Heinrich Hertz

Die Prinzipien der Mechanik

이윤진이카루스 2015. 2. 2. 13:27

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Full text of "Die Prinzipien der Mechanik in neuem Zusammenhange dargestellt...: Mit einem Vorworte"

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r 
ifllFR^DHAfNERi 
N yA\' YORK 
c. 
GESAMMELTE WEEKE 
VON 
HEINRICH HERTZ. 
BAND ni 
DIE PKINZIPIEN DER MECHANIK. 
LEIPZIG, 1894 
JOHANN AMBEOSIUS BARTH 
(ABTHUB MEINEB) 
ENGINEERING UBRARt 
DIE 
PRINZIPIEN DER MECHANIK 
IN NEUEM ZUSAMMENHANGE DARGESTELLT 
VOK 
HEINRICH HERTZ. 
MIT EINEM VORWORTE 
von 
H. VON HELMHOLTZ. 
LEIPZIG, 1894 
JOHANN AMBROSIUS BARTH 
(JLRTHUB MEINEB) 
übersetzungsrecht vorbehalten. 
Druck Ton Metzgor & Wittig in Ldpsig. 
Hiermit wird Heineich Hebtz' letztes Werk der Öflfent- 
lichkeit übergeben. Es bringt die Früchte der Arbeit seiner 
drei letzten Lebensjahre. Nach etwa einjähriger Arbeit war 
das Werk in seinen grofsen Zügen niedergeschrieben; die an- 
deren beiden Jahre waren dem Ausbaue im Einzelnen gewidmet 
Am Ende dieser Zeit betrachtete der Verfasser die erste Hälfte 
des Werkes als vöUig abgeschlossen, die zweite Hälfte als der 
Hauptsache nach vollendet. Diese zweite Hälfte noch einmal 
durchzuarbeiten, war sein Plan. Schon aber waren die Pläne 
zu Wünschen geworden, und für die Wünsche gab es nur 
mehr Entsagung. Die Sonne, welche uns so heU noch einmal 
aus diesen Blättern leuchtet, neigte sich zum Untergange. — 
Kurz vor seinem Tode übergab der Verfasser selbst den 
, gröfseren Teil des Manuskriptes der Verlagsbuchhandlung. Zu- 
= gleich berief er den Unterzeichneten zu sich und wies ihn an, 
die Herausgabe zu besorgen, wenn er selbst dies nicht mehr 
würde thun können. 
Indem ich die Drucklegung vom ersten Bogen an über- 
wachte, achtete ich mit gröfster Sorgfalt auf getreue Wieder- 
gabe des Originales, und zwar vor Allem des Sinnes desselben. 
Nicht minder war ich bestrebt, auch die Form zu wahren; 
aber dieselbe in allen Punkten festzuhalten, ohne Rücksicht 
auf Inhalt und Zusammenhang, wäre nicht im Sinne des Ver- 
fassers gewesen. Ich habe solche geringe Änderungen der 
Form eintreten lassen, von welchen ich nach sorgfältigem Stu- 
dium des Werkes nicht zweifeln konnte, dafs sie der Verfasser 
Ti Vorhemerkfimg des Herausgebers. 
selbst würde angebracht haben. Von der Angabe dieser 
Änderungen im Einzelnen glaubte ich absehen zu dürfen, eben 
weil keine derselben den Sinn berührt. Um dies letztere ver- 
bürgen zu können, habe ich auch sämtliche Concepte und 
früheren Ausarbeitungen des Werkes gewissenhaft studiert. 
Solcher früherer Ausarbeitungen sind mehrere in sorgfältiger 
Niederschrift vorhanden, und sie sind zum Teil ausführlicher, 
als das letzte, für den Druck bestimmte Manuskript. 
Die letzten Verbesserungen, welche der Verfasser noch 
nach Absendung des Manuskriptes in einem zweiten Exem- 
plare desselben vermerkt hatte, sind aUe vor dem Drucke 
nachgetragen worden. Die Hinweise auf frühere SteUen des 
Werkes, welche im zweiten Teile desselben spärlicher wurden 
und im letzten Abschnitte nur angedeutet waren, habe ich er- 
gänzt, den geplanten Nachweis der Definitionen und Bezeich- 
nungen zusammengestellt. 
Besondere Aufmerksamkeit widmete ich auch der äufseren 
Gestaltung des Druckes, wie es des Verfassers Wunsch war. 
Ich hoiSfe, man wird. Dank der anerkennenswerten Mitwirkung 
der Verlagsbuchhandlung, die Ausstattung als des Werkes 
würdig befinden. 
Bonn, Juni 1894. 
Ph. Lenard. 
Vorwort von H. v. Helmlioltz. 
Am 1. Januar 1894 starb Hetnbich Hertz. Für alle, die 
den Fortschritt der Menschheit in der möglichst breiten Ent- 
wickelung ihrer geistigen Fähigkeiten und in der Herrschaft 
des Geistes über die natürlichen Leidenschaften wie über die 
widerstrebenden Natu|*kräfte zu sehen gewohnt sind, war die 
Nachricht vom Tode dieses bevorzugten Lieblings des Genius 
eine tief erschütternde. Durch seltenste Gaben des Geistes 
und Charakters begünstigt, hat er in seinem leider so kurzen 
Leben eine Fülle fast unverhoffter Früchte geemtet, um deren 
Gewinnung sich während des vorausgehenden Jahrhunderts 
viele von den begabtesten seiner Fachgenossen vergebens be- 
müht haben. — Li alter, klassischer Zeit würde man gesagt 
haben, er sei dem Neide der Götter zum Opfer gefallen. Hier 
schienen Natur und Schicksal in ganz ungewöhnlicher Weise 
die Entwickelung eines Menschengeistes begünstigt zu haben, 
der alle zur Lösung der schwierigsten Probleme der Wissen- 
schaft erforderlichen Anlagen in sich vereinigte. Es war ein 
Geist, der ebenso der höchsten Schärfe und Klarheit des 
vin Vorwort von H. v. HdmhoUx, 
logischen Denkens fähig war, wie der gröfsten Aufmerksamkeit 
in der Beobachtung unscheinbarer Phänomene. Der unein- 
geweihte Beobachter geht an solchen leicht vorüber, ohne auf 
sie zu achten; dem schärferen Blicke aber zeigen sie den Weg 
an, durch den er in neue unbekannte Tiefen der Natur ein- 
zudringen vermag. 
Heinsich Hebtz schien prädestiniert zu sein, der Mensch- 
heit solche neue Einsicht in viele bisher verborgene Tiefen der 
Natur zu erschliefsen, aber alle diese Hoffiiungen scheiterten 
an der tückischen Krankheit, die, langsam und unaufhaltsam 
vorwärts schleichend, dieses der Menschheit so kostbare Leben 
vernichtete und alle darauf gesetzten Hoffiiungen grausam 
zerstörte. 
Ich selbst habe diesen Schmerz tief empfunden, denn unter 
allen Schülern, die ich gehabt habe, durfte ich Hebtz immer 
als denjenigen betrachten, der sich am tiefsten in meinen 
eigenen Kreis von wissenschaftlichen Gedanken eingelebt hatte, 
und auf den ich die sichersten Hoffiiungen für ihre weitere 
Entwickelung und Bereicherung glaubte setzen zu dürfen. 
Heineich Rudolf Hebtz ward am 22. Februar 1857 in 
Hamburg als ältester Sohn des damaligen Rechtsanwalts, 
späteren Senators Dr. Hebtz geboren. Nachdem er bis zu 
seiner Konfirmation den Unterricht in einer der städtischen 
Bürgerschulen erhalten hatte, trat er nach einem Jahre häus- 
licher Vorbereitung für höher reichende Studien in die Ge- 
lehrtenschule seiner Vaterstadt, das Johanneum, ein und ver- 
lieüs dieselbe 1875 mit dem Zeugnis der Reife. Er gewann 
schon als Knabe die Anerkennung seiner Eltern und Lehrer 
wegen seines ungewöhnlich regen Pflichtgeflihls. Die Art 
seiner Begabung zeigte sich schon fiiih dadurch, dafs er aus 
eigenem Antriebe neben seinen Schulfachem mechanische Ar- 
beiten an der Hobel- und Drehbank betrieb, daneben Sonntags 
die Gewerbeschule besuchte, um sich im geometrischen Zeichnen 
zu üben, und sich mit den einfachsten Hilfsmitteln brauch- 
bare Instrumente optischer und mechanischer Art zu erbauen 
bestrebte. 
Als er nach Beendigung seines Schulkursus sich zu der 
Vorwort von H, v. HelmhoUx, ix 
Wahl eines Berufe entschliefeen mufete, wählte er den des 
Ingenieurs. Es scheint, dafe die auch in späteren Jahren 
als ein charakteristischer G-rundzug seines Wesens herror- 
tretende Bescheidenheit ihn an seiner Begabung für theore- 
tische Wissenschaft zweifeln liefe, und dafs er sich bei der 
Beschäftigung mit seinen geliebten mechanischen Arbeiten des 
Erfolges sicherer fühlte, weil er deren Tragweite schon damals 
ausreichend verstand. Vielleicht hat ihn auch die in seiner 
Vaterstadt herrschende, mehr dem Praktischen zugeneigte 
Sinnesweise beeinflufet Übrigens beobachtet man nicht selten 
diese Art zaghafter Bescheidenheit gerade bei jungen Leuten 
von hervorragenden Anlagen. Sie haben wohl eine deutliche 
Vorstellung von den Schwierigkeiten, die vor der Erreichung 
des ihnen vorschwebenden hohen Zieles zu überwinden sind, 
und müssen ihre Kräfte erst praktisch erprobt haben, ehe 
sie das zu ihrem schweren Werke nötige Selbstvertrauen ge- 
winnen. Aber auch in ihrer späteren Entwickelung pflegen 
reich veranlagte Naturen um so unzufriedener mit ihren 
eigenen Werken zu sein je höher ihre Fähigkeiten imd ihre 
Ideale reichen. Die Begabtesten erreichen offenbar nur des- 
halb das Höchste, weil sie am empfindlichsten gegen jede Un- 
vollkommenheit sind, und am unermüdlichsten an deren 
Beseitigung arbeiten. 
VoUe zwei Jahre dauerte bei Hjsinbigh Hebtz dieses 
Stadium des Zweifels. Dann entschlofs er sich im Herbst 1877 
zur akademischen Laufbahn, da er bei reifenden Kenntnissen 
sich innerlich überzeugte, dafs er nur in wissenschaftlicher Ar- 
beit dauernde Befriedigung finden würde. Der Herbst 1878 
führte ihn nach Berlin, wo ich ihn zuerst als Praktikanten in 
dem von mir geleiteten physikalischen Laboratorium der Uni- 
versität kennen lernte. Schon während er die elementaren 
Übungsarbeiten durchführte, sah ich, dafs ich es hier mit einem 
Schüler von ganz ungewöhnlicher Begabung zu thun hatte, 
und da mir am Ende des Sommersemesters die Aufgabe zu- 
fiel, das Thema zu einer physikalischen Preisarbeit für die 
Studierenden vorzuschlagen, wählte ich eine Frage aus der 
Elektrodynamik, in der sicheren, nachher auch bestätigten 
X Vorwort von H, v, HelmhoUx. 
Voraussetzung, dafs Heetz sich dafür interessieren und sie mit 
Erfolg angreifen werde. 
Die Gesetze der Elektrodynamik wurden damals in Deutsch- 
land noch von der Mehrzahl der Physiker aus der Hypothese 
von W. Weber hergeleitet, welche die elektrischen und mag- 
netischen Erscheinungen auf eine Modifikation der Newton'- 
schen Annahme von unmittelbar und geradlinig in die Feme 
wirkenden Kräfte zurückzufuhren suchte. Die Abnahme der 
betreffenden Eiäfte in der Feme sollte demselben Gesetze 
wie die von Newton angenommene Gravitationskraft und die 
von CouiiOMB zwischen je zwei elektrisierten Massenpunkten 
gemessene scheinbare Femkraft folgen, es sollte nämlich die 
Intensität der Kraft dem Quadrate des Abstandes der auf 
einander wirkenden elektrischen Quanta umgekehrt, dem Pro- 
dukte der beiden Quanta aber direkt proportional sein, und 
zwar mit abstofsender Wirkung zwischen gleichnamigen, an- 
ziehender zwischen ungleichnamigen Mengen. Übrigens 
wurde in Webbe's Hypothese die Ausbreitung dieser Kraft 
durch den unendlichen Baum als augenblicklich und mit un- 
endlicher Geschwindigkeit erfolgend vorausgesetzt Der ein- 
zige Unterschied zwischen W. Webee's Annahme und der von 
Coulomb bestand darin, dafs Weber voraussetzte, auch die 
Geschwindigkeit, mit der sich die beiden elektrischen Quanta 
einander näherten oder von einander entfemten, und auch 
die Beschleunigungen dieser Geschwindigkeiten könnten einen 
Einflufs auf die Gröfse der Kraft zwischen den beiden elek- 
trischen Mengen haben. Neben dieser WEBEß'schen Hypo- 
these bestanden noch eine Beihe ähnlicher anderer, die alle 
das Gemeinsame hatten, dafs sie die Gröfse der CouLOMB'schen 
Kraft noch durch den Einflufs irgend einer Komponente der 
Geschwindigkeit der bewegten elektrischen Quanta modifiziert 
ansahen. Solche Hypothesen waren von F.E. Neumann, von dessen 
Sohne C. Neumann, von Biemann, Gbossmann, später von 
Clausius aufgestellt worden. Magnetisierte Molekeln galten 
als Achsen elektrischer Kreisströme, nach einer schon von Am- 
pMe aufgefundenen Analogie ihrer nach aufsen gerichteten 
Wirkungen. 
Vorwort von H. v, Helmkoltx. xi 
Diese bunte Blumenlese von Annahmen war in ihren Folger- 
ungen sehr wenig übersichtlich und erforderte zu ihrer Ab- 
leitung verwickelte Rechnungen, Zerlegungen der Einzelkräfte 
in ihre verschieden gerichteten Komponenten u. s. w. So war ' 
das Gebiet der Elektrodynamik um jene Zeit zu einer un-i 
wegsamen Wüste geworden. Beobachtete Thatsachen und ; 
Folgerungen aus höchst zweifelhaften Theorien liefen ohne 
sichere Grenze durcheinander. In dem Streben, dieses Wirrsal 
übersehen zu lernen, hatte ich es übernommen, das Gebiet 
der Elektrodynamik, so weit ich sah, zu klären, und die 
unterscheidenden Folgerungen der verschiedenen Theorien auf- 
zusuchen, um wo möglich durch passend angestellte Versuche 
zwischen ihnen zu entscheiden. 
Es ergab sich daraus folgendes allgemeine Resultat: 
Alle Erscheinungen, die vollkommen geschlossene Ströme 
bei ihrer Zirkulation durch in sich zurücklaufende metallische 
Leitungskreise hervorrufen und die die gemeinsame Eigentüm- 
lichkeit haben, dafs es, während sie fliefsen, zu keiner erheb- 
lichen Veränderung der in einzelnen Teilen des Leiters 
angesammelten elektrischen Ladungen kommt, liefsen sich aus 
allen den genannten Hypothesen gleich gut ableiten. Ihre 
Folgerungen stimmten sowohl mit AMPtiRF/s Gesetzen der 
elektromagnetischen Wirkungen, wie mit den von Faba- 
DAT und Lenz entdeckten und von F. E. Neumann verallge- 
meinerten Gesetzen der induzierten elektrischen Ströme wohl 
überein. In unvollständig geschlossenen leitenden Kreisen 
dagegen führten die verschiedenen oben genannten Hypothesen 
zu wesentlich verschiedenen Folgerungen. Die erwähnte gute 
Übereinstimmung aller der verschiedenen damaligen Theorien 
mit den an vollständig geschlossenen Strömungen beobachteten 
Thatsachen erklärt sich leicht daraus, dafs man geschlossene 
Ströme beliebig lange Zeit und in beliebiger Stärke unterhalten 
kann, jedenfalls lange genug, dafs die von ihnen ausgeübten 
Kräfte volle Zeit haben, ihre Wirkungen sichtbar zu entfalten, 
dafs deshalb die thatsächlichen Wirkungen solcher Ströme und 
ihre Gesetze wohlbekannt und genau ermittelt waren. Daher 
würde jede Abweichung einer neu aufgestellten Theorie von 
xn YofrwQfrt von H, v. Helmholtx. 
irgend einer der bekannten Thatsachen dieses wohl durch- 
gearbeiteten G-ebietes schnell aufgefallen und zur Widerlegung 
der Theorie benutzt worden sein. 
Dagegen sammeln sich an den offenen Enden ungeschlossener 
Leiter, wo sich isolierende Massen zwischen diese Enden ein- 
schieben, durch jede elektrische Bewegung längs der Länge des 
Leiters sogleich elektrische Ladungen an, herrührend von der 
gegen das Ende des Leiters hindrängenden Elektricität, die 
ihren Weg durch den Isolator nicht fortsetzen kann. Eine aufser- 
ordentlich kurze Dauer der Strömung genügt in einem solchen 
Falle, um die abstofsende Kraft der am Ende angehäuften 
Elektricität gegen die gleichnamige nachdrängende so hoch zu 
steigern, dafs diese in ihrer Bewegung voUständig gehemmt 
wird, wonach zunächst das weitere Zuströmen aufhört und 
nach momentaner Euhe dann ein schnelles Zurückdrängen der 
angesammelten Elektricität folgt. 
Es war für jeden Kenner der thatsächlichen Verhältnisse 
zu jener Zeit klar, dafs sich das vollkommene Verständnis der 
Theorie der elektromagnetischen Erscheinungen nur durch die 
genaue Untersuchung der Vorgänge bei diesen sehr schnell 
vorübergehenden ungeschlossenen Strömen werde gewinnen 
lassen. W. Weber hatte versucht, gewisse Schwierigkeiten 
seiner elektrodynamischen Hypothese zu beseitigen oder zu 
vermindern dadurch, dafs er sich auf die Möglichkeit berufen, 
die Elektricität könne einen gewissen Grad von Beharrungs- 
vermögen haben, wie es den schweren Körpern zukomme. 
Scheinbar zeigen bei Schliefsung und Unterbrechung jedes 
Stromes sich Wirkungen, die den Anschein eines Beharrungs- 
vermögens der Elektricität vortäuschen. Diese rühren aber 
von der sogenannten elektrodynamischen Induktion d. h. von 
einer gegenseitigen Einwirkung nahe gelegener Stromleiter auf 
einander her und sind in ihren Gesetzen seit Fabadat wohl- 
bekannt. Wahres Beharrungsvermögen müfste nur der Masse 
der bewegten Elektricität proportional sein, ohne von der Lage 
des Leiters abzuhängen. Wenn etwas derart existierte, müDste 
es sich durch eine Verlangsamung der osciUierenden Bewegungen 
der Elektricität zu erkennen geben, wie sie nach jähen Unter- 
Vorwort von K v, HümhoUx. xttt 
brechungen elektrischer Ströme in gut leitenden Drähten sich 
zeigen. Auf diesem Wege liefs sich die Bestimmung einer 
oberen Grenze für den Wert dieses Beharrungsvermögens er- 
warten, und deshalb stellte ich die Aufgabe, über die Gröise 
von Extraströmen Versuche auszuführen. Aus diesen sollte 
wenigstens eine obere Grenze für die bewegte Masse fest- 
gestellt werden. Es waren schon in der Aufgabe, als zu diesen 
Versuchen besonders geeignet erscheinend, Extraströme aus 
doppeltdrähtigen Spiralen vorgeschlagen, deren Zweige in ent- 
gegengesetzter Eichtung durchflössen wären. In der Lösung 
dieser Aufgabe bestand die erste gröfsere Arbeit von Hetnbich 
Hebtz. Er giebt darin eine präcise Antwort auf die gestellte 
Frage und zeigt, dafs höchstens Y30 ^^^ ^/so ^®® Extrastromes 
aus einer doppeltdrähtigen Spirale der Wirkung einer Trägheit 
der Elektricität zuzuschreiben sei. Diese Arbeit wurde mit 
dem Preise gekrönt 
Aber Hebtz beschränkte sich nicht auf die vorgeschlagenen 
Versuche. Er erkannte nämlich, dafs bei geradlinig aus- 
gespannten Drähten die Induktionswirkungen, trotz ihrer sehr 
viel geringeren Stärke, viel genauer zu berechnen waren, als 
bei Spiralen mit vielen Windungen, weil er hier die Lagerungs- 
verhältnisse nicht genau abmessen konnte. Daher benützte er 
zu weiteren Versuchen eine Leitung aus zwei Rechtecken 
von geraden Drähten und fand hier, dafs der von dem Be- 
harrungsvermögen herrührende Extrastrom höchstens ^/gg^ von 
dem Werte des Induktionsstromes betrage. 
Untersuchungen über den Einflufs der Centrifagalkrafl in 
einer schnell rotierenden Platte auf die Bewegung eines sie 
durchflieisenden elektrischen Stromes führten ihn zu einer 
noch viel tiefer liegenden oberen Grenze des Beharrungs- 
vermögens der Elektricität. 
Diese Versuche haben ihm offenbar die ungeheure Be- 
weglichkeit der Elektricität eindringlich zur Anschauung ge- 
bracht und ihm gehoKen, die Wege zu finden, um seine 
wichtigsten Entdeckungen zu machen. 
In England waren durch Faraday ganz andere Vor- 
stellungen über das Wesen der Elektricität verbreitet Seine 
xrv Vorwort von H. v, Heknholtx. 
in schwerverständlicher abstrakter Sprache vorgetragenen Ideen 
brachen sich nur langsam Bahn, bis sie in Clask Maxwell 
einen berufenen Interpreten fanden. Fabaday's Hauptbestreben 
bei der Erklärung der elektrischen Erscheinungen ging dahin, 
alle Voraussetzungen, bestehend in Annahmen von nicht direkt 
wahrnehmbaren Vorgängen oder Substanzen, auszuschliefsen. 
Vor aUem wies er, wie es einst zu Anfang seiner Laufbahn 
schon Newton gethan, die Hypothese von der Existenz der 
Femkräfte zurück. Es schien ihm undenkbar, wie die älteren 
Theorien annahmen, dafs direkte und unmittelbare Wirkungen 
zwischen zwei räumlich getrennten Körpern bestehen sollten, 
ohne dafs in den zwischenliegenden Medien irgend eine Ver- 
änderung vor sich gehe. Daher suchte er zunächst nach 
Spuren von Veränderungen in Medien, welche zwischen elektri- 
sierten oder zwischen magnetischen Körpern lagen. Es gelang 
ihm der Nachweis von Magnetismus oder Diamagnetismus bei 
fast allen bisher für unmagnetisch geltenden Körpern. Ebenso 
wies er nach, dafs unter der Einwirkung elektrischer Kräfte 
gut isolierende Körper eine Veränderung erlitten; diese be- 
zeichnete er als „dielektrische Polarisation der Iso- 
latoren". 
Es liefs sich nicht verkennen, dafs die Anziehung zwischen 
zwei mit Elektricität beladenen Leitern oder zwischen zwei 
entgegengesetzten Magnetpolen in Richtung ihrer Kraftlinien 
sich wesentlich verstärken mufste, wenn man dielektrisch oder 
magnetisch polarisierte Medien zwischen sie einschaltete. Quer 
gegen die Kraftlinien mufste dagegen eine Abstofsung ent- 
stehen. Nach diesen Entdeckungen konnte nicht mehr ge- 
leugnet werden, dafs ein Teil der magnetischen und elektrischen 
Femwirkung durch Vermittelung der zwischenKegenden polari- 
sierten Medien zu stände käme, ein anderer konnte freilich 
immerhin noch übrig bleiben, der einer direkten Femkraft 
angehörte, 
Fabadat und Maxwell neigten sich der einfacheren An- 
nahme zu, dafs überhaupt Femkräfte nicht existierten, und Max- 
well entwickelte die mathematische Fassung dieser Hypothese, 
welche allerdings eine vollständige Umkehr der bisherigen An- 
Vorwort von H, v, Helmholtx. xv 
schauungen verlangte. Danach mufste der Sitz der Veränder- 
ungen, welche die elektrischen Erscheinungen hervorbringen, 
nur noch in den Isolatoren gesucht werden, Entstehen und 
Vergehen der Polarisationen in den Isolatoren mufste der 
Grund der scheinbar in den Leitern stattfindenden elektrischen 
Bewegungen sein. Ungeschlossene Ströme gab es nicht mehr, 
denn die Anhäufung elektrischer Ladungen an den Enden 
der Leitung^ und die dabei in den sie trennenden Isolatoren 
auftretende dielektrische Polarisation stellte eine äquivalente 
elektrische Bewegung in den zwischenliegenden Isolatoren dar, 
die die Lücke des Stromes zu ergänzen geeignet schien. 
Schon Paeaday hatte mit seiner sehr sicheren und tief- 
gehenden inneren Anschauung geometrischer und mechanischer 
Fragen erkannt, dafs die Verteilung der elektrischen Fem- 
wirkungen im Baume nach diesen Annahmen genau mit der 
durch die alte Theorie gefundenen stimmen mufste. 
Maxwell bestätigte und erweiterte dies mit den Hilfs- 
mitteln der mathematischen Analysis zu einer vollständigen 
Theorie der Elektrodynamik. Ich selbst erkannte sehr wohl 
das Zwingende in den von Fabaday gefundenen Thatsachen 
und untersuchte zunächst die Frage, ob Femwirkungen über- 
haupt existierten uud in Betracht gezogen werden müssten. 
Der Zweifel schien mir zunächst in einem so verwickelten Ge- 
biete der wissenschaftlichen Vorsicht gemäfs zu sein und konnte 
zu entscheidenden Versuchen hinleiten. 
Das war der Stand der Frage, als Hetnbich Hertz 
nach Beendigung seiner vorgenannten Preisarbeit in die Unter- 
suchung eintrat. 
Nach Maxwell's Auffassung war es wesentlich entscheidend 
für seine Theorie, ob das Entstehen und Vergehen dielektrischer 
Polarisation in einem Isolator dieselben elektrodynamischen 
Wirkungen in der Umgebung hervorbringt, wie ein galvanischer 
Strom in einem Leiter. Diesen Nachweis zu erbringen erschien 
mir als eine ausfillirbare und hinreichend wichtige Arbeit, um 
sie zum Gegenstand einer der grofsen Preisaufgaben der Ber- 
liner Akademie zu machen. 
XVI 
Vorwort von H, v. Hdmholtx, 
Wie sich, an diese von den Zeitgenossen vorbereiteten 
Keime anknüpfend, die Entdeckungen von Hebtz weiter ent- 
wickelten, hat er selbst in der Einleitung seines interessante^ 
Buches: Untersuchungen über die Ausbreitung der 
^ elektrischen Kraft so anschaulich und interessant entwickelt, 
dafs kein Anderer dazu etwas wesentliches oder gar besseres 
hinzufügen könnte. Dieser Bericht ist als eine höchst auf- 
richtige und eingehende Darstellung einer der wichtigsten 
und folgenreichsten Entdeckungen von hervorragendem Werte. 
Leider besitzen wir nicht viel ähnliche Akten über die innere 
psychologische Geschichte der Wissenschaft, und wir sind dem 
Verfasser auch dafür den gröfsten Dank schuldig, dafs er uns 
so tief in das Innere seiner Gedankenwerkstatt und selbst in 
die Geschichte seiner zeitweiligen Irrtümer hat schauen lassen. 
Nur üb^r die Folgen dieser neuen Entdeckungen wäre 
noch einiges hinzuzufügen. 
Die Ansichten, deren Eichtigkeit Hebtz später bestätigt 
hat, waren allerdings, wie oben bemerkt, vor ihm durch 
Faraday und Maxwell als möglich oder selbst als höchst 
wahrscheinlich schon aufgestellt, aber die thatsächlichen Be- 
weise ihrer Eichtigkeit fehlten noch. Hebtz hat nun in der 
That diese Beweise geliefert. Nur einem ungewöhnlich auf- 
merksamen Beobachter, der die Tragweite jeder unvermuteten 
und bis dahin unbeachteten Erscheinung sogleich durchschaut, 
konnten die höchst unscheinbaren Phänomene auffallen, die ihn 
auf den richtigen Weg geleitet haben. Es wäre eine hoffnungs- 
lose Aufgabe gewesen, schnell wechselnde Ströme mit einer 
Dauer von Zehntausendteilen oder gar nur Millionteilen einer 
Sekunde am Galvanometer oder mittels irgend einer anderen 
damals geübten experimentellen Methode sichtbar zu machen. 
Denn alle endlichen Kräfte brauchen eine gewisse Zeit zur 
Hervorbringung endlicher Geschwindigkeiten und zur Ver- 
schiebung von Körpern von irgend welchem Gewicht, auch 
so geringem, wie es die Magnetnadeln unserer Galvanometer 
zu haben pflegen. Aber elektrische Funken können zwischen 
den Enden einer Leitung sichtbar werden, wenn auch nur 
für ein Milliontel Sekunde die elektrische Spannung an den 
Vorwort von ff. v. HelmhoUx. xvn 
Enden einer solchen Leitung hoch genug gesteigert wird, 
dafs der Funke eine winzige Luftschicht durchbrechen kann. 
TTektz war durch seine früheren Untersuchungen schon wohl- 
bekannt mit der ßegelmäfsigkeit und enormen Geschwindigkeit 
dieser sehr schnellen Oscillationen der Elektricität, und seine 
Versuche, auf diesem Wege die flüchtigsten elektrischen Be- 
wegungen zu entdecken und sichtbar zu machen, gelangen 
ihm yerhältnismäfsig schnell. Er fand sehr bald die Bedingungen, 
unter denen er die Oscillationen ungeschlossener Leitungen 
in solcher ßegelmäfsigkeit erzielen konnte, dafs er ihre Ab- 
hängigkeit von den verschiedensten Nebenumständen ermitteln 
und dadurch die Gesetze ihres Auftretens und sogar den Wert 
ihrer Wellenlänge in der Luft und ihre Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit ermitteln konnte. Bei dieser ganzen Unter- 
suchung mufs man immer wieder den Scharfsinn seiner Über- 
legungen und sein experimentelles Geschick bewundem, die 
sich in der glücklichsten Weise ergänzten* 
Hebtz hat durch diese Arbeiten der Physik neue Anschau- 
ungen natürlicher Vorgänge von dem gröfsten Interesse gegeben. 
Es kann nicht mehr zweifelhaft sein, dafs die Lichtschwingungen 
elektrische Schwingungen in dem den Weltraum füllenden > 
Äther sind, dafs dieser selbst die Eigenschaften eines Isolators 
und eines magnetisierbaren Medium hat. Die elektrischen 
Oscillationen im Äther bilden eine Zwischenstufe zwischen 
den verhältnismäfsig langsamen Bewegungen, welche etwa 
durch elastisch tönende Schwingungen magnetisierter Stimm- 
gabeln dargestellt werden, und den ungeheuer schnellen 
Schwingungen des Lichts andererseits; aber es läfst sich nach- 
weisen, dafs ihre Fortpflanzungsgeschwindigkeit, ihre Natur 
als Transversalschwingungen, die damit zusammenhängende 
Möglichkeit der Polarisationserscheinungen, der Brechung und 
Keflexion vollständig denselben Verhältnissen entsprechen wie 
bei dem Lichte und bei den Wärmestrahlen. Nur fehlt den 
elektrischen WeUen die Fähigkeit das Auge zu affizieren, 
wie diese auch den dunklen Wärmestrahlen fehlt, deren 
Schwingungszahl dazu nicht grofs genug ist. 
Es ist gewifs eine grofse Errungenschaft, die vollständigen 
i 
xvm Vorwart van H. v. HüvnhoUx. 
Beweise dafür geliefert zu haben, daJB das Licht, eine so ein- 
flufsreiche und so geheimnifsvolle Naturkraft, einer zweiten 
ebenso geheimnisvollen, und vielleicht noch beziehungsreicheren 
Kraft, der Elektricität, auf das engste verwandt ist. Für die 
theoretische Wissenschaft ist es vielleicht noch wichtiger, ver- 
stehen zu können, wie anscheinende Femkräfte durch Über- 
tragung der Wirkung von einer Schicht des zwischenliegenden 
Medium zur nächsten fortgeleitet werden. Freilich bleibt noch 
das Rätsel der Gravitation stehen, die wir noch nicht folge- 
richtig anders, denn als eine reine Femkraft zu erklären 
wissen. 
Heinbich Hertz hat sich durch seine Entdeckungen einen 
I bleibenden Buhm in der Wissenschaft gesichert. Sein Andenken 
, wird aber nicht nur durch seine Arbeiten fortleben, auch seine 
: liebenswürdigen Charaktereigenschaften, seine sich immer gleich- 
bleibende Bescheidenheit, die freudige Anerkennung fremden 
Verdienstes, die treue Dankbarkeit, die er seinen Lehrern be- 
i wahrte, wird Allen, die ihn kannten, unvergefslich sein. Ihm 
selbst war es nur um die Wahrheit zu thun, die er mit äufser- 
stem Ernst und mit aller Anstrengung verfolgte; nie machte 
sich die geringste Spur von Ruhmsucht oder persönlichem 
Interesse bei ihm geltend. Auch da, wo er einiges Recht ge- 
habt hätte, Entdeckungen für sich in Anspruch zu nehmen, 
war er eher geneigt stillschweigend zurückzutreten. Im ganzen 
still und schweigsam, konnte er doch heiter an fröhlichem 
, Freundeskreise teilnehmen und die Unterhaltung durch manches 
treffende Wort beleben. Er hat wohl nie einen persönlichen 
Gegner gehabt, obgleich er gelegentlich über nachlässig ge- 
j machte oder renomistisch auftretende Bestrebungen, die sich 
für Wissenschaft ausgaben, ein scharfes Urteil fällen konnte. 
Sein äufserer Lebensgang verlief folgendermafsen: Im Jahre 
\\ 1880 trat er als Assistent im Physikalischen Laboratorium der 
//Berliner Universität ein; 1883 veranlafste ihn das preufsische 
Kultusministerium, sich in Eiel mit Aussicht auf baldige Be- 
förderung zu habilitieren. Zu Ostern 1885 wurde er als ordent- 
^ lieber Professor der Physik an die technische Hochschule zu 
' Karlsruhe berufen. Hier machte er seine hauptsächlichsten 
Vorwort von H, v. HelmhoUx. XTX 
Entdeckungen, und hier verheiratete er sich mit Fräulein 
Elisabeth Doli, der Tochter eines Kollegen. Schon nach zwei 
Jahren erhielt er einen Ruf als Ordinarius der Physik an die 
Universität Bonn, dem er zu Ostern 1889 folgte. 
In den nun folgenden leider so kurzen Jahren seines 
Lebens brachten ihm seine Zeitgenossen alle äufseren Zeichen 
der Ehre und Anerkennung entgegen. Im Jahre 1888 wurde/ 
ihm die Matteucci- Medaille von der italienischen Gesellschaft 
der Wissenschaften, 1889 von der Academie des Sciences in 
Paris der Preis La Gaze und von der K. K. Akademie zu Wien 
der Baumgartner- Preis, 1890 die Rumford -MedaiUe von der 
Royal Society in London, 1891 der Bressa-Preis von der König-; 
liehen Akademie in Turin verliehen. 
Die Akademien von Berlin, München, Wien, Gröttingen, 
Rom, Turin und Bologna, sowie viele andere gelehrte Gresell- 
schaften wählten ihn zum korrespondierenden MitgUed, und 
die preufsische Regierung verlieh ihm den Kronenorden. 
Er sollte sich seines steigenden Ruhmes nicht lange er- 
freuen. Eine qualvolle Ejiochenkrankheit fing an sich zu ent- 
wickeln; im November 1892 schon trat das Übel drohend auf. 
Eine damals ausgeführte Operation schien das Leiden für kurze 
Zeit zurückzudrängen. Hebtz konnte seine Vorlesungen, wenn | 
auch mit grofser Anstrengung, bis zum 7. Dezember 1893 fort- ! 
setzen; am 1. Januar 1894 erlöste ihn der Tod von seinen / 
Leiden. 
Wie sehr das Nachsinnen von Hebtz auf die allgemeinsten 
Gesichtspunkte der Wissenschaft gerichtet war, zeigt auch 
wieder das letzte Denkmal seiner irdischen Thätigkeit, das 
vorliegende Buch über die Prinzipien der Mechanik. 
Er hat versucht, darin eine konsequent durchgeführte Dar- 
stellung eines vollständig in sich zusammenhängenden Systems 
der Mechanik zu geben und alle einzelnen besonderen Gesetze 
dieser Wissenschaft aus einem einzigen Grundgesetz abzu- 
leiten, welches logisch genommen natürlich nur als eine plau- 
sible Annahme betrachtet werden kann. Er ist dabei zu den 
ältesten theoretischen Anschauimgen zurückgekehrt, die man 
eben deshalb auch wohl als die einfachsten und natürUchsten 
XX Vorwort von H, v, Helmholtx, 
ansehen darf, und stellt die Frage, ob diese nicht ausreichen 
würden, alle die neuerdings abgeleiteten aUgemeinen Prinzipien 
der Mechanik konsequent und in strengen Beweisen herleiten 
zu können, auch wo sie bisher nur als induktive Verallge- 
meinerungen aufgetreten sind. 
Die erste Entwickelung der wissenschaftlichen Mechanik 
knüpfte sich an die Untersuchungen des Gleichgewichts und 
der Bewegung fester Körper, die mit einander in unmittelbarem 
Berührung stehen, wofür die einfachen Maschinen, Hebel, EoUen, 
schiefe Ebenen, Flaschenzüge die erläuternden Beispiele gaben. 
Das Gesetz von den virtuellen Geschwindigkeiten ist die ur- 
sprünglichste, allgemeine Lösung aller dahin gehörigen Auf- 
gaben. Später entwickelte Galilei die Kenntnis der Träg- 
heit und der Bewegungskraft als einer beschleunigenden Kraft, 
die freilich von ihm noch dargestellt wird als eine Reihe von 
Stöfsen. Erst Newton kam zum BegriflF der Femkraft und 
ihrer näheren Bestimmung durch das Prinzip der gleichen 
Aktion und Reaktion. Es ist bekannt, wie sehr anfangs ihm 
selbst und seinen Zeitgenossen der Begriff unvermittelter Fem- 
wirkimg widerstrebte. 
Von da ab entwickelte sich die Mechanik weiter unter 
Benutzung von Newton's Begriff und Definition der Kraft, und 
man lernte allmählich auch die Probleme behandeln, in denen 
sich konservative Femkräfte mit dem Einflufs fester Verbin- 
dungen kombinieren, deren allgemeinste Lösung in d'Alembert's 
Prinzip gegeben ist Die aUgemeinen prinzipieUen Sätze der 
Mechanik (Gesetz von der Bewegung des Schwerpunkts, der 
Flächensatz für rotierende Systeme, das Prinzip von der Er- 
haltung der lebendigen Kräfte, das Prinzip der kleinsten Aktion) 
haben sich alle entwickelt unter der Voraussetzung von New- 
ton's Attributen der konstanten, also auch konservativen An- 
ziehungskräfte zwischen materiellen Punkten und der Existenz 
fester Verbindungen zwischen denselben« Sie sind ursprüng- 
lich nur unter der Annahme solcher gefunden und bewiesen 
worden. Man hat dann später durch Beobachtung gefunden, 
dafs die so hergeleiteten Sätze eine viel allgemeinere Geltung 
in der Natur in Anspruch nehmen durften, als aus ihrem Be- 
Vorwort von H, v. HelmhoUz, yyt 
weise folgte, und hat demnächst gefolgert, dafs gewisse all- 
gemeinere Charaktere der NBwroN'schön konservativen An- 
ziehungskräfte allen Naturkräften zukommen, vermochte aber 
diese Verallgemeinerung aus einer gemeinsamen Grundlage 
nicht abzuleiten. Hebtz hat sich nun bestrebt, fiir die Me- 
chanik eine solche Grundanschauung zu finden, welche fähig 
wäj*e, eine vollkommene folgerichtige Ableitung aller bisher als 
allgemeingtiltig anerkannten Gesetze der mechanischen Vor- 
gänge zu geben, und er hat das mit grofsem Scharüsinn und 
unter einer sehr bewundernswürdigen Bildung eigentümlich 
verallgemeinerter kinematischer Begrifife durchgeführt. Als 
einzigen Ausgangspunkt hat er die Anschauung der ältesten 
mechanischen Theorien gewählt, nämlich die Vorstellung, dafs 
alle mechanischen Prozesse so vor sich gehen, als ob alle Ver- 
bindungen zwischen den auf einander wirkenden Teilen feste 
wären. Freilich mufs er die Hypothese hinzunehmen, dafs es 
eine grofse Anzahl unwahmehmbarer Massen und unsichtbarer 
Bewegungen derselben gebe, um dadurch die Existenz der 
Kräfte zwischen den nicht in unmittelbarer Berührung mit ein- 
ander befindKchen Körpern zu erklären. Einzelne Beispiele, die 
erläutern könnten, wie er sich solche hypothetischen Zwischen- 
glieder dachte, hat er aber leider nicht mehr gegeben, und es 
wird offenbar noch ein grofses Aufgebot wissenschaftlicher Ein- 
bildungskraft dazu gehören, um auch nur die einfachsten FäUe 
physikalischer Kräfte danach zu erklären. Er scheint hierbei 
hauptsächlich auf die Zwischenschaltung cyklischer Systeme 
mit unsichtbaren Bewegungen Hoffiiung gesetzt zu haben. 
Englische Physiker, wie Lord Kelvin in seiner Theorie 
der Wirbelatome, und Maxwell in seiner Annahme eines 
Systems von Zellen mit rotierendem Inhalt, die er seinem 
Versuch einer mechanischen Erklärung der elektromagnetischen 
Vorgänge zu Grunde gelegt hat, haben sich offenbar durch 
ähnliche Erklärungen besser befriedigt gefühlt, als durch die 
blofse allgemeinste Darstellung der Thatsachen und ihrer Ge- 
setze, wie sie durch die Systeme der Differentialgleichungen 
der Physik gegeben wird. Ich mufs gestehen, dafs ich selbst 
bisher an dieser letzteren Art der Darstellung festgehalten. 
TXTT Vorwort von H, v, Edmholix. 
ubd mich dadurch am besten gesichert fühlte; doch möchte 
ich gegen den Weg, den so hervorragende Physiker, wie die 
drei genannten, eingeschlagen haben, keine prinzipiellen Ein- 
wendungen erheben. 
Freilich werden noch grofse Schwierigkeiten zu überwinden 
sein bei dem Bestreben, aus den von Hebtz entwickelten 
Grundlagen Erklärungen für die einzelnen Abschnitte der 
Physik zu geben. Im ganzen Zusammenhange aber ist die 
Darstellung der Grundgesetze der Mechanik von Hertz ein 
Buch, welches im höchsten Grade jeden Leser interessieren 
mufs, der an einem folgerichtigen System der Dynamik, dar- 
gelegt in höchst vollendeter und geistreicher mathematischer 
Fassung, Freude hat. Möglicherweise wird dieses Buch in der 
Zukunft noch von hohem heuristischen Wert sein als Leit- 
faden zur Entdeckung neuer allgemeiner Charaktere der Natur- 
kräfte. 
Vorwort des Verfassers. 
Alle Physiker sind einstiinmig darin, dafs es die Auf- 
gabe der Physik sei, die Erscheinungen der Natur auf die 
einfachen Gesetze der Mechanik zurückzuführen. Welches aber 
diese einfachen Gesetze sind, darüber herrscht nicht mehr die 
gleiche Einstimmigkeit. Die Meisten verstehen unter jener 
Bezeichnung wohl schlechthin die NBwroN'schen Gesetze der 
Bewegung. In Wahrheit aber erhalten diese letzteren Gesetze 
ihren inneren Sinn und ihre physikalische Bedeutung erst 
durch den stillen Nebengedanken, dafs die Kräfte, yon welchen 
sie reden, einfacher Natur sind und einfache Eigenschafben 
haben. Was nun aber hier noch einfach und noch zulässig 
sei, und was schon nicht mehr, das steht nicht fest; eben 
hier ist der Punkt, wo die Berufung auf allgemeine Einstim- 
migkeit aufhört. Daher sehen wir auch wirklich Meinungs- 
verschiedenheiten entstehen, ob diese oder jene Annahme noch 
der gewöhnlichen Mechanik entspreche, oder ob nicht mehr. 
Dafs hier offene Fragen liegen, tritt freilich nur bei neuen 
Aufgaben hervor, hier aber als erstes Hindernis der Unter- 
suchung. So ist z. B. der Versuch verfrüht, die Bewegungs- 
XXTY Vorwort des Verfassers, 
gleichungen des Äthers auf die Gesetze der Mechanik zurück- 
führen zu wollen, solange man sich nicht eindeutig darüber 
verständigt hat, was man mit diesem Namen bezeichnet 
haben will. 
Die Aufgabe, deren Lösung die folgende Untersuchung 
anstrebt, ist diese, die hier vorhandene Lücke auszufüllen und 
eine vollkommen bestimmte Zusammenstellung der Gesetze 
der Mechanik anzugeben, welche mit dem Stande unserer 
heutigen Kenntnis verträglich ist, welche nämlich in Beziehung 
auf den Umfang dieser Kenntnis weder zu eng ist, noch zu 
weit. Die Zusammenstellung soll nicht zu eng sein, das heifst, 
es soll keine natürliche Bewegung geben, welche ihren Forder- 
ungen nicht gehorcht. Die Zusammenstellung aber soll auch 
nicht zu weit sein, das heifst, sie soll auch keine Bewegung 
zulassen, deren Vorkommen in der Natur schon nach dem 
Stande unserer heutigen Erfahrung ausgeschlossen ist. Ob 
die Zusammenstellung, welche ich als Lösung dieser Aufgabe 
im Folgenden gebe, die einzig mögliche ist, oder ob es andere, 
vielleicht bessere mögliche giebt, bleibt dahingestellt. Dafs 
aber die gegebene Zusammenstellung in jeder Hinsicht eine 
mögliche ist, beweise ich dadurch, dafs ich ihre Folgen ent- 
wickele, und zeige, dafs bei voller Entfaltung sie den Inhalt 
der gewöhnlichen Mechanik aufzunehmen vermag, sofern sich 
der letztere auf die wirklichen Kräfte und Zusammenhänge 
der Natur beschränkt und sich nicht als Spielplatz maihe- 
matischer Übungsarbeit betrachtet. 
Durch diese Entwickelung ist freihch aus einer theore- 
tischen Abhandlung ein Buch geworden, welches eine voll- 
ständige Übersicht aller wichtigeren allgemeinen Sätze der 
Dynamik enthält und welches sogar als ein systematisches 
Lehrbuch dieser Wissenschaft gelten kann. Zu einer ersten 
Einführung ist dasselbe freilich aus verschiedenen Gründen 
nicht wohl geeignet; mit umsomehr Überzeugung aber bietet 
es sich Demjenigen als Führer an, welcher den Inhalt der 
Mechanik aus der gewöhnlichen Darstellung schon einiger- 
mafsen kennt. Einem Solchen hofft es einen Standpunkt 
zeigen zu können, von welchem aus die physikalische Bedeu- 
Vorwort des Verfassers, xxv 
tung, die innere Verwandtschaft und die Tragweite der mecha- 
nischen Prinzipien in durchsichtiger Klarheit vor Augen liegt; 
von welchem aus auch der Begriff der Eraffc wie die übrigen 
mechanischen Grundbegriffe des letzten Bestes von Dunkelheit 
entkleidet erscheinen. 
Die Aufgabe, welche sich die yorliegende Untersuchung 
stellt, ist in verdeckter Weise bereits behandelt und mit einer 
möglichen Lösung beantwortet durch von Helmholtz in seiner 
Arbeit über das Prinzip der kleinsten Wirkung und in der 
damit zusammenhängenden Arbeit über cyklische Systeme^). 
In der ersteren wird die These aufgestellt und yertreten, dafs 
die Mechanik auch dann noch die sämtlichen Vorgänge der 
Natur zu umfassen vermag, wenn man nicht nur die New- 
TOK'schen Grundlagen als allgemeingültig betrachtet, sondern 
auch die besonderen Voraussetzungen, welche neben jenen 
dem HAMiLTON'schen Prinzip zu Grunde liegen. In der zweit- 
genannten Arbeit wird zum ersten Male in allgemeiner Weise 
Sinn und Bedeutung der verborgenen Bewegungen behandelt. 
Von jenen Arbeiten ist meine eigene Untersuchung im Ganzen 
und in ihren Teilen wesentlich beeinflufst und abhängig; der 
Abschnitt über cyklische Systeme ist ihnen fast unmittelbar 
entnommen. Von der Form abgesehen, bestehen die Ab- 
weichungen meiner eigenen Lösung hauptsächlich in zwei 
Punkten: Einmal suche ich dasjenige von vornherein von den 
Elementen der Mechanik fem zu halten, was von Hjilmholtz 
durch nachträgliche Einschränkung aus der schon entwickelten 
Mechanik wieder entfernt. Zweitens entferne ich aus der 
Mechanik in gewissem Sinne weniger, indem ich mich nicht 
auf das HAMiLTON'sche Prinzip, noch auf ein anderes Integral- 
prinzip stütze. Die Gründe hierfür und die Polgen hiervon 
werden aus der Arbeit selbst erhellen. 
Ähnliche Gedankenreihen, wie in den von HELMHOLTz'schen 
Arbeiten sind angesponnen in der bedeutenden Abhandlung 
^) H. VON Helmholtz, Über die physikalische Bedeutung des Prin- 
zips der kleinsten Wirkung, Journal für die reine und angewandte Mathe- 
matik, 100, p. 137—166, 213—222, 1887; Prinzipien der Statik mono- 
cyklischer Systeme, ebenda, 97, p. 111—140, 317—336, 1884. 
x]^vi Vorwort des Verfassers, 
von J, J. Thomson über die physikalischen Anwendnngen der 
Dynamik ^). Ebenfalls entwickelt hier der Verfasser die Folgen 
einer Dynamik, welche neben den NEWTON'schen Gesetzen der 
Bewegung noch weitere, besondere, nicht ausdrücklich aus- 
gesprochene Voraussetzungen zur Grundlage hat. Auch an 
diese Abhandlung also hätte ich mich anlehnen können; that- 
sächlich war meine eigene Untersuchung schon ziemlich fort- 
geschritten, als ich jene genauer kennen lernte. Das gleiche 
darf ich von den in mathematischer Hinsicht verwandten, aber 
weit älteren Arbeiten von Beltbami*) und Lipschitz^) sagen; 
doch konnte ich noch reiche Anregung aus denselben schöpfen, 
ebenso aus der neueren Darstellung, welche Dabboux*) von 
jenen Arbeiten mit eigenen Zusätzen gegeben hat. Manche 
mathematische Abhandlungen, welche ich hätte berücksichtigen 
können und sollen, mögen mir entgangen sein. In allgemeiner 
Hinsicht verdanke ich sehr viel dem schönen Buche über die 
Entwickelung der Mechanik von Mach*). Es ist selbstver- 
ständlich, dafs ich die bekannteren Lehrbücher der allgemeinen 
Mechanik zu Bäte zog, nicht am wenigsten die umfassende 
Darstellung der Dynamik in dem Lehrbuche von Thomson 
und Tait^. Wertvoll war mir auch das Heft einer Vorlesung 
über analytische Dynamik von Bobchabdt, welches ich im 
Winter 1878/79 nachschrieb. Hiermit habe ich die von mir 
^) J. J. Thomson, on some Applications of Dynamical Principles 
to Physical Phenomena, Philosophical Transactions 176, II, p. 307 — 342, 
1885. 
^) Beltrami, Sulla teoria generale dei parametri differenziali; Me- 
morie delia Reale Accademia di Bologna, 25. Febbrajo 1869. 
') ß. LiPscHiTz, Untersuchung eines Problems der Variationsrech- 
nung, in welchem das Problem der Mechanik enthalten ist Journal für 
die reine und angewandte Mathematik, 74, p. 116 — 149, 1872. Bemer- 
kungen zu dem Plrinzip des kleinsten Zwanges. Ebenda, 82, p. 316 — 342, 
1877. 
*) G. Darboux, Le9ons sur la th^orie g^n^rale des surfaces, Livre V, 
Chapitres 6, 7, 8. Paris 1889. 
^) E. Mach, Die Mechanik in ihrer Entwickelung historisch-kritisch 
dargestellt Leipzig 1883. 
•) W. Thomson und P. G. Tait, Handbuch der theoretischen Phy- 
sik, deutsche Ausgabe von Helmholtz und We&theim, Braunschweig 1871. 
Vorwort des Verfassers, xxvn 
benutzten Quellen genannt; im Texte werde ich nur soviel 
citieren, als die Sache selbst es verlangt. Im einzelnen habe 
ich ja auch nichts vorzutragen, das neu wäre und nicht aus 
vielen Büchern genommen werden könnte. Was, wie ich hoffe, 
neu ist, und worauf ich einzig Wert lege, ist die Anordnung 
und Zusammenstellung des Ganzen, also die logische, oder, 
wenn man will, die philosophische Seite des Gegenstandes. 
Meine Arbeit hat ihr Ziel erreicht oder verfehlt, jenachdem 
in dieser Bichtung etwas gewonnen ist oder nicht. 
Inhalt 
Nammer Seite 
Vorbemerkung des Herausgebers V 
Vorwort von H. v. Helmboltz . Vn 
Vorwort des Verfassers XAill 
Inhalt XXVm 
Einleitung 1 
ErsteB Buch. Zur Geometrie und Kinematik 
der materiellen Systeme. 
Vorbemerkung 1 53 
Abschnitt 1. Zeit, Baum, Masse 2 5B 
Abschnitt 2. Lagen und Verrückungen der Punkte 
und Systeme 9 55 
Lage; Konfiguration und absolute Lage; End- 
liche Verrückungen a) der Punkte, b) der 
Systeme ; Zusammensetzung der Verrückungen. 
Abschnitt 3. Unendlich kleine Verrückungen und 
Bahnen der Systeme materieller Punkte . 53 69 
Unendlich kleine Verrückungen; Verrückungen 
in Bichtung der Koordinaten; Benutzung par- 
tieller Differentialquotienten; Bahnen der 
Systeme. 
Abschnitt 4. Mögliche und unmögliche Verrückun- 
gen. Materielle Systeme 109 88 
Zusammenhang; Analytische Darstellung des 
Zusammenhanges ; Bewegungsfreiheit ; Ver- 
rückungen senkrecht zu den möglichen Ver- 
rüekungen. 
Abschnitt 5. Von den ausgezeichneten Bahnen der 
materiellen Systeme 151 100 
1^ Geradeste Bahnen; 2. Kürzeste und geodä- 
tische Bahnen ; 3. Beziehungen zwischen gerade- 
sten und geodätischen Bahnen. 
Abschnitt 6. Von der geradesten Entfernung in ho- 
lonomen Systemen 197 119 
1. Flächen von Lagen; 2.Greradeste Entfernung. 
Abschnitt 7. Kinematische Begriffe 237 137 
1. Vektorgröfsen in Bezug auf ein System; 
2. Bewegung der Systeme, Geschwindigkeit, 
Moment, Beschleunigung, Energie, Benutzung 
partieller Differentialquotienten. 
Schlufsbemerkung zum ersten Buch 295 '153 
Inhalt. XXIX 
Zweites Bncli. Mechanik der materiellen Systeme. 
Numx&er Seite 
Vorbemerkung 296 157 
Abschnitt 1. Zeit, Raum, Masse 297 157 
Abschnitt 2. Das Grundgesetz 308 162 
Das Gresetz; Berechtigung desselben, Ein- 
schränkung desselben, Zerlegung desselben, 
Methode seiner Anwendung, Angenäherte An- 
wendung. 
Abschnitt 3. Bewegung der freien Systeme .... 331 170 
Allgemeine Eigenschaften der Bewegung: I.Be- 
stimmtheit der Bewegung, 2. Erhaltung der 
Energie, 3. Kleinste Beschleunigung, 4. Kürzeste 
Bahn, 5. Kürzeste Zeit, 6. Kleinstes Zeitintegral 
der Energie. Analytische Darstellung: Diffe- 
rentialgleichungen der Bewegung. Innerer 
Zwang der Systeme. Holonome Systeme. Dyna- 
mische Modelle. 
Abschnitt 4. Bewegung der unfreien Systeme . . . 429 199 
I. Geleitetes unfreies System. IT. Systeme 
durch Ejräffce beeinflufst: Einführung der Ejraft, 
Wirkung und Gegenwirkung, Zusammensetzung 
der Kräfte, Bewegung unter dem Einflufs von 
Earäften, Innerer Zwang, Energie imd Arbeit, 
Gleichgewicht und Statik, Maschinen xmd innere 
Kräfte, Messung der Kräfte. 
Abschnitt 5. Systeme mit verborgenen Massen . . 546 235 
I. Cyklische Bewegung: Cyklische Systeme, 
Kräfte und Kräftefunktion, Beciproke Eigen- 
tümlichkeiten, Energie und Arbeit, Zeitintegral 
der Energie. 11. Verborgene cyklische Be- 
wegung: Konservative Systeme, Differential- 
gleichungen der Bewegung, Integralsätze für 
holonome Systeme, Endliche Bewegungs- 
gleichungen für holonome Systeme; Nicht- 
konservative Systeme. 
Abschnitt 6. Von den Unstetigkeiten der Bewegung 668 286 
StoDskraft; oder Stofs; Zusammensetzung der 
Stösse; Bewegung unter dem Einflufs von 
Stössen; Innerer Zwang beim Stosse; Energie 
und Arbeit; Zusammenstofs zweier Systeme. 
Schlafsbemerkung zum zweiten Buch 734 306 
Nachweis der Definitionen und Bezeichnungen 309 
Berichtigung 312 
Einleitung. 
Es ist die nächste und in gewissem Sinne wichtigste Auf- 
gabe unserer bewufsten Naturerkenntnis, dafs sie uns befähige, 
zukünftige Erfahrungen vorauszusehen, um nach dieser Vor- 
aussicht unser gegenwärtiges Handeln einrichten zu können. 
Als Grundlage für die Lösung jener Aufgabe der Erkenntnis 
benutzen wir unter allen Umständen vorangegangene Erfah- 
rungen, gewonnen durch zufällige Beobachtungen oder durch 
absichtlichen Versuch. Das Verfahren aber, dessen wir uns 
zur Ableitung des Zukünftigen aus dem Vergangenen und 
damit zur Erlangung der erstrebten Voraussicht stets bedienen, 
ist dieses: Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole 
der äufseren Gegenstände, und zwar machen wir sie von 
solcher Art, dafs die denknotwendigen Folgen der Bilder stets 
wieder die Bilder seien von den naturnotwendigen Polgen der 
abgebildeten Gegenstände. Damit diese Forderung überhaupt 
erfüllbar sei, müssen gewisse Übereinstimmungen vorhanden 
sein zwischen der Natur und unserem Geiste. Die Erfahrung 
lehrt uns, dafs die Forderung erfüllbar ist und dafs also solche 
Übereinstimmungen in der That bestehen. Ist es uns einmal 
geglückt, aus der angesammelten bisherigen Erfahrung Bilder 
von der verlangten Beschaffenheit abzuleiten, so können wir 
Hertz, Mechanik. 1 
2 Eirdeitang. 
an ihnen, wie an Modellen, in kurzer Zeit die Folgen ent- 
wickeln, welche in der äofseren Welt erst in längerer Zeit 
oder als Folgen unseres eigenen Eingreifens auftreten werden; 
wir vermögen so den Thatsachen vorauszueilen und können 
nach der gewonnenen Einsicht unsere gegenwärtigen Entschlüsse 
richten. — Die Bilder, von welchen wir reden, sind unsere 
Vorstellungen von den Dingen; sie haben mit den Dingen die 
eine wesentliche XJbereinstimmung, welche in der Erfüllung 
der genannten Forderung liegt, aber es ist flir ihren Zweck 
nicht nötig, dafs sie irgend eine weitere XJbereinstimmung mit 
den Dingen haben. In der That wissen wir auch nicht, und 
haben auch kein Mittel zu erfahren, ob unsere Vorstellungen 
von den Dingen mit jenen in irgend etwas anderem überein- 
stimmen, als allein in eben jener einen fundamentalen Be- 
ziehung. 
Eindeutig sind die Bilder, welche wir uns von den Dingen 
machen wollen, noch nicht bestimmt durch die Forderung, 
dafs die Folgen der Bilder wieder die Bilder der Folgen 
seien. Verschiedene Bilder derselben Gegenstände sind mög- 
lich und diese Bilder können sich nach verschiedenen Bich- 
tungen unterscheiden. Als unzulässig sollten wir von vorn- 
herein solche Bilder bezeichnen, welche schon einen Wider- 
spruch gegen die Gesetze unseres Denkens in sich tragen und 
wir fordern also zunächst, dafs alle unsere Bilder logisch zu- 
lässige oder kurz zulässige seien. Unrichtig nennen wir zu- 
lässige Bilder dann, wenn ihre wesentlichen Beziehungen den 
Beziehungen der äufseren Dinge widersprechen, das heifst 
wenn sie jener ersten Grundforderung nicht genügen. Wir 
verlangen demnach zweitens, dafs unsere Bilder richtig seien. 
Aber zwei zulässige und richtige Bilder derselben äufseren 
Gegenstände können sich noch unterscheiden nach der Zweck- 
mäfsigkeit. Von zwei Bildern desselben Gegenstandes wird 
dasjenige das zweckmäfsigere sein, welches mehr wesentliche 
Beziehungen des Gegenstandes wiederspiegelt als das andere; 
welches, wie wir sagen wollen, das deutlichere ist. Bei gleicher 
Deutlichkeit wird von zwei Bildern dasjenige zweckmäfsiger 
sein, welches neben den wesentlichen Zügen die geringere Zahl 
überflüssiger oder leerer Beziehungen enthält, welches also 
Einleitung, 3 
das einfachere ist. Ganz werden sich leere Beziehungen nicht 
vermeiden lassen, denn sie kommen den Bildern schon deshalb 
zu, weil es eben nur Bilder und zwar Bilder unseres beson- 
deren Geistes sind und also von den Eigenschaften seiner 
Abbildungsweise mitbestimmt sein müssen. 
Wir haben bisher die Anforderungen aufgezählt, welche 
wir an die Bilder selbst stellen; etwas ganz anderes sind die 
Anforderungen, welche wir an eine wissenschaftliche Darlegung 
solcher Bilder stellen. Wir verlangen von der letzteren, dafs 
sie uns klar zum Bewufstsein ftlhre, welche Eigenschaften den 
Bildern zugelegt seien um der Zulässigkeit willen, welche um 
der Eichtigkeit willen, welche um der Zweckmäfsigkeit willen. 
Nur so gewinnen wir die Möglichkeit an unsern Bildern zu 
ändern, zu bessern. Was den Bildern beigelegt wurde um 
der Zweckmäfsigkeit willen, ist enthalten in den Bezeichnungen, 
Definitionen, Abkürzungen, kurzum in dem, was wir nach 
Willkür hinzuthun oder wegnehmen können. Was den Bildern 
zukommt um ihrer Richtigkeit willen, ist enthalten in den Er- 
fahrungsthatsachen, welche beim Aufbau der Bilder gedient 
haben. Was den Bildern zukommt, damit sie zulässig seien, 
ist gegeben durch die Eigenschaften unseres Geistes. Ob ein 
Bild zulässig ist oder nicht, können wir eindeutig mit ja und 
nein entscheiden und zwar mit Gültigkeit unserer Entscheidung 
für alle Zeiten. Ob ein Bild richtig ist oder nicht, kann eben- 
falls eindeutig mit ja und nein entschieden werden, aber 
nur nach dem Stande unserer gegenwärtigen Erfahrung und 
unter Zulassung der Berufung an spätere reifere Erfahrung. 
Ob ein Bild zweckmäfsig sei oder nicht, dafür giebt es 
überhaupt keine eindeutige Entscheidung, sondern es können 
Meinungsverschiedenheiten bestehen. Das eine Bild kann 
nach der einen, das andere nach der andern Richtung Vor- 
teile bieten, und nur durch allmähliches Prüfen vieler Bilder 
werden im Laufe der Zeit schliefslieh die zweckmäfsigsten 
gewonnen. 
Dies sind die Gesichtspunkte, nach welchen man, wie mir 
scheint, den Wert physikalischer Theorieen und den Wert der 
Darstellung physikalischer Theorieen zu beurteilen hat. Jeden- 
4 Einleitung. 
falls sind es die GesichtspuDkte, von welchen aus wir jetzt 
die Darstellungen betrachten wollen, welche man von den Prin- 
zipien der Mechanik gegeben hat. Dabei ist es freilich zu- 
nächst nötig, bestimmt zu erklären, was wir mit diesem Namen 
bezeichnen. 
In strengem Sinne verstand man ursprünglich in der 
Mechanik unter einem Prinzip jede Aussage, welche man nicht 
wieder auf andere Sätze der Mechanik selbst zurückführte, 
sondern welche man als unmittelbares Ergebnis anderer 
Quellen der Erkenntnis angesehen wissen wollte. Es konnte 
infolge der geschichtlichen Entwickelung nicht ausbleiben, dafs 
Sätze, welche unter besonderen Voraussetzungen einmal mit 
Recht als Prinzipien bezeichnet wurden, später diesen Namen, 
wiewohl mit Unrecht, beibehielten. Seit Lageange ist die Be- 
merkung häufig wiederholt worden, dafs die Prinzipien des 
Schwerpunktes und der Flächen im Grunde nur Lehrsätze 
allgemeinen Inhalts seien. Man kann aber mit gleichem Rechte 
bemerken, dafs auch die übrigen sogenannten Prinzipien nicht 
unabhängig von einander diesen Namen führen können, sondern 
dafs jedes von ihnen auf den Rang einer Folgerung oder eines 
Lehrsatzes herabsteigen mufs, so bald die Darstellung der 
Mechanik auf eines oder mehrere der übrigen gegründet wird. 
'Der Begriff des mechanischen Prinzipes ist demnach kein 
scharf festgehaltener. Wir wollen deshalb zwar jenen Sätzen 
in Einzelaussagen ihre herkömmliche Benennung belassen; 
wenn wir aber schlechthin und allgemein von den Prinzipien 
der Mechanik reden, so wollen wir darunter nicht jene einzelnen 
konkreten Sätze verstanden wissen, sondern jede übrigens be- 
liebige Auswahl unter ihnen und unter ähnlichen Sätzen, welche 
der Bedingung genügt, dafs sich aus ihr ohne weitere Be- 
rufung auf die Erfahrung die gesamte Mechanik rein deduktiv 
entwickeln läfst. Bei dieser Bezeichnungsweise stellen die 
Grundbegriffe der Mechanik zusammen mit den sie verkettenden 
Prinzipien das einfachste Bild dar, welches die Physik von den 
Dingen der sinnlichen Welt und den Vorgängen in ihr her- 
zustellen vermag. Und da wir von den Prinzipien der Mechanik 
durch verschiedene Auswahl der Sätze, welche wir zu Grunde 
legen, verschiedene Darstellungen geben können, so erhalten 
Einleitung, 5 
wir verschiedene solche Bilder der Dinge, welche Bilder wir 
prüfen und mit einander vergleichen können in Bezug auf ihre 
Zulässigkeit, ihre Bichtigkeit und ihre Zweckmäfsigkeit. 
1. 
Ein erstes Bild liefert uns die gewöhnliche Darstellung 
der Mechanik. Wir verstehen hierunter die in den Einzel- 
heiten abweichende, in der Hauptsache übereinstimmende Dar- 
stellung fast aller Lehrbücher, welche das Ganze der Mechanik 
behandeln, fast aller Vorlesungen, welche sich über den ge- 
samten Inhalt dieser Wissenschaft verbreiten. Diese Dar- 
stellung bildet den königlichen Weg und die grofse Heerstrafse, 
auf welcher die Schar der Schüler in das Innere der Mechanik 
eingeführt wird; sie folgt genau dem Gang der historischen 
Entwickelung und der Reihenfolge der Entdeckungen; ihre Haupt- 
stationen sind gekennzeichnet durch die Namen eines Abchi- 
MEDES, Galilei, Newton, Lageange. Als gegebene Vorstellungen 
legt diese Darstellung zu Grunde die Begriffe des Raumes, 
der Zeit, der Kraft und der Masse. Die Kraft ist dabei ein- 
geführt als die vor der Bewegung und unabhängig von der 
Bewegung bestehende Ursache der Bewegung. Zuerst treten 
auf nur Raum und Kraft für sich, und ihre Beziehungen werden 
in der Statik behandelt. Die reine Bewegungslehre oder 
Kinematik begnügt sich, die beiden Begriffe Raum und Zeit in 
Verbindung zu setzen. Die GALiLEi'sche Vorstellung von der 
Trägheit liefert einen Zusammenhang zwischen Raum, Zeit und 
Masse allein. In den NEWTON^schen Gesetzen der Bewegung 
treten zuerst alle vier Grundbegriffe neben einander in Ver- 
knüpfung auf. Diese Gesetze bilden die eigentliche Wurzel 
der weiteren Entwickelung, aber sie geben noch keinen all- 
gemeinen Ausdruck für den Einflufs starrer räumlicher Ver- 
bindungen; hier erweitert das D'ALEMBEBT'sche Prinzip das 
6 Einleitung. 
allgemeüie Ergebnis der Statik auf den Fall der Bewegung 
und schliefst als letztes den Beigen der nicht aas einander 
ableitbaren, unabhängigen Grandaussagen. Alles weitere da- 
gegen ist deduktive Ableitung. In der That sind die auf- 
gezählten Begriffe und Gesetze nicht nur notwendig, sondern 
auch hinreichend, um den gesamten Inhalt der Mechanik aus 
ihnen mit Denknotwendigkeit zu entwickeln und alle übrigen 
sogenannten Prinzipien als Lehrsätze und Folgerungen aus 
besonderen Voraussetzungen erscheinen zu lassen. Jene auf- 
gezählten Begriffe und Gesetze geben uns also ein erstes 
System der Prinzipien der Mechanik in unserer Ausdrucks- 
weise; damit zugleich also auch das erste allgemeine Bild von 
den natürlichen Bewegungen der Eörperwelt. 
Es erscheint nun von Tomherein sehr femliegend, da& 
man an der logischen Zulässigkeit dieses Bildes auch nur 
zweifeln könne. Es erscheint fsist unmöglich, dafs man daran 
denke, logische Unvollkommenheiten aufzufinden in einem 
Systeme, welches Ton unzähligen und von den besten Köpfen 
immer imd immer wieder durchdacht worden ist. Aber ehe 
ma^ hierauf hin die Untersuchung abbricht, wird man fragen 
müssen, ob auch alle und ob die besten Köpfe immer von 
dem Systeme befriedigt gewesen sind. In jedem Falle mufs es 
billig gleich im Anfang Wunder nehmen, wie leicht es ist, 
Betrachtungen an die Grundgesetze anzuknüpfen, welche sich 
ganz in der üblichen Bedeweise der Mechanik bewegen und 
welche doch das klare Denken unzweifelhaft in Verlegenheit 
setzen. Versuchen wir dies zunächst an einem Beispiele zu 
zeigen. Wir schwingen einen Stein an einer Schnur im Kreise 
herum; wir übän dabei bewufstermafsen eine Kraft auf den Stein 
aus; diese Kraft lenkt den Stein beständig Ton der geraden 
Bahn ab, und wenn wir diese Kraft, die Mafse des Steines 
und die Länge der Schnur verändern, so finden wir, dals die 
Bewegung des Steines in der That stets in Übereinstimmung 
mit dem zweiten NEWTON'schen Gesetze erfolgt. Nun aber ver- 
langt das dritte Gesetz eine Gegenkraft zu der Kraft, welche 
von unserer Hand auf den Stein ausgeübt wird. Auf die 
Frage nach dieser Gegenkraft lautet die jedem geläufige Ant- 
wort: es wirke der Stein auf die Hand zurück infolge der 
Einleitung, 7 
Schwungkraft, und diese Schwungkraft sei der von uns aus- 
geübten Eraft in der That genau entgegengesetzt gleich. Ist 
nun diese Ausdrucksweise zulässig? Ist das was wir jetzt 
Schwungkraft oder Centrifagalkraft nennen, etwas anderes als 
die Trägheit des Steines? Dürfen wir, ohne die Klarheit 
unserer Vorstellungen zu zerstören, die Wirkung der Trägheit 
doppelt in Bechnung stellen, nämlich einmal als Mafse, zweitens 
als Eraft? In unseren Bewegungsgesetzen war die Eraft die 
vor der Bewegung vorhandene Ursache der Bewegung. Dürfen 
wir, ohne unsere Begriffe zu verwirren, jetzt auf einmal von 
Ejräften reden, welche erst durch die Bewegung entstehen, 
welche eine Folge der Bewegung sind? Dürfen wir uns den 
Anschein geben, als hätten wir über diese neue Art von 
Ejräften in unseren Gesetzen schon etwas ausgesagt, als könnten 
wir ihnen mit dem Namen „Erafb^^ auch die Eigenschaften 
der Eräfte verleihen? Alle diese Fragen sind offenbar zu 
verneinen, es bleibt uns nichts übrig als zu erläutern: die Be- 
zeichnung der Schwungkraft als einer Eraft sei eine uneigent- 
liche, ihr Name sei wie der Name der lebendigen Eraft als 
eine historische Überlieferung hinzunehmen und die Bei- 
behaltung dieses Namens sei aus Nützlichkeitsgründen mehr 
zu entschuldigen als zu rechtfertigen. Aber wo bleiben als- 
dann die Ansprüche des dritten Gesetzes, welches eine Eraft 
fordert, die der tote Stein auf die Hand ausübt und welches 
durch eine wirkliche Eraft, nicht durch einen blofsen Namen 
befriedigt sein wül? 
Ich glaube nicht, dafs diese Schwierigkeiten künstlich 
oder mutwillig heraufbeschworen sind; sie drängen sich uns 
von selbst auf. Sollte sich nicht ihr Ursprung bis in die 
Grundgesetze zurückverfolgen lassen? Die Ej'aft, von welcher 
die Definition und die ersten beiden Gesetze reden, wirkt auf 
einen Eörper in einseitig bestimmter Richtung. Der Sinn des 
dritten Gesetzes ist, dafs die Eräfte stets zwei Eörper verbinden 
und ebenso gut vom ersten zum zweiten, wie vom zweiten zum 
ersten gerichtet sind. Die Vorstellung der Eraft, welche dieses 
Gesetz und die Vorstellung, welche jene Gesetze voraussetzen 
und in uns erwecken, scheinen mir um ein Geringes ver- 
schieden, dieser geringe Unterschied aber reicht vielleicht aus, 
8 
um die logische Trabung za erzeugen, deren Folgen in unserem 
Beispiele znm Ansbrnch kamen. Doch haben wir nicht nötig, 
auf die Untersuchung weiterer Beispiele einzugehen. Wir 
können allgemeine Wahrnehmungen als Zeugen für die Be- 
rechtigung unserer Zweifel aufrufen. Eäne erste solche Wahr- 
nehmung scheint mir die Er&hrung zu bilden, daCs es sehr 
schwer ist, gerade die Einleitung in die Mechanik denkenden 
Zuhörern vorzutragen ohne einige Verlegenheit, ohne das Gre- 
fEkhl, sich hier und da entschuldigen zu müssen, ohne den 
Wunsch, recht schnell über die Anfange hinwegzugelangen zu 
Beispielen, welche für sich selbst reden. Ich meine, Newton 
selbst müsse diese Verlegenheit empfunden haben, wenn er die 
Masse etwas gewaltthatig definiert als Produkt aus Volumen 
und Dichtigkeit. Ich meine, die Herren Thomson und Tatt 
müssen ihm nachempfanden haben, wenn sie anmerken, dies 
sei eigentlich mehr eine Definition der Dichtigkeit als der 
Masse, und sich gleichwohl mit derselben als einzigen Defini- 
tion der Masse begnügen. Auch LAOBANaE, denke ich, müsse 
jene Verlegenheit und den Wunsch, um jeden Preis vorwärts- 
zukommen, verspürt haben, als er seine Mechanik kurzer- 
hand mit der Erklärung einleitete, eiae Kraft sei eine Ur- 
sache, welche einem Körper eine Bewegung erteüt „oder zu 
erteilen strebt"; gewifs nicht ohne die logische Härte einer 
solchen Überbestimmung zu empfinden. Ein zweites Zeugnis 
nehme ich aus der Thatsache, dass wir schon für die elemen- 
taren Sätze der Statik, für den Satz vom Parallelogramm der 
Kräfte, den Satz der virtuellen Geschwindigkeiten, u. s. w. zahl- 
reiche Beweise besitzen, welche von ausgezeichneten Mathe- 
matikern herrühren, welche den Anspruch machen, streng zu 
sein und welche doch wieder nach dem Urteil anderer hervor- 
ragender Mathematiker diesem Anspruch keineswegs genügen. 
In einer logisch vollendeten Wissenschaft, in der reinen 
Mathematik, ist eine Meinungsverschiedenheit in solcher Frage 
schlechterdings undenkbar. Als ein sehr belastendes Zeugnis 
aber erscheinen mir auch die über Gebühr oft gehörten Be- 
hauptungen: das Wesen der Kraft sei noch rätselhaft, es sei 
eine Hauptaufgabe der Physik, das Wesen der Kraft zu er- 
forschen, und ähnliche Aussagen mehr. In gleichem Sinne 
bestürmt man den Elektriker immer wieder nach dem Wesen 
Einleitung. 9 
der Elektricität. Warum fragt nun niemand in diesem Sinne 
nach dem Wesen des Goldes oder nach dem Wesen der Ge- 
schwindigkeit? Ist uns das Wesen des Goldes bekannter als 
das der Elektricität, oder das Wesen der Geschwindigkeit be- 
kannter als das der Kraft? Können wir das Wesen irgend 
eines Dinges durch unsere Vorstellungen, durch unsere Worte 
erschöpfend wiedergeben? Gewifs nicht. Ich meine, der Unter- 
schied sei dieser: Mit den Zeichen „Geschwindigkeit" und 
„Gold" verbinden wir eine grofse Zahl von Beziehungen zu 
anderen Zeichen, und zwischen allen diesen Beziehungen finden 
sich keine uns verletzenden Widersprüche. Das genügt ims 
und wir fragen nicht weiter. Auf die Zeichen „Kraft" und 
„Elektricität" aber hat man mehr Beziehungen gehäuft, als 
sich völlig mit einander vertragen; dies fahlen wir dunkel, ver- 
langen nach Aufklärung und äufsem unsem unklaren Wunsch 
in der unklaren Frage nach dem Wesen von Kraft und Elek- 
tricität. Aber offenbar irrt die Frage in Bezug auf die Ant- 
wort, welche sie erwartet. Nicht durch die Erkenntnis von 
neuen und mehreren Beziehungen und Verknüpfungen kann 
sie befriedigt werden, sondern durch die Entfernung der Wider- 
sprüche unter den vorhandenen, vielleicht also durch Ver- 
minderung der vorhandenen Beziehungen. Sind diese schmer- 
zenden Widersprüche entfernt, so ist zwar nicht die Frage 
nach dem Wesen beantwortet, aber der nicht mehr gequälte 
Geist hört auf, die fiir ihn unberechtigte Frage zu stellen. 
Wir haben in diesen Ausfuhrungen die Zulässigkeit des 
betrachteten Bildes so stark verdächtigt, dais es scheinen mufis, 
als sei es unsere Absicht, diese Zulässigkeit zu bestreiten und 
schliefslich zu verneinen. Soweit geht indes unsere Absicht 
und unsere Überzeugung nicht Mögen die logischen Unbe- 
stimmtheiten, welche uns um die Sicherheit der Grundlagen 
besorgt machten, auch wirklich bestehen, sie haben sicherlich 
keinen einzigen der zahllosen Erfolge verhindert, welche die 
Mechanik in ihrer Anwendung auf die Thatsachen errungen 
hat. Sie können also auch nicht bestehen in Widersprüchen 
zwischen den wesentlichen Zügen unseres Bildes, also nicht 
in Widersprüchen zwischen denjenigen Beziehungen der 
Mechanik, welche Beziehungen der Dinge entsprechen« Sie 
10 Einleitung. 
müssen sich yielmehr beschränken auf die unwesentlichen Züge, 
auf alles dasjenige, was wir selbst nach Willkür dem von der 
Natur gegebenen wesentlichen Inhalte hinzugedichtet haben. 
Dann aber lassen sich jene Verlegenheiten auch vermeiden. 
Vielleicht treflfen unsere Einwände überhaupt nicht den Inhalt 
des entworfenen Bildes, sondern nur die Form der Darstellung 
dieses Inhalts. Wir sind gewiss nicht zu streng, wenn wir 
meinen, diese Darstellung sei noch niemals zur wissenschaft- 
lichen Vollendung durchgedrungen, es fehle ihr noch durchaus 
die hinreichend scharfe Unterscheidung dessen, was in dem 
entworfenen Bilde aus Denknotwendigkeit, was aus der Er- 
fahrung, was aus unserer Willkür stammt In diesem 
Urteile treffen wir zusammen mit hervorragenden Physikern, 
welche sich mit diesen Fragen beschäftigt und über dieselben 
geäufsert haben, ^) freilich ohne dafs von einer Übereinstimmung 
aDer gesprochen werden könnte.^ Jenes Urteil findet femer 
eine Bestätigung in der wachsenden Sorgfalt, welche in den 
neueren Lehrbüchern der Mechanik der logischen Zergliederung 
der Elemente gewidmet wird.^ In Übereinstimmung mit den 
Verfassern dieser Lehrbücher und mit jenen Physikern sind 
wir selbst der Überzeugung, dafs die vorhandenen Lücken nur 
Lücken der Form sind, und durch geeignete Anordnung der 
Definitionen, Bezeichnungen und weiter durch vorsichtige Aus- 
drucksweise jede Unklarheit und Unsicherheit vermieden werden 
kann. In diesem Sinne geben wir, wie Jedermann, die Zu- 
lässigkeit des Inhalts der Mechanik zu. Es erfordert aber die 
Würde und Grösse des Gegenstandes durchaus, dafs die logische 
Eeinheit nicht nur mit gutem Willen zugegeben, sondern dafs 
sie durch eine vollendete Darstellung auch so erwiesen werde, 
dafs es nicht möglich sei, sie auch nur zu verdächtigen. 
1) Siehe E. Mach, Die Mechanik in ihrer Entwickelang. Leipzig 
1883, S. 228. Siehe femer in der „Nature" von 1893 eine neuerdings 
von Herrn 0. Lodge angeregte und im Schofse der Physical Society in 
London fortgeführte Diskussion über die Grundgesetze der Mechanik. 
2) Siehe Thomson & Tait, Theoretische Physik, § 205 flF. 
3) Siehe E. Büdde, Allgemeine Mechanik der Punkte und starren 
Systeme, Berlin 1890, S. 111 — 138. Die daselhst gegebene Darstellung giebt 
zugleich ein deutliches Bild von der Gröfse der Schwierigkeiten, welchen 
die widerspruchsfreie Anwendung der Elemente begegnet 
Einleitung. 1 1 
Leichter und der allgemeinen Zustimmung sicherer können 
wir das Urteil fällen über die Richtigkeit des von uns betrach- 
teten Bildes. Niemand wird widersprechen, wenn wir yer- 
sichem, dafs diese Richtigkeit nach dem ganzen Umfange 
unserer bisherigen Erfahrung eine vollkommene sei, dafs alle 
dieienigen Züge unseres Bildes, welche überhaupt den Anspruch 
machen, beobachtbare Beziehungen der Dinge wiederzugeben, 
solchen Beziehungen auch wirklich und richtig entsprechen. 
Wir beschränken allerdings unsere Zuversicht auf den Inhalt 
der bisherigen Erfahrung; was zukünftige Erfahrungen anlangt, 
so werden wir noch Gelegenheit haben, auf die Frage nach 
der Richtigkeit zurückzukommen. Manchem wird freilich diese 
Vorsicht nicht nur übertrieben, sondern geradezu sinnwidrig 
dünken; in der Meinung vieler Physiker erscheint es als einfach 
undenkbar, dafs auch die späteste Erfahrung an den fest- 
stehenden Grundsätzen der Mechanik noch etwas zu ändern 
finden könne. Und doch kann das was aus Erfahrung stammt, 
durch Erfahrung wieder vernichtet werden; jene allzugünstige 
Meinung von den Grundgesetzen kann also offenbar nur des- 
halb entstehen, weil in ihnen die Elemente der Erfahrung 
einigermafsen versteckt und mit den unabänderlichen denk- 
notwendigen Elementen verschmolzen sind. Die logische Un- 
bestimmtheit der Darstellung, welche wir vorher schlechtweg 
rügten, bietet also auch einen gewissen Vorteil; sie giebt den 
Fundamenten den Schein der Unabänderlichkeit; es war viel- 
leicht in den Anfängen der Wissenschaft weise, sie einzuführen 
und eine Zeitlang bestehen zu lassen. Man stellte die Richtig- 
keit des Bildes auf alle Fälle sicher dadurch, dafs man sich vor- 
behielt im Notfalle aus einer Erfahrungsthatsache eine Definition 
zu machen oder umgekehrt. In einer vollendeten Wissenschaft 
aber ist solches Tasten, ein solcher Schein der Sicherheit nicht 
erlaubt; in der gereiften Erkenntnis ist die logische Reinheit 
in erster Linie zu berücksichtigen; nur logisch reine Büder 
sind zu prüfen auf ihre Richtigkeit, nur richtige Bilder zu ver- 
gleichen nach ihrer Zweckmäfsigkeit. Das dringende Bedürfais 
verfährt oft umgekehrt: Die Bilder werden erfunden passend 
für einen beabsichtigten Zweck, dann geprüft auf ihre Richtig- 
keit, endlich und zuletzt gesäubert von inneren Wider- 
sprüchen. 
