enthaltenen Beziehungen. Sie 
sind unselbständige Momente an dem aus den in der betreffenden 
Beziehung stehenden psychischen Gegenständen (bezw. aus den 
selbständigen Gegenständen, deren Momente sie sind) ohne Rück- 
sicht auf ihre räumlich-zeitliche Verbindung bestehenden Granzen. 
Statt dessen können wir auch sagen: Gegenstandsverhältnisse 
zwischen psychischen Gegenständen und die in ihnen enthaltenen 
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///. Die Wissensaktuaiisiemng als Komplexergünzung. 161 
Beziehungen sind unselbständige Momente an der Gesamtheit 
psychischer Gregenstände, sofern sie die in der betreffenden Be- 
ziehung stehenden Gegenstände zusammen enthält^). Wir 
kömien uns die Gesamtheit psychischer Gegenstände auf die in 
der Gegenstandsbeziehung stehenden Gegenstände reduziert denken, 
ohne daß das Sachverhältnis, dessen Glieder sie sind, au^ehoben 
wird. Dagegen wird mit einem der in Beziehung stehenden Gegen- 
stände zugleich das zwischen ihnen bestehende Sachverhältnis 
aufgehoben, das als unselbständiges Moment an ihnen haftet. Wie 
(xegenstandsverhältnisse und Gegenstandsbeziehungen, so sind 
Ordnungsverhältnisse und Ordnungsbeziehungen, auch soweit sie 
nicht von der in Ziff. 1 (S. 147) beschriebenen Art sind, unselbständige 
Momente an der Gesamtheit psychischer Gegenstände, sofern sie 
die in der Beziehung stehenden Gegenstände in bestimmter 
Anordnung enthält Sie sind unselbständige Momente an der 
realen psychischen Gegenstandsordnung der in Beziehung stehen- 
den Gegenstände. So ist das sich Nebeneinanderbefinden der 
Teilflächen ai und aa in der Figur 2 ein unselbständiges Moment 
an der durch diese Anschauungsganzen gebildeten räumlichen 
Gegenstandsordnung. 
Sachverhältnisse zwischen psychischen Gegenständen sind 
demnach unselbständige Momente an der Gesamtheit psychischer 
Gegenstände und damit selbst psychische Gegenstände^. Im 
übrigen gilt die früher gegebene allgem^e Charakteristik der 
Sachverhältnisse auch für Sachverhältnisse zwischen psychischen 
(jtegenständen. 
C. Das Wissen von Sachverhältnissen. 
a) Das durch Abstraktion entstandene Wissen von Sach- 
verhältnissen. 
Es gibt zwei Arten des Bewußtseins von Gegenständen. 
Gegenstände können uns entweder selbst gegenwärtig sein oder 
es können sich in unserem Bewußtsein nur Erlebnisse befinden, 
welche sich auf diese Gegenstände beziehen, ohne daß sie selbst 
*) Entsprechendes gut auch für physische GegenstAnde. 
Hierbei ist es möglich, daß Sachveiiiältnisse dersdben Art, z. B. der 
Gleichheit, auch an einem Granzen von nichtpsychisch^ Gegenständen als un- 
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162 Aästkn. 2. Die Theorie der WieeeMoktimUmerung. 
gegenwärtig sind. Selbstgegenwttrtig ^) im strengen länne können 
nur psychische Gegenstände sein, wobei es natttrlich gleichgültig 
ist, ob sie vom Subjekt als psychische Gegenstände genommen 
werden oder nicht. Andererseits können auch psychische Gregen- 
stände nichtselbstgegenwärtig, dennoch aber im zweiten Sinne 
bewußt sein, z. B. eine vergangene Empfindung, die wir gegen- 
wärtig analysieren. Sind psychische Gegenstände selbstgegen- 
wärtig, so sind auch die zwischen ihnen bestehenden Gegenstands- 
verhältnisse selbstgegenwärtig, denn diese Sachverhältnisse haften 
als unselbständige Momente an der Gesamtheit des Selbstgegen- 
wärtigen, sofern es die in der Beziehung stehenden Gegenstände 
zusammen enthält. Ist die von psychischen Gregenständen ge- 
bildete reale psychische Gegenstandsordnung selbstgegenwärtig, 
so sind die in dieser Gegenstandsordnung begründeten Ordnungs- 
verhältnisse ebenfalls selbstgegenwärtig; denn sie haften als un- 
selbständige Momente an der Gesamtheit des Selbstgegenwärtigen, 
sofern sie diese Gegenstandsordnung enthält. 
Die bloße Selbstgegenwart eines Sachverhältnisses ist jedoch 
noch keine zureichende Bedingung für die Entstehung eines 
Wissens von ihm. Hierzu ist vielmehr notwendig, daß das 
Sachverhältnis in der Gresamtheit des Selbstgegenwärtigen be- 
meri^t wird. Daß uns Sachverhältnisse selbstg^enwärtig sein 
können, ohne daß wir etwas von ihnen wissen, habai namentlich 
auch die Untersuchungen von A. Grünbaum „Über Abstraktion 
der Gleichheit"" gezeigt. Grünbaum wies nach, daß simultan ex- 
ponierte Figuren nicht bloß perzipiert, sondern sogar apperzipiert 
werden können, ohne daß ein Wissen von dem mitgegebenen 
Sachverhältnis ihrer Gleichheit zustande kommt*). 
Der Zustand des Bemerktseins eines selbstgegenwärtigen Sach- 
verhältnisses, der willkürlich oder unwillkürlich entstehen kann. 
selbständige Momente haften können. Es braucht einer bestimmten Art von 
Sachverhältnissen nicht wesentlich zu sein, gerade an psychischen Gegen- 
ständen als unselbständiges Moment zu haften. 
*) Der Begriff der Selbstgegenwart entspricht dem Begriff der Selbst- 
gegebenheit in Husserls logischen Untersuchungen. 
•) Archiv f. d. ges. Psychol. 12. S. 442, 447, 449, 462. Vgl. auch M. Foucault, 
Etüde exp^rimentale sur Tassociation de ressemblance. Archives de Psycho- 
logie, 10. S. 865 ff. Hier wurden partieU gleiche Gegenstände vielfach ein- 
geprägt, ohne daß diese partielle Gleichheit bemerkt wurde. 
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///. Die Wissensaktualisiemng als Komplexergänzung. 158 
besteht darin, daß das unselbständige Moment an der Gesamtheit 
des Selbstgegenwärtigen, als welches sich das Sachverhältnis dar- 
stellt, für sich zum Bewußtsein kommt, während es vorher nicht 
für sich bewußt, sondern nur in der Gesamtheit des Selbst- 
gegenwärtigen mitenthalten, also in diesem Sinne mitbewußt 
war. Die nähere Analyse dieses Bewußtseinszustandes bildet eine 
Aufgabe der experimentellen Selbstbeobachtung. Hierf)ei dürfen 
jedoch nur solche Untersuchungen herangezogen werden, bei 
welchen es zu einem Bemerken des selbstgegenwärtigen Sach- 
verhältnisses wirklich kommt und nicht dessen Bestehen nur aus 
anderweitigen Kriterien (Nebeneindrücken) erschlossen wird^). 
Wir bezeichnen die psychophysischen Vorgänge, die zum Fürsich- 
bewußtwerden selbständiger Teile oder unselbständiger Momente 
führen, als positive Abstraktion. Zum Zustandekommen eines 
Wissens von selbstgegenwärtigen Sachverhältnissen ist demnach 
die positive Abstraktion dieser Sachverhältnisse erforderlich, aber 
auch genügend*). 
Der Ausdruck „Bemerken" ist aus Stumpfs „Erscheinungen und psychische 
Funktionen** (S. 16) entnommen. Er ist dem von Stumpf und anderen gleich- 
falls gebrauchten Ausdruck „Wahrnehmen" insofern vorzuziehen, als dieser 
auch noch in anderem, teils engeren, teils weiteren Sinne gebraucht wird. 
Nach Stumpfe Auffassung") können jedoch Sachverhalte nicht ebenso wie selb- 
ständige und unselbständige Teile oder „Verhältnisse" (Beziehungen) des Selbst- 
gegenwärtigen auf Grund eines Vorgangs der positiven Abstraktion einfach 
„bemerkt" oder „wahrgenommen" werden, vidmehr setzt nach Stumpf jedes 
Bewußtsein von Sachverhalten die Anwendung einer besonderen Funktion 
des Urteüens voraus, als deren Gebilde Stumpf die Sachverhalte betrachtet 
Sind die Sachverhältnisse jedoch, wie wir zu zeigen suchten, das in einer be- 
stimmten Beziehung Stehen bestimmter Gegenstände, so wird dieses in Be- 
ziehung Stehen bestimmter Gegenstände ebenso gut einfach „bemerkt" oder 
„wahrgenommen" werden können wie die Gegenstände selbst und die Be- 
ziehungen („Verhältnisse"), in denen sie stehen. Denn da es ein unselbständiges 
^) A. Brunswig, Das Vergleichen und die Relationserkenntnis (Leipzig 
und Berlin 1910), insbes. S. 81 ff., 37 flf. 
*) Die Abstraktionsversuche von Ktilpe (vgl. oben S. 113 Anm. 1) und 
GrOnbaum, femer die Untersuchungen von E. Westphal, Über Haupt- und 
Nebenau%aben bei Reaktionsversuchen (Archiv f. d. ges. Psychol. 21 ; vgl. ins- 
besondere S. 229, 397 ff.), enthalten grundlegende Beobachtungen tiber die posi- 
tive Abstraktion von unselbständigen Momenten und zum Teil auch von Sach- 
verhältnissen. 
») a. a. 0. S. 16, 30. 
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154 Absdm, 2. Die Theorie der Wissensaktualisierung. 
Moment an der Gesamtheit des Selbstgegenwärtigen ist, wird auch zur Ent- 
stehung des Bewußtseins von ihm die positive Abstraktion mit dem durch sie 
herfoeigeftduien Bewußtseinszustande des Bemerktseins genügen. Inwieweit 
mit dem Bemerken von Sachverhältnissen immer eine Komplexauffassung (Zu- 
sammenfassen im Sinne Stumpfs) der in Beziehung stehenden Gegenstände 
verbunden ist, kann hier dahingestellt bleiben. Diese Frage müßte übrigens 
entsprechend auch beim Bemei^en von komplexen Gegenständen und Ver- 
hältnissen angeworfen werden. Das Bemerken (Wahrnehmen) von Sachver- 
hältnissen ist ein Urteil, wenn man als Urteil die „ Setzung*' eines Sachver- 
hältnisses bezeichnet. Denn, wie ich an anderem Orte (Existenz als Gregenstands- 
bestimmtheit, S. 276 ff.) nachgewiesen zu haben glaube, ist nicht nur das 
Bemerken von Sachverhältnissen, sondern auch das Bemerken von Gfegenständen 
jederzeit ein „Setzen^, da ein setzungsloses Verhalten niemals ein Bewußtsdn 
von Objekten oder Sachverhältnissen ist, sondern nur die totale Bestimmtheit 
von solchen vergegenwärtigt. Beide psychischen Verhaltungsweisen unter- 
scheiden sich nicht durch die Betätigung verschiedener psychischer Fimktionen, 
sondern dadurch, daß sie ein Bewußtsein von verschiedenen Cregenständen 
darstellen. Wenn wir nur das Bemerken von Sachverhältnissen und nicht 
auch das Bemerken von (Gegenständen Urteil nennen, so rührt dies dah», daß 
wir den Terminus Urteil auf solche Setzungen zu beschränken pflegen, welche 
in Satzform ausgesagt werden, nämlich auf die Setzung von Sadiveiiiältnissen. 
Das Bemerktsein eines selbstgegenwärtigen Sachverhältnisses 
pflegen wir nicht als „Wissen^, sondern als „Erkenntnis^ zu 
bezeichnen; denn wir verstehen unter Erkenntnis jedes neu er- 
worbene Bewußtsein von einem Sachverhältnis, das nicht durch 
bloße Mitteilung erworben ist. Dagegen verstehen wir unter 
einem „Wissen^ zimächst die dauernde Fähigkeit, das Bewußt- 
sein von einem bestimmten Sachverhältnis (Sachverhaltsbewußt- 
sein) zu reproduzieren. Das Bemerktsein eines selbstgegenwärtigen 
Sachverhältnisses bildet eine der Quellen eines solchen Wissens. 
Voraussetzung filr das Zustandekommen eines Wissens durch das 
Bemerktsein eines Sachverhältnisses ist, daß von diesem Bewußt- 
seinszustand Gredächtnisdispositionen zurückbleiben. Wir nennen 
solche Gedächtnisdispositionen „Wissensdispositionen^ und 
dementsprechend das auf ihnen beruhende Wissen „disposi- 
tionelles Wissen ')". Durch die Wiedererregung der Wissens- 
^ Das „dispositionelle Wissen** ist wohl zu unterscheiden von dem, was 
Westphal (Üher Haupt- und Nebenaufgaben) unter einem „potentiellen Wissen** 
versteht. Es handelt sich dort nicht um die Disposition ziu* Reproduktion 
des Bewußtseins von einem Sachverhältnis, sondern mn einen Bewußtseins- 
vorgang (vgl. a. a. O. S. 229), auf den hier nicht näher eingegangen zu 
werden braucht. 
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///. Die Wissensaktualisienmg als Komplexergänzung. 166 
disposition wird das Bewußtsein von dem Sachverhttltnis re- 
produziert, also das dispositionelle Wissen aktualisiert. Die 
Aktualisierung von Wissensdispositionen bezeichnen wir als 
„Wissensaktualisierung^, das reproduzierte Sachverhalts- 
bewußtsein als ^aktuelles Wissen^)/ Hierbei ist es für den 
Begriff des aktuellen Wissens gleichgültig, ob die Reproduktion 
des Bewußtseins von einem Sachverhältnis von Vorstellungen be- 
gleitet ist oder ohne die Beteiligung von Vorstellungen vor sich 
geht 
Wir haben die Entstehungsbedingungen von Wissensdisposi- 
tionen hiermit für den einfachsten Fall der Erwerbung durch das 
Bemerken von selbstgegenwärtigen Sachverhältnissen dargestellt, 
um uns an ihm die Struktur dieser Wissensdispositionen klar- 
machen und damit dem Vorgang der Aktualisierung des disposi- 
tionellen Wissens näher treten zu können. 
Das Bewußtsein von einem Sachverhältnis ist das Bewußtsein 
vom in einer bestimmten Beziehung Stehen bestimmter Gregen- 
stände. Ein solches Bewußtsein schließt seiner Natur nach ein 
Bewußtsein von den Gegenständen ein, die in der Beziehung 
stehen, und ein Bewußtsein von der Beziehung, in der sie stehen. 
Es besteht deswegen ebensowenig aus einem bloßen Nebeneinander 
des Bewußtseins von den Gegenständen und von der Beziehung 
wie das Sachverhältnis aus einem bloßen Nebeneinander der Gegen- 
stände und der Beziehung besteht. (VergL oben S. 135 ff.). Hätte 
ein Subjekt gleichzeitig einerseits ein Bewußtsein von den Gegen- 
ständen A und B, andererseits ein Bewußtsein von der allgemeinen 
Beziehung der Gleichheit, so enthielte der G^amtbewußtseins- 
zustand dieses Subjekts keinerlei Bewußtsein von der Tatsache, 
daß die Gegenstände A und B in der Beziehung der Gleich- 
heit stehen. Der beschriebene Bewußtseinszustand wäre demnach 
^) Auch die „Bewußtheiten"^ Achs, die als das »Gegenwärtigsein eines 
unanschaulich gegebenen Wissens" charakterisiert werden, sind zum Teil als 
im Bewußtsein von Sachverhältnissen und daher als ein aktuelles Wissen im 
obigen Sinne anzusehen. Vgl „Über die Wiüenstatigkeit und das Denken*" 
(insbes. S. 210 ff.) ; femer „Über den Willensakt und das Temperament*" (insbes. 
S. 9 f. und das dritte Kapitel). BOhlers „Wissen um etwas"" (Tatsachen und 
Probleme usw^ Archiv f. d. ges. Philos. 9. S. 361 ff.) läßt sich wahrscheinlich 
als ein aktuelles Wissen im obigen Sinne auffassen, das der indirekten Be- 
stimmung eines Gegenstandes dienstbar gemacht ist Vgl. unten S. 180 ff., 
insbes. auch S. 180 Anm. 1. 
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166 Absdui, 2. Die Theorie der Wissensaktuaiisierung, 
kein Bewußtsein von einem Sachverhältnis. Das Bewußtsein von 
einem Sachverhältnis ist also zwar kein einfacher, sondern ein 
komplexer Bewußtseinszustand, da es ein Bewußtsein von Gregen- 
ständen und deren Beziehung in sich schließt; dieser komplexe 
Bewußtseinszustand ist aber zugleich ebenso wie die Sachverhält- 
nisse selbst eine untrennbare Einheit, insofern er sich nicht 
in ein Bewustsein von den Gegenständen einerseits und von der 
Beziehung andererseits auflösen läßt. 
Kann das Bemerktsein eines Sachverhältnisses demnach nicht 
in das Bemerktsein der selbstgegenwärtigen Gegenstände bezw. 
Teilgegenstände und das Bemerktsein der zwischen ihnen be- 
stehenden Beziehung au%elöst werden, so dürfen auch die Wissens- 
dispositionen, welche vom Bemerktsein eines Sachverhältnisses 
zurückbleiben, nicht verwechselt werden mit bloßen assoziativen 
Verbänden von Dispositionen, die einerseits der Bewußtseins- 
zustand des Bemerktseins der Gegenstände, andererseits der Be- 
wußtseinszustand des Bemerktseins der Beziehung hinterläßt. Denn 
durch die Wiedererregung derartiger Verbände von Gedächtnis- 
dispositionen würde ein Bewußtsein von Gegenständen einerseits 
und von einer allgemeinen Beziehung andererseits entstehen, aber 
kein Bewußtsein davon, daß diese Gegenstände in dieser Be- 
ziehung stehen. Sie können daher nicht die Fähigkeit zur Re- 
produktion des Bewußtseins von dem Sachverhältnis, also kein 
dispositionelles Wissen, begründen und demgemäß auch nicht zur 
Aktualisierung eines solchen Wissens dienen. 
Um die Struktur der Wissensdispositionen zu bestimmen, 
müssen wir uns vielmehr an unsere früheren Feststellungen halten, 
nach denen jedes selbstgegenwärtige Sachverhältnis ein imselb- 
ständiges Moment an der Gesamtheit des selbstgegenwärtigen 
Erlebniszusammenhanges bildet. Der Zustand des Bemerktseins 
des Sachverhältnisses, durch welchen die Wissensdispositionen be- 
gründet werden, ist eine durch einen Abstraktionsvorgang herbei- 
geführte besondere Bewußtseinsweise dieses selbstgegenwärtigen 
Erlebniszusammenhanges. Das Bewußtsein von den in der Be- 
ziehung stehenden Gegenständen bezw. von der selbstgegenwärtigen 
Gegenstandsordnung, der sie angehören, wird hierbei in der Weise 
modifiziert, daß das als imselbständiges Moment an ihm haftende 
Sachverhältnis für sich zum Bewußtsein kommt. Die Gegenstände 
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///. Die WissenstUUuaüsiemng als Komplexergänzung. 157 
und die zwischen ihnen bestehende Beziehung, sowie die räumlich- 
zeitliche Gegenstandsordnung brauchen bei dieser Bewußtseins- 
modifikation nur soweit bemerkt zu werden, als dies zum Zu- 
standekommen des Bewußtseins von dem betreffenden Sachverhält- 
nis notwendig ist. EKe Abstraktionsversuche von Külpe und die 
Untersuchungen von Westphal haben gezeigt, daß an einem und 
demselben Erlebniskomplex bald diese, bald jene unselbständigen 
Momente für sich bewußt werden können. Durch die von Westphal 
eingeführte Unterscheidung verschiedener Bewußtseinsstufen wird 
auch verständlich, wie derartige Bewußtseinsmodifikationen mög- 
lich sind*). Wir müssen nun annehmen, daß der Modifikation 
des Bewußtseins von den in Beziehung stehenden Gegenständen 
bezw. von der sie enthaltenden Gegenstandsordnung Modifikationen 
der Reproduktionsgrundlagen entsprechen, welche die Reproduk- 
tion des bemerkten Sachverhältnisses ermöglichen*). Die Wissens- 
dispositionen von bemerkten Sachverhältnissen sind also modi- 
fizierte Dispositionen des Bewußtseins von den in der 
Beziehung stehenden Gegenständen bezw. der von 
ihnen gebildeten Gegenstandsordnung. Diese modi- 
fizierten Dispositionen aber sind imzerlegbare Einheiten: 
Zunächst läßt sich die durch das Bemerktsein von Sachver- 
hältnissen entstandene Wissensdisposition nicht in eine einfache 
Mehrheit assoziierter Dispositionen elementarer Bewußtseins- 
zustände auflösen, von denen jede für sich die Reproduktion des 
ihr entsprechenden Teilbewußtseinszustandes vermitteln würde. 
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Dispositionen des Bewußt- 
seins von den SachverhaltsgUedem, bezw. der von ihnen gebildeten 
Gegenstandsordnung, abgesehen von ihrer Modifikation durch das 
Bemerktsein des Sachverhältnisses, bloße assoziative Verbände 
elementarer Dispositionen von Empfindungen oder anderen elemen- 
taren Bewußtseinserlebnissen sind. Die Modifikationen, welche 
diese Dispositionen erfahren müssen, damit sie der Reproduktion 
von Sachverhältnissen dienen können, betreffen jedenfalls die 
*) Vg^. oben S. 158 Anm. 2, Der Begriff der Bewußtseinsstufen ist bei 
Westphal allerdings noch kein völlig einheitlicher. 
*) Daß derartige Bewußtseinsmodifikationen, durch welche unselbständige 
Momente für sich bewußt werden, Gedächtnisdispositionen hinterlassen, ergibt 
sich schon daraus, daß sie von den Vpn. in den angefahrten Untersuchungen 
genau beschrieben wurden. 
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166 Aifsdin, 2, Die Theorie der Wissensafctuatisierang. 
Gesamtdisposition und sind auf keine Weise in Modifikationen 
einzelner Elemente zerlegbar. 
Angenommen, es seien zwei punktuelle Lichtempfindungen 
gegeben, welche der Reizung zweier Netzhautelemente entsprechen. 
Beide Lichtempfindungen seien von verschiedener Helligkeit Die 
Verschiedenheit der Helligkeit beider Lichtempfindungen ist dann 
ein xmselbständiges Moment an dem Gesamtbewußtseinszustande, 
sofern er die beiden Lichtempfindungen zusammen hält, luid dieses 
unselbständige Moment an dem Gesamtbewußtseinszustand läßt 
sich nicht in xmselbständige Momente an den einzelnen Empfin- 
dungen auflösen. Demgemäß ist auch das Bemerktsein der 
Verschiedenheit der Helligkeit dieser Empfindungen eine Bewußt- 
seinsmodifikation des Gesamtbewußtseinszustandes, durch welche 
jenes unselbständige Moment an ihm für sich bewußt wird, und 
diese Bewußtseinsmodifikation läßt sich nicht aus Modifikationen 
des Bewußtseins von den einzelnen Empfindungen zusammensetzen. 
Die letzteren vermöchten vielmehr nur unselbständige Momente 
an den einzelnen Empfindungen zu gesondertem Bewußtsein 
zu bringen. Hieraus folgt aber, daß auch die durch das Bemerkt- 
sein des Sachverhältnisses der Verschiedenheit beider Lichtempfin- 
dimgen entstehende Wissensdisposition eine Modifikation des 
Gesamtbewußtseinszustandes, sofern er die beiden Lichtempfin- 
dungen zusammen enthält, darstellt, w^che nidit auf Modifikationen 
von Reproduktionsgrundlagen der einzelnen Empfindungen zurück- 
geführt werden kann. Denn durch Modifikationen der elemen- 
taren Reproduktionsgrundlagen könnten nur Modifikationen der 
entsprechenden elementaren Bewußtseinszustände im Gedächtnis 
aufbewahrt werden ^). Die modifizierte Disposition vom Zusammen- 
bewußtsein der beiden Empfindungen, auf welche die Reprodu- 
zierbarkeit des Bewußtseins von ihrer Verschiedenheit beruht, ist 
also eine unauflösbare Einheit. 
Die modifizierte Disposition vom Zusammenbewußtsein der 
beiden Empfindungen, welche die Reproduktion des Bewußtseins 
*) Nach dem Prinzip eines durchgängigen psychophysischen Parallelismus 
müßte übrigens auch schon dem Zustande des Bemerktseins der Verschieden- 
heit der Helligkeit beider Lichtempfindungen eine Modifikation des physiologischen 
Gesamtvorgangs zugrunde liegen, so daß durch die Frage nadi der Struktur 
der Wissensdispositionen in physiologischer Hinsicht kein neues Problem 
entstünde. 
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///. Die Wissensaktuaiisierttng als Komplexergänzung. 160 
von der Verschiedenheit ihrer Helligkeit ermöglicht, ist aber auch 
noch in anderer Hinsicht eine untrennbare Einheit. Sie ist kein 
bloßes Nebeneinander der Dispositionen vom Zustande des Be- 
merktseins der beiden Empfindungen bezw. ihrer Helligkeiten 
einerseits und vom Zustande des Bemerktseins der zwischen ihnen 
bestehenden allgemeinen Beziehung der Verschiedenheit anderer- 
seits, sondern eine Disposition von dem einheitlichen Bewußtseins- 
zustand des Bemerktseins der Verschiedenheit der Helligkeit dieser 
bestimmten Empfindungen. Dieser Bewußtsernszustand schließt das 
Bemerktsein der Helligkeiten und der zwisdien ihnen bestehenden Be- 
ziehung der Verschiedenheit in sich, ohne sich in diese Teilmodifika- 
tionen des Bewußtseins von den in Beziehung stehenden Empfindun- 
gen auflösen zu lassen. Das bloße Nebeneinander der Dispositionen 
vom Bemerktsein der beiden Helligkeiten und vom Bemerktsein 
der allgemeinen Beziehung der Verschiedenheit würde die Re- 
produktion des Wissens, daß die Helligkeiten dieser bestimmten 
Empfindungen verschieden sind, wie wir früher sahen, auch nicht 
vermitteln können. Die Wissensdisposition von dem Sachverhält- 
nis der Verschiedenheit der beiden Helligkeiten kann demnach 
weder auf eine Mehrheit assoziierter, modifizierter elementarer 
Ehnpfindungsdispositionen noch auf eine Assoziation der Dis- 
positionen vom Bemerktsein der Empfindungen einerseits und 
vom Bemerktsein der allgemeinen Beziehung der Verschiedenheit 
andererseits zurückgeführt werden. Sie ist somit eine unteilbare 
Einheit in doppelter Hinsicht. 
Was für diesen Beispielsfall gilt, gilt aber strukturgesetzlich 
auch für alle anderen durch das Bemerktsein von Sachverhält- 
nissen entstandenen Wissensdispositionen. Sie entstehen durch 
eine Gesamtmodifikation des Bewußtseins von den in der Be- 
ziehung stehenden Gegenständen, bezw. des Bewußtseins von der 
aus ihnen gebildeten Gegenstandsordnung und bilden daher in 
doppelter Hinsicht untrennbare Einheiten. Sie lassen sich weder 
auf eine Mehrheit assoziierter Elementardispositionen noch auf 
eine Assoziation isolierter Dispositionen von den in Beziehung 
stehenden Gegenständen einerseits und vom Bewußtsein einer 
Beziehung andererseits restlos zurückführen. Die gleiche Un- 
zurückführbarkeit besteht übrigens auch für Dispositionen vom 
Bemerktsein einer Beziehung. Auch das Bemerktsein einer Be- 
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160 Akmhn. 2, Die Theorie der WissensaktuaUsierung. 
Ziehung ist eine einheitliche Modifikation des Gesamtbewufitseins 
von den in der Beziehimg stehenden Gegenständen bezw. Uirer 
Gegenstandsordnung, der eine einheitliche Modifikation der Gre- 
samtdisposition entsprechen muß. 
Nur ein verhältnismäßig geringer Teil der Wissensdispositionen 
entsteht durch das Bemerktsein eines selbstgegenwärtigen Sach- 
verhältnisses. Allein die Einsicht in die Struktur der auf diese 
Weise entstandenen Wissensdispositionen ermöglicht uns gl^ch- 
zeitig das Verständnis der Struktur der Wissensdispositionen tU>er- 
haupt. Beginnen wir mit demjenigen Fall, der dem bisher be- 
hand^ten am nächsten verwandt ist. Ein selbstgegenwärtiges 
Sachverhältnis werde erst nachträglich bei Gelegenheit der Er- 
innerung an die in der Beziehung stehenden selbstgegenwärtigen 
Gegenstände erkannt. So ist z. B. bei den Versuchen von Grtin- 
baum gelegentUch die Gleichheit zweier dargebotener Figuren erst 
bei dem Versuch, das Gesehene zeichnerisch wiederzugeben, er- 
kannt worden. Denken wir uns in einem solchen Falle die Er- 
kenntnis der Gleichheit der Figuren mit Hilfe ihrer anschaulichen 
Wiedervergegenwärtigung zustande gekommen, dann entsteht die 
Modifikation des Zusammenbewußtseins der beiden Figuren, durch 
welche das Moment der Gleichheit für sich bewußt wird, erst 
auf Grund eines Abstraktionsvorganges bei Gelegenheit der an- 
schaulichen Reproduktion dieses Zusammenbewußtseins. Der Er- 
folg aber ist der gleiche, als wenn die Gleichheit der gesehenen 
Figuren schon ursprünglich bei deren Darbietung bemerkt worden 
wäre. Es besteht von nun an ein Wissen von ihrer Gleichheit. 
Wir werden daher annehmen dürfen, daß durch den nachträg- 
lichen Abstraktionsvorgang die Gedächtnisdispositionen vom Zu- 
sammenbewußtsein der beiden Figuren in derselben Weise modi- 
fiziert werden, als wennr ihre Gleichheit schon bei ihrer Darbietung 
bemerkt worden wäre. Demnach ist die Struktur der Wissens- 
dispositionen bei der nachträglichen Erkenntnis eines selbstgegen- 
wärtig gewesenen Sachverhältnisses auf Grund einer anschauUchen 
Vorstellung der in Beziehung stehenden Gegenstände als die gleiche 
anzusehen wie bei dem sofortigen Bemerktsein des Sachverhält- 
nisses. Dasselbe würde aber auch dann gelten, wenn die Repro- 
duktionsgrundlagen von den in einer bestimmten Beziehung stehen- 
den Gegenständen, bezw. von der Gegenstandsordnung, der sie 
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///. Die Wissensaktualisierung ais KomplexergOmung. 161 
angehören, ohne die Beteiligung anschaulicher Vorstellungen aktuell 
würden und hierbei die positive Abstraktion des Sachverhältnisses 
und die ihr entsprechende Modifikation der Reproduktionsgrund- 
lagen statt&nde. Alles, was über die Einheit der Wissensdispo- 
sitionen in doppelter Hinsidit ausgeführt worden ist, findet daher 
auch auf Wissensdispositionen von selbstgegenwärtig gewesenen 
Sachverhältnissen Anwendung, die erst nachti^lich bei der Re- 
produktion des Bewußtseins von den in der Beziehung stehenden 
Gegenständen, bezw. der von ihnen gebildeten Gegenstandsordnung 
für sich bewußt werden 0. 
Nicht nur unsere simultanen, sondern auch unsere sukzessiven 
Erlebniszusanunenhänge sind Zusammenhänge selbstgegenwärtiger, 
wenn auch sukzessiv selbstgegenwärtiger Gegenstände. Mit 
ihnen sind die Sachverhältnisse selbstgegenwärtig, die als unselb- 
ständige Momente an den sukzessiven Erlebniszusammenhängen 
haften, insofern als sie die in der Beziehung stehenden Gregenstände 
zusammen enthalten, bezw. insofern sie die von den in der Be- 
ziehung stehenden Gegenständen gebildete Gegenstandsordnung 
enthalten. Auch diese Sachverhältnisse bilden also unselbständige 
Momente an der Gesamtheit psychischer Gregenstände und können 
daher durch Abstraktionsprozesse erkannt werden. Hierbei ist es 
für die uns hier beschäftigenden Fragen gleichgültig, ob der Ab- 
straktionsprozeß schon wlUirend des sukzessiven Erlebnisverlaufs 
oder erst nachtiiiglich stattfindet. Zeitliche Ordnungsverhältnisse 
können ihrer Natur nach nur durch Abstraktionsprozesse an sukzes- 
siven Erlebniszusammenhängen erkannt werden. Auch der Ab- 
straktionsprozeß, durch welchen sukzessiv selbstgegenwärtige Sach- 
verhältnisse erkannt werden, besteht in einer Modifikation des 
Zusammenbewußtseins der in der Beziehung stehenden G^egen- 
Mände oder des Bewußtseins von einer psychischen Gegenstands- 
Unsere Versuche enthalten zahkeiche Beispiele, in denen eine solche 
nachträgliche Abstraktion durch die Aufgabe heri^eigeftlhrt wurde und sich an 
der VorsteQung der in Beziehung stehenden Gegenstände, bezw. der von ihnen 
g^ildeten Gegenstandsordnung vollzog. Namentlich wurden durch solche 
nachträgliche Abstraktionsprozesse Sachverhältnisse des Teils zum Ganzen 
erkannt Daß durch sie neue Wissensdispositionen entstehen, zeigten auch 
rarere Wiederholungsversuche. Vgl. auch oben S. 62. Es handelt sich dort 
um das Verhältnis zwischen Mittel und Zweck. 
Sels, über die Geeetee dee geordneten DenkrerlMiti. 11 
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162 AMm, 2. Die Theorie der Wissensaktaalisiening. 
Ordnung, durch weldie das als unselbständiges Moment an ihnen 
haftende Sachverhältnis filr sich zum Bewußtsein kommt Durch 
eine entsprechende Modifikation der Reproduktionsgrundlagen ent- 
stehen die Wissensdispositionen von sukzessiv selbstgegenwärtig 
gewesen^i Sachverhältnissen. Ihre Struktur ist daher die gleiche 
wie die der Wissensdispositionen von simultan selbstgegenwärtigen 
Sachverhältnissen. Auch sie sind unzerlegbare Einheiten in 
doppelter Hinsicht. 
Analog wie die Struktur der aus Abstraktionsprozessen hervor- 
gegangenen Wissensdispositionen von selbstgegenwärtig gewesenen 
Sachverhältnissen haben wir uns auch die Struktur der durch 
Abstraktion entstandenen Wissensdispositionen von nicht selbst- 
gegenwärtig gewesenen Sachverhältnissen zu denken. Auch sie 
entstehen durch eine einheitliche Modifikation des Zusammen- 
bewußtseins der in Beziehung stehenden Gegenstände oder des 
Bewußtseins von der von ihnen gebildeten Gegenstandsordnung, 
bezw. durch die entsprechende Modifikation der Reproduktions- 
grundlagen. Sie sind daher ebenso wie die Wissensdispositionen von 
selbstgegenwärtig gewesenen Sachverhältnissen unzerlegbare Ein- 
heiten. 
b) Das durch Mitteilung entstandene Wissen von Sach- 
verhältnissen. 
Ein großer Teil unserer Wissensdispositionen gründet sich 
nicht auf eigene Erkeimtnisprozesse, sondern auf fremde Mit- 
teilungen. Die Entstehung des auf Mitteilungen beruhenden Be- 
wußtseins von Sachverhältnissen ist filr die vorliegende Unter- 
suchung deshalb von besonderem Interesse, weil in der Au%abe- 
stellung Mitteilungen über das Bestehen von Sachverhältnissen 
enthalten sind, deren Verständnis durch die Vp. den Ausgangs- 
pimkt für die Aufgabelösung und insbesondere für den Prozeß 
der Wissensaktualisierung bildet. Wir legen der Analyse der 
Struktur der Wissensdisposition von mitgeteilten Sachverhältnissen 
wieder den einfachsten Fall zugrunde, in welchem es sich um 
eine schon bekannte und selbstgegenwärtig gewesene Beziehung 
und um Gegenstände handelt, die bekannt und von der Art sind, 
daß sie auch selbstgegenwärtig gewesen sein könnten. 
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///. Die Wissensaktuaiisienmg als KompiexergOnzung. 168 
Bei der Beschreibung einer Yersuchsanordnung seien eine 
Reihe von Figuren durch Zeichnung dem Leser bekannt gegeben 
worden. Später werde ihm dann mitgeteilt, daß in einer be- 
stimmten Versuchsreihe eine dieser bekannten Figuren, die Figur a, 
vor der Figur b dai^eboten wurde. Hierdurch entsteht ein Wissen 
von diesem nicht selbstgegenwärtig gewesenen Sachverhältnis. 
Trotz der Bekanntheit der Gregenstände und der Beziehung kann 
nun die Entstehung eines solchen Wissens nicht auf eine bloße 
Reproduktion früherer Bewußtseinserlebnisse zurückgeführt werden. 
Denn das Bewußtsein, daß die bekannte Beziehung gerade abwi- 
schen diesen bekannten Gegenständen besteht, ist erst durch die 
Mitteilung neu geschaffen worden, kann also nicht auf Repro- 
duktion früherer Bewußtseinserlebnisse beruhen. Yiebnehr liegt 
der Entstehung eines derartigen Wissens durch Mitteilung ein 
Kombinationsvorgang zugrunde. Der Empfonger der Mit- 
teilung besitzt zwar keine Wissensdisposition von dem speziellen 
Sachverhältnis, daß die Darbietung der Figur a der Darbietung 
der Figur b vorausging. Dagegen besitzt er jedenfalls Wissens- 
dispositionen von anderen Sachverhältnissen des Vorhergehens. 
Außerdem dürfen wir annehmen, daß sich im Laufe des Lebens 
durchAbstraktionsprozesseschematischeWissensdispositionen 
von einem Sachverhältnis des Vorhergehens gebildet haben, dessen 
Gregenstände jedoch unbestimmt gelassen sind und deren Aktuell- 
werden es uns ermöglicht, an ein Sachverhältnis des Vorhergehens 
zu denken, ohne uns bestimmte Gegenstände als Glieder dieses 
Sachverhältnisses zu denken. Daß es ein abstraktes Wissen, bei 
dem die Sachverhaltsglieder oder die Beziehimg mehr oder weniger 
unbestimmt sind, gibt, haben die im ersten Abschnitt behandelten 
Fälle der Vermittlung der Wissensaktualisierung durch ein solches 
abstraktes Wissen gezeigt^). Außerdem hat sich früher schon 
die Notwendigkeit der Annahme des Vorhandenseins analoger 
schematischer Gredächtnisdispositionen bei Anschauungsganzen als 
notwendig erwiesen"). Wir haben uns derartige schematische 
Wissensdispositionen durch eine Weiterführung des Abstraktions- 
prozesses entstanden zu denken, durch welchen auch das Bewußt- 
Vgl. oben S.69ff. 
•) Vgl oben S. 112i 
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164 Absdin. 2. Die Theorie der Wissen$akttiaiisierung, 
sein von vollständig bestimmten Sachverhttltnissen entsteht 0» näm- 
lich durch eine Modifikation des Zusammenbewußtseins der in 
Beziehung stehenden Gegenstände bezw. des Bewußtseins der 
von ihnen gebildeten Gegenstandsordnung, bei welcher jedoch 
nicht das in einer bestimmten Beziehung Stehen näher bestimmter 
Gegenstände, sondern das in einer bestinmiten Beziehung Stehen 
von irgend welchen Gregenständen, von deren näheren Bestimmung 
abgesehen wird, zum Bewußtsein kommt Da nun in unserem 
Beispiel die Mitteilung sowohl die Bezeichnung der beiden Figuren 
als den sprachlichen Hinweis auf ein Sachverhältnis des Vorfaer- 
gehens enthält, so werden durch sie sowohl die Reproduktions- 
grundlagen der beiden Figuren als die schematische Wissens- 
disposition von einem Sachverhältnis des Vorhei^hens in Er- 
regung versetzt werden. Allein die Wirkung der Mitteilung kann 
sich nicht darauf beschicken, daß diese drei schon vorhandenen 
Gedächtnisdispositionen gleichzeitig wieder erregt werden; denn 
in diesem Falle würde durch die Mitteilung ein bloßes Neben- 
einander des Bewußtseins von den beiden Figuren a und b und 
des schematischen Wissens von dem Vorhergehen eines nidit 
näher bestimmten Vorgangs vor einem andern entstehen, nicht 
aber das Wissen von dem Vorhergehen des Erscheinens der 
Figur a vor dem Erscheinen der Figur b. Die Mitteilung hat viel- 
mehr zur Folge, daß mit Hilfe der drei vorhandenen Gedächtnis- 
dispositionen eine neue gebildet wird, in welcher an die Stelle der 
unbestimmten Gegenstände der schematischen Wissensdisposition 
die bekannten Gegenstände, Figur a und b, treten^. Die auf 
diese Weise entstehende vollständige Wissensdisposition erhält 
denmadi genau dieselbe Struktur, als wenn das Sachverhältnis 
des Vorhergehens der Darbietung der Figur a vor der Darbietung 
von Figur b selbstgegenwärtig gewesen wäre. Durch die Aktuali- 
sierung dieser neugebildeten Disposition entsteht das Bewußtsein 
von dem Sachverhältnis, daß die Darbietung von Figur a vor der 
*) Vgl. oben S. 166 ff. 
*) Wir sagten absichtlich nicht, daß die neue Wissensdisposition aus 
den drei vorhandenen Gedächtnisdispositionen, sondern daß sie mit ihrer Hilfe 
gebildet werde. Denn die alten (xedächtnisdispositionen werden ja nicht zer- 
stört, sie bestehen vielmehr fort; dagegen müssen wir annehmen, daß sie bd 
der Bildung der neuen Gedächtnisdisposition, deren Bestimmtheiten ihnen ent- 
lehnt sind, irgendwie mitwirken. 
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///. Die Wissensaktualisienmg als Komplexergänzung. 165 
Darbietung von Figur b vorausging, in derselben Weise, als wenn 
dieses Sachverhttltnis selbstgegenwärtig gewesen wäre^. 
Wir nannten den Vorgang, welcher der Entstehung einer 
Wissensdisposition durch Mitteilung zugrunde liegt, einen Kom- 
binationsvorgang. Hierbei verstehen wir unter Kombination 
einen den Prozessen der Reproduktion von Bewußtseinserlebnissen 
und der Abstraktion an die Seite zu stellenden psychophysischen 
Prozeß, durch welchen infolge des Zusammenwirkens der Repro- 
duktionsgrundlagen früherer Erlebnisse neue Dispositionen zu Be- 
wußtseinserlebnissen entstehen, deren selbständige Teile oder un- 
selbständige Momente*) den Bestimmtheiten der jenen Repro- 
duktionsgrundlagen entsprechenden Bewußtseinserlebnisse gleichen, 
während das entstandene Bewußtseinserlebnis in seiner Gesamt- 
heit mit keinem der früheren Erlebnisse übereinstimmt^). Es emp- 
fiehlt sich, für derartige Prozesse die schon gebräuchliche Bezeich- 
nung „Kombination" beizubehalten, obwohl eine wirkliche Ver- 
einigung der Reproduktionsgrundlagen der früheren Bewußtseins- 
erlebnisse in dem Sinne, wie etwa mehrere Stoffe mechanisch oder 
chemisch miteinander verbunden werden, hierbei nicht stattfindet. 
Während in Fällen der letzteren Art das Material in der Verbin- 
dung aufgeht, bleiben beim Kombinationsprozeß die beteiligten 
Reproduktionsgrundlagen erhalten. Sie sind Faktoren, welche bei 
der Bildung der neuen Bewußtseinserlebnisse bezw. der ihnen 
entsprechenden Dispositionen mitwirken. Ebensowenig findet eine 
wirkliche Verbindung von Bewußtseinserlebnissen, welche den 
^ Da diese Wissensdisposition nur eine modifizierte Disposition einer 
anschaulichen Gegenstandsordnung ist, in welcher die Darbietung von a der 
Darbietung von b vorhergeht, so ist es leicht verständlich, daß das ihr ent- 
sprechende Sachverhaltsbewußtsein mit der anschaulichen Vorstellimg einer 
solchen Gegenstandsordnung verbunden sein kann. 
*) Nicht nur selbständige Teile, sondern auch unselbständige Momente 
froherer Bewußtseinserlebnisse können neue Kombinationen eingehen. 
*) Wenn das Kombinationsprodukt mit keinem der früheren Bewußtseins- 
erlebnisse übereinstimmt, so muß es auch Bestimmtheiten haben, welche den 
froheren Erlebnissen nicht zukommen. Es sind dies die ihm spezieU eigenen 
Komplezbestimmtheiten. GleichgOltig ist es, ob etwa das Erlebnis mit sonstigen 
froheren Bewußtseinserlebnissen des Subjekts übereinstimmt, deren Repro- 
dnktionsgrundlagen bei seiner Entstehung nicht beteiligt waren. Kombinations- 
vorgänge im obigen Sinne liegen wenigstens zum Teil auch den psychischen 
Produkten der 8ch(ypferischen Phantasie zugrunde. V^. auch Selz, Die Gesetze 
der produktiven Tätigkeit, Archiv f. d. ges. Psychol. 27. S. 367 ff. 
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166 Absdm, 2, Die Theorie der Wissensaktualisierung, 
einzelnenReproduktionsgrundlagen entsprechen, statt Selbst wenn 
solche Bewußtseinserlebnisse zuerst für sich vorhanden sein sollten, 
so besteht doch das neue psychische Gebilde im strengen Sinne 
nicht aus ihnen, sondern tritt nur an ihre Stelle. Bewußtseins- 
erlebnisse sind keine konstanten Objekte, die miteinander Ver- 
bindungen eingehen und sich wieder aus ihnen losltf sen konnten. Nur 
der Erfolg ist der gleiche, als wenn solche Verbindungen statt- 
fiüiden. Es ktfnnen daher auch ohne Gefahr Redewendimgen ge- 
braucht werden, die streng genommen nur auf die Herstellung 
materieller Verbindungen passen würden. 
Wie alle Eombinationsprozesse, so sind auch die Prozesse 
bei Erwerbung eines Wissens durch Mitteilung keine Prozesse 
der einfachen Reproduktion früherer Bewußtseinserlebnisse. 
Dennoch sind die meisten dieser Prozesse Reproduktionsprozesse. 
Die Entstehimg des Wissens durch Mitteilung beruht nämlich zwar 
nicht auf einer Reproduktion von Bewußtseinserlebnissen, 
wohl aber auf der Reproduktion einer bestimmten kom- 
binatorischen Operation. So hat in unserem Beispiel der 
Empfänger der Mitteilung die Kombination der schematischen 
Wissensdisposition von einem Sachverhältnis des Vorhergehens mit 
den Dispositionen bestimmter Gegenstände in allen den Fällen 
vorgenommen, in welchen ihm früher eine Mitteilung nach dem 
Schema „x ging y voraus^ zuging. In allen diesen Fällen wieder- 
holte sich der gleiche Prozeß, daß der durch die erste Stelle in 
dem Satz ausgezeichnete Vorgang als Ausgangsglied des einseitigen 
Sachverhältnisses, der an zweiter Stelle bezeichnete Vorgang als 
Bezugsglied in das Schema eines Sachverhältnisses des Vorher- 
gehens eingesetzt wurde*). Nur die Gegenstände, welche in das 
*) Wir nennen in einseitigen Sachverhältnissen denjenigen Cregenstand, 
der in der einseitigen Beziehung zu einem anderen Gegenstand steht, Ausgangs- 
glied, denjenigen Gegenstand, in bezug auf den er in der einseitigen Beziehung 
steh^ Bezugsglied. Die Rede von einem „Einsetzen^ in das Sachverhaltsschema 
ist, wie schon angedeutet, natürlich eine uneigenüiche, in Wirklichkdt findet 
keine Verbindung des Sachverhaltsschemas mit den Dispositionen der betreffoiden 
Vorgänge statt, sondern nur ein Zusammenwirken dieser verschiedenen Dis- 
positionen bei der Entstehung einer neuen Wissensdisposition. Nur der Erfolg 
ist der gleiche, als ob eine Einsetzung stattgefunden hätte. Dasselbe gilt 
übrigens auch ftU* die früher erwähnte „Ausfüllung'^ der Schemata von 
Anschauungsganzen (vgl. oben S. 114) und in allen Fällen, in denen wir weit^iün 
derartige Ausdrücke gd)rauchen werden. 
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///. Die WissensaktuaUsierung als Komplexergämung, 167 
Sachverhaltsschema als Sachverhaltsglieder eingesetzt wurden, also 
ein Teil des Materials des Eombinationsprozesses, wediselte, 
während die kombinatorische Operation in sdlen Fällen genau so 
die gleiche bUeb, wie die Operationen der Abstraktion die gleichen 
bleiben, gleichgültig, an welchem Empfindungsmaterial sie statt- 
finden, oder wie Muskelkontraktionen die gleichen Prozesse bleiben, 
gleichgültig, welche äußeren Objekte durch sie eine Einwirkung 
erfahren. Trotzdem demnach der durch die meisten Mitteilungen 
ausgelöste Prozeß reproduktiver Natur ist, entstehen durch die 
Mitteilung neue Wissensdispositionen. Denn die reproduzierte 
Operation der Kombination findet an einem wechselnden Material 
statt, das noch nicht in der betreffenden Weise kombiniert worden 
ist, so daß durch die Kombination eine vorher nicht dagewesene 
Verbindung von Reproduktionsgrundlagen sowie der entsprechen- 
den Bewußtseinserlebmsse zustande kommt ^). 
Die Reproduktion der kombinierenden Operation, welche zur 
Entstehung neuer Wissensdispositionen durch Mitteilung führt, 
zeigt sich gebunden an eine gewisse allgemeine, einem be- 
stimmten Schema gehorchende Beschaffenheit der Mitteilung. 
Es müssen in der Mitteilung die Bezeichnungen von Gegenständen 
und eine auf ein Sachverhältnis bestimmter Grattung hinweisende 
Bezeichnung in bestimmter Weise miteinander verbunden sein. 
Solche bestimmte Verbindungsweisen ermöglicht die Satzform 
der entwickelten Sprachen durch die Stellung der Worte im Satz, 
ihre flexivischen Abwandlungen, die Verbindimgswörter und andere 
sprachliche Ausdrucksmittel'). Ist diese Voraussetzung erfüllt, so 
wird durch die Mitteilung ein Kombinationsvorgang herbeigeführt, 
welcher die der gattungsmäßigen Sachverhaltsbezeichnung ent- 
sprechende schematische Wissensdisposition mit den Dispositionen 
vom Bewußtsein der in der Beziehung stehenden Gegenstände 
zu einer vollständigen Wissensdisposition vereinigt. Hierbei hat 
die Form der Mitteilung nicht nur die Einsetzung der bezeichneten 
Einiges weitere über die Bedeutung der Reproduktion von Operationen 
gegenüber der Reproduktion von Bewußtseinserlebnissen enthält der S. 165 
Anm. 3 angeführte Vortrag. 
^ VgL über die sprachlichen Ausdrucksmittel das Sammehreferat von 
K. Bühler, Über das Sprachverständnis vom Standpunkt der Normalpsychologie 
aus. Bericht über den m. Kongreß f. experiment. PsychoL, herausgegeben von 
F. Schumann (Leipzig 1909) S. Ua 
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168 Abschn, 2, Die TheorU der Wiasensakhtaiisiemng. 
Oegenstttnde in ein Sachverhältnis der bezeichneten Art zur Folge, 
sondern bei einseitigen Sachverfafiltnissen wird durch die Form der 
Mitteilung auch bestimmt, welcher von den bezeichneten Gregen- 
ständen als Ausgangsglied und welcher als Bezugsglied in das Sach- 
verhaltsschema einzusetzen ist. Es entspricht also einer bestimmten 
Weise der Vereinigung der Worte in der Mitteilung immer auch eine 
bestimmte Weise der kombinier^iden Vereinigung der Gredächtnis- 
dispositionen, welche durch sie erregt werden. Die Wiederkehr eines 
bestimmten Schemas der Mitteilung zieht stets die gleiche kom- 
binierende Operation nach sich, durch welche eine vollständige 
Wissensdisposition von bestimmtem Schema entsteht Ob man die Re- 
produktion einer bestimmten kombinierenden Operation durch eine 
Mitteilung vom bestimmten Schema als eine assoziative bezeichnen 
darf, hängt von der Beantwortung der noch zu klärenden Frage 
nach der Entstehung dieser reproduktiven Zuordnung und von 
der Ausdehnung ab, welche man dem Begriff der Assoziation gibt 
Jedenfalls handelt es sich nicht um die Assoziation von Bewußtseins- 
erlebnissen mit Bewußtseinserlebnissen, sondern um die Assoziation 
von Bewußtseinserlebnissen mit bestimmten intdlektuellen Opera- 
tionen. Zu beachten ist auch, daß im Gegensatz zur gewöhn- 
lichen assoziativen Reproduktion die Reproduktion der kombinieren- 
den Operation nur davon abhängig ist, daß das MitteUungserlebnis 
einem bestimmten Schema gehorcht, während bei Einhaltung dieses 
Schemas seine übrige Beschaffenheit völlig gleichgültig ist Die 
bezeichneten Gegenstände und demgemäß auch die Bezeichnungen 
der Gegenstände können bei der Wiederkehr des Schemas ganz 
andere sein^). 
^) Derartige quasiassoziative Verknüpfungen (das Wort asso- 
ziativ hier im weitesten Sinne genommen) zwischen einem bestimmten all- 
gemeinen Erlebnischarakter und anderen Bewußtseinserlebnissen, bezw. in- 
tellektuellen Operationen oder Bewegungsimpulsen liegen wahrscheinlich auch 
zahlreichen anderen Erscheinungen zugrunde. So bildet die Annahme ein^ 
quasiassoziativen Verknüpfung die einfachste Erklärung fOr die Tatsache, daß 
gesprochene Worte trotz der großen Verschiedenheit der individuellen Sprech- 
weise die gleichen Wirkungen auslosen. Nicht individuelle akustische Wort- 
bilder, sondern ein bestimmtes akustisches Schema, dessen Eigenart auch bei 
Verschiedenheit der individuellen Sprechweise erhalten bleibt, haben wir uns 
mit den entsprechenden Bedaitungserlebnissen verknüpft zu denken. Die Be- 
deutungserlebnisse sind also nicht individuellen Wortbildem, sondern diesen in- 
dividuellen Wortbildem gemeinsamen Komplexbestinmitheiten reproduktiv zu- 
geordnet. (Vgi, tlber solche Komplexbestimmtheiten auch das angeftüirte 
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///. Die WisaensaktuaHsierung als Komplexergänzung. 169 
Die reproduktive Zuordnung einer bestimmten kombinieren- 
den Operation zu einem bestimmten, in verschiedenen Mitteilungen 
wiederkehrenden Schema einer Mitteilung führt notwendig zurück 
auf einen Fall, in welchem zum erstenmal eine dem Schema ent- 
sprechende Mitteilung die betreffende kombinierende Operation 
nach sidi zog, d. h. es entsteht die Frage, wie jene reproduktive Zu- 
ordnung entstehen konnte. Zum Zweck der Beantwortung dieser 
Frage müssen wir unser Augenmerk statt auf die Operation der 
Kombination auf ihren Erfolgrichten, der soeben zur Charakterisierung 
der kombinierenden Operation schon beschrieben wurde. Er besteht, 
wie wir sahen, darin, daß einer bestinmiten Weise der Vereinigung von 
Zeichen eine bestimmte Weise der Vereinigung der durch jene Zeichen 
erregten Gedächtnisdispositionen entspricht. Eine solche Korre- 
spondenz zwischen einer Mitteilimg einerseits und einer Wissens- 
disposition andererseits kann nun aber keineswegs nur auf Grund 
eines an die Mitteilung sich anschließenden Kombinationsvorganges 
entstehen. Dieselbe Korrespondenz besteht vielmehr auch dann, 
wenn sich die Mitteilimg auf ein Sachverhältnis bezieht, welches 
dem Empfilnger der Mitteilung selbstgegenwärtig ist oder war, 
Sammefareferat von Bühler a. a. 0. S. 94 f.). Es wird dann klar, warum die 
Abweichungen der individuellen Sprechweise unschädlich sind, während Ab- 
weichungen in anderer Richtung, z, B. die Veränderung der Stellung der Laute 
oder ihres allgemeinen Klangcharakters das Verständnis beeinträchtigen. Die 
Berufung auf das allgemeine Gesetz, daß die assoziative R^roduktion nicht 
nur durch Bewußtseinserlebnisse, die dem Mheren völlig gleichartig sind, 
sondern auch durch ähnliche Bewußtseinserlebnisse herbeigeftlhrt werden kann, 
vermag in derartigen Fällen der Tatsache nicht gerecht zu werden, daß Ab- 
weichungen, die in einer bestimmten Richtung liegen, imschädlich sind, während 
Abweichungen in anderer Richtung die Reproduktion erschweren. — Zu den 
quasiassoziativen Verknüpfungen im weitesten Sinne gehören — wenigstens 
zum großen Teil — auch die substitutiven Attributionen G. E. Müllers (Zur 
Analyse der Gedächtnistätigkeit usw., JJI. Teil S.963f). Die Verknüpfung besteht 
hier imd ebenso bei den übrigen attributiven Reproduktionen (a. a. 0. S. S61 ff.) 
in der Zugehörigkeit zu derselben Wissensdisposition; denn das Bewußtsein, 
daß ein b einem a ^in einer dauernden Weise als sein Name, sein Bedeutungs- 
äquivalent, als eine seiner charakteristischen Eigenschaften oder dergleichen 
zukomme**, kurz, jedes Bewußtsein von einer dauernden Zugehörigkeit eines 
Gegenstandes zu einem anderen Gegenstand ist ein Bewußtsein von einem 
SachverhäHnis und daher ein Wissen. Bei den substitutiven Attributionen 
ist das eine der SachverhaKsglieder ein nur nach gewissen allgemeinen Merk- 
malen bestimmter Gegenstand, z. B. ein Wort, das durch eine bestimmte all- 
gemeine Komplexbestimmtheit, nämlich eine bestimmte Aufeinanderfolge be- 
stimmter Sprachlaute in bestimmter Betonung usw. gekennzeichnet ist. 
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170 Abschn. 2, Die Theorie der Wissensak t ii a ii s ierung. 
und auf welches durch die Mitteilung etwa nur die Aufmerksam- 
keit des Empftngers gelenkt werden solL Ebenso würde eine 
solche Korrespondenz gegeben sein, wenn das Bewustsein von 
dem Sachverhältnis, auf welches die Mitteilung hinweist, durch 
einen sich zur gleichen Zeit im Empftnger abspielenden Abstrak- 
tions- oder Denkprozeß zustande gekommen wäre. Wir müssen 
fttiTiAhniAfi, daß derartige Eorrespondenzfiüle der erstmaligen 
kombinatorischen Konstruktion einer Wissensdisposition auf Orund 
einer Mitteilung vorbeigegangen sind. Unter dieser Voraussetzung 
erscheint dann das durch die Kombination entstehende Sach- 
veiiialtsbewußtsein zwar nicht als das Ergebnis der Reproduk- 
tion vergangener Erlebniszusammenhänge, wohl aber 
als das Ergebnis ihrer analogen Nachkonstruktion. Die 
erstmalige Ausführung der kombinierenden Operation auf Grund 
einer Mitteilung hat also mit assoziativen Reproduktionsprozessen 
gemeinsam, daß sie sich durch vergangene Erlebniszusammen- 
hänge bedingt zeigt. Sie unterscheidet sich aber von einer 
assoziativen Reproduktion sehr wesentlich dadurch, daß bei der 
Wiederkehr einer Mitteilimg von dem gleichen Schema nicht die 
Reproduktion eines früheren Erlebniszusammenhanges, 
sondern nur seine analoge Nachkonstruktion durch die 
kombinatorische Erzeugung eines neuen Bewußtseins- 
erlebnisses erfolgt, in dem die Verbindungsweise der 
einzelnen Bestandstücke der Verbindungsweise der 
ihnen entsprechenden Worte in der Mitteilung in ge- 
nau der gleichen Weise entspricht wie in den früheren 
Erlebniszusammenhängen. Der Tendenz zur Reproduktion 
früherer Erlebniszusammenhänge bei assoziativen Verbindungen 
(Reproduktionstendenz) entspricht demnach eine Tendenz 
zu einer analogen Nachkonstruktion bei der erstmaligen Ausführung 
einer kombinierenden Operation. Während die Reproduktions- 
tendenz die Wiederherstellung des früheren Erlebniszusammen- 
hanges anstrebt, wird durch die Tendenz zur analogen Nach- 
konstruktion ein neuer Zusammenhang geschaffen, dessen Glieder 
mit denen des früheren Erlebniszusammenhanges nur hinsichtlich 
gewisser allgemeiner Bestimmtheiten imd der zwischen den Gliedern 
bestehenden Beziehung übereinstimmt. 
Die Entstehimgsbedingungen der Tendenz zur analogen Nach- 
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///. Die Wissensaktualisierung als Komplexergämung. 171 
konstruktion bedürfen noch psychologischer Aufklärung durch zu- 
künftige Untersuchungen. Wahrscheinlich genügt es nicht, um 
die Operation der Kombination herbeizuführen, daß in den voran- 
gegangenen Fällen die eigentümliche Korrespondenz zwischen 
Mitteilung und Sachverhältnis bloß vorhanden war, sondern sie 
muß auch ftir sich zum Bewußtsein gebracht worden sein. Viel- 
leicht ist es sogar notwendig, daß nicht nur die Korrespondenz 
von Mitteilung und Sachverhältnis im einzelnen Fall, sondern 
auch die allgemeine Bedeutimgsfunktion derartiger Mitteilungen 
dem Empfilnger der Mitteilung schon irgendwie zum Bewußtsein 
gekommen ist. Auch die voUständige Ermittelung der psycho- 
logischen Voraussetzungen für die Entstehung der Tendenz zur 
analogen Nachkonstruktion würde übrigens keinen Aufischluß dar- 
über geben ktfnnen, wieso dann, wenn die Voraussetzungen ihrer 
Entstehung gegeben sind, sich der entsprechende Kombinations- 
prozeß einstellt. Wir stoßen hier auf eine Tatsache, welche sich 
auf keine Weise aus dem Zusammensein im Bewußtsein von ver- 
gangenen Erlebnissen erklären läßt, und die vielleicht auf phylo- 
genetisch begründete, psychologisch letzte Gesetzmäßigkeiten hin- 
weist 0. 
