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Full text of "Die Gleichförmigkeit in der Welt : Untersuchungen zur Philosophie und positiven Wisseenschaft"
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Presented to the library of the UNIVERSITY OF TORONTO by Rutherford Library University of Alberta DIE GLEICHFÖRMIGKEIT IN DER WELT DIE GLEICHFÖRMIGKEIT IN DER WELT UNTERSUCHUNGEN ZUR PHILOSOPHIE UND POSITIVEN WISSENSCHAFT VON DR. KARL MARBE 0. ö. PROFESSOR DER PHILOSOPHIE UND PÄDAGOGIK VORSTAND DES PSYCHOLOGISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT WÜRZBURG C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG OSKAR BECK MÜNCHEN 1916 Allo Hoch to, insbesondere das dor Übersetzung vorbehalten Copr. München 1916. 0. H. Beok'icne VMlagrtrochhandhing Oskar Beck Vorwort. Die große Ähnlichkeit der Dinge und Vorgänge in der Welt ißt den Menschen etwas so Selbstverständliches geworden, daß h die Gelehrten vielfach achtlos an ihr vorübergehen. Im vor- üegenden Buch wird diese wunderbare Gleichförmigkeit des Seins und Geschehens in den verschiedensten, freilich nicht in allen möglichen Richtungen wissenschaftlich behandelt. Dreimal habe ich schon früher das Problem berührt. Inner- hall» einer Serie philosophischer Aufsätze 1 ), die ich in der Viertel- jahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie ver- öffentlichte, habe ich auch die Gleichförmigkeit der Natur 2 ) zum Gegenstand meines Interesses gemacht. In einem Aufsatz in der Zeitschrift für Psychologie 3 ) habe ich die psychische Gleichförmig- keit behandelt; dieser Aufsatz kann als eine Fortsetzung der Assoziationsversuche angesehen werden, die ich früher in Ver- i'indung mit dem leider allzufrüh verstorbenen, auch um die Psychologie höchst verdienten, ausgezeichneten Sprachforscher A. Thumb angestellt und publiziert habe 4 ); eine Reihe von die ] sychische Gleichförmigkeit betreffenden Untersuchungen meiner Schüler und Freunde hat sich an diesen Aufsatz angeschlossen; sind vorwiegend in meiner Zeitschrift „Fortschritte der Psycho- logie und ihrer Anwendungen" erschienen und zum Teil in meinen „Grundzügen der forensischen Psychologie" 5 ) zusammengefaßt und in forensischer Hinsicht gewürdigt worden. Drittens habe ich 1 ) Viert <*1 jahrsschrift für ^vi^enschaftliohe Philosophie und Soziologie. Jahrg. 30. 1006. 8. 465 ff . Jahrg. 34. 1010. 8. 1 ff . Jahrg. 36. 1912. S. 69 ff . i. a. O. Jahrg. 36. 1912. 8. 69 ff . 3 ) Zeitschrift für Paychologie. Bd. 56. 1910. S. 241 ff. A. Th u mb und K. M a r be, Experimentelle Untersuchungen über die psychologischen Grundlagen <1< i sprachlichen Analogiebildung. Leipzig 1901. •) K. Matrbe, Grandzüge <l«i forensischen Psychologie. München 1013. 8. 44 ff. VI Vorwort. schon in einer meiner ältesten Publikationen ,, Naturphilosophische Untersuchungen zur Wahrscheinlichkeitslehre 4 ' 1 ) Ansichten ver- treten, die, wie sich zeigen wird, mit dem Problem der Gleich- förmigkeit aufs engste zusammenhängen. Alle die genannten Arbeiten und viele andere mit ihnen zu- sammenhängende Publikationen von anderen und mir sind in diesem Euch verwertet worden. Bei weitem der größte Teil des Buches beruht indessen auf neuen Untersuchungen und Überlegungen. Der Gegenstand dieses philosophischen Buches machte Unter- suchungen erforderlich, die über den Kreis der sogenannten Fach- philosophie weit hinausgehen. Schon die rein psychische Gleich- förmigkeit führt auf Folgerungen für die Rechtswissenschaft, Psychiatrie, Pädagogik, Textkritik, Theorie der Beobachtungs- fehler und Physiologie. Daß das Gleichförmigkeitsproblem mit Fragen der Sprachwissenschaft, der Geschichtswissenschaften, der Soziologie und der sogenannten Völkerpsychologie im engsten Zu- sammenhang steht, wird in diesem Buch ausführlich gezeigt werden. Andere Darlegungen beziehen sich auf die theoretische Physik, die Wahrscheinlichkeitsrechnung, die Kombinatorik, die Statistik und die Biologie. In rein philosophischer Hinsicht führt das Gleich- förmigkeitsproblem besonders auf naturphilosophische und logische Fragen. Auch noch andere Gebiete werden in diesem Buch berührt. Ein Werk, welches sich mit so vielerlei Wissensgebieten be- schäftigt, wird nicht fehlerlos sein und nicht den unbedingten Beifall aller Spezialisten finden können. Doch habe ich es wenigstens an redlichem Bemühen, mich in die verschiedensten Gebiete ein- zuarbeiten, nicht fehlen lassen. Besonderen Wert lege ich auf die empirischen zahlenmäßigen Beweise meiner schon auf d'Alembert zurückgehenden, aber fast allgemein abgelehnten Ansicht vom statistischen Ausgleich. Was ich früher 2 ) auf Grund unzulänglichen Materials behauptet habe, l ) K. Marbe, KaturphiloBQphische Untersuchungen zur Wahrschein- lichkeitslehre. Leipzig l H«>«>. ■) K. Marbe, Nat m philosophische Untersuchungen zur Wahrschein- Lichkeitslehre. Leipzig is!)i>. Vorwort. VII das habe ich jetzt mit einem Material von zirka 250 000 Einzel- fällen einwandfrei bewiesen. Man soll sich zwar bekanntlich nicht einmal rühmen, einen Text oder gar einige Seiten einer Logarithmen- tafel anbedingt richtig abschreiben zu können. Aber ich glaube doch Bagen iu (Hirten, daß meine Rechnungen keine wesentlichen Fehler enthalten. Alles ist doppelt und gänzlich unabhängig von- einander, und zwar meist mit der Rechenmaschine gerechnet worden. Daß ich die Rechnungen nicht allein in Person ausführte, wird der Kundige von vornherein erwarten. In der Tat stand mir ein ganzer 8t ah von Hilfskräften zur Verfügung, unter denen sich mein bewährter [nstitutsmechaniker Herr Fr. D. Joos be- sonders hervortat. Große Mühe habe ich mir gegeben, das Buch soweit als irgend möglich allen wissenschaftlich Gebildeten und auch den Studieren- den verständlich zu machen, ohne besondere Fachstudien voraus- zusetzen. Daß für manchen Fachmann infolgedessen manche Aus- führungen üherflüssig sein mögen, ließ sich nicht vermeiden. Er wird eben darauf angewiesen sein, diese zu überschlagen. So dürfte das Kapitel „Die Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeits- rechnung" zwar den meisten Lesern willkommen sein, dem Mathe- matiker von Fach aber nichts Neues bringen. Alle meine bisherigen zum Teil in sehr verschiedenen Gebieten der Wissenschaften sich bewegenden Arbeiten sind nur möglich geworden, weil ich das Glück hatte, mich fortwährend des Rates und der Hilfe meiner Kollegen und Schüler zu erfreuen. Dies gilt auch für das vorliegende Buch. Am meisten Dank schulde ich meinem verehrten Kollegen, Herrn Dr. G. Rost, o. ö. Professor der Mathematik und Astronomie an der Universität Würzburg. Kr hatte auch ebenso wie meine stets hilfsbereiten Kollegen Prof. Dr. YV. Peters und Privatdozent Dr. A. Prandtl die Güte, mich bei der Korrektur der Arheit zu unterstützen. Zur leichteren Übersicht ist das Buch in 28 Kapitel gegliedert and mit einem von Herrn Dr. A. Prandtl verfaßten Namen- uud Sachregister versehen worden. Inhalt. Seite Vorwort III 1. Kapitel: über einige Kausalsätze 1 2. Kapitel: Die Gleichförmigkeit der Natur und Kultur 20 :\. Kapitel: Die psychologischen Untersuchungen der Gleichförmig- keit und ihre Beziehungen zu anderen Disziplinen 27 4. Kapitel: Zur Theorie der psychischen Gleichförmigkeit 52 Kapitel: Gleichförmigkeit und Sprachwissenschaft 63 ti. Kapitel: Über Gleichförmigkeit, Geschichts Wissenschaften und Soziologie 84 7. Kapitel: Die Beziehungen der Gleichförmigkeit zur Völkerpsycho- logie und Rechtsphilosophie 113 8. Kapitel: Zum Problem der ewigen Wiederkehr des Gleichen . . 129 9. Kapitel: Die Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung . . 145 10. Kapitel: Grundzüge der Philosophie der Wahrscheinlichkeitsrech- nung 152 11. Kapitel: Der dürftige praktische Wert der Wahrscheinlichkeits- rechnung a priori und der Satz von Poincare" 177 12. Kapitel: Zur logischen Analyse des Gleichförmigkeits- und des Massen begriff es 217 13. Kapitel: Die Beziehungen der Gleichförmigkeit zur Begriffsbildung, Induktion und Statistik 230 14. Kapitel: Zur Übereinstimmung zwischen Wahrscheinlichkeitsrech- nung und Erfahrung 239 15. Kapitel: Die Lehre vom statistischen Ausgleich 251 16. Kapitel: Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung und Erfahrung im Gebiet der Bevölkerungslehre 278 17. Kapitel: Die Prävalenz der Normalgruppen 301 18. Kapitel: Eine Untersuchung aus der Kombinatorik und Wahrschein- lichkeitsrechnung 312 19. Kapitel: Die Prävalenz der Normalgruppen und die Wiederholung der gleichen Gruppenformen 332 20. Kapitel: Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung und Erfahrung bei Glücksspielen 337 21. Kapitel: Über das Roulettespiel 344 22. Kapitel: Ein neuer Widerspruch zwischen Theorie und Erfahrung 357 23. Kapitel: An die Systemspieler und Spielbanken 361 24. Kapitel: Die Wette auf das Geschlecht des Kindes 375 X Inhalt. Seite 25. Kapitel: Die Bedeutung des statistischen Ausgleichs für die ange- wandte Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik. Ideen zur Un- fallstatistik und Unfallversicherung 378 26. Kapitel: Die Bedeutung des statistischen Ausgleichs für die Physik und Biologie 388 27. Kapitel: Das Gesetz der kleinen Zahlen und die Gleichförmigkeit 400 28. Kapitel: Zur universellen Theorie der Gleichförmigkeit 404 Namenregister 414 Sachregister 418 Erstes Kapitel. über einige Kausalsätze. Alle Tatsachen (Phänomene, Erscheinungen, Zustände, Vor- gänge), mit denen sich die Naturwissenschaften und die wissen- schaftliche Psychologie sowie die Kulturwissenschaften und alle positiven Wissenschaften überhaupt außer der Mathematik be- schäftigen, verlaufen in der Zeit. Nur von diesen in der Zeit ver- laufenden Erscheinungen ist in diesem Buch die Rede. Die Erfahrung lehrt, daß alle diese Erscheinungen in ihrem laut ritt und Verlauf von anderen Phänomenen abhängig sind. Wenn wir z. B. eine Kugel aus der Hand zur Erde fallen lassen, so ist der Umstand, ob und wie sie fällt, vom Öffnen unserer Hand, von der Tatsache der Schwerkraft und von anderen Faktoren, wie dem Luftwiderstand, abhängig. Alle die Faktoren, von denen der Ein- tritt und Verlauf einer bestimmten Tatsache unmittelbar abhängig ist, nennen wir die unmittelbaren Bedingungen dieser Tatsache. Wir können nun die unmittelbaren Bedingungen in solche einteilen, die mit dem Phänomen, das sie bedingen, gleichzeitig sind, und in solche, die diesem Phänomen unmittelbar voraus- gehen. In unserem Beispiel ist das Öffnen der Hand eine dem Fallen der Kugel vorausgehende, die Schwerkraft dagegen eine gleichzeitige unmittelbare Bedingung. Wir behaupten indessen keineswegs, daß die unmittelbaren Bedingungen aller Phänomene gleichzeitige und vorausgehende sind. Nach der in der wissenschaftlichen Psychologie verbreiteten Auffassung des psychophysischen Parallelismus sind die geistigen Prozesse als Begleitvorgänge gewisser körperlicher Prozesse auf- zufassen, so zwar, daß beim Menschen bestimmten Gehirnprozessen bestimmte Bewußtseinsvorgänge entsprechen. Im Sinne dieser Theorie sind die unmittelbaren Bedingungen der Erlebnisse oder Bewußtseins Vorgänge ausschließlich gleichzeitige Bedingungen. Auch Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt. 1 2 1. Über einige Kausalsätze. wird unsere allgemeine Unterscheidung von gleichzeitigen und vorausgehenden unmittelbaren Bedingungen nicht durch die Auf- fassung berührt, daß es für die kleinsten Zeitelemente einer Natur- erscheinung keine streng gleichzeitigen, sondern nur vorausgehende Bedingungen gebe. Wenn wir die Zeit, innerhalb welcher ein Phänomen verläuft, mit t bezeichnen, so dürfen wir sagen, daß sich unsere Betrachtungen nicht nur auf Phänomene beziehen, für die t unendlich klein ist, sondern auch auf solche, für die t eine beträchtliche Größe besitzt; wir nennen aber eine Bedingung eines Phänomens von der Dauer t eine gleichzeitige, sofern sie irgendwann während der Zeit t auftritt. Wenn es also auch Phänomene mit unendlich kleinem t-Wert geben sollte, für die gleichzeitige Bedingungen nicht existieren, so gibt es für uns doch auch jedenfalls Phänomene mit größerem t-Wert und gleichzeitigen Bedingungen. Eine Einteilung der unmittelbaren Bedingungen überhaupt in gleichzeitige und vorausgehende ist daher einwandfrei. Den unmittelbaren Bedingungen der Erscheinungen stellen wir die mittelbaren gegenüber und wir verstehen unter mittel- baren Bedingungen die näheren oder entfernteren Bedingungen der unmittelbaren. In unserem Beispiel war das Öffnen der Hand, in welcher sich die Kugel befand, eine unmittelbare Bedingung des Falles der Kugel. Daß aber die Kugel vorher von der Hand erfaßt wurde, daß die Hand in eine gewisse Höhe gehoben wurde und vieles andere gehört zu den mittelbaren Bedingungen des Falles der Kugel. Eines der allgemeinsten Ergebnisse der Naturwissenschaft und eine Auffassung, mit der auch der wissenschaftliche Psycho- loge täglich operiert, ist nun der Satz: Alle Naturerscheinungen Bind bestimmte Funktionen von bestimmten unmittelbaren Be- dingungen. Dieser Satz besagt, daß der Umstand, ob ein be- -t nullit* ~ Phänomen eintritt und wie es verläuft, von anderen gleichzeitigen und unmittelbar roransgehenden Phänomenen ab- hängt . Ein anderes fundamentales Ergebnis der Naturwissenschaften ist der in dem oben genannten Gesetz Ereilich implicite enthaltene 1. ('bor einig« Kausalsätze. 3 Satz: Gleiche unmittelbare Bedingungen führen zu gleichen Er- scheinungen. Auf Grund dieser Erfahrungssätze sind wir in der Lage, die Zukunft innerhalb gewisser Grenzen im voraus bestimmen zu kOnnen: wir wissen s. B., daß Wasser nicht nur gestern verdampfte, als wir enügend erwärmten, sondern daß auch morgen ein Gefäß mit Wasser, das wir der Hitze aussetzen, seines flüssigen Inhalts verlustig gehen wird. Auch alle Wunder der Technik sind menschliche Leistungen, die in gewissem Sinne auf jenen Sätzen beruhen. Wir können die Sätze: Alle Erscheinungen sind in ihrem Eintritt und Ablauf von anderen Erscheinungen abhängig; gleichen unmittelbaren Bedingungen entsprechen gleiche Phänomene — als naturwissenschaftliche Funktionssätze oder, wenn wir wollen, auch als die korrigierten Kausalsätze bezeichnen. Erst die Naturwissen- schaft hat die Gültigkeit dieser Sätze einwandfrei festgestellt. Die Tatsachen, die ihnen zugrunde liegen, sind freilich seit den ältesten Zeiten mehr oder weniger klar geahnt worden. So wurde bekanntlich schon von den vorsokratischen Philosophen, ins- besondere den Atomisten, die Ansicht von dem durchgängigen gesetzmäßigen Verlauf der Naturerscheinungen vertreten. Auch die alten Sätze, die wir als populäre Kausalsätze den naturwissen- schaftlichen Funktionssätzen gegenüberstellen werden, können in gewissem Sinne als Vorahnung der letzteren aufgefaßt werden. Diesen populären Kausalsätzen können wir folgende Form geben: Alles was ist und geschieht, ist die notwendige Wirkung einer Ursache. Gleichen Ursachen entsprechen gleiche Wirkungen. Wir alle operieren im gewöhnlichen Leben tagaus tagein mit diesen Sätzen und wir betrachten in ihrem Sinne freilich in anthropomor- j »bischer Weise den Eintritt und Ablauf aller Zustände und Vor- ige irgendwie ,, bewirkt", wie auch wir selbst durch unsere Willenshandlungen mancherlei Erfolge zu bewirken scheinen. Während indessen tatsächlich der Eintritt und der Ablauf aller Vorgänge im Sinne der korrigierten Kausalsätze von einer Reihe unmittelbarer und von unendlich vielen mittelbaren Be- 1* 4 1. Über einige Kausalsätze. dingungen abhängig ist, so ziehen wir im Leben meist nur eine oder doch nur einen Teil der mittelbar oder unmittelbar voraus- gehenden Bedingungen in Betracht, die wir dann (im Sinne der populären Kausalsätze) als die Ursache der Wirkung bezeichnen, wobei uns die Ursache gern als eine Kraft, analog der sogenannten „Willenskraft", erscheint. In diesem Sinne sagen wir dann auch: die Ursache geht der Wirkung voraus, ein Satz, der freilich neben entgegenstehenden Behauptungen (z. B.: Ursache und Wirkung sind gleichzeitig; Ursache ist die Gesamtheit der Bedingungen eines Erfolgs) auch in der Geschichte der Philosophie eine große Rolle spielt 1 ). Es wurde soeben angedeutet, daß wir unter Ursache nicht nur eine, sondern öfter auch eine Mehrheit von Bedingungen ver- stehen. Wir gebrauchen also das Wort Ursache auch für einen ganzen Komplex von Bedingungen oder einen Bedingungskomplex. Oft bezeichnen wir nun als Ursache auch lediglich ein ge- meinsames Merkmal einer Mehrheit solcher Bedingungen. Dies geschieht auch dann, wenn wir eine größere Anzahl von im einzelnen unbekannten Bedingungen als Ursache in Anspruch nehmen. Wenn wir etwa sagen, daß die bedeutenden Leistungen eines Menschen durch seine Genialität verursacht werden, oder wenn wir meinen, daß der Untergang des römischen Weltreichs durch die Verringerung der umlaufenden Goldmenge in der Kaiserzeit verursacht worden sei, so betrachten wir die Genialität und den abnehmenden Umlauf von Barmitteln als Merkmale gewisser im einzelnen teilweise unbekannter in der Zeit verlaufender Be- dingungen. Und diese Merkmale nennen wir dann Ursachen. x ) Zur Geschichte des philosophischen Kausalproblems von Cartesius an vgl. E. Koenig, Die Entwickelung des Kausalproblems. Bd. 1. Leipzig 1888. Bd. 2. Leipzig 1890. Die Geschichte des philosophischen Kausal- problems von den Griechen bis zur kritischen Philosophie behandelt A. Lang, Das Kausalproblem. Erster Teil. Köln 1904. Vgl. auch J. W. A. Hickson, Der Kausal begriff in der neueren Philosophie und in den Naturwissen - schalten von Hume bis Robert Mayer. Viertel j ah rsschrift für wissen- schaftliche Philosophie. Jahrg. 24. 1900. S. 447 ff. und Jahrg. 25. 1901. S. 19 ff., S. 145 ff., S. 265 ff., S. 441 ff. 1. l'bor oin ige Kausalsätze. 5 BchHeßlich muß noch betont werden, daß wir Ursachen im Sinne von gemeinsamen Merkmalen von Bedingungen auch selbst wieder als Bedingungen bezeichnen, so z. B. wenn wir sagen: die Ab- nahme der Goldmenge in der Kaiserzeit ist eine Bedingung des Untergangs des römischen Reichs. Wir können daher zusammenfassend Bagen: Unter Bedingungen verstehen wir erstens einzelne in der Zeit verlaufende oder in der Zeit „wirkende" unmittelbare oder mittelbare Bedingungen oder Komplexe solcher Bedingungen; zweitens nennen wir Bedingungen oft Merkmale solcher Gruppen von Bedingungen. Bedingungen der ersten Art sollen künftig Bedingungen im ersten Sinn, Bedingungen der zweiten Art sollen Bedingungen im zweiten Sinn heißen. Die Bedingungen von beiderlei Art können wir kausale Be- dingungen nennen. Nicht alle Bedingungen, von denen man im Leben und in der Wissenschaft redet, sind kausale Bedingungen, wie allgemein bekannt ist und später, gegen Ende des fünften Kapitels, noch näher zu erörtern sein wird. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels und an den meisten Stellen dieses Buches werden wir unter Bedingungen kausale Bedingungen verstehen. Welche Bedingungen wir nun im Sinne des populären Kausal- gesetzes als Ursachen in Anspruch nehmen und welche nicht, das ist eine Frage, die sich durchaus nicht generell beantworten läßt. Daß w r ir von den tatsächlichen einzelnen unmittelbaren oder mittel- baren Bedingungen sowie auch von den Bedingungen im zweiten Sinne des Wortes bald diese, bald jene als Ursachen besonders würdigen, hat sehr verschiedene Gründe, die je nach den Gesichts- punkten, unter denen wir die Sache betrachten, verschieden sind. Sicherlich kommen dabei ganz wesentlich Wertmaßstäbe, oder, wie wir auch sagen können, Interessenmaßstäbe in Betracht. Wir wollen annehmen, ein Eisenbahnzug fährt so in die Station ein, daß es den Insassen des letzten Wagens unmöglich ist, vom Wagen oder Trittbrett direkt auf den Bahnsteig zu gelangen, sondern daß sie genötigt sind, mit einem gewaltigen Schritt vom Trittbrett auf den Boden zu steigen, auf dessen Höhe die Eisenbahnschienen liegen; wir wollen ferner annehmen, es sei Winter und der Boden 6 1. Über einige Kausalsätze. sei mit Glatteis bedeckt. Ein Herr von siebzig Jahren kommt beim Aussteigen zu Fall und bricht ein Bein. Was ist die Ursache des Beinbruchs? Der eine wird sagen, daß die Ungeschicklichkeit des Herrn seinen Unglücksfall verschuldet habe, und er wird sich vielleicht darauf berufen, daß derselbe Herr schon früher infolge offenbarer Ungeschicklichkeit mehrere Unfälle gehabt hat. Der andere wird den Unglücksfall dem Glatteis, ein anderer dem Alter des Herrn zuschreiben. Der Herr selbst wird vielleicht als einzige Ursache seines Unglücks den Umstand betrachten, daß der Zug so einfuhr, daß es ihm unmöglich war, direkt vom Trittbrett auf den Bahnsteig zu gelangen. Jeder aber wird zu seiner Stellung- nahme durch Gründe bewogen, die sicherlich ganz außerhalb wissenschaftlicher Betrachtungen liegen und die wesentlich durch das Interessengebiet des einzelnen beeinflußt sein können. Wer in einem solchen Fall z. B. eine Unfallrente erstrebt, wird nicht nur den Behörden, sondern auch sich selbst gegenüber nicht leicht die Ursächlichkeit eigener Ungeschicklichkeit oder gar eigenen Verschuldens besonders lebhaft betonen. Und da fast niemand gerne alt ist, so wird ein alter Herr, dem ein solcher Unfall passiert, auch in der Kegel nicht sein Alter als ,, Hauptursache" der Kata- strophe ansehen. Diese Betrachtungen dürften auch zeigen, daß die Unter- scheidung der Ursachen in Haupt- und Nebenursachen, in eigent- liche und weniger wichtige Ursachen sowie die Aufstellung des Begriffes der vera causa nicht durch objektive Merkmale der Be- dingungen, sondern durch die Stellungnahme des Subjekts zu diesen Bedingungen begründet sind. Im Gebiet einer objektiven Ursachenforschung gibt es daher an sich keine Kangunterschiede der Ursachen und keine vera causa 1 ). Freilich ist eine Klassi- fizierung der Ursachen im angedeuteten Sinne dem praktischen x ) Ein ganz anderer Begriff der vera eausa als der im obigen Text erörterte findet sich bei Newton, der unter seinen Regula«' philosophandi als erste folgende anführt: ,,Causas rerum naturalium non plures admitti debere, quam quae et verae sint et earum phaenomenia explicandie suffi- f-iant." (J. Newton, Philosophiae naturalis principia mathematica. London 1687. S. 402. „Editio ultima" desselben Werkes. Amsterdam 1714. S. 357.) 1. über einige Kausalsätze. 7 Leben eigentümlich und daher mich in der auf dem Boden des Lebens erwachsenen Rechtswissenschaft 1 ) und in der auf dem Standpunkt des gewöhnlichen Lebens stehenden Geschichts- betrachtnng üblich. Auch in anderen Wissenschaften ist es ge- bräuchlich und für die Verständigung zweckmäßig} Bedingungen, insbesondere vorausgehende, die jeweils von besonderem Interesse sind, als Ursachen aus dem allgemeinen Kreis der Bedingungen hervorzuheben. Die populären Kausalsätze haben mit ihren anthropomor- phistischen Begriffen des Wirkens und der wirksamen und daher kraftbegabten Ursachen die Hülle des populären Denkens noch nicht abgestreift, sie stehen aber, ebenso wie der Satz, daß die Ursache der Wirkung stets vorausgehe, dem praktischen Leben weit näher als die korrigierten Kausalsätze. Diese populären Kausal- Bätze, die im praktischen Leben sowie in der auf das praktische Leben bezüglichen und aus ihm hervorgegangenen Rechtswissen- schaft Anwendung finden und die von vielen Philosophen noch heute als die eigentlichen Kausalsätze in Anspruch genommen werden, sind ein sehr unvollkommener Ersatz der korrigierten Kausalsätze, aber freilich der im praktischen Leben und in der Jurisprudenz zurzeit und vielleicht immer allein mögliche Ersatz. Die einzelnen unmittelbaren Bedingungen bestimmter Tatsachen des praktischen Lebens sind uns vielfach deshalb unbekannt, weil diese Tatsachen und ihre Bedingungen häufig viel verwickelter sind als die Tatsachen der Naturwissenschaften und insbesondere Über diesen Begriff der vera causa handelt F. Hillebrand, Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaften. (Philosophisch -historische Klasse.) Bd. 134. Wien 1896. VI. Abhandlung. S. 1 ff . Die Arbeit Hillebrands „Zur Lehre von der Hypothesenbildung" erschien auch separat Wien 1896. Im Sinne unserer Lehre von der Kausalität müssen wir, wenn wir den Aus- druck ..wahre Ursache" in der Weise wie Newton gebrauchen, sagen: Jede Erscheinung hat eine Mehrheit von unmittelbaren wahren Ursachen und eine große (genau genommen unendliche) Anzahl von mittelbaren wahren Ursachen. Im vorliegenden Buch wird der Begriff der vera causa im Sinne Newtons nicht verwendet. Auf den im obigen Text erwähnten Begriff kommen wir später zurück. ] ) Zürn Kausalbegriff in der Rechtswissenschaft vgl. K. Marbe, Qnmdsfige der forensischen Psychologie. München 1913. S. 99 ff . 8 1. Über einige Kausalsätze. als die Tatsachen der Physik und Chemie, zweier Gebiete, in denen die Anwendung der naturwissenschaftlichen Funktionssätze dem Sinne nach ganz besonders häufig ist. In der Regel erweist sich übrigens die Kenntnis aller und die genaue Kenntnis einzelner unmittelbarer Bedingungen der Tatsachen im praktischen Leben auch gar nicht nötig, weil (zumal mit Rücksicht auf die Konstanz mancher Bedingungen) vielfach die Kenntnis einzelner in weitem Umfang variierbarer unmittelbarer oder mittelbarer Bedingungen genügt, um die „Wirkungen'' dieser Bedingungen soweit voraus- zusehen, als es praktisch von Bedeutung ist. Ja wir dürfen sagen, daß das praktische Leben in den meisten Gebieten unmöglich ge- macht oder doch erschwert würde, wenn wir uns hier in exakter Weise um die unmittelbaren Bedingungen der Tatsachen kümmern wollten. Die Köchin betrachtet genügende Wärme als hinreichende Bedingung der Verdampfung des Wassers, der Gärtner betrachtet Aussaat von gesundem Samen, ,, gutes" Wetter und „ guten Boden" als genügende Bedingungen des Wachstums seiner Pflanzen, und jedermann betrachtet das Fallenlassen eines Gegenstandes als hinreichende Bedingung dafür, daß er tatsächlich falle. Und sie alle haben mit ihren Ansichten praktisch gesprochen ganz recht. Übrigens ist auch zu bedenken, daß, wiewohl die korrigierten Kausalsätze als zu den allgemeinsten Ergebnissen der Naturwissen- schaft gehörig bezeichnet werden dürfen, auch nicht einmal alle Naturwissenschaften die unmittelbaren Bedingungen der von ihnen behandelten Phänomene genau und restlos festzustellen in der Lage sind. Je komplizierter die Phänomene sind, welche die Natur- wissenschaften untersuchen, desto weniger sind sie imstande, die unmittelbaren Bedingungen dieser Phänomene zu erfassen. Und daß die Feststellung der unmittelbaren Bedingungen in der Physik und Chemie und besonders in der theoretischen Physik am besten gelingt, liegt wesentlich daran, daß die von diesen Wissenschaften untersuchten Phänomene und ihre Bedingungen relativ einfache Phänomene sind. Freilich hängt die Möglichkeit des genauen Studiums der anmittelbaren Bedingungen der Phänomene in ein* in Wiseensgebiel auch von anderen Paktoren, wie von der l. ubei einige Kausalsätze. 9 Jichkeit der Anwendung des Experiments ab. Jedenfalls sind die populären Kausalsätze, die noch bis vor kurzem ausschließlich in der Naturwissenschaft das Feld beherrschten, den meisten Natur- schern auch heute immer noch geläufiger als die korrigierten. Wenn, wie wir sehen, der unvollkommene Ausdruck der populären Kausalsätze im praktischen Leben nicht durch die naturwissenschaftlichen Funktionssätze ersetzt werden kann, und wenn dieser Ersatz auch vielfach gar nicht wünschenswert ist, 90 brauchen wir uns nicht darüber zu verwundern, daß in den i'hicht.-wissenschai'ten nicht die korrigierten, sondern die popu- n Kausalsätze dominieren. Denn der Historiker hat es wie der Mensch di's praktischen Lebens nicht mit einfachen, sondern mit sehr komplizierten Erscheinungen zu tun, für welche die Ge- samtheit der unmittelbaren Bedingungen genau und restlos dar- zulegen einfach unmöglich ist. Ja man darf sagen, daß der Histo- riker vielfach noch viel kompliziertere Phänomene untersucht, als sie uns im praktischen Leben geläufig sind. Die Ursachen des Zusammenbruches des römischen Reiches, der französischen Re- volution sind so kompliziert, daß sie selbst, wenn die historischen Quellen nicht (was sie doch immer sind) lückenhaft wären, sich nicht auf ihre unmittelbaren Bedingungen zurückführen lassen, ganz abgesehen davon, daß ein solcher Versuch noch anderen unüberwindbaren Schwierigkeiten begegnen würde. Diese weiteren wierigkeiten liegen zum Teil darin, daß Begriffe wie ,,der Unter- gang des römischen Reiches" in verschiedener Beziehung und auch besonders zeitlich gar nicht scharf abgrenzbar sind. Wann fängt dieser Untergang an, wann hört er auf? Wer will, ohne nicht dem Schein der Lächerlichkeit zu verfallen, diese Fragen K) exakt lösen, wie man die Frage beantworten kann, wann eine Kugel zu fallen anfängt und wann sie zu fallen aufhört. Aber auch gesetzt den Fall, dies wäre möglich! Welche historischen sichten Bollte es uns eigentlich gewähren, wenn wir die voraus- gehenden unmittelbaren Bedingungen der französischen Revolution kennten im Sinne der vorausgehenden unmittelbaren Bedingungen des Falle- einer Kugel? Was die Historiker über die Ursachen 10 1. Über einige Kausalsätze. der gewaltigen Ereignisse, die man französische Revolution nennt, zu berichten wissen, ist ein Ausschnitt aus den unmittelbaren und mittelbaren Bedingungen der Revolution. Und gerade die mittelbaren, also die näheren und entfernteren Bedingungen der unmittelbaren Bedingungen dieser Revolution interessieren uns besonders. Sie aber im einzelnen zu übersehen, wäre noch unmög- licher als die genaue Kenntnis der unmittelbaren Bedingungen. Andererseits aber sollte man sich klar machen, daß die Er- klärung von komplizierten Vorgängen aus einer oder einer be- schränkten Anzahl von vorausgehenden Bedingungen niemals eine erschöpfende Erklärung sein kann und daß daher auch die Auf- zeigung der Bedingungen in der in den Geschichtswissenschaften üblichen Weise (wenn sie auch einer notwendigen Resignation entspricht) doch niemals eine so restlose sein kann, wie etwa die Zurückführung eines experimentell hervorgerufenen Vorgangs auf seine unmittelbaren Bedingungen. Und man sollte sich auch jederzeit darüber klar sein, daß die Wirksamkeit von einer oder von ein paar Bedingungen die Wirksamkeit anderer Bedingungen nicht ausschließt. Es kann nicht meine Aufgabe sein im Rahmen dieses Buches den Unterschied zwischen dem naturwissenschaftlichen Kausal- begriff unserer Tage und dem des Lebens und der Geschichts- wissenschaft einigermaßen erschöpfend darzulegen. Das wenige aber, worüber wir eben sprachen, dürfte uns zeigen, daß die Funk- tionssätze im praktischen Leben, in der Jurisprudenz und in der Geschichtswissenschaft keine wesentliche Stelle einnehmen and daß die populären Kausalsätze, die nur einzelne oder wenige mittel- bare und anmittelbare Bedingungen als Ursachen in Betrachl ziehen, rieh nicht so leicht aus dem Leben, der Rechtswissenschaft und den Geschichtswissenschaften verdrängen hissen werden und daß sie vielleicht auch in einem Teil der übrigen Wissenschaften immer bedeutungsvoll bleiben werden. Die Versuche von Mach 1 ), ») E. Mach, Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis de* Physischen ram Psychischen. 6. Awt'l. Jens 1911. S. 73ff. Erkennntnia und Irrtum. Leipzig 1906. B. 272ff. l. tlbei einige Kausalsätze. 11 1 - • . :■ . A vonnrius 2 ) und anderen, den Kausalbegriff durch den PnnktLonsbegriff zu ersetzen, erseheinen demnach nicht be- sonders aussichtsreich. Wiewohl unsere bisherigen Mitteilungen es bereits enthalten, sei doch ausdrücklich betont, daß wir, auch wenn wir von den populären Kausalsätzen handeln und wenn wir einer üblichen Terminologie folgend gelegentlich von wirkenden Bedingungen und dergleichen Bprechen, wir doch unter Ursachen und Bedingungen immer in der Zeit verlaufende Bedingungen oder Merkmale solcher Bedingungen verstehen, daß wir aber die Worte Ursache und lingung niemals im Sinne einer Kraft gebrauchen. Zu den vier höchsten Prinzipien der Metaphysik des Aristoteles gehört bekanntlich auch die Ursache. Sie wirkt ebenso wie der Zweck auf den Stoff, um ihn im Sinne der Form zu gestalten. Bei Aristoteles und vielen späteren Philosophen erscheint aber die Ursache vielfach nicht nur als ein in der Zeit verlaufendes Phänomen, sondern auch als eine Kraft ähnlich der Lebenskraft. Ein auf Grund von Einzel- erfahrungen erwachsener Begriff ist hier dem Stagiriten zu einer kraftbegahten Realität erwachsen. Wiewohl das Verfahren, aus Begriffen außerbegriffliche Realitäten zu schaffen, schon in der vor- aristotelischen Philosophie, besonders in der Ideenielire Piatons und bei Parmenides heimisch war und wiewohl es bis auf die Gegenwart auch von unbedeutenderen Philosophen als Aristo- teles, besonders von Fichte, noch mehr von Schelling und Hegel und ihren Nachfolgern mit allergrößter Virtuosität gehand- habt wird, so scheint es mir doch für philosophische Unter- suchungen wie die vorliegenden, die den Zusammenhang mit der positiven Wissenschaft unserer Zeit zu wahren bestrebt sind, nicht weiter in Betracht zu kommen. 1 ) J. Petzoldt, Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung. Bd. l. Leipzig L900. B. 24 ff. 2 ) K. AvenariuH, Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraft maßet. Leipzig 1H70. 9. 45 ff. Kritik der reinen Erfahrung. 2. Aufl. Bd. 1. Leipzig 1907. S. 20, 29 f. Bd. 2. Leipzig 1908. S. 119ff. 12 1. Über einige Kausalsätze. Die naturwissenschaftlichen Funktionssätze sind nun, wie wir schon sagten, Erfahrungssätze. Sie waren dem Altertum un- bekannt und sind erst an der Hand der Naturwissenschaft der Neuzeit gewonnen worden. Sie sind zurzeit gewissermaßen die einzigen Kausalsätze der theoretischen Physik, wo lange Zeit die populären Kausalsätze dominierten, die indessen neuerdings durch Kirchhoff 1 ) und andere aus dieser Wissenschaft gänzlich ver- trieben wurden. Wenn man nun etwa unter dem Kausalgesetz die naturwissen- schaftlichen Funktionssätze versteht, so darf man sagen : das Kausal- gesetz ist nicht a priori, sofern man unter Erkenntnissen a priori mit Kant solche versteht, die unabhängig von der Erfahrung zustande kommen. Die Frage nach der Apriorität der populären Kausal- sätze ist bei der oben angedeuteten Vieldeutigkeit des Begriffs der Ursache innerhalb dieses Gesetzes überhaupt keine klare und eindeutige Frage. Versteht man indessen unter Kausalität ledig- lich die Auffassung, daß die Erscheinungen an gewisse Bedingungen geknüpft sind, so liegt die Sache ganz anders. Hier wird man zunächst festzustellen haben, welche speziellen Auffassungen man eigentlich auf ihren apriorischen Charakter prüfen will. Jedem von uns sind unmittelbar gegeben nur seine Erlebnisse oder Bewusstseinsvorgänge. Gewisse Bewußtseinsvorgänge, nämlich die Sinnes Wahrnehmungen, betrachten wir nun als bedingt durch andere außerhalb des Bewußtseins liegende Gegenstände. Wir betrachten, wie wir dies auch ausdrücken können, die Sinnes- wahrnehmungen als Zeichen für außerhalb des Bewußtseins liegende, d. h. für transzendente Gegenstände, und auf Grund unserer Sinnes- wahrnehmungen konstruieren wir uns die sogenannte Kürperwelt, die wir schließlich als dasjenige betrachten, von dem unsere Sinnes- wahrnehmungen abhängen. Diese Annahme von Körpern als Ursachen der Sinneswahrnehmungen ist nicht eine Hypothese, die einzelne machen, von der aber andere absehen, sie ist vielmehr 1 ) G-. Kirchhof!', Vorlegungen aber Mechanik. 4. Aufl. Horaus- gegeben von w. Wien (Vorlesungen über mathematisch«! Physik. Bd. 1.) Leipzig 1897. S. V f. Vorrede. 1. ober einige Kausalsätze. 13 eine gani allgemeine Annahme. Sir findet sich denn auch bei allen, auch den primitivsten Völkern und ist allenthalben schon dem kindlichen Weltbild eigentümlich. Diese Annahme ist auch keines- gs nur eine überall vorhandene Gewohnheit, sondern vielmehr eine Annahme, die jedermann zunächst ganz einwandfrei und selbstverständlich erscheint, wenn auch idealistische Philosophen und Philosophen der Immanenz uns nachträglich zeigen wollen, daß diese Annahme überflüssig oder gar ungehörig sei. So liegt es nahe, die kausale oder besser die konditionale Verknüpfung zwischen Sinneswahrnehmungen und Körpern als eine apriorische, d. h. als eine nicht durch die Erfahrung gewonnene Auffassung anzusehen. Mine ganz andere Frage ist wieder die, ob wir für alle in der Zeit verlaufenden Erscheinungen, also für alle geistigen und körper- lichen Vorgänge infolge apriorischer Tatsachen die Bedingtheit durch andere Phänomene in Anspruch nehmen. Diese Frage wird unter dem Einfluß von Kant in der Regel in positivem Sinne beantwortet, wiewohl die schon von Aristoteles statuierte ,, erste Ursache" im Sinne des kosmologischen Gottesbeweises zeigen dürfte, daß die Beantwortung dieser Frage bei weitem nicht so einfach ist als man oft annimmt. Trotz der durch Schopenhauer und andere bekannten Einwände gegen diese ,, erste Ursache" sollte man doch bedenken, daß die christlichen und insbesondere die katholischen Auffassungen der Gottheit dem Satz von der universellen Bedingtheit aller Tatsachen durch andere ins Gesicht schlagen, und daß es doch kaum berechtigt ist, eine Auffassung als apriorisch bedingt anzusehen, die von Millionen Menschen, wenn auch mit Unrecht, gar nicht geteilt wird. Auch der Stand- punkt der Indeterminiertheit der individuellen Willenshandlungen, der ja immer noch auch von Gelehrten vertreten wird und der sogar der naiven Auffassung des praktischen Lebens eigentümlich ist, sollte uns zeigen, daß die Frage nach der Apriorität des sogenannten Kausalbedürfnisses nicht so generell beantwortet werden kann, wie es vielfach geschieht. Doch wir können im Rahmen dieses Buches die Frage des 14 1. Über einige Kausalsätze. Umfange der Apriorität der Kausalbegriffe nicht nach allen Rich- tungen hin auf werfen und wir können dieses interessante, nach meiner Meinung bisher ungelöste und nur durch Zerlegung in sehr viele Einzelprobleme lösbare Problem hier noch viel weniger lösen. Auch auf die wichtige Frage nach dem Verhältnis der natur- wissenschaftlichen Funktionssätze zum mathematischen Begriff der Funktion und zum Satz vom Grunde und auf tausend andere einschlägige Fragen können wir hier nicht eingehen. Wir müssen uns vielmehr, nachdem wir nun über die naturwissenschaftlichen Funktionssätze und die populären Kausalsätze gehandelt haben, darauf beschränken, noch einige andere Kausalsätze, und zwar solche von beschränkter Gültigkeit zu behandeln. Die korrigierten Kausalsätze, so sahen wir, gelten für alle in der Zeit verlaufenden Tatsachen. Die populären Kausalsätze sind, so sahen wir ferner, ein unvollkommenes, wenn auch in sehr vielen Gebieten unvermeidliches Surrogat der naturwissenschaft- lichen Funktionssätze. Sie haben ferner wegen der Vieldeutigkeit des Wortes Ursache einen sehr unbestimmten Charakter. Aus der Vieldeutigkeit des Wortes Ursache innerhalb der populären Kausalsätze erklärt es sich nun, daß eine Reihe weiterer einander scheinbar völlig widersprechender Kausalsätze aufgestellt wurden. ,, Kleine Ursachen, große Wirkungen" heißt ein bekanntes Sprich- wort, während nach einem alten philosophischen Satz ,, causa est potior causato" die Ursache niemals kleiner sein kann als die Wirkung und während der Satz causa aequat effectum, von dem J. R. Mayer 1 ) bei der Ableitung seines Satzes von der Erhaltung der Kraft ausging, gar besagt, daß Ursache und Wirkung gleich- wertig seien. Abgesehen davon, daß alle diese drei Sätze mehr oder vrenigei eine Wertung von Erscheinungen bedeuten, wie sie den naturwiß8enßchaftlicherj Funktionssätzen lern liegt, bezeichnet in jedem von ihnen der Ausdruck Ursache oder causa etwas ganz i) (Jber <lcn Kausal betriff hei J. R. May er rgl. Die Mechanik der Wärme in den Gesammelten Schriften and ferner: Kleinere Schriften und Briefe von Robert Mayer. Beide« Stuttgart 1 8iK5. Herausgegeben von J. J. Weyrauch. 1. Über einige Kausalsätze. 15 anderes. Jeder dieser ^i'w/.c ist daher nur beschränkt, d. h. im Hinblick auf einen bestimmten Ursachenbegriff gültig. Versteht man unter Ursachen einzelne oder mehrere unmittelbare oder mittelbare Bedingungen, so lassen sich sicherlich viele Fälle aus- findig machen, die als Unterlage für das Sprichwort ,, Kleine Ur- Bachen, große Wirkungen" dienen können, und wieder andere, die den Batl causa est potior causato nahelegen, während der alte Satz ..causa aequat effectum" in dem Gesetz der Erhaltung der Energie eine Stütze findet, wofern man lediglich die Umwandlung timmter Energieformen in andere in Betracht zieht. Pur die Ausruhrungen dieses Buches wichtiger als die drei eben erwähnten beschrankt gültigen Kausalsätze sind andere be- schränkt gültige, die nun noch ausführlicher besprochen werden sollen. Den einen können wir im Hinblick auf die populären Kausal- sätze so formulieren: Ähnliche Ursachen haben ähnliche Wirkungen . Unter Vermeidung des vieldeutigen Begriffes der Ursache können wir ihm die Formen geben: Unter ähnlichen unmittelbaren Be- dingungen geschieht Ähnliches; unter ähnlichen unmittelbaren Be- dingungen findet Ähnliches statt. Alle diese Sätze wollen wir auch kurz als die Ähnlichkeitssätze bezeichnen. Der Ausdruck ähnlich ist bekanntlich auch wiederum vieldeutig. Wir sprechen von Ähn- lichkeit in der Geometrie und nennen z. B. zwei Dreiecke ähnlich, die verschieden große Seiten, aber genau gleiche Winkel haben. Im gewöhnlichen Leben nennen wir aber wohl auch zwei Drei- ecke ähnlich, die verschiedene Seiten und verschiedene Winkel haben, die aber für das Auge ganz gleich oder nahezu gleich er- Bcheinen. Wir reden auch von ähnlichen Farben und finden z. B. zwei Farbentöne, zwischen denen im Sinne der Psychophysik nur wenige eben merkliche Unterschiede liegen, wie z. B. zwei rote Tom- das Spektrums ähnlicher als etwa einen roten und einen grünen Ton. Für die Zwecke unserer Untersuchungen dürfen wir als ähnlich einfach zwei Gegenstände bezeichnen, die in ein- zelnen Teilen oder einzelnen Beziehungen übereinstimmen oder doch nur wenig verschieden sind. Für uns sind daher nicht nur 16 1. Über einige Kausalsätze. die in unseren bisherigen Beispielen erwähnten Gegenstände ähnlich, sondern es sind für uns z. B. auch die Zahlen 10 und 11 ähnlicher als die Zahlen 1 und 11, da sie in quantitativer Beziehung besser miteinander übereinstimmen als die Zahlen 1 und 11. Auch die Terminologie im Sinne unseres letzten Beispiels ist übrigens durch die Auffassung des gewöhnlichen Lebens gedeckt, wo man ja auch die Resultate zweier Rechnungsaufgaben als ähnlicher ansieht, wenn sie gleich 10 und 11 als wenn sie gleich 1 und 11 sind. Statt des Wortes ähnlich gebrauchen wir auch das Wort gleichförmig. Daß nun der Satz ,, Unter ähnlichen unmittelbaren Bedingungen findet ähnliches statt" und demnach auch die populäreren mit dem Ausdrucke Ursache und Wirkung operierenden Formen dieses Satzes innerhalb weiter Grenzen gültig sind, darüber kann ein Zweifel nicht bestehen. Das gewöhnliche Leben arbeitet denn auch fort- während mit der Richtigkeit dieser Sätze. Es rechnet immer bei gleichförmigen Ursachen auf gleichförmige Wirkungen. Der Land- wirt erwartet, daß der in den Boden gelegte Samen in den ver- schiedenen Jahren aufgeht, obgleich er weiß, daß weder die Samen- körner, noch das Erdreich, noch die atmosphärischen Verhältnisse in allen Jahren genau dieselben sind. Nur wenn die Bedingungen allzusehr von den üblichen abweichen, wenn z. B. die jungen Pflanzen infolge allzu großer Kälte erfrieren, so rechnet er nicht mit dem Gedeihen des Samens. Der Geschäftsmann schließt aus ähnlichen Konjunkturen auf ähnliche Geschäftsgänge usw. Auch in der Wissenschaft findet der Satz: Gleichförmige Ursachen haben gleichförmige Wirkungen Anerkennung. Der National- ökonom weiß, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse im Laufe der historischen Entwickelung stets wechseln, er hat aber trotzdem die Überzeugung, daß die Sätze der theoretischen Nationalökonomie für die verschiedensten wirtschaftlichen Konstellationen eine ge- wisse jeweils ähnliche Bedeutung besitzen, und die Historiker aller Gebiete rechnen damit, daß ahnliche Ereignisse unter im übrigen genügend ähnlichen Verhältnissen auch ähnliche Wirkungen erzielen. Auch wird durch die Gültigkeit der Ähnlichkeitssätze in weitem Umfang das naturwissenschaftliche und psychologische 1. über einige Kausalsätze. 17 Experimentiere!) in der tatsächlich üblichen Weise überhaupt erst möglich. Der Experimentator sucht bekanntlich bestimmte- Be- dingnngen herzustellen, anter denen er seine Objekte studiert. Würde nun nicht in weitestem Umfang unter ähnlichen unmittel- baren Bedingungen ahnliches stattfinden, würde also generell jede geringste Modifikation der beabsichtigten Versuchsbedingungen gänzlich andere Ergebnisse zutage fördern, so wäre jedes Ex- perimentieren in der uns geläufigen Weise unmöglich. Auch wenn wir aus einer beschränkten Anzahl von experimentellen Fest- Btellungen den Verlauf einer kontinuierlichen Kurve ableiten, sind wir zu diesem Verfahren nur berechtigt unter der Voraus- setzung, daß ähnliche Ursachen auch ähnliche Wirkungen er- zielen. Schließlich ist der Satz: Natura non facit saltus 1 ) auch ein Ausdruck der Tatsache, daß, wenn sich die unmittelbaren Bedingungen stetig ändern, sich auch die von ihnen abhängigen Erscheinungen stetig äüdern, und daß daher gleichförmige Be- dingungen auch gleichförmige Ergebnisse erzielen. Bei aller Bedeutung der Ähnlichkeitssätze kann aber ihre beschränkte Gültigkeit nicht nachdrücklich genug betont werden. Vor allem ist hier der in der Physik und Chemie bekannten so- genannten Umkehrpunkte zu gedenken. Zu den unmittelbaren Bedingungen der Ausdehnung des Wassers gehört die Temperatur. Das Volumen des Wassers nimmt bekanntlich ab, wenn seine Temperatur von 0° bis zirka 4° steigt. Wächst die Temperatur über 4°, so kehrt sich das Verhältnis um, insofern sich jetzt das Volumen des Wassers wieder vergrößert. Wer also im Sinne <*rer Ähnlichkeitssätze annehmen wollte, daß z. B. bei steigender Temperatur innerhalb 0° bis 4° eine ähnliche Vergrößerung der Ausdehnung stattfände wie bei steigender Temperatur innerhalb 4° bis 8°, würde weit fehlgreifen. Auch ist überhaupt das Merkmal der Ähnlichkeit oder Gleichförmigkeit, das wir, wie erwähnt, zwei Phänomenen beilegen, die in einzelnen Teilen oder Beziehungen 1 ) Dieter alte Satz findet sieh in der obigen Form bei Linn6, Philo- M>phia botanica* 1751. B. 27. Nr. 77. Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt. 2 18 1. Über einige Kausalsätze. miteinander übereinstimmen, ein so vages und unbestimmtes, daß schon deshalb die Anwendung der Ähnlichkeitssätze häufig auf Schwierigkeiten stoßen dürfte. Insbesondere ist zu bedenken, daß schließlich alle Phänomene im Sinne unseres Ähnlichkeits- begriffes mehr oder weniger ähnlich oder gleichförmig sind, daß aber die Ähnlichkeitssätze darüber nichts enthalten, wie groß die Ähnlichkeit von Bedingungen wenigstens sein muß, damit sie ihrer- seits zu ähnlichen Erscheinungen führen. Trotzdem aber haben, wie unsere obigen Ausführungen zeigen, die Ähnlichkeitssätze eine weittragende praktische Bedeutung. Ebenso wichtig als die Ähnlichkeitssätze sind die gleichfalls nur beschränkt gültigen Sätze: Gleiche Erscheinungen resultieren aus gleichen unmittelbaren Bedingungen. Gleiche Wirkungen haben gleiche Ursachen. Daß diese Sätze nicht allgemein gültig sind, weiß jeder Anfänger im Gebiet der Naturwissenschaft oder Philo- sophie. Man sagt ja auch allgemein, daß zwar jede Ursache nur eine bestimmte Wirkung, daß aber jede Wirkung sehr verschiedene Ursachen haben könne. Aber nichtsdestoweniger schließen wir oft aus gleichen Phänomenen auf gleiche Ursachen. Gewiß wissen wir, daß diese Schlüsse nicht stringent sind. Aber wir machen sie trotzdem häufig, wenn wir auch oft genötigt sind, sie infolge neuer Erkenntnisse zu modifizieren oder zu verwerfen. Wir können Sätze wie die eben behandelten (gleiche Phäno- mene resultieren aus gleichen unmittelbaren Bedingungen; gleiche Wirkungen haben gleiche Ursachen) als umgekehrte Kausalsätze bezeichnen. W T ie nun diese umgekehrten Kausalsätze, so haben auch die umgekehrten Ähnlichkeitssätze (ähnliche Erscheinungen resultieren aus ähnlichen unmittelbaren Bedingungen; ähnliche Wirkungen haben ähnliche Ursachen) eine beschränkte Gültig- keit. Da schon die Gültigkeil der Ähnlichkeitssätze beschränkter ist als die Gültigkeil der korrigierten und der populären Kausal- sätze, so weiden wir wohl vermuten dürfen, daß die Gültigkeit der umgekehrten Ähnlichkeitssätze noch beschränkter ist. Aber auch die umgekehrten Ähnlichkeitssätze linden im populären und wissenschaftlichen Denken vielfache Anwendung. 1. Über einige Kausalsätze. 19 '!-> Wir wonlon nun im folgenden Kapitel eine Eleihe ganz trivialer Bowie auch wissenschaftlicher Tatsachen aufzeigen, die wenigstens für eine vorläufige Betrachtung Leicht begreiflich erseheinen, wenn wir sie als Ergebnisse der Ähnlichkeitssätze auffassen. Im [nteresse der Übersieht fassen wir die wichtigsten Kausal- sätze, von denen im vorliegenden Kapitel die Rede war, nochmals kurz zusammen. Es sind folgende: 1. Alle Erscheinungen sind in ihrem Eintritt und Ablauf von bestimmten unmittelbaren Bedingungen abhängig. Gleichen unmittelbaren Bedingungen entsprechen gleiche Erschei- nungen. (Naturwissenschaftliche Funktionssätze oder korri- gierte Kausalsätze.) '2. Alles was ist und geschieht, ist die notwendige Wirkung einer Ursache, ('deichen Ursachen entsprechen gleiche Wirkungen. (Populäre Kausalsätze.) 3. Kleine Ursachen, große Wirkungen. Causa est potior causato. Causa aequat effectum. (Drei Beispiele für ein- ander widersprechende Kausalsätze, in denen der Begriff der Ursache indessen jeweils verschieden ist.) 4. Unter ähnlichen (gleichförmigen) Bedingungen findet Ähn- liches statt. Ähnliche Ursachen haben ähnliche Wirkungen. (Ähnlichkeitssätze von beschränkter Gültigkeit.) 5. Gleiche Phänomene resultieren aus gleichen unmittelbaren Bedingungen. Gleiche Wirkungen haben gleiche Ursachen. (Umgekehrte Kausalsätze von beschränkter Gültigkeit.) 6. Ähnliche (gleichförmige) Erscheinungen resultieren aus ähn- lichen unmittelbaren Bedingungen. Ähnliche Wirkungen haben ähnliche Ursachen. (Umgekehrte Ähnlichkeitssätze von beschränkter Gültigkeit.) * * * Einige weitere Bemerkungen zum Begriff der kausalen Ab- hängigkeit werden im 15. Kapitel „Die Lehre vom statistischen Ausgleich " mitgeteilt werden. Zweites Kapitel. Die Gleichförmigkeit der Natur und Kultur. 1 ) Schon die ganz laienhafte Betrachtung der Körperwelt zeigt uns eine große auffällige Ähnlichkeit oder Gleichförmigkeit der einzelnen Körper. Die Bäume eines forstwirtschaftlich angelegten Nadelwaldes weisen unter sich eine große Übereinstimmung auf und alle Bäume überhaupt, ja fast alle Pflanzen zeigen eine gewisse auch für den Laien unverkennbare Gleichförmigkeit. Dasselbe gilt von den Menschen einerseits, den Pferden andererseits und allen Tieren überhaupt. Unzählige andere Beispiele für diese jedem Laien offenbare Gleichförmigkeit der Körper innerhalb eines Zeitabschnittes ließen sich anführen: die verschiedensten Städte, die Berge und Täler, die Flüsse, die Meere usw. Wir wollen die skizzierte Gleichförmigkeit der Dinge, sofern sie eine Gleich- förmigkeit von Körpern an verschiedenen Orten ist, als die lokale Gleichförmigkeit der Körper bezeichnen. Wie mit der lokalen, verhält es sich auch mit der temporalen Gleichförmigkeit der Körperwelt, wenn wir unter dieser die Gleich- förmigkeit zu verschiedenen Zeiten verstehen. Innerhalb aller Jahrhunderte, von denen die Geschichte zu berichten weiß, gab es in unseren Breiten einen Sommer und einen Winter, und die Sonne geht heute in ähnlicher Weise auf wie gestern. Die Kunst- werke der Alten zeigen uns, daß die Menschen schon früher ähnlich aussahen wie heute usw. Nicht nur innerhalb ein und desselben Zeitabschnittes, sondern auch innerhalb verschiedener Zeiten zeigt die Körperwelt also eine auch für den Laien unverkennbare Gleichförmigkeit. Wenn wir vom Standpunkt des Laien unsere Bewußtseins- vorgänge und die Bewußtseinsvorgänge unserer Mitmenschen in J ) Für <li«scs Kapitel ist mein Aufsatz in der Vierteljahrssohrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie, Jahrg. 36. 1912. 8. 69 ff . verwertet worden. 2, Dm Gleichförmigkeit «1<m- Natur und Kultur. 21 Betracht liehen, bo ergibl Bich auch in diesem Gebiel eine gewisse unverkennbare Gleichförmigkeit. Alle Menschen rechnen mit dieser Gleichförmigkeit. Wir wissen, daß gewisse Handlungs- weisen alle unsere Mitmenschen verletzen, und daß andere sie er- freuen. Pie Berührung glühenden Eisens verursacht uns allen Böhmers. Und wenn es auch Fälle hervorragender Gedächtnisse und ein gewisses äußerst gutes pathologisches Gedächtnis und andererseits wieder Behr gedächtnisschwache Personen gibt, so weisen die Gedächtnisleistungen aller Menschen doch überein- stimmende Züge auf. Wir rechnen damit, daß, wenn wir jemand heute mit größtem Nachdruck eine Bitte vortragen, er morgen, wenn wir ihn daran erinnern, von unseren Ausführungen wenigstens etwas 1 »ehalten hat. Die meisten Menschen aber haben eine un- bedeutende, ganz nebenbei von uns gemachte Bemerkung nach zehn Jahren vergessen. Die Gleichförmigkeit der Bewußtseins - Vorgänge bei verschiedenen Menschen, von der wir bisher sprachen, wollen wir kurz als lokale Gleichförmigkeit des Geisteslebens be- zeichnen. Wir betrachten hierbei die geistigen Vorgänge als mit gewissen Körpern (Leibern) verbunden, die lokal getrennt sind, und von der Gleichförmigkeit der Erlebnisse, sofern sie mit den lokal getrennten Leibern verbunden sind, haben wir bisher gehandelt. Ebenso wie mit der lokalen Gleichförmigkeit des Geistes- lebens verhält es sich mit der temporalen. Jeder Laie weiß z. B., daß seine Väter und Großväter innerhalb gewisser Grenzen ähnlich dachten und fühlten wie er usw. Während nun eine gewisse Gleichförmigkeit der Welt auch für den Laien offen zutage liegt, führt die Wissenschaft auf Gleich- förmigkeiten, die dem Laien verborgen sind. Der Chemiker kennt das periodische System der Elemente und weiß, daß sich die verschiedenen Elemente in Gruppen ordnen lassen, deren Glieder überraschend ähnliche Verhaltungsweisen zeigen. Der Astronom weiß, daß die Bewegungen der Gestirne viel größere Gleichförmigkeiten aufweisen, als dies dem Unge- bildeten der Fall zu sein scheint. Der botanische und zoo- logische Systematiker kennt viele Übereinstimmungen zwischen 22 2. Die Gleichförmigkeit den Individuen, die dem Laien verborgen sind. Er stellt die Rose und die Erdbeere, die dem Laien himmelweit auseinander zu liegen scheinen, auf Grund tatsächlicher Übereinstimmungen in dieselbe Familie der Rosaceen. Er bringt den Löwen und die Robben (Seehund, Walroß) auf Grund anatomischer Übereinstimmungen in ein und dieselbe Ordnung. Auch weisen entwickelungsgeschicht- lich weit auseinander liegende Individuen oft überraschende Ähn- lichkeiten auf. Bei Pflanzen ganz verschiedener Familien findet z. B., sofern sie an trockenen Standorten wachsen, Sukkulenz statt, d. h. Ausbildung bestimmter Teile der Pflanzen zu Wasser- reservoiren. Bei Tiefseetieren verschiedener Klassen finden sich eigentümliche röhrenförmige Augen, sogenannte Teleskopaugen, die für das Sehen in unmittelbarste Nähe zweckmäßig sind, und bei den verschiedensten Tiefseetieren (Fischen, Cephalopoden, Krebsen) kommen Leuchtorgane vor. Unter Konvergenzerscheinungen versteht man in der Zoologie nach Oskar Schmidt übereinstimmende Anpassungen an gleiche Verhältnisse bei genealogisch nicht zusammenhängenden Tier- formen 1 ). Die erwähnte Tatsache der Teleskopaugen ist eine Konvergenzerscheinung, da sie bei Tiefseetieren verschiedener Klassen infolge der Anpassung an die Erfordernisse der Umgebung, nämlich das Sehen in unmittelbarste Nähe, auftritt. Aus analogen Gründen gehört die Entstehung von Leuchtorganen bei den ver- schiedensten Tierformen zu den Konvergenzerscheinungen. Wenn wir den Begriff der Konvergenzerscheinungen auf das Pflanzen- reich übertragen, so müssen wir auch die Sukkulenz den Kon- vergenzerscheinungen unterordnen. Andere Konvergenzerschei- nungen sind z. B. die weiße Farbe der arktischen Fauna und die Tatsache, daß die auf dem Wasser schwimmenden Pflanzen, im Gegensatz zu den übrigen Pflanzen, nur auf den oberen Blatt- 'ii<ii Spaltöffnungen entwickeln. Alle Konvergenzerscheinungen sind in unserem Sinne Gleichförmigkeiten. Auch die Kulturgeschichte- führt auf eigentümliche Gleich- 1 ) V#l. A. Weis mann, Vortrage über Deszendenztheorie. Bd. 2. 2. Aufl. Jena L904. B. 271. der Natur und Kultur. 23 förmigkeiteii. Die Kulturen der verschiedensten Völker zeigen bekanntlich alle ähnliche Erscheinungen. Wir können auch viel- fach übereinstimmende Züge in religiösen Ansichten verschiedener Völker nachweisen, die historisch nicht voneinander abhängig Bind. Auch literarische Erscheinungen zeigen oft verwandten Charakter, ebne daß Abhängigkeitsverhältnisse zwischen ihnen bestünden. So findet sieh z. B. die schon von den Pythagoreern angedeutete, arsprüngUch orientalische Lehre 1 ) der ewigen Wieder- kehr des (deichen fast gleichzeitig und in ähnlicher Weise bei Nietzsche, Blanqui und Le Bon 2 ). Oft werden ähnliche Ent- deckungen und Erfindungen unabhängig voneinander publiziert. Auch im Gebiete der Kunst finden sich solche Gleichförmigkeiten. Schon in den Band Verzierungen der neolithischen Zeit, d. h. der jüngeren Steinzeit, finden sich Ansätze zum Mäanderschema 3 ), und das Rokoko und die Spätgotik entwickeln unabhängig von- einander einen Zierstil, der das Konstruktive gegenüber dem rein Schmückenden zurücktreten läßt. So zeigt sich auch im Gebiet der Kultur eine große Gleichförmigkeit. Von höchstem Interesse ist auch die Tatsache, daß die er- wähnten Gleichförmigkeiten der Zoologie und Botanik im Gebiet der Sprachwissenschaft ein vollständiges Analogon finden. Es ist eine dem Sprachforscher wohlbekannte Tatsache, daß verschiedene Sprachen trotz ihrer starken Differenzierung spontan, d. h. von- einander unabhängig, gleiche Änderungen aufweisen. Dies gilt auch von Sprachen, die überhaupt nicht miteinander verwandt sind. So wird z. B. ä zu e im Jonisch- Attischen und Englischen und ki zu tschi, tsi und dgl. z. B. im Romanischen, Slavischen und Neugriechischen; au wird zu o im Lateinischen, Althochdeut- schen, in deutschen Dialekten und im Hebräischen. Die Form 1 ) Vgl. hierzu A. Riehl, Friedrich Nietzsche. 5. Aufl. Stuttgart. (Ohne Jahreszahl) 8. 135. 2 ) (her Nietzsche, Blanqui und Le Bon vgl. H. Lichtenberger, Die Philosophie Friedrich Nietzsches. Eingeleitet und übersetzt von E. F 8 rat er- Nietzsche. Dresden und Leipzig. 1899. S. 204 ff. (Anhang.) ■) K. Woermann, Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker. Bd. 1. Leipzig und Wien 1900. S. 24. 24 2. Die Gleichförmigkeit des Genitivs wird durch von ersetzt im Romanischen, Holländischen, Englischen, in der deutschen Umgangssprache und in neugriechi- schen Dialekten. Im Eomanischen, Englischen und Neugriechischen wird der Komparativ durch mehr ausgedrückt. Das Perfekt wird durch haben ausgedrückt im Neugriechischen, Albanischen, Ro- manischen und Germanischen. Verschiedene Sprachen weisen genau entsprechende Analogiebildungen auf 1 ). Die Verwendung von wo als Relativpartikel anstatt welcher findet sich im Neu- griechischen und in deutschen Dialekten. Die afrikanischen Sprachen zeigen Entwickelungsgesetze, die auch in Kultursprachen gelten 2 ). Alle die von uns erwähnten und tausend andere analoge Gleich- förmigkeiten lassen sich leicht begreifen, wenn man sich der Sätze ,, Ähnliche, gleichförmige Erscheinungen resultieren aus ähnlichen unmittelbaren Bedingungen; ähnliche Wirkungen haben ähnliche Ursachen*' erinnert. Wenn Pflanzen ganz verschiedener Familien an trockenen Standorten Sukkulenz aufweisen, so liegt dies daran, daß diese Pflanzen gleichförmigen Bedingungen unterworfen sind, welche die Sukkulenz herbeiführen. Wenn bei der arktischen Fauna die weiße Farbe vorwiegt, so ist dies eine Folge der arktischen Bedingungen. Und wenn man die Konvergenzerscheinungen allgemein als über- einstimmende Anpassungen an gleiche Verhältnisse betrachten darf, so kann man sie ebensogut als Wirkungen gleichförmiger Bedingungen betrachten. Wenn die Kinder allenthalben einander und den Eltern gleichen, wenn die Pflanzen alle eine gewisse Gleich- förmigkeit aufweisen, so liegt dies wiederum lediglich an der Gleich- förmigkeit der Bedingungen ihres Daseins und ihres Lebens, an der Ähnlichkeit der Eizellen, des Samens, der äußeren Bedingungen usw. Auch die großen Übereinstimmungen im Bewußtseinsleben der verschiedensten Menschen verdanken ihren Ursprung gleich - 1 ) Beispiele in der Schrift von A. Thuxnb und K. Ifarbe, Ezperi* mentelle Untersuchungen über die psychologischen (Grundlagen der sprach- lichen Analogiebildung. Leipzig 1901. 2 ) Vgl. C. Meinhof, Die moderne Sprachforschung in Afrika. Berlin 1910. S. r>\ ff. (Irr Natur und Kultur. 25 förmigen Bedingungen. Auch voneinander anabhängige ähnliche Knltorerecheintingen wie /.. B. ähnliche religiöse Ansichten, lite- rarische Leistungen, Erfindungen und Entdeckungen verdanken ihre Gleichförmigkeit der Gleichförmigkeit ihrer Bedingungen. 1 i sc Ibe gill von den erwähnten Tatsachen der Sprachwissenschaft, die eine offenbare Analogie mit den Konvergenzerscheinungen aufweisen. Schließlich verdankt die große Gleichförmigkeit der Natur und Kultur ihr Dasein der Gleichförmigkeit der Bedingungen der Natur- und Kulturgegenstande. Daß freilich eine Erklärung der Gleichförmigkeit durch den allgemeinen Hinweis auf die Gleich- förmigkeit ihrer Bedingungen nicht erschöpfend ist, braucht wohl nicht besonders betont zu werden. Die hier geschilderte Gleichförmigkeit der Gegenstände, die eine sehr wesentliche Grundlage für unsere logische Begriffsbildung, die Induktion und das logische Denken überhaupt, darstellt, ist zugleich eine Grundvoraussetzung der Statistik. Alle Gegenstände, die zum Umfang einer statistisch prüf baren Masse gehören, sind unter sich ähnliche Gegenstände. Mag sich die Statistik auf Ge- burten und Todesfälle, auf Eheschließungen und Ehescheidungen, auf Kaufverträge oder irgendwelche andere Handelsbeziehungen, auf biologische Erscheinungen, auf Krankheiten oder auf Ergeb- nisse der Glücksspiele oder auf Beobachtungsfehler beziehen, immer sind die Gegenstände der statistischen Untersuchung gleich- förmige Natur- oder Kulturgegenstände. In den folgenden Kapiteln sollen nun die bisher mitgeteilten Tatsachen der Gleichförmigkeit in verschiedener Richtung ergänzt werden. Bemerkt sei hier nur noch, daß auch die rhythmischen physiologischen Erscheinungen wie Atmung und Herzschlag, die damit zusammenhängenden rhythmischen Formen der Arbeit 1 ), die rhythmischen Gebilde in der Kunst und Sprache, die rhyth- J ) K. Bücher, Arbeit und Rhythmus. 4. Aufl. Leipzig 1909. M. K. Smith, Philosophische Studien. Bd. 16. 1900. 8. 71 ff. und 197 ff. D. Awramoff, Philosophische Studien. Bd. 18. 1903. S. 515 ff. 26 2. Die Gleichförmigkeit der Natur und Kultur. mischen Lebens Vorgänge bei den Pflanzen 1 ) sowie der Wechsel von Tag und Nacht als Belege der Gleichförmigkeit in Anspruch genommen werden dürfen. Auch der Krieg fördert eine ungeheuere Menge von interessanten Gleichförmigkeiten, und zwar von solchen des Handelns und Denkens zutage. Doch soll von den Gleich- förmigkeiten des Krieges in diesem Buche nicht die Rede sein. Vielleicht finde ich später einmal Gelegenheit, denselben näher- zutreten. Schließlich sei noch erwähnt, daß unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der Gleichförmigkeit des Geschehens infolge gleich- förmiger Bedingungen die monophyletische Entstehung der Lebe- wesen wenig glaubhaft erscheint. Unter diesem Begriff faßt man bekanntlich Ansichten wie die, daß die Menschen von einem Paar abstammen oder daß sich alle Lebewesen aus einer einzigen Zelle entwickelt haben, zusammen. Jedenfalls hat die polyphyletische Auffassung, nach welcher die Lebensprozesse an verschiedenen Orten unabhängig voneinander entstanden sind, angesichts des gleichförmigen Charakters des Geschehens in der Welt die größere Wahrscheinlichkeit für sich. x ) Über die rhythmischen Lebensvorgänge bei den Pflanzen vgl. das Sammelreferat von H. Kniep, Verhandlungen der Physikalisch -medizini- schen Gesellschaft zu Würzburg. Bd. 44. Heft 2. S. 107 ff. 1915. Drittes Kapitel. Die psychologischen Untersuchungen der Gleich- förmigkeit und ihre Beziehungen zu anderen Disziplinen 1 ). Wir wollen nun eine Reihe von psychologischen Untersuchungen kennen lernen, die überraschende Gleichförmigkeiten im Gebiet der -ristigen Vorgänge zutage gefördert haben. Sie zeigen, daß unter genügend gleichförmigen Bedingungen ähnliche psychische Erscheinungen in einem weit größeren Umfang auftreten, als man dies im allgemeinen vor diesen Untersuchungen erwartet hätte. Die Ergebnisse dieser psychologischen Forschung gewähren uns auch mancherlei Einsichten, die über den Rahmen der Psychologie hinausgehen, und sie lassen auch Schlüsse für die Praxis zu. Dem- gemäß soll hier auch über die wissenschaftliche und praktische Bedeutung der psychologischen Lehre von der Gleichförmigkeit gehandelt werden. Man kann einer Versuchsperson die Aufgabe stellen, auf ein zugerufenes oder auf ein optisch dargebotenes Wort hin möglichst schnell ein anderes Wort auszusprechen oder aufzuschreiben. Das dargebotene Wort heißt dann das Reizwort, dasjenige Wort, mit welchem die Versuchsperson mündlich oder schriftlich antwortet, heißt das Reaktionswort oder die Reaktion. Wenn man nun solche Experimente, die in das Gebiet der sogenannten Assoziations- versuche fallen, der Reihe nach unter Benutzung der gleichen Reizwörter mit einer größeren Zahl von Versuchspersonen (oder wie die Psychologen auch sagen, von „Beobachtern") ausführt, so 1 ) In diesen und das folgende Kapitel wurden Versuchsergebnisse und Ausführungen aus meinem Aufsatz in der Zeitschrift für Psychologie Bd. 56. 1910. B. 241 ff. und ans meinen G-mndzügen der forensischen Psycho- logie. München 1913 aufgenommen. 28 3. Die psychologischen Untersuchungen der Gleichförmigkeit yvp , 1 55 55 ich ,j 55 55 wo , 55 55 wann ,. 55 55 zehn ,, 55 55 geben , » 55 55 zeigt sich, daß die dem gleichen Reizwort entsprechenden Reaktions- worte im weitesten Umfang miteinander übereinstimmen. Auf Vater reagiert ein großer Prozentsatz von Personen mit Mutter klein du da dann zwanzig nehmen 1 ). Solche Experimente lassen sich auch als Massenversuche aus- führen. Man braucht nur eine Anzahl von Versuchspersonen gleichzeitig zu bitten, auf die zugerufenen Wörter hin möglichst schnell jeweils ein anderes Wort niederzuschreiben. Solche Massen- versuche eignen sich auch als Vorlesungsexperimente. Man fragt einige Zuhörer, welches Wort sie auf das erste Reizwort nieder- geschrieben haben, und ersucht gleichzeitig die Zuhörer, die jeweils dasselbe Wort schrieben, aufzustehen. Es zeigt sich dann bald eine große Übereinstimmung der Reaktionsworte. Ebenso ver- fährt man mit dem zweiten, dritten Reizwort usw. Auch andere im folgenden beschriebene Versuche lassen sich in analogem Sinn als Vorlesungsexperimente verwenden. Solche Vorlesungs- versuche sind von mir und anderen oft und mit stets wiederkehren- dem Erfolg ausgeführt worden. Die Reaktionsworte, die sich bei solchen Experimenten am meisten finden, nennen wir bevorzugteste. Es zeigt sich jedoch allenthalben, daß auch die nicht zu den bevorzugtesten Reaktionen gehörigen Reaktionsworte in weitem Umfang übereinstimmen. Außer den bevorzugtesten Reaktionen können wir zweitbevorzugte, drittbevorzugte usw. unterscheiden und schließlich eine solche Gruppe von Reaktionen, die gänzlich voneinander verschieden sind. Auf das Reizwort Acker antworteten 2 ) z. B. von 300 Ver- J ) Alle diese Beispiele sind entnommen ans A. Th n mb und K. Bfarbe, Experimentelle Untersuchungen über die psychologischen Grundlagen der sprachlichen Analogiebildung. Leipzig 1901. B. 19 ff. 2 ) r. Beinhold, Zeitschrift für Psychologie. Bd. 54. 1910. S. 187. und llnv Beziehungen iu anderen Dissiplinen. 29 Buchspersonen 29,7° mit Feld, 6,8% mit pflügen, 5,7% nüt Bauer. Auch viele andere Etaaktionsworte kamen mehrfach vor und nur 52j also mir 17,8% Reaktionsworte waren solche, die bei den 800 Experimenten nur ein einziges Mal vorkamen. Außer den beyormogteeterj Reaktionen haben wir also noch zweitbevorzugte, drittbevorzugte usw. zu unterscheiden; alle diese Reaktionen können wir als bevorzugte den nicht bevorzugten oder isolierten gegenüberstellen. Die Tatsache der bevorzugten Reaktionen gilt nicht nur für einige Wörter, sondern, wenigstens nach unseren bisherigen Er- fahrungen, für jedes beliebige Reizwort 1 ). Jedes Wort „assoziiert" oder „reproduziert", wie die Psychologen sagen, bei derartigen Versuchen bevorzugte Reaktionsworte. Zwischen den Reizworten und den Reaktionsworten bestehen nun mancherlei Beziehungen. Verwandtschaftsnamen, Adjektiva, Fürwörter, Ortsadverbien, Zeitadverbien, Zahlen assoziieren vor- wiegend Worte derselben Klasse, Verwandtschaftsnamen also vor- wiegend Verwandtschaftsnamen, Adjektiva vorwiegend Adjektiva usw. Verba bevorzugen Verba und Substantiva mehr als die übrigen Wortklassen. Auch zwischen dem Grad, in welchem eine Reaktion bevorzugt wird, und der Zeit, die zwischen Reizwort und Reaktionswort ver- läuft, d. h. der sogenannten Reaktionszeit, bestehen interessante Beziehungen. Diese Reaktionszeit läßt sich mit Hilfe von experi- mentellen Methoden messen, wenn das Reizwort akustisch oder optisch dargeboten wird und wenn die Versuchsperson mit einem gesprochenen Wort reagiert. Wenn man solche Messungen aus- führt, so gelangt man zu folgenden Sätzen: 1. Je häufiger bei n Versuchspersonen, die auf ein bestimmtes Wort reagieren, eine Reaktion auftritt, desto schneller stellt sie sich durchschnittlich ein, desto kürzer ist also die mittlere Reaktionszeit. 2. Die mittlere Reaktionszeit nimmt mit zunehmender Häufig- Vgl. besondere F. Reinhold, a.a.O. S. 185 ff. 30 3. Die psychologischen Untersuchungen der Gleichförmigkeit keit zuerst sehr schnell, dann immer langsamer und zuletzt fast gar nicht mehr ab. Unter mittleren Reaktionszeiten werden bei diesen Sätzen arithmetische Mittel der Reaktionszeiten der einzelnen Versuchs- personen verstanden. Um diese Sätze zu verifizieren, müssen wir also die mittleren Reaktionszeiten für die bevorzugtesten, für die zweitbevorzugten, drittbevorzugten Reaktionen usw., sowie für die isolierten Reaktionen bestimmen. Wenn wir eine Reaktion um so geläufiger nennen, je häufiger sie vorkommt, so können wir den ersten der beiden Sätze auch so formulieren: Je geläufiger eine Reaktion ist, desto kürzer ist die mittlere Reaktionszeit. Dieser Satz wird in der Literatur als Geläufigkeitsgesetz be- zeichnet. Wir ziehen indessen hier die obige unter 1. mitgeteilte Form dieses Satzes der zuletzt abgeleiteten vor, da meiner Er- fahrung nach der Ausdruck Geläufigkeit leicht zu Mißverständ- nissen führt. Außer diesem Geläufigkeitsgesetz, das seinerzeit 1 ) von mir formuliert wurde, hat A. Thumb einen Satz aufgestellt und begründet, der in der Literatur als das Thumb sehe Geläufig- keitsgesetz bezeichnet wird 2 ). Diesen Satz können wir so formu- lieren : Die Reaktionen, die in eine bestimmte Wortklasse fallen, ver- laufen durchschnittlich um so schneller, je mehr Reaktionen diese Wortklasse umfaßt. Ein Anwendungsgebiet der geschilderten Assoziationsversuche liegt auf dem Grenzgebiet zwischen Psychologie und Kriminal- wrißsenschaft und betrifft die sogenannte Tatbestandsdiagnostik. Unter Tatbestandsdiagnostik versieht man ein Verfahren, welches die Teilnahme eines Menschen an einem Tatbestand fest- x ) A. Thumb und K. Marhr, Experiment«'!!«' Untersuchungen über die Grundlagen der sprachlichen Analogiebildung. Leipzig 1901. S. 49. 2 ) Vgl A. Thumb and K. Marbe, a.a.O. S. 60; F. Schmidt, Zeitschrift für Psychologie (und Physiologie der Sinnesorgane) Bd. 28. L0O2. 8. 84 ff.; A. Thumb, [ndogermanische Forschungen. Bd. 22. L907/8. 9. 39 ff. und ilur Besiehnngen zu anderen Disziplinen, 31 -teilen boII, ohne Bich auf die absichtlichen Aussagen desselben oder anderer Menschen ober den Tatbestand zu stützen. Unter den Methoden der Tatbestandsdiagnostik 1 ) kommt hier allein die enannte Assoziationsmethode in Betracht. Sir wird im psycho- logischen Institut in der Regel in der Form angewandt, daß der Experimentator der YerMiehsperson eine Reihe von Worten zu- ruft, wobei diese die Aufgabe hat, auf jedes zugerufene Wort irgend ein anderes auszusprechen, das dann vom Experimentator zu Protokoll genommen wird. Vor diesen Assoziationsversuchen wird die Yersnehsperson mit irgend einem sogenannten Komplex, etwa einem Bild, einem Zimmer oder anderem vertraut gemacht. Die zugerufenen Reizworte hängen nun teils ihrem Sinne nach irgendwie mit dem Komplex zusammen, teils sind sie gänzlich irrelevant. Es zeigt sich dann, daß die Versuchsperson auf solche Reizworte, die inhaltlich mit dem Komplex zusammenhängen, d. h. auf die sogenannten Komplexreize, vielfach mit Worten reagiert, die inhalt- lich gleichfalls mit dem Komplexe zusammenhängen: es entstehen, wie man sich ausdrückt, sogenannte Komplexreaktionen, durch welche die Versuchsperson ihre Kenntnis des Komplexes verrät. Vermeidet es die Versuchsperson absichtlich, sich durch eine be- stimmte Komplexreaktion zu verraten, so reagiert sie öfters un- absichtlich mit einem anderen verräterischen Wort, öfters tritt auch eine sogenannte sinnlose Reaktion ein, d. h. es wird ein Wort ausgesprochen, das inhaltlich mit dem Reizwort in keinem un- mittelbaren oder überhaupt in keinem erkennbaren Zusammen- hang steht. Auch entsprechen den Komplexreizcn vielfach auf- fallend lange Reaktionszeiten, worauf wir indessen hier nicht näher eingehen können. Solche Versuche können nun, wenn an Stelle der Versuchsperson ein Angeschuldigter und an Stelle des Ex- perimentators ein Untersuchungsrichter oder psychologischer Sach- ständiger tritt, unter günstigen Umständen zur Aufdeckung l ) VgL K. liarbe, G-nmdzüge der forensischen Psychologie. München 1913. .S. 61 ff. Über ein an dieser Stelle nicht erwähntes Verfahren siehe A. Wreschner, Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht. Jahrg. 27. 1. Heft. L914. B. 92 ff . 32 3. Die psychologischen Untersuchungen der Gleichförmigkeit von Verbrechen benützt werden, wobei natürlich vorausgesetzt werden muß, daß der Komplex, z. B. der Ort der Tat nicht nur dem Angeschuldigten, sondern auch dem die Untersuchung Führen- den bekannt ist. Diese Untersuchungsmethode ist auch schon mehrfach praktisch mit Erfolg angewandt worden 1 ). Die tatbestandsdiagnostische Verwendung von Assoziations- versuchen erfordert nun offenbar eine genaue Kenntnis der bevor- zugten Reaktionsworte im Sinne unserer obigen Darlegungen. Man bezeichnet in der Tatbestandsdiagnostik alle Reaktionen, durch welche die Versuchsperson oder der Angeschuldigte ihre Kenntnis des Komplexes verraten, als kritische. Offenbar wird man nun aber die qualitative Beschaffenheit einer Reaktion unter keinen Umständen dann als kritisch ansehen dürfen, wenn die- selbe überhaupt zu den bevorzugten Reaktionen gehört. G. S aling 2 ) aber konnte geradezu nachweisen, daß einzelne von anderen Autoren als kritisch betrachtete Reaktionen zu denjenigen gehörten, die sich bei einer großen Anzahl unverdächtiger Personen am meisten finden. Wir ersehen hieraus die Bedeutung unserer Tatsachen für die Assoziationsmethode der Tatbestandsdiagnostik. Eine intime Vertrautheit mit der von uns skizzierten Lehre von der Bevorzugung ist die unerläßliche Voraussetzung einer kritischen Anwendung der Assoziationsmethode der Tatbestandsdiagnostik. Unsere Assoziationsversuche haben auch für die Psychiatrie und für die Pädagogik einiges Interesse. Kent und Rosanoff fanden bei 108 Fällen von Dementia praecox weniger bevorzugte Reaktionen als bei normalen Personen und als bei allen übrigen von ihnen untersuchten Geisteskranken 3 ). Rosanoff und East- man 4 ) studierten das Phänomen der Bevorzugung bei minder- *) Vgl. K. Mar Im-, Grundzüge der forensischen Psychologie. München 1913. S. 64 17. ») Zeitschrift für Psychologie. Bd. 49. 1908. S. 241 IT. 3 ) (;. II. Ken t and A. .!. Rosanoff, A Study of Association in Insanity. Reprinted Crom American .Journal of Insanity. Bd. (>7. 1910. 4 ) f. (. Eastman and A. .). Rosanoff, American Journal of In- sanity. Bd. 69. 1912. S. I25ff. .1. R. and A. .1. Rosanoff (Paycho- logical Review. Bd. 20. 1913. B. 43 ff.) untersuchten hei Kindern and ihre Beziehungen in Anderen Disziplinen. 33 wertigen and verbrecherischen Kindern. Am meisten isolierte Reaktionen Beigen die Kinder mit angeborenem Schwachsinn, weniger isolierte Reaktionen hatten die verbrecherischen Kinder, während dagegen die normalen am wenigsten isolierte, also am meisten bevorzugte Assoziationen aufwiesen. Römer 1 ) konnte Beigen, daß geistig zurückgebliebene Kinder zum Teil andere bevorzugteste und überhaupt bevorzugte Re- aktionen zeigen als normale Kinder. Die Abweichungen treten am deutlichsten hervor, wenn Adverbien und Pronomina als Reiz- worte dargeboten werden. Auch er fand, daß die zurückgebliebenen Kinder im allgemeinen weniger bevorzugteste Reaktionen haben als die normalen Kinder, was sich wiederum besonders bei Pronominen und Adverbien als Reizworten zeigt; dagegen weisen die zurückgebliebenen Kinder bei Numeralien als Reizworten mehr bevorzugteste Assoziationen auf als die normalen. Die Häufigkeit der bevorzugtesten Reaktionen nimmt bei normalen Kindern mit zunehmendem Lebensalter zu. Bei zurück- gebliebenen Kindern ist dies nicht in gleichem Maße der Fall, dagegen nimmt hier deutlich die Häufigkeit der bevorzugtesten Reaktionen mit zunehmendem Intelligenzalter zu. Binet und Simon 2 ) haben auf Grund vielfacher Erfahrungen für jedes kindliche Lebensalter vom dritten Lebensjahre an eine die Abhängigkeit des Bevorzugungsphänomens vom Alter. In keiner der drei Arbeiten, an denen A. J. Rosanoff beteiligt ist, werden die älteren deutschen Arbeiten, in denen das Bevorzugungsphänomen näher unter- sucht wurde, genügend berücksichtigt. J ) F. Römer, Fortschritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd. 3. 1915. S. 43 ff. 2 ) A. Binet et Th. Simon, L'annee psychologique. Jahrg. 11. 1905. B. 163 ff. Jahrg. 14. 1908. S. 1 ff . A. Binet, ebenda. Jahrg. 17. 1911. S. 145ff. ( ' her die Literatur der Binet- Simon sehen Test s siehe das ausführliche Referat von E. Mciimann, Archiv für die gesamte Psychologie. Bd. 25. 1912. Lite- raturbericht. 8. 85 ff . Vgl. auch W. Sterns Sammelreferat: Die psycho- logischen Methoden der Intelligenzprüfnng. Bericht über den 5. Kongreß für experimentelle Psychologie. Leipzig 1912. S. 1 ff. (auch separat er- schienen) und E. Meumann, Vorlesungen zur Einführung in die Experi- mentelle Pädagogik. 2. Aufl. Bd. 2. Leipzig 1913. S. 130 ff. Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt. 3 34 3. Die psychologischen Untersuchungen der Gleichförmigkeit Reihe von Normaltests aufgestellt. Unter Test versteht man einen einfachen Versuch, welcher die individuelle psychische Beschaffen- heit einer Persönlichkeit oder eine psychische Eigenschaft derselben feststellen soll. Die Binet - Simonschen Tests sind Aufgaben, welche den Kindern vorgelegt werden; Binet und Simon haben auf Grund früherer Untersuchungen über die durchschnittlichen Leistungen der Kinder für jedes Lebensalter bestimmte Aufgaben zu- sammengestellt, welche die normalen Kinder des betreffenden Lebens- alters lösen können und die man daher als Normaltests bezeichnet. Für Kinder von drei Jahren verlangten Binet und Simon die Lösung folgender Normaltests: 1. Zeige die Nase, die Augen, den Mund! 2. Wiederholung von kurzen Sätzen. — Ein dreijähriges Kind muß ein Sätzchen von sechs Silben wiederholen können. Es kann Sätze von zehn und mehr Silben in der Regel nicht wiederholen. 3. Wiederholung von Ziffern. — Dreijährige Kinder behalten in der Regel nur zwei Ziffern. 4. Beschreibung eines Bildes. — Binet und Simon stellen an die Beschreibung bestimmter von ihnen ausgewählter Bilder gewisse Anforderungen, welche die Dreijährigen er- füllen müssen, während anderen Anforderungen erst die älteren Kinder entsprechen. 5. Angabe des Vor- und Zunamens. — Dreijährige Kinder müssen ihren Vornamen kennen, während nur die intelli- genteren den Familiennamen behalten. Mit zunehmendem Alter der zu prüfenden Kinder werden nun die Binet - Simonschen Normaltesls immer schwieriger. Unter den Teste für zwölfjährige Kinder befinden sieh folgende: 1. Einen Satz bilden, in dem drei gegebene Worte vorkommen. 2. Mehr als sechzig Worte in drei Minuten aufsagen. 3. Definitionen von drei abstrakten Begriffen. Ks wird gefragt: Was is1 Barmherzigkeit? Was is1 Gerechtigkeit? Was ist Güte? Binet begnügi sich jedoch auch mit Definitionen von barmherzigen, gerechten oder giilen I Ismdlungen. So gilt ihm und ihre Beziehungen zu anderen Disziplinen. I5."> i. B. als gute Antwort der Satz: Barmherzigkeit ist eine Handlung, durch die man Menschen im Unglück hilft. 1. A.ua angeordneten Wörtern einen Satz bilden, in dem nur diese Wörter vorkommen. Ich gebe ein Beispiel. Geboten werden die Worte: un, det'end, cliien. hon, son, mailiv. courageusement. Verlangt wird der Satz: un hon chien detend son niaitre courageusement. Man darf für die Lösung einer Bolchen Aufgabe nicht mehr als eine Minute Zeit lassen. Zwei von drei solchen Aufgaben müssen von den Zwölfjährigen richtig gelöst werden. Das geschilderte Binet - Simonsche Verfahren der abgestuften Testskala gestattet nicht nur eine Unterscheidung der Kinder in Normale, Unternormale und übernormal Begabte. Es führt auch zu einer weiteren Gliederung innerhalb der Normalen. Auch ge- stattet es geradezu das Intelligenzalter von Personen festzustellen und es dem Lebensalter gegenüberzustellen. So ist z. B. ein Kind von sieben Jahren, welches nur die Aufgaben für die Fünfjährigen lösen kann, oder ein Kind von neun Jahren, das nur die der Sieben- jährigen lösen kann, in seinem Intelligenzalter um zwei Jahre hinter dem Lebensalter zurück, wobei allerdings zu beachten ist, daß die Rückständigkeit in beiden Fällen nicht gleichwertig ist. Die Binet - Simonsche Methode, die freilich immer noch ver- besserungsbedürftig ist und fortgesetzt verbessert und erweitert wird 1 ), ist bei vielen Tausenden von Kindern der verschiedensten Lander angewandt worden. Sie dient zur Bestimmung des In- telligenzalters der Kinder und ist besonders wichtig für die Ent- scheidung der Frage, ob ein Kind in die Hilfsschule oder vielleicht auch in eine Schule für übernormal Begabte eingereiht werden 1 ) Vgl /. B. die Bibliographie von 8. C. Kons, Journal of Educational Psychology. Bd. 5. 1914. 1. Teil 8. 215 ff. 2. Teil. S. 279 ff. 3. Teil. S. 335 ff. VgL ferner im gleichen Band derselben Zeitschrift: M. Adler, S. 22 ff. und des Beriehl über die „Informal Conference on the Binet-Simon Scale", >5ff. und E. Claparede, Archive« de Psychologie. Bd. 14. 1914. S. 101 ff. und die Besprechung von P. Banschburg des ungarischen Buches von M. Eltes, \)\<- Untersuchung Her kindlichen Intelligenz, im Zentralblatt für Psychologie und psychologische Pädagogik. Bd. l. 1915. S. 44 f. 3* 36 3. Die psychologischen Untersuchungen der Gleichförmigkeit soll oder nicht. Auch läßt sich mit Hilfe von Erweiterungen der skizzierten Methoden feststellen, in welchen psychischen Gebieten die Rückständigkeit der fraglichen Kinder liegt, wodurch Er- gebnisse zutage gefördert werden, auf die sich eine geeignete in- dividuelle Behandlung der Kinder von Seiten des Lehrers stützen kann. In meinem Würzburger Psychologischen Institut werden alle für die Hilfsschule in Aussicht genommenen Würzburger Kinder nach erweiterten Bin et - Simon sehen Methoden unter- sucht und die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden dann der Schulverwaltung mitgeteilt. Auch in forensischer Hinsicht ist die Methode bedeutsam 1 ). Wir sahen nun, daß bei den geistig zurückgebliebenen Kindern die Häufigkeit der bevorzugtesten Reaktionen mit dem Intelligenz- alter zunimmt. Berechnet man auf Grund von Versuchen an normalen Kindern eine Normalmindestleistung an bevorzugtesten Reaktionen für die einzelnen Altersstufen, so zeigt sich, daß die überwiegende Mehrheit der geistig zurückgebliebenen Kinder unter der Normalmindestleistung ihres Lebensalters zurückbleibt. Ver- gleicht man aber die nach ihrem Intelligenzalter gruppierten Zu- rückgebliebenen mit der Normalmindestleistung des entsprechenden Intelligenzalters der normalen Kinder, so zeigt sich, daß die über- wiegende Mehrheit der Zurückgebliebenen diese Normalmindest- leistung erreicht oder überschreitet. Die Häufigkeit oder vielmehr die »Seltenheit der bevorzugtesten Assoziationen im Assoziations- versuch kann demnach als Symptom geistiger Zurückgebliebenheit and als Maß der Größe der Retardation in einer abgestuften Test- serie nach Art der Binet - Simonschen verwendet werden. In jilniliclicr Weise sucht R. W. Raudnitz das Gleichförmigkeits- phänomen als Symptom für den kindlichen Negativismus zu ver- wenden 2 ). *) V#l. K. Marbc Grundzüge der forensischen Psychologie. München L913. S. 73 ff. ») R. W. ßaudnitz, Die Umschau. LS. Deiembex 1013. S. 1064 f. und Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte. 85. Versammlung. Wien 1918. Zweiter Teil. 2. Hälfte. Leipzig 1914. S. 622f. und lluv Beziehungen in Anderen l>i*ziplinen. 37 Wenn wir einer großen Anzahl von Versuchspersonen die Aufgabe Btellen, auf ein dargebotenes Wort hin mit einem anderen Wort möglichst schnell zu reagieren, so arbeiten wir mit diesen Versuchspersonen unter gleichförmigen Bedingungen. Wir stellen allen Versuchspersonen die gleiche Aufgabe, wir bieten allen das- selbe Reizworl dar, die psychische Konstitution, in welcher sich die Personen befinden, is1 bei aller individuellen Verschiedenheit doch in vielen Beziehungen übereinstimmend. So entsteht eine ße Gleichförmigkeit der mittelbaren und unmittelbaren Be- dingungen der Reaktionen, die dann zu den gleichförmigen Re- aktionen führt, die wir kennen gelernt haben. Nicht nur bei Asso- nationsversuchen zeigt sich nun eine große Gleichförmigkeit der Reaktionen infolge gleichförmiger Bedingungen, sondern auch auf anderen Gebieten. Vor einigen Jahren führte ich mit einer Dame folgende Ver- suche aus. Ich nahm ein Spiel französischer Karten, und zwar 32 Blatt Skatkarten. Ich mischte das Spiel und entfernte dann die drei obersten Karten aus demselben, die ich auf den Tisch legte, an welchem wir saßen. Darauf ersuchte ich die Versuchs- person, sich eine dieser drei Karten zu merken. Nachdem dies geschehen war, bezeichnete ich die Karte, die sie sich meiner An- sicht nach gemerkt haben mußte. Die Versuchsperson hatte dann festzustellen, ob ich die richtige Karte bezeichnet hatte. Dann mischte ich die Karten von neuem und wiederholte denselben Ver- such. Im ganzen führte ich das Experiment sechsmal aus, und in allen Fällen behauptete die Versuchsperson, daß ich tatsächlich die Karte bezeichnet hätte, die sie sich gemerkt hatte. Ich wieder- holte dann die Versuche mit einigen technischen Veränderungen noch 18 mal, wobei ich 13 mal die gemerkte Karte richtig be- zeichnete. Experimente wie die geschilderten können als Versuche des lankeiilesen.H bezeichnet werden. Wenn man von Gedanken- lesen spricht, so denkt man dabei an verschiedene, seien es nun brauchbare oder unbrauchbare Methoden des Gedankenlesens. Man versucht vielfach die Gedanken anderer aus deren unwillkür- 38 3. Die psychologischen Untersuchungen der Gleichförmigkeit liehen Bewegungen zu erschließen, wobei der Gedankenleser die Bewegungen teils auf taktilem, teils auf optischem, teils auf akusti- schem Wege zu ermitteln sucht. So hat zuerst der Amerikaner Brown im Jahre 1876 Vorführungen mittels taktilen Gedanken- lesens veranstaltet. Er ließ z. B. einen Gegenstand im Zuschauer- raum verstecken, faßte die Person, die ihn versteckt hatte, bei der Hand und führte sie herum. Aus gewissen unwillkürlichen Bewegungen dieser Person erriet er dann die Stelle, wo der Gegen- stand versteckt war. Ähnliche Experimente haben dann Corly, Snap, Irving Bishop und dessen vormaliger Geschäftsführer Charles Stuart Garner ausgeführt. Letzterer bereiste unter dem Namen Stuart Cumberland den europäischen Kontinent, wobei er auch die bekannten Experimente ausführte, in denen er gedachte Zahlen erriet. Die Versuchsperson mußte bei diesen Vor- führungen intensiv an eine bestimmte Ziffer denken und mit einem Stück Kreide eine Tafel berühren, während er die Hand der Ver- suchsperson anfaßte. Aus den Bewegungen der Hand schloß dann Cumberland auf die gedachte Zahl 1 ). Seitdem werden ähnliche p]xperimente häufig in öffentlichen Schaustellungen vorgeführt. Daß man auch auf optischer Grundlage, d. h. aus gesehenen Be- wegungen mit ihnen verbundene Gedanken ablesen kann, hat neuerdings Oskar Pfungst 2 ) gezeigt. Hansen und Lehmann 3 ) haben aus unwillkürlichem Flüstern, das sie mittels großer Konkav- spiegel hörbar machten, Gedanken zu lesen versucht. Andere 4 ) behaupten, daß es möglich sei, Gedanken unmittelbar auf große räumliche Entfernungen hin zu erkennen. Endlich sei noch das -nuenannte Gedankenlesen durch Tricks 5 ) erwähnt, wo das ,,Me- 1 ) Vgl. Stadthagen, Das Gedankenlesen. 3. Aufl. Leipzig (ohne Jahreszahl). S. l ff. 2 ) 0. PfungSt, Das Pferd des Herrn von Osten. Leipzig 1907. 8. 77 ff, 8 ) P. C. C. II an sen und A. Lehmann, Philosophische Studien. Bd. 11. 1895. S. 471 ff. 1 ) VgL J. H. Hyslop, Probleme der Seelenforschung. Stuttgart 1909. 8. K4 IT. § ) Vgl. Stadthagen, l>i<- Mysterien des Bellsehens. :». Aufl. Leipzig (ohne Jahreszahl). 8. I ff. und iln Illingen zu anderen Disziplinen. 