12 Einleitung. 
Ist diese letzte Bemerkung nur einigermafsen zutreffend, 
so erscheint es uns nur natürlich, dafs das betrachtete System 
der Mechanik höchste Zweckmäfsigkeit aufweist, sobald es 
angewandt wird auf die einfachen Erscheinungen, für welche 
es zuerst erdacht wurde, also vor allem auf die Wirkung der 
Schwerkraft und die Aufgaben der praktischen Mechanik. Wir 
dürfen uns aber hierbei nicht beruhigen, wir haben uns zu 
erinnern, dafs wir hier nicht die Bedürfnisse des täglichen 
Lebens und nicht den Standpunkt vergangener Zeiten vertreten 
wollen, dafs wir vielmehr den gesamten Umfang der heutigen 
physikalischen Erkenntnis ins Auge fassen und dafs wir über- 
dies von der Zweckmäfsigkeit in einem besonderen Sinne reden, 
welchen wir im Eingange genau bestimmt haben. Damach 
haben wir die Pflicht, zunächst zu fragen: Ist das entworfene 
Bild vollkommen deutlich? Enthält es alle Züge, welche die 
heutige Erkenntnis an den natürlichen Bewegungen zu unter- 
scheiden vermag? Diese Frage beantworten wir nun ent- 
schieden mit nein. Nicht alle Bewegungen, welche die Grund- 
gesetze zulassen und welche die Mechanik als mathematische 
Übungsaufgaben behandelt, kommen in der Natur vor; wir 
können von den natürlichen Bewegungen, Kräften, festen Ver- 
bindungen mehr aussagen, als es die angenommenen Grund- 
gesetze thun. Seit der Mitte dieses Jahrhunderts sind wir 
fest überzeugt, dafs keine Kräfte in der Natur wirklich vor- 
kommen, welche eine Verletzung des Prinzips von der Erhal- 
tung der Energie bedingen würden. Weit älter ist die Über- 
zeugung, dafs nur solche Kräfte vorkommen, welche sich 
darstellen lassen als Summe von Wechselwirkungen zwischen 
unendlich kleinen Elementen der Materie. Auch diese Ele- 
mentarkräfte sind nicht frei. Als allgemein zugegebene Eigen- 
schaften derselben können wir anführen, dass sie unabhängig 
sind vom absoluten Werte der Zeit und vom absoluten Orte im 
Räume. Andere Eigenschaften sind umstritten. Man hat bald 
vermutet, bald in Frage gestellt, ob die Elementarkräfte nur 
bestehen können in Anziehungen und Abstofsungen nach der 
Verbindungslinie der wirkenden Massen; ob ihre Gröfse nur 
bedingt sei durch die Entfernung oder ob sie nicht auch ab- 
hängen könne von der absoluten oder der relativen Geschwin- 
digkeit und nur von dieser, oder ob nicht auch die Be- 
Einleitung. 1 3 
schleunigung oder noch höhere Differentialquotienten des Wegs 
nach der Zeit in Betracht kommen könnten. So wenig man 
sich also einig ist über alle bestimmten Eigenschaften, welche 
den Elementarkräften beizulegen sind, so sehr stimmt man 
doch überein in der Meinung, dafs sich mehr solche allge- 
meine Eigenschaften angeben und aus der schon vorhandenen 
Beobachtung ableiten lassen, als die Grundgesetze enthalten. 
Man ist überzeugt, dafs die Elementarkräfte, unbestimmt ge- 
sprochen, einfacher Natur sein müssen. Was in dieser Hin- 
sicht von den Kräften gilt, kann man in gleicher Weise von 
den festen Verbindungen der Körper sagen, welche mathe- 
matisch durch Bedingungsgleichungen zwischen den Koordinaten 
dargestellt werden und deren Einflufs durch das d'Alembeet- 
sche Prinzip bestimmt ist. Mathematisch kann man jede be- 
liebige endliche oder Differentialgleichung zwischen den Ko- 
ordinaten hinschreiben und verlangen, dafs sie befriedigt werde; 
aber nicht immer läfst sich eine physikalische, eine natürliche 
Verbindung angeben, welche die Wirkung jener Gleichung hat; 
oft liegt die Vermutung, bisweilen die Überzeugung vor, dafs 
eine solche Verbindung durch die Natur der Dinge ausge- 
schlossen sei. In welcher Weise aber sind die zulässigen Be- 
dingungsgleichungen einzuschränken? Wo ist die Grenzlinie 
zwischen ihnen und den vorstellbaren? Man hat sich häufig 
begnügt, nur endliche Bediugungsgleichungen in Betracht zu 
ziehen. Diese Einschränkung aber geht zu weit, denn nicht 
integrierbare Differentialgleichungen können als Bedingungs- 
gleichungen bei natürlichen Problemen wirklich auftreten. 
Kurzum, sowohl was die Kräfte, als was die festen Ver- 
bindungen anlangt, enthält unser System der Prinzipien zwar 
alle die natürlichen Bewegungen, aber es umfängt gleichzeitig 
sehr viele Bewegungen, welche nicht natürliche sind. Ein 
System, welches diese letzteren oder doch einen Teil derselben 
ausschlösse, würde mehr wirkliche Beziehungen der Dinge zu 
einander wiederspiegeln und also in diesem Sinne zweckmäfsiger 
sein. Doch haben wir die Pflicht, auch noch in einer zweiten 
Richtung nach der Zweckmäfsigkeit unseres Bildes zu fragen. 
Ist unser Bild auch einfach? Ist es sparsam an unwesent- 
lichen Zügen, an Zügen also, welche von uns zwar zulässiger 
14 Einleitung» 
aber doch willkürlicher Weise den wesentlichen Zä^en der 
Natnr hinzogefugt werden? unsere Bedenken bei Beantwortong 
dieser Frage knüpfen sich wiedenun an den Begriff der Kraft. 
Es kann nicht geleognet werden , dafs in sehr vielen Fällen 
die Kräfte, welche unsere Mechanik znr Behandlung physika- 
lischer Fragen einfahrt, nur als leergehende Nebenräder mit- 
laufen, um überall da aufser Wirksamkeit zu treten, wo es 
gilt, wirkliche Thatsachen darzustellen. In den einfachen Ver- 
hältnissen, an welche die Mechanik ursprüngUch anknüpfte, 
ist das freilich nicht der Fall. Die Schwere eines Steines, 
die Kraft des Armes scheinen ebenso wirklich, ebenso der 
unmittelbaren Wahrnehmung zugänglich, wie die durch sie er- 
zeugten Bewegungen. Aber wir brauchen nur etwa zur Bewegung 
der Gestirne überzugehen, um schon andere Verhältnisse zu 
haben. Hier sind die Kräfte niemals Gegenstand der unmittel- 
baren Erfahrung gewesen; alle unsere früheren Erfahrungen 
beziehen sich nur auf den scheinbaren Ort der Gestirne. Wir 
erwarten auch in Zukunft nicht die Kräfte wahrzunehmen, 
sondern die zukünftigen Erfahrungen, welche wir erwarten, 
betreffen wiederum nur die Lage der leuchtenden Punkte am 
Himmel, als welche uns die Gestirne erscheinen. Nur bei der 
Ableitung der zukünftigen Erfahrungen aus den vergangenen 
treten als Hülfsgröfsen vorübergehend die Gravitationskräfte 
ein, um wieder aus der Überlegung zu verschwinden. Ganz 
allgemein liegt die Sache so bei der Betrachtung der mole- 
kularen Kräfte, der chemischen, vieler elektrischen und magne- 
tischen Wirkungen. Und wenn wir nun nach reiferer Erfahrung 
zurückkehren zu den einfachen Kräften, über deren Bestehen 
wir keinen Zweifel hatten, so werden wir belehrt, dafs diese 
mit überzeugender Gewifsheit von uns wahrgenommenen Kräfte 
jedenfalls nicht wirkliche waren. Der Trieb jedes Körpers 
gegen die Erde hin, welchen wir mit Händen zu greifen 
glaubten, dieser Trieb, so sagt uns die reifere Mechanik, ist 
als solcher nicht wirklich, er ist das als Einzelkraft nur vor- 
gestellte Ergebnis einer unfafsbaren Anzahl wirklicher Kräfte, 
welche die Atome des Körpers gegen alle Atome des Weltalls 
hinziehen. Auch hier sind dann also die wirklichen Kräfte 
niemals Gegenstand der früheren Erfahrung gewesen, noch 
erwarten wir sie in zukünftigen Erfahrungen anzutreffen. Nur 
Einleitung. 15 
während des Prozesses, mit welchem wir die zukünftigen Er- 
fahrungen aus den yergangenen ableiten, treten sie leise ein 
und wieder aus. Doch selbst wenn die Kräfte nur von uns 
in die Natur hineingetragen wären, dürften wir darum ihre 
Einführung noch nicht als unzweckmäfsig bezeichnen. Wir 
waren uns von vornherein klar darüber, dafs sich unwesent- 
liche Nebenbeziehungen in unsem Bildern nicht ganz würden 
vermeiden lassen. Nur möglichste Einschränkung dieser Be- 
ziehungen, nur weise Besonnenheit in ihrem Gebrauch 
durften wir verlangen. Kann man aber behaupten, dafs die 
Physik in dieser Eichtung immer mit Sparsamkeit zu Wege 
gehen konnte? Mufste sie nicht vielmehr die Welt bis zum 
Übermafs erfüllen mit den verschiedensten Arten von Kräften, 
mit Ejäften, welche selbst niemals in die Erscheinung treten, 
sogar mit solchen, welche nur ganz ausnahmsweise überhaupt 
eine Wirkung haben? Wir sehen etwa ein Stük Eisen auf 
dem Tische ruhen, wir vermuten demnach, dafs keine Bewegungs- 
ursachen, keine Kräfte daseien. Die Physik, welche auf unserer 
Mechanik aufgebaut und durch dies Fundament notwendig 
bestimmt ist, belehrt uns eines anderen. Jedes Atom des 
Eisens wird zu jedem anderen Atom des Weltalls durch die 
Gravitationskraft hingezogen. Jedes Atom des Eisens ist aber 
auch magnetisch und dadurch mit jedem anderen magnetischen 
Atom des Weltalls durch neue Kräfte verbunden. Aber die 
Körper des Alls sind auch erfüllt mit bewegter Elektricität 
und von diesen bewegten Elektricitäten gehen weitere ver- 
wickelte Kräfte aus, welche an jedem magnetischen Atom des 
Eisens ziehen. Und insofern die Teile des Eisens selbst Elek- 
tricität enthalten, haben wir wieder andere Kräfte in Betracht 
zu ziehen; neben diesen dann noch verschiedene Arten von 
Molekularkräften. Einige dieser Kräfte sind nicht klein; wäre 
von allen Kräften nur ein Teil wirksam, so könnte dieser Teil 
das Eisen in Stücke reifsen. In Wahrheit aber sind alle 
Kräfte so gegen einander abgeglichen, dafs die Wirkung der 
gewaltigen Zurüstung Null ist; dafs trotz tausend vorhandenen 
Bewegungsursachen Bewegung nicht eintritt; dafs das Eisen 
eben ruht. Wenn wir nun diese Vorstellungen unbefangen 
Denkenden vortragen, wer wird uns glauben? Wen werden wir 
überzeugen, dafs wir noch von wirklichen Dingen reden und 
16 Einleitung, 
nicht YOD Gebilden einer ausschweifenden EinbUdungskraft? 
Wir selbst aber werden nachdenklich werden, ob wir wirk- 
lich die Euhe des Eisens und seiner TeUe in einfacher Weise 
geschildert und abgebildet haben. Ob sich die Verwickelung 
überhaupt vermeiden läTst, ist zunächst ja fraglich; aber das 
ist nicht fraglich, dafs ein System der Mechanik, welches sie 
vermeidet oder ausschliefst, einfacher und in diesem Sinne 
zweckmäfsiger ist, als das hier betrachtete, welches solche 
Vorstellungen nicht nur zidäfst, sondern uns geradezu aufzwingt. 
Fassen wir noch einmal in kiirzester Form die Bedenken 
zusammen, welche uns bei Betrachtung der gewöhnlichen Dar- 
stellungsweise der Prinzipien der Mechanik aufstiefsen. Was 
die Form anlangt, schien uns, dafs der logische Wert der 
einzelnen Aussagen nicht hinreichend klar festgelegt worden 
sei. Was die Sache anlangt, schien uns, dafs die von der 
Mechanik betrachteten Bewegungen sich nicht völlig mit den 
zu betrachtenden natürlichen Bewegungen decken. Manche 
Eigenschaften der natürlichen Bewegungen werden in der 
Mechanik nicht berücksichtigt; viele Beziehungen, welche die 
Mechanik betrachtet, fehlen wahrscheinlich in der Natur. Auch 
wenn diese Ausstellungen als gerechtfertigt anerkannt werden, 
dürfen sie uns freilich nicht zu der Meinung verleiten, dafs 
die gewöhnliche Darstellung der Mechanik ihren Wert und 
ihre bevorzugte Stellung deshalb einbüfsen müsse oder je ein- 
büfsen werde; aber sie rechtfertigen es doch hinreichend, dafs wir 
uns auch nach anderen Darstellungen umsehen, welche in den 
getadelten Beziehungen Vorteile bieten und den darzustellen- 
den Diogen noch enger angepafst sind. 
2. 
Ein zweites Bild der mechanischen Vorgänge ist weit 
jüngeren Ursprungs als das erste. Seine Entwickelung aus 
und neben jenem ist eng verknüpft mit den Fortschritten, 
Einleitung. 1 7 
welche die physikalische Wissenschaft in den letzten Jahr- 
zehnten gemacht hat. Noch bis in die Mitte des Jahrhunderts 
erschien als letztes Ziel und als letzte anzustrebende Er- 
klärung der Naturerscheinungen die Bückführung derselben 
auf unzählige Femkräfte zwischen den Atomen der Materie. 
Diese Anschauungsweise entsprach vollständig dem Systeme der 
mechanischen Prinzipien, welches wir als das erste bezeichnet 
haben; sie wurde durch jenes bedingt, wie jenes durch sie. 
Jetzt, gegen Ende des Jahrhunderts hat die Physik einer 
anderen Denkweise ihre Vorliebe zugewandt. Beeinflufst von 
dem überwältigenden Eindrucke, welchen die Auffindung des 
Prinzipes von der Erhaltung der Energie ihr gemacht hat, 
liebt sie es, die in ihr Gebiet fallenden Erscheinungen als 
Umsetzungen der Energie in neue Formen zu behandeln, und 
die Rückführung der Erscheinungen auf die Gesetze der 
Energieverwandlung als ihr letztes Ziel zu betrachten. Diese 
Behandlungsart kann auch schon von vornherein auf die 
elementaren Vorgänge der Bewegung selbst angewandt 
werden; alsdann entsteht eine neue, von der ersten ver- 
schiedene Darstellung der Mechanik, in welcher von An- 
fang an der Begriff der Kraft zurücktritt zu Gunsten des 
Begriffs der Energie. Eben dieses so entstandene neue 
Bild der elementaren Bewegungsvorgänge ist es, welches 
wir als das zweite bezeichnen und welchem wir jetzt 
unsere Aufmerksamkeit widmen wollen. Wenn wir bei Be- 
sprechung des ersten Bildes den Vorteil hatten, dafs wir 
das Bild selbst als deutlich vor dem Auge aller Physiker 
stehend voraussetzen konnten, so ist das bei diesem zweiten 
Bilde nun freilich nicht der FaU. Dasselbe ist sogar wohl noch 
niemals in allen seinen Einzelheiten ausgemalt worden, es giebt 
meines Wissens kein Lehrbuch der Mechanik, welches sich 
von vornherein auf den Standpunkt der Energielehre stellte, 
und den Begriff der Energie vor dem Begriff der Kraft ein- 
führte. Vielleicht ist auch noch niemals eine Vorlesung über 
Mechanik nach diesem Plane eingerichtet worden. Aber die 
Möglichkeit eines solchen Planes hat schon den Begründern 
der Energielehre eingeleuchtet; die Bemerkung, dafs man auf 
diese Weise den Begriff der Kraft mit seinen Schwierigkeiten 
vermeiden könne, ist öfters gemacht; in einzelnen besonderen 
Hertz, Mechanik. 2 
18 EifUeUung, 
Anwendungen treten in der Wissenschaft immer häufiger 
Schlussreihen auf, welche ganz dieser Denkweise angehören. 
Wir können daher recht wohl eine Skizze entwerfen, welche 
uns die groben Umrisse des Bildes vorfuhrt; wir können im 
allgemeinen den Plan angeben, nach welchem die beabsichtigte 
Darstellung der Mechanik geordnet werden müfste. Wie im 
ersten Bilde, so gehen wir auch hier aus Ton vier von einander 
unabhängigen Grundbegriffen, deren Beziehungen zu einander 
den Inhalt der Mechanik bilden sollen. Zwei derselben haben 
einen mathematischen Charakter: Baum und Zeit; die beiden 
anderen: Masse und Energie, werden eingefiihrt als in ge- 
gebener Menge vorhandene, unzerstörbare und unvermehrbare 
physikalische Wesenheiten. Freilich wird es nötig sein, neben 
dieser Erklärung auch deutlich anzugeben, durch welche kon- 
kreten Erfahrungen wir in letzter Instanz das Vorhandensein 
von Masse und Energie feststellen wollen. Hier nehmen wir 
an, dass dies möglich und dass es geschehen sei. Dass die 
Menge der Energie, welche mit bestimmten Massen verbunden 
ist, von dem Zustande dieser Massen abhängig ist, ist selbst- 
verständlich. Es ist aber als eine erste allgemeine Erfahrung 
einzuführen, dafs die vorhandene Energie sich stets in zwei 
Teile zerfallen läfst, von welchen der eine allein durch die 
gegenseitige Lage der Massen bedingt ist, der andere aber 
von ihrer absoluten Geschwindigkeit abhängt. Der erste Teil 
wird als potentielle Energie, der zweite Teil als kinetische 
Energie definiert. Die Form fiir die Abhängigkeit der kine- 
tischen Energie von der Geschwindigkeit der bewegten Körper 
ist in allen Fällen die gleiche und bekannt; die Form für die 
Abhängigkeit der potentiellen Energie von der Lage der Körper 
kann nicht allgemein angegeben werden, sie bildet vielmehr 
die besondere Natur und die charakteristische Eigentümlich- 
keit der gerade betrachteten Massen. Es ist die Aufgabe der 
Physik, diese Form für die uns umgebenden Naturkörper aus 
früheren Erfahrungen zu ermitteln. Bis hierher treten in den 
Betrachtungen im wesentlichen nur drei Elemente, nämUch 
Baum, Masse und Energie in Beziehung. Um die Beziehungen 
aller vier Grundbegriffe und damit den zeitlichen Ablauf der 
Erscheinungen festzulegen, bedienen wir uns eines der Inte- 
gralprinzipien der gewöhnlichen Mechanik, welche sich zu ihren 
Einleitung, 19 
Aussagen des Energiebegriffs bedienen. Welches derselben 
wir anwenden, ist ziemlich gleichgültig; wir können und wir 
wollen etwa das HAMiLTON'sche Princip wählen. Wir würden 
dann also als einziges erfahrungsmäfsiges Grundgesetz der 
Mechanik den Satz aufstellen, dafs jedes System natürlicher 
Massen sich so bewegt, als sei ihm die Aufgabe gestellt, ge- 
gebene Lagen in gegebener Zeit zu erreichen imd zwar in 
solcher Weise, dafs die Differenz zwischen kinetischer und 
potentieller Energie im Mittel über die ganze Zeit so klein 
ausfalle wie möglich. Ist dieses Gesetz auch in der Form 
nicht einfach, so giebt es doch durch eine einzige Bestimmung 
die natürlichen Umwandlungen der Energie zwischen ihren 
Formen in eindeutiger Weise wieder, es gestattet daher den 
Ablauf der wirklichen Erscheinungen für die Zukunft voll- 
ständig Yorauszubestimmen. Mit der Aufstellung dieses neuen 
Gesetzes sind die unentbehrlichen Grundlagen der Mechanik 
abgeschlossen. Was wir noch hinzufügen können, sind nur 
mathematische Ableitungen und etwa. Vereinfachungen oder 
Hilfsbezeichnungen, welche vielleicht zweckmäfsig, aber jeden- 
falls nicht notwendig sind. Zu diesen letzteren gehört dann 
auch der Begriff der Kraft, welcher in den Grundlagen selbst 
nicht auftrat. Seine Einfuhrung ist zweckmäfsig, sobald wir 
nicht nur Massen in Betracht ziehen, welche mit konstanten 
Mengen von Energie verbunden sind, sondern auch solche 
Massen, welche Energie an andere Massen abgeben oder von 
ihnen empfangen. Aber die Einführung geschieht nicht durch 
neue Erfahrung, sondern durch eine Definition, welche in mehr 
als einer Weise gefafst werden kann. Dementsprechend sind 
auch die Eigenschaften der so definierten Kräfte nicht aus 
der Erfahrung zu ermitteln, sondern lassen sich aus der De- 
finition und dem Grundgesetz ableiten und selbst die Be- 
stätigung dieser Eigenschaften durch die Erfahrung ist über- 
flüssig, es wäre denn, dafs man noch an der Richtigkeit des 
ganzen Systems zweifelte. Der Kraftbegriff als solcher kann 
also in diesem System keine logischen Schwierigkeiten mehr 
bereiten ; auch für die Beurteilung der Richtigkeit des Systems 
kann er nicht in Frage kommen, nur auf die gröfsere oder 
kleinere Zweckmäfsigkeit desselben kann er Einflufs haben. 
20 EmUüung, 
In der angedeuteten Weise also hätten wir etwa die 
Prinzipien der Mechanik zu ordnen, um sie der Anschauungs- 
weise der Energielehre anzupassen. Es fragt sich nun aber, 
ob das entstandene zweite Bild Tor dem erstbetrachteten etwas 
voraus habe, und wir wollen deshalb seine Vorzüge und Nach- 
teile näher ins Auge fassen. 
Diesmal liegt es in unserem Interesse, dafs wir uns zu- 
erst an die Zweckmäfsigkeit halten, weil in Bezug auf diese 
ein Fortschritt am unzweifelhaftesten hervortritt. Denn unser 
zweites Bild der natürlichen Bewegungen ist zunächst ent- 
schieden deutlicher; es giebt mehr Eigentümlichkeiten derselben 
wieder als das erste. Wenn wir das HAKiLTON'sche Prinzip 
aus den allgemeinen Grundlagen der Mechanik ableiten wollen, 
müssen wir den letzteren gewisse Voraussetzungen über die 
wirkenden Kräfte und über die Beschaffenheit etwaiger fester 
Verbindungen hinzufugen. Diese Voraussetzimgen sind höchst 
allgemeiner Art, aber sie bedeuten darum doch ebenso viele 
wichtige Einschränkungen der durch das Prinzip dargestellten 
Bewegungen, und umgekehrt lassen sich daher auch aus dem 
Prinzip eine ganze Beihe von Beziehungen, insbesondere von 
Wechselbeziehungen zwischen jeder Art von möglichen Kräften 
ableiten, welche in den Prinzipien des ersten Bildes fehlen, 
welche aber in dem zweiten Bilde, und gleichzeitig, worauf es 
ankommt, in der Natur sich finden. Der Nachweis, dafs dem 
so sei, bildet den eigentlichen Inhalt und das Ziel der Arbeiten, 
welche von Helmholtz unter dem Titel: „Über die physi- 
kalische Bedeutung des Prinzips der kleinsten Wirkung** ver- 
öffentlicht hat. Wir treffen aber die Sachlage wohl genauer, 
wenn wir sagen, die Thatsache selbst, welche bewiesen werden 
soll, bilde die Entdeckung, welche in jener Arbeit mitgeteilt 
und dargelegt wird. Denn einer Entdeckung bedurfl;e in der 
That die Erkenntnis, dafs aus so allgemeinen Voraussetzungen 
sich so besondere, wichtige und zutreffende Folgerungen 
ziehen lassen. Auf jene Abhandlung können wir uns daher 
auch berufen zur Erhärtung unserer Behauptung im einzelnen, 
und insofern jene Abhandlung zur Zeit den äufsersten Fort- 
schritt der Physik bezeichnet, können wir uns der Frage über- 
hoben halten, ob ein noch engerer Anschluis an die Natur 
Einleitung. 21 
erreichbar sei, etwa durch Einschränkung der für die poten- 
tielle Energie zulässigen Formen. Lieber wollen wir betonen, 
dafs unser jetziges Bild auch in Hinsicht der Einfachheit die 
Klippen vermeidet, an welchen die Zweckmäfsigkeit unseres 
ersten Bildes sich gefährdet fand. Denn fragen wir nach dem 
eigentlichen Grunde, aus welchem die Physik es heutzutage 
liebt, ihre Betrachtungen in der Ausdrucksweise der Energie- 
lehre zu halten, so dürfen wir antworten : weil sie es auf diese 
Weise am besten vermeidet, von Dingen zu reden, von welchen 
sie sehr wenig weifs xmd welche auf die wesentlich beabsich- 
tigten Aussagen auch keinen Einflufs haben. Wir bemerkten 
schon gelegentlich, dafs die Rückführung der Erscheinungen 
auf die Kraft uns zwingt, unsere Überlegung beständig an die 
Betrachtung der einzelnen Atome und Moleküle anzuknüpfen. 
Nun sind wir ja allerdings gegenwärtig überzeugt davon, dafs 
die wägbare Materie aus Atomen besteht; auch haben wir von 
der Gröfse dieser Atome und ihren Bewegungen in gewissen 
Fällen einigermafsen bestimmte Vorstellungen. Aber die Ge- 
stalt der Atome, ihr Zusammenhang, ihre Bewegungen in den 
meisten Fällen, alles dies ist uns gänzlich verborgen; ihre 
Zahl ist in allen Fällen unübersehbar grofs. Unsere Vor- 
stellung von den Atomen ist daher selbst ein wichtiges und 
interessantes Ziel weiterer Forschung, keineswegs aber ist sie 
besonders geeignet, als bekannte und gesicherte Grundlage 
mathematischer Theorieen zu dienen. Einen so streng den- 
kenden Forscher, wie es Gustav Kibchhoff war, berührte 
es daher fast peinlich, die Atome und ihre Schwingungen ohne 
zwingende Notwendigkeit in den Mittelpunkt einer theoretischen 
Ableitung gestellt zu sehen. Die willkürlich angenommenen 
Eigenschaften der Atome mögen ohne Einflufs auf das End- 
resultat sein, das letztere mag richtig sein. Gleichwohl sind 
die Einzelheiten der Ableitung selbst zum grofsen Teile mut- 
mafslich falsch, die Ableitung ist ein Scheinbeweis. Die ältere 
Denkweise der Physik läfst hier kaum eine Wahl, einen Aus- 
weg zu. Dagegen bietet die Auffassung der Energielehre und 
damit unser zweites Bild der Mechanik den Vorteil, dafs in 
die Voraussetzungen der Probleme nur die der Erfahrung un- 
mittelbar zugänglichen Merkmale, Parameter, oder willkürlichen 
Koordinaten der betrachteten Körper eintreten; dafs die Be- 
22 Einleitung. 
trachtungen mit Hülfe dieser Merkmale in endlicher und ge- 
schlossener Form fortschreiten und dafs auch das Endresultat 
unmittelbar wieder in greifbare Erfahrung kann übersetzt 
werden. Aufser der Energie selbst in ihren wenigen Formen 
treten keine Hilfskonstruktionen in die Betrachtung ein. Unsere 
Aussagen können sich auf die bekannten Eigentümlichkeiten 
der betrachteten Körpersysteme beschränken, ohne dafs wir 
unsere Unkenntnis der Einzelheiten durch willkürliche und ein- 
flufslose Hypothesen verdecken müfsten. Nicht nur das End- 
resultat, sondern auch alle Schritte der Ableitung desselben 
können als richtig und sinnvoll vertreten werden. Dies sind die 
Vorzüge, welche diese Methode der heutigen Physik lieb gemacht 
haben, welche also auch unserem zweiten Bilde der Mechanik 
eigen sind, und welche wir in unserer Bezeichnungsweise als Vor- 
züge der Einfachheit, also der Zweckmäfsigkeit aufzufassen haben. 
Leider werden wir wieder unsicherer über den Wert 
unseres Systems, wenn wir seine Eichtigkeit und seine logische 
Zulässigkeit prüfen. Schon die Frage nach der Richtigkeit 
giebt zu gerechtfertigten Zweifeln Anlafs. Keineswegs dürfen 
wir der Übereinstimmung mit der Natur schon deshalb sicher 
sein, weil sich das Hamilton^ sehe Prinzip ja auch aus den 
zugegebenen Grundlagen der Newton' sehen Mechanik ableiten 
läfst. Wir haben zu bedenken, dafs diese Ableitung nur dann 
stattfindet, wenn gewisse Voraussetzungen zutreffen, und dafs 
anderseits unser System nicht nur den Anspruch macht, 
einige Bewegungen der Natur richtig zu beschreiben, sondern 
dafs es behauptet, alle Bewegungen der Natur zu umfassen. 
Wir haben also zu untersuchen, ob auch wirklich neben den 
Newton' sehen Gesetzen jene besondem Voraussetzungen All- 
gemeingültigkeit haben, und ein einziges Beispiel der Natur, 
welches widerspräche, würde die Richtigkeit des Systems als 
solches umwerfen, wenn es auch die Gültigkeit des Hamilton- 
schen Prinzips als allgemeinen Lehrsatzes nicht im mindesten 
erschütterte. Hier entsteht nun das Bedenken nicht sowohl 
ob unser Bild die gesamte Mannigfaltigkeit der Kräfte, sondern 
ob es auch wirklich die gesamte Mannigfaltigkeit der starren 
Verbindungen enthielte, welche zwischen den Körpern der 
Natur auftreten können. Die Anwendung des Hamilton 'sehen 
MrUeitimg. 23 
Prinzips auf ein materielles System scUiesst nicht aus, dafs 
zwischen den gewählten Koordinaten desselben feste Zusammen- 
hänge bestehen, aber es yerlangt immerhin, dafs diese Zu- 
sammenhänge sich mathematisch ausdrücken lassen durch 
endliche Gleichungen zydschen den Koordinaten; es gestattet 
nicht das Auftreten solcher Zusammenhänge, welche mathe- 
matisch nur durch Differentialgleichungen wiedergegeben werden 
können. Die Natur selbst aber scheint Zusammenhänge der 
letzteren Art nicht einfach auszuschliessen. Denn dieselben 
treten zum Beispiel auf, sobald dreidimensionale Körper mit 
ihren Oberflächen ohne Gleitung auf einander rollen. Durch 
diese Verbindung, welche wir in unserer Umgebung oft vor- 
finden, ist die Lage beider Körper zu einander nur insofern 
beschränkt, als sie stets einen Punkt der Oberfläche gemein 
haben müssen; die Bewegungsfreiheit der Körper aber ist noch 
um einen Grad weiter beschränkt. Es lassen sich also aus 
der Verbindung mehr Gleichungen zwischen den Änderungen 
der Koordinaten herleiten als zwischen den Koordinaten selbst, 
unter jenen muss daher mindestens eine sein, welche mathe- 
matisch als eine nicht integrabele Differentialgleichung zu 
bezeichnen ist. Auf derartige Fälle nun gestattet das Hamil- 
ton 'sehe Prinzip keine Anwendung mehr, oder genau ge- 
sprochen: Die mathematisch mögliche Anwendung des Prinzips 
fuhrt zu physikalisch falschen Besultaten. Man beschränke 
die Betrachtung auf den einfachen Fall einer Kugel, welche 
allein ihrer Trägheit folgend auf einer festen horizontalen 
Ebene ohne Gleitung rollt; man kann hier ganz wohl durch 
blofse Betrachtung ohne Rechnung sowohl die Bewegungen 
übersehen, welche die Kugel wirklich ausführen kann, als auch 
die Bewegimgen, welche dem Hamilton 'sehen Prinzip ent- 
sprechen würden und welche so ausfallen müfsten, dafs die 
Kugel bei konstanter lebendiger Kraft gegebene Ziele in kür- 
zester Zeit erreicht. Man kann sich daher auch ohne Rechnung 
überzeugen, dafs beide Arten von Bewegungen sehr verschiedene 
Eigentümlichkeiten aufweisen. Wählen wir Anfangs- und 
Endlage der Kugel beliebig aus, so giebt es doch offenbar 
stets einen bestimmten Übergang aus einer zur andern, auf 
welchem die Zeit des Übergangs, also das Hamilton' sehe 
Integral ein Minimum wird. In Wahrheit ist aber gar nicht 
24 Einleitung. 
aus jeder Lage in jede andere ohne die Mitwirkung von Kräften 
ein natürKcher Übergang möglich, wenn auch die Wahl der 
Anfangsgeschwindigkeit ToUkommen frei steht. Aber selbst 
dann, wenn wir Anfangs- und Endlage so wählen, dafs eine 
natürliche freie Bewegung zwischen beiden möglich ist, so ist 
dies gleichwohl nicht diejenige, welche dem Minimum der Zeit 
entspricht. Bei gewissen Anfangs- und Endlagen kann der 
Unterschied sehr auffallend sein. In diesem Falle würde eine 
Kugel, welche dem Prinzip gemäfs sich bewegte, entschieden 
den Schein eines belebten Wesens annehmen, welches ziel- 
bewufst einer bestimmten Lage zusteuert, während neben ihr 
die Kugel, welche dem Gesetze der Natur folgt, den Eindruck 
einer toten, gleichförmig dahinkreiselnden Masse hervorrufen 
würde. Es würde nichts helfen, wollten wir an Stelle des 
Hamilton 'sehen Prinzips das Prinzip der kleinsten Wirkungen 
oder ein anderes Integralprinzip in den Vordergrund rücken, 
da alle diese Prinzipien nur einen geringen Unterschied der 
Bedeutung aufweisen und sich in der hier betrachteten Hin- 
sieht ganz gleich verhalten. Übrigens ist der Weg vorgezeichnet, 
auf welchem allein wir das System verteidigen und gegen den 
Vorwurf der Unrichtigkeit in Schutz nehmen können. Wir 
haben zu leugnen, dafs starre Verbindungen der angefahrten 
Art mit Strenge in der Natur wirkKch vorkommen. Wir 
haben auszuführen, dafs jedes sogenannte ßoUen ohne Gleitung 
in Wahrheit ein Rollen mit geringer Gleitung, also ein Vor- 
gang der Reibung sei. Wir haben uns darauf zu berufen, dafs 
ganz allgemein die Vorgänge in reibenden Flächen zu den- 
jenigen gehören, welche noch nicht auf klar verstandene Ur- 
sachen zurückgeführt werden können, sondern für welche nur 
gerade empirisch die erzeugten Bj:äfte ermittelt sind; daher 
gehöre das ganze Problem zu denjenigen, zu deren Behandlung 
zur Zeit die Benützung der Kräfte und damit der Umweg 
über die gewöhnlichen Methoden der Mechanik noch nicht 
vermieden werden könne, überzeugend wirkt freilich diese 
Verteidigung nicht. Denn ein Rollen ohne Gleiten widerspricht 
weder dem Energieprinzipe noch einem anderen allgemein an- 
erkannten Grundsatze der Physik; der Vorgang ist in der 
sichtbaren Welt mit so grofser Annäherung verwirklicht, dafs 
man sogar Integrationsmaschinen auf die Voraussetzung seines 
Mfüeitung, 25 
genauen Eintretens gegründet hat; wir haben daher kaum ein 
Becht, sein Vorkommen als unmöglich auszuschliefsen, am 
wenigsten aus der Mechanik noch unbekannter Systeme, wie 
es die Atome oder die Teile des Äthers sind. Aber selbst 
wenn wir zugeben, dass die fraglichen Verbindungen in der 
Natur nur angenähert verwirklicht sind, selbst dann bereitet 
uns das Versagen des Hamilton 'sehen Prinzips in diesen 
Fällen Schwierigkeiten. Von jedem G-rundgesetze unseres 
mechanischen Systems werden wir verlangen müssen, dafs es 
angewandt auf angenähert richtige Verhältnisse immer noch 
angenähert richtige Resultate gebe, nicht aber gänzlich falsche. 
Denn da schliesslich alle starren Zusammenhänge, welche wir 
der Natur entnehmen und in die Bechnung einführen, den 
wirklichen Verhältnissen nur angenähert entsprechen, so ge- 
raten wir sonst in gänzliche Unsicherheit, auf welche unter 
ihnen wir das Gesetz überhaupt noch anwenden dürfen, auf 
welche nicht mehr. Doch wollen wir die vorgetragene Ver- 
teidigung auch nicht gänzlich verwerfen; wir wollen entgegen- 
kommend zugeben, dafs die aufgeworfenen Zweifel nur die 
Zweckmäfsigkeit des Systems, nicht aber seine Richtigkeit 
betreflfen, so dafs die aus ihnen entspringenden Nachteile durch 
andere Vorteile aufgewogen werden können. 
Die wahren Schwierigkeiten erwarten uns nun aber erst, 
sobald wir versuchen, die Grundlagen des Systems so zu 
ordnen, dafs den Anforderungen der logischen Zulässigkeit mit 
aller Strenge genügt werde. Wir dürfen bei der Einführung 
der Energie nicht dem gewöhnlichen Wege folgend von den 
Kräften ausgehen, von diesen zur Kräftefunktion, zur poten- 
tiellen Energie, zur Energie überhaupt fortschreiten. Eine 
solche Anordnung würde der ersten Darstellung der Mechanik 
angehören. Vielmehr haben wir, ohne eigentlich mechanische 
Entwickelungen schon vorauszusetzen, diejenigen einfachen 
unmittelbaren Erfahrungen anzugeben, durch welche wir all- 
gemein das Vorhandensein eines Vorrats von Energie und 
die Bestimmung seiner Menge definiert wissen wollen. Wir 
haben oben nur angenommen, nicht aber bewiesen, dafs eine 
solche Bestimmung möglich sei. Mehrere ausgezeichnete 
Physiker versuchen heutzutage, der Energie so sehr die Eigen- 
26 
Schäften der Substanz zu leihen, daCs sie annehmen, jede 
kleinste Menge derselben sei zn jeder Zeit an einen bestimmten 
Ort des Banmes geknüpft und bewahre bei allem Wechsel 
desselben und bei aller Verwandlnng der Energie in neue 
Formen dennoch ihre Identität. Diese Physiker müssen 
notwendig die Dberzengong vertreten, dafs sich Definitionen 
der verlangten Art wirklich geben lassen, und es war daher 
wohl erlaubt, die Möglichkeit derselben anzunehmen. Sollen 
wir selbst aber eine konkrete Form dafor aufweisen, welche 
uns genügt und welche allgemeiner Zustimmung sicher ist, so 
geraten wir in Verlegenheit; zu einem befriedigenden und 
abschliefsenden Ergebnis scheint diese ganze Anschauungs- 
weise noch nicht gelangt. E^e besondere Schwierigkeit mufs 
auch von vornherein der Umstand bereiten, dafs die angeblich 
substanzartige Energie in zwei so gänzlich verschiedenen 
Formen auftritt, wie es die kinetische und die potentielle 
Form sind. Die kinetische Energie bedarf im Grunde an 
sich keiner neuen Gmndbestimmung, da sie aus den Begriffen 
der Geschwindigkeit und der Masse abgeleitet werden kann; 
die potentielle Energie hingegen, welche eine selbständige 
Feststellung fordert, widerstrebt zugleich jeder Definition, 
welche ihr die Eigenschaften einer Substanz beilegt. Die 
Menge einer Substanz ist eine notwendig positive Grösse; die 
in einem System enthaltene potentielle Energie scheuen wir 
uns nicht, als negativ anzunehmen. Bedeutet ein analytischer 
Ausdruck die Menge einer Substanz, so hat eine additive 
Eonstante in dem Ausdruck dieselbe Wichtigkeit wie der Best; 
in dem Ausdruck für die potentielle Energie eines Systems 
hat eine additive Konstante niemals eine Bedeutung. Endlich 
kann der Inhalt eines physikalischen Systems an einer Sub- 
stanz nur abhängen von dem Zustande des Systems selbst, 
der Inhalt gegebener Materie an potentieller Energie aber 
hängt ab von dem Vorhandensein entfernter Massen, welche 
vielleicht niemals Einfiufs auf das System hatten. Ist das 
Weltall und damit die Menge jener entfernten Massen unendlich, 
so wird der Inhalt auch endlicher Mengen von Materie an 
vielen Formen potentieller Energie unendlich gross. Dies 
sind alles Schwierigkeiten, welche durch die gesuchte Definition 
der Energie beseitigt oder umgangen werden müfsten. Obwohl 
Einleitung, 27 
wir nun auch nicht behaupten wollen, dafs eine solche Umgehung 
unmöglich sei, so können wir sie doch gegenwäiüg noch nicht als 
geleistet ansehen, und es wird am vorsichtigsten sein, wenn wir 
es einstweilen noch als eine offene Frage betrachten, ob sich das 
System überhaupt in logisch einwurfsfreier Form entwickeln läfst. 
Es ist vielleicht der Mühe wert, an dieser Stelle auch 
die Frage zu erörtern, ob ein anderer Einwurf gerechtfertigt 
sei, den man vielleicht gegen die Zulässigkeit des hier be- 
trachteten Systems richten könnte. Soll ein Bild gewisser 
äufserer Dinge in unserem Sinne zulässig sein, so müssen die 
Züge desselben nicht allein unter sich in Einklang stehen, 
sondern sie dürfen auch nicht den Zügen anderer in unserer 
Erkenntnis schon feststehender Bilder widersprechen. Darauf- 
hin könnte man nun behaupten: Es sei nicht denkbar, dafs 
das Hamilton 'sehe Prinzip oder ein Satz von verwandten 
Eigenschaften in Wahrheit ein Grundgesetz der Mechanik und 
damit ein Grundgesetz der Natur vorstelle, denn von einem 
Grundgesetze sei von vornherein Einfachheit und Schlichtheit 
zu erwarten, das HAMiLTGN'sche Prinzip aber stelle, wenn 
man es analysiere, eine äufserst verwickelte Aussage dar. 
Nicht allein mache es die gegenwärtige Bewegung abhängig 
von Folgen, welche erst in der Zukunft hervortreten können 
und mute dadurch der leblosen Natur Absichten zu, sondern, 
was schlimmer sei, es mute der Natur sinnlose Absichten zu. 
Denn das Integral, dessen Minimum das Hamilton 'sehe Prinzip 
fordert, habe keine einfache physikalische Bedeutung; es sei 
aber für die Natur ein unverständliches Ziel, einen mathe- 
matischen Ausdruck zum Minimum zu machen oder seine 
Variation zum Verschwinden zu bringen. Die gewöhnliche 
Antwort, welche die heutige Physik auf derartige Angriffe 
bereit hält, ist diese, dafs die Voraussetzungen, von welchen 
die Betrachtungen ausgehen, metaphysischen Ursprungs seien, 
dafs aber die Physik darauf verzichtet habe und es nicht mehr 
als Pflicht anerkenne^ den Ansprüchen der Metaphysik gerecht 
zu werden. Sie lege kein Gewicht mehr auf die Gründe, 
welche von metaphysischer Seite einst zu Gunsten der Prin- 
zipien vorgebracht seien, welche einen Zweck in der Natur 
andeuten; ebensowenig aber könne sie jetzt Einwänden meta- 
28 EMeäung. 
physischen Charakters gegen ebendieselben Prinzipien ihr Ohr 
leihen. Wenn wir bei solchem Bechten zu entscheiden hätten, 
so würden wir nicht unbillig denken, wenn wir uns mehr anf 
Seiten des Angreifers, als des Verteidigers stellten. Kein Be- 
denken, welches überhaupt Eündrack anf nnsem Gkist macht, 
kann dadurch erledigt werden, da(s es als metaphysisch be- 
zeichnet wird; jeder denkende Greist hat als solcher Bedürf- 
nisse, welche der Naturforscher metaphysische zu nennen ge- 
wohnt ist. Überdies läCst sich in dem TorUegenden Falle, wie 
wohl in allen ähnlichen, die gesunde und bereditigte Quelle 
unseres Bedürfiiisses ganz wohl aufweisen. Freilich können 
wir Yon der Natur nicht a priori EinfBM^hheit fordern, noch 
auch urteilen, was in ihrem Sinne einfeush sei. Aber den Bil- 
dern, welche wir uns von ihr machen, können wir als unsem 
eigenen Schöpfungen Vorschriften machen. Wir urteilen nun 
mit Becht, da(s, wenn unsere Bilder den Dingen gut angepafst 
sind, da(s dann die wirklichen Beziehungen der Dinge durch 
einJBkche Beziehungen zwischen den Bildern müssen wieder- 
gegeben werden. Wenn aber die wirklichen Beziehungen 
zwischen den Dingen nur durch rerwickelte, ja dem unvor- 
bereiteten Geiste sogar unTcrständliche Beziehungen zwischen 
den Bildern sich wiedei^ben lassen, so urteilen wir, dafs 
diese Bilder den Dingen nur ungenügend angepa&t sind, unsere 
Forderung der Ein£8u;hheit geht also nicht an die Natur, son- 
dern an die Bilder, welche wir uns von ihr machen, und unser 
Widerspruch gegen eine yerwickelte Aussage als Grundgesetz 
drückt nur die Überzeugung aus, dals, wenn der Inhalt der 
Aussage richtig und umfsLSsend sei, er sich durch zweck- 
mälsigere Wahl der GrundTorstellungen auch in einfEM^herer 
Form müsse aussprechen lassen. Eine andere AuDserung der- 
selben Überzeugung ist der in uns erwachende Wunsch, yon dem 
äufeeren Verständnisse einesderartigenGesetzes zu seinem tieferen 
und eigentlichen Sinn Yorzudringen, Yon dessen Vorhandensein 
wir überzeugt sind. Ist diese AufiGeissung richtig, so bildet in 
der That der vorgebrachte Einwurf ein berechtigtes Bedenken 
gegen das System, aber er trifft dann nicht sowohl seine Zulässig- 
keit, als vielmehr seine ZweckmäCdgkeit und er käme bei der 
Beurteilung der letzteren in Betracht. Es ist indessen nicht 
nötig, deshalb nochmals zur Besprechung jener zurückzukehren. 
MfUeitung. 29 
Überblicken wir noch einmal dasjenige, was wir über die 
Vorzüge des zweiten Bildes vorzubringen hatten, so können 
wir von der Gesamtheit desselben nicht allzu befriedigt sein. 
Obgleich die ganze Richtung der neueren Physik uns anlockt, 
den Begriff der Energie in den Vordergrund zu stellen und 
ihn auch in der Mechanik als Grund- und Eckstein unseres 
Aufbaues zu benutzen, so bleibt es doch mehr als zweifelhaft, 
ob wir bei diesem Vorgehen die Härten und Bauhigkeiten 
vermeiden können, welche uns in dem ersten Bilde der Mechanik 
anstöfsig waren. In der That habe ich auch diesem zweiten 
Wege der Darstellung nicht deshalb eine längere Besprechung 
gewidmet, um zur Beschreitung desselben zu ermutigen, son- 
dern vielmehr um anzudeuten, aus welchen Gründen ich selbst 
ihn aufgegeben habe, nachdem ich zuerst ihn zu verfolgen 
versucht hatte. 
3. 
Eine dritte Anordnung der Prinzipien der Mechanik ist 
diejenige, welche in dem Hauptteil des Buches ausführlich 
dargelegt werden soll, deren Hauptzüge wir aber schon hier 
in der Einleitung vorführen wollen, um sie in demselben Sinne 
einer Kritik zu unterwerfen, wie es mit den beiden ersten 
geschehen ist. Von jenen unterscheidet sie sich wesentlich 
dadurch, dafs sie von nur drei unabhängigen Grundvor- 
stellungen ausgeht; denen der Zeit, des Baumes und der 
Masse. Sie betrachtet daher als ihre Aufgabe, die natürlichen 
Beziehungen zwischen diesen dreien und allein zwischen diesen 
dreien darzustellen. Ein vierter Begriff, wie der Begriff der 
Kraft oder der Energie, an welchen sich vorhin die Schwierig- 
keiten knüpften, ist als selbständige Grundvorstellung beseitigt. 
Die Bemerkung, dafs drei von einander unabhängige Vor- 
stellungen nötig, aber auch hinreichend seien zur Entwicklung 
30 Einleitung. 
der Mechanik, hat schon G. Eibghhoff seinem Lehrbuche der 
Mechanik yorangestellt. Ganz ohne Ersatz kann freilich die 
so in den Grandvorstellungen ausfallende Mannig<igkeit nicht 
bleiben. In unserer Darstellung suchen wir die entstehende 
Lücke auszufüllen durch Benützung einer Hypothese, welche 
hier nicht zum ersten Male aufgestellt wird, welche man aber 
nicht in die Elemente der Mechanik selbst einzufuhren gewohnt 
ist, und deren Wesen wir etwa in der folgenden Weise 
erläutern können. 
Versuchen wir die Bewegungen der uns umgebenden 
Körper zu verstehen und auf einfache und durchsichtige 
Eegehi zurückzuführen, indem wir aber nur dasjenige berück- 
sichtigen, was wir unmittelbar vor Augen haben, so schlagt 
unser Versuch im allgemeinen fehl. Wir werden bald gewahr, 
dafs die Gesamtheit dessen, was wir sehen und greifen können 
noch keine gesetzmäfsige Welt bildet, in welcher gleiche Zu- 
stände stets gleiche Folgen haben. Wir überzeugen uns, dafs 
die Mannigfaltigkeit der wirklichen Welt gröfser sein mufs 
als die Mannigfaltigkeit der Welt, welche sich unseren Sinnen 
unmittelbar offenbart. Wollen wir ein abgerundetes, in sich 
geschlossenes, gesetzmäfsiges Weltbild erhalten, so müssen wir 
hinter den Dingen, welche wir sehen, noch andere, unsichtbare 
Dinge vermuten, hinter den Schranken unserer Sinne noch 
heimliche Mitspieler suchen. Diese tieferliegenden Einflüsse 
erkannten wir in den ersten beiden Darstellungen an und wir 
dachten sie uns als Wesen einer eigenen und besonderen Art, 
deshalb schufen wir zu ihrer Wiedergabe in unserem Bilde 
die Begriffe der Kraft und der Energie. Es steht uns aber 
noch ein anderer Weg offen. Wir können zugeben, dafs ein 
verborgenes Etwas mitwirke und doch leugnen, dafs dieses 
Etwas einer besonderen Kategorie angehöre. Es steht uns 
frei anzunehmen, dafs auch das Verborgene nichts anderes sei 
als wiederum Bewegung und Masse, und zwar solche Bewegung 
und Masse, welche sich von der sichtbaren nicht an sich 
unterscheidet, sondern nur in Beziehung auf uns und auf 
unsere gewöhnlichen Mittel der Wahrnehmung. Diese Auf- 
fassungsweise ist nun eben unsere Hypothese. Wir nehmen 
also an, dafs es möglich sei, den sichtbaren Massen des 
Einleitung. 81 
Weltalls andere denselben Gesetzen gehorchende Massen hinzu- 
zudichten von solcher Art, dafs dadurch das Ganze Gesetz- 
mäfsigkeit und Verständlichkeit gewinnt, und zwar nehmen 
wir an, dafs dies ganz allgemein und in allen Fällen möglich 
sei, und dafs es daher andere Ursachen der Erscheinungen 
auch gar nicht gebe, als die hierdurch zugelassenen. Was 
wir gewohnt sind als Kraft und als Energie zu bezeichnen ist 
dann fiir uns nichts weiter als eine Wirkung von Masse und 
Bewegung, nur braucht es nicht immer die Wirkung grob- 
sinnlich nachweisbarer Masse und grobsüanlich nachweisbarer 
Bewegung zu sein. Eine derartige Erklärung einer Kraft aus 
Bewegungsvorgängen pflegt man eine dynamische zu nennen, 
und man kann wohl sagen, dafs die Physik gegenwärtig der- 
artigen Erklärungen in hohem Grade hold ist. Die Kräfte 
der Wärme hat man mit Sicherheit auf die verborgenen Be- 
wegungen greifbarer Massen zurückgeführt. Durch Maxwell's 
Verdienst ist die Vermutung fast zur Überzeugung geworden, 
dafs wir in den elektrodynamischen Kräften die Wirkung der 
Bewegung verborgener Massen vor uns haben. Lord Kelvin 
rückt die Möglichkeit dynamischer Erklärungen der Kräfte 
mit Vorliebe in den Vordergrund seiner Betrachtungen; in 
seiner Theorie von der Wirbelnatur der Atome hat er ein 
dieser Anschauung entsprechendes Bild des Weltganzen zu 
geben versucht, von Helmholtz hat in der Untersuchung 
über die cyklischen Systeme die wichtigste Form der verbor- 
genen Bewegung ausführlich und zum Zwecke allgemeiner An- 
wendung behandelt; durch ihn ist den Ausdrücken „verborgene" 
Masse, „verborgene" Bewegung die Geltung technischer Aus- 
drücke im Deutschen verliehen. Hat aber jene Hypothese die 
Fähigkeit, die geheimnisvollen Kräfte allmählich aus der Mechanik 
wieder zu eliminieren, so kann sie auch verhindern, dafs die- 
selben überhaupt in die Mechanik eintreten. Und entspricht 
die Verwertung der Hypothese zu ersterem Zwecke der Denk- 
weise der heutigen Physik, so mufs das Gleiche von ihrer 
Benutzung zu letzterem Zwecke gelten. Dies ist der leitende 
Gedanke, von welchem wir ausgehen und durch dessen Ver- 
folgung dasjenige Bild entsteht, welches wir als das dritte 
bezeichneten, und dessen allgemeine Umrisse wir nun um- 
&hren wollen. 
32 Einleitung. 
Zuerst führen wir also ein die drei unabhängigen Grund- 
begriffe Zeit, Baum und Masse als Gegenstände der Erfahrung, 
indem wir angeben, durch welche konkreten sinnlichen Erfah- 
rungen wir uns Zeiten, Massen, räumliche Gröfsen bestimmt 
denken wollen. Was die Massen anbelangt, so behalten wir 
uns vor, neben den sinnlich wahrnehmbaren Massen durch 
Hypothese verborgene Massen einzuführen. Wir stellen sodann 
die Beziehungen zusammen, welche zwischen jenen konkreten 
Erfahrungen stets obwalten und welche wir als die wesent- 
lichen Beziehungen zwischen den Grundbegriffen festzuhalten 
haben. Es ist naturgemäfs, dafs wir die Grundbegriffe zu- 
nächst zu je zweien verbinden. Die Beziehungen, welche 
Raum und Zeit allein betreffen, können wir als Kinematik 
voraussenden. Zwischen Masse und Zeit allein besteht keine 
Verknüpfung. Masse und Baum dagegen treten wieder zu- 
sammen zu einer Beihe wichtiger erfahrungsmäfsiger Bezie- 
hungen. Wir finden nämlich zwischen den Massen der Natur 
gewisse rein räumliche Zusammenhänge, welche darin bestehen, 
dafs von Anbeginn an für alle Zeiten, und also unabhängig 
von der Zeit, jenen Massen gewisse Lagen und gewisse Ände- 
rungen der Lage als mögliche, alle anderen aber als unmögliche 
vorgeschrieben und zugeordnet sind. Wir können über diese 
Zusammenhänge femer allgemein aussagen, dafs sie nur die 
relative Lage der Massen unter einander betreffen und weiter- 
gehend, dafs sie gewissen Bedingungen der Stetigkeit genügen, 
welche ihren mathematischen Ausdruck darin finden, dafs sich 
die Zusammenhänge selbst stets durch homogene lineare Glei- 
chungen zwischen den ersten Differentialen derjenigen Gröfsen 
wiedergeben lassen, durch welche wir die Lage der Massen 
bezeichnet haben. Die Zusammenhänge bestimmter materieller 
Systeme im einzelnen zu erforschen ist nicht Sache der 
Mechanik, sondern der experimentellen Physik; die bezeich- 
nenden Merkmale, durch welche sich die verschiedenen mate- 
riellen Systeme der Natur unterscheiden, sind nach unserer 
Vorstellung eben einzig und allein die Zusammenhänge ihrer 
Massen. In den bisherigen Erörterungen haben wir nur je 
zwei der Grundbegriffe für sich verbunden, nunmehr wenden 
wir uns der eigentlichen Mechanik im engeren Sinne zu, in 
welcher alle drei zusammenzutreten haben. Es gelingt uns 
Mnleitimg, 33 
ihre erfahrungsmäfsige allgemeine Verknüpfung zusammen- 
zufassen in ein einziges Grundgesetz , welches eine sehr nahe 
Analogie mit dem gewöhnlichen Trägheitsgesetz zieht. In der 
That läfst es sich in der Ausdrucksweise, welche wir benutzen, 
wiedergeben in der Aussage: jede natürliche Bewegung eines 
selbständigen materiellen Systems bestehe darin, dafs das 
System mit gleichbleibender Geschwindigkeit eine seiner ge- 
radesten Bahnen verfolge. Diese Aussage ist allerdings nur 
verständlich, nachdem die benutzte mathematische Bedeweise 
gehörig erörtert ist; der Sinn des Satzes aber läfst sich auch 
in der gewöhnlichen Sprache der Mechanik wiedergeben. Jener 
Satz fafst nämlich einfach das gewöhnliche Trägheitsgesetz 
und das GAUSs'sche Prinzip des kleinsten Zwanges in eine 
einzige Behauptung zusammen. Er sagt also aus, dafs, wenn 
die Zusammenhänge des Systems einen Augenblick gelöst 
werden könnten, dafs sich dann seine Massen in geradliniger 
und gleichförmiger Bewegung zerstreuen würden, dafs aber, 
da solche Auflösung nicht möglich ist, sie jener angestrebten 
Bewegung wenigstens so nahe bleiben als möglich. Wie jenes 
Grundgesetz in unserem Bilde der erste Erfahrungssatz der 
eigentlichen Mechanik ist, so ist er auch der letzte. Aus ihm 
zusammen mit der zugelassenen Hypothese verborgener Massen 
und gesetzmäfsiger Zusammenhänge leiten wir den übrigen 
Inhalt der Mechanik rein deduktiv ab. Um ihn gruppieren 
wir die übrigen allgemeinen Prinzipien nach ihrer Verwandt- 
schaft zu ihm und untereinander, als Folgerungen oder als 
Teilaussagen. Wir bemühen uns zu zeigen, dafs bei dieser 
Anordnung der Inhalt unserer Wissenschaft nicht weniger reich 
und mannigfaltig ausfällt, als der Inhalt einer Mechanik, welche 
von vier Grundvorstellungen ausgeht, jedenfalls nicht weniger 
reich und mannigfaltig als es die Darstellung der Natur ver- 
langt. Übrigens erweist es sich auch hier bald als zweck- 
mäfsig, den Begriff der Krafb einzuführen. Aber die Straft 
tritt nun nicht auf als etwas von uns unabhängiges und uns 
fremdes, sondern als eine mathematische Hilfskonstruktion, 
deren Eigenschaften wir völlig in unserer Gewalt haben, und 
welche also auch für uns nichts Bätselhaftes an sich haben 
kann. Nach dem Grundgesetze mufs nämlich überall da, wo 
zwei Körper demselben System angehören, die Bewegung des 
Herts, Mechanik. 3 
34 Einleitung. 
einen durch die Bewegung des anderen mitbestimmt sein. Der 
Begriflf der Kraft entsteht nun dadurch, dafs wir es aus an- 
gebbaren Gründen zweckmäfsig finden, diese Bestimmung 
der einen Bewegung durch die andere in zwei Stadien zu zer- 
legen und uns zu sagen: die Bewegung des ersten Körpers 
bestimme zunächst eine Ej*aft, diese Kraft erst bestimme die 
Bewegung des zweiten Körpers. Auf diese Weise wird jede 
Kraft zwar stets Ursache einer Bewegung, mit gleichem Rechte 
aber zugleich auch stets Folge einer Bewegung; sie wird, genau 
gesprochen, das nur gedachte Mittelglied zwischen zwei Be- 
wegungen. Es ist klar, dafs bei dieser Auffassung die allge- 
meinen Eigenschaften der Kräfte mit Denknotwendigkeit aus 
dem Grundgesetze folgen müssen und wenn wir in möglichen 
Erfahrungen diese Eigenschaften bestätigt sehen, so kann uns 
dies nicht einmal verwundem, wenn anders wir an unserm 
Grundgesetz nicht zweifeln. Mit dem Begriffe der Energie und 
mit allen anderen einzuführenden Hilfskonstruktionen liegt die 
Sache ganz ebenso. 
Was wir bisher gesagt haben, betraf den physikalischen 
Inhalt des vorzuft^hrenden Bildes und erschöpfte denselben im 
Bahmen dieser Einleitung; es wird zweckmäfsig sein, nun 
auch eine kurze Erörterung der besonderen mathematischen 
Form zu widmen, in welcher wir denselben wiedergeben wer- 
den. Jener Inhalt ist von dieser Form ganz unabhängig und 
es ist vielleicht nicht ganz klug gehandelt, dafs wir einen von 
dem Herkömmlichen abweichenden Inhalt sogleich in einer 
ungewohnten Form darbieten. Indessen weichen ja sowohl 
Form als Inhalt ein jedes für sich nur sehr wenig von wohl- 
bekannten Dingen ab, aufserdem passen eben dieser Inhalt und 
diese Form so zu einander, dafs ihre Vorzüge sich gegenseitig 
stützen. Das wesentliche Merkmal der benutzten Terminologie 
besteht nun darin, dafs sie gleich von vornherein ganze 
Systeme von Punkten vorstellt und in Betracht zieht, nicht 
aber jedesmal von den einzelnen Punkten ausgeht. Einem 
jeden sind die Ausdrücke „Lage eines Systems von Punkten" 
und „Bewegung eines Systems von Punkten" geläufig. Es ist 
eine nicht unnatürliche Fortsetzung dieser Redeweise, wenn 
wir die Gesamtheit der bei der Bewegung durchlaufenen Lagen 
Einleitung, 35 
eines Systems als seine Bahn bezeichnen. Jeder kleinste Teil 
dieser Bahn ist alsdann ein Bahnelement. Von zwei Bahn- 
elementen kann das eine ein Teil des andern sein, sie unter- 
scheiden sich alsdann noch nach der Gröfse und nur nach 
dieser. Zwei Bahnelemente, welche von derselben Lage aus- 
gehen, können aber auch verschiedenen Bahnen angehören, 
alsdann ist keines von beiden ein Teil des anderen und sie 
unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der Gröfse; wir sagen 
deshalb, dafs sie auch verschiedene Richtung haben. Durch diese 
Aussagen sind freilich die Merkmale „Gröfse^' und „Bichtung^^ 
für die Bewegung eines Systems noch nicht eindeutig bestimmt; 
wir können aber unsere Definition geometrisch oder analytisch 
so vervollständigen, dafs ihre Folgen weder mit sich selbst 
noch mit dem Gesagten in Widerspruch geraten und dafs 
zugleich die definierten Gröfsen in der Geometrie des Systems 
genau den Gröfsen entsprechen, welche wir in der Geometrie 
des Punktes mit den gleichen Namen bezeichnen, mit welchen 
bekannten Gröfsen sie auch stets zusammenfallen, sobald das 
System sich auf einen Punkt reduziert. Sind aber einmal die 
Merkmale Gröfse und Richtung bestimmt, so liegt es nahe 
genug, die Bahn eines Systems gerade zu nennen, wenn alle 
ihre Elemente die gleiche Richtung haben; und krumm, sobald 
die Richtung der Elemente sich von Lage zu Lage ändert. 
Als Mafs der Krümmung bietet sich wie in der Geometrie des 
Punktes die Anderungsgeschwindigkeit der Richtung mit der 
Lage von selber dar. Durch diese Definition sind nun aber 
schon eine ganze Reihe von Beziehungen gegeben und die Zahl 
derselben wächst, sobald die Bewegungs£reiheit des betrachteten 
Systems' durch seine Zusammenhänge eingeschränkt ist. Ins- 
besondere lenken alsdann gewisse Klassen von Bahnen die 
Aufmerksamkeit auf sich, welche sich unter den möglichen 
durch besondere einfache Eigenschaften auszeichnen. Hierher 
gehören vor allen Dingen diejenigen Bahnen, welche in jeder 
ihrer Lagen so wenig wie möglich gekrümmt sind und welche 
wir als die geradesten Bahnen des Systems bezeichnen. Sie 
sind es, von welchen in dem Grundgesetz die Rede ist und 
welche wir schon oben bei Anführung desselben erwähnt haben. 
Hierher gehören femer diejenigen Bahnen, welche die kürzeste 
Verbindung zwischen irgend zweien ihrer Lagen bilden, und 
36 Einleitung. 
welche wir als kürzeste Bahnen des Systems bezeichnen, 
unter gewissen Bedingungen faUen die Begriffe der geradesten 
und der kürzesten Bahnen zusammen. Dies Verhältnis ist 
uns durch Erinnerung an die Theorie der krummen Ober- 
flächen sogar höchst geläufig, aber allgemein und unter allen 
umständen hat es gleichwohl nicht statt. Die Sammlung tmd 
Ordnung aller hier auftretenden Beziehungen gehört in die 
Geometrie der Punktsysteme und die Entwickelimg dieser Geo- 
metrie hat eigenen mathematischen Reiz; wir verfolgen dieselbe 
aber nur soweit als es der augenblickliche Zweck der physi- 
kalischen Anwendung erfordert. Da ein System von n Punkten 
eine anfache Mannigfaltigkeit der Bewegung darbietet, welche 
aber durch die Zusammenhänge des Systems auch auf jede 
beliebige Zahl vermindert werden kann, so entstehen viele 
Analogien mit der Geometrie eines mehrdimensionalen Baumes, 
welche zum Teil so weit gehen, dafs dieselben Sätze und Be- 
zeichnungen hier und dort Bedeutung haben können. Es ist 
aber in unserem Interesse zu betonen, dafs diese Analogien 
nur formale sind, und dafs trotz eines gelegentlich fremdartigen 
Klanges sich unsere Betrachtung ausnahmslos auf konkrete Ge- 
bilde des Baumes unserer Sinnenwelt beziehen, dafs also auch 
alle unsere Aussagen mögliche Erfahrungen darstellen und 
wenn es nötig wäre, durch unmittelbare Versuche, nämlich 
durch Messung an Modellen bestätigt werden könnten. Den 
Vorwurf, dafs wir beim Aufbau einer Erfahrungswissenschaft 
die Welt der Erfahrung verlassen, diesen Vorwurf haben wir 
also nicht zu fürchten. Dagegen haben wir Bede zu stehen 
auf die Frage, ob sich denn die Weitläufigkeit einer neuen 
und ungewohnten .Ausdrucksweise lohne, und welchen ent- 
sprechenden Nutzen wir von der Anwendung derselben erwarten? 
Als Antwort nennen wir darauf als ersten Nutzen die grofse 
Einfachheit und Kürze^ mit welcher sich die meisten allgemeinen 
und umfassenden Aussagen wiedergeben lassen. In der That 
erfordern Sätze, welche ganze Systeme behandeln hier nicht 
mehr Worte und nicht mehr Begriffe, als wenn sie unter 
Benutzung der gewöhnlichen Ausdrucksweise in Bezug auf 
einen einzelnen Punkt ausgesagt würden. Die Mechanik des 
materiellen Systems erscheint hier nicht mehr als eine Er- 
weiterung und Verwickelung der Mechanik des einzelnen Punktes, 
Einleitung. 37 
sondern die letztere fällt als selbständige Untersuchung fort 
oder tritt doch nur gelegentlich als Vereinfachung und beson- 
derer Fall der ersteren auf. Wendet man etwa ein, diese 
Einfachheit sei künstlich erzeugt, so antworten wir, dafs es 
gar keine andere Methode gebe, einfache Beziehungen zu 
schaffen, als die künstliche und wohlerwogene Anpassung 
unserer Begriffe an die darzustellenden Verhältnisse. Will man 
aber in jenem Vorwurf des Künstlichen den Nebensinn des 
Gesuchten und Unnatürlichen hervorheben, so dürfen wir dem 
entgegenhalten, dafs man vielleicht mit mehr Becht die Be- 
trachtung ganzer Systeme für das Natürliche und Naheliegende 
halten könne, als die Betrachtung einzelner Punkte. Denn in 
Wahrheit ist uns das materielle System unmittelbar gegeben, 
der einzelne Massenpunkt eine Abstraktion; alle wirkliche Er- 
fahrung wird unmittelbar nur an Systemen gewonnen und die 
an einfachen Punkten möglichen Erfahrungen sind daraus durch 
Verstandesschlüsse abgezogen. Als einen zweiten, allerdings 
nicht sehr wesentlichen Nutzen heben wir die Vorzüge der 
Form hervor, welche durch unsere mathematische Einkleidung 
dem Grundgesetz gegeben werden kann. Ohne jene Einklei- 
dung müfsten wir es zerlegen in das erste NEwroN'sche Ge- 
setz und das GAUSs'sche Prinzip des kleinsten Zwanges. Beide 
zusammen würden nun zwar genau dieselbe Thatsache dar- 
stellen, aber sie würden neben dieser Thatsache andeutungs- 
weise noch ein wenig mehr enthalten und dieses Mehr wäre 
ein Zuviel. Erstens rufen sie die unserer Mechanik fremde 
Vorstellimg wach, dafs die Zusammenhänge der materiellen 
Systeme doch auch gelöst werden könnten, obwohl wir die- 
selben als von Anbeginn an bestehende und als gänzlich un- 
lösbare bezeichnet haben. Zweitens kann man bei Benutzung 
des GAUSs'schen Prinzips nicht vermeiden, die Nebenvorstellung 
zu erwecken, dafs man nicht nur eine Thatsache, sondern zu- 
gleich auch den Grund dieser Thatsache mitteilen wolle. Man 
kann nicht aussagen, dafs die Natur eine Gröfse, welche man 
Zwang nennt, beständig so klein als möglich hält, ohne anzu- 
deuten, dafs dies geschehe, eben weil jene Gröfse für die Natur 
einen Zwang, das heifst ein Unlustgefühl bedeute. Man kann 
nicht aussagen, dafs die Natur verfahre wie ein verständiger 
Rechner, der seine Beobachtung ausgleicht, ohne nahezulegen. 
38 Einleitung. 
dafs hier wie dort wohlüberlegte Absicht der Grund des Ver- 
fahrens sei. Gewifs liegt gerade ein besonderer Reiz in der- 
artigen Seitenblicken und dies hat Gauss selbst in gerechter 
Freude an seiner schönen und für unsere Mechanik grund- 
legenden Entdeckung hervorgehoben. Aber doch müssen wir 
uns gestehen, dafs dieser Reiz nur ein Spiel mit dem Geheimnis- 
vollen ist; im Ernste glauben wir selbst nicht an unser Ver- 
mögen, durch derartige Andeutungen halb schweigend das Welt- 
rätsel zu lösen. Unser eigenes Grundgesetz vermeidet solche 
Winke gänzlich. Indem es genau die Form des gewöhnlichen 
Trägheitsgesetzes annimmt, giebt es so gut wie dieses eine 
nackte Thatsache ohne jeden Schein einer Begründung der- 
selben. In demselben Mafse, in welchem es dadurch ärmer 
und ungeschmückter erscheint, in demselben Mafse ist es ehr- 
licher und wahrer. Doch vielleicht verführt mich die Vorliebe 
für die kleine Abänderung, welche ich selbst an dem Gauss'- 
schen Prinzip angebracht habe, dafs ich Vorzüge in ihr er- 
blicke, welche fremden Augen notwendig verborgen sind. Sicher 
aber wird man, denke ich, dagegen zustimmen, wenn ich als 
dritten Nutzen unserer Methode anführe, dafs dieselbe ein 
helles Licht auf die von Hamilton erfundene Behandlungs- 
weise mechanischer Probleme mit Hilfe charakteristischer 
Funktionen wirft. Diese Behandlungsweise hat in den sechzig 
Jahren ihres Bestehens Anerkennung und Ruhm genug gefunden, 
aber sie ist doch mehr aufgefafst und behandelt worden wie 
ein neuer Seitenzweig der Mechanik, dessen Wachstum und 
Weiterbildung neben der gewöhnlichen Methode und unab- 
hängig von derselben vor sich zu gehen habe. In unserer 
Form der mathematischen Darstellung aber trägt die Hjlmil- 
TON'sche Methode nicht den Charakter eines Seitenzweiges, son- 
dern sie erscheint als die gerade, naturgemäfse und sozusagen 
selbstverständliche Fortsetzung der elementaren Aussagen in 
allen den Fällen, in welchen sie überhaupt anwendbar ist 
Auch das läfst unsere Darstellungsweise klar hervortreten, 
dafs die HAMTTiTON^sche Behandlungsweise nicht in den be- 
sonderen physikalischen Grundlagen der Mechanik ihre Wurzeln 
hat, wie man wohl gewöhnlich annimmt, sondern dafs sie im 
Grunde genommen eine rein geometrische Methode ist, welche 
begründet und ausgebildet werden kann, ganz unabhängig von 
Einleitung. 39 
der Mechanik, und welche mit dieser in keiner engeren Be- 
ziehung steht, als alle andere von der Mechanik benutzte 
geometrische Erkenntnis auch. Übrigens ist es von den Mathe- 
matikern seit lange bemerkt worden, dafs die Hamilton' sehe 
Methode rein geometrische Wahrheiten enthält und zum klaren 
Ausdruck derselben eine eigentümliche, ihr angepafste Aus- 
drucksweise geradezu fordert. Nur ist diese Thatsache in 
etwas verwirrender Form zu Tage getreten, nämlich in den 
Analogieen, welche man beim Verfolg der HAMiLTON'schen 
Gedanken zwischen der gewöhnlichen Mechanik und der Geome- 
trie eines vieldimensionalen Raumes gefunden hat. Unsere 
Ausdrucksweise giebt eine einfache und verständliche Erklärung 
dieser Analogieen; sie gestattet auch die Vorteile derselben zu 
geniefsen und sie vermeidet doch die ünnatürlichkeit, welche 
in der Verquickung eines Zweiges der Physik mit aufsersinn- 
lichen Abstraktionen liegt. 
Wir haben nunmehr unser drittes Bild der Mechanik nach 
Inhalt und Form soweit geschildert, als es angeht ohne dem 
Buche selbst vorzugreifen; zugleich hinreichend, um es den 
beabsichtigten Fragen nach seiner Zulässigkeit, seiner Richtig- 
keit und seiner Zweckmäfsigkeit unterwerfen zu können. Was 
zunächst die logische Zulässigkeit des entworfenen Bildes 
anlangt, so denke ich, dafs dieselbe selbst strengen Anforde- 
rungen genügen könne, und hoffe, dafs diese Meinung der Zu- 
stimmung begegnen möge. Ich lege auf diesen Vorzug der 
Darstellung das gröfste Gewicht, ja einzig Gewicht. Ob das 
entworfene Bild zweckmäfsiger ist, als ein anderes, ob es fähig 
ist alle zukünftige Erfahrung zu umfassen, ja ob es auch 
nur alle gegenwärtige Erfahrung umfafst, alles dies ist mir 
fast nichts gegen die Frage, ob es in sich abgeschlossen, rein 
und widerspruchsfrei ist. Denn nicht deshalb habe ich es zu 
zeichnen versucht, weil die Mechanik nicht bereits für ihre 
Anwendungen genügend Zweckmäfsigkeit zeigte, noch weil 
dieselbe mit der Erfahrung irgend in Widerstreit geraten 
wäre, sondern allein um mich von dem drückenden Gefühle 
zu befreien, dafs ihre Elemente nicht frei seien von Dunkel- 
heiten und UnVerständlichkeiten für mich. Nicht das einzig 
mögliche Bild der mechanischen Vorgänge, noch auch das 
40 Mnleüu/ng. 
beste Bild, sondern überhaupt nur ein begreifbares Bild wollte 
ich suchen und an einem Beispiel zeigen, dafs ein solches 
möglich sei und wie es etwa aussehen müsse. Die Voll- 
kommenheit ist uns freilich in jeder Richtung unerreichbar, 
und ich mufs mir gestehen, dafs trotz vieler Mühe das erlangte 
Bild nicht in allen Punkten von so überzeugender Klarheit 
ist, dafs es nicht dem Zweifel ausgesetzt und der Verteidigung 
bedürftig wäre. Doch scheint mir von Einwänden allgemeiner 
Art nur ein einziger hinreichend nahe zu liegen, dafs es sich 
lohnt, ihn vorwegzunehmen und abzuschneiden. Er betrifft die 
Natur der starren Verbindungen, welche wir zwischen den 
Massen annehmen^ und welche wir auch in unserem System 
auf keine Weise entbehren können. Viele Physiker werden 
zunächst der Ansicht sein, dafs mit diesen Verbindungen doch 
schon Kräfte in die Elemente der Mechanik eingeführt und zwar in 
heimlicher und deshalb unerlaubter Weise eingeführt seien. Denn 
— so werden sie sagen — starre Verbindungen sind nicht denkbar 
ohne Kräfte ; starre Verbindungen können nicht auf andere Weise 
zu stände kommen, als indem sie durch Kräfte erzwungen werden. 
Wir antworten darauf: Eure Behauptung ist allerdings richtig für 
die Denkweise der gewöhnlichen Mechanik, aber sie ist nicht richtig 
unabhängig von dieser Denkweise; sie erscheint nicht zwingend 
dem Geist, welcher die Sache unbefangen und wie zum erstenmal 
betrachtet. Gesetzt wir finden, auf welche Weise auch immer, 
dafs der Abstand zweier bestimmter punktförmiger Massen zu 
allen Zeiten und unter allen Umständen derselbe bleibt, so 
können wir dieser Thatsache Ausdruck verleihen, ohne andere 
als räumliche Vorstellungen zu benutzen und die ausgesagte 
Thatsache hat als Thatsache für die Voraussicht zukünftiger 
Erfahrung und für alle andern Zwecke ihren Wert unabhängig 
von einer etwaigen Erklärung, welche wir besitzen oder nicht 
besitzen. Auf keinen Fall wird der Wert der Thatsache 
erhöht oder unser Verständnis von ihr verbessert dadurch, dafs 
wir sie in der Form mitteilen: Zwischen jenen Massen wirke 
eine Kraft, welche ihren Abstand konstant hält, oder: Zwischen 
ihnen sei eine Kraft thätig, welche verhindert, dafs sich ihr 
Abstand von seinem festen Wert entferne. Aber — so wird 
man uns wieder einwenden - wir sehen ja, dafs die letztere 
Erklärung, obwohl scheinbar nur eine lächerliche Umschreibung, 
Mfüeitimg, 41 
gleichwohl richtig ist. Denn alle Verbindungen der wirklichen 
Welt sind nur angenähert starr und der Schein der Starrheit 
wird nur dadurch hervorgebracht, dafs die elastischen Kräfte 
die kleinen Abweichungen von der Ruhelage beständig wieder 
vernichten. Wir antworten: Von solchen starren Verbindungen 
der greifbaren Körper, welche nur angenähert verwirklicht 
sind, wird unsere Mechanik selbstverständlich als Thatsache 
auch nur aussagen, dafs ihnen angenähert gentigt werde und 
zu dieser Aussage, auf welche es ankommt, bedarf sie wiederum 
des Begriffs der Kraft nicht. Will unsere Mechanik aber in 
zweiter Annäherung die Abweichungen und damit die elastischen 
Kräfte berücksichtigen, so wird sie für diese wie flir alle 
£räfte eine dynamische Erklärung annehmen; bei der Suche 
nach den wirklich starren Verbindungen wird sie vielleicht zur 
Welt der Atome hinabzusteigen haben, aber diese Erörterungen 
sind hier nicht am Platze, sie berühren nicht mehr die Frage, 
ob es logisch zulässig sei, feste Verbindungen unabhängig 
von und vor den Kräften zu behandeln. Dafs diese Frage zu 
bejahen sei und nur dies wünschten wir zu erweisen und 
glauben wir erwiesen zu haben. Steht aber dies fest, so 
können vrir aus der Natur der festen Verbindungen die Eigen- 
schaften der Kräfte und ihr Verhalten ableiten ohne uns 
damit einer petitio principii schuldig gemacht zu haben. 
Andere Einwände ähnlicher Art sind möglich, können aber, 
wie ich glaube, in ähnlicher Art erledigt werden. 
Dem Wunsche, die logische Reinheit des Systems auch 
in allen Einzelheiten zu erweisen, habe ich dadurch Ausdruck 
gegeben, dafs ich für die Darstellung die ältere synthetische 
Form benutzt habe. Diese Form bietet für jenen Zweck schon 
darin einen gewissen Vorteil, dafs sie uns zwingt, jeder wesent- 
lichen Aussage den beabsichtigten logischen Wert in abwechs- 
Inngsarmer aber bestimmter Angabe vorauszuschicken. Dadurch 
werden die bequemen Vorbehalte und Vieldeutigkeiten unmöglich 
gemacht, zu welchen die gewöhnliche Sprache durch den Reich- 
tum ihrer Verknüpfung verlockt. Der wichtigste Vorteü der 
gewählten Form ist aber dieser, dafs sie stets nur auf Vor- 
bewiesenes sich beruft, niemals auf später zu erweisendes, 
80 dafs man der ganzen Kette sicher ist, wenn man beim Vor- 
42 MfUeitung, 
wärtsschreiten nur jedes einzelne Glied genügend prüfk. In 
dieser Hinsicht habe ich den Pflichten dieser Art der Dax- 
Btellung mit Strenge zu genügen gesucht. Im übrigen ist es 
selbstTerständlich, dafs die Form allein vor Irrtum und Über- 
sehen keinen Schutz gewähren kann und bitteich etwa eingeflossene 
Fehler nicht um des etwas anspruchsvoUen Vortrags wiDen 
strenger zu beurteilen. Ich hoffe, solche Fehler werden stets 
verbesserungsfahig sein und daher keinen wesentlichen Punkt 
betreffen. Bisweilen bin ich übrigens bewufster Weise zur 
Vermeidung allzu grofser Weitläufigkeit hinter der vollen 
Schärfe zurückgeblieben, welche die Darstellungsweise eigentlich 
fordert. Es bedarf keiner besonderen Begründung, dafs ich 
den Betrachtungen der eigentlichen Mechanik, welche von 
physikalischer Erfahrung abhängt, diejenigen Beziehungen 
vorausgeschickt habe, welche allein Folge der gewählten De- 
finitionen und mathematischer Notwendigkeit sind, und welche, 
wenn überhaupt, so doch jedenfalls in anderm Sinne als jene 
mit der Erfahrung zusammenhängen. Nichts hindert übrigens 
den Leser, mit dem zweiten Buche zu beginnen. Die durch- 
sichtige Analogie mit der Mechanik des einzelnen Punktes und 
der bekannte Stoff werden ihn den Sinn der vorgetragenen 
Sätze leicht erraten lassen. Hat er der benutzten Bedeweise 
Zweckmäfsigkeit zugebilligt, so ist immer noch Zeit, dafs er 
sich aus dem ersten Buche von ihrer Zulässigkeit überzeuge. 
Wenden wir uns jetzt der zweiten wesentlichen Forderung 
zu, welcher unser Bild zu genügen hat, so ist es zunächst 
unzweifelhaft, dafs das System sehr viele natürliche Bewegungen 
richtig darstellt. Allein nach den Ansprüchen des Systems 
genügt dies nicht; es mufs als notwendige Ergänzung die Be- 
hauptung dahin erweitert werden, dafs das System alle natür- 
lichen Bewegungen ohne Ausnahme umfasse. Auch dies kann 
man, denke ich, behaupten, wenigstens in dem Sinne, dafs 
sich zur Zeit keine bestimmten Erscheinungen angeben lassen, 
welche dem System nachweislich widersprächen. Es ist frei- 
lich klar, dafs die Ausdehnung auf alle Erscheinungen einer 
scharfen Prüfung nicht zugänglich ist, dafs daher das System 
über das Ergebnis sicherer Erfahrung ein wenig hinausgeht 
und also den Charakter einer Hypothese trägt, welche ver- 
Einleitung. 43 
Suchsweise angenommen wird und auf plötzliche Widerlegung 
durch ein einziges Beispiel oder allmähliche Bestätigung durch 
sehr viele Beispiele wartet. Vornehmlich sind es zwei Stellen, 
an welchen ein Hinausgehen über sichere Erfahrung statt- 
findet: Die eine betrifft unsere Beschränkung der möglichen 
Zusammenhänge, die andere betrifft die dynamische Erklärung 
der Kräfte. Mit welchem Rechte können wir versichern, dafs 
alle Zusammenhänge der Natur durch lineare Differential- 
gleichungen erster Ordnung sich ausdrücken lassen? Diese 
Annahme ist für uns nicht eine nebensächliche, welche wir 
auch fallen lassen könnten; mit ihr fiele unsere Mechanik; 
denn es fragt sich, ob auf Verbindungen allgemeinster Art 
unser Grundgesetz anwendbar bliebe. Und doch sind Ver- 
bindungen allgemeinerer Art nicht nur vorstellbar, sie werden 
auch in der gewöhnlichen Mechanik ohne Bedenken zugelassen. 