Trotz der für die Erklärung der Entstehung von Wissens- 
dispositionen durch Mitteilung noch bestehenden Forschungsauf- 
gaben können wir auf Grund der vorangegangenen Analyse doch 
die Tatsache als festgestellt betrachten, daß die durch Mitteilung 
entstandenen Wissensdispositionen aus Kombinationsprozessen her- 
vorgehen und den Wissensdispositionen von abstrahierten selbst- 
gegenwärtig gewesenen oder anderweitig erkannten Sachverhält- 
') Analoge Kombinationsprozesse wie auf seilen des Empfängers einer 
MitteUung finden in umgekehrter Richtung auch auf seiten des MitteUenden 
statt Dieser kombiniert die sprachlichen Ausdrucksmittel in der Weise, wie 
sie durch die allgemeine Beschaffenheit des Auszudrückenden gefordert ist 
Auch hier findet also eine analoge Nachkonstruktion früher erlebter Zusammen- 
hänge zwischen der allgemeinen Beschaffenheit des Mitzuteilenden und einer 
bestimmten Form der Mitteilung statt Beim Erwachsenen beschränken sich 
diese Kombinationsprozesse hauptsächlich auf die Satzbildung, während sie 
in der kindlichen Sprachentwicklung auch ftlr die Wortbildung von großer Be- 
deutung sind, wie namentlich auch aus den zahlreichen falschen Analogie- 
bildungen beim Kinde hervorgeht Vgl. insbesondere Klara und William Stern, 
Die Kindersprache (Leipzig 1907) S. 185 ff., 846 ff., 862 ff.; K. Bühler, Kinder- 
psychologie. Aus dara Handbuch der Erforschung und Fürsorge des Jugend- 
lidien Schwachsinns (Jena 1911) S. 164 ff. 
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172 Abachn, 2. Die Theorie der Wisaensaktualisierung. 
nissen nachgebildet sind. Im ersten Falle haben sie die gleiche 
Struktur wie die Wissensdispositionen von selbstgegenwärtigen 
Sachveriiältnissen und sind daher im selben Sinne wie sie unzer- 
legbare Einheiten 0. Das Gleiche gilt für den Fall, daß sie den 
Wissensdispositionen eines durch Abstraktionsprozesse erkannten 
nicht selbstgegenwärtig gewesenen Sachveiiiältnisses nachgebildet 
sind *). Sind sie dagegen den Wissensdispositionen erst mittelbar 
durch Denkprozesse erkannter Sachverhältnisse nachgebildet, so 
teilen sie die Struktur dieser Wissensdispositionen, von denen 
sogleich zu reden sein wird*). 
c) Das durch mittelbare Erkenntnisprozesse entstandene 
Wissen von Sachverhaitnlssen. 
Die dritte Gruppe von Wissensdispositionen umfaßt diejenigen 
Dispositionen, welche weder durch unmittelbare, auf Abstraktion 
beruhende Erkenntnisprozesse noch durch das Verständnis von 
Mitteilungen entstehen. Hierher gehtfren auch die Wissensdis- 
positionen von selbstgegenwärtig gewesenen Sachverhältnissen, 
soweit sie nicht durch deren abstraktive Hervorhebung, sondern 
auf Grund mittelbarer Kriterien z. B. von Nebeneindrücken zu- 
stande kommen. Lassen wir zunächst die Frage ganz o£Pen, ob 
alle diese Sachverhältnisse der Gattung nach den selbstgegen- 
wärtig gewesenen Sachverhältnissen gleichen müssen, die wir durch 
unmittelbare Abstraktion erkannt haben. Sicher ist jedenfalls, 
daß das Wissen von Sachverhältmssen aller jener Gattungen, 
welchen die uns früher selbstgegenwärtig gewesenen angehören, 
auch durch Denkprozesse entstehen kann. So vermag z. B. der 
*) Zu demselben Ergebnis würde man übrigens auch gelangen, wenn 
man nicht eine Kombination von den in der Beziehung stehenden Gegenständen 
mit einer schematischen Wissensdisposition, sondern mit vollständigen 
Wissensdispositionen der betreffenden Art annähme. Es würden dann un- 
mittelbar an Stelle der in Beziehung stehenden Gegenstände in schon vor- 
handenen Wissensdispositionen die in der Mitteilung bezeichneten Gegenstände 
treten. 
•) Vgl. oben S. 162. 
') Soweit der Gedanke in der Mitteilung keinen vollständigen sprach- 
lichen Ausdruck findet, kommen auch beim Verständnis einer Mitteilung un- 
mittelbare und mittelbare Erkenntnisprozesse in Frage, die der Erfassung des 
Sinnes dienen. Vgl. hierzu die Ausfllhrungen über das Satzverständnis bd 
Bühler a. a. 0. S. 113 ff. und die dortigen Verweisimgen. 
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///. Die Wissensaktuaüsierung als KompiexergOmung. 173 
Greometer die Gleichheit zweier nicht direkt vergleichbarer 
Höhen durch Messung festzustellen. Die psychologischen Vor- 
gänge, welche die Entstehung solcher neuer Wissensdispositionen 
vermitteln, können hier nicht untersucht werden. Was aber den 
Vorgang der Entstehung selbst betri£Pt, so müssen wir annehmen, 
daß die letzte Phase des Prozesses in einem Eombinationsprozeß 
derselben Art besteht, wie er durch Mitteilung herbeigeführt wird. 
Auch hier werden die schon vorhandenen schematischen (oder 
möglicherweise vollständigen) Wissensdispositionen von Sachver- 
hältnissen der betreffenden Art zur Konstruktion des von dem 
erkenntnisbegründenden Zusammenhang geforderten Sachverhalts- 
bewußtseins verwendet werden, indem sie mit Dispositionen des 
Bewußtseins von Gegenständen, die eine derartige Verbindung 
noch nicht eingegangen haben, zu einer neuen vollständigen 
Wissensdisposition zusammentreten. Die durch den Denkvorgang 
entstehenden Wissensdispositionen besitzen daher die gleiche 
Struktur und Einheit wie die Wissensdispositionen von selbst- 
gegenwärtig gewesenen Sachverhältnissen. 
Nehmen wir an, alle unsere Wissensdispositionen entständen 
in der bisher geschilderten Weise auf Grund von Abstraktions- 
voi^gängen oder von Eombinationsvorgängen, durch welche nach 
Analogie der durch Abstraktion entstandenen Wissensdispositionen 
neue gebildet werden. Unter dieser Voraussetzung wäre nicht 
nur nachgewiesen, daß alle Wissensdispositionen Einheiten in 
doppelter Hinsicht sind, sondern es wäre auch verständlich ge- 
macht, wie solche einheitlichen Wissensdispositionen zu entstehen 
vermögen, und wie selbst die Tatsache, daß eine Wissensdis- 
position aus einer Mehrheit von Bestandstücken konstruiert worden 
ist, nicht als Gegenbeweis gegen diese Einheit verwendet werden 
darf; denn die Eombinationsprodukte sind ja den Wissensdisposi- 
tionen von unmittelbar abstrahierten Sachverhältnissen völlig gleich- 
artig und daher ebenso einheitlicher Natur wie diese. Ob sich 
diese Hypothese durchführen läßt, braucht hier nicht entschieden 
zu werden. Auch wenn es noch andere Entstehungsbedingungen 
von Wissensdispositionen gäbe, würden die aus ihnen hervor- 
gegangenen Wissensdispositionen unzerlegbare Einheiten sein. 
Sie würden sich nicht in ein bloßes Nebeneinander der Disposi- 
tionen von Gegenständen und der Disposition von einer Beziehung 
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174 Abschn. 2. Die Theorie der Wissensaßttualisiemng, 
auflösen lassen; denn durch die Wiedererr^^ung dieser Disposi- 
tionen würde kein Bewußtsein von einem Sachverfaältnis entstehen. 
f3)ensowenig aber würden sie sich als blofier assoziativer Verband 
elementarer gegenstfindhcher Dispositionen, etwa von Empfin- 
dungen, betrachten lassen; denn durch ein solches Nebeneinander 
von Dispositionen würde nur das Bewußtsein von den einzelnen 
elementaren Gegenständen und ihren unselbständigen Momenten, 
nicht aber das Bewußtsein von einer zwischen einer Mehrheit von 
Gegenständen bestehenden Beziehung, geschweige denn das Bewußt- 
sein von ihrem in dieser Beziehung Stehen reproduzierbar werden, 
wie es der Bestand einer einheitlichen Wissensdisposition ermöglicht 
Durch die Entstehung des Bewußtseins von einem zwischen 
ihnen bestehenden Sachverhältnis können Gegenstände, welche 
in der zeitlichen oder räumlichen Ordnung unserer Bewußtseins- 
erlebnisse bezw. ihrer Reproduktionsgrundlagen beliebige SteUen 
einnehmen, miteinander zu derselben Wissensdisposition vereinigt 
werden. Wir haben also zwei Arten von Komplexdispositionen 
zu unterscheiden: 1. Dispositionen von Komplexen, deren Bestand- 
teile dadurch charakterisiert sind, daß sie sich zu einem simultan 
oder sukzessiv zu vergegenwärtigenden i^umlichen oder zeitlichen 
bezw. i^umlich-zeitlichen Anschauungsganzen zusammenschließen. 
2. Komplexe, deren selbständige Bestandteile dadurch charakteri- 
siert sind, daß sie durch Beziehungen miteinander verknüpft sind. 
Demgemäß erhalten wir durch die Bildung umfassender Komplexe 
eine doppelte Ordnung unserer Bewußtseinserlebnisse 
bezw. ihrer Reproduktionsgrundlagen: 1. eine räum- 
lich-zeitliche Ordnung, 2. eine Ordnung durch Be- 
ziehungsverknüpfung, in welcher die einzelnen Gregenstände 
des Bewußtseins als Glieder vielfach zusammengesetzter Sach- 
verhältnisse erscheinen. Die letztere Ordnung hatte schon Bühler 
im Auge, wenn er das Bewußtsein von einem indirekt durch seine 
Beziehungen zu anderen Gegenständen bestimmten Gegenstand 
als ein Bewußtsein von Platzbestimmtheiten innerhalb einer Gregen- 
standsordnung bezeichnet. (Vgl. Tatsachen und Probleme etc., 
Archiv f. d. ges. Psychol. 9. S. 259 ff.) Unsere Analyse der Struktur 
der Wissensdispositionen von einfachen bezw. zusammengesetzten 
Sachverhältnissen hat die Möglichkeit und die Struktur einer 
solchen psychischen Gregenstandsordnung verständlich gemacht. 
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///. Die WisaensaktuaÜsierung als Komplexergänzung, 176 *^ 
D. Der Prozeß der Wissensaktualisierung. 
Bei der früheren Erörterung der Dispositionen von Anschauimgs- 
ganzen blieb es dahingestellt, ob sie sich als bloße assoziative 
Verbände von Elementardispositionen auffassen lassen ^). Daß sie 
jedenftdls relativ geschlossene komplexe dispositionelle Einheiten, 
also Eomplexdispositionen, darstellen, wurde nicht aus der Be- 
schaffenheit der ihnen entsprechenden Bewußtseinserlebnisse, son- 
dern aus der Tatsache abgeleitet, daß sie an gewissen Reproduktions- 
vorgängen als einheitliche Ganze beteiligt sind. Daß die Wissens- 
dispositionen dagegen relativ geschlossene komplexe dispositionelle 
Einheiten, also Eomplexdispositionen, sind, ging unmittelbar aus 
der Beschaffenheit der ihnen entsprechenden Bewußtseioserlebnisse 
hervor, die sich nicht in ein Nebeneinander elementarer oder 
komplexer Bewußtseinserlebmsse auflösen lassen. Wir können da- 
her umgekehrt aus der Einheit der Wissensdispositionen darauf 
schließen, daß sie auch bei der Reproduktion als einheitliche Ganze 
eine Rolle spielen. Wie die Eomplexdispositionen von Anschauungs- 
ganzen können sie als Granze Assoziationen eingehen. Ebenso 
werden sie als Ganze Glieder anderer Wissensdispositionen ") und 
ermöglichen so die Reproduktion des Bewußtseios von zusammen- 
gesetzten Sachverhältnissen, die andere Sachverhältnisse als Glieder 
enthalten. Vor allem aber finden auf die Wissensdispositionen die 
Gesetze der Eomplexeigänzung Anwendung^). 
Nach dem ersten Gesetz der Eomplexergänzung hat ein ge- 
gebenes als einheitliches Ganzes wirkendes Eomplexstück die Ten- 
denz, die Reproduktion des ganzen Eomplexes herbeizuführen. 
Den selbständigen Teilen oder „Stücken^ eines Anschauimgsganzen 
entsprechen in einem Sachverhältnis die in der Beziehung stehen- 
den Gegenstände. Auf den Fall der Wissensaktualisierung an- 
gewendet, lautet daher das erste Gresetz der Eomplexergänzimg: 
Das als Ganzes wirkende Bewußtsein von einem Sachverhalts- 
glied hat die Tendenz, die Reproduktion des Bewußtseins von dem 
") Vgl. oben S. 99 Amn. 1. 
*) Auch die in einer Wissensdisposition enthaltenen Dispositionen des 
Bewußtseins von Anschauungsganzen, die Glieder eines Sachverhältnisses sind, 
sind als Ganze in der Wissensdisposition enthalten, bilden also Komplex- 
dispositionen innerhalb der Wissensdisposition. 
•) V^.oben S. ICefif., 128 f. 
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176 Abschn, 2, Die Theorie der WissensalUuaiisierung. 
ganzen Sachverhältnis herbeizuführen. Da jedoch das Bewußtsein 
von den in der Beziehung stehenden Gegenständen auch die ver- 
schiedensten anderweitigen Verbindungen einzugehen pflegt, so 
kommt dem ersten Gresetz der Eomplexergänzung für die Repro- 
duktion von Sachverhältnissen im Gegensatz zu dem Fall der 
Reproduktion von Anschauungsganzen nur eine geringe richtung- 
gebende Bedeutung zu. 
Ganz anders verhält es sich mit dem zweiten Gesetz der 
Eomplexergänzung, nach dem ein den Komplex als Ganzes an- 
tizipierendes Schema die Tendenz hat, die Reproduktion des ganzen 
Komplexes nach sich zu ziehen. Die schematische Antizipation 
eines Wissens durch das schematische Bewußtstein von dem ge- 
wußten Sachverhältnis ist in mehrfacher Hinsicht möglich. Es 
können 1) in dem schematischen Sachverhaltsbewußtsein ^) die in 
der Beziehung stehenden G^enstände vollständig bestimmt, die 
zwischen ihnen bestehende Beziehung dagegen mehr oder weniger 
unbestimmt sein; oder es kann 2) die Beziehung vollständig be- 
stimmt sein, während die in der Beziehung stehenden Gegen- 
stände mehr oder weniger unbestimmt sind. Es kann femer 
3) einer der Gegenstände und die Beziehung vollständig bestimmt 
sein, während der andere Gegenstand mehr oder weniger un- 
bestimmt ist, und es können endlich 4) sowohl die Gegenstände 
als die Beziehung in dem Schema mehr oder weniger unbestimmt 
sein. In allen diesen Fällen gilt das dem zweiten Gesetz der 
Komplexergänzung entsprechende Gesetz, daß ein schematisches 
Bewußtsein von einem Sachverhältnis die Tendenz hat, die Re- 
produktion des Bewußtseins von denjenigen Sachverhältnissen 
herbeizuführen, die dem Schema entsprechen. Namentlich dem 
ersten und dritten der angeführten Fälle einer schematischen An- 
tizipation des Bewußtseins von einem Sachverhältnis kommt nun 
eine sehr hohe richtung^bende Bedeutung für die Reproduktion 
zu. Der erste Fall beschränkt die Wissensaktualisierung auf Sach- 
verhältnisse zwischen den in dem Schema bezeichneten G^egen- 
ständen, von denen häufig nur eines oder wenige geläufig sein 
werden. Der dritte Fall beschränkt die Wissensaktualisierung auf 
^) Ober die Entstehung eines derartigen schematischen Bewußtseins von 
einem Sachverhältnis, bezw. der entsprechenden schematischen Wissens- 
disposition siehe oben S. 163 f. 
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///. Die WissensafctuaUsierung als KomplexergOnzung. VT! 
m 
Sachverhältnisse, in denen ein Gegenstand zu einem in dem Schema 
bestimmten anderen Gegenstand in der in dem Schema bezeich- 
neten Beziehung steht. Steht nur ein einziger Gegenstand zu dem 
in dem Schema bestimmten Gegenstand in der betre£Penden Be- 
ziehung, so ist die Reproduktionsrichtung durch die schematische 
Antizipation des Bewußtseins von einem Sachverhältnis ein- 
deutig bestimmt. 
Durch die Möglichkeit der schematischen Antizipation von 
Sachverhältnissen wird zugleich das dritte Gesetz der Eomplex- 
ergänzung anwendbar: Die auf die Ergänzung eines schematisch 
antizipierten Sachverhältnisses gerichtete Determination begründet 
die Tendenz zur Reproduktion des ganzen Sachverhältnisses. Je 
eindeutiger die Bestimmung des gesuchten Sachverhältnisses in der 
schematischen Antizipation ist, desto größer ist die richtunggebende 
Bedeutung der determinierten Wissensaktualisierung. 
Zu den Fällen der determinierten WissensaktuaUsierung gehören 
auch die im ersten Abschnitt untersuchten Aufgabelösungen durch 
WissensaktuaUsierung. Durch die Kenntnis der Gesetze der Kom- 
plexerg^Lnzung, femer durch die gewonnene Einsicht in die Ent- 
stehungsbedingungen und die Struktur des dispositionellen und 
aktuellen Wissens sind wir jetzt in der Lage, das Zustandekommen 
der früher nachgewiesenen Wissensaktualisierungen verständlich 
zu machen. Zu diesem Zweck müssen wir jedoch durch eine vor- 
hergehende Analyse feststellen, worin in Versuchen nach Art der 
unsrigen die Angabe, bezw. das ihr entsprechende Zielbewußt- 
sein besteht, welches die WissensaktuaUsierung herbeiführt. 
Im weitesten Sinne umfaßt die Aufgabe aUe von der Vp. in 
dem Versuch zu befolgenden Anordnungen des Versuchsleiters. 
Die Aufgabe im weitesten Sinn war in imseren Versuchen 
zum Teil schon durch die vorangegangene Instruktion bestimmt. 
Wir können diesen allen Versuchen gemeinsamen Teil der Auf- 
gabe im weitesten Sinn konstante Aufgabe nennen. Der kon- 
stanten Aufgabe stand die von Versuch zu Versuch variierende 
durch das Aulgabewort bezeichnete variable Aufgabe gegen- 
über. Die variable Aufgabe steUte eine bestimmte Anforderung 
an die Denktätigkeit bezw. Vorstellungstätigkeit der Vp., sie ent- 
spricht dem, was von Watt und nach ihm „Au%abe" schlecht- 
hin genannt zu werden pflegte, nur daß sie bei den früheren 
8«U, Über die Oetetae des geordneten DenkTeriaufi. 12 
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178 Abschn, 2. Die Theorie der Wissensakätaiisierung. 
Untersuchungen innerhalb einer Versuchsreihe gewöhnlich kon- 
stant blieb. Wir können die variable Angabe, um ihrer Bedeu- 
tung als der von der Vp. zu erfüllenden Hauptleistung Rechnung 
zu tragen, auch „Aufgabe im engeren Sinne" nennen. Die 
Erteilung und Übernahme der Au^;abe im engeren Sinne erfolgte 
nicht erst, wie man zu meinen versucht sein könnte, mit der 
Darbietung des Au|gabewortes, vielmehr fand sie schon beim 
Empfang der Instruktion statt, nur war sie hier in ganz allge- 
meiner Weise bestimmt, während ihre nähere Bestimmung dem 
Einzelversuch vorbehalten blieb. Hinsichtlich dieser näheren Be- 
stimmung war sie eben variabel und konnte deshalb nicht ein 
für allemal festgesetzt werden. 
Die konstante Aufgabe hatte demnach im wesentlichen fol- 
genden Inhalt: 
1. Das die variable Aufgabe bezeichnende Aulgabewort in einer 
den gegebenen Beispielen entsprechenden Weise zu deuten 
— Aufgabe in bezug auf das Verständnis der 
Aufgabe im engeren Sinne, 
2. den jeweils geforderten Denk- oder Vorstellungsprozeß, wie 
er durch die gegebenen Beispiele in allgemeiner Weise ge- 
kennzeichnet war, auszuführen — unvollständige Auf- 
gabe im engeren Sinne, 
3. die jeweilige Angabe im engeren Sinne sinngemäß zu lösen 
und sich hierbei die zur bequemen und sinngemäßen Lösung 
erforderliche Zeit zu lassen — Aufgabe in bezug auf 
die Weise der Lösung der Aufgabe im engeren 
Sinne, 
4. die erfolgte Lösung wennmöglich in Worten, andernfalls 
aber durch „ja" kundzugeben — Aufgabe in bezug auf 
die Kundgabe der Lösung der Aufgabe im engeren 
Sinne. 
Die konstante Aufgabe war also nicht in dem Sinne ein Teil 
der Angabe im weitesten Sinne oder der Gesamtaufgabe, daß zu 
ihr die variable Aufgabe im Einzelversuch als weitere Aufgabe 
neben den bisherigen hinzutrat. Vielmehr war sie nur in dem 
Sinne unvollständig, daß die Aufgabe im engeren Sinne noch 
einer näheren Bestimmung bedurfte, die wegen ihrer Verschieden- 
heit von Versuch zu Versuch erst im Einzelversuch erfolgen konnte. 
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///. Die Wissensaktualisienmg als Kamplexergänzung, 179 
Um die unvollständig bestimmte Aufgabe im engeren Sinne als 
Hauptaufgabe gruppieren sich in der allgemeinen Instruktion 
die Nebenaufgaben in bezug auf ihr Verständnis, die Weise 
und die Kundgabe ihrer Lösung 0. Da die Nebenau^aben in 
allen Versuchen konstant blieben, konnten sie auch in der all- 
gemeinen Instruktion schon vollständig bestimmt werden. 
Die weitere Analyse der Aufgabe in imseren Versuchen läßt 
sich am besten an der Hand eines konkreten Beispiels durch- 
führen. Nehmen wir etwa den früher mitgeteilten Versuch ,,Er- 
regung — Gegensatz?***). Die Aufgabe in bezug auf das Ver- 
ständnis der Aulgabe im engeren Sinne hat ein determiniertes 
Verständnis') des dargebotenen Wortes „Gegensatz?" zur Folge. 
Es erhält für die Vp. die Bedeutung der Aufgabe: „Es soll zu 
dem durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand der Gegensatz 
gesucht werden!** Aber auch mit diesem Verständnis der variablen 
Aufgabe ist die von der Vp. zu erfüllende Gesamtaufgabe noch 
nicht vollständig bestimmt. Die Aufgabe im engeren Sinne ist 
i^Lmlich noch keine vollständige, d. h. keine Aufgabe, welche 
hinreichend bestimmt ist, um ihre Ausführung zu ermöglichen. 
So lautet die Aufgabe im engeren Sinne in imserem Beispiel nicht, 
es soUe ein Gegensatz angegeben werden. Eine solche Aufgabe 
wäre allerdings durch die Angabe des Gegensatzes zu einem be- 
liebigen Gegenstand ausführbar und daher vollständig. Die Auf- 
gabe im engeren Sinne lautet vielmehr: „Es soll zu dem durch 
das Reizwort bezeichneten Gegenstand der Gegensatz gesucht 
werden!*' Diese Aufgabe aber ist unvollständig; denn sie ist nicht 
ausführbar, solange der Gegenstand, zu dem ein Gegensatz ge- 
sucht werden soll, nur indirekt als der durch das Reizwort be- 
zeichnete Gegenstand bestimmt ist. Erst wenn dieser Gegenstand 
direkt bestimmt ist, wird die Aufgabe ihrem Inhalte nach aus- 
führbar und damit vollständig. Die vollständige Aufgabe lautet 
also: „Es soll der Gegensatz zu Erregung gesucht werden!** Wir 
können die so vervollständigte Aufgabe im engeren Sinne, mit 
Ober die Bezeichnung Haupt- imd Nebenaufgabe vgl. A. Grünbaum, Über 
die Abstraktion der Gleichheit, Archiv f. d. ges. Psychol. 12. E. Westphal, Über 
Hatipt- und Nebenaufgaben bei Reaktionsversuchen, Archiv f. ges. Psychol. 21. 
•) V^.oben S.68ff. 
■) Wieweit das Verständnis von sprachlichen Äußerungen auch sonst ein 
determinierter Prozeß ist, kann hier unentschieden bleiben. 
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180 Abschn. 2, Die Theorie der Wissensaktuaäsienmg, 
Rücksicht darauf, daß sie den eigentlichen Kern der Gesamtau^abe, 
die (}esamthauptaufgabe, bildet, auch Gesamtaufgabe im 
engeren Sinne oder Gresamtaulgabe schlechthin n^men und 
zum Unterschied von ihr die Aufgabe im weitesten Sinne als 
Gesamtaufgabe im weiteren Sinne bezeichnen. Auf die 
Gesamtaufgabe im engeren Sinne bezieht sich die Lösung durch 
Wissensaktualisierung. Von ihr ist daher im folgenden in erster 
Linie die Rede. 
Die Gesamtaufgabe, „den Gegensatz zu Erregung zu suchen," 
ist erfüllt, wenn der bestimmte G^egenstand, welcher in diesem 
Gregensatz steht, in irgend einer Form, z. B. in der des akustisch- 
motorischen Auftauchens seiner Benennung, nämlich „Beruhigung", 
der Vp. zum Bewußtsein gekommen ist. Das Ziel der auf die 
Erfüllung der Aufgabe gerichteten Determination ist damit erreicht 
Dieses Ziel kann natürlich in der Gresamtaufgabe noch nicht direkt 
bestimmt sein; denn dann würde ja in dem Bewußtsein von der 
Aufgabe schon das Bewußtsein von dem gesuchten Gegenstand, 
also die Lösung selbst, enthalten sein. Wohl aber ist das Ziel der 
geforderten Determination in der Gesamtau^abe schon indirekt 
bestimmt als „das direkte Bewußtsein von dem Gegenstande, 
welcher den Gegensatz zu Erregung bildet". Nur in- 
sofern besteht auch schon eine schematische direkte, d. h. die Be- 
schaffenheit des Ziels antizipierende Bestimmung, als es als 
ein inneres Geschehen bestimmter Art, nämlich als das Be- 
wußtsein von einem bestimmten Gegenstand bestimmt ist. Die 
indirekte Bestimmung des Ziels der Determination erfolgt durch 
die indirekte Bestimmung des Gegenstandes, auf den sich das 
durch die Aufgabe geforderte Bewußtsernserlebnis beziehen soll. 
Dieser Gegenstand 8J>er wird indirekt bestimmt durch sein in einer 
bestimmten Beziehung Stehen zu einem anderen Gregenstand, mit- 
hin als Glied eines Sachverhältnisses. So ist der gesuchte Gegen- 
stand in unserem Beispiel bestimmt als derjenige Gegenstand, 
welcher den Gegensatz zu Erregung bildet^). 
Auf die allgemeine Bedeutung solcher indirekter Bestimmungen im 
Denkverlauf, auf die BQhler zuerst die Aufknerksamkeit der experimentelien 
Psychologie gelenkt hat, wurde schon im ersten Abschnitt hingewiesen. VgL 
S. 84^ 41, 48, 70 f., 87. Ober die hierhergehörigen Untersuchungen von Michotte 
und Ransy, sowie von Michotte und Portych siehe unten S. 283 ff. 
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///. Die WissensaktuaUsierung als Komplexergänzung, 181 
Man hat das Bewußtsein von dem Ziel einer Determination 
häufig „Zielvorstellung" genannt; der Bezeichnimg „Vorstellung" 
könnte jedoch eine bestimmte Theorie zugrunde gelegt werden, 
nach der das Ziel durch anschauliche Vorstellungen repräsentiert 
sein müßte. Wir werden daher besser die Bezeichnung „Ziel- 
vorstellung" durch die Bezeichnung „Zielbewußtsein" ersetzen. 
Das durch das Verständnis der übernommenen Aufgabe entstehende 
Zielbewußtsein besteht bei Aufgaben von der Art unseres 
Beispiels in dem Bewußtsein von einem durch das Bewußtsein 
von einem Sachverhältnis indirekt bestimmten inneren Geschehen, 
auf dessen Verwirklichung die Determination gerichtet ist. Das 
Ziel aber besteht in diesem Geschehen selbst, in unserem Falle 
in dem direkten Bewußtsein von dem Gegenstand, der in der be- 
zeichneten Beziehung zu dem bezeichneten anderen Gegenstand steht. 
Durch die indirekte Bestimmung des gesuchten Gegenstandes 
in der Gesamtau^abe wird in der Vp. hiemach das schematische 
Bewußtsein von einem Sachverhältnis erzeugt. Bekannt ist in 
diesem Sachverhältnis das eiae Sachverhaltsghed (Erregung), und 
die das Sachverhältnis der Art nach kennzeichnende Beziehung 
(Gegensatz), während die nähere Bestimmung des anderen Sach- 
verhaltsgliedes, auf dessen Bewußtwerden die Determination ge- 
richtet ist, noch aussteht. Dieses im Zielbewußtsein enthaltene 
schematische Sachverhaltsbewußtsein verdankt seine Entstehung 
der Mitteilungsfunktion, welche die Darbietung von Aufgabe- und 
Reizwort durch die vorangegangene Instruktion erhält. Infolge 
der in der Instruktion enthaltenen Anweisung über das Verständ- 
nis der Gesamtaufgabe hat die Darbietung der Worte „Erregung" 
und „Gegensatz?" die gleiche Wirkung, als ob an die Vp. die zu- 
sammenhängende Frage gerichtet wäre: „Was ist der Gegensatz 
zu Erregung?" Diese Frage enthält aber implicite eine Mitteilung 
von dem Sachverhältnis, daß es einen nicht näher bestimmten 
Gegensatz zu Erregung gibt, d. h. sie enthält die sprachliche An- 
weisung zum Vollzug des schematischen Bewußtseins von einem 
solchen Sachverhältnis 0, dessen anderes GHed zu suchen ist. 
') Das durch die Mitteüungsfunktion der Gesamtaufgabe hervorgerufene 
schematische Sachverhaltsbewußtsein ist ein abstraktes Wissen (vgL oben 
S. 69), wenn ein wirkliches Bewußtsein von einem Sachveihaltnis und nicht 
eine bloße Vergegenwärtigung der totalen Bestimmtheit des betreffoiden Sach- 
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182 Abschn, 2. Die Theorie der Wissensakiuaiisierung. 
Besitzt nun die Vp. eine dem im Zielbewußtsein enthaltenen 
Sachverhaltsschema entsprechende Wissensdisposition, so kann 
nach dem zweiten und dritten Gresetz der Komplexer^ü[izung ^) 
durch das schematische Sachverhaltsbewußtsein, bezw. durch die 
auf die Ergänzung des schematisch antizipierten Sachverhalts- 
bewußtseins gerichtete Determinierung die Aktualisierung des 
dispositionellen Wissens hert)eigeführt werden. Schon bei der 
Besprechung der determinierten Eomplexergänzung von Anschau- 
ungsganzen wurde auf das allgemeine Gresetz Bezug genommen, 
daß die Determinierung zur Vornahme einer intellektuellen Tätig- 
keit die Aktualisierung derjenigen allgemeinen intellektuellen 
Operationen nach sich zieht, die zur Verwirklichung eines der- 
artigen Zieles geeignet sind. Das der Gesamtaufgabe entsprechende 
Zielbewußtsein nun enthält, wie wir sahen, die Determinierung 
zur Herbeiführung des Bewußtseins von einem Gegenstand, der 
zu dem durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand in der durch 
das Auf gabewort bezeichneten Beziehung steht. Zu den intellektuellen 
Operationen, die zur Herbeiführung dieses Zieles geeignet sind, 
gehört aber vor allem die Operation der determinierten Wissens- 
aktualisierung, welche die Aktualisierung der allenfalls vorhandenen 
Wissensdispositionen ermöglicht, die einen zu dem Reizwortgegen- 
stand in der geforderten Beziehung stehenden Gegenstand ent- 
halten; denn durch die Aktualisierung dieser Wissensdispositionen 
wird auch das Bewußtsein von dem gesuchten Gegenstand mit- 
aktualisiert Die Determinierung zur Erfüllung der Gesamtauf- 
gabe zieht demnach die Tendenz zur determinierten Aktualisierung 
der der Gesamtaufgabe entsprechenden Wissensdispositionen nach 
sich. So hat die Gesamtaufgabe, den Gegensatz zur Erregung 
zu suchen, die Tendenz zur Aktualisierung des Wissens zur Folge, 
daß der Gegensatz zur Erregimg Beruhigung ist Ebenso wird 
etwa durch die Aufgabe, eine Folge der Schuld anzugeben, die 
Tendenz zur Aktualisierung von Wissensdispositionen begründet, 
Verhältnisses zustande kommt, weil die Vp. die Frage offen läßt, ob es ein 
solches Sachverhältnis, wie es in der Frage behauptet ist, wirklich gibt (Vgl. 
oben S. 154). Die Struktur des Sachverhaltsbewußtseins ist jedoch in beiden 
Fällen genau die gleiche, so daß der Unterschied der beiden Fälle für unsere 
Betrachtung vernachlässigt werden darf. — Über die Entstehung des Sach- 
Verhaltsbewußtseins auf Grund der Mitteilungsftinktion S. 183 f. 
*) Vgl. S. 176 f. 
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///. Die Wlsse n sak t ualisierung als KompiexergOnzung. 183 
die sidi auf eine Folge der Schuld beziehen^). Oder es wird 
durch die Aulgabe, den nebengeordneten Begriff zu Tod an- 
zugeben, die Tendenz zur Aktualisierung von allenfalls vorhandenen 
Wissendispositionen b^;ründet, welche einen nebengeordneten 
Begriff zu Tod enthalten •) usw. 
Die allgemeine Operation der determinierten Wissensaktuali- 
sierung, welche die Aufgabelösung durch Wissensaktualisierung 
vermittelt, ist nur ein Spezialfall der Operation der determinierten 
Eomplexergänzung, in dem der zu ergänzende schematisch anti- 
zipierte Komplex ein Wissenskomplex ist, während es sich in den 
früher besprochenen Fällen um die Ergänzung von Anschauungs- 
ganzen handelte. Dieselbe Sicherung einer bestimmten Richtung 
des Ablaufs der intellektuellen Prozesse, welche die determinierte 
Eomplexergänzung im allgemeinen auszeichnet, besteht daher auch 
für die Au^;abeltfsung durch Wissensaktualisierung und bietet die 
zureichende Erklärung für die Erreichung des Ziels der der Gre- 
8amtau^;abe entsprechenden Determinierung*): 
1. Die Einleitung der Operation der determinierten Wissens- 
aktualisierung zum Zwecke der Au^abelösung gewährleistet die 
reproduktive Wirksamkeit des. im Zielbewußtsein enthaltenen 
sdbematischen Sachverhaltsbewußtseins, während ein schematisches 
Sachverhaltsbewußtsein an sich auch einem Abstraktionsprozeß 
oder einem Eombinationsprozeß dienen könnte. Das erstere könnte 
z. B. der Fall sein, wenn die Au^;abe in der Abstraktion eines 
Sadiverhältnisses, z. B. eines Sachverhältnisses der Gleichheit, an 
optisch dargebotenen Objekten bestünde. Die schematische Anti- 
zipation des zu abstrahierenden Sachverhältnisses der Gleichheit 
im Zielbewußtsein kann hier die determinierte Abstraktion eines 
dem Schema entsprechenden Sachverhältnisses herbeiführen^). 
Die Beteiligung eines Sachverhaltsschemas an einem Eom- 
binationsprozeß liegt der Erwerbung eines neuen Wissens 
durch Mitteilung zugrunde^). Auch das durch die Mitteilimgs- 
funktion der Gesamtaufgabe in unseren Versuchen hervorgerufene 
>) VgL olxm S. 56. 
■) Vgl. oben S.27ff. 
") Siehe oben S. 118 ff. 
*) Vgl. Ober den Begriff der determinierten Abstraktion N. Ach, Über die 
WiHensUtigkeit und das Denken (GOttingen 1906) S. 289. 
•) Vgl. oben S. 162 ff. 
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184 Abschn. 2, Die Theorie der Wissensaktaalisierung, 
Sachverhaltsbewußtsein haben wir uns durch einen Kombinations- 
prozeß entstanden zu denken, bei dem das Schema eines Sach- 
verhältnisses der durch die Aufgabe im engeren Sinne bezeich- 
neten Art mit den Dispositionen vom Bewußtsein des Reizwort- 
gegenstandes zu dem Schema eines Sachverhältnisses zusammen- 
tritt, in dem die Beziehung und das eine Sachverhaltsglied voll- 
ständig bestimmt sind ^). 
2. Die Einleitung der Operation der determinierten Wissens- 
aktualisierung gewährleistet die reproduktive Wirksamkeit des im 
Zielbewußtsein enthaltenen schematischen Sachverhaltsbewußtseins 
als eines Ganzen, sodäß das in ihm enthaltene Bewußtsein von 
dem einen der in Beziehung stehenden Gregenstände und von der 
bestehenden Beziehung keine selbständige reproduzierende Wirk- 
samkeit zu entfalten pflegt. 
3. Die Einleitung der Operation der determinierten Wissens- 
aktualisierung bestimmt die Richtung, welche die reproduktive 
Wirksamkeit des im Zielbewußtsein enthaltenen, als einheitliches 
Ganzes wirkenden schematischen Sachverhaltsbewußtseins nimmt 
Die Sachverhaltsergänzung ist nämlich nicht der einzige repro- 
duktive Vorgang, welchen das schematische Sachverhaltsbewußt- 
sein als Ganzes auszulösen vermag. So schloß sich bei imseren 
Wiederholungsversuchen, die ja mit erstmaligen Versuchen ver- 
mischt waren, häufig an das determinierte Verständnis der Ge- 
samtaufgabe die Erinnerung an, daß diese Aufgabe in den Ver- 
suchen früher dagewesen war, wobei auch nähere Umstände, 
z. B. die Schwierigkeit der Lösung mit bewußt werden können. 
In solchen Fällen versetzt das im Zielbewußtsein enthaltene Sach- 
verhaltsschema die Dispositionen von dem Sachverhalts Schema in 
dem früheren Versuch in Erregung und hat die Tendenz, von da aus 
weitere Reproduktionsprozesse herbeizuführen. Da den Vpn. aber 
Ausgenommen sind diejenigen F&lle, in denen etwa schon durch die 
Worte der Gesamtaufgabe direkt die ihr entsprechenden Sachveiiialtsdisposi- 
tionen aktualisiert werden. Auch kann natürlich eine dem Bewußtsein von 
der Gesamtaufgabe entsprechende indirekte Gegenstandsbestimmung wie etwa 
„Folge der Schuld** (vgl. S. 56 ff.) bereits vorhanden sein und durch die dar- 
gebotenen als Ganzes wirkenden Worte „Schuld — Folge'', welche infolge der 
Instruktion den Worten „Folge der Schuld*" gleichwertig sind, aktualisiert 
werden. Daß dies sehr oft gesdiieht, ist nicht wahrscheinlich, sonst würde 
nicht so häufig erst nach einer kleineren oder größeren Pause das Bewußtsdn 
auftreten, etwas dergleichen zu kennen. 
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///. DU Wissensaktualisiemng als Komplexergänzung, 185 
die Instruktion gegeben worden war, Aufgaben, welche ihnen be- 
kannt vorkämen, ohne Rücksicht auf die frühere Lösung zu er- 
füllen, so verweilten sie nicht bei dieser Erinnerung, sondern 
machten sich an die unabhängige Lösung 0- Die Einleitung der 
determinierten Wissensaktualisierung hat also auch zur Folge, 
daß der Reproduktionsprozeß gerade der Sachverhalts ergänzung 
dienstbar gemacht wird. 
4. Da die eingeleitete Operation der Wissensaktualisierung 
ein determinierter Vorgang ist, so kommt den in dieser Ope- 
ration enthaltenen psychophysischen Prozessen auch diejenige 
Energie und Dauer zu, die zur Verwirklichung der Wissens- 
aktualisierung erforderhch ist*). 
5. Die Operation der determinierten Wissensaktualisierung 
kann die Wissensaktualisierung für sich allein herbeiführen. 
Das Bestehen anderweitiger Tendenzen zur Herbeiführung des 
Bewußtseins von dem gesuchten Gegenstand ist neben ihr nicht 
erforderlich •). Insbesondere hat die Wirksamkeit der determi- 
nierten Wissensaktualisienmg nicht zur Voraussetzung, daß von 
dem schematischen Sachverhaltsbewußtsein als solchem eine er- 
hebliche immanente Tendenz zur Aktualisierung der ihr ent- 
sprechenden Wissensdispositionen ausgeht. Das schematische Sach- 
verhaltsbewußtsein bildet vielmehr nur den Ausgangspunkt 
für die Einleitung der allgemeinen intellektuellen Operation der 
Komplexei^^üizung, welche die Wissensaktualisierung herbeiführt*). 
Wir haben bis jetzt von den Besonderheiten abgesehen, welche 
sich daraus ei^eben, daß in Reaktionsversuchen nach Art der von 
uns angestellten nicht die Herbeiführung des vollständigen Bewußt- 
seins von einem Sachverhältnis das der Gesamtaufgabe ent- 
sprechende Ziel bildet, sondern nur die Herbeiführung des direkten 
^) Ob das Auftreten der Erinnerung als völlig unwillkürliche, also nicht 
im Sinne der Determination zur Aufgabelösung liegende Reproduktion auf- 
gefaßt werden muß, ist sehr ft*aglich; denn die Versuchsperson hatte gerade 
bei unserer Anordnung der Versuche ein gewisses Interesse daran, die Auf- 
' gaben miteinander zu vergleichen, um daraus Nutzen ftlr die Lösung zu ziehen. 
Außerdem spielt hier natürlich ein unüberwindUches Interesse an der Anlage 
der Versuche die Rolle einer nicht vom Versuchsleiter durch Instruktion herbei- 
geführten Determination. 
") Vgl. oben S. 120. 
•) Vgl. oben S. 120. 
*) Vgl. oben S. 121 f. 
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186 Absdm. 2. Die Theorie der Wissensaktuaüsierang. 
Bewußtseins von dem Gegenstand, welcher zu einem andern 
Gegenstand in einer bestinmiten Beziehung steht. Die determinierte 
Wissensaktualisierung dient nur als Mittel zur Herbeiführung des 
direkten Bewußtseins von einem indirekt bestimmten Gegenstand 
(S. 180 f.). Daher ist die Determination zur Wissensaktualisierung 
nicht auf die vollständige Wissensaktualisierung, d. h. nicht auf die 
Reproduktion des Bewußtseins von dem ganzen Wissenskomplez 
gerichtet, sondern nur auf partielle Wissensaktualisierung, näm- 
lich auf die Aktualisierung der in der in Erregung versetzten 
Wissensdisposition enthaltenen Disposition vom direkten Bewußt- 
sein des Gegenstandes, welcher in der geforderten Beziehung zum 
Reizwortgegenstand steht Hierbei besteht mit Rücksicht auf die 
Nebenaufgabe in Bezug auf die Kundgabe der Lösung vor allem 
die determinierende Tendenz zur Reproduktion der Bezeich- 
nung für den gesuchten Gegenstand 0. Die Aktualisierung der 
übrigen Bestandstücke des Wissenskomplexes liegt nur soweit in 
der Richtung der bestehenden Determinierung, als sie für die 
Eontrolle der Richtigkeit der Lösung von Bedeutung ist. Je ober- 
flächlicher die Kontrolle ist, mit der sich die Vp. begnügt, desto 
weniger wird daher eine Determination zur vollständigen Aktuali- 
sierung der vorhandenen Wissensdispositionen bestehen. Aus dem 
bei Reaktionsversuchen natürlichen Bestreben, den Versuch nicht 
zu lange auszudehnen, ergibt sich außerdem die Beschrilnknng der 
Kontrolle auf das zulässige Minimum. Nehmen wir nun an, daß 
auch in dieser Hinsicht dem Inhalt der Determinierung die Art des 
Ablaufs der intellektuellen Operationen entspricht, welche ihrer 
Verwirklichung dienen, so gelangen wir von der Analyse der Auf- 
gabe, bezw. der ihr entsprechenden Determinierung her zur Postu- 
Uerung derjenigen Tatsachen, welche wir im ersten Abschnitt fest- 
gestellt haben. Die unvermittelten Lösungen ohne aus dem Pro- 
') Streng genommen ist die Bezeichnung des gesuchten Gegenstandes 
keine direkte Bestimmung, sondern eine indirekte. Sie bestimmt den Gegen- 
stand als denjenig^ welcher diese bestimmte Bezeichnung trftgt. Wir können 
aber der Einfachheit der Darstellung halber hier ohne Gefahr die Bezeichnung 
eines Gregenstandes seinen direkten Bestimmungen gleichstellen. Für die Vp. 
hat das Bewußtsein von der Bezeichnung des gesuchten Gegenstandes im Ver- 
hältnis zu seiner in der Gesamtaufgabe gegebenen indirekten Bestimmung in 
der Tat den Wert einer direkten Bestimmung, durch wdche die Hauptaufgabe 
erfüllt wird. 
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///. Die Wisaensaktualisiemng als Kompiexergänzung, 187 
tokoU nachweisbare oder mit nur indirekt aus dem Protokoll 
nachweisbarer Wissensaktualisierung erscheinen dann als der Aus- 
druck der Tatsache, daß den Vpn. die Einschränkung der Wissens- 
aktualisierung auf das durch die Aufgabe bei der Kürze der zu 
Grebote stehenden Zeit geforderte Maß gelingt. Sie bestätigen die 
allgemeine Gesetzmäßigkeit, daß die Determinierung die Einleitung 
derjenigen intellektuellen Operationen nach sich zieht, welche zu 
ihrer Verwirklichung geeignet sind. 
Die Beschränkung der determinierten Wissensaktualisierung 
auf diejenigen Bestandstücke des Wissenskomplexes, deren Re- 
produktion zur Lösung der Aufgabe erforderlich ist, zeigt auch 
folgende aus den im ersten Abschnitt angeführten Protokollen 
hervorgehende Tatsache. Sind durch das im Bewußstsein von der 
Gesamtaufgabe enthaltene schematische Sachverhaltsbewußtsein 
größere Wissenskomplexe, d. h. mehr oder weniger zusammen- 
gesetzte Wissensdispositionen tangiert, so werden diese keines- 
wegs vollständig aktualisiert, sondern nur, soweit es zur Lösung 
notwendig ist So erfolgt die Reaktion „Schlaft bei der Gesamt- 
aufgabe „Tod — Nebenordnung?^ in allen Fällen, ohne daß die 
Hinsicht, in der beide einander gleichgeordnet sind, den Vpn. zum 
Bewußtsein kommt ^). Die sonstigen näheren Umstände der Neben- 
einanderstellung werden ebenfalls von E bei der zweimaligen Aus- 
führung des Versuches überhaupt nicht, von D nur im Wieder- 
holungsversuch und lediglich als dunkler, mehr negativ zu be- 
schreibender Anklang der poetischen Sphäre aktualisiert Auch 
bei B ist nur ein dunkler Anklang an das Wort „der Schlaf ist 
der Bruder des Todes" vorhanden. Li ähnlicher Weise wird der 
durch die Gesamtaufgabe „Erregung — Gegensatz?" (S. 58 flF.) 
tangierte größere Wissenskomplex, welcher sich auf die Wundt- 
sche Gefühlstheorie bezieht, bei denjenigen Vpn., bei welchen sein 
Anklingen erkennbar ist, nur ganz flüchtig gestreift^. Bei G tritt 
die Wundtsche Gefühlstheorie erst bei der Reaktion nachweisbar 
hervor. D und B verhalten sich ganz entsprechend wie in dem 
soeben zitierten Versuch. Bei D findet nämlich eine Verlegung 
in die Sphäre der Psychologie statt, während bei B wie dort die 
») Vgl. oben S.28ff. 
") Vgl. ferner 6t» S. 82, wo die Beschrftnkung der Wissensaktualisierung 
auf das zur Reaktion erforderliche Maß sehr deuüich ist, u. a. 
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188 Absdin. 2, Die Theorie der Wissensaktuaiisierung. 
näheren Umstände der Gegenüberstellung relativ am stärksten 
entwickelt werden. Bei beiden Vpn,, die am meisten psychologisch 
interessiert waren, wurde übrigens, wie es scheint, die psycho- 
logische Sphäre schon von dem Verständnis des Reizwortes an- 
geregt. Ein derartiges Reizwort führt eben naturgemäß die Elin- 
stellung auf eine psychologische Aufgabe herbei *). Von Interesse 
ist noch, daß bei E in diesem Versuch ebenso wie bei der Wieder- 
holung der Aufgabe „Tod — Nebenordnung?** auf die unmittelbar 
sich einstellende Lösung eine nachträgliche Kontrolle, bezw. der 
Versuch dazu erfolgt. Es zeigt sich also eine gewisse Eonstanz des 
Verhaltens derselben Vpn. in den verschiedenen Versuchen. Bei 
E, der sich stets als Vp. sehr ehrgeizig und infolgedessen zuweilen 
etwas hastig zeigte, überwiegt zunächst das Bedürfnis, möglichst 
rasch zur Lösung zu kommen; infolgedessen wird die Wissens- 
aktuahsierung, soweit sie über das immittelbare Bewußtsein des 
gesuchten Sachverhaltsgliedes hinausgeht, auf ein Mindestmaß redu- 
ziert, wodurch sich dann eine nachträgliche Kontrolle als not- 
wendig erweist '). 
Die Determinierung zur Herbeiführung des direkten Bewußt- 
seins von einem im Zielbewußtstein indirekt bestimmten Gegenstand 
durch partielle Wissensaktualisierung bestimmt also die Richtung 
des eingeleiteten Reproduktionsprozesses nicht nur insofern, als 
er die dem im Zielbewußtsein enthaltenen Sachverhaltsschema 
entsprechenden vollständigen Wissensdispositionen anspricht *). 
Jede Determinierung hat vielmehr auch zur Folge, daß innerhalb 
der in Erregung befindlichen Dispositionen der Reproduktions- 
prozeß in ganz bestimmter Weise verläuft. Die Regulierung des 
Verlaufs des determinierten Reproduktionsprozesses innerhalb einer 
Wissensdisposition wird möglich durch die schematische Antizipation 
des zu verwirklichenden inneren Geschehens im Zielbewußtsein. 
Wie schon früher dargelegt wurde*), sind Gegenstände und Be- 
ziehung innerhalb einer Wissensdisposition in entsprechender Weise 
verbunden zu denken, wie in dem zu ihr gehörigen Sachverhalts- 
Die Angaben von 6 machen es wahrscheinlich, daß auch die bei B 
nebenher erfolgte Berührung eines anderen Geföhlsgegensatzes nicht ganz 
ohne Beziehung zur Lösung der Aufgabe stand. 
•) Vgl. Ees S. 27, Ew, S. 50. 
^ Siehe oben S. 184 f. 
*) Vgl. namentlich S. 156 ff.; siehe auch S. HO. 
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///. Die Wissensakiuaäsiening als Komplexergänzung. 189 
bewußtsein. Das Zielbewußtsem bezeichnet daher genau die Stelle 
innerhalb der Wissensdisposition, an welcher die partielle Wissens- 
aktualisierung stattzufinden hat. Sie entspricht der Stelle, welche 
in dem Sachverhaltsschema des Zielbewußtseins der noch nicht 
direkt bestimmte Gegenstand einnimmt. Auf die Herbeiführung 
einer partiellen Wissensaktualisierung an der entsprechenden Stelle 
der Wissensdisposition ist der determinierte Reproduktionsprozeß 
in erster Linie gerichtet. Wir können einen derartigen Re- 
produktionsprozeß, durch welchen einzelne selbständige Teile oder 
unselbständige Momente einer Gesamtdisposition für die Reproduk- 
tion ausgesondert und für sich allein ins Bewußtsein gehoben 
werden, als abstraktive Reproduktion bezeichnen^). Unsere 
Aulgabelösungen durch Wissensaktualisierung und namentlich die 
Fälle der unvermittelten Lösung ohne aus dem Protokoll nachweis- 
bare oder mit nur indirekt aus dem Protokoll nachweisbarer Wissens- 
aktualisierung sind demnach determinierte abstraktive Re- 
produktionsprozesse. Zu beachten ist, daß in diesen Fällen 
durch den abstraktiven Reproduktionsprozeß gerade die Reproduk- 
tion desjenigen Bestandstücks der Gesamtdisposition herbeigeführt 
wird, welches in dem Sachverhaltsschema seiner Beschaffen- 
heit nach am wenigsten antizipiert war. Dies zeigt, daß die 
Aufgabelösung durch Wissensaktualisierung nicht auf einer von 
dem im Zielbewußtsein enthaltenen Sachverhaltsschema selbst 
ausgehenden psychophysischen Erregung beruhen kann. Wäre 
dies der Fall, so müßte erwartet werden, daß in erster Linie die- 
jenigen Bestandstücke des Sachverhältnisses reproduziert würden, 
welche den in dem Schema der Beschaffenheit nach antizipierten 
Bestandstücken entsprechen. Das Sachverhaltsschema bildet viel- 
mehr nur den Ausgangspunkt für die eingeleitete Operation der 
partiellen Wissensaktualisierung, die auf Reproduktion 
des Bewußtseins von dem in dem Schema noch unbestimmt ge- 
lassenen Gegenstand gerichtet ist. 
Bleiben bei wiederholter Aktualisierung eines größeren Wissenskomplexes 
bestimmte Bestandstflcke, z. B. die Beg^tumstände der Erwerbung infolge ab- 
straktiver Reproduktion unreproduziert, so geraten sie allmählich in Vergessen- 
heit ELs bleiben nur die praktisch wichtigen Teile des Wissenskomplexes er- 
halten; vgl S. 46 und Anm. 2 daselbst Wir berOhren damit eine aus dem Leben 
wohlbduumte Ausleseerscheinung unseres Gedächtnisses. 
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190 Ahsdm, 2. Die Theorie der WissensiMaalisierung, 
Die Gesamtaufgabe im engeren Sinne bestimmt nur, daß der 
in der bezeichneten Beziehung zu dem bezeichneten anderen 
Gregenstand stehende gesuchte Gegenstand irgendwie zum Be- 
wußtsein gelangen soll. Es ist also keineswegs eine möglichst 
vollständige Reproduktion des auf die Beschaffenheit dieses Gregen- 
standes bezüglichen Erlebniskomplexes verlangt. Infolge der Neben- 
au^abe in bezug auf die Kundgabe der Lösung richtet sich nun 
das Bestreben der Vp. schon bei der zimi Zweck der Lösung der 
Gresamthauptaufgabe erfolgenden Wissensaktualisierung vorzugs- 
weise auf die Reproduktion der Bezeichnung des gesuchten 
Gegenstandes, durch welche beiden Aufgaben zugleich genügt 
wird. Der abstraktive Reproduktionsprozeß wird daher in erster 
Linie die Tendenz haben, diejenigen den gesuchten Gegenstand 
betreffenden Reproduktionsgrundlagen anzusprechen, welche den 
schematisch antizipierten Charakter von Worten tragen. Eine 
weitergehende Reproduktion unterbleibt, soweit sie nicht durch 
den Kontrollzweck veranlaßt ist oder als Durchgangspunkt für 
die Reproduktion der Bezeichnungen dient Die Folge davon ist, 
daß auch die den gesuchten Gegenstand betreffenden Sachvor- 
stellungen nicht zur Entwicklung gelangen oder nur der nach- 
träglichen Verifikation dienen *). Sobald auf diese Weise das Ziel 
der Hauptaufgabe durch die Reproduktion der Bezeichnung des 
zu dem Reizwortgegenstand in der geforderten Beziehung stehen- 
den Gegenstandes erreicht ist, setzt die auf die Kundgabe der 
Lösung gerichtete Determination ein und führt zur motorischen 
Entladung der determinierten psychophysischen Erregung im Wege 
der sprachlichen Reaktion. Li vielen, bei einzelnen Vpn. in den 
meisten Fällen kommt es gar nicht erst zu einer inneren Re- 
produktion der Bezeichnung, sondern der determinierte Prozeß 
schlägt ohne eine dazwischen liegende innere Wortreaktion so- 
gleich den Weg der äußeren sprachlichen Reaktion ein. Die Vp. 
erfüllt in solchen Fällen die Hauptaufgabe in demselben Akt mit 
der Nebenaufgabe in Bezug auf die Kundgabe der Lösung. 
Nicht in allen Fällen zieht die Determination zur Herbei- 
führung des direkten Bewußtseins von dem im Zielbewußtsein 
indirekt bestimmten Gegenstand dieses direkte Bewußtsein im- 
•) Vgl. z. B. die Protokolle oben S. 26f. 
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///. Die Wissensakiuaäsiemng als Komplexergänzung, 191 
mittelbar nach sich. Häufig kommt es viehnehr, wie die Unter- 
guchmigen des ersten Abschnittes zeigten, zu einer sukzessiven 
Wissensaktualisierung. Die von dem im Zielbewußtsein enthaltenen 
schematischen Sachverhaltsbewußtsein ausgehende Operation der 
determinierten Wissensaktualisierung führt zunächst zur Aktuali- 
sierung eines dem Sachverhaltsschema entsprechenden geläufige- 
ren abstrakten Wissens, z. B. des Wissens, daß die Vp. einen 
Gfegenstand kennt, der zu dem Reizwortgegenstand in der ge- 
forderten Beziehung steht. Hierbei findet durch die erste Wissens- 
aktualisierung oft eine speziellere Bestimmung des Zieles durch 
das Hinzutreten weiterer indirekter Bestimmungen statt. So wird 
etwa das Wissen von dem zusammengesetzten Sachverhältnis ak- 
tualisiert, daß ein noch nicht näher bestimmter Gegenstand zu 
dem Reizwortgegenstand unter bestimmten Umständen in 
die geforderte Beziehung gesetzt wurde. Oder es wird das Wissen 
von dem zusammengesetzten Sachverhältnis aktualisiert, daß der 
Gegenstand, welcher zum Reizwortgegenstand in der geforderten 
Beziehung steht, durch eine Beziehung zu einem bestimmten 
anderen Gegenstand, etwa die Zugehörigkeit zu einem bestimmten 
Wissensgebiete, gekennzeichnet ist*)- 
In der Regel ist mit dem zunächst aktualisierten abstrakteren 
Wissen das Wissen von dem Besitz eines entsprechenden kon- 
kreteren Wissens verbunden'). Solange das Wissen von einem 
der Gesamtaufgabe entsprechenden Wissensbesitz noch nicht 
aktualisiert ist, konkurriert die Tendenz zur Einleitung der Ope- 
ration der determinierten Wissensaktualisierung mit der Tendenz 
zur Anwendung anderer für die Lösung von Aufgaben der be- 
treffenden Art in Betracht kommender Lösungsmethoden. Die 
Aktualisierung des Wissens von einem der Angabe entsprechenden 
Wissensbesitz pflegt dagegen die ausschließliche determinierende 
Tendenz zur Wissensaktualisierung nach sich zu ziehen. Besonders 
deutlich tritt dies in den Fällen hervor, in denen durch die Aktuali- 
*) Siehe oben S. 70 ff., 144 f. 
*) In den froher angeführten Protokollen ist in zahlreichen F&Den das 
Bewußtsein von einem solchen Wissensbesitz ausdrücklich erwähnt VgL nament- 
lich Gl» S. 82, Bi»i S. 34, G%% S. 86, Aiss S. 89, hierher gehören auch die Falle, 
in denen die Geläufigkeit des dem abstrakten Wissen entsprechenden konkreten 
Wissens der Vp. mit zu Bewußtsein kommt, z. B. A«! S. 82. 
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192 Absdm, 2. Die Theorie der Wissensaktuaäsierung, 
sierung des Wissens von einem vorhandenen Wissensbesitz ein 
aktiver „Appell an das Gedächtnis'^ oder ein bewußtes „Suchen^ 
in der durch das abstrakte Wissen vorgezeichneten Richtung 
motiviert wird ^). Diese Fälle sind es auch, in welchen der CSha- 
rakter der determinierten Wissensaktualisierung als Ergänzung 
eines schematisch antizipierten Wissenskomplexes schon aus der 
unmittelbaren Selbstbeobachtung hervorgeht Denn das Bewußt- 
sein von dem abstrakten Sachverhältnis, das zum Motiv für den 
Appell an das Gredächtnis wird, stellt im Verhältnis zu dem Be- 
wußtsein von dem entsprechenden konkreteren Sachverhältnis ein 
schematisches Bewußtsein von einem Sachverhältnis dar, in dem 
das eine Sachverhaltsglied nur indirekt bestimmt ist Der „Appell 
an das (jedächtnis^, das „Suchen^, in der durch das abstrakte 
Wissen angezeigten Richtung ist daher nichts anderes als die be- 
wußte Determination zur Herbeiführung des direkten Bewußtseins 
von einem durch das schematische Bewußtsein von einem kon- 
kreten Sachverhältnis indirekt bestimmten Gegenstand mittels 
der Aktualisierung des in dem schematischen Sachverhaltsbewußt- 
sein antizipierten Wissens. 
Die Analyse der determinierten Wissensaktualisierung hat uns 
demnach zu der Feststellung geführt, daß die Aufgabeltfsung durch 
Wissensaktualisierung nicht auf einem konstellationsartigen Zu- 
sammenwirken vom Reizwort ausgehender Reproduktionstendenzen 
einerseits und von der Aufgabe, d. h. nach unserer Terminologie 
der Aufgabe im engeren Sinne, ausgehender determinierender 
Tendenzen andererseits beruht. Die Aufgabelösung durch Wissens- 
aktualisierung stellt vielmehr die Umsetzung der in dem einheit- 
lichen, der Gesamtau^abe entsprechenden Zielbewußtsein ent- 
haltenen indirekten Bestimmung eines inneren Geschehens durch 
ein Sachverhältnis in dieses Greschehen selbst dar. Diese Um- 
setzung aber erfolgt durch die allgemeine intellektuelle Operation 
der Wissensaktualisierung, die einen Spezialfall der Operation der 
determinierten Komplexergänzung bildet. Wie die Wirkung der 
Determination zur Komplexergänzung im allgemeinen, so ist auch 
die Wirkung der Determination zur Wissensaktualisierung, dundi 
welche die Aufgabelösung herbeigeführt wird, Ko mplex w irkung, 
*) Vgl. oben S. 85f., 40; femer S. 120 Anm. 8. 
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///. Die WisunmitaaMerung als Komplexergänzung. 19B 
msofem als bei ihr das der Ctosamtaulgabe entsprechende schema- 
tische Bewußtsein von einem Sachverh<nis als Ganzes zum 
AngriflGspunkt einer infolge der Determinierung eingeleiteten 
intellektuellen Operation wird^* Damit ist fttr den Fall der 
determinierten WissensaktuaUsierung überiiaupt und daher auch 
für den Fall der AulgabelOsung durch ^^Hssensaktualisierung die 
schon frtther vermutete Notwendigkeit der EIrsetzung der Eon- 
stellationstheorie durch eine Eomplextheorie erwiesen. 
*) VgL iibea S. 121 f. 
8«ls» Obtr At CkMtM dM ff«ordA«t«B DenkTtfUtote. 18 
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IM AhuHn. 3. Die QesamUutfgabe. 
Dritter Abschnitt. 
Die Gesamtaufgabe. 
§ 1. Der Bildungsprozeß der Gesamtaufgabe. 