39 diuin" aus verabredeten Zeichen. die dein Zuschauer unbekannt bleiben Bollen, die Gedanken des Eixperimentators errät. Letzteres findet |. B. statt in den bekannten Vorführungen, WO der Ex- perimentator durch spezielle Fragewendungen dem ..Medium" den von ihm gedachten Gegenstand mitteilt. Wenn man von Gedankenlesen spricht, so denkt man dabei wohl in der Regel an die eben skizzierten Methoden, aber nicht an ein Verfahren, das im gewöhnlichen Leben sehr üblich ist und darin besteht, daß man. um die Gedanken anderer zu erraten, erwägt, was man selbst unter den gegebenen Verhältnissen denken würde. Diese Form des Gedankenlesens bezeichne ich als die egomorphe, weil man dabei die Gedanken anderer im Anschluß an die des eigenen Ich zu erraten sucht. Dieses egomorphe Ge- dankenlesen liegi z. B. vor, wenn wir uns fragen, welchen Ein- druck etwa ein Brief auf jemanden macht, und wenn wir den frag- liehen Eindruck nach demjenigen bestimmen, den der Brief auf uns selbst machen würde. Es liegt auch vor, wenn wir die Schwere einer Beleidigung, die einem Dritten zugefügt wurde, an dem Eindruck ermessen wollen, den die Beleidigung gegebenenfalls auf uns selbst machen würde, und in tausend anderen Fällen. Des egomorphen Lesens von Gedanken bediente ich mich auch bei den oben mitgeteilten Karten versuchen. Ich stellte ein- fach fest, w r elche Karte ich selbst wählen würde, wenn mir die Aufgabe gestellt würde, eine Karte zu merken. Es ist klar, daß das egomorphe Gedankenlesen nicht immer zum Ziele führen kann. Wenn wir die Gedanken anderer aus unseren eigenen ab- leiten, so können wir auch zu falschen Resultaten gelangen. Ich würde unter gleichen gegebenen Verhältnissen nur dann genau jselbe denken, was ein anderer denkt, wenn ich selbst genau derselbe wäre wie dieser andere. Denn das Denken ist nicht nur von den gegebenen objektiven Verhältnissen abhängig, sondern auch von dem Subjekt, das denkt. Und so müssen wir im Leben das egomorphe Gedankenlesen stets ergänzen durch unsere Kenntnis der Individuen, deren Gedanken wir erraten wollen. Wenn ich etwa beim Kartenspiel feststellen will, was für Konsequenzen 40 3. Die psychologischen Untersuchungen der Gleichförmigkeit mein Gegner aus meinem Spielen zieht, so darf ich nicht nur die Konsequenzen erwägen, die ich aus meinem Spiel zöge, wenn ich mein Gegner wäre, sondern ich muß auch die Gepflogenheiten, die Spielkenntnis meines Gegners und anderes in Erwägung ziehen. Und so kann auch das Erraten gemerkter Karten nach der ego- morphen Methode nicht immer gelingen. Daß dies aber überhaupt möglich ist, ergibt sich aus Massen- versuchen, die ich wiederum mit Spielkarten anstellte. Ich pro- jizierte mittels eines Epidiaskops je drei, in einer anderen Versuchs- reihe je zwei Spielkarten auf den Projektionsschirm und ersuchte die 14 bzw. 26 Versuchspersonen, jeweils eine beliebige Karte zu merken und dann zu Protokoll zu nehmen. Diese Protokolle zeigten eine große Übereinstimmung der gemerkten Karten. Bevorzugt wurde am meisten das As; dann folgten die hohen Zahlen (10, 9, 8), dann die Figuren (König, Bube, Dame), dann die niederen Zahlen (4, 3, 2) und dann die mittleren Zahlen (7, 6, 5). Diese Versuche zeigen deutlich, daß ein Gedankenlesen in dem oben angegebenen Sinne innerhalb gewisser Grenzen möglich ist. Sie bilden aber auch einen neuen Beleg für die Gleichförmigkeit psychi- scher Vorgänge unter gleichförmigen Bedingungen. Diese Gleichförmigkeit zeigt sich auch in verwandten Ge- bieten. Wenn wir eine große Anzahl von Versuchspersonen auf- fordern, eine beliebige Zahl von 1 bis 10, 11 bis 20, 21 bis 30, 31 bis 40, 41 bis 50 aufzuschreiben, so werden meinen Versuchen zu- folge am meisten Zahlen mit der Endziffer 5 notiert und jede andere Zahl wird um so seltener notiert, je mehr ihre Endziffer hinter der Größe 5 zurückbleibt oder sie überragt 1 ). Fordern wir eine große Anzahl von Versuchspersonen auf, einen beliebigen Karbennamen aufzuschreiben, so schreiben die meisten „rot", dann folgt „blau", dann „grün", dann „gelb", „schwarz" usw. Ja selbst wenn wir eine große Anzahl von Personen bitten, l ) In der größeres H&uügkeii der mittleren Zahlen Btimmen mit diesen Versuchen die Resultate ron Ch. 8. Minot (Proeeedings <>!' the American Society ior Psych ical KeHcareh. Bd. I. 1885—1889. 8. 86 ff. ) Überein. und ihre Beiiehungeo zu Anderen Dieiiplinen. m ein Lzanz beliebiges Wort zu Dotieren, bo Btimmen die Reaktionen im weitesten Umfang überein. Von 350 Schülerinnen, mit denen Bolehe Versuche angestellt wurden, Bchrieben L8 das Wort Schule, je S die Worte Baum, Hl mix, Haus, Tafel. Und 199 von den Versuchspersonen schrieben je ein Wort auf, das mindestens auch 1 »ei einer anderen Versuchsperson vorkam, so daß also 57°/<> aller notierten Winter mehr als einmal notiert wurden. Auch beim Raten zeigen sich interessante Gleichförmigkeiten. V. B. Dresslar 1 ) und E. C. Sanford 2 ) haben von vielen Ver- Buchspersonen größere Mengen von Körnern und Bohnen schätzen hissen, wobei gewisse Zahlen deutlich bevorzugt wurden. Ein Kleidergesehäft in Los Angeles in Kalifornien schrieb auf Ver- anlassung Dresslars einen Preis von 100 Dollars aus für die- jenigen, welche die Zahl der Samenkörner errieten, die ein im Schaufenster aufgestellter Kürbis enthielt. Gegen 7000 Personen beteiligten sich an diesem Experiment. Einen ähnlichen Versuch -teilte Sanford in einer anderen Stadt an, wo er eine wertvolle photographische Kamera demjenigen in Aussicht stellte, der die Anzahl weißer Bohnen in einer geschlossenen Flasche richtig erriet. Beide Autoren gelangten zu Ergebnissen, die zeigten, daß Zahlen mit der Endziffer am beliebtesten waren, daß dann meistens Zahlen mit ungeraden und erst an dritter Stelle Zahlen mit geraden Endziffern gewählt wurden. Am unbeliebtesten waren bei beiden Versuchen Zahlen mit der Endziffer 4. Bei all diesen Versuchen zeigt sich genau wie bei den Asso- ziationsversuchen das Phänomen der bevorzugtesten, zweitbevor- zugten, d ritt bevorzugten und der minderbevorzugten Reaktionen. Die durch diese Versuche erwiesene Vorliebe der Menschen lür gewisse Zahlen zeigt sich auch im Strafmaß, mit dem die Richter die Taten der Verurteilten vergelten. Im Jahre 1888 befanden *) V. B. Dresslar, Populär Science Monthly. Bd. 54. 1898/99. S. 781 ff. 2 ) E. C. Sanford, American Journal of Psychology. Bd. 14. 1903. 383 ff. ('her die Arbeiten von Minot, Dresslar und Sanford siehe M. Bauch, Fortschritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd. 1. 1913. S. 213 ff. u. 217. 42 3. Die psychologischen Untersuchungen der Gleichförmigkeit sich nach Havelock Ellis 1 ) 6970 Personen in englischen Zucht- häusern. Unter diesen waren 3034 zu 5 Jahren, d.i. der niedrigsten durch das Gesetz zugelassenen Zahl von Jahren verurteilt, während nur ein einziges Individuum eine Strafe von 6 x / 2 Jahren zu ver- büßen hatte. 1022 Personen waren zu 10 Jahren, aber nur eine zu 11 und nur sechs zu 9 Jahren Zuchthaus verurteilt. 240 Personen hatten 20, aber nur drei 21 Jahre zu verbüßen. Später hat Galton 2 ) mit anderem und viel größerem Material ähnliche Liebhabereien der englischen Richter festgestellt. Schon vor Ellis hatte Win es 3 ) analoge Tatsachen an amerikanischen Urteilen nachgewiesen. Und wir dürfen wohl annehmen, daß eine deutsche Statistik nicht zu prinzipiell anderen Tatsachen führen würde. Die Gleichförmig- keit des psychischen Geschehens führt demnach auch zu Ergeb- nissen, die ein bemerkenswertes und zugleich humorvolles Argument für diejenigen abgeben, welche die Einrichtung des bestimmten Strafmaßes bekämpfen. Sehr interessant ist, daß sich die psychische Gleichförmigkeit und das Bevorzugungsphänomen auch im Gebiet der Schreib- fehler nachweisen lassen. St oll hat zum erstenmal die Fehler, welche wir beim Abschreiben von Texten machen, einer gründlichen Untersuchung unterzogen 4 ). Aus dieser großen Arbeit wollen wir hier nur hervorheben, daß auch die Schreibfehler verschiedener Personen im weitesten Umfang übereinstimmen. Ein und der- selbe Fehler wird oft von 33 bis 70% der Versuchspersonen ge- macht. Auch diese Gleichförmigkeit hängt natürlich mit der Gleich- förmigkeit der Bedingungen zusammen und ein und derselbe Fehler wiederholt sich offenbar um so mehr, je günstiger die Bedingungen seines Eintretens sind. Stoll hat diese Bedingungen im einzelnen experimentell und statistisch geprüft. Nach dem Vorgang von 1 ) H. Ellis, The Criminal. (The Contemporary Science Series. Heraus- eben von IL Ellis.) 4. Aufl. London and New York L910. S. 317 ff. 2 ) F. Galton, Natura. Bd. 52. L895. 8. 174 IT. 3 ) P. II. WiiM-s, Americazi Prisons in the Tenth United States Census. New York und London L888. S. 24 IT. (Zilie! bei IL Ellis a. a. 0. S. 317.) 4 ) J. Stoll, Portschritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd. 2. LH 4. B. 1 it. und ihre Beziehungen zu anderen Disziplinen. 43 Stoll geling! ee leicht, ein und denselben Fehler bei einer großen Anzahl von Personen hervorzurufen, wofern man nur von einer entsprechend großen Anzahl von IVrsonen einen geeigneten Text abschreiben läßt. Solche Untersuchungen sind natürlich für die Pädagogik und die philologische 'Textkritik von Interesse. Wer Orthographieunterrichl geben will, wird am meisten diejenigen Fehler zu bekämpfen haben, zu denen nach dem Ergebnis solcher UnterBnchnngen die meiste Neigung besteht, und wer textkritische Untersuchungen macht, der wird sich in einem bestimmten Fall nicht leicht entschließen, einen Abschreibfehler anzunehmen, wenn ihm auf Grund solcher Untersuchungen bekannt ist, daß ein der- artiger Abschreibfehler sehr unwahrscheinlich ist 1 ). Um die Untersuchungen der Schreibfehler und die Probleme der Textkritik in Zusammenhang zu bringen, ließ ich einen Teil Lukasevangeliums 2 ) in der Übersetzung der Vulgata mittels Schreibmaschine vervielfältigen und von 138 Versuchspersonen im Alter von 11 bis 14V 2 Jahren abschreiben, welche der lateinischen Sprache unkundig waren. Dieser Text enthält 76 Eigennamen (darunter 70 verschiedene), deren Varianten in der von mir be- nützten Ausgabe in den Anmerkungen mitgeteilt sind. 16 von den 76 Eigennamen, also 21°/ , zeigten unter den fehlerhaften Abschriften solche, die mit Textvarianten identisch sind. Obgleich ich diese Versuche selbst nur als Vorversuche betrachte 3 ), so dürften sie doch zeigen, daß die Hoffnungen 4 ), die ich für die Psychologie der Schreibfehler und ihre Bedeutung für die Textkritik hege, nicht ganz unbegründet sind. Das Phänomen der Gleichförmigkeit und der bevorzugten 1 ) Über die Bedeutung der Untersuchung der Schreibfehler für die Textkritik vgl J. Btoll, a.a.O. S. 120 ff. 2 ) Noviim testamentum domini nostri Jesu Christi latine, heraus- Bben von J. Word - wort h und II. .1. White Teil 1. Bd. 3. Evangelium leenndnm Lucam. Oxford 1893. S. 326 ff. Et ipse (23) bis ... . qui fuit dei (38). 3 ) Vgl. über diese Untersuchungen J. Stoll, a. eben a. 0. *) K. liarbe, Fortechritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd. 1. 1913. S. 35 f. 44 3. Die psychologischen Untersuchungen der Gleichförmigkeit Reaktionen zeigt sich auch im Gebiet der Psychologie der Aus- sage 1 ), wodurch es wiederum (ebenso wie durch das Gebiet der Tatbestandsdiagnostik) forensisch wichtig wird. Wenn man einer größeren Anzahl von Personen einer Stadt Fragen vorlegt wie die folgenden: Welches ist die größte Kirche in unserer Stadt? Welche Farbe haben die Briefkasten? Wann war das große Hochwasser in Franken? Welche Farbe haben die Haare des Herrn X?, so stellen sich natürlich neben richtigen Antworten auch falsche ein. Diese aber stimmen im weitesten Umfang miteinander über- ein. Von 30 Volksschülern einer 7. Klasse antworteten z. B. auf die Frage ,, Welches ist die größte Kirche in Würzburg?" 16 Personen falsch. Diese falschen Antworten zerfielen in eine Gruppe zu 9 gleichen Antworten, in eine zweite Gruppe zu 5 gleichen Ant- worten und in eine dritte Gruppe mit nur zwei isolierten Ant- worten. Ja es gibt Fälle, wo die richtige Antwort seltener ist, als irgend eine falsche von mehreren Versuchspersonen abgegebene Antwort. Von 15 Seminaristinnen beantworteten nur 3 die Frage ,,Wann war das große Hochwasser in Franken?" richtig; die falschen Antworten zerfielen in eine Gruppe zu 6 vollständig übereinstimmen- den und in eine Gruppe zu 4 gleichfalls übereinstimmenden Ant- worten. Derlei Untersuchungen führen auch zu dem Resultat, daß gewisse allgemeine Neigungen bestehen, in dieser oder jener Richtung falsche Antworten zu geben. So treten auf die Frage, wie weit ein Ereignis zurückliegt, bei den kürzeren Zeitstrecken die Über- schätzungen stärker hervor als bei den längeren Zeitstrecken. Alle diese; Untersuchungen Lehren aber auch, daß die Überein- stimmung von Aussagen an und £ür sich mit der Richtigkeit dieser Aussagen nichts zu tun hat, eine Tatsache, die für die Bewertung von gerichtlichen Zeugenaussagen, bei denen das Phänomen der x ) J. Dauber, Fortschritte der Psychologie und ihrer Anwendungen« Bd. I. L913. S. 83 ff. und Ihre Begehungen in anderen DiBiiplinen. 45 Gleichförmigkeil und Bevorzugung ebenfalls besteht 1 )! außersl wichtig Ißt 1 ). Die peinliche Gerichtsordnung Karls des Fünften verlangt 9 ), daß ein Verbrechen durch zwei oder drei klassische Zeugen bezeug! sein muß. Unsere Ausführungen zeigen, daß eine bo generelle Forderung Bchon infolge der psychischen Gleichförmig- keil unhaltbar ist und in einem Sittlichkeitsprozeß, in dem ich als psychologischer Sachverständiger fungierte, durfte ich trotz übereinstimmender belastender Kinderaussagen diese Aussagen als irrelevanl zurückweisen, da die Gleichförmigkeit der Bedingungen, unter denen die Kinder aussagten, die Übereinstimmung ihrer Aussagen genügend erklärte 4 ). Ein anderes Gebiet, in welchem das psychologische Gleich- förmigkeitsproblem untersucht wurde, ist das der Beobachtungs- fehler. In den messenden Naturwissenschaften sind wir oft ge- nötigt, bei der Abmessung einer Strecke mittels einer Millimeter- skala noch Zehntelmillimeter zu schätzen. Hierbei machen wir vielfach Fehler. Schon lange hat man nun erkannt, daß diese Fehler nicht ganz regellos verlaufen. M. Bauch 5 ) hat dann syste- matische Untersuchungen in großer Zahl mit vielen Versuchs- personen über solche Fehler angestellt. Er benützte Apparate, durch welche man mit Hilfe eines Nonius einen Zeiger auf willkür- lich gewählte Zehntel genau einstellen konnte, und er ließ dann die Zehntel von Beobachtern abschätzen. Die wichtigsten Er- gebnisse dieser Untersuchungen seien hier kurz mitgeteilt. 1. Beim Schätzen von Zehntelmillimetern werden die Rand- zehntel (1, 2, 8, 9, 0) bevorzugt, die Mittenzehntel (3, 4, 5, 6, 7) vernachlässigt. M J. Dauber, a.a.O. Bd. 1. 1913. 8. 103 ff. 2 ) K. Marbe, Grundzüge der forensischen Psychologie. München 1913. - 50 ff. 3 ) Carolina. Artikel 67. 4 ) Vgl. K. Marbe, Fortschritte <U-r Psychologie und ihrer Anwen- dungen. Bd. 1. 1913. S. 375 it. 5 ) M. Bauch, Fortschritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd. 1. 1913. S. 169 ff. 46 3. Die psychologischen Untersuchungen der Gleichförmigkeil 2. Die Randzehntel werden häufiger als die anderen richtig, die Mittenzehntel häufiger als die anderen falsch geschätzt. 3. Die Über- und Unterschätzungen weisen den eingestellten Zehnteln gegenüber eine Verschiebung nach den Rändern des Intervalls hin auf, und zwar jeweils nach dem dem eingestellten Zehntel zunächst liegenden Rande. 4. Am häufigsten richtig geschätzt wird das Zehntel 0; am häufigsten überschätzt wird das Zehntel 7 und am häufigsten unterschätzt das Zehntel 3. Solche Untersuchungen müssen schließlich zu Korrektions - formein führen, mit deren Hilfe man die arithmetischen Mittel- werte aus den Beobachtungen einer großen Anzahl von Personen den tatsächlich gesuchten Werten mehr annähern kann, als dies ohne solche Untersuchungen möglich ist, was besonders im Gebiet der Astronomie von Interesse sein dürfte. Solche Untersuchungen zeigen auch, wie übrigens auch andere 1 ), daß die mathematische Fehlertheorie durch eine empirisch-psychologische ergänzt werden muß. Zu den elementarsten Voraussetzungen der G au ß sehen Fehlertheorie gehört der Satz, daß die in Betracht kommenden variablen Fehler gleicher absoluter Größe gleiche Wahrscheinlich- keit besitzen 2 ). Die erwähnten Tatsachen zeigen, daß diese Annahme nicht zutrifft, sofern man unter variablen Fehlern diejenigen Fehler versteht, die man bisher allgemein als solche behandelt hat 3 ). *) Vgl. ,]. Dauber, Fortschritte der Psychologie und ihrer Anwen- dungen. Bd. ?>. 1915. S. 102 ff. 2 ) Daß die G- au ß sehe Fehlertheorie auch Fehler annimmt, die prak- tisch mdit vorkommen, habe ich Vierteljahrsschrifl für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie. Jahrg. 34. 1910. S. 37 ff. ausgeführt, ■) Vgl. K. Marbe, Anmerkung zu einer Arbeit von Bauch, Port- schritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd. 2. 1914. 8, 341 f. — Es wäre wünschenswert, daß auch die mehrfach von Mathematikern ange- stellten Versuche aber Fehler bei der Ausführung einfacher geometrischer Zeichnungen mit der Psychologie der Gleichförmigkeit in Verbindung ge- bracht winden. Vgl. hierzu: K. \ i t z , Anwendungen der Theorie der Fehler m der Ebene aui Konstruktionen mit Zirkel und Lineal. Ken igs berger philosophische Dissertation (1905) und die dort angegebene Literatur. Unter und ihre Beziehungen su anderen Disziplinen. 47 Die von Hauch experimentell ermittelten Gesetzmäßigkeiten gen sich auch bei älteren Untersuchungen von Astronomen, die ohne regulierte Einstellung stattfanden, d. h. bei Untersuchungen, wo im Gegensatz zu der Bauchschen Arbeil der zn schätzende Tatbestand nicht genau bekannt war 1 ). Sie finden sich auch in der meteorologischen Praxis 2 ) und sind auch für die (Jeodäsie Wichtig. G. Kummer hat im geodätischen Interesse ganz ähnliche Untersuchungen wie Bauch ausgeführt und ist auch zu ähnlichen Resultaten gelangt*). Neuerdings hat Curtius Müller 4 ) in sehr dankenswerter Weise alle einschlägigen Untersuchungen der Geo- däten zusammengestellt und sie durch eigene Versuche erweitert. Unsere Phänomene treten auch bei willkürlichen Bewegungen der Extremitäten auf. Wenn man einer größeren Anzahl von Yci>uchspersonen die Aufgabe stellt, auf ein gegebenes Signal hin von einem bestimmten Ausgangspunkt aus eine beliebige Arm- beweLiuiiLr unter n möglichen Bewegungen möglichst schnell aus- zuführen, so stimmen die von den Versuchspersonen gemachten Bewegungen in großem Umfang überein. Auch hier zeigen sich I'cvorzugteste und minder bevorzugte Reaktionen. Versuche, das von mir aufgestellte Geläufigkeitsgesetz in diesem Gebiet nach- zuweisen, sind bisher nicht gelungen. Dies rührt aber lediglich da- den neuesten Arbeiten von Astronomen, die mit unserem Gegenstand zu- »ammenhangen, sei genannt: P. Labitzke, Experimentelle Untersuchungen über die Fehler bei Mitteneinstellungen. Astronomische Mitteilungen der k. Sternwarte zu Göttingen. Bd. 18. 1914. S. 1 ff. (Auch Göttinger Dis- sertation.) Über andere Untersuchungen astronomisch wichtiger Beobach- tangsfehier handeln Referate im Astronomischen Jahresbericht. Bd. 1 ff. 1900 ff. Die Bände 1 bis 11 bringen diese Referate in § 33: Visuelle, photo- graphische und sonstige Beobaehtungsmethoden (persönliche Gleichung); von Band 12 (1912) abfinden sie sich in § 16: Systematische Beobachtungs- fehler und Methoden zu ihrer Untersuchung. 1 ) M. Bauch. a.a.O. Bd. I. L913. 8. 200ff. 2 ) M. Bauch. Portschritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd. 2. 1914. s. 246 ff. 3 ) Gr. Kumme], Zeitschrift für Vermessungswesen. Bd. 36. 1907. - 531 ff. 4 ) Curtius Müller, Portschritte der Psychologie und ihrer An- Wendungen. Bd. 4. Befl l. 191 6. 8. I ff. 48 3. Die psychologischen Untersuchungen der Gleichförmigkeit her, daß die Reaktionszeiten bei solchen Versuchen durchschnittlich kürzer und viel weniger voneinander abweichend sind als bei Assoziationsversuchen, weshalb hier der Nachweis des Wachs- tums der Reaktionszeiten mit der Abnahme der Bevorzugung schwieriger und daher nur mittels einer sehr großen Anzahl von Einzelversuchen möglich ist. Aus der Analogie mit den Asso- ziationsversuchen müssen wir auch hier die Gültigkeit des Ge- läufigkeitsgesetzes durchaus in Anspruch nehmen. Unzweifelhaft experimentell erwiesen ist im Gebiet der Körper- bewegungen die Tatsache, daß die bevorzugteren Armbewegungen größere Geschwindigkeit haben als die minder bevorzugten. Be- vorzugter ist auch die Bewegung nach solchen Punkten, die dem Ausgangspunkt benachbarter sind gegenüber der Bewegung nach Punkten, die vom Ausgangspunkt mehr entfernt sind. Läßt man eine größere Anzahl von Personen durch Probieren feststellen, welche unter n möglichen Bewegungen die bequemsten sind, und vergleicht man die als bequem bezeichneten Bewegungen mit den bevorzugten Bewegungen, so ergibt sich der Satz: Be- quemere Bewegungen werden vor unbequemen bevorzugt. Alle diese von M. Bauch 1 ) experimentell erwiesenen Tat- sachen haben offenbar nicht nur für Armbewegungen eine Be- deutung. Sie sind nach meiner Ansicht Spezialfälle ganz allgemeiner ] physiologischer Gesetzmäßigkeiten, die wir folgendermaßen formu- lieren können : 1. Wenn bei einer großen Anzahl von Individuen unter be- stimmten physikalischen (d. h. außerhalb der Individuen liegenden) Bedingungen n Bewegungen möglich sind, so stimmen die tatsächlich erfolgenden Bewegungen in weitem Umfang miteinander überein; es gibt bevorzugteste, zweit- bevorzugte und minder bevorzugte Bewegungen. 2. Die bevorzugteren Bewegungen können durchschnittlich schneller ausgeführt werden als die minder bevorzugten. 1 ) Fortschritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd. 2. 1914. 8. 340 ff. uml ihre Beziehungen zu anderen Disziplinen. A\) 8. I>ic bevorzugteren Bewegungen sind durchschnittlich sub- jektiv bequemer als die minder bevorzugten. \. Bevorzugter ist dir Bewegung nach solchen Punkten, die dem Ausgangspunkt benachbarter sind, gegenüber der Be- wegung nach Punkten, die vom Ausgangspunkt mehr ent- fernt sind. Die Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens wird wesent- lich gefördert durch die Suggestion, wenn diese bei mehreren In- dividuen in ein und derselben Richtung wirksam ist. Kosog 1 ) zeigte z. B. den Kindern einer Schulklasse zunächst aus der Nähe einen Zettel, in dessen Mitte mit schwarzer Tinte ein kleiner Punkt angebracht war. Dann mußten die Schüler zurücktreten und darauf wieder so weit an Kosog herankommen, bis sie den Punkt deutlich sahen. Nachdem dies dreimal geschehen, vertauschte Kosog den Zettel unvermerkt mit einem anderen, auf welchem sich kein Punkt befand. Diese und andere Suggestions versuche ergaben im ganzen 65°/ Fälle, in denen die Kinder der Suggestion unterlegen waren, also ein suggestiv bedingtes gleichförmiges Ver- halten aufwiesen. Duck 2 ) ließ in einer Klasse mit 48 Schülern zwischen 14 und 17 Jahren ein Geldstück (einen Gulden österreichischer Währung) herumgehen und forderte die Schüler auf, das Geldstück zu be- trachten. Am Schluß der Stunde sagte er zu seinen Schülern: ,,Sie haben ja zweifellos alle bemerkt, daß das Guldenstück ein Loch hat; ich möchte nun Ihre Beobachtungsgabe prüfen und Sie sollen mir deshalb angeben, wo das Loch ist; zeichnen Sie einfach einen Kreis und die Umrisse eines Kopfes auf ein Blatt Papier und bezeichnen Sie die Stelle des Loches durch ein Kreuz." Das Geldstück hatte nun gar kein Loch. Trotzdem setzten 44 Schüler ein Kreuz, einige sogar zwei Kreuze auf die Zeichnung und von *) 0. Kosog, Beitrag zur Psychologie der Aussag«'.. 2. Folge. Heft 3. 1905. 8. Wff. 2 ) J. Duck, Zeitschrift für Pädagogische Psychologie und experi- mentelle Pädagogik. Jahrgang 13. 1912. S. 214 ff. Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt. 4 50 3. Die psychologischen Untersuchungen der Gleichförmigkeit den vier anderen bemerkte nur einer ausdrücklich: „Der Gulden hat kein Loch gehabt." Die drei anderen gaben nur an, sie hätten das Loch nicht gesehen. Das Interessanteste an den Versuchen ist aber, daß mehrere jüngere Schüler sogar noch auf dem sugge- rierten Glauben beharrten, als ihnen Duck den Sachverhalt mit- geteilt hatte. Da, wie wir sahen, unter 48 Schülern 44 der Suggestion unterlagen, so hatten sich 92 Prozent der Schüler in gleicher Rich- tung suggestiv beeinflussen lassen. Wir können die Suggestion einteilen in Autosuggestion und Fremdsuggestion. Bei der Autosuggestion täuscht sich der Mensch selbst einen faktisch nicht bestehenden Sachverhalt vor. Um Autosuggestion handelt es sich z. B. beim Hypochonder insofern, als er sich bei ihm nicht vorhandene Krankheiten vortäuscht. Bei der Fremdsuggestion ist dagegen das suggerierende und das suggestiv beeinflußte Individuum nicht wie bei der Autosuggestion identisch. Die Versuche von Kosog und Duck waren Fremd- suggestionen. Ein spezieller Fall der Fremdsuggestion ist nun die wechselseitige Suggestion. Bei dieser wirken die suggestiv be- einflußten Individuen wechselseitig suggestiv aufeinander ein. Bei den Versuchen von Duck handelt es sich nur um Fremd- suggestion im gewöhnlichen Sinne des Wortes oder um einseitige Fremdsuggestion, nicht auch um wechselseitige Suggestion, während hingegen die Schüler Kosogs nicht nur durch ihn suggestiv be- einflußt wurden, sondern auch wechselseitig einander beeinflußten. Hier lag also auch wechselseitige Suggestion vor : Die Schüler hatten hier so weit vorzutreten, bis sie den Punkt sahen; jeder von ihnen bemerkte daher auch, ob und inwieweit die anderen Schüler vor- traten; seine Tätigkeit und seine Aussage über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des Punktes wurde daher auch von den anderes Schülern beeinflußt. Die wechselseitige Suggestion war in diesem Beispiele eine unbeabsichtigte. Überhaupt wird die wechselseitige Suggestion lürl immer unbeabsichtigt sein. Zusammenlassend können wir sagen: Sowohl durch die ein- seitige l'Yemdsii'.fe.estion als durch die wechselseitige Suggestion uml ihre Beziehungen iu Anderen Disziplinen, 51 wird die Gleichförmigkeil dea psychischen Geschehens erhöht, wenn die Suggestion bei mehreren Individuen in einer bestimmten Richtung wirkt. Die mitgeteilten psychologischen Untersuchungen des Gleich- förmigkeitsproblems haben auch für manche Fragen der Sprach - Wissenschaft, Geschichtswissenschaft, Soziologie und Rechtsphilo- sophie ein gewisses Interesse. Hiervon soll später die Rede sein. Zunächst wollen wir der Theorie der psychischen Gleichförmigkeit nähertreten , wobei das Tatsachenmaterial selbst noch etwas er- weitert werden wird. Viertes Kapitel. Zur Theorie der psychischen Gleichförmigkeit. Wir wissen , daß sich die Gleichförmigkeit psychischer Er- scheinungen auf die Gleichförmigkeit der Bedingungen dieser Erscheinungen zurückführen läßt. Eine Theorie der psychischen Gleichförmigkeit kann sich aber mit einer so generellen Betrachtung nicht begnügen. Wie die Gleichförmigkeit in allen Gebieten auf gewisse Einzelprobleme führt, so legt uns auch die psychische Gleichförmigkeit manche spezielleren Fragen nahe. Wenn wir die Gesamtheit aller erwähnten Tatsachen ins Auge fassen, so dürfen wir sagen, daß sie zu einem gewissen Teil Kulturprodukte seien. Hub er 1 ) hat gezeigt, daß bei Assoziations- versuchen die Qualität der Reaktionswörter unter anderem vom Beruf und von den Lebensgewohnheiten der Versuchspersonen abhängt. Auch reagieren bei solchen Versuchen Gebildete inner- halb gewisser Grenzen anders als Ungebildete. Die letzteren klammern sich mehr an die Bedeutung des Reizwortes und sie suchen dann oft nach Erklärungen und Merkmalen der durch das Reizwort bezeichneten Gegenstände, während bei gebildeten und sprachgewandten Personen die Reaktionsworte meist so- zusagen automatisch im unmittelbaren Anschluß an die Reiz- worte erfolgen. Mit diesen Tatsachen wird es teilweise zusammen- hängen, daß die gebildeten Personen mehr bevorzugte Reaktionen haben als die ungebildeten. Daß aber das Gleichförmigkeitsphänomen trotz des offen- sichtlichen Einflusses von kulturellen Faktoren teilweise auch auf allgemeinen über Jahrtausende hin verbreiteten Neigungen der Menschen beruht, ist gleichfalls durch Untersuchungen festgestellt worden. Der Historiker Beloch sammelte in seinem Buch: ,,Die l ) E. Haber, Zeitschrift für Psychologie. Bd. 59. 1911. S. 241 ff. 4. Zur Theorie der psychischen Gleichförmigkeit. 53 Bevölkerung der griechisch-römisohen Welt" ') die Angaben über das Alter der verstorbenen Personen aus den im Corpus [nscriptio- nuin latinaruni enthaltenen Grabschriften aus der ersten, zweiten and zehnten Region Italiens. Die Altersangaben, welche die alten Römer auf diese Grabmälcr sehriehen, waren nicht so genau wie diejenigen auf unseren Friedhöfen, sondern sie beruhten in der Regel auf roher Schätzung. Man kann nun feststellen, welche Endziffern auf diesen Grabdenkmälern am häufigsten vorkommen und welche Endziffern in zweiter, dritter, vierter Linie usw. be- vorzugt werden. Diese Feststellungen stehen mit der Bevölkerungs- statistik im Widerspruch. Konstatiert man andererseits, welche Endziffern am beliebtesten sind, wenn man einer größeren Anzahl von Versuchspersonen die Aufgabe stellt, Strecken, die größere Bruchteile von Dezimetern lang sind, in Zentimetern und Milli- metern abzuschätzen, und stellt man auch hier die an zweiter, dritter, vierter Stelle usw. bevorzugten Endziffern fest, so gelangt man zu genau denselben Resultaten. Vergleicht man damit die Häufigkeit der einzelnen Endziffern, die sich bei den sehr rohen Altersangaben gelegentlich einer Volkszählung in dem großenteils aus ungebildeten Negern bestehenden Staate Alabama in Amerika vorfanden, so gelangt man zu fast den gleichen Resultaten. Römische Streckenschätzung Volkszählung Gräber 2 ) in cm und mm 3 ) in Alabama 4 ) Häufigste Endziffer <> dann folgt 5 5 5 >» »> 8 8 8 *» »» 2 2 2 >> 5> 3 3 9 »> »> 7 7 3 »• >> 6 6 6 >> >> 4 4 4 >> »> 9 9 7 »» >> 1 1 1 1 ) J. Beloch, Die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt. (Historische Beiträge zur Bevölkerungslehre. 1. Teil) Leipzig 1886. S. 49. 2 ) Nach J. Dan bei, Fortschritte der Psychologie. Bd. 1. 1913. S. 89. •) Nach M. Bauch, Fortschritte der Psychologie. Bd. 1. 1913. 8. 206. 4 ) Nach J. Dauber, a. a. 0. B. 89. 54 4. Zur Theorie der Vorstehende Tabelle belehrt uns über diesen sehr eigentüm- lichen Sachverhalt. In der letzten Kolumne der Tabelle sind die- jenigen Zahlen fett gedruckt, die mit den entsprechenden Zahlen der übrigen Kolumnen übereinstimmen. Wir sehen hieraus, daß die alten Römer, die Deutschen und die Einwohner von Alabama in ganz heterogenen Gebieten die- selben Neigungen hinsichtlich der Bevorzugung von Zahlen an den Tag legen. Diese auffällige Gleichförmigkeit ist offenbar kein bloßes Kulturprodukt, sondern ein in der Psyche des Menschen begründeter Tatbestand. Wir wenden uns jetzt zur Frage, warum in einem bestimmten Fall gerade diese und nicht andere Reaktionen bevorzugt werden. Wir gebrauchen dabei den Ausdruck Reaktion im weitesten Sinne des Wortes und wir verstehen daher unter Reaktionen nicht nur Bewegungen, sondern auch alle uns interessierenden geistigen Vorgänge der Beobachter, die in den geschilderten Experimenten durch die Versuchsbedingungen ausgelöst werden. Zu den Re- aktionen gehören demnach für uns z. B. auch die Erlebnisse oder Bewußtseinsvorgänge, welche die Größenauffassungen ausmachen, auf welche die Versuchspersonen beim Abschätzen von Zehntel- millimetern ihre Urteile gründen. Ja auch die Altersangaben auf den römischen Gräbern oder bei den Volkszählungen können wir im weiteren Sinne als Reaktionen ansehen, da es sich dabei um menschliche, unter bestimmten Bedingungen erfolgende Be- tätigungen handelt. Wenn nun bei einem einzelnen Individuum unter bestimmten physikalischen (d. h. also außerhalb des Körpers liegenden) Be- dingungen n Reaktionen möglich sind, wenn aber von dieses n Re- aktionen nur eine tatsächlich eintritt (wie dies hei all unseren Tatsachei] der Fall ist), so wird diese faktische Reaktion diejenige sein, für welche die Bedingungen (\^ Eintretens günstiger sind als für alle anderen. Wir können diese Tatsache auch so formu- lieren, daß wir sagen: es wird diejenige Reaktion eintreten, welche die größte Bereitschaft zum Eintreten besitzt. Ebenso werden bei mehreren Individuen, die unter gleichen oder gleichförmigen psychischen Gleichförmigkeit. 56 Bedingungen stehen, diejenigen Reaktionen am meisten anluvten. welche die größte Bereitschaft halten. Bei der Gleichförmigkeil der Bedingungen aber, unter welchen diese Individuen stehen. wir«! auch eine gewisse Gleichförmigkeil der Bereitschaft für ge- wisse Reaktionen vorhanden sein, so daß also auf Grund der ge- enen Gleichförmigkeit der Bedingungen eine gewisse Überein- Btimmung der Reaktionen eintreten muß. Mit dem Begriff der Bereitschaft ist übrigens an sich gewiß nicht viel gewonnen. Aber wir können doch experimentell fest- keilen, durch welche Faktoren die Bereitschaft einer Reaktion erhöht wird. Wir hetrachten zunächst lediglich die Assoziations- versuche. Hier hat sich gezeigt 1 ), daß die in der Sprache häufiger vorkommenden Wörter durchschnittlich häufiger bevorzugte und im allgemeinen auch häufiger bevorzugteste Reaktionen sind, als die in der Sprache seltener vorkommenden Wörter. Wir sehen hieraus, daß gewohntere Betätigungen und Bewußtseins Vorgänge öfter zu Reaktionen w r erden als weniger gewohnte, daß also die I elaufigkeit 2 ) eines Vorgangs seine Bereitschaft, unter bestimmten Bedingungen einzutreten, erhöht. Ähnliches zeigt sich auch in anderen Gebieten. Dauber 3 ) fmg 158 Schüler in Abwesenheit zweier allen Schülern bekannter Lehrer nach der Haarfarbe dieser beiden Lehrer, von denen der eine blondes, der andere dunkles Haar hatte. Es zeigte sich nun, daß die Haarfarbe der dunkeln Person von viel mehr (125) Ver- suchspersonen richtig angegeben wurde als die Haarfarbe der blonden Person (77). Zugleich wurde die blonde Person in 47 Fällen als dunkel (schwarz, braun, brünett), die dunkle Person nur in 9 Fällen als blond bezeichnet. Die Bereitschaft für die Reaktion ,, dunkel" war also eine entvhieden größere als die für die Reaktion ,, blond". M J. Dauber, Zeitschrift für Psychologie. Bd. 59. 1911. 8. 190f. 2 ) Da« Wort Geläufigkeil wird hier im üblichen vulgaren Sinne ge- brauche und nicht etwa in dem Sinne, in dem es in dem oben erwähnten ( teläufigkeitsgesetz figuriert . 3 ) J. Dauber, Fortsehritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd. I. 1913. s. L26 n. 56 4. Zur Theorie der Dies zeigte sich auch bei einem anderen Versuch, in welchem Dauber viele Versuchspersonen auf förderte, die Haarfarbe zu notieren, die ihnen zuerst einfiel. Hier notierten 46 Versuchs- personen ,, schwarz", 6 ,, braun", 1 ,, hellbraun" und nur 37 Ver- suchspersonen schrieben ,, blond". (Zehn Personen hatten teils ,,rot", teils ,,weiß", teils ,,grau" geschrieben.) Diese Ergebnisse stimmen nun aufs beste überein mit Ergebnissen von Haber- landt 1 ), der festgestellt hat, daß in der Gegend von Würzburg nur 21 bis 30% Schüler dem blonden, alle übrigen dem schwarzen Typus angehören. Wir sehen aus diesen Tatsachen wiederum, daß die Gewohnheit die Bereitschaft von Reaktionen erhöht. In anderen Versuchen 2 ) frug Dauber eine große Anzahl von Personen: welches Dorf liegt westlich von Würzburg? Auf diese Frage erhielt er neben richtigen und mehreren falschen, aber aus- einanderfallenden Antworten 44 falsche, jedoch gruppenweise übereinstimmende Antworten. Diese gruppenweise zusammen- fallenden falschen Antworten enthielten die Reaktionsworte: Heidingsfeld, Dürrbach, Gerbrunn. Am häufigsten wurde Heidings- feld, dann Dürrbach, am seltensten Gerbrunn genannt. Anderer- seits stellte Dauber vielen Personen die Aufgabe, ein ganz be- liebiges Dorf in der Nähe von Würzburg zu notieren. Hierbei zeigte sich, daß die Orte Heidingsfeld, Dürrbach, Gerbrunn wiederum am häufigsten notiert wurden, und wiederum stand Heidingsfeld an erster, Dürrbach an zweiter und Gerbrunn an dritter Stelle. Offenbar wurden die drei Orte beim letzten Versuch deshalb am häufigsten notiert, weil sie mehr genannt oder besucht oder über- haupt bekannt sind als andere, und offenbar entsprach auch die Reihenfolge ihrem Bekanntheitsgrad. Dementsprechend traten sie in der erwähnten Häufigkeitsfolge auch alg Antworten auf die EVage „Welches Dorf liegt westlich von Würzburg?" auf. Wir sehen also bier wiederum den Einfluß der Bekanntheit und somit Her Gewohnheil auf die Bereitschaft. Sowohl in dem Ver- 2 ) M. II iibf.rhuidi in A. Scobel, Geographisches Bandbuch. Leipzig L909. Bd. 1. S. 356 l. 2 ) J. Dauber, a. zuletzt a. 0. psychischen Gleichförmigkeit. 57 Bach mit den Dörfern als im Versuch mit dtT Haarfarbe ist der Einfluß der Gewonnheil bo groß, daß er direkt falsche Aussagen hervorruft. Auch der Umstand, daß viele Versuchspersonen, aufgefordert einen beliebigen Farbennamen niederzuschreiben, in den meisten Fällen rot schreiben, dürfte damit zusammenhängen, daß rot in der deutschen Sprache häufiger vorkommt als irgend ein anderer Farbenname 1 ). Aueb die von Stoll festgestellte Tatsache, daß bei Abschreibefehlern vielfach irrigerweise sprachlich seltene Wort- formell durch solche, die in der Sprache häufiger vorkommen, ersetzt werden, zeigt den Einfluß der Gewohnheit auf die Re- aktionen 2 ). Es scheint somit die Wirkung der Gewohnheit von funda- mentalem Einfluß auf die Bereitschaft von Reaktionen zu sein. Die Bereitschaft einer bestimmten von n möglichen Reaktionen kann aber auch gefördert werden durch Sinneswahrnehmungen und Betätigungen, die der Reaktion unmittelbar vorhergingen. Bei der Untersuchung der Schreibfehler hat sich nämlich gezeigt, daß viele von einem Prozentsatz der Versuchspersonen gleich- mäßig ausgeführte Schreibfehler infolge von Nachwirkungen solcher gelesener Laute und Schriftzeichen entstehen, die den fehlerhaft geschriebenen Silben vorausgehen oder doch vor der Niederschrift der letzteren perzipiert wurden 3 ). Auch die Richtung der Auf- merksamkeit scheint für die Bereitschaft bestimmter Reaktionen von Einfluß zu sein. So nimmt wenigstens Bauch 4 ) an, daß die beim Zehntelschätzen auftretende Bevorzugung der Randzehntel dadurch entsteht, daß der der abzuschätzenden Größe am meisten benachbarte Randstrich die Aufmerksamkeit auf sich zieht, wo- durch der bei der Schätzung in Frage kommende Skalenpunkt *) Dies ergibt sich aus F. W. Kaeding, Häufigkeitswörterbuch der deutschen Sprache. Steglitz bei Berlin 1898. 2 ) J. Stoll, Fortschritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd. 2. 1914. S. 22 ff. :; ) J. Stoll, a. a. O. S. 88 ff. *) M. Bauch, Fort -dl ritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd. 1. 1913. S. 218 ff.- 58 4. Zur Theorie der der Begrenzungslinie mehr angenähert erscheint, als es in Wirk- lichkeit der Fall ist. Natürlich sind mit diesen Hinweisen die Faktoren, welche die Bereitschaft einer psychophysischen Reaktion zu fördern im- stande sind, nicht im entferntesten erschöpft. Diese Faktoren im weitesten Umfang festzustellen und zu untersuchen, ist eine der wichtigsten Aufgaben einer abschließenden Theorie der psychi- schen Gleichförmigkeit. Freilich würden, auch wenn dies geschehen sein sollte, noch viele Fragen offen bleiben. Die oben abgeleitete physiologische Tatsache, daß eine große Anzahl von Individuen unter bestimmten Bedingungen diejenigen Bewegungen bevorzugt, die schneller ausführbar und die subjektiv bequemer sind, hängt in gewisser Weise mit dem Gesetz der kleinsten Wirkung oder des kleinsten Kraftmaßes zusammen. Schon Fermat hat (vielleicht im Anschluß an antike Vorstellungen 1 ) und an An- sichten früherer Naturforscher und Philosophen 2 )) den Satz formu- liert, daß die Natur, die er als eine große Arbeiterin betrachtet, immer auf den kürzesten Wegen tätig ist 3 ). Dieser Satz, der sagt, daß jede mögliche Abänderung des faktischen Naturverlaufs die Überwindung eines größeren Widerstandes bedeuten würde, ist in der späteren Mechanik mannigfach verändert und diskutiert worden 4 ). Während der Satz, der (in den verschiedenen Formu- lierungen der Mechanik) schließlich nur aussagt, daß unter ge- gebenen Umständen gerade so viel geschieht, als unter den ge- gebenen Umständen geschehen kann 5 ), sich in der Mechanik zurzeit keines besonderen Ansehens erfreut, ist er in der Neuzeit in ver- schiedenen Formen auf andere Gebiete übertragen worden. Auch 1 ) E. Dühring, Kritische Geschichte der allgemeinen Prinzipien der Mechanik. :>,. Aufl. Leipzig 1887. 8. 102. 2 ) Zur Literatur vgl. \i. Kisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, .",. Aufl. Bd. 2. 1010. S. 948 IT. : ') P. de Fermat, Varia opera mathematica, Tolosae 1G79. S. 15G. \ 'gl. da/u E. Dühring, a. a. 0. S. L00 IT. 4 ) E. Dühring, a.a.O. S. 287 11". E. Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung. 7. Aufl. Leipzig L912. B. 347ff. ■') E. Mach, a. eben a. 0. S. 371. psyohisohen G-leiohförmigkeit. 59 diese Übertragungen, unter denen die von A.venarius und Mach am bekanntesten sind, Bind Ereilich oichl ohne ältere Vorläufer 1 ). WCnn wir in irgend einem Gfebiei des praktischen Lebens. der Kunst oder der Wissenschaft eine Aufgabe zu Lösen haben, so werden wir im allgemeinen bestrebt sein, uns der einfachsten, kürzesten und daher bequemsten Wege zu bedienen, ein Verfahren, welches im Sinne der größten Kraftersparnis und somit der größten Leistungsfähigkeit die Billigung aller Urteilsfähigen findet. So kann man. wie vielfach üblich, mit Recht im Gebiet des sozialen Lebens, der Wissenschaft und überhaupt in allen Gebieten, wo menschliche Betätigungen in Betracht kommen, von einer Öko- nomie dieser Betätigungen, von einer geringsten Anstrengung und ähnlichem reden, wenn man auch nie vergessen darf, daß das Handeln im Sinne dieses Prinzips durch andere Faktoren durch- kreuzt oder gestört werden kann. Dieses Prinzip hat nicht nur in den Gebieten der wohl über- legteu Willenshandlungen seine Bedeutung, sondern auch dann, wenn mehr oder weniger automatisch gewordene Betätigungen vorliegen, und auch dort, wo sogenannte Willenshandlungen ge- geben sind, die unter bestimmten psychischen Bedingungen un- mittelbar im Anschluß an bestimmte Reize erfolgen 2 ). Wenn wir etwa von Feinden verfolgt, ganz unmittelbar auf dem kürzesten Wege fliehen, wenn wir uns in größter Eile ankleiden, und in tausend anderen Fällen handeln wir im Sinne des Prinzips der kleinsten K raftanstrengung. Auch als heuristisches Prinzip kann die in Rede stehende Auffassung nützlich werden, so z. B. wenn der Historiker oder der Untersuchungsrichter irgend einen nur teilweise durch Zeugen leckten Vorgang nachkonstruieren; auch in der Biologie und Physiologie werden wir öfters von dem Gesichtspunkt geleitet, daß die Individuen gewisse Leistungen auf dem bequemsten Wege J ) Zur Literatur der älteren und neueren Zeil vgl, R. Eisler, a.a.O. - M8ff. 2 ) Ober solche Willenshandlungen siehe K. Alarbe, GS-rundzüge der forensischen Psychologie. Manchen 1913. 8. 901. 60 4. Zur Theorie der vollbringen. So operiert z. B. A. Fick in einer Erörterung der Bewegungen des menschlichen Augapfels 1 ) mit dem Satz, daß man die Bewegungen mit der möglichst geringen Gesamtanstrengung ausführt 2 ). Unser obiges Ergebnis, daß wir, wenn wir aufgefordert werden, eine bestimmte Bewegung auszuführen, allgemein von n möglichen Bewegungen die bequemeren und schneller ausführbaren bevor- zugen, darf gleichfalls als ein Beleg für den Satz von der geringsten Anstrengung dienen. Daß von einer großen Anzahl von Individuen nicht alle, sondern nur ein großer Prozentsatz im Sinne dieses Satzes verfahren, zeigt, daß die Geltung des fraglichen Prinzips bei den in Rede stehenden Versuchen durch andere Faktoren mehr oder weniger gestört wurde. Die Tatsache, daß die in einer bestimmten Richtung wirkende Suggestion die Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens er« höht, ist leicht verständlich. Werden eine Anzahl von Personen durch gleiche Mittel suggestiv beeinflußt, so gehören die suggestiv wirkenden Vorgänge (das sind z. B. in dem im letzten Kapitel angeführten Versuch von Duck die Worte des Lehrers) zu den Bedingungen des psychischen Verhaltens dieser Personen. Die Gleichförmigkeit der Bedingungen des psychischen Verhaltens von Personen und somit die Gleichförmigkeit ihres Verhaltens selbst wird aber offenbar erhöht, wenn (wie z. B. im Versuch von Duck) unter den Bedingungen des Verhaltens solche auftreten, die in gleichem Sinne suggestiv wirken. Das Phänomen der bevorzugtesten, nächstbevorzugten und minder bevorzugten Reaktionen findet sich auch in biologischen Massenuntersuchungen über Reaktionsweisen von Organismen auf bestimmte Reize. Zu den ältesten Untersuchungen dieser Art *) A. Fick, Zeitschrift für rationelle Medizin. N. F. Bd. 4. 1854. S. 120. Abgedruckt in A. Fioks gesammeltes Schriften. Bd. 3. Würzburg 1904. s. 339. 2 ) Vgl. auch W. Et. Heß, Das Prinzip des kleinsten Kraftverbraucha im Dienste härnodynainisoher Forschung. Archiv für Anatomie und Physio- logie. Physiologische Abteilung. Jahrg. 1914. 8. 1 ff. pej ohiaohen Gleichförmigkeit . 61 gehören die von Vitus Graber 1 ) über den Belligkeits- und Farben- Sinn der Tiere, die aber jiueh ibrerseits nicht ohne Vorlauf er sind 2 ). Von den neueren zusammenfassenden Schriften nenne ich die von Ja (jues Loeb 3 ) und H. S. Jennings 4 ). Unter den periodischen DrackBchriften kommt für dieses Gebiet besonders das Journal of Animal Bebavior nebst seinen Ergänzungsheften in Betracht 5 ). m 7?ff • • *\ • : • ■ . * a ßC D E b Bei diesen Untersuchungen wird in der Regel die Frage auf- geworfen, welche Reaktionsbewegungen die Organismen bei der Einwirkung bestimmter Reize vorzugsweise ausführen. Ich gebe hier eine Abbildung nach Th. W. Engelmann wieder, welche die Verteilung von Purpurbakterien in einem mikroskopischen Spektrum zeigt. Die Buchstaben unter der Abbildung bezeichnen Fraunhofersche Linien. Die größte Anzahl der Bakterien sammelt sich im Gebiete der ultraroten Strahlen (links von a); eine zweite Ansammlung finden wir im Gelb (bei D), während nur wenige Bakterien im Grün und Blau (zwischen D und g) 1 ) V. Graber, Grundlinien zur Erforschung des Helligkeit»- und Farbensinns der Tiere. Prag und Leipzig 1884. 2 ) V. Graber, a. a. 0. S. V ff . und S. 3 ff . 3 ) J. Loeb, Der Heliotropismus der Tiere und seine Übereinstimmung mit dem Heliotropismus der Pflanzen. Würzburg 18!)0. 4 ) II. S. Jennings, Das Verhalten der niedere]] Organismen unter natürlichen und experimentellen Bedingungen. Leipzig und Berlin 1910. Vgl. auch F. Lucas, Psychologie der niedersten Tiere. Wien und Leipzig l!'".", and C. Heß, Die Entwicklung von Lichtsinn und Farbensinn in der Tierreihe. Wiesbaden 1914. 5 ) Journal of Animal Behavior, Cambridge-Mass. Founded 1911 und The Behavior Monographs. Gleichfalls Cambridge-Mass. 62 4. Zur Theorie der psychischen Gleichförmigkeit. verstreut sind. In anderen Teilen des Spektrums finden sich, wie die Abbildung lehrt, keine oder fast keine Bakterien 1 ). Den bevorzugtesten, nächstbevorzugten und minder bevorzugten Reaktionen in unseren psychologischen Versuchen am Menschen entsprechen daher hier, wie man sieht, bevorzugteste, zweitbevor- zugte und minderbevorzugte Reaktionsbewegungen von Bakterien. Einige polemische Bemerkungen zur Theorie der psychischen Gleichförmigkeit sollen im 28. Kapitel mitgeteilt werden. 2 ) Nach H. S. Jennings, a. a. 0. S. 53. Knut t ee Kapitel. Gleichförmigkeit und Sprachwissenschaft. Die Untersuchungen über die Gleichförmigkeit der Reaktionen bei Assoziationsversuchen haben auch sprachwissenschaftliches Int. Der Sprachforscher A. Thumb, welcher die erste An- regung zu all diesen Assoziationsversuchen gab, hatte die Idee, daß die Worte, die einander im Sinne der sogenannten Analogie- bildung beeinflussen, auch Beziehungen aufweisen müßten, die -ich durch geeignete Assoziationsversuche zutage fördern ließen. Und die Ergebnisse der oben mitgeteilten Versuche haben diese Ansicht Thumbs in weitem Umfang bestätigt und immer wieder bekräftigt 1 ). Die Sprachen sind so wenig wie die biologischen Arten konstant, sondern sie sind einer durch die Sprachgeschichte nachweisbaren Entwickelung unterworfen. Diese Entwickelung läßt sich unter gewisse Sätze, zu denen auch die sogenannten Lautgesetze gehören, subsumieren. Einer dieser Sätze ist die Regel der sogenannten Analogiebildung, die sagt, daß in den Sprachen gewisse Wortänderungen oder Neubildungen in Analogie zu schon vorhandenen Worten entstehen. Analogiebildung liegt z. B. vor, wenn unsere süddeutschen Dialekte für „Tag" den Plural „Tage" in Analogie zu dem Plural ,, Nächte" bilden. Dementsprechend ist ,, Nacht" die bevorzugteste Reaktion auf ,,Tag", wovon sich jeder durch einige Versuche nach Art der geschilderten Experi- mente leicht überzeugen kann. Es bestehen aber auch andere Beziehungen zwischen Gleich- förmigkeit und Sprachwissenschaft. Wir haben gegen Schluß des vorletzten Kapitels u. a. folgende physiologische Sätze abgeleitet: l ) Vgl. A. Thumb und K. Marbe, Experimentelle Untersuchungen übet die Grundlagen der sprachlichen Analogiebildung. Leipzig 1901. 3. 19 ff. A. Thumb, Indogermanische Forschungen. Bd. 22. 1907/8. S. 37 ff. Vgl. hierzu auch A. Thumb, Germanisch- Romanische Monatsschrift. Jahrgang 1911. B. 05 ff. 64 5. Gleichförmigkeit 1. Wenn bei einer großen Anzahl von Individuen unter be- stimmten physikalischen (d. h. außerhalb der Individuen liegenden) Bedingungen n Bewegungen möglich sind, so stimmen die tatsächlich erfolgenden Bewegungen in weitem Umfang miteinander überein; es gibt bevorzugteste, zweit- bevorzugte und minder bevorzugte Bewegungen. 2. Die bevorzugteren Bewegungen können durchschnittlich schneller ausgeführt werden als die minder bevorzugten. 3. Die bevorzugteren Bewegungen sind durchschnittlich sub- jektiv bequemer als die minder bevorzugten. Wir setzen nun den Fall, wir stellen einer großen Anzahl von Versuchspersonen die Aufgabe, ganz bestimmte Bewegungen aus- zuführen, z. B. einige nicht in einer geraden Linie liegende Punkte einer Ebene mit der Spitze des Zeigefingers zu verbinden. Wir dürfen dann in Analogie zu den eben erwähnten Sätzen aus der Physiologie erwarten, daß die Bewegungen der einzelnen Ver- suchspersonen durchaus nicht genau zusammenfallen und daß die Abweichungen von der vorgeschriebenen Bewegung in bevor- zugteste, zweitbevorzugte und minder bevorzugte verschiedenen Grades zerfallen. Natürlich ist bei diesem Experiment zu bedenken, daß die Änderungen der vorgeschriebenen Bewegung vielleicht nicht einmal bei zwei unter tausend Versuchspersonen zusammen- fallen. Aber die tatsächlichen Bewegungen werden sicherlich ganz analog den Bewegungen der Purpurbakterien im oben beschriebenen Versuch in gewisse gleichwertige Spielräume fallen, so zwar, daß in den einen möglichen Spielraum mehr, in den anderen weniger Bewegungen fallen; es müssen dann als gleichbevorzugt bzw. ver- nachlässigt diejenigen Bewegungen gelten, die in gleiche Spiel- räume fallen. Ferner müssen wir in Analogie zu unseren Sätzen 2 und 3 auch annehmen, daß die bevorzugteren Abweichungen durchschnittlich schneller ausführbar und subjektiv bequemer sind als die minder bevorzugten. Aus diesen sehr elementaren Betrach- tungen ergebei] edch dann folgende neue Sätze: a) Wenn viele Personen anter bestimmten Bedingungen be- stimmte vorgeschriebene Bewegungen ausführen, so stimmen und Sprachwissenschaft. 6f> die tatsächlichen Bewegungen nicht genau miteinander überein. Die Abweichungen von den vorgeschriebenen Be- wegungen zerfallen in bevorzugteste, zweitbevorzugte und minder bevorzugte Änderungen. !>) Die bevorzugteren Änderungen Bind schneller ausführbar als die minder bevorzugten. Die bevorzugteren Änderungen sind durchschnittlich sub- jektiv bequemer als die minder bevorzugten. Wenn nun diese Sätze zutreffen, so müssen sie auch für solche Bewegungen eine Bedeutung haben, die sich im Laufe der Ge- Bchichte nachweislich ändern. Zu diesen Bewegungen gehören .il.er vor allem die Sprechbewegungen. Wir wollen nun versuchen, die Ansichten über die Sprachentwickelung abzuleiten, die sich aus den Sätzen a, b, c und 1, 2, 8 ergeben. Jedem Wort einer bestimmten Sprachgenossenschaft entspricht zu ein und derselben Zeit eine bestimmte, typische, usuelle Sprech- weise, von der sich niemand allzu weit entfernen darf, ohne lächer- lich oder gar unverständlich zu werden. Daß alle Mitglieder einer Sprachgenossenschaft ein bestimmtes Wort ganz crenau deich sprechen, ist ebenso unmöglich, als daß eine große Anzahl von \ ersuchspersonen eine vorgeschriebene Bewegung ganz gleich aus- führt. Der Usus ist nichts anderes als eine Norm, von welcher die Mitglieder der Sprachgenossenschaft mehr oder weniger ab- weichen, wie auch in unserem fingierten Versuch, der zu den Sätzen a, b, c führte, die Vorschrift des Versuchsleiters eine Norm darstellt, der die Versuchspersonen in verschiedenem Grade ent- sprechen. Die Sprachgeschichte lehrt mm, daß sieh der usus im Verlauf der Zeit mehr oder weniger lebhaft ändert. Von allen möglichen Änderungen aber werden ganz im Sinne unseres Satzes a nur ganz bestimmte, allerdings auch wieder nicht identische, sondern nur jii einen bestimmten Spielraum fallende Änderungen bevorzugt werden, welche dann andere mögliche und wohl auch vielfach vorhandene Änderungen verdrangen. Ktfte, J>ie Oleichlör/iiiKkciL in dei Welt. g 66 5. Gleichförmigkeit Da nach den Sätzen b und c die bevorzugteren Änderungen zugleich die schneller ausführbaren und die bequemeren sind, so werden auch diejenigen unter allen möglichen Sprachänderungen bevorzugt und daher usuell werden, welche am schnellsten und am bequemsten ausführbar sind. Hiernach müssen wir annehmen, daß die Neigung oder Tendenz zu bequemeren und schneller aus- führbaren und daher auch de facto schnelleren Bewegungen ein Faktor ist, welcher die Entwickelung der Sprache beeinflußt. Freilich darf man sich die Sache nicht so vorstellen, daß jede Sprache immer und immer bequemer und schneller wird. Schon aus rein physiologischen Gründen gibt es hier natürlich ein Maxi- mum der Geschwindigkeit und ein Optimum der Bequemlichkeit. Auch wäre es ganz falsch, wenn man etwa annehmen wollte, daß jede Sprache in den Anfangsstadien, in denen sie uns bekannt ist, unbequem und langsam, in ihren späteren Entwickelungs- stadien aber bequemer und schneller ist und daß ihre Entwickelung dann abgeschlossen ist, wenn sie das mögliche Maximum der Ge- schwindigkeit und das mögliche Optimum der Bequemlichkeit er- reicht hat. Aber ganz abgesehen davon, daß sich solche Ansichten durch die Sprachgeschichte nicht verifizieren lassen, muß ich nach- drücklich betonen, daß meine Ausführungen , in meinem Sinne aufgefaßt, solche Folgerungen ganz und gar nicht nahe legen. So sicher alle Mitglieder einer Sprachgemeinschaft, die zu- gleich Kaufleute sind, im Laufe der Jahrhunderte bei ihren kauf- männischen Aktionen fortgesetzt danach streben, ihr Vermögen zu vergrößern, so unsinnig wäre es doch, wenn man hieran;- schließen wollte, daß sie im Laufe der Zeit immer reicher und reicher werden, bis ein bestimmtes Maximum des Reichtums erreicht ist. Die Zersplitterung des Vermögens infolge von Erbschaft, die Zunahme der Bevölkerung innerhalb gewisser Epochen und tausend andere wohlbekannte und vielleicht noch mehr unbekannte Bedingungen der wirtschaftlichen Entwickelung machen jene Auffassung einfach unmöglich. Sie wäre nur dann zutreffend, wenn der Reichtum einzig und allein von dem Streben nach Bereicherung abhängig wäre, wjis aber nicht im entferntesten der Fall ist. 'Protz jenem und Sprachwissenschaft. 67 Streben der Kaufleute ist es also infolge der anderen Bedingungen des Reichtums keineswegs wunderbar, daß der Reichtum der einzelnen Kaufleute und der gesamten Kaufmannschaft im Laufe der Zeil bald größer, bald kleiner ist. Unzählige Beispiele dieser Art könnten angeführi werden zur Erläuterung des Satzes, daß kompliziertere Vorgänge niemals von einer oder wenigen, sondern immer von einer Vielheil von Bedingungen abhängig sind. Diese Tatsachen, die wir im ersten Kapitel in anderem Zusammenhang entwickelt halten, zeigen ohne weiteres, daß es eine unzulässige Annahme wäre, die Entwicklung der Sprache ganz ausschließlieh aus dem Streben nach Bequemlichkeit und der parallel gehenden Bevorzugung von Worten, die mit großer Geschwindigkeit ge- sprochen werden können, ableiten zu wollen. Die Zurückführung komplizierter historischer Vorgänge auf eine geringe Anzahl von Bedingungen ist (so ungefähr sagten wir oben) eine notwendige Resignation, aber niemals eine restlose Erklärung. So kann auch eine restlose Erklärung der Sprachverändenmgen aus unseren beiden Prinzipien nicht gegeben werden. Die Sache verhält sich vielmehr so, daß die tatsächlichen Änderungen der Worte einer Sprachgemeinschaft durch eine un- übersehbare Menge von Bedingungen bestimmt werden; zu diesen Bedingungen gehört auch die Neigung der Menschen, soweit es mit ihren Zwecken vereinbar ist, bequemere und schneller aus- fährbare Bewegungen zu bevorzugen. Da nun neben diesen beiden Faktoren noch viele andere für die Entwickelung der Sprache maßgebend sind, so kann die Tatsache, daß das Streben nach bequemen und schnell ausführbaren Bewegungen die Sprach- entwickelung beeinflußt, sehr wohl zu Recht bestehen, ohne daß die Sprachen fortwährend bequemer und schneller werden müssen. Ja es kann ganz gut sein, daß die Sprachen zeitweise infolge anderer, jenen beiden Prinzipien entgegenwirkender Bedingungen längere und unbequemere Worte bilden. Ja rein logisch gesprochen, konnte sogar das Streben nach Bequemlichkeit und schnell sprech- baren Worten zwar vorhanden -ein, die Sprache aber trotzdem infolge anderer Ursachen immer unbequemer und umständlicher werden. 5* 68 ö. Gleichförmigkeit ■-■ Trotzdem aber müssen wir aus unseren Betrachtungen schließen, daß das Streben nach bequemen und mit möglichster Geschwindig- keit sprechbaren Worten die Entwickelung der Sprache beeinflußt. Die hier dargelegten Folgerungen stimmen mit den Ansichten der Sprachforscher in manchen Zügen überein. So betont H. Paul 1 ), daß der Usus zu einer bestimmten Zeit die Sprechtätigkeit niemals vollkommen beherrscht, sondern immer ein bestimmtes Maß in- dividueller Freiheit übrig läßt, daß also die tatsächliche Sprech- weise gegenüber der vom Usus geforderten immer mehr oder weniger verschoben ist. ,, Durch die Summierung einer Reihe solcher Ver- schiebungen in den einzelnen Organismen, wenn sie sich in gleicher Richtung bewegen, ergibt sich als Gesamtresultat eine Verschiebung des Usus." ,, Daneben gibt es eine Menge gleichartiger Ver- schiebungen in den einzelnen Organismen, die, weil sie sich nicht gegenseitig stützen, keinen solchen durchschlagenden Erfolg haben." Die prinzipielle Übereinstimmung dieser Lehren mit unseren Aus- führungen fällt ohne weiteres ins Auge. Daß sich aber eine große Anzahl von Verschiebungen des Usus unbedingt in gleicher Richtung bewegen muß, zeigen unsere Ergebnisse über die bevor- zugtesten Reaktionen bzw. die bevorzugtesten von einer vor- geschriebenen Bewegung abweichenden Änderungen. Freilich sind auch andere Ansichten von Sprachforschern ver- treten worden. So meint Delbrück 2 ), daß eine Neuerung bei x ) H. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte. 4. Aufl. 1909. S. 32. Die wiederholt von W. Wundt (Indogermanische Forschungen. Bd. 28. 1911. 8. 205 ff.) gegebenen Darstellungen der Ansichten Pauls über die allgemeine Entwickelung der Sprache sind gänzlich irreführend. Vgl. dazu II. Paul, a.a.O. S. 62. Wenn Paul a.a.O. 8. 76 meint, meine Bemer- kungen zu seiner Theorie der okkasionellen und usuellen Bedeutungen (K. Ifarbe, Vierteljahrsschril't für wissen schaftliehe Philosophie und Sozio- logie. Jahrg. 30. 1906. S. 493 ff.) seien hinfällig, wenn man unter seinen Kunst- ausdrüeken (Ins verstehe, was er darunter verstanden wissen will, so kann ich d<m nicht Widersprechen. Ich darf aber hinzufügen, daß seine Terminologie», psychische, Verhältnisse, roraussetzt, die meiner Ansieht zufolge nach neueren, insbesondere experimentell festgestellten Krgehnissen der Psychologie nicht. zu Recht bestehen. 2 ) B. Delbrück, Grundfragen der Sprachforschung. Straßburg L90L S. 98. und Sprachwissenschaft. 69 einem einzelnen beginne und sich dann von ihm aus in [minor weitere und weitere Kreist 1 fortsetze. Pen hauptsächlichsten Grund, warum die mehreren die wenigen nachahmen, erblickt Delbrück in dem persönlichen Einfluß der wenigen. Es kann L^ewiß nicht geleugnel werden, daß vielleicht in einzelnen Fällen das isolierte rhalten eine- einzelnen oder weniger von fundamentalem Ein- fluß auf die Sprachentwickelung sein mag. Aber die in den ver- iedensten Gebieten experimentell erwiesene Gleichförmigkeit psychischen Geschehene unter gleichförmigen Bedingungen Bcheinl 'loch darauf hinzuweisen, daß die Ansichten Pauls \n\<\ un- _eiieii das Richtige eher treffen. Die Übereinstimmung des sprachlichen Verhaltens auch voneinander unabhängiger In- dividuen ist jedenfalls ein Faktor der Sprachentwickelung, der nicht übersehen werden darf. Daa Streben nach Bequemlichkeit und Beschleunigung ist oft von Sprachforschern als Faktor der Sprachentwickelung in An- spruch LTenommen worden. F. Max Müller war, seiner Ansicht nach 1 ). ..der erste, der den Lautwandel einem natürlichen Streben nach Sparen von Muskelanstrengung, einer vis inertiae oder deut- licher gesprochen der menschlichen Trägheit" zuschrieb. Diese Trägheit ist nach Müller die vera causa des Lautwandels. Freilich können wir diesen Ausführungen Müllers, wiewohl auch wir das Streben nach Bequemlichkeit für eine Bedingung der Sprachentwickelung und also auch des Lautwandels halten, nicht beipflichten. Was heißt vera causa? Wir müssen uns hier genau an die Ausführungen des ersten Kapitels erinnern, aus denen sich ergibt, daß der Begriff der vera causa in dem hier in Frage -tehenden Sinne den populären Ansichten der Menschen entwachsen ist, daß er aber wegen seines subjektiven Charakters im Gebiet einer objektiven Ursachenforschung, worauf es doch in der Sprach- 2 ) F. M. Müller, Die Wueenachaft der Sprache. Bd. 2. Leipzig 1893. 8. 192. Schon W. v. Humboldt hai abei die Lautver&ndertuig auf die _hcjt <l<-v Sprachorgane und die Veränderung unbequemer Laute zurück- zuführen versucht. Vgl. darüber H. Steinthal, Die sprachphilosophischen Werke Wilhelm v. Humboldts, herausgegeben und erklärt von H. Stein- thal. Berlin 1884. S. 309. 70 5. Gleichförmigkeit Wissenschaft ankommt, nicht am Platze ist. Auch haben wir dort betont, daß die Wirksamkeit von einer oder ein paar Bedingungen die Wirksamkeit anderer Bedingungen nicht ausschließt, weshalb es nicht geraten erscheint, die Bedeutung einzelner Bedingungen gegen die anderer Bedingungen auszuspielen. Wir müssen daher nicht nur die einseitige Betonung des Einflusses der Bequemlich- keit durch F. M. Müller, sondern auch alle jene Theorien ver- werfen, die, wie z. B. die von G. v. d. Gabelentz 1 ), nur wenige Faktoren als Bedingungen der sprachlichen Ent Wickelung in An- spruch nehmen. Übrigens betrachten auch v. d. Gabelentz 2 ) und vor ihm schon G. Curtius 3 ) und viele andere Autoren das Streben nach Bequemlichkeit als eine mehr oder weniger wichtige Bedingung der Sprachänderungen, so auch H. Paul 4 ), der indessen selbst vor der Verwendung nur weniger Erklärungsprinzipien mit Recht nachdrücklich warnt 5 ). Andere haben freilich die Bequemlichkeit als Faktor der Sprachen t wickelung verworfen. Alle Einwände aber, die mir be- kannt wurden, scheinen mir, so berechtigt sie vielfach an sich sind, die Bequemlichkeit in unserem Sinne überhaupt nicht zu treffen. So sagt Delbrück 6 ): „Wenn man in der absteigenden Linie der Generationen einen Fortschritt zu immer größerer Bequemlichkeit findet (und das ist doch die Annahme), so würde man rückschreitend auf immer unbequemere Zustände stoßen und zu der Annahme gedrängt werden, daß unsere ältesten Vorfahren sich das Sprechen erstaunlich unbequem gemacht haben." Man sieht sofort, daß der hier bekämpfte Standpunkt von dem unserigen weil abliegt und daß er auch durch unsere obigen Ausführungen bereits ab- x ) Gr. v. d. Gabelentz, Die Sprachwissenschaft. 2. Aufl. Leipzig 1901. Herausgegeben von A. v. d. Schulenburg. S. 181 ff. 2 ) (L v. (1. (»abolentz, a.a.O. a ) Gr. Curtius, Grundzüge der griechischen Etymologie. 5. Aufl. Leipzig 1870. S. 23: „Bequemlichkeit ist und bleibt der Hauptanlaß des Lautwandels unter allen Linst änden." 4 ) II. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte. 4. Aufl. Halle a. 8. S. 56. 5 ) IL Paul, a. a. 0. S. 59 f. 6 ) B. Delbrück, Einleitung in (las Studium der indogermanischen Sprachen. Leipzig 1904. 8. 157. und Sprachwissenschaft. 71 gelehnt ist. Analoges gilt hinsichtlich der Ausführungen von Sütterlin 1 ), der das Prinzip der Bequemlichkeil als eine Sack- eichnel und dies auf die Tatsache stützt, daß die Sprache auch oft von bequemeren zu anbequemeren Formen übergeht. Daß dieser rmstund die Bedeutung des Bequemlichkeitsprinzips in unserem Sinne oichl tangiert, ist oben direkt gezeigt worden. Ausdrücklich betonen muß ich, daß mich die Einwände meine Auffassung nicht berühren, die gegen das Prinzip der Nachlässig- keit oder das Prinzip der Trägheit im ethisch verwerflichen Sinne erhöhen werden kennen. Dieses Prinzip ist etwas ganz anderes als unser Bequemlichkeitsprinzip. Es wird in dem bekannten Werk von Whitney - Jolly allerdings mit dem letzteren ver- mischt. Dort 2 ) heißt es: „Jede . . . Anstrengung sucht sich der Mensch kraft eines natürlichen Instinkts vom Halse zu schaffen oder doch zu erleichtern: eines Instinkts, den man nach Belieben ak einen Ausfluß der angeborenen Trägheit oder der Sparsamkeit, d. h. des Selbsterhaltungstriebes des Menschen betrachten mag; er fließt in der Tat bald aus der ersteren, bald aus der letzteren Quelle, je nach den Umständen; er ist Trägheit, wenn dadurch mehr verloren als gewonnen wird, weise Sparsamkeit, wenn der Gewinn die Einbuße übersteigt." Man sieht, daß hier die Sprach- änderungen zu einem Teil aus der nachteiligen Trägheit des Menschen erklärt werden, zum Teil allerdings auch aus dem Prinzip der Kraftersparnis, was auf unser Prinzip der Bequemlichkeit hinaus- läuft. Eine ähnliche Verbindung beider Faktoren finden wir bei v. d. Gabelentz 3 ), der einerseits vom Bestreben, Kräfte zu er- sparen, andererseits von jener Trägheit spricht, die dahin neigt, sich auch das Unerläßliche zu erlassen. liehen Auffassungen der Dinge gegenüber mag es wenigstens verständlich erscheinen, wenn W. Wundt 4 ) sagt, sie führten irriger- 1 ) L. Sütterlin, Werden und Wesen der Sprache. Leipzig 1913. S. 33f. 2 ) Die Sprachwissenschaft. W. I). Whitneys Vorlesungen. Bearbeitet and erweitert von J. Jolly. München 1874. S. 105 f. Vgl. dazu A. Leskien, Jenaer Literatnrzeitung. Jahrg. 2. 187ö. s. 98. 3 ) G. v. (I. Gabelentz, a. ;,. 0. 8. 182. *) W.Wund t , Völkerpsychologie. Bd. 1. 3.Aufl. Teil 1. Leipzigl91 1. S.377. 72 5. Gleichförmigkeit weise die normale Entwickelung der Sprache auf das Streben nach Bequemlichkeit zurück, also auf eine Eigenschaft, die bereits der Grenze des abnormen Verhaltens nahekomme. Es ist ohne weiteres klar, daß sich diese Lehre Wundts nur auf die Nach- lässigkeit, Trägheit und Bequemlichkeit im biologisch unzweck- mäßigen und ethisch verwerflichen Sinne, nicht aber auf das Streben nach Bequemlichkeit in unserem Sinne beziehen kann und daß daher unsere Ansichten durch die genannte Wim dt sehe Auf- fassung nicht berührt werden. Wir haben experimentell gezeigt, daß eine größere Anzahl von Versuchspersonen, aufgefordert, eine unter n bestimmten Bewegungen auszuführen, die subjektiv bequemeren Bewegungen bevorzugt, und daraus den Satz abgeleitet, daß auch unter den mög- lichen Änderungen bestimmter Bewegungen die bequemeren Ände- rungen bevorzugt werden müssen. Auch sahen wir, daß sich das von uns experimentell erwiesene Bevorzugen bequemer Bewegungen dem Satz vom kleinsten Kraftmaß, nach dem wir allgemein vor- geschriebene Aufgaben mit möglichst geringer Kraftanstrengung ausführen, aufs beste einordnet. Das Streben nach Bequemlich- keit ist zudem im Sinne unseres Satzes 3 ein allgemeines physio- logisches Verhalten. Dieses Verhalten muß auch, wie oben gleich- falls schon angedeutet, wenn man es schon unter biologischem und ethischem Gesichtspunkt betrachten will, allgemeine Billigung finden. Jede Anstrengung, die zu keinem wertvollen Ergebnis führt, ist einfach deshalb zu verwerfen, weil sie Kräfte absorbiert, die in wertvollerer Weise verwendet werden können. Die Auf- fassung, daß das Streben nach Bequemlichkeit an der Grenze des Normalen liege, gilt also für unsere Auffassung der Dinge durch- atua nicht, man müßte es denn als das normale Verhalten bezeichnen, wenn jemand als Weg in die Kirche den ums Dorf wählt. Abnorm, biologisch unzweckmäßig und ethisch minderwertig handelt der- jenige, der seine Bequemlichkeit höher sieht als andere wertvollere Zwecke, niemals aber derjenige, der einen bestimmten Zweck auf bequemste Weise anstrebt. So werden unsere Ansichten durch Wundts Ausführungen nicht betroffen. und Sprachwissenschaft. /•"» Der Satz, daß »las Streben Dach schnell, also mit großer Ge- Bchwindigkeil Bprechbaren Worten die Sprachentwickelung be- einflußt, L81 den Sprachforschern weniger geläufig als das Be- quemlichkeit8prinzip. Doch Eindei auch er Beine Analoga in der Sprachwissenschaft. So bezeichnet z. B. Brugmann 1 ) größere Sprechgeschwindigkeil als spezielle IVdiiiLninu; bestimmter sprach- licher Neuerungen und F. Sommer hat den Einfluß der Rede- jchwindigkeil auf die Sprachentwickelung nachdrücklich be- tont-'. Audi \Y. Wiiinlt lehrt in Vorlesungen und Büchern seit langer Zeit, daß die Beschleunigung der Rede neue Sprachformen schafft*). \V. Wundi ueigl aber auch sehr der Ansicht zu, daß die Rede Im Laufe der Zeit schneller geworden sei, ohne übrigens Stillstande und retrograde Bewegungen auszuschließen 4 ). L. Sütter- 1 in 5 ) hat an den hier angedeuteten und an anderen konnexen An- sichten Wundts eine scharfe Kritik geübt. Gegen unsere Formu- lierungen des Gescln\ indigkeitsprinzips sind aber alle diese Ein- wände gar nicht gerichtet, da dieses über den faktischen Verlauf der Sprechgeschwindigkeit, woran Sütterlin speziell anknüpft, überhaupt nichts aussagt 6 ). 1 ) K. Brugmann, Vergleichende Laut-, Stammbildungs- und Flexions- lehre der indogermanischen Sprachen. Zweite Bearbeitung. Straßburg 1897. (Bd. 1 von K. Brugmanns und B. Delbrücks Grundriß der vergleichenden Sprachwissenschaft. 2. Bearbeitung.) S. 70. 2 ) F. So in Hier, Kritische Erläuterungen zur lateinischen Laut- und Formenlehre. (Indogermanische Bibliothek. 1. Reihe. 3. Band. 2. Teil). Heidelberg 1914. 8. 8 it. Vgl. auch J. Wackernagel, Altindische Gram- matik. I. Lautlehre. Göttingen 1896. S. 280 f. und F. Stolz, Lateinische Grammatik. Laut- und Formenlehre (in Iwan Müllers Handbuch der Hunnischen Altertumswissenschaft). 4. Aufl. 1910. S. 49. 3 ) Vgl. besonders W. Wundt, Völkerpsychologie. Bd. 1. 3. Aufl. 1. Teil Leipzig 1911, an den im Register unter Tempo der Rede ange- führten Stellen. Unter den Sprachforschern hat A. Thumb wiederholt ii Englische Studien. Bd. 42. 1910. S. 407) die Wund tschen Gedanken anerkannt. 4 ) W. Wundt, a. a. O. S. 600. •) L. Sütterlin, Das Wesen der sprachlichen Gebilde. Heidelberg 1902. S. 38 ff. 6 ) Es sei hier darauf hingewiesen, daß die von uns nicht vertretene Ansicht, daß die Sprache tatsächlich immer schneller wird, in dem Tempo 74 5. Gleichförmigkeit Auch sei noch erwähnt, daß gegen unsere Lehre von der Be- quemlichkeit und Sprechgeschwindigkeit auch nicht eingewendet werden darf, daß Bequemlichkeit und geschwinde Sprechbarkeit insofern relative Begriffe seien, als heute vielleicht manches bequem sei, was unseren Vorfahren unbequem war 1 ), und daß wir heute vielleicht ein Wort a schneller sprechen können als ein Wort b, während bei unseren Vorfahren das Umgekehrte der Fall gewesen sein könne. Unser Maßstab der Bequemlichkeit und schnellen Sprechbarkeit ist natürlich kein absoluter, sondern ein vom Stand- punkt der in Frage kommenden Individuen zu bestimmender. Endlich will ich noch betonen, daß ich nicht das Streben nach Bequemlichkeit und das Streben nach schnell sprechbaren Worten als reale Kräfte oder als sprachliche Mächte oder dgl. aufgefaßt wissen will. Eine solche Betrachtung der Dinge beginge genau denselben Fehler, den wir oben dem Aristoteles vorgeworfen haben; sie würde Ursachen oder Bedingungen als Kräfte in An- spruch nehmen. Wenn wir sagen, die Entwicklung der Sprache der Parlamentsreden eine Stütze zu finden scheint. Vgl. Die Stenographie (im Auftrag des Deutschen Stenographenbundes Gabeis berger heraus- gegeben). 2. Jahrg. 1914. N. 5. S. 34: ,,Sehr schwer ist auch die Frage, wie schnell die Kedner sprechen. Übereinstimmung scheint darüber zu herrschen, daß die Redegeschwindigkeit immer mehr zunimmt. Jedenfalls ist sie über den früher angenommenen Durchschnitt von 250 Silben (in der Minute) ganz wesentlich gestiegen und überschreitet oft die Geschwindigkeit von .'>00 Silben, manchmal ganz wesentlich." J ) Dies betont H. Osthoff, Das physiologische und psychologische Moment in der sprachlichen Formenbildung. Berlin 1879. S. 14 f. (Samm- lung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, herausgegeben von R. Virchow und F. v. Holtzendorff. 14. Serie Berlin 1879. 8. 518f.). Übrigens erkennl auch Osthoff a. a. 0. S. 15 (S. 519) an, daß das unbewußte Streben Dach Kraftersparnis eine große Rolle beiden lautlichen Umwand- lungen in der Sprache spielt. Die seit Osthoff immer wieder ;iiill retenden Spekulationen im [nteresse einer subtilen Unterscheidung über den Anteil (\<s psychologischen und des physiologischen Moments bei der Spraoh- entwickelung würden besser unterbleiben. Im Sinne der modernen positiven Wissenschaft sind alle psychologischen Vorgänge Begleitvorgänge be- stimmter physiologischer Vorgänge und die Sprache ist eine Verbindung vnn Erscheinungen, die einerseits physiologisch and andererseits psychologisch betrachtet werden können und ;im besten unter beiden ( iesiehtspunkten betrachtet werden. iind Sprachwissenschaft. 7."» werde durch daa Streben des Menschen nach bequemeren und Bchnell sprechbaren Worten bedingt, bo beißt «lies für uns lediglich: Unter den Bedingungen der Bprachänderungen finden sieh solche, welche, wenn andere entgegengesetzt wirkende Bedingungen fehlen, von unbequemeren zu bequemeren und von Langsamer zu schneller Bprechbaren Werten führen. Hieraus erhellt auch, daß der Begriff Bedingung hier im zweiten Sinne des Wortes (vgl. Kapitel 1) in Betracht kommt: zu be- quemeren und schneller sprechbaren Worten führend, sind offenbar Merkmale einer ganzen Reihe im einzelnen unbekannter Bedingungen der historischen Sprachveränderungen. Da sich bei den Experimenten über die Gleichförmigkeit der Bewegungen gezeigt hat, daß im allgemeinen die gleichen Be- wegungen als bequemer bezeichnet werden, die auch schneller jgeführl werden können, so wird man vielleicht mit der Möglich- keit rechnen dürfen, daß Streben nach bequemen und Streben nach schnell sprechbaren Worten zwei verschiedene Merkmale für ein und dieselbe Sache sind. Man wird also vielleicht vermuten dürfen, daß wir mit beiden Merkmalen genau dieselben Bedingungen in unserem ersten Sinne des Wortes zusammenfassen. Unbedingt notwendig ist dies freilich nicht, da an sich auch zwei gleich schnell sj »rechbare Worte subjektiv verschieden bequem sein können. Es ist klar, daß es prinzipiell keineswegs ausgeschlossen ist, noch mehr Bedingungen der Sprachentwickelung in dem zweiten Sinne des Wortes Bedingung zu finden. Wenn wir aus den Er- fahrungen der Geschichte der Wissenschaft einen Analogieschluß ziehen dürfen, so müssen wir sagen, daß das Experiment als die hoffnungsvollste Methode zur Erweiterung unseres Wissens in dieser Beziehung erscheint. Ob freilich solche Experimente zum Ziele führen, können keine theoretischen Überlegungen, sondern nur Experimente Belbst entscheiden. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß etwa gelingende Untersuchungen in der angedeuteten Richtung wertvolle Erkenntni — e ober das Werden der Sprache vermitteln könnten, und daß Bchon die Prinzipien der Bequemlich- keit und Schnelligkeit eine wenn auch sehr untergeordnete Ein- 76 5. Gleichförmigkeit sieht in diese Entwickelung in einer ganz speziellen Richtung ge- währen. Auch lassen sich einzelne konkrete Sprachänderungen als Folgen dieser Bedingungen auffassen, wie dies wiederholt von seiten der Sprachforscher geschehen ist. Wir fragen uns nun, ob wir Sätze aus dem Gebiet der Natur- wissenschaften formulieren können, die sich als Parallelsätze zu unseren beiden Sätzen der Bequemlichkeit und Geschwindigkeit erweisen. Dies ist tatsächlich der Fall. Ein solcher Satz ist der folgende: Die Fallbewegung der freifallenden Körper wird durch die Tendenz der Körper, immer schneller und schneller zu fallen, bedingt. Über diesen Satz lassen sich teilweise ganz analoge Betrach- tungen anstellen, wie wir sie über unseren Bequemlichkeitssatz angestellt haben. Er sagt nicht aus, daß alle Körper immer und immer schneller fallen; dies ist ja auch keineswegs der Fall, was man z. B. bei Schneeflocken bisweilen ohne weitere Hilfsmittel beobachten kann. Trotz jenes Satzes wäre es, rein logisch ge- sprochen, sogar denkbar, daß alle Körper immer langsamer und langsamer fallen, wie dies bei einem sehr leichten Körper von sehr großer Grundfläche, der in immer dichtere Luftschichten gerät, tatsächlich der Fall sein kann. Jener Satz sagt nur folgendes : ein Teil der Bedingungen des freien Falles der tatsächlich frei fallenden Körper ist so geartet, daß er an sich zu einer Beschleu- nigung der Fallbewegung führt. Über die tatsächliche Erscheinung des freien Falles sagt unser Satz überhaupt nichts aus. Viele ähnliche Sätze, die unserem Bequemlichkeitssatz und unserem Geschwindigkeitssatz korrespondieren, lassen sich im Gebiet der Naturwissenschaften formulieren, BO z. B. der folgende: Die Temperatur des menschlichen Körpers wird durch die Tendenz gewisser physiologischer Vorgänge, eine konstante Temperatur zu erhalten, geregelt. Auch dieser Satz sagt, daß gewisse ungenannte Vorgänge im Körper so geartet sind, daß sie das Merkmal haben, eine konstante Körpertemperatur zu bedingen. Er sagt nicht, daß die Körpertemperatur immer konstant sei. Sie steigt z. B. hei wachsendem Fieber und sie ist auch im Lehen des Normalen und Sprachwissenschaft. 77 niemals absolut konstant, lud an und für sich Bchließl jener • /. die Annahme, daß bei den Mensehen die Temperatur stets nimmt, durchaus nicht aus, wiewohl diese Annahme freilich eine irrige wäre. Her Satz Bagi nur, daß ein Teil der Bedingungen Organismus so beschaffen ist. daß er im Sinne der Erhaltung einer konstanten Temperatur wirkt. Die beiden zuletzt aus der Naturwissenschaft abgeleiteten Sätze sowie unser Bequemlichkeits- und unser Geschwindigkeits- sind nun wesentlich anderer Art als die Sätze, die in der Physik u\u\ Chemie als Naturgesetze bezeichnet werden. Bei den letzteren Sätzen werden bestimmte, bekannte Bedingungen des Geschehens ihatt gemacht oder ins Auge gefaßt und es wird dargelegt, welches konkrete, genau bestimmte Geschehen unter diesen be- stimmten Bedingungen. stattfindet. Bei den ersteren aber werden verschiedene, mehr oder weniger unbekannte Bedingungen eines bestimmten Geschehens durch ein bestimmtes Merkmal charak- terisiert, ohne daß wir das konkrete Geschehen, das unter dem Einfluß dieser (und anderer) Bedingungen stattfindet, voraus- .• in konnten. Wir kennen die Fallgesetze, wir kennen den Ein- fluß (\c< Luftwiderstandes, des Windes usw. auf die fallenden Körper und wir wissen genau, was unter gewissen bestimmten Bedingungen in concreto geschieht. So können wir, wenn die Fallhöhe und die Beschleunigungskonstante g gegeben sind, genau die Fallbewegung eines Körpers im luftleeren Raum voraussagen und daher hier genau angeben, was unter bestimmten bekannten Bedingungen in concreto stattfindet. Wir haben aber keinen so •i) Einblick in die Bedingungen der Sprachentwickelung und wir sind gänzlich außerstande, vorauszusagen, welche konkreten Sprachänderungen unter- dem Einfluß <\w als Streben nach Be- quemlichkeit oder Geschwindigkeit bezeichneten Bedingungen statt- findet. Ebensowenig können wir aus unseren Sätzen über die Körpertemperatur und die Fallbewegung („Die freifallenden Körper ben die Tendenz, immer schneller und schneller zu fallen") irgendwie feststellen, wie groß die Temperatur eines Menschen r wie beschaffen die Fallbewegung irgend eines frei fallenden 78 5. Gleichförmigkeit Körpers ist. Und wenn wir noch tausend analoge Sätze über die Sprachentwickelung ableiten könnten, so würde sich aus ihnen niemals mit Bestimmtheit sagen lassen, welche tatsächliche Sprach - änderung infolge solcher im einzelnen unbekannter Bedingungen stattfindet. Was de facto geschehen wird, kann man wohl voraus- sagen, wenn man weiß, welche bestimmten Bedingungen obwalten und was unter diesen Bedingungen geschieht, niemals aber wenn man nur weiß, daß gewisse im einzelnen unbekannte Bedingungen neben anderen Bedingungen ein bestimmtes Geschehen beein- flussen. Dazu müßte man eben wissen, welches diese Bedingungen sind, welche anderen Bedingungen noch in Betracht kommen und welche Bedingungen tatsächlich obwalten. So sicher also, wie wir oben sahen, Sätze wie der Bequemlich- keits- und der Geschwindigkeitssatz uns gewisse Erkenntnisse vermitteln, und so sehr es gelegentlich förderlich sein mag, konkrete Sprachänderungen durch das Bequemlichkeitsprinzip und das Streben nach schnell sprechbaren Worten zu erklären, so sind solche Sätze doch von den Naturgesetzen wesentlich verschieden und auch weniger bedeutsam als diese. Schließlich sei noch hervorgehoben, daß wir lediglich der Kürze und Anschaulichkeit wegen unsere bisherigen Betrachtungen immer auf die Veränderungen von W T orten bezogen haben, daß aber natürlich das Bequemlichkeits- und Geschwindigkeitsprinzip, wofern es überhaupt zu Recht besteht, auf alle historischen Sprach- änderungen, also auch auf die syntaktischen, Anwendung findet. Unsere Untersuchungen über die Gleichförmigkeit sind auch geeignet, einiges Licht auf die Lehre von den sogenannten Laut- gesetzen zu werfen. Die Lautgesetze beziehen sich auf den Laut- wandel. Zu ihnen gehören Sätze wie die folgenden: Mittelhoch- deutsches ou wird im Neuhochdeutschen zu au; die einfachen Vokale i, u, iu des Mittelhochdeutschen werden im Neuhoch- deutschen zu et, au, eu (äu) diphthongisiert. Ob Sätze dieser Art ausnahmslos gelten oder ob sie Ausnahmen haben, ist, eine in wissenschaftstheoretischer Hinsieht äußerst einfache Frage, wofern man sieh an den konkreten Wortlaut der Sätze hält. Daß gewisse und Sprachwissenschaft. 70 Lautgesetze von den Sprachforschern ganz offenbar als Sätze die nicht allgemein gültig Bind, angesehen werden, zeigt ohne weiteres ihre Formulierang. Dies ist z. H. bei folgendem Laut- setz der Fall: anbetontes i im Mittelhochdeutschen wird im Neuhochdeutschen vielfach ausgestoßen. Lautgesetze wie die bisher aufgeführten werden öfters als spontane bezeichnet. Daß diese Bezeichnung natürlich nicht so verstanden werden darf, als hätten sich gewisse Laute im Laufe der Sprachgeschichte ganz von selbst und ohne Einfluß irgend- welcher Bedingungen in andere verwandelt 1 ), braucht heute nicht mehr betont zu werden: spontaner Lautwandel ist offenbar nur eine Bezeichnung eines Bolchen Lautwandels, über dessen Be- dingungen wir ganz im unklaren sind. Eine Reihe von anderen Lautgesetzen bezieht sich auf den sogenannten bedingten oder kombinatorischen Lautwandel. Hierher gehören z. B. folgende Sätze: Mittelhochdeutsches a wird im Neuhochdeutschen vor /. ///. n. & zu seh; nach / und r wird mittelhochdeutsches w im Neuhochdeutschen zu b. Der durch solche Sätze angegebene Laut- wandel erscheint, wie die Sätze selbst andeuten, durch bestimmte Laute bedingt. Auch die Präge nach der Ausnahmslosigkeit solcher Sätze isl eine einfache Tai.-achenfrage ohne logische Schwierig- keit, sofern man auch hier die Sätze wörtlich versteht. An und für sich isl es offenbar ebensogut möglich, daß irgend ein Laut- etz Ausnahmen erleidet, als daß es keine erleidet. Die tatsäch- lichen Erjiebiii.-.-e der Sprachwissenschaft aber lehren, daß von riner Ausnahmslosigkeil aller Lautgesetze keine Kede sein kann, immer natürlich vorausgesetzt . daß man unter Lautgesetzen die Sätze versteht und wörtlich in Betracht zieht, die man eben ak Lautgesetze bezeichnet. Ander.- heut freilich die Sache, wenn man die Frage nach der Ausnahmslosigkeil der Lautgesetze mit der I'Yage nach dem gesetz- l ) VgL hierzu E.Wechssler, Forschungen zur romanischen Philologie. Pestgabe für H. Suchier. Halle a. S. 1900. S. 427 f. Der Aufsatz von Wechnsler (Gibl et Lautgesetze?) erschien auch separat. Halle a. S. 1900. (VgL s. 70 f.) 80 5. Gleichförmigkeit mäßigen Verlauf des Lautwandels vermengt oder verwechselt, was indessen höchst unzweckmäßig ist. Selbstverständlich er- leidet die durchgängige Gesetzmäßigkeit im Sinne der naturwissen- schaftlichen Funktionssätze auch in der Sprache und auch inner- halb des Lautwandels keinerlei Ausnahmen. Wenn man endlich heute meistens die Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze behauptet, so meint man damit nicht die ausnahms- lose Gültigkeit der als Lautgesetze bezeichneten Sätze, sondern die ausnahmslose Wirksamkeit der durch die Lautgesetze fest- gestellten Bedingungen des sprachlichen Geschehens innerhalb jenes Tatsachengebiets, auf das sich die Lautgesetze beziehen. Es liegt zunächst nahe, die Gesetze des bedingten Lautwandels als Sätze aufzufassen, die auf eine kausale Bedingung des in ihnen beschriebenen Lautwandels hinweisen, da sie ja allgemein Be- dingungen namhaft machen, unter denen der fragliche Lautwandel eintritt. An und für sich ist es fraglich und nur durch sprachwissen- schaftliche Erfahrungen entscheidbar, ob diese Betrachtung der Dinge die richtige ist. Denn nicht alles, was man Bedingungen nennt, sind Bedingungen im Sinne von kausalen Bedingungen. Als Bedingungssätze (hypothetische Urteile) gelten in der Logik z. B. auch Sätze wie die folgenden: Jedesmal wenn es Nacht war, wird es nachher wieder Tag; als Peter heute aufstand, schlug die Uhr halb zehn. Offenbar aber ist weder die Nacht eine kausale Bedingung des Tages, noch das Aufstehen Peters eine kausale Bedingung des Schiagens der Uhr. So könnte an sich auch wohl l, m, n, w vor mittelhochdeutschem s als eine Bedingung des dann im Neu hochdeutschen entstehenden seh bezeichnet werden, ohne daß es deshalb eine kausale Bedingung im Sinne unserer Lehre von den Bedingungen im ersten Kapitel sein müßte. Wenn aber alle kombinatorischen Lautgesetze auf kausale Bedingungen und nicht nur auf äußerliche Bedingungen im Sinne unseres Tag-Nacht- Beispieles hinweisen, so is1 die Auffassung entschieden diskutabel, daß in diesen Lautgesetzen genannte Bedingungen auch dort in Betracht kommen, wo sich Fälle aufzeigen lassen, die dem Wort- laut des fraglichen Lautgesetzes widersprechen. In diesem Sinne und Sprachwissenschaft. 81 kann man vmi der A.usnahmslosigkei1 der bedingten Lautgesetze reden; viel weniger irreführend ist es aber, Btati A-usnahmslosig- krit ein anderes weniger mißverständliches Wort zu wählen, wie etwa den von Paul 1 ) bevorzugten Ausdruck: Konsequenz der Lautgesetze. Genau genommen* handelt es sich freilich auch nicht nm die Konsequenz von Lautgesetzen, sondern um die konsequente Wirkung gewisser bei Lautgesetzen in Betracht kommender Be- dingungen. Auch die spontanen Lautgesetze können an sich als Sätze, die nichts über kausale Bedingungen aussagen, oder als Sätze, die auf Bolche kausalen Bedingungen hinweisen, aufgefaßt werden. Der Satz ..Mittelhochdeutsches ou ist im Neuhochdeutschen zu an geworden" kann dem Satz „auf alle Nächte folgen Tage" parallel •rlh werden, er kann aber auch so aufgefaßt werden, daß ou /. allgemein infolge irgendwelcher unbekannter kausaler Wirk- ikeit des ou die Tendenz hat, zu au zu werden, und daß diese Tendenz auch dann in Betracht käme, wenn sich in irgend einem Fall zeigen Ließe, daß ou nicht zu au wurde. Ist diese Auffassung richtig, so isl das Lautgesetz „Mittelhochdeutsches ou wird zu aw" „ausnahmslos" oder besser gesagt „konsequent" gültig oder viel- mehr ein Satz, der auf konsequent wirksame Bedingungen hinweist. Ob eine Konsequenz der Lautgesetze in dem angedeuteten Sinne tatsächlich besteht, ist natürlich lediglich auf Grund empi- rischer Sprachuntersuchungen zu entscheiden. Sehr wohl möglich wäre es natürlich auch, daß einzelne Lautgesetze konsequent, andere, vielleicht solche, die sich auf den sogenannten sporadischen Lautwandel beziehen 3 ) und die man vielleicht besser nicht als eigentliche Lautgesetze bezeichnet, nicht konsequent sind. Die Sprachforscher der Gegenwart halten wie Paul 3 ) meistens am Prinzip der Konsequenz der Lautgesetze fest. *) II. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte. 4. Aufl. Halle a. 8. 1909. 8. 67 ff. 2 ) VgL hierzu Wechssler a.a.O. 8. 407 f. (Im Separatabdruck 8. 59 f.) 3 ) II. Paul, a. a. 0. 8. 67 ff . Paul nimmt an, daß die durch die Laut - rze indizierten Faktoren der Spraehentwickelung unter allen Um- Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt. 6 82 5. Gleichförmigkeit Jedenfalls beziehen sich alle Lautgesetze ihrem Wortlaut zu- folge auf Gleichförmigkeiten des Geschehens oder, wie Paul sich ausdrückt, auf Gleichmäßigkeiten innerhalb einer Gruppe be- stimmter historischer Erscheinungen 1 ). Diese Gleichförmigkeiten verdanken genau wie die experimentell ermittelten Gleichförmig- keiten ihren Ursprung der Gleichförmigkeit der einschlägigen Bedingungen. Dabei ist natürlich nicht zu übersehen, daß nicht nur die Lautgesetze, sondern auch alle anderen allgemeinen Tat- sachen der Sprachentwickelung, wie z. B. die Analogiebildungen, als Gleichförmigkeiten infolge ähnlicher Bedingungen zu betrachten sind. Daß solche Tatsachen und auch die Lautgesetze nicht in allen Sprachen gleich sind, hängt mit der Verschiedenheit der Bedingungen der Sprachänderungen in den verschiedenen Sprach- gemeinschaften zusammen. Daß aber andererseits, wie wir im zweiten Kapitel durch eine Reihe von Beispielen bewiesen haben, selbst Sprachen, die gar nicht miteinander verwandt sind, über- raschende Gleichförmigkeiten der Entwicklung zeigen, beruht darauf, daß die Bedingungen der Entwickelung der verschiedensten Sprachen, wie verschieden sie auch sein mögen, doch überein- stimmende Züge aufweisen müssen. Wenn nun auch die sogenannten Lautgesetze auf gewisse möglicherweise kausale Bedingungen der Sprachentwickelung und auf Gleichförmigkeiten innerhalb derselben hinweisen, so können sie doch ebensowenig wie unser Bequemlichkeitssatz auf den Rang von Naturgesetzen im üblichen Sinne Anspruch erheben. Denn auch sie lehren nicht wie die Naturgesetze, was schlechthin uiilcr bestimmten Bedingungen tatsächlich geschieht, sondern sie zeigen, was innerhalb eines bestimmten Tatsachengebietes stattfindet, da ja zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Sprachen verschiedene Lautgesetze gelten. Freilich erscheint es nicht a priori ausgeschlossen, daß neue Untersuchungen uns Lehren, at&nden wirksam sind und nur durch andere Faktorei) paralysier! werden können. So ;i. ;i. O. S. 70. — Zur Präge des Wesens der Lautgesetze Vgl. auch die hei Wechssler und Paul a.a.O. s. 68 zitierte Literatur. ] j II. Paul, a. a. 0. B. 68. und Sprachwissenschaft. s:$ was für konkrete Veränderungen die Sprache notwendig allerorts and iu jeder Zeil anter bestimmten Bedingungen erleiden muß. Sollten solche Untersuchungen wirklich in exakter Weise gelingen, so würde man allerdings im Gebiete der Sprachwissenscbaft zu Sätzen fortschreiten, die geradezu als Naturgesetze in Anspruch genommen werden könnten. Schon vor vielen Jahren hat mir der Sprachforscher A. Thumb die Ansicht unterbreitet, es müßte sich in concreto der Kiniluß der Geschwindigkeit des Sprechens auf die Veränderungen der Sprache experimentell feststellen lassen. Thumb nieinte, daß die gesprochenen Silben und Worte infolge Vergrößerung des Sprechtempos ganz bestimmte Veränderungen erleiden müßten, die durch das Experiment feststellbar wären. Sollte es gelingen im angedeuteten Sinne zu verfahren, und sollte sich zeigen lassen, daß auch die Einführung anderer Bedingungen generell ganz bestimmte notwendige Veränderungen bewirkt, so würde die Sprachwissenschaft, die freilich in gewissem Sinne eine eminent historische Disziplin ist, dadurch noch mehr, als es heute der Fall ist, der Naturwissenschaft angenähert werden. Wie weit man auf diesem Wege kommt, kann freilich nur die Erfahrung entscheiden. Sechstes Kapitel. Über Gleichförmigkeit, Geschichtswissenschaften und Soziologie. Ein sehr wichtiges Gebiet der modernen angewandten Psycho- logie ist die Psj^chologie der Zeugenaussagen. Sie ist nicht nur für die Rechtswissenschaft, sondern auch für die Geschichte von größter Bedeutung, da sie lehrt, daß die Zeugenaussagen auch beim besten Willen des Zeugen nicht nur vom Tatbestand, sondern auch von psychologischen Faktoren abhängig sind, die in vielen Fällen den Tatbestand verschleiern müssen 1 ). Für den Gegen- stand des vorliegenden Buches ist es von besonderer Wichtig- keit, zu betonen, daß die im dritten Kapitel diskutierte Tatsache der Übereinstimmung falscher Zeugenaussagen auch für den Histo- riker wichtig ist. Die Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens unter gleichförmigen Bedingungen tritt eben auch in den für den Historiker bedeutsamen übereinstimmenden Zeugenaussagen zutage und sie führt, wie wir im dritten Kapitel sahen, vielfach zu gleichen, aber falschen Aussagen. Werden mehrere Zeugenaussagen auch noch, wie z. B. in den Versuchen von Kosog, in bestimmter Rich- tung suggestiv beeinflußt, so wird die Gleichförmigkeit der Aussage noch größer und die historische Verwertbarkeit noch geringer. Letztere Tatsache wird auch von Le Bon betont, der freilich viel- leicht allzu übertriebene Konsequenzen aus ihr zieht 2 ). Die Lehre von der Übereinstimmung unmittelbar voneinander unabhängiger, aber falscher Zeugenaussagen, die neuerdings besonders von 1 ) Vgl. K. Marbe, Grundzüge der forensischen Psychologie. München 1013. S. 23 ff. und S. 115 ff. 2 ) Gr. Le Bon, Psychologie der Massen. Deutsch von K. Eis ler. 2. Aufl. Leipzig 1912. S. 29 f. Über Gleichförmigkeit, GfeeohiohtBwiisensohafteii und Soziologie. 