Dort hindert uns nichts, die Bewegung eines Punktes zu unter- 
suchen, dessen Bahn der einzigen Beschränkung unterworfen 
ist, dafs sie mit einer gegebenen Ebene einen gegebenen Winkel 
bUde, oder dafs ihr Krümmungshalbmesser beständig einer 
gegebenen anderen Länge proportional sei. Diese Bedingungen 
fallen schon nicht mehr unter diejenigen, welche unsere Mechanik 
zuläfst. Woher nehmen wir aber die Gewifsheit, dafs sie auch 
durch die Natur der Dinge ausgeschlossen seien? Wir können 
erwidern, dafs man vergeblich versuche, diese und ähnliche 
Verbindungen durch ausführbare Mechanismen zu verwirk- 
lichen und wir können uns in dieser Ansicht auf die gewaltige 
Autorität von HetiMholtz's berufen. Aber in jedem Beispiel 
können Möglichkeiten übersehen worden sein, und noch so 
viele Beispiele würden nicht hinreichen, die allgemeine Be- 
hauptung zu erweisen. Mit mehr Recht können wir, wie mir 
scheint, als Grund unserer Überzeugung anfuhren, dafs alle 
Verbindungen eines Systems, welche aus dem Rahmen unserer 
Mechanik heraustreten, in dem einen oder in dem andern 
Sinne eine unstetige Aneinanderreihung seiner möglichen Be- 
wegungen bedeuten würden, dafs es aber in der That eine 
Erfahrung allgemeinster Art sei, dafs die Natur im Unendlich- 
kleinen überall und in jedem Sinne Stetigkeit aufweise, eine 
Erfahrung, die sich in dem alten Satze „natura non facit 
saltus", zu fester Überzeugung verdichtet hat. Ich habe des- 
44 Mnleitimg, 
halb auch im Texte Wert darauf gelegt, die zugelassenen Ver- 
bindungen aDein durch ihre Stetigkeit zu definieren, und ihre 
Eigenschaft, sich durch Gleichungen bestimmter Form dar- 
stellen zu lassen, erst aus jener abzuleiten. Eigentliche Sicher- 
heit wird indessen auch so nicht erlangt. Denn die Unbestimmt- 
heit jenes alten Satzes läfst es zweifelhaft erscheinen, ob die 
Grenzen seiner berechtigten Tragweite hinreichend feststehen 
und wieweit er überhaupt das Ergebnis wirklicher Erfahrung, 
wieweit das Ergebnis willkürlicher Voraussetzung ist. Am ge- 
wissenhaftesten wird es daher sein, zuzugeben, dafs unsere 
Annahme über die zulässigen Verbindungen den Charakter 
einer versuchsweise angenommenen Hypothese trage. Ganz 
ähnlich liegen die Dinge in betreff der dynamischen Erklärung 
der Kräfte. Wir können allerdings zeigen, dafs gewisse Klassen 
verborgener Bewegungen Kräfte erzeugen, welche, wie die Fem- 
kräfte der Natur, sich mit beliebiger Annäherung als Ablei- 
tungen von Kräftefunktionen darstellen lassen. Es stellt sich 
auch heraus, dafs die Formen dieser Kräftefunktionen sehr 
allgemeiner Natur sein können und wir leiten in der That gar 
keine Einschränkungen derselben ab. Aber auf der anderen 
Seite bleiben wir auch den Beweis schuldig, dafs sich jede 
beliebige Form der Kräftefiinktionen erzielen läfst und es bleibt 
daher die Frage offen, ob nicht etwa gerade eine der in der 
Natur vorkommenden Formen einer solchen Erklärungsweise 
sich entzieht. Es bleibt auch hier abzuwarten, ob die Zeit 
unsere Annahme widerlegen oder durch das Ausbleiben eüier 
Widerlegung mehr und mehr wahrscheinlich machen wird. Ein 
gutes Vorzeichen können wir darin sehen, dafs die Ansicht 
vieler ausgezeichneter Physiker sich der Hypothese immer 
mehr zuneigt. Ich erinnere nochmals an die Wirbeltheorie 
der Atome von Lord Kelvin, welche uns ein Bild des mate- 
riellen Weltganzen vorflihrt, wie es mit den Prinzipien unserer 
Mechanik in vollem Einklänge ist. Und doch verlangt unsere 
Mechanik keineswegs eine so grofse Einfachheit und Beschrän- 
kung der Voraussetzungen, wie sie sich Lord E[elvin auferlegt 
hat. Wir würden unsere Grundsätze noch nicht verlassen, 
wenn wir annähmen, dafs die Wirbel um starre oder um bieg- 
same, aber unausdehnbare Kerne kreisten und auch das welt- 
erfiillende Medium könnten wir anstatt der blofsen Inkom- 
Einleitung. 45 
pressibilität viel verwickeiteren Bedingungen unterwerfen, deren 
allgemeinste Form noch zu untersuchen wäre. Es erscheint 
also keineswegs ausgeschlossen, dafs wir mit den von unserer 
Mechanik zugelassenen Hypothesen zur Erklärung der Er- 
scheinungen auch ausreichen. 
Einen Vorbehalt müssen wir indessen hier einschalten. 
Es ist gewifs eine gerechtfertigte Vorsicht, wenn wir im Texte 
das Gebiet unserer Mechanik ausdrücklich beschränken auf die 
unbelebte Natur und die Frage vollkommen oflfen lassen, wie 
weit sich ihre Gesetze darüber hinaus erstrecken. In Wahr- 
heit liegt die Sache ja so, dafs wir weder behaupten können, 
dafs die inneren Vorgänge der Lebewesen denselben Gesetzen 
folgen, wie die Bewegungen der leblosen Körper, noch auch 
behaupten können, dafs sie andern Gesetzen folgen. Der An- 
schein aber und die gewöhnliche Meinung spricht für einen 
grundsätzlichen Unterschied. Und dasselbe Gefühl, welches 
uns antreibt, aus der Mechanik der leblosen Welt jede An- 
deutung einer Absicht, einer Empfindung, der Lust und des 
Schmerzes, als fremdartig auszuscheiden, dasselbe Gefühl läfst 
uns Bedenken tragen, unser Bild der belebten Welt dieser 
reicheren und bunteren Vorstellungen zu berauben. Unser 
Grundgesetz, vielleicht ausreichend die Bewegung der toten 
Materie darzustellen, erscheint wenigstens der flüchtigen 
Schätzung zu einfach und zu beschränkt, um die Mannigfaltig- 
keit selbst des niedrigsten Lebensvorganges wiederzugeben. 
Dafs dem so ist, scheint mir nicht ein Nachteil, sondern eher 
ein Vorzug unseres Gesetzes. Eben weil es uns gestattet das 
Ganze der Mechanik umfassend zu überblicken, zeigt es uns 
auch die Grenzen dieses Ganzen. Eben weil es uns nur eine 
Thatsache giebt, ohne derselben den Schein der Notwendigkeit 
beizulegen, läfst es uns erkennen, dafs alles auch anders sein 
könnte. Vielleicht wird man solche Erörterungen an dieser 
Stelle für überflüssig halten. In der That ist man auch nicht 
gewöhnt, sie in der gewöhnHchen DarsteUung der Mechanik 
bei den Elementen behandelt zu sehen. Aber dort gewährt 
die völlige Unbestimmtheit der eingeführten Kräfte noch einen 
weiten Spielraum. Man behält sich stillschweigend vor, später 
etwa einen Gegensatz zwischen den Kräften der belebten und 
46 Einleitung, 
der unbelebten Natur festzustellen. In unserer Darstellung 
ist das betrachtete Bild von vornherein so scharf umrissen, 
dafs sich nachträglich kaum mehr tief eingreifende Einteilungen 
werden vornehmen lassen. Wollen wir daher die aufgeworfene 
Frage nicht überhaupt ignorieren, so müssen wir gleich im 
Eingang Stellung zu derselben nehmen. 
Über die ZweckmäXsigkeit unseres dritten Bildes können 
wir uns ziemlich kurz fassen. Wir können aussagen, dafs 
dieselbe, wie der Inhalt des Buches zeigen soll, nach Deut- 
lichkeit und Einfachheit etwa derjenigen gleichkommt, welche 
wir dem zweiten Bilde zusprachen, und dafs wir dieselben 
Vorzüge, welche wir dort rühmten, auch hier hervorheben 
können. Allerdings ist der Umkreis der zugelassenen Möglich- 
keiten hier nicht ganz so eng gezogen wie dort, da diejenigen 
starren Verbindungen, deren Fehlen wir dort hervorhoben, 
hier durch die Grundannahmen nicht ausgeschlossen sind. 
Aber diese Erweiterung entspricht der Natur und ist daher 
ein Vorzug; auch hindert sie nicht, die allgemeinen Eigen- 
schaften der natürlichen Kräfte herzuleiten, in welchen die 
Bedeutung des zweiten Bildes lag. Einfachheit besteht hier 
wie dort zunächst im Sinne der physikalischen Anwendung. 
Auch hier können wir unsere Betrachtung auf beliebige der 
Beobachtung zugängliche Merkmale der materiellen Systeme 
beschränken, und aus ihren vergangenen Veränderungen durch 
Anwendung des Grundgesetzes die zukünftigen ableiten, ohne 
dafs wir nötig hätten, die Lagen aller Einzelmassen des 
Systems zu kennen und ohne dafs wir nötig hätten, diese 
Unkenntnis durch willkürliche, einflufslose und wahrscheinlich 
falsche Hypothesen zu überdecken und zu bemänteln. Im 
Gegensatz zum zweiten Bilde besitzt aber unser drittes Ein- 
fachheit auch in dem Sinne, dafs sich seine Vorstellungen der 
Natur so anschmiegen, dafs die wesentlichen Beziehungen der 
Natur durch einfache Beziehungen zwischen den Begriffen 
wiedergegeben werden. Das zeigt sich nicht nur im Grund- 
gesetze selbst, sondern auch in den zahlreichen allgemeinen 
Folgerungen desselben, welche den sogenannten Prinzipien 
der Mechanik entsprechen. Es mufs allerdings zugegeben 
werden, dafs diese Einfachheit nur eintritt, so lange wir es 
Einleitung, 47 
mit Yollstandig bekannten Systemen zu thun haben, und dafs 
sie wieder verschwindet, sobald verborgene Massen sich ein- 
mischen. Aber auch in diesen Fällen liegt dann der Grund 
der Verwickelung klar auf der Hand; wir verstehen, dafs der 
Verlust der Einfachheit nicht in der Natur, sondern in unserer 
mangelhaften Kenntnis derselben beruht; wir begreifen, dafs 
die eintretenden Komplikationen nicht allein eine mögliche, 
sondern die notwendige Folge unserer besonderen Voraus- 
setzimgen sind. Auch das mufs zugegeben werden, dafs die 
Mitwirkung verborgener Massen, welche vom Standpunkte 
unserer Mechanik aus der entlegene und besondere Fall ist, 
dafs diese Mitwirkung gerade der gewöhnliche Fall der Pro- 
bleme des täglichen Lebens und der Technik ist. Daher ist 
es auch nützlich, hier nochmals zu betonen^ dafs wir von einer 
Zweckmäfsigkeit überhaupt nur geredet haben in einem beson- 
deren Sinne, nämlich im Sinne eines Geistes, welcher ohne 
Bücksicht auf die zufällige Stellung des Menschen in der Natur 
das Ganze unserer physikalischen Erkenntnis objectiv zu um- 
fassen und in einfacher Weise darzustellen sucht; dafs wir 
aber keineswegs redeten von einer Zweckmäfsigkeit im Sinne 
der praktischen Anwendung und der Bedürfnisse des Menschen. 
In betreff dieser letzteren kann die fiir sie ausdrücklich 
erdachte gewöhnliche Darstellung der Mechanik wohl niemals 
durch eine zweckmäfsigere ersetzt werden. Zu dieser Dar- 
stellung verhält sich die von uns hier vorgeführte etwa wie 
die systematische Grammatik einer Sprache zu einer Gram- 
matik, welche den Lernenden möglichst bald erlauben soll, 
sich über die Notwendigkeiten des täglichen Lebens zu ver- 
ständigen. Man weifs wie verschieden die Anforderungen an 
beide sind und wie verschieden ihre Anordnungen ausfallen 
müssen, wenn beide ihrem Zweck so genau wie möglich ent- 
sprechen sollen. 
48 Einleitung, 
Blicken wir zum Schlüsse noch einmal znrück auf die 
drei Bilder der Mechanik , welche wir vorgeführt haben und 
suchen wir einen letzten und endgültigen Vergleich zwischen 
ihnen anzustellen. Das zweite Bild lassen wir nach dem, was 
wir gesagt haben, fallen. Das erste und dritte Bild wollen 
wir gleichstellen in Bezug auf die Zulässigkeit, indem wir an- 
nehmen, dafs dem ersten Bilde eine in logischer Hinsicht voll- 
ständig befriedigende Gestalt gegeben sei, wie wir ange- 
nommen haben, dafs sie gegeben werden könne. Wir wollen 
beide Bilder auch gleichstellen in Bezug auf die Zweckmäfsig- 
keit, indem wir annehmen, dafs man das erste Bild durch 
geeignete Zusätze ergänzt habe und indem wir annehmen, dafs 
die nach verschiedener Eichtung gehenden Vorzüge einander 
das Gleichgewicht halten. Dann bleibt als einziger Wert- 
mafsstab die Richtigkeit der Büder, welche durch die Gewalt 
der Dinge bestimmt ist, und welche nicht in unserer Willkür 
liegt. Und hier machen wir nun die wichtige Bemerkung, dafs 
nur das eine oder das andere jener Bilder, nicht aber beide 
gleichzeitig richtig sein können. Denn suchen wir die wesent- 
lichen Beziehungen beider Darstellungen auf ihren kürzesten 
Ausdruck zu bringen, so können wir sagen: Das erste Bild 
nehme als letzte konstante Elemente in der Natur die relativen 
Beschleunigimgen der Massen gegen einander an, aus diesen 
leite sie gelegentlich angenähert, aber auch nur angenähert feste 
Verhältnisse zwischen den Lagen ab. Das dritte Bild aber 
nehme als die streng unveränderlichen Elemente der Natur 
feste Verhältnisse zwischen den Lagen an, aus diesen leite sie, 
wo die Erscheinungen es erfordern, angenähert, aber auch nur 
angenähert unveränderliche relative Beschleunigungen zwischen 
den Massen her. Könnten wir nun die Bewegungen der Natur 
nur genau genug erkennen, so wüfsten wir sogleich, ob in 
ihnen die relative Beschleunigung oder ob die relativen Lagen- 
verhältnisse der Massen oder ob beide nur angenähert unver- 
änderlich sind. Wir wüfsten dann auch sogleich, welche von 
unseren beiden Annahmen falsch ist oder ob beide falsch 
sind, denn richtig können nicht beide gleichzeitig sein. Die 
gröfste Einfachheit steht auf seiten des dritten Budes. Was 
ims zwingt, gleichwohl zunächst zu Gunsten des ersten zu 
Einleitung, 49 
entscheiden, i^t der Umstand, dafs wir wirklich in den Fern- 
kräften relative Beschleunigungen aufweisen können, welche 
bis an die Grenze unserer Beobachtung unveränderlich scheinen, 
während alle festen Verbindungen zwischen den Lagen der 
greifbaren Körper schon innerhalb der Wahrnehmung unserer 
Sinne sich schnell nur angenähert als konstant erweisen. Aber 
dies Verhältnis ändert sich zu Gunsten des dritten Bildes, 
sobald die verfeinerte Erkenntnis uns etwa zeigt, dafs die 
Annahme unveränderlicher Femkräfte nur eine erste An- 
näherung an die Wahrheit liefert, welcher Fall in dem Ge- 
biete der elektrischen und magnetischen Kräfte bereits ein- 
getreten ist. Und die Wage schlägt vollends über zu Gunsten 
des dritten Bildes, sobald eine zweite Annäherung an die 
Wahrheit dadurch erzielt werden kann, dafs man die vermeint- 
liche Wirkung der Femkräfte zurückfuhrt auf Bewegungsvor- 
gänge in einem raumeriuUenden Mittel, dessen kleinste Teile 
starren Verbindungen unterliegen, ein Fall der gleichfalls in 
dem erwähnten Gebiete nahezu verwirklicht erscheint. Hier 
also liegt das Feld, auf welchem auch der Entscheidungskampf 
zwischen den verschiedenen von uns betrachteten Grund- 
annahmen der Mechanik ausgefochten werden mufs. Die 
Entscheidung selbst aber setzt voraus, dafs vorher die vor- 
handenen Möglichkeiten nach allen Richtungen hin gründlich 
erwogen seien. Sie nach einer besonderen Richtung zu ent- 
wickeln, ist der Zweck der vorliegenden Arbeit. Diese Arbeit 
ist also notwendig gewesen, auch wenn es noch lange dauern 
sollte, bis eine Entscheidung möglich ist, und auch dann, wenn 
diese Entscheidung schliefslich zu Ungunsten des hier ausführ- 
lich entwickelten Bildes ausfallen sollte. 
Hertz, Mechanik. 
EBSTES BUCH. 
ZUR GEOMETRIE UND KINEMATIK 
DER MATERIELLEN SYSTEME, 
Vorbemerkung. Den Überlegungen des ersten Buches 
bleibt die Erfahrung völlig fremd. Alle vorgetragenen Aus- 
«agen sind Urteile a priori im Sinne Kant's. Sie beruhen auf 
den Gesetzen der inneren Anschauung und den Formen der 
eigenen Logik des Aussagenden und haben mit der äufseren 
Erfahrung desselben keinen anderen Zusammenhang, als ihn 
diese Anschauungen und Formen etwa haben. 
Abschnitt 1. Zeit, Raum, Masse. 
Erläuterung. Die Zeit des ersten Buches ist die Zeit 2 
unserer inneren Anschauung. Sie ist daher eine Gröfse, von 
deren Änderung die Änderungen der übrigen betrachteten 
Gröfsen abhängig gedacht werden können, während sie selbst 
stets unabhängig veränderlich ist. 
Der Baum des ersten Buches ist der Baum unserer Vor- 
stellung. Er ist also der Raum der EuKLro'schen Geometrie 
mit allen Eigenschaften, welche diese Geometrie ihm zuspricht. 
Es ist gleichgültig für uns, ob man diese Eigenschaften an- 
sieht als gegeben durch die Gesetze der inneren Anschauung, 
oder als denknotwendige ' Folgen willkürlicher Definitionen. 
Die Masse des ersten Buches wird eingeführt durch eine 
Definition. 
54 Erstes BucHu 
3 Definition 1. Ein Massenteilchen ist ein Merkmal, durch 
welches wir einen bestimmten Pxmkt des Eaumes zu einer 
gegebenen Zeit eindeutig zuordnen einem bestimmten Punkte 
des Baumes zu jeder anderen Zeit. 
Jedes Massenteilchen ist unveränderlich und unzerstör- 
bar. Die durch dasselbe Massenteilchen gekennzeichneten 
Punkte des Raumes zu zwei verschiedenen Zeiten fallen zu- 
sammen, wenn die Zeiten zusammenfallen. Diese Bestim- 
mungen sind bereits in der Definition enthalten, wenn deren 
Wortlaut richtig gefafst wird. 
4 Definition 2. Die Zahl der Massenteilchen in einem 
beliebigen Räume, verglichen mit der Zahl der Massenteilchen, 
welche sich in einem festgesetzten Räume zu festgesetzter Zeit 
finden, heifst die in dem ersteren Räume enthaltene Masse. 
Die Zahl der Massenteilchen in dem Vergleichsraume kann 
und soll unendlich grofs gewählt werden. Die Masse des ein- 
zelnen Massenteilchens wird alsdann nach der Definition un- 
endlich klein. Die Masse in einem beliebigen Räume kann 
daher jeden rationalen oder irrationalen Wert annehmen. 
5 Definition 3. Eine endliche oder unendlich kleine Masse, 
vorgestellt in einem unendlich kleinen Räume, heifst ein mate- 
rieller Punkt. 
Ein materieller Punkt besteht also aus einer beliebigen 
Anzahl mit einander verbundener Massenteilchen. Diese Zahl 
soll stets unendlich grofs sein, was dadurch erreicht werden 
kann, dafs wir uns die Massenteilchen von höherer Ordnung 
unendlich klein denken, als die etwa betrachteten materiellen 
Punkte von verschwindender Masse. Die Massen der mate- 
riellen Punkte, insbesondere auch die Massen der unendlich 
kleinen materiellen Punkte können darnach in jedem beliebigen 
rationalen oder irrationalen Verhältnis zu einander stehen. 
6 Definition 4. Eine Anzahl gleichzeitig betrachteter ma- 
terieller Punkte heifst ein System materieller Punkte, oder 
kurz eiD System. Die Summe der Massen der einzelnen Punkte 
ist nach 4 die Masse des Systems. 
Ein endliches System besteht also aus einer endlichen 
Zahl endlicher oder aus einer unendlichen Anzahl unendlich 
Lage der Punkte tmd Systeme. 55 
kleiner materieller Punkte oder aus beiden. Stets ist es er- 
laubt, das System materieller Punkte anzusehen als zusammen- 
gesetzt aus einer unendlichen Anzahl von Massenteilchen. 
Anmerkung 1. Im folgenden werden wir das endliche 7 
System stets behandeln als bestehend aus einer endlichen Zahl 
endlicher materieller Punkte. Da wir aber keine obere Grenze 
festsetzen fiir die Zahl derselben und keine untere für ihre 
Masse, so umfassen unsere allgemeinen Aussagen als besonderen 
Fall auch den Fall, dafs das System unendlich viele unendlich 
kleine materielle Punkte enthält. Auf die Besonderheiten, 
welche die analytische Behandlung dieses Falles nötig macht, 
werden wir indessen nicht eingehen. 
Anmerkung 2. Der materielle Punkt kann angesehen 8 
werden als ein besonderer Fall und als das einfachste Bei- 
spiel eines Systems materieller Punkte. 
Abschnitt 2. Lagen nnd Verrückungen der Punkte 
und Systeme. 
Lage. 
Definition 1. Der Punkt des Raumes, welcher durch 9 
ein gewisses Massenteilchen zu einer gewissen Zeit gekenn- 
zeichnet ist, wird die Lage des Massenteilchens zu jener Zeit 
genannt. Lage eines materiellen Punktes heifst die gemein- 
same Lage seiner Massenteilchen. 
Definition 2. Die gleichzeitig vorgestellte Gesamtheit lO 
der Lagen aller Punkte eines Systems heifst die Lage des 
Systems. 
Definition 3. Jede beliebige Lage eines materiellen 11 
Punktes im imendlichen Baume heifst eine geometrisch denk- 
56 Erstes Buch. 
bare oder kurz eine denkbare Lage des Punktes. Die Gesamt- 
heit irgend welcher denkbaren Lagen der Punkte eines Systems 
heilst eine denkbare Lage des Systems. 
Zu einer jeden Zeit können sich unterscheiden zwei Massen- 
teilchen durch ihre Lage, zwei materielle Punkte durch ihre 
Masse und ihre Lage, zwei Systeme materieller Punkte durch 
Zahl, Masse und Lage ihrer Punkte. Nach anderen Eick- 
tungen als diesen aber können sich auf Grund unserer bis- 
herigen Definitionen Massenteilchen, materielle Punkte, Systeme 
materieller Punkte nicht unterscheiden. 
12 Analytische Darstellung der Lage, a) des Punktes. 
Die Lage eines materiellen Punktes kann analytisch dargestellt 
werden durch die Angabe der drei rechtwinklig-geradlinigen 
cartesischen Koordinaten desselben in Bezug auf ein ruhendes, 
festes Axensystem. Diese Koordinaten sollen dauernd mit 
^1 ^3 ^3 bezeichnet werden. Jeder denkbaren Lage des Punktes 
entspricht ein eindeutig bestimmtes Wertsystem dieser Koordi- 
naten, und umgekehrt jedem willkürlich gewählten Wertsystem 
der Koordinaten eine eindeutig bestimmte denkbare Lage des 
Punktes. 
Anstatt durch seine rechtwinkligen Koordinaten kann die 
Lage eines Punktes auch bestimmt werden durch irgend welche 
r Gröfsen J»i . . ./?^ . . ./?r> sobald durch Übereinkunft bestimmte 
Wertsysteme dieser Gröfsen bestimmten Lagen stetig zuge- 
ordnet sind und umgekehrt. Die rechtwinkligen Koordinaten 
sind alsdann Funktionen dieser Gröfsen, und umgekehrt. Die 
Gröfsen p^ bezeichnen wir als allgemeine Koordinaten des 
Punktes. Ist r > 3, so müssen zwischen den p^ aus geome- 
trischen Gründen r — 3 Gleichungen bestehen, welche gestatten, 
die pg als Funktionen dreier unabhängiger Gröfsen, z. B. der 
^i ^3 ^3 j darzustellen. Es soll indessen eine Abhängigkeit der 
Koordinaten von einander aus rein geometrischen Gründen aus- 
geschlossen sein, und deshalb stets vorausgesetzt werden, dafs 
r ^ 3 sei. Ist r < 3, so werden nicht alle denkbaren Lagen 
des Punktes durch Wertsysteme der p^ dargestellt, sondern 
nur ein Teil derselben. Die durch die pg nicht dargestellten 
Lagen sollen bei Benutzung der p^ dadurch selbst als von der 
Betrachtung ausgeschlossen gelten. 
Ktmfigif/rcUion und absolute Lage. 57 
Analytische Bantellimg. b) des Systems. Die Lage 13 
eines Systems von n materiellen Punkten kann analytisch dar- 
gestellt werden durch Angabe der 3n rechtwinkligen Koor- 
dinaten der Punkte des Systems. Diese Koordinaten sollen 
dauernd bezeichnet werden mit ar^ . . . ar^ . . . ara«, wobei ar^ x^ x^ 
die Koordinaten des ersten Punktes, ^3^-2 ^s^— i ^3^ die ent- 
sprechend gerichteten Koordinaten des jtiten Punktes bedeuten 
mögen. Diese 3n Koordinaten Xy bezeichnen wir auch kurz 
als die rechtwinkligen Koordinaten des Systems. Jeder denk- 
baren Lage des Systems entspricht ein eindeutig bestimmtes 
Wertsystem seiner rechtwinkligen Koordinaten, und umgekehrt 
jedem willkürlich gewählten Wertsystem der x^ eine eindeutig 
bestimmte denkbare Lage des Systems. 
Anstatt durch die rechtwinkligen Koordinaten können wir 
die Lage eines Systems auch bestimmen durch irgendwelche 
r Gröfsen Pi^-^Pq'» -fr, sobald durch "Übereinkunft bestimmte 
Wertsysteme dieser Gröfsen bestimmten Lagen stetig zuge- 
ordnet sind und umgekehrt. Die rechtwinkligen Koordinaten 
sind dadurch Funktionen dieser Gröfsen, und umgekehrt; Die 
Gröfsen p^ bezeichnen wir als allgemeine Koordinaten des 
Systems. Ist r > 3n, so müssen zwischen den p^ aus geome- 
trischen Gründen r — 3n Gleichungen bestehen. Wir wollen 
indessen ausschliefsen, dafs zwischen den Koordinaten aus 
rein geometrischen Gründen eine Abhängigkeit bestehe, und 
es sei daher stets r^3w. Ist r < 3;i, so werden nicht alle 
denkbaren Lagen des Systems durch Wertsysteme der p^ dar- 
gestellt, sondern nur ein Teil derselben. Die durch die p^ 
nicht dargestellten Lagen sollen bei Benutzung der Koordi- 
naten Pq dadurch selbst als von der Betrachtung ausgeschlossen 
gelten. 
Konfiguration und absolute Lage. 
Definition L Die Gesamtheit der gegenseitigen Lagen 14 
der Punkte eines Systems heifst die Konfiguration des Systems. 
Die Konfiguration des Systems und die absolute Lage der 
Konfiguration im Baume bestimmen zusammen die Lage des 
Systems. 
58 Erstes Bück, 
15 Definition 2. Eonfigurationskoordinate nennen wir jede 
Koordinate des Systems, deren Wert nicht geändert werden 
kann, ohne dafs dadurch die Konfiguration des Systems sich 
änderte. 
Ob eine bestimmte Koordinate Konfigurationskoordinate 
ist oder nicht, hängt also nicht ab von der Wahl der übrigen 
gleichzeitig benutzten Koordinaten. 
16 Definition 3. Koordinate der absoluten Lage heifst jede 
Koordinate des Systems, durch deren Änderung die Kon- 
figuration nicht geändert werden kann, solange die übrigen 
Koordinaten des Systems sich nicht ändern. 
Ob eine bestimmte Koordinate Koordinate der absoluten 
Lage ist oder nicht, hängt also ab von der Wahl der übrigen 
gleichzeitig benutzten Koordinaten. 
Polgerungen. 
17 1. Eine Koordinate kann nicht zugleich Konfigurations- 
koordinate und Koordinate der absoluten Lage sein. Dagegen 
kann und wird int allgemeinen eine beliebig herausgegrifi'ene 
Koordinate weder Konfigurationskoordinate noch auch Koor- 
dinate der absoluten Lage sein. 
18 2. Sobald w > 3, können 3n von einander unabhängige 
Koordinaten aller Lagen auf mannigfaltige Art so gewählt 
werden, dafs sich unter ihnen bis zu 3w — 6 Konfigurations- 
koordinaten finden, aber auf keine Weise so, dafs sich mehr 
als 3/1 — 6 Konfigurationskoordinaten unter ihnen finden. 
Denn wählen wir unter die Koordinaten die 3 Abstände 
dreier beliebiger Punkte des Systems von einander und die 
3(n — 3) Abstände der übrigen von jenen, so haben wir 
bereits 3/1 — 6 Konfigurationskoordinaten, und je 3w — 6 ver- 
schiedene Funktionen jener Abstände werden ebenfalls 3w — 6 
Konfigurationskoordinaten des Systems sein. Weniger Kon- 
figurationskoordinaten können vorhanden sein; denn es sind 
z. B. gar keine vorhanden, wenn wir die 3w rechtwinkligen 
Koordinaten benutzen. Mehr Konfigurationskoordinaten aber 
können sich unter unabhängigen Koordinaten nicht finden; 
Konfiguration und absolute Lage. 59 
denn wären unter beliebigen Koordinaten mehr als 3n — 6 
Konfigorationskoordinaten vorhanden, so liefsen sich die letz- 
teren als Funktionen jener Sn — 6 Abstände darstellen, wären 
also nicht von einander unabhängig. 
3. Sobald n > 3, können 3n unabhängige Koordinaten 
aller denkbaren Lagen eines Systems auf mannigfaltige Art 1^ 
so gewählt werden, dafs sich unter ihnen bis zu 6, aber nicht 
mehr als 6 Koordinaten der absoluten Lage finden. 
Denn wählen wir die Koordinaten so, dafs sich unter 
ihnen Sn — 6 Konfigurationskoordinaten finden, und fügen 
hinzu 6 beliebige Koordinaten, etwa 6 der rechtwinkligen 
Koordinaten des Systems, so sind die letzteren eo ipso Koor- 
dinaten der absoluten Lage, da keine Änderung derselben die 
Konfiguration ändert, solange die übrigen festgehalten werden. 
Weniger als 6 Koordinaten der absoluten Lage können vor- 
handen sein; denn es sind z. B. keine vorhanden, wenn wir 
die rechtwinkligen Koordinaten des Systems benutzen. Mehr 
als 6 aber können nicht vorhanden sein; denn wären für eine 
bestimmte Wahl der Koordinaten mehr vorhanden, so wären 
alle denkbaren Konfigurationen bestimmt durch die übrigen 
weniger als 3^ — 6 Koordinaten, es liefsen sich also für das 
System überhaupt nicht Sn — 6 von einander unabhängige Kon- 
figurationskoordinaten angeben, was gegen Folgerung 2 wäre. 
4. Sind 371 unabhängige Koordinaten eines Systems 20 
von n Punkten so gewählt, dafs sich unter ihnen Sn — 6 Kon- 
figurationskoordinaten finden, so sind die übrigen 6 notwendig 
Koordinaten der absoluten Lage. Sind jene Sn Koordinaten 
so gewählt, dafs sich unter ihnen 6 Koordinaten der absoluten 
Lage finden, so sind die übrigen Sn — 6 notwendig Konfigu- 
rationskoordinaten. 
Denn fände sich unter den letzteren Sn — 6 Koordinaten 
auch nur eine, welche geändert werden könnte ohne die Kon- 
figuration zu ändern, so wäre die absolute Lage der Konfigu- 
ration bestimmt durch mehr als 6 unabhängige Koordinaten, 
was nicht möglich. 
6. Als Koordinate der absoluten Lage kann jede Gröfse 21 
benutzt werden, deren Änderung eine Änderung in der Lage 
60 Erstes Buch. 
des Systems zur Folge hat, und welche nicht eine Eonfigu- 
rationskoordinate ist. Sechs beliebige Gröfsen, welche diese 
Eigenschaften besitzen und von einander unabhängig sind, können 
als Koordinaten der absoluten Lage gewählt werden und werden 
zu Koordinaten der absoluten Lage dadurch, dafs ihnen keine 
anderen Gröfsen als Koordinaten hinzugefugt werden, als 
solche, welche die Eigenschaft von Konfigurationskoordinaten 
haben. 
Endliche Verruckungen 
a) der Punkte. 
22 Definition 1. Den Übergang eines materiellen Punktes 
aus einer Anfangslage in eine Endlage ohne Rücksicht auf die 
Zeit und die Art des Überganges nennen wir eine Verrückung 
des Punktes aus der Anfangs- in die Endlage. 
Die Verrückung eines Punktes ist also vollständig be- 
stimmt durch ihre Anfangs- und ihre Endlage. Sie ist eben- 
falls vollständig gegeben durch ihre Anfangslage, ihre Rich- 
tung und ihre Gröfse. 
23 Anmerkung 1. Die Gröfse der Verrückung eines Punktes 
ist gleich der Entfernung seiner Endlage von seiner An- 
fangslage. Sind die x^ die rechtwinkligen Koordinaten der 
Anfangslage, die Xy die rechtwinkligen Koordinaten der End- 
lage, so ist die Gröfse s' der Verrückung die positive Wurzel 
der Gleichung: 
3 
24 Anmerkung 2. Die Richtung einer Verrückung ist die 
Richtung einer Geraden, welche von der Anfangslage der Ver- 
rückung zu ihrer Endlage gezogen wird. Haben ä', Xy, Xy die 
Bedeutung wie vorher, und sind die arj, Xy, *" die Koordi- 
naten der Anfangs-, der Endlage und die Länge einer zweiten 
Endliehe Verrückungen, 61 
Verrückung, so ist der Winkel oder Richtungsunterschied *;«" 
beider Verrückungen gegeben durch die Gleichung: 
3 
sV'cos $/' == 2" (^""^y) i^v-^^v) • *> 
1 
Denn die Betrachtung des Dreiecks aus den beiden Längen 
s und ä" als Seiten, und dem Winkel i/' als eingeschlossenem 
Winkel liefert uns die Gleichung: 
8^ + s"^ — 2 s's"c0S 8,8' = 2*' [(^y—^y) "~ i^v—^v)^ 9 ^) 
aus welcher zusammen mit 23 Gleichung a) folgt. 
Definition 2. Zwei Verrückungen eines Punktes heifsen 2» 
identisch, wenn sie Anfangs- und Endlage gemein haben; zwei 
Verrückungen eines Punktes heifsen gleich, wenn sie Richtung 
und Gröfse gemein haben; zwei Verrückungen heifsen gleich- 
gerichtet oder parallel, wenn sie die Richtung gemein haben. 
Zwischenbemerkung. Bezeichnen x^ Xj^ die k gerad- 2^ 
linigen, rechtwinkligen Koordinaten eines Punktes in einem 
Raum von k Dimensionen, xi x^ die Koordinaten eines 
zweiten Punktes, so erweitert die an dieser Stelle eingeschaltete 
Festsetzung, dafs die Entfernung beider Punkte die positive 
Wurzel der Gleichung 
«'^ = ^'^ i^-^^^) 
2 
sei, den ganzen folgenden Inhalt der Untersuchung und damit 
die ganze Mechanik auf den Raum von k Dimensionen, ohne 
dafs eine Änderung auch nur des Wortlautes nötig wäre, von 
Nebendingen abgesehen. Doch soll von dieser Bemerkung 
kein Gebrauch gemacht werden, sondern es soll gemäfs der 
ersten Festsetzung stets nur von dem Raum der Euklid' sehen 
Geometrie die Rede sein. 
62 Erstes Buch. 
b) der Systeme. 
"27 Definition. Der Übergang eines Systems materieller 
Punkte aus einer Anfangslage in eine Endlage ohne Bücksicht 
auf die Zeit und ohne Bücksicht auf die Art des Überganges 
heifst eine Verrückung des Systems aus der Anfangs- in die 
Endlage. 
Die Verrückung eines Systems ist also vollständig ge- 
geben durch ihre Anfangs- und ihre Endlage. Sie ist eben- 
falls vollständig bestimmt, wenn ihre Anfangslage und die- 
jenigen Merkmale gegeben sind, welche wir als ihre Eichtung 
und Gröfse bezeichnen. 
^8 Hülfsbezeiclmung. Quadratischen Mittelwert einer Beihe 
von Gröfsen nennen wir die positive Quadratwurzel des arith- 
metischen Mittelwertes der Quadrate der einzelnen Gröfsen. 
29 Definition a. Gröfse der Verrückung eines Systems 
heifst der quadratische Mittelwert aus der Gröfse der Ver- 
rückungen seiner sämtlichen Massenteilchen. 
Die Gröfse der Verrückung, welche eine Lage eines Sy- 
stems in eine andere überführt, heifst auch die Entfernung 
oder der Abstand beider Lagen von einander. Die Gröfse 
einer Verrückung wird auch als die Länge derselben bezeichnet. 
SO Bemerkung. Die Entfernung zweier Lagen eines Sy- 
stems von einander ist unabhängig definiert von der Form der 
analytischen Darstellung, insbesondere von der Wahl der 
Koordinaten des Systems. 
ZI Aufgabe. Die Entfernung zweier Lagen eines Systems 
durch die rechtwinkligen Koordinaten desselben darzustellen. 
Es sei n die Zahl der materiellen Punkte des Systems. 
Es sei Xy der Wert einer der rechtwinkligen Koordinaten des 
Systems vor der Verrückung, Xy der Wert derselben Koordi- 
nate nach der Verrückung. Die Koordinate Xy ist zugleich 
Koordinate eines der Punkte des Systems; es sei die Masse 
dieses Punktes nty . v läuft von 1 bis 3w, aber nicht alle 
TUy sind ungleich, sondern es ist für jedes jm von 1 bis n 
Endliche Verriickungen, 63 
Ist nun etwa rj die Zahl der Massenteilchen in der Massen- 
einheit, so enthält die Masse m^ myti Massenteilchen, und die 
Gesamtmasse m des Systems mfj derselben. Berechnet man 
mit diesen Bezeichnungen den quadratischen Mittelwert / der 
Verriickungen aller Massenteilchen, so folgt für denselben die 
positive Wurzel der Gleichung: 
3n 
m 
^1 
und diese Wurzel ist also die gesuchte Entfernung, übrigens ist 
3n 
m 
Lehrsatz. Die Entfernung zweier Lagen eines Systems von 32 
einander ist stets kleiner als die Summe der Entfernungen 
beider Lagen von einer dritten. 
Es seien nämlich die ar^, x^, x^,' die rechtwinkligen 
Koordinaten der Lagen 1, 2, 3; es seien s^^^ «^g, s^^ die Ent- 
fernungen derselben von einander. Wird für den Augenblick 
zur Abkürzung gesetzt: 
y m y m 
so wird 
8n 3n 3n 
«13 = 2" ^^ ' ^23 = 2" ^^ ^ ^12 = 2" c^"-*^)^ • 
111 
Gesetzt nun, es wäre ^^j > *i8+*23> ^^ wäre durch Quadrie- 
rung zu erhalten *i2— "^fs—'^ls > 2«i3*33, also durch noch- 
malige Quadrierung: 
^^13^23 "~ (^12 ""^3""%) < ö 
Dies ist aber nicht möglich, denn die linke Seite wird durch 
Einsetzen der Werte für die « in die Form gebracht: 
3n Sn 
64 Erstes Buch. 
ist also als Summe von Quadraten notwendig positiv. Da 
nun also die entgegengesetzte Vermutung unmöglich war, so 
mufs stets* sein: 
33 Eolgemng. Aus den drei Entfernungen dreier belie- 
biger Lagen eines Systems von einander als Seiten ist stets 
ein ebenes Dreieck zu zeichnen möglich. 
34 Definition b. Richtungsunterschied zwischen zwei Ver- 
rückungen eines Systems aus gleicher Anfangslage heifst der 
eingeschlossene Winkel eines ebenen Dreiecks, in welchem 
die Längen der beiden Verrückungen die einschliefsenden und 
die Entfernung ihrer Endpunkte die gegenüberliegende Seite 
bilden. 
Der Richtungsunterschied zwischen zwei Verrückungen 
wird auch der Winkel zwischen ihnen oder ihre Neigung 
gegen einander genannt. 
35 Bemerkung 1. Die Neigung zweier Verrückungen aus 
derselben Lage gegen einander ist unter allen Umständen ein 
eindeutig bestimmter, reeller Winkel, kleiner als n. 
Denn das Dreieck, welches jene Neigung bestimmt, kann 
nach 32 immer gezeichnet werden. 
36 Bemerkung 2. Der Richtungsunterschied zwischen zwei 
Verrückungen ist unabhängig definiert von der Form der 
analytischen Darstellung, insbesondere also von der Wahl der 
benutzten Koordinaten. 
37 Aufgabe. Den Richtungsunterschied zweier Verrückungen 
aus der gleichen Anfangslage auszudrücken durch die recht- 
winkligen Koordinaten der Anfangslage und der Endlagen. 
Es seien die Xy die Koordinaten der gemeinsamen An- 
fangslage, die Xy und Xy die Koordinaten der beiden Endlagen. 
/ und /' seien die Längen der beiden Verrückungen, «'«" 
der von ihnen eingeschlossene Winkel. Unter Benutzung des 
ebenen Dreieckes aus den drei Entfernungen der drei Lagen 
erhalten wir: 
Endliche Verrückungen, 65 
Sn 8n 
2 m ss' cos s.s" =2*' ^'^ (^y""^)^ +2" ^^ {^v—^vf 
1 1 
^^ 2 
1 
und hieraus 
8n 
m « s ' cos s[s' = ^y my (»y — Xy) (Xy—Xy) , a) 
1 
in welcher Gleichung wir uns noch / und s" nach 81a durch 
die rechtwinkligen Koordinaten ausgedrückt zu denken haben. 
Lehrsatz. Zwei Yerrückungen eines Systems aus gleicher 38 
Anfangslage haben den Bichtungsunterschied Null, wenn 
die Verrückungen der einzelnen Punkte des Systems in 
beiden gleichgerichtet und beziehentlich proportional sind, — 
und umgekehrt. 
Denn sind die Verrückungen aller Punkte gleichgerichtet 
und proportional, so ist für alle v 
imter 6 einen für alle v gleichen Faktor verstanden. Es wird 
daher die rechte Seite der Gleichung 37a gleich mes^. Es 
wird aber femer s"^es\ also nach jener Gleichung cos 5^=1, 
also, da s.s" der Innenwinkel eines Dreiecks, *>" = (35). 
Umgekehrt, wenn *'*"= 0, cos *Y'=1 ist, so liefert 
die Gleichung 37 a durch Einsetzen der Werte von / und ä 
und Quadrierung: 
// 
_3n t2 8n 3^ 
= 
^ 1 
3n 3n ^ 
= ^2l^ ^"^Z* [(«i^'-ajy) {X^—Xfi) - [Xlr-Xfj) {XyXy)] 
3n -2 3n 3n 
2" ^y {Xy—^^l) {Xy—X^ — ^y rriy {Xy—XyY ' ^V myi^y—X^ 
1 -1 1 • 1 
und dies ist nur möglich, wenn für jedes jtt und v 
77 ~~ 7 
womit auch die ümkehrung bewiesen ist. 
H«rtz, Mechanik. f> 
66 Erstes Buch, 
89 Eolgernng 1. Haben zwei Yerrückungen aus derselben 
Anfangslage den Bichtungsunterschied Null gegen eine dritte 
Verrückung aus der gleichen Lage, so haben sie den Eich« 
tungsunterschied Ntdl gegen einander. 
AUe Verrückungen, welche den Winkel Null mit einer 
bestimmten Verrückung bilden, bilden also mit einander den 
Winkel Null. Das Gemeinsame aller solcher Verrückungen 
heilst die Bichtung derselben. 
40 Folgerung 2. Wenn zwei Verrückungen eines Systems 
gleiche Bichtung haben, so haben sie gleichen Bichtungsunter- 
schied mit jeder dritten Verrückung. 
Alle Verrückungen von gleicher Bichtung aus gleicher 
Lage bilden also denselben Winkel mit allen Verrückungen, 
welche eine andere gleiche Bichtung haben. Dieser gemein- 
same Winkel heifst auch der Winkel der Bichtungen gegen 
einander oder der Unterschied der beiden Bichtungen. 
41 Definition. Zwei Verrückungen eines Systems heifsen 
identisch, wenn die Verrückungen der Punkte des Systems 
in beiden identisch sind. Zwei Verrückungen eines Systems 
heifsen gleich, wenn die Verrückungen der einzelnen Punkte 
in beiden gleich sind. Zwei Verrückungen eines Systems 
heifsen gleichgerichtet oder parallel, wenn die Verrückungen 
der einzelnen Punkte in beiden gleichgerichtet und beziehent- 
lich proportional sind. 
42 Eolgenmg. Zwei Verrückungen eines Systems aus ver- 
schiedener Anfangslage sind gleichgerichtet, wenn jede von 
ihnen gleiche Bichtung hat mit einer Verrückung, welche durch 
ihre Anfangslage geht und der anderen Verrückung gleich 
ist, — und umgekehrt. 
48 Zusatz. Bichtungsunterschied zweier Verrückungen eines 
Systems aus verschiedener Anfangslage heifst der Winkel 
zwischen jeder von ihnen und einer zu der anderen parallelen 
Verrückung aus ihrer Anfangslage. 
44 Aufgabe. Den Winkel zwischen zwei beliebigen Ver- 
rückungen eines Systems auszudrücken durch die rechtwink- 
ligen Koordinaten ihrer vier Endlagen. 
Endliehe Verrüokungen. 67 
Es seien s' und ä" die Gröfsen der beiden Verrückungen 
und s/' ihr Winkel. Es seien die Xy und x^ die Koordinaten 
der Anfangs- und Endlage der ersten, die arj und Xy die 
Koordinaten der Anfangs- und Endlage der zweiten Verrückung. 
£}ine Verrückung, deren Anfangskoordinaten die Xy sind, und 
deren Endkoordiriaten den Wert Xy+Xy—xS haben, hat 
gleiche Anfangslage mit der ersten und ist der zweiten gleich. 
Sie bildet also mit der ersten den gesuchten Winkel, für 
welchen also die Gleichung folgt: 
Bn 
ms 8 cos 8,8 = ^y my \Xp--Xy) (Xy—av) . 
Der gleiche Wert wird erhalten, wenn wir eine Ver- 
rückung durch die Anfangslage der zweiten und gleich der 
ersten legen, und den Winkel zwischen dieser und der zweiten 
bestimmen. 
Unsere Definition im Zusatz 43 war also eindeutig imd 
daher zulässig. 
Definition. Zwei Verrückungen eines Systems heifsen 45 
senkrecht auf einander, wenn der Winkel zwischen ihnen ein 
rechter ist. 
Folgerung 1. Die hinreichende und notwendige analy- 40 
tische Bedingung dafür, dafs zwei Verrückungen senkrecht 
auf einander stehen, ist die Gleichung: 
8n 
^ y my {xp—xi) (ajy — iCy) = , 
1 
in welcher Gebrauch gemacht ist von den Bezeichnungen der 
Aufgabe 44. 
rolgenmg 2. In einem System von n Funkten ist 47 
aus einer gegebenen Lage eine (3w — l)fache Mannigfaltigkeit 
von Verrückungen, also eine (3 w — 2) fache Mannigfaltigkeit 
Ton Eichtungen denkbar, welche auf einer gegebenen Richtung 
«enkrecht stehen. 
Definition. Komponente einer Verrückung in einer ge- 4^ 
gebenen Richtung heifst eine Verrückung, deren Richtung die 
68 JSh-stes Buch. 
gegebene Richtung ist, und deren Gröfse gleich der Vertikal- 
projektion der Gröfse der gegebenen Verrückung innerhalb des 
Winkels ist, welchen die gegebene Verrückung mit der ge- 
gebenen Richtung bildet. 
Ist also die Gröfse der gegebenen Verrückung s, und bildet 
sie mit der gegebenen Richtung den Winkel g>, so ist ihre 
Komponente in dieser Richtung gleich s cos cd. 
Die Gröfse der Komponente in gegebener Richtung wird 
gewöhnlich schlechthin die Komponente in dieser Richtung 
genannt. 
Zusammensetzung der Verruckungen. 
49 Bemerkxmg. Werden einem System mehrere Verrückungen 
erteilt, welche gegebenen Verrückungen gleich sind, und welche 
sich so an einander schliefsen, dafs die Endlage der voraus- 
gegangenen Verrückung die Anfangslage der folgenden ist, 
so ist die erreichte Endlage unabhängig von der Reihenfolge 
der Verrückungen. 
Denn dies gilt für die Verruckungen^ welche die einzelnen 
Punkte dabei erleiden, also für das System. 
50 Definition 1. Eine Verrückung, welche das System in 
dieselbe Endlage überfuhrt, wie eine Reihe aneinandergefügter 
Verrückungen, welche gegebenen Verrückungen gleich sind, 
heifst die Summe jener gegebenen Verrückungen. 
51 Definition 2. Differenz zwischen einer erstgenannten und 
einer zweitgenannten Verrückung heifst eine Verrückung, deren 
Summe mit der zweitgenannten die erstgenannte ergiebt. 
52 Eolgenmg (aus 49). Die Addition und Subtraktion der 
Verrückungen unterliegt den Regeln der algebraischen Ad- 
dition und Subtraktion. 
Unendlich kleine Verrückungen. 69 
Abschnitt 3. Unendlich kleine Yerrflcknngen und 
Bahnen der Systeme materieller Pnnkte. 
Torbemerknng. Wir behandeln von hier ab den ein- 58 
zelnen materiellen Punkt nicht mehr gesondert, sondern 
schliefsen seine Betrachtung in die Betrachtung der Systeme 
ein. Es ist daher im folgenden stets Ton Verrückungen der 
Systeme die Bede, auch wo dies nicht besonders bemerkt wird. 
Unendlich kleine VerrOcIcungen. 
Erläuterung. Eine Yerrückung heifst unendlich klein, 54 
wenn ihre Länge unendlich klein ist. 
Lage der unendlich kleinen Yerrückung heifst eine Lage, 
welcher die Grenzlagen der Verrückung unendlich nahe liegen. 
Eine unendlich kleine Verrückung ist nach Bichtung und 
Grofse bestimmt durch die Angabe ihrer Lage und der un- 
endlich kleinen Änderungen, welche die Koordinaten des 
Systems durch die Verrückung erleiden. 
Aufgabe la. Die Länge ds einer unendlich kleinen 5& 
Verrückung auszudrücken durch die Änderungen dx^ der 3n 
rechtwinkligen Koordinaten des Systems. 
Lidem wir in Gleichung 31a x^—Xy ersetzen durch dr^, 
erhalten wir 
Sn 
m dS^ = ^^ flfhy d^ 
i 
Angabe Ib. Den Winkel s^s der beiden unendlich 56 
kleinen Verrückungen ds und ds' auszudrücken durch die 
Änderungen dxy und dxy der 3n rechtwinkligen Koordinaten 
des Systems. 
Indem wir in Gleichung 44 für x'^-^x^ setzen d!r, und 
für Xy—x% setzen dx^^ erhalten wir 
8n 
m ds ds cos s,s = 2*' ^y ^^v dXy . 
70 Erstes Buch. 
Die Lösung gilt, ob beide Verrückimgeii gleiche Lage haben 
oder ob nicht. 
57 Anfjg^be 2a. Die Länge ds einer unendlich kleinen 
verrtlckung auszudrücken durch die Änderungen dp^ der r 
allgemeinen Koordinaten pg des Systems. 
Die rechtwinkligen Koordinaten x^ sind Funktionen der 
Pq und zwar der p^ allein, da sie durch diese vollständig be- 
stimmt sind, und da Yerrückungen des Systems, welche nicht 
durch Änderungen der p^ darstellbar sind, als von der Be- 
trachtung ausgeschlossen gelten (13). Setzen wir zur Ab- 
kürzung 
V dXy _ 
SO bestehen denmach 3n Gleichungen von der Form: 
r 
1^) dXp = 2^ ayg dpg , 
1 
in welchen die a^^ P\inktionen der Lage sind, also als Funk- 
tionen der Pq aufgefafst werden können. Setzen wir die Werte 
b) in Gleichung 55 ein, und setzen noch zur Abkürzung 
so erhalten wir als Lösung der Aufgabe: 
r r 
d) ds^ = S^^"" ^Q^ ^Pq ^P^ ' 
1 1 
58 Aufgabe 2b. Den Winkel Sys' zweier unendlich kleiner 
Yerrückungen von der Länge ds und ds' und gleicher Lage 
auszudrücken durch die Änderungen dp^ und dp'^ der r allge- 
meinen Koordinaten p^ des Systems. 
Wir bilden die Werte der dx'^ nach Gleichung 57 b und 
setzen diese und die Werte für dx^ in Gleichung 56 ein. Wir 
beachten, dafs für beide Verrückungen die Werte der Koordi- 
ünmcUich kleine Verrüokungen. 71 
naten selbst, also die der Gröfsen cCq^ gleich sind, und wir 
erhalten: 
r r 
ds d% COS «,a' = x9x? ^Q(r ^Pq ^P(t 
1 1 
Eigenschaften der a^a ^uid aq^ . Einfahrnng der b^^ • 
1. Für alle Werte der (),<7, r ist: (vergl. 57a) 59 
2. Für alle Werte von q und g ist: (vergl. 57 o) 60 
3. Die Zahl der Gröfsen a^a ist gleich 3nr; die 61 
Zahl der von einander verschiedenen Gröfsen a^a ist gleich 
\r{r+l). 
4. Für alle q ist 62 
Für alle Werte von q und a ist 
Denn es ist die rechte Seite der Gleichung 57 d nach 
ihrer Ableitung aus Gleichung 55 eine notwendig positive 
Gröfse, welches auch die Werte der dp^ sind. Hierfür sind 
die vorstehenden Ungleichheiten notwendige Bedingungen. 
5. Für alle Werte der p, ö-, r gilt die Gleichung: 68 
^öa^n . öa^\ Ida^ . dam . dug^ 
Um die Gleichung zu beweisen, setzt man rechts die Werte 
72 Erstes Buch. 
der a^ aus Gleichung 57 e ein und macht Gebrauch von den 
Eigenschaften der a^^ nach 59. 
64 6. Die Determinante aus den r^ Gröfsen a^a sei a. 
Der Faktor von a^ in a, dividiert durch a, soU dauernd 
bezeichnet werden mit 3^^. Es ist also als Definition 
b cr = — — 
^^ A da^a 
Für alle Werte von q und <r ist dann 
Die Zahl der von einander verschiedenen Gröfsen b^a ist gleich 
ir(r+l). 
65 7. Der Wert des Ausdrucks 
2^ ci^Qc h 
Q7C 
ist gleich Eins, sobald £ = x ist; jener Wert ist gleich Null, 
sobald i und x verschieden sind. 
r 
Denn ist « = x, so stellt der Ausdruck ^e a^^b^^ A die 
1 
Determinante a selbst dar. Ist aber i von x verschieden, so 
stellt er eine Determinante dar, welche aus a entsteht, indem 
die Reihe a^^ ersetzt wird durch die Eeihe der a^,. In dieser 
Determinante sind also zwei Reihen gleich, und ihr Wert 
ist Null. 
66 8. Es gelten für alle Werte der i und x die beiden 
Gleichungen: 
2^ 2<' bga CIqi Ct(Tx = €ii 
1 1 
r r 
r T 
1 1 
Man bilde nach 65 den Wert des Ausdrucks 2^ ^e» ^e« 
Unendlich kleine Verrückungen, 73 
r 
bez. 2^ a^a igt für alle Werte des a yon 1 bis r, man multi- 
1 
pliziere die entstandenen Gleichungen der Reihe nach mit 
a„^ bez. b„M und addiere, so folgen die Gleichungen. 
9. Bestimmte Änderungen der Gröfsen a^ haben be- 67 
stimmte Änderungen der Gröfsen b^a zur Folge. Bezeichnen 
da^ und db^^ beliebige zusammengehörige Variationen der 
a^ und b^aj so gelten die Gleichungen: 
r r 
TT T^ 
1 1 
Man variiere die Gleichungen 66 und mache Gebrauch 
Yon den Beziehungen 65, so folgen die Gleichungen. 
10. Variiert man in den «^ und i^ nur eine be- 68 
stimmte Koordinate p^^ von welcher sie abhängen, so folgt 
insbesondere für jeden Wert des t 
2^^" ^''^ ^''* '^ ^ "" 
1 1 
^e^o „j. e*,K ^^^ ^^^ 
>e ^^^ on, Örrx ir-^ = — 
Xf^ y^, ^qi^ax 
dpr dp^ 
Verruckungen in Richtung der Koordinaten. 
Definition 1. Verrückung in Richtung einer bestimmten 69 
Koordinate heifst eine unendlich kleine Verrückung, bei 
welcher sich nur diese eine Koordinate, nicht aber die übrigen 
gleichzeitig benutzten ändern. 
Die Richtung aller Verrückungen in Richtung derselben 
Koordinate aus derselben Lage ist dieselbe; sie heifst die 
Richtung der Koordinate in dieser Lage. 
74 Erstes Buch. 
70 Bemerkung^. Die Richtung einer Koordinate hängt ab 
von der Wahl der übrigen, gleichzeitig benutzten Koordinaten 
des Systems. 
71 Definition 2. Beduzierte Komponente einer unendlich 
kleinen Verrückung in Richtung einer bestimmten Koordinate 
heifst die Komponente der Verrückung in Richtung der Koor- 
dinate (48, 69), dividiert durch die Anderungsgeschwindigkeit 
der Koordinate bei einer Verrückung in ihrer eigenen Richtung. 
Die reduzierte Komponente in der Richtung einer Koor- 
dinate nennen wir auch kurz die Komponente nach der 
Koordinate. 
Man spricht also von der Komponente einer beliebigen 
Verrückung in einer beliebigen Richtung, aber man kann nicht 
sprechen von der reduzierten Komponente in einer beUebigen 
Richtung, sondern nur von der reduzierten Komponente einer 
unendlich keinen Verrückung in der !Etichtung einer Koordinate. 
72 Aufgabe la. Die Neigung s,x^ der Verrückung ds 
gegen die rechtwinklige Koordinate x^ durch die 3n Ände- 
rungen dx^ auszudrücken. 
In Gleichung 56 setzen wir die dxy gleich Null für alle v 
mit Ausnahme des bestimmten i/, auf welches sich die Aufgabe 
bezieht. Dann ist die Richtung von ds nach 69 die von Xy, 
und der Winkel *,/ wird der gesuchte Winkel. Da femer 
alsdann nach 55 m ds'^ = niy cür^^, so wird als Lösung der 
Aufgabe erhalten: 
ds GO^ s.Xp =y —^ dxy , 
r m 
m 
worin für ds sein Wert in den dxy einzusetzen ist. 
73 Aufgabe Ib. Die Komponenten dx^ der Verrückung 
ds nach den rechtwinkligen Koordinaten x^ durch die Ände- 
rungen dxy der Koordinaten auszudrücken. 
Setzen wir in der vorigen Aufgabe s.x, = 0, so erfolgt 
die Verrückung ds in Richtung der Koordinate ar^, und wir 
erkennen, dafs die Anderungsgeschwindigkeit der Koordinate 
bei einer Verrückung in ihrer eigenen Richtung gleich dx^ : ds 
also gleich 'frnjmy ist. Die linke Seite der Gleichung 72 stellt 
Unendlich kleine Verrüchmgen. 75 
schon die Komponente von ds in Bichtnng von x^ dar; divi- 
dieren wir also die Gleichung durch ymjm^ , so erhalten wir 
(71) als Lösung der Aufgabe: 
uXy — uXv m 
m 
Aufgabe lo. Die Änderungen dxy der rechtwinkligen 74 
Koordinaten bei einerVerrückung auszudrücken durch die redu- 
zierten Komponenten der Verrückung nach jenen Koordinaten. 
Die Lösung der vorigen Aufgabe giebt unmittelbar: 
Aufgabe 2a. Die Neigung s,Pq der VenUckung ds 75 
gegen die allgemeine Koordinate p^ durch die r Änderungen 
dp^ auszudrücken. 
Li Gleichung 58 setzen wir die dp^ gleich Null für alle 
Q mit Ausnahme des bestimmten q, auf welches sich die Auf- 
gabe bezieht. Die Richtung von ds' ist alsdann nach 69 die 
von pg , und der Winkel s,s wird der gesuchte Winkel. Da 
gleichzeitig nach 57 ds'^ =^ a^dp'^ wird, so erhalten wir als 
Lösung der Aufgabe: 
r 
\a^ ds cos s^Pq = ^^ aga dp^ , 
1 
worin für ds sein Wert in den dp„ einzusetzen ist. 
Anmerkung 1. Setzen wir in der Lösung der vorigen 76 
Aufgabe alle dp^ gleich Null mit Ausnahme eines bestimmten 
dp^y so wird die Richtung von ds die Richtung dieser Koordi- 
nate pa , und der Winkel s,pg geht über in den Winkel PoiP^f 
welchen die Koordinate p^ mit der Koordinate pg bildet. Da 
gleichzeitig alsdann ds^ ^ a^adp^ wird, so erhalten wir für 
diesen Winkel: 
^O^PgjPq = 
Ctga 
Dieser Winkel ist nach 62 stets ein reeller Winkel. 
76 Erstes Buch. 
77 Anmerknng^ 2. Die Koordinaten p^ heifsen orthogonal, 
wenn jede von ihnen in jeder Lage auf allen übrigen senk- 
recht steht Die hinreichende und notwendige Bedingung 
hierfür ist (76), dafs alle a^a, Air welche p und <r verschieden 
sind, verschwinden. Die rechtwinkligen Koordinaten sind ein 
Beispiel orthogonaler Koordinaten. 
78 Aufgabe 2b. Die Komponenten dp^ der Verrückung ds 
nach den Koordinaten pg auszudrücken durch die Änderungen 
dpg dieser Koordinaten bei der Verrückung. 
Setzen wir in Gleichung 75 s,pg gleich Null, so erfolgt 
die Verrückung ds dieser G-leichung in Richtung von p^ ; alle 
dpa sind also Null, ausser dp^y und die Gleichung wird also 
yä^ds = Uqq dpg . Die Änderungsgeschwindigkeit von p^ mit 
einer Verrückung in ihrer eigenen Richtung ist also l/'^a^Q . 
Bedenken wir, dafs nach 4S ds cos s,pg die Komponente von 
ds in der Richtung von p^ ist, und beachten die Definition 71, 
so erkennen wir, dafs die linke Seite der Gleichung 75 bereits 
die reduzierte Komponente nach p^ darstellt, und wir erhalten 
also die Beziehung: 
a) dpQ = Va^ds cos s^pg 
also als Lösung der Aufgabe: 
r 
b) dpg = ^o aQff dpff . 
79 Aufgabe 2o. Die Änderungen dp^ der Koordinaten bei 
Ausführung der Verrückung ds auszudrücken durch die Kom- 
ponenten dpg der Verrückung nach den Koordinaten pg . 
Die Auflösung der Gleichungen 78 b unter Benutzung der 
Bezeichnung von 64 ergiebt unmittelbar: 
r 
dpg = ^O bgff dpa . 
1 
80 Aufjg^be 8a. Die Komponenten dp^ einer Verrückung 
nach den allgemeinen Koordinaten p^ auszudrücken durch die 
Unendlich kleine Verrückungen. 11 
Komponenten dx^ der Verrückung nach den rechtwinkligen 
Koordinaten des Systems. 
Wir erhalten der Reihe nach unter Benutzung von 78, 
57 e, 57b, 74: 
r T 8n 
dpq = ^ a^<T dpa ^^^ZT % ^w dpa 
1 1 1 ^'^ 
3n 8n 
= yy — ^pq dXy = ^ » ^,,« C?Xy 
Aufgabe 3b. Die Komponenten d£^ einer Verrückung Sl 
nach den rechtwinkligen Koordinaten x^ auszudrücken durch 
die Komponenten dp^ der Verrückung nach den allgemeinen 
Koordinaten p^ des Systems. 
Wir erhalten der Beihe nach unter Benutzung von 78, 
57 b, 79: 
wi« _ wi. 
dXy ^ -^ dXy === -^ ^c ttvadpi 
tn m ^ 
r 
m 
""^^^ "^^ 2^ *?^ ^PQ ' 
m ^ 
also, wenn wir zur Abkürzung setzen 
r 
-^ 2'' ""^ h^ ^ P"^ ' *^ 
m , 
folgt als Lösung der Aufgabe: 
r 
dXy = 2^ /9y^ dpq . b) 
1 
Aufgabe 4. Die Länge einer unendlich kleinen Verrückung 82 
auszudrücken durch ihre reduzierten Komponenten nach den 
Koordinaten des Systems. 
Wenden wir die allgemeinen Koordinaten /7^ an, so er- 
halten wir durch successive Anwendung von 78 b und 79 auf 
Gleichung 57 d nach einander: 
78 Erstes Buch. 
r r 
ds^ = 2^2*^ ^Q^ ^Pq ^< 
1 1 
= 2« dpf dp^ 
r r 
= 2^2*' h^ ^pQ ^p^ • 
1 1 
88 Wenden wir insbesondere die rechtwinkligen Koordinaten 
an, so erhalten diese Gleichungen die Form: 
^ m ^ 
Bn 
= 2** ^^ d^* 
1 
3n 
= ^r — dx 
-^ my 
V 
84 Aufgabe 6a. Den Winkel zwischen zwei unendlich 
kleinen Yerrückungen beliebiger Lage auszudrücken durch 
die reduzierten Komponenten der beiden Verrückungen nach 
den rechtwinkligen Koordinaten. 
Durch successive Anwendung von 78 und 74 auf Gleichung 
56 erhalten wir nach einander die Formen: 
8« ^ 
ds ds cos 8,8 =s ^ — dXp dXp 
1 ^ 
3« Bn 
= 2" ^^v dXp = 2*' ^^y dXp 
1 1 
3n 
= ^^ dXy diy 
1 Wl^ 
Hierin haben wir für die ds und ds' ihre Werte in den 
dJt^ nach 83 einzusetzen. 
Unendlich kleine Verrückungen, 79 
Aufgabe 6b. Den Winkel zwischen zwei unendlich klei- 85 
nen Verrückungen aus der gleichen Lage anszudrücken durch 
die Komponenten der beiden Yerrückungen nach den allge- 
meinen Koordinaten p^ . 
Durch successive Anwendung von 78 und 79 auf Gleichung 
58 erhalten wir nach einander die Formen: 
r r 
dS dS COS 8jS = ^6^" dqa dpg dpa 
1 1 
r 
= 2^ dpgdp'g = ^edp^dp^ 
1 
r r 
= ^^^ ^Q(y dpQ dP(T • 
1 1 
Hierin sind wieder fllr die ds und ds' ihre Werte in 
den dpQ nach 82 einzusetzen. 
Aufgabe 6. Den Winkel zweier unendlich kleiner Ver- 86 
rückungen auszudrücken durch die Winkel, welche beide mit 
den Koordinaten des Systems bilden. 
Wir dividieren die letzte der Gleichungen 85 durch dsds' 
und beachten, dafs nach 78 a 
yö^cos s,pg = -^ , yö^cos spg = -^ ; 
wir erhalten so als Lösung der Aufgabe: 
r r 
cos 8yS = ^^^'^ ^Q^ Vö^^T^ ^^^ ^'PQ ^^^ ^^P^ 
1 1 
Wenden wir rechtwinklige Koordinaten an, so erhält die 87 
vorstehende Gleichung die besondere Form: 
8n 
COS s,S = 2*' ^^^ ^y^y ^^8 ^\^v • 
1 
Es ist zu bemerken, dass die Gleichung 86 gleiche Lage 
der beiden Verrückungen voraussetzt, während die Gleichung 
^7 von dieser Voraussetzung frei ist. 
80 Erstes Buch. 
88 Lelirsatz. Die r Winkel, welche eine beliebige Bicbtung 
in einer bestimmten Lage mit den Richtungen der r allge- 
meinen Koordinaten daselbst bildet, sind verbunden durch die 
Gleichung: 
2^2" ^9^ rö^T^^COS 8,pq cos 8,pa = 1 
1 1 
Denn diese Gleichung folgt, wenn wir in 86 die Sich- 
tungen Yon ds und ds' zusammenfallen lassen. 
89 Folgerung. Insbesondere genügen die 3n Winkel, welche 
eine beliebige Verrückung des Systems mit den rechtwink- 
ligen Koordinaten des Systems bildet, der Gleichung 
S.n 
2" ^^s^ ^y^p = ^ 
Benutzung partieller DlfTerentialquotienten. 
90 Bezeichnung. Durch die Werte der Koordinaten p^ ihrer 
Lage und der Änderungen dp^ derselben ist die Länge ds 
einer unendlich kleinen Verrückung bestimmt. Andern wir 
eins jener Bestimmungsstücke, während die übrigen constant 
gehalten werden, so soll das entsprechende partielle Differen- 
tial von ds mit dpds bezeichnet werden. 
Betrachten wir dagegen, was ebenfalls zulässig ist, die 
Koordinaten p^ und die Komponenten dp^ nach ihnen als die 
unabhängigen Bestimmungsstücke von ds, so soll das ent- 
sprechende partielle Differential von ds mit d^ds bezeichnet 
werden. 
Andere partielle Differentiale von ds sind selbstyerständ- 
lich möglich, aber es ist für unseren Zweck nicht nötig, sie 
zu bezeichnen, sondern es bleibt für sie das gewöhnliche, 
jedesmal durch eine Worterklärung näher zu bestimmende 
Zeichen dds yorbehalten. 
91 Bemerkung 1. Die Komponenten einer Verrückung nach 
den Koordinaten lassen sich als. partielle Differentialquotienten 
Unendlich kleine Verrüekimgen, 81 
der Länge der Verrückting darstellen, und zwar geschieht 
dies in der Form: 
1 dpds^ _ dpds 
^P9 =^ 2±hr =- ^' 
Man differentiiere die Gleichung 57 d und beachte 78. 
Bemerkung 2. Die Neigung einer unendlich kleinen Ver- 92 
rückung gegen die Koordinate pg kann mit Hülfe der par- 
tiellen Differentialquotienten ihrer Länge dargestellt werden. 
Und zwar geschieht dies in der Form: 
Va^^ cos «,|)^ = -|^ . 
Man beachte 91 und 78. 
Anmerkung. Werden insbesondere in den Bemerkungen 93 
1 und 2 rechtwinklige Koordinaten angewandt, so erhält man 
dds 
r m 
'•» 
m^ dds 
cos s,Xv = ^T- ' *^ 
wobei die Bedeutung der partiellen Differentiale aus dem 
vorigen hervorgeht. 
Bemerkung 3. Die Änderungen, welche die Koordinaten 94 
Pq bei Durchlaufung einer unendlich kleinen Verrückung er- 
leiden, lassen sich als partielle Differentialquotienten der Länge 
der Verrückung darstellen. Und zwar geschieht dies in der 
Form: 
, 1 dgds^ , dgds 
Man beachte die Gleichungen 82 und 79. 
Hertz, Mechanik. 6 
82 Erstes Buch. 
95 Bemerkung 4. Für alle Werte des Index r besteht 
zwischen den partiellen Differentialquotienten von ds die 
Gleichung: 
d^ds dgds 
a) -^ — = — ^ 
Ö/?r Öp, 
Denn es ist: 
dpds ___ 1 '^ ^ ^^Qo 
~dp^ "" 2ds ^^ dp^ 
dpg dp^ 
und 
Setzen wir in der ersteren Form für die dp^ und dp„ 
ihre Werte in den dp^ und dp„ nach 79, und beachten die 
Beziehungen 68 und die zweite Form, so folgt die Behauptung. 
Ebenso wenn wir in gleicher Weise von der zweiten Form 
ausgehen. 
96 Lehrsatz. Erleidet die Lage einer unendlich kleinen Ver- 
rückung zweimal dieselbe Veränderung, während gleichzeitig 
das eine Mal die Komponenten nach den Koordinaten, das 
andere Mal die Änderungen der Koordinaten die ursprüng- 
lichen bleiben, so ist die Änderung der Länge der Verrückung 
in beiden Fällen entgegengesetzt gleich. 
Da im zweiten Falle die Sdp^^O sein sollen, während 
die Koordinaten p^ die Änderungen Sp^ erleiden, so ist die 
Änderung der Länge der Verrückung: 
a) V« = 2-^^?T . 
Ln ersten Falle sollen die Sdp^^O sein, während die 
Koordinaten dieselben Änderungen Sp^ erleiden, es ist also jetzt: 
Bahnen der Systeme. 83 
Aus beiden Gleichungen a) und b) und der Bemerkung 4 
folgt 
Spds = — Sqds , c) 
welches die Behauptung ist. 
Bahnen der Systeme. 
Erläuterungen. 
1. Die gleichzeitig vorgestellte Gesamtheit der Lagen, 97 
welche ein System beim Übergang aus einer Lage in die andere 
durchläuft, heifst eine Bahn des Systems. 
Eine Bahn kann auch betrachtet werden als die gleich- 
zeitig vorgestellte Gesamtheit der Verrückungen, welche das 
System beim Übergang aus der einen in die andere Lage 
erleidet. 
2. Ein Teil der Bahn, welcher durch zwei unendlich nahe 98 
Lagen begrenzt wird, heifst ein Bahnelement. Ein Bahn- 
element ist eine unendlich kleine Verrückung; es hat eine Länge 
und eine Richtung. 
3. Richtung der Bahn eines Systems in einer bestimmten 99 
ihrer Lagen heifst die Bichtung eines dieser Lage unendlich 
benachbarten Bahnelements. 
Länge der Bahn eines Systems zwischen zwei ihrer Lagen 
heifst die Summe der Längen der Bahnelemente zwischen 
diesen Lagen. 
Analytische Darstellung. Die Bahn eines Systems wird 100 
analytisch dargestellt, indem die Koordinaten ihrer Lagen an- 
gegeben werden als Funktionen einer und derselben, übrigens 
beliebigen Variabein. Jeder Lage.der Bahn ist dann ein Wert der 
Variabein zugeordnet. Als unabhängige Variabele kann eine 
der Koordinaten selbst dienen. Sehr häufig ist es zweck- 
mäfsig, als unabhängige Variabele die Länge der Bahn, von 
einer bestimmten Lage der Bahn ab gerechnet, zu benutzen. 
Die Diflferentialquotienten nach dieser bestimmten Variabelen, 
6* 
84 Erstes Buch. 
also nach der Bahnlänge, sollen in Lagbange's Weise durch 
Accente bezeichnet werden. 
101 Definition 1. Die Bahn eines Systems heilst gerade, wenn 
sie in allen ihren Lagen die gleiche ßichtung hat. 
102 Folgernng. Beschreibt ein System eine gerade Bahn, so 
beschreiben seine einzelnen Punkte gerade Linien, deren 
Längen, von der Ausgangslage an gerechnet, einander be- 
ständig proportional bleiben. (38). 
103 Definition 2. Die Bahn eines Systems heilst krumm, 
wenn sich die Richtung der Bahn von Lage zu Lage ändert. 
Die Anderungsgeschwindigkeit der Richtung mit der Bahn- 
länge heifst die Krümmung der Bahn. 
Die Ki-ümmung der Bahn ist also der Grenzwert des Ver- 
hältnisses zwischen dem Bichtungsunterschied und der Ent- 
fernung zweier benachbarter Bahnelemente. 
104 Anmerkung. Der Wert der Krümmung ist hierdurch de- 
finiert unabhängig von der Form der analytischen Darstellung, 
also insbesondere unabhängig von der besonderen Wahl der 
Koordinaten des Systems. 
105 Aufgabe L Die Krümmung c der Bahn auszudrücken 
durch die Änderungen der Winkel, welche die Bahn mit den 
rechtwinkligen Koordinaten des Systems bildet. 
Es sei de der Winkel zwischen der Richtung der Bahn 
am Anfang und am Ende des Bahnelementes ds» Dann ist 
nach Definition (103): 
de 
c = 
ds 
Es seien femer die coss,Xy die Cosinus der Winkel, welche 
die Bahn am Anfange von ds mit den Xy bildet, und es seien 
coss,Xy+ dcoss,Xy die Werte der gleichen Gröfsen am Ende 
von ds. Dann ist nach Gleichung 87: 
3» 
s 
T 
cos (dt) = 2*' ^^S ^y^v (cos SyXp + dcos S^v) 
Bahnen der Systems, 85 
Es ist aber femer nach Gleichung 89 sowohl 
3n 
^v COS^ S^p = 1 , 
1 
als auch 
8n 
S 
1 
^v (cos sflv + rfcos s,av)^ = 1 
Indem wir das Doppelte der ersten Gleichung subtrahieren 
von der Summe der beiden letzteren, erhalten wir: 
3n 
2 — 2 cos (rf«) = d^ = 2" (^^os 8,x^^ , 
1 
also durch Division mit ds^ die Lösung der Aufgabe; 
2 -^ /rfcos S,Xy\ * 
= 2 
C"= ^v 
Angabe 2. Die Ej*ümmung der Bahn darzustellen durch 106 
die Änderungen der rechtwinkligen Koordinaten des Systems 
mit der Bahnlänge. 
Unter Berücksichtigung von 72 haben wir (100): 
_ 1 y^7 ' 
\^Xy y — . Xy 9 
also 
cos 5, 
m 
(cos5,a;,)'=|/j^. 
m 
also nach 105 als Lösung der Aufgabe: 
8n 
1 
Aufgabe 3. Die Krümmung der Bahn darzustellen durch 107 
die Änderungen der rechtwinkligen Koordinaten, dieselben be- 
trachtet als Funktionen einer beliebigen Variabelen r. 
86 M-stes Buch, 
Nach den Regeln der DifiFerentialrechnung ist 
„ d fdxy dx 
JUp ^^ ~T' 
dsxdx ds 
) "" (dsj {drdi^ d^'d?\ • 
Setzen wir diesen Ausdruck in c^ ein, und beachten, 
dafs (56) 
lds\^ 4a /eÄr,\2 
also 
3n 
c/ä d^s ^ dir. rf2^. 
"Wil 
^> '^dTd^'^^-'-^dTdr^ 
ist, so folgt als Lösung der Aufgabe: 
'<fe\* o ^ Id^x.V liPsV 
av.i.«,fer- 
c) rn\-y-\c^= yymy\^-^\ -m 
worin für c/ä/ä und d^sjdr^ noch ihre Werte aus den 
vorigen Gleichungen zu setzen sind. 
lOS Aufgabe 4. Die Krümmung der Bahn darzustellen durch 
die Änderungen der allgemeinen Koordinaten p^ des Systems 
mit der Bahnlänge. 
Wir fuhren in den Ausdruck 106 an Stelle der recht- 
winkligen Koordinaten die p^ ein, indem wir die x^ ausdrucken 
durch die p^ und p^. Zunächst ist nach 57 b 
r 
t "^ 
also 
V — x9 ^vqPq j 
1 
also 
r r 
1 1 
Bahnen der Systeme. 87 
Man bilde diese Gleichungen für alle v , multipliziere eine (108) 
jede mit m^/m, und addiere alle. Links entsteht c^. Rechts 
kann die Summation nach v mit Hülfe der schon eingeführten 
Grössen «^ in den ersten beiden Gliedern ausgeflihrt werden. 
Im ersten Glied ergiebt die Summation immittelbar nach 57 e 
a^. Als Faktor von pa im zweiten Gliede wird nach einander 
erhalten: 
*• 3n r r ^^ m da 
r r 
, , IdOga . da^a da. 
- 2-2-Ä?'. S^ + ^ - ^ c«-^ «) 
1 1 
r r 
-l/2'M'^^- 
ßPx dpg dp, 
da,^ dügx 
1 1 
ÖPr Öpc 
Beim Übergang von der zweiten in die dritte Form und 
von der vierten in die fünfte Form ist Gebrauch gemacht 
von der Bemerkung, dafs, wenn P{Q,<y) ein beliebiger Aus- 
druck ist, welcher die Indices q und a enthält, alsdann 
identisch 
2^2<'J^(M = 22<'^(M •) 
11 11 
ist. 
Der Faktor des dritten Gliedes läfst sich nicht durch die 
a^a ausdrücken. Um im Endresultat die Beziehung auf die 
rechtwinkligen Koordinaten gleichwohl verschwinden zu lassen, 
sei gesetzt: 
88 Erstes Buch. 
Es wird dann schliefslich erhalten als Lösung der Auf- 
gabe: 
^) C' = SS'' \<^(^P9P^ + 2 (2 1? - ^^]pQPrP^ 
1 1 
dpr dp. 
r r \ 
+ 2^2* <^9^h^P9PoPM 
1 1 i 
Hierin sind also die a^a die in 67 eingeführten Funk- 
tionen der Pq ; die a^;i^ sind als neu eingeführte Funktionen 
derselben Grössen anzusehen. Die Zahl dieser neu einge- 
führten Funktionen beträgt ^r*(r+l)2. 
Abschnitt 4. Mögliche und unmögliche Verrückungen. 
Materielle Systeme. 
Erläuterungen. 
# 
109 1. Zwischen einer Anzahl von materiellen Punkten be- 
steht ein Zusammenhang, wenn aus der Kenntnis eines Teils 
der Komponenten der Verrückungen dieser Punkte eine Aus- 
sage in Bezug auf die übrigen Komponenten möglich ist. 
110 2. Wenn zwischen den Punkten eines Systems Zu- 
sammenhänge bestehen, so ist damit ein Teil der denkbaren 
Verrückungen des Systems von der Betrachtung ausgeschlossen, 
diejenigen Verrückungen des Systems nämlich, deren Statt- 
finden den vorausgesetzten Aussagen widersprechen würde. 
Umgekehrt bildet jede Aussage, dafs von den denkbaren Ver- 
rückungen des Systems ein Teil von der Betrachtung • aus- 
zuschliefsen sei, einen Zusammenhang zwischen den Punkten 
des Systems. Die Zusammenhänge der Punkte eines Systems 
sind vollständig gegeben, wenn für jede denkbare Verrückung 
des Systems bekannt gegeben ist, ob dieselbe zur Betrach- 
tung zugelassen oder von derselben ausgeschlossen sei. 
Materielle Systeme. 89 
3. Die zur Betrachtung zugelassenen Verrückungen 111 
heifsen mögliche Verrückungen, die übrigen unmögliche. Die 
möglichen Verrückungen werden auch virtuelle genannt. Mög- 
liche Verrückungen heifsen sie stets, wenn sie als engerer 
Begriff den * denkbaren gegenübergestellt werden; virtuelle 
Verrückungen werden sie nur dann genannt, wenn sie als 
weiterer Begriff einem engeren, z. B. den wirklichen Ver- 
rückungen entgegengestellt werden. 
4. Mögliche Bahnen heifsen alle Bahnen, welche sich ii2 
aus möglichen Verrückungen zusammensetzen. Mögliche Lagen 
sind alle Lagen, welche durch mögliche Bahnen erreicht wer- 
den können. 
5. Es sind also alle Lagen möglicher Bahnen mögliche 113 
Lagen. Aber es geht aus dem Gesagten nicht hervor, und 
es soll auch nicht gesagt sein, dafs jede denkbare Bahn durch 
mögliche Lagen auch eine mögliche Bahn sei. Vielmehr kann 
eine Verrückung auch zwischen unendlich benachbarten mög- 
lichen Lagen als eine unmögliche Verrückung bezeichnet sein. 
6. Zwischen zwei möglichen Lagen giebt es immer eine 114 
mögliche Bahn. Denn fuhrt von irgend einer wirklichen 
Lage zu beiden Lagen auch nur eine mögliche Bahn, so bil- 
den diese beiden Bahnen zusammen schon eine mögliche Bahn 
zwischen den beiden Lagen; führte zu einer von beiden keine 
mögliche Bahn, so wäre diese Lage auch keine mögliche Lage. 
Definition 1. Ein Zusammenhang eines Systems heifst 115 
ein stetiger, wenn er den folgenden drei Voraussetzungen nicht 
widerspricht: 
1. Dafs die Angabe aller möglichen endlichen Verrück- 
ungen enthalten sei in der Angabe aller möglichen unendlich 
kleinen Verrückungen, (Stetigkeit im Endlichen); 
2. dafs jede mögliche unendlich kleine Verrückung in 
gerader, stetiger Bahn durchlaufen werden könne, (Stetigkeit 
im Unendlichkleinen); 
3. dafs jede unendlich kleine Verrückung, welche aus 
einer bestimmten Lage möglich ist, auch möglich ist aus jeder 
unendlich benachbarten Lage, abgesehen von Abweichungen 
90 Erstes Buch. 
von der Ordnung der Entfernung der Lagen oder von höherer 
Ordnung, (stetige Veränderlichkeit der möglichen Verrückungen). 
116 Folgerung. Wenn in einem System nur stetige Zu- 
sammenhänge sich finden, so ist die Summe irgend welcher 
möglichen unendlich kleinen Verrückungen aus derselben Lage 
wieder eine mögliche Verrückung aus der gleichen Lage. 
(Superposition unendlich kleiner Verrückungen.) 
Denn nach 116, 3 müssen sich die einzelnen Verrückungen 
hinter einander durchlaufen lassen, und nach 115, 2 ist dann 
die direkte Verrückung aus der Anfangs- in die Endlage selbst 
auch eine mögliche Verrückung. 
117 Definition 2. Ein Zusammenhang eines Systems heifst 
ein innerer, wenn er nur die gegenseitige Lage der Punkte 
des Systems betrifft. 
118 Folgerung. Wenn in einem System nur innere Zu- 
sammenhänge sich finden, so ist jede Verrückung des Systems, 
welche die Konfiguration nicht ändert, eine mögliche Ver- 
rückung, und umgekehrt. 
119 Definition 3. Ein Zusammenhang eines Systems heifst 
ein gesetzmäfsiger, wenn er unabhängig von der Zeit besteht. 