Der Verlauf bei der AulgabelOsung durch Wissensaktualisierong 
und die Rolle, welche die Determination hierbei spielt, ist nun 
verständlich gemacht Eine Voraussetzung des ganzen Vorgangs 
ist, wie wir sahen, die Entstehung eines einheitlichen Zielbewußt- 
seins (oder eines ihm äquivalenten unbewußten psychophjrsischen 
Prozesses). Vor allem ist hierzu notwendig, daß das Bewußtsein 
von der Aufgabe im engeren Sinne und das Bewußtsein von dem 
durch das Reizwort bezeichneten G^egenstand nicht einfach neben- 
einander bestehen bleiben, sondern zum Bewußtsein von der Ge- 
samtau^abe im engeren Sinne vereinigt werden '). Daß eine solche 
Vereinigung stattfindet, läßt sich auch aus imseren Protokollen 
nachweisen'). Hierbei kommt der stattfindende kombinatorische 
Prozeß in verschiedener Weise zum Ausdruck. 
Beispiele: 
Ai Nebenordnung? — Jagd. — Rudern 12,8''. Ich las beide Worte nach- 
einander, Aufgabe und Reizwort verstanden. Ich erinnere mich, daß wir Ober 
den Sinn des Wortes Nebenordnung gesprochen haben. Ich bezog die 
Aufgabe auf das Reizwort in Erinnerung an die vorbeigegangene Be- 
sprechung. Dann richtete ich meine Aufineritsamkeit auf die Bedeutung des 
Wortes Jagd; was Jagd ist, das wußte ich [sc im allgemeinen] schon beim 
Verständnis des Reizwortes. Dann suchte ich zu Jagd einen Obergeordneten 
Begriff, um von da aus einen nebengeordneten zu finden. Ich suchte lange; 
dann fand ich schließlich den übergeordneten Begriff Sport . . . 
Schon bei diesem ersten Versuch, der mit Vp. A angestellt 
wurde, ist der Verlauf charakteristisch. Zunächst werden beim 
Vgl. oben S. 177 ff. 
") Die angeftlhrten Beispiele umfassen auch solche Falle, in welchen die 
Lösung der Aufgabe nicht dmt^ Wissensaktualisierung erfolgte. 
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/. Der Büdungsprozefi der Qesamtaufgabe. 195 
Lesen die Aui^;abe und das Reizwort jedes für sich in allgemeiner 
Weise verstanden; dann bringt sich die Vp. in Erinnerung an die 
Erläuterung der Aufgabe Nebenordnung den genaueren Sinn dieser 
Aulgabe zu Bewußtsein und bezieht diesem gemäß die Aufgabe 
auf das Reizwort Jagd, d. h. sie bildet das einheitliche Bewußt- 
sdn von der Gesamtaufgabe, daß zu Jagd ein Nebengeordnetes 
zu suchen seL Erst nachdem dieses geschehen, wendet sie sich 
der Bedeutung des Reizwortes näher zu. Den Gesichtspunkt für 
die Auffindung des Nebengeordneten sucht sie hierauf durch die 
Au&uchung des Übergeordneten zu gewinnen. Auch hier wieder- 
um wird nicht an die Stelle der Aufgabe Nebenordnung nun zu- 
nächst die abstrakte Aufgabe Überordnung gesetzt, während das 
Reizwort Jagd daneben für sich reproduzierend wirkte, sondern 
die Anwendung der LOsungsmethode, die Nebenordnung durch 
die Überordnung zu bestimmen, erfolgt durch die Bildung einer 
Gresamtunteraufgabe; denn die Vp. ist sich bewußt, daß sie das 
Übergeordnete „zu Jagd^ suchen müsse ^). 
Ähnlich berichtet Bss bei der Aufgabe: Ganzes? — Tanz. 
Kunst 8". Zuerst auftnerksam „GaDzes** gelesen, hierauf „Tanz**. Dann 
Beziehung zwischen beiden dunkel gesucht Dabei vennischte sich 
mir die Angabe Überordnung mit diesem ^Ganzen'' und es kam auch ein 
Miscfaprodukt zustande. Bei dem Worte Kunst war an Tanz als Teü einer 
kOnstlerischen Veranstaltung gedacht, aber als Nebengedanke auch an Kunst- 
Produkt als Gattungsbegriff zu Tanz. 
DaB die Vermischung der Angaben „Ganzes" und „Über- 
ordnung*^ durch die Beziehung der Aufgabe i. e. S. auf das Reiz- 
wort begünstigt wird, wird sich später bei der Besprechung der 
Anpassung der Angabe an das Reizwort zeigen. Die größere 
Schwierigkeit der Aufgabe Granzes beim Reizwort Tanz befördert 
die Verwechslung mit der leichteren Angabe Überordnung. 
^) Ähnlich Alt Nebenordnung? — Bahnsteig. — Geleise 6,6''. Las die 
beiden Worte hintereinander mit sofortigem Verständnis. Dann ging ich zu 
Nebenordnung zurück; dann wurde mir der Sinn der Aufgabe explicite klar. 
Ich versuchte die Aufgabe in bezug auf das Reizwort zu lösen. — Die 
Klärung der Aufgabe itlhrt auch hier zur bewußten Beziehung der Aufgabe 
auf das Reizwort. Erst nach der Herstellung dieser Beziehung 
tritt eine Vorstellung des Bahnsteigs auf. (Vgl in dieser Ifinsicht 
unten Bis S. 196, An S. 196, Dt« S. 197, Bt S. 199, Ai S. 201, D* S. 202, Gw 
S.206f., Est S. 282). 
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IW AlnOm, 3. Dk Oaamtaufgabe, 
Bi« Unterordnung? — Werkzeug. — HUtenitid 6^'. F. R Naditriglidi 
Zweifd, ob die Aufgabe richtig erfaßt Sofort wieder Blick auf die ob«« 
Zeile gerichtet und Verständnis der Aufjg^abe su Bewußtsein gebracht Dann 
schaute ich nach unten: ^Werkzeug*. Sofort Wiedererkennen [des Reizworts 
Yom vorhergehenden Versuch] und so etwas wie Vermutung eines Tricks. 
Dann Versuch einer Beziehung in dem Sinne, daß ich für Werk- 
zeug das Obergeordnete suchte, also Werkzeug in dem Sinne faßta^ 
Werkzeug als Untergeordnetes zu betrachten. Nun war das Suchen durch 
diese Richtung bestimmt Wiederum eine Leere; dann tauchte von 
selbst ^^Hilfsmittel* auf. Dann Versuch einer Verifikation, kurze Überlegung, 
ob das entsprediend ist, dann Reaktion. 
Wie in dem Beispiel Ai pflegt auch sonst die Bedeutung des 
Reizwortes, da diesem eine selbständige Bedeutung für den Ver- 
such nicht zukommt, erst nach dem Verständnis der Gesamtauf- 
gabe näher ins Auge gefaßt zu werden. Erst, nachdem die auszu- 
führende Tätigkeit bekannt ist, kann die Vp. wissen, unter welchem 
Gesichtspunkt sie sich zum Zweck der Au^;abelösung mit dem 
durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand zu befassen hat 
Btt Brücke — Teil? — Bogen 2,2"'. Das Obere, Brücke, war zunächst 
ganz indifferent, nur das Bedeutungsbewußtsein in allgemeinsten Umrissen. — 
Wie ich dann die Aufgabe Teil gesehen habe, stellte sicdi sofort ein volles 
VerotAndnis des Reizwortes ein, dabei optisdiesBüd Ton einer Brücke mit 
ein paar Bogen. Dann Richtung auf den Bogen, (^ er als Teü zu brauchen ' 
wAre. ... 
Die Bildung des Bewußtseins von der Gesamtau^;abe tritt 
hier nicht direkt hervor, macht sich aber indirekt bemerkbar 1) in 
negativer Hinsicht dadurch, daß vor dem Verständnis der Auf- 
gabe i. e. S., welches die Bildung der Gesamtau^;abe ermOgiieht, 
das isolierte Reizwort nahezu wirkungslos bleibt, S) in positiver 
Hinsicht dadurch, daß nach dem Verständnis der Aufgabe Teil 
sich sofort ein spezielleres, dem Charakter der am besten anschau- 
lich zu lösenden Gresamtaufgabe entsprechendes, von Vorstellungen 
begleitetes Bedeutungsbewußtsein von dem Reizwortgegenstand 
einstellt. 
Einen ganz ähnlichen Verlauf finden wir z. B. bei Ait: 
Spiegel — erst Teil, dann Ganzes? — Glas, Zimmer IS^'^ Ich las lang- 
sam hintereinander mit Verständnis, ohne bei einer Zeile lu verweilen. 
Ich kann mit Bestimmtheit angeben, daß das Wort Spiegel 
mich in keiner Weise zu einerReproduktion angeregt hat, be- 
vor ich die ganze Aufgabe gelesen hatte. Dann machte ich mir die 
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/. Der BUdtmgfpraxefi der Gesamtaufgabe. 197 
:■ r ■ SB3easEa^BS5sa=a - ■ "t i ,■ ."i i i , , ■ ■ u ' ' ■ ' i sss^^ssssa 
Aui^S^be klar*): Zuerst soll ein Teil gesucht werd^i zum Reizwort; dann ein 
Granzes, zu dem der gegebene Gegenstand ein Teil ist Hierauf machte ich 
mich erst an die Losung. Ich erweckte zum Zwecke der Lösung der 
Aufgabe ein Phantasiebild eines Spiegels, voriäufig ohne bestimmte Um- 
gebung. Es war, als ob er an einer Wand hinge, ohne daß ich den Hinter- 
grund deutlich sah. Ich konnte daran unterscheiden den rokokoartigen, goldenen 
Rahmen imd das glänzende Spiegelglas. [Die Umgebung wurde erst bei der 
Aufgabe Cranzes hinzuvorgestellt Hier sind der Angabe Teil gemäß die Teile 
des Spi^;els deutlich unterscheidbar, während die Umgebung imdeuthch ist ',] 
Die bloß vorläufige Kenntnisnahme von dem voranstehenden 
Reizwort vor dem Verständnis der Aufgabe äußert sich auch 
darin, daß nach dem Verständnis der Aufgabe i. e. S. ein Zu- 
rückgreifen auf das Reizwort stattfindet, welches nun als Aus- 
gangsgegenstand einer von ihm aus in bestimmter Richtung vor- 
zunehmenden Operation, z. B. einer Wissensaktualisierung fest- 
gehalten wird. Namentlich bei Vp. D wurde zeitweise ein solches 
Zurückgreifen zur Regel. Die enge Aufeinanderfolge solcher Fälle 
(in den Versuchen 47 — BO, 56, 60, 79) zeigt, daß es sich hierbei 
um eine zeitweise von der Vp. angewandte Methode handelt^). 
Wir führen ein paar Beispiele an: 
D4» Zeitung — Überordnung? — Schrift 8,8". Gelesen und so im all- 
gemeinen gewußt, was ich zu machen habe. Zustand der Sicherheit, ich weiß, 
was ich damit anzufangen habe. [Grund: die vorausgehenden Aufgaben.] 
Nochmals das erste beachtet, nochmals gelesen und innerlich gesprochen 
«Zdtung**. . . . 
Dit Pfand — Überordnung? — Sicherheit 6,8". Ich habe es gelesen. 
Dann Zustand der Sicherheit, das kann ich lösen. Nochmals Pfand be- 
tont und von der unbestimmten nicht n&her präzisierten Bedeutung aus- 
gegangen. Darin das Moment hervorgehoben, das ich nachher benannt 
habe, nämlich das Moment, wozu es dient. 
Dl« Stern — Überordnung? — Himmelskörper 8,8^^ Gelesen, dann wieder 
Zustand der Sicherheit, von neuem angefangen, Stern nochmals ausgesprochen. 
[Hierauf erst stellen sich Vorstellungen zum Reizwort ein.] 
In zwei Fällen kam bei D auch ein Zurückgreifen auf das 
Reizwort vor, obwohl in den betreffenden Versuchen die Aufgabe 
vorangestellt war. Da diese Fälle (Versuch 64 und 66) zwischen 
') Es wird hier das Ganze als Aufgabe bezeichnet 
Vgl. S. 196 Anm. 1, Bemerkungen zu Dt S. 205; Ait oben S. 2a 
*) Vielleicht ist die Methode durch die mehrmalige Wiederkehr derselben 
Aufgabe Überordnung in den Versuchen 46—50 angeregt worden. 
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196 Atidin, 3. Die Qe$amtaufgabe. 
den anderen, nämlich zwischen den Fällen der Versuche 60 und 79, 
liegen, so ergibt sich noch deutlicher, daß die nochmalige Kon- 
zentration auf das Reizwort eine zeitweise eingeschlagene Methode 
der Vp. darstellt 
Dm Definition? — Eigentum 15,6^. Gelesen, gedacht aha, das ist also 
eine Definition. Nochmals gelesen „Eigentimi**, dann eine Zeit einer bedeutungs- 
vollen Leere 0' Dann kam mir als erstes das Wort „Sache* im Geg^isatz 
zur Person. Damit war weiter gemeint, Eigentum kann nur eine Sache sein. 
Statt von einem Aufeinanderbeziehen von Aufgabe und Reiz- 
wort spricht Vp. B auch von einem „Zusammenfessen^ der beiden, 
um den bewußten Prozeß der Bildung der Gesamtau^abe zu be- 
zeichnen *). Das Ergebnis der Zusammenfassung wird von dieser 
Vp. als Verständnis der „Gresamtau^gabe*^ ^, der „vollen^ oder 
„ganzen Aufgabe" bezeichnet 
Bto Gedicht — Gberordnung? — Kunstwerk %^\ Zunächst wieder ein 
volles Verständnis für die volle Aufgabe. Dann wieder d^ intensiven 
Blick, die symbolische Fixation desjenigen, was man sucht; dann tauchte zu- 
nächst auf die flachtige Erinnerung an Kunst, Poesie oder so etwas. Das 
Wort Kunst, glaube ich, akustisch-motorisch. Dann der Gedanke, daß ich 
Gedidit nicht unter Kunst subsumieren kann, sondern nur unter ane Lastung 
der Kunst Dabei, wie ich sicher weiß, keine Worte und Vorstellungen; dann 
sagte ich Kunstwerk. 
Nicht an das Verständnis des Reizwortes oder an das Ver- 
ständnis der Aufgabe im engeren Sinne allein, oder an beide in 
ihrer Isolienmg zugleich, sondern an das Verständnis der Oesamt- 
au^;abe schließt sich hier das charakteristische Suchen an, das 
bei B häufig von einer symbolischen Fixation des Zieles, einer 
„Einstellung der Augen auf unendlich" ^) begleitet ist. Erst das 
Verständnis der vollen Aufgabe gibt eben die indirekte Bestimmung 
des gesuchten Gregenstandes, welche ein Suchen möglich macht 
Denken wir uns den Gredanken des gesuchten Übergeordneten 
*) Ganz ähnlich auch der andere Fall: Dm Definition? — Hypothek 11". 
Gelesen und gleich verstanden. Dann nochmals das Wort Hypothdc aus- 
gesprochen und dabei verweilt. Das Nachwirken des sinnlichen Klanges scheint 
dabei von Bedeutung zu sein. Man stellt es gewissermaßen vor sich hin und 
es wird dabei fester. 
*) B«i 8,6". Sofort beides zusammengefaßt und verstanden. 
") B«« 3,6". Sofortiges Verständnis der Gesamtaufgabe. 
Vgl. Bt> S. 210. 
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/. Der Bildung^rozeß der Gesamtaufgabe. 199 
zu Gredicht nicht scharf präzisiert, sondern etwa als den Gredanken 
an ein Größeres, Umfossenderetf, unter welches auch das (Gedicht 
ftlltO* Wir begreifen dann, daß die von einem solchen schematischen 
Zielbewußtsein ausgehende determinierte Wissensaktualisierung 
zunächst das ^em Schema entsprechende Wissen reproduzieren 
kann, daß ein solches Umfassenderes die Kunst oder enger ge- 
nommen die Poesie sei. Es wird statt des Übergeordneten die 
umfassende Sphäre reproduziert *). Indem jedoch die Vp. das 
Resultat klarer ausdenkt, erlangt dieses den Wert der Behauptung, 
daß das Gedicht eine Art der Kunst sei. Nach dem schon er- 
wähnten Gesetz der Berichtigung ") kommt ihr hierdurch aber zum 
Bewußtsein, daß das Gredicht nicht unter die Kunst selbst, sondern 
unter ihre Produkte zu subsumieren sei. 
Einen charakteristischen Verlauf derselben Art zeigt auch 
folgende LOsung: 
BiBiß— Ursache? — Hund. Bei Biß nur ein allg^neines Verständnis. Dann, 
sobald ich die Aufgabe gelesen hatte, ging das Suchen los. Ich hatte 
auch ein Bild etwa von einem Bein mit einer Wunde daran, sonst sah ich 
nichts; dann fiel mir »Hund** begrifflich ein mit dem Bewußtsein: Hunde beißen. 
Das Reizwort für sich allein lOst außer dem allgemeinen 
Verständnis wieder keine Wirkung aus. Sobald aber die Auf- 
gabe gelesen ist, beginnt das Suchen, auf das sich nun wie bei 
Bts sofort ein spezielles, von Vorstellimgen begleitetes Be- 
deutungsbewußtsein einstellt. Dieses stellt den Biss unter dem 
Gesichtspunkt eines Verursachten, einer Wunde (also nicht etwa 
den Vorgang des Beißens) dar, imd bereitet dadurch die Ak- 
tualisierung des Wissens von etwas vor, das derartige Bißwunden 
verursacht. Die Wissensaktualisienmg tritt im vorliegenden Fall 
dadurch besonders deutlich hervor, daß nicht das Wort „Himd^ 
allein ins Bewußtsein tritt, sondern das Wissen von dem ganzen 
Sachverhältnis, daß Hunde beißen^). 
*) Wir werden solche unpräzise Fassungen des Bewußtseins von der 
Gesamtaufgabe namentlich bei der Besprechung der Fehlreaktionen noch öfter 
kennen lernen. 
*) Eine interessante Parallele bietet bei Vp. G die anfängliche LOsung 
von ,»Stem — Überordnung?** mit Astronomie. 
*) Vgl. oben S. d2fr., 40fr. und unten § 6. 
•) Vom sofortigen Verständnis der „vollen Aufgabe** spricht B audi in 
den Versuchen 96 und HO. Btt, t« konstatieren das sofortige Verständnis der 
„ganz^ Aufgabe**. Ebenso Git si^e unten S. 204, Ft siehe unten S. 205. 
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900 AJb&dm. 3. Die onmiUmu/gßke. 
Erst das Verständiiis der Gtosamtau^abe gibt der Vp. die 
TolktMndige EenntiiiB der von ihr vorgunehmenden Tätigkeit Dem 
Bewußtsein von der Gesamtaiii^;abe gegenüber erscheint daher 
die Angabe im engeren Sinne als eui bloßes Blankett, dessen 
Ausfüllung auf Orund des Verständnisses des Reizwortes der Vp. 
überiassen bleibt Vp. B schildert gelegentlidi das Bewußtsebi 
V(m dieser Ergttnzungsbedürftigkeit und Unselbständigkeit, von 
der Blankettnatur der Au|g^dl>e im engeren Sinne. 
Bit Überordnung? — Klarinette. — Musikinstrument 2,4''. Sofortiges Ver- 
standnis. Es ist eigentOmlich, w^in die Auijs;abe Überordnung zuerst stdit, 
ist die Bewußtseinslage eine andere, als w^m sie an zweiter Stdle steht Es 
ist mir diesmal besonders au^s^aOen. Wenn das Reizwort vorang^t wie 
bei dem [unmittelbar vorangegangenoi] Versuch «Geweih — Überordnung?'', 
80 habe ich sofort etwas, womit ich mich beruhigen oder befriedigen kann, 
was sozusagen in sich selbst geschlossen ist; wenn ich dann [zur Auijs;abe] 
hinter gehe, so geschieht es nur, weil ich die Instruktion kenne *). Es ist etwas 
per se. Habe ich dagegen Überordnung zuerst, so kommt es mir vor wie ein 
leeres Qefäß, in das ich erst einen Inhalt hineintun muß. Es 
ist sozusagen nur eine Richtung, aber nichts für sich Be- 
stehendes. Es enthält gleich die Aufforderung, weiterzugehen. 
Durch die Aufgabe Überordnung wird der Vp. die Anweisung 
erteilt, in einer bestimmten, allen Aufgaben dieser Art gemein- 
samen Richtung fortzuschreiten, nämlich in der Richtung auf die 
höhere (Gattung. Solange aber nicht bekannt ist, von welchem 
Punkt aus der in dieser Richtung fortschreitende Prozeß statt- 
finden, von welchem Gegenstand aus ein Übergeordnetes gesucht 
werden soll, fehlt es an der konkreten Bestimmung der auszu- 
führenden Tätigkeit und damit an deren Ausführbarkeit Dies 
kommt der Vp. besonders hier deutlich zu Bewußtsein, weil un- 
mittelbar vorher die gleiche Angabe gestellt worden und dabei 
das Reizwort vorangegangen war. In solchen Fällen kann die 
Auffassung des Aufgabewortes Überordnung sofort zur Bildung 
der Gesamtaufgabe') führen, da der Gegenstand, an dem die Auf- 
gabe im engeren Sinne auszuführen ist, schon bekannt ist Auch 
in dem weiteren Fall, in dem die Blankettnatur der Aufgabe L e. S. 
^) Daß infolge der Instruktion auch das Reizwort trots seiner an sich 
bestehenden Selbständigkeit eine selbständige Wirkung nicht enthaltet, darüber 
sidie oben Bit S. 19a 
") V^ oben die Bonerkungen zu Bfs. 
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/. Der BiUtu^Mprouß der GesMUaufgabe. dOl 
beeonders hervortrat, war unmittelbar vorher dieselbe Au^abe, 
Überordnung aber mit Voranstellung des Reizwortes gegeben 
worden. 
Biit Überordnung? — Barometer. — Meteorologisches Instrument 8,6''. 
Überrascht über die Umstellung. Wieder die eigentümliche Leere, bezw. die 
bloße Formalität, die Richtung auf etwas, wodurch erst diese Aufgabe Sinn und 
Bedeutung gewflnne. 
Im folgenden sei eine Reihe von Fallen mitgeteilt, in welchen 
der kombinatorische Verbindungsprozeß der Bildung der Gesamt- 
aufgabe in seiner nach den Umständen variierenden Beschaffen- 
heit deutlich ziun Ausdruck kommt. 
At Jagd — Beschreibung! ll'^ Erst Jagd verstanden. Gar nicht 
dabei verweilt; dann ohne Zwischenpause die Aufgabe gelesen. Ich sagte 
mir, du sollst das, was dir hier gegeben ist, anschaulich vorstellen, so 
daß du es beschreiben kannst Dann wandte ich mich dem ersten 
Wort Jagd wieder zu und suchte mir eine visuelle Vorstellung 
einer Jagd zu bilden. 
Die Bildung der Gesamtaui^abe wird hier eingeleitet durch 
die Zurückbeziehung auf das voranstehende, noch nicht näher 
ins Auge gefaßte Reizwort. Es besteht nicht die determinierende 
Tendenz, eine Vorstellung zu erzeugen, einerseits und das Be- 
wußtsein vom Reizwort andererseits, sondern es besteht die ein- 
heitliche Determinierung, eine zum Reizwort Jagd gehörige Be- 
deutungsvorstellung zu erzeugen. 
Aio Teil? — Gemftlde. — Vordergrund 29". Ich las die beiden Worte 
sofort hintereinander mit dem Bewußtsein, daß das erste die Aufgabe und 
das zweite das Reizwort sei. Dann las ich es zum zweitenmal langsamer. Beim 
Worte Teil wußte ich, daß ich zu dem genannten Ganzen einen Teil 
zu suchen hätte. Dann begann ich die Aufgabe zu lösen mit dem Bewußtsein, 
das ist schwer. 
Auch hier wird die Gesamtaufgabe durch Zur ückbeziehung 
auf das soeben gegebene Reizwort gebildet. Die Tatsache, daß 
sich schon beim Beginn der LOsung ein Schwierigkeitsbewußtsein 
einstellt, ist, wie später noch ausführlicher zu besprechen sein 
wird, dadurch zu erklären, daß die determinierende Tendenz zu 
einer der Gesamtauf gäbe entsprechenden Wissensaktualisierung 
das Bewußtsein hervorruft, daß ein auf die LOsung bezü^ches 
Wissen nicht vorhanden sei. Während in den beiden angeführten 
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Ab^hn, 3, Die Gesamtaufgahe. 
Protokollen die Bildung der Gtosamtaufgabe in der Zurückbezd^ung 
auf das Reizwort zu Tage tritt, äußerte sie sich in anderen Fällen 
durch die Auffassung des Reizwortes als Ausgangsgegenstand 
einer von ihm ausgehenden Tätigkeit 
Ali Nebenordnung? — Werkzeug. — Spielzeug 20^'. Ich las sofort hinter- 
einander Aufgabe und Reizwort Die Aufgabe als bekannt hingenommen. Dann 
wandte ich mich nochmals zum Reizwort und las es audi nochmals. Ich 
machte mir klar, daß iah dazu einen ndsengeordneten Gegenstand zu sudi^ 
hätte. Daran schloß sich das Bewußtsein an, die Aufgabe [d. h. die Gesamt- 
aufgabe] sei schwer. Das geschah schon, ehe ich an die LOsung heranging. 
Das hinweisende ^dazu^ kennzeichnet vorzüglich den Vorgang 
der kombinatorischen Einstellung des Bewußtseins von dem das 
Reizwort bezeichnenden Gegenstand in das Sachverhaltsschema. 
Auch hier finden wir das Schwierigkeitsbewußtsein vor der In- 
angrifhahme der Lösung. Noch deutlicher tritt die Auffassung 
des durch das Reizwort bezeichneten Gegenstandes als Ausgangs- 
gegenstand der auszuführenden Tätigkeit im folgenden Protokoll 
hervor. 
Dt Jagd — Beschreibung! 9,8". Ich las die beiden Worte, konstatierte 
die Gleichheit des ersten mit dem im vorhergehenden Versuch dagewesenen. 
Darauf war ich auf den Begriffsinhalt [von Jagd] so bezogen, als ob ich 
ihn festhalten wollte, ich wußte, was ich damit zumachen hatte ^). Es 
tauchte [NB. erst jetzt] eine Vorstellung auf. 
Greht das Reizwort vorher, so kann das Bewußtsein von dem 
durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand auch einstweilen 
als Ausgangsgegenstand der noch unbekannten Tätigkeit fest- 
gehalten werden, um dann sofort mit dem Verständnis der Auf- 
gabe i. e. S. der Einstellung in das Aufgabenschema zu imterliegen. 
Git Pfand — Überordnung? — Mittel zur Sicherung 46,2". Ich las Pfand. 
Pause. Dabei erkannt, daß darunter Überordnung st^t; dann Überordnimg 
gelesen; wußte, was ich zu tun hatte. 
Das Festhalten des Reizwortes äußert sich hier wie bei dieser 
Vp. auch sonst häufig (vgl. unten S. 207 f.) in einer inhaltsvollen 
Pause. Da das Bewußtsein von dem durch das Reizwort bezeich- 
neten Gregenstand festgehalten worden ist, weiß die Vp. nadi 
') Vgl. öbea D4. S. 197. 
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/. Der Büdungsprozefi der Gesamtau fgabe, 208 
dem Verständnis der Au^abe L e. S. sofort, was sie zu machen, 
d. h. welche konkrete Tätigkeit sie zu entfalten hat. 
Das Bewußtsein der Bedeutung des Reizwortes als Ausgangs- 
gegenstand einer von ihm ausgehenden Tätigkeit äußert sich 
namentlich auch als Bewußtsein einer bestimmten Richtung des 
Fortschreitens von dem durch das Reizwort bezeichneten Gregen- 
stand aus. 
Bi Nebenordnung? — Jagd. — Kunst Beides als BeschäfUgung gedacht. 
Ich las zuerst die Aufgabe, deren Sinn ich verstand; dann das Wort Jagd; es 
löste keine VorsteUungen aus. Ich hatte nur ein volles Verständnis dessen, 
was das Wort bedeutet. Hierauf suchte ich gleich in der Richtung, 
welche mir durch die Aufgabe gegeben war. Etwas Unbestimmtes 
wie „Tätigkeit^ [übergeordneter Begriff!] schwebte mir dabei vor. Ich möchte 
nicht sagen, daß es ausdrücklich formuliert war, aber es lag so in der Rich- 
tung des Suchens. Dann kam mir nKunst**, und zwar mit dem Bewußtsein, 
daß sich beides auf eine höhere Gattung [etwa nTätigkeit**] beziehen ließe. 
Ich hatte dabei ein Wissen von einer mibesümmt höheren, nicht der zunächst 
gehörigen Gattung, der ich beides unterordnete. 
Worin das Suchen in der durch die Aui^abe gegebenen Rich- 
tung besteht, zeigt der folgende Verlauf. Die Vp. reproduziert 
nicht BeUebiges zu Jagd. Sie wendet vielmehr eiue, wie wir später 
sehen werden, auch sonst gebriluchliche Lösungsmethode für die 
Aufgabe Nebenordnung an, nämlich die Aufsuchung eines dem 
durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand mit anderen Gegen- 
ständen gemeinsamen Charakteristikums und weiterhin die Auf- 
suchung eines anderen Gegenstandes mit demselben Charakte- 
ristikum. Auf den speziellen Fall angewendet heißt dies, die 
Vp. bildet zimächst die Gesamtunteraui^abe, ein allgemeines 
Charakteristikum des Gegenstandes Jagd zu suchen, das ihm mit 
anderen Gegenständen gemeinsam ist. Die Gesamtunterau^abe 
führt durch Wissensaktualisierung zur Hervorhebung des all- 
gemeinen Charakteristikimis, daß die Jagd eine menschliche Be- 
tätigungsweise ist. Der ganze Vorgang tritt nur sehr wenig hervor, 
da sofort im fortschreitenden Vollzug der Gesamtoberaufgabe die 
weitere Gesamtunteraufgabe gebildet wird, einen anderen Gegen- 
stand zu suchen, der das betreffende allgemeine Charakteristikum 
mit der Jagd gemeinsam hat. Durch Wissensaktualisierung er- 
gibt sich als eine solche andere Betätigungsweise die Kunst, wo- 
durch zugleich mit der Lösung der Unteraufgabe die der Ober- 
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904 AJb&äm. S. Die QemmUutfgabe. 
aulgabe gegeben ist '). Auf ein eigentümliches Eilebms des Fort- 
schreitens in einer bestimmten Richtimg weist auch folgendes 
Protokoll hin, obwohl hier nicht ausdrttckUch von Richtung ge- 
sprochen wird. Die Richtung auf anschauhche Zusammenhänge 
wird hier plötzlich durch die Richtung auf begriffliche Zusammen- 
hänge abgelöst 
B« Gottesdienst — Teil? — Kommuiiion. Ich sah zuerst oben hin und 
las daB Wort Gottesdienst Ich stand noch imter der Perseveration der vorher- 
gehenden Aufjg^abe [Jagd — Beschreibung!]' Zuerst kam mir [infolge der 
Perseveration einer anschaulich su lösenden Aufgabe] das Bild einer Kirche 
mit Altar und Zubehör; dann sah ich nach imten und las TeiL Die neue 
Angabe führte, einmal gelesen, einen vollständigen Bruch mit dem 
Alten herbei; sie war wie ein Abschnitt Dann kam mir Kommunion, rein 
begrifflich [Ggs. zur Lösung unter B^mtzung von Vorstellungen]. 
Git Pfand — Gberordnung? — Verschuldung 2ißf\ Erst eins nach dem 
andern gelesen; dann suchte ich, was zu Pfand tkbergeordnet sein könnte. 
Diese Richtung des Suchens vollständig bewußt Es war schon die ganze 
Aufgabe wirksam. Ich hatte dann das Bewußtsein, daß es schwer sein 
werde und es wurde mir auch schwer. [Wir haben hier wieder das Schwierig- 
keitsbewußtsein bei Beginn der Lösung, welches die determinierende Tendenz 
zu dner der Gesamtaufgabe entsprechenden Wissensaktuahsierung verrät] 
Wie schon früher erwähnt, wurde in einer Reihe von Ver- 
suchsgruppen das ReizvfTort t)eibehalten, während die Aufgabe 
wechselte. Hierbei wurde in einigen Fällen an Stelle der yor- 
angegangenen Beziehung die entgegengesetzte gewählt. Während 
z. B. im ersten Versuch die Vp. von dem durch das Reizwort 
bezeichneten Gegenstand als Wirkung zu seiner Ursache auf- 
zusteigen hatte, mußte im folgenden Versuch derselbe Gegenstand 
IQ das Schema eines Kausalverhältnisses an der entgegengesetzten 
Stelle, also als Ursache eingesetzt und seine Wirkung gesucht 
werden. Der Gegensatz der Richtungen bei Gleichheit des Aus- 
gangsgegenstandes war naturgemäß besonders dazu geeignet, das 
Bewußtsein von der Gesamtaufgabe in der Gestalt hervortreten 
zu lassen, daß von dem Reizwortgegenstande aus in einer be- 
stimmten Richtung fortzuschreiten sei. 
Biß — Ursache? [Vorausgegangen war Wirkung? — Biß.] 
At Tollwut 7,4^'. Ich las die beiden Worte hintereinander. Ahnlidikeit 
im Reizwort und auch in der Au^g^abe wurde im Verständnis schon klar. Es 
*) Vgl. oben Bit S. 196. 
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/. Der BUdungsprozefi der Gesamtaufgabe. 205 
war auch schon darin, daß es die entgegengesetzte Rich- 
tung ist 
Dt ToUwut 5". Beides gdes^i. Erkannte sofort die Ähnlichkeit und 
Oberhaupt das ganze Verhältnis der Angaben [d. h. der Gesamtaufjg^aben], also 
auch die Verschiedenheit Diese drückte sich speziell aus durch eine Art 
Richtung, das eine nach vorne von mir, das andere zurück, „Wirkung** nach 
vom, „Ursache'' zurück, diese merkwürdigen optischen Richtungen, die so viel 
ausdrücken . . . 
Das optische Symbol bringt hier vorztig^ch zum Ausdruck, 
daß vorher von einem bestimmten Gegenstand auf die zeitlich vor- 
wärtsliegende Wirkimg zu gehen war, während jetzt von dem- 
selben Gegenstand aus auf die Ursache zurückzugehen ist. Der 
Reizwortgegenstand als identischer Ausgangspunkt beider Rich- 
tungen ist im Symbol durch den Körper der Vp. repräsentiert. 
Der Gegensatz der Richtungen macht sich auch bei der räum- 
lichen Entvncklung der an der LOsung beteiligten Vorstellungen 
deutlich bemerkbar. Im Versuch „Wirkung — Biß* hatte sich 
die Vorstellung einer menschlichen EOrperstelle, eines runden 
Stückes Fleisch eingestellt, „daran ein Himdekopf, wie wenn ein 
Hund da hineingebissen hat und die Zähne darin hält Von dem 
Hund war nichts weiter zu erkennen, als das charakteristisch da 
hineingesetzte Maul.^ Dasselbe Bild taucht auch bei der Auf- 
gabe „Biß — Ursache*' wieder auf, wird aber nun mit Rücksicht 
auf den geforderten Regreß auf die Ursache nach rückwärtshin 
erweitert. Wir geben die Fortsetzung des oben begonnenen 
Protokolls zu diesem Versuch: 
An diese Richtung schloß sich wieder das Bild von vorhin an, und zwar 
q>ezidl der Hund wurde da klarer. Zunächst tauchte wieder das ursprOng- 
fiche Bild auf und dann wuchs an den Kqpf ein Hundeleib daran . . . Auf den 
Hund war ich intensiv gerichtet, es drftngte sich das Wort Hund auf. Beiseite 
gelassai als zu trivial Ich ging dann in d^i Körper hinein in dem Gedanken» 
ich will die tieferliegende Ursache sagen und habe mir Tdlwut in den Körper 
hineingedacht . . . 
Bei Vp. B wurde die Au^;abe „Biß — Ursache** zuerst ge- 
geben. Hier gibt die Vp. bei der Aui^abe „Wirkung — Biß^ an: 
Ich war erst gestört durch die Erinnerung an dai Vorversuch und mußte 
mir erst klar machen, daß eine andere Richtung vorliege. 
Dieselbe Aui^abe bei F9 „der Hund^ 4^: 
Ich las beide Worte in einem, ich ging also über Biß gleich hin- 
weg. Ich sah das Ganze als eines an. Dann habe ich den Zusammen- 
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906 Ab9dm, 3. IHe Gesamtaafgabe. 
hang mit der vorigen Aui|;abe [das ist Ge8amtaid^;abe] aiil|sefaßt Ich wußte 
nur, es besteht ein Zusammenhang, ohne mich weiteriiin in die Art dieses 
Znsammenhangs jeu vertiefen, es war jedoch etwas vom Gegensatz der 
beiden Aufgaben [d. L der Gesamtau^abcn] da. 
Bii Gemftlde — (janzes? ~ (Valerie [vorausgegangen war Teil? — Ge- 
mfllde]. Wie ich Gemftlde sah, flüchtige Erinnerung, daß das Wort 
Gemftlde im früheren Versuch vorkam. Als ich die Aufgabe gdesen 
hatte, sofortiges Verstftndnis und sofortiges Bewußtsein, das ist eine 
andere Richtung. 
Ein besonderes Hervortreten des Prozesses der Bildung der 
Gesamtau^abe wurde auch dadurch herbeigeftthrty daß bei ge- 
wissen Au^aben Zweifel entstehen konnten, welche Stelle dem 
Reizwortgegenstand innerhalb des Au^abeschemas anzuweisen 
sei. Es sind dies die Aulgaben, bei welchen ein Sachverhaltsglied 
zu einem einseitigen, nicht umkehrbaren Sachverhältnis zu sudien 
war, wie die Angaben „Teil?^ bezw. „Ganzes^, ebenso „Über- 
ordnung^ bezw. „Unterordnung*^ ^). Wenn z. B. die Angabe Teil 
gegeben war, so war sich die Vp. zwar in der Regel klar, daß 
die Ermittelung eines Gliedes eines Sachverhältnisses zwischen 
Teil und Ganzen verlangt sei. Dagegen bestanden manchmal 
Zweifel über die dem Reizwortgegenstande im Schema eines solchen 
Sachverhältnisses anzuweisende Stelle. Nach der Instruktion war 
ein Gegenstand zu suchen, der ein Teil des Reizwortgegenstandes 
ist. Der Reizwortgegenstand war demgemäß als das Granze zu 
betrachten und an der entsprechenden Stelle in das Sachverhalts- 
schema einzusetzen. Die Vpn. zeigten aber statt dessen manch- 
mal die Tendenz, die Aufgabe so au&ufassen, daß anzugeben sei, 
wovon der Reizwortgegenstand ein Teil seL In diesem Fall war 
der Reizwortgegenstand als Teil zu betrachten und in dem Schema 
an die Stelle des Teils zu setzen. Es ergaben sich also Schwierig- 
keiten bei der Bildung der Gesamtaufgabe oder es entstanden Fehl- 
reaktionen infolge unrichtiger BUdung. Das veranlaßte die Vpn., 
die Verbindung von Aufgaben imd Reizwort mit besonderer Sorg- 
falt herzustellen, so daß die Bildung der Gesamtaufgabe stärker 
bemerkbar wurde. So fand Vp. C nach Vorausgang zweier Fehl- 
^) Bei nicht umkehrbaren Sachverhftltnissen bestehen immer solche ent- 
gegengesetzte Beziehimgen wie die des Teils zum Ganzen und die entgegen- 
gesetzte des Ganzen zum Teil. 
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/. Der BUdungsproxgß der Gesamtaufgabe. 2CIT 
reaktionenO eine schematische Formulierung, welche die Stelle 
des Reizwortgeg^istandes im Au%abenschema in einer für alle 
derartigen Aufgaben gültigen Weise bezeichnete und dadurch die 
richtige Einsetzung in das Schema bewirkte. Der Reizwortgegen- 
stand war nämlich stets derjenige Gegenstand, zu dem das in 
der Aulgabe allgemein bezeichnete Sachverhaltsglied, z. B. ein 
TeU, ein Übergeordnetes, die Ursache zu suchen war. Der Reiz- 
wortgegenstand war also nicht an Stelle des Teils, des Über- 
geordneten, der Ursache, sondern an der entgegengesetzten Stelle 
in das Au^abenschema einzusetzen. Demgemäß gebrauchte die 
Vp., wenn das Reizwort vorausging, nach dessen Lektüre die 
stereotype Redewendung: „dazu sollst du suchen", oder einen 
ähnlichen formelhaften Übergang, ehe sie sich der folgenden Auf- 
gabe zuwendete. Die Formel gewährleistete durdi die in ihr 
enthaltene Anweisung die richtige Bildung des Bewußtseios von 
der Gesamtaufgabe, daß zu dem betreffenden Reiz- 
wortgegenstand ein Teil, ein Übergeordnetes, die 
Ursache usw. zu suchen sei. Ging die Aufgabe voraus, so 
erreichte die Vp. den nämlichen Erfolg, indem sie nach den Auf- 
gaben Teil, Granzes usw. die Frage „wovon?" bezw. „wozu?** vor 
dem Lesen des Reizwortes einschob. Hierdurch erschien der 
folgende Reizwortgegenstand als der Gregenstand, von dem ein 
Teil anzugeben, bezw. zu dem ein Ganzes zu suchen sei. Die 
folgenden Protokolle sollen die Ausbildung dieser Hilfen für die 
richtige Bildung der Gesamtaufgabe veranschaulichen. 
la Teil? — Bahnsteig^ 7^\ Ich las Teil mit Fragezeichen. Dann machte 
ich Halt und steUte mir die Frage »Teil suchen! wovon?** und las dann 
Bahnsteig. 
22. Cranzes? — Kirchturm. — Kirche 6,2^^ Sagte mir, Ganzes soll 
ich suchen, wozu? Keine Wortvorstellung dabei, dann las ich Kirchturm. 
28. Kirchturm — 6 Teile? ca. 17'^ Ich las Kirchturm, dann kam der 
^) Auch diese lassen deutlich die Bildung der Gesamtau^abe erkennen, 
die hier durch fehlerhafte Einordnung in das Aufgabenschema erfolgt: 
Cs Gottesdienst — Teil? ReligionsObung 9", Ich las Gottesdienst; dann 
,,Teil** mit Beachtung des Fragezeichens und formulierte: „Gottesdienst soll Teil 
sein, wovon? und das wovon muß ich suchen.** 
Gl« Teil? — Gemälde. — Galerie 6". Ich las das Wort Teil; dann Ge- 
mälde. Dachte: Gemälde ist Teil wovon? Dann kam Gemäldegalerie ohne 
Vermittlung. 
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908 Ab9dm. 3. Die Qeamtaafgabe, 
Gedanke: was sollst du denn dasu suchen? Dann las ich S Teile 
und ttginzte ^»suchen!**. 
29. AbfEdui — voiher? — Einsteigen 7,6''. Ich las Abfohrt; dann hOiie 
ich gewohnheitsmäßig auf^. Dann Bewußtsein, daß ich dasu wieder 
etwas suchen müsse. Ich las dann „voriier^ Stutzen, wdl etwas ganz 
Neues. Dann Gedanke, daß ich zu Abfahrt etwas suchen mfisse, 
das vorhergeht. 
41. Mauer — Tdl oder Ganzes oder Neb^iordnung? — 24,6'^ Ich las 
zuerst Mauer; dann merkte ich erst, daß sehr viel da war. Oberraacfaung. 
Ich las nochmalsMauer; innerlich gesprochen „dazu soUstdu 
suchen . . ., dann „Teil oder . . .** 
42. Käfig — Ganzes oder Teil? — 11,4''. Gelesen. Wie immer bewußt 
eine Pause gemacht, den Sinn des Reizwortes nicht vergegen- 
wärtigt Zum Schluß der Pause gesprochen „dazu sollst du sudien . . .* 
Nun las ich Ganzes ... 
48. Zeitung — Überordnung? — 8,8". Zeitung gelesen. Lange Pause 
gemacht Sprach bei mir „dazu sollst du suchend Ich wollte 
mich vorOberraschungenhüten. Idi las dann Oberordnung. Spannm^. 
„Presse** optisch und gesprochen . . . 
66. Strafe — Zweck oder Wirkung? — SQhne 6". „Strafe**, Pause. 
Während der Pause schon erkannt, daß drei Worte folgen und ein oder dabei 
ist Ich sagte mir, dazu sollst du suchen . . ., dabei „suchen** deutlich akustisdi. 
Dann las ich „Zwedc oder ^rkung** . . • 
Sa Nagel — Überordnung? — Befbstigungsmittd 18,4". Gelesen „Nagel**. 
Dann kam der Gedanke, dazu sollst du suchen . • ., „suchen** dabei geschriebea 
gesdien, „such** in scharfer Eq[M>sition. 
60. Sttte — Tefl oder Ganzes? — Dreieck 12,4". Idi las Seite . . . diditet, 
dazu sollst du suchen, „suchen** geqHrocben und geschrid)«! gesehen, dann 
las ich „Teil oder . . .** 
61. Ursache? — Glatteis. — Frost 8". Ich las Ursadie, dann sonder- 
bares Erlebnis. Ich wollte nämlich gewohnheitsmäßig formulieren „dazu sollst 
du suchen . . .** Hatte es sogar schon bei mir gesprochen, dann der Gedanke, 
halt, das geht nicht Dann ging ich zu Glatteis. 
62 *). Wirkung? — Regen. — 8,2". Wirkung gelesen. Erkannte, daß jetzt 
die Aufgabe in umgekdirter Reihenfolge gestefit ist [nämUdi, wie schon bei 
21 das Aufgabewort vor dem Reizwort]. Ich dachte aber doch, daß ich etwas 
zu suchen hätte und sprach und sah geschrieben „such^**. [Vp. kann infolge 
der nicht mehr gewohnten Stellung der Aufgabe nicht sofort mit der Bildung 
der Gesamtaufgabe beginnen wie sonst]. Dann las ich „Regen**. Geg^Qber 
dem Ganzen formulierte ich nocnmals: „Du sollst suchen das, was 
Regen bewirkt** Nach einer kleinen Pause kam optisch ein ausgedehntes 
Vgl. oben S. 202 und die folgenden Protokolle. 
*) Einen Tag später gegeben wie 61. 
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/. Der BUdungsproxefi der Gesamtaufgabe, 209 
Etwas, was schwärzlich fisucht war, als sei ein Regen niedergegangen. Gfegen- 
über diesem Bilde formulierte ich d^ Gedanken »feucht werden^, „feucht*' 
dabei verschwommen gesehen und gesprochen . . . [Erst nach dem Verständnis 
der Gesamtauijs;abe tritt also nach dner kleinen Pause, innerhalb deren die 
Gesamtaul9g;abe wirksam zu denken ist, eine Vorstellung zum Reizwort auf, 
die schon ganz auf die Lösung zugeschnittai ist] 
64. Definition? — Eig^itum. [Vorletzter Versuch bei dieser Vp.] 10,4"'. 
Ich las Definition, repetierte mir zunächst die Instruktion dieser Au^s^abe. 
Dann gewohnheitsmäßig: „Definition sollst du suchen, wovon?**, „such*' ge- 
schridsen gesehen. 
Das gewöhnliche Verfahren von G ist dadurch ausgezeichnet, 
daß das an erster Stelle dargebotene Versuchswort, Reizwort oder 
Aufgabe, zunächst isoliert aufgefaßt imd dann meist nach einer 
Pause durch die Einschiebung einer stereotjrpen Formel die rich- 
tige Verbindung von Aufgabe und Reizwort zur Gresamtau^^abe 
im voraus gesichert wird. Andere Vpn. pflegen die beiden Worte 
hintereinander zu lesen und dann erst, indem sie sie nun auf- 
einander beziehen, eine gedankliche Verbindung zwischen ihnen 
herzustellen 0, die manchmal auch von einer sprachlichen Ver- 
knüpfung begleitet ist'). Am stärksten ausgeprägt ist dieses 
Verfahren bei A, auch hier mitveranlaßt durch das Bestreben der 
Vermeidung von Fehlreaktionen: 
11. Gemälde — Ganzes? — Galerie 6^^'. Ich las die beiden Worte hinter- 
einander mit Verständnis der Bedeutung. Beim zweitenmal verweilte ich 
länger, um mir die Aufgabe [d. i. Gesamtau%abe] klarzumachen. Ich formu- 
lierte die Aufjg^abe so: „Du sollst zu Gemälde ein Ganzes suchen, 
von dem Gemälde ein Teil ist** 
la Teil? — Bahnsteig — BQfett 27 ßf'. Ich las beides hintereinander mit 
Verständnis, dann suchte ich mir die Aufjg^abe, die ich von frOh^ her kannte, 
klarzumachen. [Das Klarmachen bezieht sich demnach auf die spezielle Gesamt- 
aufgabe, die natOrlich noch nicht bekannt ist]. Ich sollte also einen realen 
Bestandteil suchen, wozu Bahnsteig ein Ganzes bilden sollte. 
26. Ganzes? — Tanz. Siehe unten S. 247. 
2a Abfahrt — vorher? — Einsteigen 3,8". Als ich die Worte las und 
zwar mit allgemeinem Verständnis, kam mir die Aufgabe sehr fremd vor. 
Zuerst wußte ich nicht recht, was ich zu madiai hatte. Ich mußte es mir 
erst deutlich machen und dachte, ich müsse jedenfalls das angeben, was der 
Abfahrt vorhergehe. 
*) Gelegentlidi Andet sich dieses Verfiihren auch bei G. 
*) Die Vpn. sind nicht immer imstande, anzugeben, ob die Verknüpfung 
von Wortvorstellungen begleitet war. 
Sels, Ob«r dto (}«mim dat geordneten DenkrerUnte. 14 
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210 Aä$ihn. 3. Die Gesamtaufgabe. 
84. Schuld — Voraussetzimg? — G^dmangel Sß'\ Idi las die beiden 
Worte; die Aufgabe schien mir neu. Ich machte mir wieder klar, es sei 
etwas XU suchen, das eine Veranlassung dazu ist, daß eine 
Schuld entsteht 
87. Ganzes? — FlOgel — Vogel 5,4"'. Idi las hintereinander die beiden 
Worte mit allgemeinem Verständnis *). Dann betrachtete ich ipezidl die Auf- 
gabe. Ich war anfimgs etwas unsicher, weil ich einmal eine solche Auljg^abe 
falsch angefaßt hatte. Ich mußte mir ausdrOcküch BBg&ki ein Ganzes 
suchen zu dem FlOgel als Teil! 
5a Ursache? — Glatteis — Frost und Regen 8^. Ich las Reizwort 
und Angabe hintereinander mit Verständnis. Ich wußte, daß ich die 
Ursache des Glatteises angeben sollte. 
69. Operation — vorher? — Blinddarmentzündung 6,6''. Ich las hinter- 
einander Reizwort und Aufgabe und faßte die Aufgabe so auf, daß 
ich das angeben sollte, was der Operation vorhergeht. Das 
Wort „vorhergehen** war dabei da. 
In den angeführten Protokollen von Vp. A äußert sich das 
Bevnißtsein von der Gesamtaufgabe in einem wirklichen Auf- 
gabebewußtsein^ in einem Bewußtsein von dem, was geschehen 
soll, also in dem Bewußtsein einer von außen her an die Vp. 
herantretenden Anforderung. Im Gregensatz hierzu tritt bei Vp. B. 
das eigentliche Aufgabebewußtsein in der Regel weniger in den 
Vordergrund. Die Protokolle zeigen uns statt dessen meist so- 
gleich das durch das Verständnis der Gesamtaufgabe hervor- 
gerufene Zielbewußtsein, das Suchen oder Besinnen in 
der durch die Gesamtaufgabe bestimmten Richtung'). In diesem 
Zielbevnißtsein ist aber der darin aufgenommene Inhalt der Ge- 
samtaulgabe deutlich zu eikennen. 
Vp. B: 
52. Wirkung? — Regen — Feuchtigkeit 5,2". [Zunächst beim Anblick 
von Wirkung und Regen eine ganz allgemeine Beziehung anf den voraus- 
gehenden Versuch.] Dann ein rein gedankliches Oberlegen und Erwägen, 
was vom Regen ausgeht, was durch den Regen hervorgerufen wird. 
82. Acker — Ganzes? — Erde 8". Zunächst ein volles Verständnis des 
Bezugswortes und der Aufgabe. Dann ein intensives Fixieren, nicht eigent- 
hch des Blattes, sondern mehr als wenn ins Weite gestarrt würde, als wenn 
') Dieses auch schon in 11, 18 und 28 konstatierte allgemeine Verständnis 
ist offenbar nur ein Verständnis des Aufgabewortes, nicht der Angabe, auch 
nicht der Aufgabe i. e. S., wie die nachfolgende Unsicheibeit ei^t 
") Vgl hierOber oben S. 196 f., 206 ff. 
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/. Der BÜdungßprozeß der Gesamtaufgabe. 211 
die Augen auf unendlich eingestellt würden und in Verbindung 
damit ein Suchen nach dem, wovon der Acker ein Teil ist. 
Die Yp. gibt der Gesamtau^abe die umgekehrte Fassung, 
nämlich statt: das Ganze zu Acker zu suchen, dasjenige zu suchen, 
wovon der Acker ein Teil ist. Indem sie den Reizwortgegenstand 
als Aasgangsgegenstand der auszuführenden Tätigkeit betrachtet, 
ist es ihr natürlicher, statt des Sachverhältnisses des Ganzen zum 
Teil das lungekehrte, der anzuschlagenden Richtung besser ent- 
sprechende Sachverhältnis des Teils zimi Granzen zu nehmen^). 
88a. Sprache — Überordnung? — Ausdrucksbewegung 6,4". Verständnis 
und Einstellung darauf, etwas zu suchen, was der Sprache über- 
geordnet sei. 
112. Gewürz — Überordnung? — Beisatz zur Speise 5,2". Ich habe zu- 
nächst ein volles Verständnis ftlr die Au^^abe gehabt und mich dann sofort 
eingestellt auf eine Gattung, unter die ich Gewürz subsumieren 
könnte. 
In einigen Fällen nimmt bei B das Zielbewußtsein die Form 
der Frage an. Der Fragecharakter kann hierbei deutlich ge- 
geben sein, ohne daß eine sprachliche Formulierung zu erfolgen 
brauchte •). Die Frage wird namentiich auch verwendet, um eine 
voihandene Unklarheit über die Gresamtaufgabe zu beseitigen. 
Als eine den Vpn. besonders geläufige, kurze und präzise Ziel- 
bestimmung ist die durch die Frage herbeigeführte Verknüpfung 
von Aufgabe und Reizwort hierzu in hervorragender Weise ge- 
eignet. Sowohl dem bei sprachlicher Formulierung durch das 
Fragewort bezeichneten gesuchten Gegenstand als dem bekannten 
Gegenstand wird nämlich durch die Frage sein Platz in dem Sach- 
verhältnis, dessen eines Glied gesucht werden soll, genau an- 
gewiesen und damit die auszufüllende Stelle des Sachverhalts- 
s<diemas in unzweideutiger Weise gekennzeichnet. 
4a Nagel — Überordnung? — Gerät 6,2^. Zunächst den Eindruck, 
als passe das gar nicht zusammen. [Die Vp. sucht also die Ver- 
bindung von Aufgabe und Reizwort herzustellen, wobei sie den 
Ebenso Bi» S. 212. Ähnliche Bestrebungen einer bequemen Fassung 
der Aufj^abe durch Verwendung des entgegengesetzten Sachveriiältnisses siehe 
oben S. 209 f. An, n, ••, si. 
*) Dieselbe Erscheinung findet sich auch bei anderen Vpn. Siehe oben 
Cflt S. 207 und später im folgenden. 
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2iS Ab$ehn, 3. Die Qesamiaufgabe. 
Efaidrack der UngewOhnlichkeit erfaftÜ] Es kam auch eine Anzahl von Ge- 
danken an eingeschlagene Nägel, Nftgel im Werkzeugkasten, letztere andeutungs- 
weise auch anschaulich vorhanden. Eine gewisse aufgerOhrte Mannigfaltigkeit, 
dem dann ein quos ego! folgte auf Grund der Einsicht in die Oberordnung. 
Damit zugleich gesagt, daß das alles mehr zu der froheren Aufgabe „Teil 
oder Ganzes?*" gehöre. Nun ins Auge gefaßt die Überordnung für d^i 
Nagel, 80, als wenn ich die Frage aufwflrfe: Was ist dem Nagel über- 
geordnet? 
40. Nagel — Zweck? — Festigung 8^6''. Wie ich hier herunterging, so- 
fort das Verständnis für die neue Aufgabe und dabei so einen Gedanken, 
wie ich ihn in die Worte kleiden kannte: Wozu dient nun der 
Nagel? 
Wie in 48 dient auch in den beiden folgenden Protokollen 
die Frage der Sammlung und Klärung. 
126. Ganzes? — Docht — Lampe 9,4". Hier zunächst nicht das volle 
Verständnis, was eigentlich gemdnt war, ich glaube infolge der voiiieigehenden 
Angabe Überordnung. Merkwürdig, wie leicht nOberordnung" und „Ganzes* 
miteinander interferieren. Ich hatte entschieden eine Neigung, im Sinne der 
Überordnung zu verfahren. [Wird beschrieben] . . . Dann machte ich Schhiß 
mit alledem, indem ich mir sagte, es ist etwas ganz anderes gemeint 
KGanzes** noch einmal gesprochen. Dann fing ich noch einmal von 
vorne an. Fragte in Wortfragmenten: „Wozu gehM der Docht, wovon ist 
er Bestandteil ?*" 
80. Abfahrt — vorher — Ankunft 6,4". Hier war ich zunächst etwas 
verwirrt und überrascht über die mir durch die Instruktion nicht be- 
kannte Aufgabe. Dann habe ich sofort den Gedanken des Zeitveriiältnisses 
gdiabt und die Frage: „Was geht der Abfahrt vorher ?** Da kam mir sofort 
der Gedanke an Ankunft [Wissensaktualisierung!] ^). 
Statt der Frage finden wir bei Schwierigkeit des Aufgabe- 
verständnisses gelegentlich auch bei B ein eigentUches Au^;abe- 
bewußtsein, wie es uns bei A entgegentrat 
') Vg^. denselben Veriauf bei diesem Versuch oben C*% S. 206 und Ate S. 209, 
bei denen ebenfalls die Bildung des Bewußtseins von der Gesamtaufgabe infolge 
der Schwierigkeit besonders hervortritt Alle drei Vpn. versuchen die Schwierig- 
keit nicht dadurch zu klären, daß sie die Aufgabe für sich aUein betrachtoi, 
sondern dadurch, daß sie Aufgabewort und Reizwort aufeinander beziehen 
und zum Bewußtsein von einer Gesamtaufgabe zu verknüpfen suchen. Eboiso 
H*fl« (4^0) cici' sich wie B der Form der Frage bedient Der VerknC^füngs- 
versuch hat hier zuerst eine falsche Auffassung der Aufgabe zur Folge: Ich 
habe die Aufgabe nicht gleich verstanden, sondern formulierte in Worten: «Ist 
die Abfahrt vorher ?** Erkannte, daß dies eine falsche Auffassung sei, und 
sagte: „Was geht der Abfahrt vorher ?** 
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/. Der Büdungsprozefi der Gesamtaufgabe, 2ifr 
81. Teil? — Nadel — Öhr 4,8". Zweifel, soll es ein Teil der Nadel sein 
oder umgekehrt? 
Bei Yp. D kam 68 trotz gelegentlicher Tendenz zu einem 
ialschen Aufgabeverständnis niemals zu einer Fehlreaktion. Dem- 
entsprechend pflegt hier auch die Bildung des Bewußtseins von der 
Gtesamtau^abe nicht so direkt hervorzutreten. Daß aber auch bei ihm 
der Prozeß der Verknüpfung von Aufgabe und Reizwort stattfand, 
beweisen die früher angeführten Protokolle. Bei Yp. E bezeugt 
namentlich ein mit dem Charakter der Frage auftretendes Ziel- 
bewußtsein in einigen Fällen die Zusammenfassimg von Reizwort 
und Aufgabe. Wie bei B ist die Frage wiederholt nicht in Worten 
formuliert. Ygl. z. B. unten Eio S. 214. Yp. F bedient sich zur 
Klärung der Gesamtaufgabe und zur Verstärkung ihrer Wirksam- 
keit stets der Frage 0* 
Beispiele: 
16. Unterordnung? — Werkzeug. — Hammer 6,6'^ [Vorhergegangen war 
Nebenordnung? — Werkzeug.] Ich habe das Ganze gelesen und gesehen, daß 
es dieselbe Aufgabe [das ist Gesamtaufgabe] in entgegengesetzter (?) Richtung 
ist; so habe ich mir diese Richtung verdeutlicht dadurch, daß ich mir die 
Frage gestellt habe: ^ Welche Arten von Werkzeugen gibt es?** 
31. Bühne — erst Ganzes, dann Überordnung, dann Teil? — 29,8^'. . . . 
Die zweite Aufgabe war schwieriger; nichts stellte sich direkt ein, ich mußte 
fhigen: „Gibt es eine Art von Gegenständen, welche die Bühne 
in sich einschließen?** 
86. Schuld — Voraussetzung? — Leihen 6,8^'. Ich habe die Aufgabe ge- 
lesen und mich gefragt: „Unter welcher Bedingung tritt eine 
Schuld ein?** 
Die Verknttpfung von Aufgabe und Reizwort tritt hier nidit 
nur in der Verbindung beider in der Frage zu Tage, sondern 
äußert sidi zugleich darin, daß die Au%abe eine spezielle Inter- 
pretation erfährt, die auf den konkreten Fall der Schuld zuge^ 
schnitten ist. Das Wort Voraussetzung wird als gleichbedeutend 
mit „Bedingung der Entstehung^ angefaßt Eine ähnliche Aus- 
legung fanden wir übrigens auch schon bei Asi S. 210. Der 
Prozeß der Auf einanderbeziehung, der diese Anpassung des Sinnes 
') Trotzdem die Vp. die Fragen mit Bestimmtheit konstatiert, gdang es 
ihr auf Frage des Versuchsleiters nicht, anzugeben, ob sie in Worten formuliert 
gewesen seien. 
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dl4 Abadui. 3. Die Öesamiaufgabe. 
der Aulgabe an den Reizwortgegenstand herbeiführt, tritt bei 
den bisher genannten Vpn. nicht aelbst hervor; wir können ihn 
aber bei einer anderen Yp. direkt feststellen: 
Gl. Versuchung Sf*. Erst las ich die beiden Worte g^ch hintereinander 
und fragte in Worten: «Was heißt Voraussetxungder Schuld?* Diese 
Frage kam ganz von selbst Es folgte eine kurze Periode der Überlegung; 
darauf wurde es mir klar, ohne daß ich sagen kann, wie. Ich kann auch 
nicht eigentlich angeben, was. Zum Teil war etwas von einem anschaulichen 
Erlebnis vorhanden, insofern als ich die Voraussetzung der 
Schuld auf dem Blatt irgendwie schräg links nach oben suchte. 