85 Da Tiber 1 ) geförderl wurde, dürfte, besonders wenn sie weiter verfolg! wird, auch die historische Methodik fruchtbar beeinflussen. Auch in anderer Beziehung ist das Gleichförmigkeitsproblem für die Geschichtswissenschaften bedeutsam. Denn die Gleich- förmigkeil infolge gleichförmiger -Bedingungen zeigt sich auch in der menschlichen Kultur, deren Entwickelung darzustellen, der vornehmste Gegenstand der Geschichtswissenschaften ist. Schon im zweiten Kapitel haben wir eine Reihe von Gleichförmigkeiten der Kulturerscheinungen namhaft gemacht, die ihren Ursprung der Gleichförmigkeil ihrer Bedingungen verdanken. So sprachen wir von der Gleichförmigkeit der Städte, von übereinstimmenden Zügen in den religiösen Ansichten verschiedener historisch von- einander unabhängiger Völker, von ähnlichen oder gleichen, aber voneinander unabhängigen literarischen Produkten, Entdeckungen und Erfindungen und von analogen Gleichförmigkeiten im Gebiet der Kunstgeschichte und im Gebiet der Sprachwissenschaft. Auch haben wir im vierten Kapitel gezeigt, daß die alten Römer, die Deutschen und die Einwohner von Alabama in ganz heterogenen I m bieten unabhängig voneinander dieselben Neigungen hinsicht- lich der Bevorzugung von Zahlen an den Tag legen. Im fünften Kapitel haben wir die Lautgesetze und alle anderen allgemeinen Tatsachen der Sprachwissenschaft als Gleichförmigkeiten infolge gleichförmiger Bedingungen in Anspruch genommen. Daß im Gebiet der Kultur die Gleichförmigkeit des Geschehens infolge gleichförmiger Bedingungen im weitesten Maße besteht, ließe sich in der Tat durch unzählige weitere spezielle Tatsachen erhärten. Ich erinnere zunächst noch an die Erfindung des Prinzips der Infinitesimalrechnung durch Newton und Leibniz, an die Erfindung des Stroboskops durch Plateau und Stampfer, an die Labyrinththeorie des statischen Sinnes von Mach, Breuer und Cnim Brown 2 ), an ähnliche Züge in den Evangelien und 1 ) J. Dauber, Fortschritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd. 1. 1913. S, 83 ff. 2 ) Vgl hierzu W. Peters, Archiv für die gesamte Psychologie. Bd. 5. \ ( .X)r>. Literatlirbericht 8. 64. 86 6. Über Gleichförmigkeit, vielen nichtchristlichen Religionen 1 ) und speziell an die Überein- stimmungen im Mithraskultus und im Christentum 2 ). Die oben erwähnte experimentell fundierte Erhöhung der Gleichförmigkeit infolge der Suggestion findet in der Geschichte gleichfalls viele Analoga. Hierher gehören die Tanzwut im Mittel- alter, die sogenannten religiösen Epidemien in Rußland, die Tulpo- manie, die Paniken und unzählige andere teilweise besonders in Kriegs- und Revolutionszeiten leicht zu beobachtende Massen- erscheinungen. Daß auch die Gleichförmigkeit des wissenschaft- lichen Denkens, der Welt- und Lebensauffassungen, der politischen Ansichten usw. durch die wechselseitige Suggestion gesteigert wird, liegt auf der Hand, wie denn auch die geistige Entwickelung des einzelnen Menschen durch beabsichtigte und unbeabsichtigte suggestive Einwirkungen von seiten der Mitmenschen wesentlich bedingt wird. Man denke nur z. B. an die suggestive Einwirkung der Autoritäten, der wir vielleicht alle mehr oder weniger unter- worfen sind. Aber freilich darf man nicht alle geistigen Einflüsse der Menschen aufeinander als suggestive betrachten. Die historische Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens infolge gleichförmiger Bedingungen ist den Autoren nicht ver- borgen geblieben. Als ein Ausfluß dieser Erkenntnis können schon gewisse Betrachtungen des Pia ton, des Aristoteles und des Polybius gelten. Piaton nimmt in den ,, Gesetzen" 3 ) an, daß sich die Geschichte der Menschheit stets von neuem abwickle, da die Kultur durch Überschwemmungen, Seuchen und andere Ereignisse immer wieder vernichtet würde. Auch bei ihm findet sich also die allgemein ver- breitete Lehre von der ,, Sintflut" ; auch bei Pia ton finden wir *) C. Clemen, Religionsgeschichtliche Erklärung des Neuen Testa- ments, ließen 1909. S. 1 f. 2 ) A. Harnack, I)i<- Mission und Ausbreitung des Christentums. 2. Aufl. Bd. 2. S. 270 ff. Leipzig 1906. — F. Boll, Die orientalischen Religionen. Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Nr. 16. 8. 120. München 1908. ! ) Piatons Gesetze. Buch III. 676 äff. Vgl auch Timaeus 22 c ff . Vgl. hierzu II. Henkel. Studien zur Geschichte der griechischen Lehre vom Staat. Leipzig L872. S. 72 f. GfoeohiohtswissensohafteD und Soziologie, 87 ako die Kehrt' von der Wiederkehr der Kulturvernichtung, also die später noch ausführlicher zu behandelnde Lehre von der Wieder- kehr des Gleichen. Hinsichtlich des Ablaufs der Verfassungen nach dem letzten Weltuntergang, der infolge von Überschwemmung stattgefunden haben soll, lehrt er folgendes: l>ie Geretteten leben zunächst als Hirten and Jäger auf dem Gebirge in sittlicher Rein- heit und einfachsten Verhältnissen unter der väterlichen Herrschaft der Altesten. Diese Periode können wir als Piatons Lehre vom goldenen Zeitalter bezeichnen. Die Ansicht vom goldenen Zeit- alter und der alten goldenen Zeit ist auch außerhalb des Griechen- tums weit verbreitet. Die erste patriarchalische Regierungsform dieses Zeitalters nennt Pia ton Dynastie. Später treten die Mensehen 7,11 größeren Gruppen zusammen. Sie bebauen die Abhänge der Berge. In dieser Zeit entsteht die 9etzgebung und im Zusammenhang mit ihr entwickelt sich aus der Dynastie die Aristokratie und das Königtum. Später verbreiten sieh die Ansiedlungen der Menschen weiter in die Ebene und bis ans Meer. Auf dieser Stufe beginnen die Kriege, die Revolutionen, die Demokratie. Für die Betrachtung der folgenden Periode schließt sich IMaton unmittelbar an den Fall Trojas und die griechische Ge- Bchichte an. Ganz wie Auguste Comte in seinem berühmten Gesetz von den drei Stadien bekanntlich keineswegs jedes der einzelnen drei Stadien an allen Orten und in allen Gebieten der Wissenschaften gleichzeitig beginnen läßt, so sind auch die politischen Perioden Piatons Entwickemngsphasen, die keineswegs allerorts in gleichem Tempo verlaufen müssen. 80 lehrt er z. B., daß die Dynastie aus der ersten Periode sich noch zu seinen Lebzeiten bei Griechen und Barbaren erhalten habe. Aristoteles läßt in der Politik 1 ) Königsherrschaft, Aristo- kratie. Oligarchie, Tyrannis, Demokratie aufeinander folgen. l ) AriHtotelen' Politiea. III. 1280 b li— 22. Ähnlich Politiea IV. 1297 b 16 — 28. (Zitate nach der AiiHgabc der Berliner Akademie. Berlin 1831 88 6. Über Gleichförmigkeit. Ähnliche Ansichten finden wir bei Polybius. Er läßt zuerst die Alleinherrschaft (,, Monarchie") entstehen. Auf sie folgt das Königtum. Wenn dies in Tyrannis umschlägt, so erwächst die Aristokratie, die in Oligarchie ausartet. Wenn dann das Volk im Zorne die Verbrechen seiner Vorsteher ahndet, so entsteht die Demokratie, die dann in die Ochlokratie übergeht 1 ). Auf sie folgt wieder die Monarchie. Dies ist nach Polybius der Kreislauf der Verfassungen und die Ordnung der Natur, kraft welcher die Ver- fassungen sich ändern und wieder in sich selbst zurückkehren 2 ). Diesen Turnus der Verfassungsformen führt Polybius auf die (überall gleichen) Eigenschaften und Verhaltungsweisen der Men- schen zurück, wie schon die eben mitgeteilte Bemerkung über die Entstehung der Demokratie lehrt und wie im einzelnen aus dem Text des Polybius deutlich ersichtlich ist 3 ). Auch bei Aristoteles und Pia ton finden sich analoge Begründungen ihrer Lehren, wiewohl Aristoteles' Ansichten hier wie fast überall im Gebiet der Staatslehre viel mehr auf historische Erfahrungen gegründet sind, als die Spekulationen Piatons. Bei och 4 ) betrachtet die aristotelische Theorie der Staats- verfassungen als die bedeutendste Leistung, welche die vergleichende Geschichtswissenschaft kennt. Unsere Aufgabe ist es nicht, zu entscheiden, inwieweit die Ansichten des Aristoteles oder des Polybius historisch richtig und bedeutsam sind. Jedenfalls zeigen sie, daß schon die griechischen Historiker (auch Aristoteles dürfen wir hier als Historiker in Anspruch nehmen) die Gleich- förmigkeit des historischen Geschehens infolge gleichförmiger Be- dingungen gekannt haben. Auch später finden sich ähnliche An- sichten vielfach. So deduziert G. B. Vico (1068 — 1744), einer der bedeutendsten Geschichtsphilosophen, der auch vielfach als Begründer der Völker- ») Polybius VI, 4. ») Polybius VI, 1) 10 . ■■) Polybius VI, 4 bis 9. 4 ) K. .J. Belooh, Griechische Geschichte. Bd. I. Erste Abteilung. Straßburg 1912. B. 6. Geschichtswissenschaften und Soziologie. 89 peychologie angesehen wird, in seinem Hauptwerk 1 ) die historische]] Gleichförmigkeiten ans der gemeinsamen Natur des Mensche n- Kshlechts 1 ). Unter seinen auf diese Gleichförmigkeil bezüglichen Sätzen Beien die folgenden genannt: „Die Menschen nehmen zuerst das Notwendige wahr; dann achten rie auf das Nützliche; darauf Buchen sie das Bequeme; Bpäter erfreuen sie Bich an dem Angenehmen; schließlich gehen sie sieb der Schwelgerei hin und enden in sinnloser Vergeudung ihrer Reichtümer 8 )." ..Die Menschen liehen es, von der Unterwerfuno; auszugehen und begehren die Gleichheit. Das sind die Plebejer in den aristo- kratischen Republiken, welche schließlich zu Volksregierungen werden. Dann bemühen sie sich, die ihnen Gleichberechtigten auszustechen. Das sind die Plebejer in den Volksregierungen, die zu Oligarchien degeneriert sind. Schließlich fügen sie sich 1 »lindlings den Gesetzen. Das ist die Zeit der schlimmsten Tyran- neien ; denn jeder verwegene Kopf kann zu einem Tyrannen werden, bifi das Volk durch seine eigenen Leiden aufgeklärt sich unter die Monarchien flüchtet 4 )." — Diese Sätze hängen, wie man sieht, innerlich mit den geschilderten Ansichten des Aristoteles und des Polybius zusammen. Voltaire 5 ) schreibt: ,,Da die Natur überall dieselbe ist, so mußten die Menschen auch notwendigerweise überall dieselben Wahrheiten und dieselben Irrtümer annehmen bezüglich derjenigen Erscheinungen, welche am meisten der Wahrnehmung auffallen and am stärksten die Phantasie aufregen. Sie mußten deshalb das Krachen und die Wirkung des Donners der Macht eines höheren 1 ) Gr. B. Vi <-o. Principj di nna Bcienza nuova usw. 1. Aufl.: Napoli JTl'.V Später«- vom Auter redigierte Auflagen: 1730 und 1744. Deutsche Ausgabe von W. E. Weber. Leipzig 1822. 2 ) VgJL 0. Klemm, <;. B. Nico als Geschichtsphilosoph und Volker- psyrholog. Leipzig 1906. S. 61. 3 ) Zitier! nach 0. Klemm, a.a.O. B. 99. 4 ) Zitiert Dach 0. Klemm, a.a.O. 8. lOOf. Voltaire, Essai »tu les moeurs et l'espril desnations. lutroduction Vi. (Oeuvres eompletes de Voltaire. Nouvelk edition. Bd. ll.) Paris 1878. 8. 15 f. <)0 6. Über Gleichförmigkeit, Wesens zuschreiben, das in den Lüften wohnt. Die dem Ozean benachbarten Völker, indem sie die großen Meere ihre Ufer bei Vollmond überfluten sahen, haben glauben müssen, daß der Mond die Ursache von allen den Ereignissen sei, welche sich in der Welt während der Zeit seiner verschiedenen Phasen zutrugen. In ihren religiösen Zeremonien wandten sich fast Alle nach Osten . . . und verliehen der Sonne fast sämtlich ein menschliches Antlitz, welches -ich vor ihren Augen erhob." Schiller sagt in seiner akademischen Antrittsrede „Was heißt und zu welchem Zweck studiert man Universalgeschichte?" folgendes: „So würde denn unsere Weltgeschichte nie etwas anderes als ein Aggregat von Bruchstücken werden und nie den Namen einer Wissenschaft verdienen. Jetzt also kommt ihr der philo- sophische Verstand zu Hilfe, und indem er diese Bruchstücke durch künstliche Bindungsglieder verkettet, erhebt er das Aggregat zum System, zu einem vernunftmäßig zusammenhängenden Ganzen. Seine Beglaubigung dazu liegt in der Gleichförmigkeit und un- veränderlichen Einheit der Naturgesetze und des menschlichen Gemüts, welche Einheit Ursache ist, daß die Ereignisse des ent- ferntesten Altertums, unter dem Zusammenfluß ähnlicher Um- stände von außen, in den neuesten Zeitläuften wiederkehren; daß also von den neuesten Erscheinungen, die im Kreis unserer Be- obachtung liegen, auf diejenigen, welche sich in geschichtlosen Zeiten verlieren, rückwärts ein Schluß gezogen und einiges Licht verbreitet werden kann. Die Methode, nach der Analogie zu schließen, ist, wie überall, so auch in der Geschichte ein mächtiges Hilfemittel 1 ).'' Dilthey 2 ) sagt: „Das natürliche Problem, welches aus der gegenwärtigen Lage unserer Wissenschaften entspringt, den ge- schichtlichen Wissenschaften eine strengere wissenschaftliche Grund- lage zu geben, ruft an den verschiedensten Punkten, in ganz ver- *) Schillers Sämtliche Werke. S&kularailflgabe. Stuttgart und Berlin (ohne Jahreszahl). Bd. L3. B. 19 f. 2 ) W. Dilthey, Dafl Erlebnis und die Dichtung. 4. Aufl. Leipzig und Berlin 1013. S. 303. (Die erste Auflage des Werkes erschien 1906.) (JeschicIltswissenBohaften und Soziologie, 91 BchiedeneD Ländern, völlig anabhängig voneinander, verwandte Löeung 8veT8U Che hervor. Von vielen, die heute noch nicht über diese Frage das Wort ergreifen, sind doch mich solche Versuche vielfach erwogen worden. Wenn jemand mit einem LösungS versuch heraustritt: BO wäre sehr unbillig, seine Gedanken als Altwande- humen. Umgestaltungen der von anderen oeäul.vrten zu be- handeln.' 1 Die Gleichförmigkeit der Kulturtatsachen infolge gleich- förmiger Bedingungen ist auch für das Gebiet der Ethnologie betont worden. Am stärksten hat wohl A. Bastian diesen Ge- Bichtspunkt hervorgehoben und verwertet 1 ). Dies geschah schon 1868 in Bastians Buch ,, Beiträge zur vergleichenden Psycho- logie*, das mit folgenden Worten beginnt: „Aus gleichartigen Ursachen gehen gleiche Wirkungen hervor, wenn immer diese Ursachen zu Wirkungen werden, und die Manifestationen der Naturgesetze müssen stets dieselben bleiben, so lange unsere Natur fort fährt, denselben Gesetzen unterworfen zu sein 2 )." Der Völkergedanke, der Elementargedanke, das sind die hauptsachlichsten Schlagworte, mit denen Bastian und seine Anhänger die zu gleichförmigen Ergebnissen führenden gleich- förmigen Bedingungen bezeichnen, wobei freilich als gleichförmige Bedingungen zunächst die bei allen Völkern wiederkehrenden, zu den gleichen Schöpfungen führenden geistigen Anlagen oder Vor- gänge in Anspruch genommen werden, zu denen dann der Einfluß dea Milieus hinzutreten kann. In diesem Sinne sagt Eisenstädter, Bastians Grundansichten über die Elementargedanken 3 ) wieder- gebend: ,, Bastian meint: Wenn wir bei den verschiedensten 1 ) Ähnliche Ansichten finden sich auch bei A. v. Humboldt, J. C. Prichard und E. B. Tylor. ('her diese Autoren vgi die lehrreiche Er- langer philosophische Dissertation von .J. Eisenstadter: Elementar- L'edanke und ('hertra^un^stheorie in der Völkerkunde. 1912. 8. 2 ff . 2 ) A. Bastian, Beitrage zur vergleichenden Psychologie. Berlin 1868. s III. 3 ) Diese Grrundansichten sind vornehmlich niedergelegl in der für unser Problem fundamentalen Schrift A. Bastians: Der Y'ölkergedanke im Aufhau einer Wissenschafl \om MeriKehen. Berlin 1881. 92 6. Über Gleichförmigkeit, Völkern, die räumlich getrennt sind und keine Rassenverwandt- schaft miteinander haben, immer wieder auf die gleichen Er- scheinungen in den verschiedensten Gebieten der menschlichen Kultur stoßen, so ist als erster und vornehmster Grund für diese Analogien die Gleichartigkeit der menschlichen Psyche zu denken. Tritt zu dieser elementaren geistigen Verfassung, die überall die- selbe ist, noch eine gewisse Gleichartigkeit der äußeren Umstände, des , Milieus', so ist es vollkommen erklärlich, wenn Völker, die sonst gar nichts voneinander wissen, dennoch auf Grund derselben Ideenverbindungen zu den nämlichen Denkschöpfungen, Er- findungen, sozialen Einrichtungen usw. gelangt sind. Diese ele- mentaren Ideen, die überall zu den nämlichen Schöpfungen ge- führt haben, bezeichnet unser Autor als Völkergedanken 1 )." Schließlich kann die ganze pragmatische, d. h. die lehrhafte Geschichtsauffassung, die auf Thukydides 2 ) zurückgeführt wird, für die Lehre von der historischen Gleichförmigkeit infolge gleich- förmiger Bedingungen in Anspruch genommen werden. Denn an die Möglichkeit, aus der Geschichte zu lernen, kann doch nur derjenige denken, der annimmt, daß frühere historische Kon- stellationen in ähnlicher Weise wiederkehren und daß auch in der Geschichte die gleichförmigen Wirkungen gleichförmiger Bedin- gungen in die Erscheinung treten. Bemerkt sei übrigens, daß sich der Gedanke, daß man den Lauf der Dinge aus der Geschichte im großen und ganzen bestimmen könne, auch bei Shakespeare findet. Er sagt in Heinrich IV. (2. Teil, 3. Akt, 1. Szene): Geschichte ist das Leben aller Menschen, Abbildend der verstorbnen Zeiten Art: Wer sie beachtet, kann, zum Ziele treffend. Der Dinge Lauf im ganzen prophezei'n, Die angeboren noch, in ihrem Sinnen Und schwachem Anfang eingeschachtelt ruhn, 1 ) J. Eisenstädter, Elementargedanke und Ubertragungstheorie in der Völkerkunde. Erlanger philosophische Dissertation. 1912. 8. 9f, 2 ) Thukydides. Buch I. Kapitel 22. Gtesohichtswissensch alten und Soziologie. 93 Doch ausgebrütet werden von der Zeit. Auf dies notwendige (iesetz vermochte Kiehanl die sieh're Mutmaßung eu bau'n 1 ), Wenn Bomil die Anwendung des allgemein bekannten Gleich- förmigkeitssatzes auf die geschichtliche Betrachtung im weitesten Sinne des Wortes keineswegs neu ist, so haben wir doch unserer- seits nicht nur die historische Gleichförmigkeit mit der die ganze Natur und Kultur beherrschenden allgemeinen Gleichförmigkeit in Verbindung gebracht, sondern auch durch psychologische Ex- perimente verschiedenster Art und andere Untersuchungen gezeigt, daß die historisch wichtige psychische Gleichförmigkeit in viel höherem Maße besteht, als man ohne Experimente angenommen hätte. Vielleicht ist es auch für den Historiker von einigem Interesse, die Lehre von der kulturellen Gleichförmigkeit in diesen weiten Rahmen gestellt zu sehen. Auch sollte das vorliegende Buch dazu beitragen, die unkritischen Übertragungs- und Entlehnungsansichten aus der Geschichtswissenschaft vollständig zu eliminieren. Als ich studierte, hörte ich bei einem bekannten Mythologen, der den historischen Zusammenhang fast aller Mythenbildungen aus Ähnlich- keiten zu erweisen eifrigst bestrebt war. Der Gesichtspunkt, daß die Menschen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten einander ähnlich sind, daß sie bei aller Verschiedenheit der Ver- hältnisse unter ähnlichen Bedingungen leben und daß daher gleiche oder ähnliche mythologische Vorstellungen sehr wohl unabhängig voneinander entstehen können, lag meinem Lehrer damals gänzlich fern 2 ;. Auch in der Gegenwart fehlt es nicht an historischen Arbeiten, die Ähnlichkeiten und Abhängigkeiten fortwährend miteinander l ) Wiedergegeben nachW. Shakespeares Dramatische Werke. (Ein Band.) Im Auftrag dex Deutschen Shakespeare- Gesellschaft herausgegeben von W. Oechelhauser. 32. Aufl. Revidiert von W. Conrad. Stuttgart und Leipzig. (Ohne Jahreszahl.) - s . 99f. Viele Beispiele für historisch unabhängige, aber anter sieh ähnliche Mythen gibt .1. Eigenstädter, a.a.O. 8. 61 ff. ; über Elementargcdanke und Entlehnung in der vergleichenden Mythologie handelt er S. 47 ff. 94 6. Über Gleichförmigkeit, verwechseln 1 ). Auch das bekannte Buch von Drews 2 ) zeigt viel- fach, wie wenig noch die Einsicht verbreitet ist, „daß unter ähn- lichen Voraussetzungen und Bedingungen dieselben oder ähnliche Gedanken wiederholt gedacht und nicht nur einmal spontan er- zeugt 3 )" werden. Insbesondere ist die Erlösungsidee, die sich in tausend Mythen und Religionen findet, in der stets hoffenden Natur des Menschen und den Kümmernissen des Lebens so tief begründet, daß es als ein wenig glückliches Unternehmen be- zeichnet werden muß, Vorstellungskreise, in denen diese Idee vorkommt, deshalb als voneinander abhängig zu betrachten. Unsere Untersuchungen lehren auch, daß die Ansicht unzu- treffend ist, nach welcher die Gleichförmigkeit des Denkens, Wollens und Fühlens in sozialen Gemeinschaften nur auf Wechsel- wirkung zwischen den Gliedern der Gemeinschaften beruhen soll 4 ). Wenn wir einer großen Gruppe von Personen desselben sozialen Milieus die Aufgabe stellen, einen beliebigen Farbennamen oder ein ganz beliebiges Wort niederzuschreiben, so führen die Ver- suchspersonen bei der Ausführung der Aufgaben Willenshandlungen aus, die im Durchschnitt eine überraschende Gleichförmigkeit aufweisen. Wie sollte aber die Tatsache, daß überraschend viele Personen den Farbennamen rot aufschreiben, nur auf der Wechsel- wirkung der Personen desselben Milieus beruhen? Wie sollte derUm- 1 ) Man vgl. z. B. Th. Zahn, Der Stoiker Epiktet und sein Verhältnis zum Christentum. Prorektoratsrede. Erlangen 1894. P. Jensen, Moses, Jesus, Paulus. Frankfurt a. M. 1909. J. Gabrielsson, Über die Quellen des Clemens Alexandrin us. Upsala und Leipzig. Bd. 1. 1906 und Bd. 2. 1909. K. Heyl, Die Theorie der Minne in den ältesten Minneromanen Prankreichs. Marburger Beiträge- zur romanischen Philologie, lieft 4. Marburg a. L. 1911. 2 ) A. Drews, Die Christusmythe. Verbesserte und erweiterte Ausgabe (3. bis 5. Tausend). Jena 1910. :J ) P. Wendland, Handbuch zum Neuen Testament. Bd. 1. Zweiter Teil: hie hellen ist iseh - römische Kultur. Tübingen 1907. S. 130. Ähnliche. Bemerkungen binden sieh z. B. bei A. Deißmann, Lieht vom Osten. Tübingen 1908. S. 1901 l ) Diese Ansieht vertritt auch E. Bernheim, Lehrbuch der Histori- schen Methode und der Geschiehtsphilosophie. r>. und 6. Aufl. Leipzig 1908. (Nochmals abgedruckt 1914.) S. 670 f. (u'scliifhisw i.xscnschaften und Soziologie. 95 stand, daß von 350 Schülerinnen auf die Weisung, ein beliebiges Wort au Dotieren, ls anabhängig voneinander «Ins Wort Schule auf- schreiben, nur auf der Wechselwirkung des Geistes der Schülerinnen berohen? Wie sollte die Gleichförmigkeil in der Bevorzugung bestimmter Zahlen, die sieh für die alten Römer, die Einwohner von Alabama und die Deutschen nachweisen Läßt, mit der Wechsel- wirkung überhaupt etwas zu tun Indien? Sollten etwa die Grab- inschriften hei den alten Römern auf das Verhalten der Einwohner von Alabama eingewirkt haben, und diese wieder auf die alten Römer, die viele Jahrhunderte vor ihnen lebten? So kann auch die psychische Gleichförmigkeit in sozialen Gemeinschaften nicht nur auf die Wechselwirkung der Individuen zurückgeführt werden, so sehr diese \\ • chselwirkung, wie z. B. in dem oben erwähnten Fall der wechselseitigen Suggestion, die Gleichförmigkeit gelegentlich erhöhen mag. Die Gleichförmigkeit des kulturellen Geschehens infolge gleich- förmiger Bedingungen ist für die Geschichtswissenschaften endlich ofern von Bedeutung, als sie mit der Lehre, daß die Geschichte,, sofern sie auf den Ehrentitel einer Wissenschaft Anspruch machen wolle, allgemeine Gesetze der historischen Entwicklung suchen und finden müsse, aufs engste zusammenhängt. Diese, wie man heute oft sagt, ..naturwissenschaftliche" Auffassung der Geschichte isl bekanntlich von Comte 1 ) mit Nachdruck vertreten worden, nachdem sie schon durch Montesquieu 2 ) und Condorcet 3 ) vorbereitet 4 ) war. Allgemein bekannt winde sie durch Buckles l ) A. Comte, Cours de philosophie positive. 2. Aufl. herausgegeben von K. Littre. Parifl 1864. Bd. 4. Die erste Ausgabe erschien 1830 bis 1842. Die einschlägigen Teile de* Werkes sind in deutscher Übersetzung von V. Dorn unier dem Titel: Soziologie von Auguste Comte. Bd. 1. Jena 1907 erschienen. (Sammlung sozialwissenschaftlicher Meister. Bd. 9.) ■) Montesquieu, De L'espril des loix. Genf 1748. Condorcet, Bsquisse dun lableau historique des progres de 1'esprit humain. (Ohne Orts- und Verlagsangabe.) 1705. Deutsch von E. L. Pos- selt. Tübingen 1796. 4 ) über Montesquieu und Condorcet bündelt A. Comte a. a. 0. 2. AufJ. Bd. 4. 8. 178 ff. Deutsche Übersetzung a.a.O. S. 177 ff. 96 6. Über Gleichförmigkeit, berühmtes Werk über die Geschichte der englischen Zivilisation 1 ). Von allgemeinen Gesetzen der geschichtlichen Entwicklung war ja, wie wir sahen, schon im griechischen Altertum die Rede. Daß aber die erzählende Geschichte — mag sie nun zugleich lehrhaft sein oder nicht, mag sie sich zugleich als genetische Geschichte auch für die Ursachen der erzählten Ereignisse interessieren oder nicht — nur eine Vorstufe der wissenschaftlichen, d. h. historische Gesetze ableitenden Geschichte sei , diese Auffassung der Dinge ist erst im neunzehnten Jahrhundert und in der Gegenwart ver- treten worden. Ganz in unserem Sinne sagt Bern heim 2 ), indem er auf Condorcet exemplifiziert: Wer ,,die Zustände und Bewegungen der großen Masse zum Mittelpunkt seines Interesses und Studiums macht, und so auf die Beobachtung des Völkerlebens hingewiesen ist, wird vorwiegend den Eindruck des Regelmäßigen, Konstanten erhalten und dadurch zur Annahme geneigt sein, daß überhaupt das Völkerleben durch mechanische, konstante Gesetze regiert werde gleich der Natur". Auch Bernheim führt also die natur- wissenschaftliche Geschichtsbetrachtung, die, weil sie ihrer Natur nach immer auf Gesetze ausgeht, auch die nomothetische genannt werden kann, auf die im Massenleben erscheinenden Gleichförmig- keiten zurück. Der Zusammenhang zwischen nomothetischer Ge- schichtsbetrachtung und Gleichförmigkeit liegt in der Tat klar zutage. Sehr deutlich ergibt er sich auch aus den einleitenden Kapiteln von Buckles Werk über die Geschichte der Zivilisation in England. Die nomothetische Geschichtsauffassung ist heute viel um- stritten 3 ). Unter den Philosophen sind hauptsächlich Windel- *) H. Th. Buckles Geschichte der Zivilisation in England. 2 Bände. Deutach von A. Buge. Siebente rechtmäßige Ausgabe. Leipzig 1901. Die Originalausgabe erschien zuerst 1857 bis 1861. 2 ) E. Bernheim, Geschichtsforschung und Geschichtsphilosophie. Göttingen 1880. IS. 48 f. 3 ) Zur Literatur vgl. P. Barth. Die Philosophie der Geschichte als Soziologie. Bd. 1. 2. Aufl. Leipzig 1916. E. Bernheim, Lehrbuch der Histori- schen Methode und der Geschiehtsphilosophie. ö. und 6. Aufl. Leipzig 1908 Geschichtswissenschaften und Soziologie. 97 band 1 ) und Rickert 1 ) gegen Bie zu Felde gezogen. Eine Theorie der Geschichtswissenschaften liegi gänzlich außerhalb des Kalmiens des vorliegenden Buches. Doch will ich meine Stellung in der Frage der nomothetischen und der ihr gegenül »erstehenden auf das Einmalige, Singulare gerichteten Geschichtsforschung, die wir dierangalaristisrhe nennen wollen, wenigstens kurz charakterisieren. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß sich die Historiker aller Zeiten einschließlich der Gegenwart in weitem Umfang mit dem Einmaligen oder dem Singulären beschäftigen. Die Lebens - Bchicksale der großen Männer und die Wirkungen, welche diese ißen Männer ausgeübt haben, die Entstehung der christlichen Religion, des Deutschen Reiches, des Papsttums, der Reformation, die Geschichte dea Siebenjährigen Krieges und viele andere Probleme der Geschichte Bind singulare Ereignisse. In das Gebiet dieses - Lgularen gehören auch die Massen und auch die Geschichte der : kann ohne irgendwelchen Seitenblick auf die Möglichkeit oder Unmöglichkeit historischer Gesetze verfolgt werden, wenn- gleich die historischen ( deichförmigkeiten, die zur Annahme histo- ■her Gesetzt- führen, bei der Betrachtung der Massen besonders deutlich in die Augen springen. (wiederabgedruckt l'.>14). II. EiBler, Wörterbuch der philosophischen Be- te. Bd. 3. Berlin 1910 anter Soziologie, besonders S. 1378 ff. Siehe auch die historischen Zeitschriften, besonders seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts, in denen sich mehrfach einschlägige Aufsätze befinden, so die Arbeiten von <;. v. Below, Die neue historische Methode. Histo- rische Zeitschrift. Bd. 81. (Neu.- Folge. Bd. 45.) L898. S. 193 ff. und von J. Caerst, Studien zur Entwickelung und Bedeutung der universalgeschicht- lichen Anschauung. Dieselbe Zeitschrift Bd. 106. (Dritte Folge. Bd. 10.) 1911. 8. 473 ff. und Bd. 111. (Dritte Folge. Bd. L5.) 1913. 8. 253 ff. Eine kritische Würdigung der „universalgeschichtlichen'' Auffassung liegi übrigens gänzlich außerhalb des Gegenstandes unseres Buches. 1 ) \V. Windelband, Geschichte und Naturwissenschaft. Straß- bürget Bektoratsrede. 1894. Wieder abgedruokl in: Präludien. 5. Aufl. Bd. 2. Tübingen 1915. 8. 136 ff. 2 ) II. Biokert, I>i<- Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffs- bildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften. l'. Aufl. Tübingen 1913. Die erste Auflage (Tübingen und Leipzig) trägt die Jahreszahl 1 1*02. MarU;, Die Gleichförmigkeit In der Welt. 7 98 6> Über Gleichförmigkeit, Freilich können bestimmte auf das Singulare gerichtete histo- rische Forschungen an Interesse verlieren und zu bestimmten Zeiten verschiedenes Interesse in Anspruch nehmen. Das Inter- esse für solche Fragen ist auch wesentlich von den Personenkreisen abhängig, die zu diesen Fragen Stellung nehmen. So wird im allgemeinen ein Mitglied einer bestimmten Familie ein größeres Interesse an der Geschichte dieser Familie nehmen als jemand, der ihr fernsteht oder gar von ihr überhaupt nichts weiß. Die nationale Geschichte wird uns im allgemeinen mehr interessieren als die Geschichte von Nationen, mit denen wir in kultureller Hinsicht nur in oberflächliche Berührung kamen. Die Entstehung der Geschichte der literarischen Produktionen des Aristoteles wird den alten Historiker und den Philosophen mehr interessieren als den Kaufmann oder Offizier usw. Die Faktoren, welche das historische Interesse bedingen, sind die Grundlagen des Wertes, den wir den Gegenständen und Tatsachen der Geschichte beilegen. Die vielfach unter dem Einfluß Fichtes und der Kant sehen Ethik diskutierte Frage, ob es in diesem Gebiet und überhaupt über- individuell geltende, über die Unterschiede in Raum und Zeit erhabene Werte gebe oder nicht, kann hier gänzlich übergangen werden. Auch hat die Frage, ob die Massen oder die ,, großen Männer" von größerem p]influß auf die Entwickelung der Geschichte ge- wesen sind, mit dem Problem der nomothetischen Geschichts- auffassung an und für sich nichts zu tun 1 ). Jedenfalls aber ist klar, daß die auf das Einmalige gerichtete singularistische Geschichtsforschung die Menschen immer fesseln ! ) Wir können die mit den einzelnen ans der Masse tiervorragenden Individuen beschäftigte Geschichte die individualistische, die mit der Ent- wickelung der Massen beschäftigte Geschichte auch die kollektivistische Geschichte nennen. Doch umfaßt der La mpreeht sehe Begriff der kollek- tivistischen GSeschichte (K. Lampreoht, Deutsche Zeitschrift für Ge- scMchtswissensehaft. Der ganzen Folge siebenter .Jahrgang. [Neue Folge. Jahrgang i.| Vierteljahrshefte. L896/97. 8. 75ff.) auch unseren Begriff der nomothetischen Geschichte. Die Terminologie Lampreohts läßt übrigens in mancher Beziehung hinsichtlich der Klarheil zn wünschen übrig, wie gerade der erwähnte Aufsatz zeigt. Überhaupt ist die Terminologie in der Geschichtsphilosophie nicht immer eindeutig. GrcoohitthtBwiaflftnflflh aftfin und Soziologie. 99 wird, wie -ehr auch die Gegenstände dieser Forschung im Laufe Zeil wechseln mögen. Beute, wo I < - 1 1 dieses schreibe, Lnter- ich fast all* 1 Erwachsenen in Deutschland auf «las Leb- teste für den großen Weltkrieg. Unser Reich war bedroht. Unsere Brüder, Bohne und Väter stehen im Feld. Nichl nur ihr sönliches Schicksal. Bondern auch der Hergang bei den Schlachten und Märschen, an denen sie teilnehmen, erregt unser Interesse. ..Wie ee eigentlich gewesen ist 1 )/ 1 als der Krieg entstand, welche \ ■>: den Krieg mittelbar und unmittelbar beeinflußten und viele- andere interessiert uns gleichfalls. Und wenn wir wieder Frieden oder doch ruhigere Zeiten haben, verschwindet unser Im diesen Dingen gegenüber keineswegs; ja wir haben dann mehr Muße als heute, um die Tatsachen in Ruhe zu betrachten. - rein Menschliche in uns ist es, was uns dieses Interesse ab- tigt und das auch in unseren Feinden gleiche Interessen wachruft. rein menschlichen Interesse gesellt sich noch das nationale, bei vielen noch Btärker entwickelt sein mag als jenes. Noch ich tsj »unkte legen uns die historische Beschäftigung mit dem Weltkrieg als einem einmaligen Ereignis nahe. Und auch Nachkommen werden sich bis in die spätesten Generationen ae in die großen Ereignisse von heute vertiefen, wenngleich freilich durch neuere Tatsachen abgelenkt werden, denen sie Deicht noch mehr Interesse entgegenbringen. Der Weltkrieg wird seine Stellung im historischen Interessengebiet auf viele, 1 • • aerationen hinaus behalten, wie auch noch heute der Kri. _ 1870 71. der das Deutsche Reich geschaffen hat, der Dreißig- jährige Krieg, der Deutschland in kultureller Hinsicht um Jahr- hunderte zurückwarf, die Geschichte der Griechen und Römer, rar die Entwickelung unserer Kultur Ungeheures ver- du •] lebhaft [nteresse in Anspruch nehmen. i- Ranke amtliche Werke. Zweite Gesamtausgabe. Leipzig 7. B«i 33/34 Geschichten <I»t romanischen und germanischen Völker. ;i ..Mari h;.t d«T Historie das Amt, <li<- Vergangenheil zu lichten, in Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen: «o hoh**r I rindet lieh gegenwärtige] Versuch nicht: er will bloß seigen. «je .-, . i_'»n?|]<-li gewesen.' 1 -.* Km 6. Über Gleichförmigkeit, Zunächst ist es, wie schon angedeutet, nicht der Gelehrte, sondern der Mensch, der die singularistische Geschichtsforschung verlangt. Seit Jahrtausenden aber fanden sich Leute und es werden sich voraussichtlich immer solche finden, die, durch Anlage und spezielle Studien befähigt, dem Ruf der Menschen nach dieser Art von Geschichtsforschung Folge leisten und Geschichte schreiben. Das sind die Geschichtsforscher im üblichen Sinne des Wortes. Gewiß entstehen nun in den Kreisen dieser Fachgelehrten wieder besondere Fachinteressen, die aus der spezifischen Ein- stellung auf historische Probleme, aus menschlichem Ehrgeiz, aus der bei vielen vorhandenen Neigung, gerade die schwierigsten Fragen zu lösen, und aus vielen anderen Gründen resultieren mögen und denen das große Publikum verständnislos gegenübersteht. ( M'wiß ist auch die Lösung der Frage, ,,wie es eigentlich ge- wesen", infolge der Lückenhaftigkeit des Quellenmaterials, der aucli von der Psychologie untersuchten Unsicherheit der Zeugen- aussagen, der Mannigfaltigkeit und Vielgestaltigkeit der histo- rischen Objekte und aus unzähligen anderen dem Historiker und Psychologen wohlbekannten Gründen eine schwierige und ein niemals restlos zu bewältigendes Problem. Gewiß wird die ab- gerundete Geschichtsschreibung immer mehr oder weniger auf Hypothesen angewiesen sein, deren tatsächliche Richtigkeit nicht verifizierbar ist. All dies aber kann an der Tatsache nichts ändern, daß es nichl nur eine singularistische Geschichtsforschung gab und uibt, sondern daß eine solche auch von der Menschheit kategorisch verlangt wird. Ob diese Geschichtsforschung eine ,, Wissenschaft" ist oder nicht, kümmert uns hier nicht. Über diese Frage zu reden hat nur unter denjenigen einen Sinn, welche den Begriff der Wissen- schaft zuvor genau abgegrenzt haben. Est dies geschehen, so ist, dae Problem, ob die singularistische Geschichtsforschung zu den Wissenschaften gehöri oder nicht, leicht zu entscheiden. Freilich schneidel diese Geschichtsforschung, wenn sie hinsichtlich der Untrüglichkeil der Methode mit der Naturwissenschaft oder gar mit Her Mathematik verglichen wird, nielii glänzend ab. Auch ist GreeohiohtswiflBenaohafteii und Soziologie, 101 nur zu begreiflich, daß Gelehrte, die auf die Ermittelung all- neiner Satze der Naturwissenschaft eingestellt sind, den auf Singulare absielenden Forschungen nicht viel Geschmack ab- rinnen können und sich versucht fühlen, auch die singularistische jchichtsforschung zu einer generalisierenden Wissenschaft zu „erheben". Solche Bemühungen wollen die von den Menschen nun doch einmal verlangte Art von Geschichtsforschung durch etwas anderes tzen: sie wollen sie somit unterdrücken. Gegen diese Unter- drückung der Bingularistischen Geschichtsschreibung hat schon Bernheim vor 36 Jahren mit guten Gründen gekämpft 1 ). Bei aller Bedeutung der singularistischen Geschichtsbetrachtung kann es nun aber andererseits niemand verwehrt werden, auch die im Laute der geschichtlichen Entwickelung auftretenden Gleich- förmigkeiten zum Gegenstand seiner Studien zu machen. Daß eine Gleichförmigkeit historischer Vorgänge besteht und auch in weitem Umfang anerkannt wird, haben wir gesehen. Daß die I Hi-ichförmigkeit bei der Betrachtung von Massen sehr deutlich zutage tritt, wurde gleichfalls betont. Daß sie sich auch in einzelnen wiederkehrenden Erfindungen, literarischen Produkten usw. zeigt, wurde ebenfalls erwähnt. Warum soll nun der Historiker, statt -ich mit der einmaligen Entwickelung der Geschichte oder einzelner ihrer Ausschnitte zu beschäftigen, sich nicht als vergleichender •1 lichtsforscher ausschließlich mit solchen Gleichförmigkeiten befassen? Wie der Philolog sich z. B. mit der Geschichte der einsehen Schriftsprache beschäftigen kann, der Sprachforscher • nannten Lautgesetze und die anderen allgemeineren welche die Entwickelung der griechischen Sprache und wandter Sprachen beherrschen, untersucht, so kann auch der Historiker die Geschichte im Sinne der singularistischen Ge- »rschung betrachten, der andere aber als vergleichender Historiker -ein Augenmerk lediglich auf die historischen Gleich- richten, unter die einzelne Gegenstände der singu- l ) \ gl L. Bernheim, GeecMchtaf orsebung und GesoMchtsphilosophie. - '. besondere s. 70 iL 102 6. Über Gleichförmigkeit, la ristischen Geschichtsforschung fallen. Endlich kann der Histo- riker natürlich auch beide Forschungsweisen gleichzeitig fördern. Die vergleichende Geschichtsforschung hat nicht nur als solche einen großen wissenschaftlichen Wert. Sie ist auch geeignet, die Ergebnisse der singul^ristischen Geschichtsforschung in neuem Licht erscheinen zu lassen und zu vertiefen. Daß das Studium der Gleichförmigkeiten im weitesten Sinne geeignet ist, die radikale Entlehnungstheorie auf einen richtigen Umfang einzuschränken, wurde schon betont. Aber vieles andere ist hier noch zu erwähnen. Ist es nicht höchst wesentlich für die Beurteilung der römischen Inschriften auf den Grabdenkmälern, wenn wir nun wissen, daß in ihnen Neigungen der Menschen zum Ausdruck kommen, die im tiefsten Wesen der menschlichen Seele ihren Grund zu haben scheinen? Was ist wohl bedeutsamer, eine alte Sage aufzufinden, in welcher die Erlösungsidee zum Ausdruck kommt, oder auf Grund vieler einzelner Erfahrungen zur Erkenntnis fortzuschreiten, daß diese Erlösungsidee im Wesen der menschlichen Natur und der äußeren Verhältnisse begründet ist und daher immer und immer wieder zum Vorschein kommt? Ist nicht überhaupt der Wert, den wir den einmaligen Ereignissen beilegen und von dem so viel in der modernen Geschichtsphilosophie die Rede ist, doch ganz wesentlich abhängig von dem Verhältnis dieser Ereignisse zu Gleich- förmigkeiten, unter die sie fallen? Ist es für die Beurteilung der Erfindung des Zählens nicht höchst wichtig zu wissen, daß die verschiedenen Zahlensysteme in merkwürdiger Ähnlichkeit bei den verschiedensten Völkern wiederkehren, wie sehr sie auch in Einzel- heiten voneinander abweichen mögen 1 )? Die Bingularistische und die vergleichende Richtung in der Geschichtsforschung sollten sich daher nicht bekämpfen, sondern sich gegenseitig unterstützen. Mit Recht erkennt denn auch Bernheim 2 ) die Bedeutung dieses komparativen Verfahrens im höchsten Maße an. i) J. Eisenstad fcer, a. a. Ü. S. 149 fi. 2 ) E. Bernheim, Lehrbuch der Bistoriachen Methode und der (Jc- Bchichtsphilosophie. f>. und 6. Aufl. Leipzig 1!)08. (Wieder abgedruckt 1914.) s. 6061 Geschichtswissenschaften und Soziologie. 103 Etwas anderes ist es nun. Gleichförmigkeiten im Gebiet der schichte festzustellen und zu erkennen, daß diese ( Jleich förmig- keiten aus gleichförmigen Bedingungen entstehen, und wieder TSE anderes isl es. uns diesen auf gleichförmige Bedingungen larückgeftkhrten Gleichförmigkeiten historische (lesetze abzuleiten. wiQ kann man die Tatsachen der historischen Gleichförmigkeit in Sätzen formulieren, die man in gleichem Sinne wie die ebenfalls Gleichförmigkeiten ausdrückenden Lautgesetze als Gesetze be- leichnen kann, wiewohl die Gleichförmigkeit im Gebiet der Ge- Bchichtswissenschaften ungleich weniger in die Augen springt und viel weniger durchgreifend erscheint als die Gleichförmigkeit im Gebiet der Sprachwissenschaft. Wenn man aber von historischen n redet, so meint man damit in der Regel weniger Sätze, in denen Tatsachen der Gleichförmigkeit beschrieben werden, als solche allgemeinen Sätze, denen das historische Geschehen etwa in dem Sinne unterworfen ist wie das Naturgeschehen den Natur- tzen 1 ). Auch verlangt man von den historischen Gesetzen in der Regel, daß sie nicht lediglich für einzelne Zeitabschnitte, etwa nach Art der sogenannten Lautgesetze, gelten. Solche über vage V» i;illLremeinerungen hinausragenden und das historische Geschehen wirklich beherrschenden Sätze festzustellen, ist aber bisher nicht ingen. l J Der doppelte Begriff des historischen Gesetzes im Sinne des obigen Textes wird deutlich in einer Polemik, die W. Wundt (Indogermanische gen. Bd. 28. 1911. S. 211) gegen H. Paul richtet. Wundt sagt hier, an Min Werk aber Völkerpsychologie anknüpfend: ,,. . . ähnliches begf*i:iM-T uns in Mythus, Kultus und Sitte. So haben sich die Motive der Leichenbestattung umgebenden Bräuche, so die Anschauungen, die dem iltui zugrunde liegen, innerhalb weit voneinander abliegender Kultur- kuffallender Übereinstimmung geändert, daß wir, wenn irgend- d den Erscheinungen de« geistigen Lebens, hier von einer durchgehenden : nur leiten von anderen Einflüssen abertonten Gesetzmäßigkeit reden Wenn Biso Paul hier keim; Gesetze gefunden hat, so beweist das I iie nicht gesehen hat, es beweisl aber nicht, daß sie nicht w.i- Wundt hier Gesetzmäßigkeit nennt, ist ein gleichförmiges aalten verschiedener Völker. Daß Paul hierin keine Gesetze sieht, rt daher, daß er im Gegensatz zu Wundt Sätze, die nur historische chfönn beseh reiben, nicht als eigentliche Gesetze gelten läßt. 104 6. Über Gleichförmigkeit, So betont Bei och 1 ), der, wie wir sahen, auf die aristotelische Theorie vom Wechsel der Staatsverfassungen große Stücke hält, mit Recht, daß diese Lehre, die wir, wenn irgend eine, als histo- risches Gesetz bezeichnen dürfen, in vollem Maße nur für die Zeit und den Kulturkreis gelte, woraus sie abstrahiert sei. Aber selbst wenn im ganzen Verlauf der Geschichte analoge Fälle wieder- kehrten, wäre jenes Gesetz auch nach Bei ochs Meinung nur ,,mit den nötigen Modifikationen" anwendbar. Das ,, Gesetz" von Polybius steht mit dem des Aristoteles teilweise im Wider- spruch. Die oben angeführten Sätze von Vico sind so vag und von so zweifelhafter allgemeiner Gültigkeit, daß sie gleichfalls als wissenschaftliche Gesetze nicht ernst genommen werden können. Daß sich das berühmte Comtesche Gesetz von den drei Stadien nur mit Ach und Weh einigermaßen durchführen läßt, kann als bekannt vorausgesetzt werden. Wohin wir auch blicken, nirgends steht es besser um die sogenannten historischen Gesetze. Überall handelt es sich um mehr oder weniger vage Verallgemeinerungen von einer Allgemeingültigkeit, die nur einigermaßen mit ,,wenn und aber" besteht. So verhält es sich auch mit den Gesetzen von Gu mplowicz 2 ), soweit es sich dabei um historische Gesetze handelt. Auch Lamprecht hat mit seinen historischen Gesetzen kein Glück gehabt 3 ). Wir können also zusammenfassend sagen: Das Studium der historischen Gleichförmigkeiten ist an sich für den Historiker be- deutsam, es ist aber auch zur Vertiefung der singularistischen Geschichtsbetrachtung unerläßlich. Die Erkenntnis der histo- rischen Gleichförmigkeit hat zur Forderung einer nomothetischen Geschichtsforschung geführt. Die Feststellung von Gleichförmig- keiten und die Erkenntnis, daß dieselben aus gleichförmigen Be- dingungen hervorgehen, ist aber an sich etwas ganz anderes als ] j K. J. Beloch, Griechische Geschichte. 2. Aufl. Bd. 1. [.Abteilung. Straßburg 1912. S. 6. 2 ) L. G-umplowios, Grundriß der Soziologie. 2. Aufl. Wien L905. S. MI II. :i ) Über Lamprecht, seine hier in lietrachi kommenden Schriften und .-eine Gegner vgl. K. Iiornhcim a. ziilel/.l a. (). S. 711 ff. sohiohtswiasensohaften und Soziologie. 105 die Aufstellung solcher historischer Gesetze, denen das historische schehen wie die Natur den Naturgesetzen unterworfen ist. Solche u finden ist zwar immer wieder versucht worden, aber niemals gelungen. Kiue andere Frage wiederum ist die, ob es überhaupt prinzipiell möglich ist. historische Gesetze im Sinne von den Verlauf der Ge- Bohichte beherrschenden allgemeinen Sätzen zu finden. In gewissem Sinne scheint mir »lies allerdings nicht unbedingt ausgeschlossen zu sein. Wenn man will, so kann man die von uns im dritten und vierten Kapitel mitgeteilten Sätze über die Gleichförmigkeit als wissenschaftliche Gesetze, wenn auch nicht als Naturgesetze im üblichen Sinn bezeichnen. In diesen Sätzen wird keineswegs nur auf Gleichförmigkeiten, die als Folgen gleichförmiger Bedingungen betrachtet werden, hingewiesen, wie dies bei den Sätzen, in denen historische Gleichförmigkeiten mitgeteilt werden, der Fall ist. Bier wird vielmehr auch gezeigt, welcher Art die Bedingungen sind, unter denen ein bestimmtes, gleichförmiges Verhalten mehrerer Individuen stattfindet; die Beschreibung der Bedingungen ist dabei wiü keine exakte, aber im Gegensatz zu den Lautgesetzen doch eine vollständige. Wenn wir eine große Anzahl von Personen unseres Kultur- kreises auffordern, auf ein zugerufenes Wort hin ein anderes aus- brechen, und wenn wir diesen Personen das Wort Vater zu- rufen, so reagieren die meisten mit dem Wort Mutter; wenn wir e große Anzahl von Purpurbakterien in ein mikroskopisches ktruin bringen, so sammelt sich die größte Anzahl der Bakterien im < iebiet der ultraroten Strahlen. Diese und alle anderen analogen uns mitgeteilten Sätze beziehen sich auf das gleichförmige Verhalten der Individuen einer Masse unter gleichförmigen Be- dii.. Die zu diesem gleichförmigen Verhalten führenden lingungen sind gewiß nicht für alle Individuen identisch. Jedes Individuum steht, bei dem erwähnten Assoziationsversuch un- Ausführung der Reaktion (sofern es die vom c gewünschte Reaktion überhaupt ausführt) unter lingungen. Die zu den Reaktionen führenden Be- 106 6. Über Gleichförmigkeit, dingungen sind aber doch andererseits vielfach übereinstimmend: alle Versuchspersonen haben die Aufgabe des Versuchsleiters ge- hört und allen wurde dasselbe Wort zugerufen. Die Bedingungen, unter denen die Personen vor der Reaktion stehen, dürfen also als gleichförmige bezeichnet werden. Aber auch die Reaktionen sind gleichförmig. Denn wie verschieden die Reaktionen im einzelnen auch sein mögen, mag der eine laut oder leise, der andere in diesem oder jenem Dialekt antworten, ein gewisser Prozentsatz wird immer insofern unter sich gleich reagieren, als er ein und dasselbe Wort Mutter aussprechen wird. Analoge Betrachtungen lassen sich auf das Beispiel mit den Purpurbakterien und auf alle anderen von uns in den Kapiteln 3 und 4 mitgeteilten Untersuchungen beziehen. Wir können daher die Ergebnisse dieser Untersuchungen für unseren augenblicklichen Zweck zusammenfassend auch so formulieren: wenn eine große Anzahl von Individuen unter ge- wissen gleichförmigen Bedingungen steht, ,so verhält sich ein ge- wisser Prozentsatz dieser Individuen immer in gewisser Hinsicht gleich. An und für sich kann man nun natürlich nicht wissen, ob ein bestimmtes gleiches Verhalten überhaupt in die Erscheinung tritt, und man kann natürlich nicht a priori voraussehen, welche gleich- förmigen Bedingungen überhaupt gegeben sein müssen, damit im erwähnten Sinne gleiche Reaktionen eintreten. Unsere psycho- logischen Sätze über die Gleichförmigkeit sind eben wie auch der Satz über die Purpurbakterien rein empirisch gewonnene Sätze. Andererseits aber läßt sich doch auch nicht das Allergeringste gegen die Möglichkeit einwenden, daß der Satz „Wenn eine große Anzahl von Individuen unter gewissen gleichförmigen Bedingungen steht, so verhall sich ein gewisser Prozentsatz dieser Individuen immer in gewisser Hinsicht gleich", in Gebieten nachweisbar sei, WO er bisher empirisch nicht verifiziert wurde. Ja es ist doch viel- mehr im allerhöchsten Maße wahrscheinlich, daß anßer den von uns festgestellten Gleichförmigkeiten infolge gleichförmiger Be- dingungen und den sonsl etwa noch bekannten analogen Tatsachen noch viele andere derartige Gleichförmigkeiten aufgefunden werden (irschitht-w i>>t nsch;itt»'ii und Soziologie. 107 konnten. Bieraua aber folgt, daß es jedenfalls a priori nicht als ausgeschlossen betrachtet werden darf, daß sich auf solchen Gleich- förmigkeiten beruhende Gesetze nach Art unserer Sätze des dritten und vierten Kapitels auch in der Geschichte auffinden lassen. Ein solches Gesetz wäre z. B. gegeben, wenn folgender Satz für ganze historisch« Material und nicht für nur einige wenige Fälle richtig wäre: Wenn eine Anzahl von Menschen, die einen Staat bilden, durch einen König regiert werden, so tritt nach einer rissen Zeit eine Mehrheit dieser Menschen zu einem aristo- krati.M-hen Kollegium zusammen, das an die Stelle des Königs tritt. Dieser der Theorie des Aristoteles entsprechende Satz ist freilieh in der allgemeinen Geschichte nicht gültig. Daß aber analoge wirklich allgemein gültige Sätze, auch prinzipiell ge- sprochen, in der Geschichte nicht auffindbar wären, läßt sich nicht im mindesten behaupten. Ebenso verhält es sich mit dem • nannten Gesetz von Comte. Es ist nicht allgemein gültig. Warum sollte aber nicht an sich die Entwickelung der Kultur überall genau im Sinne dieses Satzes verlaufen können? Warum Bollte nicht etwa der Satz gelten können: Wenn eine Gruppe von Menschen eine Zeitlang die Welt unter theologischen Gesichts- punkten betrachtet hat, entwickelt sich bei einigen die metaphysische Auffassung der Dinge, die dann allgemein wird? Daß dieses und die anderen historischen Gesetze nicht allgemein gültige Sätze bl sich lediglich aus der Erfahrung. Daß sie durch die Erfahrung verifiziert werden könnten, wäre an sich wohl möglich. Wir kommen daher zu dem Resultat: Wenn auch wirkliche -he Gesetze, wie die Tatsachen der Geschichte selbst zeigen, bisher nicht gefunden sind, so läßt sich doch a priori nicht das aUermindeste gegen die Möglichkeit solcher Gesetze einwenden. L r ut ee im Gebiet der Psychologie oder bei dem Versuch mrj I'urpurbaktericn möglich ist, generell zu sagen, wie sich eine große Zahl von Individuen unter gewisn-ii gleichförmigen trngungen immer und immer wieder verhalten wird, so gut muß d !i betrachtet auch in der Geschichte möglich sein. I ■ r nicht gelang und voraussichtlich auch in der 108 6. Über Gleichförmigkeit, Zukunft nicht gelingen wird, historische Gesetze nach Art unserer Gleichförmigkeitssätze aufzufinden, hat seinen Grund in gewissen Erfahrungstatsachen der Geschichte. Der Experimentator kann die Bedingungen in weitem Umfang künstlich herstellen und er kann in weitem Umfang für ihre Gleichförmigkeit Sorge tragen. Gewiß kann ich, wenn ich mit Menschen, Purpurbakterien oder anderen Wesen Versuche anstelle, niemals alle Individuen unter genau gleiche Bedingungen bringen, wie dies vorhin schon an- gedeutet wurde. (Das wäre ja auch für den Gleichförmigkei ts- versuch gar nicht wünschenswert!) Aber ich kann in weitem Um- fang für die Gleichförmigkeit der in den einzelnen Individuen wirksamen Bedingungen sorgen, wie dies bei allen unseren in den Kapiteln 3 und 4 mitgeteilten Versuchen geschehen ist. Und ich kann jederzeit die bei früheren Versuchen vorhandenen Bedingungen in solchem Umfang von neuem herstellen, daß die Masse meiner Individuen sich ungefähr ebenso wie beim ersten Versuch verhält. Diese beim Experiment künstlich herstellbare approximative Wiederkehr der Bedingungen ist eben in der Geschichte, soweit wenigstens unsere heutige Erfahrung reicht, nicht vorhanden. Hier kehren, soweit wir wissen, dieselben Bedingungen weder an verschiedenen Orten noch zu verschiedenen Zeiten mit der Ähn- lichkeit wieder wie bei den Gleichförmigkeits versuchen. Es lassen sich daher auch nicht in der Weise allgemein gültige Sätze oder Gesetze aufstellen, wie dies auf Grund der Gleichförmigkeits - versuche möglich ist. Daß aber gleichförmige Bedingungen des Verhaltens der Individuen einer Masse in der Geschichte nicht in dem Maße wiederkehren wie bei den Gleichförmigkeitsversuchen, kann man ohne Prüfung der Geschichte selbst nicht wissen. Und es kann also prinzipiell durchaus nicht als unbedingt ausgeschlossen gelten, daß Erfahrungen von vielen tausenden von Jahren und weitere wissenschaftliche Studien eben doch zeigen würden, daß die Bedingungen, unter denen die Menschen leiten, soweit in analoger Weise wiederkehrten, daß auch analoge Verhaltungsweisen der Menschen ^;mz im Sinne unserer Gleichförmigkeitsversuche auf- träten. Geschichtswissenschaften und Soziologie. lo<> - ■ Ja auch die ewige Wiederkehr des Gleichen im Gebiel der schichte kann a priori nicht von der Hand gewiesen werden und der Satz von Poincare. den wir Bpäter (Kapitel 8) ausführ- lich behandeln werden, legt sogar diese Auffassung nahe, der- infolge also ein schlechthin einmaliges oder singuläres Geschehen überhaupt nicht existieren würde. Freilich wird sich zeigen, daß dieser übrigens von hervorragendsten Vertretern der Mathematik und theoretischen Physik anerkannte Satz nach unserer Ansicht nii'ht einwandfrei bewiesen ist. Auch sind freilich die großen Zeiträume, die im Sinne dieses Satzes bis zur Wiederkehr des Gleichen verstreichen können, Größen, denen gegenüber die Zeit- räume, auf die sich die Geschichtswissenschaften erstrecken können, •h windend klein sind. Alle diese Ausführungen sollen zeigen, daß die Frage, ob es historische Gesetze gibt oder nicht, welche aufs engste mit der Lehre von der Gleichförmigkeit in der Geschichte zusammen- hängt, ein Problem ist. zu dem man auf empirischer Grundlage Uung zu nehmen hat, und daß hier rein begriffliche philosophische Untersuchungen wenig am Platze sind. Eine andere Frage ist die, ob sich zwischen der singularistischen I liülitsforschung und der Naturwissenschaft nicht insofern eine Brücke hauen läßt, als sich gewisse historische Tatsachen auf ind gewisser empirisch gewonnener Voraussetzungen und mit Hilfe von Naturgesetzen ableiten lassen. Die prinzipielle Mög- lichkeit solcher Deduktionen kann nicht strikte widerlegt werden. Nach einer auf Laplace 1 ) zurückgehenden Lehre der Natur- lenschaft ist es prinzipiell, d.\i. rein logisch gesprochen, möglich, II wir das Weltall aus einer endlichen Anzahl von sogenannten punkten bestehend denken und wenn wir die Lage und rindigkeil <\<-r Massenpunkte in einem Zeitpunkt kennen, tage Lage der Massenpunkte in anderen Zeitpunkten zu erschließen. Hiernach ist es logisch möglich, den Zustand der 11 in jedem Zeitpunkt zu deduzieren. Betrachten wir P« 8. de Laplace, Theorie analytique des probabilites. (Oeuvres Paris 1847. S. VI f. 110 6. Über Gleichförmigkeit, im Sinne der modernen fast allgemein akzeptierten und meiner Ansicht nach wohlbegründeten Hypothese des sogenannten psychophysischen Parallelismus die geistigen Vorgänge als Be- gleit Vorgänge gewisser materieller Prozesse, durch welche sie ein- deutig bestimmt werden, so ist auch die logische Möglichkeit, daß wir aus einer Konstellation der Massenpunkte auf die gleich- zeitigen und auf irgendwelche späteren oder früheren geistigen Vorgänge schließen können, nicht von der Hand zu weisen. Daß diesen Ansichten die Fühlung mit der tatsächlichen wissenschaft- lichen Forschung nicht so ganz fehlt, wie man vielleicht auf den ersten Blick annehmen könnte, ergibt sich daraus, daß es in der Astronomie tatsächlich gelingt, wenn man gewisse Himmelskörper für die theoretische Betrachtung als Massenpunkte ansieht, ihre gegenseitige Stellung in früheren oder späteren Zeitpunkten rech- nerisch zu ermitteln. Auch die bekannte Tatsache, daß man Mond- und Sonnenfinsternisse auf viele Jahrhunderte im voraus ermitteln kann, gehört hierher. Alle diese Betrachtungen zeigen, daß es keineswegs als prin- zipiell ausgeschlossen betrachtet werden darf, daß die Tatsachen der singularistischen Geschichtsschreibung mit Hilfe allgemeiner Gesetze abgeleitet werden können, und sie lehren, daß es wirklich möglich ist, solche Tatsachen in concreto zu deduzieren. Denn zu den Tatsachen der singularistischen Geschichtsschreibung gehören doch wohl auch die Sonnenfinsternisse und andere astronomische Er- scheinungen, ganz abgesehen davon, daß ja Fälle bekannt sind, in denen das Handeln der Menschen durch solche Erscheinungen beeinflußt wurde. Es is1 hiernach klar: Die logische Möglichkeit, daß sieh Tat- sachen der singularistischen Geschichtsforschung mit Hilfe von allgemeiner! Gesetzen der Natur aus empirisch gewonnenen Voraus- setzungerj ableiten lassen, muß zugegeben werden, und solche Ableitungen finden in der Astronomie tatsächlich statt. Schon vor vielen .Jahren habe ich diese Auffassung gelegentlich der Kritik der schon 1896 erschienenen ersten Hälfte der ersten Geschichtswissenschaften und Soziologie. 111 Auflage des oben zitierten Werkes von Rickerl angedeutet 1 ). Alles was Rickerl jetzt gegen mich schreibt'-), erscheint mir nicht reisend. Jedenfalls muß Rickerl zugeben, daß sich gewisse einmalige Entwickelungen durch astronomische Gesetze darstellen sen, und er gibt es zu*). Wenn er dann diese Auffassung durch die Bemerkung einschränkt, daß es sich bei der Darstellung des • anomischen Geschehens lediglich um die quantitativen Be- stimmungen an den Weltkörpern, nicht aber um die qualitativen handelt. 90 wird man dagegen fragen dürfen, ob denn z. B. mit der Berechnung einer totalen Sonnenfinsternis nicht auch die qualitative Bestimmung einer auffälligen Verdunkelung bestimmter Teile der Erde verbunden ist? Diese sehr einfache Sachlage zeigt wohl, daß Bückschlüsse aus quantitativen Verhältnissen auf histo- hc qualitative Verhältnisse und daher auch Deduktionen von den Letzteren nicht außerhalb des Bereiches jeder Möglichkeit • •n. Die allzu scharfe Betonung der Kluft zwischen Gesetzes- wissenschaft und singularistischer Geschichtsauffassung durch Rickerl rührt meiner Meinung nach von der rein begrifflichen konstruktiven Methode des Rickertschen Philosophierens her, die ihn mich sonst vielfach zu Irrtümern führt. So entscheidet z. B. Rickert auch die Frage, ob die Psychologie als Hilfswissenschaft lür die Geschichte in Betracht kommt 4 ), lediglich auf begrifflichem Wege, wobei er zu einem im wesentlichen vollständig ablehnenden Urteil gelangt. Für dieses platonische, begrifflich-konstruktive Verfahren, das -ich in der bisherigen Geschichte der Wissenschaft nicht ak fruchtbar erwiesen hat, kann ich mich nicht erwärmen. Wenn ich mich dafür interessiere, ob ein mir unbekanntes Wissen- meinen eigenen Forschungen Dienste leisten kann oder nicht, orientiere ich mich über jenes Wissensgebiet und treffe danach meine Entscheidung. Würde Rickerl in diesem Sinne verfahren, •j K. Harbe, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Mens I olge Bd. LH. is!»7. 8. 277 f. 2 ) H. li i <• k *- r t , Die Grenzen <!<•>• naturwissenschaftlichen Begriffs* WM 2 Aufl. Tübingen L913. S. 204 it. iL Rickert, a. eben a. 0. B. 396. ') H. Rickerl . ... a. 0. S. 4851 112 6. Über Gleichförmigkeit, Geschichtswissenschaften und Soziologie. so müßte er erkennen, daß schon die Psychologie der Zeugen- aussage und der Gerüchte eine Disziplin darstellt, deren Kenntnis und deren Verfolgung für den Historiker unerläßlich ist. Auch würde er dann erkennen, daß die Psychologie der Gleichförmig- keit dem Historiker gleichfalls mancherlei positive Förderung zu geben imstande ist. Er würde dann ferner mit der Möglichkeit rechnen, daß die Psychologie täglich neue Gebiete zutage fördern kann, deren Studium für den Historiker wichtig werden kann 1 ). Wir stehen hiermit am Ende unserer Betrachtungen über die Geschichtswissenschaft. Die in der Überschrift des vorliegenden Kapitels in Aussicht gestellten Untersuchungen über die Be- ziehungen der Gleichförmigkeit zur Soziologie sind in unseren bisherigen Darlegungen schon enthalten. Denn die Soziologie ist die Wissenschaft vom sozialen Leben der Menschen und (einer vielfach üblichen Erweiterung des Begriffes zufolge) auch vom sozialen Leben der Lebewesen überhaupt. Die Soziologie umfaßt also auch die Lehre von den Formen und der geschichtlichen Ent- wicklung der gesellschaftlichen Gebilde oder die Lehre von den sozialen Massen, von denen, soweit es für unsere augenblicklichen Zwecke erforderlich ist, schon die Rede war. Einige weitere sozio- logische Ausführungen folgen im nächsten Kapitel. 1 ) Über die Bedeutung der Psychologie für die Geschichte vgl. K. Mar be, Portschritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd. 1. 1913. S. 40 ff . Siebentes Kapitel. Die Beziehungen der Gleichförmigkeit zur Völker- psychologie und Rechtsphilosophie. Alk unsere Bewußt seins Vorgänge oder, wie wir dafür auch < n. unsere Erlebnisse betrachten wir als Erlebnisse eines Ich. Ich höre, ich bin traurig, ich habe Erinnerungsvorstellungen, ich habe Bewußtseinslagen 1 ). Solche Ausdrücke gebrauchen wir fort- während nicht nur im Leben, sondern auch in der Wissenschaft und selbst in der Psychologie; immer also schreiben wir unsere Erlebnisse einem Ich zu, welches diese Erlebnisse hat, welches sie -ermaßen trägt. Daß der Begriff des Ich schwankend ist, weiß der moderne Philosoph und der Psycholog sehr wohl und man hat oft über die Yrr.M-hiedenen Bedeutungen des Wortes Ich gehandelt. Zunächst wird vom Ich nicht nur im Sinne eines Trägers der Erlebnisse, sondern auch in einem viel weiteren Sinne gesprochen; dann aber wird auch der Träger der Erlebnisse verschieden aufgefaßt. Offen- bar hat das Wort Ich z. B. in folgenden Sätzen sehr verschiedene Bedeutungen: Ich bin finanziell ruiniert; Ich bin staubig; Ich bin traurig; Ich bin vollständig bewußtlos gewesen. Der Gegenstand, den ich mit Ich bezeichne, kann neben vielem anderen mein Körper sein; er kann neben vielem anderem auch in meinen augenblicklichen Erlebnissen oder in einem Teil der- Bell stehen. Letzteres ist z. B. der Fall im Satz: Ich bin Satz kann den Sinn haben, daß mir augenblicklich • Bewußtseinslagen und Unlustgefühle unmittelbar gegeben . die ich durch den Satz ,,Ich bin traurig" charakterisieren kann. Auch das Subjekt, dein alle seine; Erlebnisse als Objekt gegen- Qberstehen, oder der Träger aller Erlebnisse eines Menschen über- l ) übet den Begriff der Bewußtsemilage vgl. K. Marbe, Fortschritte und ihrer Anwendungen. Bd. 3. 1915. S. 27 ff. Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt. 8 114 7. Die Beziehungen der Gleichförmigkeit haupt wird,, wie schon angedeutet, als Ich bezeichnet. Die psycho- logische Analyse lehrt freilich, daß dieser Träger, sofern er psycho- logische Analysen zuläßt, seinerseits selbst immer wieder in übrigens keineswegs jederzeit konstanten Erlebnissen besteht. Und bekannte psychologische und philosophische Betrachtungen zeigen, daß, sofern mit dem Ich ein Träger gemeint ist, der nicht selbst wieder als aus Erlebnissen bestehend angesehen werden darf, ein Gegen- stand gemeint ist, dem keinerlei weitere positive Merkmale bei- gelegt werden können. Aus dieser Tatsache hat sich sowohl die alte Lehre von der absoluten Einfachheit des Ichs oder der Seele ent- wickelt als auch die entgegengesetzte Lehre, daß ein Ich im Sinne eines realen Trägers aller Erlebnisse überhaupt oder eine Seelen- substanz nicht existiert. Mag man nun auf dem Boden der einen oder der anderen dieser beiden Ansichten stehen, mag man alle beiden Ansichten ganz verwerfen oder (vielleicht eingedenk der Wichtigkeit der Theorie des Existenzialbegriffs 1 )) beiden Ansichten skeptisch gegen- überstehen, — jedenfalls muß man zugeben, daß die Neigung der Menschen, ihre Erlebnisse immer auf ein Ich zu beziehen, welches diese Erlebnisse hat, im tiefsten Wesen des Menschen begründet ist. Die Ansicht, daß wir als Subjekt dem Objekt, nämlich unseren Erlebnissen und allen Gegenständen, die wir auf Grund unserer Erlebnisse als existierend ansehen oder überhaupt in Betracht ziehen, gegenüberstehen, ist nicht eine zufällig aufgeraffte, sondern eine im Leben unvermeidliche Auffassung. Diese Subjekt-Objekt- Auffassung, die wir im Sinne der Kant sehen Erkenntnistheorie auch als eine Kategorie bezeichnen können, tragen wir dann in alle Gegenstände überhaupt hinein, die wir irgendwie meinen, irgendwie bezeichnen können. Wir sagen: die Kose hat Blätter, der Baum ist groß; seine Größe ist überwältigend; dieses Über- wältigende ist interessant usw. 2 ). Wir können auch, wenn wir *) Vgl. K. Harbe, Vierterjahrsschrifl für Wissenschaft IhIh Philosophie und Soziologie. Jahrg. 36. L912. S. L39 ff . 2 ) Ober snbstanzüerte Merkmale vgL K. Marbe, Vierteljahrssohrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie. .Jahrg. 36. 1912. S. 151 ff. zur Völkerpsychologie und Rechtsphilosophie. 115 einen oichl mit Unrecht mehr und mehr in Mißkredit kommenden Ausdruck aus der Ästhetik verwenden wollen, sagen: Wir fühlen die Subjekt-Objekt-Auffassung in alle Gegenstände überhaupt hinein. Pie fundamentale Unterscheidung zwischen Gegenstand und Merk- mal ist nur ein besonderer Fall dieser Subjekt-Objekt- Auffassung. Jenes die Erlebnisse scheinbar tragende Ich wird auch als - le bezeichnet. Her Begriff der Seele ist freilich nicht minder schwankend als der des Ich. Auch die uns unmittelbar gegebenen Bewuütseinsvorgänge selbst werden vielfach als Seele bezeichnet. In diesem Sinne redet auch der moderne Psycholog, wie fern er «ler hehre von der Seelensubstanz auch stehen mag, gelegentlich von der Seele des Menschen. Wie wir nun unsere eigenen Erlebnisse einem Ich oder einer - le zuschreiben, welche diese Erlebnisse hat, so können wir auch die Erlebnisse mehrerer Personen einem gemeinschaftlichen Träger dieser Krlebnisse attribuieren. So können wir von einer Volks- le u. dgl. sprechen. Freilich ist der Zwang zu dieser Auffassung Dinge nicht kategorialer Art. Wir alle müssen zwar unsere eigenen Bew r ußtseinsvorgänge einem Ich zuschreiben, welches diese BewulMM'in.- Vorgänge hat, und wir unterliegen immer und immer wieder dieser Auffassung, wie wir als Psychologen und Philosophen Aber diese Sache auch denken mögen; die Bewußtseinsvorgänge • ine- ganzen Volkes einer sie tragenden Volksseele zuzuschreiben, erweist -ich aber keineswegs in gleicher Weise unumgänglich nötig. Wir können dieser Auffassung beitreten, aber wir müssen nicht. Und führt schon beim einzelnen Menschen die Annahme einer aüe unsere Erlebnisse tragenden Seele zu einem Gegenstand, von i wir liehen d,. m Tragen keine weiteren positiven Merkmale . > i) können und dessen Existenz illusorisch erscheint, so wird Annahme eines realen Trägers der Erlebnisse der einzelnen I' 1 Volkes geradezu zu einer Farce. Wie aber die Ausdrücke Ich und Seele vieldeutig sind, so h der Ausdruck Volksseele. Wir können ihn auch gebrauchen, ohne einen geheimnisvollen Träger der Erlebnisse der einzelnen Glieder des Volke- damit zu bezeichnen. 8* 116 7. Die Beziehungen der Gleichförmigkeit So ist der Volksseele nach Wundt 1 ) die Kontinuität psychischer Entwicklungen bei fortwährendem Untergang ihrer individuellen Träger eigentümlich. Sie unterscheidet sich vom Volksgeist, der das in sich begreift, was die geistigen Eigentümlichkeiten eines bestimmten Volkes oder verschiedener Völker ausmacht. Das Gesamtbewußtsein ist für Wundt der Zusammenhang der Vor- stellungen und Gefühle innerhalb einer Volksgemeinschaft. Ähnlich faßt Wundt den Gesamtgeist auf. Bei der Gesamtpersönlichkeit sind nach Wundt im Gegensatz zur Einzelpersönlichkeit Selbst- bewußtsein und Wille nicht zu einer unmittelbaren Einheit ver- bunden, sondern auf zahlreiche individuelle Persönlichkeiten ver- teilt. Ein Gesamtwille aber kann nach ihm überall in die Er- scheinung treten, wo eine Gesamtheit vorhanden ist, die einheit- licher Willensäußerungen fähig ist. Zweifellos kann man die Volks- seele und die erwähnten anderen Begriffe so abgrenzen, wie Wundt es tut. Wenn man aber mit Wundt dieser Volksseele, diesem Volksgeist usw. eine Realität beilegt neben der Realität der ein- zelnen Erlebnisse, welche die Volksseele, den Volksgeist usw. aus- machen, so verläßt man damit den allgemein üblichen Begriff des Realen ganz und gar. Dies ist von W. Brönner 2 ) ausführlich gezeigt worden. Dadurch, daß man Begriffe aufstellt, kann man eben trotz Piaton und anderen keine Wirklichkeiten schaffen. Die erwähnten im Laufe der Schriftstellerei Wundts allmählich entstandenen 1 ) Vgl. zum folgenden die in meinem Institut entstandene Arbeit von W. Brönner: Zur Theorie der kollektiv-psychischen Erscheinungen. Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Bd. 141. 1911. S. 1 ff. In dieser Arbeit werden Wundts Begril! der Volksseele; und die anderen im vorliegenden Text besprochenen Termini klargelegt. F. Krueger (Über Entwickelungspsychologie, ihre sachliche und geschichtliche Not- wendigkeit [Arbeiten zur Entwickelungspsychologie, herausgegeben von P. Krueger. Bd. 1. Heft 1]. Leipzig 1915. S. 131 ff.) hat eine Reihe kritischer Bemerkungen ZUI Arbeit von Brönner mitgeteilt, denen ich nicht bei- treten kann. 2 ) W. Brönner, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Bd. 141. 1911. S. 9ff. — 8. 15 11'. behandelt Brönner einschlägige An- sichten von Bighele und Le Bon. in Völkerpsychologie und Rechtsphilosophie. 117 Kollektivbegriffe der Volksseele usw. ließen sich bia in- Unendliche ofern man nur Zeit und Lus1 hätte, Bolche Begriffe costellen. Dadurch ließen sich aber kaum die Realitäten ver- mehren und auf diesem Wege ließe sich auch die Erkenntnis ueuer kaum fördern. Warum schweben Wundt bei der Al>- uzung dieser Begriffe immer nur Volksgemeinschaften, Staats- u. dgl. vor? Kann man nicht mit gleichem Rechte auch anderen Verbänden ein Gesamtbewußtsein, einen Gesamtgeist, eini önlichkeit, einen Gesamtwillen und eine Gesamt- le beilegen? es nicht auch innerhalb der politischen Parteien einen en Zusammenhang der Vorstellungen und Gefühle, genau ranzen Volke? Gehen nicht solche Zusammenhänge auch utlich über die nationalen Schranken hinaus? Kann man • nicht ebensogut wie von einem Gesamtbewußtsein in dem Wundt geläufigen Sinne von einem Konservativenbewußtsein, in Liberalenbewußtsein, aber auch von einem Gesamtbewußt- ■ nationalen Sozialdemokratie reden? Daß dieses imtbewußtsein unter dem Einfluß des Weltkrieges tterl erscheint, ist wohl kein Argument gegen unsere Ansicht. Denn nicht nur internationale Verbände, auch Völker und Staaten utlich in die Brüche. Wurde und wird nicht bei einer Anzahl von Personen das Bewußtsein der internationalen lemokratie über das Nationalbewußtsein gestellt und ist es hl bei vielen Menschen auch stärker ausgebildet als dieses? . '-inen solchen Zusammenhang der Vorstellungen und der für Wundt das Gesamtbewußtsein ausmacht, nicht. h bei den vielen heute bestens organisierten Gruppen, Z. B. len vrohlorganisierten Handwerkern der verschiedensten Be- ruft Wahrlich, wenn der Begriff des Gesamtbewußtseins im V\ Sinne eine Realität darstellt, so kann man unzählig inschaften ein solches reales Gesamtbewußtsein bei« en. Wandt meint, daß dieses Gesamtbewußtsein im Gebiet von M thue und Bitte geistige Erzeugnisse hervorbringe, die 118 7. Die Beziehungen der Gleichförmigkeit der einzelne nicht zu erzeugen vermag. Gewiß sind Sprache, Mythus und Sitte innerhalb der Gemeinschaft der Menschen hervorgebracht worden. Einzelne Menschen hat es eben, soweit wir wissen, niemals gegeben. Die auf Inseln verschlagenen und in der Wildnis einzeln aufgewachsenen können hier außer Betracht bleiben. Aber alle Kulturerzeugnisse überhaupt sind eben, weil der Mensch von Natur aus in Gemeinschaft lebt, durch eine Mehrheit von Menschen er- zeugt worden. Auch das Liberalen- und das Konservativenbewußt- sein bringt spezifische Schöpfungen hervor. Das Katholiken- bewußtsein hat die Klerikalseminare, die katholischen Studenten- verbindungen und vieles andere hervorgebracht. Das Freimaurer- bewußtsein hat gewisse internationale Gebräuche der Freimaurer erzeugt usw. Man sieht aus dem allem, daß der Begriff des Gesamtbewußtseins im Wun dt sehen Sinne einen Spezialfall darstellt neben unzähligen parallelen Begriffen. Man sieht weiterhin, daß, wenn man Sprache, Mythus und Sitte als Äußerungen des Gesamtbewußtseins auf- fassen darf, auch unübersehbar viele andere Äußerungen dieses Gesamtbewußtseins zugelassen werden müssen. Man sieht endlich, daß, wenn das Gesamtbewußtsein im Sinne Wundts etwas Reales ist, auch unzählige andere Realitäten dieser Art statuiert werden müssen. Daß diese Realitäten wie die Platonschen Ideen einander unter- und übergeordnet sein müßten und sich auch wieder wie Begriffe von sich kreuzenden Sphären verhalten müßten, liegt auf der Hand. Man denke an das Gesamtbewußtseiri der ost- elbischen Agrarier, die aber docli auch am Gesamtbewußtsein der Deutschen teilhaben, an das nationale Gesa int bewußtsein der Polen, das wiederum durch das katholische Gesamtbewußtsein gekreuzt wird usw. Analoge Schwierigkeiten ergeben sieh für die „Realitäten" der Gesarntpersünlichkeit, des Gesamtestes, des GesamtwillenE und der Volksseele. An wieviel realen Seelen muß wohl ein Mensch teilhaben, der ein Sehneider, ein eifriger Protestant, ein guter Deutscher und ein eifriges Mitglied des Hausbesitzervereins ist? nur Völkerpsychologie und Rechtsphilosophie. 119 Dens aDe Gründe, aus denen Wund t dem Volk eine Seele zuschreibt, 9en rieh auch für die Seele eines Hausbesitzervereins In Anspruch nehmen. Wenn Wundt 7. B. Bagt, die Verschiedenheil der Volks- seele von der Einzelseele beruhe auf der Verl > i 1 1 < 1 1 1 1 1 «j; und Wechsel- wirkung der Individuen, welche die Gemeinschaft als solche zu den Anlagen des einzelnen hinzubringi und durch die sie neue, dem gemeinsamen Leben spezifisch angehörige Leistungen weckt, — bo wüßte ich nicht, warum diese Ausführungen auf ein Volk besser als auf einen Bausbesitzerverein paßten. Auch in solchen Vereinen fehlt es nicht an Verbindung und Wechselwirkung zwischen den Individuen, auch hier fehlt es nicht an immer neuen, dem gemein- Bamen Leben der Hausbesitzer spezifisch angehörigen Leistungen. Wundts zu so bedenklichen Konsequenzen führende Lehre, daß außer den psychischen Vorgängen der einzelnen Individuen h ein reales Gesamtbewußtsein u. dgl. existiere, beruht teil- weise auf der bekannten Tatsache, daß ein Kollektivgegenstand (und Gesamtbewußtsein, Gesamtgeist usw. sind solche Kollcktiv- enstände) Merkmale hat, die den einzelnen Gegenständen, aus denen er besteht, fehlen. Gewiß läßt sich von der Gesamtheit der Vorstellungen und Gefühle eines Volkes manches aussagen, was von denen der einzelnen Glieder des Volkes nicht gilt; gewiß können alle Willensvorgänge einer Masse Wirkungen haben, die kein einziger einzelner Willensvorgang für sich in Anspruch nehmen kann. aber kann man nicht folgern, daß es ein reales Gesamt- rußtsein oder einen realen Gesamtwillen gibt, der etwas anderes Üfl die Summe der einzelnen Bewußtseinsvorgänge oder Willens- • in den Individuen. Man nimmt doch auch nicht an, daß die elsäure fII 2 S0 4 ) eine Realität darstelle neben der Realität der Atome von II, S und 0, aus denen sie besteht, obwohl sie lallten hat, die weder dem Wasserstoff (II) noch dem Eel (8) noch dem Sauerstoff (0) zukommen. Auch einem Ihn • niemand eine Realität bei neben den Bestandteilen, die dafl Baus ausmachen, wiewohl es eine Fülle von Eigenschaften itzt, die keinem -einer Teile zukommen. W undts Lehre vom realen Gesamtbewußtsein u. dgl. beruht 120 7. Die Beziehungen der Gleichförmigkeil aber auch ganz wesentlich auf der Gleichförmigkeit der psychischen Verhaltungsweise der Individuen, denen er ein Gesamtbewußtsein, einen Gesamt geist u. dgl. beilegt. Insbesondere ist die Lehre von der Volksseele oder die Völkerpsychologie nicht nur bei Wundt 1 ), sondern schon bei Lazarus und Steinthal, den Autoren, durch welche der Ausdruck Völkerpsychologie in Aufnahme kam 2 ), aus der offensichtlichen Gleichförmigkeit im Geistesleben der Massen erwachsen, von der wir schon mehrfach handelten. AVer bemerkt, daß die Mitglieder der einzelnen Völker in vielen Beziehungen ähnlich denken und handeln, wer sieht, daß vielleicht alle ungefähr dieselbe Sprache sprechen, daß sie dieselben Gebräuche und ähnliche religiöse Ansichten haben, daß sie in Zeiten der Not aufstehen „wie ein Mann", daß sie in Zeiten der Erregung oder der „kochenden Volksseele" das Übereinstimmende betonen und das sie Trennende vergessen, der mag wohl auf die Idee ver- fallen, daß ein Gesamtbewußtsein, eine Volksseele oder ein Gesamt- willen alle diese übereinstimmenden Betätigungen hervorbringt, daß diese Volksseele u. dgl. etwas Wirkliches neben den einzelnen Bewußtseins Vorgängen der Menschen sei. Er mag in seinem Eifer ganz vergessen, daß diese Volksseele zunächst nur ein Begriff war, der ihm erwuchs auf Grund der vergleichenden Betrachtu ig der Individuen und den er dann ähnlich wie Pia ton seine Ideen zu einer Gottheit erhob, die er höher stellte als die einzelnen denkenden und wollenden Menschen. An und für sich möchte es scheinen, der wissenschaftliche Forscher könne an dieser Realisierung des Gesamtbewußtseins und der verwandten Begriffe gleichgültig vorübergehen. Der kritische 1 ) Zur Zeit, wo ich dies schreibe, sind von Wtindte „Völkerpsycho- logie" Eine Untersuchung der Entwickelnngsgesetze von Sprache, Mythus and Sitte" 6 Bände teils in zweiter, teils in dritter Ausgabe erschienen, «reiche die Sprache, die Kunst, den Mythus und dir Religion behandeln. Daß man im Sinne Wundts noch alles mögliche andere unter die Gegen- stände der Völkerpsychologie subsumieren könnte und daß sein Hegriff der Volkerpsychologie gegenüber dem der [ndividualpsychologie nicht scharf abgegrenzl ist, wird mi1 Rechl of1 betont. 2 ) Vgl. M. Lazarus and H. Steinthal, Zeitschrift für Völkerpsycho- logie und Sprachwissenschaft. Bd. L. 1860. S. I l'i". zur Völkerpsychologie and Rechtsphilosophie. 121 Historiker der Philosophie, bo werden Einsichtige vielleichl sagen, weiß ja längst, daß die Erschaffung von Realitäten ans Begriffen von jeher eine Liebhaberei der Philosophen gewesen is1 ; das reine - in der Eleaten, die Ideen des Piaton, die ungereimten Reden Johannes Bcotus (Erigena) and anderer Elealisten, daß die UniversaHen vor den Einzelobjekten sind, der ontologische Gottesbeweis, das öberindividuelle Ich der Fichteschen Philo- BOphie and bekannte Philosophien unserer Tage zeigen neben vielem anderen, daß die Neigung der Philosophen, ans von ihnen ildeten Begriffen auf ein diesen Begriffen zugrunde liegendes reale- Wesen zu schließen, unausrottbar erscheint. Was mag es da Bchaden, B0 wird der kritische Kenner der Geschichte der Philo- sophie vielleichl einwenden, wenn man zu jenen vielen mystischen Geburten der Spekulation auch noch den Volksgeist und seine Genossen rechnen muß? Diese Ansieht erscheint mir jedoch nicht haltbar. Die Annahme eines <a -;:mtbew T ußtseins. einer Volksseele u. dgl. ist im höchsten Maße geeignet, die wissenschftliche Forschung in falsche Bahnen zu drängen. Denn sie führt ohne weiteres dazu, Erscheinungen nlebens einseitig als Ausfluß einer Massenseele oder eines Mrc^cnbewußtseins usw. anzusehen und auf ihre weitere wissen- schaftliche Erklärung zu verzichten. Dies zeigt sich auch in Wundts Völkerpsychologie. Mit Recht sagt H. Paul 1 ) über Wundt: „Er I die Sprache lediglich vom Standpunkte des Sprechenden, nicht auch von dem des Hörenden. Auch die Erlernung der Sprache mit ihren Konsequenzen erfährt keine Würdigung. Damit hat er sich meiner l'lerzeugung nach den Weg zu allseitiger Erkenntnis .1 wickclungsbedingungen verbaut. Nach ihm vollziehen sich die Veränderungen der Sprache nicht an den einzelnen Individuen, sie fließen mit einer gewissen Naturnotwendig- keil dem gemeinsamen Volksgeiste 2 ). Freilich begreift man dabei nicht, wie sich mundartliche Unterschiede bilden können, von denn auch bei Wundt nirgends die Rede ist." l ) II. Paul, Süddeutsche Monatshefte. 7. Jahrg. Bd. 2. 1910. 8. 370f. Von mir gesperrt . 1 22 7. Die Beziehungen der Gleichförmigkeit Die falsche Voraussetzung einer Volksseele, aus welcher die Sprache und andere Äußerungen des Gemeinschaftslebens ent- springen sollen, erklärt es auch, wenn Wundt völlig übersieht, daß mit jedem Sprachzustande besondere Tendenzen zu bestimmten Sprachveränderungen gegeben sind, sie erklärt es auch, daß Wundt der Wirkung des Verkehrs und anderen Faktoren, welche die Sprache beeinflussen, nicht gerecht wird. Was über Wundts Behandlung der Sprache in der Völkerpsychologie zu sagen ist, gilt in ähnlicher Weise auch von seiner Behandlung von Mythus und Sitte, in denen sich die Volksseele seiner Meinung nach gleich- falls betätigt 1 ). Wer an eine Beseelung der Bakterien glaubte, der könnte nach Analogie der Lehre von der Volksseele, das eigentümliche Verhalten der Purpurbakterien im Spektrum schließlich auch einer Purpurbakterienseele zuschreiben. Dies wäre ja gewiß be- quemer als die teils in den Bakterien selbst, teils in ihrer Umgebung liegenden Bedingungen dieses Verhaltens gründlich zu untersuchen. Die Wissenschaft würde aber durch eine solche Hypothese nicht gefördert werden. Die Annahme psychischer Vorgänge, die an Bakterien geknüpft sind, liegt nun freilich den meisten wissen - schaftlichen Forschern fern. Trotz der sogenannten objektiven Tierpsychologie aber ist die Ansicht von der Existenz geistiger Vorgänge bei den höheren Tieren (wie mir scheint glücklicherweise) weit verbreitet. Was würde man nun sagen, wenn jemand die dem Jäger und Biologen wohlbekannten Gebräuche eines Volkes von Feldhühnern einer realen Volksseele und einem (Jesamtwillen zuschriebe und wenn er gewisse Tätigkeiten der einzelnen Mit- glieder des Hühnervolkes aus dieser Volksseele erklären wollte? Man winde sagen: er Lsl auf dem falschen Wege. Gleiches scheint mir von den Anhängen] der Volksseele und der Völkerpsychologie gesagl weiden v.w müssen. Eine allseitige Kritik <\^v methodologischen Grundlagen oder gar <\c^ konkreten Inhalts der Völkerpsychologie liegt gänzlich i) II. Paul, Büddeutache Monatshefte a.a.O. 8. 'Ml l. nur Völkerpsychologie und Rechtsphilosophie. L23 außerhalb der Aufgaben dieses Buches 1 ). Nur auf die bekannte Tatsache mag noch hingewiesen werden, daß die Völkerpsychologie bisher kein einziges Ergebnis zutage gefördert hat, das nicht in den Rahmen anderer älterer Wissenschaften, insbesondere der Sprachwissenschaft und der Kulturgeschichte oder der landläufigen wissenschaftlichen Psychologie hineinpaßte. Abgesehen von den theoretischen Bedenken gegen die Völkerpsychologie kann sie ihre Existenzberechtigung daher gewiß nicht auf ein praktisches Be- dürfnis gründen. Viel wichtiger als der Versuch, die Psychologie durch die Völkerpsychologie zu erweitern, scheint mir das Studium der Gleichförmigkeiten, aus welchen die Annahme der Volksseele und die Völkerpsychologie hervorgegangen ist. Wie von alters her und allgemein bekannt, weisen die lebenden Wesen gewisse Ähnlich- keiten in ihrem Bau und in ihrem Verhalten auf. Die Gleichförmig- keit des Verhaltens ist nun natürlich im allgemeinen um so größer, je ähnlicher die fraglichen Individuen einander in anatomisch- physiologischer Beziehung sind. Eine Masse von bestimmten Bakterien wird sich im allgemeinen ichförmiger verhalten, als eine Masse, die aus Bakterien, Fischen und verschiedenen Säugetieren zusammengesetzt ist. Die Gleich - migkeit des Verhaltens einer Masse hängt aber, wie aus vielen früheren Bemerkungen dieses Buches hervorgeht, auch wesentlich ab von Bedingungen, die nicht in den die Masse bildenden Individuen (halten Bind. Schon unsere Experimente über die Gleichförmig- keit beweisen die Richtigkeit dieser Ansicht. Aufgabe aller Dis- ziplinen, die man etwa unter den Begriff der Völkerpsychologie subsumieren mag, ist es nun neben anderem, die Gleichförmigkeit Verhaltens der in Krage kommenden Individuen festzustellen und sie aus den in den Individuen selbst und den außerhalb der Individuen liegenden Bedingungen zu erklären. Ein großes Gebiet eichförmigen Verhaltens der eine Masse bildenden Individuen kommt ganz unabhängig von dem gegenseitigen Einfluß der In- l ) über Völkerpsychologie vgl. besondere II. Paul, Prinzipien der ichgeschichte. 4. Aufl. Halle ... s. L909. B. «ff. 124 7. Die Beziehungen der Gleichförmigkeil dividuen aufeinander zustande. Diese Gleichförmigkeiten könne!] als primäre bezeichnet werden. Gleichförmigkeiten, die ausschließ- lich durch den Einfluß der Individuen aufeinander hervorgerufen werden, wie etwa solche, die lediglich durch Nachahmung ent- stehen, mögen sekundäre Gleichförmigkeiten heißen. Viele Gleich- förmigkeiten werden sich auch teils als primäre, teils als sekundäre erweisen. So können, wie wir sahen, primäre Gleichförmigkeiten durch den Einfluß der wechselseitigen Suggestion erhöht werden. Eine wichtige Aufgabe wird es nun auch sein, alle die Faktoren, die im Sinne der sekundären Gleichförmigkeit wirken, zu unter- suchen. Zu diesen Faktoren gehört bei den Menschen auch die gesellschaftliche Organisation im weitesten Sinne des Wortes. Menschen, die irgendwie einer solchen Organisation angehören, werden durch andere, die der Organisation gleichfalls angehören oder an ihrer Spitze stehen oder sie geschaffen haben, immer im Sinne eines gleichförmigen Verhaltens beeinflußt. Die Geschichte des Sozialismus, die glänzende Organisation der Zentrumspartei und der religiösen Orden zeigen die Bedeutung der Organisation für das mehr oder weniger übereinstimmende, also gleichförmige Verhalten der Organisierten deutlich. Diese Übereinstimmung zeigt sich im Handeln wie im Denken. Will man erreichen, daß eine Vielheit von Menschen in ähnlichem Sinne handelt und denkt, BO braucht man sie nur möglichst von Jugend auf unter gleich- förmige Bedingungen zu bringen, wie es z. B. zunächst in den Klerikalseminaren der Katholiken, in die die Gymnasiasten ein- liefen, und dann in den anderen, die für die Studenten der Theologie timmt Bind, geschieht. Auch die Wehrkraftvereine und viele andere Organisationen wirken im Sinne der Gleichförmigkeit des Denkens und Handelns, wenngleich in anderem Sinne als die Ein- richtungen (\cv Katholiken. Daß es bei ans in Deutschland den liberalen Parteien der verschiedenen Schattierungen an solchen Organisationen allzusehr fehlt, ist ein Hauptgrund ihrer geringen Wirksamkeit. Zu den Faktoren, welche im Sinne der sekundären Gleich- törmigkeil wirken, gehört auch der anbewußte Einfluß der An- iui Völkerpsychologie und Rechtsphilosophie. L25 sehenen und Reichen. Die Menschen reisen massenhaft in die Bader, die von Fürsten besuchl werden, und das religiöse Denken vieler Menschen ist wesentlich abhängig von demjenigen des Herrscherhauses. Die Mode wird von den Angesehenen und Reichen bestimmt. Einen heiteren Hinweis auf diese Tatsache hat sich einmal König Eduard VII. in England geleistet, da er eines Tages bei einem Wettrennen die Bügelfalte der Hose statt in der Mitte auf der Seite trag. Auch persönliche Sympathien und Antipathien sind von wesentlichem Einfluß auf die Gleichförmigkeit des Ver- haltens der Menschen. Es gibt Kollegien, in denen man fast mit Sicherheit voraussagen kann, wie Abstimmungen ausfallen, ohne daß man die Materie, über die abgestimmt wird, überhaupt in Rück- sicht zieht. Es bildet sich in ihnen eine humorvolle Gleichförmig- keit einzelner Gruppen, die alles bekämpfen, was der eine, und alles unterstützen, was der andere vorschlägt. Die sekundäre 1 dtichförmigkeit des Denkens und Handelns wird auch wesentlich durch die Presse und durch die Reklame gefördert. Alle diese Ausführungen wollen nicht eine Wissenschaft von der Gleichförmigkeit begründen, sondern zeigen, daß das Gleich - i"!inigkeitsproblem von fundamentaler Bedeutung ist für die P-ychologie der Massen, und zwar auch jener Massen, deren Äuße- rungen die sogenannte Völkerpsychologie untersucht. Sie sollen ■r auch zeigen, daß man besser tut, die Bedingungen der Gleich- förmigkeiten nach allen Richtungen und mit allen möglichen Methoden zu prüfen, als sie als Ausfluß einer Massenseele zu be- bten. Natürlich wird man die Untersuchung der historischen ichförmigkeiten soweit als tunlich mit der im Experiment h herstellbaren Gleichförmigkeit und mit der Statistik in Beziehung stellen, wie dies schon bei den oben erwähnten Ver- suchen über die Bevorzugung gewisser Zahlen bei den alten Römern und Deutschen geschehen ist. Das Studium der Gleichförmig- innerhalb der einzelnen Gruppen von Individuen wird aber ■nd< te nicht etwa eine Fülle neuer „Psychologien" zur Folge haben müssen (schon heute redet man höchst iiberflüssigerweise von einer Psychologie der Börse, einer Psychologie des Arbeiters, 126 7. Die Beziehungen der Gleichförmigkeit der Armut usw.), es wird vielmehr genügen, wenn die Gleichförmig- keitsbetrachtung und die exakt-psychologische Betrachtung über- haupt in all den Gebieten Eingang findet, wo es überhaupt möglich ist. Zu diesen Gebieten gehören, wie unsere Beispiele zeigen, nicht nur eigentlich historische Disziplinen, sondern auch diejenigen wissenschaftlichen Untersuchungen, die sich auf die heutige Gesell- schaft, das heutige Erziehungswesen, die heutigen Wirtschafts- formen und viele andere zeitgenössische Dinge beziehen. Da wir unter Masse hier jede Mehrheit bzw. Vielheit von Individuen verstehen, so involviert unser Begriff der Masse keines- wegs, daß sich die Glieder der Masse unmittelbar beeinflussen. Wir würden daher z. B. auch alle durch die Geschichte überhaupt bekannten Menschen als eine Masse bezeichnen, ebenso aber auch die Handwerker in d,en verschiedenen modernen Staaten oder die regierenden Fürsten von heute. Auch von Massen anderer Lebe- wesen als den Menschen handeln wir. Natürlich kann man nur bei Massen, deren Glieder irgendwie miteinander im Kontakt stehen, von einer sekundären Gleichförmigkeit reden, während die primäre Gleichförmigkeit sich auch bei verschiedenen Massen nachweisen läßt, deren Mitglieder voneinander unabhängig sind. Dieser Tatsache wird z.B. der oben diskutierte ,, Elementargedanke" Bastians gerecht. Von besonderer Wichtigkeit wird es daher im Gebiet der auf historische und zeitgenössische Gleichförmigkeits- fragen bezüglichen Untersuchungen sein, festzustellen, inwieweit primäre und inwieweit sekundäre Gleichförmigkeit vorliegt. Die Geschichte der Menschheit lehrt schließlich, wie bekannt, daß die Gleichförmigkeiten der Betätigungen im Laufe der Zeit bei den Menschen andere geworden sind und sich stets verändern. Die Kultur ist, so können wir dieselbe bekannte Tatsache auch ausdrücken, einer stetigen Entwicklung unterworfen. Inwieweit ist diese Tatsache an den Wechsel der Bedingungen der primären, inwieweit ist sie an den Wechsel der Bedingungen der sekundären Gleichförmigkeit geknüpft? ließe sich Dicht auch Eür einzelne Tiergruppen eine kulturgeschichtliche Entwickelung synthetisch herstellen etwa dadurch, daß man die Bedingungen der Gleich- zur Völkerpsychologie und Rechtsphilosophie. 