Ein gesetzmäfsiger Zusammenhang besteht also in der 
Aussage, dafs von den denkbaren Verrückungen des Systems 
zu jeder Zeit, oder unabhängig von der Zeit, gewisse Ver- 
rückungen möglich, andere unmöglich sind. 
120 Anmerkung. Solange wir von der Geometrie der Systeme 
handeln, kommt der Unterschied zwischen gesetzmäfsigem und 
ungesetzmäfsigem Zusammenhange nicht in Betracht, da unsere 
Überlegungen die Zeit nicht enthalten. Sind die Zusammen- 
hänge eines Systems zu zwei Zeiten verschieden, so haben wir 
es für unsere jetzige Betrachtung zu beiden Zeiten mit zwei 
^ verschiedenen Systemen zu thun. Es läuft praktisch auf das- 
selbe hinaus, wenn wir voraussetzen, dafs in diesem ersten 
Buche die Zusammenhänge sämtlich gesetzmäfsige seien. 
121 Definition 1. Ein System materieller Punkte, welches 
keinen anderen als stetigen Zusammenhängen unterworfen ist, 
nennen wir ein materielles System. 
Materielle Systeme, 91 
Definition 2. Ein materielles System ^ welches keinen 122 
anderen als inneren und gesetzmäfsigen Zusammenhängen 
unterworfen ist, nennen wir ein freies System*. 
Definition 3. Ein materielles System, zwischen dessen 123 
möglichen Lagen alle denkbaren stetigen Übergänge zugleich 
auch mögliche Übergänge sind, heilst ein holonomes System. 
Der Name soll andeuten, dafs ein solches System inte- 
gralen {8Xoq) Gesetzen {vöfiog) gehorcht, während die mate- 
riellen Systeme im allgemeinen nur Differentialgesetzen unter- 
worfen sind. (Vergleiche 132 ff.) 
Analytische Darstellung. 
Bemerkung. Ein System materieller Punkte genügt den 124 
Bedingungen eines materiellen Systems, wenn die Differen- 
tiale seiner rechtwinkligen Koordinaten keinen anderen Be- 
dingungen unterworfen sind als einer Anzahl homogener linearer 
Gleichungen, deren Koefficienten stetige Funktionen möglicher 
Werte der Koordinaten sind. 
Denn die erste Art der Stetigkeit, welche die Definition (116) 
verlangt, mufs vorausgesetzt werden, wenn überhaupt von 
Differentialen der Koordinaten des Systems gesprochen wird; 
den beiden andern Arten wird durch die Einschränkung der 
zugelassenen Differentiale genügt. 
TTmkehmng. Genügt ein System materieller Punkte den 125 
Bedingungen eines materiellen Systems, so sind die Differen- 
tiale seiner rechtwinkligen Koordinaten keinen anderen Ein- 
schränkungen unterworfen, als einer Anzahl homogener linearer 
Gleichungen unter sich, deren Koefficienten stetige Funktionen 
möglicher Werte der Koordinaten sind. 
Zum Beweise fassen wir eine mögliche Lage des Systems * 
ins Auge und die möglichen Verrückungen aus ihr. Für eine 
beliebig herausgegriffene dieser Verrückungen mögen sich die 
3n Änderungen dx^ verhalten wie: 
92 Erstes Bueh. 
(125) Verstehen wir nun unter du^^ eine ganz beliebige unendlich 
kleine Gröfse, so ist durch den Satz von Gleichungen: 
dXj, = Sip dUi 
ein Satz möglicher Verrückungen gegeben. EJntweder sind 
nun in demselben alle möglichen Verrückungen überhaupt ent- 
halten, oder dies ist nicht der Fall. Trifft letzteres zu, so 
wählen wir eine beliebige zweite Verrückung aus, welche nicht 
durch jene Form dargestellt werden kann, und es mögen für 
diese die Sn Änderungen dxy sich verhalten wie: 
€21 • ^22 • • ^2dn 
Verstehen wir nun unter du^ eine zweite beliebige un- 
endlich kleine Gröfse, so ist durch das System der Gleichungen : 
dXp = eiv dUi + e2if dv^ 
nach Voraussetzung (116) ein allgemeinerer Satz möglicher Ver- 
rückungen gegeben. Entweder sind nun wenigstens in diesem 
alle möglichen Verrückungen enthalten, oder dies ist nicht der 
Fall. Wenn letzteres eintritt, so verfahren wir wie vorher, 
indem wir eine neue Gröfse du^ einführen, und wir wieder- 
holen das Verfahren so lange, bis es wegen Erschöpfung aller 
möglichen Verrückungen sich nicht wiederholen lässt. Seine 
Fortsetzung wird spätestens unmöglich, wenn wir 3n Gröfsen 
dux eingeführt haben; denn alsdann stellt die Form: 
3n 
dXy = ^A exv dUx 
1 
alle möglichen Verrückungen des Systems auch dann dar, 
wenn alle denkbaren Verrückungen möglich sind, wenn also 
gar keine Zusammenhänge zwischen den Punkten des Systems 
bestehen. Im allgemeinen muss also das Verfahren notwendig 
früher zu Ende kommen, und es lassen sich daher alle mög- 
lichen Verrückungen des Systems darstellen durch Bedingungs- 
gleichungen der Form: 
Materielle Systeme, 93 
i 
dZp =^^ieipdui , a) 
1 
in welcher unter allen Umständen 
ist. Damit aber dieser Form durch willkürlich gewählte dx^ 
genügt werden könne, ist hinreichende Bedingung, dafs die 
dxy den 3n — / homogenen linearen Gleichungen genügen, 
welche durch Elimination der dux aus den Gleichungen a) sich 
ableiten lassen. Die Gröfsen exv müssen nach 11693 stetige 
Funktionen der Lage sein. Weiteren Einschränkungen als 
diesen brauchen aber nach 124 die dxy nicht unterworfen zu 
werden. 
Anmerkung. Die Zahl und der Inhalt der Gleichungen, 126 
welche wir zwischen den dxy nach dem angegebenen Verfahren 
ableiten, ist unabhängig von der besonderen Wahl der be- 
nutzten Verrückungen. 
Denn benutzen wir andere Verrückungen wie vorher, und 
drücken daher die dxy durch andere Gröfsen dvx aus, so 
können wir die Werte der dxy in diesen in die vorher er- 
halt^ien Eliminationsgleichungen einsetzen. Würden die- 
selben nicht identisch befriedigt, so wären die dvx nicht un- 
abhängig von einander, was gegen die Voraussetzung ginge, 
unter welcher sie bestimmt wurden. Jene Gleichungen werden 
also identisch befriedigt, und sie können daher nicht verschie- 
den sein von den Gleichungen oder von linearen Kombinationen 
der Gleichungen, welche durch Elimination der dvx aus den 
Formen erhalten werden, in welchen sie die dxy darstellen. 
Gröfser als die Zahl der mit Hülfe der dvi zu erhaltenden 
Gleichungen kann demnach die Zahl der mit Hülfe der c??i;. 
erhaltenen nicht sein; sie kann aber auch nicht kleiner sein, 
sonst würde das umgekehrte Verfahren erlauben, zu erweisen, 
dafs die dux nicht unabhängig von einander wären. 
Folgerung 1. Der Zusammenhang eines materiellen Sy- 127 
stems kann analytisch vollständig beschrieben werden durch 
Angabe einer einzigen möglichen Lage des Systems und eines 
94 Erstes Buch. 
Satzes homogener linearer Gleichungen zwischen den Diffe- 
rentialen seiner rechtwinkligen Koordinaten. 
Denn Beziehungen zwischen diesen Differentialen können 
nach 125 nicht anders als durch einen solchen Satz von Glei- 
chungen gegeben werden. Dies hindert allerdings nicht, dafs 
zwischen den Koordinaten auch endliche Gleichungen bestehen. 
Aber alle diese endlichen Gleichungen liefsen sich vollständig 
ersetzen durch eine einzige mögliche Lage und ebensoviele ho- 
mogene lineare Gleichungen zwischen den Differentialen. Diese 
letzteren aber können den unmittelbar gegebenen Differential- 
gleichungen nicht widersprechen; sie gehen also entweder aus 
denselben hervor oder sind ihnen zur Erzielüng einer voll- 
ständigen Beschreibung hinzuzufügen. 
12S Bezeichnung. Die Gleichungen, welche den Zusammen- 
hang eines materiellen Systems in den rechtwinkligen Koordi- 
naten desselben darstellen, sollen in Zukunft dauernd in der 
Form geschrieben werden: 
3n 
yy Xip dXy = 
1 
Dabei wird angenommen, dafs i solcher Gleichungen vorhanden 
seien, und es [sind also dem i in den einzelnen Gleichungen 
die Werte 1, 2, etc. bis i beizulegen. Die Gröfsen x^y sind 
als stetige Funktionen der Xy zu betrachten. 
129 Folgerung 2. Der Zusammenhang eines materiellen Sy- 
stems, dessen Lagen durch allgemeine Koordinaten dargestellt 
sind, kann analytisch vollständig beschrieben werden durch 
Angabe einer einzigen möglichen Lage und eines Satzes ho- 
mogener linearer Gleichungen zwischen den Differentialen der 
Koordinaten. 
Durch Benutzung der allgemeinen Koordinaten p^ , deren 
Zahl r kleiner als 3n ist, ist bereits ein Zusammenhang zwi- 
schen den Punkten des Systems gesetzt. Denken wir uns des- 
halb den Zusammenhang zuerst nach 12S vollständig be- 
schrieben durch die rechtwinkligen Koordinaten. Li den ent- 
sprechenden Differentialgleichungen seien die Werte der dxy 
in den dp^ nach Gleichung 57 b eingetragen. Die entstehenden 
Materielle Systeme. 95 
linearen homogenen Gleichungen müssen sich so ordnen lassen, 
dass unter ihnen 3n — r identisch erfüllt sind infolge der 
3?4 — r Gleichungen, welche ausdrücken, dafs die 3n Gröfsen 
x^ Funktionen der r Gröfsen Pq sind. Die übrig bleibenden 
Ä = « — 3n + r Gleichungen zwischen^ den dp^ ersetzen bei 
Benutzung der pg vollständig die sämtlichen Gleichungen 
zwischen den dx^ und genügen daher, nach 127, zusammen mit 
der Angabe einer möglichen Lage zur vollständigen Beschrei- 
bung des Zusammenhanges des Systems. 
Bezeichnung. Die Gleichungen, welche den Zusammen- 130 
hang eines materiellen Systems in den allgemeinen Koordi- 
naten Pq desselben darstellen, sollen in Zukunft dauernd in 
der Form geschrieben werden: 
r 
1 
Die Zahl dieser Gleichungen wird gleich k angenommen, 
und es sind also dem x nach einander die Werte 1,2, etc. 
bis k zu erteilen. Die Gröfsen p^^ sind als stetige Funk- 
tionen der Pq zu betrachten. 
Anmerkung. Die Gleichungen 128 bez. 130 werden auch 131 
die Differentialgleichungen oder die Bedingungsgleichungen des 
Systems genannt werden. 
Lehrsatz. Lassen sich aus den Differentialgleichungen 132 
eines materiellen Systems eine gleiche Zahl von endlichen 
Gleichungen zwischen den Koordinaten des Systems ableiten, 
so ist das System ein holonomes System (123). 
Denn die Koordinaten einer jeden möglichen Lage müssen 
alsdann den endlichen Gleichungen genügen. Die Unterschiede 
der Koordinaten zweier benachbarter Lagen genügen also 
einer gleichen Zahl von homogenen linearen Differentialgleich- 
ungen, und da diese der ebenso gröfsen Zahl der gegebenen 
Differentialgleichungen des Systems nicht widersprechen können, 
auch diesen letzteren. Die Verrückung zwischen irgend zwei 
möglichen Lagen ist also eine mögliche Verrückung, welches 
die Behauptung ist. 
96 Erstes Buch. 
133 ümkehrung. Ist ein materielles System ein holonomes 
System, so lassen seine Differentialgleichungen eine ebenso 
grofse Zahl von endlichen oder Integralgleichungen zwischen 
den Koordinaten selbst zu. 
Man betrachte von den r Koordinaten des Systems, zwi- 
schen deren Differentialen die k Gleichungen bestehen, irgend 
welche r — ä , etwa die ersten r — A als unabhängig veränder- 
lich. Man gehe von einer beliebigen Anfangslage des Systems 
auf verschiedenen möglichen Bahnen zu einer Lage über, für 
welche die unabhängigen Koordinaten bestimmte Werte 
haben. Käme man nun mit stetig sich ändernder Bahn zu 
stetig sich ändernden Werten der übrigen Koordinaten, also 
zu verschiedenen Lagen, so wären diese Lagen mögliche Lagen, 
die Verrückungen zwischen ihnen also nach Voraussetzung 
mögliche Verrückungen. Es gäbe also von Null verschiedene 
Wertsysteme der Differentiale, welche den Differentialgleich- 
ungen genügen, obwohl die ersten r ■— ä dieser Differentiale 
gleich NuU gesetzt sind. Dies ist nicht möglich, da die Gleich- 
ungen homogen und linear sind. Also kommen wir stets 
zu denselben Werten nicht nur der ersten r — ä, sondern auch 
der übrigen Koordinaten. Die letzteren sind also bestimmte 
Funktionen der ersteren. Die k endlichen Gleichungen, welche 
dies ausdrücken, sind, da sie den Differentialgleichungen nicht 
widersprechen können, Integralgleichungen derselben. 
Bewegungsfreiheit. 
134 Definition. Die Zahl der willkürlich anzunehmenden un- 
endlich kleinen Änderungen der Koordinaten eines materiellen 
Systems heifst die Zahl der Bewegungsfreiheiten des Systems 
oder auch der Grad der Freiheit seiner Bewegung. 
Bemerkungen dazu. 
135 1. Die Zahl der Freiheiten eines Systems ist gleich der 
Zahl seiner Koordinaten, vermindert um die Zahl der Diffe- 
rentialgleichungen des Systems. 
Bewegungsfreiheit 97 
2. Die Zahl der Freiheiten eines materiellen Systems ist 136 
unabhängig von der Wahl der Koordinaten. 
In der Bezeichnung von 128 — 130 ist die Zahl der Frei- 
heiten gleich r — Ä, also (129) gleich Sn—i, also stets dieselbe 
Zahl, welche Zahlen auch durch r und k dargestellt sind. 
8. Die Zahl der Freiheiten eines Systems ändert sich 137 
nicht mit der Lage des Systems. 
Da der Zusammenhang ein stetiger ist, so kann sich die 
Zahl der Freiheiten in benachbarten Lagen nicht um ein End- 
liches unterscheiden, also, da eine stetige Änderung dieser Zahl 
ausgeschlossen ist, auch nicht in endlich entfernten Lagen. 
4. Der Beweis des Satzes 125 enthält eine Lösung der 138 
Aufgabe: Die Zahl der Bewegungsfreiheiten eines vollständig 
bekannten materiellen Systems, allerdings nicht ohne Pro- 
bieren, zu finden. Die Zahl l der nach der Methode jenes 
Beweises gefundenen Hülfsgröfsen dux ist die gesuchte Zahl. 
Ist von vornherein bekannt, dafs die mögUchen Lagen des 
Systems sich durch r allgemeine Koordinaten p^ darstellen 
lassen, so können in jenem Beweise auch diese Koordinaten 
anstatt der Xy benutzt werden. 
Definition. Eine Koordinate eines materiellen Systems, 139 
deren Änderungen unabhängig von den Änderungen aller 
übrigen Koordinaten geschehen können, heifst eine freie Koordi- 
nate des Systems. 
Polgenmg. Eine freie Koordinate kommt in den Diffe- 140 
rentialgleichungen ihres Systems nicht vor, und umgekehrt ist 
jede Koordinate, welche in den Differentialgleichungen nicht 
vorkommt, eine freie Koordinate. 
Anmerkung 1. Ob eine bestimmte Koordinate eines Sy- 141 
stems eine freie Koordinate ist, oder nicht, hängt ab von der 
Wahl der übrigen, gleichzeitig benutzten Koordinaten. 
Denn kommt eine gewisse Koordinate in den Differential- 
gleichungen des Systems nicht vor, und wählen wir nun an 
Stelle einer der Koordinaten, welche in diesen Gleichungen 
vorkommen, eine Funktion dieser und jener ersten als Koordi- 
Hertz, Mechanik. 7 
98 Erstes Buch. 
nate, so verliert jene erste die Eigenschaft , freie Koordinate 
zu sein, welche sie bis dahin hatte. 
142 Anmerlnuig 2. In einem freien System ist jede Koordi- 
nate der absoluten Lage eine freie Koordinate. 
Vergleiche 118 und 122. 
143 Lehrsatz. Lassen sich die möglichen Lagen eines mate- 
riellen Systems durch Koordinaten darstellen, welche sämtlich 
freie Koordinaten sind, so ist das System ein holonomes (123). 
Jede Verrückung des Systems zwischen möglichen Lagen 
wird durch ein Wertsystem der Di£ferentiale der freien 
Koordinaten ausgedrückt; jedes solche Wertsystem ist aber 
möglich, da es keinen Bedingungen unterworfen ist, und daher 
ist jede Verrückung zwischen möglichen Lagen eine mögliche 
Verrückung. 
144 ümkehrong. Li einem holonomen System lassen sich alle 
möglichen Lagen durch freie Koordinaten darstellen. 
Hat ein holonomes System r Koordinaten, zwischen welchen 
k Diflferentialgleichungen bestehen, so lassen sich k der Koordi- 
naten als Funktionen der übrigen r —■ k darstellen (vergl. 133). 
Diese r — k willkürlich ausgewählten Koordinaten bestimmen also 
bereits die Lage des Systems vollständig und können unter 
Weglassung der übrigen Koordinaten als freie Koordinaten des 
Systems benutzt werden. Auch irgend welche r — ä Funktionen 
der ursprünglichen r Koordinaten können offenbar der gleichen 
Absicht dienen. 
145 Anmerkung L Die Zahl der freien Koordinaten eines 
holonomen Systems ist gleich der Zahl seiner Bewegungs- 
freiheiten. 
146 Anmerkung 2. Ist die Zahl der Koordinaten eines mate- 
riellen Systems gleich der Zahl seiner Bewegungsfreiheiten, 
so sind die Koordinaten sämtlich freie Koordinaten, und das 
System ist ein holonomes. 
Denn bestände auch nur eine einzige Differentialgleichung 
zwischen den Koordinaten, so wäre schon die Zahl der Koordi- 
naten gröfser als die der Bewegungsfreiheiten. Kleiner als 
Bewegungsfreiheit, 99 
die Zahl der Bewegungsfreiheiten kann die Zahl der Koordi- 
naten überhaupt nicht sein. 
Anmerkung 3. Die möglichen Lagen eines Systems, 147 
welches kein holonomes ist, lassen sich nicht vollständig allein 
durch freie Koordinaten darstellen. 
Denn das Gegenteil dieser Behauptung stände in Wider- 
spruch zu 143. 
Verruckungen senkrecht zu den möglichen Verruckungen. 
Lehrsatz. Lassen sich in einem System die r Kompo- 14S 
nenten dp^ einer Verriickung ds nach den Koordinaten Pq 
darstellen durch k Gröfsen /« in der Form: 
1 
worin die p^ den Bedingungsgleichungen des Systems (130) 
entnommen sind, so steht die Venrückung senkrecht auf jeder 
möglichen Verrtickung des Systems aus der gleichen Lage. 
Es sei nämlich ds' die Länge einer beliebigen möglichen 
Verrückung aus der gleichen Lage, und es seien die dp^ die 
Änderungen der Koordinaten für diese Verrückung. Multi- 
plizieren wir nun die Gleichungen der Reihe nach mit dp^ 
und addieren sie, so erhalten wir unter Berücksichtigung der 
Gleichungen S5 und 130: 
r fc r 
2^ dp^ dp^ = ds ds COS s^S = 2** yyt 2^ ^x^ dp^^ = , 
1 1 1 ■ 
also cosä,ä'= ; *,«'= 90® , was zu beweisen war. 
Zusatz. Die r Komponenten dp^ einer Verrückung ds 149 
nach den Koordinaten p^ sind eindeutig bestimmt durch k 
unter ihnen und die Angabe, dafs die Verrückung senkrecht 
stehe auf jeder möglichen Verrückung des Systems. 
Es seien nämlich wieder die dp^ die Änderungen der p^ 
flir eine beliebige mögliche Verrückung. Mit Hülfe der k Be- 
dingungs^leichungen können wir k derselben ausdrücken als 
100 Erstes Buch. 
homogene lineare Funktionen der übrigen r — k und diese 
Werte einsetzen in die Gleichung: 
r 
2^ dpg dpg = 
1 
Die in dieser Gleichung noch Yorhandenen dp'^ sind nun völlig 
willkürlich; es mufs also der Faktor einer jeden dieser Gröfsen 
verschwinden. Dies giebt r — k homogene lineare Gleichungen 
zwischen den dp^, welche gestatten, r — ä derselben als ein- 
deutige, weil lineare Funktionen der übrigen k darzustellen. 
150 Umkehmng. Steht eine denkbare Verrückung senkrecht 
auf jeder möglichen Verrückung eines Systems, so lassen sich 
die r Komponenten dpg derselben nach den p^ stets durch 
passende Bestimmung von k Gröfsen y^ darstellen in der Form: 
k 
1 
Bestimmen wir nämlich die /^ ^^s irgend welchen k dieser 
Gleichungen und berechnen mit diesen Werten die sämtlichen 
Komponenten, so müssen wir auf die gegebenen Werte der 
dpQ kommen. Denn die so berechnete Verrückung steht nach 148 
senkrecht auf allen möglichen und hat mit der gegebenen 
Verrückung k Komponenten gemein, sie hat also mit derselben 
nach 149 alle r Komponenten nach den p^ gemein. 
Abschnitt 5. Von den ansgezeichneten Bahnen 
der materiellen Systeme. 
i. Geradeste Bahnen. 
Definitionen. 
151 1. Ein Bahnelement eines materiellen Systems heifst ge- 
rader als ein anderes, wenn es eine geringere Krümmung hat. 
152 2. Geradestes Bahnelement nennen wir ein mögliches 
Geradeste Bahnen der Systeme. 101 
Bahnelement, welches gerader ist als alle anderen möglichen 
Bahnelemente, welche mit ihm die Lage lind die Richtung 
gemein haben. 
3. Eine Bahn, deren sämtliche Elemente geradeste Ele- 153 
mente sind, heifst eine geradeste Bahn. 
Analytische Darstellung. Alle Bahnelemente, nnter wel- 154 
chen ein geradestes Bahnelement das geradeste ist, haben 
Lage und Richtung, also die Werte der Koordinaten und 
der ersten Differentialquotienten der Koordinaten nach der 
unabhängigen Variabelen gemein. Die Krümmung ist aber, 
aufser durch jene Werte, auch noch mitbestimmt durch die 
zweiten Differentialquotienten der Koordinaten. Durch die 
Werte dieser also unterscheiden sich jene Bahnelemente, und 
es müssen also für das geradeste Bahnelement die zweiten 
Differentialquotienten solche Funktionen der Koordinaten und 
ihrer ersten Differentialquotienten sein, welche die Krümmung 
zu einem Minimum machen. 
Die Gleichungen, welche diese Bedingung ausdrücken, 
müssen erfüllt sein für alle Lagen einer geradesten Bahn, sie 
sind also zugleich die Differentialgleichungen einer solchen Bahn. 
Aufgabe L Die Differentialgleichungen der geradesten Bah- 155 
nen eines materiellen Systems darzustellen in den rechtwink- 
ligen Koordinaten des Systems. 
Es möge als unabhängige Variabele die laufende Bahn- 
länge gewählt werden. Da nur mögliche Bahnen in Betracht 
zu ziehen sind, unterliegen die 3n Grössen x^ nach 128 und 
100 i Gleichungen von der Form: 
8n 
2" ^ip Xp==0 . a) 
1 
Also unterliegen die 3n Gröfsen Xy i Gleichungen von der 
Form: 
3n ^ 3n ^^ 
welche durch Differentiation aus jenen folgen. 
102 Erstes Buch. 
Unter der Voraussetzung, dafs diesen Gleichungen h) 
nicht widersprochen werde, sollen die Gröfsen x^ so bestimmt 
werden, dafs die Krümmung c (106) oder, was dasselbe sagt, 
dafs der Wert von ^c*, nämlich 
an 
3n 
Wly //O 
im ^ 
ein Minimum werde. 
Nach den Regehi der Differentialrechnung verfahren wir 
wie folgt: Wir multiplizieren jede der Gleichungen b) mit 
einem nachträglich zu bestimmenden Faktor, welcher für die 
ite Gleichung Si heifsen möge; wir addieren die partiellen 
Differentialquotienten der linken Seiten der entstandenen 
Gleichungen nach einer jeden der Gröfsen x!^ zu dem nach 
der gleichen Gröfse genommenen partiellen Differentialquotien- 
ten der Form e), welche zu einem Minimum zu machen ist; 
wir setzen schliefslich die entstandenen Aggregate gleich Null. 
Wir erhalten so 3n Gleichungen von der Form: 
welche zusammen mit den i Gleichungen b) Sn + i nicht ho- 
mogene, lineare Gleichungen für die 3n + i Grössen Xy und 
St ergeben, und aus welchen sich diese Gröfsen und dann 
aus c) der Wert der kleinsten Krümmung selbst ergeben. 
Die Erfüllung der Gleichungen d) längs aller Lagen einer 
möglichen Bahn ist also notwendige Bedingung dafür, dafs die 
Bahn eine geradeste sei, und die Gleichungen d) sind also die 
verlangten Differentialgleichungen. 
156 Anmerkung 1. Die Gleichungen d) sind aber auch die hin- 
reichenden Bedingungen, zunächst für das Eintreten eines Mi- 
nimums. Denn die zweiten Differentialquotienten 
d^c 
2 
a "a " 
oXy öar« 
Geradeste Bahnen der Systeme. 103 
verschwinden, sobald v und /u verschieden sind, und sind not- 
wendig positiv, sobald v und ju gleich sind. Der Wert der 
Krümmung läfst also keine anderen ausgezeichneten Werte 
zu, als allein ein Minimum. 
Die Erfüllung der Gleichungen d) für alle Lagen einer 
möglichen Bahn ist demnach auch hinreichende Bedingung 
dafür, dafs die Bahn eine geradeste sei. 
Anmerkung 2. Unter Berücksichtigung von 72 können 157 
die Gleichungen d) in der Form geschrieben werden: 
]/— ^(cos s,a;„) = -^^x.yA, 
Die Gleichungen d) geben also an, wie sich die Rich- 
tung der Bahn beim Fortschreiten in ihrer Länge beständig 
ändern mufs, damit die Bahn eine geradeste bleibe; und zwar 
giebt eine jede einzelne Gleichung an, wie sich die Neigung 
der Bahn gegen eine bestimmte der rechtwinkligen Koordi- 
naten ändert. 
Angabe 2. Die Differentialgleichungen der geradesten 158 
Bahnen eines materiellen Systems in den allgemeinen Koordi- 
naten des Systems auszudrücken. 
Wir wählen wieder als unabhängige Variabele die Bahn- 
länge. Die Koordinaten p^ und ihre Differentialquotienten 
Pq genügen (130) den k Gleichungen 
^epxgPQ = , a) 
also die Gröfsen p^ den Gleichungen: 
r r 
J3 
r' ^P' 
1») 
Unter allen Werten der pg , welche diesen Gleichungen 
genügen, sind diejenigen zu bestimmen, welche den Wert der 
104 Erstes Buch. 
Erümmung c oder, was auf dasselbe hinausläuft;, den Wert 
von \c^, also die halbe rechte Seite der Gleichung 108 c zu 
einem Minimum machen. Verfahren wir nach den Regeln der 
Differentialrechnung wie in 165, und nennen wir ZT^ den Faktor, 
mit welchem wir die x te der Grleichungen b) multiplizieren, 
so erhalten wir als notwendige Bedingungen für das Minimum 
r Gleichungen von der Form: 
in welchen nämlich dem q für jede Gleichung ein bestimmter 
Wert von 1 bis r zu erteilen ist. Zusammen mit den 
Gleichungen b) bilden sie r + k nicht homogene, lineare 
Gleichungen für die r + ä Gröfsen p^ und U^ , aus welchen 
sich diese Gröfsen und dann nach 108 die kleinste Ejümmung 
bestimmen lassen. Die Erfüllung der Gleichungen d) längs 
aller Lagen einer möglichen Bahn ist die notwendige Be- 
dingung dafür, dafs die Bahn eine geradeste sei. 
159 Anmerkung 1. Die Erfüllung der Gleichungen d) ist aber 
auch die hinreichende Bedingung für das Eintreten eines Mi- 
nimums und also einer geradesten Bahn. Denn der Aus- 
druck 108 ist nur eine Transformation des Ausdrucks 106 fiir 
die Krümmung; wie dieser (156) läfst daher auch jener nur 
einen einzigen ausgezeichneten Wert, und zwar ein Mini- 
mum zu. 
160 Anmerkung 2. Nach 75 haben wir: 
Va^^ cos 8,pg = ^o agapa 
also ist: 
-^O^agg cos S,Pg) = ^O ag^ f^ + ^^-^V^^T 
Geradeste Bahnen der Systeme. 105 
Es lassen sich daher die Gleichungen 168 d auch schreiben in 
der Form: 
^(V^ cos B,p^) = { 2^2' -^P'^P'^ " 2 P^Q ^^ • 
Die Gleichungen 158 d geben also wiederum an, wie sich 
die Richtung der Bahn beim Fortschreiten in ihrer Länge 
ändern mufs, damit die Bahn eine geradeste bleibe; und zwar 
giebt jetzt jede einzelne Gleichung an, wie sich die Nei- 
gung gegen eine bestimmte der Koordinaten p^ ändert. 
Lehrsatz. Aus einer gegebenen Lage in einer gegebenen 161 
Richtung ist stets eine und nur eine geradeste Bahn .möglich. 
Denn ist eine Lage und eine Richtung in ihr gegeben, 
so geben die Gleichungen 155 d oder 158 d stets bestimmte, 
und zwar eindeutig bestimmte Werte für die Änderung der 
Richtung; es ist also durch die gegebenen Gröfsen eindeutig 
bestimmt die Anfangslage und die Richtung im nächsten Bahn- 
element, also auch die im Folgenden, und so fort ins Unendliche. 
Folgerung. Es ist im allgemeinen nicht möglich, von 162 
einer beliebigen Lage eines gegebenen Systems zu einer be- 
liebigen anderen Lage eine geradeste Bahn zu ziehen. 
Denn die Mannigfaltigkeit der möglichen Verrückungen 
aus einer Lage ist gleich der Zahl der Bewegungsfreiheiten 
des Systems, die Mannigfaltigkeit der möglichen Richtungen 
in einer Lage und daher die Mannigfaltigkeit der geradesten 
Bahnen aus ihr also um die Einheit kleiner. Die Mannig- 
faltigkeit der Lagen, welche auf geradesten Bahnen von einer 
gegebenen Lage aus zu erreichen sind, ist also wieder gleich 
der Zahl der Freiheiten. Aber die Mannigfaltigkeit der mög- 
lichen Lagen kann der Zahl der benutzten Koordinaten gleich 
sein, und ist daher im allgemeinen gröfser als jene. 
Bemerkung 1. Um alle geradesten Bahnen eines mate- 163 
riellen Systems, dessen Lagen durch die p^ bezeichnet sind, 
durch Gleichungen zwischen eben diesen p^ darstellen zu 
können, ist nicht die Kenntnis irgend welcher 3« Funktionen 
erforderlich, welche die Lagen der einzelnen Punkte des Systems 
106 Erstes Buch. 
als Funktionen der p^ vollständig bestimmen. Es genügt viel- 
mehr, dafs neben den Bedingungsgleichungen des Systems in 
den Pq die ^r(r+l) Funktionen a^ der p^ bekannt gegeben 
seien. 
Denn die Diflferentialgleichungen der geradesten Bahnen 
158 d können explicite hingeschrieben werden, sobald nur neben 
den p^ die a^^ als Funktionen der p^ gegeben sind. 
164 Bemerkung 2. um die geradesten Bahnen eines mate- 
riellen Systems, dessen Lagen man durch die p^ bezeichnet 
hat, durch Gleichungen zwischen eben diesen p^ angeben zu 
können, genügt neben der Kenntnis der Bedingungsgleichungen 
zwischen den p^ die Kenntnis der Länge einer jeden möglichen 
unendlich kleinen Verrückung als Funktion eben jener Koor- 
dinaten p^ und deren Änderungen. 
Denn ist ds der Ausdruck jener Länge in der verlangten 
Form, so ist 
1 d^ds^ 
'^^ - 2 Bp,dp, ' 
165 Bemerkung 3. Um den Wert der Krümmung selbst zu 
kennen in jeder Lage einer geradesten Bahn, genügt indessen 
die Kenntnis der ^r{r+l) Funktionen a^^ nicht. Es mufs 
hinzukommen die Kenntnis der ^r^(r+l)2 Funktionen 
a^aXf. (108). 
Die Kenntnis der Lagen aller einzelnen Punkte als 
Funktionen der p^ ist auch zur Ermittelung der Krümmung 
selbst nicht erforderlich. 
2. Kürzeste und geodätische Bahnen. 
166 Definition 1. Kürzeste Bahn eines materiellen Systems 
zwischen zweien seiner Lagen heifst eine mögliche Bahn 
zwischen diesen Lagen, deren Länge kleiner ist als die Länge 
irgend einer anderen, ihr unendlich benachbarten Bahn zwischen 
denselben Lagen. 
Kürzeste Bahnen der Systeme. 107 
Bemerkungen dazu. 
1. Es ist durch die Definition nicht ausgeschlossen, und 167 
es kann in der That eintreten, dafs es mehrere kürzeste 
Bahnen zwischen zwei Lagen giebt. Die kürzeste unter 
diesen heiTst die absolut kürzeste Bahn. Sie ist zugleich die 
kürzeste Bahn, welche überhaupt zwischen den beiden Lagen 
möglich ist. 
2. Zwischen irgend zwei möglichen Lagen eines mate- 168 
riellen Systems ist stets mindestens eine kürzeste Bahn 
möglich. 
Denn mögliche Bahnen sind zwischen möglichen Lagen 
stets vorhanden (114), unter ihnen also eine absolut kürzeste, 
welche also auch kürzer ist als ihre Nachbarn, deren sie nach 
der vorausgesetzten Stetigkeit (121, 115) besitzen mufs, welche 
also eine kürzeste Bahn ist. 
3. Eine kürzeste Bahn zwischen zwei Lagen ist zugleich 169 
eine kürzeste Bahn zwischen irgend zwei der ihr angehörigen . 
Lagen. Jeder Teil einer kürzesten Bahn ist wieder eine 
kürzeste Bahn. 
4. Die Länge einer kürzesten Bahn unterscheidet sich 170 
nur um unendlich kleine Gröfsen höherer Ordnung von der 
Länge aller benachbarten Bahnen zwischen den gleichen End- 
lagen. Als unendlich kleine Gröfsen der ersten Ordnung gelten 
dabei die Längen der Verrückungen, welche nötig sind, um 
die benachbarten Bahnen in die kürzeste überzuführen. 
Definition 2. Geodätische Bahn eines materiellen Systems 171 
heifst jede Bahn, deren Länge zwischen irgend zweien ihrer 
Lagen sich nur um unendlich kleine Gröfsen höherer Ordnung 
unterscheidet von der Länge irgend welcher unendlich benach- 
barter Bahnen zwischen den gleichen Lagen. 
Bemerkungen dazu. 
1. Jede kürzeste Bahn zwischen irgend zwei Lagen ist 172 
eine geodätische Bahn. 
108 Erstes Buch. 
Es enthält also auch die Definition 171 nicht etwa einen 
inneren Widerspruch, sondern es giebt Bahnen, welche dieser 
Definition genügen. 
173 2. Zwischen irgend zwei möglichen Lagen eines mate- 
riellen Systems ist stets mindestens eine geodätische Bahn 
mögUch (168 und 172). 
174 3. Eine geodätische Bahn ist nicht notwendig zugleich 
kürzeste Bahn zwischen irgend zweien ihrer Lagen. 
Es kann aus den Definitionen nicht gefolgert werden, 
dafs jede geodätische Bahn auch kürzeste Bahn ist, und ein- 
fache Beispiele zeigen, dafs es in der That geodätische Bahnen 
giebt, welche nicht zugleich kürzeste Bahnen zwischen ihren 
Endlagen sind. Solche Beispiele können bereits der Geometrie 
des einzelnen materiellen Punktes, also der gewöhnlichen 
Geometrie entnommen, und also aus dieser als bekannt vor- 
ausgesetzt werden. 
175 4. Giebt es zwischen zwei Lagen nur eine einzige geodä- 
tische Bahn, so ist dieselbe eine kürzeste, und zwar die absolut 
kürzeste Bahn zwischen beiden Lagen. 
Denn das Gegenteil würde nach 168 und 172 der Voraus- 
setzung widersprechen. 
176 5. Eine geodätische Bahn ist stets kürzeste Bahn zwischen 
irgend zwei hinreichend benachbarten, übrigens noch endlich 
von einander entfernten ihrer Lagen. 
Es möge zwischen zwei beliebigen Lagen der betrachteten 
geodätischen Bahn noch eine Anzahl weiterer geodätischer 
Bahnen geben. Mit einer dieser Bahnen mufs die absolut 
kürzeste Bahn zwischen beiden Lagen zusammenfallen (172). 
Nähern wir nun die Lagen einander längs der betrachteten 
geodätischen Bahn, so nähert sich die Länge dieser Bahn und 
zugleich die Länge der absolut kürzesten Bahn der Null, 
während die übrigen geodätischen Bahnen endlich bleiben. 
Mindestens von einem gewissen endlichen Abstand der Lagen 
an mufs also die geodätische Bahn, längs welcher die beiden 
Lagen sich nähern, mit der absolut kürzesten unter ihnen zu- 
sammenfallen. 
Kürzeste Bahnen der Systeme. 109 
Analytische Darstellung. Damit eine Bahn eine geodä- 177 
tische Bahn sei, ist die notwendige und hinreichende analy- 
tische Bedingung, dafs das Integral des Bahnelements (99), 
nämlich 
ß 
8 
genommen zwischen irgend zwei Lagen der Bahn, nicht va- 
riiere, wenn auch den Koordinaten der Lagen der Bahn be- 
liebige stetige Variationen erteilt werden, vorausgesetzt nur, 
dafs 1) diese Variationen verschwinden an den jedesmaligen 
Grenzlagen des Integrals, und dafs 2) auch noch nach Aus- 
fuhrung der Variation die Koordinaten und ihre Dififerentiale 
den Bedingungsgleichungen des Systems genügen. Als not- 
wendige und hinreichende Bedingung hierfür ergiebt sich ein 
Satz von Dififerentialgleichungen, denen die Koordinaten der 
Bahn, gedacht als Funktionen einer beliebigen Variabelen, 
genügen müssen, und welche also die Differentialgleichungen 
der geodätischen Bahnen sind. 
Dafs jene Differentialgleichungen für alle Punkte einer 178 
möglichen Bahn erfüllt seien, ist nach 172 zugleich die not- 
wendige Bedingung dafür, dafs die Bahn eine kürzeste sei, 
und jene Gleichungen sind daher zugleich die Differential- 
gleichungen der kürzesten Bahnen. Das Verschwinden der 
Variation des Integrals ist aber noch nicht hinreichende Be- 
dingung dafür, dafs die Bahn zwischen seinen Endlagen eine 
kürzeste sei. Vielmehr ist hierzu weiter erforderlich, dafs für 
jede zulässige Variation der Koordinaten die zweite Variation 
des Integrals einen wesentlich positiven Wert habe. Für hin- 
reichend benachbarte Lagen einer Bahn, welche den Diffe- 
rentialgleichungen genügt, ist diese Bedingung nach 176 stets 
von selber erflült. 
Aufgabe 1. Die Differentialgleichungen der geodätischen 179 
Bahnen eines materiellen Systems in den rechtwinkligen Koordi- 
naten desselben darzustellen. 
Die Sn rechtwinkligen Koordinaten x^, welche wir zu- 
nächst als Funktionen einer beliebigen Variabelen ansehen, 
sollen vor und nach der Variation den i Gleichungen 
110 Erstes Bibch, 
3n 
(179) „ 
a) >v Xcv dXy = 
genügen (128). Die 3w Variationen dx^ sind also gebunden 
an die i Gleichungen, welche aus jenen durch Variation folgen, 
nämlich: 
3n 8n 8 n «« 
*) 2" ^*^ ^^^'^ "^ 2^2* Ä~^ ^^i^ ^^'^ "^ ^ 
1 11^ 
Da die Länge ds des Bahnelements nicht von den Xy, 
sondern nur von den dxy abhängt, so ist seine Variation 
Dies vorausgesetzt, soll 
c) Sfds=fSds = 
gemacht werden. Nach den Regeln der Variationsrechnung 
multiplizieren wir jede der Gleichungen b) mit einer nach- 
träglich zu bestimmenden Funktion der Xy, welche für die 
ete Gleichung mit 1^ bezeichnet werden möge, und addieren 
die Summe der linken Seiten der entstandenen Gleichungen, 
welche Summe gleich Null ist, zu dem variierten Element des 
Integrals. Durch partielle Integration schaffen wir die Diffe- 
rentiale der Variationen fort; endlich setzen wir den Faktor 
einer jeden der willkürlichen Funktionen Sxy gleich Null. 
Wir erhalten so 3w Differentialgleichungen der Form: 
welche zusammen mit den i Gleichungen a) 3n+i Gleichungen 
für die 3n+i Funktionen Xy und |, bilden. Diese Differential- 
Kürzeste Bahnen der Systeme, 111 
gleichungen sind notwendige Bedingungen für das Verschwinden 
der Variation des Integrals; jede geodätische Bahn genügt also 
denselben, und sie stellen also die gesuchte Lösung dar. 
Anmerkung 1, Die Differentialgleichungen 179 d sind aber 180 
auch hinreichende Bedingungen dafür, dafs die Bahn, welche 
ihnen genügt, eine geodätische Bahn sei. Denn sind jene 
Gleichungen erfüllt, so wird die Variation des Integrals fds 
gleich den Gliedern, welche bei der partiellen Integration vor 
das Integralzeichen treten; es wird also in der üblichen Be- 
zeichnungsweise, wenn mit die untere, mit 1 die obere Grenze 
angedeutet wird: 
Lassen wir also für irgend zwei Lagen der Bahn die 
Variationen Sx^ verschwinden, so verschwindet die Variation 
des Integrals zwischen jenen Lagen als Grenzwerten, und es 
ist daher die für geodätische Bahnen verlangte hinreichende 
analytische Bedingung nach 177 erfüllt. 
Anmerkung 2. Benutzen wir die laufende Länge der 181 
Bahn als unabhängige Variabele, so nehmen unter Berück- 
sichtigung von 55 und 100 die Gleichungen 179 d nach Division 
durch ds die Formen an: 
welche zusammen mit den i durch Differentiation von 179a er- 
haltenen Gleichungen: 
3n 3 n 3n •^ 
1 1 1 ^^A* 
Sn+i nicht homogene, lineare Gleichungen für die 3n+i 
Grössen x!^ und |e darstellen, und also erlauben, diese Gröfsen 
112 Erstes Buch. 
als eindeutige Funktionen der Grölsen x^j Xy und ^^ anzu- 
geben. 
182 Amnerkiing 3. Unter Benutzung von 72 kann den Gleich- 
ungen 181 ft die Form gegeben werden: 
1/^ 
r m 
?Ä<-«-^)-s^£+i-l'(&-fe)^^' 
Die Gleichungen 181a geben also an, wie sich die Rich- 
tung der Bahn bei gegebenem AnfiEuig derselben bestandig 
ändern mufs, damit die Bahn eine geodätische bleibe; und 
zwar giebt jede einzelne Gleichung an, wie sich die Neigung 
gegen eine bestimmte der rechtwinkligen Koordinaten ändert 
183 Aufgabe 2. Die Differentialgleichungen der geodätischen 
Bahnen eines materiellen Systems in den allgemeinen Koordinaten 
Pq desselben darzustellen. 
Die r Koordinaten pg des Systems sind gebunden an die 
k Gleichungen (130): 
r 
a) 2^ Pkq dpg = 
1 
und also die r Variationen Sp^ an die Gleichungen: 
r r r ^ 
1 1 
^Pc 
Die Länge ds einer unendlich kleinen Verrückung hängt 
jetzt nicht allein von den Differentialen dp^ , sondern auch von 
den Werten der p^ selbst ab, es ist also: 
Dies vorausgesetzt, soll 
c) Sjds =JSd8 = 
Kürzeste Bahnen der Systeme. 113 
gemacht werden. Indem wir nach den Begehi der Variation 
verfahren^ genau wie in 179, und indem wir mit n^ den Faktor 
der X ten Gleichung b) bezeichnen, erhalten wir r Differential- 
gleichungen von der Form: 
^Idds \ dds -^ 
-l-l-gf-lf)".*»» , • ■ 
welche zusammen mit den Gleichungen a) r + A Differential- 
gleichungen für die r + k Funktionen p^ und n^ der unab- 
hängigen Variabelen bilden. Diese Gleichungen sind notwen- 
dige Bedingungen für das Verschwinden der Variation, sind 
also erfüllt in allen Lagen einer geodätischen Bahn; sie ent- 
halten demnach die Lösung der gestellten Aufgabe. 
Anmerkung 1. Die Differentialgleichungen 183 d sind aber 184 
auch hinreichende Bedingungen dafür, dafs die Bahn, welche 
ihnen genügt, eine geodätische Bahn sei. Denn sind jene 
Gleichungen erfilllt, so wird die Variation der Bahnlänge 
(vergl. 180): 
Lassen wir also für irgend zwei Lagen der Bahn die Va- 
riationen Spg verschwinden, so verschwindet die Variation 
des Integrals zwischen jenen Lagen als Grenzlagen, und es 
ist daher die für geodätische Bahnen verlangte analytische 
Bedingung erflillt (177). 
Anmerkung 2. Wählen wir die Bahnlänge als unab- 185 
hängige Variabele, indem wir die Gleichungen 183 d durch ds 
dividieren und für ds seinen Wert in den p^ und dp^ nach 
57 d einsetzen, so erhalten wir die Gleichungen der geodäti- 
schen Bahnen in der Form der r Gleichungen: 
Hertz, Mechanik. g 
114 Er^es Buch. 
•> 
r r 
fla«, 1 da„ 
2' ««-i»'«^ +2'2b^ - 2 ä^iP'P- 
1 1 
dp^ 2 dp^ 
+ 
±.p,n.-±2.{^-^]n.p,.0 . 
welche zusammen mit den k aus 183a abgeleiteten Grleich- 
ungen 
r r r «» 
1 11 ^^^ 
r + k nicht homogene, lineare Gleichungen für die r + k 
Grrö£Ben p^ und n'x bilden , also gestatten, diese Gröfsen als 
eindeutige Funktionen der p^ , p'^ und n^ anzugeben. 
186 Anmerkung 3. Indem wir bei der Einführung der Bahn- 
länge als unabhängiger Variabele die Gleichung 92 berück- 
sichtigen, erhalten wir die Gleichungen 185a in der Form: 
^ (V^ cos 8,p^) = 
i24- '^P'P. - i'p."' ^i-i-df - if ) '.pi ■ 
Jene Gleichungen geben also wiederum an, wie sich die 
Richtung der Bahn mit Durchlaufung ihrer Länge ändern muTs, 
damit die Bahn beständig eine geodätische bleibe; und 
zwar giebt jede einzelne Gleichung an, wie sich die Neigung 
gegen eine bestimmte der Koordinaten p^ ändert. 
187 Bemerkung 1. Eine geodätische Bahn ist durch Lage 
und Richtung eines ihrer Elemente noch nicht bestimmt, son- 
dern aus einer gegebenen Lage in gegebener Richtung ist im 
allgemeinen eine unendliche Anzahl geodätischer Bahnen 
möglich. 
Sind uns für eine Lage der Bahn die pg, p^ und die k 
Gröfsen n^ gegeben, so sind sie nach 185 auch für das nächste 
Element eindeutig bestimmt, und die Fortsetzung der Bahn 
Kürxeste Bahnen der Systeme. 115 
ist also nur in eindeutig bestimmter Weise mögUch. Die An- 
gabe der Richtung der Bahn in jener gegebenen Lage aber 
liefert nur die Gröfsen p^ und /?^, und genügt also nicht zur 
Festlegung der Bahn, sondern läfst, wenn nicht besondere 
Verhältnisse vorliegen, noch eine k fache Unendlichkeit geodä- 
tischer Bahnen zu. 
Bemerkung 2. Wenn die DüFerentialgleichungen des be- 18S 
trachteten Systems kein Integral zulassen, also im allgemeinen 
Falle, können von den 2r Gröfsen p^ und p^, welche eine 
Lage und die Richtung in dieser bestimmen, 2r—k will- 
kürlich angenommen werden, nämlich die r Gröfsen p^ und r — ä 
der Gröfsen /?^. Jene 2r— ä willkürlichen Werte, zusammen 
mit den k willkürlichen Werten der tt« in jener Lage können 
als die 2r willkürlichen Konstanten angesehen werden, welche 
zusammen mit den Differentialgleichungen 185 a eine geodä- 
tische Bahn bestimmen, und welche in den Integralen jener 
Gleichungen auch vorhanden sein müssen, da es nach 173 
möglich sein soll, jede mögliche Lage des Systems mit jeder 
andern durch eine geodätische Bahn zu verbinden. Lassen 
nämlich die Differentialgleichungen des Systems keine end- 
liche Beziehung zwischen den p^ ableiten, so ist jedes denk- 
bare Wertsystem dieser Gröfsen auch ein mögliches Wert- 
system; eine willkürliche Anfangs- und Endlage sind also zu- 
sammen durch 2r willkürliche Koordinatenwerte bestimmt. 
Bemerkung 3. Für jedes Integral, welches die Differential- 189 
gleichungen des materiellen Systems zulassen, vermindert dich 
die Zahl der Konstanten, welche eine geodätische Bahn ein- 
deutig bestimmen, um zwei. 
Lassen sich nämlich aus den Bedingungsgleichungen des 
Systems Z endliche Gleichungen zwischen den p^ herleiten, so 
können von den r Koordinaten p^ nur noch r — Z willkürlich 
angenommen werden, von den 2r Gröfsen p^ und p^, welche 
«ine Lage und eine Richtung in ihr bestimmen, also nur noch 
2r— /— Ä. Femer lassen sich in diesem Falle die Differential- 
gleichimgen durch Multiplikation mit geeigneten Faktoren und 
Addition in solche Form bringen, dafs l derselben unmittel- 
bar integrabele Gleichungen darstellen, nämlich diejenigen 
-Gleichungen, welche durch Differentiation der l endlichen Be- 
8* 
116 Erstes Buch. 
Ziehungen gewonnen werden. Für jede dieser Gleichungen, 
von welchen eine den Index X haben möge, wird dann: 
^Pe ^Pa 
Es verschwinden dann also die entsprechenden Gröfsen ni 
aus den Gleichungen 185 a, und alle pg und tt^ sind bereits 
eindeutig bestimmt durch die ä — / Werte der übrigen n^ . 
Im Ganzen also behalten wir noch übrig 2r— 2/ willkürliche 
Bestimmungsstücke; zwei sind für jede endliche Gleichung ver- 
loren gegangen. 
Übrigens genügen diese 2r—2l willkürlichen Konstanten 
immer noch, wie es sein mufs, um jede mögliche Lage des 
Systems mit jeder andern durch eine geodätische Bahn zu ver- 
binden. Denn^bestehen zwischen den p^ l endliche Gleichungen, 
so genügt es, "die Bahn so zu führen, dafs zwei ihrer Lagen 
mit den gegebenen Lagen je r — l Koordinaten gemein haben; 
die Übereinstimmung in Hinsicht der übrigen wird alsdann 
von selbst statthaben. 
3. Beziehungen zwischen geradesten und geodätischen 
Bahnen. 
190 Lehrsatz. In einem holonomen System ist jede geodätische 
Bahn eine geradeste Bahn und auch umgekehrt jede geradeste 
eine geodätische Bahn. 
Benutzen wir für den Beweis rechtwinklige Koordinaten. 
Ist das System ein holonomes, so läfst sich den i Bedingungs- 
gleichungen desselben durch Multiplikation mit geeigneten 
Faktoren und Addition in geeigneter Ordnung eine solche 
Form geben, in welcher jede derselben ohne weiteres integrier- 
bar ist, in welcher nämlich die linke Seite einer jeden mit 
dem exakten Differentiale eines der i Integrale der Gleichungen 
zusammenfällt. Für jedes Wertsystem der i, jti, v ist alsdann: 
^ _ ^f^ = 
Geradeste und kürzeste Bahnen, 117 
und die Differentialgleichungen der geodätischen Bahnen wer- 
den alsdann nach 181 a: 
m 
Dieselben unterscheiden sich offenbar nur in der Bezeichnung 
von den Gleichungen der geradesten Bahnen (155 d): 
rriy n 
m 
da weder die 1, noch die Sl in den übrigen zu befriedigenden 
Gleichungen vorkommen. Jede mögliche Bahn, welche nach 
geeigneter Bestimmung der ^^ den ersten dieser Gleichungen 
genügt, genügt den zweiten, indem man setzt ^^ = 1«, und nicht 
minder ist jede Lösung der zweiten zugleich eine Lösung der 
ersten. Die Befriedigung der Gleichungen b) und c) ist aber 
schon hinreichende Bedingung dafür, dafs die Bahn eine geo- 
dätische, bez. eine geradeste sei. 
Folgerung 1. In einem holonomen System ist aus einer 191 
möglichen Lage in einer möglichen Richtung nur eine einzige 
geodätische Bahn möglich (161). 
Folgerung 2. In einem holonomen System ist zwischen 192 
irgend zwei möglichen Lagen immer mindestens eine geradeste 
Bahn möglich (173). 
Lehrsatz. Ist in einem materiellen System jede geodä- 193 
tische Bahn zugleich eine geradeste Bahn, so ist das System 
ein holonomes. 
Denn von jeder möglichen Lage aus ist in gegebener 
Eichtung nach 161 nur eine einzige geradeste, also nach Vor- 
aussetzung nur eine einzige geodätische Bahn möglich. Gleich- 
wohl ist nach 173 jede mögliche Lage durch eine dieser 
Bahnen zu erreichen. Es ist also die Zahl der Bewegungs- 
freiheiten des Systems gleich der Zahl seiner unabhängigen 
Koordinaten, also nach 146 das System ein holonomes. 
118 Erstes Buch. 
194 Folgerung. In einem System, welches kein holonomes ist, 
ist im allgemeinen eine geodätische Bahn nicht zugleich eine 
geradeste Bahn. 
Dies geht übrigens schon daraus hervor, dafs in jeder 
Sichtung nur eine geradeste, aber viele geodätische Bahnen 
möglich sind (161 imd 187). 
195 Bemerkung. In einem Systeme, welches kein holonomes 
ist, ist eine geradeste Bahn im allgemeinen nicht zugleich eine 
geodätische Bahn. 
Die Behauptung ist bewiesen, sobald Beispiele von Systemen 
vorgezeigt werden, in welchen sich die geradesten Bahnen 
nicht unter den geodätischen finden. Nehmen wir deshalb 
der Einfachheit halber an, es bestehe nur eine einzige nicht 
integrierbare Bedingungsgleichung zwischen den r Koordinaten 
Pq des Systems, und es sei dieselbe: 
r 
a) ^^PiqPq = • 
1 
Machen wir nun die Annahme, es sei jede geradeste Bahn 
zugleich eine geodätische. Dann liefse sich ftLr jedes mögliche 
Wertsystem der pg und p^ mindestens ein Wertsystem der 
Pg so bestimmen, dafs zugleich den Gleichungen 158 d und 
185 a genügt ist. Es müfsten daher auch für alle möglichen 
Pq und Pq die durch paarweise Subtraktion jener Gleichungen 
zu erhaltenden Gleichungen 
zu befriedigen sein. Dies sind aber r Gleichungen für die 
eine Gröfse {IIi—ni)lnij und sie sind nur verträglich mit 
einander, wenn fiir alle Wertpaare der q und r 
^2-f^-|^k-i:S 
'dpia 
Pie ^ \öPe ^Po r P^r^ \^P- 
ist. Drücken wir in r — 1 von einander unabhängigen dieser 
Flächen von Lagen, 119 
Gleichungen eine der Gröfsen p^ mit Hülfe von Gleichung a) 
durch die übrigen aus, so sind die Verhältnisse zwischen den 
letzteren nun völlig willkürliche Gröfsen. Der Eoefßcient jeder 
einzelnen dieser Gröfsen mufs also fCLr sich verschwinden. 
Wir erhalten so als notwendige Folge unserer Annahme im 
ganzen (r— 1)* Gleichungen zwischen den r Funktionen p^ 
und ihren r^ partiellen ersten Differentialquotienten. In be- 
sonderen Fällen können diese Gleichungen sämtlich befriedigt 
sein, denn sie sind befriedigt, wenn die Gleichung a) integrabel 
ist. Aber im allgemeinen haben wir kein Becht, die Funk- 
tionen piQ auch nur einer einzigen Bedingung unterworfen 
vorauszusetzen, und im allgemeinen war also unsere Annahme 
unzulässig. Damit ist die Behauptung erwiesen. 
Ergebnis. (190 bis 195). In holonomen Systemen decken 196 
sich die Begriffe der geradesten und der geodätischen Bahnen 
dem Inhalt nach vollständig; in nichtholonomen Systemen 
schliefst keiner dieser Begriffe den andern ein, sondern beide 
haben im allgemeinen vollständig verschiedenen Inhalt. 
Abschnitt 6. Von der geradesten Entfernung in 
holonomen Systemen 
Vorbemerkungen. 
1. In diesem Abschnitt soll nur von holonomen Systemen 197 
die Bede sein und unter einem System schlechthin also ein 
holonomes verstanden werden. Es kann daher, und es soll 
vorausgesetzt werden, dafs die benutzten Koordinaten p^ des 
Systems sämtlich freie Koordinaten sind. Die Zahl dieser 
Koordinaten ist gleich der Zahl der Bewegungsfreiheiten des 
Systems, also unabhängig von unserer Willkür; wir bezeichnen 
sie dauernd mit r. 
2. Geradeste und geodätische Bahnen fallen in die- 19S 
sem Abschnitt zusammen (196), und die gemeinsamen Diffe- 
120 Erstes Buch. 
rentialgleichungen dieser Bahnen können geschrieben werden 
in der Form der r Gleichungen: 
dds 
diyägg cos 8,pg) = 
dp. 
welche man ans 186 oder aus 160 erhält, indem man bedenkt, 
dafs für die gewählten Koordinaten die sämtlichen Gröfsen p^ 
gleich Null sind. 
199 3. Zufolge derselben Bemerkung erhält man für die 
Variation der Länge einer Bahn, welche den vorstehenden 
Differentialgleichungen genügt, also der Länge einer geodätischen 
Bahn, aus 184: 
r r 
Sfds = 2 
dds 
-^0 
oder unter Berücksichtigung von 92: 
r 1 
sfds = 2^ \Yö^ cos SjPq Spg^ 
in welchen Gleichungen also die Sp^ die Variationen der 
Koordinaten der Endlage, und die cos s^p^ die Bichtungscosinus 
der Endelemente der betrachteten geodätischen Bahn be- 
zeichnen. 
I. Flächen von Lagen. 
200 Definition, unter einer Fläche von Lagen verstehen wir 
im allgemeinen eine stetig zusammenhängende Gesamtheit von 
Lagen. Im besonderen aber soll hier unter einer Fläche eine Ge- 
samtheit möglicher Lagen eines holonomen Systems verstanden 
sein, welche dadurch charakterisiert ist, dafs die Koordinaten 
der ihr angehörigen Lagen einer einzigen endlichen Gleichung 
unter sich genügen. 
Die Gesamtheit der Lagen, welche gleichzeitig zweien 
Flächm von Lagen, 121 
oder mehr Flächen angehören, bezeichnen wir auch als den 
Durchschnitt jener zwei oder mehr Flächen. 
Anmerkung 1. Durch jede Lage einer Fläche kann eine 201 
unendliche Mannigfaltigkeit von Bahnen gezogen werden, deren 
sämtliche Lagen der Fläche angehören. Wir sagen von diesen 
Bahnen, dafs sie der Fläche angehören, oder in der Fläche 
liegen; wir brauchen die gleiche Ausdrucksweise für die Ele- 
mente der Bahnen und für unendlich kleine Verrückungen 
überhaupt. 
Anmerkung 2. Eine Bahn, welche nicht einer Fläche 202 
angehört, hat mit dieser im allgemeinen eine endHche Anzalil 
von Lagen gemeinsam. 
Denn die Bahn wird analytisch dargestellt durch r — 1 
Gleichungen zwischen den Koordinaten ihrer Lagen, die Fläche 
durch eine einzige Gleichung. Nach Voraussetzung sind erstere 
Gleichungen unabhängig von der letzteren. Alle zusammen 
bilden sie daher r Gleichungen für die r Koordinaten der 
gemeinsamen Lagen, welche Gleichungen im allgemeinen keine 
oder eine endliche Zahl reeller Lösungen zulassen. 
Anmerkung 3. Aus jeder Lage einer Fläche ist eine 20S 
(r — 1) fache Mannigfaltigkeit unendlich kleiner Verrückungen 
in der Fläche möglich. 
Denn von den r unabhängigen Änderungen der Koordi- 
naten, welche die Verrückung charakterisieren, können r — 1 
willkürlich angenommen werden, die r te ist dann dadurch 
bestimmt, dafs die Verrückung der gegebenen Fläche ange- 
hören soll. 
Lehrsatz 1. Es ist stets eine, und- im allgemeinen nur 204 
eine Bichtung anzugeben möglich, welche auf r — 1 ver- 
schiedenen unendlich kleinen Verrückungen eines Systems (197) 
aus derselben Lage senkrecht steht. 
Es sei d^pQ die Änderung der Koordinate p^ für die 
rte jener r — 1 Verrückungen; es sei 8p ^ die Änderung der 
Koordinate p^ für eine weitere Verrückung. Soll die letztere 
anf jenen senkrecht sein, so ist notwendig und hinreichend, 
dafs r — 1 Gleichungen der Form (58) 
122 Erstes Buch. 
r r 
1 1 
erfüllt seien. Dies sind aber r — 1 nicht homogene, lineare 
Gleichungen für die r — 1 Verhältnisse der Sp^ unter sich; sie 
können also stets, und zwar im allgemeinen nur durch ein Wert- 
system dieser Verhältnisse befriedigt werden. In Ausnahme- 
fallen kann Unbestimmtheit eintreten; solche mufs z. B. dann 
emtreten, wenn irgend drei der r - 1 Verrückungen so ge- 
wählt sind, dafs jede Verrückung, welche auf zwei von ihnen 
senkrecht ist, auch auf der dritten senkrecht steht. 
205 Lehrsatz 2. Steht eine Bichtung senkrecht auf r — 1 
verschiedenen Verrückungen, welche einer Fläche in einer 
bestimmten Lage angehören, so steht sie senkrecht auf jeder 
Verrückung, welche der Fläche in dieser Lage angehört. 
Die Verrückungen, welche einer Fläche in einer be- 
stimmten Lage angehören, sind dadurch charakterisiert, dafs 
die entsprechenden dp^ einer einzigen homogenen linearen 
Gleichung unter sich genügen, der Gleichung nämlich, welche 
durch Differentiation der Gleichung der Fläche erhalten wird. 
Genügen nun die r — 1 Wertsysteme der d^p^ jener Gleich- 
ung, so genügen auch die Gröfsen 
r— 1 
dpg =^l^djp^ 
1 
derselben, worin die X^ willkürliche Faktoren bezeichnen. Die 
dpQ gehören also einer beliebigen Verrückung in der Fläche 
an, und zwar kann jede Verrückung der Fläche in dieser 
Form dargestellt werden, da die rechte Seite der Gleichung 
eine (r — 1) fache willkürliche Mannigfaltigkeit enthält. 
Nach Voraussetzung ist nun (204): 
r r 
1 1 
durch Multiplikation dieser Gleichungen mit den ^ und 
Addition folgt: 
Mächen von Lagen. 123 
r r 
2^2" ^9(r^P9 ^PiJ=^^ j 
1 1 
welches die Behauptung ist (58). 
Definition. Eine Yerrückung aus einer Lage einer Fläche 206 
heifst senkrecht auf der Fläche, wenn sie senbrecht steht auf 
jeder Verrückung, welche in der gleichen Lage der Fläche 
angehört. 
Folgerung 1. Li jeder Lage einer Fläche giebt es stets 207 
eine, und im allgemeinen nur eine Richtung, welche senk- 
recht auf der Fläche steht. 
Polgerong 2. Li jeder Lage einer Fläche ist stets eine, 208 
und im allgemeinen nur eine geradeste Bahn auf der Fläche 
senkrecht zu errichten möglich. 
Definition 1. Schar von Flächen nennen wir eine Ge- 209 
samtheit von Flächen, deren Gleichungen (200) sich nur unter- 
scheiden durch den Wert einer in ihnen vorkommenden Kon- 
stanten. 
Bezeichnung. Jede Schar von Flächen kann analytisch 210 
dargestellt werden durch eine Gleichung der Form: 
R = constans , 
welche nämlich erhalten wird durch Auflösung der Gleichung 
einer der Flächen nach der variierenden Konstanten, und in 
welcher die rechte Seite die möglichen Werte eben dieser 
Konstanten, die linke Seite aber eine Funktion der Koordi- 
naten Pq bezeichnet. Jeder Fläche jener Schar entspricht 
ein bestimmter Wert der rechts stehenden Konstanten, also 
ein bestimmter Wert der Funktion R. Solche Flächen, flir 
welche die Werte der Funktion R nur unendlich kleine Unter- 
schiede dR zeigen, nennen wir Nachbarflächen. 
Definition 2. Senkrechte Trajektorie einer Schar von 211 
Flächen nennen wir eine Bahn, welche die Schar senkrecht 
durchschneidet , d. h. welche auf jeder Fläche der Schar in 
den gemeinsamen Lagen (202) senkrecht steht. 
124 Erstes Buch. 
212 Lehrsatz. Damit eine Bahn senkrechte Trajektorie der 
Schar 
a) JR = constans 
sei, ist hinreichende und notwendige Bedingung, dafs sie in 
jeder ihrer Lagen r Gleichungen der Form 
b) yö^cos 8,pg = f 
dB 
dpo 
genüge, in welchen die s^p^ die Neigungen der Bahn gegen 
die Koordinaten p^ bezeichnen, und in welchen f eine fiir alle 
r Gleichungen identische, übrigens mit der Lage sich ändernde 
Funktion der p^ ist. 
Wir konstruieren von der betrachteten Lage der Bahn 
aus eine unendlich kleine Verrückung, deren Länge Sa sei, 
bei deren Durchlaufung sich die p^ um Sp^ und R um SB 
ändern möge, welche endlich mit der betrachteten Bahn den 
Winkel s,(t bilden möge. Multiplizieren wir die Gleichungen b) 
der Reihe nach mit den Sp^ und addieren, so folgt (78 a und 85): 
c) Sa cos 8,0 = 2 /"^ Spg = fSE . 
Gehört nun die Verrückung Sa einer Fläche der Schar a) an, 
nämlich derjenigen Fläche, welche die betrachtete Lage mit der 
Bahn gemeinsam hat, so ist SB = 0, also ä,o" = 90®. Die 
Richtung der Bahn steht daher senkrecht auf der durch- 
schnittenen Fläche (206), und die Gleichungen b) bilden die 
hinreichenden Bedingungen dafür, dafs dies in jeder Lage ein- 
trete. Sie bilden aber auch die notwendigen Bedingungen 
hierfür, da, von Ausnahmefällen abgesehen, in jeder Lage nur 
eine einzige Richtung der gestellten Forderung genügt. 
213 Zusatz 1. Der senkrechte Abstand zweier Nachbarflächen 
der betrachteten Schar in irgend einer Lage ist gleich 
fdR . 
Geradeste Entfernung. 125 
Denn lassen wir die Verrückung Sa des vorigen Beweises 
nach Eichtnng und Länge jetzt zusammenfallen mit dem Teil 
der senkrechten Trajektorie, welcher zwischen beiden Flächen 
liegt^ so fällt Sa zusammen mit dem betrachteten Abstand, 
der Winkel s,(t aber wird Null, und so folgt aus Gleichung 212 c 
die Behauptung. 
Zusatz 2. Die in den Gleichungen der senkrechten Tra- 214 
jektorien auftretende Funktion f wird erhalten als Wurzel 
der Gleichung: 
1 -^ '^ 7 dR dR 
Denn diese Gleichung folgt, wenn wir die Werte der r 
Bichtungscosinus nach 2121) einsetzen in die Gleichung 8S, 
welcher sie genügen müssen. Welche Wurzel zu wählen sei, 
hängt davon ab, ob wir die Richtung der Trajektorie nach 
wachsenden Werten von R oder nach abnehmenden als positiv 
rechnen. 
2. Geradeste Entfernung. 
Definition. Geradeste Entfernung zweier Lagen eines ho- 215 
lonomen Systems heifst die Länge einer sie verbindenden ge- 
radesten Bahn. 
Anmerkung. Zwei Lagen können mehr als eine geradeste 210 
Entfernung haben. Unter diesen finden sich die Längen der 
kürzesten Bahnen zwischen beiden Lagen, also auch die Länge 
der absolut kürzesten Bahn. Wenn von der geradesten Ent- 
fernung zweier Lagen als einer eindeutig bestimmten gespro- 
chen wird, so soll von dieser letzteren die Eede sein. 
CL. 
Analytische Darstellung. Die geradeste Entfernung zweier 217 
Lagen kann als Funktion der Koordinaten dieser Lagen dar- 
gestellt werden. Diejenige Lage, welche als Ausgangslage be- 
trachtet wird, werde dauernd mit 0, ihre Koordinaten mit />;, 
bezeichnet; diejenige Lage, welche als Endlage betrachtet 
126 Erstes Buch, 
wird, werde dauernd mit 1, ihre Koordinaten mit p^^ be- 
zeichnet, so dafs die Richtung der geradesten Bahn stets 
positiv gerechnet ist von gegen 1. Die geradeste Ent- 
fernung ist alsdann eine flir alle Wertsysteme der p^ und p^^ 
definierte Funktion dieser 2r Gröfsen. Den analytischen Aus- 
druck der geradesten Entfernung, ausgedrückt in eben diesen 
Yariabelen, bezeichnen wir durch 8, und nennen diesen ana- 
lytischen Ausdruck auch kurz die geradeste Entfernung des 
Systems. 
218 Anmerkung 1. Die Funktion 8 ist im allgemeinen eine 
mehrdeutige Funktion ihrer Unabhängigen. Von den Zweigen 
dieser Funktion Verschwindet einer und nur einer zugleich mit 
verschwindendem Unterschiede zwischen den p^ und />^. Von 
diesem Zweig ist (216) die Rede in solchen Aussagen, in 
welchen von 8 als von einer eindeutig bestimmten Funktion 
gesprochen wird. 
219 Anmerkung 2. Die Funktion 8 ist symmetrisch in Hin- 
sicht der Pq^ und p^^ in dem Sinne, dafs 8 seinen Wert nicht 
ändert, wenn die Pq^ und p^^ für alle Werte des q gleich- 
zeitig mit einander vertauscht werden. 
Denn mit dieser Vertauschung vertauschen wir nur die 
Anfangs- und die Endlage. 
220 Bemerkung. Wenn die geradeste Entfernung eines Systems 
in irgend welchen freien Koordinaten desselben gegeben ist, 
so sind damit die sämtlichen geradesten Bahnen des Systems 
in eben diesen Koordinaten gegeben, ohne dafs eine weitere 
Kenntnifs darüber nötig wäre, in welcher Weise die Lage der 
einzelnen materiellen Punkte des Systems von jenen Koordi- 
naten abhängt. 
Denn die geradeste Entfernung irgend zweier unendlich 
benachbarter Lagen des Systems ist zugleich die Länge der 
unendlich kleinen Verrückung zwischen ihnen; läfst sich aber 
diese letztere durch die gewählten Koordinaten darstellen, so 
trifft die Behauptung zu nach 163. 
221 Aufgabe. Aus der geradesten Entfernung eines Systems 
den Ausdruck für die Länge seiner unendlich kleinen Ver- 
rückungen abzuleiten. 
Geradeste Entfernung. 127 
In 8 setzen wir fiir die Pq^ jetzt pg, für die p^ jetzt 
Pß+dp^j und lassen alsdann die dp^ sehr klein werden. Wir 
wissen bereits (57 d), dafs sich alsdann die Entfernung der 
beiden Lagen als Quadratwurzel einer homogenen quadrati- 
schen Funktion der dp^ darstellt. S selbst läfst sich also 
nicht in eine Reihe nach aufsteigenden Potenzen der dp^ ent- 
wickeln, wohl aber S^j und in dieser Entwickelung müssen 
die quadratischen Glieder die ersten sein, welche nicht ver- 
schwinden. Drücken wir also durch einen übergesetzten Strich 
aus, dafs in der betreffenden Funktion die p^^p^^^p^ ge- 
setzt werden sollen, so erhalten wir für die Entfernung der 
beiden Lagen, also für die Gröfse der Verrückung: 
r r ^2^ 
^''-Y2'2^ä^-ä;^'^P9^p- 
f T" ^Per ^P-^ 
und es wird also die Funktion a^: 
1 5252 
Mit gleichem Bechte wird auch erhalten: 
_ 1 d^S^ 
'*" ^Sp^Sp„, • 
Diese Werte der a^a kann man benutzen, um indirekt 
von der Funktion 8 zu den geradesten Bahnen zu gelangen. 
Die folgenden Lehrsätze bieten einen direkteren Weg zu dem 
gleichen Ziele dar. 
Lehrsatz. Eine Fläche, deren sämtliche Lagen gleiche 222 
geradeste Entfernung haben von einer festen Lage, wird senk- 
recht durchschnitten von allen geradesten Bahnen, welche 
durch jene feste Lage gehen. 
Es seien die Pq^ die Koordinaten der festen Lage, die 
Pg^ die Koordinaten einer Lage der Fläche. Wir gehen von 
der letzteren zu einer anderen Lage der Fläche über, ftir 
128 Erstes Buch. 
welche die p^^ sich geändert haben um dp^^ . Dabei hat sich 
die geradeste Entfernung von der festen Lage nach der 
Voraussetzung um Nichts geändert; nach 199 aber hat sie 
r 
sich geändert um ^e yö^ cos s^pg^ dp^^ , wenn s,pg^ den 
1 
Winkel bezeichnet, welchen die geradeste Bahn in 1 mit der 
Bichtung von pg bildet. Es ist also: 
2^ yö^ ^^^ ^?P?i ^Pr. = ^ ' 
und diese Gleichung sagt aus, dafs die geradeste Bahn auf der 
Verrückung der dp^^ senkrecht steht (86 und 78 a). Da dies 
gilt für jede beliebige Verrückung, welche in 1 der Fläche 
angehört, so folgt (206) die Behauptung. 
223 Folgerang 1. Die geradesten Bahnen, welche durch eine 
feste Lage hindurch gehen, sind die senkrechten Trajektorien 
einer Schar von Flächen, welche der Bedingung genügen, 
dafs die sämtlichen Lagen einer jeden gleiche geradeste Ent- 
fernung von jener festen Lage haben. 
224 Folgerung 2. Die sämtlichen geradesten Bahnen, welche 
durch die feste Lage hindurch gehen, genügen den r 
Gleichungen : 
68 
a) yö^ cos s,p^^ = 
^P9r 
in welchen die p^^ als die Koordinaten der variabelen Lage 
der Bahn und die cos s^pg^ als die Eichtungscosinus der Bahn 
in dieser Lage zu betrachten sind. 
Denn die Gleichungen a) sind die Gleichungen der senk- 
rechten Trajektorien einer Schar von Flächen, welche durch 
die Gleichung 
b) aS' = constans 
dargestellt wird. Wäre nämlich 8 eine beliebige Funktion 
Geradeste Entfernung. 129 
der variabelen Koordinaten p^ , so wären nach 212 die Gleich- 
ungen der senkrechten Trajektorien: 
und der senkrechte Abstand zweier Nachbarflächen wäre gleich 
fdS , Nach der besonderen Natur unserer Funktion S (217, 222) 
ist aber dieser Abstand gleich dS selbst, also folgt 
/•=! , d) 
und die allgemeinen G-leichungen c) nehmen die besondere 
Form a) an. 
Anmerkung 1. Die Gleichungen 224a, welche Differen- 225 
tialgleichungen erster Ordnung sind, können auch angesehen 
werden als die Gleichungen geradester Bahnen in endlicher 
Form, sobald wir nämlich in denselben die p^^ als die Va- 
riabelen, die 2r Gröfsen p^^ und s^p^^ aber als Konstanten 
betrachten. 
Denn bestimmen wir aus jenen Gleichungen eine Reihe 
von Lagen in solcher Weise, dafs bei festgehaltenen Werten 
der Pq^ auch die Werte der s,Pq^ unverändert bleiben, so erhalten 
wir solche Lagen 0, von welchen aus die nach der Lage 1 
gezogenen geradesten Bahnen in dieser Lage 1 eine feste Rich- 
tung haben. Da nun aber nur eine einzige geradfeste Bahn 
von dieser Eigenschaft möglich ist, so müssen alle so be- 
stimmten Lagen dieser einen Bahn angehören, ihre Gesamt- 
heit bildet diese Bahn, und diese letztere wird also selbst 
dargestellt durch die Gleichungen 224 a. 
Anmerkung 2. Im Beweise des Lehrsatzes 222 hätten 226 
wir mit gleichem Rechte die Lage 1 als die feste, die Lage 
als die variabele Lage einfuhren können. Anstatt zu den 
Gleichungen 224 a wären wir alsdann gelangt zu den Gleich- 
ungen: 
«j q 
YägQ, cos s,pg^ = - — . a) 
Hertz, Mechanik. 9 
130 Erstes Buch. 
Der Unterschied im Vorzeichen der rechten Seite erklärt 
sich daraus, dass nunmehr das Fortschreiten von der festen 
Lage aus nach 217 als Fortschreiten in negativer Richtung 
zu bezeichnen ist. Wie die Gleichungen 224 a stellen auch 
die Gleichungen 226 a geradeste Bahnen dar. Es sind Diffe- 
rentialgleichungen erster Ordnung aller geradesten Bahnen, 
welche durch die feste Lage der p^^ hindurchgehen, und zu- 
gleich die endlichen Gleichungen der einen bestimmten Bahn, 
welche durch die Lage p^^ hindurchgeht und in dieser mit den 
Koordinaten die Winkel s,Pq^ bildet. 
227 rolgenmg 8. Die geradeste Entfernung S eines Systems 
genügt als Funktion der p^^ der partiellen Differentialgleichung 
erster Ordnung: 
^^ , dS dS 
und ebenso als Funktion der p^^ der partiellen Differential- 
gleichung erster Ordnung: 
^ ^ , dS dS 
Denn beide Gleichungen folgen aus 214 und 224 d; sie 
werden auch unmittelbar erhalten, indem man die Richtungs- 
cosinus einer geradesten Bahn, ausgedrückt durch S nach 
224 a oder 226 a, einsetzt in die Gleichung 88, welcher die 
Winkel einer jeden beliebigen Richtung mit den Koordinaten 
genügen. 
228 Lehrsatz. Errichtet man in allen Lagen einer beliebigen 
Fläche geradeste Bahnen senkrecht zur Fläche, und trägt auf 
allen die gleiche Länge ab, so wird die so erhaltene neue 
Fläche von jenen geradesten Bahnen ebenfalls senkrecht durch- 
schnitten. 
Die Lagen der ursprünglichen Fläche seien mit 0, die 
der neu construierten mit 1 bezeichnet. Es seien die s,Pq^ 
bez. s,Pq^ die Winkel, welche eine bestimmte der geradesten 
Bahnen an der ersten bez. an der zweiten Fläche mit den 
Geradeste Entfernung, 131 
Koordinaten bildet. Gehen wir von dieser geradesten Bahn 
zu irgend einer benachbarten über, so ändert sich die Länge 
der Bahn nach 199 um 
2^ Yä^, cos 8,pf,^ dp^^ - 2 ^^99. ^^^ ^^Pqo ^Pq, ' 
1 1 
wenn die dp^ iind dp^^ die Änderungen der p^ in den 
Lagen 1 und bezeichnen. Nach der Konstruktion ist aber 
diese Änderung gleich Null, und ebenso ist nach der Konstruktion 
2^ lS7o ^^^ ^^Pqo dPa, = , 
da ja die Bahn auf der ursprünglichen Fläche senkrecht steht. 
Daher ist nun auch 
2^ yö^ cos Sypg^ dp^^ = , 
und da die dp^^ jede beliebige Verrückung in der Fläche 
der Lagen 1 bezeichnen können, so ist damit die Behauptung 
erwiesen. 
Folgerung 1. Die senkrechten Trajektorien einer be- 229 
liebigen Schar von Flächen, von welchen jede in allen ihren 
Lagen denselben senkrechten geradesten Abstand von ihren 
Nachbarflächen hat, sind geradeste Bahnen. 
rolgerung 2. Ist R eine Funktion der r Koordinaten 
Pq von solcher Beschaffenheit, daUs die Gleichung 
R = constans a) 
eine Schar von Flächen darstellt, deren jede von ihren Nach- 
barn in allen Lagen den gleichen senkrechten geradesten Ab- 
stand dR hat, so sind die Gleichungen: 
1/ — dR 
Va^^ cos 8,p^ = — b) 
9* 
132 Erstes Buch. 
die Gleichungen der senkrechten Trajektorien, also die Gleich- 
ungen geradester Bahnen. Und zwar sind diese Gleichungen 
Differentialgleichungen erster Ordnung fiir jene Bahnen. 
Denn wäre B eine ganz beliebige Funktion der p^, so 
stellten die Gleichungen 212b die senkrechten Trajektorien 
der Schal' a) vor, und es wäre nach 213 der senkrechte Ab- 
stand zweier Nachbarflächen gleich fdB. Nach unserer be- 
sonderen Voraussetzung ist aber dieser Abstand konstant und 
gleich dE, also ist /= 1, und es gehen daher die Gleichungen 
212 b in die obigen Gleichungen b) über. 
231 Folgening 3. Stellt die Gleichung 
H = constans 
eine Schar von Flächen dar von solcher Beschaffenheit, dafs 
jede unter ihnen von ihren Nachbarn in allen Lagen den 
gleichen senkrechten geradesten Abstand dB hat, so genügt 
die Funktion R der partiellen Differentialgleichung: 
^^ '^n 7 dB dB 
Denn diese Gleichung folgt aus 214 und 230; sie wird 
auch unmittelbar erhalten, wenn wir die Richtungscosinus einer 
geradesten Bahn nach 230 b einsetzen in die Gleichung S8^ 
welcher die Winkel einer jeden Richtung mit den Koordinaten 
genügen. 
232 Lehrsatz 1. (ümkehning von 231.) Genügt die Funktion 
B der partiellen Differentialgleichung: 
'^ -%-! 7 dB dB ^ 
2F2''h<^ep]8p-r^ ' 
so stellt die Gleichung 
R = constans 
eine Schar von Flächen dar von solcher Beschaffenheit, dafs 
i 
Geradeste Entfernung, 133 
jede unter ihnen von ihren Nachbarn in allen Lagen gleichen 
senkrechten geradesten Abstand hat, und zwar einen Abstand, 
welcher durch die Änderung von B gemessen wird. 
Denn wäre B eine ganz beliebige Funktion, so wären die 
senkrechten Trajektorien der Schar gegeben durch Gleichungen 
der Form 212 b, und der senkrechte Abstand zweier Nachbar- 
flächen in jeder Lage wäre fdE. Aus der besonderen Voraus- 
setzung, welcher wir die Funktion JR unterwarfen., folgt aber 
nach 214: f=l, und also die Behauptung. 
Lehrsatz 2. Ist die Funktion JR der p^ eine beliebige 28S 
Lösung der partiellen Differentialgleichung: 
SO sind die Gleichungen 
]/agg COS S,Pg = — b) 
Gleichungen geradester Bahnen. Und zwar sind es Differential- 
gleichungen erster Ordnung der durch sie dargestellten ge- 
radesten Bahnen. 
Der Satz folgt unmittelbar aus 230 und 232. 
Anmerkung. Obwohl jede Bahn, welche durch die Gleich- 234 
ungen 2331) dargestellt wird, eine geradeste ist, so läfst sich 
doch nicht umgekehrt allgemein jede geradeste Bahn in dieser 
Form darstellen. Die Mannigfaltigkeit der geradesten Bahnen, 
welche in der gegebenen Form enthalten sind, hängt vielmehr 
ab von der Mannigfaltigkeit, welche die Funktion B als Lösung 
der Differentialgleichung besitzt, d. h. von der Zahl ihrer will- 
kürlichen Konstanten. 
Ist aber im besondern R eine vollständige Lösung, ent- 
hält also R r willkürliche Konstanten a^, a^, .... «r— i? von 
welchen die erste die notwendig vorhandene additive Konstante 
bezeichne, so lassen sich alle geradesten Bahnen des Systems 
in der Form 2331) darstellen. Denn die rechten Seiten dieser 
r Gleichungen (von welchen nur r— 1 unabhängig von einander 
134 Erstes Buch. 
sind) enthalten dann r— 1 Konstanten, welche hinreichen, um 
der dargestellten Bahn in einer willkürlichen Lage eine durch 
r— 1 unabhängige Bichtungscosinus bestimmte willkürliche 
Bichtung zu erteilen. Können wir aber eine Lage der dar- 
gestellten Bahn und ihre Bichtung in dieser Lage willkürlich 
wählen, so können wir alle geradesten Bahnen darstellen. 