Das durch den Sinn der Gresamtau^;abe geforderte Zurück- 
gehen auf die Entstehungsbedingungen der Schuld ist hier durdi 
ein tthnliches Symbol charakterisiert wie früher das Zurückgehen 
auf die Ursache bei Vp. D*). Wie dort enthält das Symbol nicht 
nur die allgemeine Richtung, welche durch die Aufgabe i. e. S. 
vorgeschrieben ist, sondern auch eine Beziehung zu dem Ausgangs- 
gegenständ, von dem aus diese Richtung eingeschlagen werden 
soll. Dadurch, daß die zu suchende Voraussetzung symbolisch 
über dem Reizwort gedacht wird, wird ausgedrückt, daß das 
Zurückgehen vom Reizwortgegenstande aus stattzufinden 
hat Das Symbol zeigt demgemäß auch hier das Zustandekommen 
des Bewußtseins von der Gesamtaufgabe an^. 
Eine noch einschneidendere spezielle Interpretation der Auf- 
gabe auf Grund der Herstellung der Beziehung zwischen ihr und 
dem Reizwort als bei F finden wir in demselben Yersudi bei 
Vp. E40 (6,8"): „Ich habe die Aufgabe sofort verstanden und es 
war so, als ob ich eine Frage gestellt hätte: Was muß einer 
getan haben, damit er eine Schuld auf sich lädt?^ — Die 
Aufgabe i. e. S. hat ihren allgemeinen Sinn hier g^Uizlich eioge- 
büßt und jede selbständige Bedeutung innerhalb der 
Gesamtaufgabe verloren. 
Wie bei B kommt es auch bei G zum besonderen Hervor- 
treten eines eigentlichen Aufgabebewußtseins nur, wenn das Ver- 
ständnis der Aufgabe im speziellen Fall besondere Schwierigkeiten 
bietet. Diese zwingen die Vp., sich klarzumachen, wie die Auf- 
') Wir werden diese Erscheinung noch ausführlich zu erOrtem hab«L 
Siehe oben D% S. 206. 
■) Weiteres über solche Symbole bei G siehe unten S. 216 ff. 
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/. Der Bikümgßprozefi der Qesamtaufgabe. 216 
gäbe gemeint Bei, worin der Inhalt der an sie gestellt^i Anforde- 
rung bestehe. 
Beispiele: 
26. Ursache? — Glatteis. — Frost 8^'. Befremden darüber, daß die 
Au^pbe oben stand. Dann aber die Überzeugung, daß trotzdem die Sache so 
gemeint so, daß zu GUdteis die Ursache gesucht werden soll. 
20. Strafe — Zweck oder Wiriomg? — Besserung 16''. Diesmal verstand 
ich beim erstmaligen Lesen nicht, was ich sollte. Las daher sofort noch ein- 
mal und sp&ter wiederholt die Angabe „Zweck oder Wirkimg**, und zwar in 
deutlich ausgq)rSgten Worten. Mußte mir erst klarmachen, daß Zweck oder 
Wirkung der Strafe gemeint sei . . . 
da Si^ie unten S. 216. 
Wenn sich das Au^abeverständnis ohne weiteres einstellt, 
so tritt der Inhalt der Gesamtaufgabe, wenn überhaupt, wie bei B 
erst in dem das Suchen nach einer LOsung einleitenden Zielbe- 
wufitsein mehr hervor. 
9. See — Ganzes? — Landschaft 6,4''. Ich habe beides nacheinander 
gelesen. Dann suchte ich, in welches zusammenhGrige Ganze ein 
See gehören kann. Das Suchen, auch das Ziel des Suchens war mir 
bewußt 
18. Pftirrer — Nä)enordnung? — Arzt 3,4". Nachdem ich die Sache ge- 
lesen und beim Lesen verstanden habe, suchte ich nach dem, was einem 
P6irrer nebengeordnet wäre und es schwebte mir dabei der Begriff Beruf vor. 
Durch diese Vermittdung kam ich dann auf den Begriff Arzt, überzeugte mich, 
daB das richtig geantwortet sei, und reagierte damit. 
Es wurde hier der ganze Verlauf des Versuchs mitgeteilt, 
lun zu zeigen, daß dieser in der Tat einem Zielbewußtsein ent- 
spricht, das den Inhalt der Gesamtaufgabe in sich au^nommen 
hat. Das Verfahren der Vp. ist im wesentlichen das Gleiche, 
wie das bei Bi (S. 203) besprochene: 1) Bildung der Gtesamtunter- 
aufgäbe, ein dem Reizwortgegenstand mit anderen Gegenständen 
gemeinsames allgemeines Charakteristikum zu suchen, demgemäß 
Hervorhebung des allgemeinen Merkmals, daß es sich um einen Beruf 
handelt, 2) im stetigen Anschluß daran, Bildung der weiteren Gte- 
samtunteraufgabe, einen anderen Gegenstand zu suchen, welcher 
das gefundene allgemeine Charakteristikum mit dem Pfarrer ge- 
meinsam hat Wahrscheinlich besteht hierbei auch noch die latente 
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816 i4Mkff. 3. DU Q^aamtmrfgähe. 
Tendenz, eine verwandte Art der beruflichen Betätigung heraus^ 
zugreifen. 
18. Siehe oben S. 204. 
Auch G verwendet zur Klärung von Verständnisschwierig- 
keiten die Frage: 
88. Eroberung — nachher? — Unterdrückung 8^. Nac^ dem Lesen der 
Aufgabe Oberiegte ich, daß wohl gondnt sei: „Was ist nach der Eroberung?* 
Die Worte waren vorhanden mit der Bedeutung, daß der Sinn der Aufig;abe 
darin ausgedrückt werden soll. 
Ebenso werden im Versuch 27 Verständnisschwierigkeiten 
festgestellt, auf die eine Frage folgt. Die Frage tritt jedoch 
auch auf, ohne daß besondere Gründe hierfür aus dem Protokoll 
erkennbar sind. 
Das Bewußtsein von der Gesamtausgabe äußert sich bei G 
hodi in einer Form, die bei anderen Vpn. nur selten eindeutig 
in Erscheinung tritt, nämlich in der Form des Symbols'). Die 
Symbolisierung der Gesamtau^abe, eine Voraussetzimg der Schuld 
anzugeben, durch die Lokalisierung der zu suchenden Lösung 
oberhalb des Reizwortes ist schon besprochen worden'). Dasselbe 
Symbol findet sich nun auch wiederholt angewendet, imi b^ der 
Angabe Überordnung auszudrücken, daß das betreffende Reiz- 
wort den Ausgangsgiegenstand für die Auisuchung eines über- 
geordneten Begriffs zu bilden habe. 
U. Stern — Oberordnung? — WdtkOrper 4,4^'. Zuerst die Aui)9^abe ge- 
lesen, ziemlich schnell nach dem Erfassen der Aufgabe, wobei 
konstatiert wurde, daß es wieder dieselbe war, sofort wieder Zurück- 
wendung zum Reizwort, und nun scheint es mir so, als ob ich ver- 
anlaßt durch das Wort Überordnung die Lösung irgendwie oberhalb des 
Reizwortes suchte. Ich stellte mir die Frage: „Was ist Obergeordnet Ober 
Stern?"... 
*) Vgl. oben S. 215, Gt. Auch H«t» wird hierher gerechnet werden dürfen: 
Ganzes? — Tanz — Lebensfreude 4,2". Ich las beides, hatte die anschau- 
liche Vorstellung einer tanzenden Gesellschaft Dann verstand ich Ganzes, 
hatte einen Moment die Tendenz, einen Teil zu nennen. Dann fiel mir wieder 
ein „Ganzes!**. Nun hatte ich so eine imbestimmte anschauliche Vorstellung, 
als ob ich von dem Tanz aus weit in die Feme geschweift wäre, um viel 
zu erfassen. Es war ein räumliches in die Feme Gehen. Es fiel mir nun 
Lebensfreude ein mit dem Bewußtsein, ein ziemlich Weites genommen zu 
haben. — Ich hatte die Tendenz, etwas zu suchen, von dem Tanz ein Teil 
ist, ich halte mein in die Feme Gehen für etwas Sj^robolisches, ein Schema. 
*) Sidie oben S. 214. 
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/. Der BUdungsprozeß der Gesamtaufgabe. 217 
68. Tiger — Oberordnung? — Raubtier 2,6''. Die Überordnung suchte 
ich nun wieder irgendwie räumlich über dem Wort Tiger. Zugleich war mir 
auch unabhängig davon der Sinn der Angabe klar, denn ich suchte nach einem 
Übergeordneten Begriff. 
Ähnlich 69: Wieder das räumliche Sj^robol, daß irgendwo Ober ,, Gedicht*', 
aber nicht auf dem Papier, sondern etwas höher die Lösung gesucht wurde. 
Das Symbol ist zwar nicht der alleinige Repräsentant des 
Verständnisses der Gesamtau^abe im Bewußtsein. Das ergibt 
sich sowohl aus den eigenen Angaben der Vp. (oben Nr. 63) als 
daraus, daß genau das gleiche Symbol bei der Au%abe ^Voraus- 
setzung?^ (S. 214X vorkam. Wohl aber bedeutet das Symbol eine 
Unterstützung des Bewußtseins der vom Reizwort aus ein- 
zuschlagenden Richtung. Durch die LokaUsierung über dem Reiz- 
wort gibt es wenigstens in analoger Weise das Sachverhältnis 
wieder, in dem der gesuchte Gegenstand zimi Reizwortgegenstand 
zu steh^i hat und bezeichnet die durch die Lösung auszufüllende 
Stelle in dem im fflelbewußtsein enthaltenen Sachverhaltsschema. 
Dem entspricht es vorzüglich, daß die LOsimg manchmal geradezu 
als Ausfüllung der leeren Stelle des räumUchen Symbols erscheint, 
welches freilich nur in einem Fall vorher bemerkt wurde. 
la Pfand — Überordnung? — Verschuldung 21,2". . . Jetzt nachträglich 
in der Erinnerung konunt es mir so vor, als ob die Worte oder der Begriff 
Schuld oder Verschuldung links auf dem Zettel über das Wort Pfand lokalisiert 
wurden. 
14. (Den Anfang des Protokolls siehe oben S. 2ia) . . . Darauf fiel mir 
[als erste später verworfene Losung] der Himmel ein, der durch einen schwarzai 
Fleck mit einem leichten weißen Punkt oder einigen solchen symbolisiert war. 
Auch die Wortvorstellung war undeutlich vorhanden. Wenn ich mich 
recht erinnere, so lag dieser schwarze Fleck räumlich in der 
Richtung auf diesen Fleck des Papiers, wo ich die Lösung 
suchte. 
99. MOrtel — Überordnung? — Baumaterial 8,4''. . . Dabei befand sich die 
Lösung irgendwie durch ein vages, räumliches Symbol tlber dem Wort Mörtd, 
als das Wort sich einstellte, und zwar schwebend über dem Blatt. 
Noch deutlicher wird das im Bewußtsein von der Gesamt- 
aufgabe enthaltene Sachverhaltsschema und dessen Ausfüllung 
durch die Lösung im folgenden Versuch gekennzeichnet. 
66. Stahl — Nebenordnung? -~ Messing 11,4''. Nachdem ich das Wort 
und die Aufgabe gelesen hatte, symbolisierte sich die Aufgabe durch einen 
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818 AHdm. 3. DU Qe9Mmttutf§abe. 
leeren Fleck neben «Stahl^ an den sich dann alles weitere 
orientierte. . . . 
Vp. H stellt die Verbindung zwischen Aufgabe und Reizwort 
öfter durch eine formulierte Frage her, wobei es wiederholt zu 
falschen Verknüpfungen kommt, die dann nachträglich berichtigt 
werden *). Besonderes Interesse beansprucht die bei H gelegent- 
lich vorkommende Blankettf ormulierung des Inhalts der Ge- 
samtaufgabe in dem die Liösung einleitenden Zielbewußtsein. 
24«. Ganzes? ~ Gruft — 6,8". Dachte an eine Familiengruft, das Wort 
da und die Vorstellung einer solchen Gruft. Dann Oberlegte ich mir: «Dieses 
ist ein Teil von . . .?**, akustisch. Dann hatte ich die anschauliche Vor- 
stelhmg eines Kirchhofe und nun suchte ich nach dem Worte Kirchhof^ das 
ich nidit fand. 
Das im Zielbewußtsein enthaltene schematische Bewußtsein 
von einem Sachverhttltnis, das durch Erg^lnzung des fehlenden 
Sachverhaltsgliedes auszufüllen ist, kommt hier in der sprachlichen 
Formulierung deutlich zum Ausdruck. Daß die Formulierung des 
ZSels im unvollendeten Satz nicht etwa bloß der Erweckung 
sprachlicher Assoziationen dient, zeigt der Verlauf: Die Vor- 
stellung des gesuchten (Gegenstandes stellt sich sofort ein, wahrend 
die Versuchsperson innerhalb des Versuches seine Bezeichnung 
überhaupt nicht finden kann. Ebenso wie das optische Schema 
bei G erleichtert vielmehr auch diese schematische sprachliche 
Formulierung vor allem die Klärung und zweckmäßige Fassung 
des Zielbewußtseins durch die in der Sprache gelegenen präzisen 
Anweisimgen für den Gedankenvollzug; z. B. liegt hier eine zweck- 
mäßigere Fassung des Zielbewußtseins auch in der umgekehrten 
Formulierung der Aufgabe, welche der Betrachtung des Reizwort- 
gegenstandes als Ausgangsgegenstand der auszuführenden Tätig- 
keit besser entspricht "). 
Hierher gehört auch folgender Versuch mit einer unrichtigen 
Blankettformulierung*). 
49«. Kranz ~ Ganzes? — Blumengeschäft 5,4''. Tendenz möglichst 
schndl und sinngemäß, akustisch: „Der Kranz ist ein . . .?** Erkenntnis, daß 
Vgl oben S. 212 Anm. 1. 
*) Siehe oben S. 211 und Amn. 1. Dieselbe Umkdmmg findet sich auch 
bei H44: See — Ganzes? — Meer 2,2^'. Verstand die Au%ahe und fragte: 
„Zu See ein Ganzes! Wovon ist der See ein TeU?*" Alles akustisch. 
*) Es waren vier Versuche mit der Au^g^abe Überordnung vorausgegangen. 
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/. Der BüdangsproMefi der Geeamiaufgabe. 219 
— — — 
eine sdche FormuHenuig mm übergeordneten Begriff fOhren würde, rein ge- 
danklich ohne Anschauungen und Worte . . . 
Zusammenfassung: Der Prozeß der Bildimg der (Gesamt- 
au^abe ließ sich teils umnittelbar, teils mittelbar aus den Selbst- 
beobachtungen der Vpn. nachweisen. Die unmittelbare Beschrei- 
bung gibt teils eine allgemeine Charakteristik des Prozesses bezw. 
seines Ergebnisses. Die Vpn. berichten z. B. von einem Auf- 
einandeii)eziehen oder von einem Zusammenfassen von Aufgabe 
und Reizwort, von einem Verständnis der ,,(}esamtaufgabe'', der 
„vollen** oder „ganzen Aufgabe**. Teils wird der spezielle 
Bildungsprozeß bezw. das sich aus ihm ergebende Bewußtsein 
von der Gesamtaufgabe beschrieben. Mittelbar ließ sich die Bildung 
der G^esamtau^abe namentUch an folgenden Kriterien erkennen: 
1. Indifferenz gegen das Reizwort vor dem Verständnis der 
Angabe i. e. S., gesteigerte Beschäftigung mit der Bedeutung des 
Reizwortes nach dem Verständnis der Aufgabe. 
2. Auftreten von Vorstellimgen erst nach dem Verständnis 
der Aulgabe; die sodann auftretenden Vorstellungen sind sofort 
dem Charakter der Aufgabe angepaßt. 
3. Blankettnatur der dem Reizwort vorausgehenden Aufgabe 
(S. 200ff.) 
4. Das durch das Verständnis von Aufgabe und Reizwort 
hervorgerufene Zielbewußtsein hat einen der Oesamtaufgabe ent- 
sprechenden Gegenstand. 
6. Erst durch die Analyse der Gesamtaui^;abe und die Er- 
kenntnisy daß der Gegenstand des Zielbewußtseins mit dem Gegen- 
stand der Gesamtaufgabe übereinstimmt, wird eine auch in anderen 
Untersuchimgen zutage getretene Beschaffenheit des Zielbewußt- 
seins verständlich: Das Zielbewußtsein wird häufig beschrieben 
als ein Suchen in bestimmter, wenn auch nicht immer an- 
gebbarer Richtung'). Nicht weil das Suchen manchmal von 
optischen Richtungssymbolen begleitet ist, sprechen die Vpn. da- 
von, daß in einer bestimmten Richtung gesudit wird. Vielmehr 
umgekehrt, weil das Suchen eine bestimmte Richtung hat, ist es 
von optischen Richtungssjrmbolen begleitet. Dem entspricht es, 
daß die Vpn. von einer Richtung auch da reden, wo derartige 
«) Vgl oben S. 198 f., 208 ff., 210, 216 ff. 
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AkBdui. 3. Die QgMmtaafgabe. 
optkche Hilfevorstellungen fehlen ^). Die bestimmte Richtung des 
Suchens ist gegeben durch die indirekte Bestimmung des Zäels 
in dem im Zielbewußtsein enthaltenen schematischen Sachverhalts- 
bevmßtsein "). In diesem Sachverhaltsbewußtsein gibt das dem 
Reizwort entsprechende Oegenstandsbewußtsein den speziellen 
Ausgangspunkt des Fortschreitens in bestimmter Richtung, das 
dem Aufgabewort entsprechende Beziehungsbewußtsein die ab- 
strakte Riditung des Fortschreitens an^. Das schematische 
Sachverfaaltsbewußtsein als (ganzes hat daher die Bedeutung einer 
konkreten Richtungsbestimmung für den determinierten Prozeß*). 
Durch die in der Angabe i. e. S. bezeichnete Beziehung sind ver- 
schiedene Gtegenstandspaare miteinander verimttpft. Es soll aber 
ein Gegenstand gesucht werden, der gerade mit dem Reizwort- 
gegenstand durch die betreffende Beziehung verbunden ist Anderer- 
seits steht der Reizwortgegenstand in einer Reihe verschiedener 
Beziehimgen zu anderen Gegenständen. Die einzuleitenden Ope- 
rationen sollen aber zur Ermittelung eines Gegenstandes fOhr^i, 
der gerade in einer bestimmten Beziehung zu ihm steht 
Die ohne Rücksicht auf die besondere Natur der Aufgabe in jedem 
Zielbewußtsein enthaltene Richtungsbestimmung findet in der von 
Vp. B wiederholt berichteten symbolischen f^xation des Zieles 
eine charakteristische Reprtlsentation. Durch die besondere Natur 
der Aufgabebeziehung können sich speziellere Analogien zum 
Fortschreiten in bestimmten räumlichen Richtungen ergeben. Diese 
können dann als s}rmbolische Hilfisvorstellungen dienen, die das 
*) Th. Haering bezeichnet die nRichtungserlebnisse'* als „relativ unwesent- 
liche Nebensymptome**. (Untersuchungen zur Psychologie der Wertung, Archiv 
f. d. ges. PsychoL 27. S. 107.) Diese Charakteristik ist durchaus zulässig, so- 
weit die optischen Richtungs Symbole gemeint sind. In dem einen der von 
Haering angeführten ProtokoUe (12) findet sich jedoch keine Angabe über eine 
symbolische Richtungsrepräsentation, wohl aber der Bericht Ober eine Richtungs- 
änderung durch Veränderung des Gegenstandes des Zielbewußtseins. (Ober- 
gang zum Suchen nach einem speziellen Mittel zum Reichwerden.) 
*) Siehe oben S. 198^ 180 ff. Besonders klar tritt der Zusammenhang 
zwischen dem Erlebnis einer bestimmten Richtung des Fortschreitens mit der 
indirekten Bestimmung des Ziels in dem Protokoll Btt S. 210 in die Erschei- 
nung. (Vgl auch die indirekte Bestimmung des Gegenstands des Suchens in 
den beiden folgenden Protokollen.) 
•) Vgl. B.7 S. 200f. 
Ö Es handelt sich in unseren Versuchen meist nur um eine relativ konkrete 
Richtungsbestimmung; vgl. oben S. 176 f. 
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/. Der Bildungsprozeß der Oesamtaufgabe, 221 
Festhalten der durch die betreffende Beziehung angegebenen 
Richtung und die Unterscheidung von anderen Beziehungen er- 
leichtem *). 
6. Die Bildung der (}esamtau%abe findet femer eine Art von 
Objektivierung in der sprachlichen Verknüpfung, welche die 
Vpn. zwischen Aufgabe und Reizwort vornehmen. Sie bringt das 
durch die Gesamtau^abe geforderte Sachverhältnis zwischen dem 
gesuchten Gegenstand und dem Reizwortgegenstand ziun Ausdmck. 
Die sprachliche Verbindung erleichtert dabei vermöge der an sie 
gebundenen Eombinationsprozesse *) die gedankliche Verbindung. 
Die indirekte 2iielbestimmung durch das Schema eines Sachverhält- 
nisses, dessen eines Beziehungsglied fehlt, kommt namentlich auch 
in der Frageformulierung und in der Blankettformulierung der 
Gesamtaufgabe zum Ausdruck. Aus der Bedeutung der sprach- 
lichen Formulierung der Gesamtaufgabe ergibt sich, daß die Bil- 
dung der Gesamtaufgabe im Bewußtsein weniger hervortreten 
wird, sobald ihre Erteilung, wie es im Leben geschieht, in Satz- 
form, z. B. in Frageform erfolgt. Es treten dann die an das be- 
treffende Satzschema gebundenen, mechanisierten Eombinations- 
prozesse in Wirksamkeit. (Vgl. S. 167 ff.). Auch in diesen Fällen 
vollzieht sich jedoch derselbe Prozeß der Bildung des Bewußt- 
seins von einer einheitlichen Gesamtau^abe (s. insbesondere S. 181), 
nur daß sich dieser Bildungsprozeß selbst weniger im Bewußtsein 
bemerkbar machen wird. Die gleiche Mechanisierung des Bildungs- 
prozesses der Gesamtaufgabe vollzieht sich auch, wenn bei Iso- 
lierung von Aufgabe imd Reizwort dieselbe Aufgabe L e. S. sehr 
oft kurz hintereinander wiederkehrt. Die Isolierung von Aufgabe 
und Reizwort in unseren Versuchen und das Verfahren mit vari- 
ierender Angabe hatten sohin den Vorteil, die Bildung der Gre- 
samtaufgabe zu erschweren und dadurch in den Erlebnissen der 
Vpn. stärker hervortreten zu lassen. Der Prozeß der Bildung 
der Gesamtaufgabe wurde also durch die besonderen Bedingungen 
unserer Versuche nicht erst künstlich zur Entstehung gebracht, 
sondern nur erschwert imd dadurch seine Feststellung erleichtert 
7. Das im 2iielbewußtsein enthaltene schematische Sachverhalts- 
bewußtsein äußert sich femer auch in den schon erwähnten Sym- 
*) Vgl. oben Dt S. 205 und S. 216 ff. 
■) Vgl. oben S. 162 ff., 188 f. 
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Absthn. 3. Die Qesamtaufgabe, 
holen, welche das zwischen dem Reizwortgegenstand und dem 
gesuditen (Gegenstand bestdiende Sachverfattltnis räumlich ver- 
sinnbildlichen. 
§ 2. Die Anpassung der Bedeutung des Reizwortes an 
den Sinn der Aufgabe. 
Die Vereinigung von Aufgabe und Reizwort zur Gesamtauf- 
gabe kommt auch in besonders charakteristischer Weise in den 
Veitoderungen zum Ausdruck, welche die Bedeutung des Reiz- 
wortes und der Aufgabesinn durch diesen Verbindungsprozeß 
erfahren. Wir behandeln zunächst die Anpassung der Bedeutung 
des Reizwortes an den Sinn der Aufgabe und suchen die sich 
hierbei abspielenden Vorgänge wieder an der Hand von Beispielen 
zu erläutern. 
Krebs — Ursache oder Wirkung? 
As* Tod 5,2''. Hintereinander gelesen. Sofort, wie ich das Wort Rrdw 
gdesen hatte, dachte ich an Krebs im zoologischen Sinn, dabei schwaches 
Anschauungsbild. Ich ging dann weiter und las nun erst eigentlich die Auf- 
gabe. Nun kam mir die Sache komisch vor, weil ich noch immer an das 
Tier dachte und auch das Anschauungsbild vor Augen hatte. Ich sagte mir, 
es muß doch eine Lösung geben, Krebs muß eine andere Bedeutung haben; 
dann wurde mir bewußt, daß es noch eine andere Bedeutung tatsächlich gä)e 
und schließlich wurde mir die Bedeutung Krebs im Sinne der Krankheit be- 
wußt. . . . 
Die Vereinigung von Aufgabe und Reizwort äußert sich hier 
sofort im Anschluß an das Verständnis der Aufgabe in dem Ein- 
druck des Komischen. Der durch die Gesamtau%abe anscheinend 
geforderte Gedanke an eine Ursache des Krebses im zoolo- 
gischen Sinn gibt keinen verständigen Sinn. Die mit dem Ein- 
druck des Komischen verbundene Feststellung des Sachverhält- 
nisses, daß die Gesamtaufgabe keine vernünftige Lösung zulasse, 
führt nun nach dem Gesetz der Berichtigung zur Aktualisierung 
des Wissens von der ihr entgegenstehenden Erfahrungsregeli daß 
es eine Lösung der Gtesamtaufgabe geben müsse. Dieser Gedanke 
motiviert die Determination, nach der Möglichkeit einer richtigen 
Lösung zu suchen. Als einzige Möglichkeit bietet sich der Ge- 
danke dar, daß das Reizwort unrichtig auffaßt sei. Die De- 
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2. Anpassung der Bedeutung des Reizwortes an den Sinn der Aufgabe. 228 
temiination, demgemäß eine andere Bedeutung des Reizworts zu 
suchen, führt zunächst zur Aktualisierung des abstrakten 
Wissens, daß es eine andere Bedeutung von Krebs tatsächlich 
gebe, und erst im weiteren Verlauf zur Aktualisierung des 
konkreten Wissens von dieser Bedeutung, d. h. zur Aktuah- 
sierung des Bewußtseins von dem Sachverhältnis, daß eine be- 
stimmte Krankheit den Namen Krebs trage. 
Wir können schon an diesem Einzelfall vorläufig folgende 
allgemeine Regel abstrahieren: Lassen Aufgabe und Reiz- 
wort eine Vereinigung zu einer sinnvollen Gesamt- 
aufgabe nicht zu, weil der Reizwortgegenstand seiner 
Natur nach nicht geeignet ist, in der durch die Auf- 
gabe i.e.S. geforderten Beziehung zu stehen, steht anderer- 
seits der Sinn der Aufgabe i.e. S. unveränderlich fest, 
so wird so lange nach einer geeigneten Bedeutung 
des Reizwortes gesucht, bis eine besser zur Aufgabe 
passende Bedeutung gefunden ist. Vom Standpunkt einer 
Konstellationstheorie aus wäre dieser ganze Vorgang un- 
verständUch. Beim Fehlen einer Beziehung zwischen 
der Aufgabe und dem aktuell gewordenen Reizwort- 
sinn durch eine ihnen gemeinschaftlich assoziierte 
Vorstellung müßte hier vielmehr eine Konstellations- 
wirkung eben einfach ausbleiben. Aufgabe und Reizwort 
müßten für sich allein wirken, imd es müßte zu unrichtigen 
Au^abelösungen kommen. 
Wir geben zum Vergleich sofort anschließend auch die übrigen 
Protokolle zu derselben Aufgabe. 
Gtt Tod 5f&*, Nach dem Lesen mußte ich wieder einen Augenblick bei 
der Aufgabe verweilen und mir klar machen, daß entweder das eine oder das 
andere [Ursache oder Wirkung] gemeint ist Die Doppeldeutigkeit des Wortes 
Krebs machte mir etwas zu schaffen. Wie sie auftauchte, weiß ich nicht, 
ich weiß nur, daß ich mich abwechselnd mit der Bedeutung des 
Tieres und der der Krankheit beschäftigte und die Krankheit 
wählte in dem Bewußtsein, daß man bei einem Tier schwerlich von 
einer Ursache reden würde. Ich habe den Eindruck, als ob das Tier 
Krebs ganz undeutlich optisch dagewesen wäre. Während des Prozesses waren 
jedenfalls auch einzelne Wortvorstellungen vorhanden. Als ich die Aufgabe 
noch einmal durchlas, fiel mir ganz von sdbst das Sterben ein, gleichzeitig 
dunkle Erinnerung an einen Todesfall durch Krebs, der mir einmal sehr nahe 
gegangen ist; dann ungesucht das Wort Tod. 
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224 Ab$(hn. 3. Die Gesamiaufgabe, 
Die Yp. hat hier sofort beide Bedeutungen von Krd)8 gegen- 
wärtig und wählte nach einigem Schwanken die der Krankheit 
in der Erwägung» daß man von einer Ursache des Tieres schwer- 
lich reden würde. Es werden also offensichtlich die beiden Be- 
deutungen des Reizwortes abwechselnd mit der Aufgabe zum 
Bewußtsein von der Gesamtaufgabe vereinigt und hierbei ihr Zu- 
sammenpassen beurteilt. Erst nachdem auf Grund dieser Be- 
urteilung eine definitive Auffassung der Gesamtau%abe zustande- 
gekommen ist, schreitet die Yp. unter nochmaligem Lesen der 
Aufgabe zu der sich nun sofort einstellenden Lösung. 
Cm Tod 7,2". Ich las Krebs; gewohnheitsmäßige Pause; ich hatte in der 
Pause den Begriff des Tieres mit sehr konfuser Vorstellung. Ich las dann 
weiter. Dann hatte ich den Gedanken an Beißen [Wirkung!]. Dabei das 
Wort Biß optisch angedeutet. Das Ganze wurde sofort zurückgedrängt 
durch den plötzlich auftauchenden Gedanken, daß Krebs auch eine Krankheit 
bedeuten könne. Da kam der Gedanke, daß Krebs unheilbar sei. . . . 
Wie bei Vp. A wird hier zuerst der Begriff des Tieres wirk- 
sam. Zu beachten ist, daß sowohl Vp. A als G nach Inhalt des 
Protokolls das Reizwort zunächst unabhängig von der Aufgabe 
auffaßten, sodaß diese bei der Entwicklung des Bedeutungsbewußt- 
seins noch nicht wirksam werden konnte. Das plötzliche Auf- 
tauchen der anderen Bedeutung nach dem ersten Ldsungsversuch 
hängt höchstwahrscheinlich mit der unbefriedigenden Beschaffen- 
heit dieser Lösung zusammen. 'Jedenfalls aber wird durch die 
Auffindung der anderen Bedeutung das Bisherige sofort vollständig 
zurückgedrängt. Dies wird nur dadurch erkUlrlich, daß die Vp. 
sofort das bessere Zusammenpassen dieser Bedeutung mit der 
Aufgabe erkannt, also die Bildung der Gesamtaufgabe „Ursache 
bezw. Wirkung der Krankheit Krebs" vollzogen hat. Daß bei 
einer Krankheit besser von Ursache und Wirkung geredet werden 
kann als bei einem Tiere, ist der Vp. eben ohne Rücksicht auf die 
Lösung im speziellen Fall bekannt. 
Ee* Tod 3,8"'. Ich las die Aufgabe und verstand sie. Ich wußte sofort, 
daß Krebs mehrere Bedeutungen haben kann. Ich kam zuerst auf die Be- 
deutung der Krankheit, die andere Bedeutung wurde nicht weiter verfolgt . . . 
Bei dieser Vp. entwickelt sich zunächst kein deutliches Be- 
wußtsein einer bestimmten Bedeutung von Krebs, sondern nur 
das Bewußtsein der Mehrdeutigkeit. Daß sich nur die Bedeutung 
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2. Anpassung der BedmUimg dss Reiswortss an den Sinn der Aufgabe, 395 
■ ■ ■ ■ ■■■■'■ ■ ■ ■ I ■ I- ■■ — — 
der Krankheit weiter entwickelt, dürfen wir darauf zurückführen, 
daß infolge der bereits geschehenen Bildung der (Gesamtausgabe nur 
mehr eine Bedeutung in Frage kommt, bei der sinnvoll von Ur* 
Sache und Wirkung gesprochen werden kann. Die Eonstellations- 
theorie müßte hier annehmen, daß durch die Worte Ursache und 
Wirkung die endlose Zahl der Reproduktionsgrundlagen in (er- 
hebliche) Erregung versetzt werden, die mit den Begriffen Ursache 
besw. Wirkung irgendwie assoziiert sind. Darunter müßte sich 
auch die Bedeutung der Krankheit Krebs befinden, die zugleich 
vom Reizwort aus wachgerufen und daher durch Konstellation 
reproduziert würde. Vom Standpunkte unserer Komplextheorie 
gelangen wir dagegen zu einer viel einfacheren Erklärung: Die 
Vp. weiß von einer Mehrdeutigkeit des Reizwortes und steht dem- 
gemäß unter der Determination, die hier gemeinte d. h. diejenige 
Bedeutung von Krebs zu entwickeln, bei der von Ursache und 
Wirkung gesprochen werden kann. Die gesuchte Bedeutung ist 
durch mehrfache indirekte Bestimmung schematisch antizipiert als 
diejenige Bedeutung des Wortes Krebs, welche in den ge- 
forderten Beziehungen stehen kann. Es gelangt daher nur 
die Bedeutung zur Entwicklung, welche den in der 
gegebenen Determination gestellten Anforderungen 
genügt, also nach der Natur des betreffenden Oegenstandes Glied 
eines zusammengesetzten Sachverhältnisses der im Zielbewußtsein 
antizipierten Art sein kann, bezw. als Glied eines derartigen Sach- 
verhältnisses bereits erlebt wurde. Die Entwicklung einer 
bestimmten unter den verschiedenen Bedeutungen 
vollzieht sich demnach durch einen Vorgang der 
(partiellen) Wissensaktualisierung (S. 186). Und zwar 
wird diejenige Bedeutung ins Bewußtsein gehoben, von welcher 
die Vp. weiß, daß der betreffende Gegenstand in Sachverhält- 
nissen der durch die Gesamtaufgabe geforderten Art steht, bezw. 
seiner Natur nach stehen kann. Auch in den beiden noch übrigen 
Protokollen zu dem vorliegenden Versuch wird der LOsung die 
Bedeutung der Krankheit zugrunde gelegt. Die andere Bedeutung 
von Krebs gelangt hier überiiaupt nicht zum Bewußtsein. Wahr- 
scheinlich ist diese Pi^lzisierung der Bedeutung ebenfalls auf die 
Wirkung der Zusammenfassung von Aufgabe und 
Reizwort zur Gresamtau^;abe zurückzuführen, welche nur 
Seil, Über die Ckaetae det geordneten DenkrerUnfB. 15 
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906 Ab&dm. 3. Die Qeaamiatifgabe. 
die homogene Bedeutung zur Entwicklung gelangen 
läßt Hierfür spricht auch der Umstand, daß in beiden F^en 
im Gegensatz zu Vp. A und G keine isolierte Auffassung des Reiz- 
wortes sattfindet Die Vorteile der Komplextheorie vor der 
Konstellationstheorie sind hier die gleichen wie im Falle der Vp. E. 
Dm Marasmus 9^^. Ich habe es gelesen mit dem Bewußtsein des Vet- 
ständnisses, das noder*" dabei betont Nochmals gelesen, da fiel mir das Auge 
auf Ursache. Nochmals gelesen, innerlich gesprochen: Ja, das möchten auch 
andere gerne wissen. Die Frage war für mich als Mediziner sehr reich an 
Beziehungen. . . . 
H'tt Ansteckmig 4,2^'. Ich las die Aufig;abe. Erinnerte mich an die In- 
struktion. Es fiel mir als Ursache Ansteckung ein. . . . 
Bei Vp. D geht die Zusammenfassung von Reizwort und Auf- 
gabe zur Oesamtaulgabe auch aus dem Ausruf bei dem wieder- 
holten Lesen der Au^;abe hervor: Ja, das möchten auch andere 
gerne wissen, nämUch die Ursache des Krebses. Der durch 
die Bildung der Gesamtausgabe entstandene Gedanke an die Ur- 
sache des Krebses aktualisiert als einheitliches Ganzes sofort das 
Wissen von den Schwierigkeiten, welche die Au&uchung dieser 
Ursache der medizinischen Wissensdiaft bereitet. Nicht die Be- 
deutung Krebs oder die Bedeutimg der Aulgabe Ursache fttr sich, 
wohl aber die „Frage^ nach der Ursache des Krebses, 
welche den Sinn derGesamtau^abe ausmacht, ist es, die in der 
Vp. als Mediziner reiche Beziehimgen weckt 
Ein sehr charakteristisches Beispiel ftlr das Suchen nach einer 
zu der Aufgabe passenden Bedeutung des Reizwortes gibt das 
folgende Protokoll des Versuches: 
Seite — Teil oder Ganzes? 
Bt« Zeile 7'\ Viele Schwankmigen. Zunächst, wie ich die Au%abe [i. e. S.] 
sah, dachte ich, es müsse Verschreibmig vorliegen statt Saite, dachte an 
Klaviersaite und dergl. Dann dachte ich, es müsse doch gefaßt sein, wie es 
dastehe, und hatte zunädist einen abstrakten Begriff davon, nämlich bloß zur 
Unterscheidung dienend, wie wenn man sagt, das ist die eine, das ist die 
andere Seite. Dann sagte ich mir, es ist ganz unmöglich, ein Ganzes oder 
einen Teil davon aufzufinden. Das kann nicht gemeint sein, ich müsse eine 
konkrete Bedeutimg davon aufsuchen. Dann bot sich mir die Buchseite dar, 
nun wußte ich Bescheid, ich wußte, davon kann ich einen Teil angeben, näm- 
lich Zeile. Mit dieser Schilderung ist das Oszillationsbewußtsein noch nicht 
gekennzeichnet Es hat auch einen visuellen Untergrund, indem die Augen 
zwischen Aufgabe und Reizwort hin und her schwankten. 
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2. Anpassung der Bedettiang des Revtmortes an den Sinn der Aufgabe. 227 
Die Bfldmig des Bewußtseins von der Gesamtaufgabe kommt 
hier zunächst sehr schön zur Greltung in dem Gedanken, es müsse 
eine Verschreibung vorliegen. Der Grund dieses Gredankens ist 
sichtlich in der Erkenntnis zu suchen, daß die Aufgabe Teil 
oder Ganzes zu der Bedeutung ^Saite^ besser passet« Der 
Versuch, von der mit der vorgefundenen Schreibweise im Wider- 
spruch stehenden Auffassung des Reizwortsinnes auszugehen, 
fOhrt nach dem Gesetz der Berichtigung zur Aktualisierung des 
Wissens von der diesem Verhalten entgegenstehenden Regel, daß 
die Reize so angefaßt werden müssen, wie sie dastehen. Hier- 
durch wird nun für den folgenden Veriauf das Ausgehen von 
der Bedeutung von Seite mit ei motiviert Der Versuch, die nun 
durch determinierte Wissensaktualisierung zuerst auftauchende 
Bedeutung von Seite der Bildung der Gresamtaui^gabe zu Grunde 
zu legen, führt zur Erkenntnis der Unmöglichkeit, eine Seite in 
diesem abstrakten Sinn als Glied eines SachverhKltnisses eines 
Teils zum Ganzen zu denken. Analog wie bei Aeo (S. 222) führt 
diese Feststellung sodann zu dem Gedanken, daß eine andere und 
zwar konkretere Bedeutung gemeint sein müsse, die schließlich 
durch determinierte Wissensaktualisierung aufgefunden wird. Daß 
die Vertbiderungen in der Bedeutung des Reizwortes durch das 
Bestreben hervorgerufen sind, eine zur Aufgabe passende Bedeu- 
tung ausfindig zu machen, äußert sich auch sinnlich in sehr be- 
zeichnender Weise durch ein Hin- und Hergehen des Blicks zwischen 
Aulgabe und Reizwort 
Einen anderen, wenn auch zum Teil verwandten Verlauf, 
nimmt die Anpassung des Reizwortsinnes an die Aui^;abe in dem- 
selben Versuch bei: 
Gt» Dreieck 16>4''. Zunächst las ich alles hintereinander, mußte mir erst 
klar machen, was Aufgabe und was Reizwort war; dann Verweilen bei der 
Au%abe Teil oder Ganzes, um mir das klar zu machen. Dann begann ich 
zunächst und zwar deutlich deshalb, weil es die zuerst gegebene Aufgabe war, 
einen Teil zu einer Seite zu suchen. Ich dachte dabei ganz abstrakt an eine 
Seite, mir schwebte dunkel so ein Sinn vor wie in dem Satz, jedes Ding hat 
verschiedene Seiten. Vorher hatte ich auf das Reizwort nicht in dieser Weise, 
nämlich auf die Bedeutung, geachtet, ich war zu sehr mit der Aufgabe be- 
schäftigt Dann suchte ich einen Teil zu einer Seite, es schien mir aber sehr 
*) Auch bei D tritt die Bedeutung Saite zuerst auf, bei E sogar nur diese 
Bedeutung. 
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29B AbMhn. 3. Die Qesamtaufgabi. 
sdiwierig, an dem abstrakt«! Begriff eineii Teil zu finden; ich beschlofi, zu 
der, wie ich giaubta, leichteren Aufgabe Ganzes tkberzug^ien. Nun zunächst 
eine kleine räumliche Anschauung eines schräg aufstehenden Etwas, irgend eine 
stereometrische Figur in zwei sich schneidenden Flädien. Das kam plötzlich. 
Damit hatte sich die Sache verschoben, Seite bedeutete etwas anderes. Die 
veränderte Bedeutung ist mir in Form des Bildes au%etaucht (das ist sicher). 
Von hier aus suchte ich nach einem Ganzen. Bevor ich aber hierin weiter- 
kam, drängte sich schon die Einzelfläche der geometrischen Figur auf; dabei 
unterlag das Wort noch einmal einem Bedeutungswandel, insofern als nun- 
mehr die Seite einer Fläche gemeint war. Dieser Bedeutungswandel voll- 
zog sich niu* an der Figur (sicher!). Hierdurch wurde die Richtung auf einen 
geometrischen Körper, die ursprOnglich vorhanden war, verschoben und es 
folgte nun die Reaktion im letzteren Sinne als Seite einer Fläche. Da kam 
die Reaktion Dreieck auf in deutlicher Erinnerung an einen früheren Versuch, 
wo Dreieck vorkam. 
Auch O geht zunächst von dem ganz abstrakten Begriff von 
Seite aus. Da die Vp. infolgedessen mit der Aufgabe Teil nicht 
zurecht kommt, versucht sie es mit der Aufgabe Oanzes. Indem 
sie nun aber das Bewußtsein von der Gtosamtaui^abe bildet, daß 
ein größeres Ganzes zu dem durch das Wort ^Seite*^ bez^chneten 
Gegenstand zu suchen sei, springt auch eine Bedeutung von 
^Seite" auf, bei der „Seite" als ein solcher Teil eines Ganzen in 
Betracht kommt. „Seite" wird nun als Seite eines Körpers ge- 
faßt Nach dem Gesetz der Berichtigung wird jedoch diese Auf- 
fassung durch die geometrisch korrektere, Seite einer Flädie, ver- 
drängt Die Eonstellationstheorie müßte hier zu der w^t kompli- 
zierteren Annahme greifen, daß durch das Wort Ganzes alle Re- 
produktionsgrundlagen, die mit dem Wort oder Begriff eines 
Ganzen assoziiert sind, in erhebliche Erregung versetzt werden« 
darunter auch die der geometrischen Bedeutung von „Seite". 
Erst durch das konstellative Zusammenwirken der von der Auf- 
gabe und dem Reizwort isoliert ausgehenden Reproduktionsten- 
denzen würde dann die passende Bedeutung von Seite ins Be- 
wußtsein gehoben. Zu der Umständlichkeit dieser Erklärungs- 
weise käme die Schwierigkeit, daß nicht einzusehen ist, warum 
nicht eine der Reproduktionstendenzen, die vom Reizwort und 
von der Angabe für sich allein ausgehen, stärker sein soll als 
die Summe der beiden gleichgerichteten Reproduktionstendenzen. 
Die von der Aufgabe ausgehenden Reproduktionstendenzen würden 
ja auch bei erheblicher Stärke durch reproduktive Hemmung eine 
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2. Anpassung der Bedeutung des Remtortes an den Sinn der Auf gabe. 229 
gewaltige Schwächung erfahren. Endlich wttre nicht verständlich, 
warum zuerst eine passende Bedeutung des Reizwortes und nicht 
gleich etwa die Lösung Würfel oder Dreieck auftritt, die doch 
ebenfalls sowohl mit dem Begri£F eines Ganzen als mit dem Reiz- 
wort Seite assoziiert ist Dem Protokoll von O verwandt ist das 
von G. Auch hier führt die Bildung der Gesamtaufgabe zur 
Aktualisierung der geometrischen Bedeutung von Seite, während 
vorher das Bewußtsein einer bestimmten Bedeutung gänzlich 
fehlte. Wie bei G tritt auch hier das bestimmte Bedeutungs- 
bewußtsein in Form einer Vorstellimg auf. 
Cf« 12,4'^ Ich las Seite, ich weiß nicht, wie es kam, es kam mir furcht- 
bar fremd vor; ich dachte, es wird eine sonderbare Aufgabe sein, 
welche sich daran knüpfen wird. Ich hatte kein Bewußtsein einer Bedeutung 
des Wortes Seite. Dann mußte ich mich gewaltsam zur Aufgabe in Position 
setzen, ich dachte, dazu sollst du suchen . . ., gesprochen imd kallign^hisch 
gesehen. Dann lese ich „Teil oder . . .** Ich wollte schon an die Lösimg der 
Aufgabe gehen, da traten mit einer geometrischen Geraden zugleich links und 
rechts Grenzpunkte auf, dick markiert [als Teil] . . . 
In dem folgenden Protokoll tritt die Aufeinanderbeziehüng 
von Aufgabe und Reizwort wieder sehr deutlich in dem Bewußt- 
sein hervor, daß die Aufgabe mit der aktualisierten Bedeutimg 
des Reizwortes nicht zusammenpaßt. Diese Erkenntnis ftlhrt 
dann wieder zu einem Umschlag der Bedeutung. 
A»« Ganzes? — Draht — Gitter 5,4". Ich las hintereinander. Nun faßte 
ich näher das Wort Draht ins Auge, dann fiel mir die Bedeutung von Draht 
gleich Geld ein, das Wort Geld als Druckbild. Die Aufgabe war dabei ver- 
gessen. Sah jetzt zur Aufgabe hin, da wurde mir klar, daß zu 
dieser Bedeutung die Aufgabe keinen Sinn hatte. Nun Rück- 
kehr zur gewöhnlichen Bedeutung, die voiiier beim Lesen in dem 
allgemeinen Verständnis schon gegenwärtig war. [Nun erst treten Vorstellungen 
zum Reizwort auf.] 
In dem nächsten Protokoll ist die Bildung der Gesamtauf- 
gabe an dem sich auf sie beziehenden Schwierigkeitsbewußtsein 
und der dadurch motivierten Aufsuchung und Weiterverfolgung 
der anderen Bedeutung des Reizwortes erkennbar, die eine leichtere 
Lösung verspricht. 
Aiti Rrisis — Ursache? — Krankheit 6,6". Ich las hintereinander. Die 
Aufj^abe [d. i. Gesamtau^abel kam mir nicht gerade leicht vor. Ich dachte 
Dämlich bei Krisis beim Lesen zunächst an eine wirtschaftliche Krisis. Hatte 
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290 Abschn. 3. Die Gesamiaufgabe, 
im Anschhiß daran Karienbild, in dem eine Stadt betont war, die der Lage 
nach Hamburg war. Ich wußte, daß es mir schwer fallen wQrde, 
eine Ursache einer solchen Krisis anzugeben. Ich dachte mir 
dann, es gibt ja noch eine andere Krisis. Dann allgemeines Be- 
deutungsverständnis, dabei gleich darauf ein Anschauungsd)üd, wohl ein mensch- 
licher Oberkörper, sdu- verschwömme, in Beridiung zu jenem Bedeutungs- 
inhalt Ich habe innerlich hingd^lickt Ich dadite dann, daß dieser Körper 
irgendwie in einer Krisis sei, dachte an die Aufgabe, die Ursache anzugd)en 
und wußte nun, daß in dem Körper etwas stecke; es war eine Tendenz vor- 
handen, in den Körper hineinzusehen. Ich habe das, was da darin ist, Krank- 
keit genannt und damit reagiert, ohne ganz von der Richtigkeit Oberzeugt 
zu sein. ^ 
Ein weiteres Beispiel ftlr die Entstehung eines Bedeutungs- 
wandels im Anschluß an ein die Oesamtaufgabe betreffendes 
Schwierigkeitsbewußtsein gibt der Versuch: 
Eilt Steuern — andere Nebenordnung? [vorher Steuern — Nebenordnung?]. 
Rudern 12,4". Steuern kam zunächst im alten Sinn [von Abgaben], ich hatte 
von vornherein das Bewußtsein, daß ich nichts finden werde mit Beziehung 
darauf, daß ich vorher schon solange gesucht hatte. Ich fing doch an, zu 
suchen und sah dabei das Reizwort an; plötzlich scheint sich an dem Worte 
etwas zu verändern. Es war, wie wenn ich am Bilde den Komplex anders 
zusammengefaßt hätte, und damit hatte das Ding einen anderen Sinn, nämlich 
den des Infinitivs Steuern. [Diese Bedeutung wird nun weiter verfolgt] 
Bei der Eindeutigkeit der Aufgabe kann die Überwindung 
der Schwierigkeit der Auffindung einer Nebenordnung nur durch 
die Aufsuchung eines geeigneten Gresichtspunktes ftlr die Neben- 
ordnung an der Bedeutung des Reizwortes erfolgen. Durch dieses 
Bestreben aber kann die Bedeutimg des Reizwortes als Verbum 
wachgerufen werden. Daß ein solches Durchstöbern der Be- 
deutung des Reizwortes zum Zwecke der Ermöglichung der Auf- 
gabelösung in der Tat stattfmdet, zeigt in besonders offenkundiger 
Weise der Versuch: 
Alte Überordnung? — Beerdigung. — Zug 13,6". Ich las beides hinter- 
einander. Beerdigung verstand ich eigentlich als die Tätigkeit, daß jemand 
in die Erde begraben wird, also als den Begräbnisakt Aber ich wußte 
nicht, wie ich hierzu irgend einen Gesichtspunkt für die Ober- 
ordnung finden könnte. Ich suchte etwas an der Bedeutung 
herum. Dabei war betont, als allgemein daran, daß es ein Akt nach dem 
Tode sei, aber es fiel mir nicht ein, daß man von hier aus eine Oberordnung 
finden könne. Nebenher während der ganzen Oberiegung ein verschwommenes 
Anschauungsbild eines Grabes, um das Leute herumstanden. Darauf dachte 
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2. Anpassung der Bedeutung des Reizwortes an den Sinn der Aufgabe. 231 
ich, irgend eine andereBedeutung von Beerdigung zu nehmen. 
Ich wußte, daß ich eine finden würde, und es kam mir gleich darauf 
die Bedeutung eines Trauergeleites und dann auch die Anschauung eines solchen, 
nur gesehen eine Menge von Männern mit Zylindern . . . 
Zum Nachweis der Anpassung des Reizwortes an den Sinn 
der Aufgabe geeignet sind auch die Versuchsgruppen und Auf- 
gabenhäufungen 0* So wurde mit dem Reizwort Schuld eine Ver- 
suchsgruppe aus 7 Versuchen gegeben: 1. Schuld — Reim? 
2. Schuld — Klangahnlichkeit? 8. Schuld — Wortergänzung? 
4. Schuld — Folge? 6. Schuld — Voraussetzung? 6. Schuld — 
Arten? 7. Schuld — Definition? Vp. C reagiert bei der ersten 
Aufgabe infolge eines Mißverständnisses mit zwei Verszeilen und 
dem Reim Huld, bei der zweiten Aufgabe wieder mit Huld, bei 
der dritten Aufgabe mit Schulden, „gemeint im Sinne von Greld- 
schulden^, bei der vierten Aufgabe mit Verurteilung (5,4^', siehe 
das Protokoll S. 57). Auf Befragen über die Bedeutung des Wortes 
Schuld in den bisherigen Versuchen gibt die Vp. an: 
Bei der ersten Aufgabe habe ich Schuld zum Zwecke des Reimens 
im Sinne des salonmäßigen Wortgebrauchs von Schuld, also im Sinne einer 
hoflichen Redensart, verstanden wie das Wort ,, Verzeihung**! Ich hatte gleich 
die Einstellung auf diese Bedeutung. Bei der dritten Aufgabe hatte das Wort 
Schuld zunächst keinen bestimmten Sinn, es war nur als Teil eines größeren 
Wortganzen au^efaßt, das ich zu suchen hatte. Ich kann das mit unzweifel- 
hafter Gewißheit angeben. Bei der vierten Aufgabe kam gleich das kriminelle 
Moment hinein, insofern als ich etwas Kriminelles suchte, was aut 
ein Vergehen folgt. [Bei den folgenden Aufgaben wird Schuld im Sinne 
von krimineller und moralischer Schuld genommen]. 
Sowohl die Auffassung von Schuld „im Sinne des salon- 
mäßigen Wortgebrauchs" im ersten Versuch als der Bedeutungs- 
wandel im vierten Versuch ist hier durch die Bildung der Oesamt- 
aulgabe veranlaßt. Im ersten Versuch nimmt die Vp. zum „Zwecke 
des Reimens" eine Bedeutimg von Schuld, wie sie in Gedichten 
vorzukommen pflegt. Im vierten Versuch ist die den Bedeutungs- 
wandel bedingende Bildung der Gesamtaufgabe erkennbar an der 
Aufgabe und Reizwort in einem einheitlichen Zielbewußtsein um- 
fassenden Richtimg des Suchens auf etwas, was auf ein Vergehen 
folgt. 
^) Siehe oben S. 18f. 
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MI AtBthn. 3. Dk (hMomtmifgabe* 
In der Verguchsgnippe 1. Ganies? — Flügel 2, Flügel — 
6 Teile? (gleichartige Äufgabenhäufung!) kam bei Vp. G in beiden 
Versuchen durch die Schwierigkeiten der Aufgabelösung ein Be- 
deutungswandel und zwar das zweite Mal in umgekehrter Rich- 
tung zustande. In beiden Fällen fand der Umsdilag zugunsten 
der Bedeutung statt, welche die leichtere Lösung ermöglichte. 
Ganzes? — Flügel C%% Vogel 4,8". Zunächst gedacht an den Klavier- 
flügel, unklares» optisches Bild einer lang hingestreckten, ebenen, schwanen 
Flache, von der Spitze aus gesehen; mehr kam nicht. Auf einmal Ein- 
stellung auf die andere Bedeutung von FlOgel ohne optisches Bild, in confuso 
der Begrifif, das ist etwas, was mit der Vogelwelt zu tun hat; dann kam Vogel 
Flügel — 6 Teile? €«• 47,2^'. [Nachdem (tie Vp. 4 Teile gefunden hat, 
entstehen große Schwierigkeiten, es gelingt ihr nicht mehr, etwas zu finden.] 
Lebhaftes Unlustgeföhl, Gedanke, ah, du kannst ja schließlich das Riavier 
nehmen und daran bequem sechs Teile finden. 
Das Wiederauftreten der bei der Angabe Ghuizes verlassenen 
Bedeutimg von Fltlgel infolge der bestehenden Lösungsschwierig- 
keiten ist offenbar mit einer Beziehung dieser Bedeutung auf die 
Aufgabe „6 Teile^ verbunden. Nur so erklärt sich das das Auf- 
treten dieser Bedeutimg begleitende Bewußtsein, daß an dem 
Klavier sich bequem 6 Teile finden ließen. Das Bewußtsein von 
der bei Zugrundelegung dieser Bedeutung bestehenden (Jesamt- 
aufgabe führt eben zur unmittelbaren Aktualisierung des Wissens, 
eine größere Reihe von Teilen an einem Flügel unterscheiden zu 
können. 
Vp. E löst die erste Aufgabe „Oanzes^^ doppelt imter Zu- 
grundelegung l^eider Bedeutungen von Flügel. 
Flügel — 6 Teile? Et» 28^'. Ich habe die Aufgabe gelesen und ver- 
standen. Zuerst Zweifel, welche Bedeutung ich zugrunde legen sollte, ich 
wußte, daß ich dabei die Wahl hätte; ich entschloß mich it&r das Instrument, 
weil ich dachte, das kenne ich besser als die Anatomie des Vogels. [Jetzt 
erst Vorstellimg eines Klavierflügels.] 
Auch hier ist das Motiv der Wahl des Instruments dasselbe 
wie bei Vp. G: Durch versuchsweise Bildung der Gresamtau^abe, 
zu dem Instrument 6 Teile zu suchen, wird das Wissen aktuali- 
siert, daß hier bessere Kenntnisse als bei der Anatomie des Vogels 
im Hinblick auf die zu lösende Aufgabe zu Gebote stehen. 
In der Aufgabenhäufung »Säge — erst Teil, dann Überord- 
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2. Anpassung der Bsdmhmg des Reigwortes an den Sinn der Aufgabe. 98B 
mmgj dann Ganzes, dann Produkt?^ findet bei mehreren Vpn. 
ein Bedeutungswandel in derselben Richtung statt. 
Et« Messer, Handwerkszeug, Maschine, Sftgmehl bi^'. [Vp. hatte bei 
den Lösungen der ersten beiden Aufgaben eine kleine Handsäge im Auge, wie 
sie sie in einer bekannten Schreinerwerkstfttte gesehen hatte.] Dritte Au%abe: 
Hierauf war es nicht leicht fCar mich, an d^iielben Säge ein (Ganzes zu finden. 
Die Säge ist ja an und für sich schon ein Ganzes. Dann fiel mir ein, daß 
es auch Sägemaschinen gibt, davon ist nun tatsächlich die Säge ein Teil. . . . 
Das der Gesamtaufgabe entsprechende Bestreben, die Hand» 
säge nun als Teil eines größeren Granzen anzusehen, führt zu 
der Erkenntnis, daß diese Säge selbst ein abgeschlossenes Granzes 
bilde» und damit zum Bewußtsein der Schwierigkeit einer Lösung. 
Die hieraus entspringende Determination, eine Säge zu finden, 
die in einem größeren Ganzen enthalten sei, bringt die Vp. dann 
auf die Sägemaschine, welche dieser Anforderung genügt 
Ein derartiger Vorgang läßt eine mehrfache Erklärung zu. 
1) Eis kann schon die Determination, eine andere Bedeutung 
von Säge zu finden, zur Aktualisierung des Wissens von der Be- 
deutung „Sägemaschine'' führen imd diese kann sich dann als 
brauchbar erweisen. 2) Es kann die speziellere Determination, 
eine ^Säge'' zu finden, die in einem größeren Ganzen enthalten 
ist, zur Aktualisierung des Wissens von einer solchen Säge führen. 
3) Das zum Zielbewußtsein der spezielleren Determination (Ziff. 2) 
gehörige Sachverhaltsbewußtsein ist das Bewußtsein von dem 
zusammengesetzten Sachverhältnis, daß der gesuchte Gegenstand, 
welcher als ^Säge'' bezeichnet werden kann (indirekte Be- 
stimmung!) Teil eines größeren Ganzen ist. Dieses zusammen- 
gesetzte Sachverhältnis enthält das einfache Sachverhältnis, daß 
ein direkt nicht näher bestimmter Gegenstand Teil eines größeren 
Ganzen ist. Das Bewußtsein von diesem Sachverhältnis ist nach 
den früheren theoretischen Erörterungen ein modifiziertes Bewußt- 
sein von einer anschaulichen Gegenstandsordnung, in welcher ein 
Gegenstand einen Teil eines größeren Ganzen bildet. (2. Abschnitt C.) 
Es kann daher im Wege der determinierten partiellen oder voll- 
ständigen Eomplexerg^Uizung die Reproduktion von entsprechenden 
Anschauungsganzen herbeiführen. Dieses Sachverhaltsbewußtsein 
bildet aber nur einen Teil des einheitlichen Bewußtseins von dem 
zusammengesetzten Sachveriiältnis, nach dem der gesuchte Teil 
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234 Atmhn. 3. Die GuanUtmfgabe. 
des größeren Oanzen eine „Sttge^ sein muß. Es werden daher 
nur die Reproduktionsgrundlagen von solchen dem abstrakten 
Sachverhaltsbewußtsein entsprechenden Anschauungsganzen in 
reproduktive Erregung versetzt werden, welche mit dem Wort 
„I^Lge^ in Bedeutungszusammenhang stehen. Auf diese Weise 
kann eine passende Bedeutung von I^Lge ins Bewußtsein gehoben 
werden, ohne daß im Gegensatz zum Falle der Ziffer 2 bereits 
früher ein Bewußtsein von dem SachverhKltnis, daß diese Säge 
einen Teil eines größeren Granzen bildet, bestanden zu haben 
braucht *). 
Einen analogen Prozeß wie bei E dürfen wir auch bei Vp. G 
annehmen. Das scheinbar assoziative Auftreten des Bildes der 
Bandsäge und später des Sägwerks brauchen wir in Anbetracht 
der uns bekannten ähnlichen Fälle eines nur scheinbar assozia^ 
tiven Ablaufs nicht als Oegeninstanz zu betrachten: 
Gti Metallblatt, Handwerkszeug, Sägewerk, Bretter 41,4''. [Vp. denkt bei 
der Lösung der ersten beiden Aufgaben an eine Handsäge.] 8. Au^abe: Ich 
hatte wieder ein räumlich konfuses Bild von etwas Grofion, vielleicht eine 
große Aii)eitswerkstätte. Dieses Etwas verdichtete sich aber nicht und ver- 
sdiwand. Ganz unvermittelt stieg darnach ein optisches Bild einer Bandsäge 
auf, die ich in L. gesehen hatte. Im Anschluß daran der Gedanke, diese 
Maschinensäge könne man als Ganzes nehmen, wobei dann das Metallblatt 
diesmal als Säge zu betrachten wäre. Es störte mich aber die Inkonsequenz, 
daß ich dabei das Band, das ich vorher als Teil der Säge genommen hatte, 
nun als die Säge selbst nehmen mußte. Ich ließ diese Mög^chkeit daher fallen. 
Dann kam, wieder unvermittelt, das konfuse Bild des Sägewerks in G. auf, 
mit dem Bewußtsein, hier das gesuchte Ganze zu haben. Idi entschloß mich, 
das zu nehmen, aber hatte dabei das imbefriedigende Bewußtsein, daß die 
Säge, die hier in Betracht kommt, eine andere Säge ist, als die bei der Auf- 
gabe Teil verwendete. [Im selben Sinne wird Säge bei der letzten Aufgabe ge- 
nommen.] 
F«t Ja 1' 37,8". [Vp. löst die erste Aufgabe mit „Künge", an der Vor- 
stellung einer Handsäge vorgefunden, die Aufgabe Oberordnung mit Holz- 
schneidewerkzeug, wobei sowohl die Anordnung für das Holzsägen mit der 
Handsäge als die großen Sägewerke in Seh. vorgestellt werden.] Die Aufgabe 
Ganzes verursachte wieder Schwierigkeiten, ich konnte nämUch nicht den 
Rahmen inkl. Klinge als Ganzes nehmen, wobei dann die Säge als identisch 
mit der Klinge zu nehmen gewesen wäre; denn das wäre iiüconsequent ge- 
*) Näheres Ober derartige Reproduktionen von Anschauungsganzen auf 
Grund des im Zielbewußtsein enthsütenen schematischen Sachverhaltsbewußt- 
seins wird erst der zweite Teil dieser Untersuchungen bringen. 