127 förmigkeil des Verhaltens dieser Tiere in geeigneter Weise ver- ändert? Die Frage ist nicht so sinnlos, wie es manchem erscheinen möchte. Man weiß, daß die Stockenten früher allgemein auf dem Boden oder auch auf ganz niederen Weidenstümpfen u. dgl. nisteten. Wie ich gehört habe, hat man im Berliner zoologischen Garten diese Weidenstümpfe immer mehr erhöht und so eine große Anzahl von Wildenten veranlaßt, viel höher gelegene Nester zu bauen als früher üblich war. Futterapparate, die früher für das Füttern der Singvögel im Winter verkauft wurden, waren so gebaut, daß sie von Spatzen nicht benützt wurden. Mittlerweile haben auch diese es gelernt aus ihnen zu fressen; die Furcht, die sie wegen Wackeins der Apparate anfänglich beseelte, ist geschwunden, und sie fressen nun ebenso wie die Meisen aus jenen Vorrichtungen. An« lere und ich selbst haben diese Tatsache vielfach beobachtet. Ließen sich nicht vielleicht aus der synthetischen Schaffung einer Kulturgeschichte für gewisse Tiergruppen wieder Erkenntnisse ge- winnen, die auf die Beurteilung der menschlichen Geschichte einiges Licht werfen könnten? Jedenfalls wird es besser sein, das Wesen der Gleichförmigkeit Verhaltens der Menschen und der Lebewesen überhaupt nach allen Richtungen zu studieren und die tatsächlichen gleichförmigen iialtungsweisen und ihre Bedingungen mit allen Mitteln zu untersuchen, als diese Untersuchungen durch scheinbar abschließende m Realitäten erhobene Begriffe wie Volksseele und dergleichen von vornherein zu gefährden. Wie das Gesamtbewußtsein, der Gesamtgeist, die Gesamt- peraönlichkeit, der Gesamtwille, die Volksseele ihre Entstehung wesentlich der Tatsache der Gleichförmigkeit verdanken, so auch die juristische Person, sofern dieser Ausdruck als Zeichen für eine P on angesehen wird. J>ic in der Jurisprudenz bisweilen übliche Annahme einer len juristischen Person neben den einzelnen physischen Personen, aus denen die juristische Person besteht, ist jedoch ebenso ver- H wie die Annahme einer realen Volksseele. Auch andere Kol- lektivbegriffe wie der der Körperschaft weisen nicht auf etwas 128 7. Die Beziehungen der Gleichförmigkeit zur Rechtsphilosophie. Reales hin, das neben den Mitgliedern der Körperschaft existierte 1 ). Diese Tatsachen sind von W. Brönner 2 ) und mir 3 ) früher aus- führlicher behandelt worden und sollen hier im einzelnen nicht weiter diskutiert werden. Es sei nur ausdrücklich erwähnt, daß die Tatsachen der Gleichförmigkeit im Gebiet des menschlichen Handelns insofern rechtsphilosophisches Interesse beanspruchen dürfen, als sie zu der rechtsphilosophischen Annahme einer realen juristischen Person und zur Annahme anderer ähnlicher Gegen- stände innerhalb der Jurisprudenz geführt haben. Auch dies ist schon von Brönner und mir betont worden. J ) K. Marbe, Grundzüge der forensischen Psychologie. München 1913. S. 58 ff. 2 ) W. Brönner, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Bd. 141. 1911. S. 23 ff. 3 ) K. Marbe, Grundzüge der forensischen Psychologie. München 1913. S. 56 ff. Achtes Kapitel. Zum Problem der ewigen Wiederkehr <ies Gleichen. Die Gleichförmigkeit, von welcher bisher gesprochen wurde, wird teils ohne weiteres auch von dem Laien anerkannt, sobald er darauf aufmerksam gemacht wird, teils ergibt sie sich aus ge- wissen wissenschaftlichen Tatsachen. Immer aber, wo bisher von Gleichförmigkeit die Rede war, kann die Frage, ob die Gleichförmig- keit wirklich besteht, wenigstens prinzipiell an der Hand der Er- fahrung nachgeprüft werden, mag es sich dabei um chemische, biologische, historische oder sprachwissenschaftliche Erfahrungen handeln. In dem vorliegenden Kapitel soll von einer Art Gleich- förmigkeit und sogar Gleichheit die Rede sein, die sich nicht auf Grund der Erfahrung nachweisen läßt, die aber vielfach als eine notwendige Folge gewisser Betrachtungen der analytischen Mechanik angesehen wird. Wir wollen nun zunächst den Versuch machen, diese äußerst schwierigen Betrachtungen in einer elementaren gemeinverständ- lichen und zugleich richtigen Weise darzustellen. Dabei gehen wir aus von dem sogenannten Dreikörperproblem, das der Sache li auf die Gravitationsmechanik Newtons 1 ) zurückgeht und im Anschluß an Newton vielfach behandelt wurde 2 ). Wir schließen durchaus an eine pädagogisch ausgezeichnete Schrift von K. T. Whittaker 3 ) an, in der man auch die wichtigsten mathe- matischen Ausführungen und die einschlägige Literatur findet. • f. Newton, Philosophiae naturalis principia mathematica. London *) VgL B. Wolf, Bandbuch der Astronomie, ihrer Geschichte und ir. Bd. >. (3. Halbband.) Zürich 181)2. 8. 381 ff. T. Whittaker, Prinzipien der Störungstheorie und allgemeine der Bahnkurven in dynamischen Problemen. Aus dem Englischen n A. Haar. (Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften. VI. 2. Heft 4.) Leipzig 1912. S. 512 ff. Marbe, Di© Gleichförmigkeit in der Welt. 9 130 8. Zum Problem der ewigen ■- Unter dem Dreikörperproblem verstellt man die Aufgabe, die räumliche Bewegung von drei Körpern bekannter Masse zu be- stimmen, die sich nach dem New ton sehen Attraktionsgesetz gegenseitig anziehen. Hierbei wird vorausgesetzt, daß im Räume außer diesen drei Körpern keine anderen vorhanden sind, die ge- eignet sind, die gegenseitige Attraktion der drei Körper zu be- einflussen. Da es für die mathematische Behandlung unerläßlich ist, die Körper durch Massenpunkte, d. h. durch mathematische Punkte, denen ein bestimmter Massenwert anhaftet, zu ersetzen, so können wir in der Definition und Diskussion des Dreikörper- problems für das Wort Körper auch den Ausdruck Massenpunkt, materieller Punkt oder kurz Punkt einsetzen. Legt man zur Beschreibung der Bewegung ein im Räume feststehendes rechtwinkeliges, dreidimensionales Koordinatensystem zugrunde, so ist die Lage und die Geschwindigkeit eines jeden Punktes für einen beliebigen Zeitpunkt bestimmt durch seine drei Koordinaten und die drei Komponenten, in die man seine Ge- schwindigkeit parallel zu den Koordinatenachsen zerlegen kann. Den drei Punkten entsprechen also 3 . f> = 18 Bestimmungsstücke. Es wird ferner angenommen, daß der Anfangszustand der drei Massenpunkte (das ist Anfangslage und Anfangsgeschwindigkeit) gegeben ist. Anfangszustand heißt übrigens natürlich nicht der absolut eiste Zustand, sondern der Zustand, von dem wir bei unserer Betrachtung ausgehen. Man ist nun in der Lage, das Dreikörperproblem für jeden konkreten Fall mit einer für astronomische Zwecke genügenden Genauigkeit innerhalb gewisser zeitlicher Grenzen approximativ zu lösen. 1s1 die Masse der drei Punkte und ihr Anfangszustand bekannt, so kann man für jeden bestimmten früheren oder späteren nicht zu weit entfernten Zeitpunki die Koordinaten der drei Punkte berechnen. So kann man z. P>. ans den gegenwärtigen Daten für Sonne, Erde und Jupiter die gegenseitige Stellung dieser Himmels- körper in hundert Jahren approximativ berechnen, wobei dann Ereilich noch Störungen durch die übrigen Planeten berücksichtigt werden müssen. Wiederkehl des Gleichen. 131 Dagegen ist eine allgemeine Lösung des Dreikörperproblems in geschlossener Form mit den bisherigen Methoden der Mathematik nicht ausführbar. Eine allgemeine Lösung in geschlossener Form wäre dann gefunden, wenn es gelänge, Formeln anzuschreiben, aus denen man durch Einsetzen bekannter Werte die Koordinaten für jeden beliebigen Zeitpunkt finden and absolut genau bestimmen könnte. Während dies heutzutage und vielleicht immer faktisch un- ausführbar ist. so läßt sieh indessen /.eigen, daß eine allgemeine Lösung des Dreikörperproblems prinzipiell keineswegs unmöglich ist, d. h. daß sie existiert, was freilich schon aus der physikalischen Natur der Aufgabe hervorgeht. Wenn wir mit t irgend eine mit dem Anfangszustand beginnende Zeitstrecke bezeichnen, so gelten nämlich für jeden Wert von t ganz bestimmte seit den Zeiten des Lagrange 1 ) von verschiedenen Forschern und mittels ver- schiedener Methoden immer mehr reduzierte (Bewegungs-) Glei- chungen, mit deren Hilfe man für jeden Wert von t die Koordinaten der drei Punkte bestimmen könnte, — wenn eben die bekannten mathematischen Hilfsmittel ausreichten. Diese Gleichungen vereinfachen sich in gewissen Spezialfällen Dreikörperproblems. Ein Spezialfall des Dreikörperproblems steht z. B. hei der Voraussetzung, daß die drei Körper immer in einer Ebene bleiben. Ein anderer Spezialfall ist das sogenannte tringierte Dreikörperproblem. Dasselbe lautet so: Zwei Körper 3 and J bewegen sich unter ihrer gegenseitigen Anziehung in kreisrunden Bahnen um ihren gemeinsamen Schwerpunkt 0. Ein dritter Korper P von verschwindender Masse, der also die Bewegung B und J nicht stört, bewegt sich unter dem Einfluß der Massen- riehung dieser beiden Körper; die Bewegung von P ist zu he- il. Dieses Problem ist von großem astronomischem Interesse, inm er in Präge kommt, wenn die Bahn eines neuen Plane- rn (V) unter Berücksichtigung der Störungen durch Jupiter (J) l ) Oeuvres de Lagrange. Bd. 6. Paria L873. 8. 229 ff. Die Schritt -in !•• piobleme d<-- trois corps) erschien zuersl ;ils Preisschrift der ■ mie im Jahre 1772. 9* 132 8. Zum Problem der ewigen zu berechnen ist. Auch solche Spezialfälle des Dreikörperproblems lassen sich für bestimmte t- Werte approximativ mit einer für den Astronomen genügenden Genauigkeit lösen. Alle Spezialfälle des Dreikörperproblems sind aber ebenso wie das allgemeinere Dreikörperproblem mathematisch in geschlossener Form nicht lösbar. Auch für alle diese Spezialfälle sind aber Lösungen prinzipiell möglich. Solche Lösungen heißen Partikularlösungen. Das Dreikörperproblem besitzt nun Partikularlösungen, bei denen die Koordinaten der drei Punkte periodische Funktionen der Zeit sind. Solche Lösungen, bei denen also die Punkte sich immer in geschlossenen Bahnkurven bewegen, bezeichnet man auch als periodische Lösungen. Die periodischen Lösungen des Dreikörperproblems können instabil oder stabil sein. Wir sehen die Bahn, in welcher sich ein Massenpunkt unter dem Einfluß gegebener Kräfte bewegt, als bekannt an. Wir betrachten nun einen zweiten Punkt, der von einer der bekannten Bahnkurve benachbarten Stelle ausgeht und daselbst eine Geschwindigkeit besitzt, die der Größe und Richtung nach nur wenig von der Geschwindigkeit verschieden ist, die der erste Massenpunkt an einer dieser Stelle benachbarten Stelle seiner Bahn hat. Es entsteht nun die Frage, ob der zweite Punkt während seiner Bewegung nur um die gegebene Bahnkurve oszilliert und in ihrer Nähe bleibt, oder ob sich die Bahn dieses Punktes von der gegebenen Bahn mehr und mehr entfernt, so daß schließlich eine Bewegung von ganz anderem Charakter resultiert. Im ersteren Fall ist die Bewegung des ersten Punktes stabil, im letzteren ist sie instabil; im ersteren Fall heißt auch die Lösung der Aufgabe, die Bahn eines nach Art des ersten Punktes bewegten Punktes zu bestimmen, eine stabile, im letzteren Fall heißt sie eine instabile. Man sieht, daß Her zweite Punkt bei dieser Betrachtung lediglich als Kriterium der Stabilität des ersten Punktes dient. Die Stabilität einer Lösung in dem bisher erörterten Sinne heißt die Stabilität der Lösung, definier! durch den Charakter der benachbarten Lösungen. Sic wird auch als Stabilität nach Wiederkehr des Gleichen. 133 Hill 1 bezeichnet. Von den übrigen Stabilitätsbegriffen ist für nng noch die Stabilität der Lösungen, definieri durch den Charakter der Bewegung für große Werte der Zeit, wichtig, die von Poincar6 a ) als Stabilität im Sinne von Poisson bezeichnet wird. Eine stabile Lösung des Dreikörperproblems in diesem Sinne liegt vor, wenn die gesuchte Bewegung unendlich oft eine Konfiguration und Ge- schwindigkeit annimmt, die der anfänglichen Konfiguration und schwindigkeit beliebig nahe kommt, wobei die dazwischen kommenden Oszillationen keiner Einschränkung unterworfen sind. Wenn -ich z. B. ein Körper in einer Ellipse bewegt hat, wenn er dann vielleicht allerhand andere Bewegungen ausführt, wenn er aber dann doch schließlieh wieder, wenn auch nach sehr großer Zeit, eine Bewegung ausführt, die der genannten elliptischen beliebig nahe kommt, und wenn er auch immer wieder Bewegungen ausführt, die allen anderen schon ausgeführten beliebig nahe- kommen, so liegt eine stabile Bewegung in diesem zweiten Sinne vor. Würde -ich also bei einem Spezialfall des Dreikörperproblems ergeben, daß die Koordinaten der drei Massenpunkte immer wieder, wenn auch nach langen Zeiten, Werte annehmen, die sie schon einmal annähernd hatten, so wäre die Lösung des Problems in diesem Fall eine stabile. Ee ist klar, daß die beiden Stabilitätsbegriffe begrifflich schieden sind. Das eine Mal wird die Stabilität der Bewegung ♦ iiif- Körpers definiert durch den Charakter benachbarter Bahnen; andere Mal wird sie definiert durch die beliebig nahe Wieder- dei Koordinaten nach gewissen, wenn auch großen Zeiten. Was bisher über das Dreikörperproblem gesagt winde, gilt in ;i für uns wesentlichen Stücken f ür das n-Körperproblem, d.h. für Fall, daß nicht nur drei Körper, sondern eine bestimmte Anzahl von mehr als drei Tunkten bekannter Masse gegeben sind. Auch solchen Fällen ist es möglich, für den Gebrauch der Astronomie l ) <>. w. Hill, Acta Mathematica. Bd. h. L886. S. 1 ff. (Abdruck emei M77 in Cambridge (Mass.) veröffentlichten in den Acta Mathematica - x tteen versehenen Arbeit.) *) H. Poincarä, Acta Mathematica. Bd. 13. 1890. S. 68. 134 8. Zum Problem doy ewigen die Koordinaten der n Punkte für bestimmte t- Werte approximativ zu berechnen. Auch hier gibt es periodische Lösungen. Stabilität und Instabilität. Doch gestalten sich die mathematischen Ab- leitungen um so schwieriger, je größer n wird. Poincare hat nun bewiesen 1 ), daß beim n-Körperproblem die Stabilität nach Poisson wesentlich durch die Stabilität im Sinne von Hill bedingt wird, das heißt, daß, wenn auch die Stabilität nach Poisson und die im Sinne Hills begrifflich durchaus ver- schieden sind, doch eine Stabilität nach Poisson nicht existieren kann, ohne daß zugleich eine Stabilität nach Hill vorliegt. Hieraus folgt, daß beim n-Körperproblem eine periodische beliebig nahe Wiederkehr der annähernd gleichen Konfiguration und der Ge- schwindigkeiten der Punkte im Sinne der Stabilität nach Poisson nur möglich ist, wenn benachbarte Punkte im Sinne der Stabilität nach Hill immer in ähnlicher Weise wiederkehrende Bahnen beschreiben. Poincare hat ferner für den Fall, daß die Koordinaten und Geschwindigkeiten endlich sind, gezeigt, daß es für das n-Körper- problem unendlich viele Partikularlösungen gibt, die instabil im Sinne von Poisson sind, daß es aber auch unendlich viele stabile Lösungen in diesem Sinne gibt; er hat endlich gezeigt, daß hierbei die stabilen Lösungen die Regel , die instabilen die Ausnahme bilden und daß dies in demselben Sinne zutrifft, in welchem die irrationalen Zahlen die Regel, die rationalen die Ausnahme bilden, d. h. daß die Wahrscheinlichkeit der instabilen Lösungen ist. bedeutet hier eine positive Zahl, die kleiner ist als jede bestimmte positive angebbare Zahl. l)iese Ausführungen Poincares gelten nun nicht nur für den Fall, daß die n Punkte sich im Sinne der Newt mischen Attraktion anziehen, sondern auch für den Fall, daß irgendwelche andere konservative Kräfte auf die Punkte wirken. Konservative Kräfte sind solche, die dem Gesetz der Erhaltung der mechanischen Energie unterworfen sind. Zu den konservativen Kräften gehören alle nur von der Entfernung oder von der Lage im Raum abhängigen An- ziehungs- und Abstoßungskräfte. Vi H. Poincarä, a. a. 0. S. (57 t'l. Wiederkehi (!<•> Gleichen. 135 Wir können das Ergebnis von Poincare, soweil es für uns in Betracht kommt, mit Zermelo 1 ) auch s<> formulieren: ..In einem System von Massenpunkten unter Einwirkung von Kräften, die allein von der Lage im Räume abhängen, muß im allgemeinen ein einmal angenommener, durch Konfiguration und schwindigkeiten charakterisierter Bewegungszustand im Laufe der Zeit, wenn auch nicht genau, so doch mit beliebiger Annäherung noch einmal, ja beliebig oft wiederkehren, vorausgesetzt, daß die Ko- ordinaten und die ( reschwindigkeiten nicht ins Unendliche wachsen." Diesen Satz wollen wir den Satz von Poincjire nennen. Die Worte „im allgemeinen" heißen hier so viel als „mit verschwindend wenigen Ausnahmen". Wir dürfen nun in diesem Satz an Stelle des im Laufe der Zeit mit beliebiger Annäherung beliebig oft wiederkehrenden Be- wegnngszustandes anbedenklich einen solchen Bewegungszustand einsetzen, der unendlich oft in gleicher Weise wiederkehrt. Denn daß der fragliche Zustand mit beliebiger Annäheruno wiederkehrt, heißt nichts anderes als daß wir, wenn wir in der Lage wären, die Konfiguration und die Geschwindigkeiten in jedem Augenblick zu übersehen und unsere Betrachtungen beliebig lange fortzusetzen, jede von uns gewünschte; beliebig nahe Annäherung neuer Be- _unu r szustände an schon dagewesene feststellen könnten. Die Bedingung des Poinc areschen Satzes, daß die Koordinaten and Geschwindigkeiten nicht ins Unendliche wachsen, ist erfüllt, wenn wir annehmen, daß sich zwischen den n Punkten niemals endlich große Abstände befinden und daß -ich jeder der Punkte nur mit endlicher Geschwindigkeit bewegt. Wir dürfen nun sowohl für astronomische als für terrestrische Verhältnisse annehmen, daß die Massenpunkte, aus denen das Weltall besteht, niemals unendliche Entfernungen haben. Wir machen hierbei lediglich die Hypothese der räumlichen Endlichkeit der Welt, die der ganzen modernen theoretischen Physik durchaus geläufig ist. Wir dürfen • r auch den Fall unendlicher Geschwindigkeiten ausschließen. l ) K Zermelo, Wiede manne Annalen. Nene Folge. Bd. 57. L896. 130 8. Zum Problem der ewigen So sicher die mathematische Behandlung der Mechanik vielfach auf unendliche Geschwindigkeiten führt, so kann es doch de facto so wenig eine unendliche Geschwindigkeit geben als einen un- endlich kleinen Körper. Wir dürfen auch im Einklang mit einer in der ganzen modernen Astronomie und Physik vielfach vertretenen Anschauung an- nehmen, daß in der endlich gedachten Welt nur Kräfte wirken, die allein von der Lage im Räume abhängen. Wir können also die Welt als ein konservativen Kräften unterworfenes System betrachten. Endlich dürfen wir zum Zweck der mathematischen Betrach- tung nicht nur alle Himmelskörper als eine endliche Anzahl von Massenpunkten betrachten, sondern wir dürfen auch, in Überein- stimmung mit den auf die ältere Korpuskulartheorie und Demokrit zurückgehenden Vorstellungen der klassischen Mechanik annehmen, daß die Welt aus einer großen Anzahl von Massenpunkten besteht. Unter den erwähnten Voraussetzungen scheint es dann nahe- zuliegen, aus dem Satz von Poincare Erwartungen über das tat- sächliche Geschehen am tlimmel und im Weltall überhaupt ab- zuleiten und zu schließen, daß die Zustände im Weltall und in denjenigen Ausschnitten der Welt, für welche die genannten Vor- aussetzungen gelten, unendlich oft wiederkehren. Im Sinne dieser Folgerungen würde die analytische Mechanik nicht nur auf eine ewige Wiederkehr des astronomischen, sondern alles körperlichen Geschehens überhaupt führen. Erinnern wir uns der den Psycho- logen geläufigen Hypothese <lcs psychophysischen Parallelismus, nach welcher die geistigen Vorgänge durch ganz bestimmte physio- logische Vorgänge, also durch ganz bestimmte Prozesse der Körper- welt bedingt sind und nach welcher gleichen physiologischen Vor- güngen gleiche psychische Erscheinungen entsprechen, so gelangten wir zur Hypothese, daß alles körperliche and geistige Geschehen von hcuic. wie es sieh auf der Erde und im ganzen Weltall ab- spieh. in gleicher Weise einmal wiederkehren wird. So käme man zur Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Diese Leine hat bekanntlich in der Geschichte der Philosophie mancherlei Analoga aufzuweisen. So ha1 schon H er aklit gelehrt, Wiederkehi des Gleichen. 137 ranie Welt, wie sie aus dem Urfeuer hervorgegangen ist, wieder in dasselbe lurückkehrt, und daß Bich dieser Prozeß nach großen Perioden jeweils wiederholt. Nach Empedokles wechseln iwei Weltepochen immer und immer wieder miteinander, Es gint er Meinung nach zwei Potenzen, Freundschaft und Zwist. Die entere führt das Verschiedenartige zusammen, dann tritt die zweite in Aktion, um ihrerseits trennend auf den Stoff zu wirken. Dann obsiegl wieder die Freundschaft usw. Fr. Nietzsche 1 ) hat, wie Bchon oben (Kapitel '2) angedeutet, die ursprünglich orien- talische Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen und eine ewige Wiederkehr aller Dinge angenommen, und fast gleichzeitig haben Blanqui und le Bon ähnliche Ansichten ausgesprochen. In all diesen Lehren scheint es sich freilich nur um vorschnelle allgemeine Schlüsse aus der im zweiten Kapitel erörterten, jedem Laien offenbaren, lokalen und temporalen Gleichförmigkeit der Natur und Kultur zu handeln, wenn auch Nietzsche vielleicht die Ansicht gehabt haben mag, seine Auffassung ließe sich auf Grund der Physik und Atomenlehre beweisen 2 ). Unter den erwähnten Voraussetzungen scheinen aber auch andere Folgerungen aus dem Satz von Poincare nahezuliegen. Nehmen wir an, daß wir ein Gas aus einem kleineren geschlossenen I >»'iäß a durch Entfernung einer Scheidewand in ein größeres ge- schlossenes Gefäß (a -f- b) bringen, von dem das kleinere Gefäß a nach Entfernung der Wand einen Teil darstellt! Nach der kine- iien Gastheorie ist ein Gas als eine große Anzahl von Molekülen anzusehen, die sich in lebhafter geradliniger Bewegung von kon- stanter Geschwindigkeit befinden. Im Falle unseres Beispiels bewegen sich nach dieser Theorie die Moleküle mit endliehen Ge- 1 ) Nietzsches Werk.-. Bd. 12. Leipzig L901. 8. 51 ff. 2 ) Vgl. Lou Andreas-Salome, Friedrich Niet zeche in seinen Werken. Wien 1894. .S. 224. Frau K. Förster-Nietzsche behauptet in der Einleitung zu der Schrift von Lichtenberger: Die Philosophie Friedrieb Nietzsches, Dresden und Leipzig 1809, S. LXIVf. , die mündln-hwi Aussprachen and der Briefwechsel, auf den FrauLou Andreas- Salonie* ihre Mitteilungen aber diesen Punkt stützt, hätten niemals statt- gefunden. 138 8. Zum Problem der ewiges schwindigkeiten, ohne jemals anendliche Entfernungen anzunehmen, was ja schon durch die Wände des Gefäßes ausgeschlossen wird. Nach der kinetischen Gastheorie rührt ferner der Druck des Gases in einem geschlossenen Gefäß von den Stößen der Moleküle gegen die Wand her, während die Temperatur des Gases der fortschreiten- den Bewegung der Moleküle proportional ist. Nach Boltzmanns Fassung dieser Theorie 1 ) kann man die Moleküle als elastische feste Körper und als ein konservatives System, d. h. als, ein solches, in welchem die mechanische Energie erhalten bleibt, auffassen. Dementsprechend scheint es nahezuliegen, aus dem Satz von Poincare zu schließen, daß in einem solchen Fall Konfiguration und Geschwindigkeiten, welche die Moleküle im ersten Augenblick nach der Entfernung der Wand hatten, unendlich oft wiederkehren. Somit würde der Satz von Poincare auch auf eine unendlich häufige Wiederkehr der gleichen Bewegungszustände innerhall» des erwähnten Gefäßes (a -f- b) schließen lassen. Folgerungen der angedeuteten Art sind aus dem Satz von Poincare mehrfach gezogen worden. Poincare selbst 2 ) bedient sich seines Satzes zu astronomischen Erörterungen über die Sta- bilität des Sonnensystems. Zermelo sieht die eben für die Gas- theorie entwickelten Konsequenzen als notwendige Folgen des Satzes von Poincare an und betont, daß diese Konsequenzen der herrschenden Auffassung der kinetischen Gastheorie zuwider- laufen; er meint ferner, der Satz von Poincare widerspreche auch dem zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie und der Lehre von der Irreversibilität 8 ). M Über Boltzmanns Ansichten zur kinetischen Gastheorie vgl. L. Boltzmann, Vorlesungen über Gastheorie. Leipzig I8!H> bi* 1898. Siehe Ferner die einschlägigen Arbeiten in Wissenschaftliche Abhandlungen von L. Boltzmann, herausgegeben von F. Hasenöhrl. Leipzig L909. Hier (Bd. 3) sind auch die von mir im folgenden zitierten Aufsatze Boltz- manns abgedruckt. Vgl. auch I,. Boltzmann uml .1. NaM, Enzyklopädie der Mathematischen Wissenschaften. Bd. ö (1), Heft 4. i<m>7. 8. 493ff. -) II. Poincare, a. a. 0. und Les Methode* QOUVelles de la Meeani<|ue Celeste. Bd. :i. Paris I8<m>. '■' i El. Zermelo. \V ied e m ;i n n s Annalen. Neur Folge. Bd. 57. L896. S. 485ff. und Bd. 59. 1896. B. 793ff Wiederkehr «lrs Gleichen. 139 Wenn man ••tu (i;>- in «In- Weise des erwähnten Gasversuchs aus einem kleineren in ein größeres Gefäß überführt, so entstehe in diesem alsbald nach der Entfernung der Scheidewand überall gleicher Druck und gleiche Temperatur. Diese Tatsache erklärt sich nach Maxwella Gesetz der Geschwindigkeitsverteilung da- durch, daß die Molckülr nach Entfernung der Scheidewand als- bald in einen Mationären Zustand geraten: die einzelnen (la.s- moleküle nehmen Geschwindigkeiten an, die sich, am eine mittlere Geschwindigkeit gruppieren, wobei die Zahl der Moleküle mit -ehr großer und sehr kleiner Geschwindigkeit verschwindend klein i-t und wobei die fortschreitende Bewegung der Moleküle so groß ist, als wenn alle Moleküle die gleiche Geschwindigkeit hätten. Da wir hiernach den Zustand des Gases so auffassen dürfen, als wenn sich alle Moleküle mit gleicher Geschwindigkeit bewegten und da im Sinne der kinetischen Gastheoric, wie wir oben sahen, der Druck durch die Stoßkraft, die Temperatur durch die Ge- Bchwindigkeit der Moleküle bedingt ist, so erklärt sich hiernach der empirische Befund, daß unser Gas, nachdem es in das Gefäß eingefühii wurde, alsbald allenthalben gleiche Temperatur und gleichen Druck annimmt. Die hiermit in großen Zügen erläuterten Grundanschauungen der kinetischen Gastheorie, die, wie man sieht, die Erfahrung bestens erklären, stehen in (\vv Tat mit den n erwähnten naheliegend erscheinenden Konsequenzen aus dem Satz von Poincare in Widerspruch. Diese Folgerungen widersprechen aber auch in der Tal dem /weiten Hauptsatz der mechanischen Wärmet heOlie. A.US «lern ersten Hauptsatz tobt unter Voraussetzung der räumlichen End- lichkeit der Welt, daß der Energie vorrat der Welt konstant ist. Dej- zweite Hauptsatz lehrt, daß ein anderer Prozeß nicht statt- findet, der ;m -ich wohl mit dem ersten Hauptsatz verträglich Wäre. Er sagt, daß ein Prozeß, dessen einziges Resultat die Ver- wandlung von Wärme in mechanische Arbeit wäre, unmöglich ist. sondern daß mit diesem Vorgang Met- ein anderer verknüpft ist, nämlich der Übergang von Wärme aus einem wärmeren in einen kälteren Korper. Der zweite Hauptsatz wird auch so gewendet, ] 4<> 8. Zum Problem der ewigen <laß (wiederum die räumliche Endlichkeit der Welt vorausgesetzt) die für Arbeit nutzbare Energie der Welt immer mehr abnimmt oder daß die Entropie der Welt immer mehr zunimmt, um schließ- lich ein Maximum zu erreichen. Entropie nennt man die einem Körper zugeführte oder entzogene Wärmemenge, dividiert durch die absolute Temperatur des Körpers, bei der sie dem Körper zugeführt oder entzogen wurde; der ganze Entropieinhalt eines Körpers ist die Summe aller ihm jemals zugeführte» (abzüglich der entzogenen) Wärmemengen, eine jede von ihnen (vor der Addition) durch die herrschende Temperatur dividiert. Die Entropie wird nach der fraglichen Auffassung für das Weltall immer größer, weil sich immer mehr Wärme einstellt und weil sich die Temperaturen immer mehr ausgleichen. Wenn die Ausgleichung der Temperaturen vollendet ist, wird aber keine mechanische Arbeit mehr möglich sein, da Wärme niemals von selbst in mechanische Arbeit übergeht. Wir können diesen Anschauungen die populäre Fassung geben: Die Temperatur in der Welt wird immer höher und ausgeglichener; die Summe der mechanischen Bewegung immer kleiner. Schließlich hört diese Bewegung ganz auf. Das Geschehen im Weltall ist dann zu Ende 1 ). Somit führt der zweite Hauptsatz zu Folgerungen, die mit der ewigen Wiederkehr des Gleichen unverträglich sind. Wir können die geschilderten Widersprüche auch so beschreiben, daß wir sagen, nach der mechanischen Wärmetheorie gebe es ge- wisse irreversible Prozesse, während nach dem Satz von Poincare alle Vorgänge reversibel seien 2 ). Ein irreversibler Prozeß ist ein solcher, der unter keinen Umständen, weder mit künstlichen Hilfs- x ) Philosophische Versuche zur Überwindung dieses Standpunktes siehe bei F. Auerbach, Ektropismus oder die physikalische Theorie des Lebens. Leipzig 1910. Die Weltherrn] und ihr Schatten. 2. Aufl. Jena ] 013. Siehe auch L. W. Stern, Zeitschrift für Philosophie and philosophische Kritik. Bd. 120. 1902. S. 175 ff. und Bd. 122. L903. S. 14 11. 2 ) Klare Darlegungen deT Lehre von der [rreversibilit&l siehe bei 0. D.Chwolson, Lehrbuch der Physik. Bd. :*. Braunschweig 1905. S. 44H ff. und in Müller •Pouillets Lehrbuch der Physik und Meteorologie. Bd. 8. 10. Aufl. Herausgegeben von L. Pfaundler. Braunsohweig li>07. s. 009 ff. Unsere, obigen Bemerkungen schließen sich an das letzlere Werk an. Wiederkehr des Gleichen. 141 mitu'in noch unter Benutzung der in der Natur vorhandenen Materialien and Maschinen so rückgängig gemacht werden kann. daß Bein Anfangszustand wiederum (antritt. Bei den reversiblen Prozessen sind dagegen ein oder mehrere Wege möglich, auf denen die Rückkehr des Bndzustandes zum Anfangszustand möglich ist. Reversible Prozesse Bind z. B. die Schwingungen eines einfachen ohne Reihung gedachten Pendels. Ein irreversibler Prozeß ist die Erzeugung von Wärme durch Reihung, da es unmöglich ist, mit der erzeugten Wärme allein den Anfangszustand wiederum so her- zustellen, daß Bich die zur Wärmeerzeugung benützten Maschinen und Materialien in dem ursprünglichen Zustand befinden. Ein irreversibler Prozeß ist auch der, bei welchem Wärme von einem Körper höherer Temperatur in einen Körper niederer Temperatur übergeht, da diese Wärme niemals ohne weitere Arbeitsleistung voll-tändig in den ersten Körper zurückgeführt werden kann. Ein irreversibler Prozeß ist demnach auch die Entropie Vermehrung im Weltall, da sich diese niemals von selbst reduzieren kann. Ein irreversibler Prozeß ist endlich der kinetischen Gastheorie zufolge auch der Vorgang, der sich abspielt, wenn wir ein Gas im Sinne des oben skizzierten Versuches in ein größeres geschlossenes Gefäß bringen, da, wie wir sahen, im Sinne dieser Theorie der alsbald auftretende stationäre Zustand der Gasmoleküle erhalten bleibt und nicht wieder in den Zustand übergeht, den die Moleküle im ersten Augenblick nach Entfernung der Scheidewand hatten. Da nach den erwähnten Folgerungen aus dem Satz von Poin- car6 der gleiche Zustand von n Körpern, die konservativen Kräften unterworfen sind, unendlich oft wiederkehrt, so stellt im Sinne dieser Auffassung die räumlich begrenzt gedachte Welt als Ganzes ein reversibles System dar. Da sich diese Folgerungen dem Sinne nach auf alle Körpersysteme beziehen, also auch auf den Fall unseres Beispiels aus der kinetischen Gastheorie, so müssen ihm zufolge bei allen Körpersystemen und daher auch bei unserem Bei- spiel aus der kinetischen Gastheorie irreversible Prozesse aus- :i sein. Nimmt man daher in der Physik allgemein die Existenz irre- 142 8. Zum Problem der ewigen versibler Vorgänge an, so ergibt sich dagegen aus den erörterten Folgerungen des Satzes von Poincare, daß wir die Existenz solcher irreversibler Vorgänge nicht erwarten dürfen. Hiernach scheinen in der Tat, wie Zermelo annimmt, die fraglichen Schlüsse aus dem Satz von Poincare mit der kine- tischen Gastheorie, dem zweiten Hauptsatz und der Lehre von der Irreversibilität in Widerspruch zu stehen. Auch Boltzmann erkennt die erwähnten Folgerungen aus dem Satz von Poincare in gewissem Sinne an 1 ). Er hegt freilich Bedenken, auf die von uns oben erörterte ewige Wiederkehr aller Zustände im Weltall zu schließen, wie er auch diejenige Wendung des zweiten Hauptsatzes, nach welcher die Entropie der Welt einem Maximum zustrebt, die Welt also schließlich ohne jedes Geschehen l'ortexistiert, als eine wenig verlockende Ansicht betrachtet 2 ). Aber Boltzmann nimmt ebenso wie Zermelo an, daß die Folgerungen aus dem Satz von Poincare beim erwähnten Versuch aus der mechanischen Wärmetheorie auf eine periodische Wiederkehr der Konfiguration und der Geschwindigkeiten führen, und auch er meint, daß die Konsequenzen des Satzes von Poincare die Aus- nahmslosigkeit des zweiten Hauptsatzes und die Erwartung irre- versibler Vorgänge ausschließen. Im Gegensatz zu Zermelo aber sieht Boltzmann in diesen rXesul taten keine Widersprüche mit der kinetischen Gastheorie, dem zweiten Hauptsatz und der Irreversibilitätslehre. Wenn auch, so meint er, die theoretische Notwendigkeit, daß ein Gas in seinen Anfangszustand zurückkehren muß, besteht, so 1-1 -loch die Zeit, nach welcher dies notwendig erscheint, so groß, daß sie praktisch nicht in Frage kommt 3 ). Die hier im Sinne der Folgerungen aus dem Satz von Poincare geforderte Periodizität 1 ) L. Boltzmann, Wiedemanna Annalen. Bd. 57. L896. 8. 773 11'. und Bd. 60. 1897. 8. 392 ff . Wiener Sitzungsberichte. Mathematisch-natur- wissenschaftliche Klasse. Bd. 106. Abf. IIa. .Jahr«;-. L897. 8. 12 ff. 2 ) Über Boltzmanns Gründe seiner Bedenken siehe L. Boltzmann, Wiedemanne Annalen. Bd. 57. 189G. S. 781. ■■) Diese Ansicht Boltzmanns gründet sich auf die <>i»cn erw&hnte Stabilität irn Sinuc \oii Poisson. Wiederkehr <lr-. ( Deichen. l t.*i der Konfiguration und der Geschwindigkeiten ist daher für Boltz- niaiin nur einer jener vielen Fälle, wo ein theoretisch nur sehr unwahrscheinlicher Zustand praktisch als nicht eintreffend be- lmct werden muß. Hierbei ist wohl zu bedenken, daß im Sinne Boltzmanns und der kinetischen Gastheorie überhaupt der beim erwähnten Grasversuch faktisch eintretende stationäre Zustand der Moleküle keineswegs als ein notwendiger, sondern nur als ein höchst wahrscheinlicher abgeleitet weiden kann, wie ja die kinetische Grastheorie überhaupt bis heute ihre experimentell und induktiv bewiesenen Tatsachen nichi als notwendig, sondern nur als höchst wahrscheinlich zu deduzieren imstande ist. Boltzmann betrachtet demgemäß den stationären Zustand der Moleküle beim erwähnten < fasversuch nichi als eine unbedingt feststehende Tatsache, sondern nur als eine höchsl wahrscheinliche, weshalb er auch den empirisch gewonnenen Satz von der gleichen Verteilung von Druck und Temperatur nicht als unbedingt gültigen Satz der Physik, sondern nur als Wahrscheinlichkeitssatz in Anspruch nimmt. Boltzmann Biehl aber auch den zweiten Hauptsatz und den Satz von der Irreversibilität als bloße Wahrscheinlichkeitssätze an 1 ), da sich im Sinne seiner Molekulartheorie auch diese Sätze nicht als notwendig, sondern nur als sehr wahrscheinlich deduzieren sen, wobei er die beiden Sätze als Ausdruck für den von ihm theoretisch begründeten Satz ansieht, daß die uns umgebenden Körper (die -ich insgesamt gegenwärtig im allgemeinen in einem unwahrscheinlichen Zustand befinden sollen) zurzeit von un- wahrscheinlicheren zu wahrscheinlicheren Zuständen fortschreiten. Nach dieser Auffassung der Dinge ist es natürlich nicht ausge- schlossen, daß die Körper auch einmal wieder in umgekehrter Richtung zu unwahrscheinlicheren Zustünden zurückkehren, so daß die theoretische Möglichkeit der aus dem Satz von Poincare dgerten Wiederkehr des Gleichen durchaus offen bleibt. Man sieht hieraus, daß Boltzmann die fraglichen Folgerungen aus dem vS;nz von Poincare deshalb mit den Sätzen der kine- ') VgL L. Boltzmann, an <1<-ii Wie de manne Annalen. Bd. 57. 1896. 3 ~~'.' t zitierten Stellen. 144 8. Zum Problem der ewigen Wiederkehr des Gleichen. tischen Gastheorie, dem zweiten Hauptsatz und dem Satz von der Irreversibilität in Übereinstimmung glaubt, weil er alle diese Sätze nicht als Ausdrücke von unabänderlichen, sondern nur von wahrscheinlichen Tatsachen betrachtet. Der letzteren Auffassung glaube ich nun scharf widersprechen zu dürfen. Daß man experimentell und induktiv bestätigte Tat- sachen deshalb nicht als notwendige, sondern nur als sehr wahr- scheinliche ansieht, weil man bis heute nur imstande ist, ihre Wahr- scheinlichkeit, nicht aber ihre Notwendigkeit zu deduzieren, scheint mir ganz unzulässig 1 ). Diese Ansicht werde ich im 26. Kapitel begründen. Der Widerspruch zwischen den Folgerungen aus dem Satz von Poincare und den fraglichen Tatsachen der mechanischen Wärmetheorie zerfällt aber in nichts, wenn man sich klar macht, daß die erwähnten Folgerungen aus dem Satz von Poincare überhaupt unzulässig sind. Ich glaube nämlich beweisen zu können, daß dieser Satz in keiner Weise geeignet ist, als Grundlage unserer Erwartungen über das tatsächliche Geschehen zu dienen. Wenn dies aber richtig ist, wird es auch nicht möglich sein, aus ihm Folge- rungen zu ziehen, die mit den erwähnten Ansichten der mecha- nischen Wärmetheorie, d. h. der kinetischen Gastheorie, des zweiten Hauptsatzes und der Irreversibilitätslehre im Widerspruch stehen. Den Beweis werde ich am Ende des elften Kapitels erbringen. Zunächst müssen wir zur Fundamentierung unserer weiteren Untersuchungen dem Problem der Wahrscheinlichkeitsrechnung n ä hertreten. l ) Ähnlich E. Zermelo, Wiedemanus Annalen. Bd. 59. 1896. S. 793f. Neuntes Kapitel. Die Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wenn unter gewissen Bedingungen nur d sieh ausschließende gleichmögliche Fälle eines Ereignisses eintreffen können, so ist die mathematische Wahrscheinlichkeil dafür, daß ein bestimmter Fall eintrifft, gleich . Heini sogenannten Spiel ,. Wappen oder Zahl", wo eine Münze in die Höhe geworfen wird und wobei vorausgesetzt wird, daß der Fall, daß die Münzt' auf dem Rand stehen bleibt, durch die Versuchsbedingungen ausgeschlossen ist, sind zwei ein- ander ausschließende Resultate denkbar. Entweder liegt, wenn die Münze gefallen ist, die eine Seite (,, Wappen") oder die andere Seite (,,Zahl") oben. Beide Ergebnisse werden als gleichmögliche Fälle betrachtet. Deswegen sagt man, die mathematische Wahr- scheinlichkeit für das Resultat Wappen (Zahl) betrage ö- Aus analogen Gründen sagt man, die Wahrscheinlichkeit, von 52 Spiel- karten irgend eine bestimmte zu ziehen, sei ^o oder die Wahrschein- lichkeit beim einmaligen Werfen mit einem Würfel ein bestimmtes Resultat zu erzielen, sei ,. . Wenn unter gewissen Bedingungen nur n sich ausschließende gleich mögliche Fälle eines Ereignisses «antreten können, so ist die mathematische Wahrscheinlichkeit dafür, daß ein bestimmter oder ein anderer bestimmter von den n gleichmöglichen Fällen eintritt, 2 gleich - . Dementsprechend ist die Wahrscheinlichkeit, daß irgend 3 einer von 8 unter den n gleichmöglichen Fällen eintritt, gleich — . Die Wahrscheinlichkeit, daß irgend einer von m unter den n gleich- n i möglichen Fällen eintritt, ist , wobei m natürlich niemals größer Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt. 10 146 9. Die Grundbegriffe als d sein kann. Die Wahrscheinlichkeit, beim Aufwerfen einer Münze entweder Wappen oder Zahl zu werfen, beträgt sonach »2 t- = 1. Hier wird, wie man sieht, n = 2 und m = 2. Die Wahr- scheinlichkeit, von 52 Karten entweder eine Karte a oder eine 2 Karte b zu ziehen, beträgt ™. Die Wahrscheinlichkeit, beim Würfeln mit einem Würfel entweder die Eins oder die Zwei 3 oder die Drei zu werfen , beträgt .'. . Diese von uns aus dem Aus- m druck — gewonnenen Wahrscheinlichkeiten kann man auch aus dem sogenannten Additionssatz 1 ) der Wahrscheinlichkeitsrechnung ableiten, den wir so formulieren können: Die Wahrscheinlichkeit, daß von den n einander ausschließenden Fällen E 1? E 2 , . . ., E n eines Ereignisses E irgend einer der Fälle E lf E 2 , . . . , E m stattfindet, ist gleich der Summe aus den Einzelwahrscheinlichkeiten, also gleich W(E 2 ) + W(E 2 ) + . . . + W(E m ). In dieser Formel be- deutet W(E X ) die Wahrscheinlichkeit von E x , W(E 2 ) die Wahr- scheinlichkeit von E 2 usw. Man redet nun im Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnung auch in einem allgemeineren Sinn als es bisher geschah, von Fällen. Man versteht nämlich unter Fällen auch ganze Gruppen von Einzel- fällen. Auch dann definiert man die Wahrscheinlichkeit dafür, daß einer der n sich ausschließenden gleichmöglichen Fälle eintritt, als und die Wahrscheinlichkeit, daß irgend einer von m der n Fälle n eintritl . als n Wenn man beim Spiel „Wappen (w) oder Zahl (z)" zwei Münzen gleichzeitig in die Höhe wirft, so werden folgende und nur folgende Fälle im Sinne von Gruppen von Einzelfällen als gleichmöglich angesehen: ') Vgl. (\w Lehrbücher «In Wahrscheinlichkeitsrechnung, /,. JJ. E. Czuber, Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Anwendung auf Fehler* ausgleichung, Statistik und Lebensversicherung. 3. Aufl. lid. I. Leipzig and Berlin 191 i. s. 47. der Wahreohoinlichkeitereohnunfir. 147 w \V \v /. /. \v 11 Kai hier also gleich 4. l>ie Wahrscheinlichkeit, daß die Gruppe w w eintrifft, beträgt, da dann m = 1 wird, somit i ; die Wahr- scheinlichkeit, daß entweder die Gruppe w w oder die Gruppe z /. •2 1 eintrifft, beträgl 7 ., . Dementsprechend wird die Wahrschein- lichkeit, ;m> einem Spiel Karten mit 52 Blättern (in welches die >ne Karte jeweils zurückgelegt wird) dreimal nacheinander die gleiche Karte zu ziehen, mit ri) . A angegeben; denn die Zahl der gleichmöglichen ans drei Einzelziehungen resultierenden Gruppen zu :> wird auf 52' veranschlagt. Werfen wir gleichzeitig mit zwei Würfeln, -n gelten 6 2 = 86 Variationen zu 2 als gleich möglich, -<> daß z. B. die Wahrscheinlichkeit, bei einmaligem Würfeln mit jedem der beiden Würfel eine Sechs zu werfen ^ß beträgt. Die Wahrscheinlichkeit von Gruppen von Einzelfällen wird in der Regel (im Gegensatz zu unseren eben gegebenen Darlegungen) nach dem sogenannten Multiplikationssatz 1 ) abgeleitet, dem wir hier folgende Eorm geben können: Die Wahrscheinlichkeit, daß ein einzelner Fall E x eintritt und daß gleichzeitig, vorher oder nachher die einzelnen unter sich und von E x unabhängigen Fälle E 2 , E 3 , . . ., E k eintreten, ist gleich dem Produkt aus den Wahr- scheinlichkeiten der Einzelereignisse, also gleich W(Ej) . W(E 2 ) • \\7E 3 ; . . . W(E k ). Es wird sich im Verlaufe dieses Buches zeigen, daß das praktische Anwendungsgebiet des Multiplikationssatzes ein viel beschränkteres ist als man heute allgemein annimmt und daß auch die von uns vorhin gegebene direkte Ableitung der Wahr- scheinlichkeil von Gruppen von Ereignissen auf Ergebnisse führt, die mit der Erfahrung nicht übereinstimmen. Nichtsdestoweniger ist es in diesem Kapitel, wo wir uns über die tatsächlich benützten Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung orientieren wollen, J j Vgl. E. Czuber, a.a.O. Bd. l. 1914. 8. 47 fi. 10* 148 9. Die Grundbegriffe nötig, die später abzuleitenden neuen Tatsachen zunächst zu ignorieren. Bei allen unseren bisherigen Beispielen wurde immer eine ganz bestimmte endliche Anzahl gleichmöglicher Fälle voraus- gesetzt. Diese Voraussetzung ist aber nicht unbedingt erforderlich. Dies sehen wir ohne weiteres schon aus den Ausführungen des letzten Kapitels, die sich auf die Anwendung des Wahrscheinlich- keitsbegriffs bei den Deduktionen Poincares beziehen. Dort war sowohl die Anzahl der Lösungen, nach deren Wahrscheinlich- keit gefragt wurde, als auch die Anzahl der möglichen Lösungen überhaupt als eine unendliche bezeichnet worden. Analog liegt die Sache z. B. beim Vierpunktproblem 1 ), das so lautet: In einer gegebenen ebenen Figur werden vier Punkte beliebig angenommen; wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie sich zu einem konvexen Viereck verbinden lassen? Hier können wir in die ebene Figur auf unendlich viele Weisen vier Punkte hineingezeichnet denken, von denen sich wieder unendlich viele zu konvexen Vierecken verbinden lassen. Die Lösung des Vierpunktproblems ist übrigens für verschiedene ebene Figuren eine verschiedene. Die mathematischen Wahrscheinlichkeiten sind Größen, die zwischen und 1 liegen, die aber auch gelegentlich die Werte oder 1 selbst annehmen können. Die Wahrscheinlichkeiten und 1 können insofern eingeführt werden, als die Wahrscheinlich- keit eines Ereignisses oder einer Gruppe von Ereignissen, die un- bedingt eintreten müssen, mit 1, die eines Ereignisses oder einer Gruppe von Ereignissen, deren Eintritt absolut ausgeschlossen ist, mit bezeichnet werden kann. In diesem Sinne sagten wir oben: Die Wahrscheinlichkeit, daß beim Spiel „Wappen oder Zahl" entweder Wappen oder Zahl falle, sei gleich 1. Dement- sprechend können wir auch die Wahrscheinlichkeit, daß nach dem Werfen überhaupt keine Seite oben liegt, mit bezeichnen. Sie ist nach unserem Ausdruck . = -$- = 0. Die Größen 1 and <> sind hier keine Grenzwerte, sondern absolute Größen. Man kann ') Vgl. E. Czuber, a.a.O. Bd. L. L014. 8. L08f. dt'r Wahrscheinlichkeitsrechnung, L49 jedoch auch von den Wahrscheinlichkeiten 1 und in dem Sinne reden, daß man mit diesen Zahlen Lediglich Grenzwerte bezeichnet. So kann man eine Wahrscheinlichkeit, deren Differenz von 1 kleiner wird als jede bestimmte angebbare positive Zahl, als Wahrschein- lichkeit 1 bezeichnen, und man kann eine Wahrscheinlichkeit, die -elbst kleiner wird als jede angebbare positive Zahl, alsO bezeichnen, wie letzteres im vorigen Kapitel Ina der Diskussion des Satzes von Poincare* geschehen ist. Selbstverständlich ist es von allergrößter Wichtigkeit, daß man jederzeit wisse, in welchem Sinne man von den Wahrschein- lichkeiten 1 oder spricht. Insbesondere folgt daraus, daß die Wahrscheinlichkeil eines Ereignisses sehr klein oder sogar kleiner ist als jede bestimmte angebbare Zahl, ganz und gar nicht, daß das Ereignis durchaus nicht eintreten kann, d. h. daß seine Wahr- scheinlichkeit absolut ist. Andererseits kann ein Wahrscheinlich - keitsbruch sich der 1 beliebig nähern oder um eine noch so kleine bestimmte Größe von 1 differieren, ohne daß deshalb auf das absolut sichere Eintreten des Ereignisses geschlossen werden dürfte. Wir können diese allgemein verbreiteten, aber doch gelegentlich verkannten Einsichten mit Czuber 1 ) a,uch so formulieren: „Wahr- scheinlichkeit und Gewißheit (oder Notwendigkeit) sind Dinge wesentlich verschiedener Natur und es gibt keine Brücke, die von der einen zur anderen geschlagen werden könnte." Diese Brücke wird auch nicht dadurch geschlagen, daß man im Sinne unserer allerdings vielfach zweckmäßigen Begriffsbestimmungen Fälle, die mit einer der 1 bzw. der beliebig angenäherten Wahrschein- lichkeit eintreten, als Fälle mit den Wahrscheinlichkeiten 1 oder bezeichnet. Die mathematischen Wahrscheinlichkeiten werden meist auch ii als Wahrscheinlichkeitsbrüche bezeichnet, wiewohl in den Fällen, wo die Wahrscheinlichkeiten 1 oder vorliegen, ja natür- lich keine Brüche gegeben sind. Auch wir werden im folgenden vielfach diese eingewurzelte kurze Bezeichnung verwenden. E. < Buber, %. ;>. 0. Bd. 1. 1014. S. 19. 50 9. Die Grundbegriffe c Die Disziplin der Wahrscheinlichkeitsrechnung befaßt sich nun mit der Lösung von Aufgaben, in denen nach der mathematischen Wahrscheinlichkeit gefragt wird, und mit der Ausarbeitung von Methoden, die zur Lösung solcher Aufgaben geeignet sind. Sie ist von Pascal (1623—1662) und Fermat (1601—1665) wissen- schaftlich begründet und bis auf die Gegenwart immer weiter aus- gebaut und vertieft worden 1 ). Unzertrennbar verbunden mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist sachlich und historisch die Kom- binatorik 2 ), das ist diejenige mathematische Disziplin, die sich mit den möglichen Anordnungen gegebener Elemente ohne Rücksicht auf deren Art und Größe beschäftigt. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung ist eine wissenschaftliche ] )isziplin, die als solche ausreichend ist, um das Interesse der Mathe- matiker in hohem Maße in Anspruch zu nehmen. Sie bezieht sich denn auch vielfach, wie z. B. bei dem erwähnten Vierpunktproblem, auf Gegenstände von rein theoretischem Interesse. Aber seitdem dieses Gebiet wissenschaftlich behandelt wird, hat man auch ver- sucht, mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung praktische Fragen des Glücksspiels zu lösen 3 ), und die Wahrscheinlichkeitsrechnung findet heute auch in der Statistik der verschiedensten Gebiete, x ) Zur Geschichte der Wahrscheinlichkeitslehre vgl. J. Todhunter, A history of the mathematical theorie of probability from the time of Pascal to that of Laplace. Cambridge und London 1865 und M. Cantor, Vor- lesungen über Geschichte der Mathematik. Leipzig 1880 ff. (Vierter Band: 1908) an den aus den Registern der Bände 2 bis 4 ersichtlichen Stellen. Systematische Darstellungen des ganzen Gebietes geben H. Bruns, Wahr- scheinlichkeitsrechnung und Kollektivmaßlehre. Leipzig und Berlin 1906 und E. Czuber, Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Anwendung auf Fehlerauflgleichung, Statistik und Lebensversicherung. 2 Bände. 3. Aufl. Leipzig und Berlin. Beim Abschluß des vorliegenden Buches war nur der erste Band (1914) in dritter Auflage erschienen. 2 ) Zur Kombinatorik vgl. E. Netto, Enzyklopädie der mathemati- schen Wissenschaften. Bd. L. 1. Teil. Leipzig 1898 bis 1904. S. 28 ff. Die Kombinatorik geht bis auf das Altertum zurück. Zur Geschichte vgl. M. (Jantor, a. a. O. Bd. 1 ff., an den aus den Registern anter Oombinatorik ersichtlichen Stellen. 8 ) Vgl. E. Czuber, a. a. 0. Bd. I. 8. 98ff. S. 169. Man vgl. aber auch <li*- Stellen bei M. Cantor, auf <li<' oben hingewiesen wind«'. der Wahl sehe in lieh kr ilsivohnunu. 151 in der Veisicherungswissenschafj und in der Naturwissenschaft und Medizin weitgehendste Anwendung. Als angewandte Mathematik beschäftig! Bich die Mathematik auch mit all diesen Anwendungen der Wahrscheinlichkeitsrechnung, die ihrerseits natürlich auch für die Vertreter der Gebiete von Interesse sind, in denen die An- wendungen stattfinden. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung hat aber auch großes philo- sophisches Interesse. Die wichtigsten philosophischen Probleme der Wahrscheinlichkeitsrechnung sollen in den beiden folgenden Kapiteln erörtert werden. Zehntes Kapitel. Grundzüge der Philosophie der Wahrscheinlich- keitsrechnung. Seit den Schriften von Jakob Bernoulli 1 ) und Laplace 2 ) ist die philosophische Theorie der Wahrscheinlichkeitsrechnung immer und immer wieder erörtert worden 3 ). Zwei Grundprobleme sind es vornehmlich, die den Philosophen an der Wahrscheinlich- keitsrechnung interessieren. Das eine ist logischer, das andere naturphilosophischer Natur. Beide Probleme hängen freilich aufs engste miteinander zusammen und können daher nicht in jeder Beziehung ganz streng geschieden werden. Beide Probleme zu- sammen machen die philosophische Theorie oder die Philosophie der Wahrscheinlichkeitsrechnung aus. Beim logischen Problem der Wahrscheinlichkeitsrechnung handelt es sich um das Wesen der Wahrscheinlichkeitsbrüche, beim naturphilosophischen Problem handelt es sich darum, ob ge- wisse Erwartungen, die wir auf Grund der Wahrscheinlichkeits- brüche hegen oder doch hegen können, in der Natur wirklich zu- treffen und ob und inwieweit die Voraussetzungen der Wahr- scheinlichkeitsrechnung in der Natur wirklich erfüllt sind. Das naturphilosophische Problem führt somit stets auf eine empirische 1 ) Jakob Bernoulli, Ars oonjectandi. Basel 1713. Deutsch unter dem Titel„WahracheinüchkeitBrechnung" in Ostwalds Klassikernerschienen im Jahre 1899. Über die philosophischen Anschauungen dieses mathe- matischen Werkes vgl. J. v. Krieg, Die Prinzipien der Wahrscheinlichkeits- rechnung. Freiburg LB. 1886. S. 269 11'. 2 ) P. 8. de Laplace, Essai philosophique but les Probabüites. (Zuerst erschienen 1X14 als Einleitung zur /weiten Auflage der Theorie analytique des Probabüites, dann öftere selbständig zu Paris). Deutsch zuletzt: Leipzig 1886 von N. Schwaiger. '■') Literatur siehe bei 0. Sterzinger, Zur Logik und Naturphilosophie der Wahrscheinlichkeitslehre. Leipzig 1911. 8. VI H'. l»>. Grundiüge der Philosophie <ln Wahrsoheinliohkeitsreohn'ong. L53 • Untersuchung von Gegenständen, auf welche die Wahrscheinlich- keitsrechnung belogen wird. In das Gebiel des logischen Problems gehört schon die funda- mentale Unterscheidung -/wischen apriorischer und aposteriorischer Wahrscheinlichkeit. Diese Unterscheidung bezieht sich auf die Herkunft «1er Wahrscheinlichkeitsbrüche. Wir können im Gebiet Spiels „Wappen oder Zahl" die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des Resultates Wappen (Zahl) auf zwei ganz ver- schiedene Weisen gewinnen. Erstens können wir etwa sagen: Der Schwerpunkt der Münze ist so gelagert und die möglichen Be- dungen heim Werfen sind so beschaffen, daß keines der beiden Resultate (Wappen oder Zahl) besser begründet erscheint als das andere; auf Grund dieser Überlegung betrachten wir die Fälle Wappen und Zahl als gleich möglich. Da nur diese beiden Resultate stattfinden können, so setzen wir die Wahrscheinlichkeit des Wurfes Wappen (Zahl) gleich . Wir können zweitens aber auch so ver- fahren, daß wir mit einer Münze sehr oft werfen und feststellen, wie oft Zahl und wie oft Wappen oben liegt. Kommen wir dadurch zu Ergebnissen, aus denen folgt, daß keines der beiden Resultate dauernd bevorzugt erscheint, so werden wir auch hier die Fälle Wappen und Zahl als gleichmöglich ansehen und zur Wahrschein- lichkeit -q gelangen. Im letzteren Fall haben wir den Wahrschein- lichkeitsbruch auf Grund von Erfahrungen über das Eintreffen •immter Tatsachen abgeleitet; die Wahrscheinlichkeit s heißt daher hier eine Wahrscheinlichkeit a posteriori. Im ersteren Fall wurden wir ohne Berücksichtigung von Erfahrungen über das Eintreffen von Ereignissen auf den Wahrscheinlichkeitsbruch * geführt; im ersten Fall war die Wahrscheinlichkeit s eine Wahr- Bcheinlichkeit a priori. Man nennt allgemein Wahrscheinlichkeits- bruche, die unter Ausschaltung von Erfahrungen über die tat- sächlich eintreffenden Fälle gewonnen werden, Wahrscheinlich- 154 10. Grundzüge der Philosophie keiten a priori, wogegen die Wahrscheinlichkeiten, die auf Grund faktisch eingetroffener Fälle aufgestellt werden. Wahrscheinlich- keiten a posteriori heißen. Die aus Kants Erkenntnistheorie allgemein bekannten Aus- drücke a priori und a posteriori führen leicht zu Mißverständnissen ; denn diese Ausdrücke werden hier in einem anderen Sinne als in Kants Erkenntnistheorie gebraucht. So wäre es ganz verfehlt, wenn man hier den Ausdruck a priori so deuten wollte, daß bei den Wahrscheinlichkeitssätzen, die wir a priori machen, die Er- fahrung ausgeschlossen sein müsse. Dies ist ganz und gar nicht der Fall. Gegeben sei mir ein Würfel, von dem ich Grund habe anzunehmen, daß er sich von dem den üblichen Voraussetzungen der Wahrscheinlichkeitsrechnung entsprechenden Würfel so weit entfernt, daß es untunlich erscheint, für das Werfen einer jeden der sechs Seiten gleiche Wahrscheinlichkeiten anzusetzen. Ich prüfe nun den Würfel empirisch auf seinen Schwerpunkt und dergleichen; jetzt erst stelle ich die Wahrscheinlichkeitsbrüche auf. Trotzdem, wie man sieht, in diesem Fall die Wahrscheinlich- keitsansätze mindestens teilweise auf Grund von Erfahrungen aufgestellt werden, ist die Wahrscheinlichkeit hier doch eine solche a priori und keine Wahrscheinlichkeit a posteriori. Wir sehen hiernach, daß die Wahrscheinlichkeit a priori ihre teilweise Be- gründung auf Erfahrungen nicht ausschließt. Auch wäre es ganz verfehlt anzunehmen, daß die Wahrscheinlichkeit a posteriori jede nicht erfahrungsmäßige Deduktion ausschließt. Denn gewisse Überlegungen muß man ja z. B. auch anstellen, wenn man auf Grund tatsächlich eingetroffener Fälle Wahrscheinlichkeitsbrüche ansetzt. Ja es gibt Beispiele, wo eine Wahrscheinlichkeit a posteriori nur in Verbindung mit apriorischen Wahrscheinlichkeitsansätzen abgeleitet werden kann. Dies zeigt z. B. die Gewinnung von Wahr- scheinlichkeit sa.nsätzen innerhalb des Theorems von Bayes. Wir wollen dasselbe im Anschluß an ein konkretes Beispiel, das wir dem Buche von v. Kries 1 ) entnehmen, skizzieren. ,,Es seien ') J. v. Kries, Die Prinzipiell <I<t Wahrscheinliohkeitfireohntuig. Freiburg L B. 1880. S. 117 f. (Km Wahrscheinlichkeitsrechnung. i.v» Beohfi geometrisch and physisch ganz übereinstimmende Würfel gegeben, welche nur in deT Art, wie ihre Seiten bezeichnet sind, sich unterscheiden; sie mögen oämlich res]), auf einer, zwei, drei, vier, fünf and -cell- Seiten ein -\ -. mit' allen übrigen Seiten immer eine tragen. Diese Würfel schütteln wir in einem Gefäß sorg- fältig durcheinander und ziehen sodann einen heraus. Ohne ihn zu besehen, würfeln wir mil ihm einige Male, wobei wir immer nur beobachten, welche Bezeichnung die obenliegende Seite trägt." Wir nehmen nun an, wir führen dieses Würfeln dreimal aus nix! wir erhalten die Resultate -|"j () U11< 1 dann wieder +• Wir fragen jetzt erst nach der Wahrscheinlichkeit, mit welcher wir einen bestimmten unter den sechs Würfeln aus dem Gefäß gezogen haben. Es handeil sieh hier um eine Wahrscheinlichkeit a posteriori, weil die gesuchte Wahrscheinlichkeit, dem Sinne der Aufgabe gemäß, nur bestimmt werden kann auf Grund tatsächlich eingetroffener Fälle. Trotzdem aber setzt diese Wahrscheinlichkeitsbestimmung zugleich nicht erfahrungsmäßige Deduktionen im Sinne der Wahr- scheinlichkeitsrechnung a priori voraus. Denn sie ist nur möglich, wofern man im Sinne der Wahrscheinlichkeit a priori bestimmt, welche Wahrscheinlichkeit die Ergebnisse + , 0, + für jeden der sechs Würfel haben. Wir sehen also, daß die Bestimmung einer Wahrscheinlichkeit a posteriori sehr wohl nur in Verbindung mit apriorischen Wahrscheinlichkeitsansätzen möglich sein kann. Immer aber dürfte unsere Begriffsbestimmung anwendbar sein, wonach Wahrscheinlichkeiten a priori solche sind, die unter Ausschaltung von Erfahrungen über die tatsächlich eintreffenden Fälle gewonnen werden, und wonach Wahrscheinlichkeiten a posteriori solche sind, die unter Benützung solcher Erfahrungen angesetzt werden. Eine andere Frage, die in das Gebiet des logischen Wahrschein- tichkeitsproblems gehört, ist die nach dem eigentlichen Sinn (\(>v mathematischen Wahrscheinlichkeiten. Zwei grundverschiedene Ansichten sind über diesen Gegen- stand aufgeteilt worden. Nach der einen, die wir als die empirische bezeichnen können, sind die Wahrscheinlichkeitsbrüche Durch- schnittszahlen, aus denen wir ersehen, was tatsächlich geschieht. 156 10, Grundzüge der Philosophie Die Wahrscheinlichkeit ~- für einen Wappenwurf beim Spiel Wappen oder Zahl bedeutet nach dieser Auffassung, daß durch- schnittlich in der Hälfte der Fälle das Resultat Wappen eintritt. Dieser Auffassung steht schon Kant sehr nahe. Er sagt 1 ): Was den calculus probabilium anlangt, „so enthält er nicht wahrschein- liche, sondern ganz gewisse Urteile über den Grad der Möglichkeit gewisser Fälle unter gegebenen gleichartigen Bedingungen, die in der Summe aller möglichen Fälle ganz unfehlbar der Regel gemäß zutreffen müssen, ob diese gleich in Ansehung jedes einzelnen Falles nicht genug bestimmt ist". Später hat sich Kant allerdings von dieser Ansicht wieder entfernt, da er in der Logik meint 2 ), die Wahrscheinlichkeit auch in der Form, wie sie im Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnung auftrete, sei ein Fürwahrhalten aus unzureichenden Gründen und nur eine Annäherung zur Gewißheit. Ganz ähnlich wie Kant an der ersten der beiden zitierten Stellen lehrt Fries 3 ), daß die Wahrscheinlichkeitsrechnung überhaupt nur Anwendungen der Durchschnittsrechnung enthalte und daß sie diejenigen mittleren Verhältniszahlen bestimme, bei denen man im Durchschnitt am wenigsten irrt. Auch bei anderen Autoren finden sich Wendungen, welche der von uns als empirisch be- zeichneten Ansicht mehr oder weniger nahestehen 4 ). Sehr scharf hat auch John Stuart Mi 11 die empirische Auffassung des Sinnes der Wahrscheinlichkeitsbrüche vertreten. Er sagt: ,, Warum halten wir es, wenn wir ein Zehnkreuzerstück in die Höhe werfen, für gleich wahrscheinlich, daß wir Kopf oder Adler werfen.'" Weil die Erfahrung gezeigt hat, meint Mill, daß in einer großen Anzahl von Würfen Kopf und Adler gleich oft fallen und daß, je mehr es Würfe sind, desto vollkommener die Gleichheit ist. Aber auch 1 ) J. Kant, Prolegomena. 1. Aufl. Riga 1783. 8. l ( J(i. 2 ) J. Kants Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen. Herausgegeben von (i. B. Jäsche. Reutlingen 1801. 3 ) J. F. Fries, Versuche einer Kritik der Prinzipien der Wahrschein - lichkeitsrechnung. Braunschweig 1842. S. 22. 4 ) Vgl. 0. Sterzinger, Zur Logik und Naturphilosophie dw Wahr- Bcheinlichkeitslehre. Leipzig 1911. 8. 9£f. der Wahroohemlichkeitsreohnung. 15*3 Mill hat, 2jani ahnlich wie Kam. diesen in der ersten Auflage seiner Logik vertretenen Standpunkt wieder aufgegeben und in den spateren Auflagen unter dem Einfluß von Laplace die Lehre vertreten, daß die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses für den einen etwa- ganz ändert- sei als für den anderen und daß wir durch dir Feststellung von Wahrscheinlichkeiten nur den Grad unserer Erwartu ng bestimmen, ohne daß es dazu nötig wäre zu wissen, was in einer großen Anzahl von Fällen tatsächlich eintrifft. Seine ursprüngliche Auffasssung der Dinge hat Mill in den späteren Auflagen seiner Logik übrigens wieder abdrucken lassen, um ihr seine zweite Ansieht gegenüber zu stellen 1 ). Mit der Anführung der zweiten Ansicht Stuart Mills haben wir bereits diejenige Theorie des Sinns der ^ r ahrscheinlichkeits- hrüche charakterisiert, welche der empirischen gegenübersteht und die wir als die logische bezeichnen dürfen. Diese Auffassung ist in der neueren Zeit besonders von v. Kries 2 ) und Stumpf 3 ) ver- treten worden. Xach ihr sind die Wahrscheinlichkeitsbrüche Maß- stäbe für den Grad unserer (in rein logischer Hinsicht 4 )) vernünftigen Erwartung, wobei indessen der Ausdruck ,, Erwartung" sich nicht gerade auf die Zukunft beziehen muß und daher soviel wie ,, Ver- mutung" bedeutet 6 ). Die in Rede stehende Erwartung und somit der Wahrocheinlichkeitsbruch bezieht sich vom Standpunkt der logischen Theorie des Sinns dieser Brüche immer auf ein einzelnes Ereignis oder auf eine Gruppe einzelner Ereignisse. Fragt man sich, welcher Auffassung man den Vorzug geben 1 ) J. Stuart Mill, System der deduktiven und induktiven Logik. [Tnter Mitwirkung de* Verfassers übersetzt von Th. Gompcrz (J. St. Mills unmelte Werke. Bd. .')). Leipzig 1885. S. 260 ff. -) Vgl. J. v. Ki j<-s. Die Prinzipien der- Wahrscheinlichkeitsrechnung. Freiburg L Br. 1886. 3 ) VgL C. Stumpf, Münchenei Sitzungsberichte der philosophisch - philologischen and der historischen Klasse. Jahrg. 1892. München 1893. - M ff. und S. 881 ff. 1 Die Worte ..in rein Logischer Hinsicht" sind hinzugefügt, um anzu- deuten, daß es sieh nicht etwa am vernünftige Erwartung in ethischer Hin- ticb.1 handelt. VgL J. v. Kries, a.a.O. 8. 5. C. Stn mpf, a. s. 0. S. 4:j ff und 8. 56 f. l.>8 10. Grundzüge der Philosophie • soll, so wird man zu bedenken haben, daß der Sinn einer Sache wesentlich von den Personen abhängt, welche der Sache den Sinn beilegen. Gewiß kann man in vielen Gebieten die Wahrschein- lichkeitsbrüche als Durchschnittszahlen betrachten und etwa sagen : der Satz, daß die Wahrscheinlichkeit, beim Spiel ..Wappen oder Zahl" Wappen zu werfen, -^ betrage, bedeutet für mich, daß durch- schnittlich in der Hälfte der Fälle das Resultat Wappen eintritt oder daß die Anzahl der Wappenfälle, geteilt durch die Gesamtzahl aller Fälle, bei vielen Versuchen nahezu -^ beträgt. Diese Auffassung würde sich gewiß mit der im Anschluß an die Überlegungen des Bernoulli sehen Theorems 1 ) allgemein ver- breiteten Lehre in Widerspruch setzen, nach welcher auch bei beliebig großer Ausdehnung des Spiels ,, Wappen oder Zahl" der Fall, daß das Resultat Wappen überhaupt nicht eintrifft, keines- wegs ausgeschlossen, sondern nur höchst unwahrscheinlich ist. Aber sie könnte wieder zu ihren Gunsten geltend machen, daß ja nach dem Bernoullischen Theorem die Wahrscheinlichkeit, daß bei einer großen Anzahl von Würfen das Verhältnis -g- genau oder annähernd erreicht wird, so groß ist, daß man praktisch nur mit diesem Verhältnis zu rechnen habe. Auch fehlt der empirischen Theorie des Sinns der Wahrscheinlichkeitsbrüche in manchen Ge- bieten der praktische Hintergrund, weil, wie sich aus unserer Dis- kussion der Theorie der gleichmöglichen Fälle später ergeben wird, auch Wahrscheinlichkeitsbrüche statuiert werden, wo die Prüfung ihrer Brauchbarkeit als Durchschnittszahlen illusorisch wird. Aber jedenfalls kann man ihnen in vielen Gebieten den Sinn von Durch- schnittszahlen beilegen. Freilich aber kann man auch nach der logischen Theorie des Sinns der Wahrscheinlichkeitsbrüche in diesen nur ein Maß seiner Erwartung sehen und etwa sagen: In dem erwähnten Beispiel bedeutet für mich die Wahrscheinlich- keit s , daß ich bei einem einzelnen Wurf genau in gleicher Weise i) E. Czuber, a.a.O. \u\. 1. L914. S. 12811. um! 8, 238f. der WahrecheinlichkeitBreohnung. 159 ,,ui gefaßt sein muß, daß er zum Resultat Wappen als darauf, daß er /.um Resultat Zahl rührt. In analoger Weise würde man dann sagen: Daß beim Würfelspiel die Wahrscheinlichkeit, eine Sechs eu werfen, . beträgt, heißt für mich: ich muß das Resultat eine Sechs eu werfen mit derselben Zuversicht erwarten, mit der ich eines der fünf anderen möglichen Resultate erwarten muß oder: ich darf das Resultat Sechs mir mit dem sechsten Teil der Zuversicht erwarten, mit der ich überhaupt ein Resultat erwarten muß oder: Meine vernünftige Erwartung, daß Sechs eintrifft, be- träfft nur den sechsten Teil meiner vernünftigen Erwartung, daß überhaupt ein Resultat eintrifft. Diese logische Theorie des Sinnes der Wahrscheinlichkeitsbrüche ist heute weit verbreitet. Natürlich muß man sich hüten, die Unterscheidungen zwischen Wahrscheinlichkeit a priori und a posteriori und zwischen logischer und empirischer Theorie ^ Sinnes der Wahrscheinlichkeitsbrüche einander gleich eu setzen. Man kann vielmehr sehr wohl in einem konkreten Fall a posteriori zu einem Wahrscheinlichkeitsbruch mgen, trotzdem aber den Sinn dieses Bruches nach der logischen Theorie deuten und überhaupt auf dem Boden dieser Theorie stehen. Andererseits kann man aber auch in einem konkreten Beispiel den Wahrscheinlichkeitsbruch a priori ableiten und in ihm trotz- dem etwa mit Fries diejenige Durchschnittszahl erblicken, bei <ler<n Anwendung man am wenigsten irrt. Der Widerstreit zwischen der empirischen und logischen Theorie des Sinnes der Wahrscheinlichkeitsbrüche wird, wie sich bald zeigen wird, besonders offenbar bei der Theorie der gleich- möglichen Fälle, die auch gelegentlich als gleichwahrscheinliche, gleichberechtigte oder gleichwertige Fälle bezeichnet werden. Je nachdem man der empirischen oder logischen Theorie des Sinnes der Wahrscheinlichkeitsbrüche zuneigt , wird man auch eine ver- schiedene Ansicht vom Wesen der Gleichmöglichkeit haben müssen. Der Theorie der gleichmöglichen Fälle wenden wir uns nun zu. Es sei zunächst gleich eine Unterscheidung der gleichmöglichen Fälle vorweggenommen, die mir wichtig erscheint. Man kann 160 10. Grundzüge der Philosophie nämlich zwei ganz verschiedene Arten gleichmöglicher Fälle unter- scheiden, die wir einander als gleichmögliche Fälle erster und als gleichmögliche Fälle zweiter Ordnung gegenüberstellen wollen. Das eine Mal werden als gleichmöglich n Fälle angesehen, von denen einer oder mehrere auf ihre Wahrscheinlichkeit zu prüfen sind. So steht es bei allen bisher angeführten Beispielen. Gewisse Spiel- resultate, gewisse Anfangszustände im Sinne der Mechanik, gewisse Anfangszustände im Sinne der sechs möglichen Ziehungen bei unserem Beispiel zur Erläuterung des Bay es sehen Theorems, gewisse Annahmen im Sinne des Vierpunktproblems werden als gleichmöglich vorausgesetzt und es wird dann immer nach der Wahrscheinlichkeit einer oder mehrerer dieser gleichmöglichen Fälle gefragt. Man sagt nun aber z. B. auch, die Wahrscheinlichkeit 105 einer Knabengeburt betrage in Deutschland zirka öäk • Dieser Wahrscheinlichkeitsbruch ist a posteriori durch Auszählung großer Zahlen von Geburten gewonnen. Welches sind nun hier die gleich- möglichen Fälle? Bei dem grundlegenden Wert, den man den gleichmöglichen Fällen beilegt, ist es doch wohl nicht möglich, daß es Wahrscheinlichkeitsbrüche gibt, die gleichmögliche Fälle überhaupt nicht voraussetzen. Es muß also wohl auch hier gleich- mögliche Fälle geben. Die Knaben- und Mädchengeburten als solche sind aber gewiß nicht gleichmöglich; denn sonst würden kaum immer und immer wieder mehr Knaben- als Mädchengeburten stattfinden. Die gleichmöglichen Ereignisse bilden hier auch offenbar nicht solche Fälle, von denen einer oder mehrere auf ihre Wahrscheinlichkeit geprüft werden, wie dies bei den Glücksspielen, dem Satz von Poincare, dem Beispiel mit den sechs Würfeln und dem Vierpunktproblcm der Fall ist. Denn hier fragt man lediglich nach der Wahrscheinlichkeil der Knaben- und Mädchen- geburten, die keinenfalls gleichmöglich sind. Um den Begriff der gleichmöglichen Fälle für diesee Beispiel zu retten, müssen wir liier als gleichmöglich eine endliche oder unendliche Anzahl von physiologischen Voraussetzungen (Ursachen, Bedingungskomplexen) ansehen, die im Verhältnis | ()() zu Knaben- bzw. Mädchengeburten dei Wahisoheinliohkeitsreohnung. 1G1 führen. Wir dürfen daher Bagen: Man muß gleichmögliche Fälle von Eweierlei Art unterscheiden; gleichmögliche Fälle heißen häufig Ereignisse, von denen eines oder einzelne auf ihre Wahr- Bcheinlichkeil geprüft werden; gleichmögliche Fälle heißen aber auch oft Ursachen oder Bedingungskomplexe von solchen Er- nissen, am deren Wahrscheinlichkeil es sich handelt. I>ie gleich- möglichen Ereignisse im ersten Sinn wollen wir als gleichmögliche Fälle ei tei Ordnung, die gleichmöglichen Ursachen wollen wir als gl liehe Fälle zweiter Ordnung bezeichnen. Wir können nun Wahrscheinlichkeiten a posteriori, die aus einer großen Anzahl von erfahrungsmäßig gegebenen Ereignissen abgeleitet sind, auch als statistische Wahrscheinlichkeiten be- zeichnen. Hiernach kann eine Wahrscheinlichkeit a priori niemals eine statistische sein. Aber auch die Wahrscheinlichkeit, zu der man bei unserem Beispiel für das Bayessche Theorem gelangt, darf nicht als statistische bezeichnet werden, da sie nur mit Hilfe von ganz wenigen (3) erfahrungsmäßig gegebenen Fällen abgeleitet wurde. Dagegen ist die Wahrscheinlichkeit einer Knabengeburt sKg-, die aus einer sehr großen Anzahl von Zählungen abgeleitet wurde, als eine statistische anzusehen. Auch die Wahrscheinlich- keit -Q- für den Wappenwurf ist demnach eine statistische, sofern nicht apriorisch, sondern auf Grund einer großen Zahl von Wurfresultaten abgeleitet wurde. Dies vorausgeschickt, dürfen wir dann sagen, daß die statistischen Wahrscheinlichkeiten häufig die Anwendung des Begriffes gleichmöglicher Fälle erster Ordnung ausschließen und nur die des Begriffes gleichmöglicher Fälle zweiter Ordnung zulassen. Abgesehen von unserem Beispiel über das •hierin Verhältnis der Geborenen, ließen sich hierfür noch viele Belege aus der volkswirtschaftlichen und privatwirtschaft- lichen Statistik, der Kriminalstatistik, der Versicherungsstatistik, der medizinischen und naturwissenschaftlichen Statistik anführen. Aber auch im Gebiet der Glücksspiele sind Wahrscheinlichkeiten, die die Anwendung des Begriffs der gleichmöglichen Fälle erster Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt. 11 162 10. Grundzüge der Philosophie Ordnung unmöglich machen, nicht ausgeschlossen. Nehmen wir z. B. an, daß wir mit einem münzenartigen Körper eine sehr große Anzahl von je hundert Würfen ausführen, bei denen wir aus den einzelnen Hunderten den Schluß ziehen müssen, daß durchschnitt- lich auf 105 Fälle, in denen die eine Seite oben liegt, 100 Fälle, in denen die andere oben liegt, kommen. Die Wahrscheinlichkeit für das Obenliegen der ersten Seite betrüge demnach auch hier 105 205 ' Auch hier konnte aus denselben Gründen wie bei den Ge- burten nur von gleichmöglichen Fällen zweiter Ordnung die Rede sein. Natürlich sind aber auch statistische Wahrscheinlichkeiten denkbar und vorhanden, bei denen sehr wohl von gleichmöglichen Fällen erster Ordnung die Rede sein kann, wie z. B. dann, wenn wir auf Grund einer sehr großen Anzahl von Versuchen im Gebiet des Spieles Wappen oder Zahl zum Resultat kommen, daß keines der beiden denkbaren Resultate (Wappen oder Zahl) bevorzugt wird. Hier betrachten wir die Fälle Wappen und Zahl selbst und nicht gewisse Ursachen dieser Fälle als gleichmöglich. Es sei noch erwähnt, daß es auch statistische Wahrscheinlich- keiten gibt, die sich auf die Wahrscheinlichkeit beziehen, daß eine Größe in einen bestimmten Spielraum fällt, und daß auch bei ihnen die gleichmöglichen Fälle nur solche zweiter Ordnung sind. Wir machen folgende Annahmen: Gegeben sei ein Elektromotor, dessen Umdrehungsgeschwindigkeit wir mit Hilfe eines Tourenzählers be- stimmen können. Wir messen die Zeit für 100 Umdrehungen tausendmal. Wir bestimmen dann aus jeder der tausend Ab- lesungen die mittlere Dauer einer Umdrehung. Wir kommen zu folgenden Resultaten: Die mittlere Dauer einer Umdrehung lallt n den Spielraum 0,000 bis 6,999 Z ehniclsekunden mal ') >> >> 7,000 „ 7,09!) 5» 1 „ >> >> 5> 7,100 „ 7,199 >> 7 „ >» > J >> 7,200 „ 7,299 >> 22 „ > > >> >> 7,300 „ 7,399 »> 104 „ 9, »> >> 7,400 „ 7,499 >» 368 „ Summe: 502 mal »In WahisoheuEÜiohkeitsrecbntiiig. io."> Übertrag: 602 mal m den Spielraum 7,600 bis 7,599 Zehntelsektmdeii 366 ,. 7.(500 , . 7.099 •• 102 7.700 , . 7.799 •• IM 7,800 . 7,899 n 8 7,900 . 7. 999 H 2 8,000 X • 1 Summe: 1000 Hiernach können wir z. B. die Wahrscheinlichkeit, daß die Dauer einer Umdrehung - des Motors in den Spielraum 7,500 bis 365 r,599 Zehntelsekunden fällt, mit ,^ , die Wahrscheinlichkeit, daß die Unidrohungsdauer kleiner als 7,000 oder größer als 8,000 Zehntelsekunden ist, mit angeben. Wir nehmen dann implizite an, «laß die Umdrehungsdauer unendlich viele in den Spielraum 7,000 bis 8.000 fallende Werte annehmen kann; wir setzen ferner auf Grund der Erfahrung voraus, daß diese Werte nicht alle gleich- möglich sind. So hat z. B. der Wert 7,514 eine größere Möglichkeit als der Wert 7,988. Welches sind nun in diesem Beispiel die gleich- möglichen Fälle? Auch hier kann man nur gleichmögliche Fälle zweiter Ordnung statuieren. Dabei wird man zweckmäßigerweise annehmen, daß es eine unendliche Anzahl von Ursachen der un- endlich vielen Umdrehungsgeschwindigkeiten gibt, die alle unter sich gleich möglich sind, die aber die in den Spielraum 7,000 bis 7,099 fallenden Umdrehungszeiten im Verhältnis /,iuu ,, /,iyj „ ,, ,, ,, ,, 1 1000' 7 1Ö0Ö' 22 1000 7,^00 ,, 7,^99 ,, ,, ,, ,, ,, hervorrufen usw. Wir fragen uns nun nach dem Wesen der Gleichmöglichkeit. Vom Standpunkt der empirischen Theorie des Sinnes der Wahr- scheinlichkeitsbrüche aus wird man vielleicht sagen: gleichmöglich sind solche Fälle, die einer statistischen Prüfung zufolge bei sehr vielen Fällen erfahrungsgemäß gleich oft vorkommen. Dabei ist der Ausdruck „gleich oft" natürlich nicht wörtlich zu nehmen. 11* 164 10. Grundzüge der Philosophie Wenn man z. B. die Gleichmöglichkeit der Fälle w und z beim Spiel Wappen oder Zahl untersuchen will, so wird man beide Fälle nicht nur dann als gleichmöglich ansehen, wenn z. B. immer wieder auf je 100 Würfe genau 50 w-Fälle und 50 z-Fälle kommen. Dieses Resultat ist mathematisch betrachtet sehr unwahrscheinlich und es findet, soweit unsere Erfahrung reicht, nicht statt. Man wird sich vielmehr damit begnügen, wenn die Fälle w und z in dem Sinne gleich oft auftreten, daß unter je 100 Würfen bald 50 w- oder 50 z-Resultate eintreten, bald das Verhältnis der w- zu den z- Würfen um das Verhältnis 50 : 50 so schwankt, daß keines der Resultate w oder z dauernd bevorzugt erscheint; ja man wird w und z als ,, gleich oft" vorkommend ansehen, wenn nicht ein einziges Mal genau 50 Wappen- und 50 Zahlenwürfe erzielt werden, und wenn nur die Schwankungen in der angedeuteten Weise stattfinden. In diesem weiteren Sinne werden wir nun den Ausdruck ,, gleich oft" verwenden. Die eben dargelegte Theorie der Gleichmöglichkeit soll als die empirisch orientierte bezeichnet werden. Diese empirisch orientierte Theorie der gleichmöglichen Fälle gilt heute gewöhnlich als ver- fehlt. In der Tat ist sie es auch in gewisser Hinsicht. Die Be- hauptung, daß gleichmögliche Fälle diejenigen seien, die bei einer sehr großen Anzahl von Feststellungen erfahrungsgemäß gleich oft eintreten, hat zunächst insofern keinen allgemeinen Wert, als es eine Fülle von Problemen der Wahrscheinlichkeitsrechnung gibt, wo die gleichmöglichen Fälle für uns überhaupt nicht in die Er- scheinung treten. Dies trifft jedenfalls überall da zu, wo gleich- mögliche Fälle erster Ordnung nicht vorhanden sind und nur gleich- mögliche Fälle zweiter Ordnung statuiert werden können. Ob aber diese tatsächlich gleich oft eintreten oder nicht, kann man erfahrungsgemäß überhaupt nicht feststellen, sondern vielmehr nur durch Schlüsse, die auf Erfahrung gegründet sind. Man müßte demnach die skizzierte Theorie sinngemäß dahin erweitern, daß man sagt: Gleichmögliche Fälle sind diejenigen, die bei einer großen Anzahl von Feststellungen erfahrungsgemäß gleich oft eintreten oder die auf Grund einer großen Anzahl von Erfahrungen als gleich ilfi Wahrscheinlichkeitsrechnung. 1(>~> oft eintretend erschlossen werden können, Aber auch bo modifiziert führt die empirische Theorie anf Schwierigkeiten. Denn es gibl viele Beispiele der Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung, wo alle Erfahrung aufhört und gleichmögliche Fälle weder in die Erscheinung treten noch auf Grund von Erfahrungen erschlossen werden können. So steht es unter anderem bei der Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung im Rahmen der Ableitung des Satze- von Poiiicare. Wie sollte es physisch möglich sein, immer und immer wieder Bewegungszustände einer sehr großen Anzahl materieller Punkte 1 empirisch zu beobachten und daraufhin fest- zustellen, wie oft die einzelnen beobachteten Bewegungszustände eintreten, ganz abgesehen davon, daß es sich beim Satz von Poin- «are um unendlich viele Bewegungszustände handelt? So sieht man leicht, daß die Anwendung der empirisch orientierten Theorie der gleichmöglichen Fälle in der bisher vorgetragenen Form be- iklich erscheint. Etwas besser stünde es vielleicht um die freilich Dicht praktisch, aber vielleicht logisch einwandfreie Durchführung dieser Theorie, wenn wir ihr folgende Form geben würden: Gleich - mögliche Fälle sind diejenigen, welche erfahrungsgemäß gleich oft stattfinden oder als gleich oft stattfindend erschlossen werden können, sowie auch diejenigen Fälle, die gleich oft stattfinden winden oder auf Grund von Erfahrungen als gleich oft stattfindend blossen werden könnten, wenn wir in der Lage wären, über ihr Eintreten genügend viele Erfahrungen zu sammeln. Aber auch gegen diese modifizierte Form der Theorie lassen -ich wenigstens in gewissem Sinne Einwände erheben. Es muß nämlich anerkannt werden, daß häufig Wahrscheinlichkeitsbrüche aufgestellt und gleichmögliche Fälle statuiert werden, wo eine wirkliehe, mögliche oder auch nur hypothetische empirische Prüfung des Eintretens der gleichmögliche n Fälle überhaupt nicht ins _efaßt wird, mag eine solche Prüfung an sich möglich sein oder nicht. Wahrscheinlichkeitsansätze dieser Art werden dann gemacht, wenn man die Wahrscheinlichkeit lediglich als ein Maß rer in logischer Hinsicht vernünftigen Erwartung ansieht und wenn man als eine solche vernünftige Erwartung diejenige ansieht, 166 10. Grundzüge der Philosophie die auf Grund der tatsächlich vorhandenen Sachkenntnis in logisch korrekter Weise gewonnen wird. Eine Erwartung über das Zu- treffen von Tatsachen kann man aber natürlich hegen, ohne not- wendigerweise die Prüfung des Eintreffens dieser Tatsachen inner- halb einer großen Serie anderer Tatsachen zu vollziehen oder auch nur hypothetisch ins Auge zu fassen. Ja man kann eine logisch vollkommen fundierte Erwartung hegen und jede statistische Prüfung strikte ablehnen. Dieser logischen Auffassung der Wahr- scheinlichkeitsbrüche wird die empirisch orientierte Theorie der gleichmöglichen Fälle nicht gerecht. Andererseits aber sollte man zugeben, daß es an sich nicht widersinnig ist, die Wahrscheinlich- keitsbrüche im Sinne der von uns modifizierten empirisch orien- tierten Theorie der gleichmöglichen Fälle aufzufassen und daß man in vielen Gebieten die gleichmöglichen Fälle sehr wohl nach dem Schema dieser Theorie empirisch feststellen kann. Auf dem Boden der logischen Theorie des Sinnes der Wahr- scheinlichkeitsbrüche gelangt man nun zu einer anderen Auffassung der gleichmöglichen Fälle. Diese logisch orientierte Theorie der gleichmöglichen Fälle hat aber in der Geschichte verschiedene Formen angenommen. Nach der üblichen teilweise auf Fr. A. Lange 1 ) zurückgehen- den weitverbreiteten Version, die hauptsächlich durch S ig wart 2 ) und Stumpf 3 ) auf korrekte Formen gebracht worden ist, hat man bei der Aufstellung der gleichmöglichen Fälle so zu ver- fahren 4 ) : Man stellt ein disjunktives Urteil auf, in welches die einzelnen möglichen Fälle als Disjunktionsglieder eingehen. Die getroffenen Disjunktionen müssen erschöpfend und maximal sein, d. h. es müssen tatsächlich alle möglichen Disjunktionen aufgestellt werden und die Disjunktion muß so sehr ins einzelne gehen als irgend mög- 1 ) F. A. Lange, Logische Studien. Iserlohn 1877. S. 99 ff. 2 ) Ch. Sigwart, Logik. 4. Auf], besorgt von IT. Maier. Bd. 2. Tübingen 1911. S. :J17 lt. ») C. Stumpf, a.a.O. 8. 37ff. und s. 881 H'. 4 ) Vgl. hierzu P. fiillebrand, Monatshefte im Mathematik und Physik. Jahrg. 9. 1898. Literatur-Berichte S. IT, lt. dei Wahracheintiehkeitsreehn'aiig. 167 lieh. Nicht erschöpfend ist eine Disjunktion, in welcher eines oder mehrere Disjunktionsglieder fehlen, wie z. B. folgende: Alle Kugel- si'hüsse auf eine Scheibe liegen entweder innerhalb oder außer- halb des Scheibenzentrums. I lior wird übersehen, daß auch Schüsse mögHch sind, bei welchen die Kugel teilweise innerhalb, teilweise außerhalb dos Seheihenzentrums aufschlägt. Nicht maximal ist folgende Disjunktion: Wenn wir zwei Münzen gleichzeitig in die Höhe werfen, so zeigen entweder beide das Resultat Wappen oder ■eigen beide das Resultat Zahl oder es fällt Wappen und Zahl. Hier werden statt der möglichen vier Disjunktionen (w w; z z; w z: z w) nur drei aufgestellt. Haben wir in einem disjunktiven Urteil Disjunktionsglieder in erschöpfender und maximaler Weise aufgestellt und befinden wir uns hinsichtlich des Eintretens der einzelnen Disjunktionsglieder in gleicher Unwissenheit, so dürfen wir die einzelnen möglichen Fälle als gleichmögliche betrachten, den Wahrscheinlichkeitsbruch in der bekannten, oben erläuterten Weise ansetzen und ihn als das Maß unserer vernünftigen Erwartung über das Eintreffen der einen oder anderen Eventualität betrachten. Im Sinne dieser Theorie gelangen wir für den Fall, daß uns alle Untersuchungen über das Geschlechts Verhältnis der Geborenen unbekannt sind, für die Wahrscheinlichkeit einer Knabengeburt zu dem Resultat -3-, wobei dieses Ergebnis vom Standpunkt der vorausgesetzten Sachkenntnis aus als durchaus richtig betrachtet wird und offenbar auch richtig ist, wenn auch natürlich vom Stand- punkt einer intimeren Sachkenntnis aus dieser Ansatz nicht mehr haltbar ist. Das hier verwendete Prinzip, nach welchem mögliche Fälle dann gleichmöglich sind, wenn wir uns hinsichtlich ihres Eintreffens in gleicher Unwissenheit befinden, und welches dem Sinne nach auf Jakob Bernoulli 1 ) und Laplace 2 ) zurückgeht, wird als das Prinzip des mangelnden Grundes bezeichnet. 1 ) J. Bernoulli, A\- conjeetandi Deutsche Übersetzung unter <i<-m Titel „WahiBcheinUchkeitBrechnung" 1899 in Ostwalds Klassikern thienen. Zweites Bändelien (Nr. 108 <]< r Ost wähl sehen Sammlung). S. 88. 2 ) P. S. de Laplace, Theorie analytique des Probabilitös. 1. Aufl. Paris 1812. B. 178 f. (Zitiert nach E. Czuber, a. a. o. Bd. 1. 1914. S. 12.) 168 10. Grundzüge der Philosophie Natürlich erkennt man auch auf dem Boden dieser der empi- rischen Theorie des Sinnes der Wahrscheinlichkeitsbrüche entgegen- gesetzten Auffassung an, daß in der Wissenschaft das Wissen vor dem Nichtwissen den Vorzug verdiene und daß jede Wahrschein- lichkeitsbestimmung unvernünftig wäre, die nicht auf so vielen Kenntnissen beruhte, als augenblicklich zur Verfügung stehen. Aber selbst wo statistische Erfahrungen über die gleichmöglichen Fälle vorhanden sind, stützt sich die Statuierung der gleichmöglichen Fälle nach der in Rede stehenden Auffassung der Wahrscheinlich- keitsbrüche, d. h. hier der Maße unserer in rein logischer Hinsicht vernünftigen Erwartung mehr auf unsere Unkenntnis, als auf unsere Kenntnis. ,,Nur solange und soweit wir in Unkenntnis sind, so lange und so weit findet eine Wahrscheinlichkeit statt und die Berechnung gründet sich gerade auf das mit dem Wissen ver- knüpfte Nichtwissen, genauer auf die Anzahl der Fälle, über die wir in der fraglichen Beziehung nichts wissen 1 )." Die bisher besprochene Version der logisch orientierten Theorie der gleichmöglichen Fälle können wir als die subjektiv-logische Theorie der gleichmöglichen Fälle bezeichnen. Gleichfalls auf dem Boden der logischen Theorie des Sinnes der Wahrscheinlichkeits- brüche steht eine andere bekannte, durch v. Kries 2 ) vertretene Theorie der gleichmöglichen Fälle, die wir als die objektiv-logische bezeichnen wollen. v. Kries erhebt ernstliche Bedenken gegen die subjektiv- logische Theorie. Die Fundierung der gleichmöglichen Fälle auf das Prinzip des mangelnden Grundes erscheint ihm zwar keineswegs falsch, aber doch nicht genügend. Der bloße Mangel eines unter- scheidenden Grundes reicht seiner Ansicht nach keineswegs hin, um im Sinne der Wahrscheinlichkeitsrechnung gleichmögliche Fälle ai philosophique BUT les Probabilitex. 5. Aufl. Parifl 1825. 8. 1 ff . Vgl. jedoch hierzu 0. Sterzinger, Zur Logik und Naturphilosophie der Wal tr- Bchemlichkeitslehre. Leipzig 1911. S. Ulli. 2 ) (J. Stumpf, Münchenei Sitzungsberichte der philosophisch-philo- logischen und der historischen Klause. Jahrg. 1892. München is ( .):{. s. G2 f. 2 ) J. v. Kries, Die Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Freiburg i. Br. 1886. der WehrooheinliohkeitBreohnung. L6Q in eindeutiger Weise zu konstruieren 1 ). Wir haben gesehen, daß die subjektiv-logische Theorie für ein und denselben Gegenstand bd Behr verschiedenen Wahrscheinhchkeitsanßätzerj führen kann, je nach der Bachkenntnis, welche wir zugrunde legen. Diese Tat- Bache Bcheinl mir v. Kries zu der Ansicht veranlaßl zu haben, daß eine feste Berechnung der Wahrscheinlichkeit auf dem Boden der Bubjektiv-logischen Theorie überhaupt unmöglich sei, daß diese vielmehr zu willkürliehen Ansätzen führe und daher nicht ausreichend sei. Stumpf hat, wie mir scheint, diese Bedenken mit Erfolg zurückgewiesen 1 ). Ganz bestimmte Sachkenntnisse vorausgesetzt, gelangt man bei streng logischem Fortschreiten zu gani bestimmten Wahrscheinlichkeitsansätzen. Eine andere Frage ist freilich die, ob sich die so abgeleiteten Wahrscheinlichkeits- ansätze im Sinne der empirischen Theorie als richtige Durchschnitts- zahlen erweisen, — ein Kriterium, das freilich weder nach Stumpf noch v. Kries für die Theorie der gleichmöglichen Fälle in Betracht kommt . v. Kries präzisiert die Theorie des mangelnden Grundes nun bo, daß die Aufstellung der gleichmöglichen Fälle eine in zwingender Weise und ohne jede Willkür sich ergebende sein müsse. Im spe- ziellen führt v. Kries aus, daß gleichmögliche Fälle solche sind, die indifferenten, ihrer Größe nach vergleichbaren, ursprünglichen Spielräumen entsprechen. Das spezifische Gewicht eines Körpers höchstens 6,0 und größer als 5,0. Die einzelnen Annahmen, welche wir dann über das tatsächliche spezifische Gewicht bilden können, fallen dann in gewisse Spielräume, z. B. in die Spielräume 5,0 bis einschließlich 5,1 und dann 5,1 bis 5,2, dann 5,2 bis 5,3 usw. J hcr.e Spielräume, die als Teilspielräume des Spielraums 5,0 bis 6,0 aufgefaßt werden können, sind ihrer Größe nach vergleichbar. Sie sind ferner ursprünglich, da sie vollkommen gleichwertig und daher nicht auf andere gleichwertigere Spielräume 'reduzierbar erscheinen. rind indifferent, da keinerlei logische Bevorzugung des einen vor dem anderen besteht. Der Fall, daß das fragliche spezifische 1 ) J. v. Kries, a. a. O. S. 7 f. 2 ) C. Stumpf. a.a.O. B. 62 ff . und B. 681 ff. 170 10. Grundzüge der Philosophie Gewicht in einen der zehn Spielräume fällt, ist deshalb mit dem Fall, daß es in einen anderen fällt, gleichmöglich. Die Wahrschein- lichkeit, daß es in einen bestimmten der zehn Spielräume fällt, beträgt somit j^. Nach diesem Schema verfahren wir nach v. Kries allgemein, wo wir in sinnvoller Weise mathematische Wahrschein- lichkeiten ansetzen. Gegeben sei eine Urne, von welcher wir wissen, daß sie nur weiße und schwarze Kugeln enthält. Die Wahrscheinlichkeit, aus dieser Urne eine weiße Kugel zu ziehen, beträgt nach der subjektiv- logischen Theorie der gleichmöglichen Fälle -g-. Nach der v. Kries - schen Theorie ist dieses Verfahren willkürlich. Denn die Annahme der gleichmöglichen Fälle geschieht hier nach v. Kries nicht in zwingender Weise und nicht ohne Willkür, und die Anwendung der Spielraumtheorie dünkt ihm hier nicht möglich. Auf die Wahr- scheinlichkeit -ö" kommen wir nach der v. Kries sehen Theorie nur dann, wenn wir wissen, daß die Urne gleichviele weiße und schwarze Kugeln enthält. Nur in diesem Fall können wir die gleichmöglichen Fälle im Sinne der Spielraumtheorie deduzieren. Man bezeichnet die v. Kries sehe Theorie gewöhnlich als die objektive. Sie ist aber ganz und gar nicht objektiv im Sinne der empirischen Theorie des Sinnes der Wahrscheinlichkeitsbrüche und der empirisch orientierten Theorie der gleichmöglichen Fälle, die v. Kries, der seine eigene Theorie durchaus als eine logische in Anspruch nimmt, weit von sich weist. Auch entfernt sich v. Kries viel weniger von der subjektiv-logischen Theorie, als oft angenommen wird 1 ). Denn er basiert die Entscheidung darüber, was gleich- mögliche Fälle sind, ganz und gar auf das Prinzip des mangelnden Grundes 2 ); er fordert nur mehr objektive Kenntnisse als Voraus- *) Dies li.Jx- ich schon vor vielen Jahren (Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Bd. 1 14. 