Lehrsatz 3. (Jacobi's Satz.) Es bezeichne B eine voll- 
ständige Lösung der Differentialgleichung 
and es seien ihre wiUkürlichen Eonstanten, von der additiven 
abgesehen, cc-^, a^, o^r— i- ^s geben alsdann die r— 1 
Gleichungen 
dB ^ 
*> d^r^' ' 
in welchen die ßj ?•— 1 neue willkürliche Konstanten sind, die 
Gleichungen der geradesten Bahnen des Systems in endlicher 
Form. 
Zum Beweise zeigen wir, dafs die Bahnen, welche durch 
die Gleichungen b) dargestellt werden, senkrechte Trajektorien 
der Schar 
c) R = constans 
sind; alsdann folgt die Behauptung nach 232 und 229. 
Um nun erstens die Bichtung der dargestellten Bahn zu 
finden, differentiieren wir die Gleichungen b) in Bichtung der- 
selben, d. h. wir bilden jene Gleichungen für zwei um ds entfernte 
Lagen der Bahn, in welchen sich die p^ um die dp^ unter- 
scheiden, subtrahieren, und dividieren durch ds. Wir erhalten 
so r— 1 Gleichungen der Form: 
^ dp^dUr ds 
Oeradeste Entfernung. 135 
oder, wenn wir in dieselben nach 79 und 78 die Richtungs- (236) 
Cosinus des betrachteten Bahnelementes einfuhren: 
welche Gleichungen nunmehr r—l nicht homogene, lineare 
Gleichungen für die r—l Verhältnisse der Eichtungscosinus 
unter einander bilden. 
Zweitens bemerken wir, dafs die Gleichung a) für alle 
Werte der Konstanten a^ gilt; wir können sie also nach diesen 
Gröfsen differentiieren, und indem wir dies thun, erhalten wir 
r—l Gleichungen, welche sich schreiben lassen in der Form: 
du '^ j du 
*Q 
y? f>ga ^-^- = , e) 
und welche Beziehungen darstellen, welchen die partiellen DifFe- 
rentialquotienten von R zufolge unserer besonderen Voraus- 
setzungen über diese Funktion genügen müssen. 
Stellen nun die Gleichungen b) für die gerade betrach- 
teten Werte der a^ und ß^ überhaupt eine bestimmte Bahn 
vor, so müssen aus den Gleichungen d) eindeutig bestimmte 
Werte für die Verhältnisse der Richtungscosinus zu einem 
unter ihnen folgen. Ganz dieselben eindeutig bestimmten 
Werte müssen dann aber auch aus den Gleichungen e) fär 
die Verhältnisse der Gröfsen dB/dp^ zu einer unter ihnen 
sich ergeben. Ist also f ein noch zu bestimmender Faktor, 
so mufs sein: 
Demnach ist nach 212 die betrachtete Bahn die senkrechte 
Trajektorie der Schar c), was wir beweisen woUten. Der 
Faktor f wird gleich der Einheit gefunden. 
Die Voraussetzung, dafs dief r—l Gleichungen b) für 
bestimmte Werte der cc^ und ß^ eine bestimmte Bahn be- 
136 Erstes Buch. 
zeichnen, würde nur dann nicht zutreffen, wenn diese Gleich- 
ungen nicht unabhängig von einander wären. Dann aber 
wären auch die willkürlichen Konstanten nicht von einander 
unabhängig und die Lösung wäre keine vollständige Lösung^ 
was wir doch voraussetzten. 
236 Aufgabe. Aus einer beliebigen vollständigen Lösung E 
der Differentialgleichung 235 a die geradeste Entfernung S des 
Systems zu ermitteln. 
Unter S ist also wieder zu verstehen die geradeste Ent- 
fernung zweier Lagen und 1 mit den Koordinaten jo^ und /?^ . 
In den r— 1 Gleichungen 235b setzen wir für die pg das eine 
Mal die p^^ , das andere Mal die p^^ . Aus den entstehenden 
2r— 2 Gleichungen eliminieren wir die ß^ und stellen die cc^ als 
Funktionen der p^^ und p^^ dar. Diese Funktionen werden 
symmetrisch in Bezug auf p^^ und p^^ , sie geben diejenigen 
Werte, welche die Ur haben müssen, damit die durch sie be- 
zeichneten Bahnen durch bestimmte Lagen und 1 hindurch- 
gehen. 
Wir haben nun erstens für irgend eine Lage 1 nach 
224 a und 233 b: 
dS IdR 
^Pe. Weil 
und zweitens für irgend eine Lage nach 226 a und 233 b: 
^Pe. " "" \ Wo 
Setzen wir in den rechten Seiten dieser Gleichungen für 
die a^ ihre Werte in den /?^ und pg^ ein, und die p^ selbst 
in der ersten gleich p^^ , in der zweiten gleich p^^ , so erhalten 
wir die ersten Differentialquotienten von S nach den sämt- 
lichen unabhängigen Variabelen ausgedrückt als Funktionen 
dieser Variabelen. S kann also dann durch einfache Inte- 
grationen gefunden werden. 
Vektorgröfsen eines Systems, 137 
Abschnitt 7. Kinematische Begriffe. 
I. VektorgröTsen in Bezug auf ein System. 
Definition. Vektorgröfse in Bezug auf ein System heifst 237 
jede Gröfse, welche zu dem System in Beziehung steht, und 
welche dieselbe Art der mathematischen Mannigfaltigkeit hat, 
wie eine denkbare Verrückung des Systems. 
Bemerkungen dazu. 
1. Eine Verrtickung eines Systems ist selbst eine Vektor- 238 
gröfse in Bezug auf das System. Jedes Produkt einer Ver- 
riickiing des Systems mit irgend welchen nicht gerichteten 
Gröfsen ist eine Vektorgröfse in Bezug auf das System. 
2. Jede Vektorgröfse in Bezug auf ein System kann 239 
geometrisch dargestellt werden durch eine denkbare Ver- 
rückung des Systems. Die Eichtung der sie darstellenden Ver- 
rückung nennen wir auch die Richtung der Vektorgröfse. Der 
Mafsstab der Darstellung kann und soll stets so gewählt 
werden, dafs die darstellende Verrückung unendlich klein wird. 
Jeder Vektor in Bezug auf ein System, welcher sich mit der 
Lage des Systems ändert, kann alsdann dargestellt werden als 
eine unendlich kleine Verrückung des Systems aus der Lage, 
zu welcher sein augenblicklicher Wert gehört. 
3. Eine Vektorgröfse in Bezug auf einen einzelnen mate- 240 
riellen Punkt ist ein Vektor im gewöhnlichen Sinne des Wortes. 
Jeder Vektor in Bezug auf einen Punkt kann dargestellt werden 
durch eine geometrische Verrückung des Punktes, insbesondere 
durch eine unendlich kleine Verrückung aus seiner gegen- 
wärtigen Lage. 
4. Unter Komponenten und reduzierten Komponenten 241 
eines Vektors sind diejenigen Vektoren gleicher Art verstanden, 
welche dargestellt sind durch die Komponenten und reduzierten 
138 Erstes Buch, 
Komponenten derjenigen unendKch kleinen Verrüclning, welche 
den ursprünglichen Vektor darstellt (48, 71). 
Die reduzierte Komponente eines bestimmten Vektors in 
Richtung einer Koordinate p^ nennen wir wiederum kurz die 
Komponente des Vektors nach p^ , oder noch kürzer den Vektor 
nach der Koordinate p^ . 
Wo es ohne Mifsverständnifs geschehen kann, wird mit 
Komponente oder reduzierte Komponente kurz die Gröfse 
dieser Komponenten bezeichnet. 
242 Aufgabe la. Aus den Komponenten ky eines Vektors 
nach den 3n rechtwinkligen Koordinaten die Komponenten k^ 
nach den allgemeinen Koordinaten p^ abzuleiten. 
Sind die dxy die Komponenten nach den Xy derjenigen 
Verrückung, welche die Vektorgröfse darstellt, und sind die 
dpg die Komponenten derselben Verrückung nach den p^ , 
so sind nach 80 die dp^ durch die d£y gegeben. Den dp^ und 
dxy aber sind die k^ und hy beziehlich proportional, also ist 
3n ^** ^ 
1 1 ^Pq 
243 Aufjg^abe Ib. Aus den Komponenten k^ eines Vektors 
nach den p^ die Komponenten hy des Vektors nach den recht- 
winkligen Koordinaten abzuleiten. 
Die Gleichungen 242 geben nur r Gleichungen für die 
3n Gröfsen hyj aus welchen sich diese letzteren also nicht 
bestimmen lassen. In der That ist auch die Aufgabe im all- 
gemeinen unbestimmt. Denn nicht alle denkbaren Lagen und 
Verrückungen eines Systems lassen sich durch die p^ aus- 
drücken, sondern nur ein Teil derselben, unter diesen die 
möglichen Verrückungen. 
Nur in dem Falle also, dafs der gegebene Vektor einer 
Verrückung parallel ist, welche sich durch die p^ und ihre 
Änderungen darstellen läfst, ist die Aufgabe lösbar; in diesem 
Falle aber ist nach 81 
hy = 2^ ßvQ k^ 
Vektorgröfsen eines Systems, 139 
Aufgabe 2a. Aus den Komponenten hy eines Vektors 244 
nach den rechtwinkligen Koordinaten seine Gröfse h zu be- 
stimmen. 
Unter Benutzimg von 83 erhält man: 
Bn 
m ,2 
1 Wl, 
Aui^be 2b. Aus den Komponenten k^ eines Vektors 245 
nach den allgemeinen Koordinaten p^ seine Gröfse k zu be- 
stimmen. 
Die Aufgabe ist wiederum im allgemeinen unbestimmt 
wie 243. 
Nur in dem Falle, dafs aufser den Komponenten k^ noch 
die Thatsache bekannt gegeben ist, dafs der fragliche Vektor 
einer durch die p^ ausdrückbaren Verrückung parallel ist, 
ist k durch die k^ bestimmt, und in diesem Falle ist nach 82 
r r 
F = ^^^'^ ^Q^ ^Q ^^^ 
1 1 
Aufgabe 3a. Aus den Komponenten hy eines Vektors 246 
nach den Xy die Komponente des Vektors in Richtung einer 
beliebigen Verrückung ds zu finden. 
Ist ds die Länge, und sind die cte^ die reduzierten Kom- 
ponenten der Verrückung, durch welche wir den Vektor dar- 
stellen, so ist die Komponente dieser Verrückung in Richtung 
von ds nach 48 und 84: 
3n 
ds cos S^S = -j- 2" ^^v dXp 
Multiplizieren wir diese Gleichung mit dem Verhältnis 
zwischen der Gröfse des Vektors und der Länge der Ver- 
rückung, durch welche wir ihn darstellen, so erhalten wir 
links die gesuchte Komponente; rechts treten an Stelle der 
cte^ die hyj und wir erhalten also als Lösung der Aufgabe die 
gesuchte Gröfse gleich: 
140 Erstes Buch. 
oder nach 72 gleich: 
3n r^ 
2" 1/ — ^v COS S,Zj 
247 Aufgabe 3b. Aus den Komponenten k^ eines Vektors 
nach den pg die Komponente des Vektors in der Eichtung 
einer beliebigen durch die pg ausdrtickbaren Verruckung ds 
zu bestimmen. 
Wenden wir dieselbe Überlegung an, wie in der vorigen 
Aufgabe, so folgt nach 48 und 85 die gesuchte Gröfse gleich: 
2' ''S 
oder nach 78 und 79 gleich: 
r r 
2^2*^ *?^ ^Q ^^ ^^^ ^'P' 
1 1 
248 Anmerkung. Obwohl also durch die Gröfsen k^ im all- 
gemeinen nicht alle beliebigen Komponenten eines Vektors be- 
stimmt sind, so sind doch durch jene Gröfsen die Kompo- 
nenten des Vektors in allen solchen Richtungen bestimmt, 
welche sich durch die p^ darstellen lassen, also in jeder mög- 
lichen Richtung. 
249 Lehrsatz 1. Damit der Vektor, dessen Komponenten nach 
den Pq die Gröfsen k^ sind, senkrecht stehe auf einer Ver- 
rückung, far welche die p^ die Änderungen dp^ erleiden, ist 
notwendige und hinreichende Bedingung die Erfüllung der 
Gleichung: 
r 
2^ kg dpg=-0 . 
1 
Dies folgt aus 85, wenn wir die k^ den dp^ proportional 
annehmen. 
Vektorgröfsen eines Systems. 141 
Lehrsatz 2. Damit der Vektor, dessen Komponenten 250 
nach den p^ die k^ sind, senkrecht stehe auf jeder möglichen 
Verrückung des Systems, ist notwendige und hinreichende Be- 
dingung, dafs sich die r Gröfsen k^ darstellen lassen in der 
Form: 
Je 
1 
in welcher die p^^ den Bedingungsgleichungen des Systems 
entnommen (130) und die y^ k frei zu bestimmende Gröfsen sind. 
Dies folgt aus 148 und 150, wenn wir die k^ durch die 
dpQ dargestellt annehmen. 
Bemerkung 1. Vektoren in Bezug auf ein und dasselbe 251 
System können zusammengesetzt und zerlegt werden wie die 
denkbaren Verrückungen des Systems. 
Die Zusammensetzung von Vektoren in Bezug auf das- 
selbe System erfolgt also nach den Eegeln der algebraischen 
Addition. 
Bemerkung 2. • Vektoren in Bezug auf verschiedene Sy- 252 
steme sind zu betrachten als Gröfsen verschiedener Art; sie 
können nicht zusammengesetzt, noch addiert werden. 
Bemerkung 3. Eine Vektorgrösse in Bezug auf ein ge- 253 
wisses System kann betrachtet werden als eine Vektorgröfse 
in Bezug auf jedes gröfsere System, von welchem das ur- 
sprüngliche einen Teil bildet. 
Aufgabe 1. Dieselbe Vektorgröfse werde einmal betrachtet 254 
als Vektorgröfse in Bezug auf ein Teilsystem, das andere Mal 
als Vektorgröfse in Bezug auf das vollständige System. Aus 
den Komponenten hy nach den rechtwinkligen Koordinaten x^ 
im ersten Falle sollen die Komponenten h^ nach den entspre- 
chenden Koordinaten Xy im zweiten Falle berechnet werden. 
Es sei die Masse des Teilsystems m, die des vollständigen 
Systems m . Die Koordinaten Xy des Teilsystems sind zu- 
gleich Koordinaten des vollständigen Systems, nur um der 
verschiedenen Auffassung willen sind sie als solche mit Xy be- 
zeichnet. Erteilen wir daher dem Teilsystem eine beliebige 
142 Erstes Buch. 
Verrückung, welche eo ipso zugleich eine Verrückung des 
vollständigen Systems ist, so ist dx'^ = dxy für die gemein- 
samen Koordinaten, während für die übrigen dxy = ist. Nun 
ist nach 73: md£y = mydxy und fnd£y = mydxyj also ist 
m'd£y = md£y. Für einen Vektor, welcher durch jene Ver- 
rückung dargestellt wird, ist die Komponente nach Xy mit cte^ , 
die nach Xy mit d£y proportional. Als Lösung der Aufgabe 
erhalten wir also: 
mh'p = mhy 
für diejenigen v, welche beiden Systemen gemeinsam sind, 
während für die übrigen 
Äl = ist. 
255 Aufgabe 2. Dieselbe Vektorgröfse werde einmal betrachtet 
als Vektorgröfse in Bezug auf ein Teilsystem, das andere Mal 
als Vektorgröfse in Bezug auf das vollständige System. Aus 
den Komponenten k^ nach den allgemeinenÄ^oordinaten p^ im 
ersten Falle die Komponenten ä^ nach den entsprechenden 
Koordinaten p^ im zweiten zu bestimmen. 
Es sei wieder die Masse des Teilsystems m, die des voll- 
ständigen Systems m\ Wir setzen voraus, dafs die Koordi- 
naten Pq des Teilsystems zugleich Koordinaten des vollstän- 
digen Systems sind und nur um der verschiedenen Auffassung 
willen im letzteren Falle mit p^ bezeichnet werden. Von den 
nicht gemeinsamen p^ setzen wir voraus, dafs sie nicht Koordi- 
naten des Teilsystems seien. Unter diesen Voraussetzungen 
ergiebt eine der vorigen (254) analoge Betrachtung als Lösung 
der Aufgabe: 
für die gemeinsamen Koordinaten, während für die übrigen 
h'^ = ist. 
Ohne die gemachten Voraussetzungen aber ist die Auf- 
gabe unbestimmt. 
Kinematische Begriffe, 143 
2. Bewegung der Systeme. 
Erläuterungen. 
1. Der Übergang eines Systems materieller Punkte aus 256 
einer Anfangslage in eine Endlage, betrachtet unter Berück- 
sichtigung der Zeit und der Art des Überganges, heifst eine 
Bewegung des Systems aus der Anfangs- in die Endlage (vgl. 27). 
Bei einer jeden bestimmten Bewegung durchläuft also das 
System eine bestimmte Bahn, und zwar hat es in bestimmten 
Zeiten bestimmte Längen derselben durchlaufen. 
2. Jede Bewegung eines Systems durch eine denkbare 257 
Bahn heifst eine denkbare Bewegung des Systems (11). 
3. Jede Bewegung eines Systems durch eine mögliche 258 
Bahn heifst eine mögliche Bewegung des Systems (112). 
4. Die KinenAtik oder reine Bewegungslehre handelt von 259 
den denkbaren und den möglichen Bewegungen der Systeme. 
Solange es sich um die Betrachtung gesetzmäfsiger Sy- 
steme (119, 120) handelt, fallen die Betrachtungen der Kine- 
matik mit denen der Geometrie fast zusammen. Erst wenn 
es sich um ungesetzmäfsige Systeme handelt und also die Zeit 
in die Bedingungsgleichungen der Systeme eintritt, gewinnt die 
Kinematik vor der Geometrie gröfsere Mannigfaltigkeit. Wir 
haben indessen nicht nötig, auf eigentlich kinematische Be- 
trachtungen einzugehen, sondern dürfen uns hier mit der Er- 
örterung einer Anzahl von Grundbegriffen begnügen. 
Analytische Darstellung. Die Bewegung eines Systems 260 
wird analytisch dargestellt, indem bei Darstellung der be- 
schriebenen Bahn die Zeit t als unabhängige Variabele benutzt 
wird, oder, was dasselbe ist, indem die Koordinaten der Lage 
des Systems als Funktionen der Zeit angegeben werden. 
Die DiflFerentialquotienten aller Gröfsen nach der Zeit be- 
zeichnen wir nach Newton's Weise durch übergesetzte Punkte. 
144 Erstes Buch, 
Geschwindigkeit. 
261 Definition 1. Die augenblickliche Bewegungsart eines Sy- 
stems heifst die Geschwindigkeit . des Systems. 
Die Geschwindigkeit ist bestimmt durch die Änderung, 
welche die Lage des Systems in einer unendlich kleinen Zeit 
erleidet und durch diese Zeit selbst. Sie wird gemessen durch 
das von dem absoluten Werte beider unabhängige Verhältnis 
dieser Gröfsen. 
Lage und Geschwindigkeit eines Systems zusammen nennen 
wir den Zustand des Systems. 
262 Polgenmg. Die Geschwindigkeit eines Systems kann be- 
trachtet werden als Vektorgröfse in Bezug auf das System. 
Die Eichtung der Geschwindigkeit ist alsdann die Richtung 
des augenblicklichen Bahnelements, die Gröfse der Geschwin- 
digkeit ist gleich dem Differentialquotienten der zurückgelegten 
Bahnstrecke nach der Zeit. 
Die Gröfse der Geschwindigkeit heifst auch die Ge- 
schwindigkeit des Systems in seiner Bahn, oder, wo Mifsver- 
ständnisse ausgeschlossen sind, die Geschwindigkeit schlechthin. 
263 Definition 2. Eine Bewegung eines Systems, bei welcher 
die Geschwindigkeit ihre Gröfse nicht ändert, heifst eine 
gleichförmige Bewegung. 
264 Anmerkung. Gerade Bewegung eines Systems ist eine 
Bewegung in gerader Bahn. Bei einer solchen Bewegung 
ändert die Geschwindigkeit ihre Richtung nicht. 
265 Aufgabe 1. Die Gröfse der Geschwindigkeit, ihre Kom- 
ponenten und ihre reduzierten Komponenten in Richtung der 
rechtwinkligen Koordinaten auszudrücken durch die Anderungs- 
geschwindigkeiten dieser Koordinaten. 
Die Gröfse v der Geschwindigkeit ist gegeben durch die 
positive Wurzel der Gleichung: 
9 US -y^} ,o 
KinemoHsche Begriffe. 145 
Damacli (241) sind die Komponenten der Geschwindigkeit 
in Kichtung der x^ gleich 
V m 
Xy y 
m 
und die reduzierten Komponenten in der gleichen Richtung, 
oder die Komponenten nach den x^ gleich: 
rriy , 
m 
Anmerkiing. Die Gröfse der Geschwindigkeit eines Systems 266 
ist der quadratische Mittelwert aus der Gröfse der Geschwindig- 
keiten aller seiner Massenteilchen. 
Aufgabe 2. Die Gröfse der Geschwindigkeit, ihre Kom- 267 
ponenten tmd ihre reduzierten Komponenten in Richtung der 
allgemeinen Koordinaten p^ auszudrücken durch die Änderungs- 
geschwindigkeiten pQ dieser Koordinaten. 
Durch Transformation von 265 nach 67 erhalten wir die 
Gröfse der Geschwindigkeit als positive Wurzel der Gleichung: 
r r 
^^ = 2^2" v^^^t^ • 
1 1 
Damach sind (241) die Komponenten in der Richtung der 
Pq gleich 
1 ^ 
\"'QQ 1 
und die reduzierten Komponenten in derselben Richtung, oder 
die Komponenten nach den Pq gleich: 
r 
1 
Hertz, Mechanik. 10 
146 Erstes Buch. 
Moment 
268 DefinitioiL Das Produkt aus der Masse eines Systems in 
seine Geschwindigkeit heiCst die Bewegungsgröfse oder das 
Moment des Systems. 
Das Moment eines Systems ist also eine Vektorgröfse in 
Bezug auf das System. Die Komponenten des Moments nach 
irgendwelchen Koordinaten werden gewöhnlich schlechthin die 
Momente des Systems nach diesen Koordinaten genannt (241). 
269 Bezeichnimg. Die Momente eines Systems nach den all- 
gemeinen Koordinaten pg sollen dauernd mit q^ hezeichnet 
werden. 
270 Aufgabe 1. Die Momente g^ eines Systems nach den p^ 
auszudrucken durch die Anderungsgeschwindigkeiten dieser 
Koordinaten. 
Aus 268 und 267 erhalten wir: 
r 
1 
271 Au^be 2. Die Anderungsgeschwindigkeiten der allge- 
meinen Koordinaten pg auszudrücken durch die Momente des 
Systems nach diesen Koordinaten. 
Durch Auflösung der vorigen Gleichungen erhalten wir: 
r 
m , 
272 Anmerkung. Die Geschwindigkeit und die Bewegungs- 
gröfse eines Systems sind solche Vektoren in Bezug auf das 
System, welche stets möglichen Verrückungen des Systems 
parallel sind (vergl. 243, 245). 
Beschleunigung. 
273 Definition. Die augenblickliche Veränderungsweise der 
Geschwindigkeit eines Systems heifst die Beschleunigung des 
Systems. 
Kinematische Begriffe. 147 
Die Beschleunigung ist bestimmt durch die Änderung, 
welche die Geschwindigkeit in unendlich kurzer Zeit erleidet 
und diese Zeit selbst; sie wird gemessen durch das von dem 
absoluten Werte beider unabhängige Verhältnis dieser Gröfsen. 
Folgerung. Die Beschleunigung eines Systems kann be- 274 
trachtet werden als Vektorgröfse in Bezug auf das System. 
Bilden wir von der gegenwärtigen Lage des Systems aus zwei 
Verrückungen, von welchen die eine die gegenwärtige Ge- 
schwindigkeit darstellt, die andere die Geschwindigkeit im 
nächsten Augenblick, so giebt die DiflPerenz derselben eine 
neue Verrückung, deren Richtung die Richtung der Be- 
schleunigung ist, während die Gröfse der Beschleunigung 
gleich ist dem Verhältnis der Länge jener neuen Verrückung 
zum Differentiale der Zeit. 
Aufgabe 1. Die Gröfse f der Beschleunigung und ihre 275 
Komponenten nach den rechtwinkligen Koordinaten auszu- 
drücken durch die Differentialquotienten dieser Koordinaten 
nach der Zeit. 
Die Komponenten der Geschwindigkeit nach den Xy, jetzt 
und nach der Zeit dt, sind (266): 
— r und —7- 4-— y /// 
m mm 
m 
die Komponenten der Differenz beider also —^Xydt ; das 
m 
Verhältnis dieser zur Zeit dt giebt die Komponenten der Be- 
schleunigung nach den Xy gleich: 
my 
m 
Xp , 
woraus die Gröfse der Beschleunigung folgt als positive Wurzel 
der Gleichung (244): 
3n 
T 
10' 
148 Erstes Buch. 
276 Anmerkiing. Die Gröfse der Beschletmigimg eines mate- 
riellen Systems ist der quadratische Mittelwert aus der Gröfise 
der Beschleunigungen seiner Massenteilchen. 
277 Aufgabe 2. Die Komponenten f^ der Beschleunigung eines 
Systems nach den allgemeinen Koordinaten p^ darzustellen 
durch die Differentialquotienten dieser Koordinaten nach der Zeit. 
Nach 242 haben wir 
3n 
771 
1 "^ 
und hierin ist einzusetzen, wie ia 108: 
r r 
1 1 1 ^/'^ 
Indem wir dieselbe Umformung benutzen wie in 108, er- 
halten wir als Lösung der Aufgabe: 
278 Anmerkung 1. Die Komponenten der Beschleunigung sind 
also im allgemeinen lineare Funktionen der zweiten Differential- 
quotienten der Koordinaten, quadratische Funktionen der ersten 
Differentialquotienten derselben,, beliebig verwickelte Funktionen 
der Koordinaten selbst. 
279 Anmerkung 2. Die Beschleunigung eines Systems ist nicht 
notwendig einer möglichen Verrückung des Systems parallel, 
noch auch einer Verrückung, welche sich durch die benutzten 
Koordinaten pg ausdrücken läfst. 
Die Komponenten f^ reichen daher im allgemeinen nicht 
aus, um die Gröfse der Beschleunigung, noch auch um ihre 
Komponenten nach sämtlichen rechtwinkligen Koordinaten zu 
bestimmen (243, 245). Dagegen reichen die /^ aus, um die 
Komponente der Beschleunigung in der Richtung einer jeden 
möglichen Bewegung des Systems zu bestimmen (248). 
KmemcUisehe Begriffe, 149 
Aufgabe 3. Die Komponente der Beschleunigung in der 2S0 
Dichtung der Bahn zu finden. 
Die Bichtungscosinus der Bahn sind nach 72 gleich 
1/ -^ — -, also unter Berücksichtigung von 265 gleich 1/ — !i _ü. . 
Hieraus folgt nach 246 unter Benutzung von 275 fiir die ge- 
suchte tangentiale Komponente fti 
** m^XyXy dv ePs 
'^ THyXyXy UV 
dfi 
S 
unter s die laufende Länge der Bahn verstanden. 
Bemerkung. Zerlegen wir die Beschleunigung eines Systems 281 
in zwei Komponenten, von denen die eine die Richtung der 
Bahn hat, die andere auf der Bahn senkrecht steht, so ist 
die Gröfse der letzteren gleich dem Produkt aus der Krüm- 
mung der Bahn in das Quadrat der Geschwindigkeit des . 
Systems in der Bahn. 
Indem wir in Gleichung 107 o die Zeit t als unabhängige 
Variabele nehmen, erhalten wir: 
Sn 
also unter Benutzung von 275 und 2S0: 
Nennen wir nun die zweite, radiale oder centrifiigale 
Komponente der Beschleunigung /J. , so ist, da /J. und /J senk- 
recht zu einander sein sollen: /^ =^ +/J% also: 
welches die Behauptung ist. 
150 Erstes Buch, 
Energie. 
282 Definition. Das halbe Produkt aus der Masse eines 
Systems in das Quadrat der Gröfse seiner Geschwindigkeit 
heilst die Energie des Systems. 
283 Aufgabe 1. Die Energie E eines Systems darzustellen 
durch die Anderungsgeschwindigkeiten seiner rechtwinkligen 
Koordinaten. 
Es ist nach 265: 
3n 
284 Folgerung 1. Die Energie eines Systems ist die Summe 
der Energieen seiner Massenteilchen. 
285 Folgerung 2. Bilden mehrere Systeme zusammen ein 
gröfseres System, so ist die Energie des letzteren die Summe 
der Energieen der ersteren. 
286 Aufgabe 2. Die Energie eines Systems darzustellen durch 
die Änderungsgeschwindigkeiten der allgemeinen Koordinaten 
des Systems und durch die Momente nach diesen Koordinaten. 
Unter Benutzung von 267, 270 und 271 folgt nach einander: 
r r 
1 1 
r 
1 
r r 
2m , ^ 
287 Anmerkung (zu 261 bis 286). Die Geschwindigkeit, das 
Moment, die Beschleunigung, die Energie eines Systems sind 
definiert unabhängig von der analytischen Darstellung, insbe- 
sondere also auch unabhängig von der Wahl der Koordinaten 
des Systems. 
Kinematische Begriffe. 151 
Benutzung partieller DIITerentialquotienten. 
Bezeichnung. (Vergl. 90). Mit dpE soll bezeichnet wer- 288 
den das partielle Differential der Energie JE dann und nur 
dann, wenn wir die Koordinaten p^ und deren Änderungs- 
geschwindigkeiten Pq als die unabhängig von einander ver- 
änderlichen Bestimmungsstücke der Energie betrachten (286 a). 
Mit dqE dagegen soll bezeichnet werden das partielle 
Differential der Energie H dann und nur dann, wenn wir die 
Koordinaten p^ und die Momente q^ nach diesen Koordinaten 
als die unabhängig von einander veränderlichen Bestimmungs- 
stücke der Energie betrachten (286 c). 
Eine jede der beiden Annahmen schliefst die andere aus. 
Mit du werde, wie gewöhnlich, bezeichnet irgend eine Art 
des partiellen Differentials von H, also die erste Art oder die 
zweite, wo ein Mifsverständnis ausgeschlossen ist, oder auch 
irgend eine dritte Art. 
Bemerkung 1. Die Momente q^ eines Systems nach den 289 
Koordinaten p^ lassen sich darstellen als partielle Differential- 
quotienten der Energie des Systems nach den Anderungs- 
geschwindigkeiten der Koordinaten. 
Denn es ist nach Gleichung 286 a und 270: (vergl. 91) 
Bemerkung 2. Die Anderungsgeschwindigkeiten p^ der 290 
Koordinaten Pq eines Systems lassen sich darstellen als par- 
tielle Differentialquotienten der Energie des Systems nach den 
Momenten. 
Denn es ist nach Gleichung 286 e und 271: (vergl. 94) 
Pq = 
dq^ 
Bemerkung 3. Die Komponenten f^ der Beschleunigung 291 
eines Systems nach den Koordinaten p^ lassen sich darstellen 
durch partielle Differentialquotienten der Energie. 
152 Erstes Back. 
Denn nach Gleichung 286a ist erstens: 
also: 
und nach derselben Gleichung zweitens: 
^Pq 2 -f' Y ^/^e . 
Durch Subtraktion der zweiten Gleichung von der ersten und 
Vergleichung mit 277 folgt: 
'^^"^iki" 
dp. 
wofür auch geschrieben werden kann unter Berücksichtigung 
von 289: 
292 Bemerkanff 4. Andern wir eine Koordinate p^ eines 
Systems zweimal um denselben unendlich kleinen Betrag, in- 
dem wir das eine Mal den ÄnderungsgeschwindigkeiteS der 
Koordinaten, das andere Mal den Momenten nach den Ko- 
ordinaten ihre ursprünglichen Werte lassen, so erleidet die 
Energie des Systems in beiden Fällen entgegengesetzt gleiche 
Änderung. 
Denn multipliziert man die Gleichung 95a mit mds und 
dividiert durch dfi ^ so liefert sie: 
welches -die Behauptung ist. 
KinemcUische Begriffe. 153 
Lehrsatz. Erleidet die Lage eines Systems zweimal die- 293 
selbe unendlich kleine Änderung, während das eine Mal die 
Änderungsgeschwindigkeiten der Koordinaten, das andere Mal 
die Momente nach den Koordinaten ihre ursprünglichen Werte 
behalten, so erleidet die Energie des Systems in beiden Fällen 
entgegengesetzt gleiche Änderung. 
Denn die Änderung der Energie ist im ersten Falle: 
und im zweiten Falle: 
also ist nach Bemerkung 4: 
welches die Behauptung ist. 
Folgerung. Die Komponenten der Beschleunigung eines 294 
Systems nach seinen Koordinaten p^ lassen sich auch dar- 
stellen in der Form: (nach 291b und 292) 
<'? = 9* + ä^ • 
Schlufsbemerkung zum ersten Buch. 
Wie bereits in der Vorbemerkung (1) ausgesprochen 296 
wurde, ist den Überlegungen dieses Buches die Erfahrung 
völlig fem geblieben. Wenn wir also den gewonnenen Be- 
ziehungen in der Folge wieder begegnen, so werden wir 
154 Erstes Buch» 
wissen, dafs sie nicht der Erfahrung entstammen, sondern 
den gegebenen Gesetzen unserer Anschauung und unseres 
Denkens, zusammen mit einer Reihe willkürlicher Fest- 
setzungen. 
Es ist wahr, dafs Bildung der Begriffe und Entwickelung 
ihrer Beziehungen nur geschahen im Hinblick auf mögliche 
Erfahrungen; es ist also nicht minder wahr, dafs einzig die 
Erfahrung zu entscheiden hat über Wert oder Unwert unserer 
Überlegungen. Die Eichtigkeit oder Unrichtigkeit dieser 
Überlegungen aber kann durch keine mögliche zukünftige Er- 
fahrung weder bestätigt noch widerlegt werden. 
ZWEITES BUCH. 
MECHANIK DER MATERIELLE]^ 
SYSTEME. 
Yorbemerkung. In diesem zweiten Buch werden wir unter 296 
Zeiten, Räumen, Massen Zeichen fiir Gegenstände der äufseren 
Erfahrung verstehen, deren Eigenschaften übrigens den Eigen- 
schaften nicht widersprechen, welche wir vorher den gleich- 
benannten Gröfsen als Formen unserer inneren Anschauung 
oder durch Definition beigelegt hatten. Unsere Aussagen über 
die Beziehungen zwischen Zeiten, Bäumen und Massen sollen 
daher nicht mehr allein den Ansprüchen unseres Geistes ge- 
nügen, sondern sie sollen zugleich auch möglichen, insbesondere 
zukünftigen Erfahrungen entsprechen. Diese Aussagen stützen 
sich daher auch nicht mehr allein auf die Gesetze unserer 
Anschauung und unseres Denkens, sondern aufserdem auf 
vorangegangene Erfahrung. Den Anteil der letzteren aber, 
soweit er nicht schon in den Grundbegriffen enthalten ist, 
werden wir zusammenfassen in eine einzige allgemeine Aus- 
sage, welche wir als Grundgesetz voranstellen. Eine spätere, 
nochmalige Berufung auf die Erfahrung findet dann nicht mehr 
statt. Die Frage nach der Richtigkeit unserer Aussagen fällt 
also zusammen mit der Frage nach der Richtigkeit oder 
Allgemeingültigkeit jener einzigen Aussage. 
Abschnitt 1. Zeit, fianm, Masse. 
Zeit, Raum und Masse schlechthin sind unserer Erfahrung 297 
in keinem Sinne zugänglich, sondern nur bestimmte Zeiten, 
bestimmte räumliche Gröfsen, bestimmte Massen. Jede be- 
158 Zweites Buch, 
stimmte Zeit, räumliche Gröfse oder Masse aber kann das 
Ergebnis einer bestimmten Erfahrung bilden. Wir machen 
nämlich jene Begriffe zu Zeichen für Gegenstände der äufseren 
Erfahrung, indem wir festsetzen, durch welche sinnlichen Wahr- 
nehmungen wir bestimmte Zeiten, räumliche Gröfsen und 
Massen festlegen wollen. Die Beziehungen, welche wir aus- 
sagen als bestehend zwischen Zeiten, Eäumen und Massen sind 
alsdann in Zukunft Beziehungen zwischen eben diesen sinn- 
lichen Wahrnehmungen. 
298 Festsetzung 1. Die Dauer der Zeit bestimmen wir mit 
Hülfe des Chronometers nach der Zahl der Schläge seines 
Pendels. Die Einheit der Dauer setzen wir durch willkürliche 
Übereinkunft fest. Als Merkmal eines bestimmten Augenblicks 
dient uns sein zeitlicher Abstand von einem durch weitere 
willkürliche Übereinkunft festgesetzten Augenblick. 
Diese Festsetzung enthält erfahrungsmäfsig nichts, was 
uns hinderte, die Zeit als stets unabhängige, niemals abhängige, 
auch stetig von einem Wert zum andern übergehende Variabele 
zu benutzen. Die Festsetzung ist auch bestimmt und ein- 
deutig, abgesehen von solchen Unsicherheiten, welche es uns 
überhaupt nicht gelingt aus unserer Erfahrung fem zu halten, 
weder aus der früheren, noch aus der zukünftigen. 
299 .Festsetzung 2. Die Verhältnisse des Baumes bestimmen 
wir nach den Kegeln der praktischen Geometrie mit Hülfe des 
Mafsstabes. Die Einheit der Länge setzen wir fest durch will- 
kürliche Übereinkunft. Als Merkmal eines bestimmten Ortes 
im Baume dient uns seine relative Lage gegen ein in Hin- 
sicht des entfernteren Fixsternhimmels ruhendes, im übrigen 
durch willkürliche Übereinkunft festgesetztes Koordinatensystem. 
Bei Anwendung aller Aussagen der EuKLiD^schen Geome- 
trie auf die so bestimmten räumlichen Verhältnisse stossen 
wir erfehrungsmäfsig auf keine Widersprüche, unsere Fest- 
setzung ist auch bestimmt und eindeutig, abgesehen von Un- 
sicherheiten, welche es uns nicht gelingt aus unserer wirk- 
lichen Erfahrung fernzuhalten, weder aus der früheren, noch 
aus der zukünftigen. 
300 Festsetzung 3. Die mit den greifbaren Körpern bewegten 
Massen bestimmen wir mit Hülfe der Wage. Als Einheit der 
Zeit, Bawm, Masse, 159 
Masse dient uns die Masse eines durch willkürliche Überein- 
kunft festgesetzten Körpers. 
Die nach dieser Festsetzung bestimmte Masse der greif- 
baren Körper besitzt die Eigenschaften, welche wir der be- 
grifflich definierten Masse beilegten. Sie kann nämlich in 
beliebig viele gleiche Massenteilchen geteilt gedacht werden, 
deren jedes unzerstörbar und unveränderlich ist und als Merk- 
mal dienen kann, um einen Punkt des Baumes zu einer Zeit 
einem Punkt des Raumes zu jeder anderen Zeit eindeutig 
und bestimmt zuzuordnen (3). Die Festsetzung ist auch in 
Hinsicht der greifbaren Körper bestimmt und eindeutig, ab- 
gesehen von den Unsicherheiten, welche es überhaupt nicht 
gelingt aus unserer wirklichen Erfahrung fernzuhalten, weder 
aus der früheren, noch aus der zukünftigen. 
Zusatz zu Festsetzung 3. Übrigens lassen wir die Ver- 301 
mutung zu, dafs es neben den greifbaren Körpern auch andere 
Körper gebe, welche wir nicht ergreifen, nicht bewegen, nicht 
auf die Wage legen können, und auf welche daher die Fest- 
setzung 3 keine Anwendung finden kann. Die Massen solcher 
Körper können nur durch Hypothese bestimmt werden. 
Was diese hypothetisch anzunehmenden Massen anlangt, 
so steht es in unserer Macht, ihnen keine Eigenschaften durch 
die Hypothese beizulegen, welche den Eigenschaften der be- 
grifflich definierten Masse widersprächen. 
Anmerkung 1. Die vorstehenden drei Festsetzungen sind 302 
nicht neue Definitionen flir die schon vorher fest definierten 
Gröfsen Zeit, Baum und Masse. Vielmehr stellen sie die Ab- 
bildungsgesetze dar, durch welche wir äufsere Erfahrung, d. h. 
konkrete sinnliche Empfindungen und Wahrnehmungen über- 
tragen in die Zeichensprache unseres inneren Bildes (ver- 
gleiche die Einleitung), und durch welche wir rückwärts die 
denknotwendigen Folgen dieses Bildes wieder übersetzen in 
die Gestalt möglicher sinnlicher Empfindungen und Wahr- 
nehmungen. Erst durch diese drei Festsetzungen werden also 
die Zeichen Zeit, Baum und Masse zu Teilen unserer Schein- 
bilder der äufseren Gegenstände. Erst durch diese drei Fest- 
setzungen auch werden sie weitergehenden Ansprüchen unter- 
worfen, als der Denknotwendigkeit unseres Geistes. 
160 Zweites Back. 
303 Anmerkung 2. Die Unbestimmtheiten, welche unsere 
Festsetzungen enthalten, und welche wir in denselben aner- 
kannten, sind also nicht Unbestimmtheiten unserer Bilder, 
auch nicht unserer Abbildungsgesetze, sondern es sind Unbe- 
stimmtheiten der abzubildenden äufseren Erfahrung selbst. 
Wir wollen damit sagen, dafs wir durch thatsächliche Be- 
stimmung mit Hülfe unserer Sinne doch keine Zeit genauer 
festlegen können, als sie sich messen läfst mit Hülfe der besten 
Chronometer, keine Lage genauer als sie sich beziehen läXst 
auf ein mit dem entfernteren Fixstemhimmel ruhendes Koordi- 
natensystem, keine Masse genauer, als die besten Wagen sie 
uns liefern. 
304 Anmerkung 3. Es ist gleichwohl anscheinend die Frage 
berechtigt, ob durch unsere drei Festsetzungen wahre oder 
absolute Mafse der Zeit, des ßaumes und der Masse gegeben 
seien, und diese Frage ist nach der Wahrscheinlichkeit zu 
verneinen, da unsere Festsetzungen offenbar Zufälligkeiten und 
Willkür enthalten. In Wahrheit aber fäUt diese Frage aus 
unserer Betrachtung heraus und berührt ihre Richtigkeit nicht, 
selbst wenn wir der Frage einen deutlichen Sinn beilegen und 
sie verneinen wollen. Es genügt, dafs unsere Festsetzungen 
solche Mafse bestimmen, in welchen wir frühere und zukünftige 
Erfahrungen eindeutig bestimmt aussprechen imd mitteilen 
können. Würden wir andere Mafse festsetzen, so würde sich 
die Form unserer Aussagen entsprechend ändern, in solcher 
Weise aber, dafs die ausgesagten Erfahrungen, die vergangenen 
und die zukünftigen, dieselben blieben. 
Materielies System. 
305 Erklärung. Unter einem materiellen System ist fortan 
ein System von Massen der Erfahrung verstanden, dessen 
Eigenschaften den Eigenschaften der begrifflich definierten 
materiellen Systeme nicht widersprechen. In einem natür- 
lichen materiellen Systeme sind also gewisse Lagen und Ver- 
rückungen möglich, andere unmöglich, und es genügt die Ge- 
samtheit der möglichen Lagen und Verrückungen den Be- 
Zeity Bati/m, Masse. 161 
dingnngen der Stetigkeit (121). In einem natürlichen freien Sy- 
steme sind die Zusammenhänge unabhängig von der Lage des 
Systems gegen alle ihm nicht angehörenden Massen, und un- 
abhängig von der Zeit (122). 
Bemerkung dazu. Erfahrungsmäfsig entspricht den so 306 
definierten Begriffen auch ein wirklicher Inhalt. 
Erstens nämlich lehrt uns die Erfahrung, dafs es Zu- 
sammenhänge und zwar stetige Zusammenhänge zwischen den 
Massen der Natur giebt. Es giebt also materielle Systeme 
im Sinne von 305. Wir dürfen sogar behaupten, dafs andere 
als stetige Zusammenhänge in der Natur nicht gefunden wer- 
den, und dafs also jedes natürliche System materieller Punkte 
zugleich ein materielles System sei. 
Zweitens lehrt uns die Erfahrung, dafs die Zusammen- 
hänge eines materiellen Systems unabhängig sein können von 
seiner Lage gegen andere Systeme und von seiner absoluten 
Lage überhaupt. Wir dürfen sogar behaupten, dafs diese Un- 
abhängigkeit stets eintritt, sobald eiü materielles System von 
allen anderen Systemen räumlich hinreichend entfernt wird. 
Es giebt also Systeme, welche nur innere Zusammenhänge 
haben, und wir besitzen auch ein allgemeines Mittel, solche 
Systeme zu erkennen und herzustellen. 
Endlich lehii; uns die Erfahrung drittens, dafs die ab- 
solute Zeit ohne Einflufs auf die Vorgänge in natürlichen 
Systemen ist, welche nur inneren Zusammenhängen unter- 
liegen. Jedes derartige natürliche System ist daher auch 
nur gesetzmäfsigen Zusammenhängen unterworfen und ist da- 
her ein freies System. Es giebt also auch freie Systeme im 
Sinne von 305, und wir können freie Systeme herstellen und 
als solche erkennen unabhängig von den Aussagen, welche 
wir weiter über freie Systeme yorzutragen haben werden. 
Anmerkung. Die gesetzmäfsigen Zusammenhänge der 307 
freien Systeme bilden die unabhängig von der Zeit bestehen- 
den Eigenschaften derselben. Es fällt der experimentellen 
Physik die Aufgabe zu, aus der unendlichen Erscheinungswelt 
solche endliche Gruppen von Massen herauszulösen,* welche 
als freie Systeme selbständig bestehen können, und aus den 
Hertz, Mechanik. 11 
162 Zweites Buch. 
in der Zeit und in Verbindung mit anderen Systemen yer- 
laufenden Elrscheinnngen derselben ihre anfserzeitlichen Eigen- 
schaften abzuleiten. 
Abschnitt 2. Das Gmiidgesetz. 
308 Wir betrachten es als die Aufgabe der Mechanik, aus den 
von der Zeit unabhängigen Eigenschaften materieller Systeme 
die in der Zeit verlaufenden Erscheinungen derselben und 
ihre von der Zeit abhängigen Eigenschaften abzuleiten. Zur 
Lösung dieser Aufgabe stellen wir der Mechanik das folgende 
und nur das folgende, der Erfahrung entnommene Grund- 
gesetz zur Verfügung: 
309 Grundgesetz. Jedes &eie System beharrt in seinem Zu- 
stande der Buhe oder der gleichförmigen Bewegung in einer 
geradesten Bahn. 
Systema omne liberum perseverare in statu suo quies- 
cendi Tel moyendi uniformiter in directissimam. 
Bemerkungen dazu. 
310 1. Das Grundgesetz enthält nach dem Wortlaut nur Aus- 
sagen, welche sich auf ifreie Systeme beziehen. Da aber jeder 
Teil eines freien Systemes ein unfreies System ist, so lassen 
sich aus dem Grundgesetz auch Folgerungen ableiten, welche 
sich auf unfreie Systeme beziehen. 
311 2. Die Gesamtheit der Folgerungen, welche aus dem 
Grundgesetz in Hinsicht freier Systeme und ihrer unfreien 
Teile abgeleitet werden können, bildet den Inhalt der Mechanik. . 
Andere Ursachen der Bewegung, als welche aus dem Grund- 
gesetz entspringen, kennt unsere Mechanik nicht. Die Kenntnis 
des Grundgesetzes ist nach unserer Auffassung desselben nicht 
allein notwendig zur Lösung der Aufgabe der Mechanik, son- 
Das Orundgeaetx. 163 
dem auch hinreichend zu diesem Zwecke, und dies ist ein 
wesentlicher Teil unserer Behauptung. 
3. (Definition.) Jede Bewegung eines freien materiellen 312 
Systems oder seiner Teile, welche im Einklänge mit dem Grund- 
gesetz erfolgt, nennen wir eine natürliche Bewegung des Sy- 
stems im Gegensatz zu den denkbaren und den möglichen 
Bewegungen desselben (257, 258). 
Die Mechanik handelt also von den natürlichen Be- 
wegungen der freien materiellen Systeme und ihrer Teile. 
4. Wir betrachten eine Erscheinung der Körperwelt als 313 
mechanisch und damit als physikalisch erklärt, wenn wir sie 
erkannt haben als denknotwendige Folge des Grundgesetzes 
und der von der Zeit unabhängigen Eigenschaften materieller 
Systeme. 
5. Die vollständige Erklärung der Erscheinungen der 314 
Körperwelt würde also erfordern : 1. ihre mechanische oder 
physikaUsche Erklärung; 2. eine Erklärung des Grundgesetzes; 
3. die Erklärung der aufserzeitlichen Eigenschaften der Körper- 
welt. Die zweite und dritte dieser Erklärungen aber rechnen 
wir nicht mehr in das Gebiet der Physik. 
Berechtigung des Grundgesetzes. 
Das Grundgesetz betrachten wir als das wahrscheinliche 315 
Ergebnis allgemeinster Erfahrung. Genauer gesprochen ist 
das Grundgesetz eine Hypothese oder Annahme, welche viele 
Erfahrungen einschliefst, welche durch keine Erfahrung wider- 
legt wird, welche aber mehr aussagt, als durch sichere Er- 
fahrungen zur Zeit erwiesen werden kann. Hinsichtlich ihres 
Verhaltens zum Grundgesetz lassen sich nämlich die mate- 
riellen Systeme der Natur in drei Klassen einteilen. 
1. Die erste Klasse umfafst solche Körpersysteme oder 316 
Teile solcher Körpersysteme, welche den Bedingungen der 
freien Systeme nach dem unmittelbaren Ergebnis der Erfahrung 
genügen, und auf welche das Grundgesetz ohne weiteres Än- 
11* 
164 Z/weUes Bach. 
Wendung findet. Hierher gehören z. B. starre Körper, welche 
sich im leeren ißanm, oder YoUkommene Flüssigkeiten, welche 
sich in geschlossenen Gefafsen bewegen. 
Aus den Erfahrungen an solchen Eörpersystemen ist das 
Grundgesetz abgeleitet. In Hinsicht dieser ersten Klasse stellt 
es eine nackte Erfahrungsthatsache dar. 
317 2. Die zweite Klasse umÜEÜBt solche Körpersysteme, welche 
dann, aber auch nur dann den Voraussetzungen des Grund- 
gesetzes sich fugen, oder welche dann, aber auch nur dann 
dem Grundgesetze folgen, wenn der unmittelbaren sinnlichen 
Erfahrung gewisse angebbare Hypothesen über ihre Natur 
hinzugefügt werden. 
a) Hierher gehören erstens diejenigen Systeme, welche 
der Bedingung der Stetigkeit in einzelnen Lagen nicht zu ge- 
nügen scheinen, also diejenigen Systeme, in welchen Stöfse im 
weitesten Sinne vorkommen. Hier genügt die im höchsten 
Grade wahrscheinliche Hypothese, dafs alle Unstetigkeiten 
scheinbare sind und verschwinden, sobald es uns gelingt, hin- 
reichend kleine Kaum- und Zeitteile in Betracht zu ziehen. 
b) Hierher gehören zweitens diejenigen Systeme, in welchen 
Femkräfte, die Kräfte der Wärme, und andere, nicht immer 
vollständig verstandene Bewegungsursachen thätig sind. Wenn 
wir die greifbaren Körper solcher Systeme zur Euhe bringen, 
so verharren sie nicht in diesem Zustande, sondern setzen 
sich, freigemacht, aufs neue in Bewegung. Sie folgen also 
scheinbar nicht dem Grundgesetz. Hier wird die Hypothese 
immer wahrscheinlicher, dafs die greifbaren Körper nicht die 
einzigen Massen, ihre sichtbaren Bewegungen nicht die ein- 
zigen Bewegungen solcher Systeme sind, sondern dafs, wenn 
wir die sichtbaren Bewegungen der greifbaren Körper zur 
Ruhe gebracht haben, noch andere, verborgene Bewegungen in 
den Systemen bestehen, welche sich dann, wenn wir die greif- 
baren Körper freigeben, diesen aufs neue mitteilen, über 
diese verborgenen Bewegungen lassen sich, wie es scheint, 
stets solche Annahmen machen, dafs die vollständigen Systeme 
dem Gesetze gehorchen. 
In Hinsicht dieser zweiten Klasse von natürlichen Systemen 
trägt das Grundgesetz den Charakter einer teils sehr, teils 
Das onmdgesetz, 165 
ziemlich wahrscheinlichen, aber stets, soweit wir sehen, einer 
zulässigen Hypothese. 
3. Die dritte Klasse der Körpersysteme enthält solche 318 
Systeme, deren Bewegungen sich nicht ohne weiteres als not- 
wendige Folgen des Grundgesetzes darstellen lassen, und für 
welche auch keine bestimmten Hypothesen angegeben werden 
können, durch welche sie unter das Gesetz gefugt würden. 
Hierher gehören z. B. alle Systeme, welche organische oder 
belebte Wesen enthalten. Unsere Unkenntnis aller hierher 
gehörigen Systeme ist aber so grofs, dafs auch der Beweis 
nicht gefuhrt werden kann, dafs solche Hypothesen unmöglich 
seien und dafs die Erscheinungen an diesen Systemen dem 
Gesetz widersprechen. 
Hinsichtlich dieser dritten Klasse von Körpersystemen 
trägt also das Grundgesetz den Charakter einer zulässigen 
Hypothese. 
Anmerkung. Wenn es zulässig ist, anzunehmen, dafs es 319 
in der Natur kein freies System giebt, welches dem Grund- 
gesetze nicht gehorchte, so ist es zulässig, jedes System über- 
haupt anzusehen als ein solches freies System oder als Teil 
eines solchen freien Systemes, so dafs es dann in der That 
kein System in der Natur giebt, dessen Bewegungen nicht 
durch seine Zusammenhänge und das Grundgesetz bestimmt 
wären. 
Einschränkung des Grundgesetzes. 
In einem Körpersystem, welches dem Grundgesetze ge- 320 
horcht, giebt es keine neue Bewegung, noch auch Ursachen 
neuer Bewegung, sondern nur die Fortsetzung der bisherigen 
Bewegung in gewisser einfacher Weise. Man kann kaum um- 
hin, ein solches Körpersystem als ein lebloses oder totes zu 
bezeichnen. Wollte man also den Satz auf die gesamte Natur 
als das allgemeinste freie materielle System erweitem, und 
aussagen: die gesamte Natur verfolge mit gleichbleibender Ge- 
schwindigkeit eine geradeste Bahn, so würde man sich in 
Widerspruch setzen zu einem gesunden und natürlichen Ge- 
166 ZfweUes Buch. 
fühl. Es erscheint daher vorsichtiger, die wahrscheinliche 
Gültigkeit des Satzes zu heschränkcA auf leblose Systeme. 
Es trifft dies zusammen mit der Aussage, dafs der Satz, an- 
gewandt auf die Systeme der dritten Klasse (318), eine un- 
wahrscheinliche Hypothese bilde. 
321 Auf diese Erwägung ist indessen im Folgenden keine 
Bücksicht genommen, und es ist auch nicht nötig, Rücksicht 
auf sie zu nehmen, weil, wie wir sahen, das Grundgesetz auch 
in Hinsicht dieser Systeme eine wenn auch nicht wahrschein- 
liche, so doch zxQässige Hypothese bildet. Könnte der Nach- 
weis geführt werden, dafs die belebten Systeme dem Satz 
widersprechen, so würden diese dadurch aus der Mechanik 
ausscheiden. Zugleich würde dann, aber auch erst dann, unsere 
Mechanik eine Ergänzung erfordern in bezug auf diejenigen 
unfreien Systeme, welche zwar selber leblos, aber doch Teile 
solcher freier Systeme sind, welche belebte Wesen enthalten. 
Nach aUem, was wir wissen, könnte diese Ergänzung in- 
dessen dann auch geleistet werden, und zwar durch die Er- 
fahrung, dafs belebte Systeme auf unbelebte niemals einen 
anderen Einäufs auszuüben vermögen, als welcher auch durch 
ein unbelebtes System ausgeübt werden könnte. Damach ist 
es möglich, jedem belebten System ein unbelebtes unterzu- 
schieben, welches jenes in den gerade behandelten Problemen 
zu vertreten vermag, und dessen Angabe wir verlangen 
dürfen, um das gegebene Problem zu einem rein mechanischen 
zu machen. 
322 Anmerkung. In der gewöhnlichen Darstellung der Me- 
chanik wird ein ähnlicher Vorbehalt für überflüssig gehalten, 
und als sicher angenommen, dafs die Grundgesetze die be- 
lebte wie die unbelebte Natur in gleicher Weise umfassen. 
Es ist dies in jener Darstellung auch erlaubt, da man den 
Formen der Kräfte, welche dort in die Grundgesetze ein- 
treten, zunächst den weitesten Spielraum läfst und sich 
vorbehält, später und aufserhalb der Mechanik zu erörtern, 
ob die Kräfte der belebten und der unbelebten Natur ver- 
schieden seien, und welche Eigenschaften etwa die einen vor 
den anderen auszeichnen. In unserer Darstellung ist gröfsere 
Vorsicht geboten, da eine bedeutende Zahl von Erfahrungen, 
Das Orundgesetz. 167 
welche sich znnächst nur auf die unbelebte Natur beziehen, 
in das Grundgesetz selbst schon einbezogen ist, und die Mög- 
lichkeit späterer Abgrenzung eine weit beschranktere ist. 
Zerlegung des Grundgesetzes. 
Die gewählte Fassung des Gesetzes schlie&t sich absieht- 323 
lieh an die Fassung Yon Newton's erstem Bewegungsgesetz 
unmittelbar an. Offenbar aber enthält diese Fassung drei von 
einander unabhängige Aussagen, nämlich die folgenden: 
1. Ein freies System verfolgt keine anderen seiner mög- 
lichen Bahnen, als nur die geradesten Bahnen; 
2. Verschiedene freie Systeme beschreiben in identischen 
Zeiträumen einander proportionale Längen ihrer Bahnen; 
3. Die am Chronometer gemessene Zeit (298) wächst 
proportional der Bahnlänge irgend eines bewegten freien 
Systems. 
Nur die ersten beiden Aussagen enthalten Erfedirungs- 
thatsachen von grofser Allgemeinheit. Die dritte rechtfertigt 
nur unsere willkürliche Festsetzung der Zeitmessung und ent- 
hält nur die besondere Erfahrung , dafs ein Chronometer in 
gewisser Hinsicht sich verhält wie ein freies System, obgleich 
es genau genommen kein solches ist. 
Methode der Anwendung des Gesetzes. 
Wird eine bestimmte Frage in Hinsicht der Bewegung 324 
eines materiellen Systemes gestellt , so mufs von den folgen- 
den drei Fällen notwendig einer eintreten: 
1. Es kann die Frage so gestellt sein, dafs das Grund- 
gesetz zu einer bestimmten Beantwortung derselben ausreicht. 
In diesem Falle ist das Problem ein bestimmtes mechanisches 
Problem, und die Anwendung des Grundgesetzes giebt seine 
Lösung. 
2. Es kann die Frage so gestellt sein, dafs das Grundgesetz 325 
zu einer bestimmten Beantwortung derselben unmittelbar nicht 
168 Zweites Buch. 
ausreicht, dafs aber der Fragestellung eine oder mehrere An- 
nahmen hinzugefügt werden können, durch welche die be- 
stimmte Anwendung des Grundgesetzes mögHch gemacht wird. 
Ist nur eine einzige solche Annahme möglich, und setzen 
wir voraus, dafs das Problem überhaupt ein mechanisches 
Problem sei, so mufs diese Annahme auch zutreffend sein; 
das Problem kann also als ein bestimmtes mechanisches Pro- 
blem betrachtet werden, und die Anwendung der hinzugefügten 
Annahme und des Grundgesetzes giebt die Lösung. 
Sind mehrere Annahmen möglich, und setzen wir voraus, 
dafs das Problem überhaupt ein mechanisches Problem sei, 
so mufs eine dieser Annahmen zutreffen; das Problem kann 
alsdann als ein unbestimmtes mechanisches Problem betrachtet 
werden, und die Anwendung des Grundgesetzes auf die ver- 
schiedenen möglichen Annahmen giebt die möglichen Lösungen. 
326 3. Es kann die Frage so gestellt sein, dafs das Grund- 
gesetz zur Beantwortung nicht ausreicht, und dafs auch keine 
Annahmen hinzugefügt werden können, durch welche die An- 
wendung des Grundgesetzes möglich gemacht würde. In diesem 
Falle mufs in den Voraussetzungen der Fragestellung selbst 
ein Widerspruch liegen gegen das Grundgesetz oder gegen 
die Eigenschaften der Systeme, auf welche sie sich bezieht; 
die gestellte Frage kann alsdann überhaupt nicht als ein 
mechanisches Problem betrachtet werden. 
Angenäherte Anwendung des Grundgesetzes. 
327 Bemerkung. Wenn aus den gegebenen Bedingungsglei- 
chungen eines Systems zusammen mit dem Grundgesetze Glei- 
chungen folgen, welche genau die Form der Bedingungsglei- 
chimgen haben, so ist es für die Bestimmung der Bewegung 
des Systems gleichgültig, ob wir allein jene ursprünglichen, 
oder neben und statt derselben die abgeleiteten Bedingungs- 
gleichungen als Darstellungen des Zusammenhanges des Systems 
betrachten. 
Denn wenn wir auch aus der Beihe der ursprünglichen 
Bedingungsgleichungen alle diejenigen streichen, welche schon 
analytisch aus den übrigen und aus den abgeleiteten Bedin- 
Das Orundgesetx. 169 
gungsgleichungen folgen, so genügen doch den jetzt übrig 
bleibenden ursprünglichen und abgeleiteten Gleichungen sicher- 
lieh nur mögliche Verrückungen, wenn auch im allgemeinen 
nicht alle Verrückungen, welche nach den ursprünglichen 
Grleichungen möglich waren. Eine Bahn, welche unter der 
ursprünglichen gröfseren Mannigfaltigkeit eine geradeste war, 
wird es umsomehr unter der jetzigen beschränkteren Mannig- 
faltigkeit sein. und da sich die natürlichen Bahnen unter 
dieser beschränkteren Mannigfaltigkeit iSinden müssen, so sind 
die natürlichen Bahnen die geradesten unter denjenigen, welche 
nach den jetzigen Bedingungsgleichungen möglich sind. Dies 
ist aber die Behauptung. 
Folgerung 1. Gewinnen wir aus der Erfahrung die 328 
Kenntnis, dafs ein System gewissen Bedingungsgleichungen 
thatsächlich genügt, so ist es für die Anwendung des Grund- 
gesetzes vollständig gleichgültig, ob jene Zusammenhänge 
ursprüngliche, d. h. physikalisch nicht weiter erklärbare (318) 
sind, oder ob es Zusammenhänge sind, welche sich darstellen 
lassen als die notwendige Folge anderer Zusammenhänge und 
des Grundgesetzes, welche also eine mechanische Erklärung 
zulassen. 
Folgerung 2. Gevminen wir aus der Erfahrung die 329 
Kenntnis, dafs gewissen Bedingungsgleichungen eines materiellen 
Systems nur angenähert, nicht aber genau genügt werde, so 
ist es gleichwohl zulässig, jene BedingungsglelchuBgen als 
angenäherte Darstellungen eines wahren Zusammenhanges be- 
stehen zu lassen und durch Anwendung des Grundgesetzes 
auf sie angenäherte Aussagen über die Bewegung des Systems 
zu gewinnen, obwohl es unzweifelhaft feststeht, dafs jene an- 
genäherten Bedingungsgleichungen nicht einen ursprünglichen, 
stetigen, gesetzmäfsigen Zusammenhang darstellen, sondern 
nur als die angenäherte Folge unbekannter Zusammenhänge 
und des Grundgesetzes angesehen werden können. 
Anmerkung. Auf der vorstehenden Folgerung beruht jede 330 
praktische Anwendung unserer Mechanik. Denn bei allen Zu- 
sammenhängen zwischen grobsinnlichen Massen, welche die 
Physik entdeckt und die Mechanik verwertet, lehrt eine hin- 
170 Ztpeüea Buch. 
reichend genaue Untersuchung, dafs sie nur angenäherte Gül- 
tigkeit haben und daher nur abgeleitete Zusammenhange sein 
können. Die letzten, ursprunglichen Zusammenhänge sind wir 
gezwungen in der Welt der Atome zu suchen, und sie sind 
uns unbekannt. Aber auch wenn sie uns bekannt wären, 
müisten wir auf ihre Benutzung zu praktischen Zwecken yer- 
zichten und Yer£ahren, wie wir yerfahren. Denn die wirkliche 
Beherrschung jedes Problems erfordert stets die Beschrän- 
kung der Betrachtung auf eine äuijserst kleine Zahl von 
Variabelen, während das Zurückgehen auf die Zusammen- 
hänge der Atome die Einfuhrung einer unermefislichen Zahl 
von Veränderlichen nötig machen würde. 
Dafs wir aber das Grundgesetz so anwenden dürfen, wie 
wir es anwenden, ist nicht als eine neue Erfahrung neben dem 
Grundgesetz anzusehen, sondern ist, wie wir sahen, eine not- 
wendige Folge eben dieses Gesetzes selbst. 
Abschnitt 3. Bewegung der freien Systeme. 
Allgemeine Eigenschaften der Bewegung, 
i. Bestimmtheit der Bewegung. 
331 Lehrsatz. Eine natürliche Bewegung eines freien Systems 
ist eindeutig bestimmt durch die Angabe der Lage und der 
Geschwindigkeit des Systems zu einer bestimmten Zeit. 
Denn durch die Lage und die Richtung der Geschwindig- 
keit ist die Bahn des Systems eindeutig bestimmt (161); die 
konstante Geschwindigkeit des Systems in seiner Bahn ist 
durch die Gröfse der Geschwindigkeit zur Anfangszeit gegeben. 
332 Folgerung 1. Durch den gegenwärtigen Zustand (261) 
eines freien Systems sind seine zukünftigen Zustande und seine 
yergangenen Zustande zu allen Zeiten eindeutig bestimmt. 
333 Polgenmg 2. Könnte man in irgend einer Lage die Ge- 
schwindigkeit eines Systems umkehren (was niemals gegen "^die 
Allgemeine Eigenschaften der Bewegung. 171 
Bedingungsgleichungen des Systems verstofsen würde), so würde 
das System die Lagen seiner Yorherigen Bewegung in umge- 
kehrter Reihenfolge durchlaufen. 
Bemerkung 1. In einem freien holonomen System (123) giebt 334 
es stets eine natürliche Bewegung, welche das System in ge- 
gebener Zeit aus einer willkürlich gegebenen Anfangs- in eine 
willkürlich gegebene Endlage überfiihrt. 
Denn es ist stets eine natürliche Bahn zwischen beiden 
Lagen möglich (192); in dieser Bahn ist jede Geschwindigkeit 
zulässig, also auch eine solche, welche das System in der ge- 
gebenen Zeit die gegebene Strecke durchlaufen läXst. 
Anmerkung. Die vorige Bemerkung bleibt richtig, wenn 335 
an Stelle der Zeit des Überganges die Geschwindigkeit des 
Systems in seiner Bahn oder auch die Energie des Systems 
gesetzt wird. 
Bemerkung 2. Ein freies System, welches kein holonomes 336 
ist, kann nicht aus jeder möglichen Anfangslage in jede mög- 
liche Endlage durch eine natürliche Bewegung übergeführt 
werden (162). 
LehrsatK. Eine natürliche Bewegung eines freien holo- 337 
nomen Systems ist bestimmt durch die Angabe zweier Lagen, 
in welchen sich das System zu zwei bestimmten Zeiten 
finden soll. 
Denn durch diese Angabe ist die Bahn des Systems be- 
stimmt und die Geschwindigkeit in dieser Bahn. 
Anmerkung 1. Die Bestimmung einer natürlichen Be- 338 
wegung durch zwei Lagen, zwischen welchen sie stattfindet, 
ist im allgemeinen eine mehrdeutige; sie ist eine eindeutige, 
sobald die Entfernung der beiden Lagen ein gewisses endliches 
Mafs nicht überschreitet und die Länge der beschriebenen 
Bahn von der Ordnung dieser Entfernung sein soll (vgl. 
167, 172, 190 u. 176). 
Anmerkung 2. Eine natürliche Bewegung eines freien 339 
holonomen Systems ist, abgesehen von dem absoluten Wert 
172 Zweites Bück, 
der Zeit, auch bestimmt durch zwei Lagen des Systems und 
entweder die Zeitdauer des Überganges oder die Geschwindig- 
keit des Systems in seiner Bahn oder die Energie des Systems. 
2. Erhaltung der Energie. 
340 Lehrsatz. Die Enei:gie eines in beliebiger Bewegung be- 
griffenen freien Systems ändert sich nicht mit der Zeit. 
Denn die Energie setzt sich zusammen (2S2) aus der Masse 
des Systems, welche unveränderlich ist, und der Geschwindig- 
keit längs der Bahn, welche ebenfalls unveränderlich ist. 
341 Anmerkung 1. Von den drei Teilaussagen, in welche wir 
das Grundgesetz zerlegten (323), bedurften wir zum Beweise 
des Satzes nur die zweite und dritte. Wir können auch die 
dritte entbehrlich machen, und den Satz von einer bestimmten 
Art der Zeitmessung unabhängig aussagen, wenn wir ihm die 
Form geben: 
Das Verhältnis der Energieen irgend zweier in beliebiger 
Bewegung begriffener freier Systeme ändert sich nicht mit 
der Zeit. ^ 
342 Anmerkung 2. Der Satz von der Erhaltung der Energie 
ist eine notwendige Folge des Grundgesetzes. Umgekehrt folgt 
aus dem Satz von der Erhaltung der Energie die zweite Teil- 
aussage (323) jenes Gesetzes, aber nicht die erste, also nicht 
das ganze Gesetz. Es wären natürliche Systeme denkbar, 
für welche der Satz von der Erhaltung der Energie gälte, und 
welche sich dennoch nicht in geradesten Bahnen bewegten. 
Es wäre zum Beispiel denkbar, dafs der Satz von der Er- 
haltung der Energie Gültigkeit hätte auch für belebte Systeme, 
und dafs dieselben dennoch sich unserer Mechanik entzögen. 
Umgekehrt liefsen sich auch natürliche Systeme denken, 
welche sich nur in geradesten Bahnen bewegten, imd für welche 
dennoch der Satz von der Erhaltung der Energie keine Gültig- 
keit hätte. 
343 Anmerkung 3. Es ist in neuerer Zeit mehrfach die An- 
sicht vorgetragen worden, dafs die Energie bewegter Systeme 
an einen bestimmten Ort gebunden sei und sich von Ort zu 
Allgemeine Eigenschaften der Bewegung. 173 
Ort fortpflanze. Man hat deshalb die Energie, wie in Hin- 
sicht der Unzerstörbarkeit; so auch in dieser Hinsicht mit der 
Materie in Vergleich gestellt. Diese Auffassung der Energie 
weicht offenbar sehr weit ab von der Auffassung der hier vor- 
getragenen Mechanik. Mit dem gleichen Rechte, aber nicht 
mit gröfserem Bechte, kann man sagen: die Energie eines be- 
wegten Systems sei am Orte des Systems yorhanden, mit 
welchem man sagen kann : die Geschwindigkeit eines bewegten 
Körpers sei an den Ort desselben gebunden. Diese letztere 
Ausdrucksweise aber ist mit Eecht ungebräuchlich. 
3. Kleinste Beschleunigung. 
Lehrsatz. Ein jfreies System bewegt sich in solcher Weise, 344 
dafs die Gröfse seiner Beschleunigung in jedem Augenblick 
die kleinste ist, welche mit der augenblicklichen Lage, der 
augenblicklichen Geschwindigkeit und dem Zusammenhange des 
Systems sich verträgt. 
Denn das Quadrat der Gröfse der Beschleunigung ist 
nach 280 und 281 gleich 
Da nun für die natürliche Bewegung r = ist, v einen durch 
die augenblickliche Geschwindigkeit gegebenen Wert hat und 
c den kleinsten Wert hat, welcher mit der gegebenen Richtimg 
der Bewegung und dem Zusammenhange des Systems verträg- 
lich ist, so nimmt der Ausdruck selbst den kleinsten, mit den 
genannten Nebenumständen verträglichen Wert an. 
Anmerkung 1. Die in dem vorigen Lehrsatz ausgesagte 345 
Eigenschaft der natürlichen Bewegung bestimmt diese Bewegung 
eindeutig, und es kann daher der Lehrsatz das Grundgesetz 
vollständig vertreten. 
Denn soll der Ausdruck 
v^ (? + i? 
ein Minimum werden, so mufs zunächst t> = sein, also das 
174 Zweites Buch. 
System seine Bahn mit konstanter Geschwindigkeit diirch- 
lanfen, zweitens mufs entweder t? = sein — alsdann ruht 
das System — oder c mufs den kleinsten, bei der Richtung 
der Bahn möglichen Wert haben, — dann ist die Bahn eine 
geradeste. 
346 Anmerkung 2. Der Lehrsatz 344 würde, als Grundgesetz 
vorangestellt, vor der benutzten Form sogar den Vorzug haben, 
dafs er das Gesetz in eine einzige unteilbare Aussage zu- 
sammenfafste, nicht nur äufserlich in einen Satz. Die benutzte 
Form hat aber den Vorzug, dafs sie ihre Bedeutung klarer 
und durchsichtiger erkennen läfst. 
4. Kurzeste Bahn. 
347 Lehrsatz. Die natürliche Bahn eines freien holonomen 
Systems zwischen irgend zwei hinreichend benachbarten Lagen 
ist kürzer als irgend eine andere mögliche Bahn zwischen 
beiden Lagen. 
Denn in einem holonomen System ist eine geradeste Bahn 
zwischen hinreichend benachbarten Lagen zugleich die kürzeste 
(190, 176). 
348 Anmerkung 1. Wird die Beschränkung auf hinreichend 
benachbarte Lagen weggelassen, so kann nicht mehr behauptet 
werden, dafs die natürliche Bahn kürzer sei als alle anderen 
Bahnen, nicht einmal, dafs sie kürzer sei als aUe benachbarten 
Bahnen; es gilt aber immer noch die in dem vorigen Satz 
enthaltene Behauptung, dafs die Variation der Länge der Bahn 
verschwinde beim Übergang zu irgend einer benachbarten mög- 
lichen Bahn (190, 171). 
349 Anmerkung 2. Der vorige Lehrsatz entspricht dem Prinzip 
der kleinsten Wirkung in der Form, welche Jacobi diesem 
Prinzip gegeben hat. Denn nennen wir für den Augenblick 
rriy die Masse, ds^ die Weglänge des v ten der n Punkte des 
Systems in einem bestimmten Zeitelement, so sagt der Lehr- 
satz aus, dafs die Variation des Integrals 
Allgemeine Eigenschaften der Bewegung, 175 
h = j^M 
r TTlv dsl 
verschwinde bei der natürlichen Bewegung des Systems, und 
dies ist die JACOBi'sche Form jenes Prinzips. 
Anmerkung 3. Um das Verhältnis zwischen dem Lehr- 350 
satz 347 und dem jACOBi'schen Satz genauer festzustellen, 
müssen wir aussagen: Nach der gewöhnlichen Auffassung der 
Mechanik enthält der Lehrsatz einen besonderen Fall des 
JACOBi'schen Satzes, den Fall nämlich, dafs keine Kräfte 
wirken. 
Nach unserer Auffassung sind umgekehrt die Voraus- 
setzungen des vollständigen JACOBi'schen Satzes als die 
engeren zu bezeichnen, und der jACOBi'sche Satz ist nach 
dieser Auffassung eine Anpassung des Lehrsatzes an beson- 
dere Verhältnisse und seine Umformung auf die Voraussetzungen 
derselben. 
Anmerkung 4. Der Lehrsatz 347 hat den Satz von der 351 
Erhaltung der Energie weder zur Voraussetzung, noch zur 
Folge, sondern ist von demselben ganz unabhängig. Zu- 
sammen mit dem Satz von der Energie vermag er das Grund- 
gesetz vollständig zu ersetzen, jedoch nur für holonome Sy- 
steme. Angewandt auf andere Systeme würde der Satz aller- 
dings auch bestimmte Bewegungen ergeben, aber diese Be- 
wegungen würden dem Grundgesetz widersprechen (194), also 
falsche Lösungen der gestellten mechanischen Probleme sein. 
5. Kurzeste Zeit. 
Lehrsatz. Die natürliche Bewegung eines freien holono- 352 
men Systems führt das System in kürzerer Zeit aus einer 
gegebenen Anfangslage in eine hinreichend benachbarte End- 
lage, als es durch irgend eine andere mögliche, mit dem glei- 
chen konstanten Wert der Energie ausgeführte Bewegung ge- 
schehen könnte. 
176 Zweites Buch. 
Denn ist flir alle verglichenen Bewegungen die Energie, 
also die Bahngeschwindigkeit die gleiche, so ist die Dauer des 
Übergangs der Bahnlänge proportional, also die kleinste für 
die kürzeste Bahn, also für die natürliche Bahn. 
^53 Anmerkung. Fällt die Beschränkung auf hinreichend be- 
nachbarte Lagen fort, so wird die Zeit des Übergangs nicht 
mehr notwendig ein Minimum, aber sie behält immer noch 
die Eigenschaft, gleich zu sein für die natürliche Bahn und 
alle ihr unendlich benachbarten möglichen Bahnen (vergl. 348). 
354 Folgerung 1. Für die natürliche Bewegung eines freien 
holonomen Systems zwischen gegebenen, hinreichend benach- 
barten Endlagen ist das Zeitintegral der Energie kleiner, als 
für irgend eine andere mögliche, mit dem gleichen konstanten 
Wert der Energie ausgeführte Bewegung. 
Denn es ist jenes Zeitintegral gleich dem Produkt aus 
dem gegebenen konstanten Wert der Energie und der Zeit- 
dauer des Übergangs. 
355 Anmerkung 1. Der Lehrsatz 352, insbesondere in der 
Form der Folgerung 354, entspricht dem MAUPEETiris'schen 
Prinzip der kleinsten Wirkung. Wollen wir sein Verhältnis zu 
diesem Prinzipe genauer feststellen, so müssen wir uns in der- 
selben Weise ausdrücken, wie dies in 350 geschehen ist. 
356 Anmerkung 2. Die Folgerung 354 imd auch der Lehr- 
satz 352 setzen für die mit einander verglichenen Bewegungen 
die Eonstanz der Energie mit der Zeit voraus. Zusammen 
mit der Voraussetzung, dafs die natürliche Bewegung sich 
überhaupt unter den verglichenen finde, genügen sie also zur 
Bestimmung derselben und können das Grundgesetz vertreten, 
jedoch nur für holonome Systeme. Ihre Voraussetzungen auf 
andere Systeme angewandt, würden zu falschen mechanischen 
Lösungen führen. 
357 Folgerung 2. Ein freies holonomes System wird aus 
seiner Anfangslage in gegebener Zeit auf gröfsere geradeste 
Entfernung fortgetragen durch seine natürliche Bewegung, als 
durch irgend eine andere mögliche Bewegung, welche mit dem 
Allgemeine Eigenschaften d&r Bewegung, 177 
gleichen konstanten Wert der Energie erfolgt, wie die natür- 
liche Bewegung. 
6. Kleinstes Zeitintegral der Energie. 
Lehrsatz. Das Zeitintegral der Energie ist beim Über- 358 
gang eines freien holonomen Systems aus einer gegebenen 
Anfangslage in eine hinreichend benachbarte Endlage kleiner 
für die natürliche Bewegung, als fiir jede andere mögliche 
Bewegung, welche das System in der gleichen Zeit aus der 
gegebenen Anfangslage in die gegebene Endlage überfuhrt. 
Vergleichen wir nämlich zunächst nur Bewegungen in 
einer und derselben Bahn von der Länge 8, so erreicht unter 
diesen das Zeitintegral der Energie sein Minimum für diejenige 
Bewegung, für welche die Bahngeschwindigkeit v konstant ist. 
Denn da die Summe der Gröfsen vdi den gegebenen Wert 8 
hat, so wird die Summe der Gröfsen v^dt dann und nur dann 
ihren kleinsten Wert erreichen, wenn alle v gleich sind. Ist 
aber die Bahngeschwindigkeit konstant, so ist das Zeitintegral 
der Energie gleich \mS^jTj wenn T die Dauer des Übergangs 
ist. Da T gegeben ist, so verhält sich für verschiedene 
Bahnen des Systems das Zeitintegral der Energie wie das 
Quadrat der Bahnlänge, erstere Gröfse hat also wie die 
letztere ihren Minimalwert für die natürliche Bahn. 
Anmerkung 1. Fällt die Beschränkung auf hinreichend 359 
benachbarte Lagen fort, so wird das Zeitintegral der Energie 
nicht mehr notwendig ein Minimum, aber seine Variation ver- 
schwindet immer noch beim Übergang zu einer anderen der 
in Betracht gezogenen Bewegungen (vgl. 348). 
Anmerkung 2. Der vorstehende Lehrsatz entspricht dem 360 
HamüiTon' sehen Prinzip. Wollen wir sein Verhältnis zu diesem 
Prinzipe genauer feststellen, so müssen wir uns derselben Aus- 
drucksweise bedienen wie in 350. 
Anmerkung 8. Der Lehrsatz 358 und die Folgerung 354 361 
stimmen darin überein, dafs sie unter gewissen Klassen mög- 
licher Bewegungen die natürliche Bewegung auszeichnen durch 
Hertz, Mechanik. 12 
178 ZucmUs Budi. 
ein und dasselbe Merkmal, nämlich den Minimalwert des Zeit- 
int^rak der flnei^e; sie nnterscheiden sich aber wesentiich 
Ton einander dadurch, dafs sie ganz Yerschiedene Klassen 
möglicher Bewegungen in Betracht ziehen. 
M2 Anmerkung 4. Der Satz Ton der Erhaltung der Ebiei^e 
ist eine notwendige Folge des Lehrsatzes 358, und dieser Lehr- 
satz kann daher, als Prinzip Yorangestellt, als YoUstandiger 
Ersatz für das Grundgesetz dienen, jedoch nur in der An- 
wendung desselben auf holonome Systeme. LaTst man die 
Beschränkung auf holonome Systeme fallen, so ergiebt der 
Satz zwar auch bestimmte Bewegungen der materiellen Systeme, 
aber diese widersprechen im allgemeinen dem Grundgesetz 
und sind also, mechanisch betrachtet, falsche Lösungen der ge- 
stellten Probleme. 
863 Buckblick auf 347 bis 362. Benutzen wir die in den 
Lehrsätzen 347, 352, 354, 358 ausgesprochenen Eigenschaften 
der natürlichen Bewegung als Prinzipien zur YoUständigen 
oder teilweisen Bestimmung dieser Bewegung, so machen wir 
die gegenwärtig eintretenden Änderungen im Zustand des 
Systems abhängig von solchen Eigentümlichkeiten der Be- 
wegung, welche erst in der Zukunft hervortreten können, und 
welche oft in menschlichen Verrichtungen als erstrebenswerte 
Ziele erscheinen. Dieser umstand hat bisweilen Physiker und 
Philosophen dazu geführt, in den Gesetzen der Mechanik den 
Ausdruck einer bewufsten Absicht auf zukünftige Ziele, ver- 
bunden mit Voraussicht der zweckmäfsigen Mittel, zu erblicken. 
Eine solche Auffassung ist aber weder notwendig, noch auch 
nur zulässig. 
364 Dafs nämlich eine solche Auffassung jener Prinzipien 
nicht notwendig ist, ergiebt sich daraus, dafs die Eigenschaften 
der natürlichen Bewegung, welche eine Absicht anzudeuten 
scheinen, als denknotwendige Folgen eines Gesetzes erkannt 
wurden, in welchem man den Ausdruck einer Voraussicht in 
die Zukunft nicht findet. 
365 Dafs jene Auffassung der Prinzipien aber sogar unzulässig 
ist, ergiebt sich daraus, dafs die Eigenschaften der natürlichen 
Bewegung, welche eine Absicht auf zukünftigen Erfolg anzu- 
deuten scheinen, nicht bei allen natürlichen Bewegungen sich 
IHfferentialgleichungen der Bewegung. 179 
finden. Hätte die Natur wirklich die Absicht, einen kürzesten 
Weg, einen kleinsten Aufwand an Energie, eine kürzeste Zeit 
zu erzielen, so wäre es unmöglich zu verstehen, wie es Sy- 
steme geben könnte, in welchen diese Absicht, obwohl er- 
reichbar, dennoch der Natur regelmäfsig fehlschlüge. 
Will man darin, dafs ein System unter allen möglichen 366 
Bahnelementen beständig ein geradestes auswählt, den Aus- 
druck eines bestimmten WiUens erkennen, so steht dies frei; 
man sieht alsdann eben schon darin den Ausdruck eines be- 
stimmten Willens, dafs ein natürliches System überhaupt unter 
allen möglichen Bewegungen keine willkürliche, sondern stets 
^ine durch besondere Merkmale bezeichnete, im voraus be- 
stimmbare Bewegung auswählt. 
Analytische Darstellung. Differentialgleichungen 
der Bewegung. 
Erläuterung. Unter den Differentialgleichungen der Be- 367 
wegung eines Systems verstehen wir einen Satz von Differential- 
gleichungen, in welchen die Zeit die unabhängige Variabele, 
die Koordinaten des Systems die abhängigen Variabelen sind, 
und welche zusammen mit einer Anfangslage und einer An- 
fangsgeschwindigkeit die Bewegung des Systems eindeutig be- 
stimmen (331). 
Aufgabe 1. Die Differentialgleichungen der Bewegung 368 
•eines freien Systems in den rechtwinkligen Koordinaten des- 
selben darzustellen. 