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2, Anpassung der Beäeatung des Reirwortes an den Sinn der Aufgabe. 235 
gegen meine vorherige Aufifassung, welche die Klinge als Teil der Sftge 
nahm. Deswegen habe ich das abgelehnt Ich bin dann zu einem Säge- 
werk übergegangen, um da das Ganze zu finden. Es entstand 
wieder die Vorstellung von voiiier und ich fand nun sehr leicht das Wort 
SAgewerk . . . [Die VpT kehrt jedoch dann bei der Lösung dieser und der 
folgenden Aufgabe zur Handsäge zurück, um keine Inkonsequenz zu begehen.) 
Auf Befragen über die Zuveriässi^dt dieses Protokolls: Es fiel mir nicht 
schwer, die Erinnerung bis zum Abschlüsse des Protokolls festzuhalten, der 
ganze Vorgang stand als ein einheitliches Ganzes vor mir. 
Die Schwierigkeit, daß die Handsäge ein in sich abgeschlossenes 
Ganzes bildet, führt hier nicht wie bei E und C sofort zum Ver- 
lassen dieser Bedeutung, bezw. dieses Spezialfalles einer Säge, 
sondern zu dem Bewußtsein, daß man dieses Oanze als Lösung 
nehmen könne, wenn man den Begri£F Säge auf die eigentliche 
l^lge, die EQinge, besclu^Lnke. Dieser Bedeutungsverschiebimg in 
der Richtung der Aufgabe folgt dann eine zweite, welche der von 
E und G analog ist. Die schon bei G aufgetretene Tendenz 
zur Eonsequenz in der Auffassung des Reizwortes bei allen Auf- 
gaben ist ein gutes Beispiel für eine in der Instruktion nicht ver- 
langte selbstverständliche Interpretation einer Aufgabe auf Grund 
der allgemeinen Praxis des Lebens. Diese verlangt der Einheit- 
lichkeit der Bezeichnung ftlr den Gegenstand mehrerer Auf- 
gaben entsprechend auch eine einheitliche Auffassung dieses Gegen- 
standes ^). 
Dil Zahn, Wasserweric, Sagemühle, Brett 27,6". Der Reihe nach vor- 
genonmien. Das erste war sehr leicht Kleines Bildchen, bloß das Sftgeblatt 
einer Handsftge und da einen Teil genommoi. Ich ging darauf und meinte es 
auch, gleich benannt; dann wieder Bedeutungswandel Ich machte mir, 
um das lösen zu können, eine andere Bedeutungzurecht, es war 
mir sofort klar, daß ich diese andere Bedeutimg nehmen müsse, ohne vorher- 
gdienden Lösungsversuch; dann nochmals Säge ausgesprochen und als die 
Sage gleich Sftgewerk genommen. Dazu das Übergeordnete: Wasserwerk. Ich 
meinte die Gesamtheit der Wasserwerke, Mühle usw. An die Möglichkeit der 
Lösung Werkzeug [zur Handsäge] hatte ich nicht gedacht. Ob beim ersten 
Durchlesen etwa schon die späteren Aufgaben die Auffassung beeinflußt haben, 
kann ich nicht sagen. Ich bin dann zu der nächsten Aufgabe übergegangen. 
Säge bekam wieder eine andere Bedeutung als die Säge im Sägewerk, nun 
wurde das Haus als Ganzes benannt Optisch dabei verfahren. Bei der letzten 
Aufgabe fragte ich mich einfach, was geht aus dem Sägewerk hervor. 
*) VgL Bovet, La consdence de devoir dans Tintrospection provoqu^e, 
Archives de Psychol. t DL 1910. S. 866, 327 ff. Michotte et Prüm, Sur le choix 
volontaire etc., S. 281 f. Note compl^mentaire par Michotte, S. 801 ff. 
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AäsduL 3. Die Qesamtaufgabe, 
Der Bedeutungswandel bei der zweiten Aulgabe ist offenbar 
durch die Meinung der Vp. bestimmt^ daß sich die Bedeutung 
Sägewerk besser zur Einordnung in den Umfang eines umfassen- 
deren Begriffs eigne. Die Bedeutungsverschiebung bei der dritten 
Auj^;abe bildet ein vollständiges Analogon zu dem Bedeutungs- 
wandel, den F bei derselben Aufgabe Granzes vollzog. Eine Be- 
stätigung imserer Interpretation des Bedeutungswandels bei der 
Aufgabe Uberordnung gibt das folgende lehrreiche Protokoll der- 
selben Vp. bei einer anderen Aufgabenhäufung, die unmittelbar 
vorherging: 
Dt« Btthne — erst Ganzes, dann Überordnung, dann Teil? [8,4" bis zur 
Lösung Theater, die die Vp. instruktionswidrig laut aussprach]. Ich habe das 
Ding gesehen, heruntergelesen, ohne in die Lösung einzutreten. Das erste 
drängte mich ohne weiteres zu einer Vorstellung hin. Das ist immer so; w&m 
ich sehe „ Ganzes**, denke ich mir etwas räumlich Ganzes als das Nächstlieg^ide. 
Kleines Bild der Bühne, wie man es vom Zuschauerraum aus hat und die 
AuAnerksamkeit erweitert auf das, was darum herum ist Es war wohl auch 
eine optische Vermehrung dabei. Ich habe das dann benannt, nämlich das 
Gebäude, in dem die Bfihne darin ist, als Theater. Das habe ich dann aiis- 
gesprochen. Dann habe ich die zweite Aufgabe in Angriff genomm^ ich 
wußte, das soll jetzt begrifflich genommen werden. Frage, 
wie mache ich das. Nochmals Bühne ausgesprochen und mir 
den Sinn von Bühne zu verwandeln gesucht [nämlich so, daß sich 
Bühne in einen größeren Begrififsumfang einordnen läßt]. Ich kam auf etwas 
Symbolisches, wie wenn man sagt, die Bühne hat den und den Einfluß gehabt 
Das Übergeordnete war ;lann Kunst [Der Übergang zur folgenden Aufgabe 
itlhrt ein sofortiges Zurückgreifen auf die hier wieder geeignetere erste Be- 
deutung von Bühne, und die zu ihr gehörige Vorstellung herbeL] Dann kam 
Teil, das war ganz leicht, ich hatte an eine Beziehung ztur ersten Angabe 
gedacht, ich wußte, ich brauche das Gesehene nur zu verengem, nahm mir 
etwas mehr heraus, das sollte ein Teil sein, nämlich Kulisse. [Von der bei 
den Aufgaben Teil und Ganzes angewendeten Lösungsmethoden der räumlichen 
Ausbreitung bezw. Zusammenziehung wird später noch zu reden sein. Auch 
diese Lösungsmethoden werden erst verständlich, wenn man die Lösung von 
dem Bewußtsein der Gesamtaufgabe ihren Ausgang nehmen läßt] 
In derselben Weise wie bei D vollzieht sich der Bedeutungs- 
wandel bei der zweiten Aufgabe und die Rückkehr zur ursprüng- 
lichen Bedeutung auch bei G. Nur kommt dies hier der Vp. selbst 
nicht zu klarem Bewußtsein. 
Ct« Theater, KulturbUdungsmittel, Vorhang 27,6'^ Zuerst das E^dmis, 
das ist aber viel, mit Überraschung verknüpft Dann las ich Btlhne, hierauf 
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3. Anpassung des Sinnes der Aufgabe an die Bedeutung des Reizwortes, 287 
erst nGanses**. Ich stutzte hier und hatte in mir fest den Gedanken an Theater, 
undeutlich verschwonunen das Bild eines großen, viereckigen, hochaufragenden 
Gebäudes, das ein Theater darstellen sollte . . . Dann ging ich zum Suchen 
des Übergeordneten Ober. Im Anschluß an das Sudien hatte ich das Erlebnis 
eines großen, weiten, umfossenden räumlichen Etwas, das vieles unter sich be- 
h£L Hinter diesem Eriebnis stieg der Gedanke auf, daß die Bühne in einem 
grOßerai Genamtbereich, der für meine Nation von Bedeutung ist, eine RoUe 
i^ielt [Das führte im Zusammenhang mit persönlichen Erinnerungen weiter 
zur Lösung Kulturbildungsmittel]. Dann ging ich zur dritten Aufgabe Ober. 
In konfusen, nicht scharfen Umrissen, aber festbleibend während des ganzen 
Folgenden war da: das Bild einer viereckigen ö&ung [nämlich der BOhnen- 
Offhung] zug^ch mit dem Bewußtsein des von da aus tief Hineingehens. Dann 
kam eine Richtung des Sdiens nach oben, und zwar nach etwas, was mit dem 
technischen Apparat der BOhne zu tun hatte. Intendiert war, wie ich sicher 
weiß, der SchnOrboden, ich konnte aber den Namen nicht finden, lebhaftes 
Unbehagen und Ärger. Da es nicht ging, ging ich bewußt von dieser Tendenz 
ab und ging wieder ziuück. Hierauf sah ich den Rahmen der Bohne wieder 
vor mir. Ich dachte dann bei mir, ohne den Vorhang zu sehen, Vorhang, 
und nannte das dann mit dem Nebenerlebnis, daß mir das andere lidi)er ge- 
wesen wäre. 
Bei der Ltfsung der Aufgabe Teil zeigt sich das ganze Ver- 
halten der Vp. sichtlich von der Gesamtaulgabe beherrscht. Es 
findet nicht ein Herumsuchen nach Teilen statt, sondern es ak- 
tualisiert sich sofort im Anschluß an den Übergang zu der Auf- 
gabe Teil das Wissen, in welcher Richtung bei einer Bühne 
Teile gefunden werden können. Von diesem Wissen ist dann der 
weitere Vorgang beherrscht. 
§ 3. Die Anpassung des Sinnes der Aufgabe an die 
Bedeutung des Reizwortes. 
Infolge der Eindeutigkeit der in unseren Versuchen für die 
Au^gabestellung im allgemeinen verwendeten Beziehungen war 
bei richtiger Auffassung der Aufgabe zu einer Modifizierung des 
Au^;abesinnes durch die Bildung der Gesamtaufgabe wenig Ge- 
legenheit. Zu den seltenen Fällen, in denen die Angabe, ftlr 
sich allein betrachtet, eine verschiedene Auffassung zuließ, ge- 
hörten die Versuche Schuld — Folge? und Schuld — Voraus- 
setzung? Das Wort Folge kann eine logische, aber auch eine 
sachliche imd zwar sowohl eine zeitUche, als eine kausale Folge 
bedeuten. Ebenso gibt das Wort Voraussetzung für sich allein 
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286 Abwdm. 3. DU Qemmtaufgahe. 
keinen eindeutigen Sinn. Bei beiden Au^;aben sehen wir daher 
in mehreren F^en, daß das Reizwort erst durch die Bildung der 
Gresamtaulgabe einen pi^Lzisen Sinn erhält. 
Die hierher gehörigen, äußerst charakteristischen Protokolle 
von Btft und O4 zur Angabe Schuld — Folge sind schon auf 
S. 66 mitgeteilt, und zum Teil besprochen worden. Analog den 
Fällen, in denen die Auffossung des Reizwortsinnes Schwierig- 
keiten bereitete, zeigen beide Protokolle, wie bis zur Bildung 
der Gesamtaui^gabe die nicht dieser Bildung dienenden Reproduk- 
tionen gehemmt sind. Sobald dagegen die Vereinigung von Auf- 
gabe und Reizwort zu einer sinnvollen Gesamtaui^;abe geglückt 
ist, setzt ein Prozeß der Wissensaktualisierung ein. Die Bildung 
der Gresamtaufgabe ist eben die notwendige Voraussetzung einer 
sinngemäßen Reaktion. Solange sie nicht erfolgt ist, können die 
auf die Litfsung gerichteten determiniert^i Prozesse nicht ein- 
geleitet werden. Bei Vp. B führt die Aufeinanderbeziehung von 
Aufgabe und Reizwort sofort zu der negativen Feststellung, „daß 
diese Folge nicht logisch gemeint sei, sondern sachlich und zeit- 
lich.^ Vp. 6. hat zunächst Schwieri^eit, den Sinn des Wortes 
Folge zu erfassen. Die Oberwindung dieser Schwierigst erfolgt 
laut Protokoll durch Rückkehr zum ersten Worte Schuld und 
„durch nochmalige Verbindung der beiden Worte". Wir 
haben hier also einen unzweideutigen Bericht über die Bildung 
der Gesamtausgabe. Dem entspricht auch das Ergebnis der noch- 
maligen Verbindung „das Erfassen des Sinnes der Au^^abe, daß 
wahrscheinlich eine sachliche Folge der Schuld gemeint 
sei." Es kommt also ein unzweifelhaftes Gesamtau^^abebewußt- 
sein zustande, dem dann auch wieder das die Einleitung der 
Lösung durch Wissensaktualisierung begleitende dnheitliche Ziel- 
bewußtsein entspricht: „Dachte darüber nach, was für Folgen 
die Schuld haben könnte". Der ganze Prozeß vom Auf- 
gabeverständnis bis zur Lösung läßt sich in diesem Protokoll mit 
besonderer Klarheit verfolgen. 
Auch bei Vp. A findet bei der Bildung der Gesamtaulgabe 
eine nähere Pi^isierung des Sinnes der Aufgabe statt: 
Ass Hypothek aufnehmen. [Die Vp. faßte Schuld entsprechend der Lösung 
der beiden vorangegangenen Aufgaben der Versuchsgruppe als Geldschuld.] 
12,6''. Ich las beide Worte hintereinander, die Aufgabe war mir neu. Ich er- 
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3. Anpassung des Sinnes der Aufgabe an die Bedeutung des Reizwortes, 299 
klärte mir die Au%abe dahin, daß ich etwas suchen sollte, was auf 
eine Schuld folgt und zwar zeitlich und kausal Nun fing ich an 
zu suchen. Beim Suchen trat das kausale Momait mehr hervor . . . 
In dem Versuch ^Schuld — Voraussetzung?^ fand bei 6 von 
den 8 Vpn. eine Interpretation der Aufgabe mit Rücksicht auf 
das Reizwort statt Von den Protokollen wurden vier schon mit- 
geteilt Bei Gft (S. 214) äußert sich die Interpretation in der 
Frage: ^Was heißt Voraussetzung der Schuld?^, die nach einer 
kurzen Periode der Überlegung eine nicht näher analysierbare 
Klärung herbeiführt. Ftt (S. 213) interpretiert die Gesamtaufgabe 
durch die Frage: Unter welcher Bedingung tritt eine Schuld 
ein? At4 (S. 210) macht sich die Aufgabe dahin klar, es sei etwas 
zu suchen, was eine Veranlassung dazu ist, daß eine Schuld 
entsteht. Eio (S. 214) gibt an, er habe die Aufgabe sofort ver- 
standen und es sei so gewesen, als ob er eine Frage gestellt 
hätte: Was muß einer getan haben, damit er eine Schuld auf sich 
lädt? Bei B und 6 findet zuerst eine ungeeignete Interpretation 
statt, die dann durch eine dem Reizwort angemessenere ersetzt 
wird: 
Bt« Willen^ntschhiß 4^'. Hier war ich beim Wort Voraussetzung wiederum 
sofort eingestellt auf den sachlich-zeitlichen Sinn im Gegensatz 
zum logischen [vgl. Bt» S. 66]. Ein Moment war gegenwärtig: Haft als 
Folge und das Suchen wurde dadurch bestimmt, daß idi etwas Analoges für 
die Voraussetzung haben wollte. Aber davon wurde ich wieder abgelenkt 
und zwar mit dem Gedanken, hier muß psychische Kausalität 
angenommen werden; es war mir klar, daß das etwas anderes sei als 
die Bezi^ung ztu* Haft, und dann kam mir auch sofort Willensentschluß . . . 
Di« Wille 5,2". Ich habe es gelesen und Voraussetzung zunächst im 
logischen Sinn au%efaßt; es war nicht klar, sondern nur gesudit, ob es 
in dieser Richtung zu finden wäre. Es war Voraussetzung einer Gel- 
tung intendiert. Dann bekam ich eine andere Richtung, mehr auf das 
Reale; ich hatte vorher das Bewußtsein, daß ich eine andere Richtung 
brauche, und daß es mir überhaupt nicht klar wäre, wie die 
erste Richtung anzuwenden wäre. Dann kam „Bewußtsein** auf als 
erste Möglichkeit, wurde jedoch ohne ausgeftkhrte Begründung abgelehnt, wohl 
aber mit dem Wissen, daß ich die Ablehnung begründen könnte. (Es kann 
jemand ein ganz klares Bewußtsein von der Tat haben und doch nicht schuldig 
sein.) Dann habe ich als zu etwas Besserem zu „Wille** gegriffen . . . 
Die meisten in unseren Versuchen vorgekommenen Fälle einer 
Anpassung der Aufgabe an das Reizwort bestehen in einer un- 
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MO Ab§dm. 3. Dk Omamtott/gabe. 
richtigen Deutung des Aufgabesinnes unter demBin- 
fluB der Bildung der Gesamtaufgabe. Zum Teil führten 
diese Umdeutimgen auch zu Fehlreaktionen, in denen wir 
dann einen objektiven Beleg fttr die Beeinflussung des Auf- 
gabesinnes durch die Bildung der Gesamtau^abe besiteen. 
Beispiele: 
Pfarrer — Nebenordnung? 
Est Lehrer 10|8'' . . . Dann suchte ich eins Nebenordnung und kam zu- 
erst auf Küster . . . Dann kam dßr Gedanke, daß der KQster doch 
dem Pfarrer untergeordnet sei und deshalb nicht als nebengeordnet 
angesehen werden könne. Ich dachte, ich müsse einen ndunen, der sozial 
hoher gestellt ist wie der Küster . . . Dann kam ich auf Lehrer, dabei das 
Bewußtsein, daß Pfarrer und Lehrer auf verschiedenen Gebieten 
gemeinsame Aufgaben erfüllen. Dann wieder der Gedanke, der 
Pfarrer ist sozial höher gestellt wie der Lehrer. Jetzt fiel mir 
aber zum erstenmal die Verschiedenheit von begrififlicher und sozialer Neben- 
bezw. Unterordnung auf; und da sagte ich dann Lehrer. 
Die Beeinflussung des Sinnes der au|gabemä^gen Beziehung 
macht sich hier in Form einer wiederholten Berichtigung der ge- 
fundenen Losung geltend« Die Vp. hat zunächst die der Au^;abe 
durchaus entsprechende Lösung Küster gefunden. Indem sie aber 
nun den Sinn der in dieser Lösung liegenden Feststellung ausdenkt, 
daß der Küster dem Pfarrer nebengeordnet sei, wird ein scheinbar 
mit einer solchen Lösung im Widerspruch stehendes Wissen von 
dem zwischen Pfarrer und Küster bestehenden Sachverhältnis 
aktualisiert Es kommt der Vp. zum Bewußtsein, daß man den 
Küster doch als unter dem Pfarrer stehend aufzufassen habe. 
Indem also die Vp., der Gesamtaufgabe entsprechend, den Gegen« 
stand des Reaktionswortes in dem Sachveriittltnis der Nebenord- 
nung zu Pfarrer stehend denkt, verschiebt sich der Sinn von 
„Nebenordnimg" in der Richtung, in der bei solchen Personen 
gewöhnlich Sachverhältnisse der Gleich-, Über- oder Unterordnung 
in Frage stehen. Die Beziehung der Nebenordnung gewinnt einen 
hierarchischen Sinn. Hierdurch kann nun nach dem Gesetz 
der Berichtigung ein anderweitiges Wissen von dem zwischen 
Pfarrer und Küster in der betreffenden Hinsicht bestehenden Sach- 
verhältnis aktualisiert werden und zu einer fälschlichen Berich- 
tigung der Lösung, zum Suchen nach einer sozial höher gestellten 
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3. Anpassung des Sinms der Aufgabe an die Bedeutung des Reizwortes. d41 
Person fUhreiL Wtthrend in diesem ersten Berichtigungsfall das 
Ausdenken des Verhältnisses zwischen Reizwort- und Reaktions- 
wortgegenstand nicht unmittelbar zur. Beobachtung gelangt, gibt 
hn zweiten Berichtigungsfall die Vp. ausdrücklich an, daß mit 
dem Aufkommen der Reaktion das Bewußtsein verknüpft war, 
daß Pfarrer und Lehrer auf verschiedenen Gebieten gemeinsame 
Aufgaben erfüllen (also als Ti^er dieser nicht näher bestimmten 
Aufgaben unter den Oberbegriff der in bestimmter Richtung tätigen 
Berufe fallen). Die Auffassung der Nebenordnung zum Pfarrer 
als Gleichstellung dem Range nach wirkt aber noch nach, bestand 
doch die ausdrttckUche Determination, nach einer sozial gleich- 
stehenden Person zu suchen. Hierdurch entsteht wieder das Be- 
wußtsein^ daß der Pfarrer höher stehe als der Lehrer. Es besteht 
demnach einerseits die Tendenz, mit Lehrer zu reagieren, wegen 
der (Gemeinsamkeit der von Pfarrer und Lehrer zu erfüllenden 
Aufgaben, andererseits die Tendenz, diese Lösung zu verwerfen 
wegen der sozial höheren Stellung des Pfarrers. Beide Sach- 
verhältnisse, das der Gleichordnung von Pfarrer und Lehrer in 
der einen Hinsicht, das ihrer Ungleichheit in der anderen Hinsicht, 
sind also gleichzeitig bezw. unmittelbar hintereinander aktuell 
gegenwärtig, wodurch dann schließlich die Abstraktion der Ver- 
schiedenheit der beiden Betrachtungsweisen der begrifflichen und 
sozialen Neben- bezw. Unterordnung und damit die Auflösimg 
des Widerstreits herbeigeführt wird. Wie schon früher (S. 37 f.) 
ausgeführt wurde, sind Berichtigungsprozesse, wie sie hier vor- 
liegen, nur vom Standpunkt einer Komplextheorie aus befriedigend 
zu erklären. Nur weil Reizwort- und Reaktionswortgegenstand, der 
Gesamtaufgabe entsprechend, mit der aufgabegemäßen Beziehimg 
zum Bewußtsein von einem einheitlichen zwischen Pfarrer und 
Küster bestehenden Sachveriiältnis verknüpft werden, können sie 
nach dem Gesetz der Berichtigung die Aktualisierung eines schein- 
b€tr entgegengesetzten Wissens von dem betreffenden Sachverhältnis 
herbeiführen. Ebenso beruht der weitere Verlauf darauf, daß das 
Bewußtsein von dem Sachverhältnis einer Nebenordnung zwischen 
Pfarrer und Lehrer das Bewußtsein von dem scheinbar entgegen- 
stehenden Sachverhältnis ihrer sozialen Ungleichheit hervorruft, imd 
daß hierdurch ein scheiDbarer Widerstreit zwischen den beiden 
einheitlich^! Sachverhältnissen entsteht, der durch Abstraktion 
8 eis, Üb«r die Oeaetse de« geordnetea DenkTerUaCs. 16 
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aia Ab$duL 3, Die Qe$amtoufgabe. 
der Verschiedenheit der in beiden Sachverhtfltnissen enthaltenen 
Art^i der Beziehung beseitigt wird. 
Ein Oegenstttck zum zweiten Teil des Verlaufs bei E bietet 
das Protokoll von G. 
G4t Vikar 16,4". Ich las Pfarrer, dann Nebenordnung. Dann beherrschte 
mich das Erld)nis des Peiplexseins, das Bewußtsein, es handle sich um dne 
sdiwierige Aullg^abe . . . [Die erste Lösung war wieder Küster, sie wurde als 
unbefriedigend verworfen.] Nun aber kam etwas, was mir mehr als Lösung 
erschien. Es war, als stdge ein allgemeiner Begriff in mir auf^ unter 
den Pfarrer und das Gesuchte als logische Teile gehen könnten. 
Ich wußte nun, daß mich das zur Lösimg brächte. Das Allgemeine wurde 
nicht nfther prftzisiert, aber mir war es, als wüßte ich es genau und suchte 
nun nur mehr das Nebengeordnete. Dann kam mir Vikar, innerlich gesprochen. 
Es griff dann folgendes ineinander: Ich erkannte, Vikar ist doch eigent- 
lich unter dem Pfarrer; dadurch wurde ich gewissermaßen ge- 
zwungen, das vorher gehabte Allgemeine mir zu verdeutlichen 
in dem Sinne, daß ich mir sagte, hierum handelt es sich nicht, sondern ich 
fasse Vikar und Pfarrer als nebengeordnet unter dem Allgemeinen. Das 
Allgemeine wurde noch immer nicht genauer präzisiert, gemeint war aber 
etwas wie geistlicher Beruf, worunter Pfarrer und Vikar fallen. 
Daß der Lösung Vikar die Bildung der Oesamtau%abe voraus- 
geht, ergibt sich aus der diese Lösung vorbereitenden, der Gre- 
samtau|g^d)e entsprechenden Wissensaktualisierung. Es entsteht 
das Bewußtsein von dem einheitlichen Sachverhältnis, daß es etwas 
geben müsse, was nxit Pfarrer unter denselben bestimmten 
Allgemeinbegriff (nämlich geistlicher Beruf) fällt, und die 
Vp. sucht nun nach einem zweiten Glied dieses Sachverhältnisses 
der Nebenordnung. Indem aber Pfarrer und Vikar einander als 
nebengeordnet gegenübergestellt werden, verschiebt sich die Be- 
deutung der Ordnimg wieder in der Richtung des gewohnten 
hierarchischen Sinnes und führt eine Tendenz zur Berichtigung 
des zwischen beiden bestehenden Verhältnisses herbei. Der Wider- 
streit beider Auffassungen motiviert sodann, wie bei C unmittel- 
bar aus dem Protokoll selbst hervorgeht, die Klärung, daß es sich 
bei der festgestellten Nebenordnung von Pfarrer und Vikar um 
ein Begriffsverhältnis handelt, sodaß der scheinbare Widerspruch 
zur Auflösung gelangt 
Die Erfahrungen mit der soeben besprochenen Gesamtausgabe 
gaben die Veranlassung zur Einreihung ähnlicher Gresamtau^aben, 
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3. Anpassung des Sinnes der Aufgabe an die Bedeutung des Reizwortes. 248 
bei denen die Verwechslung des begrifflichen Sinnes von Über- 
ordnung mit dem einer Rangordnung besonders nahe gelegt war. 
Ets Professor — Überordnung? — Kuhusnunister SJBf^* Zuerst kam 
ordentlicher Professor und zwar das Wort, dabei eine besonders hochstehende 
Gattung von Professor im Kopf, gemeint, daß sie Aber den anderen stehe. 
Dann hatte ich das Bewußtsein, daß ich noch höher gehen mOsse. [Ordent- 
licher Professor ist ja selbst Professor.] Dann kam Kultusminister. 
£•6 Professor -— andere Überordnung? — Rector magnificus 8,2". Ich 
dachte an Kaiser; dann Regierungspräsident Dann kam ich auch auf einmal 
ins Rektorzimmer, ich weiß, da ist dann im Rektorzimmer der höchste Mann 
an der Universität 
£•• Kaiser — Überordnung? — Herrscher 10,2". Das erste, was kam, 
war Papst [wie das weitere Protokoll zeigt als Nebengeordnetes, zu dem das 
gemeinsame Übergeordnete zu suchen gewesen wäre]. Dann merkte ich, das 
ist wieder so eine Aufgabe, wo man hereinfallen kann. ... 
Ähnlich D bei dem ersten und dritten der drei obigen Ver- 
suche: 
Diti Beamter 6,8^^ Zunächst eine merkwürdige Auslegung, nämlich 
Überordnung im hierarchischen Sinne, als ob dazu ein Vorgesetzter 
gesucht würde. Das Erlebnis ist nicht näher zu analysieren. Dann habe 
ich das ins Begriffliche gewandt und Beamter gesagt 
DiM Herrscher A^\ Zunächst wieder so ein Erlebnis des Paradoxen, 
des Unmöglichen, wie wenn ich sagen wollte, ja, das hat nichts 
über sich. Bin aber nicht etwa dadurch versucht, mich ablehnend zu ver- 
halten, sondern es ging ganz von selbst, daß das verschwand und das Richtige 
kam; aber einen Moment war es doch ernst Darauf mich anders eingestellt, 
andere Richtung, ich kann nicht sagen, daß ich aktiv gesucht habe, die Richtungs- 
änderung war aber aktiv. Dann kam Herrscher. 
Get [dritter Versuch] Herrscher 8,6". Nach dem Lesen der Aufgabe: 
Frage, was ist denn einem Kaiser noch übergeordnet, die je- 
doch sofort fallen gelassen wurde, da ja eine begriffliche, nicht faktische Über- 
ordnung veriangt wurde. Dieser Gedanke war nicht formuliert, aber die Sache 
war mir vollständig klar. Dann drängte sich das Wort Regent auf. [Wird 
schließlich nach einigen Überlegungen verbessert in Herrscher.] 
Der Annahme einer bloßen konstellativen Vei^Lnderung des 
Aui^gabesinnes durch das spezielle Reizwort stehen außer den 
schon oft berührten allgemeinen Gesichtspunkten besonders die 
Angaben der drei letzten Protokolle entgegen. Bei Dioi finden 
wir ein der Bildimg der Gesamtau^abe entsprechendes Zielbevnißt- 
sein: Suchen nach einem Vorgesetzten zu Professor. Vor allem 
aber läßt sich das Erlebnis des Paradoxen bei Dio4 nur aus einer 
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9U AbaOm. 3, Die Qesamtaufgabe. 
Auf ei]iandeii)eziehuiig von Aulgabe und Reizwort durch die Bfldung 
der Oesamtaufgabe verständlich machen. Indem die Vp. Aufgabe 
und Reizwort zu einer Ge6amtau^;abe vereinigt, entsteht wieder 
die Bedeutungsverschiebung im Sinne der Rangordnung und da- 
mit das Bewußtsein des scheinbaren Widerstreits mit den tatsäch- 
lich bestehenden Verhältnissen, da die Person des Kaisers als die 
des Trägers des höchsten Ranges keine Überordnimgen zuzulassen 
scheint In ähnlicher Weise ist bei G das Zustandekommen der 
Frage zu denken, was denn einem Kaiser noch übergeordnet sei. 
Bemerkt sei noch, daß der Erfolg solcher Versuche 
lehrt, daß es möglich ist, Bedeutungsverschiebungen 
willkürlich herbeizuführen und den Mechanismus 
dieser Irrtumsquelle der experimentellen Untersu- 
chung zugänglich zu machen. Damit ist ein Weg für die 
systematische psychologische Untersuchung der Entstehung logischer 
Irrtümer und der Gesetzmäßigkeiten bei ihrer Berichtigung gezeigt ^). 
Sehr schöne Beispiele für die Anpassung des Sinnes der Auf- 
gabe an die Bedeutung des Reizwortes geben die Verwechslungen 
der Aufgabe „Überordnung", der Aufgabe, das begriflElich Um- 
fassendere zu suchen, mit der verwandten Aufgabe „Ganzes*', der 
Aufgabe, das räumlich oder zeitlich Umfassendere zu sudien. 
Solche Verwechslungen traten nämUch nur dann ein, wenn sie 
durch das Reizwort nahegelegt waren, das sich in den betreffenden 
Fällen leichter einem zeitlich oder räumlich als einem begrifflich 
Umfassenderen einordnen ließ. 
Stunde — Oberordnung? 
Gii Tag 6,6". [Im vorausgehenden Versuch war die Aufgabe Oberordnung 
richtig gelöst worden. Dasselbe gilt auch bei den Protokollen der später an- 
gefahrten Vpn.] Auch diesmal mindestens zweimal es gelesen, um mir die 
Aufgabe klar zu machen. Darauf Verweilen beim Reizwort, um mir die Be- 
deutung des Reizwortes klar zu machen, und von da sich klar zu machen, 
in welchen Zusammenhang das Wort gehört. Bewußtsein, daß 
die Stunde einen Abschnitt einer Zeit bedeute, von hier aus er- 
gab sich Tag als der größere Zeitzusammenhang. Während des Protokolls 
merkte ich, daß ich die Aufgabe falsch gelöst hatte. 
Die Bildimg der Gesamtaufgabe tritt in diesem Protokoll deut- 
lich in Erscheinung. Trotz dem Vorhergehen des Reizwortes sucht 
^ Vgl. unten S. 272f. 
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3, Anpassung des Sinnes der Aufgabe an die Bedeutung des Reizwortes, SM 
die Vp. sich zuerst die Angabe klar zu machen. Erst nachdem 
80 der Gesichtspunkt für die Auffassung des Reizwortes gegeben 
ist, wendet sie sich seiner Bedeutung näher zu. In dem nun ent- 
stehenden der Gesamtaulgabe entsprechenden einheitlichen Ziel- 
bewußtsein, zu suchen, in welchen Zusammenhang Stunde 
gehtfrt, scheint die Bedeutung schon zugunsten der Aufgabe Granzes 
verschoben zu sein. Die Auffassung der Stunde als Abschnitt 
einer Zeit bringt daher keineswegs auf den Gedanken, daß „Zeit- 
abschnitt*^ ein passender übergeordneter Begriff sei, sondern leitet 
nur die Bestimmung des nächstgrOßeren Zeitabschnitts als des 
vermeintlich verlangten Umfassenderen ein. 
H*4e Tag 1^'. Tendenz: möglichst schnell. Verstand und suchte die 
Antwort mit einer sich QberstOrzenden Hast Anschauliche Vorstellung 
des logischen Schemas; darin ein großer und ein kleiner Umfang räum- 
lich angedeutet Mit kinftsthetischen Begleitersdieinungen in der Hand suchte 
ich nach dem Größeren. Dann kiun sofort Tag. Ich halte die Lösung 
auch jetzt noch för richtig. Erst auf Ihre Bemerkung merke ich jetzt, daß 
ich „Zeit** (?) hätte antworten müssen. 
Dieses Protokoll ist vorzüglich geeignet, wn den Vorgang der 
Bedeutungsverschiebung in seinen Stadien zu verfolgen. Die Auf- 
gabe ist trotz des vorangegangenen Lesens des Reizwortes richtig 
verstanden, wie das Auftauchen des logischen Schemas zeigt In- 
dem nun aber das Suchen nach einem Umfassenderen eingeleitet 
wird, tritt schon die präzise Bestimmung des zu Suchenden als 
des begrifflich Um&ssenderen zurück zugunsten eines vagen 
Suchens nach einem „Ghrößeren"^, aus dem dann schließlich das 
zeitiich OrOßere wird. 
Dieselbe Fdilreaktion findet sich noch bei Vp. E, während 
bei Vp. A wenigstens eine ausdrückliche Abweisung der Lösung 
Tag erfolgen muß. 
E46 Tag 2,2"'. Ich habe die Aufgabe gelesen und verstanden, es kam 
ohne jede Vermittlung Tag. Erst auf Ihre Bemerkung merkte ich, daß die 
lAsang falsch ist. 
A44 Zeit 2,4^' [Stunde als „Mittel der Zeiteinteilung*" gefkßt]. Bei der 
Reaktion hatte ich das Bewußtsein, daß ich richtig übergeordnet hatte, daß 
ich nicht etwa hätte »Tag** sagen dürfen. 
Unter 7 Vpn. fand demnach in 4 Fällen eine Bedeutungs- 
verschiebung durch die Aufeinanderbeziehung von Au^;abe und 
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246 Absdm, 3, Die Qnamiaafgabe. 
Reizwort statt, die in 3 Fttllen zu Fehlreaktionen führte. Die- 
selbe Erscheinung trat in 2 FMllen beim Versuch Stern — Über* 
Ordnung? auf^): 
H"46 Himmel 8,4^^ Tendenz, möglichst schndL Es drftngte sich mir zu- 
erst Gestirn auf. Einen Augenblick das Bewußtsein, daß Gestirn auch eine 
Einzelbezeichnung sei [also kdn GattungsbegrifiT] ; anschaulidie Vorstellung des 
Sternenhimmels, antwortete Himmd; g^dch nachher war mir bewußt, daß ich 
wieder das Ganze statt der Überordnung gesagt hatte. 
Wie oben bei H*4« besteht hier anfangs eine richtige Auf- 
fassung der Aulgabe. Erst nachdem die erste Lösung verworfen 
worden ist, tritt eine Bedeutungsverschiebung ein, die vielleicht 
erst durch das Auftauchen des Bildes des Firmaments herbei- 
geführt wurde. Hierfür spricht wenigstens der Vergleich mit dem 
Protokoll 6i4, das auf Seite 216 und 217 in zwei Stücken mit- 
geteilt ist. Die Vp. bemerkt hier nämlich noch zum Schluß, daß 
das Bild des Sternenhimmels sicher in Beziehung zu der späteren 
Lösung Weltkörper gestanden sei. Wir müssen also annehmen, 
daß erst durch dieses Bild die Bedeutung der Au%abe verschoben 
und die später verworfene Lösung Himmel herbeigeführt wurde. 
Die im Protokoll von 6 in den S3naibolen besonders deutlich sidi 
kundgebende Bildung der Gesamtau%abe ist schon früher be- 
sprochen worden. 
Die Vereinigung von Au^;abe und Reizwort zur Qesamt- 
aufgabe erleichtert das Verständnis mehrdeutiger Angaben, indem 
die Aufgabe in dem durch die Natur des Reizwortgegenstandes 
nahegelegten Sinn interpretiert wird. Paßt nun aber die Aufgabe 
in dem Sinne, in dem sie zufiQlig oder gewohnheitsn^ig genom- 
men wird, nicht zum Reizwort, so versagt diese Hilfe. Es kommt 
daher zu Mißdeutungen der Aufgabe und zu Fehlreaktionen, und 
zwar erfolgen die Mißdeutimgen in der durch die Natur des Reiz- 
wortes nahegelegten Richtung. Ein sehr charakteristisches Bei- 
spiel dieses Vorganges liefert der Versuch Ganzes? — Tanz. Die 
Aufgabe Ganzes pflegte von den Vpn. gewöhnlich im räumlichen 
Sinn genommen zu werden (vgl. oben Dso, S. 236). Hier dagegen 
konnte die Aufgabe nur durch Aufsuchung eines zeitlichen Ganzen 
richtig gelöst werden, während sie in dem gewohnten Sinn auf- 
gefaßt nicht zum Reizwort paßte. Die Folge dieses Umstandes 
*) Vgl auch noch Cio S. 271. 
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4, Verhäänia der einleitenden Denkprozesse zur Qesamtaufgabe, 247 
war, daß in 4 von 7 FttUen Mißdeutungen der Aufgabe (bezw. 
die Tendenz dazu) eintraten. Das Protokoll von A zeigt deutlich 
den eben angegebenen Entstehungsgrund dieser Erscheinung: 
Ate Tanzsaal 22,8'^ Ich las wie immer beides hintereinander, beides mit 
Verstftndnis. Ich mußte mir die Aullg^abe wieder erst klar machen. Ich sagte 
mir, es soll zu Tanz ein Ganzes gesucht werden, von dem Tanz ein Teil ist. 
Die Aufgabe kam mir so sonderbar vor. Ich hatte dann undeutlich 
die Vorstellung eines Tanzsaales mit einigen tanzenden Paaren. Es war ein 
Gemenge, ohne daß ich viel dabei unterschied. Es kamen mir Zweifel, ob 
ich nicht die Aufgabe wieder umgekehrt aufgefaßt hatte; es 
ergab sich sofort eine Lösung zu der anderen Aufgabe, näm- 
lich Tanz als Ganzes zu fassen: Tanzschritt Ich hatte zufkllig an 
einem vorObergehenden Paare dabei einen Tanzschritt gesehen. Es wurde mir 
nun klar, daß das doch nicht die Aufgabe sei, und ich versuchte dann ein 
wirkliches Ganzes zu finden. Ich wußte nichts Besseres anzugeben als Tanz- 
saal, die Lösung kam mir sehr unbeiHedigend vor, den Tanz so als Teil eines 
rftumhchen Objekts zu fassen. Ich gab mich jedoch damit zufrieden, weil ich 
sagte, etwas Besseres kann ich doch nicht finden, augenblicklich weiß ich 
auch nichts. 
Der Zweifel der Vp. an dem Sinn der Au%abe entsteht also 
dadurch, daß die Aufgabe in der richtigen Auffassung nicht zum 
Reizwort zu passen scheint, während die Auffassung des Tanzes 
als (Ganzes, zu dem ein Teil zu suchen sei, einen sehr verständigen 
Sinn ergibt und die Mög^chkeit einer Lösung bietet. Wie A, so 
hat auch H die Tendenz, die Aufgabe „Ganzes'' mit der Aufgabe 
„Teil" zu verwechseln*). G (Vergnügen B,8") verwechselt die Auf- 
gabe Ganzes mit der Au^;abe Überordnung und bei B tritt ein 
Mischprodukt aus diesen beiden Au^;aben ein*). 
§ 4. Verhältnis der einleitenden Denkprozesse zur Ge- 
samtaufgabe. 
Nur unter der Voraussetzung, daß die Tätigkeit der Vp. mit 
der Bildung der Gesamtaufgabe beginnt, werden auch eine Reihe 
von Denkprozessen verständlich, die den Lösungsversuchen voraus- 
gehen oder sich bei ihrem Beginn einstellen. Hierher gehören vor 
allem die Fälle einer sich an das Verständnis unmittelbar an- 
schließenden kritischen Beurteilung der Zusammenstel- 
*) Siehe das Protokoll oben S. 216 Anm. 1. 
^ Siehe das Protokoll oben S. 196. 
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948 AMm. 3. Dk Oe§amimtfgBke. 
lung von Aufgabe und Reizwort Diese seigt, daB Aufgabe 
und Reizwort aufeinanderbezogen und zur Oeeamtaulgabe vereinigt 
worden sind« So wurden, wie schon in der Einleitung (S. 10) er- 
wähnt, bei der Aulgabe „Ganzes?^ mit Vorliebe Oegenstttnde ge- 
wählt, welche in der Regel ein fttr sich abgeschlossenes Ganzes 
bilden und nur unter bestimmten Umständen als Teile eines 
größeren (Ganzen erscheinen. Indem nun der Reizwortgegenstand 
bei der Bildung der Gesamtaufgabe in das Schema eines größeren 
Granzen als Teil eingesetzt wird, kommt die scheinbare UnvertrHg- 
lichkeit seiner Abgeschlossenheit mit der Anforderung, räi Ganzes 
zu ihm zu suchen, zu Bewußtsein. Es ist, als verlange die G^ 
samtau%abe, den fttr sich abgeschlossenen Gegenstand als nicht 
abgeschlossen zu denken. Die Opposition der Vp. gegen diese 
Zumutimg macht sich dann in dem verwunderten Ausruf, der be- 
treffende Gegenstand sei doch selbst ein Glanzes, oder in einem 
äquivalenten G^edanken geltend. 
Beispiele: 
Kranz — Ganzes? A«t Schaufenster 16,6". Nachdem ich die Auf- 
gabe gelesen hatte, hörte ich ganz deutlich den Satz: Aber 
derKranzistja selbst ein Ganzes» ganz leise motorische hmervation 
dabei. Dann suchte icli nun doch irgend ein Granzes, in dem ein Kranz vor- 
kommen kann. . . . 
Gemälde — Ganzes? H»io nach 14,6": Finde keine Antwort — Las Ge- 
mälde, erkannte die Ähnlichkeit zur vorigen Aufgabe [Teil? — Gemälde]. Ver- 
stand auch die Aufgabe gleich. Dann mit akustisch-motorisdier Wortbegleitung 
«Das G^nälde ist selbst ein Ganzes**. 
Das Hervortreten der Abgeschlossenheit des Reizwortgegen- 
standes sofort nach dem Verständnis von Reizwort und Auf- 
gabe läßt keinen anderen Erklärungsgrund zu als den Ver- 
such, den Reizwortgegenstand als unabgeschlossenen Teil eines 
noch näher zu bestimmenden Ganzen zu denken. In analoger 
Weise kann bei der Angabe „Teil?** der Versuch, den Reizwort- 
gegenstand als ein aus einer Mehrheit noch imbestimmter Teile 
bestehendes Ganzes zu denken, zum Hervortreten seiner schein- 
bar unteilbaren Einheitlichkeit führen. So stellte sich in dem 
Versuch Teil? — Meer bei Vp. Eao Insel 4" das Bewußtsein 
ein, „daß das Meer doch etwas ganz Einheitliches sei, von dem 
man kaum Teile angeben kann, und daß man schon scharf suchen 
müsse, um solche zu finden." 
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4. Verhältnis der mieitmdem DetUtßrouau zur Gesamtaufgabe. ^ dIO 
Bei der Au|gabe Definition kam es wiederholt su einer kri- 
tifidieii Bttirteilung der ZiiMminenstellimg v(m Au%abe und Reis- 
wort: 
Deinition? — Hauptstadt An« Ja 19,4^. Ich las hintereinander die Auf- 
gabe mid das Reiiwort. Allgemeines Bedeatongsbewiißtsein von Hauptstadt 
von Aafeuog an vorhaadoo. Die Au%abe hatte für mich noch einen besonderen 
Charakter, weil mir eine Definition von Hauptstadt ziemlich schwer ersduen 
und außerdem etwas überflüssig, weil so gewissermaßen schon 
in der Zusammensetzung liegt, was es ist Ich begann dann 
innerlich zu formulieren: Hauptstadt ist . . . War nun versucht, fortzufahren: 
Die Hauptstadt eines Landes. Habe das nicht ansgesprocfaoi, wdß aber 
sicher» daß ich diese Richtung hatte. Es war das Bewußtsebi, daß das kam, 
was ich vorher schon als unpassend erkannt hatte. Ich wollte jetzt das ver> 
meiden und begann . . . ist d i e Stadt eines Landes . . . Jetzt wollte ich weiter 
das „Haupt . . .*^ nfther erklären. . . . 
Auch bei Vp. Dns 8,4'' beginnt das Protc^oU zu diesem Versuch in 
ähnlicher Weise: Gelesen, es schien mir ein bißchen unzusammengehörig, als 
vde wenn Definition nidit recht hierher passe. . . . 
Was hier vorliegt, geht aus dem Protokoll von A deutlich 
hervor. Die Bezeichnung des Reizwortgegenstandes bestimmt 
diesen durch eine Wortzusammensetzung, bei der das Grundwort 
,,Stadt*^ das genus proximum angibt, während das Bestimmungs- 
wort ,,Haupt" aui die differentia specifica hindeutet Gerade 
sokhe Bestimmungen aber sind es auch, welche die (Jesamtauf- 
gäbe fordert. Es gewinnt daher den Anschein, als sei das durch 
die Gesamtaulgabe Verlangte schon durch die Bezeichnung des 
Reizwortgegenatandes geleistet und eine weitere Definition daher 
überflüssig bezw. nicht gut m(}gliclL Wir haben uns also aui der 
einen Seite durch die Bildung des Bewußtseins von der Gresamt* 
aufgäbe ein Bewußtsein von dem durch diese Geforderten als 
entstehend zu denken. Auf der andern Seite entsteht durch das 
Verständnis des Reizwortes das Bewußtsein von der Art und 
Weise, wie das Reizwort seinen Gegenstand bestimmt Durch 
Abstraktion entsteht sodann das Bewußtsein der Identität des dort 
Gefordert^DL mit dem hier bereits Gegebenen und damit die schein- 
bare Erkenntnis der Überflüssigkeit einer Definition. 
Die kritische Stellungnahme zur Gresamtaufgabe bei der Auf- 
gabe „Definition?^ kann femer auf der Meinung beruhen, daß 
es sich bei dem zu definierenden um etwas Letztes, nicht weiter 
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960 Abmhn. 3. Die öe$amtaufgabe. 
ZurUckfCihrbares handle. Eine eigentlidie Definition, die eine 
Mehrheit von Merianalen, nämlich mindestens ein allgemeines und 
ein spezielleres voraussetzt, wäre in diesem Falle nicht mOglich. 
So gibt Vp. Ait4 in dem Versuch „Gewalt — Definiti<m?^ an: 
,,Ich las hintereinander Reizwort und Au^;abe und war davon sdur 
befremdet. Von vorne herein wußte ich gar nicht, was an Ge- 
walt noch zu definieren sei.^ Die Meinung, daß es sich bei dem 
Reizwortgegenstand um etwas Spezifisches handle, das sich nicht 
mit anderen Gegenständen unter eine gemeinsame höhere Gattung 
einordnen lasse, veranlaßt auch bei der Au^;abe „Überordnung?^ 
gelegentlich eine Kritik der Zusammenstellung von Aufgabe und 
Reizwort: 
Oberordnung? — Beerdigung Gti 18,6'^ Zuerst große Oberraschung, 
daß man zu Beerdigung dne Überordnung suchen soll, der Gedanke: CKbt es 
denn Oberhaupt so etwas ?0 
Eine Beurteilung der Gresamtau^^abe und dadurch zugleich 
eine unzweifelhafte Bestätigung ihrer Bildung enthält weiterhin 
das Schwierigkeits- bezw. Leichtigkeitsbewußtsein, 
das sich häufig in unmittelbarem Anschluß an das Verständnis 
vor der Einleitung eines bestimmten Lösungsversuches einstellt*) 
tmd sich auf die Gesamtaui^be bezieht. So gibt die Vp. A bei 
der Aufgabe „Pfand— Überordnung?'' an: ^Ich las hintereinander 
die beiden Worte mit Verständnis, ohne Zwischenerlebnis. Wie 
ich das zweite gelesen und auf das erste bezogen hatte, wurde 
mir sofort bewußt, daß die Aufgabe schwer sei.*' Daß das Schwierig- 
keitsbewußtsein nur durch die Gesamtaufgabe hervorgerufen sein 
kann, ergibt sich auch aus der Tatsache, daß die Aufgabe Über- 
ordnung in den vorausgehenden Versuchen ebenfalls vorlag. Ein 
ähnliches Schwierigkeitsbewußtsein findet sich bei derselben Vp. 
bei der Aufgabe Überordnung zum Reizwort Bühne. Dagegen 
stellt sich im Versuch „Nagel — Überordnung?" vor der Inangriff- 
nahme einer bestimmten Lösung ein Bewußtsein der Leichtigkeit 
ein. Zum Verständnis solcher Beurteilungen der (Jesamtaufgabe 
hat man sich zu vergegenwärtigen, daß die Aufgabe Überordnung 
die Behauptung enthält, der Reizwortgegenstand gehöre zu einer 
*) Vgl. Aiii S. 290. 
*) Das Schwierigkeits- und Leichtigkeitsbewußtsein tritt natüriich auch 
häufig im späteren Veriauf des Versuches auf. 
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4. Verhältnis der einleitenden Denkproxesse zur Gesamiaufgabe. 261 
G^ppe von Gregenständen, die sich auf Grund eines gemeinsamen 
Merkmals unter einem Oberbegriff vereinigen lassen. Weiß die 
Vp. daher, daß der betreffende Gregenstand in eine größere Gruppe 
gleichartiger Gegenstände gehört, so wird infolge der bestehenden 
auf die Lösung der Gesamtaufgabe gerichteten Determination 
dieses Wissen wenigstens dunkel aktualisiert werden und ein Be- 
wußtsein der Leichtigkeit herbeiführen. So beim Reizwort Nagel, 
da der Nagel in eine Gruppe von Gregenständen gehört, die man 
als Handwerkszeug bezeichnet. Die erste Lösung von Vp. A war 
in der Tat Handwerkszeug. Bei den Reizworten Pfand und Bühne 
ist begreiflicherweise ein Wissen von einer Gruppe gleichartiger 
Gegenstände im allgemeinen nicht geläufig, und ebensowenig ist 
hier ein mit anderen Gregenständen gemeinsames, zur Bildung 
eines Gattungsbegriffes geeignetes charakteristisches Merkmal ohne 
weiteres zur Hand« Der Nichteintritt des Wiedererkennens 
von Gegenständen zieht bei vorhandener auf ein Wieder- 
erkennen gerichteter Determination ein Bewußtsein der Unbekannt- 
heit des betreffenden Gegenstandes, ein Fremdheitsbewußtsein nach 
sich; in analoger Weise zieht der Nichteintritt einer Wissens- 
aktualisierung bei vorhandener Tendenz zu einer solchen das 
Bewußtsein der Unbekanntheit des in Frage stehenden Sachver- 
hältnisses nach sich. Demgemäß wird das Fehlen eines bereit- 
stehenden Wissens von einer Gruppenzugehörigkeit des Reizwort- 
gegenstandes, wie sie für die Lösimg der Aufgabe Überordnung 
erforderlich erscheint (bezw. das Fehlen des Wissens von einem 
passenden charakteristischen Merkmal), ein Bewußtsein der Fremd- 
heit und daher der Schwierigkeit der Gesamtaui^abe zur Folge 
haben. Hierher gehört auch folgender Versuch: 
Professor — andere Oberordnung: A»6 Geehrter 7jBf\ [Vorausgegangen 
Professor — Oberordnung? — Lehrer 3,8".] Hintereinander gelesen. Gleich 
darnach, bevor ein LOsungsversuch eingeleitet war, wurde mir bewußt, daß 
eine andere Oberordnung vielleicht schwer zu finden sein würde. 
Die Selbständigkeit des Reizwortgegenstandes, die in ver- 
schiedenen Fällen zu einer kritischen Beurteilung der Aufgabe 
Ganzes führte, kann auch zu einem Schwierigkeitsbewußtsein 
Anlaß geben. So gibt Vp. E im Versuch „Spiegel — Teil, dann 
Ganzes?*^ an: „Dachte sogleich im Anschluß an das Lesen der 
Aufgaben: das Ganze finde ich nicht." Während die Lösung 
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M$(kn. 3. Du Oesamitatfgabe. 
der ersten Aulgabe 'sofort einfiel, nahm denn audi der Versuch 
einer befriedigenden Lösung der Eweiten Aufgabe nahezu zwei 
Minuten in Anspruch. Handelt es sich bei der Aufgabe Teil um 
einen gegUederten Gegenstand, so kann die Kenntnis dieses Um- 
standes schon vor der Einleitung eines bestimmten Lösungsvomiches 
ein Bewußtsein der absoluten oder relativen Leichtig^dt der Ge- 
samtau^abe zur Entstehung bringen« 
Käfig — Ganzes oder Teil? C4t Gitterwerk 11,4". [Die Lösung Zimmer 
z\a Aufgabe Ganzes befriedigt die Vp. nicht, sie geht daher auf (Üe zweite 
Aufgabe über] ... Da hatte ich gleich das Erld>nis, daß das leichter zu finden 
seL Ich setzte midi bewufit an das Ausmalen des Kflfigs, um da dnen Tai 
herauszuheben, d. h. ich ließ den Kftfig scharf heraustreten und beachtete 
scharf die einzelnen Teile. . . . 
Dieses Beispiel zeigt in charakteristischer Weise, wie die 
Bildung der Oesamtaufgabe zunächst das Hervortreten der all- 
gemeinen fttr die Lösung der Au^;abe Teil erforderlichen Eigen- 
schaft der Oliederung in Teile an dem Reizwortgegenstand nach 
sich zieht, und wie dann erst hierdurch die Einleitung der LOsung 
durch Verdeutlichung der im Bewußtseinshintergnmd befindlichen 
Vorstellung und durch die Abstraktion von Teilen an ihr motiviert 
wird»). 
Am häufigsten gab die wegen ihrer Schwierigkeit von den 
Vpn. etwas gefürchtete Aufgabe „Definition** Anlafi zu einer den 
Lösungsversuchen vorausgehenden allgemeinen Beurteilimg der 
Gresamtaufgabe nach ihrer Schwierigkeit Z. B.: 
Definition? — Handel Em 20". Die Definition erschien mir zunächst sdir 
schwer, schon ehe ich den geringsten Versuch zur Lösung gemacht hatte. 
Am deutlichsten zeigt sich das Bezogensein der Schwierig- 
keitsbeurteilung auf die Gesamtau^abe in den Fällen, in denen 
schon die Aufgabe Definition fttr sich allein ein Schwierigkeits- 
bewußtsein erzeugt, das dann beim Lesen des nachfolgenden Reiz- 
wortes verstärkt wird. So wurde bei Vp. Bss die beim Anblick 
der Au^;abe Definition auftretende ,,iuiheimliche Empfindung, daß 
es sich um eine wenigstens während der Versuche eigentlich 
unlösbare Aufgabe handle", verstärkt, als die Vp. das Wort Eigen- 
') Vgl. als Gegenstück Eto S. 24a 
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4. Verhältnis der eMeÜemäen Denkproxesse zur Gesamtaufgabe, 268 
tum erblickte. Der Eindruck war so stark, daß die Vp. nun, wie 
sie angibt, etwas lachen mußte ^). 
Ähnlich bei Vp. Aiot im Versuch Definition? — Organismus. Ich las eu- 
ersi das Wort Definition, erkannte es mit einem gewissen Unlustgeflihl wieder 
als ein Wort, das mir eine schwere Aufgabe bringen würde. Dieses Unlust- 
gefdhl wurde noch gesteigert durch das Lesen des Reizwortes Organismus. 
Mein erster Gedanke war der, einfach auf die Lösung zu verzichten, weil ich 
nicht glaubte, eine finden zu können*). 
Als Gtogenstttck diene ein Fall eines Bewußtseins der Leichtig- 
keit bei derselben Aufgabe „Definition^ und derselben Vp.: 
Stiftung — Definition? ki%% 20,8". Ich las hintereinander Reizwort und 
Aufgabe, wußte auch von vornherein, daß die Aufgabe nicht schwer fallen 
würde, weil mir der Begriff der Stiftung nach meiner Meinung völlig präsent 
war, so daß idi ihn vermeintlich nur in Worten auseinanderzulegen brauchte, 
um eine Definition zu finden. . . . 
Es ist hier ersichüicb, daß das Bewußtsein der Leichtigkeit 
sich auf das vermeintliche Prttsentsein eines gegliederten Begriffes 
stützt, von dem die Vp. glaubt, daß sie ihn zum Zwecke der 
Definition nur in Worten auseinanderzulegen habe. Es läßt sich 
daher vermuten, daß das Fehlen einer solchen Präsenz, das Vor- 
handensein eines ungegliederten, vielleicht sogar scheinbar unzer- 
legbaren Bedeutungsbewußtseins, wenigstens in einem Teil der 
Fälle fttr das Bewußtsein der Schwierigkeit vor dem Beginn eines 
bestimmten Lösungsversuches der Aufgabe Definition verantwort- 
Uch zu machen ist. Hierher gehört z. B. wahrscheinlich der Ver- 
such „Verwandtschaft — Definition?," bei dem zwei Vpn. ein 
Schwierigkeitsbewußtsein vor Inangriffiiahme der Lösung konsta- 
') Wir haben hier ein Lachen, das durch einen komplizierten Denkprozeß 
ausgelöst wird, nämlich durch das Bewußtsein des Kontrastes zwischen dem 
Sachverh<nis, daß die Gesamtaufgabe außerordentlich schwierig ist, und dem 
Sachverhäitnis, daß in dem Versuch nur eine sehr kurze Zeit zu ihrer Lösung 
zur Verfügung steht Das Lachen ist also bedingt durch das Bewußtsein von 
einem zusammengesetzten Sachverhältnis des Kontrastes, dessen Glieder selbst 
wieder Sachvexhältnisse sind. Wer solche Denkprozesse wegzuinterpretieren 
sucht und nur die Begleiterscheinungen, etwa die vorhandenen Gefühle und 
Organempfindungen gelten läßt, wird die Entstehung eines derartigen Gemüts- 
ausdruckes vergeblich verständlich zu machen suchen. 
■) Dennoch gelingt es der Vp. in der bei der Schwierigkeit der Gesamt- 
aufgabe verhältnismäßig kurzen Zeit von 46'^ nach mehrfachem Herumprobieren 
eine recht brauchbare Definition zu geben. 
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254 Ab9(hn. 3. Die öesämtaitfgabe. 
tieren, während Vp. Eiss, der nach 38^ eine annähernd richtige 
Lösung gelingt, angibt: 
Allgemeines Bedeutungsbewußtsein [von Verwandtschaft], aber kdne 
Mannigfaltigkeit von Mericmalen bewußt Von dem, was ich spftter angab, 
war auch dem Sinne nach noch nichts bewußt Dennoch ein voUes Verständ- 
nis, aber ich hätte es in dem Augenblick niemals definieren können. Dann 
starrte ich zuerst eine Zeitlang ins Blaue hinein, fand aber nichts *), — 
Es ist klar, daß das Bewußtwerden des Gregensatzes zwischen 
der in der Gesamtaufgabe liegenden Forderung einer Auseinander- 
legung des Begriffs des Reizwortgegenstandes und der unge- 
gliederten Beschaffenheit des vorhandenen Bedeutungsbewußtseins 
geeignet ist, ein Schwierigkeitsbewußtsein hervorzurufen. Sieht 
man von den ein solches Schwierigkeits- bezw. Leichtigkeits- 
bewußtsein allenfalls begleitenden zustfindlichen Erlebnissen ab, 
so ist es nichts anderes als das Bewußtsein von dem Sachver- 
hältois, daß die ungegliederte bezw. gegliederte Beschaffenheit 
des Bedeutungsbewußtseins von dem Reizwortgegenstand die 
Lösimg der Gesamtaufgabe voraussichtlich zu einer schwierigen 
bezw. einer leichten gestalten wird. Das Schvnerigkeits- bezw. 
Leichtigkeitsbewußtsein besteht in dem Bewußtsein von einem 
zwischen der Beschaffenheit des Bedeutungsbewußtseins vom Reiz- 
wortgegenstand und der Lösung der Gesamtaufgabe bestehenden 
Abhängigkeitsverhältnis und setzt demnach die Bildimg des Be- 
wußtseins von der Gesamtaufgabe voraus. Das gleiche gilt auch 
in den übrigen behandelten Fällen eines Schwierigkeits- oder 
Leichtigkeitsbewußtseins. Überall stellt es die Erkenntnis eines 
Abhängigkeitsverhältnisses zwischen der Beschaffenheit des Reiz- 
wortgegenstandes bezw. des der Vp. über ihn zu Gebote stehenden 
Wissens und der Lösimg der Gesamtau^;abe dar. 
§ 5. Verhältnis der die Lösung begleitenden Denk- 
prozesse zur Gesamtaufgabe. 
Wie die einleitenden Denkprozesse so sind auch die Denk- 
prozesse, welche die Lösung begleiten, nur unter Voraussetzung 
der Bildung der Gesamtauigabe zu verstehen. So zeigt sich das 
*) Vgl. ferner Ait4 S. 260. Auch Vp. Eist hatte bei dem dort angeitÜirieD 
Versuch „von vorne herein den Eindnick, das ist sehr schwer*. 