189!». S. I IG) betont und 0. Sterzinger (Zur Logik und Naturphilosophie der Wahrsoheinlichkeitslehre. Leipzig 1911. B. 70 ff.) hat es ausführlich gezeigt. 2 ) Die Bedeutung des Prinzips des mangelnden <; rundes bei v. Kries ergibt sich schon aufl der Stelle des obigen Textet: (die Spielräume sind drr Wahrscheinlichkeitsrechnung. 171 BetzungeD des Wahrscheinlichkeitsansatzes als <lio subjektiv-logische Theorie verlangt. Wir wollen daher, wie schon angedeutet, die v. Kriessche Theorie der gleichmögliehen Källe als die objektiv- -che bezeichnen. In unseren gesamten bisherigen Ausführungen über die gleich- möglichen Fälle halten wir immer einzelne Ereignisse oder, sofern B sich um gleichmögliche Fälle zweiter Ordnimg handelte, Ursachen einzelner Ereignisse ins Auge gefaßt. Alle unsere Ausführungen gelten aber in ganz gleicher Weise, wenn wir als gleichmögliche Fälle nicht einzelne Ereignisse, sondern Gruppen von Ereignissen ansehen, wie etwa, die vier Gruppen w w w z z w z z , die beim Aufwerfen von 2 Münzen gleichmöglich sind. Allerdings werden solche gleichmöglichen Fälle im Sinne von Gruppen von Fällen, wie wir im vorigen Kapitel schon sahen, in der Regel nicht direkt statuiert, sondern mittels des Multiplikationssatzes abgeleitet. Wir haben nun die wichtigsten Lehren aus dem Gebiet des logischen Problems der Wahrscheinlichkeitsrechnung kennen ge- lernt. Die sogenannte psychologische Theorie der Wahrscheinlich- keitsbrüche kann hier übergangen werden, da sie auf Voraus- setzungen beruht, die nicht stattfinden 1 ). Andere Ansichten, auf die man an der Hand der von uns zitierten Bücher aufmerksam wird, liegen, wie z. B. diejenigen Goldschmidts 2 ) und Ster- zinge rs 3 ), zwischen den von uns skizzierten markantesten Theorien. indifferent, wenn) ,, keine logische Bevorzugung des einen vor dem anderen besteht". 8. 25 werden bei v. Kries die unserem Text analogen Über- mgen hinsichtlich des spezifischen Gewichts ausdrücklich nur dann als zulässig bezeichnet, wenn unsere Sachkenntnis ,, durchaus keinen Grund Mithält, innerhalb dieses Spielraums von 5,0 bis 0,0 irgend einen Wert für irahrschemliehei als irgend einen anderen zu halten". 1 ) Vgl. darüber J. v. Kries a.a.O. S. 3 ff . 2 ) L. G-oldsehmidt, Die Wahrseheinlichkeitsreohnung. Hamburg und Leipzig 1897. 3 ) 0. Bterzinger, Zur Logik und Naturphilosophie der Wahrschein- tiehkeitslehre. Leipzig 1911. 172 10. Grundzüge der Philosophie Weiterhin mag die Lehre von A. Fick 1 ) wenigstens noch genannt werden, der in der mathematischen Wahrscheinlichkeit eine Eigen- schaft eines unvollständig ausgedrückten hypothetischen Urteils sieht und die Wahrscheinlichkeitssätze als eine Art synthetischer Urteile a priori betrachtet 2 ). Trotz der umfänglichen Diskussionen, die sich auf das logische Problem beziehen, darf man wohl sagen, daß keine Theorie des Sinnes der Wahrscheinlichkeitsbrüche und keine Theorie der gleichmöglichen Fälle sich eines ganz allgemeinen Beifalls erfreut und daß wir sehr weit von der Entscheidung entfernt sind, sofern eine solche überhaupt möglich sein sollte. Das Schwanken, wie es bei Kant und Stuart Mill offenbar wird, findet sich häufig genug innerhalb ein und desselben Buches und es ist für die Sachlage, die Sterzinger mit dem Ausdruck ,, Verwirrung" belegt, sehr charakteristisch, daß Czuber in seinem oben mehrfach zitierten Lehrbuch der Wahrscheinlichkeitsrechnung 3 ) die subjektiv-logische und die objektiv-logische Theorie der gleichmöglichen Fälle darlegt, der letzteren den Vorzug gibt, aber doch wieder ihre Durchführbar- keit in den meisten Fällen in Frage stellt. Welchen Standpunkt sollen wir nun selbst einnehmen? Wir haben schon angedeutet, daß der Sinn einer Sache immer diskutabel bleiben wird, wenn diejenigen, die der Sache den Sinn beilegen, miteinander über diesen Sinn diskutieren. Deshalb meinten wir oben, daß die von uns modifizierte empirische Theorie des 1 ) A. Fick, Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeiten. Würz bürg 1883. Abgedruckt in A. Ficks Gesammelten Schriften. Würz- burg 1903. Bd. 1. S. 146 ff. Vgl. hierzu: K. Grelling, Die phüosophischen Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Göttingen 1910. (Separat- abdruok aus den Abhandlungen der Fries sehen Schule. Neue Folge. Bd. 3. Befl 3.) 2 ) Zur logischen Theorie d<-i Wahrscheinlichkeitsrechnung vgl. auch F. Af. Urban, Vier (cljalnsschrifl für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie. 35. Jahrg. 1911. S. I IT. und S. I4ö£f. Nach Abschluß dieses Buches erschien «las umfangreiche Werk von A. Meinong: Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit. Leipzig 1915. 3 ) E. Czuber, Wahrscheinlichkeitsrechnung usw. Bd. l. 3. Aufl. Leipzig und Berlin 1914. 8. 11 ff. <lrr Wahrscheinlichkeitsrechnung, 1 78 Sinnes der Wahrscheinlichkeitsbrüohe zwar akzeptabel und nicht widersinnig Bei, und daß man in vielen Gebieten .-ehr wohl die gleichmöglichen Falle auf Grund von Erfahrungen aber das Ein- treffen der Fälle bestimmen könne, daß man aber auch auf dem Boden der Logischen Theorie des Sinnes der gleichmöglichen Fälle stehen könne, und daß man auch in vielen Gebieten sehr wohl die gleichmöglichen Fälle vom Boden dieser Theorie uns feststellen könne. Falsch wäre es nur. wenn man sich in dem Glauben wiegte, daß die empirische Theorie des Sinnes der Wahrscheinlichkeits- brüche und die empirisch orientierte Theorie der gleichmöglichen Fidle alle möglichen und wirklichen Ansichten decke. Ebenso verkehrt aber wäre es, wenn man in der logischen Theorie des Sinnes der Wahrscheinlichkeitsbrüche die einzige mögliche Auf- 3ung der Wahrscheinlichkeitsbrüche erblicken wollte. Noch un- BÜnter wäre es, wenn man glaubte, daß man gleichmögliche Fälle nur nach dem Schema des v. Kriesschen Spielraumprinzips statuieren dürfe. Stumpf hat, wie wir betonten, gezeigt, daß auch die subjektiv-logische Theorie der gleichmöglichen Fälle unter der Voraussetzung bestimmter Sachkenntnisse zu ganz be- stimmten gleichmöglichen Fällen führt. So sicher man daher die Spielraumtheorie in vielen Gebieten anwenden kann, so wenig is1 es unbedingt erforderlich, in einem einzigen Gebiet nur allein auf sie zu rekurrieren. Die Frage nach dem Begriffe der gleichmöglichen Fälle ist somit wesentlich Sache der Konvention. Das heißt: es sind mehrere Begriffe der gleichmöglichen Fälle möglich. Welchen derselben man benützt, ist willkürlich. Eine fruchtbare Diskussion des Gebietes der Wahrscheinlichkeit fordert daher, daß man sich darüber einige, welchen Begriff man zugrunde legen will. Hat man eine Aufgabe dem Gebiel der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu lösen, so muß man zunächst zusehen, in welchem Sinne liier gleichmögliche Fälle eingeführt oder vorausgesetzl werden, und nach diesem Er- gebnis hat man dann die Wahrscheinlichkeiten anzusetzen und weiter zu operieren. Da:- ewige Schwanken der Meinungen in diesem Gebiel dürfte wesentlich mit der Verkennung des kon- 174 10. Grundzüge der Philosophie ventionellen Charakters des Sinnes der Wahrscheinlichkeitsbrüche und des Sinnes der gleichmöglichen Fälle zusammenhängen. Natürlich darf man die Sache nicht so auffassen, als könne man ganz beliebig diesen oder jenen Begriff der gleichmöglichen Fälle verwenden. Alle Konventionen in der Wissenschaft müssen gewissen Anforderungen gerecht werden. So steht es auch hier. Daß wir bei der Statuierung gleichmöglicher Fälle nur dann ver- nünftig verfahren, wenn wir unsere gesamte augenblicklich vor- handene Fachkenntnis ausnützen, ist schon angedeutet worden. Daß wir bei der Statuierung der gleichmöglichen Fälle keine logischen Fehler machen dürfen, ist selbstverständlich. Die Disjunktionen müssen, wenn wir im Sinne der subjektiv-logischen Theorie ver- fahren, erschöpfend und maximal sein. Daß wir, wie dies bei der psychologischen Theorie des Sinnes der Wahrscheinlichkeitsbrüche der Fall ist, Voraussetzungen über die Meßbarkeit von Seelen- zuständen machen, die nicht zutreffen, ist gleichfalls unzulässig. Wir wollen nicht die möglichen Fehler, die man bei der Statu- ierung gleichmöglicher Fälle machen kann, noch überhaupt das logische Problem der Wahrscheinlichkeitsrechnung weiter ver- folgen. Was angeführt wurde, dürfte genügen um zu zeigen, daß man künftig nicht allzuviel Scharfsinn auf die Verteidigung be- stimmter Positionen im Gebiet der Fragen nach dem Sinn der Wahrscheinlichkeitsbrüche und der gleichmöglichen Fälle ver- wenden sollte. Viel wichtiger als diese Seite des logischen Problems erscheint mir heutzutage das naturphilosophische Problem der Wahrscheinlichkeitsrechnung, dessen Behandlung allerdings auch auf das logische Problem mancherlei Licht wirft. Hier kann man sich, wie wir schon andeuteten, fragen, ob und inwieweit sich die Wahrscheinlichkeitsbrüche als Durch- schnittszahlen bewähren. Der Sinn dieser Frage ist leicht zu ver- stehen. Hat man beim Spiel „Wappen oder Zahl" für w die Wahr- scheinlichkeit -ö" angesetzt und bemerkt man, daß für große Fraktionen von Würfen jeweils nur etwa . der Fälle w- Würfe d6I \V;ilH>( , ltt'inlichk(MtsnM'luiunu. 1 , ,~> sind, bo hat sich der Wahrscheinlichkeitsbruch als Durohschnitts- iah] offenbar nicht bewahrt. Finden wir dagegen, daß w und z sachlich oder doch in dem oben erwähnten weiten Sinne gleich oft vorkommen, so hat sich der Wahrscheinlichkeitsbrach als Durchschnittszahl bewahrt. Efi entsteht nun die Frage: Was müssen wir wissen, wenn B ans gelingen soll, a priori Wahrscheinlichkeitsansätze aufzu- stellen, die sieh als Durchschnittszahlen bewähren? Man kann dann weiter fragen: Ist das zur Aufstellung solcher Wahrschein- lk'hkeitsbrüche erforderliche Wissen jemals gegeben? Inwieweit haben wir. auch wenn jenes Wissen lückenhaft ist, wenigstens rundete Aussicht, a priori zu Wahrscheinlichkeitsbrüchen zu gelangen, die sich restlos oder wenigstens ungefähr als Durch- schnittszahlen bewahren? Inwieweit ist es gänzlich aussichtslos, solche Wahrscheinlichkeitebrüche a priori abzuleiten? Sollte sich zeigen, daß überall, wo jenes Wissen überhaupt nicht oder nur in untergeordnetem Grade zur Verfügung steht, Wahrscheinlich- ki-itsbrüche, die sich als richtige oder selbst nur als ungefähr richtige Durchschnittszahlen bewähren, nicht gewonnen werden können, so würde daraus folgern, daß die Wahrscheinlichkeitsrechnung a priori auch in den Gebieten nur einen sehr illusorischen Wert hat, wo eine aposteriorische Prüfung der Wahrscheinlichkeiten a priori untunlich ist. Alle diese Probleme werden im folgenden Kapitel behandelt werden. Ein anderes wichtiges Theorem des naturphilosophischen Problems der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist das folgende. Die Wahrscheinlichkeit eines einzelnen Ereignisses sei bestimmt und habe sich auf Grund statistischer Untersuchungen a posteriori röhrt. So sei die Wahrscheinlichkeit, beim Spiel , .Wappen oder Zahl' 1 w zu werfen, g . Kann man dann a priori mit Hilfe des Multi- pükationssatsee für die Wahrscheinlichkeit von Gruppen einzelner Ereignisse zu Wahrscheinlichkeitsbrüchen gelangen, die sich sta- tistisch bewähren und die sich also auch a posteriori als richtige Wahrscheinlichkeitsbrüche bewähren? Ist also z. B., wenn die 176 10. Grundzüge der Philosophie der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wahrscheinlichkeit a priori und a. posteriori, w zu werfen, -^- ist, auch die im Sinne des Multiplikationssatzes abgeleitete Wahr- / 1 \io scheinlichkeit l-^-j für 10 aufeinanderfolgende Wappenwürfe a posteriori zutreffend? Über Untersuchungen betreffs dieses Problems werden wir uns zunächst gegen Ende des folgenden Kapitels unmittelbar vor der Behandlung des Satzes von Poineare kurz äußern. Die später erfolgende ausführliche Mitteilung der einschlägigen Untersuchungen bildet einen der wichtigsten Teile dieses Buches. Kit' tos Kapitel. Der dürftige praktische Wert der Wahrscheinlich- keitsrechnung a priori und der Satz von Poineare. In diesem Kapitel werden wir zunächst den Begriff der relativen Häufigkeit oder des Häuügkeitsbruchs umfänglich erörtern. Hieraus ergeben sich unmittelbare Folgerungen hinsichtlich der Brauch- barkeit der Wahrscheinlichkeiten a priori als Durchschnittszahlen und hinsichtlich der praktischen Bedeutung solcher Wahrschein- lichkeitsbrüche überhaupt. Erst ganz am Schlüsse des Kapitels soll sie zeigt werden, daß unsere Ausführungen bestimmte Folge- rungen auf den Satz von Poincare zulassen. Gegeben sei eine Anzahl von Spielresultaten des Spieles Wappen oder Zahl. Wenn die Anzahl aller Resultate n, die Anzahl der w-Resultate n — m beträgt, so stellt der Bruch - die relative Häufigkeit oder den Häufigkeitsbruch des Resultates w dar. Dem- entsprechend ist dann — die relative Häufigkeit oder der Häufig- keitsbruch des Resultates z. Jedes einzelne Resultat resultiert aus ganz bestimmten un- mittelbaren Bedingungen und tritt infolge dieser Bedingungen mit oluter Notwendigkeit auf. Die Gesamtheit der unmittelbaren lingnngen aller n einzelnen Resultate, die wir kurz als die Ge- sa int Bedingungen bezeichnen wollen, ist nun dem Resultat w (z) mehr oder weniger günstig. Der Iläul'igkeitsbruch aber des Re- sultates w (z) bildet ein unmittelbares Maß der Günstigkeit der amtbedingungen dee Resultates \v (z); je häufiger w (z) im Verhältnis zu □ vorkommt, desto günstiger sind natürlich die Ge.raintbodiiigunueri für dieses Vorkommen. Sie sind maximal günstig, wenn der Häufigkeitsbruch genau 1, maximal ungünstig, trenn er genau wird. Marbe, Die QMchfOnnJgkeit In der Welt. 12 178 11. Der dürftige praktische Wert der Analoge Betrachtungen lassen sich auf alle Ereignisse anwenden, die de facto öfter vorkommen und auf welche die Wahrscheinlich- keitsrechnung bezogen wird oder prinzipiell bezogen werden kann. Nicht aber lassen sich solche Betrachtungen auf alle diejenigen Ereignisse schlechthin anwenden, auf welche man die mathematische Wahrscheinlichkeit bezieht. Denn häufig redet man ja von Wahr- scheinlichkeiten, wo ein wiederkehrendes Vorkommen des in Rede stehenden Ereignisses überhaupt nicht stattfindet, wie z. B. wenn wir nach der Wahrscheinlichkeit fragen, aus einer bestimmten mit schwarzen und roten Kugeln gefüllten Urne bei einem einzigen Zug eine rote Kugel zu ziehen. Von besonderem Interesse ist die Bestimmung der relativen Häufigkeit, wenn die Anzahl der in Rede stehenden Ereignisse eine große ist und wenn die Erwartung begründet ist, daß die relative Häufigkeit fraktionell konstant ist. Die relative Häufigkeit eines bestimmten unter einer großen Anzahl n von v Ereignissen ist fraktionell konstant, wenn sie für gewisse große Fraktionen gleich ist. Gegeben sei eine große Anzahl von Spielresultaten des Spieles ,, Wappen oder Zahl", die wir in Fraktionen zu 100 einteilen. Wenn nun für das erste, zweite, . . . Hundert die relative Häufigkeit des Resultates immer 50 1 dieselbe, z. B. -.«■«- = -g- ist, so nennen wir den Häufigkeits- bruch für w fraktionell konstant. Wir nennen die relative Häufig- keit aber auch in demjenigen Fall fraktionell konstant , wo sie für jede Fraktion verschieden ist , wo sich aber diese Ver- schiedenheiten bei vielen Fraktionen nach Richtung und Größe vollständig oder annähernd ausgleichen. In unserem konkreten Beispiel wäre also die relative Häufigkeit auch dann konstant, wenn sie für Fraktionen zu hundert bald etwas größer, bald etwas kleiner als s wäre, wenn jedoch die Unterschiede von ■-*- weder im einen (positiven) noch im anderen (negativen) Sinn dauernd bevorzugt wären, und wenn weder die positiven noch die negativen Differenzen systematisch größer wären als die anderen, sondern WuhrsrluinlH-hkcilMivluiunu a priori und der Sfttl VOB Poinoai6. 179 wenn sich die Differenzen vollständig oder annähernd ausgleichen würden. Endlich nennen wir Häufigkeitsbrüche fraktionell kon- stant, wenn sie sich teils verhalten, wie eben ausgeführi wurde, teils einander EraktioneU vollständig gleich sind. Bei unserem Begriff der fraktionellen Konstanz is1 indessen die Größe der Fraktionen, die gleiche oder um einen Mittelwert schwankende Haufigkeitsbrüche aufweisen, ganz irrelevant. Wir würden also auch einen Häufigkeitsbruch fraktionell konstant nennen, wenn sich z. B. nicht für Fraktionen zu 100, sondern erst für Fraktionen zu 1000 als konstant erwiese. Man sieht, daß diese Betrachtungen analog Bind denjenigen, die wir im vorigen Kapitel über den Begriff der „gleich oft" vorkommenden Ereignisse angestellt haben. Wir fragen uns nun, unter welchen Umständen die relative Häufigkeit eines Ereignisses, das ein Glied einer großen Anzahl gleichzeitiger oder sukzessiver Ereignisse bildet, konstant wird. \drausgesetzt wird dabei hier und im folgenden immer, daß es sich um wiederkehrende Ereignisse handelt, auf welche die Wahr- scheinlichkeitsrechnung bezogen wird oder doch prinzipiell bezogen werden kann. Unsere Frage kann unseren obigen Ausführungen zufolge auch so formuliert werden: Unter welchen Umständen sind die Gesamtbedingungen für ein bestimmtes unter v möglichen ignissen fraktionell gleich günstig? Jedes einzelne Ereignis resultiert aus ganz bestimmten un- mittelbaren Bedingungen. Die unmittelbaren Bedingungen der i Ereignisse können nun in solche eingeteilt werden, die bei allen " Ereignissen gleich sind und in solche, die bei den v Ereignissen verschieden sind. Diese nennen wir variabel, jene konstant. Für den Fall, daß ich mit einer bestimmten Münze n-mal nacheinander rfe, gehört die Beschaffenheit der Münze zu den konstanten unmittelbaren Bedingungen; die der Ruhelage unmittelbar vorher- enden, durch meine Armbewegung bewirkten Bewegungen der Münze gehören zu den variablen unmittelbaren Bedingungen. Es nun klar, daß die fraktionelle Konstanz des Häufigkeitsbruchs eines bestimmten Ereignisses lediglich von den unmittelbaren iablen Bedingungen abhängt. Sie muß überall da eintreten, 12* 180 11. Der dürftige praktische Wert der wo diese variablen unmittelbaren Bedingungen sich hinsichtlich ihrer Wirkung auf die dem Häufigkeitsbruch unmittelbar zugrunde liegenden objektiven Tatsachen innerhalb der einzelnen Fraktionen oder im Laufe aller Fraktionen ganz oder annähernd ausgleichen. Unmittelbare variable Bedingungen, bei denen dies der Fall ist, wollen wir indifferente nennen. Wir dürfen dann sagen: die frak- tionelle Konstanz der relativen Häufigkeit eines Ereignisses ist vorhanden, wenn die unmittelbaren variablen Bedingungen in- different sind. Die konstanten unmittelbaren Bedingungen kommen für die größere oder geringere Übereinstimmung der Häufigkeitsbrüche der einzelnen Fraktionen nicht in Betracht. Sie bestimmen ledig- lich die Größe des Häufigkeitsbruches, die bei vollkommenster Indifferenz der unmittelbaren variablen Bedingungen innerhalb einer unendlichen Anzahl von Fällen vorhanden wäre. So dürfen wir auch sagen : Im Falle der Indifferenz der variablen Bedingungen ist der Häufigkeitsbruch eines Ereignisses das Maß der Günstig- keit der konstanten unmittelbaren Bedingungen für dieses Er- eignis. Ist es nun möglich, a priori festzustellen, ob ein Häufigkeits- bruch fraktionell konstant ist oder nicht? A priori bedeutet in diesem Kapitel ebenso wie schon früher lediglich so viel als ohne Erfahrungen über das tatsächliche Eintreffen von Ereignissen, nicht aber soviel als überhaupt ohne Erfahrung. Entsprechend verwenden wir auch jetzt wieder den Ausdruck a posteriori. Offen- bar dürfen wir unsere Frage auch so formulieren: Ist es möglich, a priori zu entscheiden, ob eine Indifferenz der variablen unmittel- baren Bedingungen besteht oder nicht? Diese Frage ist zu verneinen. Unser begründetes Wissen, daß die Indifferenz besteht, ist immer a posteriori begründet. Wie soll ich z. B. wissen, daß sich die variablen unmittelbaren Bedingungen beim Spiel „Wappen oder Zahl" ganz oder annähernd ausgleichen, wenn mir nicht eine große Anzahl von Spielresultaten vorliegt, aus denen ich den SchluIJ auf die Indifferenz der variablen unmittelbaren Bedingungen ziehen kann? Derjenige, dem keinerlei W'ahrccheinlirhkflituwkniiiig a priori und der Sati von Poinoare. lsi Erfahrungen ober die Resultate des Spieles „Wappen oder Zahl" vorliegen and keinerlei andere analoge Erfahrungen hinsichtlich wiederkehrender Ereignisse, die einen Schluß auf das Spiel „Wappen oder Zahl" Eulassen, wird etwa Bagen müssen: Ober den Verlauf der variablen anmittelbaren Bedingungen weiß ich gar nichts. Neben tausenderlei anderem ist es möglich, daß jeder Spieler unwillkürlich, infolge bestimmter, aber unbekannter Ursachen, die Münze stets so in die Höhe wirft, daß die Münzen- Beite, die heim vorhergehenden Resulta.1 oben lag, beim nächsten Resultat nach unten zu liegen kommt, so daß immer folgende Fälle resultieren: (w) z w z w z w z w z w z. . . . In diesem Fall Bind die variablen Bedingungen indifferent. Es ist aber auch mög- lich, daß die variablen Bedingungen sich nur so ausgleichen, wie dies nach dem Theorem von Bernoulli verlangt wird. Auch in diesem Fall sind die variablen Bedingungen indifferent. Die Sache kann sich aber, wiederum infolge unbekannter Ursachen, auch so verhalten, daß bei allen Spielen zunächst fast ausschließlich das Resultat Wappen erscheint, und daß dieses dann immer seltener und seltener wird. In diesem Fall wären die variablen unmittel- baren Bedingungen nicht indifferent, sondern different. Diese letztere Auffassung der Dinge ist ja gewiß nicht nahe- liegend. Da uns aber die tatsächlichen unmittelbaren Bedingungen nicht bekannt sind, so stellt sie für denjenigen, der über den Aus- fall der Spielresultate überhaupt nichts weiß, immerhin eine Mög- lichkeit dar. Analog verhält es sich bei allen anderen Glücksspielen. Nirgends kann man in diesem Gebiet ohne Berücksichtigung der erfahrungs- m&ßigen Spielresultate die Frage der Indifferenz der variablen un- mittelbaren Bedingungen entscheiden. Denn allenthalben sind : die faktischen variablen unmittelbaren Bedingungen so ver- wickelt, daß sie sich nicht voraussehen lassen. Allenthalben muß - Nichtvorhandensein der Indifferenz wenigstens als möglich gegeben werden. Überall gründet sich das Wissen der Indifferenz oltate selbst. 182 11. Der dürftige praktische Wert der Dieses Wissen um die Indifferenz der variablen unmittelbaren Bedingungen bei den Glücksspielen ist ein induktiv gewonnenes im Sinne jener Induktion, die wir in der Logik als die unvollständige Induktion 1 ) bezeichnen: Wir haben in einzelnen Fällen die In- differenz der variablen unmittelbaren Bedingungen beim Spiel „ Wappen oder Zahl" und bei anderen Glücksspielen statistisch er- fahren und wir schließen im Sinne der unvollständigen Induktion auf die allgemeine Indifferenz der variablen Bedingungen. Unsere tatsächlichen aposteriorischen Kenntnisse, aus denen wir die Indifferenz ableiten, sind zum Teil wissenschaftlicher Art. Es gibt eine große Anzahl von Untersuchungen 2 ) aus dem Gebiet der Ergebnisse des Spieles ,, Wappen oder Zahl" und der Glücks- spiele überhaupt, aus denen man die Indifferenz der variablen unmittelbaren Bedingungen bei den Glücksspielen entnehmen kann. Aber auch abgesehen hie von , sind es die Spielerfahrungen des gewöhnlichen Lebens, aus denen wir die Ansicht der Indifferenz der variablen Bedingungen bei den Glücksspielen im Sinne der unvollständigen Induktion ableiten. Die Tatsache der Indifferenz x ) Über vollständige und unvollständige Induktion wird ausführlicher im 13. Kapitel gehandelt werden. 2 ) Vgl. dazu E. Czuber, Die Entwicklung der Wahrscheinlichkeits- theorie und ihrer Anwendungen (Jahresbericht der Deutschen Mathematiker- Vereinigung. Bd. 7. 1899. Heft 2. S. 88 ff.), sowie E. Czuber, Wahrschein- lichkeitsrechnung und ihre Anwendung auf Fehlerausgleichung, Statistik und Lebensversicherung. Bd. 1. 3. Aufl. Leipzig und Berlin. S. 153 bis S. 161 und S. 167 ff. und K. Pearson, The Chances of Death and other Studies in Evolution. Bd. 1. London and New York 1897. S. 42 ff . Siehe auch H. Westergaard, Die Grundzüge der Theorie der Statistik. Jena 1890. S. 21 ff. und A. Kaufmann, Theorie und Methoden der Statistik. Tübingen 1913. S. 76 ff. Über Untersuchungen von K. Pearson, a.a.O. S. 51 ff., die einen Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung und Spiel- resultaten zn zeigen scheinen, vgl. unser Kapitel 21. Neuerdings hat auch Sterzinger (Ü. Sterzinger, Zur Logik und Naturphilosophie der Wahr- scheinlichkeitslehre. Leipzig 1911. S. 207 ff.) verschiedentlich Widersprüche zwischen empirischem Material und Ergebnissen der Wahrscheinlichkeits- rechnung festzustellen versucht. Es erscheint mir jedoch fraglich, ob das empirische Material Sterzingers groß genug ist, um seine Ausführungen sicherzustellen und speziell seine Lehre von der Knäiiolung einwandfrei zu begrün den. WuhrscheinliohlmitBYBobiuing ;» priori und der Sati von Poinoarä. 183 der variablen unmittelbaren BedingungeD bei den Glücksspielen auch denen, welchen der Begriff der Indifferenz anbekannt wissermaßen jo selbstverständlich geworden, daß wir sie allgemein als conditio sine qua non eines ordnungsgemäßen Glücks- lee betrachten. Bin Roulettespie] mit einem Apparat, der sich im Laufe des Spieles immer mehr und mehr nach einer Seite neigt, so daß also die anmittelbaren variablen Bedingungen für eine Nummer bzw. eine Gruppe von Nummern immer günstiger und günstiger würden, wäre ein Glücksspiel, bei dem die Indifferenz variablen Bedingungen nicht erfüllt wäre und das niemand ein ordnungsgemäßes Glücksspiel betrachten würde. Im Sinne der unvollständigen Induktion schließen wir aus den «teriorischen Erfahrungen über die Indifferenz der variablen unmittelbaren Bedingungen auch auf deren Indifferenz in Ge- bieten, wo die in Betracht kommenden Vorgänge denen bei den Glücksspielen vollkommen gleichartig sind. Aus der Indifferenz der variablen unmittelbaren Bedingungen beim Glücksspiel schließen wir z. B. auch auf die Indifferenz der variablen Bedingungen im Fall , daß wir z. B. sehr oft eine Nadel auf eine in Quadrate eilte Ebene werfen, oder daß wir sehr oft eine beliebige Sehne in einein Kreis ziehen. Fälle der eben angeführten Art kommen gewissen geometrischen Aufgaben in Betracht, von denen bald die Jude sein wird. Jedenfalls ist auch in solchen Gebieten ein begründetes Wissen, daß die Indifferenz besteht, nur a posteriori möglich. rberhaupt gilt der Satz von der aposteriorischen Begründung onseres wirkliehen Wissens um die Indifferenz ganz allgemein. Wer vermöchte z. B. a priori zu sagen, ob bei den Knaben- und Madchengeburten in Preußen die variablen unmittelbaren Be- dingungen indifferent sind oder nicht? Wir wissen ihre Indifferenz lediglich a posteriori, weil wir bemerkt haben, daß das Geschlechts- der Geborenen in den einzelnen Ländern fraktionell konstant ist 1 ). *) W. L< eis, Abhandlungen zur Theorie der Bevölkerangs- und -tik. Jena 1003. s. 138 ff. 184 11. Der dürftige praktische Weit der Wir seilen also : Es ist gänzlich unmöglich, a priori über die Indifferenz der variablen Bedingungen ein begründetes Urteil zu fällen. Unser begründetes Wissen, daß die Indifferenz irgendwo besteht, beruht immer auf statistischen Erfahrungen, d. h. es ist immer a posteriori begründet. Aus statistischen Erfahrungen in einzelnen Gebieten, aus denen sich die Indifferenz ergibt, schließen wir auf die Indifferenz in gleichen und gleichartigen Fällen. Unser Wissen um die Indifferenz ist also a posteriori und induktiv im Sinne der unvollständigen Induktion begründet. Selbstverständlich kann man auch in jedem Gebiet ohne statistische Erfahrungen, also ohne aposteriorische Grundlage, die Indifferenz von variablen unmittelbaren Bedingungen annehmen oder vermuten. Aber nicht um Annahmen und Vermutungen handelt es sich hier, sondern um ein begründetes Wissen. Anderer- seits ist zu bedenken, daß die Stringenz eines solchen Wissens, eben weil es auf unvollständigen Induktionen beruht, niemals über jeden Zweifel erhaben ist. Wer bürgt mir z. B. dafür, daß nicht die variablen Bedingungen der Knabengeburten sich im nächsten Jahrtausend so gestalten, daß diese an Zahl mehr und mehr hinter den Mädchengeburten zurückbleiben? Das sind aber freilich Probleme, die mehr in das Gebiet der Logik der Induktion als zu unserem gegenwärtigen Thema gehören. Ist es nun möglich, die Größe eines Häufigkeitsbruches a priori richtig zu bestimmen? Es ist zunächst klar, daß eine solche Bestimmung dann jeden- falls nicht möglich ist, wenn über die Indifferenz der variablen unmittelbaren Bedingungen nichts bekannt ist. Die relative Häufig- keit hängt, abgesehen von den konstanten Bedingungen, auch von «Ich variablen Bedingungen ab, wie wir unter anderem aus den voil um angeführten Bedingungen des Roulettespiels an einer immer mehr und mehr nach einer bestimmten Seite geneigten Roulette sehen können. Wissen wir also über die variablen unmittelbaren Bedingungen und somit auch über ihre [ndifferenz gar nichts, so können wir auch nicht wissen, ob und wie dieselben die relative Häuügkeü beeinflussen. Unter diesen Umständen ist es aber WahTBoheinliohkeitBTeohniuig a priori und der Sati von Poinoarä. 186 natürlich ganz and gar ausgeschlossen, Bäufigkeitsbrüche a priori zu deduzieren. Aber auch vielerlei auf die unmittelbaren variablen Bedingungen bezügliche Kenntnisse setzen uns nicht in den Stand, a priori relative Häufigkeiten festzustellen. Denn bei allen den wiederkehrenden Ereignissen, auf welche die Wahrscheinlich- keitsrechnung angewendet wird oder prinzipiell angewendet werden kann (und lediglich um Bolohe Ereignisse handelt es sich hier), sind die variablen anmittelbaren Bedingungen, auch wenn wir (wie im Falle der immer schiefer und schiefer stehenden Roulette) einiges hinsichtlich dieser Bedingungen wissen, immer noch so kompliziert und vielgestaltig, daß wir a priori über den Einfluß der variablen Bedingungen auf die relative Häufigkeit nichts gen können. Nur in dem Fall, w r o wir wissen, daß wir uns, wenn wir die relative Häufigkeit eines Ereignisses feststellen sollen, um die variablen anmittelbaren Bedingungen überhaupt nicht zu kümmern 1 »rauehen, und nur wenn es zugleich möglich ist, auf Grund der konstanten unmittelbaren Bedingungen den Häufigkeitsbruch fest- zustellen, ist in gewissem Sinne ein apriorischer Ansatz des Häufig- keitsbruches möglich. Nur wenn also die Indifferenz der variablen unmittel hären Bedingungen feststeht und die Kenntnis der kon- stanten Bedingungen die Ableitung der relativen Häufigkeit ge- Btattet, kann man in gewissem Sinne den Häufigkeitsbruch a priori luzieren. Warum sagen wir ,,in gewissem Sinne"? Wir sahen, daß wir über die Indifferenz der variablen Bedingungen nur a posteriori orientiert sein können. Wir sehen jetzt, daß wir nur unter der Voraussetzung der Indifferenz einen Häufigkeitsbruch deduzieren können. Versteht man also unter einer Deduktion a priori nur eine solche, die sich auf keinerlei aposteriorische Kenntnisse stützt, so muß man sagen: eine apriorische Deduktion der Häufigkeitsbrüche is1 oiemalfi möglich. Versteht man unter einer Deduktion a priori gegen auch eine solche, die unter der Voraussetzung der aposte- riorisch bekannten Indifferenz der variablen unmittelbaren Be- dingungen aus den konstanten Bedingungen a priori stattfindet, 186 11. Der dürftige praktische Wert der so muß man sagen: in diesem zweiten Sinne ist eine Deduktion der relativen Häufigkeiten a priori möglich. Lediglich in diesem zweiten Sinne soll im folgenden von einer apriorischen Deduktion der Häufigkeitsbrüche die Rede sein. Wir fragen nun: Unter welchen Bedingungen ist es unter der Voraussetzung der Indifferenz der variablen unmittelbaren Be- dingungen a priori möglich, aus den konstanten Bedingungen Häufigkeitsbrüche a priori abzuleiten? Gegeben sei mir eine Münze, von der ich weiß, daß sie durchaus ordnungsgemäß hergestellt ist, und daß ihr Schwerpunkt in der Mitte liegt. Die konstanten unmittelbaren Bedingungen sind dann für das Resultat w ebenso günstig als für das Resultat z. Ich darf dann unter der Voraus- setzung der Indifferenz der unmittelbaren variablen Bedingungen unfehlbar für w den Häufigkeitsbruch -^ ableiten. Bei allen anderen reinen Glücksspielen gilt Analoges. Unter der Voraussetzung der Indifferenz der variablen Bedingungen darf ich z. B., wenn mir ein mathematisch und physikalisch einwandfreier Würfel vorliegt, a priori den Häufigkeitsbruch des Falles, wo ich mit einem Wurf zwei Augen werfe, mit -s- ansetzen und ich treffe dann mit diesem Ansatz das Richtige. Beim Roulettespiel zu Monte Carlo wird ein Apparat benützt, der in dem Sinne hergestellt ist, daß die kon- stanten Bedingungen für die Resultate 0, 1, 2, 3, ... 36 gleich günstig sein sollen. Ist dies wirklich der Fall und sind die variablen Bedingungen wirklich indifferent, so muß auch die relative Häufig- keit eines jener 37 Resultate unfehlbar ~„ sein. Wir sehen hieraus, daß man unter der Voraussetzung der Indifferenz der variablen unmittelbaren Bedingungen in manchen Fällen die relative Häufigkeit eines Ereignisses a priori feststellen kann. Wir sehen aber auch, daß dies mir dann möglich ist, wenn die konstanten unmittelbaren Bedingungen so bekannt und über- sichtlich sind, daß sie zwingende Schlüsse :i,ul' die Größe des Hau l'i«j k eite braches zulassen . Wollte man hierzu bemerken, man könne doch auch eine WaluNi'lKMnlirhkcitMrcliminu ■ priori und der Satz von Poinoar6. 187 analoge Theorie für die Indifferenz der variablen Bedingungen aufstellen und Bagen, daß man auf diese oichi nur a posteriori, Bondem auch dann schließen dürfe, wenn die variablen Bedingungen öbersichthch Bind, daß sie den fraglichen Schluß zulassen, so wäre IU Bagen, daß diese Bemerkung wohl richtig, aber gegen- Btandsloe Bei. Denn in allen l-Ydlen, wo man die Wahrscheinlich- keitsrechnung auf eine große Anzahl von gleichzeitigen oder suk- riven Ereignissen anwendet, sind die variablen unmittelbaren Bedingungen der einzelnen Ereignisse so verwickelt und unüber- tlich. daß wir ganz außerstande sind, sie im einzelnen voraus- zusehen und die Frage, ob sie indifferent sind oder nicht, zu ent- scheiden. Anders liegt die Sache aber bei den konstanten unmittelbaren Bedingungen. Diese sind in der Tat, wie wir sahen, bisweilen so bekannt und übersichtlich, daß sie, unter der Voraussetzung der Indifferenz der variablen Bedingungen, eine apriorische Bestimmung der Größe der Häufigkeitsbrüche gestatten. Allerdings ist auch dies bei den angeführten Beispielen nur möglich, wenn ganz be- Btimmte objektive Voraussetzungen bestehen und bekannt sind. Nur wenn mir eine durchaus ordnungsgemäß hergestellte Münze mit dem Schwerpunkt in der Mitte vorliegt, ist der Häufigkeits- brach für w gleich «• Und nur wenn mir diese Beschaffenheit der Münze bekannt ist, darf ich einwandfrei auf die Häufigkeit ., schließen. Es gibt aber auch gefälschte Münzen, deren Schwer- punkt so verschoben sein kann, daß die relative Häufigkeit von w größer oder kleiner als ~ ist. Da ich meistens nicht wissen kann, ob mir eine solche vorliegt, und, da auch bei den landläufigen Münzen der Schwerpunkt infolge irgendwelcher Zufälle, wenn auch nur äuß it<n 80 doch immerhin möglicherweise verschoben sein kann, so werde ich tatsächlich kaum jemals in der Lage sein, mit unbedingter Sicherheit erwarten zu dürfen, daß der Häufigkeits- bruch wirklieb genau , } ist. Analog verhält es sich in anderen 188 11. Der dürftige praktische Wert der Gebieten. Es gibt auch Würfel, die nicht den theoretischen An- forderungen entsprechen. Dies hat sich bei statistischen Unter- suchungen von R. Wolf gezeigt, aus denen Czuber 1 ) den Schluß zieht, daß die von Wolf verwendeten Würfel fehlerhaft gebaut waren. Auch wird man zweifeln dürfen, ob die Roulettespiel- vorrichtungen in Monte Carlo jederzeit genau so beschaffen sind, daß die konstanten unmittelbaren Bedingungen für die Zahlen bis 36 gleich günstig sind. Man weiß wenigstens, daß die An- gestellten der Bank von Monte Carlo jeweils vor Eröffnung der Spielsäle eifrigst damit beschäftigt sind, mit Hilfe von Wasser- wagen sich davon zu überzeugen, ob die konstanten Bedingungen den theoretischen Möglichkeiten in gleicher Weise günstig sind, und daß sie nötigenfalls für deren Gleichwertigkeit sorgen. Wenn ich nun nicht weiß, ob die konstanten Bedingungen wirklich den 37 erwähnten Möglichkeiten gleich günstig sind, kann ich natürlich auch nicht wissen, ob ein unter der Voraussetzung der gleichen I rünstigkeit abgeleiteter Häufigkeitsbruch wirklich zutreffend ist. Es kann hiernach keinem Zweifel unterliegen, daß es für die wirklich zuverlässige Ansetzung eines Häufigkeitsbruches, selbst da, wo die variablen unmittelbaren Bedingungen indifferent sind, mindestens in vielen Fällen nicht nur einer prinzipiellen, theoretischen Bekanntheit und Übersichtlichkeit der unmittelbaren konstanten Bedingungen bedarf , wie sie etwa derjenige hat, der die Wahrschein- lichkeitsrechnung beherrscht, sondern ganz bestimmter, nur aus der Erfahrung zu schöpfender Kenntnisse über objektive Verhältnisse.. Es ist leicht, diese These durch unzählige Beispiele zu belegen. Zwei seien kurz angeführt. In meinem Besitz befindet sich eine kleine Roulette, die übrigens nach einem etwas anderen Prinzip gebaul ist als die Vorrichtungen in Monte Carlo. Mit diesem Apparat kann ich unweigerlich einen jeden hereinlegen, der unbefangen hinge Zeit hindurch mit mir spielt. Denn auf Grund von statistischen Erfahrungen und (worauf es hier für uns ankommt) von Messungen ] j E. Czuber, Wahrecheinlichkeitsreohnung und ihre Anwendung auf Fehlerausgleichung, Statistik und Lebensversicherung. Bd. 1. .'{. Aufl. Leipzig und Berlin 1914. B. 167 tf. Wahrscheinlichkeitsrechnung a priori und der Sati von Poincare\ ISO am Apparat ist mir bekannt, daß die objektiven konstanten an- mittelbaren Bedingungen für die einzelnen möglichen Spielresultate nicht gleich günstig Bind, und ich weiß ganz genau, auf welche Zahlen ich Betzen muß, wenn ich mehr gewinnen soll als ein anderer, der aufs Geratewohl setzt. Auch hier kann man also die relative Häufigkeit aller einzelnen Resultate gewiß nicht a priori ansetzen, ohne zu wissen, wie Bich die ( rünstigkeit der konstanten unmittel- baren Bedingungen gegenüber den einzelnen mögliehen Spiel- resultaten verhält. Wie es sieh aber damit verhält, läßt sieh auf Grund von genauen Messungen der Breite der in einem Kreise angeordneten Fächer, die zur Aufnahme einer rotierenden Kugel bestimmt sind, feststellen. Das zweite Beispiel, das ich noch anführen will, soll zugleich zeigen, daß für die relative Häufigkeit von Ereignissen Gleich- förmigkeiten des psychischen Geschehens in Frage kommen können, an die wohl ohne weiteres niemand denkt. Als ich ungefähr 5 Jahre alt war, lebte ich mit meinen Eltern in einer Großstadt des Aus- landes. Damals war auf den Straßen und Plätzen jener Stadt viel- fach Gelegenheit geboten zur Beteiligung an Glücksspielen, durch welche allerlei harmlose Gegenstände (billige Porzellanwaren, Gläser und anderes) ausgelost wurden. Wer sich beteiligte, bekam ein Brett- chen in die Hand , auf welchem Zahlen aufgeschrieben waren ; er durfte dann in einen Sack greifen und ein oder mehrere Papierröllchen herausziehen, auf denen gleichfalls Zahlen standen. Wer eine Zahl zog, die auch auf seinem Brettchen stand, hatte gewonnen und durfte einen Gewinn auswählen. Das Mädchen, das mich nun damals öfter spazieren führen mußte, war offenbar sehr spiellustig und ließ sich kaum eine Gelegenheit entgehen, sich an diesem Spiel zu beteiligen. Ihr Erfolg war im Gegensatz zu den meisten Partnern fast immer ein günstiger. Ich selbst wollte nun auch ziehen und veranlagte meine Mutter und alle, die mit mir aus- gingen, mich spielen zu lassen und auch selbst zu spielen. Der olg war immer ein negativer. Ich frug nun einmal das Mädchen, woher es denn komme, daß gerade sie immer mehr gewinne als die anderen. Sie antwortete: weil ich ganz tief in den Sack greife. 190 11. Der dürftige praktische Wert der Ich habe damals aus dieser Antwort keine Konsequenzen gezogen. Auch erinnere ich mich nicht, daß die Spiele fortgesetzt wurden. Erst Jahrzehnte später habe ich mir über die Antwort des Mädchens Gedanken gemacht, wobei ich zu folgender Hypothese kam: Der Spielleiter legt die Röllchen, welche gewinnende Nummern ent- halten, ganz unten in den Sack; das Publikum wird die oben liegenden Röllchen bevorzugen; es wird dabei geleitet durch die im dritten Kapitel mitgeteilte Tatsache, daß die Bewegungen nach solchen Punkten, die dem Ausgangspunkt benachbarter sind, bevorzugter sind als die Bewegungen nach solchen Punkten, die vom Ausgangspunkt entfernter sind , und durch die dort gleichfalls erwähnte Tatsache, daß überhaupt bequemere Bewegungen vor unbequemeren bevorzugt werden. Infolge dieser Tatsachen werden die unten liegenden „ge- winnenden" Röllchen seltener gezogen, als sie gezogen würden, wenn die unmittelbaren konstanten Bedingungen für die Ziehung aller Röllchen gleich günstig wären. Auch wer die Authentizität meiner Erzählung aus der Kinderzeit bezweifeln sollte, was ich niemand verarge, muß zugeben, daß der Spielleiter jedenfalls so, wie ich annehme, verfahren könnte und daß ihm dieses Ver- fahren, das gewiß nicht reell ist, aber andererseits kaum durch vorhandene Polizeivorschriften betroffen werden dürfte, zum Vorteil gereichen würde. Daß letzteres wirklich der Fall ist. beweisen eine Reihe von mir angestellter Versuche, die ich nun mitteilen will. Ich benützte einen Sack aus Stoff, der 38 cm hoch war und dessen innere Peripherie gleichfalls 38 cm betrug. In diesen Sack legte ich 150 Röllchen aus Papier, von denen jedes mittels eines Gummibändchens zusammengehalten war und auf deren Innenseite je eine Zahl von 1 bis 150 aufgeschrieben war. Beim Hineinlegen der Röllchen verfuhr ich so, daß ich die Röllchen genau nach ihren Ordnungsnummern (1 bis 150) in den Sack fallen ließ: ich brachte alno zuerst das Röllchen mit der Nummer 1, dann das mit der Nummer 2, .... zuletzt das mit der Nummer 150 in den Sack hinein. Als dies geschehen war, war etwas über die Hälfte des Sackes mit Röllchen gefüllt. WahrBoheiiüiohkeit8ieohnung a priori und der Sati von Poinoar6. 191 Darauf ließ ich zolm Versuchspersonen je ein Röllchen ziehen. Bei jedem dieser sehn Versuche war keine andere Person außer der Versuchsperson und mir zugegen. Das gezogene Röllchen wurde nicht wieder in den Sack zurückgelegt. Die zehn Ver- buc] onen bestanden aus Professoren und Studenten der Universität, einem Mechanikerlehrling, meiner Frau, einer Studentin und einem Dienstmädchen. Es wurde ihnen jeweils gesagt, wir hatten eine kleine Lotterie veranstaltet und ich bäte sie nun, aus dem Sack irgend ein ihnen beliebendes Röllchen herauszuziehen. Ich teile nun die gezogenen Nummern in der folgenden Tabelle unter I in der Reihenfolge mit, in welcher sie von den Personen gezogen wurden. Eine weitere Versuchsreihe wurde fast genau in der gleichen Weise angestellt. Auch jetzt befanden sich beim ersten Zug alle 150 Röllchen im Sack, in den sie wiederum in der geschilderten Weise hineingelegt waren. Die Versuchspersonen bestanden hier aus einem Universitätsprofessor, einem Gymnasiallehrer, einigen Volksschullehrern, einem Hausmeister der Universität und zwei Kindern im Alter von 11 und 13 Jahren und wiederum einem Dienstmädchen. Bei dieser zweiten Versuchsreihe waren jedoch teilweise mehrere Versuchspersonen gleichzeitig anwesend. Die KiL r ebnisse sind in der folgenden Tabelle unter II mitgeteilt. Die Zahlen hinter den Klammern bedeuten jeweils die arith- metischen Mittel der 10 links davon stehenden Zahlen. I II 1 129 116 2 148 85 3 141 134 4 126 137 5 6 125 146 ,134,9 127 126 7 140 117 8 149 119 9 128 94 10 117 130 118,5 Wir besprechen zuerst die erste Versuchsreihe. Die niedrigste gezogene Zahl betrug hier, wie wir sehen, 117. Beim ersten Zug 192 11. Der dürftige praktische Wert der war die Wahrscheinlichkeit a priori, die Zahl 116 oder eine niedrigere 1 1 c zu ziehen, tw = 0,77. Die gleiche Wahrscheinlichkeit betrug beim letzten Zug, da die gezogenen Röllchen nicht zurückgelegt 1 1 p wurden, -jjf = 0,82. Die Wahrscheinlichkeit, ein Röllchen, das eine der Zahlen 1 bis 116 trägt, zu ziehen, schwankt demnach zwischen 0,77 und 0,82. Trotzdem wurde in der ganzen Versuchs- reihe kein einziges solches Röllchen gezogen. In der zweiten Versuchsreihe liegt die Sache ähnlich, wenn auch hier Röllchen mit niedrigeren Zahlen gezogen wurden. Die niedrigste gezogene Zahl war hier 85. Die Wahrscheinlichkeit, ein Röllchen zu ziehen, das eine der Zahlen 1 bis 84 trägt, schwankt 84 84 hier zwischen ^nrr> = 0,56 und ... = 0,60. Trotzdem wurde kein einziges Röllchen mit einer Zahl von 1 bis 84 gezogen. Nach diesen Ergebnissen wird es am besten sein, wenn der- jenige, der wissen will, wie der Spieler bei solchen Spielen ver- fährt, die Häufigkeitsrechnung a priori ganz beiseite läßt. Hätte man die Röllchen 1 bis 75 mit geraden und die Röllchen 76 bis 150 mit ungeraden Zahlen statt mit den Zahlen 1 bis 150 beschriftet, so wäre bei 20 Zügen nicht ein einziges Mal eine gerade Zahl ge- zogen worden. Man wird hier vielleicht geneigt sein, einzuwenden, daß die Bevorzugung gewisser Bewegungen in dem in Rede stehenden Röllchenversuche nicht zu den konstanten, sondern zu den variablen Bedingungen gehört. Man wird vielleicht so argumentieren: Die Tatsache, daß die oben liegenden Röllchen bevorzugt, die unten liegenden vernachlässigt werden, äußert sich bei den einzelnen Versuchspersonen nicht in gleicher, sondern in verschiedener Weise, und sie äußert sich vielleicht bei manchen Personen überhaupt nicht oder (wie hei dem Mädchen, mit dem ich einst spazieren 'jin-jj in cni im ^en^esetztem Sinne. Der eine greift ein Röllchen. das weiter oben, der andere eine.-, das weiter unten liegt; nur im Durchschnitt werden die oben liegenden Röllchen bevorzugt. Diese Argumentation ist wohl richtig. Aber andererseits kann WahtNi'lu'inln-hkcUMvrlinunu a priori und der Satz von Poineare. 193 man sich doch die Sache auch SO denken: Wir setzen voraus, daß unsere Versuchsreihe zu 10 Einzelversuchen nicht zweimal, sondern unendlich oft ausgeführt wird, daß wir also an Stelle miserer beiden Mittelwerte 134,0 und 118,5 (vgl. die obige Tabelle) anendlich viele Mittelwerte erhalten; wir setzen ferner voraus, daß die An- fangslage der Röllchen bei allen unendlich vielen Versuchsreihen dieselbe ist. Dann können wir die unendlich vielen Mittelwerte in große Fraktionen mit jeweils einer bestimmten Anzahl Mittel- werte abgeteilt denken: wählen wir die Fraktionen genügend groß, 90 wird das für die einzelnen Fraktionen gebildete Mittel der Mittelwerte konstant in dem oben erörterten Sinne des Wortes werden. Man kann demnach offenbar die Neigung, obenliegende Röllchen zu bevorzugen, auch als eine konstante Bedingung an- sehen, deren Wirkung bei den einzelnen Personen durch variable Bedingungen mehr oder weniger beeinträchtigt wird. In analogem Sinne dürfen wir alle aus der Gleichförmigkeit des Geschehens r.-ultierenden Vorgänge als Wirkungen konstanter Bedingungen ansehen. Alle diese Tatsachen zeigen, daß, selbst wenn die variablen Bedingungen im Sinne der wirklich variierenden, unmittelbaren Bedingungen indifferent sind, wir in vielen Fällen nur dann a priori einen Häufigkeitsbruch mit unbedingter Zuverlässigkeit ansetzen können, wenn uns hinsichtlich der konstanten unmittelbaren Be- dingungen ganz bestimmte Tatsachen bekannt sind, zu denen wir nur durch Erfahrung gelangen können. Wir sahen zuletzt: Unter der Voraussetzung der Indifferenz der variablen Bedingungen ist es in manchen Fällen möglich, die relative Häufigkeit eines Ereignisses a priori festzustellen. Voraus- H-tzung ist aber, daß die konstanten unmittelbaren Bedingungen abersichtlich sind, daß sie zwingende Schlüsse auf die Größe des Häufigkeitsbruches gestatten. Bei allen bisher angeführten Fällen genügt es zur sicheren Ansetzung der Häufigkeitsbrüche nicht, nur die konstanten unmittelbaren Bedingungen prinzipiell oder theoretisch zu übersehen, sondern es müssen in diesen Fällen ganz bestimmte nur durch die P>fahrung zu erwerbende Kenntnisse Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt. 13 194 11. Der dürftige praktische Wert der zur Verfügung stehen. Diese Kenntnisse sollen im folgenden kurz als ,, Erfahrungskenntnisse" bezeichnet werden. Die nur a posteriori nachzuweisende Voraussetzung der In- differenz der variablen unmittelbaren Bedingungen ist unerläßlich, wenn es möglich sein soll, die Größe eines Häufigkeitsbruches a priori zu bestimmen. Denn nur wenn die variablen unmittelbaren Bedingungen indifferent sind, kann man von ihnen bei der Be- stimmung des Häufigkeitsbruches absehen, und nur wenn dies möglich ist, läßt sich (wegen der unübersichtlichen Kompliziertheit der variablen unmittelbaren Bedingungen) der Häufigkeitsbruch a priori ableiten. Aber auch die Voraussetzung der Bekanntheit und Über- sichtlichkeit der konstanten unmittelbaren Bedingungen ist un- erläßlich für die apriorische Ableitung eines Häufigkeitsbruches. Diese Voraussetzung besagt, wie wir sahen, daß diese Bedingungen so bekannt und übersichtlich sein müssen, daß sie zwingende Schlüsse auf die Größe des Häufigkeitsbruches zulassen. Weiß ich von denselben überhaupt nichts oder sind sie so verwickelt, daß ich sie nicht übersehen kann, so kann ich niemals mit Sicher- heit einen Häufigkeitsbruch ansetzen. Die Voraussetzung bestimmter auf die Erfahrung gegründeter objektiver Kenntnisse (die wir als Erfahrungskenntnisse bezeich- neten) ist für die Ableitung eines Häufigkeitsbruches überall da unerläßlich, wo, wie bei allen bisherigen Beispielen, das Ereignis, um dessen relative Häufigkeit es sich handelt, von erfahrungs- mäßigen konstanten unmittelbaren Bedingungen abhängig ist. Nur wo die konstanten Bedingungen durch willkürliche thetische Voraussetzungen übersichtlich festgelegt sind, bedarf es natürlich keiner Erfahrungskenntnisse derselben. Dies ist z. B. der Fall, wenn nach der relativen Häufigkeit gefragt wird, mit einer durch- aus ordnungsgemäß hergestellten Münze, deren Schwerpunkt in der Mitte liegt, w zu werfen. Hier muß man nur auf Grund der Erfahrung wissen, daß die variablen Bedingungen indifferent sind. Dann kann man mit absoluter Sicherheil den Häui'igkeitsbruch -n WahiBcheinUohkeitareohiiting a priori und der Satz von Poinoare. 195 a priori ansetzen. Ganz analog verhält es sich, wenn es sich am die relative Häufigkeit handelt, mit einem mathematisch und phy- sikalisch vollkommenen Würfel eine Sechs zu werfen, und bei allen anderen Glücksspielen. Allerdinge ist hierbei zu beachten, daß die konstanten unmittelbaren Bedingungen nicht immer über- sichtlieh sind, wenn dies für eine unvollkommene Betrachtung der Fall zu sein scheint. Man denke z. B. an folgende Aufgabe: ..In einem Sack befindet sich eine große Anzahl von Röllchen. Auf jedem Röllchen steht eine Zahl. Auf der einen Hälfte der Röllchen ist jeweils eine gerade, auf der anderen jeweils eine ungerade Zahl notiert . laue große Anzahl von Versuchspersonen wird aufgefordert, ein Röllchen herauszuziehen. Wie groß ist die relative Häufigkeit eines Zuges eines Röllchens, auf dem eine gerade Zahl steht?" Wir haben oben gesehen, daß hier in die konstanten Bedingungen auch die Abneigung der Menschen, in die Tiefe des Sackes zu greifen, eingeht. Hieraus aber folgt, daß die tatsächlichen konstanten unmittelbaren Bedingungen in der eben angeführten Aufgabe nicht im allermindesten übersichtlich sind und daß (was hier wesent- lich ist) die konstanten unmittelbaren Bedingungen in dieser Auf- gabe auch nicht durch willkürliche thetische Voraussetzungen iigend festgelegt sind. Dies wäre der Fall, wenn wir die Aufgabe z. B. so formulierten : „In einem Sack befindet sich eine große Anzahl Röllchen. Auf jedem Röllchen steht eine Zahl. Auf der einen Hälfte der Röllchen ist jeweils eine gerade, auf der anderen jeweils eine ungerade Zahl notiert. Eine große Anzahl von Versuchs- personen wird aufgefordert, ein Röllchen herauszuziehen. Es wird vorausgesetzt, daß die etwaige Neigung der Versuchspersonen, Röllchen in bestimmten Lagen des Sackes zu bevorzugen, keinen Einfluß auf die relative Häufigkeit der Ziehungen von Röllchen mit geraden (ungeraden) Zahlen ausübt. Wie groß ist unter diesen Voraussetzungen die relative Häufigkeit eines Zuges eines Röllchens, auf dem eine gerade Zahl steht?" Diese Frage können wir unter Voraussetzung der Indifferenz der variablen Bedingungen unfehlbar a priori mit = beantworten. Ob freilich diese Indifferenz 13* 196 11. Der dürftige praktische Wert der wirklich besteht, ist nur a posteriori zu entscheiden. Doch kann natürlich hier und bei allen anderen Aufgaben auch die In- differenz der variablen unmittelbaren Bedingungen thetisch fest- gelegt werden. Nur wenn bei einer Aufgabe die Indifferenz der variablen unmittelbaren Bedingungen wirklich besteht oder thetisch festgelegt wird, ist eine Bestimmung des Häufigkeits- bruches a priori möglich. Hierzu ist aber außerdem erforderlich, daß die konstanten unmittelbaren Bedingungen tatsächlich voll- kommen übersichtlich sind oder durch willkürliche thetische Voraus- setzungen übersichtlich festgelegt sind. Aufgaben, in welchen nach der relativen Häufigkeit gefragt wird, wollen wir Häufigkeitsaufgaben nennen. Häufigkeitsaufgaben, in denen die Indifferenz der variablen unmittelbaren Bedingungen thetisch vorausgesetzt wird und in denen außerdem die konstanten Bedingungen als vollkommen übersichtliche thetisch vorausgesetzt werden, sollen rein thetische Aufgaben heißen. Aufgaben, die nur die eine oder die andere dieser beiden thetischen Voraussetzungen enthalten, sollen gemischt thetische Aufgaben heißen. Häufigkeits- aufgaben endlich, die keinerlei thetische Voraussetzungen ent- halten und sich auf in der Zeit verlaufende Tatsachen der Natur und des Lebens beziehen, sollen praktische Häufigkeitsaufgaben heißen. Es ist dann klar, daß die rein und die gemischt thetischen Aufgaben niemals zu Lösungen führen, die über das erfahrungs- mäßige Sein und Geschehen direkt etwas Sicheres lehren. Ein Vergleich der apriorischen Lösungen solcher thetischer Aufgaben mit den statistischen Ergebnissen hat höchstens insofern ein Inter- esse, als er die Frage entscheiden kann, ob und inwieweit die the- tißchen Voraussetzungen in der Erfahrung erfüllt sind. Von solchen thetischen Aufgaben soll in diesem Kapitel nicht weiter die Rede -ein. Sie haben hauptsächlich ein didaktisches Interesse. Wissen- schaftlich viel wichtiger sind die praktischen I Iiinligkeitsaufgabeu. Ihre richtige Lösung gestattet uns, die Zukunft vorauszusehen. Wir sahen: Überall, wo es sich um relative Häufigkeiten von Ereignissen des Lehens und der Nntnr handelt, d. h. überall, wo Wahrscheinlichkeitsrechnung b priori und der Sati \*»n Poinoarä. 197 sich um relative Häufigkeiten von wirklichen, in der Zeit ver- lautenden Tatsachen oder am praktische Bäufigkeitsaufgaben handelt, können wir nur dann ihre I Iäufiukeitsbrüche a. priori mit Sicherheit feststellen, wenn uns a posteriori bekannt ist, daß die variablen unmittelbaren Bedingungen indifferent sind, und wenn die konstanten Bedingungen so bekannt und übersichtlich sind, daß sie einen zwingenden Schluß über die Größe des Häufig- keitsbruches gestatten; die faktisch vorhandenen konstanten Be- dingungen können wir nur auf Grund von auf ihre Beschaffenheit bezüglichen Erfahrungen, also, wie wir es nennen, auf Grund von Erfaiirungskenntnissen übersehen. Nun haben wir die Voraussetzungen abgeleitet, unter denen wir unfehlbar richtige Häufigkeitsbrüche a priori ansetzen können. Wir müssen nun betonen, daß bei praktischen Häufigkeits- anfgaben, also bei solchen, die sich auf wirkliche in der Zeit ver- laufende Tatsachen der Natur und des Lebens beziehen (und nur von solchen soll künftig die Rede sein), der Fall, daß uns die kon- stanten Bedingungen so übersichtlich gegeben sind, daß wir un- fehlbar richtige Häufigkeitsbrüche a priori ableiten können, kaum jemals gegeben ist. Denn dies ist ja nur auf Grund von Erfahrungs- kenntnissen möglich. Diese dürften aber kaum jemals wirklich vorliegen. Woher weiß ich, daß meine Münze ordnungsgemäß .restellt ist und ihren Schwerpunkt in der Mitte hat, daß meine Würfel besser sind als die von Wolf benützten usw., wenn ich nicht etwa spezielle Untersuchungen hierüber angestellt habe? zur apriorischen Deduktion von praktischen Häufigkeits- brüchen notwendige Wissen liegt mir daher kaum jemals tatsäch- lich vor. ine andere Frage ist nun aber die, ob, wenn unser Wissen hinachttiefa der an sich notwendigen Voraussetzungen der apriori- Bchen Ableitung von Häufigkeitsbrüchen lückenhaft ist, wir nicht doch a priori die Ansetzung von Häufigkeitsbrüchen wagen dürfen. Wenn ich übermorgen um 6 Uhr abends in Berlin zu tun habe, so greife ich nach dem Kursbuch. Ich wähle dann vielleicht einen /- - der übermorgen um 2 Uhr nachmittags ankommt, und ich 198 11. Der dürftige praktische Wert der rechne ganz bestimmt damit, daß ich dann rechtzeitig um 6 Uhr an Ort und Stelle bin. Mit unfehlbarer Sicherheit kann ich dies aber nicht voraussagen. Der Zug kann infolge eines oder mehrerer Maschinendefekte so viel Verspätung haben, daß ich mein Ziel nicht rechtzeitig erreiche. Es kann ein Eisenbahnunglück passieren, infolgedessen ich vielleicht erst am anderen Tage ankomme. Schließ- lich kann ich auch, wiewohl ich mich augenblicklich äußerst wohl fühle, krank werden und schon vor übermorgen 6 Uhr abends tot sein. Diese und noch viele andere Möglichkeiten bestehen, die es mir vielleicht unmöglich machen, mein Ziel rechtzeitig oder über- haupt zu erreichen. Aber diese Möglichkeiten sind so unwahrschein- lich, daß ich gar nicht mit ihnen rechne. Und derjenige, der im Leben etwas leisten will, wird gewiß gut tun, wenn er derlei höchst unwahrscheinliche Möglichkeiten überhaupt nicht in Betracht zieht. Ähnlich verhält es sich auch hinsichtlich der Ansetzung mancher Häufigkeitsbrüche. Auch hier darf man etwas wagen, aber allerdings nur innerhalb gewisser Grenzen! Wenn mir eine deutsche Münze vorliegt, die ganz oder nahezu neu ist, so werde ich betreffs des Spieles „Wappen oder Zahl" den Häufigkeitsbruch für w auf 77- ansetzen. Auf Grund der oben erwähnten Induktionen ist mir bekannt, daß bei Spielen mit dem Spiel „Wappen oder Zahl" eine Indifferenz der variablen Be- dingungen besteht. Ich weiß auch, daß bei uns in Deutschland gefälschte Geldstücke sehr selten sind; auch ist mir bekannt, daß, wenn eine Münze gefälscht ist, deshalb noch lange nicht ihr Schwer- punkt verschoben sein muß. Alle diese Faktoren bestimmen mich zur Annahme, daß eine ordnungsgemäß geprägte oder doch eine Münze mit dem Schwerpunkt in der Mitte vorliegt. So werde ich denn den Häufigkeitsbruch 7* ansetzen, ohne daß ich natürlich für dessen Richtigkeit unbedingt bürgen könnte. Wenn ich die relative Häufigkeit von geraden Zahlen in Ge- mnnlißten einer Staatslotterie a priori entscheiden soll, so werde ich auch hier die relative Häufigkeit s ansetzen, ohne Ereilich auch Wahrscheinlichkeitsrechnung ;i priori und der Sati von I'oincarö. 1 1 > * > hier meiner Bache gani Bioher zu sein. Aus den Untersuchungen, die /.. B. von (i. Th. Fechnei und E. Czuber 1 ) über die Überein- stimmung der Ziehungsresultate mit den Erwartungen der Wahr- Bcheinliehkeitsrechnung angestellt wurden, schließe ich auf die [ndiffereni der variablen Bedingungen in solchen Fällen, und ich nehme an. daß aueh die konstanten Bedingungen, auch wenn sie mir im einzelnen nicht genau bekannt sind, so gelagert seien, daß dir geraden und ungeraden Zahlen gleichmäßig begünstigt sind. Ich erinnere mich allerdings auch daran, daß es durch Mani- pulationen nach Art der bei den vorhin mitgeteilten Röllchen - versuchen wohl möglich ist, die konstanten Bedingungen für die iden Zahlen günstiger oder ungünstiger zu gestalten als für die ungeraden. Und ich weiß nicht mit Bestimmtheit, daß solche Manipulationen bei den Ziehungen ausgeschlossen waren. Daß hier immerhin manches möglich ist, wird man mir zugeben, wenn man sieh an die Betrügereien erinnert, die vor einer Reihe von Jahren gelegentlieh der Ziehung der rumänischen Staatsrenten vorkamen, und wenn man bedenkt, daß die staatliche Aufsicht bei Lotterieziehungen u. dgl. gelegentlich zu wünschen übrig lassen kann. Ich erinnere mich hier einer Gerichtsverhandlung, die, -••viel ich weiß, vor einigen Jahren in Deutschland stattfand und diesen Punkt betraf, deren Einzelheiten ich aber vergessen habe. Immerhin würde ich es auch in diesem Fall wagen, den Häufig- keit sbruch -jr anzusetzen. Auch wenn ich nach der relativen Häufigkeit, daß bei einer bestimmten Roulette in Monte Carlo die Zahl 6 herauskommt, i'_ r t werde, werde ich aus analogen Gründen mit ^-antworten, wiewohl ich natürlich auch hier meiner Sache keineswegs sicher sein kann. Bandeil es sich aber darum, die relative Häufigkeit, mit *) Vgl. I. Czuber, Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Anwendung auf FehleranAgleichnilg, Statistik und Lebensversicherung. 3. Aufl. Leipzig unri Bertin. Bd. 1. 1914 8. 157 ff. A.a.O. 160f. handelt Czuber über i 200 11. Der dürftige praktische Wert der einem bestimmten mir vorliegenden Würfel eine Sechs zu werfen, so werde ich schon sehr viel bedenklicher sein. Nach einem Teil der oben angeführten Untersuchungen von Wolf fielen auf 20 000 Spiele mit zwei Würfeln 658 Resultate, in denen beide Würfel fünf zeigten, und nur 413 Resultate, in denen beide Würfel je vier Augen zeigten . Die relativen Häufigkeiten der Resultate : Vier und Fünf, die unter der Voraussetzung eines mathematisch und physi- kalisch einwandfreien Würfels und der Indifferenz der variablen Bedingungen gleich sein müßten, verhalten sich nach diesen Ver- suchen wie 4:6. Diese und andere Ergebnisse von Wolf 1 ) sind wenig verlockend, wenn es gilt, die relative Häufigkeit von Er- gebnissen des Würfelspiels vorauszusagen. Ich würde daher über die relative Häufigkeit, mit einem mir nicht näher bekannten Würfel sechs Augen zu werfen, höchstens sagen: sie beträgt un- gefähr -ß, vielleicht aber auch mehr oder weniger. Liegt mir eine Roulettevorrichtung unbekannter Art vor, die nicht systematisch geprüft und reguliert wird und die nicht den wachsamen Augen von tausenden von Spielern ausgesetzt ist, wie dies alles bei den Apparaten zu Monte Carlo und an anderen Spiel- plätzen der Fall ist, so werde ich mich an die Eigenschaften der in meinem Besitz befindlichen Roulette erinnern und eine Aussage über die relative Häufigkeit eines bestimmten Ergebnisses ab- lehnen. Ebenso werde ich mich verhalten, wenn mir eine mir un- bekannte, in einem Laden gekaufte Glücksspiel Vorrichtung vorliegt. Denn auch meine Roulette habe ich auf diese Weise erworben, und ich muß also sehr damit rechnen, daß die im Handel käuflichen Apparate überhaupt jene Genauigkeit vermissen lassen, die ge- stattet, ohne Messungen Häufigkeitsbrüche anzusetzen. Was lehrt nun all dies? Es zeigt, daß, wenngleich eine un- fehlbare apriorische Bestimmung der relativen Häufigkeit nur unter der Voraussetzung eines ganz bestimmten Wissens möglich ist, es 1 ) V^l. E. (Jzuber, Wahrscheinlichkeitsrechnung usw. Bd, 1. 1014. S. 16 und S. 167. W .iiisvlifinlioliki'itsnH-liiuinu a prion und der Satz von Poincar6. 201 doch Fälle gibt, wo wir auch, wenn jenes Wissen mehr oder weniger lückenhaft ist. eine Häufigkeitsbestimmung a priori wagen können. Diese Falle sind aber äußerst selten. Mit gutem Grund haben wir als Beispiele, in denen eine einigermaßen erfolgreiche apriorische Bestimmung der Häufigkeitsbrüche möglich ist, Glücksspiele an- geführt, liier hat eben die aposteriorische Untersuchung die In- differenz der variablen Bedingungen gelehrt, und hier liegen die in der Erfahrung vorhandenen konstanten unmittelbaren Be- dingungen bisweilen genügend übersichtlich und klar zutage, um richtige (wenn auch nicht unbedingt sicher richtige) Folgerungen auf die Häufigkeitsbrüche zu gestatten; auch hier sind allerdings, wie wir sahen, schwere Täuschungen nicht ausgeschlossen, und auch hier ist es, wie wir gleichfalls sahen, vielfach nicht ratsam, sich auf die apriorische Bestimmung eines Häufigkeitsbruches einzulassen. Abgesehen von den Glücksspielen besteht nur im I febiet gewisser mathematischer Aufgaben einige Aussicht, a priori ungefähr richtige Häufigkeitsbrüche anzusetzen. Wir wollen zwei solche Häufigkeitsaufgaben anführen und besprechen, indem wir bekannte Wahrscheinlichkeitsaufgaben als Häuf igkeits aufgaben formulieren, dieselben apriorisch lösen und dann die Lösung mit den statistischen Erfahrungen vergleichen. 1. (Buffonsches Nadelproblem 1 ).) ,,Auf eine horizontale, mit äquidistanten Parallelen vom Abstände a überzogene Tafel wird Behr oft eine ganz dünne Nadel von der Länge c (S a) geworfen; wie groß ist die relative Häufigkeit, mit welcher die Nadel eine der Parallellinien kreuzt?" Wenn man an die Lösung dieser Aufgabe herangeht, wird man EUnächst fragen, ob die variablen unmittelbaren Bedingungen indifferent sind, d. h. ob man überhaupt zu einem fraktionell kon- stanten Häufigkeitsbruch gelangen wird. Rein logisch gesprochen, ja nicht als unbedingt ausgeschlossen gelten, daß der ge- suchte Häufigkeitsbruch mit der Häufung der Versuche immer kleiner und kleiner wird, oder daß er aus anderen Gründen fraktions- i. Czuber, a.a.O. Bd. 1. 1914. 8. 98 f. 202 11. Der dürftige praktische Wert der weise derartig schwankt, daß von einer Indifferenz der variablen Bedingungen keine Rede sein kann. Aus der Gleichartigkeit dieser Aufgabe mit denjenigen Glücksspielen, bei denen die Indifferenz a posteriori feststeht, wird man indessen allgemein geneigt sein, die Indifferenz der variablen Bedingungen anzunehmen. Mancher wird auch ohne weitere Überlegung diese Indifferenz voraussetzen. Der gesuchte Häufigkeitsbruch ist unter dieser Voraussetzung, sowie unter der weiteren Voraussetzung, daß keine anderen als die aus der Aufgabe ohne weiteres ersichtlichen konstanten Be- dingungen in Betracht kommen, laut apriorischer Lösung gleich 2c jxa Um nun dieses Ergebnis mit den Resultaten statistischer Untersuchungen zu vergleichen, kann man so verfahren. Man führt die fraglichen Würfe sehr oft aus und bestimmt hieraus die empirische relative Häufigkeit p. Man berechnet dann rc aus der Gleichung 2c , 2c p = , wonach n = • 1 7i a ' p a Stimmt der so gewonnene ?r-Wert mit der Ludolphschen Zahl überein, so ist der a priori abgeleitete Häufigkeitsbruch richtig. Sollte sich aber zeigen, daß die empirisch gefundenen relativen Häufigkeiten, in die obige Gleichung eingesetzt, immer oder meistens zu große n- Werte ergeben, so wäre die apriorische Lösung offenbar nicht oder doch nicht ganz korrekt. Dies ist nun wirklich der Fall. Nach den statistischen Ergebnissen von R. Wolf aus 5000 Würfen wird n = 3,1596, M. A. Smith „ 3204 „ „ n = 3,1553, Kapt. Fox „ 1120 „ „ n = 3,1419, M. Lazzarini „ 3408 „ „ n = 3,1415929. Dagegen ist die Ludolphsche Zahl n = 3,14159265... Wir sehen also, daß die empirische Bestimmung von n bei allen angeführten vier Autoren, deren Untersuchungen ich nach Wahrschtnnlichkeit816QblNUlg 8 priori und der Satz von Poincarö. 203 K. Csuber 1 ) mitgeteilt habe, zu rr-Werten führt, die etwas zu :.> sind. Wir dürfen hieraus den Schluß ziehen, daß die Ergebnisse von derlei statistischen Untersuchungen allgemein zu durchschnitt- lich EU großen r- Werten führen. Hieraus folgt alter, daß die apriori- Bchen Häufigkeitsansätae zur Lösung dos Buffonschen Nadel- problems sieh, wenn man die Sache ganz genau nimmt, als Durch- schnittszahlen nicht bewähren. Der Grund hierfür dürfte darin liegen, daß in die konstanten Bedingungen ein bisher übersehener psychologischer Faktor eingeht, infolgedessen gewisse mögliche Würfe mehr bevorzugt werden als andere. Infolge der Gleich- förmigkeit des psychischen Geschehens, die, wie wir in den Ka- piteln 3 und 4 sahen, die Betätigungen der verschiedensten Men- schen vielfach in einer ganz bestimmten Richtung beeinflußt, wird offenbar auch die Nadel bei solchen Versuchen nicht in so mannig- facher Weise geworfen, als dies an sich möglich wäre. Auch hier be- steht offenbar, wenn auch wohl nur in geringem Grade, eine Bevorzugung gewisser Betätigungen, die die relative Häufigkeit einseitig beeinflußt. Alles in allem können wir also sagen : Die konstanten unmittel- baren Bedingungen der einzelnen Versuche, die zur statistischen Untersuchung des Buffonschen Nadelproblems angestellt werden, sind heute nicht in dem Maße bekannt und übersichtlich, in dem es erforderlich wäre, um die in jenem Problem gesuchte relative ifigkeit unfehlbar a priori zu bestimmen. Trotz der Lücken- haftigkeit unserer Kenntnisse gelingt es aber trotzdem, die frag- liche Bestimmung a priori wenigstens ungefähr richtig vorzunehmen. Denn wenn die statistischen Ergebnisse unserer vier Autoren auch alle auf zu große n- Werte führen, so ist die Übereinstimmung letzteren mit der Ludolphschen Zahl doch keineswegs be- BOnderB schlecht, bei Lazzarini sogar sehr gut. 2. (Bertrandsches Paradoxon 2 ).) ,,In einem Kreise wird von vielen Versachspersonen eine Sehne beliebig gezogen. Wie groß i relative Häufigkeit einer Sehne, die größer ist als die l ) 1 I Ruber, a.a.O. Bd, 1. 1914. S. 169. z ) E. Czuber, a.a.O. Bd. l. 1914. B. I16ff. 204 11. Der dürftige praktische Wert der Seite des eingeschriebenen gleichseitigen Dreiecks?" Die Lösung des Problems gestaltet sich verschieden, je nachdem man den Ausdruck ,, beliebige Sehne" deutet. In dieser Mehrdeutigkeit des Ausdrucks , beliebige Sehne" liegt die Paradoxie des Problems. Je nach den sechs möglichen Bedeutungen des Ausdrucks kann man sechs Modi des Problems unterscheiden 1 ). Unter der Voraus- setzung der Indifferenz der variablen Bedingungen, für welche analoge Überlegungen maßgebend sein dürften, wie die vorhin beim Buffon sehen Nadelproblem angedeuteten, kommt man für den Modus 4 a priori zur Lösung 0,609. R. Lämmel hat nun statistische Untersuchungen zum B er tr and sehen Paradoxon an- gestellt, bei denen es sich nach der Auffassung von E. Czuber um den Modus 4 handelte 2 ). Eine Serie von 5.100 Sehnen führte auf die relative Häufigkeit von 0,588, eine andere Serie von 3 . 100 Sehnen führte auf den Wert 0,644. Die Zusammenfassung beider Serien ergab den theoretischen Wert 0,609. Czuber machte mit seinen Hörern Versuche zum Modus 6, dem die apriorische relative Häufigkeit 0,746 entspricht, und fand aus 2060 Sehnen den Wert 0,7073. Diese Versuche Lämmeis und Czubers zeigen, daß auch in diesem Gebiet die relative Häufigkeit a priori ungefähr richtig bestimmt werden kann. Sie widersprechen sogar nicht einmal der Auffassung, daß eine unbedingt richtige Ansetzung der relativen Häufigkeit a priori möglich sei. Denn sie führen im Gegensatz zu den Versuchen zum Buffonschen Nadelproblem (wie wir sehen) nicht auf Werte, die in einem bestimmten Richtungs- sinne von den theoretischen abweichen. Daß aber auch hier eine weitere Fortsetzung der Versuche zu empirischen relativen Häufig- keiten führen würde, die von den apriorisch gewonnenen Werten in einer bestimmten Richtung differieren, muß nach einer Be- merkung von Czuber unbedingt angenommen werden. Er sagt: ,,Die Versuchsblätter zeigten, daß es nicht leicht ist, den Prozeß 90 zu führen, daß eine angenähert gleichmäßige Verteilung der 1 ) Das Nähere siehe bei E. Czuber, a. a. O. Bd. 1. S. 116 ff. 2 ) E. Czuber, a. a. O. Bd. 1. 1914. 8. 169. Diese Stelle kommt auch für die unmittelbar folgenden Ausführungen meines Textes' in Betracht. \Valu>rluMnlii-hkcit>icrlinunu .1 priori und <ln Sat /. von Poincare. 205 Punkte Platz greift.' 4 Auch hier waltet also bei den verschiedenen Versuchspersonen eine Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens, die sie gewisse Arten von Sehnen bevorzugen läßt und die in die konstanten unmittelbaren Bedingungen eingeht, die jedoch bei der apriorischen ansetzung des Häuügkeitsbruches nicht berück- sichtigt wird. Auch hier wird man annehmen müssen, daß die Vernachlässigung dieses Faktors die Folge hat, daß die a priori angesetzten Häufigkeitsbrüche mit den statistisch abgeleiteten nicht genau übereinstimmen. Auch hier besteht freilich trotz unserer Beutigen lückenhaften Kenntnisse der erfahrungsmäßigen kon- stanten Bedingungen eine ungefähre Übereinstimmung zwischen a priori gewonnenen und statistisch abgeleiteten Häufigkeits- brüchen. Wir kehren nun zu den Ausführungen zurück, die uns zur Behandlung der Probleme von Buffon und Bertrand veranlaßt hatten. Wir sahen: Eine unfehlbar richtige apriorische Ansetzung von relativen Häufigkeiten in der Erfahrung ablaufender Vor- gänge ist nur unter der Voraussetzung eines ganz bestimmten konkreten Wissens möglich. Dieses Wissen liegt kaum jemals vollständig vor. Auch wenn dieses Wissen lückenhaft ist, so kann man indessen in seltenen Fällen eine Häufigkeitsbestimmung a priori mit guter Aussicht auf Erfolg wagen. Diese Fälle sind bei einzelnen Glücksspielen und bei einzelnen geometrischen Auf- gaben gegeben. In fast allen Fällen aber ist es gänzlich unmöglich, a priori n richtigen oder auch nur ungefähr richtigen Häufigkeitsbruch abzuleiten. Es gibt kein Gebiet der volkswirtschaftlichen Statistik, kein Gebiet der Kriminalstatistik und Versicherungs Wissenschaft und kein Gebiet der Biologie und Medizin, wo die Gesamtbedin- wiederkehrenden Ereignisse so bekannt und über- nchtüch zutage liegen, daß sie die apriorische Ableitung eines ii nur einigermaßen richtigen Häufigkeit sbruches gestatten. Frage der Indifferenz der variablen Bedingungen ist, wie wir ben, auch in diesen Gebieten wie überall nur a posteriori entscheiden. Aber auch die konstanten Bedingungen sind 206 11. Der dürftige praktische Wert der hier so unbekannt und unübersichtlich und die erforderlichen empirischen Tatsachenkenntnisse fehlen uns hier in solchem Maße, daß es eine Torheit wäre, einen Häufigkeitsbruch a priori fest- setzen zu wollen. Wer ohne statistische Untersuchungen in diesen Gebieten heute die Indifferenz der variablen Bedingungen oder eine bestimmte Größe eines Häufigkeitsbruches behaupten wollte, der würde mit Fug und Recht als ein Dilettant betrachtet werden. Die Indifferenz der variablen Bedingungen besteht, wie wir sahen, bei den Knaben- und Mädchengeburten. Sie besteht aber z. B. ganz und gar nicht bei den Selbstmorden, wenn wir etwa ihre Häufigkeit im Verhältnis zu den übrigen Todesfällen betrachten. Wie sollen wir a priori wissen, wo die Indifferenz in solchen Ge- bieten vorliegt? Aber auch wenn die Indifferenz in einem der angeführten Gebiete besteht, so können wir deshalb doch den Häufigkeitsbruch nicht a priori deduzieren. Wer wollte z. B. das 105 Geschlechtsverhältnis der Geborenen in Deutschland *^ a priori ableiten ? So können wir die bisherigen Ausführungen dieses Kapitels in den Satz zusammenfassen: Das apriorische Verfahren bei der Ableitung relativer Häufigkeiten von Erfahrungstatsachen hat einen höchst untergeordneten Wert. Nun reden wir zum erstenmal in diesem Kapitel von Wahr- scheinlichkeitsbrüchen. Welche Auffassung man auch vom Sinne der Wahrscheinlichkeitsbrüche und der Gleichmöglichkeit der Fälle haben mag, man wird, sofern sich die Wahrscheinlichkeiten a priori auf wiederkehrende Vorgänge der Erfahrung beziehen, die Frage nicht von der Hand weisen dürfen, ob und inwieweit sich die Wahr- scheinlichkeitsbrüche als Durchschnittszahlen bewähren. Man wird auch zugeben müssen, daß sich der praktische Wert der apriorischen Wnhrscheinlichkeitsbrüche, die sich auf solche wiederkehrende Vorgänge beziehen, in erster Linie nach ihrer Brauchbarkeit als Durchschnittszahlen bemißt. Gewiß bezieht sich der Wahrschein- lichkeitsbruch nach der logischen Theorie des Sinnes der Wahr- scheinlichkeitsbrüche immer nur auf ein einziges Ereignis oder doch W.ihrM'lu'inlh'hkriiMtvhnuuu a priori und der Satz von I'oinearö. 207 auf eine einiige Gruppe von Ereignissen. Gewiß kümmert sich weder die subjektiv-logische Doch die objektiv-logische Version der Theorie der eleichmößlichen Fälle um die Brauchbarkeil der Wahrschein- lichkeitsbrüche als Durchschnittszahlen. Gewiß schon die Ver- treter dieser Theorien in den Wahrscheinlichkeitsbrüchen Lediglich ein Mall unserer vernünftigen Erwartung und in den gleichmöglichen Fallen lediglich Bolche Ereignisse, die vom Standpunkt unserer Kenntnisse aus gleichmöglich sind, mögen sie nun wie v. Kries die Anwendbarkeil der Spielraumtheorie für notwendig, oder mögen sie dieselbe wie Stumpf für entbehrlich halten. Aber daß die a priori gewonnenen Wahrscheinlichkeitsbrüche um so Wertvoller sind, je besser sie sich als Durchschnittszahlen bewähren, würden auch sie gewiß nicht leugnen. Die in Rede stehenden Wahrscheinlichkeitsbrüche sind nun dann gute Durchschnittszahlen, wenn sie mit den richtigen Häufig- keit sbrüchen übereinstimmen. Hieraus folgt, daß es genau unter den Bedingungen möglich ist, a priori sich als Durchschnittszahlen bewährende Wahrscheinlichkeitsbrüche anzusetzen, unter denen es möglich ist, a priori richtige Häufigkeitsbrüche zu gewinnen. Wir dürfen also alles, was wir vorhin über die Häufigkeitsbrüche ab- eitet haben, auch auf die Wahrscheinlichkeitsbrüche beziehen. Wir kommen somit zu folgendem Resultat: Einen Wahrscheinlichkeitsbruch, der sich sicher als Durch- Bchnittszahl bewährt, können wir nur ansetzen, wenn wir wissen, daß die variablen Bedingungen des Ereignisses, dessen Wahrschein- liehkeit gesucht wird, indifferent sind. Außerdem sind zur Ab- leitung eines solchen Wahrscheinlichkeitsbruches noch bestimmte auf die konstanten Bedingungen bezügliche Kenntnisse und speziell h Eri;dirungskenntnisse nötig, die uns gestatten, die tatsäch- lich obwaltenden konstanten Bedingungen so zu übersehen, daß zwingende richtige Schlüsse auf den Wahrscheinlichkeitsbruch gestatten. Alle diese Voraussetzungen dürften kaum jemals erfüllt Bein. Doch haben wir auch ohne vollständige Erfüllung dieser Vor tzungen bisweilen Aussicht, a priori Wahrscheinlichkeits- ansätze eu gewinnen, die sieh als Durchschnittszahlen bewähren, 208 11. Der dürftige praktische Wert der wie dies bei einigen Glücksspielen und geometrischen Aufgaben der Fall ist. Überall aber, wo wir von den Bedingungen der Er- eignisse nichts wissen, haben wir nicht die allermindeste Aussicht, a priori zu Wahrscheinlichkeitsbrüchen zu gelangen, die sich als Durchschnittszahlen bewähren. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung a priori hat also, sofern sie sich mit Wahrscheinlichkeiten periodisch wiederkehrender Ereignisse befaßt , einen sehr dürftigen prakti- schen Wert. Es muß doch in der Tat als ein sehr dürftiger Wert der Wahr- scheinlichkeitsbrüche bezeichnet werden, wenn dieselben einzig und allein im Sinne der logischen Theorie der Wahrscheinlichkeits- rechnung Maße unserer vernünftigen Erwartung darstellen. Was soll es mir schließlich nützen, wenn ich weiß, was ich, vom Stand meiner Kenntnisse aus, vernünftigerweise erwarten muß, wenn ich zugleich weiß, daß sich diese Erwartungen meist nicht be- stätigen. Wäre es da nicht vielleicht noch ,, vernünftiger", gar keine Erwartungen zu hegen und lieber auf die Erweiterung unserer Kenntnisse bedacht zu sein und statistische Untersuchungen an- zustellen ? In der Tat weiß denn auch jeder Statistiker zur Genüge, daß er heute mit apriorischen Wahrscheinlichkeitsansätzen nichts an- fangen kann. Aber auch in den anderen Gebieten, die in den Lehr- büchern der Wahrscheinlichkeitsrechnung behandelt werden, sind die apriorischen Lösungen von Wahrscheinlichkeitsaufgaben, sofern es sich dabei um oft wiederkehrende Ereignisse handelt, vielfach wenig geeignet, uns über das tatsächliche Geschehen etwas zu lehren. Das ist freilich auch nicht der Zweck solcher Aufgaben und Lösungen. Es handelt sich hier vielmehr um einen Zweig der Mathematik, der als solcher von großem Werte ist, und der uns eine Fülle von interessanten Methoden an die Hand gibt, deren Beherrschung in den verschiedensten Beziehungen nützlich sein kann. Daß die a priori gewonnenen Wahrseheinlichkeitsbrüche auch außerhalb der Volkswirtschaftslehre, Kriminalstatistik, Versiche- ningswissenschaft, Medizin und Biologie als Durchschnittszahlen liberal] versagen, wo wir nichts oder nur wenig über die Bedingungen \V.iln>«'lu > inlu , hk»Mi'-rtM , luuuii: | priori und dei Satz von I'oincartV 20!) der Ereignisse wissen, mag an der Hand einer größeren Anzahl von Aufgaben geieigl werden. Wir werden diese Aufgaben zu- nächst formulieren. Dann losen wir Bie im Sinne der Wahrschein- lichkeil a priori unter der Voraussetzung, daß wir keinerlei Kennt- nisse a posteriori über die relative Häufigkeit «Km- fraglichen Er- eignisse haben. Dann werden wir auf die statistischen Ergebnisse hinweisen, die eeigen, daß der a priori abgeleitete Wahrscheinlich- keit Bbruch a posteriori als unhaltbar erscheint. 1. Irgend eine unter den 660 ersten Ziffern der Ludolphschen Zahl wir«! willkürlich bezeichnet. Wie groß ist die Wahrscheinlich- keit, daß die Ziffer eine 7 sei? Nach der Wahrscheinlichkeit a priori lautet die Antwort: 1( y. Auf Grund statistischer Untersuchungen der 660 ersten Stellen muß die Wahrscheinlichkeit jedoch als kleiner bezeichnet werden. Schreibt man die ersten 660 Stellen in elf Zeilen zu je 60 Ziffern an, so müßte, falls alle Ziffern gleich oft vorkämen, die Ziffer 7 in jeder Zeile durchschnittlich sechsmal erwartet werden. Tatsächlich aber kommt die Ziffer 7 in keiner einzigen Zeile sechsmal, sondern in allen Zeilen seltener als sechsmal vor. Sie erscheint außerdem von der zweiten bis zur elften Zeile einschließlich seltener als alle anderen Ziffern 1 ). Der Wahrschein- li'hkeitsbrucli 1() bewährt sich somit als Durchschnittszahl durch- aus nicht; er ist vielmehr erheblich zu groß. 2. In einer höheren Schule in Frankfurt a. M. werden 350 Schüle- rinnen aufgefordert, ein beliebiges Wort zu notieren. Wie groß i-t die Wahrscheinlichkeit, daß eine bestimmte Schülerin das Wort 8chule notiert? Unter der Voraussetzung, daß gar keine statistischen 1 ntersuchungen bekannt sind, wird man sagen dürfen, daß dem Kinde erheblich mehr als 350 Wörter bekannt sind, und daß die achte Wahrscheinlichkeit daher jedenfalls viel kleiner als q-q Tatsächlich muß die gesuchte Wahrscheinlichkeit als größer lehnet werden, da beim Versuch 18 unter 350 Schülerinnen das Wort Schule aufschrieben, wie wir im Kapitel 3 sahen. Man I. I Silber, ;.. a. 0. Bd. l. 1014. B. I70ff. MarU. \n>> QttchffemJckftlt in der Welt. 14 210 - 11. Der dürftige praktische Wert der sage nicht, wer sich die Sache vorher gründlich überlegt hätte, der hätte von vornherein angenommen, daß das Wort Schule be- vorzugt würde. Ein wohl unterrichteter und kluger Psycholog, dem ich meine Absicht, solche Versuche auszuführen, vorher mit- geteilt hatte, bestritt lächelnd aber kategorisch, daß es möglich sei, auf diesem Wege Gleichförmigkeiten festzustellen, und ich selbst hätte niemals gewagt, ohne Versuche anzunehmen, daß bestimmte Worte bevorzugt werden. Wem das Beispiel nicht genehm ist, der mag übrigens an Stelle des Wortes Schule eines der Worte Baum, Blume, Haus, Tafel setzen, die von je 8 Schüle- rinnen notiert wurden. 3. Auf meinem gelb und blau karierten durch direktes Sonnen- licht beleuchteten Tischteppich steht eine ganz flache quadratische Glasschale mit einer Flüssigkeit, in welcher sich lebende Purpur- bakterien befinden. Die Innenseite des Bodens der Schale be- decke eine größere Anzahl von Quadrätchen des Teppichs. Die Zahl aller Purpurbakterien betrage n. Wie groß ist die Wahrschein- lichkeit, daß sich über einem bestimmten, von mir bezeichneten Quadrätchen n — m Bakterien befinden? Im Sinne der Wahr- scheinlichkeitsrechnung a priori und unter der Voraussetzung des Fehlens anderer als der angeführten Daten wäre folgendes zu sagen : Die gleichmöglichen Anzahlen der Bakterien über einem Quadrät- chen sind : n, n — 1, n — 2, n — 3 n — n. Es gibt also n -f- 1 gleichmögliche Fälle. Also ist die gesuchte Wahrscheinlich- keit - — r- Dieses Resultat würde durch eine korrekte statistische n + 1 Untersuchung niemals verifiziert werden. Denn aus den Mitteilungen unseres vierten Kapitels folgt, daß die im Sinne unserer eben mitgeteilten Ausführungen abgeleiteten gleichmöglichen Fälle durch- aue nicht als gleichmöglich angesehen werden dürfen: Über den blauen Quadrätchen werden durchschnittlich immer weniger Bak- terien stehen als über den gelben. In den folgenden Nummern wollen wir etwas kürzer noch einige weitere Aufgaben behandeln, bei denen die Unbrauchbarkeit der Lösung ;i priori als Durchschnittszahl ebenso wie bei der Auf- L r ;d)e 2 aus anserem Kapitel 8 erhellt. Walii^rluMnlu'hkcilMrrhiuuii; ;i priori und dei Sfttl von l'oinrarö. 211 4, [ob leg« folgende drei Spielkarten auf den Tisch: Herz- Zehn. Eckstein-Sechs und Herz-Fünf, [oh bitte jemanden, sich eine der drei Karten EU merken. Wie groß ist die Wahrseheinlich- keit. daß er Herz-Zehn merkt'? Die Antwort « ist nicht richtig; die Wahrscheinlichkeit ist größer. ">. Ee soll jemand eine der ,, sieben Farben des Regenbogens" nennen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß er violett nennt? Die Antwort - ist falsch. Die Wahrscheinlichkeit ist geringer. 6. Es soll jemand die Anzahl einer großen Menge von Bohnen in einer geschlossenen Flasche erraten. Wie groß ist die Wahrschein- lichkeit, daß er eine Zahl nennt, deren letzte Ziffer eine Null ist? Wie groß is1 die Wahrscheinlichkeit, daß er eine gerade Zahl nennt? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß er eine Zahl mit der Endziffer 4 nennt? Die drei Antworten ^y» -&> y?y sind nachweislich falsch. 7. Ein Physiker ist eben damit beschäftigt, eine 10,3 mm lange Strecke abzumessen und hierbei die Zehntelmillimeter zu Bchätzen. Es wird mir zuverlässig mitgeteilt, daß er sich um ein Zehntelmillimeter geirrt hat. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß er irrtümlich annahm, die Strecke sei 10,2 mm lang? Die Antwort -& ist nicht zutreffend. Die Wahrscheinlichkeit ist größer. Wir haben nun ausführlich genug gesehen, daß der Versuch. B priori Wahrscheinlichkeitsansätze zu gewinnen, die sich als Durchschnittszahlen bewähren, aussichtslos ist, wenn es sich um solche periodische Ereignisse handelt, über deren Bedingungen wir nichts oder nur wenig wissen. Daß unsere Ausführungen nicht nur für einzelne Ereignisse, sondern auch für Gruppen mehrerer , nach deren Gruppenwahrscheinlichkeit gefragt wird, gelten, braucht kaum besonders hervorgehoben zu werden. Aus- drücklich betonen müssen wir aber noch, daß sich aus unseren I • ("Buchungen auch Folgerungen für diejenigen Wahrscheinlich- keit-}. niehc b priori ergeben, die sich nicht auf oft wiederkehrende 14* 212 11. Der dürftige praktische Wert der Ereignisse beziehen. Hat sich gezeigt, daß die apriorischen Wahr- scheinlichkeitsbrüche, die man überhaupt sinngemäß hinsichtlich ihrer Bedeutung als Durchschnittszahlen prüfen kann, mit den faktischen relativen Häufigkeiten nicht das mindeste zu tun haben, wenn wir die Wahrscheinlichkeiten ohne gehörige Kenntnis der Bedingungen der fraglichen Ereignisse aufgestellt haben, so wird man hieraus schließen müssen, daß ganz allgemein Wahrschein- lichkeitsbrüche a priori, die ohne solche Kenntnisse aufgestellt wurden, uns in keiner Weise etwas über das wirkliche Sein und Geschehen lehren. Wir dürfen also aus dem geringen praktischen Wert der statistisch prüfbaren Wahrscheinlichkeitsbrüche auf den geringen Wert der statistisch nicht prüfbaren Wahrscheinlich- keiten schließen. Auch nach der v. Kri es sehen Auffassung der Dinge ist es unwahrscheinlicher, daß ein bestimmtes Meteor innerhalb als außerhalb des Fürstentums Liechtenstein zu Boden fällt. Lehrt aber dieser Satz das mindeste, wenn ich nicht weiß, ob die Be- dingungen für das Herabfallen des Meteors im Fürstentum Liechten- stein vielleicht ganz besonders günstige sind? Derjenige, der vom Magnetismus überhaupt nichts weiß, kann unbedenklich die Wahr- scheinlichkeit, daß sich eine gestern von mir in einer horizontalen Ebene aufgehängte und in Rotation versetzte Magnetnadel nach dem magnetischen Nordpol einstellte, mit bezeichnen. Er wird sagen können: die Spitze der Magnetnadel bewegte sich in einem Kreis. Diesen kann ich als eine unendlich viele Punkte enthaltende Linie auffassen. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Spitze in einem bestimmten Punkt zur Kühe kam, ist - = 0. Über das wirkliche Verhalten der Nadel lehrt eine solche Betrachtung gar nichts, \\<il sie ohne jede Kenntnis der Bedingungen dieses Verhaltens angestellt wurde. So ist die Wahrscheinlichkeitsrechnung a priori gänzlich wertlos zur Gewinnung von Einsichten hinsichtlich des Eintreffens oder Nichteintretens von solchen Kroignissen, über deren Bedingungen wir nichts wissen. Den beiden letzten Bei- spielen wird man die statistische Prüflmrkeit in gewissem Sinne W.ihrxlhMnlu'likrn-n'clnimm a prion und der Satz von Poincarö. 