In 155 d haben wir die Differentialgleichungen der gerade- 
sten Bahnen des Systems in den rechtwinkligen Koordinaten 
abgeleitet. In diese Gleichungen führen wir anstatt der Bahn- 
länge die Zeit t als unabhängige Variabele ein. Nach dem 
Orundgesetz ist ds/dt = v von t, also auch von s unabhängig, 
imd wir haben: 
Ofyp — QUp V , %y — X>p V 
12 
180 Zweites Buch. 
Multiplizieren wir demnach die Gleichungen 155 d mit mv^ 
und setzen zur Abkürzung für mv^Si jetzt X^, so erhalten 
wir als Lösung der Aufgabe die 3« Gleichungen: 
a) m;xv + 2' ^iv -^t = > 
1 
welche zusammen mit den i Gleichungen (vgl. 155 b): 
Bn 3n 3n ^ 
V X,y Xy + Z:2t~^^^^i^ = ^ 
1 11 ^^l* 
die 3 71 +2 Gröfsen x^ und X^ als eindeutige Funktionen der 
Xy und Xy bestimmen. 
369 Anmerkung 1. Die Gleichungen der Bewegung des freien 
Systems in der Form 368 werden gewöhnlich als Lagbange's 
Gleichungen der ersten Form bezeichnet. 
370 Anmerkung 2. Jede einzelne der Gleichungen 368 a giebt 
uns, nachdem wir die X. zuerst bestimmt haben, die Kompo- 
nente der Beschleunigung des Systems nach einer bestimmten 
der rechtwinkligen Koordinaten des Systems. 
371 Aufgabe 2. Die Differentialgleichungen der Bewegung 
eines freien Systems in den allgemeinen Koordinaten pg des- 
selben auszudrücken. 
Die Differentialgleichungen der geradesten Bahnen in den 
Pq finden wir in 158 d. In diese führen wir statt der Bahnlänge 
die Zeit als unabhängige Variabele ein, indem wir wiederum 
bemerken, dafs nach dem Grundgesetz ist: 
P9=PQ^ , Pq=PqV^ . 
Indem wir also die Gleichungen 158 d multiplizieren mit mv^ 
und setzen für mv^II^ jetzt P^, so erhalten wir als Lösung 
der Aufgabe die r Gleichungen: 
«) m|2<' v/^'' +2''2^ (^-1 ^)^-^} +2-'Ph ^« = , 
Di/fer&nticUgleichungen der Bewegung. 181 
welche zusammen mit den k Gleichungen (vgl. 158 b): 
2^ p^'.p, +2^2' '£rP9p<r-^ *> 
1 1 
^Po 
die r + k Gröfsen p^ und P^ als eindeutige Funktionen der 
Pq und der p^ bestimmen. 
Anmerkung. Indem wir Gebrauch machen von der Be- 372 
Ziehung 277, können wir die Bewegungsgleichungen 371a in der 
Form schreiben: 
k 
1 
Denken wir uns die Pj^ zuerst bestimmt, so giebt uns 
eine jede dieser Gleichungen die Komponente der Beschleu- 
nigung nach einer bestimmten der Koordinaten p^ , ausgedrückt 
als Funktion der augenblicklichen Lage und Geschwindigkeit 
des Systems. 
Folgerung 1. Drücken wir mit Hülfe der Beziehung 875 
291a die Komponenten der Beschleunigung durch die Energie 
aus, so nehmen die Bewegungsgleichungen eines freien Systems 
die Form an: 
Anmerkung 1. Die Differentialgleichungen der Bewegung 374 
in dieser Form heifsen auch die allgemeinen LAGEANGE'schen 
Gleichungen der Bewegung oder Lagiiange's Gleichungen der 
zweiten Form (vgl. 369). 
Anmerkung 2. Ist die Koordinate pg eine freie Koordi- 375 
nate, so kommt sie in den Bedingungsgleichungen des Systems 
nicht vor (140), die Gröfsen p^ sind also sämtlich gleich NuU, 
und die auf jo^ bezügliche Bewegungsgleichung wird: 
dt \ dpj dpg 
.^..u-^uKu :^^em können {lU) stets die sämt- 
„ii .er Jw'viiÄ^ang in dieser einfachen Form 
J. '';i3 'ii-'weeungsgleiclningen eines freien ho- 
> n ■i>:'!nii welchen r freien Koordinaten p^ 
■::i.cu ^«isoiirieben werden in der Form der 
Je 
c -■i^ien?o nur Definitionen, die letzteren aber 
. ...>.>L''.i.u enthalten. Man kann die Bewegoogs- 
; ;!e>i^c Form auffassen als 2r Differantial- 
-sitf i,Vinung für die 2r Gröfsen pg nnd qg, 
^t.» lu^smmen mit 2r Änfangswerten den Ver- 
--.v.Niu :Ur alle Zeiten bestimmen. 
l*^ 1. l*ie Gleichungen 8J6 a nnd b würde man 
■ ,^ :i. ;i!s die PoissON'sche Form der Bewegnngs- 
v-vii.'huen. 
v<.j4^ 4> Ans den Gleichungen 37« folgen zwei 
•v . .^-.luti^n, welche analytisch dargestellt sind dorcb 
dp„ Bpg 
(aus b» 
Bf/]. 8p^„ 
ö^ = ep^ ' (*°ä ■> ^^ *» 
len physikalischen Sinn besitzen. Beide 
Elemente der Erfahmng und würden 
Bewegung des Systems gelten, können 
nden zur Prüfimg des Grundgesetzes 
t dritte analoge, allein aus 3!«« ab- 
Irde nur die Folge unserer Defini- 
Differentialgleichungen der Bewegtmg. 183 
Folgerung 3. Die Bewegungsgleichungen eines freien ho- 379 
lonomen Systems in irgend welchen r freien Koordinaten pg 
des Systems können geschrieben werden in der Form der 
2r Gleichungen (290, 289, 292, 375): 
von welchen die ersteren nur Definitionen, die letzteren aber 
Erfahrungsthatsachen enthalten. Auch in dieser Form er- 
scheinen die Bewegungsgleichungen als 2r Differentialglei- 
chungen erster Ordnung für die 2r Gröfsen Pq und q^, welche 
Gleichungen zusammen mit 2r Anfangswerten den Verlauf 
jener Gröfsen für alle Zeiten bestimmen. 
Anmerkung 1. Die vorstehenden Gleichungen 379 a und b 380 
werden gewöhnlich als die HAMTLTON'sche Form der Be- 
wegungsgleichungen für ein freies System bezeichnet. 
Anmerkung 2. Aus den Gleichungen 379 folgen zwei reci- 381 
proke Beziehungen, welche analytisch dargestellt sind durch 
die Gleichungen: 
^Pa ^Pe 
und welche eine einfache physikalische Bedeutung besitzen. 
Beide Beziehungen enthalten Elemente der Erfahrung und 
zeichnen die natürliche Bewegung vor andern möglichen Be- 
wegungen aus, können also auch unter Umständen rückwärts 
zur Prüfung des Grundgesetzes verwertet werden. Eine dritte 
analoge, allein aus 379a abzuleitende Beziehung würde nur 
die Folge unserer Definitionen sein, also keine mechanische 
Bedeutung besitzen. 
184 ZweUes BuOu 
Es Terdient herrorgehoben zu werden, da(s die Gleichungen 
S78a und S81a Terscliiedene Aussagen darstellen nnd nicht 
etwa dieselben Aussagen in yerschiedener Form. 
Innerer Zwang der Systeme. 
S82 Lehrsatz. Ein System materieller Punkte, zwischen welchen 
keine Zusammenhänge bestehen, beharrt in seinem Zustand 
der Buhe oder der gleichförmigen Bewegung längs einer ge- 
raden Bahn. 
Denn ftir ein solches System ist die gerade Bahn zugleich 
die geradeste. 
883 Polgemng 1. Ein freier materieller Punkt beharrt in 
seinem Zustand der Buhe oder der gleichförmigen Bewegung 
in einer geraden Bahn (Galilei's Trägheitsgesetz oder New- 
ton's Lex prima). 
884 Folgerung 2. Die Beschleunigung eines Systems mate- 
rieller Punkte, zwischen welchen keine Zusammenhänge be- 
stehen, ist Null. Die Zusammenhänge zwischen den Punkten 
eines materiellen Systems können also als die Ursache auf- 
gefafst werden, aus welcher die Beschleunigung im allgemeinen 
Yon Null abweicht. 
885 Definition. Die Abänderung, welche die sämtUchen Zu- 
sammenhänge eines materiellen Systems an seiner Beschleu- 
nigung hervorrufen, heilst der Zwang, welchen die Zusammen- 
hänge dem System auferlegen; jene Abänderung wird auch 
kurz der innere Zwang oder noch kürzer der Zwang des Sy- 
stems genannt. 
Der Zwang wird gemessen durch den Unterschied zwischen 
der wirklichen Beschleunigung des Systems und der Beschleu- 
nigung derjenigen natürlichen Bewegung, welche bei Aufhebung 
sämtlicher Bedingungsgleichungen des Systems eintreten würde; 
er ist gleich der ersteren vermindert um die letztere. 
886 Folgerung 1. Der innere Zwang eines Systems ist wie 
die Beschleunigung eine Vektorgröfse in Bezug auf das System. 
Innerer Zwang, 185 
Folgerung 2. In einem freien System ist der innere 3S7 
Zwang gleich der Beschleunigung des Systems; er ist hier in 
der That nur eine andere Auffassung der Beschleunigung (3S2). 
Lehrsatz 1. Die Gröfse des Zwanges ist in jedem Augen- 388 
blick für die natürliche Bewegung eines freien Systems 
kleiner als für irgend eine andere mögliche Bewegung, welche 
in dem betrachteten Augenblick nach Lage und Geschwindig- 
keit mit jener zusammenfällt. 
Denn diese Behauptung ist nach 387 nur im Ausdruck ver- 
schieden von dem Lehrsatz 344. 
Folgerung. Ein jeder Zusammenhang, welcher den vor- 389 
handenen Zusammenhängen des Systems hinzugefügt wird, ver- 
gröfsert den Zwang des Systems. Die Auflösung irgend eines 
Zusammenhanges ändert die natürliche Bewegung in solcher 
Weise, dafs sich der Zwang verkleinert. 
Anmerkung 1. Der vorstehende Lehrsatz entspricht dem 390 
GAUSs'schen Prinzip des kleinsten Zwanges. Um sein Ver- 
hältnis zu diesem Prinzipe genau darzustellen, würden wir uns 
derselben Ausdrucksweise zu bedienen haben wie in 360. 
Anmerkung 2. Das GAUss'sche Prinzip und das Trag- 391 
heitsgesetz (383) zusammen können das Grundgesetz vollständig 
ersetzen, und zwar für alle Systeme. 
Denn sie sagen zusammen den Lehrsatz 344 aus. 
Lehrsatz 2. Die Richtung des Zwanges steht bei der 392 
natürlichen Bewegung eines freien Systems beständig senkrecht 
auf jeder möglichen oder virtuellen (111) Verrückung des Sy- 
stems aus seiner augenblicklichen Lage. 
Denn die Komponenten des Zwanges nach den Koordi- 
naten Pq sind nach 387 in einem freien System gleich /^, 
können also nach 372 geschrieben werden in der Form: 
■"—^"i^x^^x , 
m , 
sind also nach 250 senkrecht auf jeder möglichen Verrückung 
des Systems. 
186 ZweUes Buch, 
393 Symboliiclier Aiudmek. Bezeichnen die 8p^ die Ände- 
rungen der Koordinaten p^ for ii^end eine beliebige mögliche 
oder virtuelle Yerrüdning des Systems, so giebt die Gleichung: 
r 
1 
einen symbolischen Ansdmck des Yorigen Lehrsatzes. Denn 
die Gleichung ersetzt den Lehrsatz nach 249, und sie ist sym- 
bolisch, insofern sie als Symbol für unendlich viele Gleichungen 
steht. 
Wenden wir rechtwinklige Koordinaten an, und bezeichnet 
dx^ die Änderung von x^ für irgend eine mögliche oder vir- 
tuelle Yerrückung, so nimmt die Gleichung a) die Gestalt an: 
3n 
b) ^J 7»y Xp SXp = . 
1 
394 Anmerkung 1. Der vorstehende Lehrsatz 392 entspricht 
dem D'AiiEMBEBT'schen Prinzip; die Gleichungen 393a und 1> 
entsprechen der gewöhnlichen Darstellungsweise desselben. Um 
das Verhältnis zwischen diesem Prinzip und jenem Lehrsatz 
genau festzustellen, würden wir uns derselben Ausdrucksweise 
zu bedienen haben wie in 350. 
395 Anmerkung 2. Aus der Bedingung, dafs der Zwang senk- 
recht stehe auf jeder virtuellen Verrückung des Systems, folgen 
nach 250 die Bewegungsgleichungen des freien Systems in der 
Form 372. Das D'AiiEMBEBx'sche Prinzip kann also für sich 
allein das Grundgesetz vertreten und zwar für alle Systeme. 
Das von uns benutzte Grundgesetz hat vor jenem Prinzip die 
einfachere und durchsichtigere Bedeutung voraus. 
396 Polgerung 1. Li einem freien System steht die Beschleu- 
nigung beständig senkrecht auf jeder möglichen Verrückung 
des Systems aus seiner augenblicklichen Lage. 
397 Polgerung 2. Bei der Bewegung eines freien Systems 
steht die Beschleunigung beständig senkrecht auf der Richtung 
der wirklichen augenblicklichen Bewegung. 
Innerer Zwang. 187 
Folgerung 3. Bei der Bewegung eines freien Systems ist 39S 
die Komponente der Beschleunigung in jeder Eichtung einer 
möglichen Bewegung beständig gleich Null. 
Folgerung 4. Die Komponente der Beschleunigung eines 399 
freien Systems in der Richtung irgend einer freien Koordinate 
des Systems ist beständig gleich Null. 
Lehrsatz. Ein freies System bewegt sich in solcher Weise, 400 
dafs die Komponenten der Beschleunigung in Richtung einer 
jeden Koordinate der absoluten Lage beständig Null bleibt, 
welches auch immer der innere Zusammenhang zwischen den 
Punkten des Systems ist. 
Denn welches auch der Zusammenhang des Systems ist, 
jede Koordinate seiner absoluten Lage ist eine freie Koordi- 
nate (142). 
Folgerung. Wählen wir die Koordinaten eines freien Sy- 401 
stems übrigens beliebig, aber doch so, dafs sich unter ihnen 
sechs Koordinaten der absoluten Lage finden (19), so können 
wir auch ohne Kenntnis des Zusammenhanges des Systems, 
oder ohne vollständige Kenntnis desselben, doch stets sechs 
Differentialgleichungen der Bewegung des Systems angeben. 
Besondere Wahl der Koordinaten. Die folgende Wahl von 402 
Koordinaten der absoluten Lage ist für jedes System eine zu- 
lässige Wahl. 
Wir bezeichnen mit 
die arithmetischen Mittelwerte derjenigen rechtwinkligen Koordi- 
naten aller Massenteilchen, welche beziehlich mit x^^x^x^ pa- 
rallel sind. Die Gröfsen cc^ cc^ cc^ betrachten wir als recht- 
winklige Koordinaten eines Punktes von mittlerer Lage, welchen 
wir den Schwerpunkt des Systems nennen. Durch den Schwer- 
punkt legen wir drei Gerade parallel den drei Koordinatenaxen; 
durch diese drei Geraden und alle Massenteilchen legen wir 
Ebenen, und bezeichnen mit 
188 ZweiUa Bueh. 
die arithmetischen Mittelwerte der Winkel aller dnrch dieselbe 
Gerade gellten Ebenen mit einer beliebigen nnter ihnen. 
Die sechs Gröüsen a nnd & sind Ton einander unabhängig yer- 
änderliche Grölsen, deren Anderong notwendig eine Andemng 
in der Lage des Systems bedingt, und welche dnrch die Kon- 
figuration allein nicht bestimmt sind. Wir können also diese 
sechs Gröfsen zu Koordinaten der absoluten Lage machen (21), 
und wir machen sie zu Koordinaten der absoluten Lage, so- 
bald wir neben ihnen nur noch Konfigurationskoordinaten als 
weitere Koordinaten einfuhren. 
Erteilen wir den a und a beliebige Veränderungen, während 
wir die übrigen Koordinaten festhalten, so bewegt sich das 
System wie ein starrer Körper. Wir erhalten daher aus rein 
geometrischen Gründen für die Änderungen der rechtwinkligen 
Koordinaten, wenn wir den Lidex v von 1 bis n laufen 
lassen (13): 
dx^ = dai + (a^y-i— «2) ^^s — (^-2— «3) ^«2 
dXsy_i = dcc2 + {x^-2—cts) dcDi — (Xq, — Äi) ^«3 
dX^_2 = ^«3 + (^ —«1) ^^2 "" (^-l-~«2) ^^1 
Hieraus ergeben sich, wenn wir auch nun die x^ als Funk- 
tionen sämtlicher Koordinaten betrachten^ die Werte der par- 
tiellen Differentialquotienten der Xy nach den cc und (o; also 
zum Beispiel: 
, V dx^ dxsy dxQy 
dai da2 da^ 
403 Folgerung 1. Zufolge der Bemerkung, dafs die Be- 
schleunigungen des Systems nach den Koordinaten ui a2 «3 ver- 
schwinden müssen (400), gelten die drei Gleichungen: 
n n 
'^mvX^ = , ^myx^_^=^0 , 2*' ^^-2 = ^ 
Innerer Zwang. 189 
Denn nach 242 und 275 ist die Beschleunigung nach der 
Koordinate ux des Schwerpunktes gleich: 
^1^ dXy rriy .. 
also nach 402b gleich: 
n 
und entsprechende Ausdrücke gelten für die Beschleunigungen 
nach U2 und a^ . 
Anmerkung. Die drei Gleichungen 403, welche sich un- 404 
mittelbar zweimal integrieren lassen und dann aussagen, dafs 
der Schwerpunkt eines freien Systems sich in gleichförmiger, 
geradliniger Bewegung befindet, enthalten das sogenannte 
Prinzip des Schwerpunktes. 
Folgerung 2. Zufolge der Bemerkung, dafs die Be- 405 
schleunigungen des Systems nach den Koordinaten (o^m^faz 
verschwinden müssen (400), gelten die drei Gleichungen: 
n 
xT ^y (^y-2 ^y-i — ^y-i ^-2} — ^ j 
n 
XT '^^ v^ %y-2 ^v-2 ^v ) — ^ > 
1 
n 
1 
Denn nach 242 und 275 ist die Beschleunigung nach coi 
gleich: 
3n 2 
'^^ oXy niy ., 
>* 01^ 
also nach 402 e gleich: 
190 Zweites Buch. 
yT ~ |(^y-2'~«3) %'-! — (%y-l~"CJ2) ^y-21 > 
also durch Benutzung von 403 gleich: 
n 
m 
xT ~ v^v-2 ^3v-l ^y-1 ^8^-2) > 
1 »^ 
und entsprechende Werte gelten für die Beschleunigungen 
nach 0D2 und »3 . 
406 Anmerkung. Die drei Gleichungen 405 enthalten das so- 
genannte Prinzip der Flächen. Jene Gleichungen lassen sich 
nämlich unmittelbar einmal integrieren und ergeben dann die 
Differentialgleichungen erster Ordnung: 
n 
xT ^y y^-2 "^-1 ^y-i ^^-2} — consti , 
n 
xT ^v \^v ^v-2 — %j/-2 %y ) — const2 ; 
n 
^v rriv {x^v-i i^ —x^v 4y-i) = consts , 
1 
welche die folgende, den Namen rechtfertigende geometrische 
Deutung erlauben: 
Ziehen wir vom Ursprung der Koordinaten nach jedem 
Massenteilchen des Systems einen Eadius, so wächst die 
Summe der Projektionen der von diesen Eadien beschriebenen 
Flächen auf jede der drei Koordinatenebenen gleichförmig mit 
der Zeit. 
407 Anmerkung 1 zu 402 bis 406. Wir haben die Prinzipien 
des Schwerpunktes und der Flächen als besondere Fälle des 
allgemeinen Lehrsatzes 400 eingeführt. Wir hätten hierzu 
kein Becht gehabt, wenn man, wie es bisweilen geschieht, als 
den wesentlichen Inhalt jener Prinzipien den Vorteil ansehen 
wollte, dafs sie Integrale der Bewegungsgleichungen liefern. 
Diese Auffassung scheint uns aber schon deshalb unzulässig. 
Holonome Systeme. 191 
weil das Ergebnis des Flächensatzes doch nur in uneigent- 
lichem Sinne ein Integral genannt werden kann. Als wesent- 
lichen Inhalt jener Prinzipien betrachten wir vielmehr, wie uns 
scheint mit Recht, den Vorteil, dafs sie Behauptungen liefern, 
welche unabhängig von dem besonderen Zusammenhang des 
Systems allgemeingültig ausgesagt werden können. 
Anmerkung 2 zu 402 bis 406. Bei der Ableitung des Satzes 408 
vom Schwerpunkt und des Flächensatzes als besonderer Fälle 
des Satzes 400 haben wir nicht von allen Eigenschaften Ge- 
brauch gemacht, welche wir den cc und den (o durch die 
Definition beilegten. In der That hätten wir jene Sätze auch 
mit Benutzung anderer Koordinaten ableiten können, z. B. 
aller Koordinaten , welche mit den a und w gleiche Richtung 
haben, ohne doch identisch mit ihnen zu sein. Überhaupt 
würden wir bei beliebiger Wahl der Koordinaten nicht jedes-- 
mal 6 Gleichungen erhalten, welche einen neuen physikalischen 
Sinn ergäben oder von den Gleichungen 403 und 405 völlig 
unabhängig wären, sondern es würden stets diejenigen Glei- 
chungen sein, welche aus den Gleichungen 403 und 405 durch 
Transformation auf die gewählten Koordinaten entstehen. Aber 
für alle diese verschiedenen Formen giebt der Lehrsatz 400 
einen gemeinschaftlichen Ausdruck und den physikalischen Sinn. 
Holonome Systeme. 
Bemerkung. Ist für ein holonomes System die geradeste 409 
Entfernung (217) bekannt, so lassen sich die Gleichungen der 
geradesten Bahnen in endlicher Form darstellen (225). Diese 
Bahnen sind aber die natürlichen Bahnen des Systems, so- 
bald dasselbe frei ist, und alle Bewegungen, bei welchen sie 
mit gleichbleibender Geschwindigkeit durchlaufen werden, sind 
natürliche Bewegungen des Systems. Die Bewegungsglei- 
chungen eines freien holonomen Systems werden sich also in 
endlicher Form darstellen lassen. 
Aufgabe. Die Bewegungsgleichungen eines freien holo- 410 
nomen Systems mit Hülfe der geradesten Entfernung desselben 
darzustellen. 
192 Zweites Buch, 
(410) Es sei wie früher 8 die geradeste Entfernung des Sy- 
stems, gedacht als Funktion der freien Koordinaten p^^ und jo^ 
ihrer Anfangs- und Endlage. Es sei /b die Zeit, zu welcher 
das System die Anfangslage, ^i die Zeit, zu welcher es die 
Endlage durchläuft;. Es ist dann ^i — ^ die Dauer des Über- 
gangs, also 
S 
a) V = 
ti-to 
die konstante Geschwindigkeit des Systems in seiner Bain, 
also seine Energie: 
b) E-=^m 
S^ 
und seine Momente ^^ und ^^ zu den Zeiten ^ und ti: 
^ 1/ 
e) 
a 
Für die Gleichungen der geradesten Bahnen finden wir 
zwei Formen in den Gleichungen 224 a und 226 a. Multipli- 
zieren wir dieselben mit m8j{ti — /b) oder, was nach b) das- 
selbe ist, mit ]/2m^, so erhalten wir die folgenden vier Sätze 
von je r Gleichungen: 
__ 1 m dS^ 
_ 1 m dS^ 
dS 
qg^= y2mE 
♦ 
^Per 
IT) 
i'-'-^-^t ■ 
Holonome Systeme, 193 
Damit ist unsere Aufgabe gelöst und zwar in mehrfacher 
Weise. 
Denn betrachten wir ti als die variabele Zeit, und also 
die pg^ als die Koordinaten der mit dieser Zeit sich ver- 
ändernden Lage, so bestimmen uns die r Gleichungen e) diese 
r Koordinaten als endliche Funktionen von ti , und das Gleiche 
leisten uns die Gleichungen g), wenn wir zu diesen noch die 
Beziehung zwischen E und tij also die Gleichung b) hinzu- 
nehmen. Die 2r Gröfsen p^^ und y^ spielen dabei die Rolle der 
2r willkürlichen Konstanten. Bei der gleichen Betrachtungs- 
weise geben uns nebenbei auch die Gleichungen d), oder f) 
und h), die Bewegungsgleichungen des Systems, und zwar nun- 
mehr als Differentialgleichungen erster Ordnung, in welchen 
die r Gröfsen p^^ die Rolle der r willkürlichen Konstanten 
übernehmen. 
Oder betrachten wir, was nicht minder erlaubt, die Zeit 
td als die variabele Zeit, also die Lage als die variabele 
Lage, so geben uns die Gleichungen d), oder auch f) und b), 
die Bewegungsgleichungen in endlicher Form, mit der Zeit to 
als unabhängiger, den p^^ als abhängigen Variabelen und den 
p^ und q^ als 2r willkürlichen Konstanten. Zugleich geben 
uns dann nebenbei die Gleichungen e), oder auch g) und b), 
die Bewegungsgleichungen in der Gestalt von Differentialglei- 
chungen erster Ordnung, in welchen die pg^ die Rolle von r 
willkürlichen Konstanten spielen. 
Folgenmg 1. Setzen wir 411 
i2E^.S= V , a) 
und betrachten F als Funktion der pg^ , pg^ und von JE, so 
lassen sich die natürlichen Bewegungen des Systems darstellen 
in der Form: 
dF 
dF 
, . __ BF 
Hertz, Mechanik. 13 
194 Zweites Buch, 
Denn die Gleichungen b) und e) fallen zusammen mit den 
Gleichungen 410 f und ^, und die Gleichung d) folgt aus Glei- 
chung a) und 410 b. 
412 Anmerkung. Die so eingeführte Funktion F ist Hamtl- 
ton's charakteristische Funktion des Systems; sie ist bei Ha- 
milton mit dem gleichen Buchstaben bezeichnet. E^e solche 
Funktion besteht also nur für holonome Systeme. Ihrer 
mechanischen Bedeutung nach giebt die charakteristische 
Funktion den doppelten Wert des Zeitintegrals der Energie 
an, welcher eintritt, wenn das System mit gegebener Energie 
aus gegebener Anfangs- in gegebene Endlage übergeht, ge- 
dacht als Funktion jener Energie und der Koordinaten der 
Anfangs- und der Endlage. 
Denn es ist nach Gleichung 411a und 410 b: 
dem Werte nach, der Form nach allerdings nur dann, wenn 
wir in der rechten Seite die Dauer des Übergangs t^—t^ als 
Funktion von E und den p^^ und j9^ dargestellt denken. 
413 Lehrsatz. Die charakteristische Funktion V eines freien 
holonomen Systems genügt den beiden partiellen Differential- 
gleichungen erster Ordnung: 
Denn dieselben werden erhalten durch Multiplikation der 
Gleichungen 227 für die geradeste Entfernung mit 2m E und 
Beachtung der Gleichung 411a. 
414 Folgerung 2. Setzen wir 
Holonome Systeme, 195 
und betrachten P als Funktion der Pg^jPg^ und von t^ und ^, 
so stellen die Gleichungen: 
dP 
?.o=-^ e) 
die natürlichen Bewegungen des Systems dar. Die Energie B 
des Systems kann aus P unmittelbar abgeleitet werden mit 
Hülfe der Gleichungen: 
rr öP dP 
^="ä^ = ä^ • *> 
Denn die Gleichungen b) und c) fallen zusammen mit 
den Gleichungen 410 d und e, und die Gleichungen d) folgen 
aus Gleichung a) und 410 b. 
Anmerkung. Die jetzt eingeführte Funktion P ist die 41& 
HAMiLTON'sche Prinzipalfunktion des Systems; sie ist bei Ha- 
milton selbst mit S bezeichnet. Nur für holonome Systeme be- 
steht eine solche Funktion. Ihrer mechanischen Bedeutung nach 
giebt die Prinzipalfiinktion den Wert des Zeitintegrals der 
Energie an, welcher eintritt, wenn das System in gegebener 
Zeit aus gegebener Anfangs- in gegebene Endlage übergeht, 
gedacht als Funktion jener Zeit und der Anfangs- und End- 
werte der Koordinaten. 
Denn es ist nach Gleichungen 414 a und 410 b: 
dem Werte nach, der Form nach allerdings nur dann, wenn 
wir uns in der rechten Seite JE als Funktion der Pq^^Pq^ und 
der t^ und t^ dargestellt denken. 
Lehrsatz. Die Prinzipalfunktion eines freien holonomen 416 
Systems genügt den beiden partiellen DiflFerentialgleichungen 
erster Ordnung: 
13* 
196 Zweites Buch. 
r r 
L2'2'^i 
dP dP dP 
Denn dieselben werden erhalten, indem man die Glei- 
chungen 227 multipliziert mit (410 b) 
2 
und die Beziehungen 414 a und d beachtet. 
417 Anmerkung zu 411 bis 416. Ebenso wie wir in 232 bis 
236 von den Differentialgleichungen 227 ausgehend Funktionen 
betrachten konnten, welche der geradesten Entfernung ver- 
wandt waren und sie in analytischer Hinsicht vollkommen er- 
setzten, ohne doch eine gleich einfache geometrische Bedeutung 
wie sie zu haben, ebenso können wir von den Differential- 
gleichungen 413 und 416 ausgehend zu Funktionen gelangen, 
welche der charakteristischen Funktion und der Prinzipal- 
funktion verwandt sind und in analytischer Hinsicht gleiche 
Dienste leisten oder selbst Vorteile bieten, deren Bedeutung 
in physikalischer Hinsicht aber durch die mathematische Ver- 
wickelung mehr und mehr verdunkelt erscheint. Solche Funk- 
tionen würde man passend als jACOBi'sche Prinzipalfimktionen 
und charakteristische Funktionen bezeichnen. 
Es erhellt übrigens, dafs auch schon in der charakte- 
ristischen Funktion und in der Prinzipalfunktion nur der ein- 
fache Sinn der geradesten Entfernung und auch dieser in 
leichter Verschleierung auftritt, so dafs die Einführung jener 
Funktionen neben einander und neben der geradesten Ent- 
fernung nur eine geringe Bedeutung haben würde, wenn es 
sich stets, wie hier, um die Betrachtung vollständig bekannter 
freier Systeme handelte. 
Dynamische ModeUe. 197 
Dynamische Modelle. 
Definition. Ein materielles System heifst dynamisches 418 
Modell eines zweiten Systems, wenn sich die Zusammenhänge 
des ersteren durch solche Koordinaten darstellen lassen, dafs 
den Bedingungen genügt ist: 
1. dafs die Zahl der Koordinaten des ersten Systems 
gleich der Zahl der Koordinaten des andern Systems ist, 
2. dafs nach passender Zuordnung der Koordinaten f)ir 
beide Systeme die gleichen Bedingungsgleichungen bestehen, 
3. dafs der Ausdruck fiir die Gröfse einer Verrückung in 
beiden Systemen bei jener Zuordnung der Koordinaten über- 
einstimme. 
Je zwei einander zugeordnete Koordinaten beider Systeme 
heifsen auch korrespondierende. Korrespondierende Lagen, 
Verrückungen, u.s.w. heifsen solche Lagen, Verrückungen, u. s.w. 
beider Systeme, welchen gleiche Werte der korrespondierenden 
Koordinaten und ihrer Änderungen zugehören. 
Folgerung 1. Ist ein System Modell eines zweiten Sy- 419 
stems, so ist auch umgekehrt das zweite System Modell des 
ersten. Sind zwei Systeme Modelle eines dritten, so sind sie 
auch Modelle von einander. Das Modell des Modells eines 
Systems ist auch Modell des ursprünglichen Systems. 
Alle Systeme, welche Modelle von einander sind, heifsen 
auch dynamisch ähnlich. 
Folgerung 2. Die Eigenschaft eines Systems, Modell 420 
eines andern zu sein, ist unabhängig von der Wahl der 
Koordinaten des einen oder des andern Systems, obwohl sie 
erst bei besonderer Wahl der Koordinaten unmittelbar her- 
vortritt. 
Folgerung 3. Ein System ist noch nicht vollständig be- 421 
stimmt dadurch, dafs es Modell eines gegebenen Systems ist. 
Unendlich viele, physikalisch gänzlich verschiedene Systeme 
können Modelle eines und desselben Systems sein. Ein System 
ist Modell unendlich vieler, gänzlich verschiedener Systeme. 
Denn die Koordinaten der Massen der beiden Systeme, 
welche Modelle von einander sind, können der Zahl nach 
198 Zweites Bach. 
gänzlich verschieden und gänzlich verschiedene Funktionen der 
korrespondierenden Koordinaten sein. 
422 Folgenmg 4. Modelle holonomer Systeme sind wieder 
holonome Systeme. Modelle nicht holonomer Systeme sind 
wieder nicht holonome Systeme. 
423 Anmerkung. Damit ein holonomes System Modell eines 
andern sei, genügt es, dafs sich solche freie Koordinaten beider 
angeben lassen, in welchen der Ausdruck fiir die Gröfse der 
Verriickung beider Systeme der gleiche wird. 
424 Lehrsatz. Haben zwei Modelle von einander korrespon- 
dierende Zustände zu einer bestimmten Zeit, so haben sie 
korrespondierende Zustände zu allen Zeiten. 
Denn durch die Bedingungsgleichungen eines Systems, 
den Ausdruck für die Gröfse der Verrückung- (164) und durch 
die Anfangswerte der Koordinaten und ihrer Veränderung (332) 
ist der Verlauf dieser Koordinaten für alle Zeiten bestimmt, 
welche Funktion dieser Koordinaten auch immer die Lage 
der Massen des Systems ist. 
425 Folgening 1. um den Ablauf der natürlichen Bewegung 
eines materiellen Systems vorauszusehen, genügt die Kenntnis 
eines Modells jenes Systems. Das Modell kann unter Um- 
ständen viel einfacher sein, als das System, dessen Bewegungen 
es darstellt. 
426 Folgerung 2. Sind von einer Anzahl materieller Systeme, 
welche Modelle von einander sind, dieselben Gröfsen korre- 
spondierende Koordinaten, und sind nur diese korrespondierenden 
Koordinaten der Beobachtung zugänglich, so sind alle diese 
Systeme in Hinsicht der beschränkten Beobachtung nicht von 
einander verschieden, sondern erscheinen als gleiche Systeme, 
wie verschieden auch in Wahrheit in ihnen Zahl und Zu- 
sammenhang der materiellen Punkte sein möge. 
Es ist daher auch unmöglich, allein aus der Beobachtung 
der natürlichen Bewegungen eines freien materiellen Systems, 
d. h. ohne direkte Bestimmung seiner Massen (300), den Zu- 
sammenhang des Systems weiter zu erkennen, als soweit, dafs 
man ein Modell des Systems angeben könne. 
Bewegung wnfreier Systeme, 199 
Anmerkung 1. Lassen wir allgemein und ohne Ein- 427 
schränkung zu, dafs auTser den unmittelbar, d. h. den mit der 
Wage bestimmbaren Massen noch andere, hypothetische Massen 
(301) in den Systemen der Natur sich finden können, so ist 
es überhaupt unmöglich, in der Erkenntnis des Zusammen- 
hanges natürlicher Systeme weiter zu gelangen, als soweit, 
dafs man Modelle der wirklichen Systeme angeben könne. 
Wir können dann in der That keine Kenntnis haben, ob die 
Systeme, welche wir in der Mechanik betrachten, mit den 
wirklichen Systemen der Natur, welche wir zu betrachten 
meinen, in irgend etwas anderem übereinstimmen, als allein 
darin, dafs die einen Modelle der anderen sind. 
Anmerkung 2. Das Verhältnis eines dynamischen Modells 428 
zu dem System, als dessen Modell es betrachtet wird, ist das- 
selbe, wie das Verhältnis der Bilder, welche sich unser Geist 
von den Dingen bildet, zu diesen Dingen. Betrachten wir 
nämlich den Zustand des Modells als eine Abbildung des Zu- 
standes des Systems, so sind die Folgen der Abbildung, welche 
nach den Gesetzen dieser Abbildung eintreten müssen, zu- 
gleich die Abbildung der Folgen, welche sich an dem ursprüng- 
lichen Gegenstand nach den Gesetzen dieses ursprünglichen 
Gegenstandes entwickeln müssen. Die Übereinstimmung zwischen 
Geist und Natur läfst sich also vergleichen mit der Überein- 
stimmung zwischen zwei Systemen, welche Modelle von ein- 
ander sind, und wir können uns sogar Rechenschaft ablegen 
von jener Übereinstimmung, wenn wir annehmen wollen, dafs 
der Geist die Fähigkeit habe, wirkliche dynamische Modelle 
der Dinge zu bilden und mit ihnen zu arbeiten. 
Abschnitt 4. Bewegung der unfreien Systeme. 
Vorbemerkung 1. Nach unserer Auffassung ist jedes un- 429 
freie System Teil eines gröfseren freien Systems; unfreie 
Systeme, für welche diese Annahme nicht zuträfe, kennen wir 
nicht. Soll aber jenes Verhältnis besonders hervorgehoben 
200 Zweites Buch. 
werden, so bezeiclmen wir das unfreie System als Teilsystem, 
das freie System aber, von welchem es ein Teil ist, als das 
vollständige System. 
430 Vorbemerkung 2. Indem wir einen Teil eines freien 
Systems als unfreies System behandeln, setzen wir voraus, dafs 
das übrige System uns mehr oder weniger unbekannt ist, so 
dafs die unmittelbare Anwendung des Grundgesetzes unmög- 
lich wird. Dieser Mangel unserer Kenntnis mufs in irgend 
einer Weise durch besondere Angaben ausgeglichen sein. 
Solche Angaben können in verschiedener Weise gemacht wer- 
den. Ohne die Möglichkeiten erschöpfen zu wollen, ziehen 
wir nur zwei Formen flir jene Angaben in Betracht, welche 
in der bisherigen Entwickelung der Mechanik besondere Be- 
deutung gewonnen haben. 
Die erste Form ist diejenige, bei welcher wir die Be- 
wegung des unfreien Systems als eine geleitete bezeichnen; die 
zweite ist diejenige, bei welcher wir sagen, die Bewegung des 
unfreien Systems sei durch Kräfte beeinflufst. 
I. Geleitetes unfreies System. 
431 Definition. Geleitete Bewegung eines unfreien Systems 
heifst jede Bewegung, welche das System ausfuhrt während 
die übrigen Massen des vollständigen Systems eine ganz be- 
stimmte, vorgeschriebene Bewegung ausführen. Ein System, 
welches geleitete Bewegungen ausfuhrt, nennen wir ein ge- 
leitetes System. 
4:32 Zusatz 1. Mögliche Bewegung eines geleiteten Systems 
heifst jede Bewegung desselben, welche dem Zusammenhange 
des vollständigen Systems und der bestimmten Bewegung 
der übrigen Massen desselben nicht widerspricht. 
433 Zusatz 2. Natürliche Bewegung eines geleiteten Systems 
heifst jede Bewegung desselben, welche mit der bestimmten 
Bewegung der übrigen Massen zusammen eine natürliche 
Bewegung des vollständigen Systems bildet. 
Geleitetes System. 201 
Aufgabe. Die möglichen Bewegungen eines geleiteten 434 
Systems analytisch darzustellen. 
Seien die r Gröfsen pg allgemeine Koordinaten des be- 
trachteten Teilsystems, die r Gröfsen ^^ irgendwelche Ko- 
ordinaten der übrigen Massen des vollständigen Systems. Die 
r + x Gröfsen p^ und p^ sind alsdann allgemeine Koordinaten des 
vollständigen Systems, und die Zusammenhänge dieses sind dar- 
gestellt durch eine Anzahl, etwa ä, Gleichungen von der Form: 
r r 
^6PxgpQ + ^ep^g:p^=^0 , a) 
worin die p^^ und auch die p^ Funktionen sowohl der p^ als 
auch der p^ sein können. Sind nun die Bewegungen der 
Massen, deren Koordinaten die pQ sind, bestimmt, so sind die 
pQ gegebene Funktionen der Zeit. Zum Teil sind die Glei- 
chungen a) durch diese Funktionen identisch erfüllt, zum Teil 
nehmen sie durch Einsetzen derselben die Form der k Glei- 
chungen an: 
oder auch: 
1 
welche die Bedingungsgleichungen des geleiteten Systems 
heifsen, und in welchen die/?«^ und p^t jetzt allein Funktionen 
der Pq und der Zeit t sind. Alle möglichen Bewegungen des 
geleiteten Systems genügen diesen Gleichungen, und alle Be- 
wegungen, welche ihnen genügen, sind mögliche Bewegungen. 
Anmerkung 1. Ist das geleitete System ein holonomes 435 
System, so lassen sich die Differentialgleichungen b) und c) für 
dasselbe ersetzen durch ebensoviel endliche Gleichungen zwischen 
den r Koordinaten des Systems und der Zeit t Die möglichen 
Lagen eines geleiteten holonomen Systems lassen sich dar- 
stellen durch Koordinaten, welche keinen anderen Bedingungen 
202 Zfweiies Buch. 
unterworfen sind, als dieser, dafs eine Anzahl nnter ihnen ge- 
gebene Funktionen der Zeit sind. 
486 Anmerknng 2. Die Bedingungsgleichnngen eines geleiteten 
Systems enthalten also im allgemeinen die Zeit, und das 
geleitete System würde für sich betrachtet der Forderung 
der Gesetzmäfsigkeit (119) widersprechen. Umgekehrt be- 
trachten wir nun auch jedes System, dessen Bedingungsglei- 
chungen nach der gewöhnUchen Bedeweise der Mechanik die 
Zeit explicite enthalten, und welches also in. unserer Bede- 
weise anscheinend ungesetzmäfsig ist, als ein geleitetes System, 
als ein System also, welches zusammen mit anderen unbe- 
kannten Massen den Bedingungen der Gesetzmälsigkeit ge- 
nügt. Ist diese Annahme zulässig, so macht erst sie das 
Problem zu einem bestimmten mechanischen Problem (325). 
Ist diese Annahme aber bei einer besonderen Form der Be- 
dingungsgleichungen etwa unzulässig, so enthalten diese Be- 
dingungsgleichungen bereits einen Widerspruch gegen das 
Grundgesetz oder seine Voraussetzungen, und alle in Bezug 
auf das System gestellten Fragen wären keine mechanischen 
Probleme (326). 
437 Anmerkung 3. Auf ein geleitetes System ist das Grund- 
gesetz nicht unmittelbar anwendbar. Denn der Begriff der 
geradesten Bahnen ist nur definiert for gesetzmäfsige Zu- 
sammenhänge (120); die inneren Zusammenhänge des geleiteten 
Systems aber sind ungesetzmäfsige. Es müssen daher ander- 
weitige Merkmale aufgesucht werden, durch welche die natür- 
lichen Bewegungen eines geleiteten Systems sich von der 
gröfseren Mannigfaltigkeit der möglichen Bewegungen unter- 
scheiden. 
43S Lehrsatz 1. Wie ein freies System, so bewegt sich auch 
ein geleitetes System in solcher Weise, dafs die Gröfse der 
Beschleunigung beständig kleiner ist für die wirkliche Be- 
wegung, als für irgend eine andere Bewegung, welche den Be- 
dingungsgleichungen des Systems genügt, und welche in dem 
I betrachteten Augenblick nach Lage und Geschwindigkeit mit 
I der wirklichen zusammenfällt. 
I Denn das Quadrat der Gröfse der Beschleunigung des 
Odeitäes System. 203 
vollständigen Systems ist gleich der Summe der entsprechen- 
den Gröfsen flir das Teilsystem und für das übrige System, 
diese Gröfsen multipliziert mit den Massen ihrer Systeme und 
dividiert durch die Masse des Gesamtsystems. Diese Summe 
soll nach 344 ein Minimum sein; der zweite Summand wird 
als bereits bestimmte und solche Funktion der Zeit voraus- 
gesetzt, für welche das Minimum der Summe eintritt (486); 
dieses Minimum wird also dann und nur dann erzielt, wenn 
der erste Summand zu einem Minimum gemacht wird. 
Lehrsatz 2. Wie ein freies, so bewegt sich auch ein ge- 439 
leitetes holonomes System in solcher Weise, dafs das Zeitintegral 
der Energie beim Übergang zwischen hinreichend benachbarten 
Lagen kleiner wird für die wirkliche Bewegung, als flir irgend 
eine andere Bewegung, welche den Bedingungsgleichungen ge- 
nügt, und welche das System in der gleichen Zeit aus der 
gegebenen Anfangs- in die Endlage überfuhrt. 
Denn das Zeitintegral der Energie des vollständigen 
Systems ist gleich der Summe der entsprechenden Gröfsen für 
das Teilsystem und für das übrige System. Diese Summe 
soll nach 358 ein Minimum sein; der zweite Summand wird 
als bereits bestimmt und als solcher vorausgesetzt, für welchen 
das Minimum der Summe eintritt; dieses Minimum wird also 
dann und nur dann erzielt, wenn der erste Summand zu 
einem Minimum gemacht wird. 
Anmerkung 1. Die vorstehenden beiden Lehrsätze (438, 440 
439) enthalten offenbar die Anpassung der Sätze 344 und 358 
an die besonderen Voraussetzungen dieses Abschnittes. In 
der gewöhnlichen Ausdrucksweise der Mechanik können wir 
ihren Inhalt in die Form der Aussage kleiden: Der Satz von 
der kleinsten Beschleunigung und das HAMiLTON'sche Prinzip 
behalten ihre Gültigkeit, auch wenn die Bedingungsgleichungen 
eines Systems die Zeit explicite enthalten. 
Anmerkung 2. Die Sätze von der Energie, vom kürzesten 441 
Wege, von der kürzesten Zeit (340, 347, 352) lassen sich nicht 
in gleich unmittelbarer Weise den Voraussetzimgen der ge- 
leiteten Systeme anpassen. In der gewöhnlichen Ausdrucks- 
weise der Mechanik nimmt diese Aussage die Form an: Das 
204 Zweites Buch. 
Prinzip der Energie und das Prinzip der kleinsten Wirkung 
verlieren ihre Gültigkeit, wenn die Bedingungsgleichungen 
eines Systems die Zeit explicite enthalten. 
44:2 Ani^abe. Die Differentialgleichungen der Bewegung eines 
geleiteten Systems anzugeben. 
Es seien wieder m die Masse, die p^ die Koordinaten und 
die fg die Beschleunigungen nach den Pq für das geleitete 
System. Es seien femer m die Masse und die p^ irgend 
welche Koordinaten der übrigen materiellen Punkte des voll- 
ständigen Systems. Die /^^ und p^ können auch als Koordi- 
naten des vollständigen Systems gelten; es mögen bei dieser 
Auffassung die Komponenten der Beschleunigung des voll- 
ständigen Systems nach diesen Koordinaten mit fl und f^ be- 
zeichnet werden. Dann ist die Bewegung des vollständigen 
Systems eindeutig bestimmt durch seine h Bedingungsglei- 
chungen von der Form 494 a und durch r + x Bewegungsglei- 
chungen von der Form (872): 
h 
1 
h 
^) {m + m)f^ + ^- pxgPx = . 
1 
Nun haben wir nach der Voraussetzung uns die pg be- 
reits bestimmt zu denken als solche Funktionen der Zeit, 
durch welche die Gleichungen b) identisch erfüllt werden, und 
durch deren Einsetzen die h Bedingungsgleichungen des voll- 
ständigen Systems übergehen in die A Bedingungsgleichungen 
(434 b) des geleiteten Systems. Ferner haben wir nach 255: 
c) {m + m)fg = mfg . 
Hiemach erhalten wir als zu berücksichtigende Gleichungen 
die r Bewegungsgleichungen: 
k 
d) nifg + ^'<PxQPx=0 
Geleitetes System. 205 
und die k Bedingungsgleichungen: 
r 
^6 PxQpQ + Pnt == , e) 
1 
welche r + k Gleichungen nun eine Beziehung auf die unbe- 
kannten Massen des YoUständigen Systems nicht mehr ent- 
halten, welche zur eindeutigen Bestimmung der r + k Gröfsen 
pQ und P« ausreichen, und welche daher die Lösung der ge- 
stellten Aufgabe bilden. 
Folgerung 1. Die Differentialgleichungen der Bewegung 443 
eines geleiteten Systems haben dieselbe Form wie diejenigen 
eines freien Systems. 
In der gewöhnlichen Ausdrucksweise der Mechanik wür- 
den wir sagen, die Gültigkeit jener Form hänge nicht davon 
ab, ob die Bedingimgsgleichungen des Systems die Zeit expli- 
cite enthalten oder nicht. Die Bewegungsgleichungen eines 
geleiteten Systems werden daher auch genau dieselben Um- 
formungen zulassen, wie diejenigen eines freien Systems 
(868 ff.); diejenigen Formen allerdings, welche alle Koordinaten 
als freie voraussetzen, werden ihre Anwendbarkeit verlieren. 
Folgerung 2. Eine natürliche Bewegung eines geleiteten 444 
Systems ist eindeutig bestimmt durch Angabe der Lage und 
Geschwindigkeit des Systems zu einer bestimmten Zeit 
(vergl. 331). 
Bemerkung. Wie in einem freien, so ist in einem ge- 445 
leiteten System der Zwang des Systems gleich seiner Be- 
schleunigung. 
Denn wenn die sämtlichen Bedingungsgleichungen eines 
geleiteten Systems aufgelöst werden, so werden die materiellen 
Punkte des Systems freie Punkte und die Beschleunigung der 
natürlichen Bewegung des Systems gleich Null (385). 
Lehrsatz 1. Wie in einem freien, so ist in einem ge- 446 
leiteten System die Gröfse des Zwanges in jedem Augenblick 
kleiner für die natürliche Bewegung, als für irgend eine andere 
206 Zweites Buch. 
mögliche Bewegung , welche in dem betrachteten Augenblick 
nach Lage und Geschwindigkeit mit jener zusammenfällt. 
Der Satz folgt aus 445 und 438. 
447 Lehrsatz 2. Wie bei der natürlichen Bewegung eines 
freien Systems, so steht auch bei der natürlichen Bewegung 
eines geleiteten Systems die Bichtung des Zwanges beständig 
senkrecht auf jeder möglichen oder virtuellen Verrückung des 
Systems aus seiner augenblicklichen Lage. 
Der Satz folgt aus 445 und 442 wie in 392. 
448 Anmerkung. Die vorstehenden beiden Sätze 446 und 447 
enthalten die Anpassung der Sätze 388 und 392 an die be- 
sonderen Verhältnisse der geleiteten Systeme. In der gewöhn- 
lichen Ausdrucksweise der Mechanik würden wir ihren Inhalt 
in der Fassung wiedergeben: Das GAuss'sche Prinzip des 
kleinsten Zwanges und das D'ALEMBEBx'sche Prinzip behalten 
ihre Gültigkeit, auch wenn die Bedingungsgleichungen eines 
Systems die Zeit explicite enthalten. 
449 Bemerkung. Wenn die Koordinaten pQ des vollständigen 
Systems, welche in den Gleichungen 434 a mit den p^ in den- 
selben Gleichungen auftreten, nicht Funktionen der Zeit, son- 
dern konstant in derselben sind, so nehmen die Bedingungs- 
gleichungen des geleiteten Systems die Form an: 
r 
1 
worin die p^^ die Zeit nicht enthalten. Das geleitete System 
erscheint in diesem Falle als ein gesetzmäfsiges, aber es hört 
nicht notwendig auf, ein unfreies zu sein, da die p^ Funk- 
tionen des absoluten Ortes sein können, während sie in den 
Bedingungsgleichungen eines freien Systems von der absoluten 
Lage unabhängig sind. 
In solchen unfreien, aber gesetzmäfsigen Systemen behält 
der Begriff der geradesten Bahn seine Anwendbarkeit. Auch 
das Grundgesetz ist daher auf solche Systeme unmittelbar an- 
wendbar, und es gelten daher fllr ein solches System auch alle 
Lehrsätze, welche für die Bewegung eines freien Systems auf- 
System durch Kräfte beeinflufst. 207 
gestellt wurden 7 mit alleiniger Ausnahme derjenigen, welche 
sich auf die absolute Lage beziehen, also allein mit Ausnahme 
des Lehrsatzes 400 und seiner Folgerungen. 
IL Systeme durch Kräfte beeinflufst. 
Definition. Zwei materielle Systeme heifsen direkt ge- 450 
koppelt, wenn eine oder mehrere Koordinaten des einen einer 
oder mehreren Koordinaten des anderen dauernd gleich sind. 
Gekoppelt schlechthin heifsen zwei Systeme, wenn ihre Koordi- 
naten so gewählt werden können, dafs die Systeme in das Ver- 
hältnis der direkten Koppelung treten. Gekoppelte Systeme, 
welche nicht direkt gekoppelt sind, heifsen indirekt gekoppelt. 
Folgerung 1. Die Koppelung zweier Systeme ist eine Be- 451 
Ziehung zwischen beiden, welche unabhängig von unserer Will- 
kür, insbesondere unabhängig von der Wahl der Koordinaten 
besteht. Ob aber eine bestehende Koppelung eine direkte 
oder eine indirekte sei, hängt ab von der Wahl der Koordi- 
naten, ist also eine Frage unserer willkürlichen Auffassung. 
Folgerung 2. Jede bestehende Koppelung zwischen zwei 452 
Systemen kann durch geeignete Wahl der Koordinaten zu 
einer direkten gemacht werden. Wenn nicht ausdrücklich das 
Gegenteil bemerkt ist, so setzen wir im folgenden voraus, dafs 
dies geschehen sei. Die beständig gleichen Koordinaten der 
gekoppelten Systeme bezeichnen wir dann auch als ihre ge- 
meinsamen Koordinaten. 
Folgerung 3. Jedes von zwei gekoppelten Systemen ist 453 
durch die Koppelung notwendig ein unfreies System, beide 
bilden aber zusammen oder zusammen mit weiteren Systemen, 
mit welchen sie gekoppelt sind, ein freies System. Wenn 
nicht ausdrücklich das Gegenteil bemerkt ist, so wird im fol- 
genden angenommen, dafs eine Koppelung mit mehreren Sy- 
stemen nicht stattfindet, so dafs die beiden gekoppelten Systeme 
zusammen bereits ein freies bilden. 
Analytische Darstellung. Sind die p^ die Koordinaten des 454 
einen, die p^ die Koordinaten des andern Systems, so wird 
208 Zwmtes Buch. 
eine Koppelung zwischen beiden Systemen dadurch hergestellt, 
dafs für ein oder mehrere Wertpaare von q und a p^ gleich 
pa gemacht "wird. Wir können aber offenbar ohne Beschrän- 
kung der Allgemeinheit die Indices so verteilen, dafs überein- 
stimmende Koordinaten in beiden Systemen denselben Index 
erhalten. Die Systeme sind dann gekoppelt, wenn fiir einen 
oder mehrere Werte von q dauernd 
») p^ -f^ = 
wird, von welcher Gleichung die Gleichungen 
e) dp^ — dpg==0 
notwendige Folgen sind. 
455 Definition. Unter einer Kraft verstehen wir den selb- 
ständig vorgestellten Einflufs, welchen das eine von zwei ge- 
koppelten Systemen zufolge des Grundgesetzes auf die Be- 
wegung des anderen ausübt. 
456 Folgenmg. Zu jeder Kraft giebt es stets notwendig eine 
Gegenkraft. 
Denn die Vorstellung des Einflusses, welchen das in der 
Definition als das zweite bezeichnete System auf das erste 
ausübt, ist nach der Definition selbst wieder eine Kraft. Kraft 
und Gegenkraft sind gleichberechtigt in dem Siime, dafs nach 
Willkür jede von ihnen als die Kraft oder auch als die Gegen- 
kraft aufgefafst werden kann. 
457 Aufgabe. Einen Ausdruck für den Einflufs anzugeben, 
welchen das eine von zwei gekoppelten Systemen auf die Be- 
wegung des anderen ausübt. 
Es seien m die Masse und die r Gröfsen p^ die Koordi- 
naten des ersten Systems; es seien die k Gleichungen 
r 
System durch Kräfte beeinflufst 209 
wieder die Bedingungsgleichungen desselben. Es seien m die (457) 
Masse und die r Gröfsen p^ die Koordinaten des zweiten Sy- 
stems; es seien die ! Gleichungen 
1 
die Bedingungsgleichungen desselben. Es mögen ferner zwischen 
beiden, für einen oder mehrere, nämlich A Werte von p, Koppe- 
lungsgleichungen von der Form 
^q-Pq = ^ c) 
bestehen. Wir betrachten nun die Bewegung des ersten 
Systems unter dem Einflüsse des zweiten, und behandeln 
es dabei als geleitetes System. Soweit die p^ in den Glei- 
chungen c) nicht vorkommen, sind die Beschleunigungen nach 
ihnen gegeben durch die Gleichungen (442): 
k 
mfg + ^»<PxQ Px = ; d) 
1 
für diejenigen p^ aber, welche in e) vorkommen, haben wir 
auch diese Gleichungen zu berücksichtigen und also den 
Faktor von p^ in denselben, nämlich — 1, zu multiplizieren 
mit einem unbestimmten Faktor, welcher Pq heifsen möge, und 
das Produkt der linken Seite hinzuzufügen; für diese Pq wird 
also: 
mfg + ^^p^gP^-Fg = . e) 
Das Eintreten der h Gröfsen Pq in die Bewegungsgleichungen 
vermehrt die Zahl der Unbekannten in denselben um k, und 
zur Bestimmung dieser h Gröfsen ist auch diö Zahl der Be- 
dingungsgleichungen um die h Gleichungen e) vermehrt, in 
welchen wir uns die pg als Funktionen der Zeit explicite ge- 
geben denken müssen. Nehmen wir aber an, die Gröfsen P^ 
Hertz, Mechanik. 14 
210 Zweiies Buch. 
rechnen nicht zu den Unbekannten , sondern seien uns als 
Funktionen der Zeit unmittelbar gegeben, alsdann sind die 
h Gleichungen e) und jede Kenntnis der f^^ und des zweiten 
Systems überhaupt entbehrlich, und die k+r Gleichungen 
a) d) e) genügen wiederum zur eindeutigen Bestimmung der 
A+r unbekannten P^ und p^. Die h Multiplikatoren P^ 
stellen also den Einflufs des zweiten Systems auf das erste 
Yollständig dar, und ihre Gesamtheit kann als ein analytischer 
Ausdruck für diesen Eünflufs angesehen werden, wie ihn die 
Aufgabe verlangt. 
468 Zusatz 1. Wollen wir in symmetrischer Weise den Ein- 
flufs des ersten Systems auf das zweite darstellen, so haben 
wir die Koppelungsgleichungen zu schreiben in der Form: 
a) ^9 - ^^ = » 
und es werden nun für diejenigen )fg , welche sich in a) nicht 
finden, die Bewegungsgleichungen: 
1 
während sie für die übrigen p^ die Form annehmen: 
i 
1 
unter den 5p^ die unbestimmten Multiplikatoren der Glei- 
chungen a) verstanden. Die Gesamtheit der $^ giebt uns 
einen Ausdruck für den Einflufs, welchen das erste System in 
jedem Augenblick auf die Bewegung des zweiten ausübt. 
459 Zusatz 2. Offenbar können wir alle Bewegungsgleichungen 
des ersten Systems in der Form: 
a) mf^ + ^^pytQPx- Pq^^ 
System durch Kräfte beeinflufst, 211 
und alle Bewegungsgleichungen des zweiten Systems in der 
Form: 
^f9 + 2^^^^"-^9 = ^> 
schreiben, wenn wir in zulässiger, wenn auch willkürlicher 
Weise festsetzen, dafs für alle nicht gekoppelten Koordinaten 
die Gröfsen P^ und ^^ den Wert Null haben sollen. Aller- 
dings verliert die Gesamtheit der P^ und ^ß^ dabei ihre Be- 
deutung* als System der Multiplikatoren der Gleichungen 457 c 
und 458 a, aber sie behält ihre Bedeutung als Ausdruck des 
Einflusses, welchen das eine System auf das andere ausübt. 
Analytische Darstellung der Eraft« Wir können und 460 
wollen daher im Einklang mit der Definition 455 festsetzen, 
dafs die Gesamtheit der für alle p^ nach 469 eindeutig be- 
stimmten Gröfsen Pg den analytischen Ausdruck für die Erafb 
bilden solle, welche das System der ^)^ auf das System der 
Pg ausübt. Entsprechend bildet dann die Gesamtheit der 
Gröfsen ^ß^ den analytischen Ausdruck für die Kraffc, welche 
das System der p^ auf das der p^ ausübt. Die einzelnen 
Gröfsen P^ bez. ^ß^ heifsen die Komponenten der Kraft nach 
den entsprechenden Koordinaten p^ bez. p^ , auch wohl kurz 
die Kräfte nach diesen Koordinaten. 
Durch diese Bestimmung setzen wir uns zugleich in Ein- 
klang mit der bestehenden Bezeichnung der Mechanik, und die 
Notwendigkeit, diesen Einklang herzustellen, rechtfertigt hin- 
reichend, warum wir unter mehreren zulässigen Bestimmungen 
gerade diese getroffen haben. 
Folgerung 1. Die Kraft, welche ein System auf ein 461 
zweites ausübt, kann betrachtet werden als eine Yektorgröfse 
in Bezug auf das zweite System, als eine Vektorgröfse näm- 
lich, deren Komponenten nach den gemeinsamen Koordinaten 
im allgemeinen von Null verschieden sind, deren Komponenten 
nach den nicht gemeinsamen Koordinaten verschwinden, deren 
Komponenten nach solchen Richtungen aber, welche sich nicht 
durch Änderungen der benutzten Koordinaten ausdrücken' 
lassen, unbestimmt bleiben. 
14* 
212 Zweites Buch. 
462 Folgerung 2. Die Kraft , welche ein System auf ein 
zweites ausübt, kann aber auch betrachtet werden als Vektor- 
gröfse in Bezug auf das erstere System, als eine Vektorgröfse 
nämlich, deren Komponenten nach den gemeinsamen Koordi- 
naten im allgemeinen von Null verschieden sind, deren Kom- 
ponenten nach den nicht gemeinsamen Koordinaten verschwinden, 
deren Komponenten in Richtungen aber, welche sich nicht 
durch Änderungen der benutzten Koordinaten ausdrücken 
lassen, unbestimmt bleiben. 
463 Anmerkung. Betrachtet als Vektorgröfse in Bezug auf 
ein System enthält also jede Kraft Komponenten, welche ab- 
hängen von der Wahl der Koordinaten, d. h. von unserer will- 
kürlichen Auffassung. Es rührt dies daher, dafs von der Wahl 
der Koordinaten die Mannigfaltigkeit derjenigen Bewegungen 
des Systems abhängt, welche wir überhaupt in Betracht ziehen, 
in deren Eichtung wir also einen möglichen Einflufs zulassen 
wollen. 
464 Bemerkung 1. Wird ein System nach einander mit 
mehreren anderen Systemen gekoppelt, und erleidet es dabei 
von diesen Systemen die gleiche Kraft, so ist seine Bewegung 
die gleiche, wie verschieden auch immer diese anderen Systeme 
unter sich sein mögen. 
Wir reden daher auch (entsprechend der Definition 455) 
von der Bewegung eines Systems unter dem Einflufs oder der 
Einwirkung oder dem Angriff einer Kraft schlechthin, ohne 
der anderen Systeme zu erwähnen, von welchen sie ausgeht, 
und ohne welche sie nicht denkbar wäre. 
465 Bemerkung 2. Wird ein System nach einander mit 
mehreren anderen Systemen gekoppelt, und führt es dabei die 
gleiche Bewegung aus, so kann es dabei auf jene anderen 
Systeme gleiche Kraft ausüben, obwohl jene Systeme unter 
sich vollkommen verschieden sein können. 
Wir reden daher auch (entsprechend der Definition 455) 
von der Kraft, welche ein bewegtes System ausübt, schlecht- 
hin, ohne der anderen Systeme zu erwähnen, auf welche 
jene Kraft ausgeübt wird, und ohne welche sie nicht denk- 
bar wäre. 
System durch Kräfte heeinflufst. 218 
Bemerkung 3. Da aber alle Kräfte, Ton welchen schlecht- 466 
hin die Bede ist, doch keine anderen sein können, als welche 
von materiellen Systemen zufolge des Grundgesetzes auf ma- 
terielle Systeme ausgeübt werden, so haben alle Kräfte Ton 
vornherein gewisse Eigenschaften gemeinsam. Die Quelle 
aller solcher gemeinsamen Eigenschaften sind die Eigenschaften 
der materiellen Systeme und das Grundgesetz. 
Wirkung und Gegenwirkung. 
Bezeichnung. 1. Die Komponenten der Kraft, welche das 467 
System der :p^ auf das der p^ ausübt, betrachtet als Vektor- 
gröfsen in Bezug auf das System der p^ , haben wir in 460 be- 
reits bezeichnet mit P^. Betrachten wir dieselbe Kraft als 
Vektorgröfse in Bezug auf das System der p^, so wollen wir 
ihre Komponenten nach den p^ bezeichnen mit $p^ . Identisch 
ist dann für alle gemeinsamen Koordinaten: 
p, = % . 
2. Die Komponenten der Kraft, welche das System der 
Pq auf das der ^)^ ausübt, betrachtet als Vektorgröfsen in 
Bezug auf das System der !pg, haben wir in 460 bereits be- 
zeichnet mit 5ßß. Betrachten wir dieselbe Kraft als Vektor- 
gröfse in Bezug auf das System der p^, so wollen wir ihre 
Komponenten nach den p^ bezeichnen mit P^. Identisch ist 
dann für alle gemeinsamen Koordinaten: 
% = p', . 
Die auf ein System ausgeübten Kräfte sind also durch 
nicht accentuierte, die von dem System ausgeübten Kräfte 
durch accentuierte Buchstaben bezeichnet, sobald wir sie als 
Vektorgröfsen in Bezug auf das System selbst betrachten. 
Lehrsatz. Elraft und Gegenkraft sind einander stets ent- 46S 
gegengesetzt gleich. Es soll damit gesagt sein, dafs die Kom- 
ponenten beider nach jeder der benutzten Koordinaten ent- 
gegengesetzt gleich sind, und zwar sowohl wenn wir E^raft 
214 Zweites Buch. 
(468) und Gegenkraft betrachten als Yektorgröfsen in Bezug auf 
das eine, als auch in Bezug auf das andere System. 
Denn wir können auch die beiden gekoppelten Systeme 
(457) betrachten als ein einziges, freies System. Seine Masse 
ist m + m, seine Koordinaten sind die pg und p^ . Seine Be- 
dingungsgleichungen sind die Gleichungen 457 a und b und die 
Eoppelungsgleichungen, etwa in der Form 457 e. Bezeichnen 
wir nunmehr die Multiplikatoren jener Gleichungen a) mit P^ , 
die der Gleichungen b) mit 5ß2, die der Gleichungen e) mit 
jF^, so nehmen die Bewegungsgleichungen des gesamten Sy- 
stems (vergl. 442) die Form an: 
1 
1 
in «welchen für die Koordinaten, welche in den Koppelungs- 
gleichungen nicht vorkommen, die P^ gleich Null zu setzen sind. 
Die durch diese Gleichungen dargestellte Bewegung ist 
nun aber dieselbe, welche wir vorhin als Bewegung der ein- 
zelnen Systeme betrachteten. Eine mögliche Lösung der 
gegenwärtigen Gleichungen erhalten wir also, wenn wir für die 
fg und f^ ihre früheren Werte setzen, wenn wir machen 
aoTserdem 
in 
a) 
d) 
^ = 
^. 
Tind in b) 
e) 
^ = 
-% . 
Aber da durch die Gleichungen a) und b) die unbestimm- 
ten Multiplikatoren eindeutig bestimmt sind, so ist diese mög- 
liche Lösung zugleich die einzig mögliche Lösung. Daher 
System dwrch Kräfte beeinftufst 215 
gelten die Gleichungen d) und e) mit Notwendigkeit; aus 
ihnen folgt: 
oder mit Benutzung der Bezeichnung 467: 
welches die Behauptung ist. 
Anmerkung 1. Der vorstehende Lehrsatz entspricht der 469 
Lex tertia Newton's und wird auch wohl das Prinzip der Re- 
aktion genannt. Doch deckt sich sein Inhalt nicht vollständig 
mit dem Inhalt jenes dritten Gesetzes, sondern das genaue 
Verhältnis ist das folgende: 
Das NBWTON'sche Gesetz enthält unsem Lehrsatz 468 
vollständig, nach der Absicht des Begründers, wie die dem 
Gesetze beigefügten Beispiele zeigen. 
Das NEWTON'sche Gesetz enthält aber mehr. Wenigstens 
wird es auch allgemein angewandt auf die Wirkung von Fern- 
kräften, d. h. von Ej*äffcen zwischen Körpern, welche keine 
gemeinsamen Koordinaten haben. Solche Kräfte aber kennt 
unsere Mechanik nicht. Damit man also beispielsweise aus 
unserem Lehrsatze die Folgerung ziehen könne, dafs ein 
Planet die Sonne mit gleicher Kraft anziehe wie diese ihn, 
ist nötig, dafs nähere Angaben über die Natur des Zusammen- 
hanges zwischen beiden Körpern gemacht werden. 
Anmerkung 2. Es darf aber als fraglich bezeichnet wer- 47a 
den, ob der Überschufs dieser Anwendung des Reaktionsprin- 
zipes über den Inhalt des Lehrsatzes 468 nach Form und 
Inhalt mit Recht zu den Grundgesetzen der Mechanik könne 
gerechnet werden, und ob nicht vielmehr der wesentliche und 
allgemein gültige Inhalt jenes Prinzipes bereits durch den Lehr- 
satz 468 erschöpft werde. 
Was die Form anlangt, so ist offenbar die Fassung des 
dritten Gesetzes, sobald es auf Femkräfte angewandt wird^ 
nicht völlig klar bestimmt. Denn wenn Kraft und Gegen- 
216 Zweites Buch, 
kraft an verschiedenen Körpern angreifen, so ist nicht schlecht- 
hin deutlich, was unter entgegengesetzter Richtung zu ver- 
stehen sei. Dies tritt zum Beispiel hervor, wenn es sich um 
die Wechselwirkung zwischen Stromelementen handelt. 
Was den Inhalt anlangt, so stellt die Anwendung des 
Eeaktionsprinzipes auf die Fernkräfbe der gewöhnlichen Me- 
chanik offenbar eine Erfahrungsthatsache dar, über deren ge- 
naues Zutreffen in allen Fällen man anfängt zweifelhaft zu 
werden. So ist die Elektrodynamik bereits fast überzeugt 
davon, dafs die Wechselwirkung zwischen bewegten Magneten 
dem Prinzip nicht in allen Fällen genau unterworfen sei. 
Zusammensetzung der Kräfte. 
471 Lehrsatz. Ist ein System gleichzeitig mit mehreren Sy- 
stemen gekoppelt, so ist die Kraft, welche die Gesamtheit 
jener Systeme auf das erste System ausübt, gleich der Summe 
der Kräfte, welche die einzelnen Systeme auf dasselbe ausüben. 
Es sei nämlich das System 1 von der Masse m und den 
Koordinaten p^, dessen Bedingungsgleichungen die k Grlei- 
chungen 
1 
a) ^^PitQpQ = 
sind, gleichzeitig gekoppelt mit den Systemen 2, 3, etc., deren 
Koordinaten die p^, p^", etc. sind. 
Betrachten wir die Systeme 2, 3, etc. zunächst als ge- 
trennte Systeme, so sind die Koppelungsgleichungen fiir jede 
gemeinsame Koordinate pg zu schreiben in der Form: 
1» % -Pg = 
.. fff 
C) pg -pg = 
etc. 
Behandeln wir nun das aus 1, 2, 3, etc. zusammengesetzte 
System als freies und bezeichnen wieder die Multiplikatoren 
System durch Kräfte beeinflufst. 217 
der Gleichungen a) mit P^, dagegen die von b) mit Pq , die (471) 
von e) mit P^", etc., so erhalten wir die Bewegungsgleichungen 
des Systems 1 in der Form: 
^/^ + ^''P^Q^^ " ^' "" ^r - etc = , d) 
1 
worin die sämtlichen P^', P^", etc. ebenso wie die P^ ein- 
deutig bestimmte Gröfsen sind. Die P^ ,Pq', etc. stellen die 
Komponenten der Kräfte dar, welche die einzelnen Systeme 2, 
3, etc. auf das System 1 ausüben. 
Betrachten wir nun aber zweitens die Systeme 2, 3, etc. 
zusammen als ein System, so können die nach Gleichungen 
b) c) etc. gleichen Gröfsen p^ , ^)^" , etc. als eine einzige Ko- 
ordinate pQ desselben angesehen werden, und an Stelle jener 
Koppelungsgleichungen tritt dann für jede gemeinsame Ko- 
ordinate Pq die eine Gleichung: 
h '-'pQ = . e) 
Ist Pq der Multiplikator derselben, und bezeichnen wir 
mit P^ die Multiplikatoren der Gleichungen a), welche dem 
jetzigen System der Bewegungsgleichungen entsprechen, so 
nehmen diese die Form an: 
mfg + ^-p^gI^-Pg = . f) 
1 
Die Pq stellen die Komponenten der Gesamtkraft dar, welche 
auf das System 1 wirkt. 
Die verschiedene Auffassung kann nun die nach dem 
Grundgesetze erfolgende Bewegung selbst nicht ändern. Eine 
mögliche Lösung der Gleichungen f) erhalten wir daher, in- 
dem wir mit Benutzung der früheren Lösung setzen: 
i^ = Px ») 
P^ = P-^' + i^" + etc. h> 
Aber da es nur eine einzige mögliche Lösung giebt, so 
218 2kveit68 Buch. 
ist die Yorstehende eben diese, und die Gleichung h), welche 
unsere Behauptung enthält, mufs mit Notwendigkeit zutreffen. 
472 Folgerung 1. Eine jede Zahl von Kräften, welche auf 
ein System wirkt, oder welche von einem System ausgeübt 
wird, kann aufgefafst werden als eine einzige Kraft, und zwar 
als diejenige Kraft, welche als Yektorgröfse in Bezug auf das 
System betrachtet gleich der Summe jener Kräfte ist. 
Fassen wir eine Zahl von Kräften in dieser Weise auf, 
so sagen wir, dafs wir sie zusammensetzen. Das Ergebnis 
der Zusammensetzung nennen wir auch die Besultante der 
einzelnen Kräfte. 
473 Folgerung 2. Eine jede Kraft, welche auf ein System 
wirkt, oder welche von einem System ausgeübt wird, kann auf- 
gefafst werden als Summe einer beliebigen Zahl von Kräften, 
und zwar jeder Zahl von Kräften, deren Summe als Vektor- 
gröfsen in Bezug auf das System gleich jener ursprünglichen 
Kraft ist. 
Fassen wir eine Kraft in dieser Weise auf, so sagen wir, 
dafs wir sie zerlegen; die Earäfte, welche das Ergebnis einer 
solchen Zerlegung sind, nennen wir die Komponenten der ur- 
sprünglichen Kraft. 
474 Anmerkung« Die geometrischen Komponenten einer Kraft 
nach den Koordinaten können zugleich als Komponenten der- 
selben im Sinne von 473 aufgefafst werden. 
475 Definition. Eine Kraft, welche von einem einzelnen mate- 
riellen Punkte ausgeübt wird, oder welche auf einen einzelnen 
materiellen Punkt wirkt, heifst eine Elementarkraft. 
476 Anmerkung. Die elementare Mechanik versteht gewöhn- 
lich unter Kräften nur Elementarkräfte. Im Gegensatz zu 
denselben bezeichnet man dann wohl die bisher von uns be- 
trachteten allgemeineren Kraftformen als LAGBANaE'sche Kräfte. 
Man könnte dementsprechend die Elementarkräfte selbst auch 
passend als GALiLEi'sche oder NEWTON'sche Kräfte bezeichnen. 
477 Folgerung 1. Jede Elementarkraft ist darstellbar durch 
die geometrische Yerrückung eines Punktes, also durch eine 
nach Gröfse und Eichtung gegebene Strecke. 
System durch Kräfte beeinflufst 219 
Denn jede Elementarkraft; ist Vektorgröfse in Bezug auf 
einen einzelnen Punkt. 
Folgerung 2. Die Zusammensetzung der Elementarkräfte, 47S 
welche an demselben Punkte angreifen, geschieht nach der Me- 
thode der geometrischen Zusammensetzung und Zerlegung von 
Strecken. 
Insbesondere setzen sich also zwei Kräfte, welche an dem- 
selben Punkte angreifen, zusammen zu einer einzigen Kraft, 
welche nach Gröfse und Richtung durch die Diagonale eines 
Parallelogramms dargestellt ist, dessen Seiten nach Gröfse und 
Richtung jene Kräfte darstellen (Parallelogramm der Kräfte). 
Folgerung 3. Jede LAaBANGE'sche Kraft ist darstellbar 479 
als eine Summe von Elementarkräften, also zerlegbar in 
Elementarkräfte. 
Denn jede Verrückung eines Systems kann aufgefafst 
werden als eine Summe von Verrückungen seiner einzelnen 
Punkte. 
Folgerung 4. Die Komponenten einer Ej'aft nach den 480 
rechtwinkligen Koordinaten des Systems, auf welches die Straft 
wirkt, oder welches die Kraft ausübt, können unmittelbar auf- 
gefafst werden als Elementarkräfte, welche auf die einzelnen 
materiellen Punkte des Systems wirken. 
Bewegung unter dem Einflufs von Kräften. 
Aufgabe 1. Die Bewegung eines materiellen Systems 481 
unter dem Einflufs einer gegebenen Kraft zu bestimmen. 
Die Auflösung folgt unmittelbar aus 457. Sind die Pq die 
gegebenen Komponenten der wirkenden Kraft nach den p^, so 
benutze man die r Gleichungen 
k 
mfg + ^>^Pxq Pn = Pq 
1 
zusammen mit den k Bedingungsgleichungen des Systems zur 
Bestimmung der r+k Gröfsen pg und P^, zu deren eindeu- 
tiger Bestimmung jene Gleichungen ausreichen. 
220 Zweites Buch. 
482 Anmerkung 1. Die Bewegungsgleichungen eines Systems, 
auf welches Kräfte wirken, haben in den rechtwinkligen Koordi- 
naten desselben die Form der 3/1 Gleichungen: 
i 
Wj/ Xy + ^« Xtv -3^ = Xy , 
1 
wenn unter X^ die Komponente der Kraft nach x^ verstanden 
wird, und im übrigen die Bezeichnung von 368 benutzt wird. 
483 Anmerkung 2. Ist die Koordinate p^ eine freie Koordi- 
nate, so nimmt die ihr entsprechende Bewegungsgleichung die 
einfache Form an: 
mf^ = Pg . 
Sind in einem holonomen System alle p^ freie Koordinaten, 
so nehmen alle Bewegungsgleichungen des Systems diese Form 
an, und diese r Gleichungen genügen zur Bestimmung der 
r Gröfsen p^ , 
484 Folgerung. Die natürliche Bewegung eines materiellen 
Systems von einem bestimmten Augenblick an ist eindeutig 
bestimmt durch die Lage und Geschwindigkeit des Systems in 
jenem Augenblick und die Angabe der auf das System wir- 
kenden Kraft für alle Zeiten von jenem Augenblick an (vergl. 
331, 444). 
485 Lehrsatz. Die Beschleunigung, welche mehrere gleich- 
zeitig wirkende Kräfte einem System erteilen, ist gleich der 
Summe der Beschleunigungen, welche die Kräfte einzeln 
wirkend dem System erteilen würden. 
Denn die Bewegungsgleichungen 481 sind linear in den f^ 
und den P«. Sind also die Wertsysteme fo^Pn^ y /e«-Px,> etc. die 
Auflösungen dieser Gleichungen fllr die Kräfte -Pß^yi^t, etc., 
so ist das Wertsystem /^i+Z^+ötc. , Px,+Px,+ etc. die Auf- 
lösung ftlr die Kraft Pg^+P^+ etc. 
486 Anmerkung. Der Inhalt des Lehrsatzes kann auch wieder- 
gegeben werden in der Aussage, dafs mehrere gleichzeitig 
wirkende Kräfte sich hinsichtlich der Beschleunigung, welche 
System dwroh Kräfte heeinflufst 221 
sie erzeugen, nicht stören. Ohne einen besonderen Namen er- 
halten zu haben, ist dieser Satz seit GAiiiLEi's Zeiten stets 
als Prinzip angenommen und benutzt worden. 
Folgerung. Die Beschleunigung^ welche eine resultierende 487 
Eraft einem System erteilt, ist gleich der Summe der Be- 
schleunigungen^ welche die Komponenten, einzeln wirkend, dem 
System erteilen würden (472, 473). 
Lehrsatz. Steht eine Kraft als Yektorgröfse senkrecht 488 
auf jeder möglichen Verrückung eines materiellen Systems, so 
übt sie keinen Einflufs auf die Bewegung des Systems aus, — 
und umgekehrt. 
Denn ist n eine solche Ej:aft, so haben ihre Kompo- 
nenten Hq nach den Pq die Form (250): 
Lassen wir nun diese Kraft neben der Kraft P auf das Sy- 
stem wirken, so können die Bewegungsgleichungen in der Form 
geschrieben werden: 
fg + ^''P^Q (^x-yx) = Pq 
m 
Bei der Auflösung dieser Gleichungen nach pQ und P« er- 
scheinen also nur die P« vergröfsert um die /«; die jö^, welche 
allein die Bewegung bestimmen, erscheinen unverändert. 
Umgekehrt: Ändert die Hinzufügung der Komponenten iIq 
zu den rechten Seiten der Gleichungen 481 nicht die /^, son- 
dern nur die P«, so lassen sich die itg schreiben in der Form: 
^Q^'^^P^qYn 
die Krafk n steht also senkrecht auf jeder möglichen Yerrückung 
des Systems (250). 
222 Zweites Buch. 
489 Anmerkung. Der Lehrsatz giebt die Bedingung an, welcher 
derjenige Teil einer als Vektorgröfse betrachteten Kraft unter- 
worfen ist, welcher von der Wahl der Koordinaten, also von 
unserer Willkür abhängt (4^8). Denn dieser Teil mufs not- 
wendig ein solcher sein, welcher in der wirklichen Bewegung 
nicht zur Geltung kommt. 
490 Folgerung. Obgleich aus der Kenntnis der auf ein System 
wirkenden Kraft eindeutig geschlossen werden kann auf die 
Bewegung des Systems, so kann doch aus der Bewegung des 
Systems i^ieht eindeutig geschlossen werden auf die Kraft, 
welche das System beeinflufst. 
491 Aufgabe 2. Die Kraft zu bestimmen, welche ein mate- 
rielles System bei gegebener Bewegung ausübt. 
Nach 467 bezeichnen wir mit P^ die Komponente der ge- 
suchten Kraft nach der Koordinate p^ ; aus 468 und 481 folgt 
dann: 
k 
1 
In diesen Gleichungen sind die fg als gegeben zu betrachten, 
und zwar müssen sie den Bedingungsgleichungen an sich ge- 
nügen. Die Gröfsen P^ sind ebenfalls bestimmt, wenn auch 
dasjenige System gegeben wird, mit welchem das betrachtete 
gekoppelt ist. So lange aber nur die Bewegung des Systems 
der Pq gegeben ist, bleiben die P^ unbekannt. Die Kraft, 
welche ein bewegtes System ausübt, ist also allein durch die 
Angabe der Bewegung des Systems noch nicht völlig bestimmt, 
sondern enthält einen unbestimmt bleibenden Summanden, 
dessen Komponenten die Form haben: 
k 
1 
und welcher daher auf jeder möglichen Verrückung des Sy- 
stems senkrecht steht. 
492 Anmerkung. Obwohl von der Kraft, welche ein bewegtes 
System ausübt, nicht alle Komponenten durch die Bewegung 
System durch Kräfte beeinflufst. 223 
des Systems eindeutig bestimmt sind, so sind doch die Kom- 
ponenten in Hichtimg einer jeden möglichen Verrückung des 
Systems durch seine Bewegung eindeutig bestimmt. 
Folgerung. Von der Kraft, welche ein bewegtes System 498 
ausübt, sind die Komponenten in Bichtung einer jeden freien 
Koordinate des Systems durch die Bewegung eindeutig be- 
stimmt. 
Ist nämlich pg eine freie Koordinate, so verschwinden die 
p^ und damit die unbestimmten Glieder, und es kann die 
Komponente der Kraft des Systems nach p^ geschrieben wer- 
den in den Formen: 
(491) a) 
(291a) b) 
(291b) e) 
^.= 
-mf^ 
= 
dpg 
djdj,E\ 
dt\dpg 1 
^ 
dpg 
■i<i 
^ 
d,E 
dpg 
■in 
Innerer Zwang. 
(294). d) 
Lehrsatz. Die Beschleunigung eines Systems materieller 494 
Funkte, zwischen welchen keine Zusammenhänge bestehen, 
findet statt in Bichtung der Kraft, welche auf das System 
wirkt, und ihre Gröfse ist gleich der Gröfse der Kraft, divi- 
diert durch die Masse des Systems. 
Denn wenn zwischen den n Punkten eines Systems keine 
Zusammenhänge bestehen, so ist für jede der 3n rechtwink- 
ligen Koordinaten des Systems: (482) 
m^ .. ^ X 
m m 
die linken Seiten der Gleichungen aber stellen die Kompo- 
nenten der Beschleunigung des Systems nach den x^ dar (275). 