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5. Verhältnis der die K^sung begleitenden Denkprozesse zur Gesamtaufgabe. 265 
mit dem Auftreten des Reaktionswortes häufig verbimdene Be- 
wußtsein der Richtigkeit oder der Lösung davon ab- 
hängig, daß das Reaktionswort (wirklich oder vermeintlich) in der 
durch die Gresamtaufgabe geforderten Beziehung zum Reizwort- 
gegenstand steht ^). Es genügt also nicht, daß der Gegenstand 
des Reaktionswortes überhaupt in der durch die Aufgabe im 
engeren Sinne geforderten Beziehimg steht, sondern die Beziehimg 
muß zwischen ihm imd dem Reizwortgegenstand vorhanden 
sein. Die Notwendigkeit einer solchen Abhängigkeitsbeziehimg 
leuchtet sofort ein, wenn man sich klar macht, worin die Richtig- 
keit der Reaktion besteht. Sie besteht in der Tatsache, daß das 
zwischen dem Reaktionswortgegenstand und dem Reizwort- 
gegenstand bestehende Sachverhältnis mit dem in der Gesamt- 
aulgabe geforderten Sachverhältnis übereinstimmt. Demgemäß 
besteht das Bewußtsein von der Richtigkeit der Reaktion in 
dem Bewußtsein von dem Sachverhältnis dieser Übereinstimmung'). 
Ein Bewußtsein der Übereinstimmung der Reaktion mit den An- 
forderungen der Gesamtaufgabe setzt aiber natürlich die Bildung 
des Bewußtseins von der Gesamtaufgabe voraus. Das gleiche 
gilt Air die emotionalen Erlebnisse der Befriedigung im Falle 
einer glücklichen bezw. der Unbefriedigung im Falle einer nicht 
ganz entsprechenden Lösung; denn diese zuständlichen Erlebnisse 
sind an das Bemerktwerden der völligen bezw. nicht völligen 
Übereinstimmung des tatsächlich bestehenden Sachverhältnisses 
und des von der Gresamtaufgabe geforderten Sachverhältnisses 
zwischen Reaktionswort- und Reizwortgegenstand geknüpft. 
Beispiele: 
(jottesdienst — Teil? Dt Gebet 6,6'' . . . Dann wollte ich erst Sakrament 
sagen, zurückgedrängt, schien mir nicht recht zu passen. Ich verwarf es, 
ohne mir recht klar zu machen, warum das nicht stimmt Einen Augenblick 
Falle dieser Art wurden schon bei der Wissensaktualisierung behandelt 
(vgl. S. 49 und Anm. 6) ; sie kommen aber ebenso auch bei der Anwendung 
anderer Lösungsmethoden vor. 
*) Schon Ach hat darauf hingewiesen, daß die Bewußtheit der „Richtig- 
keit** ein Urteil darüber darsteUt, ob der auftretende Inhalt dem entspricht, 
was früher Gegenstand des Vorsatzes war. (Ober den Willensakt und das 
Temperament, S. 264.) Nur die Auffassung der Gesamtaufgabe als Inhalt 
jenes Vorsatzes fehlt bei Ach. 
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966 Ab^dm. 3. Dk Qntmksufgt^. 
abgewartet; dann kam mir erlösend, mit einer Nuance des Freudigen^ 
das Wort Gebet, das Wort kam suerst und dann gestaltete sich die Bedeutung 
aus. Wußte auch, daß das stimmt: Ja, das ist ein Teil des 
tiottesdienstes. 
Die Feststellung der Übereinstimmung der Reakticm mit den 
Anforderungen der Gesamtau^abe tritt hier deutlich hervor. Das 
gleiche ist in dem folgenden Protokoll der Fall: 
Gegensatz? -- Hafen Ai Meer 7,6" . . . Dann ging ich mit dem Blicke 
die WasserflAche entlang und kam ins Meer. Ob ich optisch ganz hinaus- 
gekommen bin, weiß ich nicht, ich hatte aber die Richtung und das Bewußt- 
sein, ich komme siun Meer. Sobald der Gedanke an das Meer in mir bewußt 
wurde, dachte ich: Halt! Das ist ein guter Gegensatz zum Hafen. 
Dann reagierte ich mit freudigem Bewußtsein der glOcklichen 
Losung. 
In dem Versuch Teil? — Gemälde verwirft Vp. Aio zunächst 
zwei Reaktionsworte, die zwar Teile, aber nicht Teile des Gemäldes 
im strengen Sinne, nämlich des Dargestellten bezeidmen. Als 
die Vp. daher nach einem komplizierten Denkprozeß von 23^' die 
Lösmig Vordergrund findet, wird diese ^mit starker Befriedigung'' 
ausgesprochen 0* Der Zustand der Unbefriedigung und seine 
Beziehung zur Gesamtausgabe ist am deutlichsten bei Vp. F zu 
erkennen, welcher eine besonders strenge Auffassung der Ge- 
samtau%abe eigen ist, während sie andererseits sich im Gegen- 
satz zu Vp. A nicht immer die zur Auffindung einer völlig be- 
friedigenden Lösung nötige Zeit läßt Von Interesse ist hier 
namentlich das Seitenstück zu dem eben erwähnten Protokoll 
von Vp. A: 
Teil? — Gemälde Fit der Rahmen*) 10,8" ... Ich war Ober die Lösungs- 
möglichkeit, den Rahmen xu nehmen, sehr unbefriedigt in dem Be- 
wußtsein, daß es keine gute Lösung sei, weil der Rahmen 
doch nur in einer äußeren Beziehung zum Gemälde steht, und 
ich suchte sogar noch einmal etwas im Gemälde im engeren Sinne zu finden, 
was mich befriedigen könnte; ich habe es nicht gefunden und bin so zum 
Wort Rahmen zurückgekehrt, da die Sache doch eine allzulange Zeit ge- 
nommen hatte. 
') Vgl. Achs Ausftlhrungen Ober den Begriff der determinierten Gefühle 
und ihrer ftmktionellen Abhängigkeit von der Größe der bei der AusfOhning 
einer Determination tlberwundenen Schwierigkeiten. Ober den Willensakt und 
das Temperament, S. 807 if . 
*) Vp. A hatte diese Lösung verworfen. 
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5. Verhaänis der die Lösung begieUenden Denkprozesse zur Gesamtaufgabe. 257 
Der Zustand der Unbefriedigung gründet sich in diesem Ver- 
such sichtlich darauf, daß der Gresamtaufgabe insofern nicht ent- 
sprochen ist, als der Rahmen nur ein Teil von Gemälde in einem 
erweiterten, etwas oberflächlichen Sinne ist Die Lösung wird 
nur akzeptiert, weil das Suchen in einem der Gesamtau^abe 
völlig entsprechenden Sinne nicht zum Ziele führt. 
Ganz ähnlich lautet das Protokoll zum nächsten Versuch: Gemälde — 
Ganzes? Fn Wand W* . . . Auch in diesem FaU war ich ebenso unbefriedigt 
wie vorher, weil die Wand nur in einem äußerlichen Veiiiältnis zu dem Ge- 
mälde steht 
Das Bewußtsein der Richtigkeit und die Zustände der Be- 
friedigung bezw. Unbefriedigung verdanken, wie gezeigt worden 
ist, ihre Entstehung der Abstraktion des zwischen der Reaktion 
und den Anforderungen der Gesamtausgabe bestehenden Sach- 
vertiältnisses. Es ist sehr wahrscheinlich, daß das Zustande- 
kommen solcher Abstraktionsprozesse in der Regel auf ein Eon- 
troUbedürfnis ^ der Ypn. imd die aus ihm entspringenden determi- 
nierenden Tendenzen zurückzuführen ist. Eine determinierende 
Tendenz zur Eontrolle der Lösung müßte ja gerade auf die Fest- 
stellung ihrer Richtigkeit und demgemäß auf die Ermittelung des 
Verhältnisses zwischen der tatsächlich bestehenden Beziehung des 
Reaktionswortes zum Reizwort imd dem in der Gesamtaufgabe 
geforderten Sachverhältnis gerichtet sein. Durch die Annahme 
einer determinierten Lösimgskontrolle wird die Tatsache sofort 
verständlich, daß bei der Aufgabelösung nicht wie bei einem 
rein assoziativen Ablauf jedes Erlebnis von dem folgenden ab- 
gelöst wird und damit aus dem Bewußtsein verschwindet, sondern 
daß der weitere Verlauf auf den Ausgangspunkt, die Gesamtauf- 
gabe, zurückbezogen erscheint. Das Auftreten des Bewußtseins 
der Richtigkeit sowie der zuständUchen Erlebnisse der Befriedigung 
bezw. Unbefriedigung ist nach dieser Annahme als das Ergebnis 
eines determinierten Abstraktionsprozesses anzusehen. ^ 
Deutlich tritt die determinierende Tendenz zur Lösimgskontrolle 
in den Fällen hervor, in denen sich an das Auftreten der Lösung 
*) Vgl über das Vorliegen eines solchen KontrollbedOrfhisses schon oben 
S. 186 f. Mit dieser Erklärung stimmt auch die Erfahrung von Ach überein, 
daß die Bewußtheit der Richtigkeit bei sehr leichten und stark geübten Tätig- 
keiten wegfallen kann. W. und T. S. 264. 
SeU, Ober die Oeietie dee geordneten DenkTorUab. 17 
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266 AbaduL 3. Die Qesamtaafgabe. 
ein Prozeß der Verifikation (Bestätigung) anachließt Eine 
solche Verifikation ist nichts anderes als die auf Grund einer 
determinierten Lösungskontrolle in einem besonderen Akte erfol- 
gende Feststellung der Übereinstimmung des tatsächlich bestehenden 
Sachverhältnisses des Reaktionswortes zum Reizwort mit dem in 
der Gresamtau^abe geforderten Sadiverhältnis ; kürzer gesagt, sie be- 
steht in der determinierten Feststellung der Richtigkeit der Lösung 
in einem besonderen Akt. 
Beispiele: 
Ganzes? — Flügel Gt» Vogel 4,8"' . . . Nach dem Aussprechen kurze 
Kontrolle durch das Urteil, daß Vogel und FlOgel sich in dem 
verlangten Verhältnis befinden*). 
Schuld — Wortergftnxung? Gt (Schuld-) Verhaftung 4" . . . Zwischai 
der fertigen Reaktion und dem Aussprechen noch eine kurze Pause, hi der 
Pause erfolgte noch einmal eine kleine Kontrolle, ob das Wort, das 
sich eingestellt hatte, der geforderten Lösung entsprach. 
Ganzes? — Gruft Bit Erde 3'' . . . Sofort ein Anschluß an das optische 
Bild „Erde*^, vielleicht angeregt durch den Gedanken, worin befindet sich die 
Gruft. Bevor die Reaktion ausgesprochen wurde, fand noch eine kurze Be- 
stätigung, ein innerer PrOftingsblick statt 
Teil? — Meer Ott Welle 3,2" . . . Erst nachdem ich Welle ausgesprocfa^ 
hatte, kam mit einer gewissen Bangigkeit die Bestätigung: Ja, Welle ist 
ein Teil des Meeres. 
Derselbe Versuch. Ai» Brandung 9J&' ... Ich sah auf das offene Meer 
hinaus. Dann sah ich in einiger Entfernung vom Strand die Meeresbrandung, 
die hohen WeUen. Da kam mir der Gedanke: Kann man das als Teil, 
des Meeres benutzen? Ich bejahte diese Frage und reagierte*). 
Das zuletzt angeführte Beispiel weist darauf hin, daß die 
Prüfung der Übereinstimmung mit der Gesamtau^abe sich nicht 
nur an das Auftreten als Lösung, sondern auch schon an das 
Auftauchen des Gedankens an die Möglichkeit einer Verwendung 
als Lösung anschließen kann. 
Die Einleitung eines determinierten Verifikationsprozesses ist 
ebenso wie die Einleitung anderer determinierter Prozesse teils 
von der Individualität des betreffenden Subjekts, teils von 
obiektiven Faktoren abhängig. Einige Vpn., z. B. C und G, 
*) Vgl. auch G oben S. 55 Anm. 2. 
*) Vgl auch die Verißkationsprozesse in den früher angeftlhrten Protokollen, 
z. B. Giti S. 27, Gt« S. 46, A.« S. 53/55, G S. 55 Anm. 2, G« S. 56, Bit S. 196. 
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5, Verhältnis der die Lösung begießenden Denkprozesse zur Gesamtaufgabe. 269 
bedienten sich zur Sicherstellung der Lösung besonders häufig 
eines eigenen Verifikationsverfahrens. Dem entspricht zwar eine 
große Sorgsamkeit der betreffenden Vpn., dagegen läßt sich aus 
der Seltenheit eines Verifikationsverfahrens kein Schluß auf einen 
Mangel an Soigsamkeit bei der betreffenden Vp. ziehen. Es kann 
vielmehr z. B. die Beziehung zwischen dem Lösungsprozeß und 
der Gesamtaufgabe von Anfang an so konstant aufrecht erhalten 
bleiben, daß eine gesonderte Eontrolle nicht mehr erforderlich 
ist^. In objektiver Hinsicht wird der Verifikationsprozeß 
namentlich dadurch motiviert, daß die Lösung nicht auf Grund 
einer klaren Einsicht in das Vorliegen des geforderten Sachverhält- 
nisses gefunden wurde, sondern als mehr oder weniger unsichere 
Vermutung auftritt. Dies ist wieder besonders dann der Fall, 
wenn mittelbare Kriterien für das Vorliegen des verlangten Sach- 
verhältnisses zu der Lösung Anlaß geben. Häufig gelingt es der 
Vp. dabei nicht, die Prüfung der Richtigkeit sofort vollständig 
durchzuführen, so daß es bei einem bloßen Verifikationsversuch 
bleibt. 
Beispiele: 
Tod — Nebenordnung? Ast Leben 2,8" [die Vp. findet Leben als etwas, 
was man gewöhnlich zum Tod in ParaUele setzt *)]... Sofort, nachdem ich 
es genannt hatte, fiagte ich mich unwillkürlich, was ist denn da eigentlich 
das Übergeordnete. Ich konnte es auch jetzt noch nicht angeben. 
Die Vp. bedient sich für die Feststellung der Nebenordnung 
eines mittelbaren Ejriteriums, lüüaalich der bekannten Gtegentiber- 
stellung. Es regt sich in ihr daher das Bedürfnis, zu prüfen, ob 
das geforderte Sachverhältnis wirklich vorliegt Hierzu bedurfte 
es der Einsicht, daß Tod und Leben unter einen gemeinsamen 
Oberbegriff fallen. Daher das Suchen nach einem Übergeordneten. 
Bit Schlaf 4,2". [Auch hier ist die geläufige GegenOberstellung der 
Grund des Auftretens des Reaktionswortes *)]... Sofort an das Auftauchen 
des Wortes Schlaf schloß sich ein Verifikationsbedürfhis an, so ein Gedanke: 
Kann ich das als Begriff nebenordnen? Flüchtige Bestätigung ermöglichte 
dann die Reaktion. Die Reaktion verbunden mit einem gewissen Lösungs- 
zustand nach einer Spannung. 
Über den Einfluß der Tendenz, möglichst schnell zu reagieren, auf die 
Notwendigkeit einer nachträglichen KontroUe siehe S. 186. 
*) Siehe das ProtokoU oben S. 2a 
*) Siehe das ProtokoU S. 29. 
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280 AbaduL 3. Die Gesamtaufgabe. 
Fit Leben 4^6'^ Ich dachte mehr an den Tod als Allgemeines in der 
Natur, wobei die Natur durch VorsteUungen von Bäumen repräsentiert war. 
Es war etwas Dunkles von Nichtlebendigem darin und nun stellte sich als 
Gegensatz dazu das Leben ein. [Die Lösung tritt also auf Grund eines mittel- 
baren Kriteriums der Nebenordnung, nämlich des Gegensatzes auf. Hieraus 
erklärt sich der weitere Veriauf.] Dann fragte ich mich, ob Leben und Tod 
in logischer Nebenordnung stehen, ob sie also unter dieselbe Art zusammen- 
zufassen sind. Die Frage habe ich eigentlich nicht entschieden, sondern ich 
ging von der Voraussetzung aus, daß ich zu den beiden Begriffen einen 
gemeinsamen höheren Begriff finden würde, wenn ich suchte. 
Nebenordnung? — Bahnsteig Bit Brücke 6,6". Wiederum ein kurzer 
Versuch der Verifikation, die namentlich unter dem allgemeineren 
Begriff eines Verkehrsmittels die beiden zusammenzufassen 
bestrebt war; dann Reaktion. — [Voiiier bestand bei der Vp. eine dunkle Rich- 
tung auf den Obeii)egriff VeriL^irsmittel, während das Auftreten der Lösung 
sich vorwiegend im Anschluß an die optische Vorstellung des funktionellen 
Ganzen vollzog, dem der Bahnsteig angehört Bei den Teilen eines funktionellen 
Ganzen besteht eben die Vermutung, daß sie sich unter einen durch die 
Funktion bestimmten gemeinschaftlichen Oberbegriff subsumieren lassen.] 
Einen sehr ähnlichen Verlauf nimmt derselbe Versuch bei Vp. Cit Schienen- 
weg 15" . . . Dachte, aha, das ist etwa ein Nebengeordnetes zum Bahnsteig. 
Ziu- Kontrolle dachte ich, daß es in diesem di£fusen, nicht näher bezeichneten 
großen umfassenden Etwas, das ich eben hatte, als Art neben dem Bahnsteig 
enthalten sei! [Gemeint war unter jenem Etwas das durch die Linie Bonn-— 
Köln repräsentierte „ganze System von Veranstaltungen für Bahn- 
zwecke**.] 
Nebenordnung? — Meer. 
Cit Ebene 4,6" . . . Plötzlich stieg das Bild einer weit hingestreckten 
Ebene auf dem Festiande auf. Gleich damit war die Erinnerung gegeben an 
die bildliche Zusammenstellung von Ebene, Meer, Bergen und Flüssen usw. in 
Seydlitz' Geographiebuch. Dieses Bild kam flüchtig und verschwand wieder. 
Die Ebene blieb allein. Ich bezog nun dieses Bild der Ebene auf 
das Meer und suchte, ob diese beiden Gegenstände im Ver- 
hältnis einer Nebenordnung stünden. Wie ich beides neben- 
einander stellte, hatte ich den Eindruck, es gibt ein gewisses 
höheres Gemeinsames, gemeint war: geographischer Typus. 
Das mittelbare Kriterium fiir die Nebenordnung ist hier die 
Gegentibersteilung in der Geographie. Erst die Kontrolle gewährt 
eine dunkle Erkenntnis des Oberbegriffes und damit eine unmittel- 
bare Einsicht in das bestehende Sachverhältnis der Nebenordnung. 
Die Prüfung, ob das zwischen Reaktionswort und Reizwort be- 
stehende Sachverhältnis mit dem in der Gresamtaufgabe geforderten 
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6, Das Gesetz der Berichtigung. 261 
Sachverhältnis übereinstimmt, tritt in diesem Versuch mit außer- 
ordentlicher Deutlichkeit in die Erscheinung. 
Ein ähnliches unmittelbares Kriterium wie bei C wird auch 
bei B für die Lösung maßgebend gewesen sein, sei es nun die 
Zugehörigkeit zu einem gleichartigen, nämlich geographischen 
Ganzen oder das Wissen von einer gebräuchlichen Gregenüber- 
stellung oder beides: 
Bi» Land 8,8". Schwaches optisches Bild einer MeereskOste. Das Meer 
lag nach außen, wie wenn ich davor stehe, aber mit besonderer Betonung des 
Kostenrandes. Das führte mich sofort auf „Land**. Versuch der Bestätigung 
mit dem Gesichtspunkt: Lassen sie sich begrifflich nebeneinander ordnen? 
Dann Reaküon. 
Daß gerade die Aufgabe Nebenordnung die zahlreichsten 
und bezeichnendsten Beispiele für den Prozeß der Verifikation 
liefert, ist kein Zufall. Dieser Umstand erklärt sich vielmehr aus 
der Natur der Aufgabe Nebenordnung, welche zur Verwendimg 
mittelbarer Kriterien mehr als andere Aufgaben Gelegenheit gibt 
und dadurch besonders häufig ein Bedürfnis zur Kontrolle der 
Richtigkeit entstehen läßt. 
§ 6. Das Gesetz der Berichtigung. 
Der determinierte Prüfungsprozeß, der auf die Ermittelung 
des zwischen der Reaktion und den Anforderungen der Gesamt- 
aulgabe bestehenden Sachverhältnisses gerichtet ist, kann auch 
zu einem negativen Ergebnis führen. Es kann sich die Nicht- 
übereinstimmung mit der Gesamtaufgabe herausstellen. In diesem 
Falle kommt es statt zu einem Bewußtsein der Richtigkeit, bezw. 
zur Bestätigung der in Aussicht genommenen Lösung zu deren 
Berichtigung. 
Beispiele: 
Teil? — Bahnsteig. 
Alt Büfett 27,8". [Vorstellung des Bonner Bahnhofes] ... Ich fing nun 
an, mir den Bahnsteig recht genau anzusehen. Zunächst sah ich mir den 
Boden an und fragte mich, ob ich nun die Einfassungssteine und andere 
Bestandteile des Bodens, der in Vierecke eingeteilt ist, als Teile nehmen 
könnte. Es widerstrebte mir aber diese Reaktion, weil dabei als 
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362 Ab$(kH. 3. DU Ouamtaufgabe. 
das Ganze nBahnsteig** eigentlich nur der Fußboden erscheinen 
warde. Dieser Gedanke war bestimmt da. Dann ging ich weiter und sah 
zuerst die Sftulen, welche das Glasdach tragen, und das Glasdach selbst und 
dachte, das kOnne ich vielleicht nehmen; aber diesen Gedanken habe ich eben- 
falls zurOckgewiesen, weil ich mir dachte, diese Teile könne 
man weniger zum Bahnsteig rechnen als zum ganzen Bahnhof. 
Dann sah ich mich um, was oben auf dem Fußboden sich befand in der 
Hohe, wo man sich bewegt Ich drehte mich um und sah den ganzen Bahn- 
hof entlang, ob ich etwas Derartiges finden würde. Es fiel mir zuerst der 
blaue Briefkasten in die Aug^iL Das paßte mir auch nicht Dann ging 
ich weiter und sah rechts vom Briefkasten, indem ich mich drdite (ich habe 
dieses Drehen erlebt), mir nun gegenüber die Bank, welche dort steht. 
Dachte, das könnte ich als Teil nehmen, weil es mir klar war, 
daß es mit zum Bahnsteig gehöre. Ich wollte aber sehen, ob ich 
nicht noch etwas Besseres ftnde, ich habe mich dann weiter nach rechts ge- 
dreht und sah dann das RestaurationsbOfett, das ich in meiner früheren 
Stellung nicht sehen konnte. Dieses schien mir sehr geeignet, die 
Aufgabe zu lösen, wobei ich das Bewußtsein hatte, daß hier Bahnsteig 
in sehr weitem Sinne genommen sei. Trotzdem war ich aber ganz befriedigt, 
weil es schon sehr lang gedauert hatte. 
Die Vp. geht hier zunächst von einer aus dem täglichen 
Sprachgebrauch stammenden unklaren Bedeutung von Bahnsteig 
aus. Den Kern dieser Bedeutung bildet die symbolische Beziehung 
des Wortes Bahnsteig zu der dem Ein- und Aussteigen dienenden 
Plattform. Die Yp. sucht daher zunächst auf der Plattform nach 
einem Teil. Das führt zu einer determinierten Beachtung der 
Fliesen, welche in Bestandteilsbeziehung zu der Plattform stehen, 
und zur Aufwerfung der Frage, ob man sie als Teile des Bahn- 
steiges nehmen könne. Die Beantwortung der Frage bedingte 
einen determinierten Prüfungsprozeß, bei dem die in der 
in Aussicht genommenen Reaktion liegende Feststellung, die 
Fliesen seien Teile des Bahnsteiges, mit dem tatsächlich be- 
stehenden Sachverhältnis verglichen wird. Nach dem tatsächlich 
beatehenden Sachverhältnis sin(l nun die FUesen Teile des Fuß- 
bodens; Übereinstimmung der Reaktion mit dem in der Gesamt- 
aufgabe verlangten Sachverhältnis besteht daher nur, wenn der 
Fußboden mit dem Bahnsteig identifiziert werden darf 0- Der 
Fußboden würde, wie die Vp. sagt, als das Ganze „Bahnsteig'' 
') Andernfalls wären die Fliesen nur mittelbare Teile des Bahnsteigs. 
Die Angabe von Teilen von Teilen aber wurde von den Vpn. auch sonst als 
der Aufgabe nicht völlig entsprechend betrachtet. 
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6. Das Gesetz der Beriehtigung. 263 
erscheinen. Die Erwägung einer solchenldentif izierung 
führt zur Aktualisierung des mit ihr in Widerspruch 
stehenden Wissens, daß das Wort Bahnsteig eine weitere 
Bedeutung habe. Die mit der Wissensaktualisierung verbundene 
Abstraktion des Widerspruchs zwischen der bei Annahme 
der Losung zugrunde zu legenden und der wirklichen Bedeutimgs- 
funktion des Wortes Bahnsteig hat dann die Verwerfung der 
Losung zur Folge. Als Bahnsteig erscheint nun der ganze Raum, 
in dem sich der Verkehr der Reisenden abspielt. In diesem Raum 
wird jetzt nach Teilen gesucht. Als in ihm befindlich werden 
daher die ^ulen und das Glasdach fttr die Lösung in Betracht 
gezogen. Der determinierte Vergleich der in der in Aussicht ge- 
nommenen Lösung liegenden Feststellung mit dem tatsächlich be- 
stehenden Sachverhältnis führt jedoch zu dem negativen Ergebnis, 
daß das Glasdach und damit auch die tragenden Säulen nicht 
eigentlich mehr zum Bahnsteig, sondern zu dem größeren Ganzen 
Bahnhof gehören. In analoger Webe kommt es dann zur Ver- 
werfung des Briefkastens. Hierbei spielt vielleicht auch noch die 
Tatsache mit, daß der Bahnsteig ein funktionelles Ganzes ist, so 
daß Gegenstände, die nur in loser funktioneller Beziehung zu ihm 
stehen, keine eigentlichen Teile von ihm sind. Dagegen ent- 
sprechen die Bank imd das Büfett, die den Zwecken des Bahn- 
steiges dienen, der Anforderung, Teile dieses funktionellen Ganzen 
zu sein. Nur muß, wie die Vp. sich wohl bewußt ist, der Begriff 
des Bahnsteigs entsprechend weit genommen werden. Hier führt 
der determinierte Prüfungsprozeß daher zu einem positiven Aus- 
gang. Das Büfett wird wohl wegen seiner engeren Beziehung 
zu der Funktion des Bahnsteigs und wegen seiner festeren Ver- 
bindung mit ihm vorgezogen. 
Ein ähnlicher Berichtigungsprozeß findet in demselben Ver- 
such bei Vp. E statt: 
Eis Sperre 1' 18,8". [Vorstellung des Dürener Bahnhofs. Die Vp. faßt 
zunächst nPerron** als LOsung ins Auge. Diese Möglichkeit wird aber sofort ver- 
worfen, da es dasselbe sei wie Bahnsteig. Vp. versteht nämlich unter dem Bahn- 
steig „den mit Steinen belegten Boden**] ... Ich nahm nun einen Anlauf und be- 
gann den ganzen Bahnsteig auf und ab zu wandern und zwar mit Verände- 
rung des Standpunktes, kein bloßes Umherblicken 0. Mir war es, als ob ich 
*) Es sei hier nur einstweilen auf das wahmehmungsähnliche Verhältnis 
der Vp. zu ihren Vorstellimgen beim Suchen nach einem Teil hingewiesen. 
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964 Absdm. 3, Die Gesamtattfgabe. 
mich vor den gesehenen Objekten beftode. Ich sudite etwas, was vom Bafan- 
ho%ebäude in den Bahnsteig hereinrage, um dadurch einen Teil angäien zu 
können, da mir der Boden des Bahnsteigs selbst keinen Anhaltspunkt zu bieten 
schien. Dann sah ich den Briefkasten, der an dem Telegn^henbureau hängt» 
mit dem Gedanken, daß er vielleicht in Betracht käme. Ich 
lehnte ihn aber ab als mehr zum Bahnhofgebäude gehörig. 
Es war dabei das an der Mauer Hängen besonders beachtet, 
und es war die Grundlage der Ablehnung. Dann kam die Vor- 
steüung eines Büfetts, das auf dem Bahnhof stand. Ich war schon versucht» 
es zu sagen. Das Daraufstehen auf dem Bahnsteig war besonders beachtet 
Das kann ich mit voller Sicherheit angeben. Das Beachten des Darauf- 
Stehens bildete die Grundlage für meine Tendenz, es auszu- 
sprechen. Ich hatte schon motorisch angesetzt, das Wort auszusprechen. 
Dann fiel mir ein, daß das Büfett doch nichts mit dem Zweck des Bahnsteigs, 
nämlich zimi Einsteigen zu dienen, zu tun habe; deswegen wurde es dann 
abgelehnt. 
Der Versuch, den Perron, d. h. die Plattfonn, als Teil des Bahn- 
steigs zu denken, führt bei der engen Auffassung der Yp. von 
der Bedeutung Bahnsteig zu der Konstatierung, dafi zwisdien 
Perron und Bahnsteig das Verhältnis der Identität, nicht das des 
Teils zum Ganzen besteht. Da der Bahnsteig im engsten Sinne 
keine Lösung zu bieten scheint, wird die Auffassung des Wortes 
Bahnsteig wenigstens insofern erweitert, als auch das in dem Raum 
über dem Fußboden Befindliche mit zum Bahnsteig gerechnet wird. 
Durch Umherwandem werden nun die in diesem Raum befind- 
lichen Gegenstände als Teile des Bahnsteigs in Betracht gezogen. 
Ähnlich wie bei A führt auch hier die Prüfung, ob der Brief- 
kasten sich als Teil betrachten läßt, zum Bewußtwerden des tat- 
sächlich bestehenden Sachverhältnisses, das ihn nicht dem Bahnsteig, 
sondern mehr dem Bahnhofgebäude als Teil zuweist Das Her- 
vortreten des mit dem LOsungsversuch in Widerspruch stehenden 
Sachverhältnisses kommt dabei sehr deutlich anschauUch in dem 
Beachten des an der Mauer Hängens zur Geltung. Auch bei dem 
Büfett gelangt der Vorgang der Prüfung, ob es sich als Teil des 
Bahnsteigs betrachten läßt, in der Beachtung seiner festen Ver- 
bindung mit dem Bahnsteig sinnMlig zur Erscheinung. Auf 
Grund dieser Verbindung erfolgt zunächst die positive Feststellung, 
Auf dieses wahmehmungsfthnliche Verhältnis, das auch im vorausgehenden 
Protokoll von Vp. A hervortritt, kann erst im zweiten Teil dieser Untersuchungen 
nfther eingegangen werden. 
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6, Das Gesetz der Beruhägung. 266 
daß die Ltfsimg Büfett der Gesamtaufgabe entspricht, d. h., daß 
das Büfett in der geforderten Beziehung des Teils zum Ganzen 
zu dem Bahnsteig steht Noch bevor es zur Reaktion kommt, 
führt jedoch offenbar der Versuch, einen selbständigen Gegen- 
stand auf Grund einer äußeren Veri)indung mit einem anderen 
G^enstand als dessen Teil zu betrachten, zur Aktualisierung des 
Wissens von einer noch zu erfüllenden Bedingung. Derartige 
Verbindungen berechtigen nämlich zu der Auffassung als Teil 
nur beim Bestehen eines funktionellen Zusammenhangs mit der 
Hauptsache. Die Prüfung des Vorliegens dieser Bedingung bringt 
der Vp. zu Bewußtsein, daß das Büfett mit der von ihr dem 
Bahnsteig allein beigelegten Funktion, dem Einsteigen zu dienen, 
nichts zu tun hat^). 
Die Aufgabe „Teil?^ zeigte sich bei entsprechender Auswahl 
der Reizworte als besonders geeignet zur Erzeugung von Berich- 
tigungsprozessen. Es sei daher noch ein Protokoll zu dieser Auf- 
gabe wiedergegeben : 
Teil? — Gemälde Aio 23". [Vp. ist in einen Ausstellungsraum vor ein 
Gemälde versetzt] . . . Ich dachte, du könntest den Rahmen nennen. Ich 
dachte, das ist kein Teil, ich soll etwas von der gemalten 
Fläche nehmen. Ich sagte mir, du könntest ja Farbenkleckse nennen. 
Das paßte mir nicht recht, weil ich ^Gemälde^ anders fassen 
IV o Ute. Ich woUte etwas von dem Dargestellten nehmen. [Das ftihrt im 
weiteren Verlauf zu der Lösung Vordergrund.] 
Die Vp. geht zunächst von einer unklaren Auffassung der Be- 
deutung Gemälde aus, bei der noch das in dem Ausstellungsraum 
an der Wand hängende Bild einschließlich des Rahmens imter 
dem Gemälde verstanden wird. Der Rahmen kann daher als Teil 
in Betracht gezogen werden. Indem jedoch die Konsequenz dieses 
Lösimgsversuchs klar ausgedacht wird, daß der Rahmen mit zum 
Gemälde gehört, wird das ihm entgegenstehende Wissen aktuali- 
siert, daß man unter dem Gemälde doch nur die Bildfläche ver- 
steht. Die Lösung muß daher als der Gesamtau^abe nicht ent- 
sprechend verworfen werden. Als Gemälde wird nim die bemalte 
Fläche angesehen imd in dieser nach Teilen gesucht. Als solche 
*) Das Wirksamwerden des Wissens von der zu erftülenden Bedingung 
und die Feststellung ihrer Nichterfüllung scheinen bei der Vp. in einen Akt 
zusammengefallen zu sein. 
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266 AbaduL 3. Die Geaamiaufgabe. 
kommen die einzelnenFarbenkleckse in Betracht Bei diesemLösungs- 
versuch würde das Gemälde als eine Veri)indung von materiellen 
Stoffen erscheinen. Allein der Versuch, das Gtomälde als ein der- 
artiges Ganzes aus materiellen Teilen zu betrachten, aktualisiert 
wieder das ihm entgegenstehende Wissen, daß man unter dem 
G^emälde doch eigentUch nicht eine solche materielle Einheit, son- 
dern die ideelle Einheit des Dargestellten versteht Es wird da- 
her auch die zweite Lösung verworfen und von der nunmehr 
geläuterten Auffassung des Wortes Gtomälde ausgehend nach Teilen 
des Daigestellten gesucht 
Auch bei anderen Angaben fanden sich zahlreiche Berich- 
tigungsprozesse. E}s können hier nur einige Beispiele zu ihrer 
Charakteristik angeführt werden: 
Fieber — Nebenordnung? D»» Abmagerung 9,4^'. [Vp. sucht nach anderen 
Krankheitserscheinungen.] ... Ich habe erst an den Puls gedacht, „Puls*^ ge- 
sprochen, habe das 9JbeT abgelehnt Es wurde mir bewußt, daß das ein Teil 
des Fieberkomplexes sei. Die Ablehnung gründete sich auf diese bewußte 
Beziehung. 
Nach der in dem Lösungsv ersuch liegenden Feststellung würden 
Fieber und Pulsbeschleunigung als gesonderte Krankheitserschei- 
nungen einander nebengeordnet erscheinen. Der Versuch einer 
solchen Lösung aktualisiert jedoch das mit ihr im Widerspruch 
stehende Wissen, daß die Pulsbeschleunigung nur einen Teil des 
Fieberkomplexes bildet. 
Zeitung — Überordnung? A4t Mittel zum Mitteilen 27'' . . . Dann kam 
„Buch**, ich wußte, daß Buch gleichgeordnet ist mit Zeitung; es war als Weg 
zur Lösung gedacht Hierauf kam Belehrungsmittel als Bezeichnung ftlr etwas 
beiden Gremeinsames. Ich habe das abgelehnt, weil es nicht der eigentliche 
Zweck der Zeitung und des Buches sei. . . . 
Ursache? — Glatteis. 
A*s Frost auf Regenwetter 8^''. [Vorstellung der Franziskanerstraße bei 
Glatteis.] ... Ich suchte nun die Ursache zu diesem Glatteis, auf das ich da- 
bei hinblickte. Zunächst kam mir der Gedanke, daß Frost dazu nötig sei. 
Dabei das Wort Frost in meiner Handschrift geschrieben gesehen. Nun woUte 
ich schon mit dem Wort Frost reagieren, aber da fiel mir ein, daß Frost allein 
nicht genOgt, um Glatteis zu bilden. Es war dabei ein plötzliches Sichhalt- 
gebieten, wie wenn man sagen wollte, wir sind noch nicht so weit Das war 
aber nicht die einzige Bewußtseinsrepräsentation des Gedankens. Es wurde 
mir jetzt bewußt, daß dem Frost noch etwas vorausgehen mußte, um Glatteis 
zu erzeugen. . . . 
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6. Das Gesetz der Berithtigung. 267 
Die einzelnen Phasen sind hier durch das Hinsehen auf das 
Glatteis, durch das Schriftbild von Frost und vermutlich auch 
durch ein das Sichhaltgebieten begleitendes kinästhetisches Erleb- 
nis anschaulich repräsentiert. Wer jedoch in diesen anschaulichen 
Begleiterscheinungen die eigentlichen Ti^lger des Berichtigungs- 
prozesses sehen wollte, würde ihm ohne jede Möglichkeit des 
Verständnisses gegenüber stehen. Mag man die derartigen Ver- 
läufen zugrunde liegenden Denkprozesse den Angaben der Vpn. 
entsprechend als bewußt anerkennen oder nicht, jedenfalls kann 
die Annahme ihres Vorhandenseins nicht entbehrt werden. — 
Von den bisher angeführten Berichtigungsfällen unterscheidet sich 
der vorliegende dadurch, daß hier nicht eine Lösung als unrichtig 
oder nicht ganz entsprechend verworfen und durch eine andere 
ersetzt wird. Die anfiüigliche Lösung wird vielmehr hier nur als 
unvollständig und daher ergänzungsbedürftig erkannt. Wir haben 
demnach zwischen einer verwerfenden Berichtigung und 
einer ergänzenden Berichtigung zu unterscheiden. Eine 
besonders wichtige regulierende Funktion erfüllt die erg^üizende 
Berichtigung bei der Aufgabe Definition, indem sie die Korrektur 
einer anfänglich zu engen oder zu weiten Definition herbeiführt. 
Definition? — Hypothek A«t Ja 61,6"0 • • * Wie ich das Reizwort las, 
kam mir die Scu^e doch leichter vor als vorhin [beim Versuch Definition? — 
Eigentum]. Ich hatte dann Begriff und Druckbild von Dariehen. Ich wußte 
aber, daß Darlehen allein nicht genügt, sondern Dariehen gegen eine ganz 
bestimmte Sicherheit Dann sah ich ein Haus vor mir stehen mit rechts und 
links anstoßenden Häuserreihen, mit dem Gedanken, daß das einzelne Haus, 
das da vor mir stand, hypothekarisch belastet sei. Nun begann ich mir eine 
Formulierung zusammenzustellen: „Eine Hypothek besteht darin, daß ein Dar- 
lehen gewährt wird gegen eine Sicherheit in . . .**, nun wollte ich sagen 
»in einem Hause**, dachte aber, das genOgt nicht, weil es nicht 
gerade ein Haus zu sein braucht, auf dem eine Hypothek steht, 
sondern daß auch ein unbebautes Land hypothekarisch be- 
lastet sein könne. Bei dieser GegenOberstelhmg von Haus und unbebautem 
Land besonderes Anschauungsbild, im gleichen Akt mit dem Gedanken. Es 
Wir geben sowohl dieses Protokoll als das des späteren Wiederholungs- 
versuches seinem wesentlichen Inhalt nach vollständig wieder. Es soll dadurch 
auf die strenge Gesetzmäßigkeit in dem Auftreten von Berichtigungsprozessen 
hingewiesen und zugleich durch die Obereinstimmung des ganzen Veriaufes 
gezeigt werden, wie zuveriässig auch bei längeren Reaktionszeiten die Pro- 
tokolle sein können und wie wenig Zufälligkeiten in dem Auftreten von Vor- 
stellungB- und Denkprozessen herrschen. 
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266 Ah$dm. 3. Die Geaamiaufgabe. 
war eine bestimmte Straße an der Peripherie d^ Stadt hier, die zum Teil 
ausgebaut ist und zum Teil noch Baustilen hat, und ich sagte mir, daß so- 
wohl auf dem Hause wie auf den Baustellen eine Hypoth^ lasten könne. 
Dann suchte ich die Formulierung von vorhin zu ergänzen. Ich wiederholte 
die ganze Formulierung von vorne an und fügte nach „in^ hinzu, „bebauten 
oder unbebaut»» Grundstöcken*'. 
Wiederholungsversuch nach über zwei Monaten: 
A^4t Ja 29,6'' ... Ich hatte schon lange befürchtet, daß diese Aufgabe 
einmal kommen würde, weil es nach meiner Meinung bisher die schwerste 
war. Der ganze Begriff der Hypothek war mir präsent, aber 
nicht explizite, sondern in einem einfachen Erlebnis enthalten*). 
Ich hatte jetzt nur zu formulieren, das fiel mir schrecklich schwer. Ich hatte 
dabei ein Anschauungsbild, ein Haus, es kann an der Franziskaner- oder 
Stockenstraße [in der Nähe des Instituts] gestanden haben, ich glaube, es war 
dasselbe Bild auch früher da. Von diesem Haus weiß ich, daß es mit Hypo- 
theken belastet ist; das war mir auch im Versuch bewußt Ich begann jetzt 
zu formulieren, während die Vorstellung des Hauses bestehen blieb. Ich be- 
gann: „Hypothek ist . . .*^ Ich merkte, daß ich so nicht weiter kam . . . Ich 
begann wieder von vorne: „Hypothek besteht darin, daß ein Darlehen gegeben 
wird gegen eine Sicheiiieit . . .**, nun wollte ich sagen, in Häusern, 
da fiel mir ein, daß es nicht gerade Häuser sein müßten, und 
daß mir das auch damals bewußt geworden sein müßte. Dabei kam ein An- 
schauungsbild, eine noch unbebaute Straße hier an der Peripherie der Stadt, 
an der rechts und links Grundstücke liegen. Nun fügte ich in meine Definition 
ein „gegen eine Sicherheit in Grundstücken*^, indem ich dabei dachte, daß ein 
Haus auch ein Grundstück ist; ich war dabei optisch auf die unbebauten 
Grundstücke gerichtet ... In dem mir während des ganzen Versuchs gegen- 
wärtigen Sinn war mit enthalten, daß eine Hypothek auf Grundstücken Hegt, 
dabei war der Gegensatz von bebauten und unbebauten nicht vorhanden. 
Dadurch, daß mir ein Grundstück in Gestalt eines Hauses später vorschwebte, 
kam ich zunächst nur zur Formulierung Haus. Die Korrektur geschah dann 
im Sinne eines schon vorher Bewußten und jetzt nur bei der Formulierung 
Vernachlässigten. In dem früheren Versuch war das anders. 
Auch in diesen beiden Protokollen wird die Aufeinanderfolge 
der Wort- und Sachvorstellungen erst durch die Heranziehung 
der Denkprozesse, mit denen ihr Auftreten verbunden ist, ver- 
stlUidlich. Als weiterer Beleg für die Gesetzmäßigkeit des Auf- 
Zu beachten ist die starke Verkürzung der Reaktionszeit und im Zu- 
sammenhalt damit die Angaben der Vp. über das Präsentsein des Begriffs der 
Hypothek. 
") Vgl. oben Am S. 253. 
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6. Das Gesetz der Beridttigung. 
tretens derartiger Berichtiguiigsprozesse werden noch zwei Proto- 
kolle zu demselben Versuch im Auszug angeführt: 
Bs4. Auf einem Grundstack liegendes Kapital 20^'. . . . Dann bot 
sich mir an der Begriff des Kapitals, woran sich die Erinnerung an national- 
ökonomische Bestimmungen anschloß. Dann suchte ich diesen Begriff genauer 
zu determinieren mit der bestimmten Direktion, daß es sich um ein Ki4>ital 
handle, welches auf irgend einem Werte ruht (Das Wort „Wert** war nicht 
gegenwärtig.) Dann dachte ich an ein Haus, vielleicht auch mit einem sinn- 
Uchen Bilde, aber nur schematisch. [Vgl. die Protokolle von A.] Dann ver- 
aUgemeinerte sich mir das Haus zum Grundstück, indem ich mir vergegen- 
wärtigte, daß nicht nur ein Haus, sondern überhaupt ein beliebiger Bodenwert 
durch eine Hypothek belastet werden kOnne . . . 
Um eine noch wesentlichere Erg^btizung handelt es sich bei 
Vp. E, die anfiUiglich nicht nur den Kreis der zur Sicherung 
dienenden Gegenstände zu eng zieht, sondern deren Bestimmung 
ganz unterläßt Dient dort die Berichtigung der Erweiterung 
der zu engen BegrijBbbestimmung, so dient sie hier der Verenge- 
rung einer zu weiten Begriflbbestimmung durch nähere Deter- 
mination. 
Ett Ja. Es ist eine Grarantie für geliehene Kapitalien, die in Grund- 
stücken und Gebäuden besteht 99,6''. ... Ich spradi innerlich: „Hypothek 
ist (jrarantie ftlr gdiehene Kapitalien** und wollte damit aufhören. In 
diesem Augenblick fiel mir ein, daß ich dabei das Wesentliche 
der Hypothek vergessen hatte, nämlich, daß es darauf an- 
kommt, daß Immobilien belastet sind. 
Definition? — Gebäude. 
Bftf Wohnungs- und Schutzgelegenheit, ich habe willkürlich abgebrochen 
17,8^'. Das erste, was mir kam, als ich auf das Wort Gebäude blickte und 
ein Verständnis der Bedeutung hatte, war „Wohnung**. Es war auch das 
Wort da. Darauf der Gedanke, daß Wohnung nicht ausreiche. 
Es gäbe viele andere Zwecke, dachte dabei an Scheune. (Dabei weder 
Worte noch Vorstellungen erinnerlich.) Auch das Wort Unterkunft war da, 
vielleicht auch Unterbringung. Dann dachte ich auch daran, daß ich allerlei 
leblose Gegmistände in einem Gebäude vereinigen kann, auch daß Tiere 
in Gebäuden untergebracht werden. (Vielleicht habe ich das Wort im Bewußt- 
sein gehabt, die Worte „leblose Gregenstände** waren nicht da.) Dann entschloß 
ich mich, unter dem Worte „Schutz** alles das zusammenzufassen, was ich 
zuletzt erwähnt hatte, und mit Wohnung den anderen Hauptzweck zu be- 
zeichnen. Sagte dann Wohnungs- und Schutzgelegenheit, Grelegenheit in dem 
Sinne gefaßt, in welchem man das als Oberbegriff auffassen kann . . . 
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270 Abadin. 3. Die Gesamtaufgabe. 
Gas, bei 60^' vom VL unterbrochen ... Es bot sich an: Raum für W(^m- 
zwecke. Das Wort Raum war zweifellos da. Versuchte flüchtig, wie 
sich dieDefinition ausnehme*)} verwarf sie jedoch sehr schnell, 
da Gebäude ja auch anderen Zwecken dienen kOnnen ... 
H*§t Ja 10,4''. ... Es fiel mir gleich dne Antwort ein: Wohnung der 
Mensdien, mehrere Male akustisch*). Wandte mich davon ab in 
dem unbestimmtenBewußtsein, daß das nicht richtig sei*).. . 
Bei der Definition von Hypothek hatten die Vpn. A und B 
bei der Bestimmung des G^egenstandes der Belastung zunächst 
nur an das in der Mehrzahl der Fälle belastete und daher als 
Gregenstand eines solchen Rechtsverhältnisses geläufige Obj^t 
gedacht, nämlich an ein Haus. Erst durch den Versuch der zu 
engen Definition auf dieser Grundlage wurde das einer solchen 
Begriffsbestinmiung entgegenstehende Wissen aktualisiert, daJQ auch 
unbebaute Grundstücke hypothekarisch belastet werden können. 
Ebenso denken bei der Definition von Gtebäude alle drei an- 
geführten Vpn. bei der Bestimmung des zur Definition dienendoi 
Zweckes des zu definierenden Gegenstandes zunächst nur an den 
geläufigsten Zweck von Gebäuden, an den Wohnzweck. Auch 
hier wird erst durch den Versuch der zu engen Definition das 
ihr entgegenstehende Wissen von anderen Zwecken aktualisiert 
Wir stoßen damit auf folgende wichtige Tatsache: Ein Wissen, 
das nicht geläufig oder in Bereitschaft genug ist, um 
bei dem auf die Lösung der Aufgabe gerichteten Pro- 
zeß sofort wirksam zu werden, kann dennoch durch 
einen mit ihm in Widerspruch stehenden Lösungs- 
versuch ins Bewußtsein gehoben werden. Die Be- 
deutung der Berichtigungsprozesse für die Siche- 
rung der Richtigkeit der Aufgabelösung tritt dadurch 
in ein neues Licht. Wir verstehen jetzt auch, wie das Wissen 
von einem zur Bedeutung des Reizwortes oder der Auf- 
gabe gehörigen Bestandstück zwar zu wenig geläufig bezw. 
in Bereitschaft sein kann, um sich bei der Aui^gabelösuDg un- 
Der determinierte PrOfungsprozeß tritt hier also deutlich in die Er- 
scheinung. 
■) Auch hier deutet sich der determinierte Prüftmgsprozeß in der noch- 
maligen Wiederholung der Lösung an. 
*) Der instruktionsgemäßen Tendenz „möglichst schnell" (S.21 f.) entspricht 
die Unklarheit des Prüftmgsergebnisses. 
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6, Das Gesetz der Beriditigung. 271 
mittelbar geltend zu machen, während es durch eine mit ihm in 
Widerspruch stehende Lösung später aktualisiert wird und zu ihrer 
Berichtigung Anlaß gibt. Die hierhergehörigen Erscheinungen 
der früher angeführten Protokolle finden dadurch eine nachträg- 
liche Erklärung^). Wenn femer Lösungen wie „Fisch*' oder „SchifiT' 
als Teile des Meeres, „ Vogel** als Teil des Käfigs, statt ganz zu unter- 
bleiben, von den Vpn. zuerst versucht und dann erst verworfen 
wurden, so erklärt sich das aus der eben festgestellten Gesetz- 
mäßigkeit Es wird in solchen Fällen bei dem Suchen nach einem 
Teil zunächst von der Bedeutung Teil nur das Erfordernis des 
Enthaltenseins in dem Granzen wirksam, ohne daß die nähere Be- 
stimmung der Weise dieses Enthaltenseins (das Erfordernis sub- 
stanzieller bezw. funktioneller Einheit) zur Greltung kommt Das 
Wissen von dem Erfordernis eines engeren Zusammenhangs 
mit dem Ganzen wird dann erst durch den mit ihm in Wider- 
spruch stehenden Lösungsversuch aktualisiert. In analoger Weise 
erklärt es sich, daß das Wissen von den Bedingungen einer sinn- 
gemäßen bezw. instruktionsgemäßen Interpretation der Angabe 
häufig erst durch das Auftreten der Tendenz zu einer unrichtigen 
Interpretation*) bezw. erst durch die Tendenz zu einer Fehl- 
reaktion aktualisiert wurde. 
Beispiel: 
Stern — Überordnung? €•• Weltkörper 14^". ... Auf einmal das Wort 
Astronomie gesehen. Ich dachte zuerst, ach, das wird man schon als Lösung 
nehmen können. Ich dachte das etwas näher aus und verwarf es 
dann. Dann wurde eine andere Lösung als falsch verworfen, weil ich 
merkte, das gehe in die Richtung auf die Aufgaben „Teil" und 
^Ganzes"*. Es war die Richtung auf den Weltraum .... Dadurch 
wurde es mir wieder deutlich, daß ich hier das logisch Über- 
geordnete zu suchen hatte und Stern sozusagen als ein logischer 
Teil genommen werden müsse. Dann kam das Wort Weltkörper ohne 
Vermittlung. Kontrolle und dann Reaktion. 
Indem im Vordergrund des Verständnisses der Angabe Über- 
ordnung das allgemeine Erfordernis steht, es sei etwas Umfassen- 
deres zu suchen, gelangt die nähere Bestimmung dieses Umfas- 
senden als des begrifflich Umfassenden zunächst nicht zur Geltung, 
') Vgl. namentlich die Protokolle oben S. 261—266. 
•) Vgl. z. B. oben S. 248, 216 Anm. 1. 
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272 Ab$dui. 3. Die Gesamtaafgabe, 
80 dafi die Vp. zuerst in das umfassende Gebiet, in dem von 
Sternen die Rede ist, und dann in der Richtung auf das rttumlich 
Um&ssendere abirrt. Erst dieser Tendenz zu einer Fehlreaktion 
gegenüber wird der volle Aufgabesinn wirksam, so daß auf Grund 
seiner Klärung eine richtige Lösung gefunden wird ^). 
Wegen desdeutlichenHervortretens desdeterminierten Prtlfungs- 
prozesses sei noch das folgende Protokoll in dem hier in Betracht 
kommenden Teil angeführt: 
Definition? — Werkzeug Eti. Ja, Werkzeug ist ein Instrument, das die 
menschliche Hand bei Anfertigung von Gegenständen untersttttzt i9^\ . . . 
Ich wußte auch, daß die Definition [Instrument, das der Anfertigung 
von Gegenständen dient] zu eng sei, nachher, wie ich sie nochmals 
besah. Ich kam aber in dem Augenblick nicht auf andere An- 
wendungen vonWerkzeug. Ich wollte Ansätze machen, sie zu 
suchen . . . 
Der Vp. wird abo bei der nochmaligen Überprüfung bewußt, 
daß es noch andere Anwendungen von Werkzeugen gibt, ohne 
daß sie diese im Augenblick näher pi^Lzisieren kann. In Frage 
k&me z. B. die Bearbeitung von Gregenständen*). 
Hauptergebnisse. 
Die in diesem Paragraphen mitgeteilten Protokolle bestätigen 
die uns schon früher wiederholt begegnete (Gesetzmäßigkeit, welche 
für die Prozesse der Berichtigung unrichtiger oder relativ gering- 
wertiger Lösungen gilt und daher als Gesetz der Berichti- 
gung bezeichnet wurde: Die in dem Lösungsversuch 
einer Aufgabe liegende Sachverhaltsfeststellung 
zeigt die Tendenz, die Aktualisierung eines mit ihr 
in Widerspruch stehenden Wissens, verbunden mit 
der Erkenntnis des bestehenden Widerspruchs, her- 
beizuführen. Das Gesetz der Berichtigung stellt demnach zu- 
gleich eine psychologische Gesetzmäßigkeit dar, welche für die 
Entdeckung logischer Widersprüche, d.h. eines Unver- 
träglichkeitsverhältnisses zwischen verschiedenen 
^) Hieriier gehört wohl auch £•• S. 243 und die folgenden Protokolle. 
■) Vgl. ferner zu diesem Paragraphen die früher behandelten Berichtigungs- 
prozesse imd Ausführungen zum Gesetz der Berichtigung S. 37 f., 87 f., 222, 
226 fif., 240fif. 
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6. Das Gesetz aei Beriäiägung. 27B 
Sachverhaltsfeststellungen („Urteilen'^) maßgebend ist 
Man könnte versuchen, die Reproduktion eines Wissens durch eine 
mit ihm in Widerspruch stehende Sachverhaltsfeststellung auf ein 
allgemeines (besetz der Gleichheits- bezw. Ähnhchkeitsreproduktion 
zurückzuftthren, nach dem Bewußtseinserlebnisse die Tendenz 
haben, gleiche oder ähnliche frühere Bewußtseinserlebnisse zu 
reproduzieren^). Zwischen der in der Lösung liegenden Sach- 
verhaltsfeststellung und dem ihr entgegenstehenden Wissen besteht 
nämlich als Bedingung des Widerspruchs stets eine partielle Über- 
einstimmung. So kann sich der Widerspruch auf das Bestehen 
eines anderen Sachveiiiältnisses der nämlichen Kategorie, z.B. 
eines anderen räumlichen, zeitUchen oder begriffUchen Verhält- 
nisses zwischen denselben Gliedern stützen. Oder eines der 
Sachverhaltsglieder kann zu einem anderen als dem in dem 
Lfösungsversuch angenommenen Gegenstand in dem fraglichen 
Sachverhältnis stehen. Eine solche Erklärung des Gesetzes 
der Berichtigung erscheint jedoch aus verschiedenen Gründen als 
für sich allein wenigstens nicht ausreichend. Vor allem bestehen 
derartige partielle Übereinstimmungen nicht nur mit den einer 
Lösung entgegenstehenden, sondern auch mit andern Wissens- 
dispositionen. Es können z. B. auch andere Gegenstände als der 
Reizwortgegenstand zu dem Reaktionswortgegenstand in der auf- 
gabegemäßen Beziehung stehen. Ebenso müßte sich eine Tendenz 
zeigen, im Anschluß an eine Lösung, das Wissen von weiteren 
Fällen zu aktualisieren, in denen ebenfalls die aufgabegemäße Be- 
ziehung zum Reizwortgegenstand besteht. Die Erfahrung lehrt 
aber gerade im Gegenteil, daß durch das Auftreten einer mangel- 
freien Lösung weitere Reproduktionen in der Richtung der Auf- 
gabe abgeschnitten zu werden pflegen. Die Tendenz zur Gleich- 
heitsreproduktion würde femer mit der determinierenden Tendenz 
zur Reaktion beim Auftreten einer Lösung in Konkurrenz treten, 
die wie alle determinierenden Tendenzen von relativ großer Stärke 
ist. Endlich wäre zu erklären, warum nicht nur die Aktualisierung 
einer partiell übereinstimmenden Wissensdisposition, sondern in 
Vgl. neuerdings die hierher gehörigen Ausführungen von K. Koffka 
zugunsten der sogenannten Ähnlichkeitsassoziation (Zur Analyse der Vor- 
stellungen und ihrer Gesetze 1912, S. 948 ff.), auf die hier im einzelnen nicht 
eingegangen werden kann« 
Sels, Ol>er die OeteUe de« geordneten DenkrarUab. 18 
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274 Aämkn. 3. Die Oemmiattfgßbe. 
Verbindung damit auch die Abstraktion des zwischen der LOsung 
und dem aktualisierten Wissen bestehenden Verhältnisses des 
Widerstreites erfolgt 
Zu einer befriedigenderen Erklärung des Gesetzes der Be- 
richtigung gelangen wir, wenn wir den in einem großen Teil der 
Protokolle enthaltenen Anhaltspunkten folgen und die Vorgänge 
bei der Berichtigung auf einen determinierten Prttfungs- 
prozeß zurttckftthren: Wenn das Auftreten des Reaktionswortes 
nicht schon auf Grund des klaren Bewußtseins vom Bestehen 
eines der Gresamtaulgabe entsprechenden Sachverhältnisses erfolgt, 
so beginnt die Prüfung der Richtigkeit der Lösung damit, daß 
die Vp. die in dem Lösungsversuch hegende Sachverhaltsfest- 
stellung klarer ausdenkt ^). Die Klärung kann auch in Form einer 
den eigentUchen PrUfungsprozeß einleitenden Frage oder eines 
äquivalenten Vorgangs erfolgen*). Die verschiedenen Hinsichten, 
in denen die Prüfung stattfinden kann, ermitteln wir durch die 
Analyse der in der ausgedachten Lösung liegenden Feststellung 
der Erfüllung der Qesamtaulgabe. Diese Feststellung besteht im 
Zustandekommen des Bewußtseins von dem zusammengesetzten 
Sachverhältnis, daß der Reaktionswortgegenstand zu einem be- 
stimmten anderen Gegenstand, der durch das Reizwort be- 
zeichnet ist, in einer bestimmten Beziehung steht, welche 
mit der durch das Aufgabewort bezeichneten Be- 
ziehung übereinstimmt Entsprechend den drei Sachverhalts- 
feststellungen, die das zusammengesetzte Sachverhaltsbewußtsein 
enthält, ist eine unrichtige Feststellung und demgemäß eine Prü- 
fung in drei Hauptrichtungen möglich 
1. hinsichtUch der Identität des einen Sachverhaltsghedes mit 
dem durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand, 
2. hinsichtlich der Übereinstimmung der tatsächUch bestehenden 
mit der durch die Aufgabe geforderten Beziehung, 
3. hinsichtUch der Übereinstimmung der tatsächhchen Fest- 
stellungen, welche der Subsumtion unter die Anforderungen 
Vgl. namentiich €•• S. 271, Ets S. 272, Gst S. 270; ferner die Aus- 
fOhningen S. 87, 41, 240 und 242. 
") Vgl Alt S. 261 fiP., Elf S.268fiP., Ai« S.266; femer Gt, Ai« S.268, Bit 
S. 269, Git S. 260, Bi« S. 261, wo die PrOfung zu einan positiven Ei^^nis 
führte. 
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6. Das Gesetz der BeiiMigung, 275 
der Gresamtaufgabe zugrunde liegen, mit den nach dem 
gesamten Wissensbesitz des Subjekts wirklich 
bestehenden Tatsachen. 
Bestanden schon bei der versuchsweisen Lösung Zweifel in 
einer der drei angegebenen Richtungen, so wird sich der determi- 
nierte Prüfungsprozeß vorzugsweise nach der betreffenden Rich- 
tung erstrecken. Die Tendenz zur Prüfung in den beiden ersten 
Richtungen bewirkt einen höheren Bewußtseinsgrad bezw. eine 
höhere Bereitschaft der zur Bedeutung des Reizwortes, bezw. der 
Aufgabe gehörigen Bestandstücke. Hierbei besteht im ersten Falle 
die determinierende Tendenz zur Abstraktion der Identität des 
einen Sachverhaltsgliedes, z. B. bei der Aufgabe „Teil*' des Granzen 
mit dem durch das Reizwort bezeichneten Gegenstand 0. Im 
zweiten Falle besteht die Tendenz zur Abstraktion des Verhält- 
nisses der Übereinstimmung der tatsächlich bestehenden mit der 
durch die Au^;abe geforderten Beziehung ^. Wir haben uns diesen 
determinierten Abstraktionsprozeß in der Weise vor sich gehend 
zu denken, daß die allgemeine Operation der determinierten Ab- 
straktion ihren Ausgang von einer schematischen Antizipation des 
festzustellenden Sachverhältnisses der Übereinstimmung mit dem 
Reizwortgegenstand, bezw. der Aufgabebeziehung nimmt Infolge- 
dessen läßt der eingeleitete Abstraktionsprozeß gerade dieses der 
Antizipation entsprechende Sachverhältnis im Bewußtsein hervor- 
treten. Das Bestehen einer analogen determinierenden T^idenz 
zur Feststellung eines allenfallsigen Widerstreits ist möglich, aber 
wohl nicht erforderlich. Es darf vielmehr hier von folgen- 
der allgemeiner psychologischer Gresetzmäßigkeit ausgegangen 
werden: Wenn statt eines erwarteten Erlebnisses ein anderes 
Erlebnis eintritt, so gelangt dieses auch ohne eine besondere 
dcurauf gerichtete Determination zur Apperzeption ^). Der Zustand 
der Enttäuschung gründet sich auf eine auf diese Weise herbei- 
geführte Beachtung, ebenso die Tatsache, daß die Veränderung 
Vgl namenüich die Bemeriaingen zum ersten L<)8ung8ver8uch von Ais 
oben S. 261 f.; ferner Ai« S. 265f. 
^ Vgl. namentlich die Bemerkungen zu Eis S. 263 ff. in bezug auf die 
Lösung Büfett 
5 hl unseren Versuchen trat diese Erscheinung z. B. dann auf, wenn die 
bei einer Reihe von Versuchen konstant gebliebene Stellung von Aufgabe und 
Reizwort vertauscht wurde. 