2\:\ nicht absprechen können. Wir müssen aber nach unseren Ergeb- nissen schließen, daß uns auch die a posteriori nicht prüfbaren apriorischen Wahrscheinlichkeiten über die Wirklichkeit nichts lehren. Was soll ich mich hinsichtlich des Tatsächlichen lernen, wenn mir gesagt wird, die Wahrscheinlichkeit, daß sich auf einem er Beschaffenheit nach gänzlich anbekannten Himmelskörper . n befindet oder dgl., sei so und so groß? Wir dürfen daher zu- rückblickend auf alle nnseren bisherigen Darlegungen gewiß sagen: der praktische Wert der Wahrscheinlichkeitsrechnung a priori ist ein sehr dürftiger. Wir können unsere Ergebnisse auch auf die '.ilcichmöglichen Fälle beziehen und sagen: gleichmögliche Fälle kann man a priori ohne genauere oder gar ohne jede Kenntnis der Bedingungen der ,, gleichmöglichen" Fälle statuieren. Auf solche Weise statuierte gleichmögliche Fälle bilden aber nie und nimmer einen Anhalt für das Eintreten wirklicher Fälle. Der Satz von dem dürftigen Wert der Wahrscheinlichkeits- rechnung a priori wird auch durch eine ganz andere, bisher noch nicht erwähnte Tatsache gestützt. Wir werden später an der Hand eines großen statistischen Materials unwiderleglich zeigen, daß, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses durch einen Wahr- -<heinlichkeitsbruch bezeichnet wird, der sich auf Grund statistischer Untersuchungen als Durchschnittszahl bewährt hat bzw. überhaupt a posteriori gewonnen wurde — wir werden zeigen, daß dann die a priori mittels des Multiplikationssatzes vollzogene Ableitung der zusammengesetzten Wahrscheinlichkeiten aus den einfachen der i -tischen Prüfung nicht standhält, sondern sich von den Er- nissen der Statistik unterscheidet. Wir werden also nachweisen, daß die apriorische Ableitung statistisch verifizierbarer zusammen- gesetzter Wahrscheinlichkeiten aus einfachen nicht möglich ist. Diese Tatsache ist eine weitere wichtige Instanz für den dürftigen praktischen Wert der Wahrscheinlichkeit a priori, d. h. für den dürftigen praktischen Wert solcher a priori gewonnenen Wahr- Binlichkeitsbrüche, die sich auf Tatsachen des Lebens und der tur beziehen. 214 11. Der dürftige praktische Wert der Die Folgerungen dieser Darlegungen für den Satz von Poin- care sind einleuchtend. Wir haben im achten Kapitel gesehen, daß von den unendlich vielen möglichen Anfangszuständen beim n-Körperproblem eine relativ verschwindend geringe (aber aller- dings auch ihrerseits unendlich große) Anzahl von Anfangszuständen zu instabilen Lösungen führt. Die Wahrscheinlichkeit eines An- fangszustandes mit instabiler Lösung wird demnach als unendlich klein bzw. als angesehen, woraus dann, wie wir sahen, allerlei Folgerungen und zum Teil auch Schwierigkeiten für die theoretische Physik abgeleitet werden. Beim Satz von Poincare liegt also der Fall vor, wo aus einer Wahrscheinlichkeit a priori Folgerungen auf in der Zeit verlaufende Wirklichkeit gezogen werden, ohne daß indessen über die unmittel- baren Bedingungen des Ereignisses, um dessen Wahrscheinlichkeit es sich handelt, bei der Ableitung der Wahrscheinlichkeit das aller- mindeste bekannt gewesen wäre. Da uns, wie wir sahen, unter solchen Umständen die Wahrscheinlichkeit a priori hinsichtlich des tatsächlichen Geschehens nicht das allermindeste lehrt, so hat auch der Satz von Poincare für die Erkenntnis der wirklichen Welt nicht die allermindeste Bedeutung. Wenn unendlich vieles möglich ist, so mag ein Ereignis E, das einem kleinen Bruchteil der unendlich vielen oder auch einer ganz bestimmten Anzahl unter den unendlich vielen Ereignissen an- gehört, als unendlich unwahrscheinlich bezeichnet werden. Ein solches Verfahren ist vom Standpunkt der Wahrscheinlichkeits- rechnung aus gewiß korrekt. Ein solcher Wahrscheinlichkeits- ansatz mag auch den Sinn haben, daß nach den uns zur Verfügung stehenden Kenntnissen mit der Wirklichkeit des Ereignisses E nicht gerechnet werden darf. Wie es aber mit dem Eintreten dieses Ereignisses E steht, das können solche Betrachtungen nicht im mindesten lehren. So wenig die Wahrscheinlichkeitsbetrachtung geeignet ist, mich zu informieren, ob auf einem mir gänzlich un- bekannten Himmelskörper Eisen ist oder nicht, oder mich darüber zu belehren, ob eine frei aufgehängte Magnetnadel sich dem magne- tischen Nordpol zuwendet oder nicht, so wenig kann ich mich Wuhrx-tuMnlü'hkt'itsivchnunu I priori und der Satz von Poinoarä. 215 im Sinne dee Satzes von Poinrare mit Hilfe von Wahrsehein- hchkeitsbetrax&tungen darüber informieren, ob im Weltall Stabilität vorliegt oder nicht. Ein gewisser Anfangszustand muß beim n- i\ rperproblem als vorhanden angenommen werden. Welcher An- Eangsiustand das ist. hängt von ganz bestimmten realen Bedingungen ab. Weiß ich über diese Bedingungen gar nichts, so bleibt mir nur ein non liquet. Wir können auch sagen, der Irrtum beim Satz von Poincarß liege darin, daß einerseits zugleich a priori Ereignisse, über deren Bedingungen wir schlechterdings nichts wissen, als gleich möglich angesehen werden und daß andererseits aus dieser Annahme Folge- rungen über die Wirklichkeit gezogen werden. Auf derselben Stufe wie der Satz von Poincare steht in wahrscheinlichkeits- theoretischer Hinsicht folgendes Beispiel: Es wird mir in einem geschlossenen Kuvert eine Gleichung zweiten Grades mit einer Unbekannten überreicht. Ich soll die Wahrscheinlichkeit dafür bestimmen, daß die Lösung der Gleichung eine rationale Zahl ist. Ich kann dann sagen: wiewohl es unendlich viele rationale Zahlen gibt, ist ihre Anzahl doch unendlich klein gegenüber der Anzahl der irrationalen Zahlen. Die gesuchte Wahr- scheinlichkeit ist daher 0. Es wäre aber höchst verfehlt, aus diesem Ansatz irgend etwas schließen zu wollen über die tatsächliche L-.sung der Gleichung, wie ich mich denn auch trotz dieser Über- legung nicht im entferntesten wundern würde, wenn ich nach Enen des Kuverts bemerkte, daß die Lösung der Gleichung 10 betragt. Analog verhält es sich auch beim Satz von Poincare. Man wird daher sagen dürfen, daß dieser Satz, da er über das wirkliche Sein und Geschehen so wenig etwas lehrt wie unser Bei- spiel mit der Gleichung, die theoretische Physik nicht tangiert, und daß die kinetische Gastheorie und die mechanische Wärme- arie die gesichertsten Gebiete der Physik und der Wissenschaft überhaupt wären, wenn ihnen außer dem Satz von Poincare keine anderen Bedenken gegenüberständen. Wie der Mathematiker sieht, wird in unserem Beispiel mit der Gleichung nichl berücksichtigt, daß diejenigen irrationalen 216 Der Satz von Poincare. Zahlen , die Wurzeln einer Gleichung zweiten Grades mit ganz- zahligen Koeffizienten sind , eine abzählbare Menge bilden , daß also nicht jede irrationale Zahl als Wurzel auftreten kann und daß die Mächtigkeit der als Wurzeln möglichen irrationalen Zahlen die gleiche ist wie die der rationalen Zahlen. Aber wer bürgt uns dafür, daß die Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen beim Satze von Poincare nicht ebenso wichtige oder noch weittragendere Tatsachen, von denen wir nichts wissen, außer acht lassen? Der Satz von Poincare veranlaß te uns zur Behandlung der Grundbegriffe und der philosophischen Theorie der Wahrschein- lichkeitsrechnung, sowie zur Erörterung der Lehre von der relativen Häufigkeit und dem praktischen Wert der Wahrscheinlichkeits- rechnung a priori. Der Satz von Poincare allein rechtfertigt indessen eine so ausführliche Behandlung dieser Dinge in dem vorliegenden Buche nicht. Wie der Satz von Poincare selbst mit dem Problem der Gleichförmigkeit in enger Beziehung steht, so sind auch alle Ereignisse, auf welche die Wahrscheinlichkeits- rechnung a posteriori und die Häufigkeitsbrüche Anwendung finden können, zugleich Tatsachen der Gleichförmigkeit. Dies wird sich besonders aus dem folgenden Kapitel ergeben. Zwölf! os Iva pitcl. Zur logischen Analyse des Gleichförmigkeit^- und des Massenbegriffes. Wir haben im ersten Kapitel dargelegt, daß wir das Wort gleichförmig im gleiches Sinne wie das Wort ähnlich gebrauchen, und daß wir zwei Gegenstände als ähnlich bezeichnen, die in ihren einzelnen Teilen oder in einzelnen Beziehungen übereinstimmen oder doch nur wenig verschieden sind. Daß schließlich alle Gegen- Btände überhaupt in gewissen Beziehungen übereinstimmen, ist .iß richtig. Die Ähnlichkeit ist eben wie die Größe ein relatives Merkmal. Trotzdem ist klar, daß unsere Lehren von der Ähnlich- keit oder Gleichförmigkeit nicht selbstverständliche Sätze sind. Denn überall, wo wir von der Gleichförmigkeit handeln, ist diese eine auffallende gegenüber allen denjenigen Fällen, wo man von einer Gleichförmigkeit zwar wohl sprechen könnte, aber nicht spricht. Zunächst dürfen wir nun die Tatsache betonen, daß der Begriff der Gleichförmigkeit immer nur auf eine Mehrheit oder Vielheit von Gegenständen Anwendung finden kann. Eine Mehrheit oder Vielheit von Gegenständen wollen wir als eine Masse von Gegen- wänden bezeichnen. Eine Masse in unserem gegenwärtigen Sinne kann daher aus zwei oder beliebig viel mehr, eventuell aus un- endlich vielen Gegenständen bestehen. Unter Gegenstand ver- stehen wir alles und jegliches, was überhaupt bezeichnet oder gemeint werden kann. Unser Begriff des Gegenstandes fällt also ganz und gar nicht mit dem des Dinges zusammen 1 ). Zwei Gegenstände können nun, wie bereits aus unseren De- finitionen hervorgeht, als gleichförmig angesehen werden, sofern 1 ) Zur Theorie des Gegenstandes und der Merkmale vgl. K. Marbe, Werte!. j;ihi>.-chrift i üi wissenschaftliche Philosophie und Soziologie. Jahrg. 30. 465 ff. 218 12. Zur logischen Analyse des sie in einzelnen Teilen oder Beziehungen übereinstimmen oder nur wenig voneinander verschieden sind. Ich glaube nicht, daß es ähnliche Gegenstände gibt, deren Gleichförmigkeit nicht durch diese Definition gedeckt wäre. Zwei hinsichtlich ihrer Helligkeit eben voneinander unterscheidbare, gleich große, rein graue Papiere sind z. B. in keinem ihrer Teile gleich. Sie sind jedoch in ver- schiedenen Beziehungen gleich, nämlich hinsichtlich der Größe und hinsichtlich der Farben qualität, da sie eben beide rein grau sind. Sie sind endlich besonders deshalb ähnlich, weil sich ihre sub- jektiven Helligkeiten nur wenig voneinander unterscheiden. Die Begriffe Gleichheit und Gleichförmigkeit hängen insofern aufs engste zusammen, als die Gleichheit als Grenze der Gleich- förmigkeit angesehen werden kann. Je mehr zwei Gegenstände in allen Teilen und in allen Beziehungen übereinstimmen, desto mehr nähern sie sich der Gleichheit. Daß bei allen Gegenständen überhaupt von Teilen gesprochen werden könne, wird durch diese Auffassung nicht verlangt. Jedenfalls gibt es aber keine Gegen- stände, deren Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung sich nicht in gewissen Beziehungen prüfen ließe. Gleichheit als Grenz- begriff der Gleichförmigkeit behandelten wir oben, als wir im Rahmen der Lehre von der Wiederkehr des Gleichen von den Untersuchungen Poincares handelten. Je nachdem die gleichförmigen Gegenstände an verschiedenen Orten oder zu verschiedenen Zeiten bestehen, können wir, wie dies im zweiten Kapitel geschah, von lokaler und temporaler Gleich- förmigkeit sprechen. Es gibt aber auch gleichförmige Gegenstände, die weder an einem bestimmten Orte noch zu einer bestimmten Zeit sind, wie z. B. alle ähnlichen Dreiecke im Sinne der Geometrie. Solchen gleichförmigen Gegenständen, denen weder lokale noch temporale Gleichförmigkeit zukommt, können wir ideale Gleich- förmigkeit beilegen. Wir haben mm in diesem Kapitel bisher immer von Gleich- förmigkeiten ein/einer Gegenstände gesprochen. Beispiele für solche Gleichförmigkeiten wurden von uns viele mitgeteilt. Die einzelnen iVr-j«- und Täler, die unabhängig voneinander auftretenden ahn- Gleichförmigkeit« und dos Massen boirriffes, 219 liehen literarischen Leistungen und Erfindungen und vieles andere können einfach als einzelne gleichförmige Gegenstände betrachtet werden. Pal »ei können natürlich die gleichförmigen Gegenstände, wie alle I legenstände (überhaupt . als eine Masse begrifflich zusammen- gefaßt werden. Unter einer Masse verstanden wir oben, da wir von der Völkerpsychologie sprachen, eine Mehrheit oder Vielheil ▼on Individuen, unter einer Masse verstehen wir jetzt, wie er- wähnt, eine Mehrheit oder Vielheit von Gegenständen. Statt nun von der Gleichförmigkeit einzelner Gegenstände zu reden, kann man auch von der Gleichförmigkeit einer Masse als solcher sprechen. Diese Gleichförmigkeit der Massen als solcher muß uns hier noch ausführlicher beschäftigen. Zunächst wird man sagen dürfen, daß eine Masse um so gleich- förmiger ist, je gleichförmiger die Gegenstände unter sich sind, aus denen sie besteht. Eine aus zwei Äpfeln bestehende Masse ist gleichförmiger als eine solche, die aus einem Apfel und einer Birne besteht. Ein Schock Hühnereier ist eine gleichförmigere Masse als diejenige, die aus 60 Eiern der verschiedensten Vögel besteht. Eine Masse kann aber auch als um so gleichförmiger angesehen werden, je gleichförmiger ihre Teilmassen unter sich sind. Jede Masse, die aus nicht zu wenig Gegenständen besteht, können wir als aus einer endlichen oder unendlichen Zahl von Teilmassen bestehend denken. So können wir z. B. alle ganzen Zahlen von 1 bis oo aus Teilmassen von je 10 Elementen (1 bis 10, 11 bis 20, 21 bis 30 usw.) zusammengesetzt denken. Die Masse der Geborenen können wir aus einer Teilmasse, die nur männliche und einer anderen, die nur weibliche Personen enthält, aufgebaut betrachten. So können wir alle Massen, die nicht aus allzu wenig _>n- fanden bestehen, als aus Teilmassen bestehend denken. Frage, wann Teilmassen gleichförmig sind, führt nun auf die Präge nach der gegenseitigen Gleichförmigkeit von Massen über- haupt. Jede Masse hat Merkmale, die den einzelnen Gegenständen, welche die Masse bilden, fehlen. Auch ein Haus kann im Sinne unseres Massenbegriffs als eine Masse der einzelnen Gegenstände, 220 12. Zur logischen Analyse des aus denen das Haus besteht, aufgefaßt werden. Auch diejenigen Gegenstände, welche etwa den Gesamtwillen im Sinne der Wundt- schen Terminologie ausmachen, sind für uns eine Masse. Auch ein Haufen Getreidekörner ist eine Masse. Alle diese Massen haben gewisse Merkmale, die den einzelnen Gegenständen, aus denen sie bestehen, fehlen. Die Gleichförmigkeit von Massen ist nun aus den Merkmalen dieser Massen zu bestimmen. Wir führen zur Betrachtung dieser Angelegenheit folgende Beispiele ein: I a a a a a a a a a a a a II b b b b b b b b b b b b III b b b IV a a a b b b a a a b b b V c c c c c c d d d d d d VI c c c d d d c c c d d d VII 5; 3; 2; 4; VIII 1; 7; 2; 4; IX 6; 8; 2; 4; Die Massen I und II sind offenbar gleichförmiger als die Massen I und III. Denn obgleich sowohl I und II als auch I und III jeweils aus ganz verschiedenen Gegenständen bestehen, ist die Zahl der Gegenstände (12) in I und II gleich, während sie in I und III ver- schieden ist (12 und 3). Die Massen I und IV sind gleichförmiger als die Massen I und VI. Denn IV besteht zur Hälfte aus solchen Gegenständen, wie sie auch zur Masse I gehören, während VI lauter Gegenstände enthält, die sich in der Masse I nicht vorfinden. Die Massen IV und VI sind gleichförmiger als die Massen IV und V. Denn obgleich sowohl die Gegenstände, aus denen die Massen IV und VI als auch diejenigen, aus denen die Massen IV und V bestehen, jeweils ganz verschieden sind, ist doch die Struktur der Massen IV und VI übereinstimmender als die Struktur der Masses IV und V. Die Massen VII und VIII sind gleichförmiger als die Massen VII und IX. Alle drei Massen bestehen aus je 4 Zahlen. Die zwei zuletzt angeschriebenen Zahlen aller drei Massen sind gleich. Die GHeiohförmigkeits« und des Massenbegriffes. 221 beiden ersten Zahlen aller drei Massen sind verschieden. Aber die Summen und daher auch die arithmetischen Mittel der Zahlen der M .• --■ VII und VIII sind gleich (Summe: 14; Mittel: 8,5), während die Summen und Mittel für VII und IX verschieden sind. Efl ist hiernach leicht, die Gleichförmigkeit von Massen durch die Gleichförmigkeit ihrer Teilmassen zu bestimmen. Die Masse I ist z. B. gleichförmiger als die Masse IV. Denn alle Teilmassen, in die man 1 einteilen kann, haben gleiche Elemente, während dies bei IV nicht der Fall ist. Die folgende Masse (a) 1: 3; 6; 2; 3; 5j 4: 4: 2; 1: 8; 1; 7; 2; 1; 4; 5; 1; 3; 3; 4; 4; 3; 3; isl gleichförmiger als die folgende Masse (b) 1: 7: !>: 2: 1: 2; 3; 5; 7; 1; 9; 8; 1; 2; 1; 4; 3; 5; 9; 8; 7; 1; 4; 8; denn die Teilmassen sind in a gleichförmiger als in b. Teilt man a und b in je 8 Teilmassen zu 3 Gegenständen ein, so ist die Summe aller Zahlen, die eine Teilmasse bilden, in a gleich; sie beträgt immer 10. Die analogen Teilmassen sind dagegen in b erheblich verschieden. Endlich ist die Masse inmffmffmfmmffmfmmfmf gleichförmiger als die Masse mmmfmffffmfmmfffmfmf. Denn teilen wir die erste Masse in 5 Gruppen zu 4 ein, so zeigt -ich, daß jede Gruppe zu 4 gleich viel m und gleich viel f, nämlich 2 m und 2 f enthält, während eine entsprechende gleichförmige Verteilung in der zweiten Masse nicht nachweisbar ist. Natürlich wird man oft zweifeln können, ob eine Masse gleich- förmiger ist als eine andere. Niemals aber kann es zweifelhaft Bein, oh ein.. Masse in einer bestimmten Beziehung gleichförmiger klfi 'ine andere. Da wir unter einer Masse eine Mehrheit oder Vielheit von Gegenständen verstehen, so können wir ganz beliebige Gegen- eine Ilasse zusammenfassen. Die Planeten Venus und Erde, die Sonnenfinsternis zur Zeit des Thaies von Milet, die recht- 222 12. Zur logischen Analyse des winkligen Dreiecke und die heute lebenden Philosophen , alle diese Gegenstände zusammen bilden schließlich auch eine Masse, wenn wir sie unter den Begriff einer einzigen Masse subsumieren. Eine solche Masse können wir eine unnatürliche Masse nennen. Ihre Gegenstände sind willkürlich zusammengerafft. In vielen anderen Fällen dagegen vereinigen wir Gegenstände zu einer Masse, weil wir die Gegenstände von bestimmten sachlichen Gesichts- punkten aus als zusammengehörig betrachten. Solche Massen sind ein Haus, ein Volk, ein Ameisenhaufen, die Masse der Ge- borenen in Deutschland usw. Oft wird man auch schwanken, ob man eine Masse als natürliche oder unnatürliche bezeichnen soll. Ein wichtiges psychologisches Problem ist die Frage nach dem subjektiven Eindruck, den eine Masse erweckt im Verhältnis zu den subjektiven Eindrücken, welche die einzelnen Gegenstände hervorrufen, aus denen die Masse besteht. Dieses sogenannte Problem der Gestaltqualität 1 ) fällt außerhalb des Rahmens dieses Buches. Dagegen muß hier betont werden, daß auch in logischer Hinsicht die natürlichen Massen sehr verschieden sind und daß zu ihnen auch solche gehören (wie z. B. die Masse der Geborenen), auf welche die psychologische Frage nach der Gestaltqualität überhaupt nicht bezogen werden kann. In vielen Fällen dagegen ist die psychologische Tatsache der Gestaltqualität für uns geradezu bestimmend, die Gegenstände, an welche sie geknüpft ist, als eine einheitliche Masse zu betrachten. Für den Mathematiker und Statistiker sind besonders wichtig die sogenannten statistischen Massen. Eine statistische Masse besteht zunächst einmal aus vielen logisch koordinierten Gegenständen, die in bestimmter Richtung miteinander verglichen werden können. Nach unserem Begriff der Masse kann eine solche schon aus nur zwei Gegenständen bestehen. Eine solche Masse ist jedoch *) Vgl. darüber Chr. v. Ehrenfels, Vierteljahrsschrift für wissen- schaftliche Philosophie. Jahrg. 14. 1890. S. 249ff. K. Bühler, Die Geatalt- wahrnehmungen. Bd. I. Stuttgart 1913. GHeiohförmigkeitS- und dos Massen In^riffes. 223 keine statistische, [mmei wo wir von statistischen Massen reden, handelt es sieh am eine Vielheil von Gegenständen. Eine Masse braucht ferner nicht notwendig aus Logisch koordi- nierten Gegenständen zu bestehen. Dies ist z. B. nicht der Fall bei den Gegenständen jener Masse, die wir eben als Beleg für eine unnatürliche Masse eingeführt haben. Nur aber wo Gegenstände vorliegen, die man als logisch koordiniert betrachten kann, redet man von einer statistischen Masse. Die einzelnen Krankheitsfälle in Berlin im Jahre 1900, die einzelnen Eheschließungen, die einzelnen Konkurse daselbst, — alle diese Gegenstände zusammen bilden keine statistische Masse. Denn diese Gegenstände können nicht als logisch koordiniert betrachtet werden. Wohl aber sind jene einzelnen Krankheitsfälle für sich, jene einzelnen Eheschließungen als solche und jene einzelnen Konkurse als solche logisch koordi- nierte Gegenstände und zugleich auch statistische Massen. Alle Gegenstände dieser drei Massen lassen sich auch innerhalb ein und derselben Masse in bestimmter Hinsicht miteinander ver- gleichen. So lassen sich die Krankheitsfälle z. B. in solche mit und in solche ohne tödlichen Ausgang oder in Geschlechtskrank- heiten und andere Krankheiten einteilen. Die Eheschließungen lassen sich in solche, die auf Grund von Ziviltrauungen und in solche, die auf Grund von Zivil- und kirchlichen Trauungen er- folgten, einteilen usw. Die Gegenstände der statistischen Massen können teils in quali- tativer, teils in quantitativer Weise miteinander verglichen werden. Bei den eben angeführten Beispielen handelt es sich um Massen, deren Gegenstände kaum anders als in qualitativer Weise mit- einander verglichen werden können. Zu einer solchen Masse ge- langen wir auch, wenn wir eine statistische Masse dadurch bilden, daß wir das Geschlecht der Geburten, wie sie der Reihe nach auf einem Standesamt angemeldet werden, anschreiben. Die so ge- wonnene Masse sei unter der Voraussetzung, daß wir mit m(ascu- liiniin; die männlichen, mit f(emininum) die weiblichen Geburten bezeichnen, folgende: DD in f in f in f f i' in in in in f m f in m f f . . . •224 12. Zur logischen Analyse des Wir können dann die einzelnen Geburten in männliche und weibliche einteilen, sie also hinsichtlich ihres Geschlechtscharakters miteinander vergleichen. Um Gegenstände einer statistischen Masse, die in quantitativer Hinsicht miteinander verglichen werden können, handelt es sich z. B., wenn die Gegenstände Zahlen sind, wie das z. B. bei den Beobachtungsfehlern der Fall ist, oder wenn sie Längen sind, wie bei den Messungen der Körperlängen der Rekruten, oder wenn sie Gewichte sind, wie bei der Prüfung der Gewichte der neu- geborenen Kinder. Wir sagten: Eine statistische Masse besteht aus vielen logisch koordinierten Gegenständen, die in einer bestimmten Richtung miteinander verglichen werden können. Wir sahen, daß die Ver- gleichsrichtung qualitativer oder quantitativer Natur sein kann. Diese Bemerkungen bedürfen noch der Ergänzung. Zunächst sei noch betont, daß innerhalb ein und derselben statistischen Betrachtung die Gegenstände der statistischen Masse zwar sicherlich immer nur in ein und derselben Hinsicht mit- einander verglichen werden, daß aber ganz abgesehen von der Statistik alle Gegenstände überhaupt in den verschiedensten Richtungen miteinander vergleichbar sind und daß auch die Gegen- stände, aus denen die statistischen Massen bestehen, in einer statistischen Untersuchung in dieser, in einer anderen in jener Richtung miteinander verglichen werden können. So können die Neugeborenen in Deutschland hinsichtlich ihres Geschlechtes, ihres Gewichtes, ihrer Körperlänge usw. miteinander verglichen werden, woraus dann jeweils verschiedene statistische Untersuchungen er- wachsen. Dann muß erwähnt werden, daß die koordinierten Gegen- stände einer statistischen Masse; immer in eine Anzahl von koordi- nierten Klassen fallen müssen. Nur wo so eine klassenmäßige Einteilung der Gegenstände praktisch durchführbar ist, kann praktisch von einer statistischen Masse gesprochen werden. Die Einordnung der Gegenstände einer statistischen Masse in koordinierte Klassen von Gegenständen findet immer auf Grund GHeiehförmigkeite- und dos Massenbepifies. 22f> der Merkmale der einzelnen Gegenstände statt. Ob wir die Ge- ■'on dos Jahres L900 in Deutschland in die Klassen der mann- Beben nn.l weiblichen Geburten einteilen, ob wir die Blätter einer bestimmten Pflanze unter <_:v\vissr Größenklassen subsumieren, ob wir die Silben eine.- statistisch zu untersuchenden Prosatextes in betonte und unbetonte einteilen, — immer teilen wir die Gegen- stande der statistischen Masse den einzelnen Klassen auf Grund von Merkmalen bu, die den ( iegenständen selbst angehören. Je nach- m wir di- Gi _ i ist ände der statistischen Masse in quantitativer oder in qualitativer Hinsicht miteinander vergleichen, sind diese in in Sinne kritischen Merkmale quantitative oder qualitative. Hie für die fragliche Einteilung der Gegenstände der statisti- Bchen Masse kritischen oder entscheidenden Merkmale sind z. B. quantitative, wenn wir die Neugeborenen nach dem Gewicht einteilen, sie sind qualitative, wenn wir sie nach dem Geschlecht einteilen. Werden die Gegenstände einer statistischen Masse in quanti- tativer Hinsicht miteinander verglichen, und findet also die Ein- ordnung der Gegenstände in verschiedene koordinierte Klassen I irund quantitativer Merkmale der Gegenstände statt, so ist zweierlei möglich. Entweder können in die koordinierten Klassen immer nur Gegenstände fallen, die wechselseitig betrachtet ein und dasselbe oder nur eine bestimmte Anzahl von quantitativen Merkmalen zeigen. Oder aber es können in die koordinierten Klassen Gegenstände mit beliebig vielen, ja (falls es sich um un- ilich viele Gegenstände handelt) mit unendlich vielen quanti- tetig veränderlichen Merkmalen fallen. Bezeichnet man einzelnen Gegenwinde einer statistischen Masse als Varianten, nn man Bagen: die möglichen Varianten einer Klasse und die möglichen Varianten überhaupt stellen im ersten Fall eine skrete, im zweiten Fall eine kontinuierliche Reihe von Gegen- taden dar 1 ). Bnden behandelt dieses Problem W. Johannsen, Elemente dei d Erbliehkeitalehre. 2. Aufl. Jena 1913. S. 11 ff. Dieses Buch - im I: einei Orientierung über prinzipielle theoretische - •tti-tik lehi lesenswert. Marbe, Die OleichforrniKkeit in der Welt. 15 226 12. Zur logischen Analyse des Um diskrete Varianten handelt es sich z. B., wenn wir die Jahreszahlen der hente im Umlauf befindlichen Münzen in Deutsch- land feststellen. Wir können dann die Jahreszahlen der einzelnen Münzen in bestimmte Klassen einteilen, z. B. in solche mit der Jahreszahl 1916, in solche mit der Jahreszahl 1915, 1914, 1913, 1912. . . Es fallen dann in jede Klasse nur Gegenstände, die ein und dasselbe quantitative Merkmal haben. Um diskrete Varianten handelt es sich auch, wenn wir die Jahreszahlen der einzelnen Münzen in solche, die ins letzte, vorletzte, drittletzte . . . Dezennium fallen, einteilen. Hier können die Gegenstände einer Klasse eine be- stimmte Anzahl von quantitativen Merkmalen aufweisen. Analog verhält es sich bei vielen Zählungen der sogenannten Variations- statistik 1 ). In diesem Gebiet, sowie auch in vielen anderen sta- tistischen Gebieten handelt es sich aber auch vielfach um kon- tinuierliche Varianten, so z. B. wenn wir die mittleren Jahres- temperaturen in Deutschland für eine große Anzahl von Jahren untersuchen. Hier gelangen wir zu Varianten, nämlich zu Zahlen, die mannigfaltig variieren können , aber die doch , je nachdem sie in bestimmte Spielräume fallen, in bestimmte Größenklassen hineinfallen. Ebenso handelt es sich um kontinuierliche Varianten, wenn man etwa die Länge einer großen Anzahl von Feuerbohnen bestimmt und zu folgendem Resultat gelangt 2 ): Zwischen 17 und 18 mm liegen 3 Stück >> 18 >> 19 >> 5 > 7 „ >> 19 »» 20 »> >> 21 „ *• 20 » » 21 »» ,, 23 „ > J 21 5> 22 >> >> 53 „ 1 » 22 J» 23 »> >> 69 „ 1 ) Zur Orientierung über das Wesen der Variationsstatistik vgl. das in der vorigen Anmerkung erwähnte Buch von Johannsen. Ferner: I I\ Lotsy, Vorlesungen über Deszendenzt lieorien. 2 Bände. Jena 1906 bis 1908. Et. G-oldschmidt, Einführung in die Vererl Hilfswissenschaft. 2. Aufl. Leipzig 1913. E. Baur, Einführung in die experimentelle Vererbungslehre. 2. Aufl. Berlin 1914. c. B. Davenport, Statistical Methode with Special Referenee to Biologioal Variation. .'}. Aufl. New York 1914. E. L. Thorn- dike, An IntroductioB t<> ili<- Theory <>r Mental and Social Measurements. New York 1904. -) Das Beispiel ist entnommen aus \V. Johannsen, a.a.O. S. 13 f. Gleichförmigkeite- und des Iffaasenbeffriffes. 227 Zwischen 29 und 24 nun liegen 86 stück 24 .. 26 . • i 76 26 .. 26 . , ,, 72 26 .. 27 . » . « 56 27 ., 28 , < . f 39 28 M 29 . i 25 29 .. 30 . . ii 21 30 .. 31 , » • • 4 31 .. 32 , > 4 32 „ 33 . » " 1 Um diskrete Varianten handelt es sich wieder, wenn die Aus- Bcheidnng der einseinen Fälle und die Statuierung von Klassen einseinen Gegenstände lediglich nach qualitativen Gesichts- punkten stattfindet, wenn wir also z. B. eine große Anzahl von borten vor uns haben, die wir in männliche und weibliche oder, wenn wir eine große Anzahl von Substantiven der deutschen Sprache betrachten, die wir in männliche, weibliche und sächliche einteilen. Je nachdem die möglichen Gegenstände einer statistischen • ine diskrete oder eine kontinuierliche Reihe von Gegen- aden darstellen, kann man sie demnach als diskrete oder als kontinuierliche Varianten (Klassenvarianten) bezeichnen. Je nach- dem es -ich um diskrete oder um Klassenvarianten handelt, kann man zwei verschiedene Arten von statistischen Massen unter- eiden. 1 >ie Gegenstände der statistischen Reihen, die in der Variations- •i-tik oft Varianten genannt werden, heißen vielfach auch In- dividuen. Doch ist es an sich keineswegs notwendig, daß sie wirk- lich»- Individuen im üblichen Sinne des Wortes sind. Eine statistische Mas.-«- kann auch in einer großen Anzahl von Gegenständen bestehen, nieder aus mehreren Individuen bestehen, wie sich dies BChon aas unserer obigen Lehre von der Masse und den Teilmassen ibt. Auch wird man den Ausdruck Individuum zwar gern in auf einzelne Tiere und Pflanzen oder in Beziehung auf Blätter, Früchte u. dgl. anwenden, nicht aber auf Regenhöhen, durch- inittüche Jahrestemperaturen, Getreidepreise, Diebstähle usw. J doch Bind auch solche Objekte Gegenstände statistischer Noch harter erscheint die Anwendung des Wortes In- 15* 228 12. Zur logischen Analyse des dividuum, wenn wir mit demselben nicht nur die Gegenstände der statistischen Massen, sondern auch alle Gegenstände beliebiger Massen überhaupt bezeichnen. Wir können eine Masse auch als einen Kollektivgegenstand bezeichnen. Schon früher sahen wir, daß das Gesamtbewußtsein, der Gesamtgeist und sinnverwandte Termini der Völkerpsychologie sprachliche Ausdrücke für Kollektivgegenstände seien. Auch die Körperschaft im juristischen Sinne ist, wie aus den Bemerkungen am Schluß des siebenten Kapitels folgt, ein Kollektivgegenstand. Alle Mehrheiten oder Vielheiten von Gegenständen überhaupt werden zu einer Masse oder einem Kollektivgegenstand, sofern wir sie als ein Ganzes betrachten. Unsere Begriffsbildung ist es somit, die aus einzelnen Gegenständen Massen oder Kollektiv- gegenstände schafft. Daß man freilich die Massen und somit auch die Kollektivgegenstände in unnatürliche und natürliche einteilen kann, und daß die psychische Tatsache der Gestaltqualität für uns bestim- mend sein kann, Gegenstände zu einer Masse und somit zu einem Kol- lektivgegenstand zusammenzufassen , wurde schon oben angedeutet. Wenn man indessen in der Statistik und der Mathematik von Kollektivgegenständen redet, so hat man in der Regel nur Kollektivgegenstände im engeren Sinn, d. h. statistische Massen im Auge. In diesem Sinne sagt Czuber 1 ): ,,Eine Menge von gleich- artigen Objekten, die in bezug auf ein veränderliches, zahlenmäßig darstellbares Material geordnet werden können, bezeichnet man als einen Kollektivgegenstand." Hierbei ist übrigens zu bemerken, daß Czuber unter zahlenmäßig darstellbaren Merkmalen keines- wegs nur quantitative Merkmale versteht, sondern auch qualitative, sofern ihr Vorhandensein oder Fehlen bei den einzelnen Gegen- s1 ariden der Masse abgezählt werden kann, wie dies z. B. bei den Ziehungen aus einer Urne mit weißen und schwarzen Kugeln oder bei den männlichen und weiblichen Geburten der Fall ist. Die einzelnen Gegenstände, aus denen der Kollektivgegenstand besteht, x ) E. Czuber, Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Anwendung auf Pehlerauegleichung, Statistik und Lebensversicherung. .'!. Aufl. Bd. 1. Leipzig und Berlin. 1914. S. 387. Grleichförmigkeit8' und des Ifa&senbegriifes. 229 hnel man auch als Exemplare 1 ). Die Kollektivmaßlehre 8 ) ist <lio Wissenschaft von den Methoden der mathematischen Unter- suchung der Kollektivgegenstande Im engeren Sinn. Wir gingen in diesem Kapitel vom Gleichförmigkeit sbegri ff - uml worden durch ihn auf die Theorie der Massen and speziell der statistischen Massen geführt. Es liegt nun nahe, noch einmal zum ( rleichfönnigkeitshegriff zurückzukehren. Denn offenbar zeigen alle < •< genstände statistischer Massen überhaupt insofern eine große ichförmigkeit, als sie immer eine große Anzahl gleicher oder ähnlicher Merkmale aufweisen. Mögen wir die Jahreszahlen der Münzen, die Länge von Feuerbohnen, die männlichen und weib- liehen Geburten oder irgendwelche andere Gegenstände zu einer kistischen Masse vereinigen, immer handelt es sich um Gegen - ::<le. die in den verschiedensten Richtungen mehr oder weniger n anstimmen. Auch alle jene Massen, auf welche die mit der Kollektivmaßlehre eng zusammenhängende Wahrscheinlichkeits- a posteriori Anwendung findet, bestehen aus partiell r ül »ereinstimmenden Gegenständen. Wir können daher wohl • ii. daß die Möglichkeit statistischer Massen und aposteriorischer hr-cheinliehkeitsbetrachtungen wesentlich mit der Gleichförmig- keit der Gegenstände der Massen bzw. der Objekte der Wahr- scheinlichkeitsrechnung a posteriori zusammenhängt 3 ). l ) v - Gr. Th. Fechner, Kollektivmaßlehre. Herausgegeben von i Lipps. Leipzig 1897. S. 3 ff . E. Czuber, a.a.O. S. 387. *) ■. Th. Fechner, a.a.O., E. Czuber, a.a.O. S. 386 ff . EL Bruns. Wahrscheinlichkeitsrechnung und Kollektivmaßlehre. Leipzig und Berlin 1906. B. 96 ii. ]'»• i im--* ich logischen Ausführungen über den Gleichförmigkeits- und ÜMMobegriff gingen wir, wie man sieht, vielfach eigene Wege, ohne ilb freilich eine wesentliche Originalität in diesem Gebiet in Anspruch nahmen dürften. Zur Lehre von der Masse findet man (abge- sehen ron in diesem Kapitel bereits zitierten Büchern) Einschlägiges teils in bgfcehen Werken </.. B. bei Ch. Sigwart, Logik. 4. Aufl. Bd. 2. Tübingen IM ■ • I • ■ tu. 71« ff.), teile in den Werken zur Theorie der Statistik i. G. 1 dnj Vn|. . An Introduction to the Theory of Statistics. '■ ;iii - Umdon 1912). Andere einschlägige Literatur wird im folgenden pitel und im weiteren VWlaui'«- des Buches zitiert. Dreizehntes Kapitel. Die Beziehungen der Gleichförmigkeit zur Begriffs- bildung, Induktion und Statistik. Schon am Schluß des zweiten Kapitels wurde betont, daß die Gleichförmigkeit eine wesentliche Grundlage der Begriffs- bildung, der Induktion und des logischen Denkens überhaupt sei. In der Tat beruhen alle Begriffe, die wir bilden, abgesehen von den sogenannten Individualbegriffen, auf der Gleichförmigkeit der Gegenstände. Ob wir den Begriff des Berges, des Dreiecks, der Zoologie oder der Tugend bilden, immer fassen wir im Umfang dieser Begriffe gleichförmige Gegenstände zusammen. Auch wenn wir z. B. den Begriff der Renaissance bilden, so meinen wir damit nicht nur einen bestimmten Zeitabschnitt, sondern eine große Anzahl von Kulturerscheinungen und menschlichen Bestrebungen, die durch eine gewisse Gleichförmigkeit des Verhaltens charakte- risiert sind. Ja selbst wenn wir vom Altertum reden, so meinen wir nicht nur eine bestimmte Epoche der Geschichte, sondern eine Fülle von Ereignissen, die einander vielfach durch gleich- förmige Züge nahestehen. Unter Gegenständen verstehen wir alles und jegliches, was überhaupt bezeichnet, ja überhaupt gemeint sein kann. Die Gleich- förmigkeit erstreckt sich nun nicht nur auf Gegenstände der sicht- baren Welt, sondern auch auf Gegenstände wie geometrische Figuren, Zahlen und Begriffe überhaupt, sie erstreckt sich also auch auf die Gegenstände des Denkens im weitesten Sinne des Wortes. Auch Begriffe wie die des Dreiecks, der Zahl und des Begriffs überhaupt beruhen demnach auf der Gleichförmigkeit der Gegenstände, auf die sie sich beziehen. Man wird nun nicht fehlgehen, wenn man die Wurzel der Gleichförmigkeit der Gegen- stände im weitesten Sinne des Weites in der Gleichförmigkeit 13 Djc Beziehungen der GHeichi öimigkeit rar Begriffebildung uaw. 231 der ost&nde der Natur und Kultur erblickt and wenn man als primärste Gleichförmigkeit die der Natur in Anspruch nimmt. Mit der Bedeutung der Gleichförmigkeil für die Begriffs- bildung ist eigentlich die Bedeutung der Gleichförmigkeit i'ür das logische Penken sehon bewiesen. Die Wichtigkeit der Gleich- förmigkeit für das logische Denken zeigl sich aber auch, wenn wir die Induktion im Sinuc des induktiven Schlußverfahrens ins Auge jen. Immer wo wir einen Induktionsschluß machen, fassen wir zu- nächst gewisse gleichförmige Gegenstände (g v g 2 , . . . g n ) ins Auge, von denen wir dann der Reihe nach feststellen, daß sie ein bestimmtes Merkmal m haben. Beim sogenannten vollständigen Induktionsschluß wird dann hieraus der Satz abgeleitet, daß alle ins Auge gefaßten Gegenstände (g v g 2 , ... g n ) jenes gemeinsame Merkmal m aufweisen. Die Selbstverständlichkeit und heuristische Unfruchtbarkeit dieses von Aristoteles allein anerkannten in- duktiven Schlußverfahrens ist oft betont worden. Beim unvoll- adigen Induktionsverfahren wird daraus, daß g v g 2 , . . . g n das Merkmal m haben, geschlossen, daß allen g überhaupt, also allen gl» • • •» g n logisch koordinierten Gegenständen, das fragliche Merkmal m zukommt. Natürlich kann bei beiden Arten der In- duktion an Stelle des Merkmals m auch eine ganze Gruppe von Merkmalen (m lf m 2 , m 3 . . .) treten. Auch sind noch etwas andere D der Induktion möglich. Immer aber bezieht sich der In- duktioneschluß auf gleichförmige Gegenstände. Kr geht zunächst immer von gleichförmigen Gegenständen aus; bei der unvollständigen Induktion aber wird außerdem aus dem nisser Gegenstände auf das Verhalten anderer, diesen ordinierter und ihnen ähnlicher Gegenstände geschlossen. Auch die mit der unvollständigen Induktion verknüpfte Er- daß, wenn n logisch koordinierte Gegenstände ein be- Merkmal haben, auch die übrigen diesen n Gegenständen ordinierten Gegenstände dasselbe Merkmal haben, hängt mit der Gleichförmigkeit zusammen. Sie beruht auf der Ansicht von der tnigkeit des Seins und Geschehens in der Welt. Freilich 232 13. Die Beziehungen der Gleichförmigkeit trifft jene mit dem unvollständig-induktiven Verfahren verbundene Erwartung keineswegs allgemein zu. Die Erforschung der Be- dingungen, unter welchen sie zutrifft bzw. nicht zutrifft, die eng mit der Lehre von den negativen Instanzen zusammenhängt, bildet einen der wichtigsten Teile der Theorie der Induktion. Die Bedeutung der Gleichförmigkeit des Seins und Geschehens für die Induktion ist den Philosophen nicht entgangen. So wird sie ausführlich von John Stuart Mill 1 ) behandelt, der im Hin- blick auf die unvollständige Induktion sagt 2 ): Der Satz von der Gleichförmigkeit des Naturlaufs ist das Grundprinzip oder Haupt- axiom der Induktion. B. Er d mann 3 ), der ebenso wie Mill die Lehre von der Induktion in engster Verbindung mit dem Kausal- problem behandelt, läßt die Induktion auf folgenden beiden Be- hauptungen beruhen: 1. Die gleichen Ursachen werden gegeben sein. 2. Die gleichen Ursachen bringen die gleichen Wirkungen hervor. Der erste Satz kann lediglich als ein Ausdruck für die Gleichförmig- keit der Gegenstände bezeichnet werden. Denn offenbar bezeichnet Erdmann mit gleichen Ursachen nicht nur absolut gleiche Gegen- stände, sondern auch ähnliche, die in kausaler Hinsicht absolut gleiche Wirksamkeit haben 4 ). Während wir nun beim Induktionsschluß aus einer Masse von einzelnen gleichförmigen Gegenständen auf gewisse Merkmale aller dieser Gegenstände oder (wie bei der unvollständigen Induktion) auf gewisse Merkmale derselben und aller anderen logisch koordi- nierten Gegenstände schließen, so leiten wir beim statistischen : ) J. Stuart Mill, System der deduktives und induktiven Logik. Bd. 1. 2. deutsche Aufl. (John Stuart Mill's Gesammelte Werke heraus- gegeben von Tb. G-omperz. Bd. 2). Leipzig 1884. S. 359 ff . sowie Bd. 2. 2. deutsche Aufl. Leipzig 1885. S. 1 ff . 2 ) .1. Stuart Mill, a.a.O. Bd. 1. S. 360. ■) B. Erdmann, Logik. Bd. I. Halle a. S. ls<>:>. S, 578. 4 ) Für die Einzelheiten der Leim- von der Induktion, die oben nur in großen Zügen skizziert werden konnte, muß auf die Lehrbücher der Logik verwiesen vrerden. Sehr geeignet zur kurzen Einführung ist das in voriger Anmerkung erwähnte Buch von B. Krdmann. S. 564 ff . zur Begriffebüdungi Induktion und Statistik. '2X1 - hluß au> den Merkmalen der gleichförmigen Gegenstände der •istischen Masse gewisse, auf Grand von Abzahlungen (freilich nicht nur auf Grond von Abzahlungen) gewonnene Masseninerkmale ab. Dies ist meiner Ansicht nach der wesentliche Unterschied sehen dem induktiven und dem statistischen Sehhißverfahren. - »wohl bei der Induktion als bei der Statistik handelt es sich immer um eine Masse gleichförmiger Gegenstände: Beim induktiven Verfahren wird aber immer auf gewisse Merkmale einzelner Gegenstände geschlossen, um wie viele einzelne Gegen- stände ee ach dabei auch handeln mag. Beim statistischen Schluß- vrifahivn wird dagegen immer auf Merkmale der Masse als solcher n. und zwar auf Grund von Abzahlungen, die sich auf die einzelnen Gegenstände der Masse beziehen. Ob wir aus einzelnen Daten das Geschlechtsverhältnis der Geborenen oder die durch- Bchnittliche Länge von Feuerbohnen oder die Jahresmittel für die Getreidepreise ableiten, ob wir etwa im Sinne der Lexisschen Untersuchungen feststellen, daß eine statistische Reihe normale oder übernormale oder unternormale Dispersion 1 ) zeigt, oder was für Schlüsse wir als Statistiker auch sonst ziehen mögen, immer leiten wir aus den einzelnen Gegenständen der Masse auf Grund von Abzahlungen Merkmale der Masse ab. Niemals aber, wo wir Induktionsschlüsse machen, schließen wir aus den einzelnen Gegen- ; den der Masse auf Massenmerkmale. Wer etwa sagen wollte, man schließe bei der Induktion z. B. den Merkmalen einzelner Gegenstände dann auf das Verhalten des Kollektivgegenstandes, dem sie zugehören, wenn man etwa I Mensch A ist sterblich, der Mensch B ist sterblich, . . . .; die Menschheit überhaupt sterblich, würde weit fehlgreifen. ii in einem solchen Schluß darf der Ausdruck die Menschheit [glich als Zeichen für alle einzelnen Menschen aufgefaßt werden. ode man unter Menschen hier einen Kollektivgegenstand, die Menschheit überhaupt umfaßte, so wäre der Schluß geradezu M Dm Wichtigste ftber die von Lexis begründete Lehre von der Dis- bfl bei A. Kaufmann, Theorie und Methoden der Statistik. d 1913 9 ff. 234 13. Die Beziehungen der Gleichförmigkeit falsch. Denn aus der Sterblichkeit der einzelnen früheren, jetzigen und späteren Menschen folgt natürlich noch lange nicht die Sterb- lichkeit der Menschheit als Masse, der früheren, gleichzeitigen und künftigen Menschen. Wenn man z. B. in der Ethnologie aus dem Verhalten vieler Individuen auf das Verhalten des Volkes ,, schließt", so liegt gar kein Induktionsschluß vor, sondern eine Kennzeichnung der Masse des Volkes durch das Verhalten aller oder einzelner oder besonders wichtiger Glieder des Volkes. Beim Induktionsschluß schließen wir also niemals aus den einzelnen Gegenständen einer Masse auf das Verhalten der Masse als solcher. Beim statistischen Schluß oder, wie man dafür oft sagt, beim statistischen Verfahren schließen wir immer, und zwar auf Grund von Abzahlungen, auf das Verhalten der Masse. Hier- nach erscheint es unzulässig, die Statistik lediglich als eine besondere Art der Induktion zu betrachten. Nur wenn man den Begriff des induktiven Verfahrens so weit ausdehnt, daß man darunter alle Schlüsse versteht, die vom einzelnen ausgehen und zu Sätzen von größerer Tragweite fortschreiten, kann man das statistische Ver- fahren als einen Spezialfall der Induktion ansehen. Denn immer wird man Sätze, die sich auf eine Masse beziehen, als Sätze ansehen dürfen, die eine größere Tragweite haben als diejenigen, welche sich nur auf einzelne Gegenstände der Masse beziehen, und immer wird man auch den Satz ,,Alle g sind m" als einen Satz von größerer Tragweite ansehen dürfen als die einzelnen Sätze g x ist m, g 2 ist m . . . . Wir wollen die Induktion in dem weiten Sinn eines Schluß- verfahrens, das vom einzelnen ausgeht und zu Sätzen von all- gemeinerer Tragweite fortschreitet, als die Induktion im weiteren Sinne bezeichnen und ihr die oben zuerst behandelte Induktion als Induktion im engeren Sinne gegenüberstellen. Wir können dann das statistische Verfahren und das induktive Verfahren im engeren Sinne als logisch koordinierte Schlußweisen betrachten 1 ). 1 ) Daß das induktive Verfahren (im engeren Sinne) und das statistische wesentlich verschieden sind, wird, wenn auch von ganz anderen Gesichts- punkten aus, neuerdings besonder! von A. A. Tsohuprow (Jahrbuch für etzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, im Deutschen Koich. zur Begriffebildung, Induktion und Statistik. *_ > :i.» Der Qegensati swischen vollständiger und unvollständiger In- duktion im engeren Sinne kehrt nun bei der Statistik in analoger Weise wieder, so daß wir auch von einem vollständigen und einem unvollständigen statistischen Verfahren reden können. Beim vollständigen statistischen Verfahren gelangen wir zu Merkmalen einer statistischen Masse, die wir lediglich auf diejenige Statistische Masse beziehen, aus deren Gegenständen die Merkmale auf Grand von Abzahlungen erschlossen sind. Wenn wir also etwa ans einer großen Anzahl von Geburten ableiten, daß für dieselbe das Verhältnis der männlichen Geburten zu den weib- kchen 1 beträgt, so bewegen wir uns im Fahrwasser der voll- ständigen Statistik. Beim unvollständigen statistischen Verfahren dagegen schließen wir aus den Gegenständen einer Masse auf Merkmale, die wir nicht nur dieser Masse, sondern allen logisch koordinierten Massen bei- n. Dies ist z. B. der Fall, wenn wir für eine große Anzahl von 105 das Geschlechtsverhältnis -jqq ableiten, und we%m wir in dieses Geschlechtsverhältnis auch für andere Massen von < iebnrten in Anspruch nehmen. Freilich sind wir bei der Hand- habung des unvollständigen statistischen Verfahrens ebensosehr Irrtümern ausgesetzt wie bei der unvollständigen Induktion. Dies zeigt schon unser Beispiel, da nämlich, wie bekannt, das Geschlechts- lältnis in den einzelnen Ländern schwankt und auch ein etwas nohiedenee ist, je nachdem es sich um eheliche oder uneheliche trarten handelt. Wenn daher B. Erdmann die Schlußsätze unvollständigen Induktion als Wahrscheinlichkeitsaussagen be- . so darf man mit gleichem Recht auch die Ergebnisse des unvollständigen statistischen Verfahrens als bloße Wahrschein- KchkflitsarawageD in Ansprach nehmen. I Heft. >. l | ff.; Archiv für Sozialwinsenschaft und Sozial- j*oliT,k. P..i SS l 1.8 '147 ff. ) und A. Kaufmann (Theorie und Methoden •ik. Tübingen 1913. S. 140 ff.) betont. '; I'». Brd mann, a. a. 0. S. 583. 236 13. Die Beziehungen der Gleichförmigkeit Um unvollständige statistische Verfahrungsweisen handelt es sich übrigens immer auch dann, wenn wir aus einer Masse von einer bestimmten endlichen Anzahl von Gegenständen auf das Verhalten einer Masse von einer unbestimmten eventuell unendlichen Anzahl von Gegenständen schließen, wenn wir also z. B. aus einer zufällig zusammengefügten Anzahl von Menschen bzw. ihren Längenmaßen auf die Verteilung der Längenmaße gleichartiger Menschen überhaupt schließen. Die Statistik beschäftigt sich nun mit der Gewinnung stati- stischer Massen oder (vgl. Kapitel 12) mit der Gewinnung von Kollektivgegenständen im engeren Sinne des Wortes, mit der auf Abzahlungen gegründeten Ableitung von Merkmalen dieser Massen und mit der Würdigung dieser Merkmale. Die Methoden zur Ableitung dieser Merkmale (diese Methoden werden, wie wir schon andeuteten, keineswegs durch die bloßen Abzahlungen er- schöpft) lehrt die Kollektivmaßlehre, als deren Hilfswissenschaft die Wahrscheinlichkeitsrechnung angesehen werden darf. Die Statistik erstreckt sich somit auf die verschiedensten Gebiete, nämlich auf alle jene Wissensgebiete, in denen es gelingt, statistische Massen zusammenzustellen. In der Nationalökonomie, in der Ethik und in der Kriminalwissenschaft, in der Philologie und Sprachwissenschaft, in der Biologie, bei der Bearbeitung von Ergebnissen des Experiments und in zahlreichen anderen «Gebieten findet die Statistik Anwendung 1 ). l ) Der Ausdruck Statistik bedeutete ursprünglich so viel als die Lehre vom Zustand der Staaten. (Vgl. hierüber z.B. C. Ballod, Grundriß der Statistik enthaltend Bevölkerungs-, Wirtschafts-, Finanz- und Handels- Statistik. Berlin 1913. 8. 1. Manche Autoren gebrauchen den Begriff Statistik ungefähr im gleiches Sinne wie den der Wahrscheinlichkeits- betraohtung. So J. Cl. Maxwell. Cambridge Philosophical So ciety's Trans - actione 12. (3). 1879. S. r,47 ff. 1879. Abgedruckt in The Seien tif ics Papers of James Clerk Maxwell, edited by W. D. Niven. Bd. 2. Cambridge 1890. S. 71'MI. Vgl, hierzu L. Boltzmann, Beiblatter zu den Annalen der Physik und Chemie. Bd. 5. L881. S. 408£f. (Bei Boltzmann, a.a.O. S. 40.'} befindet sieh ein irrel'iih icnder Druckfehler. Ks muß in der Über- schrift nicht 13, sondern 12 heißen.) Siehe ferner J. W. Gibbs, Elementare Grundlagen derstal i-1 i-ehen .Mechanik. Deutseh bearbeitet von K.Zermelo. Begriffsbüdung, Induktion und Statistik. 237 I>io Ansieht von 11. WOltt' 1 ). die induktive Methode baue b auf dem Experiment auf, die statistische Methode aber beruhe teilweise auf dem [Jmstand, daß ee viele Dinge gibt, die das Ex- rimeni nicht lulassen, Isl hiernach nicht haltbar. So wichtig »lio Theorie der Induktion für das tiefere Verständnis des E\- riments sicherlich ist, so findet das induktive Verfahren doch in unzähligen Fällen Anwendung, wo das Experiment ganz außer raeht bleibt, während andererseits in vielen Fällen das Ex- perimenl und die Statistik in allerengste Fühlung miteinander treten. Dies ist überall da der Fall, wo wir zu einer statistischen genstände vereinigen, die auf Grund des Experiments gi wonnen wurden. Solche Gegenstände sind z. B. die tatsächlichen obachtungsfehler, die wir während einer Versuchsreihe machen, c eine große Anzahl von physikalischen Beobachtungen, deren arithmetisches Mittel wir feststellen usw. Da wir solche Gegen- nz analog behandeln können und vielfach behandeln, z. B. eine Masse von Lebensmittelpreisen oder von Varianten Varia tionsstatistik, so ist nicht abzusehen, warum eine solche ilnng nicht als statistische angesehen werden soll. Der vielseitige wissenschaftliche und praktische Wert der ik kann natürlich in diesem Buche nicht behandelt werden. El sei nur bemerkt, daß eine wichtige Aufgabe der Statistik auch :i besteht, die Bedingungen, oder wie man gewöhnlich sagt, I reachen des Verhaltens verschiedener statistischer Massen zu ergründen. Diese Aufgabe fällt in den Rahmen dessen, was als Würdigung der Massenmerkmale bezeichneten. nun auch die Gegenstände statistischer Massen gleich - 1 • anstände sind, wurde schon im letzten Kapitel betont. W. Wien. Ziele und Methoden der theoretischen Physik. : Bektoratsrede. L914. 8. L5 ff. — Sehr häufig wird das Wort im sinn«- von sozialer Meßkunsl gebraucht. Vgl. A. Kaufmann, Theorie und Methoden der Statistik. Tübingen 1913. S. l. II. Wollt, Dk Statistik in dei Wissenschaft. (Die Statistik in 'I aach ihrem heutigen stand. Ehrengabe für G. v. Mayr. H« eben von F. Zahn. München und Berlin 1911. Bd. 1.) S. 67 f. 238 13. Die Beziehungen der Gleichförmigkeit zur Statistik. Auch wenn wir in der Statistik nach Analogie der unvollständigen Induktion von den Merkmalen einer oder mehrerer gegebenen Massen auf Merkmale logisch koordinierter Massen schließen, schließen wir von gegebenen Massen aus auf mit diesen gleich- förmige Massen. Zwischen Statistik und Gleichförmigkeit besteht aber auch noch eine andere wichtige Beziehung. Es wird sich näm- lich im weiteren Verlaufe dieses Buches zeigen, daß viele statistische Massen eine viel größere Gleichförmigkeit ihrer Teilmassen auf- weisen, als auf Grund der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwartet werden müßte. Dies ergibt sich ohne weiteres aus un- seren späteren Darlegungen über den statistischen Ausgleich und die Prävalenz der Normalgruppen. Die an der Hand vieler Tabellen zu diskutierende Tatsache des statistischen Ausgleichs und die mit ihr zusammenhängende Tatsache der Prävalenz der Normalgruppen gehören zu den inter- essantesten Erscheinungen der Gleichförmigkeit. Vierzeh utea Kapitel. Zur Übereinstimmung zwischen Wahrscheinlich- keitsrechnung und Erfahrung, - hon im elfton Kapitel wurde auf empirische Untersuchungen hingewiesen, aus denen hervorgeht, daß die variablen onmittel- n Bedingungen bei den Glücksspielen indifferent sind. Auch war dorl von anderen empirischen Untersuchungen die Rede, die eine größere oder geringere Übereinstimmung der Ergebnisse der apriorischen Wahrscheinlichkeitsansätze mit der Erfahrung be- kunden, wenn auch betont werden mußte, daß diese Überein- stimmung meistens fehlt und daß daher die Wahrscheinlichkeits- rechnung a priori nur einen sehr dürftigen Wert hat. Auch noch Untersuchungen zur Übereinstimmung von Wahrschein- lichkeitsrechnung und Erfahrung liegen vor. hat Lezis speziell die Dispersion gewisser Ergebnisse der rölkerungsstatistik mit der im Sinne der Wahrscheinlichkeits- hnung zu erwartenden Dispersion verglichen. Er hat für 24 Monate und iür 84 preußische Bezirke die Anzahl z der auf je 1000 Mädchen- arten füllenden Knabengeburten bestimmt 1 ) , wodurch er zu \ =) 816 z-Werten gelangte. Diese 816 Zahlen stimmen ernd mit denjenigen 816 Zahlen überein, die man nach der WahrscheinUchkeitsrechnnng erhalten würde, ,,wenn man aus einer die schwarze und weiße Kugeln im Verhältnis von 1063 zu 1000 tut hielte, je 24 mal so viel Züge täte (mit jedesmaliger Zu- rücklegung der gezogenen Kugel), als die durchschnittliche monat- lich irtenzahl der einzelnen Bezirke beträgt, und wenn man alsdann die X;tlil der in jeder Versuchsreihe gezogenen schwarzen d durch die zugehörige Zahl der weißen dividierte und den Brach mit 1000 multiplizierte" 8 ). 1 ; W. \.' Lbhandlungen zur Theorie <l<-r Bevölkerung»- und Mor.»l-T,»ti-nk Jena 1908. S. 138 ff. 2 j W J.< %, 0. B. 164. 240 14. Zur Übereinstimmung zwischen Zahlen wie diese z- Werte heißen typische Reihen. Bezeichnet man die Abweichungen der einzelnen z- Werte vom Mittelwert als ihre Dispersion, so kann man auch die Dispersion dieser z-Werte eine normale nennen. Die Abweichungen vom Mittelwert ent- sprechen bei den typischen Reihen oder denjenigen, welche normale Dispersion aufweisen, denjenigen Abweichungen, die (im Sinne der Gau ß sehen Fehlertheorie) die zufälligen Fehler von ihrem Mittelwert zeigen. Auch einige andere Gegenstände der volks- wirtschaftlichen Statistik zeigen normale Dispersion und daher Übereinstimmung mit den nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu erwartenden Werten. Haben die Einzelwerte eine größere Abweichung vom Mittelwert, als man nach der Wahrscheinlichkeits- rechnung erwarten sollte, so weisen sie eine ,, übernormale", haben sie eine kleinere, so weisen sie eine ,, unternormale Dispersion" auf. Sehr viele Untersuchungen der volkswirtschaftlichen Statistik führen auf übernormale Dispersionen, während unternormale meines Wissens bisher nicht nachgewiesen wurden 1 ). Im vorliegenden Kapitel soll nun gleichfalls im Gebiet der Knaben- und Mädchengeburten die Übereinstimmung der Wahr- scheinlichkeitsrechnung mit der Erfahrung in einer bestimmten Richtung nachgewiesen werden. Meine Untersuchung ist jedoch ganz anderer Art als die erwähnte von Lexis. Ich ließ die 49 152 ersten Geburten zu Protokoll nehmen, die seit der Errichtung des Würzburger Standesamtes (1876) in den Büchern des Standesamtes aufgezeichnet sind. Jede männliche Geburt wurde mit m, jede weibliche mit f bezeichnet. Je zwölf aufeinanderfolgende Geburten mußten in eine Zeile geschrieben 49 152 werden. So ergaben sich ' ,. } -■ = 4096 Zeilen oder Komplexionen (Gruppen) zu 12. Ob eine Geburt gegenüber den unmittelbar vorher notierten Geburten in ein neues Jahr oder in einen neuen *) V#I. hierzu A. Kaufmann, Theorie und Methoden der Statistik. Tübingen 1913. S. 90f. ttber „Stabilität", „typische Reihe", „normale Dispersion" usw. vgh W. Lexis, Zur Theorie der Massenerschoinungen in der menschlichen < >< » llschaft. Freiburg i. Ii. 1877 und A. Kaufmann, a. a. 0. B. 68 ff. Walirsi'lu'inlii-hkt'itsivchnunu und Erfahrung. 241 Band der StandesregiBter fiel, trat daher in der Zeilenfolge nicht. in die Erscheinung ; jede Geburl war anbekümmert am Jahr und od mit dem Zeichen m oder E anmittelbar rechts vunder vorher- gehenden Geburt zu protokollieren und nur bei der dreizehnten, innfundzwanziiisten. Biebenunddreißigsten Geburi usw. durfte mit einer neuen Zeile begonnen werden. Hinter jeder der zwölf Zeichen enthaltenden Zeilen wurde indessen das Jahr and der Band ver- merkt, dem die in der Zeile notierten Geburten angehörten, sowie auch die Seite des Bandes, auf welcher die letzte der Zeile angehörige 'iirt verzeichnet war. Wechselten Band und Jahr, so wurde - durch einen vor der ersten Geburt des folgenden Bandes bzw. Jahres eingefügten Vertikalstrich angedeutet. Diese Maßnahmen n, die einander entsprechenden Stellen der Bücher des ulesamts und meiner Protokolle jeweils leicht zu finden, wo- durch Stichproben zur Prüfung der richtigen Protokollierung er- m< wurden. So ergab sich ein Buch von ziemlichem Umfang, das wir Würzburger Material nennen können. Ich lasse einige Zeilen diesem Material folgen. Jahr Band Seite 111 Ml 111 l m m f m f m f f 1876 1 13 f f m f f f f f f f m m ■» ?? 25 "> f f m ffmmmfmm „ 2 411 l f f in in f f m m m m f 1900 4 1204 6 Komplexionen unseres Würzburger Materials haben, mitgeteilten Proben sehen und wie jeder auf Grund tarer Kenntnisse im Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnung Statistik von vornherein erwartet haben wird, ein sehr ver- heil : ede haben sehr verschiedene Formen. Nach WahndieinlichkeitBrechnung kann ja auch eine aus 12 Ele- menten bestehende Gruppe oder Komplexion (wenn die Elemente ler m oder f oder teils m und teils f heißen) 2 12 (= 4096) unter sich verschiedene Formen annehmen. Sie kann nämlich lUrbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt. 16 242 14. Zur Übereinstimmung zwischen so viel Formen annehmen, als es Variationen der Elemente m, f zur zwölften Klasse mit Wiederholung gibt. Dies ist 2 12 = 4096. Die Gruppen unseres Würzburger Materials konnten also a priori 4096 verschiedene Formen haben. Ich habe nun für die 4096 Gruppen unseres Würzburger Mate- rials die mittlere Wechselzahl bestimmt. Was verstehen wir unter der W T echselzahl einer Gruppe? Wir bezeichnen als Wechselzahl einer unserer Komplexionen zu 12 diejenige Zahl, die angibt, wie oft im Laufe der Komplexion ein Wechsel zwischen m und f bzw. zwischen f und m stattfindet. Hiernach ist z. B. die Wechselzahl für mmmmmmmmmmmm gleich „ fmfmmmf ff fmf „ 6 Die Wechselzahlen schwanken, wie man leicht einsehen kann, für unsere Gruppen oder Komplexionen zwischen und 11; mehr als 11 Wechsel sind nicht möglich. Die mittlere Wechselzahl des Materials wurde nun so berechnet, daß für jede der 4096 Gruppen die Wechselzahl bestimmt wurde und daß dann das arithmetische Mittel aller dieser 4096 Wechsel- zahlen berechnet wurde. Als tatsächliche mittlere Wechselzahl er- gab sich: 5,518. Nun wurde andererseits die wahrscheinlichste mittlere Wechsel- zahl für die 4096 Gruppen unseres Materials bestimmt. Unter den 4096 möglichen Gruppenformen befinden sich allgemein 2 ( , -. J Komplexionen mit k — 1 Wechseln. Speziell sind unter den 4096 möglichen Komplexionen 2 Gruppen mit der Wechselzahl 110 „ „ ii „ 2 ) = .>•>() ,, ,, || || o ) GGO Wahnoheinliohkeitareohnung und Erfahrung. ■2 | " ) \)'24 GrappeD mit der WYrhsrlzahl 5 243 ■(•!! -\11 — -\12- ) = 924 = 660 = 330 - 110 )-" )= 2 6 7 8 9 10 11 Die mittlere Wechselzahl für die 4096 möglichen Gruppen- formen beträgt daher 2 • + 22 • 1 + 110 • 2 + 330 . 3 + 660 • 4 +924-5 4096 924- 6 + 660 • 7 + 330 • 8 + 110 • 9 + 22 • 10 + 211 5 Q() 4096 " ' Dieser Werl wäre zugleich der wahrscheinlichste Wert für die mittlere Wechselzahl aus den 4096 Gruppen unseres Würzburger als, wenn m und f gleiche Wahrscheinlichkeit hätten. Nun haben aber m und f wegen der größeren Häufigkeit der Knaben- geburten verschiedene Wahrscheinlichkeit. Infolgedessen gestaltet die Ableitung der wahrscheinlichsten mittleren Wechselzahl : Material etwas komplizierter. Ich lasse nun zunächst se Ableitung folgen, wiewohl sich zeigen wird, daß der Einfluß rechiedenen Wahrscheinlichkeit von m und f in unserem Fall Peinlichsten mittleren Wechselzahl führt, die von 10 nur ganz wenig differiert. I ntei unseren 49 152 Geburten befinden sich 25 120 männ- üche and 24082 weibliche. Die Wahrscheinlichkeit für m, also recheinhehkeit einer männlichen Geburt ist demnach 25 120 . . . 24032 ch 491501 die Wahrscheinlichkeit von f ist aq-\ k wollf-ii wir mit V. jene mit M bezeichnen. 16* Diese 244 14. Zur Übereinstimmung zwischen Unter den 4096 möglichen Gruppenforinen befinden sich dann 1 (eine) mit m und 12 f ; diese Gruppe hat die Wahrscheinlichkeit : M° F 12 M 1 F 11 M 2 F 10 M 3 F 9 M 4 F 8 M 5 F 7 M« F 6 M 7 F 5 M 8 F* M 9 F 3 M 10 F 2 M^F 1 M 12 F°. Jede einzelne der 4096 möglichen Gruppenformen hat nun eine bestimmte zwischen und 11 schwankende Wechselzahl. Auf Grund kombinatorischer Überlegungen oder auch bloßer Aus- zählung der 4096 möglichen Gruppenformen kann man dann feststellen, wie oft unter den Gruppen mit m und 12 f die Wechselzahl 0, 1, 2, 3 usf. vorkommt, >» >> »> >> ■*■ >) >j ■!• 1 >? >» >» >> v/» I, £) o ,, ,, >> >? 5> >> & >> j> AU ,, ,, ,, ,, U, 1, -. ö ,, ,, usf. Dies führt zu folgender Tabelle: 12 55 1 , »» 11 >> jede dieser Gruppen hat die 66 »5 2,. »> 10 55 > »> > > > ? >> 220 5» 3„ j> 9 55 > »? » > »? >> 495 55 4, >> 8 »» > ?> » 55 55 792 55 5, >> 7 55 » >> > 5 »• 55 924 >» 6 , ;> 6 >» > >> > 5 55 55 792 5> 7 , >» 5 5> > »» » > »5 55 495 55 8 , 55 4 55 » >» > 5 55 »5 220 55 9 , » »5 3 55 > > ? » 5 55 55 66 >5 10 „ j> 2 »» > >> ? 5 »5 »5 12 »5 11 , >> 1 »J » »> > > 55 55 1 (eine) 5J 12, »> >» diese Gruppe ,, ,, um ber den pen mit findet sich die Wechselzahl Grup 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 m und 12 f 1 Omal 1 „ >> 11 „ 2 10 „ 2 „ 55 10 „ 2 10 18 36 „ 3 „ 55 9 „ 2 10 32 64 56 56 „ 4 „ 55 8 „ 2 10 42 84 126 126 70 35 „ 5 „ 5) 7 „ 2 10 48 96 180 180 160 80 30 6 „ 6 „ 55 6 „ 2 10 50 100 200 200 200 100 50 10 2 „ 7 „ 55 5 „ 2 10 48 96 180 180 160 80 30 6 „ 8 „ 55 4 „ 2 10 42 84 126 126 70 35 „ 9 „ 55 3 „ 2 10 32 64 56 56 o „ 10 „ 55 2 „ 2 10 18 36 h 11 n 55 1 „ 2 10 o „ 12 „ 55 „ 1 o „ WahreoheinliohkeitsreohnTinfl und Erfahrung, 245 Tabelle seigi uns ohne weiteres, wie viele Wechsel auf ( kuppen mit 1» in un (1 1 2 l l «« 11 .. ■_> ii 10 II u>\\ . lall' Efi ergi »ben sich tili die 1 Gruppen mit 11! und 12 f: Wechsel ,, ., L2 •• >> 1 55 55 11 , 22 66 n ii 2 55 11 10 , , 220 .. 220 .. ii 3 55 55 9 , 990 M ., 496 •• n 4 n 55 8 , 2640 •• .. 792 n n 5 •i 11 7 , 4620 924 •• 55 6 55 55 6 , 5544 ., .. 792 ii 5» 7 55 11 .1 , 4620 ., .. 495 •• 55 8 55 55 4 , 2640 .. 220 ii 55 9 55 55 3 , 990 •• n 66 »j 55 10 55 55 2 , 220 •• •• n 5» 12 1 55 55 55 11 12 55 55 55 55 1 22 Die wahrscheinlichste mittlere Wechselzahl beträgt demnach: • M°F 12 + 22 • M x F n + 220 • M 2 F 10 + 990 • M 3 F 9 + 2640 • M 4 F 8 MftO. M'l" + 5544 • M«F 6 + 4620 • M 7 F 5 + 2640 . M 8 F 4 + 990 • M 9 F 3 + 220 • M 10 F 2 + 22 • M 1 ^ 1 + • M 12 F° = 5,497. Man sieht, daß die wahrscheinlichste und die tatsächliche h-elzahl bestens übereinstimmen. Jene beträgt 5,497; diese IS. Die Differenz ist gleich 0,021. Sie beträgt daher nur zirka tatsächlichen mittleren Wechselzahl (5,518). Xu demselben Resultat gelangt man nun, wenn man die mittlere Wechselsah] für die im Würzburger Material Omal, 1 mal und mehriiial vorkommenden möglichen Gruppenformen bestimmt. Um B Stimmung auszuführen, ordnete ich die 4096 möglichen [ppenformen lexikographisch an. Diese lexikographische An- ordmmg, auf die wir auch in den folgenden Kapiteln noch oft zurückkommen müssen, wollen wir als unser Lexikon bezeichnen. J 1 -e- Lexikon wurde -n angelegt, daß die Elemente m und f nicht ieü •• von links nach rechts, sondern in 12 Kolumnen von unten geschrieben wurden. 246 14. Zur Übereinstimmung zwischen Summe: 4096 In der 1. Kolumne wurden notiert : 2048 f , 2048 m >> 2 55 55 *>• 55 55 >5 1024 f, 1024 m, 1024 f, 1024 m 5» »» ■>•> o. 5» 55 5» 512 f, 512 m, 512 f, 512 m usw. 5» „ „ 12. 55 55 5» 1 f , Im, 1 f , Im usw. J> An den Anfang der 4096 Zeilen des Lexikons wurde die Ord- nungsnummer der Zeile geschrieben. Über die Gestalt des Lexikons gibt folgende Probe Auskunft. 1 f i f f f f f f f f f f 2 f f f f f f f f f f f m 3 f f f f f f f f f f m f 1625 f m m f f m f m m f f f 1626 f m m f f m f m m f f m 1627 f m m f f m f m m f m f 2047 f mmmmmmmmmm f 2048 f mmmmmmmmmmm 2049 m f f f f f f f f f f f 2469 m f f m m f m f f m f f 2470 m f f m m f m f f m f m 2471 m f f m m f m t f m m f 4094 mmmmmmmmmm f m 4095 mmmmmmmmmmm f 4096 mmmmmmmmmmmm Zwischen der Ordnungsnummer einer jeden Zeile oder Kom- plexion des Lexikons und der Komplexion selbst besteht nun eine sehr einfache Beziehung. Wir belegen die Zeichen (m bzw. f) der ersten Kolumne des Lexikons mit dem ,, Stellenwert" 2 n (=2048) die Buchstaben der 2. Kolumne erhalten den Stellenwert 2 10 ( = 1024) 3. 4. 5. 6. 7. 12. 2 9 (= 512) 2 8 (= 256) 2 7 (= 128) 2« (= 64) 2 5 (= 32) usw. 2° ( = 1) Wahrscheinlichkeitsrechnung und Erfahrung. 247 Dann erhält man für jede Komplexion die onlnungsnummer, wenn man für diese Komplexion die Summe der Stellenwerte form bildet and die Größe 1 hinzuaddiert. So ist z. B. die Ordnungs- Qommer der Gruppe f f m f m m f m f m f m gleich k 2 9 -f 2 7 & 2« + 2 1 + 2° + 1. das ist 726. Hiernach läßl sich für jede der 4096 Gruppen unseres Würz- burger Materials die Ordnungsnummer oder Ordnungszahl im Lexikon berechnen. Danach konnte für jede Gruppe des Materials sofort festgelegt werden, an welcher Stelle des Lexikons sie ver- eintet war. Diese Arbeit wurde für alle 4096 Gruppen des Mate- rials durchgeführt; auch wurde für jede Gruppe des Materials hinter derjenigen Gruppe des Lexikons, mit der sie übereinstimmte, «•in Vertikalstrich gemacht. Mit Hilfe des Lexikons und der hinter den einseinen Zeilen angebrachten Striche konnte dann für jede der 4096 Gruppen des Lexikons festgestellt werden, wie oft sie im Würzburger Material enthalten war. Diese Feststellungen führten zu folgender Tabelle: Von den 4096 Gruppen des Lexikons haben im Würzburger Material die Häufigkeit 1512 1 1474 2 786 3 258 4 54 5 12 Die Tabelle zeigt, daß in unserem Material eine sehr große iah] der 4096 möglichen Gruppen überhaupt nicht, andere einmal, andere öfter, manche sogar fünfmal vorkamen. Die durch unsere Tabelle dokumentierte, auf den ersten Anblick manchem Leser gewiß sehr auffällig erscheinende, bei näherem Eingehen Bache aber wohl verständliche Verteilung der Gruppen '!'•- M;it. -risil- auf die Gruppen des Lexikons kann erst später aus- führüch besprochen werden. Zunächst sollen nur die tatsächlichen ttieven Wechselzahlen für die Omal, lmal usw. vorkommenden Gruppenformen mitgeteilt und mit den wahrscheinlichsten mittleren Wechselzahlen verglichen werden. Die letzteren sind natürlich für alle diese Fraktionen dieselben wie die wahrscheinlichste mittlere 248 14. Zur Übereinstimmung zwischen Wechselzahl für die 4096 Gruppen des Materials zusammen; sie betragen also jeweils 5,497. Die tatsächliche mittlere Wechselzahl für die Gruppenformen von der Häufigkeit o beträgt 5,441 1 „ 5,568 2 „ 5,489 3 „ 5,531 4 „ , 5,352 5 „ 5,500 Wir sehen, daß in unserem Würzburger Material die wahr- scheinlichste mittlere Wechselzahl nicht nur im ganzen mit der tatsächlichen bestens übereinstimmt, sondern daß auch die Omal, 1 mal usw. vorkommenden Gruppenformen unseres Lexikons mittlere Wechselzahlen aufweisen, die von den wahrscheinlichsten und daher auch unter sich in keiner nennenswerten Weise diffe- rieren. Der durchschnittliche Fehler beträgt für die Zahlen der letzten Kolumne der vorigen Tabelle, wenn man die Anzahlen der mal, 1 mal usw. vorkommenden Gruppenformen berück- sichtigt, nur 0,052, d. i. nur zirka 0,9% des zugehörigen arith- metischen Mittels 5,501 x ). Der durchschnittliche Fehler (die sogenannte mittlere Variation der Psychologen) der Ergebnisse n v n 2 . . . . n k wird gewonnen, wenn man jedes dieser Ergebnisse von ihrem arithmetischen Mittel subtrahiert und aus den so gewonnenen Differenzen ohne Rück- sicht auf ihr Vorzeichen wiederum das arithmetische Mittel zieht. Hierbei wird indessen streng genommen vorausgesetzt, daß alle Werte von n (also n v n 2 usw.) unter sich gleichwertig sind. Trifft dies nicht zu, sind vielmehr, wie in unserem Fall, die Ergebnisse n l5 n 2 usw. aus verschieden viel Einzelergebnissen gewonnen, so ist für die Bildung des arithmetischen Mittels und des durch- schnittlichen Kehlers jedes der Ergebnisse n l5 n 2 usw. so oft ein- zusetzen, als die Zahl der Einzelergebnisse beträgt, aus denen es gewonnen wurde. Dies ist für unsere obigen Berechnungen a ) Daß (Jus Mittel 5,501 mit der tatsächlichen mittleren Wochsolzahl (5,518) aller 4096 Gruppen de« Material« nicht genau übereinstimmt, wird <lcn Sachverständigen Dicht überraschen. Wahrscheinlichkeitsrechnung und Erfahrung. 249 geschehen, da wir die Anzahl der Omni. 1 mal usw. vorkommenden nippen in Rücksicht sogen. Was lehren nun die Resultate dieses Kapitels weiterhin? Die Wechselsah] einer Komplexion steht in einer bestimmten Be- Behnng zur Anzahl der reinen Gruppen, aus welcher diese Kom- plexion besteht. Unter einer reinen Gruppe verstehen wir eine he. die aus Lauter gleichen Elementen besteht. Jede Gruppe von k — 1 Wechseln hat also k reine Gruppen, aus denen sie steht . oder k reine Teilgruppen. Wir können daher unsere tbnisse auch so formulieren: 1. Die durchschnittliche Anzahl derjenigen reinen Gruppen zu 1 bis 12, aus denen die Zwölfergruppen bestehen, entspricht der wahrscheinlichsten durchschnittlichen Anzahl. 2. Die bevorzugteren, die minder bevorzugten und die ganz ausbleibenden möglichen Gruppenformen zu 12 zeigen in Übereinstimmung mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung un- lähr die gleiche durchschnittliche Anzahl von reinen Teil- gruppen. Zwischen der Anzahl der reinen Gruppen, aus denen eine I truppe zu 12 besteht, und der mittleren Größe dieser reinen Gruppen besteht nun wiederum eine sehr einfache Beziehung. Wenn nämlich Gruppe aus k reinen Gruppen besteht, so ist die mittlere ße dieser reinen Gruppen (gemessen durch die mittlere Anzahl 12 i Klemente) -t-. Wir können daher unsere beiden letzten Re- sultate auch so formulieren: 1. Die durchschnittliche Größe der reinen Gruppen zu 1 bis 12, aus denen die Zwölfergruppen unseres Materials be- iien. entspricht der wahrscheinlichsten durchschnitt- lichen Größe. 2. Di«- bevorzugteren, minder bevorzugten und ganz aus- bleibenden möglichen (Jruppenformen zu 12 zeigen in Über- einstimmung mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung ungefähr die gleiche durchschnittliche Größe der reinen Teilgruppen. 250 14. Zur Übereinstimmung zw. Wahrseheinlichkeitsreehn. u. Erfahrung. Wir haben hiermit an einem neuen Beispiel die Überein- stimmung von Wahrscheinlichkeitsrechnung und Erfahrung nach- gewiesen. Die sechs Zahlen der zweiten Kolumne unserer letzten Tabelle unter dem Gesichtspunkt der Dispersion zu betrachten, ist allerdings nicht möglich. Wenn wir feststellen sollen, ob die Abweichungen von n Zahlen und ihrem Mittelwert normale Dis- persion aufweisen, so darf n nicht, wie in unserer Tabelle, gleich 6 sein, sondern es muß erheblich größer sein. Aber wir können allerdings unser Ergebnis (ebenso wie Lexis in den eingangs des Kapitels erwähnten Untersuchungen das seine) unter Anlehnung an die Glücksspiele formulieren und wir dürfen also sagen: Wenn wir 49 152 (= 4096 . 12) aufeinanderfolgende Geburten in Gruppen zu 12 einteilen und wenn wir dann die durchschnitt- liche Anzahl und Größe der reinen Gruppen feststellen, aus denen diese Zwölfergruppen bestehen, so gelangen wir annähernd zu denselben Resultaten, die wir nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung erhalten würden, wenn wir die gleichen Untersuchungen auf 49 152 aufeinanderfolgende Züge aus einer Urne mit schwarzen und weißen Kugeln erstrecken würden, wobei vorausgesetzt werden muß, daß jede Kugel nach jedem Zug in die Urne zurückgelegt wird, und daß das Mengenverhältnis der schwarzen und weißen Kugeln dem Geschlechtsverhältnis der Geborenen entspricht. Fünfzehntes Kapitel. Die Lehre vom statistischen Ausgleich. Wenn wir eine Münze so in die Höhe werfen, daß sie auf eine horizontale Fläche fällt, und wenn wir den Fall, daß die Münze auf ihrem Rande stehen bleibt, als ausgeschlossen betrachten, so sind nur zwei Ergebnisse möglich. Entweder liegt Wappen (w) oder Zahl (z) oben. Es können also folgende Fälle eintreten: w z Bei zweimaligem Werfen sind die möglichen Resultate folgende : w w w z z w z z Bei dreimaligem Werfen können folgende Ergebnisse auf- en: w w w w w z w z w w z z z w w z w z z z w z z z Bei einmaligem Werfen sind, wie man sieht, 2 (d. i. 2 1 ), bei imatigem Werfen 4 (2 2 ), bei dreimaligem Werfen 8 (2 3 ) Er- -nisse oder Ergebnisgruppen denkbar. Bei n-maligem Werfen lind nippen denkbar. ater den 2 n Gruppen, die für n-maliges Werfen denkbar Bind, befindet sich, wie man an der Hand der obigen Beispiele BD kann, stets eine Gruppe, die aus lauter Wappen, und eine die aus lauter Zahlen besteht. Derlei Gruppen (solche 252 15. Die Lehre vom also,, die aus lauter gleichen Elementen bestehen) bezeichnen wir, wie schon erwähnt, als „ reine" Gruppen. Wir dürfen dann sagen: unter den 2 n Gruppen, deren Eintreten bei n-maligem Werfen denkbar ist, befinden sich zwei reine Gruppen, die aus n Elementen bestehen. Bei 1000 Würfen ist daher nach dieser in der Wahr- scheinlichkeitsrechnung allgemein üblichen Betrachtung der Fall, daß 1000 mal nacheinander w folgt, wenn auch äußerst unwahr- scheinlich, doch keineswegs unbedingt ausgeschlossen. Wie oft wir daher werfen mögen, und wie sehr sich die Wahrscheinlichkeit, daß wir lauter w-(z-) -Fälle erhalten, dabei auch der annähern mag, niemals wird der herrschenden Auffassung zufolge diese Wahrscheinlichkeit absolut 0. Die gleichen Betrachtungen gelten nicht nur für das Spiel , .Wappen oder Zahl", sondern für alle Beispiele, wo die Wahrschein- lichkeitsrechnung auf eine große Anzahl aufeinanderfolgender oder gleichzeitiger Einzelfälle angewandt wird. Auch ist es für die vor- getragenen Betrachtungen unwesentlich, ob es sich wie im obigen Beispiel nur um zweierlei, wie beim Spiel ,, Wappen oder Zahl", oder um mehrerlei Einzelfälle handelt, und ob diese gleiche oder ob sie verschiedene Wahrscheinlichkeiten haben. Im Sinne der geschilderten Auffassung kann also auch beim Würfelspiel, selbst wenn alle Bedingungen eines reinen Glücksspiels erfüllt sind, eine Woche lang, wenn auch nur mit einer äußerst mini- malen Wahrscheinlichkeit, immer und immer wieder dieselbe Würfel- seite oben liegen. Auch der Fall, daß in Berlin ein Jahr lang trotz Gleichbleibens der konstanten Bedingungen nur männliche Geburten zustande kommen , erscheint im Sinne dieser Auffassung möglich. Überall wo man die Wahrscheinlichkeitsrechnung im Sinne der bisherigen Beispiele dieses Kapitels auf eine Vielheit von ein- zelnen Gegenständen anwendet, nimmt man eben allgemein an, daß diese völlig unabhängig voneinander sind. Ist dies im ex- tremsten Sinne der Fall, so kann natürlich, wie oft z. B. beim Spie] Wappen oder Zahl auch w gefallen sein mag, das Resultat z immer nur mit der Wahrscheinlichkeit ., erwartet werden. Ebenso BtatiBtisohen Ausgleich. 253 liegt die Sache dann beim Würfelspie] und den Geburten und in allen analogen Fallen. Im Sinne der geschilderten Betrachtung ist es daher auch möglich, daß, wenn wir beim Rouletteepiel zu Monte Carlo zwanzig Jahre Lang beobachtet haben, daß das Ver- hältnis der Rot- und Schwarzergebnisse pro Jahr ungefähr 1 be- traft, doch im einundzwanzigsten Jahre (auch wenn sich die kon- Btanten Bedingungen des Spieles nicht ändern) nur . aller Spiele das Resultat Kot aufweisen. Wir wollen nun die skizzierte Betrachtung als die mathe- matische bezeichnen, weil sie lediglich auf denjenigen Voraus- gingen beruht, welche die mathematische Wahrscheinlichkeits- rechnung zugrunde legt. Diese mathematische Betrachtung steht mit den Erwartungen der Induktion im weiteren Sinne und mit den- jenigen des unvollständigen statistischen Verfahrens (vgl. Kap. 13) im Widerspruch. Wir haben auf Grund vieler einzelner Erfahrungen den Satz Bevölkerungslehre statistisch abgeleitet, daß das Geschlechts- 105 Verhältnis der Geborenen in Deutschland zirka -tätt beträgt. Wir hegen daher die Erwartung, daß dies annähernd auch im nächsten •hdire der Fall sein wird, und wir betrachten den Fall, daß im listen Jahre in Deutschland lauter Knaben geboren werden, nicht als äußerst unwahrscheinlich, sondern einfach als unmöglich. Ite sich aber zeigen, daß wir im nächsten Jahre, etwa im Gegen- I zu dem bekannten Überschuß der Knabengeburten, mehr ichengeburten als Knabengeburten erhalten, so würden wir diesen Tatbestand auf eine Veränderung der konstanten Bedingungen zurückführen. Niemals aber würde es uns einfallen, dieses auf- fällig- Phänomen durch ein nicht sehr wahrscheinliches Zusammen- Wirl ,i variablen Bedingungen zu erklären, und niemals würden wir sagen, daß ein solches Phänomen zwar nicht sehr wahrschein- aber kein überraschend sei. Wenn ich einen Monat lang jeden Abend mich des Würfel- le befleißige, und wenn ich bemerke, daß jeden Abend die Sechs 254 15. Die Lehre vom viel häufiger oben lag als irgend eine andere Augenzahl, so denke ich nicht daran, mir klar zu machen, daß dies auch beim idealen Würfel möglich, wenn auch wenig wahrscheinlich ist, sondern ich schließe sofort, daß mein Würfel nicht in Ordnung ist. Habe ich z. B. in der Variationsstatistik auf Grund vieler Versuche einen Mittelwert bestimmt, und kam ich bei immer neuen großen Frak- tionen von Versuchen zu annähernd demselben Mittelwert, so halte ich es nicht für unwahrscheinlich, sondern für unmöglich, daß eine neue Untersuchung, die sich auf unter gleichen Bedingungen gewonnenes Material bezieht, einen gänzlich anderen Mittelwert ergibt. Wir hegen also beim statistischen Verfahren Erwartungen, die der mathematischen Betrachtung zufolge keineswegs eintreffen müssen. Nun dürfen wir allerdings auch im Sinne der mathematischen Betrachtung mit sehr großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen, daß die im Sinne des statistischen Verfahrens gehegten Erwartungen zutreffen. Es läßt sich z. B. zeigen, daß beim Spiel ,, Wappen oder Zahl" die Wahrscheinlichkeit, daß das Verhältnis der w- und z- Würfe für 1000 Würfe ungefähr 1 ist, sehr wahrscheinlich ist, und daß der Fall, daß wir tausendmal nacheinander w (z) er- halten, eine ganz minimale Wahrscheinlichkeit besitzt. Es läßt sich ferner zeigen, daß der Umstand, daß -r — - , i _, - — annähernd gleich 1 ist, mit immer größerer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, je größer die Anzahl der Würfe wird. Analoges gilt auch für unsere anderen Beispiele. Aber diese in das Bereich des Bernoulli- schen Theorems 1 ) fallenden Untersuchungen lehren nicht im min- desten, daß eine weniger wahrscheinliche, ja sogar eine höchst unwahrscheinliche Folge der Ereignisse unbedingt ausgeschlossen ist. Man möchte vielleicht gegen diese Ausführungen einwenden, daß ja die Schlußsätze, zu denen man beim unvollständigen sta- l ) K. Czuber, WahrscheinliclikcitKn'cliiimi^ und ihre Anwendung auf Fehlerausgleichung, Statistik und Lebensversicherung. 3. Aufl. Bd. 1. Leipzig und Berlin 1914. B. 12« IT. statistischen Ausgleich. 265 tistischen Verfahren gelangt, ebenso wie die Schlußsätze der un- vollständigen Induktion nur Wahrscheinlichkeitsaussagen sind, wie wir dies im 13. Kapitel im Einverständnis mit B. Brdmann darlegten. Isi dies der Fall, (so könnte man Bagen) so ist es ja selbst- verständlich, daß die Ergebnisse des unvollständigen statistischen Verfahrens sich als bloß wahrscheinlich erweisen. Die Erwartung daß z. B. im nächsten Jahre das (ieschlechtsverhältnis der Ge- 105 borenen in Deutschland zirka -tq?t betraut, ist also nur als wahr- scheinliche Vermutung, nicht als bestimmte Erwartung gerecht- fertigt. Wir können uns daher auch nicht wundern, daß andere schlechtsverhältnisse als mehr oder weniger wahrscheinlich an- ihen werden müssen, und wir müssen sogar auch unter Voraus- setzung der gleichen konstanten Bedingungen immerhin auf die Möglichkeit gefaßt sein, daß ein anderes Geschlechtsverhältnis, ja selbst das im höchsten Maße unwahrscheinliche Verhältnis .^ auftritt. So plausibel diese Ansicht erscheinen mag, so verfehlt ist sie in der Tat. Wenn wir die Resultate, zu denen wir auf Grund der unvollständigen Induktion und des unvollständigen statistischen Verfahrens gelangen, als bloße Wahrscheinlichkeitsaussagen be- zeichnen dürfen, so ist dies lediglich vom rein logischen Standpunkt . -ivi-ht fertigt. Es will besagen, daß wir die Richtigkeit jener Ergebnisse keineswegs mit der Sicherheit erwarten dürfen, mit der wir z. B. auf die Richtigkeit der Schlußsätze der logisch korrekten und aus richtigen Prämissen abgeleiteten Syllogismen rechnen a. Aber trotz dieses logischen Tatbestandes rechnen wir imbedingt, wenn auch in rein logischer Beziehung nicht berechtigt, dai laß, wenn eine Tatsache unter bestimmten konstanten Bedingungen immer und immer wieder zutraf, sie auch in der Eolge- • unter denselben konstanten Bedingungen immer wieder zu- wird. Die mathematische Betrachtung aber rechnet mit i Möglichkeit, daß die Tatsache auch bei gleichen konstanten Bedingungen infolge möglicher Konstellationen von variablen Be- dingungen nicht eintritt. L>ic Sachlage wird noch klarer, wenn 256 15. Die Lehre vom wir bedenken, daß ja alle Gesetze der Physik und Chemie in rein logischer Hinsicht nur Wahrscheinlichkeitsaussagen sind. Dies gilt auch von jenen Sätzen, die eine mechanische Erklärung zulassen. Denn trotz des wesentlich mathematischen Charakters der Mechanik beruht, wie bekannt, auch diese letzten Endes auf gewissen Er- fahrungssätzen, deren universelle Gültigkeit lediglich auf Grund der unvollständigen Induktion feststeht. So gewiß daher in logischer Hinsicht alle Sätze der Physik und Chemie nur Wahrscheinlichkeits- aussagen sind, so hält jeder Naturforscher an der unbedingten Gültigkeit dieser Sätze, sofern sie nach den in den Naturwissen- schaften bewährten Methoden gewonnen sind, fest, und er erwartet mit aller Bestimmtheit, daß sie nicht nur bisher, sondern auch morgen und übermorgen und in aller Zukunft Gültigkeit haben. So steht es auch mit den Ergebnissen des unvollständigen statisti- schen Verfahrens. Als empirische Forscher betrachten wir sie, die Gleichheit der konstanten Bedingungen vorausgesetzt, als unbedingt gültig. Die mathematische Betrachtung lehrt dagegen, daß sie, ohne daß die konstanten Bedingungen sich ändern, sich auch einmal als ungültig erweisen können. Es besteht also in der Tat ein Widerspruch zwischen unserer beim unvollständigen statistischen Verfahren gehegten Erwartung und der mathematischen Betrachtung. Jene Erwartung ist, wie wir sehen, auf die Ansicht gegründet, daß unter gleichen konstanten Bedingungen Gleiches stattfindet; wir wollen sie künftig als die naturphilosophische Betrachtung bezeichnen. Die mathematische Betrachtung betont dagegen, daß auch unter gleichen konstanten Bedingungen infolge mathematisch möglicher Konstellationen der variablen Bedingungen ganz Verschiedenes eintreten kann. Wir können beide Betrachtungen noch etwas schärfer auch SO formulieren: Die naturphilosophische Betrachtung rechnet da- mit, daß, wenn sich unter bestimmten konstanten Bedingungen wiederholt ein bestimmtes Verhalten einer statistischen Masse gezeigt hat, dieses Verhalten sich unter gleichen konstanten Be- dingungen immer wieder zeigen wird. Sie nimmt an, daß das betreffend«' Verhalten der Massen deshalb wiederholt auftritt, statistischen Ausgleich. 257 weil sich die variablen Bedingungen ausgeglichen haben, und sie rechnet daher damit, daß auch in künftigen Fällen derselbe Aus- gleich der variablen Bedingungen Stattfinden wird. Die mathe- matische Betrachtung dagegen saut, daß, wenn sich auch noch so oft die variablen Bedingungen ausgeglichen haben, sie doch auch .aisammeiiwirken können, daß der Charakter der Masse völlig ndert wird. Die naturphilosophische Betrachtung wird daher zu der Annahme gedrängt, daß wiederholtes gleiches Verhalten einer statistischen Masse infolge bestimmter Bedingungen statt- findet, die einen Ausgleich der variablen Bedingungen herbei- führen. Sie nimmt dann an, daß diese im Sinne des Ausgleichs wirken- den Bedingungen sich auch bei allen gleichartigen unter denselben konstanten Bedingungen stehenden Massen finden. Der mathemati- achen Betrachtung liegt der Blick auf solche im Sinne eines Ausgleichs der variablen Bedingungen wirkenden Bedingungen gänzlich fern. Immer wo wir die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf eine große Anzahl von Fällen anwenden (und lediglich um solche Fälle handelt ich hier), gibt es gewisse, für alle Einzelfälle in Betracht kommende jeweils gleiche, also konstante Bedingungen. Diese Bedingungen Bind uns bei den Glücksspielen mehr oder weniger genau bekannt. In vielen Gebieten, wie bei unserem Beispiel der Knaben- und Mädchengeburten, kennen wir die konstanten Bedingungen nicht r nur sehr ungenau. Immer aber nehmen wir das Vorhanden- -olcher konstanter Bedingungen an, und immer können wir ihnen die variablen Bedingungen gegenüberstellen. Unsere Be- trachtungen, die sich an die im ersten Kapitel vorgetragene Lehre von den Bedingungen anschließen, finden also auf alle Fälle Anwendung, wo wir die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf eine Anzahl von Ereignissen beziehen oder auf alle Beispiele, wo es sich um solche statistische Massen handelt, deren Gegen- ide als gänzlich unabhängig voneinander betrachtet werden, vollkommen gleichgültig, ob die Ereignisse zeitlich miteinander folgen oder gleichzeitig sind. Unsere Betrachtungen gelt o auch z. B. für die Fälle, wo es sich immer wieder um 1000 gleichzeitige Würfe des Spieles ,, Wappen oder Zahl" handelt MarU;, | ofafflrmJffkeil in der Welt. 17 258 15. Die Lehre vom oder avo es sich immer wieder um eine große Anzahl gleichzeitiger Geburten handelt. Auch in solchen Fällen wird das Verhältnis der Anzahlen der w und z oder das Verhältnis der Anzahlen der Knaben- und Mädchengeburten nach der naturphilosophischen Be- trachtung in allen Fraktionen zu 1000 jeweils annähernd gleich sein. Wir können unsere Darlegungen auch noch anders formulieren. Haben wir, so können wir auch sagen, für mehrere große Fraktionen von Gliedern einer statistischen Masse eine relative Häufigkeit eines Ereignisses festgestellt, so erwarten wir im Sinne der natur- philosophischen Betrachtung, daß wir für weitere gleich große Fraktionen, wenn die konstanten Bedingungen gleich bleiben, zu den gleichen oder zu annähernd den gleichen relativen Häufig- keiten gelangen, während nach der mathematischen Betrachtung bei weiteren Fraktionen ganz andere relative Häufigkeiten möglich sind. Sollte also die naturphilosophische Betrachtung zutreffend sein und sollte sich etwa ergeben haben, daß beim Spiel ,, Wappen oder Zahl" für ie 1000 Würfe * — zirka 1 ist, so wäre J Anzahl der z anzunehmen, daß auch bei beliebig weiterer Fortsetzung des Spieles für je 1000 Würfe jener Bruch annähernd gleich 1 wird. Dies heißt aber nichts anderes, als daß z. B. bei je 1000 Würfen diejenigen Komplexionen zu 1000, welche lauter w (z) oder sehr viel w (z) enthalten, und überhaupt alle, für die der Bruch -r — "--,, , wesentlich von 1 abweichen würde, nicht vorkommen. Hieraus ergibt sich aber weiterhin, daß im Sinne der naturphilosophischen Betrachtung statistische Massen, deren Gegenstände gleichen kon- stanten Bedingungen unterworfen sind, oichl eine beliebige Anzahl gleicher aufeinanderfolgender Glieder zeigen können, sondern daß die Bedingungen für einen bestimmten Einzelfall ungünstiger liegen müssen, wenn diesem eine gewisse große Zahl gleicher Einzel- fälle vorhergingen, als wenn dies nielil der Fall ist. Die natur- philosophische Betrachtung führt also zu dem Resultat, daß reine Gruppen von einer bestimmten ( rröße an seltener vorkommen müssen, als man Dach der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwarten sollte, wäh- rend die mathematische Betrachtung diese Ansicht ablehnt. statistischen Ausgleich. 259 Wir können daher den Gegensatz zwischen naturphilosophischer um! mathematischer Betrachtung auch bo wenden: die natur- philosophische Betrachtung Lehrt, daß alle statistischen Massen, in denen sich in gewissen großen Fraktionen ein Ausgleich der variablen Bedingungen zeigt, auch in anderen Fraktionen an- ofihernd denselben Ausgleich aufweisen, falls die konstanten Be- dingungen gleich bleiben. Die mathematische Betrachtung he- lltet den Ausgleich als Behr wahrscheinlich^ nimmt aber an, daß wir niemals, auch wenn die konstanten Bedingungen gleich- bleiben, auf diesen Ausgleich mit derjenigen Sicherheit rechnen können, mit der wir ihn im Sinne des unvollständigen statistischen Eahrens erwarten. Die natnr]»hilosophische Betrachtung wollen wir auch als die Lehre vom statistischen Ausgleich bezeichnen. I)ic mathematische und die naturphilosophische Betrachtung können auch so formuliert werden: Nach der ersteren ist auf alle genstände aller Massen, auf die man die Wahrscheinlichkeits- rechnung bezieht, der Multiplikationssatz, demzufolge die Wahr- scheinlichkeit einer Gruppe voneinander unabhängiger Ereig- leich dem Produkt der Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Ebneignisse ist, anwendbar. Nach der naturphilosophischen Be- trachtung ist der Multiplikationssatz generell nicht anwendbar, da die in ihm vorausgesetzte Unabhängigkeit der Fälle voneinander nicht besteht. Wir können auch sagen: Die mathematische Be- trachtung fordert die gegenseitige absolute Unabhängigkeit der Einzelfalle, die naturphilosophische Betrachtung verwirft sie. Die naturphilosophische Betrachtung nähert sich sehr den Gmndanschauungen, die durch Quetelet vertreten wurden. Die thematische Betrachtung ist heute allgemein üblich in den Kreisen der Mathematiker und der Vertreter der theoretischen ik. Quetelet (1796—1874), der Vater der modernen Sta- tik 1 ), war nicht «1er Meinung, daß es Gebiete der praktischen l ) über QueteletH Leben und -eine Bedeutung für die Statistik und Soziologie vgl J. Lottin, Quetelet, Statisticien et Sociologue. Löwen und Park L012. — Die immer wiederkehrenden Schreibweisen Quetelet ■ lOtelei finden lieh in den Titeln der mir bekannten Originalwerke leti nicht und scheinen falsch zu sein. 17* 260 15. Die Lehre vom Statistik gibt, in denen die Durchschnittszahlen lediglich wahr- scheinlichste Verhaltungsweisen ausdrücken, sondern er sah in den statistischen Durchschnittszahlen allgemein den Ausdruck eines gesetzmäßigen Verhaltens der statistischen Massen 1 ). Die moderne Reaktion gegen den Queteletismus, als deren bedeutendster Ver- treter W. Lexis angesehen werden muß, steht ganz und gar auf dem Boden der mathematischen Betrachtung 2 ). Für die natur- philosophische Betrachtung trat übrigens mit großem Nachdruck und großer Klarheit schon d'Alembert 3 ) ein, während Daniel Bernoulli auf dem Boden der mathematischen Betrachtung d'Alemberts Ansichten als lächerlich bezeichnet haben soll 4 ). Ist nun die mathematische oder die naturphilosophische Be- trachtung die richtige? Gibt es einen statistischen Ausgleich oder gibt es keinen? Um die für die ganze Theorie der angewandten Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik grundlegende Beant- wortung dieser Frage vorzubereiten, müssen wir zunächst den Begriffen der Abhängigkeit und Unabhängigkeit etwas näher treten. Bruns 5 ) sagt: „Zwei Ereignisse E und E' heißen von- einander unabhängig, wenn das Eintreten von E das Eintreten von E' nicht beeinflußt und umgekehrt." Es fragt sich aber sehr, inwieweit die Ereignisse einer statistischen Masse in diesem Sinne x ) Die wichtigsten statistischen Werke des äußerst produktiven Que- telet findet man bei J. Lottin, a. a. 0. S. XX ff. Zum obigen Text vgl. besonders A. Quetelet, Physique sociale. 