224 Zweites Buch. 
495 Folgenmg. Die Beschleunigong eines einzelnen materiellen 
Punktes geschieht in Eichtung der Kraft , welche auf den 
Punkt wirkt, und ihre Gröfse ist gleich der Gröfse der 
Ejraft, dividiert durch die Masse des Punktes. (Newton's Lex 
secunda.) 
496 Anmerkung. Bestehen Zusammenhänge zwischen den 
Punkten eines materiellen Systems, auf welches eine Kraft 
wirkt, so weicht die Beschleunigung des Systems im allge- 
meinen ab von der durch den Lehrsatz 494 gegebenen. Als 
Ursache dieser Abweichung können wir also die Zusammen- 
hänge des Systems ansehen, und die Abweichung selbst haben 
wir nach 385 als den inneren Zwang des Systems zu be- 
zeichnen. 
497 Aufgabe. Den inneren Zwang eines Systems zu bestim- 
men, welches sich unter dem Einflufs von Kräften bewegt. 
Die wirkliche Komponente der Beschleunigung des Systems 
nach der allgemeinen Koordinate pg ist /^ , die Komponente, 
welche nach Aufhebung der Bedingungsgleichungen eintreten 
würde, ist (494) Pgjmj der Unterschied beider Gröfsen, oder: 
P 
also die Komponente des Zwanges nach pg. 
Zur Bestimmung der Gröfse des Zwanges reicht die 
Kenntnis der Komponenten desselben nach den p^ im allge- 
meinen nicht aus (245). Wenden wir deshalb auch rechtvnnk- 
lige Koordinaten an, so erhalten wir flir die Komponente 
nach Xy\ 
also die Gröfse 
Gleichung (244): 
z des 
Zwanges 
als 
die positive 
Wurzel 
der 
m^ 
8n 
(Wyi 
'iy — JLp) 
c) 
1 ^ 
3n 
1 
(*;• 
System durch Kräfte beeinflufst. 225 
Lehrsatz 1. Die Gröfse des Zwanges eines materiellen 498 
Systems unter dem Einflufs von Kräften ist wie bei einem 
freien System in jedem Augenblick kleiner f&r die natürliche 
Bewegung, als für irgend eine andere mögliche Bewegung, 
welche in dem betrachteten Augenblick nach Lage und Ge- 
schwindigkeit mit jener zusammenfällt. 
Denn als notwendige und hinreichende Bedingung dafiir, 
dafs bei gegebenen Werten der Xy die Gröfse \ mz^ ein Mini- 
mum werde, erhalten wir nach derselben Methode wie in 155 
die 3n Gleichungen: 
my Xp — JTy + 2* ^IV ^t = 7 
1 
in welchen die X^ i unbestimmte Multiplikatoren bezeichnen, 
welche zusammen mit den 3n Gröfsen Xy aus jenen 3n Glei- 
chungen und den i Bedingungsgleichungen des Systems ein- 
deutig zu bestimmen sind. Die vorstehenden Gleichungen aber 
ergeben dieselben Werte der Xy und X,, wie die mit ihnen 
übereinstimmenden Gleichungen der natürlichen Bewegung (482). 
Anmerkung. Der vorstehende Lehrsatz enthält das voll- 499 
ständige GAüss'sche Prinzip des kleinsten Zwanges. Wir 
können den Lehrsatz 388 als einen besonderen Fall desselben 
bezeichnen. Aber nach unserer ganzen Auffassung werden 
wir lieber jenen Lehrsatz als den allgemeinen ansehen und 
den vorliegenden als die Anpassung desselben an besondere, 
verwickeitere Verhältnisse betrachten. 
Lehnatz 2. Die Bichtung des Zwanges steht bei der 500 
natürlichen Bewegung eines Systems unter dem Einflufs einer 
Kraft, wie bei der natürlichen Bewegung eines freien Systems, 
beständig senkrecht auf jeder möglichen oder virtuellen Ver- 
rückung des Systems aus seiner augenblicklichen Lage. 
Denn zufolge 497 a und 481 lassen sich die Komponenten 
des Zwanges nach den p^ auch schreiben in der Form: 
^9 "^ " m^** P""^ '^'^ ' 
der Zwang als Vektorgröfse steht also (250) senkrecht auf 
jeder möglichen Verrückung des Systems. 
Hertz, Mechanik. 15 
226 Zweites Buch. 
501 Symbolifloher Ausdruck. Bezeichnen wir mit SpQ die 
Änderungen der Koordinaten p^ fllr irgend eine beliebige mög- 
liche Verrückung des Systems, so können wir den vorstehen- 
den Satz in die Gestalt der symbolischen Grleichung kleiden 
(vergl. 393): 
•> 2 \U - 
Q 
welche unter Anwendung rechtwinkliger Koordinaten die Form 
annimmt: 
3n 
1 
502 Anmerkung. Der Lehrsatz 500 enthält das vollständige 
D'ALEMBEBx'sche Prinziü, die Gleichungen 5018 und b die ge- 
wohnliche Fassung desselben, über das Verhältnis des Satzes 
500 zu dem Satz 392 ist dasselbe zu bemerken, wie unter 499. 
503 Eolgemng 1. Die Komponente der Beschleunigung eines 
materiellen Systems in Sichtung einer jeden möglichen Be- 
wegung ist gleich der Komponente der wirkenden Kraft nach 
dieser Eichtung, dividiert durch die Masse des Systems. 
Denn die Komponente des Zwanges nach der Richtung 
jeder möglichen Bewegung verschwindet. 
504 Folgerung 2. Die Komponente der Beschleunigung eines 
materiellen Systems in Bichtung seiner wirklichen Bewegung 
ist gleich der Komponente der wirkenden Kraft nach der 
gleichen Richtung, dividiert durch die Masse des Systems. 
505 Eolgenmg 3. Die Komponente der Beschleunigung eines 
materiellen Systems nach jeder freien Koordinate des Systems 
ist gleich der Komponente der wirkenden Kraft nach der 
gleichen Richtung, dividiert durch die Masse des Systems. 
506 Lehrsatz. Bei der natürlichen Bewegung eines materiellen 
Systems unter dem Einflufs von Kräften ist die Komponente 
der Beschleunigung nach jeder Koordinate der absoluten 
System durch Kräfte beeinflufst. 227 
Lage beständig gleich der Komponente der wirkenden Kraft nach 
der gleichen Richtung, dividiert durch die Masse des Systems, 
— welches auch der innere Zusammenhang des Systems ist. 
Eolgernng 1. Wählen wir die Koordinaten eines Systems 507 
übrigens beliebig, jedoch so, dafs sich unter ihnen sechs Koordi- 
naten der absoluten Lage finden, so können wir bei vorhan- 
dener Kenntnis der auf das System wirkenden Kräfte, aber 
ohne Kenntnis des inneren Zusammenhangs des Systems doch 
stets sechs der Bewegungsgleichungen des Systems angeben. 
Folgerung 2. Treffen wir insbesondere über die Koordi- 508 
naten der absoluten Lage dieselbe Verfügung wie in 402 und 
wenden den Lehrsatz zunächst an auf die Richtung der 3 Ko- 
ordinaten «1 «2 ccsf so ergiebt er uns die drei Gleichungen: 
n n 
^y rriy x^_i = 2" -^3^-1 
' n n 
1 1 
Diese drei Gleichungen, welche sich dahin interpretieren 
lassen, dafs der Schwerpunkt sich so bewegt, als sei die ganze 
Masse des Systems in ihm vereinigt, und griffen an ihm alle 
Elementarkräfte an, bilden das sogenannte erweiterte Prinzip 
des Schwerpunkts. (Vergleiche 404.) 
Polgenuig 3. Angewandt auf die Richtung der drei Ko- 509 
ordinaten der absoluten Lage ooi q>2 ^3 ergiebt der Lehrsatz 
die drei Gleichungen: 
n n 
X7 '^vy^-2^v-l — ^v~\ß^v-2) ~ XT (^y-2-^3y-l — ^v-1-^3J'-2) 
1 1 
n n 
V mv{x^ Xqv-2 — ^-2^ ) = 2'' (^ -3^y-2 "~ %y-2-^3v ) 
1 1 
n n 
1 
15* 
228 Zweites Buch. 
Diese drei Gleichungen bilden das sogenannte erweiterte 
Prinzip der Flächen. (Vergleiche 406.) 
Energie, Arbeit 
510 Definition. Die Vermehrang der Energie eines Systems, 
vorgestellt als Folge einer anf das System ausgeübten Kraft, 
wird die Arbeit jener Eraft genannt. 
Die Arbeit, welche eine Eraft in bestimmter Zeit leistet, 
wird gemessen durch die Zunahme der Energie des Systems, 
auf welches sie wirkt, in jener Zeit. 
Eine etwaige Abnahme der Energie infolge des Vorhan- 
denseins der Kraft rechnen wir als negative Zunahme. Die 
Arbeit einer Kraft kann also positiv oder negativ sein. 
511 Eolgemng. Während die auf ein System wirkende Kraft 
eine gewisse Arbeit leistet, leistet die von dem System aus- 
geübte Gegenkraft stets die entgegengesetzt gleiche Arbeit. 
Denn die letztere Arbeit ist gleich der Zunahme der 
Energie desjenigen Systems, mit welchem das betrachtete ge- 
koppelt ist; die Summe der Energieen beider Systeme aber 
ist konstant. 
512 Lehrsatz. Die Arbeit, welche die auf ein System wir- 
kende Kraft während der Durchlaufung eines Bahnelements 
leistet, ist gleich dem Produkt aus der Länge des Elements 
und der Komponente der Kraft in seiner Bichtung. 
Denn die Zunahme dE der Energie während des Zeit- 
elements dty in welchem das Bahnelement äs zurückgelegt 
wird, ist (283): 
dB = mvvdt=^mvds . 
Nach 280 ist aber v die Komponente der Beschleunigung 
des Systems in Bichtung seiner Bahn, also nach 504 mv die 
Komponente der Kraft in Bichtung der Bahn. 
513 Anmerkung 1. Die in Bede stehende Arbeit ist mit dem- 
selben Bechte auch gleich dem Produkt aus der Gröfse der 
System durch Kräfte beeinflufst, 229 
Kraft und der in ihre Bichtung fallenden Komponente des 
Bahnelements. 
Anmerkung 2. Erleiden während der Durchlaufong des 514 
Bahnelements ds die Koordinaten p^ die Änderungen dpg , so 
ist die Arbeit der wirkenden Kraft dargestellt durch die 
Grleichung: 
r 
dE = ^ß Pg dpg . 
1 
Denn die Komponente der Kraft in Richtung des Bahn- 
elements ist gleich (247): 
^ds • 
Eolgemng 1. Die Kraft, welche auf ein System wirkt, 515 
leistet positive oder negative Arbeit, je nachdem der Winkel, 
welchen sie mit der Geschwindigkeit des Systems bildet, kleiner 
oder gröfser als ein rechter ist. Steht die Kraft senkrecht 
auf der Bewegungsrichtung, so leistet sie keine Arbeit. 
Folgerung 2. Eine Kraft, welche auf ein ruhendes Sy- 516 
stem wirkt, leistet keine Arbeit. 
Gleichgewicht, Statilc. 
Definition. Wir sagen, zwei oder mehrere Kräfte, welche 517 
auf dasselbe System wirken, halten sich das Gleichgewicht, 
wenn eine jede von ihnen den Einflufs der anderen aufhebt, 
d. h. wenn unter dem Einflufs beider oder aller jener Elräfte 
das System sich so bewegt, als wäre keine von ihnen vor- 
handen. 
Lehrsatz. Zwei oder mehrere Kräfte halten sich das 518 
Gleichgewicht, wenn ihre Summe senkrecht steht auf jeder 
möglichen (virtuellen) Verrückung des Systems aus seiner augen- 
blicklichen Lage, — und umgekehrt. 
Der Satz folgt unmittelbar aus 471 und 488. 
J 
230 Zweites Buch, 
519 Symbolisolier Aasdmok. Bezeichnen wir mit Pg , Pq^ etc. 
die Komponenten der einzelnen Kräfte nach den pg , mit Spg 
die Änderungen der p^ für irgend eine mögliche Verrückung des 
Systems, so können wir die Forderung des vorstehenden Satzes 
in die Gestalt der symbolischen Gleichung kleiden: 
r 
1 
Vergleiche 398, 601. 
520 Anmerkung. Der vorstehende Lehrsatz enthält das 
Prinzip der virtuellen Geschwindigkeiten (Verrückungen, Mo- 
mente), die Gleichung 519 die gewöhnliche analytische Fas- 
sung desselben. 
521 Folgerung 1. Halten sich mehrere Kräfte an einem System 
das Gleichgewicht, so verschwindet die Summe der von den 
Kräften geleisteten Arbeiten bei jeder möglichen (virtuellen) 
Verrückung des Systems aus seiner augenblicklichen Lage, — 
und umgekehrt. (Prinzip der virtuellen Arbeit.) 
Denn schreiben wir die Gleichung 519 in der Form: 
1 1 
so ergiebt sich nach 514 die Behauptung. 
522 Folgerung 2. Halten sich zwei oder mehr Kräfte das 
Gleichgewicht an einem System, so verschwindet die Summe 
ihrer Komponenten in Richtung jeder möglichen Bewegung 
des Systems. 
523 Folgerung 3. Halten sich zwei oder mehr Kräfte das 
Gleichgewicht an einem System, so verschwindet die Summe 
ihrer Komponenten nach jeder freien Koordinate des Systems. 
524 Lehrsatz. Halten sich zwei oder mehr Kräfte das Gleich- 
gewicht an einem System, so verschwindet die Summe ihrer 
Komponenten in Richtung einer jeden Koordinate der abso- 
System durch Kräfte beeinflufst. 231 
luten Lage, welches auch immer der innere Zusammenhang 
des Systems sein möge. 
Anmerkung. Auch ohne Kenntnis des inneren Zusammen- 525 
hangs eines Systems können wir demnach doch stets 6 not- 
wendige Bedingungsgleichungen für sein Gleichgewicht an- 
geben. Wählen wir als Koordinaten der absoluten Lage die 
6 Gröfsen «i ^^2 ^s <öi C02 093 , welche wir in 402 einführten, so 
liefert uns der vorige Lehrsatz diejenigen 6 Gleichungen, 
welche dem Prinzip des Schwerpunkts und der Flächen ent- 
sprechen, und welche Lageange im 3. Abschnitt § 1 und § 2 
des ersten Teils der M^canique analytique behandelt. 
Bemerkung 1. Halten sich zwei oder mehr Kräfte in 526 
einer bestimmten Lage des Systems das Gleichgewicht bei 
einer gewissen Geschwindigkeit, so halten sich dieselben 
Bj:äfte in derselben Lage das Gleichgewicht auch bei jeder 
anderen Geschwindigkeit. 
Denn die Bedingung des Gleichgewichts enthält nicht 
die wirkliche Geschwindigkeit des Systems. 
Bemerkung 2. Halten sich zwei oder mehr Kräfte das 527 
Gleichgewicht an einem ruhenden System, so beharrt das 
System in seinem Zustand der Ruhe; und umgekehrt: Be- 
harrt ein System trotz des Angriffs zweier oder mehrerer 
Kräfte in der Ruhe, so halten sich die Kräfte an dem System 
das Gleichgewicht. 
Folgerung 1. Zwei Kräfte, welche, gleichzeitig an dem- 528 
selben ruhenden System angreifend, die Ruhe des Systems 
nicht stören, haben entgegengesetzt gleiche Komponenten in 
Richtung jeder möglichen Bewegung des Systems. 
Polgenmg 2. Zwei Kräfte, welche, nach einander auf das- 529 
selbe ruhende System zugleich mit denselben andern Kräften 
wirkend, das System in Ruhe lassen, haben gleiche Kompo- 
nenten in Richtung jeder möglichen Bewegung des Systems. 
Anmerkung. Auf den letzten beiden Folgerungen beruht 530 
die statische Vergleichung der Kräfte. 
232 Zweües Buch. 
Maschinen und innere Kräfte. 
531 Definition. Ein System, dessen. Massen als yerschwindend 
klein betrachtet werden gegen die Massen der Systeme, mit 
welchen es gekoppelt ist, wird eine Maschine genannt. 
Eine Maschine ist also hinsichtlich ihres Einflusses auf 
die Bewegung der übrigen Systeme vollständig dargestellt 
durch ihre Bedingungsgleichungen; die Kenntnis des Ausdrucks 
der Energie der Maschine in ihren Koordinaten ist nicht er- 
forderlich. 
Einfach heifst eine Maschine, welche nur einen Grrad der 
Bewegungsfreiheit hat. 
532 Lehrsatz. So lange eine Maschine sich mit endlicher G-e- 
schwindigkeit bewegt, halten sich die auf die Maschine wir- 
kenden Kräfte beständig das Gleichgewicht. 
Denn ergäben diese Kräfte eine Komponente in Rich- 
tung irgend einer möghchen Bewegung der Maschine, so würde 
die Komponente der Beschleunigung in dieser Bichtung wegen 
der verschwindenden Masse unendlich grofs (504). 
533 Folgerung. Zwischen den Komponenten der auf eine 
Maschine wirkenden Kräfte nach ihren Koordinaten besteht 
eine Anzahl homogener lineare Gleichungen, deren Zahl 
gleich der Zahl der Bewegungsfreiheiten der Maschine ist. 
Eine einfache Maschine wird vertreten durch eine einzige 
homogene lineare Gleichung zwischen den auf ihre Koordi- 
naten wirkenden Kräften. 
534 Bemerkung 1. Wird eine Maschine nach allen ihren Ko- 
ordinaten gekoppelt mit zwei oder mehr materiellen Systemen, 
so kann die auf diese Art hergestellte mechanische Verbin- 
dung zwischen den letztere^i analytisch dargestellt werden 
durch einen Satz homogener linearer Differentialgleichungen 
zwischen den Koordinaten der verbundenen Systeme. Denn 
wir können in den Bedingimgsgleichungen der Maschine die 
Koordinaten derselben ersetzen durch die ihnen gleichen Ko- 
ordinaten der verbundenen Systeme. 
Umgekehrt können wir daher auch jeden analytisch ge- 
gebenen Satz homogener linearer Differentialgleichungen zwischen 
System durefi Kräfte beemflufst. 233 
den Koordinaten zweier oder mehrerer Systeme physikalisch 
deuten als eine mechanische Verbindung der angegebenen Art, 
welche wir bezeichnen als eine Koppelung jener Systeme durch 
die Maschine. 
Eolgernng. Sind zwei oder mehr Systeme durch eine 535 
Maschine gekoppelt, so ist die von jedem der Systeme ge- 
leistete Arbeit entgegengesetzt . gleich der Summe der von 
den übrigen Systemen geleisteten Arbeit. Bei der Koppelung 
der Systeme mittels einer Maschine wird also Arbeit nicht 
gewonnen. 
Denn die von den Systemen ausgeübten Kräfte halten 
sich an der Maschine das Gleichgewicht, die Summe der von 
ihnen geleisteten Arbeit ist also Null. 
Bemerkung 2. Ein jedes materielle System kann auf 536 
mannigfaltige Art aufgefafst werden als bestehend aus zwei 
oder mehr Systemen, welche durch Maschinen gekoppelt sind. 
Denn teilen wir die Massen des Systems in mehrere Teile, und 
sind die p^ Koordinaten des ersten Teiles, die p^ Koordinaten 
des zweiten Teiles, u. s. w., so können wir diejenigen Bedingungs- 
gleichungen des vollständigen Systems, welche nur die p^ ent- 
halten, betrachten als Bedingungsgleichungen des ersten Teil- 
systems, diejenigen Gleichungen, welche nur die p^ enthalten, als 
Bedingungsgleichungen des zweiten Teilsystems, u. s. w., während 
diejenigen Bedingungsgleichungen des vollständigen Systems, 
welche die Pq,Pq u. s. w. gemischt enthalten, aufgefafst wer- 
den als die Gleichungen der die Teilsysteme koppelnden Ma- 
schinen. 
Die Kräfte, welche bei dieser zulässigen, wenn auch will- 
kürlichen Auffassung auf die Teilsysteme von den sie koppeln- 
den Maschinen ausgeübt werden, bezeichnen wir als innere 
Kräfte des Systems. 
Eolgernng 1. Ein jeder Satz innerer Kräfte kann einen 537 
Teil des Zusammenhanges eines Systems ersetzen. Lassen 
wir nämlich diejenigen Bedingungsgleichungen des ganzen 
Systems fort, welche die Maschinen zwischen den Teilsystemen 
darstellen, behalten aber die von den Maschinen ausgeübten 
Kräfte bei, so bewegt sich das System wie vorher. 
234 Zweites Buch. 
538 Folgenmg 2. Der gesamte Zusammenhang eines Systems 
kann aufgelöst werden in und ersetzt werden durch eine An- 
zahl von Elementarkräflen, welche auf die einzelnen materiellen 
Punkte des Systems wirken. 
Denn wir können die einzelnen Punkte als Teilsysteme 
betrachten und das ganze System als Gesamtheit dieser durch 
Maschinen gekoppelten Teilsysteme. 
539 Polgerung 3. Die inneren Kräfte, welche den Zusammen- 
hang eines Systems vollständig oder teilweise ersetzen, halten 
sich, an dem ursprünglichen System angreifend, beständig das 
Gleichgewicht. 
Denn sie halten sich nach 532 das Gleichgewicht an den 
Maschinen, welche Teile des ursprünglichen Systems bilden. 
540 Anmerkung. Diese letztere Überlegung ist es, mit deren 
Hülfe in der gewöhnlichen Entwickelung der Mechanik der 
XJbergang von den Gesetzen des Gleichgewichts (dem Prinzip 
der virtuellen Geschwindigkeiten) zu den Gesetzen der Be- 
wegung (dem n'ALEMBERT'schen Prinzip) gemacht wird. 
Messung der Kräfte. 
541 Aus unseren Überlegungen ergeben sich im Ganzen drei 
unabhängige Methoden, um diejenigen Komponenten der Kräfte 
unmittelbar zu messen, welche überhaupt Einflufs auf die Er- 
scheinungen haben. Durch Anwendung einer jeden dieser 
drei Methoden können auch die Kräfte aus Rechnungsgröfsen 
zu Gegenständen der unmittelbaren Erfahrung gemacht werden, 
d. h. zu Zeichen für bestimmte Verbindungen sinnlicher Em- 
pfindungen und Wahrnehmungen. 
542 Die erste Methode bestimmt die Kraft aus den Massen 
und Bewegungen des Systems, von welchem sie ausgeübt wird. 
Physikalisch wird diese Methode die Messung der Kraft nach 
ihrem Ursprung genannt. Sie wird z. B. angewandt in der 
Annahme, dafs gleich gespannte Federn, gleiche Mengen explo- 
dierenden Pulvers u. s. w. unter übrigens gleichen Verhält- 
nissen gleiche Kräfte ausüben. 
Oyklisehe Bewegimg. 235 
Die zweite Methode bestimmt die Kraft aus den Massen 548 
und der Bewegung des Systems, auf welches sie wirkt. In der 
Physik* wird diese Methode als die dynamische Messung der 
E[raft bezeichnet. Sie wurde z. B. von Newton angewandt, 
als er die auf die Planeten wirkende Kraft aus deren Be- 
wegung ableitete. 
Die dritte Methode bestimmt die Kraft, indem sie sie mit MA 
bekannten Kräften ins Gleichgewicht bringt. Diese Methode 
wird die statische genannt. Auf ihr beruhen z. B. alle Kräfte- 
messungen mit der Wage, 
Angewandt zur Bestimmung einer und derselben Kraft S45 
unter Beobachtung der von uns abgeleitet-en Beziehungen 
müssen aber diese drei verschiedenen Methoden unter allen 
Umständen zu dem gleichen Eesultate führen, wenn anders 
das Grundgesetz, auf welches sich unsere Überlegungen 
stützen, wirklich alle mögliche mechanische Erfahrung richtig 
zusammenfafst. 
Abschnitt 5. Systeme mit verborgenen Massen. 
L Cyklische Bewegung. 
Definition 1. Cyklische Koordinate eines Systems heifst eine 546 
freie Koordinate des Systems dann, wenn die Länge einer 
unendlich kleinen Verrüqkung des Systems nicht von dem 
Werte der Koordinate, sondern nur von dem ihrer Änderung 
abhängt. 
Anmerkung 1. Es giebt cyklische Koordinaten. Denn 547 
es genügt z. B. eine rechtwinklige Koordinate des Systems, 
wenn sie frei ist, der Voraussetzung. Cyklische Koordinaten 
können stets eingeführt werden, wenn unendlich kleine Ver- 
rückungen des Systems möglich sind, welche nicht eine Ände- 
rung der Massenverteilung im Baume zur Folge haben, son- 
dern nur eine cyklische Vertauschung der Massen unter sich. 
236 Zweites Buch. 
Daher der Name. Es können aber auch unter anderen Ver- 
hältnissen cyklische Koordinaten auftreten, wie es das Beispiel 
der rechtwinkligen Koordinaten zeigt. 
548 Anmerkung 2. Die Energie eines Systems hängt nicht 
ab von dem Werte seiner cyklischen Koordinaten, sondern 
nur von deren Anderungsgeschwindigkeiten mit der Zeit. 
549 Definition 2. Cyklisches System heifst ein materielles 
System^ dessen Energie mit hinreichender Annäherung als 
eine homogene quadratische Funktion der Anderungsgeschwin- 
digkeiten seiner cyklischen Koordinaten erscheint. 
Ein cyklisches System heifst ein monocykUsches , dicy- 
klisches, u. s. w., je nachdem es eine, zwei, u. s. w. cyklische 
Koordinaten besitzt. 
In eiaem cyklischen System werden die nicht cyklischen 
Koordinaten auch die Parameter des Systems genannt; die 
Anderungsgeschwindigkeiten der cyklischen Koordinaten nennen 
wir auch die cyklischen Intensitäten. 
550 Anmerkung 1. Die Bedingung, deren* angenäherte Er- 
füllung für cyklische Systeme erfordert wurde, kann mit Strenge 
überhaupt nicht erfüllt sein, abgesehen von dem Falle, dafs 
das System nur cyklische Koordinaten besitzt. 
Denn ist eine Gröfse Koordinate eines Systems,, so be- 
dingt ihre Änderung eine Verrückung mindestens eines ma- 
teriellen Punktes des Systems; die Energie dieses Punktes ist 
also quadratische Funktion der Anderungsgeschwindigkeit 
jener Koordinate, und für die Energie des Systems gilt dem- 
nach das gleiche. Die Energie eines jeden Systems enthält 
daher in Strenge notwendig die Anderungsgeschwindigkeiten 
aller Gröfsen, welche überhaupt Koordinaten des Systems sind, 
also auch die Energie eines cyklischen Systems die Anderungs- 
geschwindigkeiten seiner Parameter. 
551 Anmerkung 2. Jene Bedingung für das Auftreten eines 
cyklischen Systems kann aber mit jedem beliebigen Grade der 
Annäherung erfüllt sein, sobald das System überhaupt cyklische 
Koordinaten besitzt. 
Sie ist nämlich erfüllt in dem Falle, dafs die Teile der 
Energie, welche die Änderungsgeschwindigkeiten der Para- 
Oyklische Bewegung. 237 
meter enthalten, verschwinden gegen die Teile, welche von den 
cyklischen Intensitäten abhängen, und dies kann stets dadurch 
erreicht werden, dafs die Anderangsgeschwindigkeiten der 
Parameter hinreichend klein, oder dafs die cyklischen Inten- 
sitäten hinreichend grofs angenommen werden. Wie grofs 
diese oder wie klein jene angenommen werden müssen, damit 
ein bestimmter Grad der Annäherang erzielt werde, hängt 
ab von den besonderen Werten der Koefficienten im Ausdruck 
der Energie. 
Im Folgenden wird stets vorausgesetzt, dafs die Bedingung 
der cyklischen Systeme mit so grofser Annäherung erfüllt sei, 
dafs wir so reden können, als sei sie genau erfüllt. 
Bezeichnung. Wir bezeichnen die cyklischen Koordinaten 552 
des Systems mit pg, mit r ihre Zahl, die Momente des Sy- 
stems nach den p^ mit q^. Die r nicht cyklischen Koordi- 
naten des Systems mögen mit p^, die Momente nach ihnen 
mit q^ bezeichnet werden. Die Masse des cyklischen Sy- 
stems sei nt. 
Die äufseren Kräfte, welche auf das System wirken, mögen 
nach den p^ die Komponenten Pq , nach den p^ die Kompo- 
nenten $ßg haben. Die Kräfte, welche das System selbst aus- 
übt, haben dann nach den Pq , beziehlich den p^ Komponenten, 
welche nach 467 mit P^ , beziehlich $ß^ zu bezeichnen sind. 
Folgerung 1. Die Energie (S eines cyklischen Systems 553 
kann geschrieben werden in den Formen (286): 
r r 
® = 2^2^2^ vl^?^ 
1 1 
r r 
= ^ S^S^'V^?^^ ' 
2nt , , 
in welchen die a^o ^nd b^^ Funktionen allein der p^ , nicht 
aber der pg sind (548), übrigens aber dieselben Eigenschaften 
und denselben Zusammenhang haben, wie die a^a und bg^ (59 ff.). 
Betrachten wir ® als Funktion der pg und der pg, wie 
es die erste Form darstellt, so möge sein partielles Differential 
mit dp® bezeichnet werden; betrachten wir aber @ als Funk- 
238 Zweites Buch. 
tion der pg und der q^ , wie es die zweite Form darstellt, so 
möge sein partielles Differential mit dq@ bezeichnet werden 
(vergl. 288). 
554 FolgenJQg 2. Für alle Werte des q gelten die Glei- 
chungen: 
a) (289) 
b) (290) 
dpe 
= 9q 
= 
dqg 
=Pq 
-0 
5p@ 
= 
« 
dp. 
-0 
• 
c) 
d) 
Diese Gleichungen enthalten die charakteristischen Merk- 
male der cyküschen Systeme, und auf ihnen beruhen die be- 
sonderen Eigentümlichkeiten derselben. 
Die Gleichung b) wiederholt die Bemerkung (550), dafs 
ein Widerspruch besteht zwischen der Annahme, dafs die 
Form der Energie genau die angenommene sei und dafs 
gleichwohl die p^ mit der Zeit veränderliche Gröfsen seien. 
Wir haben die Gleichung gemäfs 551 dahin zu deuten, dafs, 
wenn (S sehr angenähert die gewählte Gestalt hat, die p^ als 
langsam sich verändernde Gröfsen betrachtet werden müssen. 
Kräfte und Kräftefunktion. 
555 Aufgabe 1. Die Kraft P^ zu bestimmen, welche das 
cyklische System nach seinem Parameter p^ ausübt. 
Zufolge der Gleichungen 493 e, d und 554a erhalten wir: 
oder in entwickelter Form: 
OyMische Bewegung, 239 
' ' da. 
1 1 Vre 
' ' dh 
= -^2^2^^^^- • ^> 
Folgerung. Die Ejräfte eines cyklischen Systems nach 556 
seinen Parametern sind unabhängig von den Änderungsge- 
schwindigkeiten dieser Parameter. 
Vorausgesetzt ist jedoch immer, dafs diese Anderungs- 
geschwindigkeiten nicht dasjenige Mafs übersteigen, welches 
erlaubt, das System als ein cyklisches zu behandeln. So sind 
in der Elektrodynamik die Anziehungen zwischen Magneten 
zwar unabhängig von der Geschwindigkeit ihrer Bewegung, 
aber doch nur so lange, als diese Geschwindigkeit weit unter- 
halb der Lichtgeschwindigkeit liegt. 
Angabe 2. Die Kraft ^^ zu bestimmen, welche das 557 
cyklische System nach seiner cyklischen Koordinate p^ ausübt. 
Zufolge der Gleichungen 493c und 554 e erhält man: 
% = - q? . *) 
Entwickelt, hat man, da (270) 
r 
q^ = m 2*' ö?(T iPcr > ^) 
1 
r ^ ^ da 
1 11 "/^' 
Folgerung. Wirkt auf ein cyklisches System eine äufsere 55S 
Kraft, deren Komponenten nach den pg die ^^ sind, so ändern 
sich die cyklischen Momente nach den Gleichungen: 
q^ = $^ • 
Lehrsatz. Wenn auf die cyklischen Koordinaten eines 559 
240 Zweites Buch. 
cyklischen Systems keine Kräfte wirken, so sind die sämtlichen 
cyklischen Momente des Systems konstant in der Zeit. 
Denn sind die Jß^ gleich Null, so ergehen die vorigen 
Gleichungen durch Integration 
q^ = constans . 
560 Definition. Eine Bewegung eines cyklischen Systems, hei 
welcher seine cyklischen Momente konstant hleiben, heilst eine 
adiabatische Bewegung. Eine Bewegung eines cyklischen 
Systems, bei welcher seine cyklischen Intensitäten konstant 
bleiben, heilst eine isocyklische Bewegung. 
Adiabatisch, beziehlich isocyklisch wird das cyklische 
System selbst genannt, wenn es gezwungen ist, keine anderen 
Bewegungen auszuführen, als nur adiabatische, beziehlich iso- 
cyklische. 
561 Anmerkung 1. Die analytische Bedingung der adiabati- 
schen Bewegung ist diese, dafs für alle q: 
q = , c\g = constans 
sei. Die analytische Bedingung der isocyklischen Bewegung 
ist diese, dafs für alle q: 
ipg = , |)^ = constans 
sei. 
562 Anmerkung 2. Die Bewegung eines cyklischen Systems 
ist eine adiabatische, sobald auf die cyklischen Koordinaten 
dauernd keine Ej'äfte wirken. Die Bewegung eines cyklischen 
Systems ist eine isocyklische, wenn es nach den cyklischen 
Koordinaten mit anderen Systemen gekoppelt ist, welche kon- 
stante Änderungsgeschwindigkeit der gekoppelten Koordinaten 
besitzen. Damit die Bewegung eine isocyklische sei, müssen 
also geeignete Kräfte auf die cyklischen Koordinaten wirken. 
563 Definition. Lassen sich die Kräfte eines cyklischen Sy- 
stems nach seinen Parametern darstellen als die partiellen 
OyUisdhe Bewegung. 241 
Differentialquotienten einer Funktion der Parameter und kon- 
stanter Gröfsen, nach den Parametern, so heifst diese Funk- 
tion die Kräftefunktion des cyklischen Systems. 
Lehrsatz. Sowohl für die adiabatische^ als auch für die 564 
isocyklische Bewegung besteht eine Kräftefunktion. 
Denn für die adiabatische Bewegung folgt aus 555 e: 
und hierin sind die Gröfsen qaCfr/in Konstanten und die 
bor Funktionen lediglich der Parameter. 
Entsprechend folgt für die isocyklische Bewegung aus 
555b: 
und hierin sind wiederum die Gröfsen Vdpa'ifx Konstanten und 
die a^ Funktionen lediglich der Parameter. 
Anmerkung. Die Kräftefnnktion für die adiabatische 565 
und für die isocyklische Bewegung unterscheiden wir auch 
wohl als adiabatische bez. isocyklische Kräftefunktion. Es 
giebt weitere Bewegungsformen des Systems, für welche 
Kräftefiinktionen bestehen, aber nicht für jede beliebige Be- 
wegung besteht eine solche. 
Znsatz 1. Die Kräftefunktion eines adiabatischen 'Systems 566 
ist gleich der Abnahme der Energie des Systems, gerechnet 
von einem willkürlich gewählten Anfangszustand aus. Sie ist 
daher auch gleich einer willkürlichen, d. h. durch die Defini- 
tion nicht bestimmten Konstanten, vermindert um die Energie 
des Systems. 
Zusatz 2. Die Kräftefunktion eines isocyklischen Systems 567 
ist gleich der Zunahme der Energie des Systems, gerechnet 
von einem willkürlich gewählten Anfangszustand aus. Sie ist 
daher auch gleich der Energie des Systems, vermindert um 
eine willkürliche Konstante. 
Hertz, Mechanik. 16 
242 Zweites Buch. 
Reclproke Eigentümlichkeiten. 
568 Lehrsatz la. Wenn in einem adiabatischen System eine 
Vergröfserimg des Parameters p^ die Komponente der Kraft 
nach dem anderen Parameter px steigert, so steigert auch 
umgekehrt eine Vergröfserung von px die Kraft nach jo^ . Und 
zwar ist bei unendlich kleiner Vergröfserung das quantitative 
Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung in beiden Fällen 
das gleiche. 
Denn in einem adiabatischen System können wir die p^ 
als die hinreichenden unabhängigen Bestimmungsstücke der 
Fg betrachten, und es liefert uns daher die für adiabatische 
Systeme gültige Gleichung 664 a: 
welches die Behauptung ist. 
569 Lehrsatz Ib. Wenn in einem isocyklischen System eine 
Vergröfserung des Parameters jp^ die Komponente der Kraft 
nach dem anderen Parameter px steigert, so steigert auch 
umgekehrt eine Vergröfserung von px die Kraft nach /?^ . Und 
zwar ist bei unendlich kleiner Vergröfserung das quantitative 
Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung in beiden Fällen 
das gleiche. 
Denn auch in einem isocyklischen System können wir 
die Pq als hinreichende unabhängige Bestimmungsstücke der 
Pq ansehen, und es Uefert uns daher die für isocyklische Sy- 
steme gültige Gleichung 564b: 
dPx^dP;^ 
^Pf, dpi ' 
welches die Behauptung ist. 
Es ist zu bemerken, dafs diese Gleichung von der vorigen 
dem Sinne nach verschieden, wenn auch der Form nach 
identisch ist. 
570 Anmerkung. Damit die vorstehenden beiden Lehrsätze 
eine physikalische Anwendung gestatten, genügt es, dafs von 
OyUisdhe Beiwegimg, 243 
dem cyklischen System zwei Parameter und die Kräfte nach 
diesen der unmittelbaren Beobachtung zugänglich seien. 
Lehrsatz 2 a. Wenn in einem cyklischen System eine 571 
Vermehrung des cyklischen Momentes q^ bei festgehaltenen 
Parametern eine Steigerung der Kraft nach dem Parameter 
px zur Folge hat, so ruft die adiabatische Vergröfserung des 
Parameters px eine Verminderung der cyklischen Intensität ^^ 
hervor, und umgekehrt. Und zwar ist bei unendlich kleiner 
Änderung das Grössenverhältnis zwischen Ursache und Wir- 
kung in beiden Fällen das gleiche. 
Denn wir haben: 
P,^-f^ (555a) , ^, = g (290) , 
also ist 
dPi 
öq^ dpx ' 
a) 
von welcher Gleichung der Lehrsatz die richtige Interpre- 
tation ist. 
Folgerung. Wenn in einem monocyklischen System eine 672 
Vermehrung der cyklischen Intensität |) bei festgehaltenen 
Parametern eine Steigerung der Kraft nach dem Parameter 
pi zur Folge hat, so ruft die adiabatische Vergröfserung des 
Parameters px eine Verminderung der cyklischen Intensität ^p 
hervor, und umgekehrt. 
Denn in einem monocyklischen System geht Vermehrung 
der cyklischen Intensität und Vermehrung des cyklischen Mo- 
mentes bei festgehaltenen Parametern stets Hand in Hand. 
Für ein monocyklisches System ist nämlich 
worin a eine notwendig positive (62) Funktion der Parameter 
des Systems ist. 
Lehrsatz 2 b. Wenn in einem cyklischen System eine 573 
Vermehrung der cyklischen Intensität p^^ bei festgehaltenen 
16* 
244 Zfweües Buch. 
Parametern eine Steigemng der Kraft nach dem Parameter px 
znr Folge hat, so ruft die isocyklische Yergröfsenmg des 
Parameters px eine Vermehrung des cyklischen Momentes q^ 
hervor, und umgekehrt. Und zwar ist bei unendlich kleiner 
Änderung das Grössenverhältnis zwischen Ursache und Wir- 
kung in beiden Fällen das gleiche. 
Denn wir haben: 
(556a) , q^ = ^ (289) 
Fi- 
Bpx 
also ist: 
») 
y 
% 
dPi 
öq^ 
% 
dpi ' 
von welcher Gleichung der Lehrsatz den Ausdruck in Wor- 
ten giebt. 
574 Folgerung. Wenn in einem monocyklischen System eine 
Vermehrung des cyklischen Momentes q bei festgehaltenen 
Parametern eine Steigerung der Kraft nach dem Parameter px 
zur Folge hat, so ruft die isocyklische Vergröfserung des 
Parameters px eine Vermehrung des cyklischen Momentes q 
hervor, imd umgekehrt. 
Der Grund ist derselbe wie in 572. 
575 Anmerkung. Die vorstehenden Lehrsätze 2 a und 2 b ge- 
statten eine physikalische Anwendung dann, wenn es möglich 
ist, neben einer cyklischen Intensität auch das entsprechende 
cyklische Moment unmittelbar, d. h. ohne Kenntnis der Koefß- 
cienten a^«,, zu bestimmen. Dies kann eintreten. In der 
Elektrostatik entsprechen z. B. die PotentialdiflFerenzen der 
Leiter den cyklischen Intensitäten, die Elektricitätsmengen der 
Leiter den cyklischen Momenten, und beide Gröfsen können 
unabhängig von einander unmittelbar bestimmt werden. 
Die Folgerungen verlangen nur die unmittelbare Be- 
stimmbarkeit entweder der cyklischen Intensität oder des 
cyklischen Momentes. 
576 Lehrsatz 3 a. Wenn in einem cyklischen System eine auf 
die cyklische Koordinate pf^ ausgeübte Kraft ein zeitliches An- 
wachsen der Kraft nach dem Parameter px zur Folge hat, so 
Oyklische Bewegv/ng. 245 
ruft die adiabatische Vergröfserung des Parameters p), eine 
Verminderung der cyklischen Intensität ^^ hervor, und umge- 
kehrt. Und zwar ist bei unendlich kleiner Änderung das 
Grössenverhältnis zwischen Ursache und Wirkung in beiden 
Fällen das gleiche. 
Denn denken wir uns in der linken Seite der Gleichung 
571a die Änderungen dPx ^^id dq^ entstanden in der Zeit dtj 
dividieren wir den Differentialquotienten im Zähler und Nenner 
durch diese Zeit dt, und beachten die Gleichung 558, indem 
wir die Änderung dq^ als Wirkung der Kraft ^^ ansehen, 
so folgt: 
von welcher Gleichung der Lehrsatz den vervollständigten Aus- 
druck in Worten giebt. 
Lehrsatz 3 b*). Wenn in einem cyklischen System eine 577 
Vermehrung der cyklischen Intensität |)^ bei festgehaltenen 
Parametern eine Steigerung der Kraft nach dem Parameter px 
zur Folge hat, so ruft die isocyklische Vergröfserung des 
Parameters p^ eine Verminderung der Kraft des Systems nach 
der cyklischen Koordinate p^ hervor, und umgekehrt. Und 
zwar ist bei unendlich kleiner Änderung das Gröfsenverhält- 
nis zwischen Ursache und Wirkung in beiden Fällen das gleiche. 
Denken wir uns in der rechten Seite der Gleichung 573 a 
die Änderungen öq^ und dpx entstanden in der Zeit dt, so 
können wir setzen: 
öq^ = ^ d(\fi'dt = öq^ dt^ - ö^j;, dt (557 a) , 
dpi=-j^dp^'dt=-dpxdt ; 
es wird also jene Gleichung: 
dp^ dp, ' 
welche Aussage der Lehrsatz in Worten wiedergiebt. 
* Mit dem Originale übereinstimmender Abdruck. — Der Herausgeber. 
246 Zweites Btush. 
578 Anmerkung. Die Lehrsätze 3 a und 3 b gestatten die 
physikalische Anwendung dann, wenn neben einer cyklischen 
Intensität auch die entsprechende cyklische Kraftkomponente 
der unmittelbaren Beobachtung zugänglich ist. Dies trifft 
zum Beispiel für die Elektrodynamik zu, und man versinnlicht 
sich die Bedeutung der Lehrsätze 3 a und 3 b am besten, 
indem man sie in die Redeweise dieses Zweiges der Physik 
übersetzt. 
Energie und Arbeit. 
679 Lehrsatz 1. Bei der isocyklischen Bewegung eines cykli- 
schen Systems ist die Arbeit, welche das System durch die 
Koppelung seiner cyklischen Koordinaten aufiiimmt, beständig 
das Doppelte der Arbeit, welche es durch die Koppelung seiner 
Parameter abgiebt. 
Bei der isocyklischen Bewegung ist p^ für alle q gleich 
Null, also nach 514 und 557c die Arbeit, welche die auf 
die cyklischen Koordinaten wirkenden äufseren Kräfte in der 
Zeiteinheit leisten, gleich: 
r r r 
da. 
1 1 1 1 "^^ 
Die Arbeit aber, welche das System durch seine Kräfte 
nach den Parametern leistet, berechnet auf die Zeiteinheit, 
wird gefunden mit Hülfe von 655b gleich: 
*" 1 ^ ^ ^ da 
2^ PqPq = 2 ^ 2^2"2' öjT ^^ ^'P^ • 
1 111 ^^e 
Die Summen in beiden Gleichungen sind bis auf die Be- 
zeichnung identisch, und die Glieder der ersten Gleichung sind 
daher doppelt so grofs als die der letzten. 
680 Folgerung. Wenn ein isocyklisches System durch die 
Kräfte nach seinen Parametern Arbeit leistet, so wächst gleich- 
zeitig die Energie des Systems, und zwar um den Betrag der 
geleisteten Arbeit; wenn ein isocyklisches System durch die 
Oyklisehe Bewegung. 247 
Kräfte nach seinen Parametern Arbeit aufnimmt, so nimmt 
gleichzeitig die Energie des Systems ab, und zwar um den 
Betrag der aufgenommenen Arbeit. 
Denn die Zunahme der Energie des Systems ist gleich 
dem unterschiede der von den cyklischen Koordinaten auf- 
genommenen und der durch die Parameter abgegebenen Arbeit. 
Anmerkung. Wenn ein adiabatisches System durch die 581 
Kräfte nach seinen Parametern Arbeit leistet, so nimmt gleich- 
zeitig die Energie des Systems ab^ und zwar um den Betrag 
der geleisteten Arbeit; wenn ein adiabatisches System durch 
die Kräfte nach seinen Parametern Arbeit aufnimmt, so wächst 
gleichzeitig die Energie des Systems, und zwar um den Betrag 
der aufgenommenen Arbeit. 
Denn in einem adiabatischen System wird durch die 
cyklischen Koordinaten keine Arbeit aufgenommen (562). 
Lehrsatz 2. Bei der adiabatischen Yerrückung eines 582 
cyklischen Systems erleiden die cyklischen Intensitäten stets 
Änderungen in solchem Sinne, dafs die von diesen Änderungen 
hervorgerufenen Kräfte nach den Parametern bei der Ver- 
rückung negative Arbeit leisten. 
Es mögen bei der Verrückung die p^ die Änderungen 8pq 
und die Intensitäten p^ die Änderungen Spg erleiden. Fänden 
nur die letzteren Änderungen statt, so würden sich die Kräfte 
Fg ändern um die Beträge (5551b): 
r r 
ddr 
1 1 ^rQ 
und diese 8Pq sind es, welche der Lehrsatz als die von den 
^y hervorgerufenen Kräfte bezeichnet. Die von ihnen ge- 
leistete Arbeit ist gleich: 
1 1 1 1 ^^e 
t r 
- ttt 2^2^ Saai ^(7 Sifx j 
1 1 
248 Zweites Buch. 
und die Behauptung geht dahin , dafs diese Arbeit notwendig 
negativ sei. Nun ist aber für die adiabatische Bewegung: 
^1 = ^2*' ^" IP^ "^ constans , 
1 
also: 
r r 
1 1 
Bilden wir diese Gleichungen für alle r, multiplizieren sie der 
Eeihe nach mit mSp^ und addieren, so erhalten wir links den 
vorigen Ausdruck für die betrachtete Arbeit, rechts eine not- 
wendig negative Gröfse (62), womit die Behauptung erwiesen ist. 
5S3 Folgerung. Bei der adiabatischen Verrückung eines 
cyklischen Systems erleiden die cyklischen Intensitäten stets 
Änderungen in solchem Sinne, dafs die von diesen Änderungen 
hervorgerufenen . Kräfte die erzeugende Bewegung aufzuhalten 
streben. 
Dies ist in der That nur eine andere Form, den vorigen 
Lehrsatz auszusagen. Sie entspricht der Ausdrucksweise der 
Lenz' sehen Regel in der Elektrodynamik. 
584 Bemerkung. Bei jeder unendlich kleinen Bewegung eines 
mono cyklischen Systems verhält sich die durch die cyklische 
Koordinate aufgenommene Arbeit zur Energie des Systems, 
wie der doppelte Zuwachs, welchen das cyklische Moment des 
Systems erfährt, zu diesem Moment. 
Denn die während der Zeit dt durch die cyklische Ko- 
ordinate p aufgenommene Arbeit dO, ist gleich: 
d€L=^^dp = (\dp = (\^dt = 'pdq , 
während die Energie ® geschrieben werden kann: 
Also ist: 
welches die Behauptung ist. 
OykUacke Bewegung. 249 
Folgerung 1. Bei beliebiger Bewegung eines mono- 5S5 
cyklischen Systems ist der Ausdruck 
das vollständige Differential einer Funktion der Parameter und 
der cyklischen Intensität des Systems, nämlich der Funktion 
21og5- , 
Ho 
in welcher q^, das cyklische Moment für eine willkürlich ge- 
wählte Anfangslage bedeutet. Diese Funktion wird auch die 
Entropie des monocyklischen Systems genannt. 
Folgerung 2. Der Wert des für eine beliebige endliche 586 
Bewegung eines monocyklischen Systems gebildeten Integrales 
/ 
d^ 
hängt nur ab von den Zuständen des Systems in der Anfangs- 
und Endlage der Bewegung, nicht aber von den zwischen 
beiden Lagen durchlaufenen Zuständen. Der Wert jenes Inte- 
grales wird Null für jede Bewegung, welche das System zu 
seinem Anfangszustand zurückführt. 
Denn der Wert jenes Integrales ist gleich dem Unter- 
schiede der Entropie im Anfangs- und im Endzustande der 
Bewegung. 
Folgerung 3. Bei der adiabatischen Bewegung eines 587 
monocyklischen Systems bleibt die Entropie konstant. Denn 
für die adiabatische Bewegung ist 5ß, also auch ^D gleich 
Null. Die adiabatische Bewegung eines monocyklischen Sy- 
stems wird deshalb auch eine isentropische genannt. 
Zeitintegral der Energie. 
Bemerkung 1. Ändern sich bei der adiabatischen Be- 588 
wegung eines cyklischen Systems die cyklischen Koordinaten p^ 
j 
250 Ziceites Buch. 
in einer gewissen endlichen Zeit um die Beträge p^f so ist 
das Zeitintegral der Elnergie des Systems, genommen über 
jene Zeit, gleich 
y2^^??? • 
Denn es kann die Energie des Systems geschrieben werden 
in der Form (286b); 
2"2^^?1P? ' 
2 
1 
und hierin sind für die adiabatische Bewegung die q^ Kon- 
stanten. 
589 Bemerkung 2. Die Variation des Zeitintegrales der Energie 
eines adiabatischen Systems bei variierter Bewegung des Sy- 
stems hängt ab erstens von der Variation der Parameter 
während der ganzen Zeit, über welche das Integral gebildet 
ist, zweitens aber auch von den in der Zeit konstanten Varia- 
tionen, welche die in der Zeit konstanten cyklischen Momente 
des Systems erleiden. 
590 Bezeichnung. Wir bezeichnen im folgenden: 
mit S eine Variation, bei welcher die cyklischen Momente 
willkürliche Variationen erleiden, 
mit ^q eine Variation, bei welcher die cyklischen Momente 
keine Variationen erleiden, 
endlich mit Sp eine Variation, bei welcher die cyklischen 
Momente solche Variationen erleiden, dafs die Anfangs- und 
Endwerte der cyklischen Koordinaten unvariiert bleiben. 
691 Eolgerung. Aus der Bezeichnung folgt von selbst für 
alle q: 
SqC{Q = , Sp^g = , 
also wird nach 588 für beliebige Variationen der Parameter: 
Oyldische Bewegung, 251 
Anmerkung. In einem adiabatischen System ist es stets, 592 
und zwar im allgemeinen nur auf eine Weise möglich, bei 
beliebiger Variation der Parameter den cyklischen Momenten 
solche Variationen zu erteilen, dafs die Anfangs- und End- 
werte der cyklischen Koordinaten unvariiert bleiben. 
Denn aus der allgemeinen Beziehung: 
^9 = iSV^^ 
m , 
folgt für ein adiabatisches System, in welchem sich die pg von 
den Werten pg^ auf die Werte p^^ ändern: 
1 
also bei beliebiger Variation der Parameter und der cyklischen 
Momente: 
1 1 
Diese Gleichungen aber bilden r nicht homogene, lineare Glei- 
chungen für die r Gröfsen ^q^, welche also stets eine und 
zwar im allgemeinen nur eine Lösung zulassen, insbesondere 
auch dann, wenn die links stehenden Variationen ver- 
schwinden. 
Variationen der Art, welche wir mit Sp bezeichneten, sind 
also auch bei beliebiger Variation der Parameter stets möglich. 
Lehrsatz. Bei gleicher, übrigens willkürlicher Variation 593 
der Parameter während einer gewissen Zeit fällt die Variation 
252 Zweites Buch, 
des Zeitintegrales der Energie in einem adiabatischen System 
entgegengesetzt gleich aus, wenn man das eine Mal die cy- 
klischen Momente des Systems unvariiert läfst, das andere 
Mal sie so variiert, dafs Anfangs- und Endwerte der cyklischen 
Koordinaten unvariiert bleiben. 
Denn für eine beliebige Variation ist: 
=-sJ^dt+^^gSqg , 
also insbesondere flir eine Variation, bei welcher Anfangs- 
und Endwerte der pQ unvariiert bleiben: 
Spj^dt = SJ(&dt+^e^gSpqg . 
Subtrahiert man hiervon zweimal die Gleichung 591 b, so folgt: 
Sc^f(S;dt= -Spff&dt , 
welches die Behauptung ist. 
Man vergleiche übrigens die verwandten Sätze 96 und 293. 
n. Verborgene cyklische Bewegimg. 
Erläuterungen und Definitionen. 
594 1. Wir sagen, ein System enthalte verborgene Massen, 
wenn durch die der Beobachtung zugänglichen Koordinaten 
des Systems noch nicht die Lage aller Massen des Systems 
bestimmt ist, sondern nur die Lage eines Teiles derselben. 
595 2. Diejenigen Massen, deren Lage bei vollständiger An- 
gabe der beobachtbaren Koordinaten des Systems dennoch 
unbekannt bleibt, heifsen verborgene Massen, ihre Bewegungen 
Verborgene Bewegtmg. 253 
verborgene Bewegungen, ihre Koordinaten verborgene Koordi- 
naten. Im Gegensatz dazu heifsen die übrigen Massen des 
Systems sichtbare Massen, ihre Bewegungen sichtbare Be- 
wegungen, ihre Koordinaten sichtbare Koordinaten. 
3. Die Aufgabe, welche der Mechanik in Hinsicht der 596 
Systeme mit verborgenen Massen zufällt, ist diese: die Be- 
wegungen der sichtbaren Massen des Systems oder auch die 
Veränderungen der sichtbaren Koordinaten des Systems vor- 
auszubestimmen trotz der vorhandenen Unkenntnis über die 
Lage der verborgenen Massen. 
4. Ein System, welches verborgene Massen enthält, unter- 597 
scheidet sich von einem System ohne verborgene Massen allein 
in Hinsicht unserer Kenntnis des Systems. Alle bisherigen 
Aussagen unserer Mechanik bleiben daher anwendbar auf Sy- 
steme mit verborgenen Bewegungen, sobald wir unter den 
Massen, Koordinaten u. s. w. die sämtlichen Massen, Koordi- 
naten u. s. w. verstehen. Erst dann werden Änderungen nötig, 
wenn wir unsere Aussagen auf die sichtbaren Gröfsen be- 
schränken wollen. Die zu stellende Aufgabe kann daher auch 
dahin formuliert werden, dafs anzugeben sei, welche Änderungen 
die bisherigen Aussagen unserer Mechanik erleiden müssen, 
wenn unter den Massen, Koordinaten u. s. w. schlechthin nur 
die sichtbaren Massen, Koordinaten u. s. w. verstanden werden. 
6. Es ist klar, dafs die in der einen oder der anderen 598 
Form gestellte Aufgabe nicht zu lösen ist ohne gewisse An- 
gaben über den Einflufs, welchen die verborgenen Massen auf 
die Bewegung der sichtbaren Massen ausüben. Solche An- 
gaben aber sind möglich. Ein geleitetes System oder ein von 
Kräften beeinflufstes System kann bereits als ein System mit 
verborgenen Massen aufgefafst werden, indem man die un- 
bekannten Massen des leitenden Systems oder des beein- 
flussenden Systems als verborgene ansieht. Im allgemeinen 
ist es indessen in diesen Fällen möglich, auch die Massen des 
leitenden oder des Kräfte ausübenden Systems physikalisch zu 
erkennen, und die Auffassung derselben als verborgener ist 
alsdann eine freiwillige. Jetzt indessen fassen wir vorwiegend 
solche Fälle ins Auge, in welchen die Erkenntnis der ver- 
254 Zweites Buek. 
borgenen Massen in der That durch keine physikalische Beob- 
achtung möglich ist. 
699 6. In sich zurücklaufende Bewegungen, also cyklische 
Bewegungen, sind häufig verborgene Bewegungen, da sie, allein 
bestehend, eine Änderung in der Massenyerteilung, also im 
Anblick der Welt, nicht hervorrufen. So ist die Bewegung 
einer homogenen Flüssigkeit in einem geschlossenen Gefäfse 
für den Anblick eine verborgene; sie wird erst sichtbar ge- 
macht, wenn ihr durch Einbringen von Staub oder dergleichen 
die Eigenschaft der streng cyklischen Bewegung geraubt wird. 
Umgekehrt sind verborgene Bewegungen fast stets cyklische 
Bewegungen. Nicht in sich zurücklaufende Bewegungen fuhren 
nämlich stets über kurz oder lang eine gröfsere Änderung in 
der Massenverteilung, also im Anblick der Welt hervor und 
werden dadurch sichtbar. 
600 7. Auch cyklische Bewegungen können ihre Verborgenheit 
nicht lange bewahren, sobald wir Mittel gewinnen, auf die 
einzelnen cyklischen Koordinaten zu wirken und die cyklischen 
Intensitäten beliebig abzuändern. Die Mannigfaltigkeit unseres 
Einflusses auf das System ist in diesem Falle ebenso grofs 
wie die wirkliche Mannigfaltigkeit des Systems, und wir können 
von jener auf diese schliefsen. Anders aber verhält es sich, 
wenn ein freiwilliger unmittelbarer Einflufs auf die cyklischen 
Koordinaten dauernd ausgeschlossen ist. Dies kann eintreten 
in adiabatischen cyklischen Systemen (560), und in diesen 
werden wir daher vorzugsweise die für unsere Beobachtung 
dauernd verborgenen Bewegungen zu suchen haben. 
Auf solche Fälle beschränken wir daher zunächst die Be- 
trachtung der verborgenen Bewegung. Unsere Behandlungsart 
aber bringt es mit sich, dafs wir auch in diesen Fällen die 
verborgene Bewegung so behandeln, als wäre sie sichtbar, und 
erst nachträglich untersuchen, welche unserer Aussagen an- 
wendbar bleiben trotz der nunmehr vorausgesetzten Ver- 
borgenheit. 
Konservative Systeme. 255 
KonserTatlre Systeme. 
Definition 1. Ein materielles System, welches keine an- 601 
deren verborgenen Massen enthält, als solche, welche adiaba- 
tische cyklische Systeme bilden, heilst ein konservatives System. 
Der Name ist veranlafst durch eine Eigenschaft solcher 
Systeme, welche später hervortreten wird; er ist zunächst 
durch den Anschlufs an den feststehenden Gebrauch der Mecha- 
nik genügend gerechtfertigt. 
Anmerkung. Jedes konservative System kann betrachtet 602 
werden als bestehend aus zwei Teilsystemen, von denen das 
eine alle sichtbaren Massen, das andere alle verborgenen 
Massen des ganzen Systems enthält. Die Koordinaten des 
sichtbaren Teilsystems, also die sichtbaren Koordinaten des 
ganzen Systems, sind zugleich die Parameter des verborgenen 
Teilsystems. 
Wir bezeichnen dauernd die Masse des sichtbaren Teil- 
systems mit m, seine Koordinaten mit p^ , seine Momente nach 
den Pq mit q^ . Die Masse des verborgenen Teilsystems werde 
mit m bezeichnet, seine Koordinaten mit p^, seine Momente 
nach diesen mit q^ . 
Definition 2. Unter der Kräftefunktion eines konservativen 603 
Systems verstehen wir die Kräftefunktion seines verborgenen 
Teilsystems (563). 
Die Kräftefunktion eines konservativen Systems ist also 
im allgemeinen gegeben als Funktion der sichtbaren Koordi- 
naten und konstanter Gröfsen, ohne dafs der Zusammenhang 
dieser Konstanten mit den Momenten des cyklischen Teil- 
systems offen gegeben sei. Die Form dieser Funktion ist 
durch unsere Betrachtungen keiner Einschränkung unterworfen. 
Wir bezeichnen die Kräftefunktion des konservativen Sy- 
stems dauernd mit U. 
Bemerkung. Damit die Bewegung der sichtbaren Massen 604 
eines konservativen Systems vollständig bestimmt sei, genügt 
es, dafs seine Kräftefunktion gegeben sei als Funktion seiner 
sichtbaren Koordinaten, und es macht diese Angabe jede weitere 
Angabe über die verborgenen Massen des Systems entbehrlich. 
256 Zweites Buch. 
Denn ans der Eräftefiinktion in der angegebenen Form 
folgen vollständig die Kräfte, welche das verborgene Teilsystem 
anf das sichtbare ausübt, und diese Kraft;e vertreten voll- 
ständig den Einflnfs des ersteren auf das letztere (457 £P.). 
605 Definition 3. Derjenige Teil der Energie eines konserva- 
tiven Systems, welcher von der Bewegung seiner sichtbaren 
Massen herrührt, heilst die kinetische Energie des ganzen 
Systems. Im Gegensatz dazu wird die Energie der verborgenen 
Massen die potentielle Energie des ganzen Systems genannt. 
Die kinetische Energie wird auch wohl als lebendige Kraft 
bezeichnet; nach einer anderen, älteren Redeweise wird das 
Doppelte der kinetischen Energie mit diesem Namen belegt. 
606 Bezeiclmung. Wir bezeichnen die kinetische Energie 
dauernd mit T. T ist demnach eine homogene quadratische 
Fimktion der p^ , mit gleichem Rechte der q^ ; die Koefßcienten 
dieser Funktion sind Funktionen der pg . Mit d^T bezeichnen 
wir das partielle Differential von T^ sobald wir die pg und die 
pQ als unabhängig von einander veränderliche Variabele be- 
trachten, mit dqT aber dann, wenn wir die p^ und die q^ als 
unabhängig von einander veränderliche Variabele betrachten. 
Die Energie des verborgenen cyklischen Teilsystems, also 
die potentielle Energie des ganzen Systems, möge unter Bei- 
behaltung einer bereits benutzten Bezeichnung (653) mit (£ 
bezeichnet werden. 
607 Anmerkung. Die kinetische und die potentielle Energie 
eines konservativen Systems unterscheiden sich von einander 
nicht durch ihre Natur, sondern nur durch den freiwilligen 
Standpunkt unserer Auffassung, oder die unfreiwillige Be- 
schränkung unserer Kenntnis von den Massen des Systems. 
Dieselbe Energie, welche bei einem gewissen Stand unserer 
Auffassung oder unserer Kenntnis als potentielle zu bezeichnen 
ist, ist bei verändertem Stand unserer Auffassung oder Kenntnis 
als kinetische anzusprechen. 
608 Folgerung 1. Die Energie eines konservativen Systems 
ist gleich der Summe seiner kinetischen und seiner potentiellen 
Energie. 
Konservative Systeme, 257 
Wir bezeichnen die Gesamtenergie des konservativen Sy- 
stems dauernd mit E und haben alsdann: 
Eolgenmg 2. In einem freien konservativen System ist 609 
die Summe der potentiellen und der kinetischen Energie kon- 
stant in der Zeit; die kinetische Energie wächst nur auf Kosten 
der potentiellen, und umgekehrt (840). 
Folgerung 3. In einem freien konservativen System ist 610 
die Differenz zwischen kinetischer Energie und Kräftefunktion 
konstant in der Zeit; kinetische Energie und Kräftefnnktion 
nehmen gleichzeitig zu und ab und zwar um gleiche Beträge (566). 
Definition 4. Die Differenz zwischen kinetischer Energie 611 
und Kräftefunktion eines konservativen Systems nennen wir 
die mathematische oder analytische Energie des Systems. 
Wir bezeichnen die mathematische Energie dauernd mit ä. 
Sie unterscheidet sich von der Energie des Systems nur durch 
eine von Zeit und Lage des Systems unabhängige, im allge- 
meinen aber unbekannte Konstante. Für die mathematische 
Anwendung kann sie die Energie vollständig vertreten, es fehlt 
ihr aber die physikalische Bedeutung, welche diese besitzt. 
Anmerkung. Die Definition wird wiedergegeben durch 612 
die Gleichung: 
T-U^-h , a) 
oder in anderer Schreibart: 
ü+h^T . 1)) 
Ist das konservative System ein freies, so ist in dieser 
Gleichung die Gröfse h eine von der Zeit unabhängige Kon- 
stante, und die Gleichung wird alsdann auch wohl als die 
Gleichung der Energie für das konservative System bezeichnet. 
Aus b) und 608 leiten wir noch die Beziehung her: 
ü+h = E--l^ . e) 
Hertz, Mechanik. 17 
258 Zweües Buch, 
613 Definition 5. Das Zeitintegral der kinetischen Energie eines 
Systems, genommen zwischen zwei bestimmten Zeiten als Grenzen, 
wird die Wirkung oder der Kraftaufwand während der Zwischen- 
zeit genannt. 
Die Wirkung bei der Bewegung eines konservativen Sy- 
stems während einer gegebenen Zeit wird also dargestellt 
durch das Integral 
^Tdt 
!'■ 
genommen zwischen dem Anfangs- und dem Endwerte jener Zeit. 
614 Anmerkung L Bezeichnet ds das Bahnelement des sicht- 
baren Teilsystems, v die Geschwindigkeit desselben in seiner 
Bahn, so kann die Wirkung auch dargestellt werden in der 
Form des Integrals 
\mjv 
ds 
genommen zwischen den Lagen, in welchen sich das System 
zu Anfang und zu Ende der betrachteten Zeit befindet. 
615 Anmerkung 2. Der Name „Wirkung" für das in Bede 
stehende Integral ist oft als unpassend verurteilt worden. EiS 
ist aber nicht wohl einzusehen, warum der von Jacobi vor- 
geschlagene Name „Eraftaufwand" besser wäre, noch auch 
was der ursprünglich von Maüpebtuis gewählte Ausdruck 
„action" vor jenen voraushabe. Alle diese Benennungen er- 
wecken Vorstellungen, welche mit dem benannten Gegenstande 
nichts zu schaffen haben. Es ist auch schwer verständlich, 
wie die Summation der zu verschiedenen Zeiten vorhandenen 
Energieen etwas anderes liefern könne, als eine Bechnungsgröfse, 
und es ist daher wohl nicht nur schwierig, sondern unmöglich, 
für das in Bede stehende Integral eine passende Bezeichnung 
von einfachem Sinne zu finden. 
Auch die übrigen in diesem Abschnitt eingeführten Namen 
und Bezeichnungen sind weniger durch die innere Zweck- 
mäfsigkeit gerechtfertigt, als durch die Notwendigkeit, uns der 
bestehenden Bedeweise der Mechanik so viel als möglich an- 
zuschliefsen. 
Konservative Systeme, 259 
Differentialgleichungen der Bewegung. 
Aufgabe. Die Differentialgleichungen der Bewegung eines 616 
konservativen Systems aufzustellen. 
Die Lösung der Aufgabe besteht nur in der Angabe der 
Bewegungsgleichungen für das sichtbare Teilsystem. Die Masse 
dieses Teilsystems ist m, seine Koordinaten sind die p^; es 
seien die k Gleichungen: 
r 
^^Pxgdpg-^O a) 
1 
seine Bedingungsgleichungen. Da die pg zugleich die Para- 
meter des verborgenen Teilsystems sind, so sind die Komponenten 
der E[räfte, welche dieses auf das sichtbare Teilsystem ausübt, 
gleich dU/dpg (563). Wirkt auf das sichtbare Teilsystem 
durch Koppelung mit anderen sichtbaren Systemen noch eine 
weitere Kraft, so mögen deren Komponenten Pg sein. Dann 
sind die Bewegungsgleichungen des Systems nach 481: 
i 
fc ßTT 
und diese r Gleichungen zusammen mit den k Gleichungen a) 
reichen wieder aus zur eindeutigen Bestimmung der r+ÄGröfsen 
pQ und P«. 
Anmerkung 1. Ist das betrachtete konservative System 617 
ein freies, wirkt also auf dasselbe keine äufsere Kraft, so sind 
die Pq gleich Null, und die Bewegungsgleichungen haben die 
Form: 
1 
^Pq 
Anmerkung 2. Ist insbesondere die Koordinate pg eine 61S 
freie Koordinate des sichtbaren Teilsystems, so nimmt die dem 
Index Q zugehörige Bewegungsgleichung die Form an: 
17* 
^^ 
260 ZtoeUes Buch. 
j, du 
da die p^ alsdann sämtlich verschwinden. 
619 Anmerkong 3. Indem wir in die Gleichungen 616 bis 618 
für die Beschleunigungen nach den p^ ihre verschiedenen Aus- 
drücke nach 291 einsetzen, erhalten wir 'f&r diese Gleichungen 
eine Seihe verschiedener Formen, welche den Formen ent- 
sprechen, welche wir für ein vollständig bekanntes System in 
368 u. ff. erhalten haben. 
620 Folgerung 1. Sind in einem holonomen konservativen 
System die p^ sämtlich freie Koordinaten, und setzen wir zur 
Abkürzimg: 
so lassen sich die Bewegungsgleichungen des Systems dar- 
stellen in der Form der 2r Gleichungen: 
welche als ebensoviele Differentialgleichungen erster Ordnung 
für die 2r Gröfsen p^ und q^ aufgefafst werden können, und 
welche zusammen mit bestimmten Anfangswerten den Verlauf 
dieser Gröfsen eindeutig bestimmen. 
Denn setzen wir den Wert von L ein, entwickeln die 
partiellen Differentialquotienten, und beachten, dafs U die p^ 
nicht enthält, dafs also 
^=0 dpU^dü 
dpQ ' dp^ dp^ 
ist, so erkennen wir, dafs die Gleichungen a) mit der aus den 
Definitionen folgenden Beziehung der q^ und der pg zusammen- 
fallen, die Gleichungen b) aber mit den Bewegungsgleichungen 
in der Form 618. (289, 291) 
Konservaäve Systeme, 261 
Anmerkimg. Die Funktion Z, durch deren Benutzung die 621 
Differentialgleichungen der Bewegung die einfache Form der 
Gleichungen 620a und b annehmen, hat man bisweilen die 
LAGtBANGE'sche Funktion des Systems genannt. Diese Funktion 
besteht also nur in einem holonomen System, und sie ist hier 
gleich der Differenz der kinetischen und der potentiellen 
Energie, abgesehen von einer willkürlich bleibenden Eonstanten. 
Eolgenmg 2. Sind in einem holonomen konservativen 622 
System die p^ sämtlich freie Koordinaten, und setzen wir zur 
Abkürzung: 
so lassen sich die Bewegungsgleichungen des Systems dar- 
stellen in der Form der 2r Gleichungen: 
welche als ebensoviele Differentialgleichungen erster Ordnung 
für die 2 r Gröfsen p^ und q^ aufeefafst werden können, und 
welche zusammen mit bestimmten Anfangswerten den Verlauf 
dieser Gröfsen eindeutig bestimmen. 
Denn setzen wir den Wert von H ein, und beachten, dafs 
U die q^ nicht enthält, dafs also: 
ist, so sehen wir, dafs die Gleichungen a) die aus den Defi- 
nitionen folgende Beziehung der q^ und der p^ darstellen, 
während die Gleichungen b) mit den aus der Erfahrung ab- 
geleiteten Bewegungsgleichungen (618) des Systems zusammen- 
fallen. (290, 294) 
Anmerkung. Die Funktion H, durch deren Benutzung die 62S 
Differentialgleichungen der Bewegung die einfache Gestalt der 
262 Zweites Buch. 
Gleichungen 622a und b annehmen, hat man wohl die Ha- 
MiLTON'sche Funktion des Systems genannt. Diese Funktion 
besteht also nur für ein holonomes System, und sie ist für 
ein solches gleich der Summe der kinetischen und der poten- 
tiellen Energie, abgesehen von einer willkürlich bleibenden 
Eonstanten; sie ist also auch gleich der Gesamtenergie des 
Systems, von einer willkürlichen Konstanten abgesehen. 
Allgemein ist es zulässig, für ein System mit beliebigen, 
nicht notwendig cyklischen, verborgenen Bewegungen die Ha- 
MiLTON'sche Funktion zu definieren durch die Gleichungen 
622 a und h , nämlich als eine Funktion der sichtbaren p^ 
und qgj durch deren Benutzung (vorausgesetzt, dafs es eine 
solche Funktion giebt) die Bewegungsgleichungen eben jene 
einfache Form annehmen. Bei dieser allgemeineren Definition 
ist die ELociLTON'sche Funktion nicht immer gleich der Summe 
der kinetischen und der potentiellen Energie. 
624 Bemerkung. Aus den Gleichungen 620 und 622 können 
für ein System mit verborgenen Cykeln dieselben reciproken 
Eigenschaften der Bewegung abgeleitet werden, welche wir für 
ein vollständig bekanntes System in 378 und 381 abgeleitet 
haben. Es ist aber diese neue Ableitung nicht erforderlich, 
sondern es liegt schon im Wesen jener Beziehungen, dafs jede 
von ihnen Gültigkeit hat unabhängig davon, ob die in ihnen 
nicht vorkommenden Koordinaten, Momente, u. s. w. sichtbare 
oder verborgene Koordinaten, Momente, u. s. w. sind. 
Integralsätze für holonome Systeme. 
625 Bemerkung 1. Das Integral 
~~ dt 
JiT-ü) 
ist beim Übergang eines fireien holonomen Systems mit verbor- 
genen adiabatischen Cykeln zwischen hinreichend benachbarten 
Lagen und 1 kleiner für die natürliche Bewegung des Systems, 
als für jede andere mögliche Bewegung, welche in der gleichen 
KonservoHve Systeme. 263 
Zeit sowohl die sichtbaren, als auch die verborgenen Koordi- 
naten aus den Anfangswerten in die Endwerte überfuhrt. 
Denn da T— Z7 gleich ist der Energie des Systems, vermehrt 
um eine für alle möglichen Bewegungen gleiche Eonstante (611), 
so ist die Bemerkung nichts anderes, als der Lehrsatz 358, aus- 
gesagt unter Anwendung der gegenwärtigen Bezeichnung. 
Anmerkung 1. Wird die Beschränkung auf hinreichend 626 
benachbarte Endlagen weggelassen, so kann nur behauptet 
werden, dafs die Variation des Integrals verschwindet beim 
Übergang zu irgend einer anderen der in Betracht kommenden 
Bewegungen. Unter Anwendung der Bezeichnung 590 nimmt 
alsdann die Aussage die Form an, dafs 
Spf{T-ü)dt=^0 
sei beim Übergang von der natürlichen Bewegung zu irgend 
einer anderen möglichen^ während die Variationen der Anfangs- 
imd Endzeiten und der Anfangs- und Endwerte der sichtbaren 
Koordinaten verschwinden. (Vergl. 859.) 
Anmerkung 2. Die Bemerkung 1 unterscheidet die natür- 627 
liehen Bewegimgen eindeutig von jeder anderen möglichen Be- 
wegung, und sie kann daher dazu dienen, die natürliche Be- 
wegung zu bestimmen, sobald es möglich ist, die Variation 
der Anmerkung 1 wirkUch zu büden. Sind aber, wie wir es 
ja voraussetzen, die cyklischen Koordinaten verborgene, so ist 
die Bildung der Variationen der Form Sp nicht möglich, und 
der Satz verliert daher nicht zwar seine Richtigkeit, wohl aber 
seine Anwendbarkeit. 
Lehrsatz 1. Das Integral 62S 
j{T+U)dt 
ist beim Übergang eines freien holonomen Systems mit ver- 
borgenen adiabatischen Cykeln zwischeii hinreichend benach- 
barten Lagen seiner sichtbaren Massen kleiner f&r die natttr- 
264 Zweites Bueh. 
liehe Bewegung, als für irgend eine andere mögliche Bewegung, 
welche in der gleichen Zeit und mit denselben Momenten der 
verborgenen cyUischen Bewegungen die sichtbaren Koordinaten 
aus den gegebenen Anfangswerten in die gegebenen Endwerte 
überführt. 
Wir führen den Beweis, indem wir den Satz auf die Be- 
merkung 625 zurückfähren. Wir ordnen deshalb, wie es nach 
592 möglich ist, einer jeden nach den Ansprüchen des Lehr- 
satzes variierten Bewegung eine zweite zu, bei welcher die 
sichtbaren Koordinaten dieselbe Variation erleiden, bei welcher 
aber die cyklischen Momente so variieren, dafs die Anfangs- 
und Endwerte der cyklischen Koordinaten die ursprünglichen 
bleiben. Eine Variation beim Übergang zu einer Bewegung 
der ersten Art haben wir nach 590 mit S^ , eine Variation zu 
der entsprechenden Bewegung zweiter Art mit Sp zu bezeichnen. 
Nun ist erstens, da T nur von den sichtbaren Koordi- 
naten abhängt: 
») Sc^fTdt^SpfTdt . 
Zweitens ist, da die Dauer der Bewegung nicht variiert 
wird und -^ U sich nur durch eine Konstante von der Energie 
der cykHschen Bewegung unterscheidet (566), zufolge von 593: 
b) sSUdt-^ -Spfüdt . 
Durch Addition von a) und b) ergiebt sich: 
c) sJ{T+ü)dt^dpf{T-ü)dt . 
Die rechts stehende Variation aber hat (626, 625) für die 
natürliche Bewegung stets einen verschwindenden und fiir hin- 
reichend benachbarte Endlagen notwendig negativen Wert, also 
auch die links stehende Variation. Das links stehende Integral 
selbst hat also für die natürliche Bewegung und hinreichend be- 
nachbarte Endlagen einen Minimalwert, welches die Behauptung ist. 
629 Anmerkung 1. Wird die Beschränkung auf hinreichend 
benachbarte Lagen weggelassen, so kann nur noch behauptet 
Konservative Systeme. 265 
werden, dafs die Variation des Integrales verschwindet. Der 
analytische Ausdruck dieser Behauptung ist in unserer Bezeich- 
nungsweise (im Gegensatz zu der Aussage von 626): 
sJ{T+ü)dt = . 
Anmerkung 2. Die in dem Lehrsatz ausgesprochene 630 
Eigenschaft der natürlichen Bewegung unterscheidet dieselbe 
eindeutig von jeder anderen möglichen Bewegung. Die Varia- 
tion dq kann gebildet werden, obwohl die cyklischen Bewegungen 
als verborgene angesehen sind, denn ihre Bildung erfordert 
nur, dafs man die in der Eräftefunktion vorkommenden Kon- 
stanten unvariiert lasse. Der Lehrsatz kann deshalb benutzt 
werden zur Bestimmung der natürlichen Bewegung konserva- 
tiver Systeme. Seine Gültigkeit ist allerdings streng beschränkt 
auf holonome Systeme. 
Anmerkung 3. Der vorstehende Lehrsatz, benutzt in der 631 
Auffassung der Anmerkung 2, führt den Namen des Hamil- 
ton' sehen Prinzips. Seine physikalische Bedeutung kann nach 
unserer Anschauung keine andere sein, als die des Lehrsatzes 
358, aus welchem wir das Prinzip hergeleitet haben. Das 
Prinzip selbst stellt die Umformung dar, welche wir jenem 
Satze 358 geben müssen, damit er trotz unserer Unkenntnis 
der Einzelheiten der cyklischen Bewegung zur Bestimmung der 
Bewegung des sichtbaren Systems anwendbar bleibe. 
Bemerkung 2. Bezeichnen wir mit ds das Bahnelement 632 
der sichtbaren Massen eines freien holonomen Systems, welches 
verborgene adiabatische Gykeln enthält, so ist das Litegral 
1 
/ 
fÜ+h 
beim Übergang zwischen hinreichend benachbarten Lagen 
und 1 kleiner f&r die natürlichen Bahnen des Systems, als für 
irgend welche andere mögliche Bahnen, welche sowohl die 
266 Zweites Buch. 
Werte der sichtbaren, als auch die Werte der cyklisclien Ko- 
ordinaten ans den gegebenen Anfangswerten in die gegebenen 
Endwerte überfllbren. Die Grölse k ist dabei als eine toh einer 
natürlichen Bahn zur anderen wechselnde, Übrigens Gü alle 
jedesmal verglichenen Bahnen gleiche Konstante za betrachten. 
Denn fuhren wir die Zeit als Hülfsgröfse ein und machen 
dabei die willkürliche aber znläasige Annahme, das System 
durchlaufe die betrachteten Bahnen mit konstanter Geschwin- 
digkeit, and zwar mit solcher Geschwindigkeit, daTs die Kon- 
stante h den Wert der analytischen Energie bezeichnet, so ist: 
also das betrachtete Integral gleich: 
m^' 
Das Integral ist also, von dem Faktor abgesehen, gleich 
der Zeitdauer des Überganges. Diese ist aber nach 352 als 
Folge von 847 fUr gegebenen Wert der Energie, also der Kon- 
stanten h, ein Mi mT" ""!. Unsere Bemerkung ist demnach 
nichts anderes, als der Inhalt des Lehrsatzes 352, ausgesagt 
anter Benutzung der inzwischen eingeführten Bezeichnungen. 
I Anmorknng I. Wird die Beschränkung auf hinreichend 
benachbarte Lagen fortgelassen, so kann nur noch das Ver- 
sdiwinden einer Variation behauptet werden (353); welche Aus- 
sage in unserer Bezeichnung in der Form darzustellen ist: 
Dg 2. Dnrch die Eigenschaft, welche die Be- 
issagt, sind die natürlichen Bahnen, welche den 
Werten der Konstanten h entsprechen, eindeutig 
vor jeder anderen möglichen Bahn, und der Lehr- 
Konservative Systeme, 267 
satz kann daher zur Bestimmung der natürlichen Bahnen des 
Systems dienen, sobald es möglich ist, die Variation Sp zu 
bilden. Sind aber, wie wir voraussetzen, die Einzelheiten der 
cyklischen Bewegung verborgen, so ist diese Büdung nicht 
möglich, und die Bemerkung verliert daher nicht zwar ihre 
Richtigkeit, wohl aber ihre Anwendbarkeit zu dem beregten 
Zwecke. 
Lehrsatz 2*). Beim Übergang eines freien holonomen Sy- 635 
stems, welches verborgene adiabatische Cykeln enthält^ zwischen 
zwei hinreichend benachbarten Lagen und 1 der sichtbaren 
Massen, ist das Integral 
X 
/ 
yu+h de 
kleiner für die natürlichen Bahnen, als fiir irgend welche an- 
dere mögliche Bahnen, welche mit denselben Werten der 
verborgenen cyklischen Momente und der Konstanten h die 
sichtbaren Koordinaten aus den gegebenen Anfangswerten in 
die gegebenen Elndwerte überfahren. 
Wir führen wiederum den Beweis des Satzes, indem wir 
ihn auf die vorangegangene Bemerkung (632) zurückfiihren. 
Zu dem Ende benutzen wir wieder die Zeit als Hülfsgrösse, 
indem wir die willkürliche aber zulässige Annahme machen, 
dass das System die betrachteten Bahnen mit konstanter und 
solcher Geschwindigkeit durchlaufe, dass die Konstante h gleich 
der mathematischen Energie wird. Es lässt sich dann das In- 
tegral, von dem der Lehrsatz handelt, schreiben in der Form: 
l/^/(^^+^) 
dt 
Femer ordnen wir wieder, wie es nach 592 zulässig ist, 
einer jeden nach der Yorschrift des Lehrsatzes variierten Be- 
wegung eine zweite zu, bei welcher die sichtbaren Koordinaten 
dieselbe Variation erleiden, für welche auch die Konstante h, 
* Mit dem Originale übereinstimmender Abdruck. — Der Herausgeber. 
268 ZweUes Buch. 
(635) und also auch die Energie B ihren Wert behält, bei welcher 
aber die cyldischen Momente so variieren, dass die Anfangs- 
und Endwerte der cyklischen Koordinaten die ursprünglichen 
bleiben. Eine Variation, wie sie den Ansprüchen des Lehr- 
satzes entspricht, bezeichnen wir wieder mit dq , eine Variation 
zu der entsprechenden zweiten Bewegung mit Sp. 
Nun ist erstens für beliebige Variationen 3qg der cyldi- 
schen Momente q^ (566): 
dj{ U+h) dt = sj{ U+h) dt + 2^ r^ö ^q^ dt 
=- S^f{U+h) dt -- ^^e ^g Sq^ , 
also im besonderen für eine Variation Spi 
a) sJ(U+h)dt = sJ{ü+h)dt - ^^^l^qS^^g . 