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S76 Absdm. 3. Die Oesamtaufgabe, 
einer gewohnten Erscheinung die Aufmertcsamkeit auf sich zieht. 
Die auf die Abstraktion der Übereinstimmung gerichtete determi- 
nierende Tendenz genttgt daher, um die Abstraktion der Nicht- 
übereinstimmung des einen Sachverhaltsgliedes mit dem Reizwort- 
gegenstand oder der tatsächlich bestehenden Beziehung mit der Auf- 
gabebeziehung zustande zu bringen. Beim Vollzug der Abstraktion 
des vorliegenden konkreten Sachverhttltnisses der Übereinstim- 
mung oder Nichtübereinstimmung treten auf der einen Seite die- 
jenigen tatsächlichen Momente, auf der anderen Seite diejenigen 
Bestandstücke des Wissens *) von der Bedeutung des Reizwortes 
bezw. der Aufgabe im Bewußtsein hervor, die das Veiiiältnis der 
Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung fundieren*). 
Die determinierende Tendenz zur Nachprüfung der Lösung 
erweist sich demnach als der Grund für den gesetzmäßigen Zu- 
sammenhang zwischen einem Lösungsversuch und der Aktuali- 
sierung eines mit ihm in Widerspruch stehenden Wissens von 
den (durch die Bedeutimg des Reizwortes und der Aufgabe be- 
dingten) Anforderungen der Gesamtaufgabe. Der früher erörterte 
Vorzug der Berichtigungsprozesse, ein bei der direkten Aui^gabe- 
lösung nicht wirksam gewordenes Bestandstück der Bedeutung 
von Aufgabe oder Reizwort nachträglich zur Geltung zu bringen^, 
findet durch diese Zurückführung eine einfache Erklärung: Es ist 
leichter, durch determinierte Abstraktion die Nichtübereinstim- 
mung einer bestimmten Lösung mit einem einzelnen Bestand- 
stück der Aufgabe- oder Reizwortbedeutung festzustellen, als den 
ganzen Bedeutungsgehalt simultan zu reproduzieren und wäh- 
rend der direkten Lösung in der Weise präsent zu halten, 
daß keines seiner Bestandstücke unwirksam bleibt. Es schieben 
sich vielmehr, wie die Protokolle zeigen, bei der direkten Lösung 
leicht einzelne Bestandstücke der Bedeutung in den Vordergrund, 
so daß sie die Lösung allein bestimmen^), oder es findet zimiächst 
keine klare Aktualisierung der Bedeutung und demgemäß eine 
*) Es sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Bedeutungs- 
bewußtsein (bezw. die entsprechende Disposition) sich deswegen als Wissen 
charakterisiert, weil es ein Bewußtsein von dem symbolischen Verhältnis zwischen 
bestimmten Zeichen und bestimmten Gegenstandsbestimmtheiten ist. 
•) Vgl. z. B. die Lösung Bafett Eis S. 263 ff. 
") Siehe oben S.270f. 
*) Vgl oben S. 271 f. 
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6. Das Gesetz der BeridUigung. 277 
unscharfe Abgrenzung ihres Geltungsbereichs statt ^). In engstem 
Zusammenbang mit der eben erörterten GresetzmäBigkeit steht 
die bekannte Tatsache, dafi es leichter ist, in einem konkreten 
Anwendungsfall einenVerstoß gegen eine bestimmte Anwendungs- 
bedingung eines sprachlich fixierten B^frifib festzustellen als eine 
erschöpfende Begriflbbestimmung zu geben'). 
In analoger Weise ist der Beriditigungsprozeß zu denken, 
bei dem es zur Aktualisierung des Wissens von Tatsachen kommt, 
welche mit den tatsächlichen Feststellungen des Lösungsversuchs 
in Widerspruch stehen. Nehmen wir etwa den Versuch: Fieber 
und Pulsbeschleunigung als gleichgeordnete Erankheitssymptome 
zu denken*). Das KontroUbedttrfnis wird hier die Tendenz be- 
gründen, das Wissen von dem Verhältnis zwischen Fieber und 
Pulsbeschleunigung soweit zu klären, daß seine Übereinstimmung 
bezw. Nichtübereinstimmung mit dem in dem Lösungsversuch an- 
genommenen Verhältnis zur Abstraktion gelangen kann. So kommt 
es zur Abstraktion des Widerstreits zwischen der Lösung und der 
Tatsache, daß die Pulsbeschleunigung selbst zum Fieberkomplex 
gehört. Ebenso wird die Kontrolle der Lösung „Belehrungs- 
mittel*'^) dahin tendieren, das Wissen von dem Zweck der Zeitung 
soweit zu klären, daß die Abstraktion seiner Übereinstimmung 
oder Nichtübereinstimmung mit dem in der Lösung angegebenen 
Zweck erfolgen kann. Hierdurch kommt es zum Bewußtwerden 
der die Nichtübereinstimmung fundierenden Tatsache, daß es noch 
andere Zwecke der Zeitung gibt^). Die Angabe von „Haus^ als 
Belastungsgegenstand der Hypothek wird bei vorhandener EontroU- 
tendenz zur Abstraktion des Widerstreits zwischen dieser Lösung 
und der Tatsache führen, daß Hypotheken auch an unbebauten 
Grundstücken bestehen*) usw. 
Zur Verhütung von Mißverständnissen sei noch ausdrücklich 
Vgl. oben S. 261-266. 
*) Die moderne Gesetzgebung vermeidet daher Definitionen und überlftßt 
es der Praxis der Rechtsprechung, namentlich im Wege der Korrektur un- 
richtiger Begriffsanwendungen im Einzelfalle (Instanzenzug), die einzelnen 
Bestimmungsstocke eines Begriffs allmählich zu fixieren. 
*) Siehe oben S. 266. 
*) Siehe oben 8. 266. 
*) Entsprechendes gilt bei der zu engen Bestimmung des Gebäudezweckes 
S. 269 f., wo in zwei FftUen der Kontrollvorgang sich deutlich bemerkbar macht 
•) Vgl. oben 8.267 ff. 
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278 Absdm. 3. Die Qesamtaufgabe, 
betont, daß die zur Berichtigung fahrende Tendenz zur LOsungs- 
kontrolle sich keineswegs in einem gesonderten Verifikations- 
verfahren geltend zu machen braucht, sondern daß der determi- 
nierte Eontrollprozeß unmittelbar mit dem Auftreten der Lösung 
verbunden sein kann, ohne in einem getrennten Akt in Erscheinung 
zu treten^). E^ ist daher sehr begreiflich, daß die Kontrolle 
sich in der Selbstbeobachtung nicht immer bemerkbar macht Jede 
Beschäftigung mit der Lösung, welche ihr unmittelbares Auftreten 
tiberdauert, kann die Bedeutung eines zur Berichtigung führenden 
Kontrollprozesses besitzen. Hierbei ist wie bei jedem gewohn- 
heitsmäßig eingeleiteten determinierten Prozeß die Möglichkeit eines 
automatischen Ablaufes gegeben '). Ausdrücklich sei auch darauf 
hingewiesen, daß durch die Annahme einer determinierten Kon- 
trolle nur die Regelmäßigkeit des Auftretens von Berichtigungs- 
prozessen verständlich gemacht werden soll, ohne im Einzelfalle 
die Möglichkeit einer anderen Entstehungsweise auszuschließen. 
Wie die als Beispiele von Berichtigungsprozessen in diesem 
Paragraphen und früher angeftUirten Protokolle zeigen, pflegt es 
sich in den FäUen einer Berichtigung nicht etwa um die Ab- 
lehnung bezw. Hemmung von starken aufgabewidrigen Assozia- 
tionen zu handeln, die sich trotz der Wirksamkeit der Aufgabe 
durchgesetzt haben. Vielmehr handelt es sich um die Korrektur 
von Lösungsversuchen, welche durch Prozesse von ganz derselbe! 
Art wie diejenigen, die zu richtigen Lösungen führen, zustande 
kommen; nur führen diese Prozesse aus besonderen Gründen, 
z. B. infolge eines falschen bezw. unklaren Aufgabeverständnisses 
oder der anfönglichen Unwirksamkeit des Wissens von einem der 
Lösung entgegenstehenden Umstand, nicht zum Ziel. 
Im engen Zusammenhang mit dem Gesetz der Berichtigung 
und seiner Erklärung durch einen determinierten Prüfungsprozeß 
steht eine von Michotte und Prüm gefundene Gesetzmäßigkeit: 
Entspricht der Ablauf der Bewußtseinserlebnisse nicht der In- 
struktion, so tritt die letztere wieder ins Bewußtsein ■). Hierdurch 
^ Vgl oben § 5, insbesondere S. 257 f. 
^ Vgl. N. Ach, Über den Willensakt und das Temperament, S.279, 289, 296ff. 
*) Michotte et PrOm, l^tude exp^rimentale sur le choix volontaire, S. 227 ff., 
296 Ziff. 11 ; siehe femer die ebenfalls hierher gehörige Erklärung der Henmiung 
vor der Entscheidung a. a. 0. S. 272 ff. 
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6. Das Gesetz der Berithägung, 279 
wird der mstroktionsgemäße Ablauf gesichert. Bei den Wahl- 
versuchen von Michotte und Prüm zeigte sich diese Erscheinung 
namentlich, wenn der Verlauf den Bedingungen der Nebenauf- 
gaben in bezug auf die Art und Weise der Lösung nicht genügte. 
Die Tendenz zu einer oberflächlichen Wahl rief die Nebenau|gabe 
ins Bewußtsein zurück, sich nur aus ernsthaften Motiven zu ent- 
scheiden. Eine wirkliche oder scheinbare Verzögerung der Wahl 
bewirkte die Erinnerung an die bei derartigen Reaktionsversuchen 
selbstverständliche Nebenau%abe, möglichst rasch zu reagieren. 
Solche FäUe eines Wiederauftretens der Aufgabe lassen sich in 
ganz analoger Weise wie die Wissensaktualisierungen erklären, 
die nach dem Gresetz der Berichtigung stattfinden: Wir haben in 
der determinierten Kontrolle der Übereinstimmung einer Lösung 
mit der Aufgabe eine allgemeine Lösungsmethode zu 
erblicken, welche die Erfüllung von Angaben irgendwelcher 
Art gewährleistet Da sie zu den Lösungsmethoden gehört, 
die gewohnheitsn^ig angewendet werden, so braucht sie, wie 
schon erwähnt, im Bewußtsein nicht hervorzutreten. Die An- 
wendung dieser Lösungsmethode setzt in dem S^itpunkt ein, 
in dem die betreffende Aufgabe zur Erfüllung gelangt Es muß 
daher angenommen werden, daß bei den Wahlversuchen von 
Michotte und Prüm im Augenblick der Vornahme der Wahl die 
determinierende Tendenz wirksam war, die Übereinstimmung der 
Besdiaffenheit der Motive mit dem Erfordernis der Ernsthaftigkeit 
zu kontrollieren. Im Falle einer Nichtübereinstimmung der tat- 
sächlichen und der von der Angabe geforderten Beschaffenheit 
der Motive kam es daher zur determinierten Abstraktion dieses 
Sachverhältnisses. Dabei trat als das eine Fundament des Verhält- 
nisses der Nichtübereinstimmung die Instruktion wieder ins Be- 
wußtsein 0* Bei der Au%abe, möglichst rasch zu reagieren, kann 
der determinierte Kontrollprozeß in einer Art Vergleich von Zeit- 
strecken bestehen. Die bei derartigen Reaktionsversuchen ange- 
messen erscheinende Zeit bildet die Normalzeit, die Zeit des kon- 
kreten Versuchs die Vergleichszeit Dem entspricht es durchaus, 
daß bei der Überschreitung der üblichen Reaktionszeit im kon- 
kreten Versuch der Eindruck entsteht, es dauere lang oder es sei 
«) Vg^.oben S.276f. 
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2B0 Abadui. 3. Die Gesamtaafgabe. 
jetzt Zeit zu reagieren ^). Von dieser Auffassung aus wird auch 
die zunächst auffalloide Tatsache leicht begreiflich, daß Michotte 
und Prüm als Versuchspersonen trotz eines ganz verschiedraien 
Verhaltens bei der Wahl im Mittel annähernd gleiche Reaktions- 
zeiten hatten (2268 ö gegen 2256 ö) *). 
') Michotte et PrOm a. a. O. S. 214, 228f. 
^ a. a. 0. S. 260. Michotte und Prüm betrachten im Einklang mit dem 
oben Ausgeführten die übereinstimmenden Zeiten als das Ergebnis der ein- 
ander entgegenwirkenden Nebenau%aben, möglicfast schndl zu reagiere einer- 
seits und sich aus ernsthaften Motiven zu entscheide anderseits. 
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Sduuß. asi 
Schluß. 
Die Theorie der determinierten Komplexei^g^inzung überhaupt 
und der determinierten Wissensaktualisierung im speziellen forderte 
die Ersetzung der Konstellationstheorie der reproduktiven Vor- 
gänge im geordneten Denkverlauf durch eine Komplextheorie. 
Die Analyse der Gesamtaufgabe hat nunmehr die Komplextheorie 
durch den experimentellen Nachweis ihrer Voraussetzungen ge- 
klärt und bestätigt. Erst durch die Einsicht in die Natur der 
Gesamtaufgabe konnten auch die Prozesse der Bestätigung und 
Berichtigung von Lösungsversuchen wirklich verständlich gemacht 
werden. Es erübrigt noch zum Schluß auf ein bisher nicht be- 
rührtes Argument gegen die Konstellationstheorie hinzuweisen, 
das ihre Unzulänglichkeit für die Erklärung des geordneten Denk- 
verlaufe besonders einleuchtend dartut. Bei einem konstellieren- 
den Zusammenwirken von Angabe und Reizwort könnten näm- 
lich selbst dann durchaus verkehrte Reaktionen zustande kommen, 
wenn die konstellierende Wirkung der von der Aufgabe aus- 
gehenden Tendenzen beliebig stark angenommen werden dürfte. 
Zur Erläuterung mögen einige Zusammenstellungen von Aufgaben 
und Reizwörtern dienen, die alle unseren Versuchen entnommen 
sind. Auf dem Boden einer Konstellationstheorie würde z. B. die 
Aufgabe, ein (Ganzes zu suchen, bei dem Reizwort „Seite*' zu der 
Reaktion „Zeile^, also zur Angabe eines Teiles der Seite führen 
können. Denn durch das Aufgabewort Ganzes würden unter 
anderem auch die mit seiner Bedeutimg assoziativ verknüpften 
Reproduktionsgrundlagen von „Zeile" in Erregung versetzt werden. 
(Die Zeile ist ein Ganzes im Verhältnis zu den Worten und 
Silben.) Hierdurch würde die Reproduktionstendenz Seite — Zeile 
verstärkt werden und daher ebenso gut „Zeile" als die richtige 
Lösung „Band" zur Reproduktion gelangen können. Entsprechend 
könnte die Aufgabe, einen Teil anzugeben, beim Reizwort „Seite" 
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^2 SdUufi. 
die Reproduktion des Gfanzen ^Band*' herbeifahren. Denn erstens 
sind „Band^ und „Seite^ und zweitens „Band^ und der BegaS 
eines Teils miteinander assoziiert (Der Band ist ein Teil des ganzen 
Werkes oder der Bibliothek.) Statt einer Voraussetzung könnte 
eine Folge der Schuld, nfimlich Verurteilung reproduziert werden. 
Denn ^Verurteilung^ ist sowohl mit Schuld als auch mit dem 
Begriff einer Voraussetzung (als Voraussetzung der Bestrafung) 
assoziiert. Analoge Fehlreaktionen, bei denen das Reaktions- 
wort zum Reizwort statt in der geforderten in der entgegen- 
gesetzten Beziehung steht, wären: 
1. Strafe Wii^ung? 
(=» Wiiinmg der Strafe) 
\ / 
Verbrechen 
(Verbrechen ist die Wirkung verschiedener Faktoren). 
2. Biß Ursache? 
(= Ursache des Bisses) 
Blutvergiftung 
(Blutvei^^ung ist die Ursache der Vergiftungserscheinungen). 
3. Stern Überordnung? 
(= übergeordneter Begriff zu Stern) 
Fixstern 
(Fixstern ist übergeordnet zu Sonne). 
4. Preufie Unterordnung? 
(= untergeordneter Begriff zu Preuße) 
Deutscher 
(Deutscher ist untergeordnet zu Germane oder Europäer). 
6. Eroberung nachher? 
(= was ist nach der Eroberung?) 
Sturm 
(Sturm erfolgt nach der Zemierung). 
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SdUafi. a^ 
Zugegeben also, durch die Aufgabe würden alle mit der 
Aufgabebeziehung assoziierten Vorstellungen derart in erh(^hte 
Bereitschaft gesetzt, daß unter den mit dem Reizwort assoziierten 
Vorstellungen nur die gleichzeitig von der Aufgabe aus in Bereit- 
schaft gesetzten zur Reproduktion gelangen. Wie die angeführten 
Beispiele dartun, würde hierdurch nicht die mindeste Gewähr für 
eine richtige Aufgabelösung gegeben sein. Es würden vielmehr 
bei einer solchen Eonstellationstheorie Fehlreaktionen erwartet 
werden müssen, wie sie weder die tägliche noch die experimen- 
telle Erfahrung uns zeigt 
Alle diese Erwägungen weisen von neuem auf die großen 
Vorzüge der Theorie der Eomplexergänzung für die ErUärung 
der geordneten Reproduktion sinnvoller Zusammenhänge hin. Es 
darf daher erwartet werden, daß in zukünftigen Untersuchungen 
über das sogenannte logische Gredächtnis der Anteil der Eomplex- 
er^üizung an der Reproduktion sinnvollen Materials eine eingehende 
Berücksichtigung findet. Vor allem die Bedeutung der determi- 
nierten Komplexergänzung und speziell der determinierten Wissens- 
aktualtsierung darf nirgends außer acht gelassen werden. Die 
Untersuchung von Michotte und Ransy über das logische Gredächt- 
nis sucht z. B. das Zusanmienwirken des einen Relationsgliedes 
und der Relation bei der Reproduktion des anderen Relations- 
gliedes noch in erster Linie durch die Annahme einer Eonstel- 
lationswirkung verständlich zu machen 0* Die Verfasser beschi^Uiken 
allerdings ihre Theorie des logischen Gedächtnisses vorsichtig auf 
ihre speziellen Versuchsbedingungen'). Diese waren nun in der 
Tat für die Entstehung von Eonstellationswirkungen besonders 
günstig. Es wurde nämlich den Versuchspersonen nicht ein fertiges 
Beziehungsganzes zur Einprägung dargeboten, sondern nur die 
beiden Worte, welche die Beziehungsglieder repräsentierten. Die 
Versuchspersonen hatten die Beziehung zwischen den beiden dar- 
gebotenen Worten selbst aufzusuchen. Unter diesen Bedingungen 
ist es sehr wohl denkbar, daß einerseits eine mehr oder weniger 
^ Michotte et Ransy, Gontribution k F^tude de la m^oire logique 
(Louvain 1912) S. 24—27, 75—78, 80. Das gleiche gilt für Balaban, der seinen 
theoretischen Standpunkt aber weniger deutlich erkennen läßt Vgl. Michotte 
und Ransy S. 73 Anm. 1. 
") a. a. 0. S. 72. 
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^4 SdUufi. 
feste unmittelbare Assoziation zwischen den beiden Worten ge- 
stiftet wurde, während andererseits eine mittelbare Verknttpfung 
durch die zwischen ihnen bestehende Beziehung erfolgte^). Die 
Selbstbeobachtungen der Versuchspersonen von Michotte und Ransy 
sprechen indessen sehr für die Annahme, daß auch hier im all- 
gemeinen nicht ein konstellatives Zusammenwirken von Relations- 
glied und Relationsbewußtsein stattfand, sondern daß es sich um 
Vorgänge der Eomplexergänzung und zwar um Wissensaktuali- 
sierungen handelte. Michotte und Ransy betonen selbst, daß die 
Relation nach der Darbietung des einen Ghedes nicht als ein 
abstraktes Beziehungsbewufltsein erschien, sondern immer in kon- 
kreter Form auftrat*). „Die Versuchspersonen sagen nicht, daß sie 
in einem bestimmten Augenblick an ,61eichzeitigkeit' oder ,Auf- 
einanderf olge' gedacht hätten, sondern, daß sie das Bewußtsein ge- 
habt hätten, daß ,das andere' [nämlich das andere Beziehungs- 
glied] zu dem Reizwort in einer solchen Beziehung 
stand" •). Nach dieser Beschreibung sind die in Frage stehenden 
durch ein Relationsbewußtsein vermittelten Reproduktionsvorgänge 
nichts anderes als sukzessive determinierte Wissensaktualisie- 
rungen ^). Die Vp. steht von Anfang an unter der Determination, 
das andere Wort zu suchen, das ihr mit dem Reizwort zusammen 
dargeboten worden war. Michotte und Ransy stellen sogar nach 
*) Ähnliches gilt für die Versuchsbedingungen von A. Michotte et Th. Forsch, 
Deuxi^me l^tude sur la memoire logique. Extrait du tome 11 des Annales de 
llnstitut Sup^eur de Philosophie (Louvain 1913). Hier hatten die Vpn. freie 
Wahl bezüglich der Art der Einprftgung der dargebotenen Worte. 
*) a. a. 0. S. 15 ff. Vgl. auch die dort angefahrten Beispiele. 
^ An Stelle dieses entwickelten Sadiverhaltsbewußtseins konnte allerdings 
auch ein bloßes „Bewußtsein von etwas Ähnlichem" oder „Identischem" u. dergL 
treten. Allein in dieser weniger entwickelten Form ist der konkrete Charakter 
des Relationsbewußtseins ebenfalls noch erkennbar, eine Auffassung, die auch 
der Ansicht der Verfasser selbst entspricht (a. a. 0. S. 16 f.). In der ersten 
Form scheint mir das Bewußtsein von dem Sachverh<nis zwischen Reiz- und 
Reaktionswort hervorzutreten. Sie wurde ganz dementsprechend von den Vpn. 
von Michotte imd Ransy speziell als Wissen (savoir) bezeichnet In der anderen 
Form dagegen scheint der Nachdruck mehr auf der indirekten Gegenstands- 
bestimmung, der Bestimmimg des Reaktionswortgegenstandes, zu liegen, so daß 
das Sachverhaltsbewußtsein, das aktualisierte Wissen, nur als Bestandstück 
dieser indirekten Bestimmung zur Geltimg kommt. Die Vpn. bezeichnen diese 
Form des Relationsbewußtseins nicht als „Wissen", sondern als „Gedanken" 
(pens6e) der konkreten Relation. 
*) Siehe oben 1. Abschnitt, insbes. S. 4öff., 62 ff., 2. Abschnitt S. 190 ff. 
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Sdiluß, 286 
dem Erscheinen des Reizwortes ein bewußtes Gerichtetsein der 
Vpn. auf das Reaktionswort fest, das dabei indirekt bestimmt ist 
als das mit dem Reizwort zusammen dargeboten gewesene Wort^- 
Auf das Erscheinen des Reizwortes hin aktualisiert sich nun infolge 
der bestehenden Determination zunächst das abstrakte Wissen, 
daß das gesuchte Wort zu dem Reizwort in einer bestimmten Be- 
ziehung gestanden habe *). Die Aktualisierung dieses Wissens zieht 
genau wie in den früher beschriebenen Fällen der sukzessiven 
Wissensaktualisierung die Aktualisierung des ihnen entsprechen- 
den konkreten Wissens von dem Wort nach sich, das zu dem Reiz- 
wort in der betreffenden Beziehung stand'). Darin besteht wohl 
eine Hauptbedeutung der indirekten Bestimmung des Reaktions- 
wortes durch die Reproduktion des Bewußtseins von seiner Be- 
ziehung zum Reizwort, auf die Michotte und Ransy hingewiesen 
haben *). Michotte und Ransy bezeichnen die Reproduktionen auf 
Grund indirekter Bestimmungen als reproductions däfinies. Das 
Wesen dieser Reproduktionen findet durch die Theorie der Kom- 
plexergänzung und insbesondere durch die Theorie der Wissens- 
aktualisienmg seine Aufklärung^). 
Michotte und Ransy lassen die Tatsache unberücksichtigt, daß eine in- 
direkte Bestimmung des Reaktionswortes durch seine Beziehung zum Reizwort 
auch schon durch das Wissen gegeben ist, daß das Reaktionswort mit dem 
Reizwort zusammen in der Versuchsreihe dargeboten war. Vermöge dieser 
indirekten Bestimmung kann sich die Determination auf die Reproduktion 
desjenigen Wortes richten, das mit dem Reizwort zusammen 
dargeboten war. Wie wichtig es ist, auf die Möglichkeit des Bestehens 
einer solchen Determination hinzuweisen, zeigt folgender Umstand: Michotte 
und Ransy suchen eine Erklärung daftlr, daß durch das Reizwort gerade das 
früher mit ihm dargebotene Wort reproduziert wird und nicht ein anderes auf 
Grund älterer Assoziationen des täglichen Lebens mit ihm allein oder mit ihm 
*) a.a.O. S. 16f. 
^ Dieser Wissensaktualisierung kann natürlich auch eine spezielle Deter- 
mination zur Aktualisierung des Wissens von der Beziehung vorausgegangen 
sein, die zwischen dem Reizwort und dem dazugehörigen Wort bestand. 
*) Statt dessen kann die sukzessive Wissensaktualisierung zunächst auch 
nur zur Aktualisierung des konkreten Wissens von irgendwelchen Gegen- 
ständen ftUiren, die zum Reizwort in der gesuchten Beziehung stehen. In 
solchen Fällen wird dann erst im Wege des Wiedererkennens unter den re- 
produzierenden Worten das gesuchte aufgefunden. Michotte et Ransy, S. 27, 73 f. 
*) a. a. O. S. 78 f. Vgl. auch Michotte und Portych S. 903 ff. 
^ Vgl. namentlich 2. Abschnitt III D, insbes. S. 180 ff. 
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29B Sdilafi. 
und dem bei der Einprftgung eingeschobenen Zwischenglied (interm^aire) 
assoziiertes Wort Da nun die Determination^ gerade das vorher mit dem 
Reizwort zusammen dargebotene Wort zu reproduzieren, keine BerOcksichtigung 
findet, muß ausschließlich die Stärke der bei der nur einmaligen Darbietung 
gestifteten Assoziationen zur Eridärung herangezogen werden. Diese müssen 
zurzeit der R^roduktion an St&rke die stftiksten filteren Assoziationen des 
Reizwortes übertreffen^. Berücksichtigt man jedoch die bestehende Deter- 
mination, das mit dem Reizwort früher zusammen dargebotene Wort zu re- 
produzieren, so kommt diese neben der Stfirke der bei der Einprfigung ge- 
stifteten Assoziationen als ein wesentlicher Faktor in Betracht, und es braucht 
nicht angenommen zu werden, daß jene neuen Assoziationen ft&r sich allein 
zurzeit der Reproduktion stäricere Reprodukticmstendenzen begründen als die 
filteren Assoziationen des tfiglichen Lebens. Dem determinierten R^roduktions- 
prozeß dient die schematische Antizipation des Verhältnisses d^ gesuchten 
Wortes zum Reizwort, nämlich die Antizipation ihrer gemeinsamen Darbietung, 
zum Ausgangspunkt, so daß nur die in einem der Antizipation entsprechenden 
Verhältnis zum Reizwort stehenden Worte zur Reproduktion gelangen. Das 
Beispiel zeigt, daß auch bei Ged&chtnisuntersuchungen die bestehenden Deter- 
minationen keineswegs immer vernachlässigt werden dürfen. 
Auch Micbotte und Ransy erkennen an, daß durch die „Pro- 
duktion*' der Relation eine besonders innige Einheit zwischen den 
beiden dargebotenen Worten und der zwischen ihnen gestifteten 
Relation begründet wird. Die Relation bildet mit ihren Funda- 
menten eine Eomplexion höherer Ordnung (Gomplexion d'un ordre 
äevä). Reizwort und Relation „bieten der Vp. den größeren Teil 
einer Eomplexion dar, deren fehlender Teil zu suchen ist.^ Allein 
die beiden Verfasser erblicken dann anscheinend die Bedeutung 
der Bildung einer solchen Eomplexion doch wieder nur in der 
Stiftung besonders fester Assoziationen zwischen den dargebotenen 
Worten untereinander und zwischen ihnen und der Relation*). 
Die Zugehörigkeit zu demselben Eomplex soll also nur die kon- 
stellative Wirkung des einen Relationsgliedes und der Relation 
erhöhen. Nach den Ergebnissen unserer Untersuchungen wird 
man dagegen bei dieser Auffassung nicht stehen bleiben können, 
sondern der besonderen Natur der Eomplexer^üizung Rechnung 
tragen müssen. Die Einsicht in die Bedeutung und die Vorzüge 
der determinierten Eomplexerg^Lnzung läßt im Zusammenhalt mit 
den Selbstbeobachtungen von Michotte imd Ransy vermuten, daß 
der Anteil eines bloßen konstellativen Zusammenwirkens von Reiz- 
*) a. a. 0. S. 76ff. Vgl auch Michotte und Portych S. 804f., 866 ff. 
•) a. a. 0. S. 26. 
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Sdtlufi. ^ 
wort und Relationsbewußtsem von den beiden Verfassern über- 
schätzt worden sein dttrfte. 
Es soll hier nochmals nachdrücklich betont werden, daß unsere 
Komplextheorie des geordneten Denkverlaufs die Möglichkeit von 
Konstellationswirkungen durchaus nicht in Abrede stellen will. 
Bemedit werden muß übrigens, daß die von Ach als reproduktiv- 
determinierende Bahnung bezeichneten Tatsachen nicht notwendig 
als Ergebnisse des konstellativen Zusammenwirkens determinieren- 
der Tendenzen einerseits imd von ihnen unabhängig vom Reiz- 
wort ausgehender Reproduktionstendenzen andererseits angefaßt 
zu werden brauchen. Ach imd 6. Glässner, der die Untersuchungen 
Achs fortgeführt hat, neigen zu dieser Anschauung^). Nehmen 
wir als Beispiel folgenden von Glässner festgestellten Fall einer 
reproduktiv determinierenden Bahnung: Es wurde eine Reihe sinn- 
loser Silben in verschiedenen Kombinationen gelernt, so daß sie 
nicht wirksam miteinander assoziiert wurden, aber starke Bekannt- 
heitsquaUtät erhielten. Befand sich nun unter den gelernten 
Silben z. B. die Silbe gef und wurde bei der Instruktion, einen 
Reim zu bilden, die Silbe mef dargeboten, so wurde mit der Silbe 
gef reagiert, deren Anfangskonsonant bei der Erlernung der vor- 
her gegebenen Reihe mit einem Teil der dargebotenen Silbe (ef) 
rückläufig assoziiert worden war. Glässner nimmt an, daß diese 
Teilassoziation bei der Herbeiführung der Reimsilbe gef die Wirk- 
samkeit der determinierenden Tendenz zu reimen unterstützt, und 
zwar können derartige reproduktiv-determinierende Bahnungen 
eintreten, ohne daß der Vp. die Hilfe, die sie durch die frühere 
Assoziation empfängt, zu Bewußtsein kommt *). Es wird also in 
solchen Fällen vor allem nicht etwa willkürlich die früher gelernte 
Silbe reproduziert, die sich auf die Reizsilbe reimt. Auch bei 
unabsichtlicher Verwendimg der gelernten Silbe braucht aber nicht 
angenommen zu werden, daß die von der Reizsilbe, bezw. ihren 
Teilen ausgehenden assoziativen Reproduktionstendenzen neben 
der determinierenden Tendenz zu reimen eine selbständige Wirk- 
samkeit entfalten, so äaß die Wirksamkeit der determinierenden 
N.Ach, Über den WiUensakt und das Temperament, S.264ff. G. Glässner, 
Über Willenshemmung und Willensbahnung. Untersuchungen zur Psychologie 
und Phüosophie, herau8g^;eben von N. Ach, 1. Bd., 7. Heft (Leipzig 1912); vgl. 
insbesondere auch S. 182 Anm. 
•) a. a. O. S. 88, 36. 
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^ Sdiluß, 
Tendenzen durch die rückläufige Assoziation g^^t unterstützt 
wird. Viel einfacher ist vielmehr folgende Lösung: Es besteht 
die Gesamtaufgabe, auf die Silbe mef einen Reim zu bilden, 
das heißt eine Silbe zu nennen, die auf ef endigt und mit 
einem anderen Konsonanten als m beginnt. Die dieser Gresamt- 
aufgabe entsprechende Determination zieht die Tendenz zur 
Aktualisierung der allgemeinen intellektuellen Operationen nach 
sich, die zur Verwirklichung einer derartigen Au%abe geeignet 
sind. Zu diesen Operationen gehört auch die Operation der 
determinierten Komplexer^^Lnzung. Es besteht demnach eine 
determinierende Tendenz zur Komplexei^änzung, die im Bewußt- 
sein hervortreten kann, aber nicht hervorzutreten braucht. Nach 
dem dritten Gesetz der Komplexergänzung wird nun diese determi- 
nierende Tendenz solche früher im Bewußtsein gewesene Silben 
in reproduktive Erregung versetzen, die auf ef endigen, und diese 
Silben werden um so leichter reproduziert werden, in je höherer 
Bereitschaft sie sich befinden 0- Da diese Bedingungen bei der 
eben gelernten Silbe gef erfüllt sind, so wird sie reproduziert, 
ohne daß neben der determinierenden Tendenz zur Komplex- 
ei^^bizung eine selbständige Wirksamkeit der von der Reizsilbe 
mef ausgehenden assoziativen Reproduktionstendenzen angenom- 
men zu werden braucht. In gleicher Weise erklären sich z. B. 
die analogen FäUe, in denen auf die Reizsilbe nicht mit einer 
vorher gelernten Silbe, sondern mit einem bekannten Klan^ild, 
z. B. dem eines sinnvollen Wortes reagiert wird, also Reaktionen 
wie schuk — ruck, baus — maus. 
Hier soll indes, wie wiederholt gesagt, die Möglichkeit einer 
konstellativen Mitwirkung von assoziativen Reproduktionstendenzen 
am geordneten Denkverlauf nicht in Frage gestellt werden. 
Unsere Untersuchungen zeigten ledigUch, daß solche Konstella- 
tionswirkungen auch zur Erklärung der reproduktiven Vor- 
gänge im geordneten Denken nicht ausreichen. Sie zeigten 
femer, daß die Analyse des tatsächlichen Verlaufs dazu führt, in 
schematischen Komplexantizipationen, wie sie das im Bewußt- 
sein von der Gesamtau%abe enthaltene Sachverhaltsbewußtsein 
darstellt, und in determinierten Komplexergänzungen der anti- 
zipierten Komplexe die ausschlaggebenden Faktoren des ge- 
*) Vgl. oben S. 128 mit S. 109 f. 
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SMufi. 2B9 
ordneten reproduktiven Ablaufe zu erblicken. Solche schema- 
tischen Antizipationen und determinierten Eomplexergänzungen 
liegen auch schon dann stets vor, wenn sinnloses oder sinnvolles 
Lemmaterial in der ursprünglichen Ordnung willkürlich zu re- 
produzieren gesucht wird. Das zu Reproduzierende kann in solchen 
Fttllen in abstrakter Form z. B. antizipiert sein: als die erste oder 
die auf die eben dagewesene folgende Silbe der gelernten Reihe 
oder als die auf die eben rezitierte Verszeile folgende mit ihr 
sinnvoll zusammenhSng^ide Zeile aus einem ein bestimmtes Thema 
behandelnden Gedicht. Die Tragweite dieser Tatsache für 6e- 
dächtmsuntersuchungen kann jedoch nicht prinzipiell, sondern nur 
im einzelnen entschieden werden^). Jedenfalls aber hat James 
nicht recht, wenn er in dem früher angeführten Beispiel *) aus- 
schließlich die Konstellation dafür verantworüich macht, daß wir 
nicht von einem Wort des Gredichts plötzlich auf die Worte über- 
springen, die mit demselben Wort in einem anderen Gedicht 
assoziiert sind. Es müssen auch hier vielmehr die Gesetze der 
Eomplexerg^üizung und speziell der determinierten Komplex- 
er^üizung zur Erklärung herangezogen werden. Man kann die 
Reproduktion einer Sübenreihe und die Rezitation eines (Gedichts 
nach dem eben Gesagten als die allmähliche Ausfüllimg eines 
Schemas auffassen, durch das die Reihe oder das Gedicht schon 
vor Beginn der Reproduktion in abstrakter Form antizipiert wird. 
Solche abstrakte Antizipationen eines ganzen Komplexes sind wohl 
zu unterscheiden von konkreten „Gtesamtvorstellungen'' oder „Total- 
vorstellungen'' *) des Komplexes, die in nuce schon den ganzen zu 
reproduzierenden Komplex enthalten würden. Die fehlenden Kom- 
plexbestandteile sind in der schematischen Antizipation nur ihren 
abstrakten Merkmalen nach, z. B. als Silben oder als Verse be- 
stimmt, oder sie sind nicht direkt ihrer Beschaffenheit nach, sondern 
indirekt durch ihre Beziehungen zu den gegebenen Bestandstücken 
des Komplexes bezw. zu dem ganzen Komplex bestimmt Dies 
ist z. B. der Fall, wenn eine Verszeile bestimmt ist als die auf 
eine bestimmte andere Verszeile folgende oder als eine in einem 
*) Vgl über die Bedeutung der Determination zur Reproduktion bei Ge- 
dftchtnisuntersuchungen auch Koffka, Zur Analjrse der Vorstellungen usw., S. 968. 
*) Sidie oben S. 106. 
•) Vgl. unten S.290f. 
8«lB, über dto 0«Mtae d«f f«ordtt«t«n DenkTerUnlk 19 
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290 SdOuß. 
Gedicht bestimmten Namens enthaltene ^). Die Analyse der Ge- 
samtaufgabe in unser^i Versuchen war die Analyse von Anti- 
zipationen eines fehlenden Komplexstüeks durch solche indirekte 
Bestimmungen. Wie die schematische Antizipation eines Kom- 
plexes von seiner Antizipation durch eine unklare oder unent- 
wickelte Gesamtvorstellung zu trennen ist, so ist sie auch keine 
Obervorstellung'), die mit den gegebenen oder jeweils reprodu- 
zierten Komplexgliedemkonstellativ zusammenwirkt Dieg^;ebenen 
und die bereits reproduzierten Komplexbestandteile treten vielmehr 
als konkrete Bestandstticke in das sich allmählich konkretisierende 
Schema ein und dienen als Bestandteile dieses einheitlichen Ganzen 
zum Ausgangspunkt für die determinierte Komplexerg^bizung'). 
Die früher analysierten sukzessiven Wissensaktualisierungen haben 
gezeigt, wie die schematische Antizipation eines Komplexes durch 
die Reproduktion einzelner Bestandstttcke eine immer bestimmtere 
Gestalt annehmen kann, ohne ihre Einheitlichkeit zu verlieren. 
In einer kurz vor demAbschluß diesesBuches erschienenen Schrift 
hat W. Poppelreuter die Konstellationstheorie des geordneten 
Denkverlaufs auf Grund seiner Untersuchungen über elementare 
Reproduktionsgesetze zu rechtfertigen gesucht^). Poppelreuter be- 
schi^tokt sich allerdings in dem bisher erschienenen ersten Teil 
seiner Schrift im wesentlichen auf eine Erkttrung des Verstehens 
sinnvoller Zusammenhänge, z. B. zusammenhängender Worte. 
Poppelreuter weicht von der üblichen Auffassung der elementaren 
Reproduktionsvorg^üige dadurch ab, daß er die Annahme einer 
kettenartigen, von Glied zu Glied sukzessiv fortschreitenden Re- 
') In der Regel vereinigen sich abstrakte direkte und indirekte Be- 
stimmungen zu einer einheitlichen schematischen Antizipation des Komplexes, 
z. B. diejenige durch eine bestimmte rhjrthmische Gliederung ausgezeichnete 
Verszeile (1), die auf eine bestimmte andere Verszeile (2) eines bestinuntei 
Gedichts (3) folgt 
•) Vgl. H. Liepmann, Über Ideenflucht 
*) Vgl. S. 117 fr. Wie wiederholt erwähnt wurde, lassen wir ganz dahin- 
gestellt, wieweit diese schematischen Antizipationen als bewußt anzusehen sind. 
Daß sie im Bewußtsein zur Geltung konmien können, hat die Analyse der 
Gesamtaufgabe dargetan. 
*) Walter Poppelreuter, Über die Ordnung des Vorstellungsablaufes, I., 
Archiv f. d. ges. Psycho!. 25. S. 206; außerdem erschienen in den Abhandlungen 
zur psychol. Pädagogik, herausgegeben von Meumann, III. Bd., 8. Heft Vgl. 
femer den Vortrag von Poppelreuter im Bericht Ober den V. Kongreß f. exper. 
Psychol. (Leipzig 1912) S. 169 f. 
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Sdüufi. 291 
Produktion verwirft JDie Reproduktionstendenz geht nicht nach 
dem Prinzip der engsten Eontiguität, sukzessiv von Teil zu Teil, 
sondern vom Teil sofort auf das Ganze^^). (Totalität der Re- 
produktionstendenz'). Es erneuert sich die im Anschluß an die 
ursprüngliche Perzeption als „Sekundärerlebnis'' entstandene Total- 
vorstellimg, in welcher auch die sukzessiven Teile in ihrer zeit- 
lichen Ordnimg simultan enthalten sein sollen. Die Reproduktion 
erfolgt durch Explikation der Teile dieser Totalvorstellung nach 
Maßgabe ihrer verschiedenen Reproduzibilität, die von der Hohe 
des Bewußtseinsgrades und der Andauer im Sekundärerlebnis ab- 
hängt'). Die Entwicklimg einer durch ein Reproduktionsmotiv 
erneuerten Totalvorstellung wird durch den Hinzutritt eines weiteren 
Reproduktionsmotivs beeinträchtigt, soweit dieses Reproduktions* 
motiv nicht in der gleichen Richtung wirkt Infolge des Hinzu- 
tritts eines konvergenten Reproduktionsmotivs wird andererseits 
die Entwicklung der durch das erste Reproduktionsmotiv aktuali- 
sierten oder potentialisierten Totalvorstellimg gefördert, bezw. es 
wird die Entwicklimg der durch das zweite Reproduktionsmotiv 
aktualisierten Totalvorstellung in der durch das erste Reproduktions- 
motiv vorbereiteten Richtung beeinflußt. Es werden sich daher 
nur die konvei^nten Reproduktionsmotive durchsetzen*). Auf 
die Beweisführung Poppelreuters für seine Theorie und ihre Wür- 
digung im einzelnen braucht hier nicht näher eingegangen zu 
werden. Jedenfalls sprechen gegen die Heranziehung dieser Hypo- 
these zur Erklärung des geordneten Denkverlaufs unsere 
Versuchsergebnisse und alle sonstigen Gründe, die wir gegen eine 
Eonstellationstheorie des geordneten Denkverlaub überhaupt vor- 
gebracht haben. Alle solchen Theorien lassen die besondere Be- 
deutung der Einheitsbildimg mehr oder weniger unberü(dLsichtigt, 
indem sie das konstellative Zusammenwirken einer Mehrheit von 
Bestandstücken und das Zusammenwirken als einheitliches Ganzes 
nicht genügend auseinanderhalten^). Erst die Einsicht in die 
*) a. a. 0. S. 252. Das Wort „sofort" ist von mir hervorgehoben. 
") a. a. 0. S. 258. 
•) Vgl. z. B. a. a. 0. S. 24Q, 261 ff., 261 f., 263 ff. 
*) Vgl. z. B. a. a. 0. S. 217, 906 ff., 312, 316, 331 ff., 836 ff., 3441. 
*) Poppelreuter ist wiederholt auf dem Wege einer richtigen Würdigung 
der Einheitlichkeit eines aus mehreren Bestandstücken bestehenden Reproduktions* 
motivs. Das einheitliche Reproduktionsmotiv löst sich ihm aber alsbald wieder 
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Eigenart der Komplexwirkung aber gestattet, wie wir sahen, die 
volle Würdigung der Bedeutung schematischer Antizipationen des 
ganzen Komplexes und der durch sie ermöglichten determinierten 
Operationen der Komplexergänzung. 
Im einzelnen soll hier nur darauf hingewiesen werden, daß 
durchaus nicht in allen Fällen, deren sich Poppelreuter zum 
Nachweis einer Konstellationswirkung bedient, wirkliche Kon- 
stellationswif'kungen vorzuliegen brauchen. Es finden sich viel- 
mehr verschiedentlich Anhaltspunkte daftlr, daß der instruktions- 
gemäße Ausschluß eines willkürlichen Verhaltens nicht verhindert, 
daß isoliert dargebotene Worte oder andere Reize unwillkürlich 
aufeinander bezogen werden und zu ähnlichen Prozessen der Bildung 
von Beziehungsganzen Anlaß geben, wie wir sie bei der Analyse 
der Gesamtaufgabe kennen gelernt haben. Beispiele für eine 
solche imwillkürliche Aufeinanderbeziehimg sind namentlich Fälle, 
die Poppelreuter anführt, um zu zeigen, daß durch die einfache 
Sukzession von Worten neue Kombinationen entstehen können^). 
So wurde z. B. die Parataxe gegeben: Blei — Amboß. Die Vp. 
denkt zuerst an Bleistift; „dann anschaulich eine Schmiede mit 
einem Amboß. Auf einmal wurde der Amboß aus Blei. Dann 
Gedanke: bleierner Amboß ist Unsinn, er ist zu weich.^ Die Er- 
klärung dieses Vorganges ist unschwierig, wenn wir einen durch 
die dauernde Determination zum Sprachverständnis geschaffenen 
Einstellungsmechanismus annehmen, demzufolge Wortsukzessionen 
automatisch die zur Herstellung sinnvoller Bedeutungszusanmien- 
hänge dienenden Operationen auslösen. Es würde sich also um 
automatisierte determinierte Prozesse handeln, wie sie Ach nament- 
lich in seinem Buche „Über den Willensakt und das Temperament^ 
beschrieben hat. Die Tendenz, zwischen Blei und Amboß einen 
sinnvollen Zusammenhang, d. h. eine Beziehung zwischen den Be- 
deutungen bezw. den entsprechenden Gegenständen herzustellen*). 
auf in eine Mehrheit konvergenter Reproduktionsmotive. Vgl. a. a. O. S. 312 ff., 
831-337. 
*) aa.O. S.334f. 
*) hihaltlich zusanunenhftngend sein, heißt nicht, wie Poppebeuter, der 
sich hier mit Ebbinghaus berührt (siehe oben S. 91), annimmt, „daß sich Re- 
produktionsmotive folgen, weiche in einer Richtung wirken** (a. a. O. S. 344), 
es heißt viehnehr, daß dsis Verständnis der aufeinanderfolgenden Worte dazu 
führt, an einen einheitlichen gegenständlichen Zusammenhang zu denken, wie 
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Sdüufi, ^ 
kann nun zwar nicht zur determinierten Aktualisierung des 
Wissens von einer bekannten Beziehung speziell zwischen Blei 
und AmboB führen, wohl aber führt sie zur Aktualisierung 
des Wissens von der Beziehung zwischen den zum Bedeutungs- 
bewußtsein des einen Beziehungsgliedes Blei gehörigen allgemeinen 
Materialcharakters und dem zum Bedeutungsbewußtsein des 
anderen Beziehungsgliedes Amboß gehörigen Charakters als Ge- 
brauchsgegenstand. Es wird also das Wissen wirksam, daß 
solche Gegenstände wie Blei als Rohmaterial zur Herstellung 
von Gebrauchsgegenständen wie Amboß dienen. Damit ist der 
Versuch einer Aufeinanderbeziehung von Blei und Amboß in 
diesem Sinne nahe gelegt, der sich in der Vorstellung eines bleiernen 
Ambosses äußert. Für den gedanklichen Hintergrund des Auf- 
tretens dieser Vorstellung spricht auch die sich sofort an sie an- 
schließende gedankliche Kritik, welche Blei als ungeeignetes 
Material für die Herstellung eines Ambosses bezeichnet^). Die 
Tendenz zur Herstellung eines sinnvollen Zusammenhanges ist die 
Tendenz, die aufeinanderfolgenden Worte so zu deuten, daß das 
Bewußtsein von einem einheitlichen gegenständlichen Zusammen- 
hang entsteht. Durch die Auffassung der Wortsukzession Blei — 
Amboß im Sinne von bleierner Amboß wird ein solcher gegen- 
ständlicher Zusammenhang hergestellt, also die bestehende Ein- 
stellung verwirklicht. Ohne die Annahme einer derartigen deter- 
minierenden Tendenz zur sinnvollen Interpretation dagegen gibt 
es kaum eine imgezwungene Erklärung dafür, wieso durch das 
Zusammentreffen der von Blei und Amboß ausgehenden Re- 
produktionsmotive gerade eine solche Kombination entstehen soll, 
die in der Erfahrung nie gegeben war. Warum wird nicht statt 
er etwa durch zeitliche und kausale Beziehungen zwischen den Ereignissen einer 
Geschichtserzählung oder durch die Beziehungen zwischen den Teilen eines be- 
schriebenen räumlichen Ganzen, z. B. einer Landschaft, oder durch die logischen 
Beziehungen zwischen den Bestandstücken einer Beweisführung gegeben ist 
Weil das Verständnis der aufeinanderfolgenden Worte zur Konstituierung des 
Bewußtseins von einem solchen gegenständlichen Zusammenhang führt, 
bezeichnen wir die Worte als zusammenhängend. Ob die Konstituierung 
des Bewußtseins von solchen Zusammenhängen im Wege einer Konstellations- 
wirkung der aufeinanderfolgenden Worte oder auf andere Weise erfolgt, das 
ist eine Frage für sich (über diese Frage siehe unten S. 296 ff.). 
*) Vgl. die Erörterungen zum Gesetz der Berichtigung, 3. Abschnitt § 6. 
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294 Sdüuß. 
dessen etwa konstellativ die durch die Materialbezeichnong 
Blei in Bereitschaft gesetzte Vorstellung eines Materials ge- 
weckt, aus dem ein Amboß bestehen kann? Von unserem Stand- 
punkt ist die Erklärung hierfür wieder einfach. Wenn die Wort- 
folge nach Art einer unvollständigen Sprachäußerung aufgefaßt 
wird, so liegt es näher, eine unmittelbare Beziehung zwischen 
Blei und Amboß als eine derartige mittelbare Beziehung her- 
zustellen. 
In einem anderen Beispiel führte die Parataxe „Tennisplatz — 
Blttthner Flügel*' zur Vorstellung eines Blüthner-Flügels auf einem 
Tennisplatz ^). Auch hier liegt die Annahme nahe, daß diese Kom- 
bination ihre Entstehung einer unwillkürlichen Tendenz zur Her- 
stellung gegenständlicher Zusammenhänge verdankt, wie sie im 
Anschluß an sinnvoll zusammenhängende Sprachäußerungen ge- 
bildet werden. 
Durch die Annahme einer unwillkürlichen Tendenz zur Her- 
stellung sinnvoller Zusammenhänge werden auch die von Poppel- 
reuter mitgeteilten interessanten Fälle am besten verständlich, in 
denen unbekannte Worte infolge des Vorhergehens eines bekannten 
Wortes eine bestinmite Interpretation erfuhren ^. So wurde nach 
dem Wort „Pflanze" das Wort „hakip** als der vermutliche Name 
einer unbekannten japanischen Pflanze aufgefaßt. Nach „Eranken- 
haus** erschien das Wort „Keratitis** zuerst sinnlos, dann „Gedanke, 
ist das vielleicht eine Krankheit, klingt so medizinisch*'. Analog 
wurde das Wort „Misitis** nach Afrika als Name einer afrikanischen 
Gegend gedeutet. In allen diesen Fällen handelt es sich nicht 
um bloße Reproduktion, sondern vielmehr um die Herstellimg 
einer neuen Beziehimg zwischen dem unbekannten Wort und dem 
Bedeutungsgebiet des bekannten Wortes. So wird das Wort Kera- 
titis zu dem Bedeutungsgebiet des Wortes Krankenhaus deutlich 
in Beziehung gesetzt durch die Frage: Ist das vielleicht eine 
Krankheit? Es wird nicht etwa bloß die Vorstellimg „Krankheit** 
reproduziert. Die Tatsache der Herstellung solcher Beziehungen 
aber wird sofort verständlich, wenn wir eine unwillkürliche Ten- 
denz zur Herstellung eines sinnvollen Zusammenhanges zwischen 
*) a.a.O. S.335f. 
") a. a. O. S. 336. 
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SdUuß, ^ 
den aufemanderfolgenden Worten annehmen. Gegen die Annahme 
einer bloßen Eonstellationswirkung spricht auch der Umstand, 
daß das unbekannte Wort, wenn es vorausging, noch nachü^lich 
im Sinne des folgenden Wortes gedeutet wurde. Es ist äußerst 
unwahrscheinlich, daß die schwachen Reproduktionstendenzen, die 
von dem unbekannten Wort nach allen mögUchen Richtungen 
ausgehen, durch die konveigenten Reproduktionstendenzen des 
folgenden Wortes eine solche Verstärkimg erfuhren, daß sie zu 
ein^ nachti^lichen Interpretation führen. Es wäre viel wahr- 
scheinlicher, zu vermuten, daß das bekannte Wort allein die Re- 
produktion bestimmen würde. Dagegen ist die nachträgliche Inter- 
pretation bei der Annahme einer Aufeinanderbeziehung der beiden 
Worte mit der Tendenz der Herstellung eines sinnvollen Zu- 
sammenhanges ohne weiteres verständlich. 
Sehr deutlich ist auch die Aufeinanderbeziehung der folgen- 
den Worte imd der vorhergehenden, bezw. ihres Bedeutungsgebiets 
in dem Beispiel der Parataxe Meer — Bibel — Fisch — Bauch *): 
Zuerst anschauliche Erinnerung an einen Badeort; dann Erinnerung 
an die Arche Noah; bei Fisch Gedanke, ob Noah auch 
Fische mitgenommen hat, „ach nein, das ist ja nicht nötig, 
weil diese doch nicht umkamen^ .... — Auf die Darbietimg des 
Wortes Fisch folgt hier wieder nicht eine einfache Reproduktion, 
sondern die deuthche Herstellung einer Beziehung zwischen der 
Bedeutung dieses Wortes und der durch die vorhergehenden Worte 
angeregten Erinnerung an die Arche Noah. Diese Aufeinander- 
beziehung erklärt sich ohne weiteres, wenn wir das Bestehen 
einer Tendenz zur Herstellung sinnvoller Zusammenhänge voraus- 
setzen. Auch hier äußert sich die Herstellung der Beziehimg 
nicht nur in der Frage, sondern auch in der sofort einsetzenden 
Kritik der versuchsweise hergestellten Beziehung. Beim Vor- 
liegen einer bloßen Eonstellationswirkung hätte sich der Prozeß 
ganz anders abspielen müssen. Es würde etwa durch den Ge- 
danken an die Arche Noah der Gedanke an Tiere, die in der 
Arche waren, in Bereitschaft gesetzt worden sein, durch den 
Tiemamen Fisch würde diese Reproduktionstendenz dann ver- 
stärkt worden sein und zur Reproduktion des Gedankens an die 
*) a. a, O. S. 337. 
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296 Sdiiaß. 
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Tiere in der Arche geführt haben. Keinesfalls aber würde durch 
Konstellation eine Beziehung zwisch^i der Arche Noah und der 
mit ihr nicht assoziierten Bedeutung des Wortes Fisdi entstanden 
sein. Nimmt man dagegen eine Tendenz zur Herstellung eines 
sinnvollen Zusammenhanges an, so wird die Tendenz, eine Be- 
ziehung zwischen Fisch und der Arche Noah zu finden, zwar 
nicht das Wiss^i von einer Beziehung speziell von Fischen, wohl 
aber das Wissen von einer Beziehung von Tieren überhaupt ^ zur 
Arche Noah aktualisieren. Hierdurch kann dann der Gedanke 
motiviert werden, ob speziell auch Fische in der Arche waren. 
Sehen wir von der aus den Lebensgewohnheiten stammenden 
Einstellung ab, Wortfolgen in sinnvollen Zusammenhang zu bringen. 
Es kann dann immer noch die Einstellung zur Herstellung sinn- 
voller Zusammenhänge durch die konstante Darbietung von Wort- 
folgen hervorgerufen werden, welche anfangs möglicherweise auf 
demWege bloßer Konstellationswirkung einen sinnvollen Zusammen- 
hang ei^^en. Koffkas Untersuchungen über die latente Ein- 
stellung haben gezeigt, wie sich unwillkürlich solche determinie- 
r^ide Tendenzen bilden können^. Auch die Untersuchungen von 
Poppelreuter lassen also wohl den Anteil der Konstellation an der 
Ordnung des Vorstellungsablaufes größer erseheinen als er vnrk- 
lich ist. Wir haben uns vielmehr das Verständnis sinnvoller Zu- 
sammenhänge durch ganz ähnliche Kombinationsprozesse vermittelt 
zu denken, wie sie das determinierte Verständnis der Gesamt- 
aufgabe in unseren Versuchen herbeiführt Schon früher wurde 
darauf hingewiesen, daß dem Verständnis von Mitteilungen ein 
Kombinationsprozeß zugrunde liegt. Bei dem Verständnis der 
Gesamtaufgabe in unseren Versuchen lag die Anweisimg für den 
Kombinationsprozeß in der vorausgegangenen Instruktion. Beim 
Verständnis von Wortzusammenhängen treten an die Stelle einer 
solchen Instruktion die in der sprachlichen Verknüpfung der Worte 
') Vgl. das Beispiel S. 292 f. 
•) Koffka, Zur Analyse der Vorstellungen und ihrer Gesetxe (Leipzig 1912) 
und Bericht über den IV. Kongreß f. exper. PsychoL, herausgeg. von Schumann, 
1911, S. 239—241. Die Untersuchungen von Koffka und ebenso die von mir 
zur Erg&nzung der vorliegenden Untersuchungen angestellten Assoziations- 
versuche zeigten, daß ein passives Verhalten der Vpn. die Wirksamkeit von 
determinierenden Tendenzen durchaus nicht aufhebt 
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Sdilufi. 297 
Hegenden Anweisungen für ihre gedankliche Verknüpfung. Be- 
stimmten Formen der sprachlichen Verknüpfung ist jeweils ein 
bestimmter Eombinationsprozeß zugeordnet 0- Wir sahen früher, 
wie die Vpn. auch bei der Bildung der (resamtaulgabe zwischen 
Angabe und Reizwort sprachliche Verknüpfungen herstellten 
und sich dadurch die Bildimg der (Gesamtausgabe erleichterten'). 
Die sprachliche Verknüpfung bietet auf Grund der durch den 
Sprachgebrauch fixierten Zuordnimg von sprachlicher und gedank* 
licher Verknüpfung die beste Gewähr für die Entstehung ganz 
bestimmter Kombinationen. Infolge der Tendenz zur Herstellung 
sinnvoller Zusammenhänge erhalten in dem eingeleiteten Kom- 
binationsprozeß die einzelnen Worte die Bedeutungen, durch 
welche sie mit den Bedeutungen der anderen Worte zusammen 
in der durch die sprachlichen Anweisungen geforderten gedank- 
lichen Verknüpfung einen einheitlichen Sinn ergeben. Dieser 
Prozeß der Anpassung der einzelnen Wortbedeutungen an den 
herzustellenden Zusammenhang konnte in unseren Versuchen in 
zwei Fällen beobachtet werden, nämlich bei der Anpassung der 
Bedeutung des Reizwortes an den Sinn der Au^^abe und bei der 
Anpassung des Sinnes der Angabe an die Bedeutung des Reiz- 
wortes^. Dort konnte auch an vielen Fällen die Unzulänglich- 
keit einer Konstellationstheorie zur Erklärung der betreffenden 
Vorginge dargetan werden. Vermöge der wechselseitigen, durch 
den Sprachgebrauch fixierten Zuordnung von sprachlicher und 
gedanklicher Verknüpfung zieht die determinierende Tendenz zur 
Mitteilung einer bestimmten gedanklichen Verknüpfung beim 
Sprechenden die Herstellung derjenigen sprachlich^iVerknüpfungen 
nach sich, die beim Verstehenden wiederum zur Herstellung einer 
entsprechenden gedanklichen Verknüpfung führen muß. Da der 
Sprechende die einem einheitlichen gegenständlichen Zusammen- 
hang zugeordnete sprachliche Verknüpfung anwendet, so muß 
auch im Verstehenden das Bewußtsein von einem solchen einheit- 
lichen gegenständlichen Zusammenhang entstehen, die Wortfolge 
hat für ihn einen sinnvollen Zusammenhang. Je vollständiger die 
Vgl oben S. ie7f. 
*) Vgl oben 3. Abschniü § 1, namenüich S. 221. 
*) Siehe oben 8. Abschnitt § 2 und 8. 
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296 Sdüufi, 
gedankliche Verknüpfung in der sprachlichen Verknüpfung zum 
Ausdruck konunt« desto sicherer und rascher vollzieht sich die 
Rekonstruktion der gedanklichen Verknüpfung im Bewußtsein 
des Verstehenden. Darin beruht der Vorzug des flektierten Satzes 
der entwickelten Sprache vor den einfachen Parataxen der primi- 
tiven. Die entwickelten Sprachen spiegeln also die Vorgänge im 
Bewußtsein des Verstehenden besser wieder als die primitiven 
Sprachen. Bei ihnen haben die vom Verstehenden vorzunehmen- 
den gedanklichen Verknüpfungen im sprachlichen Ausdruck eine 
weitgehende Ob|ektivierung gefunden. Es ist daher möglich, aus 
dieser Objektivierung auf die Art der stattfindenden gedanklichen 
Verknüpfung zurückzuschließen. Wir haben diese Methode bei 
der Interpretation der von den Versuchspersonen spontan vor- 
genommenen sprachlichen Verknüpfung von Aufgabe und Reiz- 
wort wiederholt zur Anwendung bringen können. Es hegen hier 
Fälle vor, in denen in der Tat ein Rückschluß von der Sprach- 
äußerung auf die entsprechenden Denkvorg^üige, wie ihn vor 
allem die Wundt'sche Völkerpsychologie anstrebt, wenigstens in 
beschränktem Umfange gestattet ist 
Wo nun, wie in den Parataxen primitiver Sprachen, keine 
sprachliche Verknüpfung stattfindet, da fehlt nicht etwa dem- 
entsprechend auch beim Verstehenden die gedankliche Verknüpfung. 
Die Form dieser Verknüpfung bleibt hier vielmehr nur dem Er- 
raten des Verstehenden ebenso überlassen, wie es etwa beim 
Verstehen von Gebärden der Fall ist. Die determinierende Tendenz 
zur Herstellung eines sinnvollen Zusammenhanges führt zu den- 
jenigen Kombinationen der einzelnen Wortbedeutungen, welche 
einen einheitlichen Sinn ergeben. Analoge Prozesse kamen in 
unseren Versuchen bei der Auf einanderbeziehung der unverbunden 
nebeneinander gesetzten Reizworte und Aufgaben zur Beobachtung. 