2 Bände. Brüssel, Paris und Petersburg 1869. Deutsch von V. Dorn, eingeleitet von H. Waentig. Bd. 1. Jena 1914. A. Quetelet, Du Systeme social et des lois, qui le regissent. Paris 1848. Deutsch von K. Adler („Zur Naturgeschichte der Gesellschaft"). Hamburg 1856. Sur l'homme et le developpement de ses facultas ou Essay de physique sociale. 2 Bände. Paris 1835. Deutsch von V. A. Riecke, Stuttgart 1838, mit Zusätzen von Quetelet. 2 ) Über diese Reaktion vgl. A. Kaufmann, Theorie und Methoden der Statistik. Tübingen 1913. S. 168 it. Vgl. auch die bei J. Lottin a.a.O. S. XXIV ff. zitierten Werke. 3 ) D'Alembert, Melanies de Litteratuxe, d'histoire et de phüosophie. Tome V. Amsterdam 1767. S. 275 ff. *) D'Alembert, a. a. 0, B. 298. "') H. Bruns, Wahrschoinlichkeifsnrlinung und Kollektivmaßlehre. Leipzig und Berlin 1906. S. 18. statistischen Ausgleich. 2t>! unabhängig Bind, und ee frag! sich zweitens, ob dieser Begriff der Unabhängigkeit für unsere Betrachtung ausreichend ist. Daß dies nicht der Fall ist, wird sieh Begleich zeigen, wenn wir dazu über- gehen, verschiedene Bedeutungen der Worte Abhängigkeit und Unabhängigkeit zu betrachten. I. Ein Ereignis E' kann als von dem Ereignis E abhängig leichnet werden, wenn E zu den mittelbaren oder unmittelbaren l'>. dingungen von E' gehört. Ein Ereignis E' ist dann unabhängig von E, wenn E gänzlich außerhalb der kausalen Bedingungen von H' liegt. In diesem Sinne ist der Tod Cäsars von den Dolcli- Btichen der Verschwörer abhängig gewesen. Er war aber unabhängig von irgend einem gleichzeitigen oder früheren Ereignis unter den Indianern Amerikas. Er war auch unabhängig von allen späteren Ereignissen in Italien. (Abhängigkeit und Unabhängigkeit im ersten Sinne.) II. Ein Ereignis E' gilt als von einem Ereignis E abhängig, wenn zwar E außerhalb der Bedingungen von E' liegt, wenn aber die Bedingungen von E und die Bedingungen von E' ihrerseits voneinander abhängig sind. Wenn wir zwei Würfel in einem Würfel- beeher kräftig schütteln und dann die Würfel auf den Tisch fallen lassen, so sind die beiden Endlagen E und E' der Würfel (diese i lagen werden natürlich nicht nur durch die oben liegende Seite kunmt) insofern voneinander abhängig, als die Bedingungen für Endlage des einen Würfels von den Bedingungen der Endlage des anderen Würfels abhängig sind: die Bewegungen, welche die beiden vielfach zusammenprallenden W^ürfel im Becher ausführen und die in die Bedingungen der Endlagen der Würfel eingehen, ii sich hier offenbar gegenseitig. Ob diese gegenseitige mfluBBung der Würfel auch auf die Frage, welche Seiten schließ- lieh oben liegen, also auf die Frage der Wurfresultate von Einfluß können wir nicht wissen. Die Möglichkeit muß entschieden mgegeben werden. Ein anderes Beispiel für die Abhängigkeiten in dem hier diskutierten Sinne liegt vor, wenn wir etwa das Spiel ppen oder Zahl jeweils mit einer großen Anzahl von Münzen len, die wir gleichzeitig in der Hand einschließen, um sie dann 262 15. Die Lehre vom in die Höhe zu werfen. Demgegenüber können wir zwei Ereignisse E und E' als unabhängig voneinander ansehen, wenn E nicht nur außerhalb der kausalen Bedingungen von E' liegt und umgekehrt, sondern wenn auch die Bedingungen von E und E' in keinerlei kausalen Beziehungen zueinander stehen. Dieser Fall ist z. B. gegeben, wenn zwei Personen A und B in jeder Hinsicht unabhängig voneinander an verschiedenen Orten mit je einer Münze einmal werfen und wenn auch die Lagen der Münzen vor dem Werfen in den Händen von A und B in jeder Hinsicht unabhängig von- einander sind. Von den beiden Wurfresultaten liegt dann jedes außerhalb der Bedingungen des anderen und die Bedingungen beider Wurfresultate stehen dann in keinerlei kausalen Beziehungen. (Abhängigkeit und Unabhängigkeit im zweiten Sinne.) III. Ein Ereignis E' heißt von einem Ereignis E abhängig, wenn E nicht nur innerhalb der Bedingungen von E' liegt, sondern wenn ohne E das Ereignis E' überhaupt nicht eintreten würde. In diesem Sinne ist beim Spiel ,, Wappen oder Zahl" das Auftreten irgend eines Resultates (w oder z) abhängig von dem Werfen des Spielers. Ein Spielresultat kann niemals • eintreten, wenn der Spieler nicht spielt. Ein Ereignis E' ist dagegen von einem Er- eignis E unabhängig, wenn E zwar innerhalb der Bedingungen von E' liegt, wenn jedoch dieser Umstand keinen Einfluß auf die Tatsache des Eintretens von E' ausübt. Dieser Fall ist möglich. Es sei auf einem Markt eine so große Nachfrage nach Fischen, daß die vorhandenen Bestände innerhalb kurzer Zeit verkauft werden müssen. Ich kaufe ein Pfund Fische ein. Der Umstand, daß die Fische alsbald ausverkauft sind, resultiert dann aus vielen Bedingungen, in welche auch mein Einkauf von einem Pfund eingeht. Aber auch wenn ich keinen Einkauf gemacht hätte, wäre der Be- stand an Fischen infolge der großen Nachfrage alsbald auf Null gesunken. Bezeichnen wir den Umstand, daß alle Fische des Markte- verkauft sind, mit E' und meinen Einkauf mit E, so geht zwar E in die kausalen Bedingungen von E' ein, ohne aber einen Einfluß auf die Frage des Eintretens oder Nichteintretens von E' auszuüben. Bedingungen dieser Art können als ,, nicht notwendige BtatiatiBohm Ausgleich. 263 lingungen" bezeichne! werden. Sie kommen bekanntlich im osalproblem der Elechtsphilosophie zur Sprache. Audi wenn ich zweimal nacheinander das Spiel „Wappen oder Zahl*' spiele und zuerst w, dann z werte, bo rill z in diesem Sinne als cmabhängig von dem vorausgehenden Wurfresultat w. Gewiß Lieht w in die mittelbaren Bedingungen von z ein. Man nimmt aber allgemein an. daß das Auftreten von \v keinen Einfluß auf das Auftreten von i ausgeübt hat. Dementsprechend nimmt man allgemein an, daß bei diesem Spiel die späteren Wurfresultate anabhängig von den früheren sind. Analoge Annahmen werden auch hinsichtlich aller analoger Glücksspiele gemacht: auch beim Würfelspiel und beim Roulettespiel gelten die einzelnen aufeinanderfolgenden Spielresultate als voneinander unabhängig. Dieselbe Annahme macht man in der Wahrscheinlichkeitslehre auch dann, wenn es sich um Kugeln handelt, die aus einer Urne gezogen und jeweils wieder in diese zurückgelegt werden, oder wenn es sich um Spiel- karten handelt, die gezogen, aber jeweils wieder in das Spiel zu- rückgelegt werden. (Abhängigkeit oder Unabhängigkeit im dritten Sinne.) IV. Die Ereignisse e v e 2 , e 3 , e 4 . . . e n können von anderen Ereignissen E lf E 2 , E 3 , E 4 . . . E n im ersten Sinne unabhängig i, jedoch infolge gewisser Bedingungen so aufeinander folgen, daß sie als im ersten Sinne voneinander abhängig erscheinen. Bezeichnen wir mit e n einen bestimmten Tag, mit e n _ x den vorher- »nden, mit e n _ 2 den Tag, der dem letzteren vorhergeht usw., bezeichnen wir ferner mit E n die auf den Tag e n folgende Nacht, mit E n _! die dieser vorhergehende Nacht, mit E n _ 2 die Nacht, welche der letzteren vorhergeht usw., so sind die Ereignisse e x , E x , , E 3 .... e n _ 2 , E n _ 2 , e n _!, E n _ x , e n , E n voneinander unabhängig im ersten Sinne. (Ihre Abhängigkeit im zweiten und dritten Sinne steht hier nicht in Frage.) Infolge in ähnlicher Weise lerkehrender astronomischer Verhältnisse folgt jedoch auf jedes e immer ein E, 90 daß der mit diesen Verhältnissen nicht tränte Beobachter wohl den Eindruck gewinnen kann, es seien folgenden Nächte und Tage jeweils durch die unmittelbar 264 15. Die Lehre vom vorhergehend en Tase und Nächte bedingt. Wenn wir eine große Anzahl von Ereignissen e v e 2 , e 3 . . . und E x , E 2 , E 3 . . . so an- geordnet vorfinden, wie es der Wahrscheinlichkeitsrechnung a priori entspricht, so gewinnen wir den Eindruck, daß e und E voneinander im ersten Sinne unabhängig sind, und daß auch keine Bedingungen vorliegen, die eine scheinbare Abhängigkeit der e und E im Sinne des Tag-Nachtbeispieles begründen. Dabei ist es keineswegs nötig, daß die Ereignisse e und E gleich oder annähernd gleich häufig sind. Es kann vielmehr sehr wohl der Fall vorliegen, daß z. B. e nur ein drittelmal so oft vorkommt als E. Die beiden Fälle , die wir in diesem Abschnitt IV bisher be- sprochen haben, können wir als Fälle statistischer Massen mit schein- bar voneinander abhängigen oder scheinbar voneinander unabhängi- gen Gegenständen bezeichnen. Die Frage, ob eine Masse aus Gegen- ständen, die in unserem Sinne scheinbar voneinander abhängig sind, besteht, oder ob sie aus Gegenständen besteht, die in unserem Sinne scheinbar voneinander unabhängig sind, fällt demnach zusammen mit der Frage, ob es Bedingungen gibt, welche die scheinbare Abhängig- keit der Gegenstände begründen, oder ob solche Bedingungen fehlen. Man könnte demgegenüber vielleicht sagen, es könne eine scheinbare Abhängigkeit auch vorliegen, wenn jene Bedingungen fehlen. Diese Ansicht wäre jedoch zurückzuweisen. Denn sie liefe auf die Behauptung hinaus, daß es Phänomene gibt, die nicht kausal bedingt sind. Berechtigt wäre dagegen die Behauptung, daß auch die scheinbare Unabhängigkeit der Ereignisse voneinander infolge ganz bestimmter Bedingungen eintritt. In jedem Fall ist sowohl die scheinbare Abhängigkeit der Gegenstände einer Masse von- einander als auch die scheinbare Unabhängigkeit der Gegenstände voneinander durch wirkliche Vorgänge in der Welt, also durch reale Bedingungen veranlaßt. Wir haben zuerst ein Beispiel schein- barer Abhängigkeit von im ersten Sinne unabhängigen Gegenständen einer Masse gegeben, dann gingen wir zu einem Fall scheinbarer Unabhängigkeil solcher Gegenstände über. Nun soll noch ein für uns sehr wichtiges Beispiel scheinbarer Abhängigkeit vorgeführt Werden. Wenn die Ereignisse v v e 2 , e 3 . . . und En F 2 , Ej . . . alle BtAttetiBohen Ausgleich. 266 >eitig nn ersten Sinne unabhängig voneinander sind, wenn dieselben aber irgendwie bo aufeinander folgen, daß nach 10 un- mittelbar aufeinanderfolgenden E (e) der Einzelfall E (e) Beitoner ist als der Einzelfall e (B), daß nach 11 E (e) der Einzelfall E (e) noch seltener and daß die Häufigkeit von K (e) mit der wachsenden Anzahl der vorausgehenden E (e) immer seltener wird, so zeigen die im ersten Sinne voneinander anabhängigen Ereignisse E (e) scheinbare Abhängigkeit voneinander. Man kann dann den Satz aufstellen, daß nach 10 E (e) die Bedingungen für E (e) ungünstiger liegen, als wenn weniger E (e) vorausgegangen sind, und daß die Bedingungen für E (e) nach 11 E (e) noch ungünstiger liegen usw. Auch in diesem Beispiel sind die einzelnen Gegenstände der sta- tischen Masse voneinander unabhängig im ersten Sinne, auch hier erscheinen sie infolge gewisser für ihr Eintreten in Betracht kommender Bedingungen voneinander abhängig. Bemerkt sei end- lich noch, daß alles, was hier über Abhängigkeit und Unabhängig- keit der Gegenstände einer Masse gesagt wurde, nicht nur für zeitlich aufeinanderfolgende, sondern auch für gleichzeitige Gegen- stände gilt. Auch diese können infolge gewisser Bedingungen eine ■inbare Abhängigkeit oder Unabhängigkeit voneinander auf- weisen, so z. B. eine große Masse gleichzeitig unabhängig voneinander in die Höhe geworfener Münzen oder eine große Anzahl gleich- zeitiger Geburten. Schließlich können auch Gegenstände im ersten Sinne voneinander abhängig sein und zugleich infolge bestimmter Bedingungen auch eine scheinbare Abhängigkeit im eben be- sprochenen Sinne aufweisen. (Scheinbare Abhängigkeit oder Un- abhängigkeit der Gegenstände einer Masse oder Abhängigkeit und Unabhängigkeit im vierten Sinne.) Unsere Abhängigkeil im vierten Sinne ist insofern keine Abhängigkeit, als die in diesem Sinne als abhängig be- nichneten Ereignisse einander nicht beeinflussen. Sie ist daher auch keine Abhängigkeit im Bruns sehen Sinne. Trotzdem ist ich bald zeigen wird, für die Frage nach der Möglichkeit ndung der Wahrscheinlichkeiten ehnung von Bedeutung. sere Abhängigkeil im vierten Sinne i.-t insofern eine logische 266 15. Die Lehre vom Abhängigkeit, als hierbei unsere Erwartung, ob ein bestimmtes Ereignis eintritt, von unserem Wissen um andere Ereignisse ab- hängig wird. Denn wir sahen z. B., daß hierher der Fall gehört, wo wir die relative Günstigkeit der Bedingungen für den Eintritt eines Ereignisses aus dem Auftreten anderer Ereignisse ableiten können. In welchem Sinne sind nun die aufeinanderfolgenden Spiel - resultate voneinander abhängig, wenn eine Person immer wieder eine Münze in die Höhe wirft? Sind sie abhängig im ersten Sinne? Auch wenn wir nicht die Lage der Münze in jeder Beziehung ins Auge fassen, sondern nur den Umstand, ob w oder z oben liegt, so müssen wir sagen: zu den Bedingungen eines Spielresultates gehört auch das vorhergehende Spielresultat. Hiernach sind die Spielresultate im ersten Sinne voneinander abhängig. Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß sie auch im dritten Sinne nicht voneinander unabhängig sind. Gewiß kann man, wenn soeben w fiel, daraus weder folgern, daß das nächste Mal z folgt, noch daß wieder w folgt. Aber in die Bedingungen für das nächste Resultat könnte an sich sehr wohl das vorhergehende Resultat in dem Sinne eingehen, daß dadurch die Günstigkeit der Bedingungen für das folgende Resultat beeinflußt wird. Die allgemeine Annahme, daß beim Spiel Wappen oder Zahl jedes Resultat von dem vorigen im dritten Sinne unabhängig ist, erscheint daher keinesfalls un- bedingt gesichert. Ebenso steht es in vielen analogen Fällen, wie heim Würfelspiel, beim Roulettespiel usw. Anders liegt die Sache z. B. bei den Massen der Bevölkerungs- statistik. Fassen wir etwa das Geschlecht von n nacheinander geborenen Kindern verschiedener Weiber ins Auge und gelangen wir zur Reihe m(asculinum), f(emininum), m, m, f, f, f, m, f, m, f usw., so wissen wir mit Bestimmtheit, daß zwischen den einzelnen m und f eine Abhängigkeit im ersten und dritten Sinne nicht be- steht. Aber wer bürgt uns dafür, daß nicht die den Geschlechts- charakter der Geburten bedingenden Verhältnisse so gelagert sind, daß eine Abhängigkeit im vierten Sinne resultieren muß? Warum können nicht z. B. die physiologischen Verhältnisse in den einzelnen statistischen Ausgleich. -C^l Weibern von Berlin and andere Faktoren bo beschaffen Bein, daß die Anzahl der aufeinanderfolgenden Geburten gleichen (Geschlechts in Berlin niemals größer als eine bestimmte Zahl sein kann? Wäre dies aber der* Fall, bo läge eine Abhängigkeit im vierten Sinne vor. Aneh wenn wir immer wieder eine große Anzahl von Feuerbohnen aussäen, bo könnte es sehr wohl Bedingungen geben, infolge «leren gänzlich ausgeschlossen ist, daß die Früchte jemals die gleiche oder ungefähr die gleiche Größe zeigen, sondern infolge deren die Bohnen sieh immer ungefähr im Sinne des sogenannten Quetelet- Bchen Gesetzes verhalten müssen, nach welchem die Verteilung der Individuen einer Variationsreihe der Binomialformel folgt 1 ). Ja es könnte auch Bedingungen geben, infolge deren diese Ver- teilung immer auftritt . wenn wir ein Pfund solcher Bohnen von einer Samenhandlung beziehen. In allen diesen Fällen läge Ab- hängigkeit im vierten Sinne vor. Auch wenn wir das Geschlechtsverhältnis aller Geburten auf der ganzen Erde innerhalb derselben 24 Stunden untersuchen könnten, so wäre es wohl denkbar, daß das Geschlechtsverhältnis infolge ganz bestimmter Bedingungen immer ungefähr dasselbe 1 »leibt, wie oft wir diese Untersuchung auch ausführen mögen, und daß der Fall, daß an einem Tag die Anzahl der männlichen t)urten ganz erheblich hinter den weiblichen zurückbleibt, nicht nur unwahrscheinlich, sondern infolge ganz bestimmter Tatsachen unmöglich ist. Auch in diesem Fall wären die Geburten im vierten Sinne voneinander abhängig. I >ie Spielresultate im Fall, wo eine einzige Person eine Münze r oft nacheinander in die Höhe wirft, könnten im Gegensatz zur hensehenden Auffassung, abgesehen von der Abhängigkeit im •ij und dritten Sinne, gleichfalls sehr wohl Abhängigkeit im Sinne zeigen. Spielen wir mit mehreren Würfeln gleichzeitig, so erscheint es nicht unbedingt ausgeschlossen, daß sie sich im Würfelbecher so beeinflussen, daß gewisse Resultate bevorzugt werden, wie schon ') VgL hierzu W. Johannsen, Elemente der exakten Erblichkeits- lehie. Zweit«- df-ut-rh« Ausgabe. Jena 1913. B. 8 f. 268 15. Die Lehre vom oben angedeutet Wurde. Selbst wenn wir gleichzeitig eine Handvoll Münzen in die Höhe werfen, ist eine gegenseitige für die Spiel- resultate in Betracht kommende Beeinflussung der Münzen nicht ausgeschlossen. Wäre dies der Fall, so läge in diesen beiden Bei- spielen für die Spielresultate Abhängigkeit im zweiten Sinne vor. Diese sowie andere mögliche Abhängigkeiten einfach auf Grund des Prinzips des mangelnden Grundes abzulehnen, wäre sehr ver- fehlt. Solche Fragen können ausschließlich experimentell ent- schieden werden. Das Prinzip des mangelnden Grundes ist eine Quelle fortgesetzter Täuschung, wenn es zur Gewinnung von Wahrscheinlichkeitsbrüchen benützt wird, die zugleich als relative Häufigkeiten fungieren sollen. Dies ergibt sich schon aus unserem im elften Kapitel erbrachten Nachweis über den dürftigen Wert der Wahrscheinlichkeitsrechnung a priori. Wir haben somit gesehen, daß der Begriff der Abhängigkeit der Ereignisse, mit denen sich die Wahrscheinlichkeitsrechnung beschäftigt, keineswegs so leicht übersehbar ist, wie in der Wahr- scheinlichkeitslehre gewöhnlich angenommen wird, und daß die er- wähnte Brunssche Definition der Abhängigkeit und Unabhängig- keit, welche der herrschenden Meinung entspricht, nicht ausreicht. Denn sind die Ereignisse, auf welche sich die Wahrscheinlichkeits- rechnung bezieht, auch im Brunsschen Sinne unabhängig, so können sie trotzdem derart sein, daß einer der wichtigsten Sätze der Wahrscheinlichkeitsrechnung, nämlich der Multiplikationssatz, nicht anwendbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Ereignisse in unserem vierten Sinne voneinander abhängig sind. Wir haben ferner gesehen, daß es in vielen Gebieten an sich wohl möglich wäre, daß eine Abhängigkeit der Ereignisse im vierten Sinne be- stünde. Diese Gebiete sind nun dieselben, auf welche neben der oben erwähnten mathematischen Betrachtung auch die natur- philosophische anwendbar ist. Die Präge, ob für eine statistische Masse die mathematische oder die naturphilosophische Betrachtung die richtige ist, ob also der statistische Ausgleich besteht oder nicht, hängl daher aufs engste zusammen mit der Frage, ob die Ereignisse dieser Masse im vierten Sinne voneinander abhängig sind oder nicht. >t atist isohon Ausgleich. 269 Im Jahre 1899 habe ich in einer ersten Schrift 1 ) aber diesen genstand die natnrphilosophisohe Betrachtung als die richtige, die mathematische ab die falsche bezeichnet. Ich war also der Meinung, «laß, wenn für eine statistische Masse eine bestimmte letsmäßigkeit empirisch festgestellt wurde, eine gleichwertige statistische Masse um er gleichen Bedingungen nicht auf einmal ein Verhalten zeigen kann, welches dem empirischen Befund wider- spricht. Ich stützte schon damals meine Auffassung auf die be- wahrten Ehrwartangen der Induktion im weiteren Sinne und ich suchte zu zeigen, daß in der Natur tatsächlich Bedingungen vor- > 'ii. welche Tatbestände im Sinne der naturphilosophischen Betrachtung herbeiführen müssen. Ich schrieb damals unter anderem folgendes, indem ich von dem Fall ausging, wo eine Person oft nacheinander ein Geldstück in einem Würfelbecher schüttelt und es auf den Tisch wirft: ,,\Venn eine Person in der angegebenen Weise hundertmal mit einem Geldstück wirft, so führt sie periodisch drei komplizierte Tätigkeiten aus, das Schütteln des Bechers, das Auswerfen der Münze und das Einlegen der Münze in den Würfelbecher. Diese drei komplizierten Tätigkeiten vereinigen sich zur Gesamt tätigkeit des Werfens." ,, Diese Gesamttätigkeit des Werfens wird nun, wenn eine Person hundertmal wirft, nicht hundertmal in ganz derselben Weise aus- füllen. Es ist nicht nur im höchsten Grade unwahrscheinlich, dem vielmehr durchaus ausgeschlossen, daß eine Person, die hundertmal wirft, die fragliche Gesamttätigkeit in absolut iden- sher Weise ausführt. Der Mensch ist keine Maschine und nicht so eingerichtet, daß seine komplizierten Tätigkeiten oft nach- einander in absolut identischer Weise ablaufen können." „Wie es aber ausgeschlossen ist, daß eine Person, die hundert- mal wirft, die fragliche Gesamttätigkeit hundertmal in absolut identischer Weise ausführt, so ist es auch unmöglich, daß das Werfen einer bestimmten Person alle denkbaren Gestaltungen an- l ) K. Karbe, Naturphilosophische Untersuchungen zur Wahrschein- tiehkertolehre. Leipzig lsw». 270 15. Die Lehre vom nimmt. Wir haben im zweiten Kapitel gesehen, daß unendlich viele Bewegungen des Armes usw. denkbar sind. Weil daher un- endlich viele Gestaltungen der Gesamttätigkeit des Werfens denk- bar sind, so ist es eo ipso ausgeschlossen, daß bei einer endlichen Anzahl von Würfen alle denkbaren Gestaltungen des Werfens ausgeführt werden können. Immerhin werden die einzelnen Würfe voneinander verschieden sein, ja wenn eine Person hundertmal nacheinander oder überhaupt beliebig oft wirft, brauchen nicht einmal zwei Würfe identisch zu verlaufen." „Bei aller möglichen und wirklichen Verschiedenheit der Ge- samttätigkeit des Werfens erfolgen aber die wirklichen Gestaltungen derselben nicht in dem Sinne regellos, daß keinerlei Gestaltungs- typus vorhanden ist. So ausgeschlossen es ist, daß ein des Schreibens Kundiger den Buchstaben a immer in derselben Weise schreibt, so unmöglich es ist, daß er demselben alle denkbaren Formen gibt, so zweifellos ist es, daß sich für jeden, der schreibt, ein be- stimmter Typus einstellt, von dem seine wirklich geschriebenen a mehr oder weniger differieren. An vielen ähnlichen Beispielen läßt sich zeigen, daß, wenn eine Person eine Tätigkeit sehr oft periodisch ausführt, sich ein gewisser Typus einstellt, von dem größere oder geringere Abweichungen vorkommen. Wir werden daher annehmen müssen, daß diese Tatsache auch zutrifft für Fälle, wo sie nicht so in die Augen springend ist wie für das Bei- spiel mit dem Buchstaben a und für ähnliche Beispiele. Wir werden ihr daher eine allgemeine Bedeutung zuerkennen und sie daher auch auf das Werfen eines Geldstückes ausdehnen müssen. Dabei sei BOgleich bemerkt, daß es für uns genügt, den Satz, daß periodisch sehr oft wiederkehrende Tätigkeiten des Menschen sich um einen •icwissen Typus gruppieren, in der allgemeinsten und unbestimm- testen Weise zu interpretieren." ,,Wir nehmen nun an, daß unser Geldstück keinerlei Eigen- schaften hat, welche für das Eintreten <\v^ einen Resultates günstiger sind als für das Eintreten des anderen, und wir nehmen ferner an, daß auch keine anderen konstanten Bedingungen vorhanden sind, welche; eines der beiden Ergebnisse begünstigen. Wir wissen dann, tatist wehen A.usffleieh. -71 n daß das Resultat Wappen ebenso möglich ist als »las Resultat Zahl, d. h. jeder denkbaren Gestaltung <lrs Werfens, welche das Resultal Zahl herbeiführt, entsprich! eine andere genau gleich mögliche, welche das Resultal Wappen herbeiführt, Hieraus folgt aber notwendig, daß der Typus, um welchen sich die Würfe grup- pieren, weder eine dauernde Begünstigung des Resultates Wappen, noch eine solche des Resultates Zahl einschließen kann/' „Wenn dies aber der Fall ist. so ist es ganz ausgeschlossen, daß man bei beliebig Langem Fortsetzen des Werfens oder (was das- aelbe bedeutet) Ihm anendlich vielen Würfen nur das Resultat Zahl erhält. Wäre dies nämlich der Fall, so würde man hieraus schließen müssen, daß die Wurfbewegungen sich um einen Typus gruppieren, welcher das Etesultal Wappen ausschließt. Dies steht aber in offen- 111 Widerspruch mit dem vorhin abgeleiteten Satz, nach welchem der Typus, um den sich die Wurftätigkeiten gruppieren, weder die Begünstigung des Resultates Wappen noch die des Resultates Zahl einschließt. Demnach ist es unmöglich, daß bei beliebig vielen von einer Person ausgeführten Würfen immer dasselbe Resultat erscheint." „Wenn es aber ausgeschlossen ist, daß unendlich oft nach- einander Wappen bzw. Zahl oben liegt, so heißt dies nichts anderes, laß nur eine endliche Anzahl nacheinander das Resultat Wappen bzw. Zahl auftreten kann. Es muß also einen Wert p geben, der dir größte reine Gruppengröße bedeutet, die beim Werfen mit einem Geldstück vorkommt 1 )." [ch übertrug dann diese Typentheorie auf sehr verschiedene andere Gebiete. So schrieb ich z. B. folgendes: „Ich bin nun der Meinung, daß auch für die Knaben- und Ichengebnrten die Tatsachen Geltung haben, die wir für das Glücksspiel und die Beobaehtungsfehler als allgemein zutreffend abzuleiten versuche hüben. Offenbar gruppieren sich auch die Vor. die für di<- sukzessiven Knaben- und Mädchengeburten m einer Btadl charakteristisch sind, um einen gewissen Typus. K. Karbe, ... ... <>. Leipzig 1809. B. 31 ff. 27:2 15. Die Lehre vom Andererseits wissen wir aus der Erfahrung, daß „das Geschlechts- verhältnis der Geborenen für große Massen von Geburten einen ungefähr konstanten Wert zeigt". Dieses Verhältnis wird doch nun offenbar in dem Typus begründet sein, um welchen sich die für den Geschlechts ausf all charakteristischen Vorgänge gruppieren. So lassen sich denn für das Geschlechtsverhältnis der Geborenen dieselben Betrachtungen durchführen, die für die Glücksspiele und die Beobachtungsfehler mitgeteilt wurden 1 ) 2 )." Ich habe mittlerweile immer an den Grundanschauungen meiner Schrift aus dem Jahre 1899 festgehalten. Wenn ich auch glaube, meine Ansichten im vorliegenden Buche etwas vorsichtiger und richtiger formuliert zu haben, wenn auch die Typentheorie in der von mir vorgetragenen Form nicht für alle in Frage kommenden Gebiete gültig sein mag 3 ), so will es mir doch heute ebensowenig als zur Zeit, wo ich meine erste Schrift über diesen Gegenstand abfaßte, in den Kopf, daß lediglich wegen der Betrachtungen der Wahrscheinlichkeitsrechnung ausreichend festgestellte Tatsachen der Statistik, auch wenn sich die jenen Tatsachen zugrunde liegen- den konstanten Bedingungen nicht ändern, sich jederzeit als falsch sollen erweisen können. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung ist eine rein mathematische Disziplin, die auf ganz bestimmten fingierten Voraussetzungen beruht. Was aber in der Natur und im Leben geschieht, das kann man unmöglich aus den Voraussetzungen der Wahrscheinlichkeitsrechnung ableiten, die sich ja als solche um die tatsächlichen Vorgänge der Natur und des Lebens überhaupt nicht kümmert. Ja man kann das Wesen der Mathematik meiner *) K. Marbe, a. a. 0. S. 39. 2 ) Eh ist hiernach nicht zutreffend, wenn 11. Grün bäum (Isolierte und reine Gruppen und die Mar besehe Zahl„p". Würzburg 1904. S. 31 f.) und E. Czuber (Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Anwendung auf Fehlerausgleichung, Statistik und Lebens vei Sicherung. 3. Aufl. Bd. 1. 1914. S. 163) meinen, meine Typentheorie bezöge sich nur auf menschliche Tätig- keiten, wie Werfen einer Münze und dgl., bzw. nur auf den speziellen Vor- gang beim Roulettespiel. 3 ) Hierauf habe ich schon in Viorteljalirssehrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie. Bd. 34. 1910. S. 45 (Anmerkung) hingewiesen. statistischen Ausgleich. 878 Meinung aach nicht mehr verkennen, als wenn man auf Grund willkürlicher mathematischer Voraussetzungen Tatsachen der Er- EahrungBwell deduzieren will. So halte ich heute wie schon vor 17 Jahren an der Lehre fest, die wir oben als Lehre vom statistischen Ausgleich bezeichnel haben. Meine erste Bchrift 1 ) aus dem Jahre 1899 hat viel Interesse her vor g e r u fen. Vertreter der Philosophie, der Mathematik, Astro- nomie, Physik und Nationalökonomie haben an sie angeknüpft. Aber die Anerkennung, die man ihr zollte, war leider dem Interesse umgekehrt proportional. Brömse und Grimsehl 2 ), G. F. Lipps 3 ), v. Bortkewitsch (Bortkiewicz) 4 ) , Lexis 5 ) , Grünbaum 6 ), Bruns 7 ), E. v. Hartmann 8 ), Wundt 9 ), Czuber 10 ), Timerding 11 ) haben meine Aufstellungen abgelehnt. H. Maier 12 ) verhielt sich zurückhaltend und nur 0. Sterzinger 13 ) hat die Richtigkeit meines Standpunktes anerkannt. 1 ) K. Marbe, Naturphilosophische Untersuchungen zur Wahr schein - li< hkeitslehre. Leipzig 1899. 2 ) H. Brömse und E. Grimsehl, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Bd. 118. 1901. S. 145 ff. 3 ) G. F. Lipps, Phüosophische Studien. Bd. 17. 1901. S. 116 f. und .75. 4 ) L. v. Bortkiewicz, Zeitschrift für Philosophie und philosophi- sche Kritik. Bd. 121. 1903. S. 71 ff. 5 ) W. Lexis, Abhandlungen zur Theorie der Bevölkerungs- und M..r;d>tatistik. Jena 1903. S. 222 ff. 6 ) H. Grünbaum, Isolierte und reine Gruppen und die Mar besehe Zahl „p". Wunsburg 1904. ' 7 ) H. Bruns, Wahrscheinlichkeitsrechnung und Kollektivmaßlehre. Leipaig und Berlin 1906. S. 217 ff. 8 ) E. v. Hart mann, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philo- sophie und Soziologie. Bd. 28. 1904. S. 315. 9 ) \V. Wundt, Logik 3. Aufl. Stuttgart 1906. S. 432. lt ) E. Czuber, Wahrsduünlichkeitsrechnung und ihre Anwendung auf Pehlersusgleiehnilg, Statistik und Lebensversicherung. 3. Aufl. Leipzig und Berlin 1914 Bd. 1. 8. 102 ff. 2. Aufl. 1908. Bd. I. S. 144ff. 11 ) B. E.Time rdin<:. Die Analyse des Zufalls. Braunschweig 1915. S. 52. 12 ) Chr. Bigwart, Logik. Bd. 2. Vierte Aufl. 1911. Besorgt von H. Kaier. B. 8361 13 ) 0. Btersinger, Zur Logik und Naturphilosophie der Wahr- ■ehemUehkeitalehre. Leipzig 1911. B. 36, 30, 47, 119 ff., 123, 221 ff., 230f. Marl*;, \>\n GHelohförmJglceit in der Wolt. 18 274 lö. Die Leine vom Meine letzte Schrift 1 ) über den Gegenstand, in der ich mich übrigens darauf beschränkte, die Antinomie zwischen der mathe- matischen und der naturphilosophischen Betrachtung zu betonen, fand nicht nur keine Anerkennung, sondern auch kein Interesse. Man betrachtet meine Ansichten heute wohl fast allgemein als eine Entgleisung, die man schon kennt, und für die man sich nicht weiter zu interessieren braucht. Eine Reihe von Mißverständnissen meiner Gegner habe ich früher selbst erörtert und zu widerlegen versucht 2 ). Auch hat v. Bortkewitsch, wiewohl keineswegs mit meinen Ausführungen übereinstimmend, Angriffe, die Grimsehl gegen mich gerichtet hatte, zurückgewiesen 3 ). Daß meine Lehre allgemeinen Widerspruch hervorrief, ist leicht verständlich. Erstens steht sie im schärfsten Gegensatz zu den herrschenden Grundanschauungen in der Wahrscheinlichkeits- lehre und der theoretischen Statistik. Zweitens aber waren die empirischen Beweise, durch die ich meine Ansichten in meiner ersten Schrift zu stützen suchte, von Grund aus verfehlt. Drittens waren, wie dem Kenner auch unsere obigen Auszüge aus der Schrift zeigen, einige Bemerkungen vom mathematischen Standpunkt aus anfechtbar. Mein Vorgehen war folgendes: Ich stellte für verschiedene statistische Massen ■ — benützt wurden ausschließlich Spielresultate — die wirkliche Anzahl der reinen Gruppen fest. Andererseits berechnete ich die theoretische wahrscheinlichste Anzahl dieser reinen Gruppen. Ich fand nun ganz im Sinne meiner Theorie, daß die wirkliche Anzahl der reinen Gruppen mit wachsender Gruppengröße immer mehr hinter der wahrscheinlichsten Anzahl zurückbleibt. Hierdurch schien meine Theorie bewiesen. In der 1 ) K. ftfarbe, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie. Bd. 34. 1910. S.löff. 2 ) K. ftfarbe, Vierteljahrsschrifl für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie. Bd. 26. \ ( M)2. 8. 339ff. und Philosophische Studien. Bd. 17. 1901. 8. 462 ff. 3 ) L. v. Bortkiewioz, Zeitschrift für Philosophie und philosophi- sche Kritik. Bd. 121. 1903. 8. 71 17. statisl ißohen Ausgleich, 27r> • war mein Vorgehen an sich auch ein geeigneter Weg zur empi- Begründung meiner Ansicht. Aber die Art und Weise, wie ich die wirkliche Anzahl der reinen Gruppen feststellte, erwies sich als verfehlt. Ich bediente mich nämlich eines mathematischen Kunstgriffes, der sich bei näherer Betrachtung als falsch erweist. Wenn man etwa heim Spiel Wappen oder Zahl folgende Resultate erhält: \\ | / | \Y /. \\ \\ \\ \\ W X W Z Z Z \Y Z Z YV Z \Y Z W YY USW. mi muß man dieselhen so auffassen, daß gun&ohfil tinc reine Gruppe zu 1, nämlich v\ und ilali dann ,, ,, .. .. 3, ,, z z z w z ,, w w w w w z w z z z w z z w z w • 1 ' 1 1, »» 1, «» 5, • > )» 1, .. • » 1, >» »» >> 3, 1, 2, * > 1, 1, 1, >> J5 1, ? » »> 2, z w w usw. folgt. Um indessen aus verhältnismäßig wenig Beobachtungen ein .liehst großes Material zu erhalten, schlug ich einen anderen Weg ein. Ich teilte z. B. die vorhin aufgeführte Reihe von Spielresultaten wzzzwzwwwwwzwzzzwzzwzwzww usf. um in 25 reine Gruppen zu 1 ein, dann verband ich das erste . das zweite und dritte, das dritte und vierte Resultat usf. erhielt ich folgende 24 Gruppen zu 2: w z /. z* z z* z w z I w w* w w* YY \Y VV w w z z w w z z z z z z \Y W Z z z z w W z Z w W z z w YY w 18' 276 15. Die Lehre vom unter denen ich die mit Sternchen (*) bezeichneten als reine auf- faßte. Dann verband ich das erste, zweite und dritte, ferner das zweite, dritte und vierte, ferner das dritte, vierte und fünfte Re- sultat usw., um dann wiederum die Anzahl der reinen Gruppen zu 3 festzustellen. In analoger Weise bildete ich Gruppen zu 4, 5 . . . So ergaben sich für alle meine Materialien rij Gruppen zu 1 1*2 " " ^ 1*3 »» >> " USW. Und so konnte ich aus diesen Gruppen für meine Materialien die Anzahl der reinen Gruppen zu 1, 2, 3 . . . feststellen. Ich be- rechnete nun einfach die wahrscheinlichste Anzahl der reinen Gruppen unter n t Gruppen zu 1 55 55 55 55 55 55 55 U2 ,, ,, A 55 55 55 55 55 55 55 n3 ,, ,, O USW. und ich stellte diesen wahrscheinlichsten Anzahlen der reinen Gruppen die wirklichen Anzahlen gegenüber, wobei sich dann, wie schon erwähnt, fand, daß die wirkliche Anzahl der reinen Gruppen mit wachsender Gruppengröße hinter der wahrscheinlichsten zu- rückblieb. Im ganzen habe ich ungefähr 160 000 einzelne Spiel- resultate verarbeitet. Diese Verwendung von übergreifenden Gruppen schien den großen Vorzug zu bieten, daß sie gestattete, die Untersuchung mit relativ geringem Material auszuführen . Sie war aber unzulässig. Bei der Verwendung dieser Methode stützte ich mich auf das Prinzip des mangelnden Grundes, das zwar logisch gewiß einwandfrei ist, das aber immer gefährlich bleibt, wenn man mit seiner Hilfe zu Wahrscheinlichkeitsansätzen fortschreiten will, die zugleich richtige Häufigkeitsbrüche sein sollen. Ich hatte keinen Grund anzunehmen, daß die Art der Gruppeneinteilung irgendwie von Einfluß auf das Verhältnis der Anzahl der reinen Gruppen zur Anzahl der Gruppen überhaupt sei. Deshalb betrachtete ich jede beliebige Verbindung der aufeinanderfolgenden Resultate zu Grup- -tatist isohen Ausgleich. 277 pen als erlaubt. (Prinzip der Willkürlichkeil der Gruppeneintei- lungen.) Die Einsicht, daß mein Verfahren unerlaubl Bei, lag damals im Gebiet der Wahrscheinlichkeitslehre nicht explicite vor. Freilich worden alsbald von manchen Stellen Bedenken gegen dies Ver- fahren laut. Aber erst ans dem Büchlein von Grünbaum 1 ) aus dem Jahre 1904 ergab Bich, daß die Unrichtigkeil meines Wrnilirens in bekannten Sätzen der Wahrscheinlichkeitslehre implicite ent- halten war. Grünbaum zeigte nämlich, daß bei meinem Ver- i «ii ein Zurückbleiben der wirklichen Anzahlen der reinen Gruppen hinter den wahrscheinlichsten Anzahlen aus rein mathe- matischen Gründen erfolgen müsse. Hiermit war der empirische hweis meiner Thesen gefallen 2 ). Es war klar, daß das Prinzip Willkürlichkeit der Gruppeneinteilungen falsch sei und daß in auf dieses Prinzip gestützter Kunstgriff verfehlt war. Seit jener Zeit sann ich immer über neue und bessere Kunst- ::»■ nach. Aber ich fand keine. Und schließlich entschloß ich mich, unbekümmert um Zeit und Mühen, ein ganz großes Material ohne jeden mathematischen Kunstgriff auf die Lehre vom sta- tistischen Ausgleich hin zu untersuchen. Diese Untersuchungen waren von Erfolg gekrönt. Sie sollen in den folgenden Kapiteln mitgeteilt werden. Sie zeigen, daß es keineswegs notwendig ist, ein bo enorm großes Material zu verarbeiten, wie ich gefürchtet hatte. Immerhin beziehen sich meine Untersuchungen auf zirka eine Viertelmillion einzelner Fälle. EL Grün hau m, a. a. 0. *) H. Brnm Jiat Bp&ter (Abhandlungen der .sächsischen Gesellschaft WL-M-nsehaften. Math. - phys. Klasse. Bd. 29. 1906. S. r>7i) ff.) die L'-hre von den übergreifenden Grnrppen einer ausführlichen mathematischen mdhing unterzogen. Er setzt hierbei, wie allgemein üblich, voraus, daß tittkehe Ausgleich nicht stattfindet. Sechzehntes Kapitel. Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung und Erfahrung im Gebiet der Bevölkerungslehre. Wenn ein bestimmtes Material in gewissen Beziehungen mit den Erwartungen, die wir auf Grund der Wahrscheinlichkeits- rechnung hegen, übereinstimmt, so folgt daraus noch keineswegs, daß es in allen Beziehungen mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung übereinstimmen muß. So zeigt auch unser Würzburger Material trotz der Ergebnisse des 14. Kapitels Eigentümlichkeiten, die dem, was man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwarten sollte, unbedingt widersprechen. Dies wird am Schluß des vor- liegenden Kapitels und später gezeigt werden. Bevor wir indessen diese speziellen Nachweise erbringen, wollen wir Untersuchungen, die sich auf ein viermal so großes Material von Geburten beziehen, mitteilen. Im vorigen Kapitel haben wir das Würzburger Material in aufeinanderfolgende Gruppen zu 12 zerlegt; auch haben wir uns eines Lexikons bedient, welches alle in dem Material möglicher- weise vorkommenden Gruppen zu 12 enthielt. Für die Betrachtungen des vorliegenden Kapitels bleibt (wenn auch die Registrierung nller Geburten derjenigen der Würzburger Geburten ganz analog war) die Einteilung in Zwölfergruppen und das Lexikon ganz außer Betracht. Ich ließ auf den Standesämtern in Fürth, Augsburg und Freiburg i. Br. gleichfalls die seit dem Jahre 1876 verzeichneten ersten 49 152 Geburten aufnehmen und legte für alle drei Städte je ein ganz analoges Buch wie das auf die Würzburger Geburten bezügliche an. Dann bildete ich durch Aneinanderfügen <]cs Würz- burger, Fürther, Augsburger und Freiburger Materials ein großes auf 40152.4 = 196 608 Geburten bezügliches „Gesamtmatcriar, in welchem demnach 196 608 Buchstaben (m oder!) aufeinander folgten. Widerspruch im Gebiet »In Bevölkerungslehre. 279 Nun wurde in der im 15. Kapitel dargelegten einwandfreien w ahlt. wieviel reine Gruppen zu l. 2, :'> usw. sich in dem Qeeamtmaterial befanden. Ferner wurde die Gesamtzahl aller reinen Gruppen festgestellt. Endlich wurde die Anzahl der nen Gruppen, die größer als l waren (d.i. die Anzahl der „reinen ippen ober l"), dann die Anzahl der reinen Gruppen, die : als - waren (also die Anzahl der „reinen Gruppen über 2") ihlt. Diesen empirisch gewonnenen Werten wurden die theoretischen gegenübergestellt. Um diese Gegenüberstellung zu ermöglichen, mußte ich berechnen: l. die wahrscheinlichste Anzahl der reinen Gruppen zu 1, 2, 3 usw., •l. die wahrscheinlichste Anzahl der reinen Gruppen über 0, über 1, iiher '2 usw. ..I>ie Anzahl der reinen (huppen über 0" (also der reinen Gruppen, di. i als Bind) ist nur ein für die folgenden tabellarischen sammenstellungen bequemer Ausdruck für die Anzahl aller neu Gruppen überhaupt. Kür den Fall, daß m und f gleiche Wahrscheinlichkeit haben, ist dir Berechnung der in Frage stehenden wahrscheinlichsten Anzahlen leicht auszuführen. Die wahrscheinlichste Anzahl der Gruppen zu 1 ist nämlich hier doppelt so groß als die wahr- leinlichste Anzahl der reinen Gruppen zu 2, diese ist wiederum doppell 90 groß als die wahrscheinlichste Anzahl der reinen Gruppen zu :} Q8w. Die wnlnwheinlichste Anzahl der reinen Gruppen zu 1 i immer den vierten Teil aller Einzelfälle, während di.- wahrscheinlichste Anzahl aller Gruppen überhaupt gleich der • Einzelfalle ist 1 ). Für X Einzelfälle ist also die wahr- inlichflte Anzahl i .<n«l.-t wohl als erster EU empirischen Untersuchung an: K. Pesnon, The Chance« of Deatfa and other Utifli in Kvolution. IM. I. J8!»7. 8. 53 ff. Der Satz selbst ist wohl schon und findet *ieh schon hei Multatiili (Pseudonjm für '' I Millioni-ii-Studieii. Aus dem Holländischen abersetzt von »hr. Muifh-n ,. Westf. nioo. 8.212. Das Buch von Multatuli • .• ;. 1 - 280 16. Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung N aller reinen Gruppen überhaupt gleich — zu 1 9 N 4 8 ii N Die wahrscheinlichste Anzahl aller reinen Gruppen über ist gleich 2 n+l N 2 1 * 4 N n „ " 2 n + 1 Die wahrscheinlichste Anzahl der Gruppen zu n ist also, wenn m und f gleiche Wahrscheinlichkeit haben, gleich der wahrschein- lichsten Anzahl der Gruppen über n. Für den in unserem Material verwirklichten Tatbestand, daß m und f verschiedene Wahrscheinlichkeit haben, gestaltet sich die Berechnung der wahrscheinlichsten Anzahl der reinen Gruppen zu 1, 2, 3 usw., sowie der wahrscheinlichsten Anzahl aller reinen Gruppen über 0, 1, 2, 3 usw. etwas schwieriger. Die wahrscheinlichste Anzahl der reinen Gruppen zu n beträgt nämlich: _ , t M 2 F 2 ^ x ^ivi -f- j. ' M 2 + F 2 Die wahrscheinlichste Anzahl der reinen Gruppen über n — 1 ist gleich: MF [ + } M 2 + K 2 ' In diesen Formeln bedeutet: M die Wahrscheinlichkeil der männlichen Geburten (m), F ,, „ „ weibliehen „ (f), N .. Anzahl aller Einzelfälle, also die Anzahl aller m -f der Anzahl aller I. und Erfahrung im Gebiet tl«i Bevölkerungslehre. 281 \) gen beiden Formeln, aus denen sich die vorhin für M = ¥ mitgeteilten Sätze als Spezialfälle ergeben, mögen nun hier abgeleitet werden. Zum Zweck dieser Ableitung setzen wir = die wahrscheinlichste Anzahl aller reinen Gruppen. = „ ,, der reinen Gruppen zu n, != .. .. „ der reinen Gruppen über n — 1. Zu beachten ist. daß M + F gleich 1 ist. Die Wahrscheinlichkeit für eine reine Gruppe zu 1 für ■ zu :i. ml' oder Im m mf oder f f m iiiiumf oder f f f m ist w, = MF + FM = MF (M° + F°) ist w 2 = M 2 F + F 2 M = MF (M 1 + F 1 ) ist w 3 = M 3 F + F 3 M = MF (M 2 + F 2 ) zu u. f l £ :i u^ mmm. . . mf irtt Wn = M n F + F n M = MF(M n - 1 + F n ~ 1 ). oder 1 1 , ... f in AL«c gelten folgende Gleichungen: -,:-,:-,:...: = (M° + F°) : (M 1 + F 1 ) : (M 2 + F 2 ) : . . . :(M U -! + F 11 " 1 ) -,:- M € l°j:(M n - 1 + F n - 1 ) M n_, + Fn _! -i • h : h + • • ■ ii s* .-., osw. die nach der Formel fürs,, gewonnenen Ausdrücke ein, so erhalten wir: 282 16. Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung ^o — s i + M' + F 1 *i + M 2 +F 2 h. + • • • 2 x ' 2 2 + (M 1 + F 1 )+ (M 2 + F 2 ) + (1 + M + M 2 + ...) + (1 + F+ F 2 + . . .) 1 1 ü s, Formel 1 _ M ' 1 — F / 2 Nun ist 1 — M = F; 1 — F = M. Also: 'l,J_\ßi M + F Sl 8 X F + M/"2 FM 2 ~2MF' Bj = 2MFS . Setzt man diesen Wert von 8 t in die oben für s n ermittelte M n-1 + F n -1 ein, so erhält man: s n = (M*- 1 + F"- 1 ) MF S oder s n = w n S . Um S zu bestimmen, beachte man folgendes: N = Sl + 2s 2 + 3s 3 +... Setzt man in diese Gleichung die Werte für s l5 s 2 , s 3 . . . ein, so ergibt sich: N = [(M° + F°) + 2 (M 1 + F 1 ) + 3 (M 2 + F 2 ) + . . .] M F S -[(l + 2M + 3M 2 +4M 3 +...) + (l + 2F+3F 2 +4F 3 +...)]MFS Da nun 1 — M = F, 1 — F = M, so wird N = VF 2 + M 2 / M V S ° = F 2 M 2 M ] S ° = " MT _ b ° ' S NMF M 2 + F- 1 ) Hier wurde die Formel: 1 -f- x -4- x 2 -f- x 3 -f- . . . = benützt. 1 — x 2 ) Hier wurde die Formel: 1 2 x | :* x 3 }- 4 j*+ . . . = r . ^ benützt. ' (1— x) z und Erfahrung im Gebiet <l<i Bevölkerungslehre. 283 ien wir diesen Werl in die Formel >„ (M»— 1 + V"-- l )MVS M- F- em, n ergibt sich >„ (M n » {- F»— *) M ., , ^N. \ <li dieser Formel wurden die wahrscheinlichsten Anzahlen Qnippen iu 4, 5 osw. berechnet. Für s,, s 2 , s 3 läßt sich, man leicht sieht, die Formel vereinfachen. Es ist nämlich: •2M-V- „ Bl = M- F 1 ,N M 2 + F- s 3 --= M 2 F 2 N. Wir wenden uns jetzt zur Ableitung der Formel für S n _ r Wir haben demnach zu berechnen: s n + s n + 1 + s n + 2 . . . Also ist M 2 F" 2 a _ (Mn — 1 4- F n ~ l ) — N M 2 F 2 -r ^J« -r * ^ M 2 + F 2 M 2 F 2 4- (M D + * + F" + *) J* , T , 9 - N usf. r: Sn-l = M 2 + F 2 (M»- 1 +M B +M ll + 1 +...) + (F n - 1 +F n +F n + 1 +...) M»- 1 (l + M+B4»+...) + F n - 1 (l + F + F i +...) M 2 F 2 M 2 + F 2 M 2 F 2 MM-F" = ( M n - l - 4- F n - > — 1 — M^ i_F/M 2 -- F* M 2 F 2 ») N H»— 1 |-n-l\ |£*p2 ■1 |.T, 1 l 1 M / ! M 2 + pa ., N MM" ' • l' l'"-i M'P N M I SP + F - ') Hiei -.'.rinnt vriedei die Formel 1 4- x 4- x 2 4-x 3 4- . . . =• bui 1 — X Aawendi. 284 16. Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung Nach dieser Formel wurden die wahrscheinlichsten Anzahlen der Gruppen über 0, 1, 2 usw. berechnet. Man sieht, daß der aus der rechten Seite der letzten Gleichung; für n = 1 hervorgehende MF Ausdruck vp^-r^N mit dem oben für S abgeleiteten Ausdruck identisch ist. Wir können daher auch sagen: S n _ x = (M n + F n )S . Zur Ausrechnung der Formeln für unser Gesamtmaterial wurde die Wahrscheinlichkeit von m und f durch Auszählung des Gesamtmaterials gewonnen. Es ergab sich : 100465 , ^ 96143 M = *„ nn ^„ und F = 196 608 — 196 608 Im folgenden teilen wir nun eine Tabelle mit, welche die wirk- lichen Anzahlen der reinen Gruppen zu 1, 2, 3 .... 16, 16 + x und daneben die wahrscheinlichsten Anzahlen dieser Gruppen enthält. Die vierte Kolumne zeigt die Differenzen zwischen den wirklichen und den wahrscheinlichsten Anzahlen. In der fünften und letzten Kolumne sind für die Gruppen zu 2 bis 8, sowie für die Gruppen zu 9 bis 16 einschließlich der Gruppen über 16 die arithmetischen Mittel der Differenzen gebildet, während in der gleichen Kolumne für die Gruppen zu 1 die Differenz zwischen wirklicher und wahrscheinlichster Anzahl nochmals in Klammern ( ) wiederholt ist. Die Tabelle ist wie alle folgenden des vorliegenden Kapitels aus begreiflichen Gründen nur soweit durchgeführt, als die wahr- scheinlichsten Anzahlen auf Werte führen, die nicht kleiner als 1 sind. Daß in der Tabelle die wahrscheinlichsten Anzahlen in De- zimalbrüchen angegeben werden, hat streng genommen keinen unmittelbaren Sinn. Denn natürlich ist eine Anzahl von ganzen Gruppen immer eine ganze Zahl. Die rechnerisch unvermeidlichen Dezimalbrüche können indessen in der folgenden Tabelle und in allen analogen Fällen dieses Buches so aufgefaßt werden, daß die- jenige ganze Zahl in Frage kommt, die den Brüchen am nächsten liegt. und Erfahrung In Gebiet der Bevölkerongslehre I r688 int inn | t>ri;il. Reine ( hruppen va 1, 2, 8 . . . 286 in« V B Aritli- ' : Wirkliche Wahrscheinlichste A -B metisclic ZU -tlil Anzahl Mittel 1 18 819 49 080,8 - 461,8 (- 461,8) 1 24 282 24 640,4 — 258,4 ■ 12 661 12 276.1 + 274,9 4 6 168 6 144,0 + 25,0 5 3 088 8 076,4 + 11,6 f 10,0 8 1 634 1 641,2 7,2 7 772 772,4 0,4 8 412 387,3 + 24,7 9 183 194,3 - 11,3 10 97 97,5 - 0,5 11 50 49,0 + 1,0 LI 26 24,6 + 1,4 13 14 12,4 + 1,6 - 1,6 14 1 6,2 — 5,2 1-, 4 3,1 + 0,9 16 1,6 - 1,6 16 + x l 1 ) 1,6 - 0,6 ■ Aus dieser Tabelle lassen sich folgende für unser Gesamt- material gültige Sätze ableiten: 1 . Die wirkliche Anzahl der reinen Gruppen zu 1 bleibt hinter .'.aiiiwlicinlichsten Anzahl zurück. ii Gruppen zu 2, 3 ... 8 sind durchschnittlich häufiger, die höheren reinen Gruppen durchschnittlich seltener, ak man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung er- warten boM Um ein [Jrtei] Über die Allgemeingtiltigkeit des ersten Satzes zu gewinnen, habe ich die Materialien der Städte Würzburg, Fürth, Aqpbtng, Preürarg jeweils ganz isoliert betrachtet und für jede kommt innerhalb dei Aagibuigex Materials vor und 17. 286 16. Widerspruch /wischen Wahrscheinlichkeitsrechnung Stadt einzeln die Gruppen zu 1 gezählt und theoretisch berechnet, Hieraus ergab sich folgende Tabelle: Gruppen zu 1. A B Arith- Wirkliche "Wahrscheinlichste A — B metisches Anzahl Anzahl Mittel Würz bürg 12 305 12 270,0 + 35,0 J Fürth 12 028 12 268,5 - 240,5 Augsburg 12 154 12 276.6 - 122,6 > - 114,2 1 Freiburg 12 136 12 264,6 - 128,6 Wir sehen, daß die wirkliche Anzahl 1 ) der Gruppen zu 1 in unseren vier Materialien durchschnittlich um 114,2 hinter der wahrscheinlichsten zurückbleibt. Freilich zeigen von unseren vier Städten nur drei das Zurückbleiben der wirklichen Anzahl un- mittelbar. Denn in Würzburg übersteigt die wirkliche Anzahl der Gruppen zu 1 die wahrscheinlichste Anzahl um 35,0. Dieser Wert ist indessen erheblich kleiner als irgend eine der drei entgegen- gesetzt gerichteten Differenzen, von denen die kleinste ( — 122,6) das Dreifache der Zahl 35 übersteigt. Wir dürfen daher wohl ver- muten, daß unser Satz 1 eine für ein genügend großes Material, das analog dem unserigen gewonnen ist, gültige statistische Gesetz- mäßigkeit darstellt. Daß diese Vermutung wirklich zutreffend ist, könnte freilich nur durch weitere empirische Untersuchungen be- wiesen werden. *) Daß die wirkliche Anzahl aller Gruppen zu 1, berechnet aus den vier erschiedenen Städten, nicht genau mit der Anzahl der Gruppen zu 1 unseres Gesamtmaterials übereinstimmt, hangt damit zusammen, daß das Gesamt - tnaterial durch Aneinanderlegen der Materialien der vier Städte gewönne:! wurde, wodurch natürlich teilweise etwas andere Gmppen entstanden, als ue bei isolierter Betrachtung der vier Städte auftreten. Analoges ist auch im folgenden zu erwägen, wenn die G-ruppenzahl des Gesamtmaterials mit der Summe der en1 - [mcliendcn < ! nippenzahlen der Materialien von Wurzburg, Fürth, Augsburg, Freiburg nicht genan übereinstimmt. und Erfahrung In Gebiel der Bevölkerongalehre. 287 Im ein Urteil über die Allgemeingültigkeil des zweiten Satzes n gewinnen, genügl es, wenn wir die Einzelwerte, ans denen die Mitteln • 10,0; — 1,6) gewonnen sind, etwas näher betrachten. Diese Betrachtung lehrt, daß die Vorzeichen der beiden Mittel- werte keineswegs durch einzelne zufällig besonders große Werte bedingt sind, sondern daß sie einen typischen Ausdruck des Ver- haltens .1er Differenzen bekunden. Wenn man nämlich die mittleren Differenzen für die Gruppen ZU 2. :", 4. 5, 6, 7. S 5, 4. : >. 6. 7. 8 4. 5, 6, 7. 8 5, 6, 7. S 6. :. 8 7. 8 (»der für die Gruppen zu 2, 3 2, 3, 4 2, 3, 4, 5 2, 3, 4, 5, 6 2, 3, 4, 5, 6, 7 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 bildet, 90 gelangt man ausschließlich zu Werten mit positiven Vorzeichen. Wenn man die mittleren Differenzen für die Gruppen zu ». 10, 11. 12, 13, 14, 15, 16, 16-x 10, LI, 12, 13, 14. 15, 16, 16 + x 11. 12, 13. 14, 15, 16, 16 + x 12, 13, 14, 15, 16, 16 + x 13, 14, 15, 16, 16 + x 14. 15, 16, 16 + x 15, 16, 16 + x 16, 16+xJ oder für die Gruppen zu 9,10 9, 10, 11 9, 10, 11, 12 9, 10, 11, 12, 13 9, 10, 11,12,13, 14 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15 9, 10, 11, 12, 13,14,15, 16 19,10,11, 12, 13, 14, 15, 16, 16 + x bildet, so gelangt man ausschließlich zu Werten mit negativen \ erziehen. I >aß dies wirklich zutreffend ist, zeigt die Tabelle auf S. 288. Jeder, der im Gebiet der Erfahrungswissenschaften einige Routine besitzt, wird nach dieser Tabelle vermuten, daß unser /. 2 nichl nur zufällig für das vorhandene Material gilt, sondern I er wenigstens mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit den Aus- druck einer allgemeinen (für ein genügend großes Material von samtlich registrierten Geburten gültigen) statistischen Gesetz- darstellt. Allerdings wird man mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß unsere Abgrenzung in reine Gruppen zu 1, in solche zu 2 bis 8 und in solche zu mehr als 8 Elementen dem sachlichen Verhalten vielleicht nicht genau entspricht. Würde man 288 16. Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung Gesamtmaterial. Reine Arithmetische Reine Arithmetische Gruppen Mittel der Gruppen Mittel der zu Differenzen zu Differenzen 2 bis 8 + 10,03 2 und 3 + 8,25 3 „ 8 + 54,77 2 bis 4 + 13,83 4 „ 8 + 10,74 2 „ 5 + 13,28 5 „ 8 + 7,18 2 „ 6 + 9,18 6 „ 8 + 5,70 2 „ 7 + 7,58 7 und 8 + 12,15 2 „ 8 + 10,03 9 bis 16 + x - 1,59 9 und 10 — 5,90 10 „ 16 + x - 0,38 9 bis 11 - 3,60 11 „ 16 + x - 0,36 9 „ 12 - 2,35 12 „ 16 + x — 0,58 9 „ 13 - 1,56 13 „ 16 + x - 0,98 9 „ 14 - 2,17 14 „ 16 + x - 1,63 9 „ 15 - 1,73 15 „ 16 + x - 0,43 9 „ 16 - 1,71 16undl6 + x - 1,10 9 „ 16 + x - 1,59 unsere Untersuchungen für sehr viele andere Materialien von der Größe und Art unseres Gesamtmaterials durchführen, so könnte sich z. B. zeigen, daß es sachgemäßer wäre, in Gruppen zu 1, in solche zu 2 bis 7 und in solche zu 8 und mehr zu fraktionieren. Aber die Ansicht, daß bei standesamtlich registrierten Geburten die größeren reinen Gruppen seltener sind, als man nach der Wahr- scheinlichkeitsrechnung erwarten müßte, und daß dementsprechend kleinere reine Gruppen häufiger vorkommen als theoretisch zu er- warten ist, wird jedenfalls nach dieser auf nahezu 200 000 Einzel- fälle bezüglichen Tabelle nicht zurückgewiesen werden können. Die tatsächliche Vernachlässigung der größeren reinen Gruppen zugunsten kleinerer zeigt sich noch deutlicher, wenn man für unser Gesamtmaterial statt der reinen Gruppen zu 1, 2, 3 . . . die Gruppen über 0, 1, 2 . . . bildet, wie dies in der folgenden Tabelle, einer der wichtigsten des ganzen Buches, geschehen ist. und Erfahrung im Gebiet der Bevölkerungslehre, 289 Daß übrigens die Untersuchung der Gruppen über d ganz gemein bessere Resultate zutage Eördert, als die Untersuchung der Gruppen in n, liegl daran, daß &ich jene naturgemäß immer auf mehr Einzelfälle bezieht als dir Untersuchung der Gruppen zu n. wodurch Zufälligkeiten mehr ausgeglichen werden. Gesa mtma terial. Reine Gruppen über 0, 1, 2, 3 . . Beine A B i Arith- Gruppen Wirkliche Wahrscheinlichste A-B metisch«' iil>er Anzahl Anzahl Mittel 1)7 803 98 209,0 - 406,0 (- 406,0) 1 49 184 49 128,2 + 55,8 2 24 902 24 587,9 + 414,1 3 12 351 12 311,7 + 39,3 4 6 182 6 167,7 + 14,3 • +78,1 5 3 094 3 091,3 + 2,7 1 560 1 550,1 + 9,9 7 ISN 777,7 + 10,3 B :57ti 390,3 - 14,3 193 196,0 - 3,0 li. 96 98,5 - 2,5 11 46 49,5 — 3,5 12 2ii 24,9 4,9 • - 4,3 l:; 6 12,5 — 6,5 14 5 6,3 1,3 \r, 1 3,2 2,2 l»; 1 1,6 - 0,6 Wir können dir Ergebnisse dieser Tabelle in folgenden Sätzen mmenfassen : a) Die wirkliche Anzahl aller reinen Gruppen bleibt hinter der wahrscheinlichsten zurück. b) Ol»- Gruppen über 1, 2 ... 7 sind insgesamt häufiger, die Gruppen über s. !> ... sind durchweg seltener, als man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwarten sollte. MarM , Dk nioMifflimlfltiill in der Welt. 19 290 16. Widerspruch /wischen Wahrscheinlichkeitsrechnung Um ein Urteil über die Allgemeingültigkeit des Satzes a zu gewinnen., wird es sieh wieder empfehlen, seine Gültigkeit für die einzelnen Städte ins Auge zu fassen, wozu folgende Tabelle dienen mag. Keine Gruppen über 0. Gesamtzahl aller reinen Gruppen. A B Arith- Wirkliche Wahrscheinlichste A-B metisches Anzahl Anzahl i Mittel Würz bürg 24 663 24 551,9 + 111,1 . Fürth 24 346 24 549,9 - 203,9 \ 100,4 Augsburg 24 371 24 560,8 - 189,8 Freiburg 24 426 24 544,8 118,8 ' Man sieht aus den Zahlen dieser Tabelle ohne weiteres, daß Satz a für ein genügend großes Material standesamtlich registrierter Geburten zu gelten scheint, daß aber seine Verifizierung noch mehr als die des vorhin abgeleiteten Satzes 1 weiterer Unter- suchungen bedarf. Denn die Differenz für Würzburg fällt hier verhältnismäßig viel mehr ins Gewicht als bei der entsprechenden zur Prüfung von Satz 1 herangezogenen Tabelle. Satz b wird so augenfällig durch die Tabelle, die sich auf die leinen Gruppen über 0, 1,2... bezieht, gestützt, daß kein Zweifel darüber bestehen kann, daß er mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein»' für ein genügend großes Material von standesamtlich registrierten Geburten gültige statistische Gesetzmäßigkeit darstellt. Freilich ist auch hier <\vr Zweifel nicht unbedingt auszuschließen, ob die Abgrenzung der Gruppen in solche über 0, über 1 bis 7, über 8, ( .t . . . eine durchaus sachgemäße sei. Möglicherweise würde z. B. eine häufige Wiederholung der Untersuchungen für andere Städte and Länder zeigen, daß die Umkehrung <\cv positiven Vorzeichen in negative meistens nicht bei den Gruppen über 8, sondern später oder früher beginnt. Auch würde sich vielleicht bei Materialien von der Größe des unseligen öfters zeigen, daß nicht in allen Fällen n ii • l Erfahrung im Gtabiet dei Bevölkerungalehre. 291 alk auf die Gruppen I bia d bezüglicheD Vorzeichen positiv und daß nicht alle auf die Gruppen über n + l, n -\ 2, n | -8, . . . ^glichen Vorzeichen negativ Bind. Daß aber für ein genügend ißes analem-- Material wenigstens die größeren reinen Gruppen, also die Gruppen von einer Größe g an, durchschnittlich seltener sind, als man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwarten sollte, und daß dementsprechend selbstverständlich andere 4 Gruppen durchschnittlich häufiger vorkommen, als theoretisch zu erwarten ist, kann nach unserer auf die reinen Gruppen über 0, 1, 2 . . . bezüglichen Tabelle als bewiesen betrachtet werden, wofern sich tistische Sätze überhaupt beweisen lassen. Unser Satz wird auch bestätigt, wenn wir an Stelle unseres 3amtmaterials die vier Städte einzeln betrachten. Man ver- gleiche die vier Tabellen auf den Seiten 292 und 2D8. Die erste hat auch deshalb ein Interesse für uns, weil sie zeigt, daß das Würzburger Material, dessen Übereinstimmung mit der Wahr- scheinlichkeitsrechnung wir im 14. Kapitel in gewissem Sinne nach- weisen konnten, in anderem Sinne den Erwartungen der Wahr- Bcheinlichkeitsrechnung widerspricht. Wir scheiden die reinen Gruppen über (also die Anzahlen aller leinen Gruppen), von denen bereits die Rede war, aus und rächten für alle vier Städte zunächst die reinen Gruppen über 1. 2, •». In allen vier Städten sind, wie die arithmetischen Mittel in der letzten Kolumne der vier Tabellen zeigen, die wirklichen Anzahlen durchschnittlich häufiger als die wahrscheinlichsten. Be- llten wir in allen vier Tabellen die wirklichen reinen Gruppen über 11. 12, 13, 1 1. so sehen wir, daß sie im Mittel durchweg seltener sind als die entsprechenden wahrscheinlichsten Anzahlen. IV- ihten wir endlich in allen vier Tabellen die Gruppen über 4, 10, -<> sehen wir, daß das Material unserer einzelnen Städte h nicht groll genug ist, um ein eindeutiges Ergebnis zuzulassen. Jedenfalls erhärten aber auch unsere vier Städte einzeln den Satz, daß die größeren reinen Gruppen durchschnittlich seltener vor- kommen, alfi man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwarten 19* 202 16. Widersprach zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung Würzburg. Reine Gruppen über 0, 1, 2, 3 Reine Gruppen über A Wirkliche Anzahl B Wahrscheinlichste Anzahl A-B Arith- metische Mittel 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 24 663 12 358 6 174 3 000 1 511 731 369 182 84 43 20 11 4 1 1 24 551,9 12 282,0 6 147,0 3 078,0 1 542,0 772,9 387,6 194,4 97,6 49,0 24,6 12,4 6,2 3,1 1,6 + + 111,1 76,0 27,0 78,0 31,0 41,9 18,6 12,4 13,6 6,0 4,6 1,4 2,2 2,1 0,6 18,3 - 1,6 Fürth. Reine Gruppen über 0, 1, 2, 3 Reine A B Arith- Gruppen Wirkliche Wahrscheinlichste A-B metische über Anzahl Anzahl Mittel 24 346 24 549,9 - 203,9 (- 203,9) 1 12 318 12 281,5 + 36,5 2 6 262 6 147,3 + 114,7 • + 59,6 3 3106 3 078,5 + 27,5 4 1 526 1 542,5 16,5 5 791 773,3 -f 17,7 6 394 387.'.» + 6,1 7 208 194.0 + 13,4 1 1 4,3 8 106 97,7 ; 8,3 9 48 49,1 - 1,1 10 27 24,7 + 2,3 11 11 12,4 1,4 12 13 5 2 6,2 3,3 1,2 1.1 ► - 0,8 14 2 1,6 + 0, i und Erfahrung im Gebiel der Bevölkerungslehre, 293 A u gsbu rg. Keine Gruppen aber <». l. 2, .** !!• nie Gruppen Ab 1 i 4 6 6 : 8 9 10 11 12 13 14 V Wirkliche Anzahl 24 371 1 2 2 1 7 6 227 3 Ml 1 605 792 397 L95 101 57 26 13 5 2 1 B Arith- soheinliohste A -B metische Anzahl Mittel 24 560,8 189,8 (- 189,8) 12 284,2 — (17,2 6 145,9 + 81,1 | } 26,4 3 076,8 + 65,2 1 539,8 + 65,2 771,1 + 20,9 386,3 + 10,7 193,5 + 1,5 1 + 16,0 97,0 + 4,0 48,6 + 8,4 24,4 + 1,6 12,2 + 0,8 | 6,1 3,1 — 1,1 1,1 \ — 0,5 1,5 — 0,5 1 Freiburg. Reine Gruppen über 0, 1, 2, 3 Ü'ine A B Arith- Gruppen Wirkliche Wahrscheinlichste A-B metische ab Anzahl Anzahl Mittel 24 426 24 544,8 - 118,8 (- H8,8) 1 12 290 12 280,2 + 9,8 •2 6 238 6 147,9 + 90,1 | + 41,4 3 3 104 3 079,8 + 24,2 4 1 540 1 543,8 - 3,8 5 77'.) 774,3 + 4,7 8 400 388,6 + 11,4 7 203 195,2 + 7,8 1 + 0,1 85 98,1 - 13,1 \r> 49,3 - 4,3 Im 23 24,8 - 1,8 II 11 12,5 1,5 \1 6 1 6,3 3,2 - 0,3 - 2,2 > - 1,2 i * 1 1,6 - 0,6 294 Ib. Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung sollte, während dafür andere Gruppen durchschnittlich häufiger auftreten, als theoretisch anzunehmen wäre. Von Interesse ist auch die Verteilung der Vorzeichen innerhalb der vier auf die einzelnen Städte bezüglichen Tabellen. Sie be- stätigt durchaus die Schlüsse, die wir aus dem Gesamtmaterial zogen. Die Differenzen für die Gruppen über 1, 2 ... 7 zeigen nämlich vorwiegend positive Vorzeichen, die über 8, 9 ... vor- wiegend negative Vorzeichen. Dies ergibt sich aus folgender Tabelle, in deren letzter Kolumne die Anzahl aller negativen Vorzeichen in Prozenten aller in Frage kommender Vorzeichen mitgeteilt ist. Anzahl der Vorzeichen der Differenzen. positive negative negative in % aller Vorzeichen Gruppen über 1, 2 ... 7 „ 8, 9. . . 14 20 7 8 21 28,6 75,0 Es ist nun an der Zeit, die Frage zu erörtern, inwieweit die Zusammensetzung unseres Gesamtmaterials aus den Materialien der vier Städte zulässig ist. Fast alle bisherigen Ausführungen dieses Kapitels beziehen sich auf die Frage, inwieweit das Ver- halten einer großen Anzahl sukzessive in einem Standesamt re- gistrierter Geburten mit den Erwartungen der Wahrscheinlich- keitsrechnung übereinstimmt. Zur Beantwortung dieser Frage wurde vielfach ein Gesamtmaterial benützt, das keineswegs durch- weg sukzessive registrierte Geburten enthält, sondern das aus vier verschiedenen Materialien zusammengesetzt ist. Ist das zu- lässig? Rein theoretisch betrachtet eigentlich nicht. Aber praktisch gesprochen ist das Verfahren im vorliegenden Fall vollkommen einwandfrei. Unser Gesamtmaterial besteht aus 49 152 . 4 = 196 608 Einzel- fällen; die vier städtischen Materialien bestehen aus je 49 152 Einzel- fällen. I bitten wir nun z. B. die 196 608 Geburten statt aus 4 Städten in analoger Weise aus q = 98804 Städten komponiert, so und Erfahrung im Gebiet der Bevölkerungslehre. 205 wart- unser Verfahren gani und gar verfehlt gewesen. Wir hätten d von jeder Stadt nur zwei nacheinander registrierte Geburten m. l> in Betracht wehen können; dadurch hätten wir alle reinen Gruppen ra 8 und alle größeren, sowie auch die mit b einsetzenden reinen Gruppen iu - willkürlich abgeschnitten und jedenfalls kein Material lusammengebracht, aus dem sich schließen läßt, wie sieh eine große Anzahl standesamtlich nacheinander registrierter Ge- borten verhält. Es läßt sich an der Hand dieses Beispiels mutatis inutandis ohne weitere- einsehen, daß die Fehlerhaftigkeit eines solchen Verfahrens um -<> größer ist. je mehr Städte man ver- wendet oder je kleiner das von einer jeden einzelnen Stadt her- rührende Material ist. In unserem Falle können nun infolge der Benützung von vier Materialien höchstens drei reine Gruppen willkürlieh abgeschnitten werden, nämlich eine am Ende des Würz- burger, eine am Ende ^< Fürther und eine am Ende des Augs- burger Materials. Aus der Betrachtung der tatsächlichen Einträge in die Stande^register ergab sich nun, daß beim Würzburger Material eine reine Gruppe zu 3 durchschnitten wurde. Fürther ,, keine ,, ,, ,, „ AngBbnrger „ eine „ „ „ 4 fn-iburger „ ,, ,, ,, „ 3 Aus der Verbindung der Enden des Würzburger bzw. Fürther b«w. Augsburger Materials mit dem Anfang des Fürther bzw. Augsburger bzw. Freiburger Materials ergab sich eine reine Gruppe zu 6 ?> >> >> >» *» 2 Hieraus folgt, daß irgendwelche in Betracht kommende Fehler ■ h unsere Zusammensetzung des Gesamtmaterials aus vier Kinzclinat« Halicn nicht entstanden sein können. Vor allem ist die Anzahl der Gruppen zu 9 und der größeren Gruppen, deren relative Benachteiligung wir behaupten, durch die Zusammensetzung des < ie-;!i;itrnateriaN als solche jedenfalls nicht vermindert worden. chdem wir nun gezeigt haben, daß bei standesamtlich regi- strierten Geburten die reinen Gruppen von einer bestimmten 296 16. Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung Größe g an durchschnittlich seltener vorkommen, als man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwarten sollte, liegt es nahe, an- zunehmen, daß dies um so mehr der Fall sein wird, je größer die reinen Gruppen werden, um die es sich handelt. Diese Vermutung wird durch unsere Ergebnisse bestätigt. Wir teilen in der folgenden Tabelle die Differenzen zwischen wirklicher und wahrscheinlichster Anzahl der reinen Gruppen über 0,1,2. . . unseres Gesamtmaterials nochmals mit. In der dritten Kolumne dieser Tabelle sind die Differenzen in Prozenten der zugehörigen wahrscheinlichsten An- zahlen aufgeführt. In der letzten Kolumne sind die arithmetischen Mittel für je zwei aufeinander folgende Prozentzahlen berechnet. Gesamtmaterial. Gruppen über 0, 1, 2, 8 . . A = Wirkliche Anzahl; B = = Wahrscheinlichst e Ai nzahl. Reine A-B Arith- Gruppen A-B in % von metische über B Mittel - 406,0 - 0,4 (- 0,40) 1 2 + 55,8 + 414,1 + 0,1 + 1,7 i + 0,90 3 4 + 39,3 + 14,3 + 0,3 + 0,2 i - 0,25 5 6 + 2,7 + 9,9 + 0,1 + 0,6 i + 0.35 7 8 + 10,3 - 14,3 + 1,3 - 3,7 i - 1,20 9 10 - 3,0 - 2,5 - 1,5 - 2,5 i - 2,00 11 12 - 3,5 - 4,9 7,1 - L0,7 i - 13,40 13 14 - 6,5 - 1,3 — 52,0 - 2<Ui i - 36,30 15 16 - 2,2 — 0,0 — 68,8 - 37,5 i - 53,15 um! Erfahrung im Gebiet der BevölkerungBlehre. 297 Man sieht, daß die Mittelwerte zunächst von der Größe I nichl erheblich differieren, am dann bei höheres Gruppen Eort- • iniil höchst auffällig EU steigen. iVr Verlauf der Zahlen ist »an bo auBgeprägter, daß er gewiß als typisch angesehen werden darf. Hiermit ist der Satz, daß die wirkliche Anzahl der reinen Gruppen von einer bestimmten Gruppengröße g an hinter der wahncheinlichsten um so mehr zurückbleibt, je größer die Gruppen werden, für ein genügend großes Material von standesamtlich nacheinander registrierten Geburten sichergestellt. Wir fassen jetzt che bisherigen Ergebnisse dieses Kapitels zu- sammen: Wenn wir eine große Anzahl von standesamtlich nacheinander -trierteii Gel urten ins Auge fassen, die männlichen Geburten mit m, die weiblichen mit f bezeichnen," und wenn wir dann die reinen Gruppen zu 1, 2, 3 ... und die reinen Gruppen über 0, 1. 2 ... abzählen, so gelten auf Grund unserer bisherigen Erfah- rungen voraussichtlich ungefähr folgende durch weitere Unter- -uelinngen allerdings noch zu prüfende Sätze: I. Die wirkliche Anzahl aller reinen Gruppen zu 1 bleibt hinter der wahrscheinlichsten Anzahl zurück. IL Die wirkliche Gesamtzahl aller reinen Gruppen bleibt hinter der wahrscheinlichsten Gesamtzahl zurück. III. Die durchschnittliche wirkliche Anzahl aller reinen Gruppen zu 2, 3 ... 8 übersteigt die durchschnittliche wahrschein- lichste Anzahl, die durchschnittliche wirkliche Anzahl aller reinen Gruppen zu 9, 10, 11 ... bleibt hinter der durchschnittlichen wahrscheinlichsten Anzahl zurück. IV. Die reinen Gruppen über 1, 2, 3 ... 7 sind insgesamt häufiger, die reinen Gruppen über 8, 9, 10 . . . insgesamt Bei teuer, als man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung • arten rollte. V. Von n = 9 an bleibt die wirkliche Anzahl der reinen ippen über n hinter der wahrscheinlichsten mit wachsen- der Gruppengröße verhältnismäßig immer mehr zurück. 298 16. Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung Als unbedingt sichergestellt sind unter den genannten Voraus- setzungen folgende Sätze anzusehen: A. Die wirkliche Anzahl der reinen Gruppen über n bleibt bei größeren Gruppen von einer Gruppengröße n = g an im allgemeinen hinter der wahrscheinlichsten Anzahl zu- rück, während dafür andere Gruppen häufiger vorkommen, als man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwarten müßte. B. Die wirkliche Anzahl der reinen Gruppen bleibt im all- gemeinen hinter der wahrscheinlichsten verhältnismäßig um so mehr zurück, je mehr die Zahl der Gruppenelemente den Wert g übersteigt. Hiermit ist die Lehre vom statistischen Ausgleich für ein wichtiges Tatsachengebiet bewiesen. Es hat sich zunächst für das Gebiet standesamtlich registrierter Geburten, also für statistische Massen, deren Gegenstände im ersten, zweiten und dritten Sinne (vgl. Kapitel 15) voneinander unabhängig sind, gezeigt, daß nicht die mathematische, sondern die naturphilosophische Betrachtung den Tatsachen entspricht. Unsere Ergebnisse rechtfertigen daher die Annahme, daß in dem untersuchten Gebiet unter der Voraus- setzung des Gleichbleibens der konstanten Bedingungen die variablen Bedingungen sich fraktionell ausgleichen, und daß es reale Be- dingungen gibt, denen zufolge dieser Ausgleich stattfinden muß. Sie lehren also eine Abhängigkeit der standesamtlich registrierten Geburten in unserem vierten Sinne des Wortes. Sie stehen daher im Gegensatz zu jener Ansicht, die es zwar für unwahrscheinlich, aber für keineswegs unmöglich hält, daß auch beim Gleichbleibender konstanten Bedingungen der Prozentsatz der männlichen und weiblichen Geburten beliebig verschoben werden kann. Sie zeigen zugleich, daß der Multiplikationssatz nicht in dem Umfang an- wendbar ist, wie man es bisher annahm. In meiner ersten Schrift über die Wahrscheinlichkeit 1 ) hatte l ) K. .M;mI)c, Naturphilosophiache Untersuchungen zur Wahrsohein- Lichkeitslehre. Leipzig 1899. und Erfahrans im Gebiet <1«m Bevölkerungslehre 299 ich angenommen, daß ein und dasselbe Ereignis höchstens p-mal beinander vorkommen kann. Diese Ansicht wird durch unsere Untersuchungen in dem Sinuc bestätigt) daß bei einer endlichen tistischen Reihe die H&uügkeil *\rv reinen Gruppen von n Ele- .ten mit wachsendem n Schindler abnimmt, als die Wahrschein- lichkeitsrechnung lehrt, um schließlich von einer bestimmten Zahl n = p -|- 1 an den Wert zu besitzen. Zum Schluß diese.- Kapitels mögen in der folgenden Tabelle anhangsweise noch einige Mitteilungen bezüglich unseres Materials gemacht werden, die vielleicht für den einen oder anderen Leser Interesse haben. Sie beziehen sich auf d'w Jahre, denen die unter- suchten Geburten angehören und auf das Verhältnis der männlichen und weiblichen Geburten in den vier Städten. Auch sind dem Würzburg Fürth Augsburg Freiburg i. Br. Material stammt aus den Jahren: 1876—1902 1876—1905 1876—1896 1876—1908 Anzahl der m: 25120 25142 25008 25195 Anzahl der f: 24032 24010 24144 23957 m f 104,5 100 104,7 100 103,6 100 105,2 100 Anzahl der m auf je lonu (k-mirten: 511,1 511,5 508,8 512,6 • bmef »che Mittel: ' 510,5 (512,6) udeMittel- B "Ml und Baden nach 1 1 i i <• ks 1 ): 510,9 für Bayers • 512,2 tiii Baden l ) A. v. Piroka, Beyölkemngslehre und Bevölkerungspolitik. (Hand und Lehrbuch der lenaehaften. I. Abt. 6. Bd.) Leipzig 1898. S. 171, 300 16. Widerspruch im Gebiet der Bevölkenuigslehiv. arithmetischen Mittel des Geschlechtsverhältnisses in Würzburg, Fürth und Augsburg und dem Geschlechtsverhältnis in Freiburg die entsprechenden bekannten Zahlen für Bayern und Baden gegenübergestellt . Daß auch für statistische Massen, deren Gegenstände außer der Abhängigkeit im vierten Sinne noch andere Abhängigkeiten aufweisen, nämlich für Glücksspiele, die größeren reinen Gruppen seltener sind, als man a priori erwarten müßte, daß also auch im Gebiet der Glücksspiele die Lehre vom statistischen Ausgleich gilt, kann erst später gezeigt werden. Siebzehn! es K a pitel. Die Prävalenz der Normalgruppen. • iegeben Bei uns ein Material von nacheinander registrierten Kinzeltallen, von denen jeder nur entweder die Form m oder die Form f annehmen kann, also z. B. ein Material von nacheinander ■• gistrierten Geburten eines Standesamtes. Die Wahrscheinlichkeit von m soll wieder wie oben mit M, die von f mit F bezeichnet werden. Die Gesamtzahl aller Einzelfälle soll wiederum N heißen. Wenn nun die Anzahl der m-Fälle gleich X M und die Anzahl f- Fälle gleich N F ist, so soll das Material ein absolut aus- lichenes oder ein solches, in dem ein vollkommener Ausgleich stattfindet, heißen. In diesem Falle entspricht die Anzahl der m und f genau der wahrscheinlichsten Anzahl der m und f. Wenn Anzahl aller m-Fälle oder die Anzahl aller f-Fälle gleich N wird, so können wir das Material als ein absolut unausgeglichenes oder als ein solches, in dem jeder Ausgleich fehlt, bezeichnen. Wenn wir uns diese höchst elementare Angelegenheit an einem tkreten Beispiel noch klarer machen und das Gebiet der Knaben- ! Mädchengeburten einen Augenblick verlassen wollen, so können wir sagen: Wenn wir 120 mal eine Münze in die Höhe werfen, so n möglich, daß wir 60 mal das Resultat Zahl und 60 mal das Resultat Wappen erhalten. Dieses Ergebnis ist ein solches, in dem ein vollkommener Ausgleich stattfindet. Statt dessen können wir, theoretisch gesprochen, auch 120 mal das Resultat Zahl oder ► mal «las Resultat Wappen erhalten. In solchen Fällen liegen vor, in denen jeder Ausgleich fehlt. Zwischen diesen Temen liegen die Fälle, in welchen ein größerer oder geringerer h findet. Wenn wir 120 mal eine Münze in die Höhe ist der Ausgleich offenbar ein viel größerer, wenn wir das 59 Wappen und 61 Zahl, als wenn wir das Resultat 1 Wappen ! !'• Zahl erhalten. :iiiL> 17. l>i«- Prävalenz Man kann sich nun jedes größere Material in kleinere Gruppen zerlegt denken und fragen, wie groß der Ausgleich innerhalb dieser Gruppen ist. So kann man z. B. unsere 120 Würfe mit der Münze in 10 Gruppen zu 12 aufeinander folgenden Würfen zerlegen und zusehen, inwieweit hier ein Ausgleich stattfindet. Dieser Aus- gleich wäre dann der denkbar größte, wenn in jeder dieser 10 Gruppen zu 12 Würfen genau 6 mal das Resultat Zahl und 6 mal das Resultat Wappen vorkäme. Analog kann man auch bei unserem Geburten - niaterial verfahren, wobei freilieh an die verschiedene Wahrschein- lichkeit von m und f zu denken ist, während hingegen die Wahr- scheinlichkeit der Wappenfälle und der Zahlfälle hier als gleich vorausgesetzt wird. Nun haben wir im vorigen Kapitel gezeigt, daß in einem großen Material standesamtlich nacheinander registrierter Geburten die größeren reinen Gruppen seltener auftreten, als man nach der WahrscheinHchkeitsrechnung erwarten müßte, und wir stellen uns jetzt die Frage, ob sich aus diesem Ergebnis Schlüsse auf den Aus- gleich innerhalb kleinerer Gruppen ziehen lassen. Unser Würz- burger Material bestand z. B. aus 49 152 Geburten. Es ergab sich dabei unter anderem, daß die Anzahl der reinen Gruppen mit mehr als 8 Elementen im Durchschnitt hinter den theoretisch zu er- wartenden Anzahlen zurückblieb. Können wir hieraus schließen, daß. wenn wir dieses Material z. B. in 4096 aufeinanderfolgende Teilgruppen zu 12 einteilen, diese 4096 Gruppen zu 12 solche sein werden, in denen im allgemeinen ein vollkommenerer Aus- gleich stattfindet, als man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwarten müßte? Besteht überhaupl für ein bestimmtes Material zwischen dem Ausbleiben oder Zurückbleiben größerer reiner Gruppen und dem Ausgleich innerhalb sukzessiver Gruppen von einerlei Elementenzahl ein bestimmter Zusammenhang? Um dieser Frage etwa- Daher zu treten, führte ieh eine sehr einfache Untersuchung für ein kleines Material aus. [eh schrieb für die Elemente m und t die 16 möglichen Variationen zur vierten Klasse mi1 Wiederholung an, wie dies in der Kolumne I der folgenden Tabelle geschehen ist. In der Kolumne II der Tabelle der Kormalgruppen 303 befinden sich dieselben Komplexionen in anderer Reihenfolge. Jn Kolumne 111 is1 die Reihenfolge der Komplexionen wiederum geändert. Jede Kolumne umfaßl somil 16 . l 64 Elemente. 1 ! I III Hl in in in in in in in f in m in in in in f f m in in in m m in in in t in 1 in in 1 in in in f in m f f m in in 1" 1" I' t i' in l in in in m I' in 1' f f in in t in f f m l in in in f in in i l DD t in t !' in in l f in t t I m in f t 1 t in f 1 in in ED in t in m 1' l m m t in IM f 1 I in in in f in in f in t in t t m I' in f in f f in l f m t in f t in f f f t ni in in t t m i' m f in f i in f f f i m m f f m f t f in f i r f in f f f f l 1 f in f t t I' in in f Wenn wir nun diese 04 Elemente einer Kolumne ohne Rück- zieht auf die Zeileneinteilung hetrachten, so können wir analog r-uchungen unseres letzten Kapitels die Anzahl der reinen Gruppen zu 1, 2, 3 ... und die Anzahl aller reinen Gruppen fest- stellen, wie dies in der Tabelle auf Seite 304 geschehen ist. Diese Tabelle zeigt, daß die Anzahl aller reinen Gruppen, sowie die Anzahl derjenigen zu 1. 2. 3 . . . in den drei Kolumnen sehr verschieden ist. Da aber andererseits jede Kolumne ganz lie gleichen Vierergruppen enthält, so führt eine Prüfung gleiches innerhalb der Vierergruppen für die Kolumnen h Ui Hl zu genau dein gleichen Resultat. Wir sehen hieraus, in bestimmtes Materia] die Frage nach der Anzahl der neu Gruppen zu 1, -2. 8 . . . und die Frage nach dem Ausgleich innerhalb der Gruppen zu n Probleme darstellen, die jedenfalls innerhalb erheblicher Grenzen als voneinander anabhängig an- 304 17. Die Prä valenz I II III Anzahl aller Elemente 64 64 64 Anzahl aller reinen Gruppen 32 40 25 Anzahl der reinen Gruppen zu 1 16 24 10 55 !) 55 2 55 — 8 10 5 55 55 55 55 O 3 4 6 55 55 55 4 55 5 5^ 4 2 2 55 55 55 55 55 5 55 !•• 55 5, 6 55 5' 55 7 55 55 • 1 55 55 55 55 55 8 1 55 55 q 55 55 U 55 55 55 „ 10 1 55 55 55 ,, über 10 ehen werden müssen. Jedenfalls kann man also aus den Unter- suchungen des vorigen Kapitels nicht ohne weiteres darauf schließen, ob für unser Geburtenmaterial innerhalb bestimmter Gruppen {iiii'eiiumder folgender Elemente ein größerer Ausgleich stattfindet, ale man theoretisch erwarten sollte. Aber andererseits besteht innerhalb gewisser Grenzen zwischen dem fraglichen Ausgleich und dem Problem der reinen Gruppen im »Sinuc des vorigen Kapitels doch ein gewisser Zusammenhang. Wir wollen z. B. annehmen, es lägen uns zwei Materialien von dei Normalgrappen, 305 100 Einzelfällen vor. die alle nur entweder a oder b sein können. - eine Material Bei so beschaffen, daß anmittelbar aacheinander d 25 b, dann 25 a and dann wieder 25 l> folgen, Das andere Material habe die Form: a, a, b, b, a, a, b, I» , a, a, b, l> usw. Im ten Material finden Bich dann vier reine Gruppen von der Größe 25, im anderen bestehen alle reinen Gruppen nur aus zwei Ele- menten. Infolgedessen ist der Ausgleich innerhalb der Gruppen 8 und innerhalb der meisten größeren Gruppen im ersten Material durchschnittlich viel schlechter als im zweiten. Innerhalb gewisser Grenzen wird daher der Satz gelten, daß große reine Gruppen dem Ausgleich innerhalb kleiner Gruppen hinderlich sind. Hier- nach darf man mit der Möglichkeit rechnen, daß unsere Ergebnisse vorigen Kapitels zugleich die Tatsache involvieren, daß der Ausgleich innerhalb kleinerer Gruppen unserer Materialien ein r sei. als man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung er- sollte. Es lag daher nahe, unser Geburtenmaterial wenigstens in ge- mein Umfang darauf zu prüfen, ob wirklich der Ausgleich inner- kleinerer Gruppen von bestimmter Elementenzahl größer ist, man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwarten sollte. Zu • m Zweck wurde unser Würzburger Material (49152 Einzelfälle) (096 Gruppen zu je 12 eingeteilt, wie dies früher zu anderen ii bereits geschehen war. Für jede der einzelnen Zwölfer- gruppen wurde dann die Anzahl der m und die Anzahl der i ab- gilt. Dann konnte bestimmt werden, wie viele der einzelnen [fergruppen 0, 1, 2, 3 12 m (f) enthielten. Anderer- wurde die wahrscheinlichste Anzahl n„ der Zwölfergruppen, ii rmal m vorkommt, berechnet. Hierzu diente die Formel: 12 \ /r» ATX-, /n T7<\12 V ,,, = ( i ;)(2M)-(2F) 1 r für )■ der Reihe nach die Zahlen bis 12 einzusetzen und in der M die Wahrscheinlichkeit von m, F die Wahr- • inliehkfit von f bedeutet. Die Ableitung dieser Formel ist folgende : Mar I rioiolifonnifjkeit in der Welt. 20 306 17. Die Prävalenz Die Wahrscheinlichkeit \V r . daß bei 12 aufeinanderfolgenden Geburten rmal m und (12 — p)mal f vorkommt, ist ( v J M" F 12 ~ ''. Da nun bei 4096 Gruppen zu 12 der wahrscheinlichste Fall der ist, wo die Anzahl der Gruppen, die rmal m und (12 — v)mal f ent- halten, zur Wahrscheinlichkeit dieser Gruppen proportional ist, so erhält man bei 4096 Gruppen zu 12 für die wahrscheinlichste An- zahl der Gruppen, in denen rmal m und (12 — r)mal f vorkommt, die Gleichung: n„ = 4096 W„ = 2 12 W,. = 12 (2M) l '(2F) 12 Die in Rede stehenden Abzahlungen und Berechnungen führten zu folgender Tabelle: Würzburger Material. 49 152 Geburten; 4096 Gruppen zu 12. Gruppen mit A gezählt B berechnet m 1 m 2 m 3 m 4 m 5 in 6 m i m 8 m 9 m 10 in 11 in 12 m 9 38 179 444 788 942 871 494 242 70 L3 0,8 9,6 56, ! 192.1 451.7 755,5 921.3 825.4 539,2 250,5 78.0 14,9 1.3 A-B — 0,8 — 0,6 - 17,1 - 13,1 7,7 + 32,5 + 20,7 + 45,6 — 45,2 - 8,5 - 2,6 — 1,9 1,8 Wir sehen, daß diejenigen Zwölfergruppen, in welchen 6 oder nahezu 6 (nämlich 5 oder 7) m vorkommen (das sind diejenigen Gruppen, deren Anzahl theoretisch am größten ist), häufiger auf- treten, als man theoretisch erwarten müßte, während alle anderen Zwölfergruppen seltener vorhanden sind, als es die Wahrschein- lichkeitsrechnung verlangt. Man wird von vornherein geneigt sein. der Nbrmalgrappei] 307 den Umstand, daß beim Würzburger Materia] alle Zwölfergruppen mit :,. 6 oder 7 m häufiger und alle anderen Zwölfergruppen Beltener auftreten, ab einen Zufall bu betrachten. In der Tai findet sich - bei den Materialien der anderen Städte, die ich gleichfalls ■; n d ihilderten Weise behandelte, nicht. Daß aber die Zwölfer- gruppen mit 5, 6, 7 m durchschnittlich häufiger auftreten als die rigen Zwölfergruppen, ist offenbar eine Erscheinung, die bei aügend großen Material von (Jeburten zutrifft. Dies wird durch folgende Tabelle bewiesen, in welcher die arithmetischen Mittel der Differenzen A — B für die Gruppen mit bis 4, 5 bis 7 und 8 bis 12 m mitgeteilt sind. Die Tabelle bezieht sich auf die vier Städte und (siehe letzte Zeile) auf die Mittelwerte der aus vi. r Städten «gewonnenen Zahlen. Daß die Summe der nega- !i positiven) Zahlen einer Zeile mit der entsprechenden posi- h (negativen) Zahl nicht ganz genau übereinstimmt, liegt ledig- lich daran, daß alle theoretischen Zahlen für die Gruppen mit 0, 1, 2 . . . m (f) auf eine Stelle abgerundet wurden. Analoges gilt auch für die nächstfolgende Tabelle. Daß die Gruppen, die al das Elemenl in enthalten, theoretisch und faktisch häufiger kommen, als diejenigen, die amal das Element f enthalten rgl. auch die vorhergehende Tabelle), liegt natürlich daran, daß m wahrscheinlicher ist als f. Mittetwei te von . . A-l<, in, " "" * m 5 bis 7 m 8 bis 12 m Wuixl. - 39,3 + 98,8 - 59,5 irth 3,0 + 31,3 - 28,4 + <»,<> - 7,3 + 6,6 - 18,9 + 37,5 - 18,4 . - idte - 60,8 + 160,3 - 99,7 20' :;<i> 17. Die Prävalenz Wir sehen, daß die von uns behauptete Gesetzmäßigkeit für ein genügend großes Material von Geburten für Würzburg, Fürth und Freiburg gilt und daß sie auch für alle vier Städte zusammen- genommen zutrifft. Lediglich für Augsburg kehrt sich die Gesetz- mäßigkeit um. Aber die Unterschiede der drei Zahlen der voraus- gehenden Tabelle sind, wie man sieht, für Augsburg so klein, daß man aus ihnen allein überhaupt einen Schluß kaum ziehen dürfte. Die universelle Gültigkeit unserer Gesetzmäßigkeit für standes- amtlich nacheinander registrierte Geburten springt besonders in die Augen, wenn man die Mittelwerte für alle möglichen, in der vorigen Tabelle noch nicht verzeichneten Verbindungen der drei Städte bildet. Das ist in folgender Tabelle geschehen. Mittelwerte von A — B für bis 4 m 5 bis 7 m 8 bis 12 m Würzburg + Fürth - 42,3 + 130,1 - 87,9 Würz bürg + Augsburg - 38,4 + 91,5 - 52,9 Würz bürg -f- Freiburg - 58,2 + 136,3 77,9 Fürth + Augsburg - 2,1 + 24,0 - 21,8 Fürth + Freiburg - 21,9 + 68,8 - 46,8 Augsburg -f Freiburg - 18,0 + 30,2 - 11,8 Würz bürg + Fürth -f Augsburg - 41,4 + 122,8 - 81,3 Würz bürg -f Fürth + Frei bürg - 61,2 + 137,6 - 106,3 Würzburg -f- Augsburg -f- Freiburg - 57,3 + 129,0 - 71,3 Fürth Augsburg -f Freiburg - 21,0 1 61,6 - 40,2 der NormaJgruppen, :w) I nsere Anflicht wird weiterhin bestätigt, wenn wir für die 31 dte Fürth, Augsburg und Freiburg analoge Tabellen bilden • drittletzte auf Würzburg allein bezügliche Tabelle und .n wir die Vorzeichen aller vier Tabellen ins Auge fassen. Es ib1 sich dann folgendes: (.nippen mit Anzahl der i positiven negativen Vorzeichen Vorzeichen 1 ) <> bis 4 in 7 12 ä bis 7 DD 10 2 8 bis 12 m 6 14 Diese Tabelle zeigt deutlich, daß die wirkliche Anzahl der < kuppen, in denen gleich oder nahezu gleich viele m und f vor- handen sind, also die wirkliche Anzahl der Gruppen von größter wahrscheinlichster Anzahl größer ist, und daß die Anzahl aller übrigen Gruppen kleiner ist, als man nach der Wahrscheinlichkeits- rechnung erwarten sollte. Noch deutlicher tritt diese Tatsache in folgender Tabelle zutage. Gruppen mit 5 bu 7 in Hörige Gruppen Anzahl der positiven Anzahl* der negativen Vorzeichen absolut 10 13 in °/o 83,3 32,5 Vorzeichen in °/o 16,7 65,0 absolut 26 l ) Die einmal vorkommende Differenz }:0 ist weder in dieser noch in der folgenden Tabelle berücksichtigt. 310 17. Die Prä va lenz Wir fassen nun die bisherigen Ergebnisse dieses Kapitels in folgenden Sätzen zusammen: I. Wenn man eine große Anzahl nacheinander standesamtlich registrierter Geburten in Gruppen zu zwölf einteilt und die Gruppen mit 0, 1, 2 ... 12 m (f) abzählt, so zeigen sich die Gruppen mit 5, 6, 7 m (f) bevorzugt, die übrigen benachteiligt im Verhältnis zu denjenigen Anzahlen, die man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwarten sollte. II. Dieses Phänomen tritt in zweifacher Weise in die Er- scheinung: Erstens ist die durchschnittliche Anzahl der Gruppen mit 5, 6, 7 m (f) größer, die durchschnittliche Anzahl der übrigen Gruppen kleiner, als man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwarten sollte. Zweitens zeiot sich folgendes: Wenn man die Differenz: wirkliche Anzahl minus wahrscheinlichste Anzahl bildet, so erhält man bei den Gruppen mit 5, 6, 7 m (f) überwiegend posi- tive, bei den anderen überwiegend negative Vorzeichen der Differenzen. Wir haben vorhin gesehen, daß unsere naturphilosophische Betrachtung oder unsere Lehre vom statistischen Ausgleich uns zur Möglichkeit führt, daß innerhalb kleinerer Gruppen unseres Geburtenmaterials ein besserer Ausgleich stattfindet, als es nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu erwarten wäre, daß also unter kleineren Gruppen von einerlei Elementenzahl diejenigen, welche die größte theoretische Wahrscheinlichkeit haben, öfter vorkommen, als man nach der Wahrscheinlichkeit erwarten sollte. Unsere empirischen Untersuchungen haben diese Ansich.1 bestätigt. Wie klein dürfen nun die Gruppen sein, damü die von uns erwiesene Gesetzmäßigkeit eintritt? Daß die ganze Frage für die Gruppen zu 1 überhaupt keinen Sinn hat, ist klar. Aber wären wir zu analogen Resultaten gelangt, wenn wir unsere Untersuchung auch auf die Gruppen zu 8 und die Gruppen zu 1 ausgedehnt hätten? Nur die Erfahrung könnte solche Fragen beantworten. Doch habe ich meinerseits von weiteren Untersuchungen in dieser Richtung ab- der Normalgruppen. 31 1 ehen. Meine vorläufige Ansicht ist die, daß das in diesem Kapitel behandelte Phänomen am so besser zutage tritt, je größer die Gruppen sind, um die es sich handelt . Daß es schon bei Gruppen 12 eintritt, habe ich bewiesen. Die Prüfung (\(^ Phänomens für größere Gruppen würde ein viel größeres Material verlangen, als es mir zu Gebote steht. Wir können diejenigen Gruppen, deren wahrscheinlichste An- ten am größten sind (in unserem speziellen Fall also diejenigen Gruppen, die gleichviel oder nahezu gleichviel m und f enthalten), auch als Normalgruppen bezeichnen und sagen, daß wir in diesem Kapitel die Prävalenz der Normalgruppen für standesamtlich nacheinander registrierte Geburten erwiesen haben. Offenbar gilt die Tatsache der Prävalenz der Normalgruppen auch für alle anderen I Sebiete, in denen der statistische Ausgleich stattfindet, wenn vielleicht auch nicht für die (Truppen zu 12, so doch für Gruppen von mehr als 12 Elementen. Achtzehntes Kapitel. Eine Untersuchung aus der Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wir haben im 14. Kapitel gesehen, daß, wenn wir unser aus 49 152 49 152 Einzelfällen bestehendes Würzburger Material in ~tö~~" = 4096 Gruppen mit je 12 Elementen einteilen, und wenn wir diese wirklichen Gruppen mit den 4096 möglichen Gruppen zu 12 ver- gleichen, sich folgendes zeigt: Gruppen oder Gruppenformen (wie wir damals sagten 1 )) von der Häufigkeit sind 1512, Gruppen von der Häufigkeit 1 sind 1474, Gruppen von der Häufigkeit 2 sind 786, Gruppen von der Häufigkeit 3 sind 258, Gruppen von der Häufigkeit 4 sind 54 und Gruppen von der Häufigkeit 5 sind 12 vorhanden. Es zeigt sich also, daß von den 4096 a priori möglichen Gruppen 1 512 überhaupt nicht vorkommen, während wieder andere mehrfach, ja sogar bis fünfmal vorkommen. Diese auf den ersten Blick auf- fällige Tatsache soll im vorliegenden Kapitel behandelt werden. Die Ergebnisse dieses Kapitels werden wir dann im folgenden Kapitel mit der Tatsache der Prävalenz der Normalgruppen in Verbindung bringen. Wenn wir mit einer Münze einmal werfen, so sind folgende Gruppen möglich: w z Wenn wir zweimal werfen, so sind die möglichen Gruppen folgende: w w w z Z W Z Z J ) Auch im folgenden werden statt Gruppe (Komplexion) vielfach <li<- gelegentlich Behr zweckmäßigen Ausdrücke G-ruppenform, Gruppe von der Poi iu ... benutzt werden. In i'n,, i utei Buchung an- der Kombinatorik a. Wahracheinlichkeitsr. 