Zweitens erhalten wir aus Gleichung 612 c unter Berück- 
sichtigung der Beziehung 588 und der Eonstanz Yon E: 
also durch eine Variation der Art 8p : 
k) hj{ U+h) dt^ESp (<i-0 - i 2^ ?? ^P ^Q • 
Durch Subtraktion von a) und b) ergiebt sich: 
c) dJ{ü+h)df=:ESp(t^-to) , 
oder indem wir mit Hülfe von 682 a die Zeit wieder elimi- 
nieren: 
1 1 
d) S,f^fTf+h ds = ^^p/y= . 
KonservcUive Systeme. 269 
Die rechts stehende Variation aber hat nach 632 für die 
natürliche Bewegung stets einen verschwindenden und für hin- 
reichend benachbarte Endlagen negativen Wert, also, da H 
notwendig positiv ist, auch die links stehende Variation. 
Das links stehende Integral selbst hat also für die natürliche 
Bewegung und hinreichend benachbarte Endlagen einen Mi- 
nimalwert, welches die Behauptung ist. 
Anmerkung 1. Wird die Beschränkung auf hinreichend 636 
benachbarte Lagen weggelassen, so kann nur noch behauptet 
werden, dafs die Variation des Integrales verschwindet. Der 
analytische Ausdruck dieser Behauptung ist in unserer Be- 
zeichnungsweise (im Gegensatz zu 633): 
1 
SqfMU+hd8=-0 . 
Anmerkung 2. Für jeden Wert der Eonstanten h zeichnet 637 
der Lehrsatz eine natürliche Bahn in eindeutiger Weise aus 
vor jeder anderen möglichen Bahn. Die Eigenschaft der 
natürlichen Bahnen, welche der Lehrsatz aussagt, kann daher 
benutzt werden zur Bestimmung dieser Bahnen; und zwar 
kann sie benutzt werden, obwohl die cyklischen Bewegungen 
als verborgene vorausgesetzt sind. 
Denn die Bildung der Variation S^ erfordert nur, dafs 
man die in der Eräftefunktion vorkommenden Konstanten 
unvariiert lasse; die Variation kann also gebildet werden trotz 
Unkenntnis der Einzelheiten der cyklischen Bewegung. 
Anmerkung 3. Der Lehrsatz 2, benutzt in der Auffassung 638 
der Anmerkung 2, ist die jACOBi'sche Form des Prinzips der 
kleinsten Wirkung. Denn nennen wir für den Augenblick rriy 
jdie Masse des v ten der sichtbaren n Punkte des Systems, dsy 
das Element der Bahn dieses Punktes, so ist 
n 
m ds^ = ^y rifiy dsl , 
1 
und also das Integral, für welches wir einen Minimalwert 
feststellten, bis auf einen Faktor: 
270 Zweites Buch. 
fVü+h]/^r 
mvdsi 
welches, wiederum bis auf einen konstanten Faktor, das 
jACOBi'sche Integral ist. 
Die physikalische Bedeutung des JAOOBi'schen Prinzipes 
kann nach unserer Auffassung keine andere sein, als die des 
Lehrsatzes 352, bez. 347, aus welchem es abgeleitet ist; es 
stellt die Umformung dar, welche wir jenem Satze geben 
müssen, damit er trotz vorhandener Unkenntnis der Elinzel- 
heiten der cyklischen Bewegungen zur Bestimmung der Be- 
wegung des sichtbaren Systems anwendbar bleibe. Die Gültig- 
keit auch des jACOBi'schen Satzes erstreckt sich nur auf ho- 
lonome Systeme. 
639 Lehrsatz 3. Beim Übergang eines freien holonomen kon- 
servativen Systems zwischen hinreichend benachbarten Lagen 
ist das Zeitintegral der kinetischen Energie kleiner f&r die 
natürliche Bewegung, als fiir jede andere mögliche Bewegung, 
welche das System von den gegebenen Anfangswerten zu den 
Endwerten der sichtbaren Koordinaten überfuhrt, und welche 
mit demselben gegebenen, in der Zeit konstanten Werte der 
mathematischen Energie ausgeführt wird. 
Denn nennen wir h den gegebenen Wert der mathe- 
matischen Energie, so ist für alle in Betracht kommenden 
Bahnen (611) 
also ist das Litegral, von welchem der Satz handelt, nämlich 
(TM 
bis auf einen konstanten Faktor dasselbe Integral, von wel- 
chem der Lehrsatz 2 handelt; der gegenwärtige Satz ist daher 
nur eine andere Form, den Lihalt jenes Lehrsatzes auszusagen. 
Die zu dem Lehrsatz 2 gemachten Anmerkungen 1 und 2 
finden daher auch hier sinnentsprechende Anwendung. 
KonservaHve Systeme. 271 
Anmerknng, Der Lehrsatz 639 giebt die ursprüngliche 640 
MAUPEBTüis'sche Form des Prinzips der kleinsten Wirkung. 
Diese Form hat vor der jAOOBi'schen den Vorzug, dafs sie 
sich in einfachen Worten aussprechen läfst und daher einen 
einfachen physikalischen Sinn zu enthalten scheint. Sie hat 
aber gegenüber der Jaoobi' sehen Form den Nachtheil, dafs 
sie unnötigerweise die Zeit enthält, obwohl doch die eigent- 
liche Aussage nur die Bahn des Systems bestimmt, nicht die 
Bewegung in dieser, und obwohl diese Bewegung viehnehr nur 
durch die hinzugefügte Bemerkung bestimmt ist, dafs überhaupt 
nur Bewegungen mit konstanter Energie in Betracht gezogen 
werden sollen. 
Bückblick auf 625 bis 640. 
1. Nach den Ergebnissen unserer Überlegung nimmt für 641 
die natürliche Bewegung eines freien konservativen Systems 
ein jedes der Integrale: 
dt 
J{T-^U)dt , J(T+Ü) 
fTdt , 
unter bestimmten Verhältnissen einen ausgezeichneten Wert 
an. Dabei beziehen sich die beiden oberen Integrale auf die 
Bewegung des Systems, die übrigen in Wahrheit nur auf die 
Bahn desselben. Die beiden links stehenden Integrale be- 
ziehen sich auf den Fall, dafs alle, auch die cyklischen Ko- 
ordinaten des Systems in Betracht gezogen werden, und dafs 
nur solche Lagen des Systems als gleiche gelten, bei welchen 
auch die letzteren Koordinaten die gleichen Werte haben. 
Die übrigen Integrale beziehen sich auf den Fall, dafs die 
cyklischen Koordinaten des Systems verborgen sind, und dafs 
schon solche Lagen des Systems als gleich gelten, bei welchen 
die sichtbaren Koordinaten gleiche Werte haben. Die Be- 
traohtung des letzten Integrals setzt die Gültigkeit des Prin- 
zips von der Erhaltung der Energie als zugestanden voraus; 
272 Zweites Buch. 
die Betrachtung der beiden obersten Integrale läfst diese Gültig- 
keit folgen; die Betrachtang der beiden mittleren Integrale 
kann von dieser Gültigkeit unabhängig gehalten werden. 
6^2 2. Die physikalische Bedeutung der beiden links stehen- 
den Integrale ist eine äufserst einfache; die sie betreffenden 
Aussagen sind unmittelbare Ausflüsse des Grundgesetzes. Die 
rechts stehenden Integrale haben die einfache physikalische 
Bedeutung verloren; aber die Aussage, dafs sie f&r die natür- 
liche Bewegung ausgezeichnete Werte annehmen, stellt immer 
noch eine, wenn auch verwickelte und xmdurchsichtige Form 
des Grundgesetzes dar. Verwickelt und undurchsichtig ist 
aber die Form des Grundgesetzes hier deshalb geworden, weil 
das Gesetz verwickelten und undurchsichtigen Voraussetzungen 
angepafst ist. Die Aussage, welche sich auf das untere In- 
tegral bezieht, hat den trügerischen Schein einer selbständigen, 
einfachen physikalischen Bedeutung. 
Unser Beweisverfahren war nicht darauf berechnet, mög- 
lichst einfach zu sein, sondern darauf den obigen Zusammen- 
hang möglichst deutlich hervortreten zu lassen. 
643 3. Dafs die Natur nicht darauf eingerichtet ist, dafs das 
eine oder das andere jener Integrale ein Minimum werde, geht 
erstens daraus hervor, dafs schon in holonomen Systemen bei 
ausgedehnterer Bewegung das Minimum im allgemeinen nicht 
eintritt, und zweitens daraus, dafs es natürliche Systeme giebt, 
für welche das Minimum niemals eintritt, und für welche nicht 
einmal die Variation jener Integrale verschwindet. Ein um- 
fassender Ausdruck für die Gesetze der natürlichen Bewegung 
kann daher auch an keines jener Integrale angeknüpft wer- 
den, und hieraus nahmen wir auch das Recht her, den Schein 
einfacher Bedeutung desletztenintegrales für trügerisch zu halten. 
Endliche Bewegungsgleichungen für holonome Systeme. 
e44 Bemerkung 1. Bezeichnen wir mit V den Wert des 
Integrales 
1 
^ r ds 
Konservative Systeme. 273 
genommen über die natürliche Bahn zwischen zwei Wert- 
systemen aller Koordinaten eines freien holonomen Systems 
mit adiabatischen Gykeln, und gedacht als Funktion der An- 
fangs- und Endwerte jener Koordinaten, also der p^ , p^ und 
der pQ^, pg^, und der Grösse A, so stellt der Ausdruck 
v/. 
2U 
m+m 
die geradeste Entfernung des Systems dar. Die Bezeichnung 
ist dabei dieselbe, welche wir bisher in diesem Abschnitt be- 
nutzt haben. 
Denn nach 632 ist V gleich der Zeitdauer des natür- 
liehen Übergangs zwischen den gegebenen Lagen für die 
mathematische Energie h. Ist also S die geradeste Entfernung 
beider Lagen, so ist 
2 V"«^**M T^a 
^ = i(m+m)^ 
woraus die Behauptung folgt. 
Folgerung. Mit Hülfe der Funktion F lassen sich die 645 
natürlichen Bahnen des betrachteten Systems in geschlossener 
Form darstellen. 
Denn bezeichnen wir wie bisher mit ds das Bahnelement 
des sichtbaren Teilsystems, weiter mit d& das Bahnelement 
des cyklischen Teilsystems und mit da das Bahnelement des 
YoUständigen Systems, so ist 
(m+m) dtr^ =^md8^ + m d^ , a) 
also (57) bei der bisher benutzten Bezeichnung: 
r r U r 
Sind also schliefslich noch G^p^ und a^p^ die Winkel, welche 
die Bahn des ganzen Systems mit den Koprdinaten j?^ und p^ 
des ganzen Systems büdet, so werden die Gleichungen der 
Hertz, Mechanik. 18 
274 Zweites BuOi. 
natürlichen Bahnen zufolge von 224 and 226, nach Division 
heider Seiten durch einen konstanten Faktor, erhalten in 
der Form: 
e) Va^^. cos ö^^ = K ir äp^ 
t) Vo^ cos a,^),, = -]/-— , 
und diese Gleichungen lassen sich auf je zwei Weisen so 
interpretieren, dafs sie die Gleichungen der natürlichen Bahnen 
als Differentialgleichungen erster Ordnung oder auch in end- 
licher Form angeben. 
646 Anmerkung. Die vorstehenden Gleichungen c) bis f) sind 
richtig in jedem Falle, ob nun die cyklischen Koordinaten als 
beobachtbare oder als dauernd verborgene angesehen werden; 
aber jene Gleichungen verlieren ihre Anwendbarkeit, sobald 
das letztere vorausgesetzt wird. Denn alsdann ist der voll- 
ständige Ausdruck von V nicht bekannt, und die Gleichungen 
lassen sich nicht entwickelt hinschreiben. 
647 Aufgabe 1. Die vorstehenden Bewegungsgleichungen eines 
freien holonomen Systems so umzuformen, dafs sie ihre An- 
wendbarkeit behalten, auch wenn die cyklischen Bewegungen 
des Systems als verborgene gelten. 
Wir bezeichnen mit F den Wert des Integrales 
j. 
d8 
genommen über die natürliche Bahn zwischen irgend zwei 
Wertsystemen der sichtbaren Koordinaten. Bei Bestimmung 
dieser natürlichen Bahn wollen wir die in der Kräftefunktion 
Konservative Systeme, 275 
Yorkommenden cyklischen Momente als unveränderliche Eon- (647) 
stanten ansehen, und V soll also gedacht werden als Funk- 
tion der Anfangs- und Endwerte allein der sichtbaren Koordi- 
naten und der Konstanten h. Nach 685 d ist nun beim Über- 
gang von einer natürlichen Bahn zu einer anderen mit be- 
liebig variierten sichtbaren Koordinaten: 
Sc^y2^ JVü+h ds = 2ESp]/^f- 
ds 
U+h 
also ist auch insbesondere beim Übergang von einer natür- 
lichen zu einer beliebigen benachl)arten natürlichen Bahn: 
Sc^V-=^2EdpV , *b) 
also ist: 
^Pe. ^P. 
eo 
Mit Hülfe dieser Gleichungen können wir die cyklischen 
Koordinaten aus den rechten Seiten der Gleichungeü 646 c 
und d fortschaffen. Was die linken Seiten anlangt, so haben 
wir die Winkel (t,Pq zu ersetzen durch die s,Pq. Nun haben 
wir nach 645 b (75): 
^^V^döcosü,p, = 2"^ Vi»- 
und femer aus den beiden Gleichungen 
r+Ä=r=|mg und 
dff* 
4) 
«) 
^=i(m+m)^ 
18' 
276 Zweites Buch. 
durch Division: 
o *-l^l/S* 
also aus d) und f): 
g) cos a,;)^ = y -^ cos «,;>^ 
Indem wir nun das Ergebnis c) in die rechten, das Er- 
gebnis gr) in die linken Seiten der umzuformenden Gleichungen 
einsetzen, erhalten wir die Gleichungen: 
Va^, cos 8,pg^ = 
1 ar 
pm{U+h\dp,, 
pm{U+hXdp^ ' 
welches die gesuchten Umformungen sind. Denn sie enthalten 
keine Gröfsen mehr, welche sich auf das verborgene Teil- 
system beziehen, und sie lassen sich auf je zwei Weisen so 
interpretieren, dafs sie die natürlichen Bahnen des sichtbaren 
Teilsystems als Differentialgleichungen erster Ordnung oder 
auch in endlicher Form angeben. 
64S Anmerkung 1. Die Funktion F enthält nicht die Zeit und 
giebt auch nur die natürlichen Bahnen des Systems, nicht 
aber die Bewegung des Systems in diesen Bahnen. Da aber 
die natürlichen Bahnen mit gleichbleibender Geschwindigkeit 
durchlaufen werden, und da wir bereits der in F vorkommen- 
den Eonstanten h die Bedeutung der analytischen Energie bei- 
legten, so ist es leicht, die Zeit als unabhängige Variabele in 
die Gleichungen einzuführen. Zunächst ist die Verknüpfung 
der Zeit mit der bisher als unabhängige Variabele benutz- 
ten Weglänge gegeben durch die Gleichung: 
dh V 2J yjj+h 
*> ^ = y^J]^^ ^k-k 
Konservative Systmie. 277 
Sodann erhalten wir durch Multiplikation der Gleichungen 
647 h mit 
y2m{U+h) = y2mT = m^ , 
and Beachtung von 75 und 270: 
dF 
Endlich erhalten wir ftir den Wert der Funktion selbst: 
-/ 
Tdt . d) 
Der Form nach sind diese Gleichungen weit einfacher als 
die Gleichungen der vorangegangenen Aufgabe, aber jene 
Gleichungen haben den Vorzug, eine unabhängige Variabele 
weniger zu enthalten. 
Anmerkung 2. Die E\mktion F ist diejenige Funktion, 649 
welche von Hamilton mit dem gleichen Buchstaben bezeichnet 
und die charakteristische Funktion des konservativen Systems 
genannt worden ist. Diese Aussage steht im Einklang mit 
der Aussage 412, denn unter der dort gemachten Voraussetz- 
ung, dafs alle Koordinaten sichtbare seien, geht die jetzt mit 
F bezeichnete Funktion in die dort mit dem gleichen Buch- 
staben bezeichnete Funktion über. 
Übrigens erhellt, dafs die charakteristische Funktion eines 
Systems nach der jetzt erweiterten Definition eine ßechnungs- 
gröfse ohne physikalische Bedeutung ist. Denn je nachdem 
wir gröfsere oder kleinere Teile der cyklischen Bewegungen 
als verborgene behandeln, können wir für dasselbe System 
verschiedene charakteristische Funktionen aufstellen, welche 
den gleichen analytischen Dienst leisten, aber fiir identische 
Übergänge des Systems verschiedene Werte besitzen. 
278 Zweües Buch. 
650 Lehrsatz. Die charakteristische Funktion F eines kon- 
servativen Systems genügt den beiden partiellen Differential- 
gleichungen erster Ordnung: 
h.2^irh''^'^'^^-(^+^)^ 
welche den Differentialgleichungen 227 für die geradeste Ent- 
fernung entsprechen. 
Denn diese Gleichungen werden erhalten durch Einsetzen 
der Bichtungscosinus aus den Gleichungen 647 li in die Glei- 
chung SSj welcher diese Bichtungscosinus genügen. 
651 Bemerkung 2. Bezeichnen wir mit P' den Wert des In- 
tegrales 
J{T^Ü) 
dt 
genommen über die natürliche Bewegung zwischen zwei Wert- 
systemen der sämtlichen Koordinaten eines freien holonomen 
Systems mit adiabatischen Cykeln und gedacht als Funktion 
dieser Werte und der Zeitdauer des Übergang^ so unter- 
scheidet sich P' von der Prinzipalfunktion des Systems (415) 
nur um das Produkt der Zeitdauer des Übergangs in eine 
(unbekannte) Eonstante. 
Denn es unterscheidet sich T—U von der Energie des 
Systems nur um eine (unbekannte) Eonstante. 
652 Folgerung. Mit Hülfe der Funktion P' lassen sich die 
natürlichen Bewegungen des Systems in geschlossener Form 
darstellen. 
In der That hindert der Unterschied zwischen P' und der 
in 415 definierten Prinzipalfunktion nicht die unmittelbare 
Anwendung der Gleichungen 414b und c, so dafs wir als Be- 
wegungsgleichungen erhalten: 
Konservative Systeme. 279 
dF 
1») 
9?.= 
öpft 
> 
?p.= 
> 
% = 
aP' 
> 
rt. = 
öP' 
e) 
Dagegen erfordert die Gleichung 414d eine leichte Abändemng; 
an ihrer Stelle wird erhalten: 
, dF dF 
^^=-5^ = 0^ • «> 
Amnerkimg. Die vorstehenden Gleichungen a) bis d) sind 653 
richtig in jedem Falle, ob nun alle Koordinaten in Wahrheit 
beobachtbar sind oder ob nicht, aber jene Gleichungen ver- 
lieren ihre Anwendbarkeit, sobald die cyklischen Bewegungen 
des Systems als verborgene behandelt werden. 
Aufgabe 2. Die vorstehenden Bewegungsgleichungen 654 
eines freien holonomen Systems so umzuformen, dafs sie ihre 
Anwendbarkeit behalten, auch wenn die cyklischen Bewegungen 
des Systems als verborgene gelten. 
Wir bezeichnen mit P den Wert des Integrales 
J{T+Ü)dt 
genommen für die natürliche Bewegung zwischen zwei zu den 
Zeiten t^ und ^ stattfindenden Wertsystemen der sichtbaren 
Koordinaten. Bei Bestimmung dieser natürlichen Bewegung 
sollen die in den Konstanten der Kräftefunktion enthaltenen 
cyklischen Momente als unabänderHch angesehen werden, und 
P soll also gedacht sein als Funktion allein der Anfangs- und 
Endwerte der sichtbaren Koordinaten und der Zeiten t^ und fj . 
280 Zweites Buch. 
t« 
Nun gilt nach 628 e beim Übergang von einer natürlichen 
Bewegung zu einer beliebigen benachbarten Bewegung von 
gleicher Dauer die Gleichung: 
Sc^f{T+U)dt^dpf{T-ü)dt . 
Wenden wir diese Gleichung an auf den Übergang von einer 
natürlichen Bewegung zu einer benachbarten natürlichen Be- 
wegung von gleicher Dauer, so Uefert sie uns: 
dqP = SpP" , 
also: 
dP _dP' dP _ dP' 
Mit Hülfe dieser Gleichungen entfernen wir die verborgenen 
Koordinaten aus den rechten Seiten der Gleichungen 652. Was 
die linken Seiten anlangt, so genügt die Bemerkung, dafs das 
Moment q^ des gesamten Systems nach seiner Koordinate p^ 
zugleich das Moment des sichtbaren Teilsystems nach der 
Gröfse Pq als Koordinate dieses Teilsystems ist. Wir erhalten 
demnach als Bewegungsgleichungen des sichtbaren Teilsystems: 
dP 
*) 9^0 = 
dP 
welches die gesuchten Umformungen sind. 
655 Anmerkung 1. Die jetzt von uns eingeführte Funktion P 
ist diejenige Funktion, welche von Hamilton mit dem Buch- 
staben 8 bezeichnet und die Prinzipalfimktion des konserva- 
tiven Systems genannt worden ist. Diese Aussage steht im 
Einklang mit der Aussage 415, denn unter der dort gemachten 
Voraussetzung, dafs alle Koordinaten sichtbare seien, geht die 
jetzt mit P bezeichnete Funktion in die dort mit dem gleichen 
Buchstaben belegte Funktion über. 
Konservative Systeme. 281 
Anmerkung 2. Der Wert der Prinzipalfanktion für einen 656 
bestimmten Übergang hängt mit dem der charakteristischen 
Funktion in einfacher Weise zusammen. Durch einfache 
Umformung wird nämlich erhalten: 
f{T+ü)dt^f{2U+h)dt 
1 1 
hds 
ü+h 
Also ist (647, 644): 
F=^V^h{t,^to) , a) 
wobei wir uns in der rechten Seite, in F\mä im zweiten Sum- 
manden, die Gröfse h als Funktion von t^—t^ und der p^ und 
Pq^ eingesetzt zu denken haben. 
Umgekehrt ist also auch 
F=P+Ä(<i-g , b) 
wobei wir uns in der rechten Seite, in P und im zweiten Sum- 
manden, die Gröfse t^—t^ als Funktion von k und der p^^ und 
p^^ eingesetzt zu denken haben. 
Anmerkung 3. Die analytische Energie h kommt in der 657 
Prinzipalfunktion nicht vor. Doch kann sie aus derselben mit 
Hülfe der Gleichungen 654 a,b, 286 c und 612 a mittelbar ab- 
geleitet werden. Sie kann aber auch unmittelbar durch P 
ausgedrückt werden. Denn ändern wir in der rechten Seite 
der Gleichung 656 a nicht die pg^ und /?^, sondern nur ^^ 
und tQ, und bezeichnen mit dh die damit notwendig verbundene 
Änderung von ä, so folgt: 
dF 
dP^^dh-h d{t^-Q - {t^-Q dh , 
also nach 648 a: 
dP^ -h d{t^-'Q , 
282 Zweites Buch. 
woraus folgt: 
658 LehTBatz. Die Prinzipalfunktion P eines konseryativen 
Systems genügt den beiden partiellen Differentialgleichnngen 
erster Ordnung: 
1 — f, ** qP qP qP 
1 ^^ , dP dP dP_ J.J. 
welche den Differentialgleichungen 227 für die geradeste Ent- 
fernung entsprechen. 
Denn diese Gleichungen werden erhalten, wenn man die 
analytische Energie h das eine Mal direkt mit Hülfe von 657, 
das andere Mal indirekt mit Hülfe von 612 a und 654 a, b durch 
die Differentialquotienten von F ausdrückt. 
EückbUck auf 644 bis 658. 
659 1. In den Nummern 644 bis 658 sind vier endliche Dar- 
stellungen der Bewegung eines holonomen Systems mit adiaba- 
tischen Cykeln gegeben. In der ersten und dritten Darstellung 
waren alle Koordinaten des Systems als beobachtbare an- 
gesehen, in der zweiten und vierten Darstellung waren die 
cyklischen Koordinaten als verborgene behandelt. Die erste 
und zweite Darstellung, welche auf die charakteristische Funk- 
tion führte, gab im Grunde nur die Bahn des Systems und 
entsprach dem Prinzip der kleinsten Wirkung. Die dritte und 
vierte Darstellung, welche auf die Prinzipalfunktion führte, gab 
vollständig die Bewegung und entsprach dem HAMiLTON'schen 
' Prinzip. 
660 2. Alle vier Darstellungen haben denselben einfachen 
physikalischen Sinn und für alle ist der Grund der mathema- 
tischen Verwickelung derselbe. Der einfache physikalische 
Nicht'konservaiive Systeme. 283 
Sinn bestellt in der Thatsache, dafs die natürlichen Bahnen 
stets geradeste Bahnen sind, und in dem rein geometrischen 
Znsammenhange dieser Bahnen mit der geradesten Entfernung 
in holonomen Systemen. Der Grund der mathematischen Ver- 
wickelung aber besteht darin, dafs wir nicht stets alle wesent- 
lichen Bestimmungsstücke der Bewegung gleichmäfsig behan- 
delten, sondern einige derselben als verborgene eliminierten. 
Wir können auch sagen, die üngleichmäfsigkeit bestehe darin, 
dafs wir fiir einige Koordinaten die Anfangs- und Endwerte, 
für andere Koordinaten die Anfangsgeschwindigkeiten als Be- 
stimmungsstücke einführten. Unsere Ableitungsweise war nicht 
darauf berechnet, möglichst einfach zu sein, sondern darauf, 
dies Verhältnis möglichst deutlich hervortreten zu lassen. 
3. Man kann weitere Darstellungen der Bewegung eines 661 
holonomen Systems geben, indem man weitere Koordinaten 
eliminiert, oder indem man auch für die sichtbaren Koordi- 
naten nicht die Anfangs- und End werte, sondern andere Gröfsen 
als Bestimmungsstücke einfuhrt, oder indem man von den 
partiellen Diflferentialgleichungen 650 oder 658 ausgeht, in ähn- 
licher Weise, wie dies für die geradeste Entfernung in 282 u. ff. 
geschehen ist. Solche Darstellungen können in besonderen 
Fällen mathematische Vorteile bieten, wie Jacobi in um- 
fassender Weise gezeigt hat. Je mehr man aber in dieser 
Richtung fortschreitet, desto mehr verbirgt sich der physika- 
lische Sinn der Operationen hinter deren mathematischer Form, 
desto mehr nehmen die benutzten Funktionen den Charakter 
von Hülfskonstruktionen an, welchen es nicht mehr möglich 
ist, eine physikalische Bedeutung beizulegen. 
Nlcht-konservatlTe Systeme. 
Erläuterungen und Bemerkungen. 
1. Enthält ein materielles System keine anderen ver- 662 
borgenen Massen, als solche, welche in adiabatischer cyklischer 
Bewegung begriffen sind, so ist es bei freier Verfügung über 
die sichtbaren Koordinaten jederzeit möglich, Energie, welche 
in die Energie der verborgenen Massen übergegangen ist, in 
284 Zweites Buch. 
die Energie der sichtbaren Massen zuriickznverwandeln. Die 
einmal im System vorhandene sichtbare Energie kann also 
dauernd als sichtbare Energie erhalten bleiben. 
Dies ist die Eigenschaft, auf Grund deren wir solche Sy- 
steme als konservative bezeichneten. Aus dem gleichen Grunde 
bezeichnen wir die von den verborgenen Massen solcher Sy- 
steme ausgeübten Kräfte als konservative Kräfte. 
663 2. Im Gegensatz dazu werden solche Systeme, bei welchen 
die freie Verfügung über die sichtbaren Koordinaten nicht 
ausreicht, verborgene Energie jederzeit in sichtbare zurück- 
zuverwandeln, als nicht-konservative Systeme, und die Kräfte 
der verborgenen Massen solcher Systeme als nicht-konservative 
Kräfte bezeichnet. Nicht-konservative Systeme, in welchen die 
Energie sich vorzugsweise aus der Energie sichtbarer Massen 
in die Energie der verborgenen Massen verwandelt, nicht aber 
umgekehrt, heifsen dissipative Systeme, und die Kräfte der 
verborgenen Massen solcher Systeme dissipative Kräfte. 
664 3. Im allgemeinen sind die Systeme und Kräfte der Natur 
nicht-konservativ, sobald überhaupt verborgene Massen in Be- 
tracht kommen. Dieser Umstand ist eine notwendige Folge davon, 
dafs die konservativen Systeme nur Ausnahmefälle, sogar nur 
mit mehr oder weniger Annäherung erreichte (550) Ausnahme- 
fälle bilden, dafs also für ein beliebig herausgegriffenes natür- 
liches System eine unendliche Wahrscheinlichkeit dagegen 
spricht, dafs es ein konservatives sei. Erfahrungsmäfsig aber 
sind weiter die Systeme und Kräfte der Natur dissipativ, so- 
bald überhaupt verborgene Massen in Betracht kommen. Dieser 
Umstand findet eine hinreichende Erklärung in der Hypothese, 
dafs in der Natur die Zahl der verborgenen Massen und ihrer 
Bewegungsfreiheiten unendlich grofs sei gegen die Zahl der 
sichtbaren Massen und deren sichtbarer Koordinaten, so dafs 
für eine beliebig herausgegriffene Bewegung eine unendliche 
Wahrscheinlichkeit dagegen spricht, dafs sich die Energie ge- 
rade in der besonderen und ausgezeichneten Eichtung von 
jener grofsen Zahl von Massen auf diese ganz bestimmte kleine 
Zahl hin konzentriere. 
665 4. übrigens steht der Unterschied zwischen konservativen 
Nicht-konservative Systeme, 285 
und dissipativen Systemen nnd Kräften nicht in der Natur, 
sondern beruht lediglich auf der freiwilligen Beschränkung 
unserer Auffassung oder der unfreiwiUigen Beschränktheit un- 
serer Kenntnis der natürlichen Systeme. Werden alle Massen 
der Natur als sichtbare Massen betrachtet, so fällt jener Unter- 
schied fort, und alle Kräfte der Natur können alsdann als 
konservative Ejräfte bezeichnet werden. 
5. Die konservativen Kräfte erscheinen im allgemeinen 666 
als Differentialquotienten von Kräftefanktionen, also als solche 
Funktionen der sichtbaren Koordinaten der Systeme, welche 
unabhängig von der Zeit sind. Die nicht'konservativen Kräfte 
hängen aufserdem im allgemeinen von den ersten und von 
höheren Differentialquotienten der sichtbaren Koordinaten nach 
der Zeit ab. Bei jeder analytisch gegebenen Form einer Kraft 
beider Arten kann die Frage aufgeworfen werden, ob diese 
Form mit den Voraussetzungen unserer Mechanik verträglich 
sei, oder ihr widerspreche. 
6. Auf diese letztere Frage kann im allgemeinen Ant- 667 
wort nicht erteilt werden; im einzelnen ist sie nach folgenden 
Gesichtspunkten zu beurteilen: 
1. Wenn irgend ein gesetzmäfsiges stetiges System auf- 
gewiesen werden kann, welches Kräfte der gegebenen Form 
ausübt, so ist bewiesen, dafs die gegebene Form den An- 
sprüchen unserer Mechanik genügt. 
2. Wenn die Unmöglichkeit nachgewiesen werden kann, 
ein solches System aufzufinden, so ist gezeigt, dafs die ge- 
gebene Form unserer Mechanik widerspricht. 
3. Wenn in der Natur irgend ein System aufgewiesen 
werden kann, welches erfahrungsmäfsig Ejräfte der gegebenen 
Form ausübt, so betrachten wir dadurch zunächst als bewiesen, 
dafs die gegebene Form mit unserer Mechanik verträglich ist. 
Trifft keiner der Fälle 1. 2. 3. zu, so mufs die gestellte 
Frage eine offene bleiben. Sollte sich eine Form der Kraft 
finden, welche nach 2. zurückzuweisen wäre, nach 3. aber zu- 
gelassen werden müfste, so wäre damit die Unzulänglichkeit 
der Hypothese, welche unserer Mechanik zu Grunde liegt, und 
damit die Unzulänglichkeit dieser Mechanik selbst erwiesen. 
286 Zweites Buch. 
Abschnitt 6. Von den ünstetigkeiten der 
Bewegung, 
Erlänterongen und BemerknngexL 
1. Alle Systeme materieller Punkte, auf welche das Grund- 
gesetz nach seinen Voraussetzungen überhaupt Anwendung 
finden kann, müssen stetige Zusammenhänge besitzen. Die 
Eoefficienten aller Bedingungsgleichungen solcher Systeme sind 
also von vornherein stetige Funktionen der Lage (124). Dies 
hindert aber nicht, dafs diese Funktionen sich in der Nähe 
gewisser Lagen äufserst schnell ändern, so dafs die Gleichungen 
schon in sehr benachbarten Lagen endlich verschiedene £o- 
efidcienten haben. 
2. Wenn das betrachtete System durch eine solche Lage 
sehr schneller Änderung hindurchgeht, so erfordert die voll- 
ständige Kenntnis seiner Bewegung die vollständige Kenntnis 
der Bedingungsgleichungen auch während der schnellen Ände- 
rung derselben. Gewisse Aussagen über die Bewegung aber 
lassen sich fällen, auch wenn die Form der Bedingungs- 
gleichungen des Systems nur vor und hinter der Stelle ihrer 
schnellen Änderung gegeben ist. Beschränken wir uns auf 
diese Klasse von Aussagen, so ist es analytisch einfacher, auf 
die besondere Art der Änderung keine Bücksicht zu nehmen, 
und die Bedingungsgleichungen so zu behandeln, als ob ihre 
Koefficienten unstetig wären. In diesem Falle ist die Auf- 
fassung des Systems als eines unstetigen bedingt durch die 
freiwillige Beschränkung unserer Behandlung desselben. 
670 3. Es kann aber auch geschehen, dafs unsere physika- 
lischen Mittel uns zwar erlauben, den Zusammenhang eines 
Systems im übrigen vollständig zu erforschen, dafs sie aber 
nicht ausreichen, ihn zu erforschen an den Stellen der sehr 
schnellen Änderung, obwohl wir überzeugt sind, und etwa auch 
physikalisch nachweisen können, dafs dieser Zusammenhang 
auch hier ein stetiger ist. Trifft dies ein, so sind wir ge- 
zwungen, den Zusammenhang analytisch als einen unstetigen 
Unstetige Bewegu/ng, 287 
darzustellen, wenn wir nicht auf eine einheitiiche Darstellung 
desselben überhaupt verzichten wollen. In diesem Falle ist 
dann die Auffassung des Systems als eines unstetigen bedingt 
durch die unfreiwillige Beschränktheit unserer Kenntnis von 
dem System. 
4. Sind uns umgekehrt unmittelbar analytisch die Koeffi- 671 
cienten der Bedingungsgleichungen eines Systems als unstetige 
Funktionen der Lage gegeben, ohne Angabe, wie diese Funk- 
tionen ermittelt sind, so setzen wir voraus, dafs einer der 
beiden vorher erwähnten Fälle vorliege. Wir betrachten also 
die gegebenen Gleichungen nur als eine unvollständige und 
angenäherte Angabe der wahren, stetigen Form derselben. Wir 
nehmen also auch eo ipso an, dafs man nicht eine vollständige 
Bestimmung der Bewegung eines solchen Systems von uns ver- 
lange, sondern nur die Angabe derjenigen Aussagen, welche 
sich trotz der unvollständigen Kenntnis des Systems thim 
lassen unter der Voraussetzung, dafs an den ünstetigkeits- 
stellen der unbekannte Zusammenhang in Wirklichkeit ein 
stetiger sei. 
6. Geht ein System mit endlicher Geschwindigkeit durch 672 
eine SteUe sehr schneUer Änderung hindurch, so erleiden seine 
Bedingungsgleichungen in verschwindender Zeit endliche Ände- 
rungen. Ist das System während des ganzen Verlaufs auch 
in Wirklichkeit, wie es das Grundgesetz voraussetzt, ein gesetz- 
mäfsiges, so gewinnt es doch den Anschein, als erlitte seine 
Gesetzmäfsigkeit zur Zeit des Durchgangs durch jene Lage 
einen Bruch, ohne dafs in Wahrheit ein solcher stattfände. 
Ist uns also analytisch ein System gegeben, dessen im übrigen 
von der Zeit unabhängige Bedingungsgleichungen zu einer be- 
stimmten Zeit in neue Formen überspringen, so betrachten 
wir diese Bedingungsgleichungen zu dieser Zeit nur als an- 
genäherte Vertreter eines anderen, ims unbekannten, vielleicht 
viel verwickeiteren, aber jedenfalls nicht nur stetigen, sondern 
auch gesetzmäfsigen Zusammenhangs. Wir nehmen also auch 
an, dafs man nicht eine vollständige Bestimmung der Bewegung 
des Systems von uns verlange, sondern nur die Angabe der- 
jenigen Aussagen, welche sich trotz der vorhandenen Unkenntnis 
288 Zweites Buch. 
nach dem Grundgesetz aussagen lassen unter der Voraus- 
setzung, dafs auch zur Zeit der Unstetigkeit der wahre Zu- 
sammenhang des Systems ein stetiger und gesetzmäisiger sei. 
673 6. Indem wir alle ünstetigkeitslagen und -zeiten in der 
vorerwähnten Weise auffassen, haben wir freilich auf die Be- 
handlung wirklich unstetiger Systeme verzichtet. Auf solche 
würde auch das Grundgesetz eine Anwendung gar nicht ge- 
statten. Einen Verzicht auf die Behandlung irgendwelcher 
natürlicher Systeme bedeutet aber diese Einschränkung nicht, 
da alles uns zu der Annahme berechtigt, dafs in der Natur 
wohl scheinbare, aber keine wirklichen Unstetigkeiten vor- 
kommen. Dals der Durchgang der Systeme durch scheinbare 
ünstetigkeitslagen nicht vollständig durch das Grundgesetz 
allein bestimmt ist, entspricht auch vollständig der physika- 
lischen Erfahrung, dafs die Kenntnis eines Systems vor und 
hinter einer ünstetigkeitsstelle nicht hinreicht, um die Ände- 
rung der Bewegung beim Durchgang durch die Stelle voll- 
ständig zu ermitteln. 
Von der Stofskraft oder dem Stofs. 
674 Bemerkung. Durchläuft ein System eine ünstetigkeits- 
lage, so erleidet seine Geschwindigkeit eine Änderung von end- 
licher Gröfse. Die Differentialquotienten seiner Koordinaten 
nach der Zeit springen plötzlich auf neue Werte über. 
Denn unmittelbar vor und hinter der ünstetigkeitsstelle 
müssen diese Differentialquotienten, und also die Komponenten 
jener Geschwindigkeit, linearen Gleichungen mit endlich ver- 
schiedenen Koefficienten genügen. 
676 Folgerung 1. Beim Durchgang durch eine ünstetigkeits- 
lage wird die Beschleunigung unendlich grofs, jedoch in sol- 
cher Weise, dafs das Zeitintegral der Beschleunigung, ge- 
nommen über die Zeit des Durchgangs, im allgemeinen einen 
endlichen Wert behält. 
Denn dieses Zeitintegral ist die im allgemeinen endliche 
Änderung der Geschwindigkeit. 
ühsteHge Bewegung. 289 
Folgerung 2. Erleiden die Bedingungsgleichungen des 676 
einen von zwei oder mehreren gekoppelten Systemen eine TJn- 
stetigkeit, so wird beim Durchgang durch diese Unstetigkeit 
die zwischen den Systemen auftretende Straft im allgemeinen 
unendlich grofs, jedoch in solcher Weise, dafs das Zeitinte- 
gral der Kraft, genommen über die Zeit des Durchgangs, end- 
lich bleibt. 
Denn im allgemeinen werden die Komponenten der Be- 
schleunigung des unstetigen Systems auch nach den gemeinsamen 
Koordinaten im Sinne der Folgerung 1 unendlich werden. 
Da aber die Koefficienten der Bedingungsgleichungen auch 
während der Unstetigkeit endlich bleiben, so ist die Ej:aft von 
der Ordnung der Beschleunigung. 
Definition. Stofskraft oder kurz Stofs heifst das Zeit- 677 
integral der während des Durchgangs durch eine TJnstetig- 
keitsstelle von einem System auf ein anderes ausgeübten Kraft, 
genommen über die Dauer des Durchgangs durch die ünstetig- 
keitsstelle. 
Anmerkung. Bei endlicher Geschwindigkeit aller betrach- 678 
teten Systeme können endliche und unendlich kleine, nicht 
aber unendlich grofse Stöfse vorkommen. Wir setzen die 
Stöfse im folgenden als endlich voraus. 
Folgerung 1. Zu jedem Stofs giebt es immer einen 679 
Gegenstofs. Er ist das Zeitintegral der Kraft, welche das als 
zweites bezeichnete System auf das in der Definition zuerst 
genannte ausübt. 
Folgerung 2. Ein Stofs wird stets ausgeübt von einem 680 
System, welches eine Unstetigkeit seiner Bewegung erleidet, 
und ausgeübt auf ein System, welches eine Unstetigkeit seiner 
Bewegung erleidet; er ist nicht denkbar ohne zwei solcher 
einander beeinflussender Systeme. 
Aus denselben Gründen wie bei der Kraft können wir 
uns aber erlauben, von Stöfsen schlechthin zu reden, ohne 
ausdrücklich der Systeme zu gedenken, von welchen oder auf 
welche sie ausgeübt werden. 
Folgerung 3. Ein Stofs kann stets betrachtet werden 681 
als Vektorgröfse, sowohl in Bezug auf das System, welches 
Hertz, Mechanik. 19 
290 Zweites Buch. 
ihn ausübt^ als auch in Bezug auf das System, auf welches 
er ausgeübt wird. Seine Komponenten nach den gemein- 
samen Koordinaten sind im allgemeinen von Null verschieden; 
seine Komponenten nach den nicht gemeinsamen Koordinaten 
sind Null; seine Komponenten in Bichtungen, welche sich 
nicht durch Änderungen der benutzten Koordinaten ausdrucken 
lassen, bleiben unbestimmt. 
Denn die gleiche Behauptung gilt von der Kraft, von 
welcher der Stofs das Zeitintegral ist. 
682 Bezeichnung. Erleidet ein System mit den Koordinaten 
Pg eine ünstetigkeit seiner Bewegung, so wollen wir die Kom- 
ponenten des Stofses, welcher auf das System wirkt, nach den 
Pq mit Jg bezeichnen. Die Komponenten des Stofses aber, 
welchen das System ausübt, nach den p^, sollen mit J^ be- 
zeichnet werden. Für das zweite System, dessen Koordinaten 
wir mit p^ bezeichnen, mögen die entsprechenden Gröfsen mit 
3ß und 3e bezeichnet werden (vergl. 467). Identisch ist dann: 
688 Lehrsatz. Stofs und Gegenstofs sind einander stets ent- 
gegengesetzt gleich, d. h. es sind die Komponenten beider 
nach jeder Koordinate entgegengesetzt gleich, und zwar so- 
wohl wenn wir beide Gröfsen betrachten als Vektorgröfsen 
in Bezug auf das eine, als auch in Bezug auf das andere 
System. 
Denn Stoss und Gegenstofs können .auch betrachtet 
werden als die Zeitintegrale Yon Kraft und Gegenkraft 
(vergl. 468). 
In der eingeführten Bezeichnung wird der Lehrsatz wie- 
dergegeben durch die Gleichungen: 
ünsteiige Bewegung. 291 
Zusammensetzung der Stöfse. 
Lehrsatz. Ist ein System gleichzeitig mit mehreren Sy- 684 
stemen gekoppelt, so ist ein Stofs, welchen die Gesamtheit 
jener Systeme ausübt, gleich der Summe der Stöfse, welche 
die einzelnen Systeme ausüben. 
Denn die Behauptung gilt für jeden Augenblick der Stofs- 
zeit für die wirkenden Kräfte (471), also auch für die In- 
tegrale derselben, die Stöfse. 
Folgerung. Gleichzeitig auf dasselbe System ausgeübte, 685 
oder von demselben System ausgeübte Stöfse können wie 
Kräfte zusammengesetzt und zerlegt werden nach den Regeln 
der Zusammensetzung und Zerlegung von Yektorgröfsen über- 
haupt. Wir reden von den Komponenten eines Stofses und 
von resultierenden Stöfsen in demselben Sinne, in welchem 
wir von Komponenten der Kraft und von resultierenden Kräften 
reden. (Vergl. 472 bis 474.) 
Definition. Ein Stofs, welcher von einem einzelnen ma- 686 
teriellen Punkt oder auf einen einzelnen materiellen Punkt 
ausgeübt wird, heifst ein Elementaratofs. 
Folgerung 1. Jeder Stofs, welcher von einem mate- 687 
riellen System oder auf ein materielles System ausgeübt wird, 
kann zerlegt werden in eine Anzahl von Elementarstöfsen. 
(Vergl. 479.) 
Folgerung 2. Die Zusammensetzung und Zerlegung der 688 
Elementarstöfse erfolgt nach den Kegeln der Zusammen- 
setzung und Zerlegung geometrischer Strecken. (Parallelo- 
gramm der Stöfse.) (Vergl. 478.) 
Bewegung unter dem Einflufs von Stöfsen. 
Aufgabe 1. Die Bewegung eines materiellen Systems 689 
unter dem Einflufs eines gegebenen Stofses zu bestimmen. 
Die Lösung der Aufgabe besteht nur in der. Angabe der 
Änderung, welche die Geschwindigkeit des Systems durch den 
19* 
292 2ho6Ü6s Buch. 
(689) Stofs erfäJirt. Es sei nnn das betrachtete System dasselbe wie 
in 481; bedeuten dieP^ die Komponenten der unendKchen Kraft, 
welche während der Dauer des Stofses auf das System wirkt, 
so ist während dieser Dauer nach 481: 
Je 
1 
Wir multiplizieren diese Gleichung mit dt und integrieren 
über die Stofszeit. Da die Werte der Koordinaten während 
dieser Zeit konstant sind, so ist 
wenn wir durch den Index die Gröfsen vor dem Stofse, 
durch den Index 1 die Gröfsen nach dem Stofse charakteri- 
sieren. Wir haben ferner nach 682: 
c) jP^dt = J^ , 
und wenn wir noch zur Abkürzung setzen: 
d) 
7 Pjc dt^ Jtt j 
so erhalten wir r Gleichungen von der Form: 
k 
1 
Da die Geschwindigkeit des Systems vor und nach dem 
Stofse den Zusammenhängen des Systems genügen mufs, so 
erhalten wir weiter aus den k Bedingungsgleichungen des Sy- 
stems k Gleichungen von der Form: 
r 
O ^^P>^9(P9i-P9o)=^^ '• 
1 
welche zusammen mit den Gleichungen e) als k + r nicht 
homogene, lineare Gleichungen für die A+r Gröfsen Pg^—pQ^ 
Unstetige Bewegtmg, 293 
und /« oder auch für die ä + r Gröfeen qo^—qo^ und J^ angesehen 
werden können, und welche also diese Gröfsen und damit die 
Änderung der Geschwindigkeit des Systems eindeutig bestimmen. 
Anmerkung 1. Ist uns die Geschwindigkeit des Systems vor 690 
dem Stofse gegeben, und sind also die Gröfsen y^^und^g^ bekannt, 
so können wir die r Gleichungen 6S9e zusammen mit den k 
Gleichungen 689 f, oder, was dasselbe, mit den k Glei- 
chungen 
r 
1 
auch auffassen als r + k nicht homogene, lineare Gleichungen 
für die r + k Gröfsen ^^ und J^ , welche also diese Gröfsen 
und damit die Geschwindigkeit des Systems nach dem Stofse 
eindeutig bestimmen. 
Anmerkung 2. Wenden wir rechtwinklige Koordinaten 691 
an, und bezeichnen wir die Komponente des Stofses nach der 
Koordinate Xy mit I^ , so nehmen die Gleichungen des Stofses 
die Form der 3n Gleichungen an: 
m^ 
welche zusammen mit den i aus den Bedingungsgleichungen 
abgeleiteten Gleichungen: 
8n 
T 
die 3n Komponenten Xy^—x^^ der Geschwindigkeitsänderung und 
die i Hülfsgröfsen 7« eindeutig bestimmen. 
Anmerkung 3. Ist die Koordinate pg eine freie Koordi- 692 
nate, so sind die entsprechenden Gröfsen p^ gleich Null, und 
die auf p^ bezügliche Stofsgleichung nimmt die einfache 
Form an: 
294 Zweites Buch. 
Sind in einem holonomen System alle Koordinaten freie 
Koordinaten, so nelimen alle Gleichungen diese Form an, nnd 
die so entstehenden r Gleichungen genügen zur Bestimmung 
der r Gröfsen Per~Peo > welche bekannte lineare Funktionen der 
durch jene Gleichungen unmittelbar gegebenen qo^—qg^ sind. 
693 Folgenmg 1 (aus 689). um ein System aus der Buhe 
plötzlich in eine gegebene mögliche Geschwindigkeit zu ver- 
setzen, genügt es, dem System einen Stofs zu erteilen, welcher 
nach Richtung und Gröfse gleich ist dem Produkt aus der 
gegebenen Geschwindigkeit und der Masse des Systems. 
Denn sind die y^ = 0, und genügen die gegebenen p^^ an 
sich den Bedingungsgleichungen, so genügt die Annahme: 
den Gleichungen 689 e und f. 
694 Folgemng 2. um ein bewegtes System in seiner augen- 
blicklichen Lage plötzlich zur Buhe zu bringen, genügt es, 
dem System einen Stofs zu erteilen, welcher nach Bichtung 
und Gröfse entgegengesetzt gleich ist dem Produkt aus der 
Geschwindigkeit des Systems in seine Masse. 
Denn sollen die qg^ = werden, und genügen die p^^ den 
Bedingungsgleichungen des Systems, so genügt die Annahme: 
den Gleichungen 689 e und f. 
695 Lehrsatz. Die Geschwindigkeitsänderung, welche mehrere 
gleichzeitig wirkende Stöfse einem System erteilen, ist die 
Summe der Geschwindigkeitsänderungen, welche die Stöfse, 
einzeln wirkend, dem System erteilen würden. 
Als gleichzeitig wirkend sind dabei alle Stöfse bezeichnet, 
welche innerhalb einer verschwindend kleinen Zeit erfolgen. 
Unstetige Bewegimg, 295 
ohne Bücksicht auf ihre etwaigen Zeitunterschiede oder ihre 
Beihenfolge innerhalb dieser Zeit. 
Der Satz folgt (vergl. 485) aus der linearen Form der 
Gleichungen 689 e, t, er kann aber auch als unmittelbare Folge- 
rung des Satzes 485 angesehen werden. 
Anmerkung. Der Inhalt des vorigen Lehrsatzes kann auch 696 
wiedergegeben werden in der oft benutzten Form der Aus- 
sage, dafs mehrere gleichzeitig erfolgende Stöfse sich hinsieht- 
lieh der Geschwindigkeit, welche sie erzeugen, nicht stören. 
Lehrsatz. Steht die Richtung eines Stofses senkrecht auf 697 
jeder möglichen Verrückung des Systems, auf welches er wirkt, 
so übt der Stofs keinen EinfluTs aus auf die Bewegung des 
Systems. Und umgekehrt: übt ein Stofs keinen Einflufs aus 
auf die Bewegung des Systems, auf welches er wirkt, so steht 
er senkrecht auf jeder möglichen Verrückung desselben. 
Der Satz kann als unmittelbare Folgerung des Satzes 488 
angesehen werden oder auch in entsprechender Weise aus 
den Gleichungen 689e, f abgeleitet werden. 
Anmerkung. Obwohl also aus der Angabe eines Stofses 698 
eindeutig die Bewegungsänderung erschlossen werden kann, 
welche er erzeugt, so kann doch nicht umgekehrt aus einer 
plötzlichen Bewegungsänderung eindeutig auf den Stofs ge- 
schlossen werden, welcher sie erzeugt hat. 
Aufgabe 2. Die Stofskraft zu bestimmen, welche ein 699 
materielles System bei gegebener plötzlicher Bewegungsände- 
rung ausübt. 
Nach 682 sind die Komponenten des gesuchten Stofses 
zu bezeichnen mit J^, und nach 683 und 689 e sind dieselben: 
k 
1 
Hierin sind die g^^ und q^^ durch die Angaben der Auf- 
gabe bestimmt, die J^ aber sind nicht gegeben, solange nicht 
auch die Bewegung des zweiten Systems gegeben ist, auf 
welches der Stofs ausgeübt wird. Die Lösung der Aufgabe 
296 Zweites Buch. 
ist also nicht eine bestimmte, sondern enthält einen unbestimmt 
bleibenden. Sammanden, welcher einen auf jeder möglichen 
Verrückung des Systems senkrechten Stofs darstellt (250). 
700 Anmerkung 1. Obwohl von dem Stofs, welchen ein Sy- 
stem bei plötzlicher Bewegungsänderung ausübt, nicht alle 
Komponenten durch die Bewegungsänderung des Systems be- 
stimmt sind, so sind doch alle Komponenten in Richtung einer 
möglichen Bewegung durch jene Bewegungsänderung bestimmt. 
701 Anmerkung 2. Obwohl von dem Stofs, welchen ein Sy- 
stem bei plötzlicher Bewegungsänderung ausübt, nicht alle 
Komponenten durch die Bewegungsänderung des Systems be- 
stimmt sind, so ist doch jede Komponente in Eichtung einer 
freien Koordinate durch die Bewegungsänderung eindeutig 
bestimmt. 
702 Anmerkung 3. Ist p^ eine freie Koordinate, so kann der 
nach dieser Koordinate ausgeübte Stofs geschrieben werden 
in den Formen: 
e/o 
Innerer Zwang beim Stofse. 
703 Bemerkung 1. Trifft ein Stofs ein System materieller 
Punkte, zwischen welchen keine Zusammenhänge bestehen, so 
erfolgt eine Geschwindigkeitsänderung, deren Richtung die 
Richtung des Stofses ist, und deren Gröfse gleich ist der 
Gröfse des Stofses, dividiert durch die Masse des Systems. 
704 Bemerkung 2. Bestehen Zusammenhänge zwischen den 
Punkten des gestofsenen Systems, so weicht die Geschwindig- 
keitsänderung im allgemeinen ab von der durch die vorige 
Bemerkung gegebenen. Als Ursache dieser Abweichung können 
wir also die Zusammenhänge des Systems betrachten. 
Unstetige Bewegung. 297 
Beflnitioii. Inneren Zwang beim Stofse oder kurz Zwang 705 
beim Stofse nennen wir die Abänderung, welche die sämt- 
lichen Zusammenhänge eines Systems an der Geschwindigkeits- 
änderung des Systems beim Stofse hervorbringen. 
Der Zwang beim Stofse wird gemessen durch den Unter- 
sdiied zwischen der wirklichen Geschwindigkeitsänderung und 
derjenigen Geschwindigkeitsänderung, welche bei Aufhebung 
sämtlicher Bedingungsgleichungen des Systems eintreten würde; 
er ist gleich ersterer, vermindert um letztere. 
Folgerung. Der Zwang beim Stofse ist das Zeitintegral 706 
des inneren Zwanges des Systems während des Stofses, ge- 
nonmien über die ganze Dauer desselben. 
Aufgabe. Den Zwang eines Systems bei einem Stofse zu 707 
bestimmen. 
Wir bezeichnen die Komponenten des Zwanges nach den 
Koordinaten p^ mit Zg. Indem wir nun die Gleichung 497 a 
mit mdt multiplizieren, und über die Dauer des Stofses inte- 
grieren, erhalten wir: 
Zur Bestimmung der Grofse des Zwanges reichen die 
Komponenten nach beliebigen Koordinaten im allgemeinen 
nicht aus. Wenden wir deshalb auch rechtwinkUge Koordi- 
naten an und bezeichnen die Komponente des Zwanges nach 
x^ mit Zy, so erhalten wir: 
also wird die Gröfse Z des Zwanges die positive Wurzel der 
Gleichung: 
mP = 2*' ^y l^j/i— ^( 
Lehrsatz 1. Die Gröfse des Zwanges beim Stofse fallt 70S 
kleiner aus für die natürliche Bewegungsänderung, als sie aus- 
fallen würde für irgend eine andere mögliche Bewegungs- 
änderung. 
298 Zweites Bueh. 
Denn als notwendige und hinreichende Bedingung dafür, 
dafs bei gegebenen Werten der ly die Gröfse \mZ^ ein Mini- 
mum werde, erhalten wir (vergl. 155, 498) die 3n G-leichungen : 
m, 
(Xp-X^^) - /y + ^'X^yl, = , 
in welchen die 7< zunächst beliebige unbestimmte Multiplika- 
toren bedeuten, und welche zusammen mit den i Gleichungen 
8n 
1 
die 8n+i Gröfsen £yj—£y^ und 7» eindeutig bestimmen. Da aber 
die Gleichungen zusammenfaUen mit den Bewegungsgleichungen 
691 des Systems, so wird ihnen genügt durch die natürlichen 
Geschwindigkeitsänderungen und nur durch diese. 
709 Anmerkung. Der vorstehende Lehrsatz enthält die An- 
passung des GAUss'schen Prinzips des kleinsten Zwanges an 
die besonderen Verhältnisse des Stofses. 
710 Polgenmg. Verhindern die Zusammenhänge des Systems, 
dafs der Winkel zwischen einem Stofse und der durch ihn 
hervorgerufenen Geschwindigkeitsänderung gleich Null werde 
(703), so fällt doch dieser Winkel so klein aus, als es die Zu- 
sammenhänge des Systems irgend gestatten. 
Denn zeichnen wir ein ebenes Dreieck, dessen Seiten sind 
die Gröfse des Stofses dividiert durch die Masse des Systems, 
die Gröfse einer beliebigen möglichen Geschwindigkeitsänderung 
und die Gröfse des Unterschiedes beider, also des Zwanges, 
welcher jener Geschwindigkeitsänderung entspricht, so stellt 
der von den ersten beiden Seiten eingeschlossene Winkel e 
den Winkel zwischen Stofs und Geschwindigkeitsänderung dar 
(34). Eine mögliche Geschwindigkeitsänderung von gegebe- 
ner Sichtung kann nun alle Gröfsen annehmen; unter allen 
Geschwindigkeitsänderungen von gegebener Richtung kann aber 
nur diejenige die natürliche sein, bei welcher der Zwang 
senkrecht steht auf der Geschwindigkeitsänderung (708). Be- 
Unstetige Bewegung» 299 
schränken wir uns also auf diejenigen Geschwindigkeitsänder- 
iingen, welche hiemach noch in Betracht kommen, so sind 
alle in Betracht zu ziehenden Dreiecke rechtwinklig; die 
Hypothenuse aller ist gleich und gegeben; die dem Winkel € 
gegenüberliegende Kathete wird aber für die natürliche Ge- 
schwindigkeitsänderung kleiner als fiir jede andere (708), also 
wird für diese Geschwindigkeitsänderung der Winkel « selbst 
ein Minimum, welches die Behauptung ist. 
Lehrsatz 2. Die Eichtung des Zwangs beim Stofse steht 711 
senkrecht auf jeder mögHchen (virtueUen) Verrückung des Sy- 
stems aus seiner augenblicklichen Lage. 
Denn nach 707 und 689 lassen sich die Komponenten des 
Zwangs darstellen in der Form: 
m ^ 
der Zwang als Vektorgröfse steht also (250) senkrecht auf 
jeder möglichen Verrückung des Systems. Der Satz kann 
auch als unmittelbare Folgerung aus dem Satz 500 gezogen 
werden. 
Symbolischer Ausdruck. Bezeichnen wir mit dpg die 712 
Änderungen der Koordinaten p^ für eine jede beliebige mög- 
liche Verrückung des Systems, so kann der vorige Satz in die 
Form der symbolischen Gleichung gekleidet werden: 
r 
2(9'?-??o-«^9)4Pe = o , a) 
1 
welche für die rechtwinkligen Koordinaten die Form annimmt: 
8n 
Vergl. 398, 501. 
Anmerkung. Der vorige Lehrsatz (711) enthält die An- 713 
passung des D'ALEMBEET'schen Prinzips an die besonderen 
300 Zweites Buch. 
Verhältnisse des Stofses, die symbolische Form 712 den ge- 
wöhnlichen Ausdruck dieser Anpassung. 
714 Folgerung 1. Beim Stofse ist die Komponente der er- 
zeugten Bewegungsänderung in der Richtung jeder möglichen 
Bewegung gleich der Komponente des Stofses nach derselben 
Richtung, dividiert durch die Masse des Systems. 
715 Eolgerung 2. Beim Stofse ist die Komponente der er- 
zeugten Bewegungsänderung nach jeder freien Koordinate 
gleich der Komponente des Stofses nach dieser Koordinate, 
dividiert durch die Masse des Systems. 
716 Folgerung 3. Die Geschwindigkeitskomponente eines ge- 
stofsenen Systems nach jeder Koordinate der absoluten Lage 
ändert sich um einen Betrag, welcher gleich ist der Kom- 
ponente des wirkenden Stofses nach der gleichen Koordinate, 
dividiert durch die Masse des Systems, — welches auch immer 
die Zusammenhänge des Systems sind. 
717 Anmerkung. Auch ohne Kenntnis, oder ohne vollständige 
Kenntnis des Zusammenhangs der Massen eines Systems können 
wir demnach doch stets sechs Gleichungen für die Bewegung 
des Systems unter dem Einflufs eines Stofses angeben. Wählen 
wir als Koordinaten der absoluten Lage die sechs Gröfsen 
^1 0^2 ^8 ^^1 ^2 ^3 9 welche wir in 402 einführten, so stellen die 
sechs Gleichungen, welche wir erhalten, die Anpassung des 
Prinzips des Schwerpunkts und der Flächen an die besonderen 
Verhältnisse des Stofses dar. 
Energie, Arbeit. 
718 Definition. Die Vermehrung der Energie eines Systems 
in Folge eines auf das System ausgeübten Stofses wird die 
Arbeit des Stofses genannt. 
Eine etwaige Abnahme der Energie infolge des Stofses 
wird als negative Zunahme gerechnet. Die Arbeit eines 
Stofses kann demnach positiv oder negativ sein. 
719 Eolgemng. Die Arbeit eines Stofses ist das Zeitintegral 
Unstetige Bewegtmg, 301 
der Arbeit, welche diejenige Kraft leistet, deren Zeitintegral 
der Stofs ist. 
Lelmatz. Die Arbeit eines Stofses ist gleich dem Pro- 720 
dukt aus der Gröfse des Stofses und der in seiner Richtung 
gekommenen Komponente des Mittelwertes der Anfangs- und 
der Endgeschwindigkeit des Systems. 
Denn welches auch in Wahrheit der Verlauf der wirken- 
den Kraft während der Stofszeit und die Bewegung des Sy- 
stems während dieser Zeit ist, die schliefsliche Bewegung und 
also die Arbeit des Stofses wird dieselbe sein, als wirkte die 
Kraft mit konstanter mittlerer Gröfse in der Richtung des 
Stofses selber. Machen wir aber diese vereinfachende Vor- 
aussetzung, so wird erstens die Gröfse der wirkenden Kraft gleich 
der Gröfse des Stofses dividiert durch die Stofszeit. Zweitens 
geht die Geschwindigkeit gleichmäfsig sich ändernd aus dem 
Anfangs- in den Endwert über, und ihr Mittelwert ist das 
arithmetische Mittel ihres Anfangs- und ihres Endwertes. Die 
Komponente der während des Stofses zurückgelegten Bahn- 
strecke in Richtung des Stofses ist aber gleich der Kompo- 
nente jenes Mittelwerts, multipliziert mit der Stofszeit. Be- 
rechnen wir nun nach 518 die von der Kraft während ihrer 
Dauer, also die vom Stofs geleistete Arbeit, so hebt sich die 
Stofszeit heraus, und es folgt die Behauptung. 
Anmerkung. Unter Benutzung der bisherigen Bezeich- 721 
nung ist der analytische Ausdruck des Lehrsatzes die Aus- 
sage, dafs die Arbeit des Stofses gleich sei: 
1 *" 
Polgemng 1. Die Arbeit eines Stofses ist gleich dem 722 
Produkt des Stofses und der in seiner Richtung genommenen 
Komponente der ursprünglichen Geschwindigkeit, vermehrt 
um das halbe Produkt aus der Gröfse des Stofses und der 
in seiner Richtung genommenen Komponente der durch ihn 
erzeugten Geschwindigkeitsänderung. 
Der analytische Ausdruck hierfür ist die Aussage, es sei 
die Arbeit des Stofses gleich: 
302 Zweites Buch. 
2^ JqPQo +2^^Jq {pQi-pQo) 
welche Aussage mit 721 übereinstimmt. 
723 Polgenmg 2. Die Arbeit eines Stofses, welcher *ein 
ruhendes System in Bewegung setzt , ist gleich dem halben 
Produkt aus der Gröfse des Stofses und der in seiner Rich- 
tung genommenen Komponente der durch ihn erzeugten Gre- 
schwindigkeit. 
Denn sind die pQ^ gleich Null, so ist die Arbeit des 
Stofses gleich: 
^^eJgP^^ 
724 Lehrsatz. Ein ruhendes System setzt sich unter dem Ein- 
fiufs eines Stofses in derjenigen Sichtung in Bewegung, bei 
welcher der Stofs die meiste Arbeit leistet, d. h. bei welcher 
er mehr Arbeit leistet, als er leisten würde, wenn wir durch 
Vermehrung der Zusammenhänge des Systems eine andere 
Richtung erzwängen. (Sogenannter Satz von Bebtband.) 
Denn ist / die Gröfse des Stofses, v die Gröfse der er- 
zeugten Geschwindigkeit, s der Winkel zwischen beiden, so 
ist für jeden ursprünglichen oder auch vermehrten Zusammen- 
hang nach 714: 
/ 
V = —COSE • 
m 
also die Arbeit des Stofses nach 723 gleich: 
— jvcose= — cos'^ß 
2 2m 
Der Winkel e aber nimmt für die natürliche Wirkung 
des Stofses nach 710 den kleinsten mit dem ursprünglichen 
Zusammenhang verträglichen Wert an, 6 kann also durch 
Vermehrung der Zusammenhänge nur vergröfsert, cos* 6 also 
nur verkleinert werden, woraus die Behauptung folgt. 
Unstetige Bewegung. 303 
Folgerung. Die Energie, welche ein auf ein ruhendes 725 
System treffender Stofs in dem System erzeugt, fällt um so 
gröfser aus, je mehr Zusammenhänge des Systems wir auf- 
lösen. Der gröfste mögliche Wert jener Energie, welcher 
aber nur durch Auflösung aller Zusammenhänge erreicht wird, 
ist gleich dem Quadrat der Gröfse des Stofses, dividiert durch 
die doppelte Masse des Systems. 
Zusammenstors zweier Systeme. 
Erläutenmgen. 
L Wir sagen, zwei Systeme stofsen zusammen, wenn sie 726 
sich so verhalten, als hätten sie während einer sehr kurzen 
Zeit eine Koppelung erfahren. Diese Koppelung nehmen wir 
als eine direkte an, indem wir geeignete Wahl der Koordi- 
naten beider Systeme voraussetzen (452). 
2. Eine solche vorübergehende Koppelung haben wir 727 
aufzufassen als eine dauernde Koppelung beider Systeme mit 
einem dritten, unbekannten System von solcher Beschaffen- 
heit, dafs es im allgemeinen keinen Einflufs hat auf die Be- 
wegung jener, dafs aber in unmittelbarer Nachbarschaft solcher 
Lagen, in welchen gewisse Koordinaten des einen Systems 
gewissen Koordinaten des anderen Systems gleich werden, es 
diese Koordinaten vorübergehend gleich zu bleiben zwingt. 
Diese vorübergehend gleichbleibenden Koordinaten nennen wir 
die gemeinsamen Koordinaten beider Systeme. 
3. Vor und nach dem Zusammenstofse sind die Ander- 728 
ungsgeschwindigkeiten der Koordinaten eines jeden der beiden 
zusammenstofsenden Systeme lediglich den Bedingungsgleich- 
ungen ihres eigenen Systems unterworfen. Während des 
Stofses aber sind die Änderungsgeschwindigkeiten der ge- 
meinsamen Koordinaten auch an die Koppelungsgleichungen 
gebunden. Diese Änderungsgeschwindigkeiten müssen also, 
wie die Koordinaten selbst, während des Stofses beziehlich 
gleich geworden und eine Zeit lang gleich geblieben sein. Die 
304 Zweites Buch. 
Zeit aber, in welcher sich diese Vorgänge abspielen, betrachten 
wir als verschwindend klein, und die Vorgänge in ihr als 
gänzlich unbekannt. Wir betrachten die Systeme nur vor und 
nach dem Stofse,^ und erwarten, dafs man von uns auch nur 
solche Aussagen über den Zusammenstofs verlange, welche 
sich ohne Kenntnis der Vorgänge während der Stofszeit aus- 
sagen lassen. 
729 Aufgabe. Die Bewegung zweier zusammenstofsender Sy- 
steme nach dem Stofse aus ihrer Bewegung vor dem Stofse 
so weit zu bestimmen, als es ohne Angabe der Vorgänge 
während der Stofszeit möglich ist. 
Es seien die p^ die r Koordinaten des einen, die pQ die 
r Koordinaten des anderen Systems. Die Zahl der gemein- 
samen Koordinaten sei s. Beim Zusammenstofs erfährt jedes 
der beiden Systeme einen Stofs; es seien die Komponenten 
des Stofses, welchen das erste System erfährt e^; die Kom- 
ponenten des Stofses, welchen das zweite System erfährt, 
seien 3^ . Die Gröfsen vor und nach dem Stofse seien wieder 
durch die Indices und 1 bezeichnet. 
Nun gelten erstens für alle Koordinaten des ersten Sy- 
stems Gleichungen von der Form 689 e und für alle Koordi- 
naten des zweiten Systems die entsprechenden Gleichungen. 
Zweitens stehen die Stofse, welche die beiden Systeme er- 
halten, im Verhältnis von Stofs und Gegenstofs, also ist für 
alle gemeinsamen Koordinaten nach 682 und 683: 
e/^ = — 09 
und für alle nicht gemeinsamen Koordinaten beider Systeme: 
^9 = , ^9 = . 
Verbinden wir beide Beziehungen mit einander, so er- 
halten wir für die s gemeinsamen Koordinaten s Gleichungen 
von der Form: 
unstetige Bewegung. 805 
während wir für die (r— ä) + (r—*) nicht gemeinsamen Koor- 
dinaten r— « Gleichungen von der Form: 
k 
1 
und r— « Gleichungen der Form 
f 
1 
erhalten. Die Gleichungen a) b) c), zusammen mit den k+t 
Bedingungsgleichungen beider Systeme dürfen wir auffassen als 
Gleichungen flir die Änderungsgeschwindigkeiten p^ und p^^^ 
welche die Bewegung des Systems nach dem Stofse bestim- 
men, und für die Hülfsgröfsen J^ und 3^ • Wir haben also im 
Ganzen r+x—s+k+l nicht homogene, lineare Gleichungen, wel- 
chen die r+r+Ä+f Unbekannten genügen müssen, und welche 
diejenigen Aussagen enthalten, welche die Aufgabe verlangte. 
Anmerkung. Sind die Koordinaten p^ und p^ freie Koor- 730 
dinaten ihrer Systeme, so können die Gleichungen des Zu- 
sammenstofses in einfacherer Form geschrieben werden. Es 
werden nämlich erhalten durch Berücksichtigung der gemein- 
samen Koordinaten s Gleichungen der Form: 
9qx+% = 9qo+% y »> 
durch Berücksichtigung der nicht gemeinsamen Koordinaten 
des ersten Systems r— * Gleichungen der Form: 
durch Berücksichtigung der nicht gemeinsamen Koordinaten 
des zweiten Systems r— * Gleichungen der Form: 
zusammen also r+x^s Gleichungen für die zu bestimmenden 
r+v Unbekannten p^ und p^^ . 
Hertz, Mechanik. 20 
306 ZweUes Buch. 
731 Folgerung 1. Die Bewegung zweier Systeme nach ihrem 
Zusammenstofs ist durch ihre Bewegung vor dem Zusammen- 
stofs und durch die allgemeinen Gesetze der Mechanik noch 
nicht YoUständig bestimmt, sondern es erfordert ihre Bestim- 
mung noch die Angabe weiterer, aus anderen Quellen ge- 
schöpfter Beziehungen. Die Zahl dieser weiteren notwendigen 
Beziehungen ist gleich der Zahl der gemeinsamen Koordinaten, 
welche beim Zusammenstofs auftreten. 
732 Folgerang 2. Ist es bei einem Zusammenstofs möglich, 
neben den Beziehungen, welche aus den allgemeinen Gesetzen 
der Mechanik folgen, noch so viele lineare Gleichungen für 
die Geschwindigkeitskomponenten nach dem Stofse anzugeben, 
als gemeinsame Koordinaten auftreten, so ist die Bewegung 
nach dem Zusammenstofs durch die Bewegung vor demselben 
eindeutig bestimmt. 
733 Anmerkung. Die besonderen Beziehungen, welche zur Be- 
stimmung der Bewegung beim Zusammenstofs notwendig sind, 
und welche nicht aus den allgemeinen Gesetzen der Mechanik 
folgen, hängen ab von der besonderen Natur desjenigen Sy- 
stems, welches die Koppelung bewirkt, und dessen Eigentüm- 
lichkeiten im einzelnen uns verborgen sind. Dies verborgene 
System ist es auch, welches die Energie aufaimmt, welche 
etwa aus den zusammenstofsenden Systemen verschwindet, oder 
welches die Energie liefert, welche in den zusammenstofsenden 
Systemen etwa gewonnen wird. Der erste Fall tritt z. B. ein 
beim unelastischen Stofse, bei welchem die unmittelbare Nach- 
barschaft des Stofspunktes als das koppelnde System anzu- 
sehen ist. Der zweite Fall tritt z. B. ein bei Stöfsen, welche 
Explosionen auslösen. Die Einzelbetrachtung dieser besonderen 
Verhältnisse aber gehört nicht mehr in die allgemeine Mechanik. 
Schlnfsbemerkung zum zweiten Bneli. 
734 In diesem zweiten Buche wollten wir nicht mehr denk- 
notwendige Beziehungen zwischen den Schöpfungen unseres 
eigenen Geistes erörtern, sondern wir wollten erfahrungs- 
mäfsige Zusammenhänge zwischen Gegenständen der äufseren 
ScMufsbemerkimg, 307 
Beobachtung betrachten. Es war deshalb unumgänglich, dafs 
sich unsere Betrachtung stütze nicht allein auf die Gesetze 
unseres Geistes, sondern auch auf die Ergebnisse früherer 
Erfahrung. Als notwendigen Beitrag der Erfahrung entnahmen 
wir daher unserer Beobachtung der Natur das Grundgesetz. 
Es mufste freilich zunächst scheinen, als sei das Grund- 735 
gesetz bei weitem nicht hinreichend, um die ganze Fülle der 
Thatsachen zu umspannen, welche die Natur uns darbietet, 
und deren Darstellung die bestehende Mechanik auch bereits 
leistet. Denn während das Grundgesetz stetige und gesetz- 
mäfsige Zusammenhänge voraussetzt, trägt uns die tägliche 
Anwendung auch unstetige und ungesetzmäfsige Zusammen- 
hänge entgegen. Und während das Grundgesetz ausdrücklich 
nur von freien Systemen redet, sind wir gezwungen, auch un- 
freie Systeme zu behandeln. Selbst die gesetzmäfsigen, stetigen, 
freien Systeme der Natur fügen sich nicht alle ohne weiteres 
dem Grundgesetz, sondern scheinen ihm zum Teil zu wider- 
streiten. Wir sahen nun aber, dafs wir auch ungesetzmäfsige 
und unstetige Systeme behandeln konnten, indem wir ihre Un- 
gesetzinäfsigkeiten und ünstetigkeiten als scheinbare ansahen; 
dafs wir auch die Bewegung der unfreien Systeme verfolgen 
konnten, indem wir sie als Teile von freien Systemen auf- 
fafsten; dafs endlich auch die dem Grundgesetz scheinbar 
widerstreitenden Systeme ihm unterworfen werden konnten, 
wenn wir die Möglichkeit verborgener Massen in ihnen zu- 
liefsen. Obwohl wir neben dem Grundgesetz weder andere Er- 
fahrungsthatsachen, noch irgend willkürliche Annahmen zu- 
liefsen, konnten wir uns doch über das ganze Gebiet verbreiten, 
welches die Mechanik überhaupt beherrscht. Unsere besondere 
Hypothese hindert uns auch nicht, zu verstehen, dafs sich die 
Mechanik so entwickeln konnte und entwickeln mufste, wie 
sie sich thatsächlich entwickelt hat. 
Insofern also können wir am Schlüsse behaupten, dafs 736 
das Grundgesetz nicht nur notwendig, sondern dafs es auch 
hinreichend sei, um den Anteil der Erfahrung an den allge- 
meinen Gesetzen der Mechanik erschöpfend darzustellen. 
20' 
Nachweis 
der Definitionen nnd Bezeielinnngen. 
(Die beigeBotzten Zahlen bedeuten die Nummern.) 
Abstand zweier Lagen 29. 
Adiabatische Bewegung 560. 
Analytische Energie 611. 
Arbeit einer Kraft, eines Stofses 
510, 718. 
Bahn eines Systems 97. 
Bahnelement 98. 
Bedingungsgleichungen 181. 
Beschleunigung 278. 
Bewegung 256. 
Bewegungsfreiheiten 184. 
Bewegungsgleichimgen 867. 
Bewegungsgröfse 268. 
Cyklische Intensität 549. 
Cyklische Koordinate 546. 
Cyklisches System 549. 
Denkbare Bewegung 257. 
— Lage 11. 
Di£Eierentialgleichungen der Bewe- 
gung 867. 
ifferc 
Differentialgleichungen eines Sy- 
stems 181. 
Differenz zweier Verrückungen 51. 
Dissipative Systeme, Kräfte 668. 
Elementarkraft 475. 
ElementarstoiB 686. 
Energie 282. 
Entfernung zweier Lagen 29. 
Entropie 585. 
Fläche von Lagen 200. 
Freie Koordinate 189. 
Freies System 12!^. 
Gegenkraft 456. 
Gre^enstofs 679. 
Gekoppelte Systeme 450. 
Greleitete Bewegung 481. 
Geleitetes System 431. 
Gemeinsame Koordinaten 452. 
Geodätische Bahn 171. 
Gerade Bahn 101. 
Geraderes Bahnelement 151. 
Geradestes Bahnelement 152. 
Geradeste Bahn 153. 
— Entfernung 215. 
Geschwindigkeit 261. 
G«setzmäfsiger Zusammenhang 119. 
Gleiche Yerrückungen 25, 41. 
Gleichförmige Bewegung 263. 
Gleichgewicht 517. 
Gleichgerichtete Verrückungen 25, 
41. 
Grad der Bewegungsfreiheit 134. 
GröDse einer Verrückung 23, 29. 
Holonomes System 128. 
Identische Verrückungen 25, 41. 
Innerer Zusammenhang 117. 
— Zwang 385. 
— — beim Stofse 705. 
Isocyklische Bewegung 560. 
Kinetische Energie 605. 
Komponente einer Verrückung 48. 
Komponenten einer Kraft 473. 
— eines Stofses 685. 
— eines Vektors 241. 
— nach den Koordi- 
naten 71^ 241* 
310 
Nachweis. 
(Die Zahlen bedeuten die Nummern.) 
Konfiguration 14. 
Konfigorationskoordinate 15. 
Konservative Systeme, Kräfte 601, 
662. 
Koordinate der absoluten Lage 16. 
Koppelung 450. 
Kraft 455. 
Kräfte nach den Koordinaten 460. 
Kräftefunktion 563. 
— eines konservativen Systems 603. 
Krümmung einer Bahn 103. 
Kürzeste Bahn 166. 
Lage 9, 10, 54. 
Ll^e einer Bahn 99. 
— — Verrückung 28, 29. 
Lebendige Ejraft 605. 
Maschine 531. 
Masse 4. 
Massenteilchen 8. 
Materieller Punkt 5. 
Materielles System 121. 
Mathematische Energie 611. 
Modell eines Systems 418. 
Mögliche Bahnen, Lagen 112. 
— Bewegung 258. 
— Verrückungen 111. 
Moment 268. 
Momente nach den Koordinaten 268. 
Monocyklisches System 549. 
Natürliche Bewegung 312. 
Neigung zweier Verrückungen 34, 43. 
Nicht-konservative Systeme, Kräfte 
663. 
Parallele Verrückungen 25, 41. 
Parameter 549. 
Potentielle Energie 605. 
Quadratischer Mittelwert 28. 
Reduzierte Komponente 71, 241. 
Resultante von Kräften 472. 
Besultierender Stols 685. 
Bichtung einer Bahn 99. 
— — Koordinate 69. 
-— — Vektorgrö&e 239. 
— — Verrückung 24, 39. 
Bichtungsunterschied zweier Ver- 
rückungen 34, 43. 
Schar von Flächen 209. 
Senkrecht aufeinander stehende Ver- 
rückungen 45. 
Senkrecht auf einer Fläche stehende 
Verrückung 206. 
Senkrechte Trajektorie 211. 
Sichtbare Massen, Bewegungen, 
Koordinaten 595. 
Stetiger Zusammenhang 115. 
Stols, Sto&kraft 677. 
Summe zweier Verrückungen 50. 
System materieller Punkte 6. 
— mit verborgenen Massen 594. 
Unendlich kleine Verrückung 54. 
Unmögliche Verrückungen 111. 
Vektorgröfec 237. 
Verborgene Massen, Bewegungen, 
Koordinaten 595. 
Verrückung 22, 27. 
— in Bichtung einer Koordi- 
nate 69. 
Verrückung senkrecht auf einer 
Fläche 206. 
Verrückungen senkrecht auf ein 
ander 45. 
Virtuelle Verrückungen 111. 
Winkel zweier Verrückungen 34, 43. 
Wirkung 613. 
Zusammenhang 109. 
Zustand eines Systems 261. 
Zwang 385. 
— beim StoDse 705. 
Nachweis. 311 
(Die Zahlen bedeuten die Nummern.) 
x^ Die 3n rechtwinkligen Koordinaten eines Systems 13. 
p j p Die r bez. r allgemeinen Koordinaten eines Systems 13. 
rriy Masse eines materiellen Punktes 31. 
TU, tn Gresamtmasse eines Systems 31. 
ds Lfinge einer unendHch kleinen Yerrückung, eines Bahn- 
elements 55, 57. 
SjPq Neigung des Bahnelements ds gegen die Koordinate p 75. 
CCvey V> ^6o\ a^a, 16^ 57, 64; 553. 
c Krümmung einer Bahn 105. 
^«vj Phq^ Pico Koefficionten der Bedingungsgleichungen 128, 130. 
^vj Ph^ ^Ph Multiplikatoren 368, 371. 
Geradeste Entfernung eines Systems 217. 
Die Zeit 260. 
Grö&e der Geschwindigkeit eines Systems 265. 
Reduzierte Komponenten der Momente eines Systems 269. 
Gröfse; reduzierte Komponenten der Beschleunigung 275, 277. 
(Energie eines Systems 283. 
Gesamtenergie eines konservativen Systems 608. 
{Energie eines cyklischen Systems 553. 
Potentielle Energie eines konservativen Systems 606. 
Kinetische Energie eines konservativen Systems 606. 
P^, i^, 5ßß , 5ß^ , Xy Reduzierte Komponenten einer Kraft 460, 467, 482; 552. 
jQ,^e^%y%y^ - - ^^°^« S*^^«®« ^^2, 691. 
öp. ö<?; ö^j öq 90, 288, 606; 553. 
5p, Jq 590. 
Accente {x^ , Xy , »1 , etc.) bezeichnen Differentialquotienten nach der 
Bahnlänge, wo nicht Anderes angegeben 100. 
Punkte {pg , 4gj pgy ®*®0 bezeichnen Differentialquotienten nach der 
Zeit 260. 
Indices und 1 {p^^, p^^, a^a^, etc.) 217. 
% 588. 
8 
t 
V 
9e> % 
f,fe 
E 
(S 
T 
312 Nachweis. 
(Die Zahlen bedeuten die Nommem.) 
d*Albmbert*8 Prinzip 394, 448, 502, 713. 
Hamilton*8 Prinzip 360, 440, 631. 
— Form der Bewegnngsgleichongen 380. 
— Funktion 623. 
— charakteristische Funktion 412, 649. 
— Prinzipalfunktion 415, 655. 
jAcoBi^sche Prinzipalfunktionen und charakteristische Funktionen 417. 
LiAGRANGE^sche Bewcgungsgleichungeu 369, 374. 
— Gleichgewichtsbedingungen 525. 
— Kräfte 476. 
— Funktion 621. 
Newton^s Lex prima 383. 
— Lex secunda 495. 
— Lex tertia 469. 
Prinzip der Erhaltung der Energie 340, 441. 
— der kleinsten Wirkung, Maüpebtuis* Form 355, 441, 640. 
— — — — jAcoBi'sche Form 349, 441, 638. 
— des kleinsten Zwanges 390, 448, 709. 
~ des Schwerpunktes und der Flächen 404, 406, 508, 509, 717. 
— der virtuellen Geschwindigkeiten 520. 
— — — Arbeit 521. 
PoissoN*sche Form der Bewegungsgleichungen 377. 
Berichtigung. 
In Nummer 164, Seite 106, ist im Nenner zu setzen statt dp dp : 
ddp^ddp^. 
In Nummer 577, Seite 245 Zeile 4 v. u., findet sich in einem Teile der 
Auflage, zufolge Verschiebung einer Letter während des Druckes, dp^- 
statt dp^ . 
u- 
QA 806.H46 
MprlmipiM 
atanford 
dv üMchanik toi 
C^ 
I 
3 6105 030 415 389 
fl^G'WERrivG uBmm 
DAIEDUE 
STANFORD UNIVERSITY LIBRARIES 
STANFORD, CALIFORNIA 94305-6004