Die Versuche zeigten, wie die Voi^änge der gedankUchen Ver- 
knüpfung im Bewußtsein um so stärker hervortreten, |e mehr sie 
durch die Unvollständigkeit der sprachlichen Äußerung erschwert 
sind. Die experimentelle Untersuchung des Verständnisses un- 
vollständiger Sprachäußerungen darf demnach als ein geeigneter 
Weg zur Erforschung der Vorgänge beim Verständnis sinnvoller 
sprachlicher Zusammenhänge betrachtet werden. Je vollständiger 
die Sprachäußerungen sind, je weniger Schwierigkeiten auch sonst 
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Schluß, 299 
der Herstellung eines sinnvollen Zusammenhanges im Wege stehen, 
desto automatischer kann sich der in ungezählten Fällen eingeübte 
Prozeß des Sprachverständnisses vollziehen. Die einzuleitenden 
Operationen können sich dann automatisch selbst ohne eine auf 
das Verständnis gerichtete Absicht einstellen, es kommt zu einem 
unwillkürlichen Sprachverständnis. Die Tatsache eines solchen 
unwillkürlichen Sprachverständnisses aber darf nicht zu der An- 
nahme verleiten, als lägen hier oder überhaupt beim Sprachver- 
ständnis stets einfache Eonstellationswirkungen der aufeinander- 
folgenden Worte vor. Es kann sich vielmehr auch in derartigen 
Fällen um den in der experimentellen Willensforschimg wohl- 
bekannten automatischen Ablauf eingeübter determinierter Prozesse 
handeln. Nach den Ergebnissen der Untersuchungen von Ach^) 
läßt es sich sehr wohl verstehen, daß die Zuordnimg ^swischen 
dem Hören von zusammenhängenden Sprachäußerungen imd der 
Einleitung der zu ihrem Verständnis dienenden Operationen sogar 
eine derartig feste geworden ist, daß selbst eine auf die Unter- 
drückung des Verständnisses gerichtete Determination diesem 
Mechanismus gegenüber mehr oder weniger erfolglos bleibt. Die 
Annahme einer einfachen Konstellationswirkung würde übrigens 
wegen der beim Sprachverständnis stattfindenden Kombinations- 
prozesse selbst dann nicht haltbar sein, wenn die Vorg^ü[ige beim 
Sprachverständnis nicht als determinierte Prozesse zu betrachten 
wären; es müßte dann vielmehr eine assoziationsartige Zuordnung 
von bestimmten Formen der sprachlichen Verknüpfung und be- 
stimmten Kombinationsprozessen angenommen werden*). 
Die Konstellationstheorie erweist sich also für die Erklärung 
des Verständnisses sinnvoller Wortzusammenhänge ebenso wenig 
als zureichend wie für die Erklärung des reproduktiven Denk- 
verlaufs. Dagegen wurden wir hier wie dort auf die Beteiligung 
allgemeiner intellektueller Operationen, z. B. von determinierten 
Operationen der Komplexergänzung oder der Kombination, hin- 
gewiesen. Solche Operationen stellen Lösungsmethoden dar, welche 
der Verwirklichung einer Determination, der Erfüllung einer Auf- 
gabe dienen^. Ihre Anwendung steht in einem gesetzlichen Zu- 
») Vgl. oben S. 278 Anm. 2. 
^ Vgl. oben S. 168. 
•) Vgl. oben S. 119, 182. 
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800 Sdiiafl. 
ordnuDgsverhaltnis zur Einleitung determinierter Prozesse, zu 
deren Durchführung sie geeignet sind. Weit mehr noch als beim 
bloßen reproduktiven Denkveiiauf tritt die Bedeutung der allge- 
meinen Lösungsmethoden bei denjenigen Denkprozessen in die 
Erscheinung, durch welche neue Ei^enntnisse erwori>en werden. 
Die zusammenfassende Betrachtung der Lösungsmethoden und 
ihre Bedeutung für die Gewinnung neuer Erkenntnisse wird einen 
Hauptgegenstand des zweiten Teiles dieser Untersuchungen bilden. 
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Anhang, 901 
Anhang. 
Bemerkungen zu G. E. Müller, „Zur Analyse der Ge- 
dächtnistätigkeit und des Vorstellungsverlauf es. ^ HI. Teil 0. 
Die Niederschrift des vorliegenden Buches war bis auf wenige 
Zusätze vollendet, als der dritte Teil des Werkes von G. E. Müller 
erschien. Im folgenden sollen einige Beziehungen zu den Müller'schen 
Untersuchungen nachträglich erörtert werden'). 
1. Auch den theoretischen Erörterungen von G. E. Mtiller 
liegt zum Teil eine Eonstellationstheorie der Ordnung im Denk- 
verlauf zugrunde. So unterscheidet Müller bei der Erinnerungs- 
intention die Wirksamkeit zweier Faktoren^): a) die Wirksam- 
keit der Ausgangsvorstellung, z. B. der Vorstellung der Person, 
deren Namen wir suchen, b) die Wirksamkeit der Richtungs- 
vorstellung, d. h. der Vorstellung von der Art des Objektes oder 
Ereignisses, dessen man sich erinnern wiU, z. B. der Vorstellung 
„davon, daß das Gesuchte ein zweisilbiger, mSnnlicher Personen- 
name sei.^ „Die Richtungsvorstellung dient dazu, unter den Re- 
produktionstendenzen, die von der oft mit vielen anderen Vor- 
stellungen assoziierten Ausgangsvorstellung angeregt werden, der- 
jenigen eine gewisse Förderung zuteil werden zu lassen, welche 
auf die gesuchte Vorstellung gerichtet ist.^ Ihre Wirksamkeit 
greift „in die von der Ausgangsvorstellung erweckten Reproduk- 
tionstendenzen teils hemmend, teils steigernd ein.^ 
Vom Standpunkte dieser Eonstellationstheorie aus muß die 
Tatsache einige Schwierigkeiten bereiten, daß die Richtungsvor- 
stdUung auch dann „das Spiel der Reproduktionstendenzen^ er- 
folgreich zu beeinflussen pflegt, wenn sie nur die Vorstellung der 
Kategorie ist, unter welche das Wiederzuvergegenwärtigende Mit, 
^ a Erg.-Bd. d. Zeitschr. f. Psychol. (Leipzig 1918). 
*) Ich muß hierbei auch schon einige Punkte berOhren, auf die ursprüng- 
lich erat im zweiten Teil dieser Unterauchungen auf Qrund eines ausgedehnteren 
Materials eingegangen werden sollte. 
•) a.a.O. S. 408 ff. 
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902 Anßumg. 
z. B. nur in dem Bewußtsein besteht, einen Namen zu suchen *). 
Ist z. B. die Assoziation des gesuchten Namens mit der Vorstellung 
der Person, deren Name gesucht wird, nur schwach, oder sind 
die dem Namen entsprechenden Reproduktionsgrundlagen von 
geringer Stärke, so bestände erhebliche Grefahr, daß durch die 
von der Richtungsvorstellung ausgehenden Reproduktionstendenzen 
beliebige besonders geläufige Namen, also auch dem gesuchten 
Namen ganz unähnliche imd außer jeder Beziehung zu ihm 
stehende, reproduziert würden. Vom Standpunkte einer Eom- 
plextheorie des Besinnens aus dagegen ist die erfolgreiche Wirk- 
samkeit ganz allgemeiner Richtungen des Besinnens ohne weiteres 
verständlich. Wenn wir uns z. B. auf den Namen eines einstigen 
Universitätsfreundes besinnen, so stehen wir unter der einheit- 
lichen (Jesamtaufgabe, den Namen dieser bestimmten Person zu 
suchen. Das der Gtesamtaufgabe entsprechende Zielbewußtsein 
enthält die schematische Antizipation eines einheitlich^! Sach- 
verhältnisses. Das eine Glied dieses Sachverhältnisses ist der 
bdtannte Namenstrtiger, das andere Glied der gesuchte Name. Die 
in dem Sachverhältnis enthaltene Beziehung ist die allgemeine 
Bedeutungsbeziehung zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem, 
die durch den Sprachgebrauch, also durch die tatsächliche Ver- 
wendung des 2ieichens zum Hinweis auf die betreffende Sache 
oder Person, geschaffen wird'). Ea wirken also nicht isolierte 
Reproduktionstendenzen konstellativ zusammen, die einerseits von 
der Ausgangsvorstellung des Namensti^ers, andererseits von der 
Richtungsvorstellung „Name!" ausgehen. Vielmehr wird die Re- 
produktion des Namens durch determinierte Aktualisierung des 
schematisch antizipierten Wissenskomplexes herbeigeführt, der den 
Namensträger und den Namen in ihrer Verknüpfung durch die 
zwischen ihnen bestehende Bedeutungsbeziehung enthält. 
2. Auch an Aufgabelösungen, bei denen es sich nicht um 
den einfachen Fall einer Erinnerungsintention handelt, räumt 
G. E. Müller der Konstellation einen erheblichen Anteil ein^). 
Namentlich entspricht der Watt'schen „formalen Reproduktions- 
*) a.a.O. S.406f. 
*) Das Bewußtsein von dieser Beziehung besteht in dem Bewußtsein von 
der betreffenden tatsächlichen Verwendung. 
•) Vgl. insbesondere a. a. O. S. 427 f., 440, 446, 460 f., 487 f. 
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Anhang. 306 
tendenz^ bei Müller die „Einstellung auf einen bestimmten Vor- 
stellungskreis^ : Durch die aufmerksame Vergegenwärtigung der 
Aulgabe werden infolge von Assoziation „die Vorstellungen, die 
einem bestimmten Vorstellungskreis angdiören, in Bereitschaft 
versetzt*^, z. B. durch Vergegenwärtigung der Aufgabe: Farbe des 
Gregenstandes nennen! die verschiedenen Farbenbezeichnungen. 
Dies kann dann zur Folge haben, „daß von allen Reproduktions- 
tendenzen, die von dem nachher erscheinenden Reizworte oder 
der Vorstellung eines entsprechenden Gregenstandes ausgehen, die- 
jenige, welche auf den entsprechenden Farbennamen gerichtet ist, 
sofort den Sieg davontj^igt*^. Auch für die Erklärung der Lfösung 
der Watt'schen Aufgabe: Nennung eines übergeordneten Begriffs! 
wird diese konstellierende Wirkung der Aufgabe mit in Betracht 
gezogen. „Auch bei solchen Versuchen besteht eine Wirkung der 
Vergegenwärtigung der Aufgabe darin, daß sie zahlreiche Namen, 
die allgemeinen Begriffen entsprechen, und deren jeden wir schon 
mehr oder weniger oft bei Definitionen als den Namen des über- 
geordneten Oattungsbegriffes angeführt haben, in gewisse Bereit- 
schaft setzt. ^ Nach den Ergebnissen imserer Untersuchungen ist 
jedenfalls in der Zurückführung von Au^abelOsungen auf der- 
artige Eonstellationswirkungen große Zurückhaltung geboten. Die 
Analyse der Gtesamtaufgabe zeigte, daß die Vpn. Aufgabe und 
Reizwort nicht isoliert zur Geltung kommen lassen, sondern zu 
einer einheithchen Gesamtau^abe vereinigen, von der der deter- 
minierte Lösungsprozeß seinen Ausgang nimmt. Dieses Verhalten 
der Vpn. erwies sich als geboten, da nur die Bildung der Gesamt- 
aufgabe eine richtige Au^abelösung gewährleistet imd eine Kon- 
trolle der Richtigkeit ermöglicht. Die Einstellung auf einen be- 
stimmten Vorstellungskreis im Zusammenwirken mit den vom 
Reizwort ausgehenden Reproduktionstendenzen würde die Gefahr 
des Auf tauchens von unrichtigen Lösungen mit sich bringen. Ist 
z. B. der dem Reizwort untergeordnete Begriff selbst wieder einem 
anderen Begriff übergeordnet, so würde er, bezw. seine Bezeich- 
nung bei der Aufgabe „Überordnung" mit zu den durch die Ein- 
stellung auf den Vorstellimgskreis (nämlich auf Gattungsbegriffe) 
in Bereitschaft gesetzten Vorstellungen gehören. Da dieser Be- 
griff, bezw. der Begriffsname nun auch mit dem Reizwort assoziiert 
Siehe oben S. 5. 
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804 Anhang, 
ist, so würde bei Herbeiführung der Au^abelOsung durch Kon- 
stellation auch der untergeordnete B^^riff statt des übergeordneten 
B^^riffs reproduziert werden können^). In Wirklidikeit pflegen 
solche Fehlreaktionen aber nicht oder nur aus anderen Gründen, 
z. B. infolge eines unrichtigen Verständnisses der Aulgabe vorzu- 
kommen. Sind die dem bereitgestellten Yorstellungskreis ange- 
hörigen, der Au^^abe entsprechenden Vorstellungen auch mit dem 
Reizwort assoziiert, so wird die Entstehung dieser Assoziation in 
der Regel mit der Entstehung des Wissens von dem au%abe- 
gemäßen Sachverhfiltnis im Zusammenhang stehen, das zwischen 
dem Reizwortgegenstand und der durch die Einstellung auf den 
Vorstellungskreis bereitgestellten Vorstellung besteht. Ist z. B. in- 
folge nicht rein mechanisch erlernter Definitionen ein (Gattungs- 
name mit dem Wort „Überordnung^ oder „(Gattung^ einerseits und 
andererseits mit dem Reizwort fest assoziiert worden, so steht 
die Entstehung dieser assoziativen Verimüpfung im Zusammenhang 
mit der Entstehung des Wissens von dem Sachverhältnis, daß der 
(Gattungsbegriff zu dem Reizwortbegriff im Verhältnis der Über- 
ordnung steht, bezw. des Wissens von dem zusammengesetzten 
SachverhHltnis, daß der Begriff, welcher den Namen x triigt, zu 
dem dem Reizwort entsprechenden Begriff, welcher den Namen y 
trägt, in dem durch das Wort „Überordnung**, bezw. „(Gattung** 
bezeichneten Verhältnis steht"). Es wird daher in den Fällen, in 
welchen eine Einstellung auf einen bestimmten Vorstellungskreis 
für die Erklärung in Betracht kommt, auch die Mög^chkeit der 
Beteiligung einer determinierten Wissensaktualisierung in Frage 
stehen. Daß im Bewußtsein eine solche determinierte Wissens- 
aktualisierung nicht nachweisbar ist, läßt nach unseren Ergeb- 
nissen keinen Schluß auf ihr Nichtvorhandensein zu. Gerade die 
Aktualisierung eines durch Definition^i oder auf verwandte Weise 
begrifflich fixierten Wissens bleibt nach den Feststellungen des 
1. Abschnitts oft latent, so daß der äußere Eindruck einer Re- 
produktion auf Grund einer durch die Konstellation geförderten 
*) Vgl oben S. 281 f. 
") Ein solches Wissen ist von einer bloßen sprachlichen BerOhrungs- 
assoziation zwischen den AusdrQdcen, welche das Sachverhaltnis und die 
Sachyerhaltsglieder bezeichnen, wohl zu scheiden. Vgl auch die Bemerkungen 
zu dem Protokoll H>t S. 82. 
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Anhang, 906 
BerOhnmgsassoziation mit dem Reizwort zustande konmien kaim^. 
Die auf die Reproduktion der sprachlichen Bezeichnung des ge- 
suchten SachverhaltsgUedes gerichtete abstraktive Reproduktion 
begünstigt hierbei den Schein einer rein sprachlichen Berührungs- 
assoziation *). 
Die Bereitstellung eines bestimmten Vorstellungsgebietes durch 
die an die EIrteilung der Aufgabe sich anschließende Vorbereitung 
gefährdet die Richtigkeit der Au%abelösung nur dann, wenn man 
annimmt, daß die Einstellung auf den bestinmiten Vorstellungs- 
kreis mit den vom Reizwort ausgehenden Berührungsasso- 
ziationen zusammenwirkt. Sie kann aber auch dazu dienen, 
die determinierte Wissensaktualisierung zu erleichtem. 
Durch die Bereitstellung von Grattungsnamen oder Oattungs- 
begriffen kann z. B. bei der Aufgabe Überordnung die zu dem 
zu aktualisierenden Wissenskomplex gehörige Teildisposition, welche 
dem gesuchten Gattungsnamen oder dem Grattungsbegriff ent- 
spricht, in erhöhte Bereitschaft versetzt worden sein. Hierdurch 
wird die auf die Reproduktion dieses Gattungsnamens oder Oattungs- 
begrifis gerichtete partielle Wissensaktualisierung gefördert wer- 
den'). Denkt man sich also die Wirksamkeit der Einstellung auf 
einen bestimmten Vorstellungskreis darauf beschränkt, daß infolge 
der entstandenen Bereitschaft bei der nachherigen durch die Ge- 
samtaufgabe bedingten Wissensaktualisierung die Reproduktion 
des gesuchten Sachverhaltsgliedes leichter von statten geht, so 
sind der Gresamtaufgabe entgegenstehende Wirkungen der Ein- 
stellung auf den Vorstellungskreis nicht zu befürchten. Die Tat- 
sache, daß solche nachteilige Wirkungen nicht vorzukommen 
pflegen, spricht dafür, daß die Einstellimg auf einen bestimmten 
Vorstellungskreis, soweit sie auf die Au^gabelösung von Einfluß 
ist, gewöhnlich in der eben angegebenen oder in ähnlicher Weise 
wirksam wird. Ebenso kann die Vergegenwärtigung einzelner 
der im voraus erteilten Aufgabe im engeren Sinne entsprechender 
Beispiele die Reproduktion des gesuchten Sachverhaltsgliedes durch 
^) Vgl. namenüich auch S. 82 und die dort angeführten Stellen. 
*) Siehe oben S. 185 fT. Darüber, daß den rein sprachlichen Assoziationen 
g^^enOber den Bedeutungszusammenhängen wahrscheinlich nur eine unter- 
geordnete Rolle bei der AufgabelOsung zukommt, vgl. auch oben S. 61 f. und die 
dort angefahrten Stellen. Siehe auch S. 218. 
•) Vgl. oben S.287f. 
8«li, Ober die Oetetse det g;eordneteii DenkrerUaCi. 20 
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906 Anhang. 
determinierte Wissensaktualisierung dadurch erleichtem, daB es 
bei der Vorbereitung als Beispiel gegenwärtig war oder infolge 
der zwischen ihm und den Beisinelen bestehenden Assoziation in 
erhöhte Bereitschaft gesetzt wurde. Werden einzelne Beispiele, 
z. B. als Namen von Oattungsbegriffen, bei der Aufgabe Über- 
ordnung vergegenwärtigt, so kann dabei auch schon der dem 
späteren Reizwort entsprechende Begriff als deijenige Begriff, zu 
dem der Gattungsbegriff den übergeordneten Begriff darstellt, 
mitreproduziert bezw. in erhöhte Bereitschaft gesetzt werden. In 
solchen FäUen besteht schon räie erhöhte Bereitschaft des ganzen 
später der Au^^abelösung dienenden Wissens und kann nach der 
Darbietung des Reizwortes die Wissensaktualisierung erleichtem. 
Wenn die Vpn. von einer Richtung oder Einstellung auf 
einen bestimmten Vorstellungskreis oder ein bestimmtes Grebiet 
sprechen, so braucht das ttbrigens nicht immer dahin gedeutet 
zu werden, daß durch die Vorbereitung die Vorstellungen des be- 
treffenden Gebietes in erhöhte Bereitschaft gesetzt werden. Diese 
Äußerung der Vpn. kann auch auf eine ErgAnzimg oder Um- 
bildung der Aufgabe hinweisen. Wenn sich z. B. die Vp. bei der 
Aufgabe Teil auf das visuelle Vorstellungsgebiet einstellt, so braucht 
das nicht zu bedeuten, daß sämtliche visuelle Vorstellungen in 
erhöhte Bereitschaft gesetzt werden. Die „EinsteUung auf das 
visuelle Gebiet^ kann vielmehr auch die Bedeutung einer Ergän- 
zung der Hauptaufgabe durch eine selbstgestellte Nebenau^gabe 
in bezug auf die Art imd Weise der Lösung haben: Die Vp. nimmt 
sich vor, die Hauptaufgabe mit Hilfe visueller Vorstellungen zu 
lösen. Es werden daher nach der Darbietung des Reizwortes die 
zur visuellen Lösung einer solchen Aufgabe geeigneten Operationen 
eingeleitet. Hierher gehört z. B. die determinierte Reproduktion 
der dem Reizwort entsprechenden Bedeutungsvorstellung und die 
Aufsuchung eines Teils an ihr durch determinierte Abstraktion. 
Die optischen Eindrücke von benannten Objekten sind mit den 
zu ihnen gehörenden Bezeichnungen durch das Bewußtsein von 
der zwischen ihnen bestehenden Bedeutungsbeziehung verknüpft ^). 
') Über das Bewußt werden dieses Bedeutungszusanimenhanges vgl. K. Koffka, 
Zur Analyse der Vorstellungen und ihre Gesetze, S. 258 ff. Vgl. femer Au S. 196f. 
und At S. 201. In beiden Fällen wird die Determination, die mit dem Reiz- 
wort durch Bedeutungsbeziehung verknüpfte Vorstellung hervorzurufen, von der 
Vp. ausdrQcklich konstatiert. 
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Anhang, 807 
Es bestehen ako Wissensdispositionen, welche der Reproduktion 
des Bewußtseins dienen, daß ein bestimmter Name ein Objekt 
von bestimmtem (bei der Aktualisierung der Disposition optisch 
gegenwärtigen) Aussehen bezeichnet Die Determination zur visu- 
ellen Lfösung der Aufgabe Teil kann sohin die Reproduktion der 
dem Reizwort zugeordneten Bedeutungsvorstellung durch determi- 
nierte Wissensaktualisierung nach sich ziehen. Die determinierte 
Wissensaktualisierung nimmt dabei ihren Ausgang von der schema- 
tischen Antizipation eines Sachverhältnisses, von dem das eine 
Glied, der Name des gesuchten Gegenstandes, und die Beziehung 
bekannt sind, während das gesuchte andere Sachverhaltsglied als 
die in der Bedeutungsbeziehung zu dem Namen stehende optische 
Vorstellung antizipiert ist. Die „Einstellung auf das visuelle 
Gebiet" hat also in solchen Fällen die Wirkung, daß durch determi- 
nierte Reproduktion der zum Reizwort gehörigen optischen Be- 
deutungsvorstellung die Auffindung eines Teils an ihr durch de- 
terminierte Abstraktion ermöglicht wird'). Die Bedeutung einer 
Umbildung der Aufgabe könnte z. B. bei der Aufgabe Neben- 
ordnung eine Einstellung auf sprachliche Gegenüberstellimgen 
haben. Die Wirksamkeit einer solchen Einstellung braucht nicht 
oder nicht in erster Linie in einer allgemeinen Bereitstellung von 
sprachUchen Gegenüberstellungen zu bestehen. Sie kann vielmehr 
die Bedeutung haben, daß die Vp. sich vornimmt, auf das Reiz- 
wort mit einem Wort zu reagieren, das ihm in Redewendungen 
gegenübergestellt zu werden pflegt. Diese Determination kann 
dann durch Wissensaktualisierungen verwirklicht werden, wie sie 
z. B. bei der Aufgabe Tod — Nebenordnung im ersten Abschnitt 
vorgekomm^i sind. 
In anderen Fällen, die G. E. MüUer im Sinne eines kon- 
stellativen Zusammenwirkens des Reizwortes mit einer Richtungs- 
vorstellung deutet*), läßt sich der Vorgang sehr gut durch de- 
terminierte Eomplexergänzung eines zugleich durch das Bewußtsein 
von einem Sachverhältnis bestimmten Komplexes verständlich 
machen. Hat sich z. B. die Vp. bei der Watt'schen Aufgabe: 
Nennung eines Teiles! eingeprägt: „Durch Anfügung eines anderen 
Näheres über die LOsungsmethoden der Aufgabe Teil im 2. Teil dieser 
UDt^*8Uchungeii. 
*) a. a. o. O. S. 446 mit 404. 
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908 Anhang. 
Wortes ein zusammengesetztes Wort bilden!'^, so kann dieser 
Vorsatz die Bedeutung folgender Umformung der Aufgabe zu einer 
spezielleren Aulgabe haben: Die Vp. nimmt sich vor, das Reizwort zu 
einem zusammengesetzten Wort zu ergänzen, welches einen Teil vom 
Reizwortgegenstand bezeichnet. Der zu erg^bizende Komplex ist also 
z. B. bei dem Reizwort Wagen in dem der Gesamtausgabe entsprechen- 
den Zielbewußtsein (bezw. einem gleichwertigen unbewußtenProzeß) 
direkt bestimmt als eine Wortzusammensetzung, deren erstes Wort 
das Wort „Wagen" ist, und zugleich indirekt als eine Wortzu- 
sammensetzung, die einen Teil des Reizwortgegenstandes Wagen 
bezeichnet. Durch den determinierten Prozeß der Eomplexergän- 
zung werden daher in der Regel nur Wortzusammensetzungen 
überwertig werden, welche der direkten und indirdrten Bestim- 
mung des antizipierten Komplexes und damit auch der Gresamt- 
aulgabe entsprechen, z. B. in dem angeführten Beispiel, die Wort- 
zusammensetzung Wagenrad, nicht dagegen die Zusammensetzung 
Wagenbauer, welche keinen Teil des Wagens bezeichnet. Infolge 
der indirekten Bestimmung des zu ergänzenden Komplexes durch 
ein Sachverhältnis trägt die determinierte Komplexergänzung zu- 
gleich den Charakter einer determinierten Wissensaktualisierung, 
bei welcher das gesuchte Sachverhaltsglied schon eine teilweise 
direkte Bestimmung erfahren hat. Sind beim betreffenden Reiz- 
wortgegenstand einigermaßen geläufige Wortzusammensetzungen 
vorhanden, welche Teile von ihm bezeichnen, so wird die deter- 
minierte Wissensaktualisierung infolge der teilweisen direkten Be- 
stimmung des Gesuchten schneller zum Ziele führen als bei all- 
gemeinem Suchen nach einem nicht näher bestimmten Teil des 
Reizwortgegenstandes, bezw. einer nicht näher bestimmten Be- 
zeichnung eines Teiles von ihm. Sind dagegen solche Teil- 
bezeichnungen nicht vorhanden oder sehr ungeläufig, so wird die 
speziellere Determination die Lösung verzögern, da sie die Aktuali- 
sierung des Wissens von Teilen, welche der schematischen Anti- 
zipation der gesuchten Teilbezeichnung nicht entsprechen, er- 
schwert*). Weil jedoch geläufige Teilbezeichnungen häufig vor- 
handen sind, so wird bei ständiger Wiedei^ehr der Aufgabe Teil 
innerhalb einer Versuchsreihe der allgemeine Vorsatz, die Au%abe 
') Vgl. hierzu auch die Bemerkungen von G. E. Müller zu Achs „Gesetz 
der speziellen Determination" a. a. O. S. 481. 
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Anhang. 80^ 
mit Hilfe einer Wortzusammensetzung zu lösen, im Durchschnitt 
von Vorteil sein können. 
3. In nahen Beziehungen zu den von mir behandelten FäUen 
der Aufgabelösung durch determinierte Eomplexeii^Uizung und 
determinierte Wissensaktualisierung stehen die Fälle, in denen 
G. E. MüUer von einer ^^Kooperation der Aufgabe^ spricht*). 
Eine solche Kooperation der Aufgabe liegt z. B. vor, ^wenn nach 
gefaßtem Vorsatze, die beiden demnächst erscheinenden Ziffern 
zu multiplizieren, beim Erscheinen von 5 | 7 das aus diesen beiden 
Ziffern und der reproduzierten Aufgabe: Multiplizieren! besteh^ide 
Ganze ohne weiteres die Vorstellung von 35 weckt^. Als weiteres 
Beispiel fuhrt Müller folgenden Fall an: „Hat eine Vp. früher 
gelernt, daß koordinierte Begriffe z. B. die Begriffe Tier und 
Pflanze seien, so wird bei Gegebensein der fünften Watt'schen 
Aufgabe das Reizwort »Tier^ in Verbindung mit der wieder- 
vergegenwärtigten Angabe (Tier, etwas Koordiniertes!) ohne 
weiteres das Reaktionswort „Pflanze*^ herbeiführen können*^. Müller 
gründet die Bezeichnung Kooperation der Angabe darauf, „daß 
in den betreffenden Fällen die Vorstellung der Aufgabe mit der 
Wahrnehmung der Reaktionsgelegenheit in reproduktiver Hinsicht 
zusammenwirkt (kooperiert).^ Außer der manifesten Kooperation 
kann auch eine latente Kooperation der Aufgabe vorkommen, wo 
die Vorstellung der Aufgabe nur als latente Vorstellung ihre 
kooperative Rolle spielt. 
Die Ausdrücke „Zusammenwirken (Kooperieren)*^ legen zwar 
die Deutung nahe, als nehme Müller auch in den Fällen der Ko- 
operation der Au^fabe ein konstellatives Zusammenwirken von 
Aufgabe und Reaktionsgelegenheit an. Allein es scheint doch, 
daß MüUer nicht eine Konstellationswirkimg, sondern eine Kom- 
plexwirkung im Auge hat, wenn er sagt, daß das aus der Re- 
aktionsgelegenheit und der reproduzierten Aui^abe bestehende 
Ganze infolge früher gestifteter Assoziation das Reaktionswort 
reproduziert'). Jedenfalls dürfen wir annehmen, daß es sich in 
den betreffenden Fällen imi determinierte Komplexerg^Uizungen, 
sei es um Komplexergänzungen von schematisch antizipierten An- 
schauungsganzen (z. B. von akustischen oder optischen Wort- 
a. a. O. S. 466if., 466 f. 
') Vgl. auch oben S. 101 ff. 
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810 Anhang, 
bezw. Zahlen- und 2ieichenkomplexen), sei es um Wissenaktuali- 
sierungen handelt. Wenn z. B. bei der Versuchsperson auf den 
innerlich vergegenwärtigten Wortkomplex „Tier, etwas Ko- 
ordiniertes!" imvermittelt das Wort „Pflanze" auftritt, so braucht 
das nicht darauf zu beruhen, daß ledigUch der Komplex der drei 
unverbundenen Worte das mit ihm assoziierte Wort „Pflanze" 
reproduziert ^). Mit den von der Vp. innerUch gesprochenen Worten 
kann sich viehnehr die latent bleibende Bildung der Gresamtauf- 
gabe verbinden, zu „Tier" die Bezeichnung eines koordinierten 
Begriffes zu suchen und hierdurch kann die Aktualisierung des 
in der Gresamtaufgabe schematisch antizipierten Wissens von dieser 
Bezeichnung herbeigeführt werden. 
Müller weist darauf hin, daß die von ihm zunächst durch die 
Annahme einer latenten Kooperation erklärten Fälle auch durch 
eine konnektive Einstellung im Sinne von von Kries verständ- 
lich gemacht werden können'). Allerdings habe die Erklärung 
durch Kooperation der durch das Auftreten der Reaktionsgeleg^iheit 
wieder in erhöhte Bereitschaft gesetzten Angabe den Vorteil, die 
Wirksamkeit der Au^^abe in denjenig^i Fällen besser verständ- 
lich zu machen, in denen ein längerer Zwischenraum zwischen 
der Vergegenwärtigung der Aui^;abe und dem Auftreten der Re- 
aktionsgelegenheit hege. Bei Au^^abelösungen von der Art der 
in unseren Versuchen geforderten lassen sich nun gegen die An- 
nahme einer konnektiven Einstellung auch unsere Versuchs- 
ergebnisse geltend machen'). Bei Zugrunddegung einer konnek- 
tiven Einstellung würde z. B. die Angabe „Überordnung?" die 
Wirkung einer Art zerebraler Schaltung hab^a. Diese hätte zur 
*) Vgl oben S. 218. 
•) a.a.O. S. 403 ff. 
*) Ob in besonders gelagerten Fallen, wie z. B. dem v. Kries'schen Beispiel 
der Befolgung eines Notenschlüssels eine konnektive Einstellung in Frage 
kommt, bleibt dahingestellt. Bei dem Notenschlüsselbeispid ist jedenfalls auch 
folgendes zu beachten: Die einem Notenzeichen entsprechende Tonhöhe ergibt 
sich nicht nur aus der Beschaffenheit des isolierten Zeichens, sondern auch 
aus dem in der Notenschrift erkennbaren Intervall zwischen ihm und dem 
vorausgehenden Zeichen, das außerdem der Gegenstand mehr oder weniger 
bestimmter musikalischer Erwartungen ist (v. Kries hat übrigens sdbst auf 
diese Möglichkeit einer Erkenntnis aus dem Intervall schon auimeiksam ge- 
macht) Denkt man sich diese beiden Kennzeichen der Tonhöhe als Ganzes 
wirkend, so ist die dem jeweiligen Schlüssel entsprechende Tonhöhe eindeutig 
bestimmt 
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Anhang, 811 
Folge, daß die Assoziationen, welche von dem jeweils dargebotenen 
Wort zu übergeordneten (und daher auch mit dem Wort oder Be- 
griff Überordnung assoziierten) Begriffen führen, besonders leicht 
ansprechen. Infolgedessen würde die Assoziation des Reizwortes 
mit dem übergeordneten Begriff überwertig werden. Gegen das 
Vorliegen eines solchen rein physiologischen Schaltungsvorganges 
sprechen aber die Ergebnisse über die Bildung der Gesamtaufgabe 
und die von der in ihr enthaltenen scheinatischen Antizipation 
ausgehende Komplexwirkung 0. Der Nachweis der Bildung der 
Gtesamtau^;abe wurde allerdings für Fälle geführt, in denen Auf- 
gabe und Reizwort gleichzeitig dargeboten und unmittelbar hinter- 
einander auffaßt wurden. Die Analyse der Funktion der Gte- 
samtaulgabe bei der Au&uchung, Kontrolle und Berichtigung der 
Au^abdiösungen berechtigt aber zu der Annahme, daß der Prozeß 
bei vorangehender Erteilung der Aufgabe im engeren Sinne in 
analoger Weise verläuft. Nur ist hier durch die stetige Wieder- 
kehr derselben Au%abe eine Mechanisierung der Bildung der 
G^esamtau^abe wahrscheinlicher. 
4. An eine Beq>rechung der Ach'schen Lehre von den Be- 
wußtheiten knüpft G. E. Müller eine Erörterung über das Wesen 
des Wissens'). Müller betrachtet das Wissen als eine „geistige 
Disposition, die in dem Vorhandensein bestimmter fester Assozia- 
tionen und eventuell auch in einer höheren Bereitschaft gewisser 
Vorstellungen besteht*^. Er stimmt daher dem Marbe'schen Satz 
zu, daß ein Wissen niemals im Bewußtsein gegeben seL Hierzu 
ist folgendes zu bemerken^: Nach unseren Untersuchungen über 
die Struktur des Wissens handelt es sich bei den Wissenskomplexen 
nicht um assoziativeVeii)ände im gewöhnlichen Sinne. Die Wissens- 
dispositionen sind keine Reproduktionsgrundlagen von Vorstellungen, 
die durch Berührungsassoziationen miteinander verbunden sind, 
sondern Dispositionen von einem einheitlichen Sachverhaltsbewußt- 
sein, das sich nicht in ein Nebeneinander assoziierter Vorstellungen 
auflösen läßt. Durch die Aktualisierung von Wissensdispositionen 
Vgl auch die Bemerkungen yon Roffka gegen die Identifiaerung der 
detemünierenden Tendenzen mit der zerebralen Einstellung. Zur Analyse der 
Vorstellungen imd ihrer Gesetze S. 386 ff. 
•) a.a.O. S. 628 ff. 
") Vgl auch schon die Bemerkungen in bezug auf den Marbescben Satz 
oben S. 86. 
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812 Anhang. 
kann das Sachveihaltabewußtsein erneuert werden, also das Wissen 
wieder ins Bewußtsein treten. Ein solches wieder zum Bewußtsein 
gelangtes Wissen und nicht eine geistige Disposition meinten 
unsere Vpn., wenn sie davon sprachen, daß sie dieses oder jenes 
gewußt hätten. Hierbei ist daran eu erinnern, daß der Nachweis 
eines bewußt gegenwärtig^! Wissens überhaupt nidit auf die Be- 
zeidmungen der Vpn. als „Wissen*^, „Bewußtheit^ u. dgl. gestützt 
wurde, sondern auf seine Charakterisierung, die es als Bewußt- 
sein von einem Sachverhältnis erscheinen ließ. Das Bewußtsein 
von einem Sachverhältnis kann bei der Aktualisierung eines Wissens 
mit der anschaulichenVergegenwärtigung der in Beziehung stehenden 
Gegenstände, bezw. der Gtegenstandsordnung, an der das Sach- 
verhältnis als unselbsUbidiges Moment haftet, verbimden sein. 
Anschauliche Vorstellungen können aber auch fehlen. Der von 
Müller zur Eitiärung solcher Fälle zum Teil herangezogenen 
Annahme, daß sich die Angaben der Vpn. über ein bewußt gegen- 
wärtiges Wissen auf undeutliche Vorstcdlungsbilder stützen, stehen 
namentlich folgende Gründe entgegen: 
1. In vielen Fällen versichern die Vpn. bestimmt, daß Wort- 
bezw. Sachvorstellungen bei dem Erlebnis auszuschließen seien. 
2. Nach der Art des Wissens, insbesondere nach seiner Prä- 
zision, seiner Kompliziertheit oder Abstraktheit ist vielfach nicht 
einzusehen, durch welche imdeutliehen Vorstellungen ein der- 
artiges Sachverhaltsbewußtsein im Bewußtsein repräsentiert ge- 
wesen sein soll, bezw. welche Vorstellungen als lÜterium seiner 
Wirksamkeit hätten dienen können. 
Die gleichen Erwägungen, die entgegenstehenden bestimmten 
Aussagen der Vpn. imd vor allem die Art des Wissens, stehen 
auch der Annahme entgegen, daß sich die Angaben der Vpn. auf 
gefühlsartige Begleiterscheinungen, z. B. irgendwelche Bekannt- 
heits- oder Bedeutimgsgefühle oder auf Spannungsempfindungen 
imd dergl. gründen. Die Mannigfaltigkeit verschiedener Wissens- 
aktualisierungen ist viel zu groß, um annehmen zu dürfen, daß 
begleitende charakteristische Gefühle, Eörperempfindimgen oder 
Bewußtseinslagen ausreichen, lun die präzisen Aussagen der Vpn. 
^) Natürlich kann das Wissen auch sogleich im Anschluß an seinen Er- 
werb fortbestehen bleiben, ohne aus dem Bewußtsein entschwunden zu sein, 
z. B. das Wissen von der Gesamtaufgabe. 
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Anhang, 813 
' ' ' ; ' ' ' II ' , ■ [ I I ' I , 11 1 1 i i I 
über das im konkreten, Falle wirksam gewesene Sachverhalts- 
bewußtsein zu ermöglichen. Die anschaulichen Bestandteile des 
Prozesses &ber sind in zahlreichen Fällen keineswegs eindeutig 
genug, um eine Mehrdeutigkeit der Begleiterscheinungen zu kom- 
pensieren und dadurch die bestimmten Aussagen der Vpn. ver- 
ständlich zu machen. Die Analyse der unvermittelten Lösung 
hat außerdem gezeigt, wie wenig die Tatsache, daß die Umstände 
die Mitwirkung eines Wissens nahelegen, die Vpn. zu der Be- 
hauptung veranlaßt, daß ein solches Wissen im Bewußtsein vor- 
hand^i gewesen sei. Gerade in den Fällen der Mitwirkung eines 
besonders geläufigen, z. B. eines begrifflich fixierten Wissens, be- 
richten dieselben Vpn., die in anderen Fällen ein Wissen konsta- 
tieren, häufig über eine bloße Aufeinanderfolge von Reiz- und 
Reaktionswort, die sie selbst vielfach auf eine einfache Berührungs- 
assoziation zwischen Reiz und Reaktion zurttckfOhren zu müssen 
glauben. 
Mit der Meinung, daß die Aussagen der Vpn. über das Gegen- 
wärtigsein eines Wissens sich auf anschauliche oder zuständliche 
Erlebnisse als mittelbare Kriterien stützen, ist also nicht durch- 
zukommen. Wenn man die Auffassung des Wissens als bloßer 
geistiger Disposition aufrecht erhalten will, so bleibt daher 
nur noch die Annahme übrig, daß die Aussagen der Vpn. nicht 
auf mittelbare Ejiterien, sondern unmittelbar auf das unbewußt 
gebliebene Wissen selbst zurückgehen. Die Wissensaktualisierung 
Wäre dann als ein Zustand erhöhter Bereitschaft der Wissens- 
disposition anzusehen, der die eigentümliche Folge hätte, daß an 
ihn ebenso Erinnerungen stattfiüiden wie an bewußte Prozesse. 
Gerade die Tatsache solcher Erinnerungen aber spricht gegen die 
Gleichstellung der betreffenden Fälle eines aktuellen Wissens mit 
den Fällen einer Bereitschaft von Wissensdispositionen im ge- 
wöhnlichen Sinne. In den gewöhnlichen Fällen erhöhter Bereit- 
schaft einer Disposition fehlt eine Erinnerung an den im Gebiet 
der Reproduktionsgrundlagen stattfindenden Prozeß ebenso wie 
ein ihm entsprechender gleichzeitiger Bewußtseinsvorgang. 
Von solchen Bereitschaften gilt wirklich das, was G. E. Müller 
von allen Fällen eines Wissens annimmt: sie sind etwas bloß 
Erschlossenes. Knüpft man die Möglichkeit späterer Erinnerung 
') Zu diesen gehören auch die dargebotenen Worte und das Reaktionswort. 
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814 Anhang. 
an die Erreichung eines bestimmten, sehr hohen Grades der 
Bereitschaft der erregten Dispositionen, so bleibt immer noch das 
merkwürdige Ergebnis, daß Erinnerungen an unbewußte 
Prozesse und zwar sehr genaue und bestimmte Erinnerungen statt- 
i^den. Der Erinnerungscharakter würde sich ganz regehnäßig 
mit Reproduktionen von Vorgängen verbinden, die nur wirksam 
gewesen waren, ohne ins Bewußtseiu zu treten. Die Psychologie 
kennt bisher aber keine Erinnerungsvorgttnge, die sich auf unbe- 
wußte Prozesse beziehen. Wenn daher die Vpn. auch im Falle 
der Wissensaktualisierung die erinnerten Vorgänge als bewußte 
bezeichnen^), so sprechen für die Richtigkeit dieser Charakteri- 
sierung außer der Bestimmtheit, der Konstanz und Übereinstimmung 
der Selbstbeobachtungen der Vpn. auch unsere Kenntnisse von der 
Natur und den Voraussetzungen der Erinnerungsvorjg^üige, wenn 
auch die Frage nach dem Sinne des hier angewendeten Be- 
wußtseinsbegriffs noch weiterer Klärung bedarf. Ebenso wie die 
Wissensaktualisierungen müßten femer auch die zahlreichen Fälle 
neuer Sachverhaltseikenntnisse ohne zureichende Vorstellungs- 
grundlage behandelt werden, wie sie in den bisher analysierten 
Protokollen namentlich beim Verständnis und der Beurteilung der 
Gesamtau^abe, der Kontrolle, Kritik und Berichtigung der LOsung 
auftraten. Es würden also gerade diejenigen Vorgänge als „un- 
bewußte^ angesehen werden müssen, in welchen wir die eigent- 
lichen Denkleistungen erbUcken. 
5. Unsere Untersuchungen wiesen uns immer wieder auf die 
Tatsache hin, daß einer bestimmten Zielsetzung nicht unmittelbar 
Vorstellungen oder andere gegenständliche Bewußtseinserlebnisse 
reproduktiv zugeordnet sind, sondern daß die Zielsetzung die An- 
wendung gewisser allgemeiner intellektueller Operationen nach sich 
zieht, welche zur Verwirklichung eines Zieles der betreffenden Art 
geeignet sind'). Ich habe solche Operationen wegen ihrer Funk- 
tion, als Mittel der Au^abelösung zu dienen, auch als „Lösungs- 
Vp. A wurde in einigen Fällen aufgefordert, willkürlich den Zustand, 
in dem das betreifende Bewußtsein vorhanden gewesen war, wieder zurQck- 
zurufen und die Identifizierung mit dem früheren Zustand yorzunehmen. Es 
gelang ihr das in der gleichen Weise wie bei anschaulichen Vorstellungen. 
*) Ich habe auf diese Erscheinung schon in meinem Vortrag auf dem 
V. Kongreß für experimentelle Psychologie 1912 hingewiesen. Siehe femer den 
auf S.165 Anm. 3 angefUhrtenVortrag über „Die Gesetze der produktiven Tätigkeit*". 
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Anhang, 315 
methoden^ bezeichnet und auch schon in dem ersten Teile dieser 
Untersuchungen eine nähere Analyse einiger dieser Lösungs- 
methoden zu geben versucht Um Erscheinungen der hierher ge- 
hörigen Art handelt es sich, wenn 6. E. Müller eine reproduktive 
Zuordnung zwischen der Zielsetzung und bestimmten „zweck- 
mäßigen Verhaltungsweisen^ feststellt^). Müller gibt zahlreiche 
Beispiele solcher Verhaltungsweisen, die namentlich den Unter- 
suchungen von Ach und Watt und seinen eigenen Untersuchungen 
entnommen sind. Wie die Entstehung der reproduktiven Zuord- 
nung von Zielsetzungen bestimmter Art und der Aktualisierung 
bestimmter Lösimgsmethoden zu denken ist, habe ich an anderer 
Stelle (unter teilweiser Verwendung des im zweiten Teil dieser 
Untersuchungen zu veröffentlichenden Materials) in vorläufiger 
Weise zu zeigen versucht"). Meine dortigen Ausführungen be- 
rühren sich, so viel ich sehe, vielfach in erfreulicher Weise mit 
den Ergebnissen, zu denen G. E. Müller gelangt"). Sie enthalten 
aber auch die Gründe, aus denen ich eine solche reproduktive 
Zuordnung zwischen einer Zielsetzung und bestimmten intellek- 
tuellen Operationen nicht wie Müller als assoziative Verknüpfungen, 
sei es mit, sei es ohne Zwischenglieder bezeichnet habe. Die re- 
produktive Zuordnung zwischen einer Zielsetzung bestimmter Art 
und einer bestimmtenLösungsmethode entsteht namentlich auf Grund 
der Erkenntnis, daß das betreffende Verfahren zur Herbeiführung 
eines Ziels der in Frage stehenden Art geeignet ist Sie entsteht 
also infolge der Einsicht in ein Sachverhältnis, auf Grund dessen 
das betreffende Verfahren als Mittel zur Erreichung des Zieles 
sich darstellt Die Erkenntnis dieses Zusammenhanges zwischen 
Zweck und Mittel kann unmittelbar die Anwendung der Lösungs- 
Vj^ a. a. O. S. 426f., 429f., 438, 4d9£f., 472, 474. 
*) Siehe den angeführten Vortrag. 
*) Vgl. z. B. G. E. Müllers Ausführungen über „taktische Reminiszenzen *" 
und „taktische Einstellung*' (a. a. O. S. 490, 44^) mit den Bemerkungen über 
die Aktualisierung des Wissens von Lösungsmethoden und das routinemäßige 
Schaffen in meinem Vortrag (a. a, O. S. 872). Der von Müller erörterte Fall 
der Zuordnung auf Grund „empirischer Erprobung** (a. a. O. S. 440) steht in 
naher Beziehung zu dem vierten Hauptfall der organisierten produktiven Tätig- 
keit (a. a. O. S. 877). Die Zuordnung auf Grund einer Reflexion über die Auf- 
gabe und eines sich daran anschließenden Einfalles (MtiUer a. a. O. S. 440 f.) 
habe ich als zweiten Hauptfall der organisierten produktiven Tätigkeit näher 
zu analysieren versucht (a. a. O. S. 878 f.). 
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816 Anhang. 
methode zur Verwirklichung eines schon bestehenden Zieles 
motivieren. Es kann aber auch bei der späteren Seisetzung der- 
selben Art das Bewußtsein von diesem Zusammenhang reproduziert 
werden und das Motiv fttr die Anwendung der Lösungsmethode 
auf den konkreten Fall bilden. In einem solchen Falle erfolgt 
die Reproduktion des Bewußtseins von der Lösungsmethode nicht 
auf Grund von Bertthrungsassoziationen mit der Vorstellung 
des Zieles, sondern auf Ghrund der Aktualisierung des Wissens 
von dem früher erkannten Zusammenhang von Zweck und Mittel. 
Eb liegt also keine assoziative Reproduktion im gewöhnlichen 
Sinne vor. Auf die Frage nach der Natur des Motivations- 
zusammenhanges zwischen dem erstmaligen oder reproduzierten 
Bewußtsein von der Eignung der Lösungsmethode zur Verwirk- 
lichung des Zieles und ihrer Anwendung kann an dieser Stelle 
nicht näher eingegangen werden. Es handelt sich hier um die 
G^esetzmäßigkeit, daß die Determination zur Herbeiführung eines 
bestimmten Zieles die Determination zur Verwirklichung der Mittel 
nach sich zieht. Die Ergebnisse der neuesten Willensuntersuch- 
ungen sind der Einrdhung solcher Zusammenhänge zwischen 
Determinationen unter die assoziativen Zusammenhänge im ge- 
wöhnlichen Sinne nicht günstig. 
Bei geläufigen Lösungsmethoden hat die Zielsetzung un- 
mittelbar die Anwendung der betreffenden Lösungsmethoden zur 
Folge, ohne daß der zwischen ihnen und der Zielsetzung be- 
stehende Zusammenhang vc^rher ins Bewußtsein tritt Auch in 
diesem Falle braucht jedoch der Verlauf nicht auf einer durch 
Ausschaltung von Zwischengliedern entstandenen unmittelbaren 
Assoziation zwischen der Zielvorstellung und einem bestimmten 
Verhalten zu beruhen. Es kann auch in ähnlicher Weise wie 
bei den unvermittelten Lösungen des ersten Abschnittes ein Zu- 
rücktreten der Wissensaktualisierung, bezw. des sich an sie an- 
schließenden Motivationsprozesses im Bewußtsein vorliegen^). 
Ohne die latente Mitwirkung des Wissens von dem Zusammen- 
hang der Lösungsmethoden würde namentlich bei zusammen- 
Dabei kann sich die latente Wissensaktualisierung auf einen Teil des 
vorhandenen Wissenskomplexes beschränken, es kann z. B. lediglich das Wissen 
von dem Bestehen des Zusammenhanges von Zweck und Mittel, nicht das 
Wissen von den Erkenntnisgründen dieses Zusammenhanges wirksam werden. 
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Anhang, 817 
■ ■ ■' " ■■■■.III II ■ I. — — ^— .-— --_-___^ _ 
gesetzten Operationen die Kontrolle der Richtigkeit des ange- 
wendeten Verfahrens und die Kontrolle der einzelnen Teillösungen 
verloren gehen *). 
Daß femer für die Entstehung der Zuordnung bestimmter 
intellektueller Operationen zu anderen, sie auslösenden Vorgängen 
und daher auch zu Zielsetzungen nicht ausschließlich Erfahrungs- 
und Erkenntniszusammenhänge in Betracht kommen, zeigen z. B. 
die früheren Erörterungen über die Entstehung des Zusammen- 
hanges zwischen Mitteilungen und bestimmten Kombinations- 
prozessen, mögen in diesem letzteren Falle nun determinierte 
Prozesse vorliegen oder nicht"). 
G. E. Moller neigt dazu, auch determinierte Kombinationsprozesse als 
assoziative Mischwirkungen im Sinne von Müller und Pilzecker zu betrachten*). 
So liegt nach Müllers Auffassung eine assoziative Mischwirkung vor, wenn eine 
visuelle Vp., die noch niemals Buchstaben in violetter Farbe gesehen oder vor- 
gestellt hat, der AufTorderung, die Silbe han in violetter Farbe vorzustellen, 
Folge zu leisten vermag. Durch die Aufforderung werde einerseits eine solche 
R^roduktionstendenz erweckt, die auf eine Vorstellung der Silbe han als einer 
in gewöhnlicher Weise geschriebenen gerichtet sei, und andererseits eine solche, 
die auf die Vorstellung einer violetten Fläche gerichtet sei. Das Resultat beider 
Tendenzen sei das Auftreten eines Silbenbildes, dessen Form der einen und 
dessen Farbe der andern Tendenz enstamme. Es ist hier zunächst von Wichtig- 
keit, festzustellen, daß der Vorgang jedenfalls komplizierterer Natur sein muß, 
als er nach dieser Darstellung erscheint Die beiden angegebenen Rq>roduktions- 
tendenzen würden auch geweckt werden, wenn die Aufforderung lautete, sich 
einerseits die Silbe han, andererseits die Farbe violett vorzustellen. In diesem 
Falle würde aber im allgemeinen keine Mischwirkung entstehen. Was die Misch- 
wirkung oder, was dasselbe ist, die Kombination hervorruft, können also nicht 
die beiden assoziativ geweckten Reproduktionstendenzen sein, sondern es muß 
zu diesen noch etwas Drittes hinzutreten, nämlich die Wirkung der Aufforderung, 
daß die zu erzeugende Vorstellung die benannte Silbe und die benannte Farbe 
in derselben Verbindung zeigen solle, wie sonst Farbe und 
Gestalt an optischen Objekten vereinigt sind. Würde durch diesen 
speziellen Inhalt der Aufforderung wieder nur eine weitere Reproduktionstendenz 
geweckt werden, z. B. die Tendenz, ein beliebiges Objekt, das Farbe und Ge- 
stalt vereinigt, vorzustellen, so würde dadurch das Auftreten einer entsprechenden 
Vorstellung, nicht aber die Kombination verständlich werden. Wir müssen 
statt dessen annehmen, daß durch den erwähnten speziellen Inhalt der Auf- 
') Vgl einstweUen die ProtokoUe Ai S. Id4, Bi S.2(», Git S.215, Ait S.266 
und die zugehörigen B^nerkungen. 
•) Siehe S. 171. 
*) a. a. 0. S. 496f ; siehe auch S. 488f u. S. 482. 
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918 Anhang. 
fordening ein diesem Inhalte entsprechender Prozeß der analogen Nachkonstruktion 
ausgdOst wird, der die den bekannten Veii>indungen entsprechende Verbindung 
von Farbe und Gestalt auch im gegenwärtigen Falle zustande bringt Durch 
den Inhalt der Aufforderung ist die zu erzeugende Vorstellimg indirdct bestimmt 
durch das Bewußtsein von dem Sachverhältnis, daß ihre Farbe mit der Farbe 
Violett und ihre Gestalt mit der Gestalt des Druckbildes han Obereinstimmt 
Die auf die Erzeugung der so indirekt bestimmten Vorstellung gerichtete Deter- 
mination muß die Einleitung eines Kombinationsprozesses zur Folge haben, 
der zu ihrer Verwirklichung geeignet ist 
Auch in den Fällen der von Müller und Pilzecker behandelten assoziativen 
Mischwirkimgen ist folgendes zu berQcksichtigen: Wenn z. B. als Resultat der 
auf die beiden Silben söl und han gerichteten Reproduktionstendenzea die Silbe 
San im Bewußtsein auftaucht, so kann an der Mischwirkung auch die Deter- 
mination beteiligt sein, eine Silbe oder eine Silbe von bestimmtem T3rpus zu 
nennen, z. B. eine aus einem von zwei Konsonanten und einem von ihnen imi- 
schlossenen Vokal bestehende Silbe. Diese Determination kann als Ursache 
dafür in Betracht kommen, daß die wirksam werdenden Silbenfragmente zu 
einer einheitlichen Silbe verbunden werden. 
Auch G. E. MoUer weist fibrigens imter Anführung einer Reihe von Beleg- 
stellen darauf hin, daß es neben der assoziativen Mischwirkung wahrscheinlidi 
auch noch eine teilinhaltliche EinsteUung gäbe, z. B. von der Art, daß ein 
visuelles Vorstellungsbild eine Tendenz hinterlasse, ein nachfolgendes visuelles 
Vorstellungsbild mit der gleichen SehgrOße zu erzeugen'). Eine solche teil- 
inhaltliche Einstellung aber wäre wohl nichts anderes als ein besonderer Fall 
einer Tendenz zur analogen Nachkonstruktion einer erlebten Veii)indung von 
Teilinhalten. Wir hätten es also bei der teilinhaltlichen Einstellung mit Kom- 
binationsprozessen von der gleichen Art zu tim, wie wir sie diux^ Determinationen 
ausgelost dachten, zu deren Verwirklichung Kombinationsprozesse erforder- 
lich sind. 
In enger Beziehung zu den von Müller erwähnten teilinhaltlichen Ein- 
stellungen auf eine SehgrOße von bestimmter Größenordnung steht die von 
Bühler bei seinen Vpn. festgestellte Fähigkeit, räumliche und zeitliche Gebilde 
proportional vergrößert oder verkleinert vorzustellen, also mit verschiedenen 
Sehgrößen zu kombinieren"). Solche proportionale Größenänderungen entstanden 
teils beabsichtigt, teils unbeabsichtigt unter dem Einfluß der auf einen Pro- 
portionsvergleich gerichteten Determination. Bei der Einstellung auf eine be- 
stimmte Sehgröße findet offenbar ebenfalls eine solche proportionale Größen- 
änderung der reproduzierten Vorstellungen statt mit der Besonderheit, daß der 
Maßstab durch die Sehgröße der vorangegangenen Vorstellung vorgezeichnet ist 
6. 6. E. Müller bekämpft die Annahme, daß von der Ziel- 
setzung eigenartige Wirkungen ausgehen, und vertritt die Ansicht, 
daß der Verlauf bei der Aufgabelösung ausschließlich auf die 
') a.a.O. S.502f. 
•) Vgl. oben S. 96 Anm. 1. 
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Anhang, 819 
Wirksamkeit assoziativer und perseverativer Reproduktionsten- 
denzen zurückgeführt werden könne ^). Ich habe soeben schon eine 
Reihe von Gründen angeführt, welche der Einreibung der Zuordnung 
zwischen Zielsetzungen und bestimmten Operationen unter die 
assoziativen Verbindungen im gewöhnlichen Sinne entgegenstehen. 
Ebenso wurde schon auf die Schwierigkeit hingewiesen, die an 
der Aufgabelösung beteiligten Eombinationsprozesse auf die aus- 
schUeßliche Wirksamkeit assoziativer Reproduktionstendenzen zu- 
rückzuführen. Die zahlreichen am Denkverlauf beteiligten Ab- 
straktionsprozesse, die sich namentlich auf Sachverhältnisse beziehen, 
wird man auch dann von den Reproduktionsvorgängen im engeren 
Sinne zweckmäßig zu trennen haben, wenn man zu ihrer Erklänmg 
mit den Gesetzen der Vorstellungsreproduktion auskommen zu 
können glaubt *). Selbst wenn man von der Frage nach der Natur 
der in den Verlauf determinierter intellektueller Prozesse ein- 
gehenden Motivationszusammenhänge absieht, bleibt noch immer 
eine sehr wesentliche Eigentümlichkeit solcher Prozesse zu be- 
rücksichtigen, welche die Annahme einer eigenartigen Wirkung 
der Zielsetzung rechtfertigt. Wie wiederholt betont wurde, hat 
die Zielsetzung unmittelbar nicht die Reproduktion gegenständ- 
licher Bewußtseinserlebnisse, sondern die Anwendung allgemeiner 
der Natur der Gesamtaufgabe angepaßter komplexer intellektueller 
Operationen zur Folge. Es soll die Möghchkeit nicht bestritten 
werden, daß solche intellektuelle Operationen auf Grund assoziativer 
Reproduktionstendenzen von Vorstellungen auftreten können. 
Die übliche Auffassung, daß der Vorstellungsablauf nur auf Asso- 
ziationen von Vorstellungen mit Vorstellungen zurückzuführen 
sei, könnte dahin geändert werden müssen, daß auch gewisse 
*) a.a.O. S. 475 ff. 
*) Vgl. über den von MüUer verwendeten erweiterten Begriff der R^ro- 
duktionsgesetze, a. a. 0. S. 4^, Anm. 2. Siehe auch die AusfOhrungen a. a. O. 
S. 494 f. über den von Müller verwendeten weiteren Vorstellungsbegriff, der auch 
das Bewußtsein von Beziehungen und Sachverhältnissen und in gleicher Weise 
anschauliche wie unanschauliche Erlebnisse umfassen würde. Bei der heute 
in der Psychologie eingebürgerten engeren Bedeutung des Begriffs Vorstellung 
scheint mir die Anwendung eines solchen umfassenderen Begriffs wegen der 
damit verbundenen Gefahr der Verdeckimg der Unterschiede nicht zweckmäßig. 
Bei Müller selbst verhindert dieser weite Vorstellimgsbegriff namentlich, daß 
die Eigenart des Bewußtseins von Sachverhältnissen gegenüber den Vorstellungen 
im engeren Sinne zur (jeltung kommt 
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920 Anhang, 
intellektuelle Operationen mit Vorstellungen assoziiert sein und 
dadurch den weiteren Ablauf beeinflussen können. Allein dadurch 
würden zu den jeweils konkurrierenden assoziativen und per- 
severativen Reproduktionstendenzen, die auf Vorstellungen ge- 
richtet sind, nur noch assoziative und perseverative Reproduktions- 
tendenzen, die auf Aktualisierung bestimmter intellektueller Ope- 
rationen gerichtet sind, hinzutreten. Wenn dagegen durdi die 
Zielsetzimg die ausschließUche Wirksamkeit der zur Lösung der 
Gesamtaufgabe geeigneten Operationen in der zur Verwirklichung 
des Zieles erforderlichen Reihenfolge im allgemeinen gewähr- 
leistet wird ^), so müssen wir annehmen, daß es sich \m der Zu- 
ordnung von Zielsetzungen bestimmter Art zu bestimmten kom- 
plexen intellektuellen Operationen*) um relativ gesonderte, wenn 
auch den assoziativen Verbänden im gewöhnlichen Sinne ver- 
wandte, teils phylogenetisch begründete, teils auf Erfahrungs- und 
Erkenntniszusammenhängen beruhende Verbände handelt. Die 
Entstehung solcher Verbände und ihr Wirksamwerden durch eine 
konkrete Zielsetzung stellt also eine eigenartige Wirkung der 
Determinierung dar. 
*) Auch Fehlreaktionen pflegen ja, wir wir sahen, nicht auf einer Durch- 
brechung des Zusammenhanges zwischen einer Zielsetzung bestimmter Art und 
den ihr zugeordneten Operationen zu beruhen. 
") Zu den der Zielsetzimg zugeordneten Operationen gehören auch die- 
jenigen Operationen, welche die dauernde Wirksamkeit der Determination ge- 
währleisten (vgl. oben S. 120 Anm. 3). Es handelt sich hier dsenso wie zum 
Teil bei den Operationen der Wissensaktualisierung und bei den Operationen 
zur Kontrolle und Berichtigung der Lösung um Operationen, welche Zielsetzungen 
aller Art zugeordnet sind, um allgemeine LOsungsmethoden (vgl oben 
S. 279). Es versteht sich leicht, daß die Zuordnung zwischen Zielsetzimgen 
und den allgemeinen Lösungsmethoden eine besonders feste sein imd daher 
das Auftreten aufgabewidriger Prozesse in besonders hohem Maße erschweren muß. 
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