313 Wenn wir 8 mal werfen, s<> sind - 3 s. wenn wir 12 mal werfen Bind *2 12 W96, wenn wir nmal werfen sind -2 U Gruppen von Einzel- bnissen möglich. Die möglichen Gruppen können also beim Spie] „Wappen oder Zahl", je nachdem wir einmal, zweimal, drei- mal, zwölfin;» 1 oder nmal werfen, 2 1 , 2 8 , 2*, 2 M oder -2" Formen annehmen. Wir Betten nun für die Zeichen w und z die Zeichen a und l> ein, nin anzudeuten, daß sich die folgenden Betrachtungen, die wir auf unser Geburtenmaterial anwenden werden, nicht nur auf das Spiel „Wappen oder Zahl", sondern auf alle analogen Bei- spiele beziehen. Wir nehmen ferner zunächsl an, daß a und b die gleiche Wahrscheinlichkeit haben. Die Wahrscheinlichkeit von a i-t dann ebenso wie die Wahrscheinlichkeit von b gleich ^ • Wenn wir nun v . 2° Gruppen (wobei v irgend eine positive ganze Zahl bedeutet) in Betracht ziehen, so ist der wahrscheinlichste Kall der. daß jede der möglichen 2 n Gruppenformen gleich oft, also r mal vorkommt. Die Wahrscheinlichkeit, daß dies eintritt, wird dem Bernoullischen Theorem zufolge um so größer, je mehr Gruppen wir ins Auge fassen, d. h. je größer v wird, und sie nähert sich um so mehr der berechtigten Gewißheit, je mehr sich dir Anzahl der in Betracht gezogenen Gruppen einer unendlichen Anzahl nähert 1 ). Wenn wir nun annehmen, die Wahrscheinlichkeiten von a und b : -ohieden, so müssen wir unsere bisherigen Überlegungen h etwas ergänzen. Für jeden Wert von n hat jede der 2 n mög- lichen Komplexionen eine bestimmte Wahrscheinlichkeit. Gleiche Wahrscheinlichkeit von a und b vorausgesetzt, \>\ im ii 1 die Wahrscheinlichkeit der (> nippenformen a 1 j ewo ;i K ff leich 1 b J J _' die WahrBcheinlichkeil der <; nippen formen a a b a a b I) b ■1 jeweils gleich 11 J^ 2 2 4 l ) Vergl. hierzu J. v. Krieg, Die Prinzipien <1<t Wahrscheinlichkeit»- p-<-},nur)<:. Preibnrg i. Br. B. I03ff. issfi. :U4 18. Eine Untersuchung aus der turn 3 die Wahrscheinlichkeit der Gruppenformen a a a a a b a b a a b b b a a b a b b b a b b b jeweils gleich 1 JL _L 1 2 ' 2 ' 2 == 8 Während indessen demnach, wenn die Wahrscheinlichkeit von a gleich der Wahrscheinlichkeit von b ist, jede der möglichen Gruppen- formen zu n dieselbe Wahrscheinlichkeit besitzt wie irgend eine andere, so ändert sich dieses Verhältnis, wenn die Wahrscheinlich- keiten von a und b verschieden sind. In unserem oben behandelten Würzburger Material von 49 152 Geburten hatten wir nun 25 120 männliche und 24 032 weib- liche Geburten verzeichnet. Die Wahrscheinlichkeit einer männ- 25 120 liehen Geburt beträgt daher für dieses Material: 40-150 — 0,51, 24 032 die einer weiblichen: AQ-tzq = 0,49. Hiernach ergibt sich, wenn wir wie früher jede männliche Geburt mit m und jede weibliche mit f bezeichnen, und wenn wir die Wahrscheinlichkeit einer männ- lichen Geburt (d. i. 0,51) mit M, die einer weiblichen Geburt (d. i. 0,49) mit F bezeichnen, folgendes: für n I ist <li<* Wahrscheinlichkeit der Gruppenformen m gleich M f „ P lii i- ii 2 ist die Wahrscheinlichkeil der (iruppenformen m m gleich M M m f „ MF f m „ F M f f „ F F turn 3 ist die Wahrscheinlichkeit der Gruppenformen m m in gleich M M M m in f ,, M M F in f in „MF M m f i ,. M F F i m in ,, F M M f m f „ F M P I f in „ F F M t t ! .. F F F Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. 315 Wenn wir nun unser Würzburger aua 19 152 Einzelfällen be- / 49 152 \ stehendes Material in v I %) , . ) . 2 1 Komplexionen zu 1 ein- teilen, bo müssen wir auf Grund der mitgeteilten Darlegungen als wahrscheinlichsten Fall denjenigen ansehen, wo v . 2 1 . M Gruppen \uii der Form m und ¥ . - 1 . V Gruppen von der Form E vorkommen. Teilen wir das Material in ¥ I = , )2 o ) 2 8 Gruppen zu '2, so ist der vrahrecheinlichste Fall der, daß ¥ . 2 1 . M . M Gruppen von der Form in in und ¥ . 2* . M . F Gruppen von der Form in £ und ¥ . 2- . V . M Gruppen von der Form f m und r . 2 a . F . F Gruppen der Form ff vorkommen. Teilen wir das Material in Gruppen zu 8, 4 . . . n ein, so können wir in ganz analoger Weise die wahr- scheinlichste Verteilung der wirklichen Gruppen auf die 2 :J , 2 4 . . . 2" glichen Gruppenformen berechnen, v hat bei der Einteilung . 49152 in Gruppen zu n den Wert , )n Aus den bisherigen Erörterungen dieses Kapitels können wir nun folgendes ableiten: Eine sehr oft nacheinander wiederkehrende Tatsache, wie z. B. ein Spielresultat oder eine Geburt, soll die Erscheinungsweisen a und b und nur diese annehmen können. I >!•• Wahrscheinlichkeit von a sei gleich a, die von b gleich ß. Wenn wir nun die sehr oft nacheinander auftretenden Einzelfälle, die also nur a- oder b-Fälle sein können, in Gruppen zu n einteilen, BO können diese Gruppen 2 n verschiedene Formen annehmen. Für i in gegebenes aus 1 oder 2 oder 8 . . . oder allgemein aus i>mal _ < Sruppen bestehendes Material ist der wahrscheinlichste Fall der, daß jede der 2 n Gruppenformen v . 2 . q I vorkommt, q is1 hierbei ein variabler Faktor, der die Wahr- einhchkeil der in Frage stehenden Gruppenform bedeutet. Ist '/■■ B. i) = 8 und handelt es sich um die Gruppenform (a ha), so q = a ß a. Der einfache Fall, von dem wir ausgingen, wo die Wahrecheinhchkeil von a und b gleich , } ist, ist, wie man sieht, in diesen Darlegungen enthalten. Wenn er erfüllt ist, so 316 18. Eine Untersuchung aus der wird q für alle 2 n möglichen Gruppenformen, die bei einer Einteilung des Materials in Gruppen zu n vorkommen können . gleich groß. Kein Kenner der Kombinatorik und der Wahrscheinlichkeits- rechnung wird in den bisherigen Ausführungen dieses Kapitels irgend etwas wesentlich Neues finden können. Und doch bedarf die Frage, in welchem Sinne denn nun eigentlich der wahrschein- lichste Fall der ist, daß jede der 2 n möglichen Gruppen zu n v . 2 n . q mal vorkommt, noch weiterer Klärung. Denn die wenigsten, die mit den bisher dargelegten Tatsachen operieren, dürften sich dies völlig klar gemacht haben. Zur Erörterung der Frage, in welchem Sinne denn der wahr- scheinlichste Fall der ist, daß jede der 2 n möglichen Gruppen zu n v . 2 n . q mal vorkommt, gehen wir von dem eingangs des Kapitels erörterten einfachen Fall aus, wo die 2 n möglichen Gruppenformen alle gleiche Wahrscheinlichkeit haben, und zwar setzen wir zunächst voraus, daß wir das Spiel Wappen oder Zahl spielen, wobei wir Wappen mit a, Zahl mit b bezeichnen. Wir gehen weiterhin von der spe- ziellen Voraussetzung aus, daß n gleich 2 sei. Es sind dann, wie wir schon sahen, folgende Gruppenformen möglich: a a a b l> ;i I) 1) Es liegt nun ganz im Sinne des Spieles Wappen oder Zahl, daß jede dieser vier Gruppenformen die gleiche Wahrscheinlich- keit, nämlich die Wahrscheinlichkeit \ hat und daß wir daher, wenn wir 8 mal eine Münze in die Höhe werfen und wenn wir die S Ergebnisse in Gruppen zu 2 einteilen, als wahrscheinlichsten Fall den ansehen müssen, daß jede der vier Gruppen ;i a ;. I) i> a Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung ,'M7 einmal vorkommt, wobei natürlich die Reihenfolge dieser vier Gruppen eine ganz beliebige Bein kann. Hiemaoh liegt es vielleicht nahe zu Bchließeh, daß man, wenn man überhaupt eine Erwartung hegen will, am besten tut, zu ten, daß jede der vier Gruppen zu 2 bei achtmaligem Werfen einmal vorkomme. Ee lieui ferner vielleicht nahe anzunehmen, \ wenn man sehr oft nacheinander je achtmal wirft und dem- nach sehr oft hintereinander jeweils vier Gruppen zu 2 bildet, am meisten solche Achterkomplexe zu erwarten seien, in denen < kuppen ;i a a b 1) a 1) 1) je einmal vorhanden sind. Und man könnte geneigt sein anzu- nehmen, daß bei unendlich vielen Achterkomplexen die Zahl der- jenigen, in welcher die vier Gruppenformen gerade einmal vor- kommen, so überwiegt, daß ihnen gegenüber die Fälle, wo eine r mehrere der vier Gruppenformen ausbleiben, verschwinden. Solche Annahmen sind indessen ganz und gar verfehlt. Der Satz, Bei am wahrscheinlichsten, daß jede der vier Gruppenformen zu 2 bei acht Einzelwürfen einmal vorkomme, heißt nur, daß dieser lall wahrscheinlicher ist als irgend ein bestimmter anderer Fall und daß auch bei beliebig vielen Würfen keine der vier Gruppen häufiger erwartet werden darf als eine andere. Der Fall, daß unter vier Gruppen zu 2 jede der vier möglichen Gruppenformen einmal vorkommt, ist dagegen nicht nur an sich ziemlich wenig wahr- scheinlich, sondern auch erheblich unwahrscheinlicher als der Fall, id eine beliebige der vier Gruppenformen ausbleibt. Diese Tatsachen lassen sich an der Hand einfacher kom- binatorischer Überlegungen leicht übersehen. Wir setzen a a ■ = I a b - II b a III b b I V Werfen wir mm 8 mal, bilden wir also vier Gruppen zu 2, so sind folgende Komplexionen möglich: 318 18. Kino Untersuchung aus der I I I I I I I II I 1 II I usw. Das sind im ganzen 4 4 = 256 Variationen der Elemente I, II, III, IV zur vierten Klasse mit Wiederholung. Unter diesen 25G Komplexionen zu 4 befinden sich 1 (eine), die nur das Element I enthält. 1. 1. 1. 4, 4, 4. 4. 4. 4. 4. 4. 4. 4. 4, 4. 6, 6, 6, 6, 6, 6, .. ., .. ,, •• 111 ,, ., -, 1 > >> die lmal das Element I und 3mal das Element II enthalten, 2mal I I II II II III III III IV IV IV I I I II II III 2mal III IV I III IV I II IV I II III II III IV III IV IV 12, die 2mal d. Element I, lmald. Element II, lmal d. Element III enthalten. 12. 12. 12. 12. 12, 12, 12. 12, 12. 12. 12. I , > »» > » »» 11 ,» » * II , , 1 » 11 , , " y III . • • , III ,» , . III »« . . . IV. • • . IV. >» » » >> IV, » )i II, III. I, I, III, I. I, II. I, I. II, IV IV III IV IV II IV IV II III III 24, die je einmal <ii<- Elemente I, II, III. IN' enthalten. Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. 319 Hieraus ergibt sich, daß, wenn wir beim Spiel Wappen oder Zahl Sinai werfen und ilann die Ergebnisse in 1 Gruppen zu urteilen, der Fall, daß alle vier möglichen Gruppenformen 24 auftreten, die Wahrscheinlichkeit ,-,. hat. Jeder Fall hingegen, wo nur drei bestimmte Gruppen auftreten, hat die Wahrschein- 12 ^ lichkeit , )r .. Jeder Fall, wo nur zwei bestimmte Gruppen aut- treten, hat die Wahrscheinlichkeil ,-... wenn jede der beiden Gruppen gleich oft, also 2 mal vorkommt. Jeder Fall, wo nur zwei bestimmte Gruppen auftreten, hat die Wahrscheinlichkeit 4 . .,. .. wenn eine dieser zwei Gruppen einmal, die andere dreimal vorkommt. Jeder Fall endlich, wo nur eine bestimmte (Truppe auftritt, hat die Wahrscheinlielikeit , )r ... Hieraus ergibt sich in Tat. daß, wenn wir beim Spiel Wappen (a) oder Zahl (b) acht- mal werfen und wenn wir die Ergebnisse in vier Gruppen zu 2 einteilen, der wahrscheinlichste Fall in gewissem Sinne der ist, daß jede der Gruppen a a a b b a b b einmal vorkommt. Dieser Fall ist nämlich wahrscheinlicher als irgend ein anderer Fall, in dem eine, zwei oder drei bestimmte Gruppen fehlen. Aus der letzten Tabelle können wir jedoch auch folgende Tabelle ableiten. Die 256 Komplexionen zerfallen in 1 Gruppen mit 4 gleichen Elementen, 18 .. .. 2 verschiedenen Elementen, von denen eines 3mal, das andere lmal vorkommt 36 .. 2 ,, ,, von denen jedes 2mal vor- kommt, 144 .. .', ,, ,, von denen eines 2mal, die die beiden anderen je lmal vorkommen, 2 \ 4 Hieran- ergibi weh folgendes: Wenn wir heim Spiel Wappen 320 IS. Eine Untersuchung aus der oder Zahl 8 mal werfen und dann die Ergebnisse in Gruppen zu 2 einteilen, so beträgt die Wahrscheinlichkeit des Falles, 24 daß alle möglichen Gruppenformen vorkommen — - = 0,09, 144 daß 1 mögliche Gruppenform fehlt -— = 0,56, ZOO daß 2 mögliche Gruppenformen fehlen — -~ — = — - = 0,33, 25o 25b 4 daß 3 mögliche Gruppenformen fehlen — - = 0,02. 2o6 Hieraus folgt, daß der wahrscheinlichste Fall der ist, daß irgend eine beliebige Gruppenform fehlt, während die Wahrschein- lichkeit, daß alle Gruppenformen vorkommen, ziemlich gering ist 24 und nur -^ = 0,09 beträgt. Wenn wir also mit einer Münze achtmal werfen und die Ergebnisse in Gruppen zu 2 einteilen, so dürfen wir nicht erwarten, daß jede Gruppe einmal vorkommt. Es ist vielmehr erheblich wahrscheinlicher (diese Wahrscheinlich- keit beträgt 1 — 0,09 = 0,91), daß entweder eine oder zwei oder drei Gruppenformen fehlen. Am wahrscheinlichsten ist der Fall, daß nur eine beliebige Gruppenform ausbleibt. Auch wenn wir beliebig oft je achtmal nacheinander werfen, müssen wir daher am meisten solche Achtergruppen erwarten, in denen eine der vier möglichen Gruppen zu 2 fehlt. Viel einfacher liegt die Sache, wenn wir statt vier Gruppen zu 2 nur zwei Gruppen zu 1 ins Auge fassen, wenn also n = 1 wird. Wenn wir beim Spiel Wappen oder Zahl zweimal werfen und die Ergebnisse in Gruppen zu 1 einteilen, so sind nur die Fälle a b möglich. Wir setzen wieder a = I und b = IL P^s können dann folgende Komplexionen auftreten: I I I II II I 11 II In <\w Iläll't.e <I<t Komplexionen ist, wie man sieht, der Fall erfüllt, wo jede- der beiden möglichen Resultate (a, b) einmal Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. '.>2\ vorkommt. Der Fall, daß jedes der beiden möglichen Resultate bei -' Complexionen einmal vorkommt . hat also die Wahr- scheinlichkeit , } . während die beiden Fälle, wo ein bestimmtes der vier möglichen Ergebnisse ausbleibt, mir die Wahrscheinlich- keit haben. Auch hier ist also die Wahrscheinlichkeit, daß irgend eines der möglichen Ergebnisse fehlt ( .> )• oichl kleiner. allerdings aber auch aichl größer, als der Fall, daß alle Möglich- keiten erfüllt sind. Viel schwieriger wird die Suche, wenn wir n gleich 8 werden lassen und also 2 3 Gruppen zu 3 bilden. Hier sind die acht mög- lichen Komplexionen zu 8 folgende: a a a = I a ab II a b a = III a b b = IV b a a == V b a b = VI b b a = VII b b b = VIII Hier sind 8 8 = 16 777 216 Variationen mit Wiederholung der Elemente I, II, III, IV, V, VI, VII, VIII zur achten Klasse mög- lich. Unter diesen 16 777 216 Komplexionen befinden sich 40 320, in denen jedes der Elemente I, II, III, IV, V, VI, VII, VIII vor- kommt, das ist 8! oder die Anzahl der Permutationen der Elemente 1. II. III, IV, V, VI, VII, VIII. Die Wahrscheinlichkeit, daß bei nippen jede der Formen einmal vorkommt, beträgt also nur MarU-, Dia 'iloictiforr/ii^küit in <lor Welt. a a a a a b a b a a b b b a a b a 1) 1) i» b b b Iso nur 40 820 16777216 : = 0,002 A r elt. 21 322 IS. Eine Untersuchung aus der Auch hier läßt sich zeigen, daß der Fall, daß jede der acht möglichen Gruppenformen gleich oft vorkommt, trotz seiner ge- ringen Wahrscheinlichkeit immer noch erheblich wahrscheinlicher ist als der Fall, daß eine bestimmte Gruppenform fehlt, oder als der Fall, daß 2 (3, 4, 5, 6, 7) bestimmte Gruppenformen fehlen. Aber auch hier läßt sich nachweisen, daß der Fall, daß irgend- welche Gruppenformen fehlen, wahrscheinlicher ist, als daß alle vorhanden sind. Ja sogar daß fünf beliebige Formen fehlen, ist wahrscheinlicher, als daß alle vorhanden sind, und die wahrschein- lichste Verteilung ist die, daß drei Gruppenformen ausbleiben. Letzteres ergibt sich aus folgender Zusammenstellung, die, wie man sieht, von Seite 322 auf Seite 323 durchlaufend zu lesen ist; die Die 16 777 216 Komplexionen zerfallen in 8 Gruppen mit 8 gleichen Elementen, 448 1 568 9 408 3 136 56 448 94 080 1 960 94 080 70 560 705 600 470 400 94 080 470 400 1 411 200 3 763 200 1 12S 900 170 400 2 822 400 4 233 600 1 12s 960 40 320 (a) 2 verschiedenen Elementen, von denen (b) 2 ,, ,, ,, ,, (c) 3 „ „ „ „ (d) 2 „ „ „ „ (e) 3 „ „ „ „ (f) 4 „ „ „ „ (g) 2 „ „ „ „ (h) 3 „ „ „ „ (i) 3 , , , , , , , , ( k ) 4 „ „ „ „ (1) 5 „ „ „ „ (m) 3 „ „ „ „ (n) 4 „ „ „ „ (o) 4 „ „ „ „ (p) 5 „ „ „ ., (q) 6 „ .. „ „ (r) 4 „ „ „ „ (s) (t) 6 „ „ „ „ (n) 7 „ „ „ „ (v) 8 „ „ „ „ (W) Kombinatorik und Wahmohemüohkeitsreohnung. 323 lammengehörigen Zeilen beider Seiten wurden der Übersicht- lichkeil wegen mit gleichen Buchstaben [(b), (c), (d) . . . (w)| ver- Behen. Hiernach beträgt die Zahl der Fälle, in denen alle möglichen Gruppenformen vorhanden Bind: 40 320 1 mögliche Gruppenform fehlt: l L28 960 2 .. Gruppenformen fehlen: 5 362 560 7 056 000 I .. .. M 2 867 680 ... .. .. 324 570 7 112 7 .. .. .. 8 Wenn wir als«» beim Spiel Wappen oder Zahl 24mal werfen and die Ergebnisse in Gruppen zu 8 einteilen, so beträgt die Wahr- scheinlichkeit für den Fall, (b) eines "mal. 6 .. (d) 6 , » (e) .") , (f) .. 5 , 6 , » (h) jedi 4 . » einet 4 , > ■ ■ 4 , , .. 4 , , 4 » (n) iwei je 3 > 9 • (P) ■ a » q) .. •> , r) ■ < 3 >> 1 . drei je 2 ,. ■ i je 2 »» ein« 2 ,. (w) 1 9 7 das andere 1 mal vorkommt, das andere 2 mal vorkommt, die beiden anderen je lmal vorkommen, das andere 3 mal vorkommt, das zweite 2 mal, das dritte lmal vorkommt, die drei anderen je lmal vorkommen, vorkommt, das zweite 3mal, das dritte lmal vorkommt, die beiden anderen je 2mal vorkommen, das zweite 2 mal, die 2 übrigen je lmal vorkommen, die vier anderen je lmal vorkommen, das dritte 2 mal vorkommt, di<- beiden anderen je Lmal vorkommen, zwei je 2 mal, das letzte lmal vorkommt, das zweite 2 mal, die drei übrigen je lmal vorkommen, die fünf anderen je lmal vorkommen, vorkommt, die zwei anderen je 1 mal vorkommen, die vier anderen je Lmal vorkommen, die sechs anderen je lmal vorkommen, vorkommt. 21* 324 18. Einr Untersuchung aus der 40 320 daß alle möglichen Grnppenformen vorkommen: ^777 oi*- == 0,002 403 3 .. 1 (eine) mögliehe Gruppenform fehlt: ifi7— -'-Vir = 0,067 2913 ., 2 mögliehe Gruppenformen fehlen: 16 777 21C = u >^19 633 5 7056000 =04205704 " 6 " " " " 16 777 216 u »*^° /u * -.4 „ „ „ „ ™^ = 0,170 3310 = 0,019 346 2 ,* 7 4 7 2 oi* - 0,0004239 16 777216 324 576 16777216 7112 16 777 216 8 16 777 216 Hieraus folgt in der Tat, daß der Fall, daß irgendwelche Gruppenformen fehlen, wahrscheinlicher ist als der Fall, daß alle vorhanden sind. Der Fall, daß entweder 1 oder 2 oder 3 oder 4 oder 5 oder 6 oder 7 Gruppenformen fehlen, hat die Wahrschein- lichkeit 1 — 0,002 403 3; er ist also nahe an 1 gelegen. Am wahr- scheinlichsten ist es, daß drei Gruppenformen fehlen; aber auch daß fünf Gruppenformen fehlen, ist, wie man sieht, immer noch wahrscheinlicher, als daß alle vorhanden sind. Wir dürfen nun, wenn wir das Wichtigste aller bisherigen Ausführungen dieses Kapitels zusammenfassen und uns von den speziellen Beispielen emanzipieren wollen, folgendes sagen: Wenn eine sehr oft wiederkehrende Tatsache nur zwei Er- seheinungsweisen a und b annehmen kann, und wenn wir die auf- einander folgenden Einzelfälle, die also nur a- oder b-Fälle sein können, in aufeinanderfolgende Gruppen zu n einteilen, so können diese Gruppen 2 U Formen annehmen. Der wahrscheinlichste Fall ist dann in gewissem Sinne der, daß unter v . 2 n Gruppen jede der möglichen 2° Gruppenformen v . 2 U . q vorkommt, q ist hierbei ein variabler Kaktor, der die Wahrscheinlichkeit der in Frage Btehenden Gruppenform bedeutet; v kann jede beliebige positive ganze Zahl bedeuten. Daß unter v . 2 n Gruppen jede der 2 n mög- Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. 326 hohen Gtuppenformen r.» . qma] vorkommt, ist insofern der wahrscheinlichste Fall, als er wahrscheinliche! ist als irgend < v in bestimmter anderer Kall, in dem weniger GruppenformeD auf- treten. WCnn a uml b gleiche Wahrscheinlichkeil haben, wenn also «i für alle "2" Gruppen zu n jeweils gleich ist, gilt folgendes: Der Fall, daß jede der 2° möglichen Gruppenformen vor- kommt. Ls1 für n — 1 ebenso wahrscheinlich als der Fall, daß od eine Gruppenform ausbleibt; er ist, wenn n gleich 2 oder 8 wird, unwahrscheinlicher als der Fall, daß irgendwelche Gruppen- formen fehlen. ' Is1 n gleich 1 , so ist die Wahrscheinlichkeit, daß unter 2 1 Gruppen eine beliebige der 2 1 möglichen Gruppenformen fehlt, = . wahrend der Fall, daß alle Gruppenformen auftreten, gleich- falls nur die Wahrscheinlichkeit ~ hat. Wird n gleich 2, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß unter •2- Gruppenformen fehlen gleich 0,09 1 fehlt „ 0,56 2 fehlen ., 0,33 3 „ „ 0,02 Wird n gleich 3, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß unter 2 3 Gruppen von den 2 3 = 8 verschiedenen Gruppenformen fehlen gleich 0,002 403 3 1 fehlt ? » 0,067 291 3 2 fehlen j> 0.319 633 5 3 „ y j 0,420 570 4 4 „ »> 0,170 331 5 „ >j 0,019 346 2 6 „ »> 0,000 423 9 7 „ jj 0,000 000 5 Dies i-t der wesentliche Inhalt des bisher Vorgetragenen i. Wenn nun q für die einzelnen Gruppenformen verschieden ist, immer dann der Fall ist, wenn die Einzelfälle a und b ver- schiedene Wahrscheinlichkeit haben, so werden die Ableitungen schwieliger. Wenn a und b verschiedene Wahrscheinlichkeit haben 326 18. Eine Untersuchung aus der und n gleich 4 wird, so sind sie schon sehr schwer zu bewältigen. In diesem Falle sind 2 4 = 16 Gruppenformen zu 4 ins Auge zu fassen. Bezeichnen wir diese in analoger Weise wie bisher mit den Symbolen I bis XVI, so haben wir 16 16 Komplexionen zu betrachten und dabei noch auf die verschiedene Wahrscheinlich- keit der einzelnen Komplexionen zu achten. Liegen uns, wie dies bei unserem Würzbmger, Augsburger, Fürther, Freiburger Material der Fall ist, 4096 = 2 12 Gruppen zu 12 vor, so hätten wir 4096 4096 Komplexionen ins Auge zu fassen. In solchen Fällen versagt auch bei der Benützung von Näherungsformeln 1 ) unsere Kraft schon aus rein physischen Gründen. Immerhin wird man auf Grund der bisherigen Resultate folgende Sätze formulieren können. Wenn eine sehr oft wiederkehrende Tatsache zwei Erscheinungs- weisen a und b annehmen kann, und wenn wir 2 n . n aufeinander folgende Einzelfälle , die also nur a- oder b-Fälle sein können, in 2 n aufeinanderfolgende Gruppen zu n einteilen , wobei die Gruppen 2 n Formen annehmen können, so gilt folgendes: 1. Die Wahrscheinlichkeit, daß alle möglichen Gruppenformen eintreten, nimmt mit wachsendem n ab. . 2. Sie ist trotzdem für alle Werte von n immer größer als die Wahrscheinlichkeit, daß eine bestimmte Gruppenform fehlt. 3. Die Wahrscheinlichkeit, daß alle möglichen Gruppenformen vorkommen, ist, wenn n = 1 ist, ebenso groß als die Wahr- scheinlichkeit, daß eine beliebige Gruppenform (entweder a oder b) fehlt. In allen Fällen, wo n größer als 1 ist, ist die Wahrscheinlichkeit, daß alle Gruppenformen vor- kommen, geringer als die Wahrscheinlichkeit, daß eine oder mehrere beliebige Gruppenformen fehlen. 4. Die Zahl der wahrscheinlichsterweise fehlenden Gruppen- formen, die für n = 2 den Wert 1. für n 8 den Werl 8 *) Vgl. K. OzuImt in Enzyklopädie <I<t mathematischen Wissen- schaften mit Einschluß ihrer Anwendungen. Bd. [.Teil 2. Leipzig L900 L904. B. 756 ff. Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung, 327 annimmt, wächst um so mehr, je größer □ wird, Sie wächst erheblich schneller als n. Mit den Ansichten, die ich in diesem Kapitel entwickell habe, stimmt nun auch die Erfahrung aberein, soweit ich diese Überein- stimmung geprüft halte. Ich teilte die 1440 ersten Geburten meines Würzburger Materials in 480 Gruppen zu 8 ein. Jede Gruppe zu 9 konnte, wenn wir wieder jede männliche Geburt mit m und jede weihlichf Geburi mit l bezeichnen, eine der Formen III in in MI in t 111 I m 111 t t f m in f m f r f in f t f annehmen. Ich prüfte nun. wieviele unter je acht aufeinander- folgenden Dreiergruppen meines Würzburger Materials auf jede der eben angeschriebenen acht Gruppenformen kamen, d. h. ich stellte fest, wie oft jede der acht angeschriebenen Gruppenformen unter je acht in meinem Material aufeinanderfolgenden Gruppen vorkam. Die erste aus Ziffern bestehende Kolumne der auf S. 828 oben folgenden Zusammenstellung bezieht sich auf die ersten, die zweit»' auf die zweiten acht Dreiergruppen meines Materials usf. Wir sehen, daß anter den ersten sowie auch unter den zweiten 8 . 8 (= 24) Geburten zwei Gruppenformen zu 3 nicht vorkamen. Unter den dritten s Gruppen zu 8 fehlen drei Gruppenformen, unter den vierten sogar \. Wenn wir je acht aufeinanderfolgende Dreiergruppen onseree Materials als einen Komplex bezeichnen, 1440 so ergaben unsere Peststellungen, daß unter den ,, s 60 von ans untersuchten Komplexen der Fall, daß alle acht möglichen Gruppenformen zu 8 vorkamen, überhaupt nicht eintraf, und daß Fall am häufigsten war, wo drei Gruppenformen fehlten. Dies entspricht, wie wir sehen, durchaus unseren oben mitgeteilten WahrscheinHchkeitsberechnungen, Allerdings ist zu bedenken, daß 328 18. Kim' Untersuchung aus der Gruppenform m in in 1 in in f 3 4 m f m 1 2 in f f 1 1 2 f m m 2 1 1 1 2 1 f m f f f m 2 1 f f f 2 1 1 1 usw unsere obigen Berechnungen genau genommen nur für den Fall gelten, wo m und f genau gleiche Wahrscheinlichkeit haben, was bei unserem Geburtenmaterial nicht der Fall ist. Bei dem ge- ringen Unterschied der Wahrscheinlichkeit der männlichen und der weiblichen Geburten ist es aber andererseits nicht verwunderlich, «laß die von uns für gleiche Wahrscheinlichkeit von m und f ab- geleitete Tatsache, daß wahrscheinlichsterweise bei einem Komplex drei mögliche Gruppen formen fehlen, auch für den Fall gilt, wo die Wahrscheinlichkeiten von m und f nur wenig differieren. Über die tatsächliche Bäuügkeii der 8 möglichen Gruppen- iormen zu :-$ innerhalb der von uns untersuchten 00 Komplexe gibt folgende Tabelle Aufschluß. Dal.» o Gruppenformen fehlten, brat Oma] ein 1 (eine) Gruppenform fehlte, ,. '3 ,, ,, 2 G-ruppenformen fehlten, „ 22 ,, ,, 2ß Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. 329 Dafl \ Ghruppenformen fehlten, trat 9 mal ein 1 „ „ .. 8 .. „ ., „ „ .. 7 .. .. „ „ ,. An- «Ion vorigen Kapiteln ist nun bekannt, daß wir unser L9 152 [Einzelfällen bestehendes ganzes Würzburger Material in '2 1 ' 2 4096 Gruppen ZU 12 einteilten, und daß wir in analoger Weise mit dem Augsburger, Fürther und Freiburger Material verfuhren. Auch haben wir gesehen, daß wir mittels unseres sta- tistischen Verfahrens leicht feststellen konnten, wie oft jede der 1096 Gruppen zu 12 tatsächlich vorkam. Es ergab sich nun bei .dien Städten, daß ein ganz erheblicher Bruchteil möglicher Gruppen- formen ganz ausblieb, weshalb natürlich andere mögliche Gruppen- formen mehrfach vorkommen mußten. Die Einzelheiten ergeben sich aus folgender Tabelle: (iiupiM-iiformen sind vorhanden bei von der HM»* Wnizluuü Augsburg Fürth o 1 512 1 519 1 493 1 1 474 1 493 1 511 2 786 746 788 3 258 261 222 4 .",4 58 70 5 12 18 9 6 1 3 Freiburg 1 513 1 517 723 262 59 21 1 Wer, ohne die Überlegungen, die wir in diesem Kapitel vor- getragen haben, zu berücksichtigen, die vorausgehende Tabelle be- trachtet, wird sich vielleicht wundern, daß so sehr viele unter den 1096 möglichen Gruppenformen gar nicht vorkommen. Unsere Ausfuhrungeri sind aber .-ehr wohl geeignet, das Ausbleiben so vieler Gruppenformen keineswegs auffällig erscheinen zu lassen. Von Interesse ist wohl mich der Umstand, daß alle vier Städte ziemlich gul miteinander übereinstimmen. Dies fällt besonders in die Augen, wenn wir die Zahl der nullmal, einmal, zweimal, dreimal 330 18. Eine Untersuchung ;ms der und der mehrmals vorkommenden Gruppeni'ormen prozentual be- rechnen, was in folgender Tabelle geschehen ist. Prozentuale Anzahl für der Gruppenformen mit der Häufigkeit Würzburg Augsburg Fürth Freiburg 36,9 37,1 36,5 36,9 1 36,0 36,5 36,9 37,0 2 19,2 18,2 19,2 17,7 3 6,3 6,4 5,4 6,4 4 und mehr 1,6 1,9 2,0 2,0 In der folgenden Tabelle lasse ich endlich für alle vier Städte zusammen die absolute Anzahl der fehlenden, sowie der einmal, zweimal usw. vorhandenen Gruppenformen folgen. In dieser Tabelle sind also die nullmal, einmal, zweimal usw. vorkommenden Gruppenformen nicht nach Städten ausgeschieden; die bei den verschiedenen Städten gewonnenen Materialien sind vielmehr als ein Ganzes behandelt. Gruppenformen von der Häufigkeil sind vorhanden 76 1 320 2 601 3 783 4 776 5 667 6 404 7 245 8 132 9 56 10 27 1 1 7 12 2 13 1 Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. :\'.\\ Auch diese Tabelle zeigt, daß der in gewissem Sinne wahr- scheinlichste Fall, daß alle (2 11 ) 4096 Gruppen gleich of1 vor- kommen, nicht im aUerentferntesten erfülli ist. Im Sinne des Bernoullischen Theorems wäre ja Ereilich auch erst dann mit diesem Fall tu rechnen, wenn r, das für die vorhergehende Tabelle gleich 4 ist, den Werl x annimmt. Audi kann der Fall, daß bei unendlich großem r alle Gruppenformen gleich oft auftreten, genau genommen nur dann erwartel werden, wenn die Wahrscheinlich- keiten von m und f genau gleich groß sind und wenn die von uns empirisch bewiesene Prävalenz der Normalgruppen nicht bestünde. Natürlich werden wir, auch wenn n größer als 12 wird, analoge Tabellen wie die drei zuletzt abgedruckten erwarten dürfen. Wie sehr auch n über 12 hinauswächst, immer werden unter den 2 U möglichen Gruppenformen, wenn v gleich 4 oder kleiner ist. gewisse I uuppenformen rmal, andere häufiger, andere seltener und manche überhaupt nicht vorkommen. Bei den gesamten Erörterungen dieses Kapitels wurde übrigens absichtlich die Tatsache, daß die Normalgruppen häufiger sind als die anderen Gruppen, nicht berücksichtigt. Für unsere rein theoretischen Ausführungen kommt sie natürlich auch gar nicht in Betracht. Doch würden die Tabellen, die sich auf die Geburten beziehen, wohl etwas anders ausgefallen sein, wenn die Tatsache der Prävalenz der Normalgruppen nicht zuträfe. Jedenfalls aber haben die in diesem Kapitel vorgetragenen theoretischen Über- legungen, denen sich die mitgeteilten empirisch gewonnenen Ta- bellen bestens einreihen, mit der Prävalenz der Normalgruppen an sich nichts zu tun. Erst wenn wir uns, was im folgenden Kapitel ■' hehen soll, fragen, welches denn die Gruppenformen sind, die im »Sinne der letzten Tabelle des vorliegenden Kapitels vernach- rigi sind, und welches die Gruppenformen sind, die im Sinne dieser Tabelle bevorzugt werden, kommt das Problem der Prävalenz der Normalgruppen wieder in Betracht. Neunzehntes Kapitel. Die Prävalenz der Normalgrappen und die Wieder- holung der gleichen Gruppenformen. Wir wissen, daß. wenn wir aus einer großen Anzahl aufeinander- folgender Geburten v . 4096 aufeinanderfolgende Gruppen zu 12 ausscheiden, diese Gruppen 4096 Formen annehmen können. Da nun die männlichen Geburten an sich eine größere Wahrscheinlich- keit haben als die weiblichen, so müssen diejenigen Gruppen zu 12, die amal das Element m enthalten, vor denjenigen, die amal das Element f enthalten, bevorzugt sein. Daß dies bei unserem Material tatsächlich der Fall ist, ergibt sich schon aus dem 17. Kapitel. Wir wissen ferner, daß die Anzahl der aus 12 Elementen be- stehenden Normalgruppen bei unseren vier Städten die ohne Be- rücksichtigung der Prävalenz der Normalgruppen zu erwartende Anzahl derselben übersteigt. Wir haben andererseits im letzten Kapitel gesehen, daß unsere 16 384 (= 4 . 4096) Gruppen zu 12 sich auf die 4096 möglichen Gruppenformen sehr verschieden ver- teilen. Wie verteilen sich aber nun die Normalgruppen unter die Omal. 1 mal, 2 mal .... 13 mal vorkommenden Gruppenformen? Sind vielleicht unter den Gruppenformen, die überhaupt nicht vorkommen, gar keine Normalgruppen vorhanden, und finden sich solche nur unter den sehr häufig vorkommenden Gruppenformen? Oder lallen unter den Gruppenformen, die überhaupt ausbleiben, <lie Normalgruppen weg, um sich ersl bei den einmal und öfter vorkommenden Gruppen des alle 4096 möglichen Gruppen zu 12 enthaltenden Lexikons mehr und mein- einzustellen? Oder ver- teilen sich die Normalgruppen ganz regellos auf die Omal, 1 mal usw. vorkommenden Gruppeniormen unseres Lexikons? Die Möglichkeiten solcher Verteilungen, die freilich unter keinen Umständen rein mathematisch deduzierbar sind, müssen zugegeben werden. Aber die Betrachtung unseres Materials zeigt, Die Wiederholung der gleichen Gruppenformen. 333 daß sie nicht lutreffen. Unter allen im Sinne der letzten Tabelle des vorigen Kapitels ausgeschiedenen Gruppenformen befinden sich Normalgruppen, und zwar sind solche schon in erheb- licher Zahl unter den Oma] vorkommenden Gruppenformen vor- handen. Wie Bich die Kormalgruppen auf die Omal, 1 mal . . . . 18 mal vorkommenden Gruppenformen verteilen, zeigt folgende Tabelle. Neben der jeweiligen tatsächlichen Anzahl der Normal- gruppen Bind in ihr auch die ohne Berücksichtigung der Prävalenz der Normalgruppen wahrscheinlichsterweise zu erwartenden An- zahlen dieser Gruppen mitgeteilt. In der ersten Kolumne der Tabelle Bind die Anzahlen der O. 1,2... 18 mal vorkommenden Zwölfergruppen mitgeteilt. ( rruppen- kommen Normalgruppen Aut die foi men von <ln A B B-A Häufigkeit laut Befund laut Rechnung 76 o 31) 46,4 + 7,4 320 1 188 195,5 + 7,5 601 2 350 367,2 + 17,2 789 3 485 478,3 6,7 776 4 480 474,1 — 5,9 667 .") 430 407,5 - 22,5 404 6 236 246,8 + 10,8 24r, i 153 149,7 - 3,3 132 B 91 80,6 - 10,4 55 9 32 33,6 + 1,6 27 in 15 16,5 + 1,5 7 11 6 4,3 1,7 2 12 2 1,2 — 0,8 1 13 1 0,6 0,4 Die Anzahl der Normalgruppen (B), die nach der Wahrschein- ticbJceiterechnung ohne Berücksichtigung der Prävalenz der Normal- gruppen unter y Gruppen erwartet werden muß (vgl. die Zahlen unter B), ließ sich leicht berechnen. Ich bezeichnete mit M (F) die auf Grund des Materials der vier Städte gewonnene Wahr- Bcheinlichkeit der männlicheD (weiblichen) Geburten. Dann war 334 M und !•' 19. Die Prävalenz der Normalgrappen und 25120 + 25142 -f 25008 + 25195 4-49152 24 032 + 24010 + 24144 -f 23 957 4-49152 ferner b = y ( y )\l v F 12 — v ; in diese Formel war für die einzelnen in Betracht kommenden Werte von y jeweils für v zunächst 5, dann 6, dann 7 einzusetzen. Aus der Summe der drei so gewonnenen b- Werte ergab sich B, d. i. die Anzahl der Normalgruppen, die unter y Gruppen ohne Rücksicht auf die Prävalenz der Normalgruppen zu erwarten war. Was lehrt nun die Tabelle (S. 333)? Sie zeigt zunächst, daß sich, wie schon erwähnt, sowohl unter den Omal als unter den 1-, 2- oder mehrmal vorkommenden Gruppenformen unseres Lexikons immer Normalgruppen befinden. Sie lehrt ferner, daß bei den Gruppenformen von der Häufigkeit bis 2 die berechnete, bei den übrigen meistens die gefundene Anzahl der Normalgruppen überwiegt. Gruppenformen sind Normal- Unter von der gruppen Häufigkeit in Prozenten 76 51,3 320 1 58,8 601 2 58,2 7*3 3 61,9 776 4 61,9 667 5 64,5 404 6 58,4 245 7 62,4 132 8 68,9 55 9 58,2 27 10 55,6 7 il 85,7 2 12 100,0 1 L3 100,0 die Wiederholung dei gleichen Gruppenformen. :>.*i.~> Wichtiger für den Verlauf der Anzahl der Normalgruppen innerhalb der Omal, imal und mehrmal vorkommenden Gruppen- men ist indessen vorstehende Tabelle (S. 384), in welcher Eür die Omal, Imal, 'imal usw. vorkommenden Gruppenformen die entuale Ansah! der Normalgruppen berechnet ist. Diese Tabelle eeigl bei aller Unregelmäßigkeil der Zahlen im einseinen, daß der Prozentsatz der Normalgruppen mit wachsender B&ufigkeii »1er Gruppenformen im allgemeinen steigt, um schließ- lieh ein Maximum zu erreichen. Dies wird insbesondere deutlich, wenn man die Werte der Letzten Kolumne in Fraktionen zerlegt, und wenn man das arithmetische Mittel der zu einer Fraktion ge- hörigen Zahlen bildet. Bei der Zerlegung in 7 Fraktionen zu 2. •ben sich folgende Mittelwerte: 56, 1 80,1 63,2 60,4 63,6 70,7 100,0 Bei der Zerlegung - in Fraktionen zu 7 ergeben sich die Werte: 59,3 75,8 Schcidci man die beiden letzten Werte zu 100 aus, und bildet man aus den übrigen zw T ölf Zahlen Fraktionen zu 3, 4 und 6, so ergehen sich folgende von oben nach unten durchweg wachsende .Mittelwerte : 1 Fraktionen zu 3 3 Fraktionen zu 4 2 Fraktionen zu 6 66,1 57,6 59,4 62.S 61,8 64,9 63,2 67,1 66,5 Hiernach wird man unserem Satz, daß der Prozentsatz der Normalgrappen mit wachsender Häufigkeit der Gruppenformen bis zur Erreichung dee Maximums steigt, gewiß eine mehr als 336 Die Wiederholung der gleichen Gruppenformen. zufällige Bedeutung beilegen können. Auch dürfen wir erwarten, daß dieser Satz nicht nur für Gruppen zu 12, sondern auch für größere gilt und daß er auch bei beliebig großem v im allgemeinen zutrifft. Wir können also sagen: Wenn wir eine große Anzahl aufeinanderfolgender Geburten in Gruppen zu 12 oder größere Gruppen einteilen, so weisen die öfter vorkommenden Gruppenformen im allgemeinen mehr Normal- gruppen auf als die seltener vorkommenden, und zwar wächst der Prozentsatz der Normalgruppen bis zur Erreichung seines Maxi- mums um so mehr, je größer die Häufigkeit der fraglichen Gruppen - formen ist. Ohne Zweifel dürfen wir diesen Satz dem Sinne nach auch über das Gebiet der Geburten hinaus auf alle diejenigen Gebiete anwenden, in denen die Lehre vom statistischen Ausgleich zutrifft, wenn auch bei anderen Materialien statt der Zahl 12 ein anderer Wert einzusetzen sein mag. Z \\ b n xi ge t es K b pi tel. Widersprach zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung und Erfahrung bei Glücksspielen. Bö läßl sich empirisch zeigen, daß der Satz, daß reine Gruppen von einer bestimmten Gruppengröße g an im allgemeinen seltener vorkommen, als man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung er- warten sollte auch für die Aufzeichnungen der Resultate von Glücksspielen gilt. Auch in diesem Gebiet gut also ganz im Sinne unserer Betrachtungen <\^^ 15. Kapitels die Lehre vom sta- tistischen Ausgleich. Pearson hat die Ergebnisse von «S178 Resultaten des Spieles Wappen oder Zahl mitgeteilt 1 ). Ich habe die theoretischen Weite für die Anzahlen der reinen Gruppen über 0, 1, 2, 3 . . . berechnet und diese wahrscheinlichsten Werte von den tatsäch- lichen, die ich aus Pearsons Mitteilungen ableitete, subtrahiert. J >ic theoretischen Werte für die Gruppen über 0, 1, 2 . . . konnten dabei einfach (da die Wahrscheinlichkeit Wappen zu werfen gleich der Wahrscheinlichkeit Zahl zu werfen oder gleich -*■ ist) auf Grund der Darlegungen am Anfang des 16. Kapitels berechnet werden. Hiernach war x die wahrscheinlichste Anzahl aller reinen Gruppen aber = ■= »> ,, . . ff .. ,, X - ,, . . ,, .. .. ,, — USW. wobei N gleich 8178 zu setzen war. Ich gelangte zu folgender Tabelle: 1 ) K. Pearson, The Chance* <>t Deatfa and other Studiee In Evolution. London und New York 1807. Bd. I. S. 56. Marbe, Dio Glcichfönnit<koit in <l«;r Welt. 22 338 20. Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung Reine A B Gruppen Wirkliche Wahrscheinlichste A -B über Anzahl Anzahl 4191 4089.0 1 102,0 1 2028 2044,5 — 16,5 2 972 1022,3 — 50,3 3 493 511,1 — 18,1 4 253 255,6 — 2,6 5 133 127,8 5,2 6 65 63,9 + 1,1 7 25 31,9 — 6,9 8 10 16.0 — 6,0 9 6 8,0 — 2,0 10 1 4,0 — 3,0 11 1 2,0 — 1,0 12 1,0 — 1,0 Man sieht, daß diese Tabelle in mancherlei Hinsicht von den analogen Tabellen abweicht, die wir für unser Gesamtmaterial und die Materialien der einzelnen Städte erhielten. Aber die Tat- sache, daß die größeren reinen Gruppen durchschnittlich seltener vorkommen, als man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnimg er- warten sollte, besteht auch für dieses Material offenbar. Die wirk- lichen Anzahlen der reinen Gruppen über 7 und 7 + x bleiben, wie man sieht, insgesamt und daher auch im allgemeinen hinter den theoretischen Werten zurück. Ja es sind sogar die reinen Gruppen über 1, 2, 8 . . . für n = 1 bis n = 12 meislens und durch- schnittlich seltener, als man theoretisch erwarten sollte, eine Er- scheinung, die übrigens mit dem Verhalten unseres (leburten- materials nicht übereinstimmt. I ; 3er Satz, daß reine Gruppen von einer bestimmten Gruppen- größe au im allgemeinen seltener vorkommen, als theoretisch ver- lang! wild. <jil1 auch für ein umfangreiches, von mir untersuchtes Material von Koulettespielergebnissen aus Monte Carlo. Ich ge- wann dasselbe aus den Aufzeichnungen der Spielresultate, die in der periodischen Schrift. ,,Lo Pointeur" von M. Henri in Monte und Erfahrung bei Glücksspielen. 839 iei1 herausgegeben and verkauft wurden. Von den sieben Erühei in meinem Besitz befindliches schwer zugänglichen Bandchen habe ich heute nur noch sechs. Sic beziehen sich alle auf die Roulette Nr. 2 in Monte Carlo. Eines umfaßi dir Resultate in der zweiten Hälfte des August 1887. Die fünf übrigen bringen die Resultate vom 1. Oktober bis /um 15. Dezember des gleichen Jahres. Lch bildete mm analog unseren Städtematerialien ein irial von l*' 152 Einzelfällen oder Spielresultaten. Jedes Ergebnis beim Roulettespiel ist entweder „Rot" oder • oder ..Null*'. Die Wahrscheinlichkeii für Rot ist gleich ls Wahrscheinlichkeit für Schwarz und beträgl .,,-. Die Wahr- Bcheinlichkeil für Null beträgl .,-. Bei meiner Zusammensetzung Materials habe ich nun. dem Vorgang von Pearson ent- Bprechend, über dessen Untersuchung des Kouletiespiels alsbald richtet werden soll, die Nullfälle ganz ignoriert und nur die aufeinander folgenden Kot- und Schwarzfalle aufgezeichnet. Ich bildete also ein Material von 49 152 Elementen, das nur aus Rot- nnd Schwarzfällen bestand; verwendet wurden die Resultate vom 1. Oktober bis 15. Dezember, wozu noch so viele Spielergebnisse vom 16. Aulium im hinzugefügt wurden, als es nötig war, um die Zahl 19 15*2 zu erreichen. Unser Material enthielt also, abgesehen Mm zwei Spielergebnissen, 49 152 unmittelbar aufeinanderfolgende Resultate. Eine Beeinträchtigung der Anzahl der größeren reinen I rruppen kam mit Rücksicht auf die Zusammensetzung des Materials nur zwei Teilmaterialien praktisch nicht in Frage. (Man ver- tone die Bemerkungen gegen Ende des 16. Kapitels!) Die Wahr- scheinlichkeil eines Rot- bzw. Schwarzergebnisses konnte wegen Ignorierung der Nullfälle für unsere Berechnungen der reinen Gruppen über n einfach gleich s gesetzt werden; die Rechnungen waren also ganz analog denjenigen, die sich auf das Spiel Wappen oder Zahl bezogen. Die Auszählung der reinen Gruppen über 1, 2, 3 fand in gleicher Weise wie bei den Geburten statt. Der Vergleich von Auszählung und Rechnung führte zu folgender Tabelle: 22* 340 2< K Widerspruch zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung Reine A B Arith- ( Truppen Wirkliche Wahrscheinlichste A-B metische über Anzahl Anzahl / | Mittel 24 581 24 576 + 5 (+ 5) l 12 203 12 288 — 85 2 6 157 6 144 + 13 3 3 098 3 072 + 26 4 1 546 778 1 536 768 + io + io 1 + 1,38 6 399 384 + 15 — 200 192 + 8 8 110 96 + 14 9 44 48 — 4 10 16 24 — 8 11 12 8 5 12 6 - 4 - 1 - 2,92 13 2 3 - 1 14 2 1,5 + 0,5 i Wir sehen auf den ersten Blick, daß auch diese Tabelle unsere Gesetzmäßigkeit bestätigt: die reinen Gruppen über 9, 10, 11, 12, 18, 14 kommen im allgemeinen und fast durchweg seltener vor, als man nach der Wahrscheinlichkcitslehre erwarten sollte. Pearson hat seinerseits aus dem von mir verarbeiteten Mate- rial (gleichfalls nach den Henri sehen Publikationen) einen Teil (30 575) Rot- und Schwarzfälle „vom Oktober bis November" 1S87 untersucht 1 ). Die Mitteilungen von Pearson erstrecken sich jedoch nur auf die reinen Gruppen über 9 und die kleineren. so daß eine Prüfung der Pearsonschen Ergebnisse auf unsere ( ;<*setzmäßigkeit nicht möglich ist. Dagegen hat Pearson Roulette- Bpielergebnisse aus Monte Carlo nach der in Paris erschienenen Zeitung „Le Monaco" geprüft und die Anzahl der reinen Gruppen zu 1, 2, 8 ... 11, 12 usf. festgestellt. Aus seinen Mitteilungen 1 ) und aus der Berechnung der wahrscheinlichsten Anzahlen der reinen Gruppen über 0, 1, 2, 3 ... ergibt sieh folgende Tabelle: l ) K. Pearson, a. ft. 0. 8. 57. ») K. Pearson, a. a. 0. B. 56. und Erfahrung i>»'i Glücksspielen, :ui Reine A B < trappen Wirkliehe Wahrscheinlichste A B i i ) »t i Anzahl Anzahl • > 4 27 1 4 089,0 -f 185.0 1 1 812 2 044,6 - 232,:» 2 St>7 l 02 2, 3 - 155,3 3 534 511,1 + 22,!) 4 314 255,6 + 58,4 5 1711 127,8 + 51,2 «i 98 63,9 + 34.1 7 :»;, $1,9 + 23,1 B 25 16,0 9,0 g 13 8,0 + 5,0 i<> f> 4,0 2,0 n 1 2,0 1,0 12 1.0 1,0 Wir Behen, daß auch diese (an sich freilich nichts beweisende 1 )) Tabelle mit unserem Satz übereinstimmt. Während wir theoretisch • ine reine Gruppe zu 13 oder irgend eine größere reine Gruppe erwarten müssen, finden sich reine Gruppen über 12 überhaupt nicht; auch die Anzahl der reinen Gruppen über 11 bleibt hinter der wahrscheinlichsten Anzahl zurück. Abgesehen von unserer bisher an Glücksspielen geprüften und tätigt gefundenen Gesetzmäßigkeit haben wir im 16. Kapitel noch die universellere Gültigkeit einer anderen postuliert. Wir meinten, daß auch der Satz, daß die reinen Gruppen von einer Gruppengröße 'i an mit wachsender Gruppengröße immer mehr zurückbleiben, nicht nur für unser Geburtenmaterial, sondern li für alle analogen Materialien von Geburten zutreffen müsse. Dieser Satz läßt sich jedoch auf Grund der erörterten Materialien nicht für die Glücksspiele verifizieren. Doch dürfen wir uns darüber nicht im geringsten wundern. Denn wir konnten ihn auch nicht den einzelnen Städtematerialien, sondern nur aus unserem samtmaterial von nahezu 200 000 Fällen ableiten. Wir müssen J j VergL dae folgende Kapitel. 342 2(>. Widersprach zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung daher vermuten, daß er auch im Gebiet der Glücksspiele nur mit viel größeren Materialien nachgewiesen werden kann, als sie im vorliegenden Kapitel behandelt werden konnten. Eine Unter- suchung dieses Problems müßte übrigens eine große Anzahl von Einzelfällen ein und desselben Glücksspiels in Betracht ziehen und nicht Glücksspiele verschiedener Art zu einem Gesamtmaterial vereinigen, da wir keinen Grund zur Annahme haben,, daß der Abfall der wirklichen Anzahlen der reinen Gruppen bei den ver- schiedenen Glücksspielen genau gleich ist. Nach alledem können wir sagen, daß unsere Untersuchung der Protokolle von Glücksspielresultaten unsere Ansichten über das Verhältnis der wirklichen und wahrscheinlichsten Anzahlen der reinen Gruppen so gut bestätigen, als dies vernünftigerweise verlangt werden kann. Ob freilich alle im vorliegenden Kapitel benützten Materialien wirklich authentisch sind, ist eine andere Frage, die erst im folgenden Kapitel behandelt werden soll. Bemerkt sei hier noch, daß die in meiner ersten Schrift zur Wahrscheinlichkeitslehre 1 ) publizierten Tabellen und Mitteilungen sich zur Prüfung unserer Probleme nicht eignen. Ich habe dort zunächst einige selbstgewonnene Spielresultate mitgeteilt. Daß dieses Material zu klein war, um Schlüsse der in Frage kommenden Richtung zu erlauben, habe ich damals selbst erwähnt 2 ). Dann habe ich Aufzeichnungen von Ergebnissen des Roulettespiels ver- arbeitet. Aus den entsprechenden Tabellen 3 ) und Mitteilungen 4 ) ergibt sich aber bei Vermeidung des unzulässigen Prinzips der Willkürlichkeit der Gruppeneinteilungen nur, wie groß die An- zahlen der allergrößten Gruppen waren, die überhaupt vorkamen, so daß es unmöglich ist, aus ihnen Tabellen nach Art der im vor- liegenden Kapitel abgeleiteten zu gewinnen; zudem ist jenes Material deshalb für uns unbrauchbar, weil es aus allzu vielen Teil- x ) K. Marbc, Naturphilosophisohe Untersuchungen zur Wahrschein- liohkeitslehre. Leipzig 1899. 8. 11 ff. 2 ) K. Marbe, a. a. 0. S. 14. ») K. Marbe, a. a. 0. 8. 20 IT. 4 ) K. Narbe, a. a. 8. 0. 29. und Erfahrung bei Glücksspielen. 'M'.\ materialieo rasammengesetzl war, wie eine aufmerksame Lektüre meiner älteren Schrifl ohne weiteres »M-uiltt. So lag es nahe, ;ms Roulettespielergebnissen murr Vermeidung jenes falschen Prinzips ein neues Material zu sehaffen, das der Ajiforderungj nur umuittel- bar aufeinanderfolgende Spielresultate zu enthalten, soweil als möglich und erforderlich, entsprach. Dieses Material liegl nun in den oben erörterten 49152 Spielresultaten vor 1 ). l ) 1 *> t ■ i der Diskussion einer aus meiner Schrifl „Naturphilosophisohe Untersuchungen usw." abgeleiteten Tabelle, die übrigens mit den hier be- haupteten Tatsachen abereinstimmt, bemerkt H. Bruns (Wahrscheinlich- keitsrechnung nnd Kollektiymaßlehre. Leipzig and Berlin 1906. S. 218 f. ), für die Beurteilung der Widersprüche /wischen Beobachtung und Rechnung komme es auch auf die den Beobachtungen (im Sinne der Wahrscheinlichkeits- rechnung] anhaftenden Streuungen an. So richtig dieser Satz gewiß ist, -<» kann doch diese Streuung nicht in Präge kommen, wenn man sich, wie wir. nur dafür interessiert, ob die wirklichen Anzahlen der reinen Gruppen hinter den tatsächlichen (wenn auch beliebig wenig) zurückbleiben oder nicht, und wenn man. wie wir taten, die Frage stellt, ob dieses Zurückbleiben mit wachsender Gruppengröße erheblicher wird oder nicht. Denn offenbar bestehen die von uns behaupteten Tatsachen ganz unabhängig davon, ob die nachgewiesenen Abweichungen in gewisse Streuungsgrenzen fallen oder nicht. Wir haben daher sowohl bei der Betrachtung der Glücksspiele als auch bei den früheren Untersuchungen der Knaben- und Mädchengeburten bisher davon abgesehen, irgendwelche Streuungsmaße zu berechnen. Für uns handelte es sieh um die Vorzeichen und nicht um die Streuungen. Noch weniger zutreffend erschiene es mir. wenn man etwa mit G. F. Lipps (Philosophische Studien. Bd. 17. 1901. S. 575) annehmen wollte, es könne sich beim Vergleich Ewisehen Theorie und Erfahrung „lediglich darum handeln, festzustellen, ob die theoretisch geforderten und empirisch gefundenen Werte innerhalb gewisser (etwa durch mittlere oder wahrscheinliche Fehler bezeichneter) Grenzen miteinander übereinstimmen". Wenn zwei Größen immer und immer wieder im gleichen Richtungssinn voneinander abweichen, so ist dies doch wohl eine sehr bemerkenswerte Tatsache ganz unabhängig davon . ob die Abweichung in bestimmte Grenzen fällt oder nicht. E inuo (1 z w a n zigs tes Kapitel. * • Über das Ronlettespiel. Die Bedeutung des Nachweises, daß unsere Ansichten über das Verhältnis von Erfahrung und Wahrscheinlichkeitsrechnung mit den Aufzeichnungen von Ergebnissen der Glücksspiele überein- stimmen, wäre offenbar sehr diskutabel, wenn feststünde, daß alle diese Aufzeichnungen gar nicht tatsächliche Spielresultate betreffen, oder wenn wir etwa Grund hätten anzunehmen, daß die Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die herangezogenen Spiele in jeder Beziehung unzulässig sei. Wir haben uns nun im letzten Kapitel zunächst mit Ergeb- nissen des Spieles „Wappen oder Zahl" beschäftigt. Dieses Spiel besteht darin, daß man eine Münze in die Höhe wirft und dann feststellt, ob die eine oder andere Seite der herabgefallenen Münze oben liegt. Die A-on uns nach den Mitteilungen Pearsons be- nützten Spielergebnisse wurden von einem Schüler Pearsons, Herrn Grifiith, im rein wissenschaftlichen Interesse gewonnen und notiert und es liegt nicht der mindeste Grund zur Annahme vor, daß diese Aufzeichnungen unzuverlässig seien. Auch wird kein Urteilsfähiger die Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf das Spiel „Wappen oder Zahl", das tausendmal zur Erläuterung der Wahrscheinlichkeitslehre verwendet wurde, als in jeder Hin- sicht unzulässig betrachten. Denn unsere Ansichten über den statistischen Ausgleich und die verwandten Lehren dürfen, wenn sie die herkömmliche Wahrscheinlichkeitsbetrachtung auch korri- gieren und einschränken . «loch nicht im entferntesten so ge- deutei werden, daß die Wahrscheinlichkeitsbetrachtung der Glücks- spiele und also auch des Spieles „Wappen oder Zahl*' überhaupt anzulässig sei. KieJit so einfach lieg! die Sache im Gebiet des Roulettespiels. All*- unsere Tabellen, die sich auf dies Spiel beziehen, betreffen 21. über das Roulettespiel. 345 das Roulettespiel zu Monte Carlo. Pearson selbsl aber glaub! eigl /.u haben, daß das Roulettespiel zu Munt» 1 Carlo den Er- wartungen der Wahrscheinlichkeitsrechnung im weitesten Umfang Widerspricht, und er hat es in diesem Sinne geradezu als das er- staunlichste Wunder des 19. Jahrhunderts bezeichnet 1 ), das den setzen der Wissenschaft Holm spricht und ihre Theorien in \ erwirrung bringt 1 ). Wir wollen diese Ansicht von Vearson zunächst eingehender prüfen. Pearson Mutzt sie vor allem auf einen Vergleich der wirkliehen und der theoretischen Anzahlen der reinen Gruppen zu 1, 2, 8 . . . Er bildet, ganz wie wir bisher taten, die Differenzen zwischen den wahrscheinlichsten und wirkliehen Anzahlen, er interessiert sich jedoch im Gegensatz zu unseren bisherigen Par- legungen nicht für die Vorzeichen der Differenzen, sondern er vergleicht die Differenzen mit den entsprechenden Standard- Abweichungen. Unter Standard-Abweichung oder Standard Deviation, wie Pearson und die englischen Mathematiker sagen, versteht man genau dasselbe, was die deutschen Mathematiker in der Regel mit dem Ausdruck mittlere Abweichung bezeichnen 3 ). Wie ist nun diese Standard- oder mittlere Abweichung für unseren Fall zu berechnen? Gegeben sei eine große Zahl X von Ereignissen, die nur zwei verschiedene Formen (E v E 2 ) annehmen können, also z. B. eine Anzahl von Knaben- und Mädchengeburten oder (um auf unsere < rlücksspiele zu exemplifizieren) von Wappen- und Zahlergebnissen • •der von Rot- und Schwarzresultaten. Die Wahrscheinlichkeit für Eintreten >\cv einen Form (Ej) sei p, die für das Eintreten der anderen (K 2 ) Bei q. Mit m werde ferner die Anzahl der E x be- zeichnet; die Anzahl der E 2 ist dann N — m. ') K. Pearson, The ( hances of Death. 1897. Bd. 1. S. 61. 1 K Pearson, a. a. 0. 8. 56. V< i L r) K. r/u ber, Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Anwendung .ml Pehlerausgleicliung, Statistik und Lebensversicherung. Leipzig und Berlin. :j. Aufl. Bd. 1. 1914. s. 144 ff. 346 21. Über das Koulettespiel. Der wahrscheinlichste Wert von m ist dann: Np. Unter der mittleren Abweichung <\w Anzahl m von dem zu- gehörigen wahrscheinlichsten Wert Np versteht man nun die Quadratwurzel ans dem Mittelwert der Quadrate aller möglichen Abweichungen. Diese mittlere Abweichung beträgt 1 ) für unsere bisherigen Voraussetzungen : )/Npq. Statt nun nach dem wahrscheinlichsten Wert von m und nach der zugehörigen mittleren Abweichung zu fragen, kann man, wie wir bisher häufig taten, auch nach der wahrscheinlichsten Anzahl der reinen Gruppen zu 1 , 2, 3 . . . fragen , und man kann dann auch die diesen Werten zugehörigen mittleren Abweichungen berechnen. Wir w r ollen jetzt die Formel der mittleren Abweichung für die reinen Gruppen zu n ableiten. Im Interesse unserer späteren Ausführungen soll jedoch diese Ableitung nicht nur für den spe- ziellen Fall des vorigen Kapitels durchgeführt werden, wo p = q ist, sondern zunächst für alle möglichen Werte von p und q, wobei nur vorausgesetzt wird, daß p =q — 1, q = p — 1 ist. Wir be- zeichnen dabei mit /u n die mittlere Abweichung für die wahrschein- lichste Anzahl der reinen Gruppen zu n und mit w n die Wahr- scheinlichkeit für eine reine Gruppe zu n. Es wird dann in der obigen Formel N = der wahrscheinlichsten Anzahl aller reinen Gruppen = S P = w n ; q = 1 — w n . Also : fi n = |/ S w n (1 — w n ) . Nun gilt, wie wir im Kapitel 16 sahen, die Gleichung: Sn = w n S . Also: Wi, = -3 S, Setzen wir diesen Werl von vv„ in unsere letzte Gleichung für f.i n ein, so erhalten wir: l ) E. Czuber, a. a. 0. S. 145. 21. ('her das Roulettetpiel. :U7 \;m-1i dieser Forme] wurden die später zu erwähnenden mittleren Abweichungen für die Werte von s n in unseren Tier Städten be- bnel . Wenn nun p = q «■ ist , so wird . wie sich aus den Mit- teilungen am Anfang des IG. Kapitels ohne weiteres ergibt, IX N U " on ' b o ~ o ' s " ~~ on + 1 ' » mm mm S bzi man diese Werte in die Formel: ,"n = ySo w n (1— W n ) »•in. -n ergibt -ich: _i N x n_ a \-i/ N 2U ~ 1 -V' ,(u ~ \ 2 2" \ 2V ~~ [/ 2 2». 2* " N 2 f* 1 " 1 ) 2* Nach dieser Formel können bei unseren Glücksspielen die mittleren oder Standard-Abweichungen für die reinen Gruppen zu n Im rechnet werden. Die den einzelnen wahrscheinlichsten Werten für die Anzahlen der reinen Gruppen zu n entsprechenden mittleren Abweichungen geben uns einen praktischen Maßstab für die Bewertung der Größe der tatsächlichen Abweichung, die zwischen den wirklichen und theoretischen Anzahlen der reinen Gruppen zu n besteht: je mehr die wirkliche Abweichung den Betrag der mittleren Abweichung übersteigt , desto mehr entfernt sich die wirkliche Anzahl von der wahrscheinlichsten; je mehr die wirkliche Abweichung hinter der mittleren zurückbleibt, desto besser stimmt die wirkliche Ansah] mit der wahrscheinlichsten überein. Je größer der Bruch Wirkliche Abweichung . . . . , , . . L . . ,. , , ,. , w-xxi „ — Ai i ist, desto schlechter stimmt die taktische Mittlere Abweichung Anzahl der reinen Gruppen mit der wahrscheinlichsten überein. Wir wollen künftig diesen Bruch mit V bezeichnen. 348 21. Über das Roulettespicl. Wir sahen nun. daß Pearson eine Anzahl von Spielresultaten aus den auch von uns benutzten, von M. Henri mitgeteilten Publikationen ausgezählt hat. Es ergibt sich aus diesen Auszäh- lungen die Anzahl der reinen Gruppen zu 1, 2, 8 . . . 9. Pearson hat für die Gruppe zu 1 die mittlere Abweichung berechnet und sie der tatsächlichen gegenübergestellt. Da die wirkliche Ab- weichung ungefähr das Vierfache der mittleren beträgt, glaubt Pearson diese Spielresultate als vom mathematischen Stand- punkt aus unwahrscheinliche beanstanden zu dürfen. Wenn man jedoch die mittlere Abweichung und die V- Werte nicht nur für die Gruppen zu 1, sondern auch für die Gruppen zu 2, 8 ... 9 berechnet, so erkennt man leicht, daß die fraglichen wirklichen Abweichungen keineswegs so sehr auffällig sind. Man beachte folgende Tabelle, die sich auf das von Pearson benützte Henrische Material 1 ) bezieht. Reine A Gruppen Wirkliche zu Anzahl 7 917 3 771) 1 892 942 459 1V.\ 122 48 35 B Wahr- scheinlich- ste Anzahl 7 643,8 :\ 821,9 1 910,9 955,5 477,7 238,9 119,4 59,7 29.9 A-B Wirkliche Ab- weichung Mittlere Abweichung j Wirkliche Abweichung Mittlere Abweichung + 273,2 42,9 18,9 13,5 18,7 4,1 2,6 11,7 5,1 + + + 61,8 2 ; 53,5 40,9 29,9 21,5 15,3 10,9 7,7 5,5 4,4 0,8 0,5 0,5 0,9 0.3 0,2 L,5 0.9 Wenn die wirkliche Abweichung ungefähr gleich oder kleiner als die mittlere ist, so pflegt man sie allgemein als keineswegs auffällig zu betrachten, eine Auffassung der Dinge, die man sich i) K. IV;. ison . a. a. o. S. 57. 2 ) Dieser Wert wird bei Pearson (a. a. 0. B. 58) irrtümlich mit 75,71 angegeben. II, übei dM Rouletteapiel 349 auf < iriuit 1 der Erfahrungen bei den sogenannten Beobachtungß- fehlen) allgemein eu eigen gemacht hat. Anders liegl die Sache. wenn die wirkliche Abweichung ein Vielfaches der mittleren ist. Solche Ergebnisse gelten allgemein als wenig wahrscheinliche, und naturwissenschaftliche Messungen mit so großen wirklichen Ab- weichungen pflegt man in der Regel als ungenügende anzuseilen. Dabei muß man sich aber jederzeit darüber klar sein, daß im Sinne der Wahrscheinlichkeitsrechnung jede überhaupt mögliche Ab- weichung auftreten kann und dal.s bei Untersuchungen nach Art der unseligen aus einem V-Werl allein auf einen prinzipiellen Widerspruch der Ergebnisse mit den wahrscheinlichsterweise zu erwartenden nicht geschlossen werden darf. Wenn wir unter diesem Gesichtepunkt die obige Tabelle betrachten, so können wir uns über den Verlauf der letzten Spalte gewiß nicht wundern: von 9 Zahlen liegen außer *2 alle unterhalb des Wertes 1, und das arith- metische Mittel aus allen '.> Werten beträgt 1,11 ; die wirkliche Abweichung ist also im Durchschnitt ungefähr gleich der mittleren. Wir -eben ans daher in keiner Weise veranlaßt, das von Pearson benfitzte Materia] der Henrischen Publikationen auf Grund der wirklichen Abweichungen irgendwie zu beanstanden oder zu be- haupten, daß gerade das Koulettespiel den Erwartungen der Wahr- scheinlichkeitsrechnung besonders widerspricht. Unser Standpunkt wird wesentlich gestützt, wenn wir eine analoge Tabelle (S. 860 oben) aus den von Pearson mitgeteilten 1 ) Ergebnissen des Spieles ..Wappen oder Zahl" bilden, die Pearson selbst als durchaus einwandfreie Spielresultate ansieht 2 ). Wir .-eben auf den ersten Blick, daß die V-Werte in der letzten und der folgenden Taljelle durchaus nicht Zahlen von wesentlich ver- schiedene! Größenordnung sind, und daß keinesfalls die V-Werte der folgenden Tabelle eine bessere Übereinstimmung mit der Wahr- 1 ) K. Pearson, a. a. 0. 8. 56. -) Die mittleren Abweichungen wurden in der folgenden Tabelle nach der oben mitgeteilten Formel nu> X und o berechnet. Die Pearson sein-, Berechnung au- der wirklichen Anzahl der reinen Gruppen (Pearson, a. a. 0., 3 54) ereeheinl mir für anaeren Zusammenhang nicht statthaft. 350 21. Über das Roulettespiel. M-heinlichkeitsiechnung aufweisen als die der letzten. In der fol- genden Tabelle ist sogar V in 6 unter 12 Fällen größer als 1 ; das Mittel der V- Werte beträgt in dieser Tabelle 1,13. B Reim' Gruppen zu A Wirkliche Anzahl Wahr- scheinlich- ste Anzahl A — B Wirkliche Abweichung Mittlere Abweichung V Wirkliche Abweichung- Mittlere Abweichung 1 2 163 2 044,5 + 118,5 32,0 3,7 2 1 056 1 022,3 + 33,7 27,7 1,2 3 479 511,1 - 32,1 21,1 1,5 4 240 255,6 - 15,6 15,5 1,0 5 120 127,8 7,8 11,1 0,7 6 68 63,9 4,1 7,9 0,5 7 40 31,9 + 8,1 5,6 1,4 8 15 16,0 1,0 4,0 0,3 9 4 8,0 4,0 2,8 1,4 10 5 4,0 + 1,0 2,0 0,5 11 2,0 - 2,0 1,4 1,4 12 1 1,0 ± 0,0 1,0 0,0 Die fragliche Übereinstimmung des von Pearson den Henri - sehen Publikationen entnommenen Materials mit den Erwartungen der Wahrscheinlichkeitsrechnung tritt auch in der ersten Tabelle auf S. 351 klar zutage , die sich auf unsere , im vorigen Kapitel er- wähnten, den Henrischen Mitteilungen entnommenen 49152 Rot- und Schwarzfälle bezieht, von denen das in Frage stehende Pcarson- sche Material einen Teil bildet. Die Tabelle ist soweit durchgeführt, als die wahrscheinlichsten Werte für die reinen Gruppen zu n nicht auf Zahlen führen, die unter 1 liegen. Hier sind unter den 14 V- Werten nur 6 größer als 1, und das arithmetische Mittel der V- Werte beträgt nur 0,84. Daß sich die; Differenzen zwischen wahrscheinlichsten und wirk- lichen Anzahlen der reinen Gruppen im Hen ri sehen Material auf das beste den Differenzen, die wir beim Geburtenmaterial unserer vier Städte erhalten, einordnen, ergibt Bich aus der zweiten Tabelle auf 8. 851. Sie enthält die V- Werte für unsere 49 152 Rot- und Schwarz- fälle nach Henri und für je 49152 Geburten ausWürzburg, Fürth, 2 1 . I ber «las Roulet bespiel, 35 1 Reine \ Gruppen Wirkliche zu \: iah! B Wahr- scheinlich- ste Anzahl Mittlere V A B Wirkliche Wirkliche Abweioh vi i Abweichung ...... A i»w eicnung Mittlere Abweichung 1 12 378 12 288 •> 6 046 6 144 3 3 059 3 072 4 1 552 l 536 5 798 768 6 379 384 i 199 102 8 90 96 1 ,,., 48 10 28 24 11 8 12 12 3 6 13 3 3 14 1 + IM» — 98 — 13 + 16 ± — 5 + i — 6 + 18 -f 4 — 4 — 3 X — 1,5 TS. 4 67,9 51,8 :5t.«» 27,3 L9,4 13,8 9,8 6,9 4,!) 3,6 2,4 1,7 1,2 1,1 1,4 0,3 0,4 0,0 0,3 0,5 0,6 2,6 0,8 1,1 1,3 0,0 1,3 Reine Gruppen zu Roulette nach \farbe Arithmd . Büttel: Würzbnrg 0,84 Fürth 0,74 Augsburg 1,04 0,76 Frei bürg 1 1,1 0,4 3,1 1,6 1,6 2 1.4 <i.7 1,2 2,2 1,2 3 0,3 2,0 1,7 0,3 1,3 4 0,4 1,2 1,2 0,0 0,7 5 0,0 0.4 1,3 1,6 0,3 6 0,3 1,2 0,0 0,5 0,3 7 0,5 0,4 0,5 0,7 0,3 8 0,6 0,1 0,5 0,3 2,1 9 2,6 1,1 1,3 0,0 1,3 LO 0,8 0,3 0,7 1,4 0,5 11 1.1 0,9 1.1 0,2 0,1 12 1,3 0,3 0.1 0,8 0,5 13 0,0 o.i <>,1 0,1 1,1 14 1,3 1.2 1,2 0,4 1,2 0,89 352 21. Über das Roulettespiel. Augsburg und Freiburg. Die Tabelle ist wiederum soweit durch- geführt, als die wahrscheinlichsten Anzahlen auf Zahlen, die nicht unter 1 liegen, führen. Nach alledem kann wohl keine Kede davon sein, daß die Er- gebnisse der Henri sehen Publikationen Differenzen der wirklichen und wahrscheinlichsten Anzahlen der reinen Gruppen zu n auf- weisen, die uns irgendwie an der Authentizität der Henrischen Mit- teilungen oder an der Verwendung des Roulettespiels für Unter- suchungen nach Art der unserigen irre machen könnten. Pearson hätte nun auch wohl niemals seine Behauptungen über die wunderbaren Resultate des Roulettespiels allein auf die Henrischen Mitteilungen gestützt. Er hat vielmehr hauptsächlich Publikationen der Spielresultate aus der in Paris erschienenen Zeitung ,,Le Monaco'' untersucht, und diese sind es in erster Linie, auf welche Pearson sein Urteil über das Roulettespiel stützt. Ich teile auf S. 353 eine Tabelle 1 ) mit, die sich auf die aus dem Monaco entnommenen Resultate Pearsons 2 ) bezieht, aus denen er auf einen auffälligen Widerspruch zwischen mittleren und wirk- lichen Abweichungen und daher zwischen wahrscheinlichsten und wirklichen Anzahlen der reinen Gruppen schließt. Man sieht, daß diese Tabelle dem Urteil Pearsons über das Roulettespiel zu Monte Carlo durchaus recht zu geben scheint. Unter den 12 V- Werten sind 10 zum Teil ganz erheblich größer als 1, und das arithmetische Mittel aller V-Werte beträgt 3,32. Dieses Verhalten übersteigt ganz beträchtlich alle Unterschiede zwischen Rechnung und Zählung, die wir im Laufe dieses Kapitels feststellen konnten. Die letzte Tabelle zeigt, daß von einer Überein- stimmung von Rechnung und Erfahrung in der fraglichen Richtung kaum die Rede sein kann, daß sich aber auch irgendwelche gesetz- mäßige Abweichung zwischen Rechnung und Zählung aus der Tabelle nicht deduzieren läßt. *) Die mittleren Abweichungen wurden auch Wer wiederum nach der oben mitgeteilten Formel berechnet. Die Pearaonaehe Berechnung (K. IV; ( raon . a. ;i. 0. > s . 54) erscheint auch hier für unseren /werk nicht statthaft. 2 ) K. Pearson, a. a. 0. 8. 50. 21, {'bor <l;i> Roulel bespiel. 353 B A Wahr- A B Gruppen Wirküche M .| u . in ii ( .h- Wirkliche Anzrthl sto Anzahl Ab ™ichung 1 •> a 4 5 6 7 N 10 11 12 2 462 946 ;};{;{ 220 L35 Sl 43 80 12 7 5 1 2 044,6 l 022,3 511,1 855,6 127,8 63,9 31,9 16,0 8,0 4.1» 2,0 1,0 Mm lere + 417,0 - 77,3 - 178,1 85,6 7,2 17,1 11,1 14,0 4,0 3,0 3,0 0,0 -f + -f + 4- + + ± Wirklich« Abweichung Mittlore Abweichung 32,0 13,0 27,7 2,8 81,] 8,4 1 5,6 2,3 LI,] 0,6 7.<> 2,2 5,6 2,0 4,0 3,5 2,8 1,4 2,0 1,5 1,4 2,1 1,0 0,0 Da- Material des Monaco verhält sich also ganz anders wie Henrische. Wie sollen wir uns diesen Widerspruch erklären? Als ich in Monte Carlo war, hörte ich, daß Herr M. Henri früher Croupier oder, wie man sich vornehmer ausdrückt, Beamter der Bank zu Monte Carlo gewesen sein soll, daß er dann, als er aus der Spielbank ausgeschieden war, die oft erwähnten Publika- tionen herstellte und verkaufte, und daß er die Protokolle im Spiel- Baal selbst aufnahm oder aufnehmen ließ. Herr Henri, der später von Monte Carlo wegzog, war somit, als seine Publikationen er- schienen, eine in Monte Carlo bekannte Persönlichkeit. Alle seine Mittel hingen bezogen sich auf einen ganz bestimmten Apparat im Isaal zu Monte Carlo. Bei zweimaligem Aufenthalt in Monte Carlo zu einer Zeit, die Zeitung ,,Le Monaco" noch erschien, ist es mir anderer- - nicht gelungen, Korrespondenten des Monaco kennen zu lernen oder ober die reale Existenz solcher Korrespondenten etwas zu erfahren. Auch hatte es mich etwas stutzig gemacht, daß der Monaco nicht im Fürstentum Monaco, sondern in Paris hergestellt wurde, and daß in den Publikationen des Monaco, die ich einzusehen Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt. 23 :}54 21. Ober das Roulettespiel. Gelegenheit hatte, niemals der Rouletteapparat, auf welchen sich die Publikationen bezogen, genannt war. Ich schrieb daher an die Redaktion in Paris und erhielt eine Zuschrift, die ganz der- jenigen entsprach, die auch Pearson 1 ) auf seine Anfrage erhalten hatte: es wurde mir geschrieben, die Korrespondenten würden «he Resultate des Spieltisches aufzeichnen, an dem das Spiel zu- erst eröffnet würde und dergleichen. In Monte Carlo aber wurden die Publikationen des Monaco sowie andere ähnliche Veröffent- lichungen in ihrer Echtheit vielfach in Zweifel gezogen, während die Henri sehen als solid galten 2 ). Zudem führten lange Bemühungen eines von mir in Bewegung gesetzten Detektivbureaus, das die Provenienz der Berichte des Monaco feststellen sollte, zu keinem Erfolg 3 ). Hiernach und nach den Untersuchungen von Pearson und unseren vorangehenden Tabellen glaube ich die Behauptung wagen zu dürfen, daß sich zwar die Henrischen Publikationen auf das Roulettespiel zu Monte Carlo beziehen, daß es sich aber bei den Berichten (\c^ Monaco, wenigstens soweit von ihnen hier die Rede ist, um einen groben Schwindel handelt. Ich glaube daher nicht, daß wir aus den erwähnten Untersuchungen Pearsons, soweit sie sich auf Mitteilungen des Monaco beziehen, irgendwie Schlüsse gegen das Roulettespiel zu Monte Carlo ziehen dürfen. Jedenfalls dürfte sieh aus unseren Darlegungen ergeben, daß man bei der Verwendung von Publikationen von Spielresultaten, die ja doch £as1 mir für die kritiklosen Kreise der professionellen Spieler und für einige Neugierige hergestellt werden, äußerst vor- sichtig sein muß. Unsere Darlegungen dürften auch zeigen, daß auch andere von uns nicht erwähnte Schlüsse Pearsons, die sich auf den Monaco oder andere Materialien dunkler Provenienz stützen, nicht unbedingte Richtigkeit beanspruchen kramen. Natürlich liegt es mir fern, mich für die Authentizität der ') K. Pearson, a. a. 0. s. 4<>. -) K. &farbe, Naturphilosophische Untersuchungen zur Wahrschein- lichkeitslehre. Leipzig Ik<m>. s. l>s ff, :: ) K. Bfarbe, a. a. 0. 8. 29 l. 1 1 übei das Roulettespiel. 355 Eienrischen Publikationen irgendwie zu verbürgen. Aber jeden- s -m.l sie anendlich viel vertrauenerweckender als die des Monaco oder andere, über deren Zustandekommen man nichts weiß uiul von Diemanden etwas erfahren kann. Auch erscheint es durchaus nicht ganz ausgeschlossen, daß Roulettespiel spezifische Eigenschaften besitzt, die, ganz ab- sehen von den von ans empirisch bewiesenen Unterschieden wischen WsJn^cheiiüichkeitsreehnung und Erfahrung, gewisse Ab- weichungen der tatsächlichen Spielresultate von den wahrschein- lichsten hervorrufen. Bei diesem Spiel wird eine kreisrunde Scheibe, anderen Rand 87 Fächer angebracht sind, mit der Hand in Rotation setzt. Aul einem Kreisring außerhalb der Scheibe wird eine Kugel in umgekehrter Richtung in Bewegung gesetzt. Die Neigung - Kreisrings gegen die Ebene der Scheibe ist eine solche, daß Kugel, wenn de nicht mehr rotiert, in eines der 37 Fächer fallen muß. Diese sind mit den Zahlen bis 36 versehen und ab- _• sehen von der Null entweder rot oder schwarz. Die Spieler setzen dann auf die einzelnen Zahlen oder Farben, wobei noch mancherlei Kombinationen möglich sind, die für uns hier nicht in Betracht kommen. Die Koulette kann somit als eine Maschine bezeichnet werden, die von Hand bedient wird. Es wäre daher immerhin möglich, daß diese Maschine trotz der bekannten Sorg- falt der Spielbanken gewisse Eigenschaften besitzt, die es un- möglicb machen, daß die Spielresultate den Erwartungen der Wahrscheinlichkeitsrechnung genau entsprechen, Eigenschaften, die vielleicht bei verschiedenen Apparaten verschieden wären und die Spielresultate in verschiedenem Sinne beeinflussen würden. So hervorgerufene Beeinflussungen der Spielresultate fallen natürlich B bei Spielen wie Wappen oder Zahl, die freilich wieder aus anderen Granden (immer abgesehen vom statistischen Ausgleich u. dgl.) den Erwartungen der \ValiiMheinliehkeitsrechnung widersprechen könn- Dafl die Untersuchungen, welche die Übereinstimmung von Wahrschemhchkeitsrechnung mal Erfahrung lehren, nicht diese reinstimmung in jeder Beziehung beweisen, ist ja schon oben deutet worden. 23* 356 21. Über das Koulettespiel. Wie dem auch sei, jedenfalls sind die Ergebnisse dieses Kapitels nicht geeignet, unsere im vorigen Kapitel gewonnenen Schlüsse einzuschränken. Die von uns untersuchten Mitteilungen der Spiel- resultate stimmen, soweit dies irgendwie billigerweise zu verlangen ist, mit unseren Ansichten überein. Die Publikationen des Monaco sollen im folgenden nicht mehr genannt werden, wiewohl sie mit den im nächsten Kapitel ab- geleiteten Tatsachen durchaus übereinstimmen. Zw eiund z wa nzigstes Kapitel. Bin neuer Widersprach zwischen Theorie und Erfahrung. Es muß scharf auffallen, «laß im letzten Kapitel die V-Werte lür die reinen Gruppen mit wonig Elementen vielfach auffällig groß sind. Bei den Versuchen über «las Spiel Wappen oder Zahl, bei dei Pearsonschen Bearbeitung Henri scher Mitteilungen, sowie bei den Geburten aus den Städten Würzburg, Fürth, Augsburg fällt der größte V-Wert auf die reinen Gruppen zu 1 oder zu 2 Nur bei Freiburg und den von mir bearbeiteten Roulette- spielresultaten nach Henri liegt der größte V-Wert bei einer reinen Gruppe, die mehr als drei Elemente hat. Bei 5 unter 7 Fällen befindet sich also der größte V-Wert bei denjenigen reinen Gruppen, weniger als 4 Elemente haben. Da den reinen Gruppen zu 1. 2, 8 reine Gruppen zu 4 bis 12 bzw. zu 4 bis 9 bzw. zu 4 bis 14 gegenüberstehen, so müßte man im Gegenteil erwarten, daß der V-Wert meistens in die Gruppen mit mehr als 3 Elementen fällt. Arithmetische Mittel der V-Werte für w appen oder Zahl Roulette nach Henri und Pearson Roulette nach Henri und Marbe Würz- burg Fürth Augs- burg Frei- bur# Reine Gruppen Ell l, 2, 3 2,13 1,90 0,93 1,03 2,00 1,37 1,37 huppen in \.:,..} } 0,80 0,72 0,81 0,65 0,78 0,60 0,76 1 ) Hiei mufl man sich daran erinnern, daß bei meinen Rouletteunter- I. Eenri und bei den Geburten die reinen Gruppen zu :V>s 22. Ein neuer Widerspruch Bilden wir das arithmetische Mittel der V- Werte für die reinen Gruppen zu 1, 2, 8 und das arithmetische Mittel der V-Werte für die größeren reinen Gruppen , so zeigt sich jenes durchweg größer als dieses, wie sich aus der Tabelle auf S. 357 ergibt. Zählen wir diejenigen V-Werte, die gleich 1 oder größer als 1 sind, und diejenigen V-Werte, die kleiner als 1 sind, für die reinen Gruppen zu 1, 2, 3 und für die größeren reinen Gruppen ab, so ergibt sich folgende Tabelle. V = 1 oder ~> 1 V<1 Keine Gruppen zu 1, 2, 3 lömal 6m al Reine Gruppen zu 4, 5 . . . 1 ) 24mal 46mal Man sieht hier deutlich, daß die V-Werte, die gleich oder größer als 1 sind, bei den reinen Gruppen zu 1, 2, 3 viel häufiger sind als die kleineren V-Werte, während hingegen bei den reinen Gruppen aus mehr als drei Elementen gerade das Gegenteil der Fall ist. Die beiden letzten Tabellen lehren also, daß für die reinen Gruppen zu 1, 2, 3 die Größe V durchschnittlich und auch öfter größer ist als für die größeren reinen Gruppen. Diese Tatsache wird kein Naturforscher und kein Statistiker als Zufallsprodukt betrachten. Es scheint vielmehr hier eine Gesetz- mäßigkeit vorzuliegen, die für alle Gebiete, wo die Wahrscheinlich- keitsrechnung auf unmittelbar unabhängige, aber in unserem vierten Sinne des Wortes voneinander abhängige Vorgänge an- gewandt wird, zutrifft. Wir können dieselbe so formulieren: Die wirkliche Anzahl der reinen Gruppen stimmt mit der wahrscheinlichsten bei den größeren Gruppen durchschnittlich iM-.-ser überein als bei den Gruppen zu 1, 2 oder :}. 1, 2, 3 . . . 14, bei den RouletteunteiKuchnn^en von IVarson-Henri nur die reinen Gruppen zu 1, 2, 3 ... 9 and bei den Untersuchungen des Spiels Wappen oder Zahl nur die reinen Gruppen zu l. 2, :5...12 geprüft werden konnten. ] ) siehe vorige Anmerkung. wischen Theorie und Erfahrung. 359 Dieser Sati 1-1 keine Folge der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Rein theoretisch betrachtel darf kein bestimmter V-Werl oder bestimmte Gruppe v:on \ -Werten gegenüber anderen V- Werten oder Gruppen von \ -Werten irgendwie ausgezeichnet sein. Unser Satz isl aber auch nicht eine Folge der von uns nach- gewiesenen Abweichungen zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung und Erfahrung. An und für sieh könnte man ja vielleicht ineinen, die Tatsache, daß die reinen ( Iruppen von einer bestimmten I Iruppen- iße an seltener Bind, als theoretisch zu erwarten ist, und derUm- Btand, daß demnach die wirkliche Anzahl der reinen Gruppen bei ßeren Gruppen hinter der theoretischen Anzahl zurückbleibt. Bei der Grund für die Gültigkeil unseres Satzes. Man könnte viejj- leichi vermuten, daß infolge dieser Tatsachen die reinen Gruppen zu 1. 2, S durchschnittlich so häufig seien, und daß demnach die ihnen entsprechende wirkliche Abweichung so erheblich größer als Standard-Abweichung Bei, daß infolgedessen unser Satz gelten muß. Dieser Ansicht würde allerdings die im Kapitel 16 abgeleitete Tatsache, daß hei unseren Geburten die reinen Gruppen zu 1 durchschnittlich seltener sind als ihre wahrscheinlichsten An- zahlen, teilweise widersprechen. Daß diese Ansicht aber über- haupt unzulässig ist. ergibt sich aus der Tabelle auf S. 860. In dieser Tabelle bedeutet A die wirkliche Anzahl, B die wahr- ..... , , 1 Ar 1 -r, 1 Wirkliche Abweichung . ^ Bchemnchste Anzahl. \ den Bruch . ,., .— - iri r-:- ■ ; A — B Mittlere Abweichung ' ahnet also wie in früheren Tabellen die Differenz zwischen wirklicher und wahrscheinlichster Anzahl. Die Tabelle bezieht sich, man -ieht. aui das von Pearson mitgeteilte Material des Spielee „Wappen oder Zahl", auf die von Pearson und mir den Benrischen Publikationen entnommenen Mitteilungen, sowie auf vier Stielte. Man sieht, daß bei den lä Fällen, wo V größer als 1 ist, A — B im ganzen 7 mal positiv und 8mal uegativ ist. In den Fällen, bei den reinen Gruppen zu 1, 2, 3 die Größe V größer als 1 ist, ibl also die wirkliche Anzahl ungefähr ebenso oft hinter der wahr- scheinlichsten zurück ak umgekehrt. Somit kann unser Satz nicht 360 22. Ein neuer Widerspruch zwischen Theorie und Erfahrung. auf das Überwiegen der wirklichen Anzahlen über die wahrschein- lichsten bei den reinen Gruppen zu 1, 2, 3 zurückgeführt werden. 1 ' 1 Roulette Roulette Reine Wappen naoh nach \ V «, 7 . Anes- i Frei- Gruppen oder Henri Henri "™J Fürth **S* £™ zu Zahl und und burg: Durg Durg Pearson Marbe 1 ; 1 1 1 A-B ;+ 118,51+ 273,2 < + 90,0 +35,0 -240,4,-122,6-128,6 1 V 3,7 4,4 1,1 0,4 3,1 1,6 1,6 1 ! 1 2 A-B +33,7 -42,9 -98,0 +49,0 1-78,2-148,3-80,3 ! 1 V 1,2 0,8 1,4 0,7 1,2 2,2 1 1,2 3 A-B - 32,1 - 18,9 ' - 13,0 !+ 105,0 + 87,2 i + 15,9 + 65,9 : | 1 V 1,5 0,5 0,3 2,0 1,7 0,3 1,3 Bilden wir aus der vorigen Tabelle das arithmetische Mittel derjenigen positiven und das arithmetische Mittel derjenigen negativen (A — B) -Werte, denen V- Werte, die größer als 1 sind, entsprechen, so gelangen wir zu den Werten -f- 110,5 und — 116,1. Wir sehen demnach, daß bei unseren Gruppen zu 1, 2, 3 in den Fällen, wo V größer als 1 ist, die wirkliche Anzahl der reinen Gruppen durchschnittlich etwas hinter der wahrscheinlichsten zurückbleibt. Auch deshalb können die auffällig großen V- Werte keinenfalls auf das Überwiegen der wirklichen Anzahlen der reinen Gruppen zu 1, 2, 8 gegenüber den theoretischen Anzahlen zurückgeführt werden. Der in diesem Kapitel abgeleitete Satz kann also nicht aus den von uns nachgewiesenen Abweichungen zwischen Theorie und Erfahrung deduziert werden. Über seine Begründung lassen sich mancherlei Vermutungen lugen, auf die ich indessen nicht eingehen will, da ich r /u einem definitiven Urteil über diesen Punkt bisher nicht gelang! bin. Jedenfalls aber lehren die Ergebnisse dieses Kapitels, daß außer den von uns oben ausführlich behandelten Widersprüchen zwischen Theorie und Erfahrung auch noch andere bestehen. Dreiundzwanzigsl es K apitel. An <lie Systemspieler und Spielbanken. - Hegt nahe, in diesem Buche, wo die Glücksspiele in ver- schiedenen Richtungen ausführlich behandelt werden, auch die aufzuwerfen, ob die Ausnutzung der von uns statistisch geleiteten Tatsachen Gewinnchancen eröffnet, die demjenigen, welcher diese Tatsachen nicht berücksichtigt, verschlossen sind. Zunächst wird man durchaus erwarten dürfen, daß die von ans in verschiedenen Gebieten nachgewiesene Tatsache des sta- xhtii Ausgleichs sich bei allen in genügendem Umfang ge- D Glücksspielen geltend machen wird. Andererseits aber kann die allgemeine Einsicht, daß es einen statistischen Ausgleich in unserem Sinne des Wortes gibt, natürlich noch nicht irgend- welche Grundlage für eine vorteilhafte Beteiligung an einem Glüeks- >piel abgeben. Wir können die Tatsache des statistischen Aus- gleichs in der Form, wie sie für uns hier in Frage kommt, so formu- lieren: die reinen Gruppen von einer bestimmten Gruppengröße g kommen seltener vor, als dies nach der apriorischen Wahr- einlichkeitsrechnung zu erwarten wäre, während indessen kleinere ippen häufiger vorkommen, als theoretisch erwartet werden muß. Wiewohl wir nun (Kap. 15) die mögliche Gültigkeit dieses Satzes nicht nur füi sukzessive, sondern auch für gleichzeitige Fälle in Anspruch nahmen, BÖ konnten wir ihn doch nur für sukzessive Fälle be- Belbsl aber wenn er für gleichzeitige Fälle bewiesen wäre, ante der Spieler hieraus keinerlei Nutzen ziehen. Denn ich d natürlich auf ein bestimmtes mögliches Resultat setzen und data vorausgehenden Spielresultate berücksichtigen, ich kann mak auf ein bestimmtes mögliches Resultat setzen und •■: die mit diesem Resultat gleichzeitigen künftigen Spielergeb- : Rechnung ziehen. Die Tatsache des statistischen Aus- kaim also dem Spieler nur insofern dienlich sein, als er :W2 2:5. An die Systemspieler schon dagewesene Spielresultate verwerten kann. Aber auch wenn er die vorausgehenden Spielergebnisse könnt, kann ihm die Tat- sache des statistischen Ausgleichs nur unter ganz bestimmten Bedingungen zustatten kommen. Er muß nämlich außer jener allgemeinen Tatsache noch mindestens wissen, wie groß die Gruppen- größe g ist, und es wäre jedenfalls vorteilhaft, wenn er auch noch wüßte, welche kleineren reinen Gruppen seltener auftreten, als theoretisch erwartet werden muß. Kommen alle reinen Gruppen, die kleiner als g sind, seltener vor oder nur einzelne und welche? Kommen vielleicht nur die mit g — 1, g — 3, g — 5 Elementen seltener vor? Auch die Schwankungen der g- Werte und die Schwan- kungen der Differenzen der wirklichen und wahrscheinlichsten An- zahlen sollten dem Spieler bekannt sein, da diese Schwankungen möglicherweise selbst für verschiedene große Fraktionen so be- deutend sein können, daß sie zu seinem Schaden gereichen, indem sie es ihm unmöglich machen, etwaige Verluste wieder auszugleichen. Es ist klar, daß alle diese Probleme nur auf Grund umfang- reicher statistischer Untersuchungen behandelt werden können. Es ist aber auch klar, daß, wenn diese Probleme für ein bestimmtes Spiel gelöst sind, hieraus nicht im mindesten folgt, daß die Lösungen auch für ein anderes Spiel zuverlässig sind. Diese Auffassung der Dinge wird auch durch die beiden ersten Tabellen in unserem 20. Kapitel bestätigt, von denen sich die erste auf das Spiel ,, Wappen oder Zahl", die zweite auf das Roulettespiel bezieht 1 ). Selbst aber um die fraglichen Daten in einwandfreier Weise lediglich für das Spiel ,, Wappen oder Zahl" und lediglich für das Koulettespiel zu gewinnen, reichen unsere im Kapitel -20 mitgeteilten statistischen Untersuchungen nicht aus. Anders läge es, wenn sowohl die Unter- suchungen über das Spiel „Wappen oder Zahl* 4 als auch diejenigen über das Roulettespie] in einem noch weit größeren Umfang durch- geführt vviiien wie unsere Untersuchungen über das Geschlechts- rerhältnis. Hier hat sich gezeigt, daß für die Städte Würzburg, Fürth, Augsburg und Freiburg einzeln betrachtet der Satz gilt: ') Die dritte im Kapitel 20 mitgeteilte Tabelle ist wertlos, wie im Kapitel 1 1 i><-^ lesen vnirde. und Spielbanken. :;<;:; Ansah] der reinen Gruppen über 11. 1-2 . . . ist durchschnittlich seltener, ah theoretisch erwartet werden muß. Unter den Gruppen Aber n war dabei die Anzahl der Gruppen mit mehr als n Elementen verstanden. Hätte sieh in analoger Weise auf Grund eines noch »ßeren Materials gezeigt, daß heim Spiel „Wappen oder Zahl" Fraktionsweise die reinen Gruppen ober 1, k 2. 8 . . . und daß heim Roulettespiel fraktionsweise die reinen Gruppen über !>, 10, 11 durchschnittlich seltener sind als theoretisch zu erwarten ist, so konnte man allerdings zu Schlüssen fortschreiten, deren Benützung DQ Spich-r förderlich wäre. Diese Schlüsse wären besonders dann gesichert, wenn die Materialien unter sehr verschiedenen Bedin- gewonnen wären, wie z. B. aus Münzenwürfen, die fraktions- weise von verschiedenen Personen und mit verschiedenen Münzen -.■führt wären, oder aus Roulej tespielergebnissen, die fraktions- weise von verschiedenen Spielhanken oder doch wenigstens von verschiedenen Rouletteapparaten stammen. Unter diesen Voraus- zungen würden sich folgende Regeln ergeben: 1. Setze beim Spiel „Wappen oder Zahl" immer auf das ent- gegengesetzte Resultat, also auf w, wenn unmittelbar vorher z erschienen war, und auf z, wenn unmittelbar vorher w erschienen war. 2. Setze beim Roulettespiel, wenn eine Serie von 9 oder mehr gleichen Elementen erschienen war, immer auf das ent- gegengesetzte Resultat, (Diese Regel würde zunächst nur für diejenigen Spieler, die auf Rot und Schwarz setzen, gelten, nicht für diejenigen, die auf Gerade oder Ungerade oder sonstwie setzen. Bei ihrer Befolgung wären die Null- Fälle in jeder Beziehung völlig zu ignorieren.) Diese Regeln wären gültig, wenn unsere beiden ersten auf Spiel Wappen oder Zahl und auf das Roulettespiel bezüglichen «Den des 20; Kapitels typisch wären. 1 in zu zeigen, daß die Befolgung dieser Regeln, falls jene Tabellen typisch wären, dem Spieler wirklich nützen könnten, bringen wir mm zwei neue Tabellen. 364 23. An die Systemspieler Die erste bezieht sich auf das Spiel Wappen oder Zahl. In «ler zweiten Kolumne dieser Tabelle teilen wir aus der ersten Tabelle des 20. Kapitels die Anzahl der reinen Gruppen über 0, also die Anzahl der reinen Gruppen mit 1 und mehr Elementen usw. mit. In der dritten Kolumne sind die Anzahlen der reinen Gruppen zu 1, 2, 3 ... nach Pearson 1 ) aufgeführt. Die Zahlen der dritten Kolumne sind in der vierten Kolumne nochmals abgedruckt: die Anzahl der reinen Gruppen von n Elementen w r urde nämlich gleich der Anzahl der Fälle gesetzt, in denen nach n gleichen Elementen ein entgegengesetztes folgt. Die fünfte Kolumne ist durch Sub- traktion der dritten von der zweiten gewonnen. Die Werte hinter den Klammern geben jeweils die Summen der in der betreffenden Kolumne stehenden Zahlen an. Die zw T eite der folgenden Tabellen ist in analoger Weise unter Benützung der zweiten Tabelle des 20. Kapitels gebildet. Die für die zwei folgenden Tabellen benützte Regel (Die Anzahl der reinen Gruppen von n Elementen ist gleich der Anzahl der Fälle, in denen nach n gleichen Elementen ein entgegengesetztes folgt) ist insofern nicht ganz richtig, als in ihr fälschlich angenommen wird, daß auch auf die letzte reine Gruppe ein entgegengesetztes Element folgt, während auf diese natürlich gar kein Element mehr folgt: Die erste der beiden folgenden Tabellen enthält daher in der vierten Kolumne einen Fehler. Eine der zwölf untereinander stehenden Zahlen der vierten Kolumne ist zu groß. Da das Material, aus welchem diese Tabelle gebildet wurde, aus Spiel versuchen, die von Pearson 2 ) mitgeteilt wurden, entnommen ist, und da die Folge der Gruppen in diesen Mitteilungen nicht angegeben ist, so läßt sich nicht feststellen, wo der Fehler liegt. Jedenfalls aber ist (und das allein ist für uns wichtig) statt 4191 die Zahl 4190 einzusetzen. In der zweiten Tabelle kommt die eben vorgetragene I bei legung nicht in Frage. Denn die letzte reine Gruppe in unserem Roulette-Material war eine reine Gruppe zu 2, die zweite der beiden 1 ) EL Peareon, The Chancea of Deatb and other Stndies in Evolution. London and New Fori 1897. Bd. i. B. r>4. 2 ) K. Pearson, a. a. o. s. 54. und Spielbanken 365 folgenden Tabellen befiehl sich aber nur auf die Gruppen mit 10 und mehr Elementen, Wappen oder Zahl. Anzahl der reinen »'Truppen zu n und mehr Kiementen Anzahl der reinen Grup- pen zu n Elo monteu Anzuhl der Fälle, in denen auf n gloioho Elemente ein ent- gegengesetztes folgt Anzahl der Fälle, in donon auf n gleiche Elomento wiodoruni ein gleiches folgt n = Anzahl der reinen Gruppen zu n und mehr Elementen Anzahl der reineu Grup- pen zu n Ele- menten Anzahl der Fälle, in denen auf n gleiche Elemente ein ent- gegengesetztes folgt Anzahl der Fälle, in denen auf n gleiche Elemente wiederum ein gleiches folgt in 44 28 .1 16 II 16 8 8 8 ll> 8 3 3 5 13 5 3 3 44 2 36 M ■1 f 2 > lö ■2 2 in ■1 1 1 1 IT 1 J l I>; Tabelle zeigt, wenn wir die eben erwähnte Korrektur daß beim Spiel Wappen oder Zahl 41 90 mal das entgegen- cte und nur 3987 mal das gleiche Resultat folgte, daß also -•ieler, der im Sinne unserer ersten Kegel verfahren 366 23. An die Systemspieler wäre, 203 (= -4190 — 3987) Poims gewonnen hätte. Der Roulette- spieler zu Monte Carlo, der im Sinne unserer zweiten Regel ver- fahren wäre, und der nur eingegriffen hätte, wenn mindestens 9 mal nacheinander dieselbe Farbe erschienen wäre, hätte 8 Points gewonnen, wovon aber noch die Verluste in Abzug kämen, welche durch die Nullfälle entstanden wären. Unser Spieler mußte ein- greifen, wenn nacheinander 10 mal rot (schwarz) eingetreten war. Lao-en zwischen diesen 10 Fällen ein oder mehrere Nullfälle, so mußten diese als nicht vorhanden betrachtet werden. Nach 10, 11, 12 . . . gleichen Fällen mußte immer auf das entgegengesetzte Resultat gesetzt werden. Auch hierbei waren die etwa auftretenden Nullfälle einfach zu ignorieren. Diese letzteren Nullfälle bedeuteten aber Verluste. Jedenfalls zeigen unsere beiden Tabellen deutlich, daß Spieler, die im Sinne unserer Regeln verführen, unbedingt gewinnen müßten, falls jene Tabellen typisch wären. Denn beim Roulettespiel wäre das infolge der Nullfälle entsprechende Minus viel geringer, als der aus der Befolgung unserer zweiten Regel resultierende Gewinn. Dies wird sich sogleich zeigen. Wir wollen nämlich im folgenden berechnen, welches Minus dem Spieler, der im Sinne unserer zweiten Regel spielt, unter der Voraussetzung, daß unsere empirischen Resultate über das Roulettespiel typisch wären, erwachsen würde, und wir wollen zeigen, Avieviel der Spieler unter dieser Voraus- setzung wahrscheinlichsterweise gewinnen würde. Wenn das Resultat Null eintrifft, so werden die auf Rot und Schwarz gemachten Einsätze en prisou gesetzt, d. h. sie werden von der Bank weder eingezogen noch ausgezahlt. Der Einsatz i-i dann verloren, wenn nach der Null die Farbe herauskommt, welche derjenigen, aufweiche der Spieler gesetzt hat, entgegengesetzt ist. Erscheint dagegen die Farbe, auf welche der Spieler gesetzt hatte, so erhäli er seinen Einsalz zurück. Tritt Null zweimal nach- einander auf. 80 wird der Einsatz in ein zweites Frison gesetzt. Folgt, nun die Farbe, welche derjenigen, auf welche der Spieler gesetzt hatte, entgegengesetzl ist, .-<> Ls1 der Einsatz verloren. Folgt die Farbe, auf welche der Spieler gesetzl hatte, so erhält uiitl Spielbanken. ."W7 den halben ursprünglichen Einsatz zurück. Analog verhält sich die Bache, wenn dreimal und öfter Null folgt; folgl nach 8 maligem Null, also oach dem dritten Prison die Farbe, auf die der Spieler • • hatte, so erhall er . des ursprünglichen Einsatzes zurück. Wir können diesen Spielmodus auch so darstellen: Tritt das Resultat Null auf, bo verliert der Spieler <leu halben Einsatz, um dann mit der anderen Hälfte weiterzuspielen. Tritt Null unmittel- bar nachher nochmals auf, B0 verliert er auch noch die Hälfte des halben Einsatzes, um dann nur noch mit , des ursprünglichen Einsatzes weiterzuspielen. Tritt Null dreimal nacheinander auf, so verliert er zunächst %) . dann .. dann des ursprünglichen Ein- uni dann nur noch mit , desselben weiterzuspielen usw.; tritt nach einem oder mehreren Nullfällen eine Farbe auf, so erhält der Spieler, wenn die Farbe die ist. auf die er gesetzt hatte, das Doppelte des Wertes, den der Einsatz nach der letzten Null noch für ihn hatte. Tritt die entgegengesetzte Farbe auf, so verliert er auch noch den restlichen Einsatz bzw. dessen Wert. Hat also ein Spieler 6000 Fr. gesetzt, so spielt er Dach <l<-i ersten Null <lc facto mit = Fr. weiter zweiten dl itten D-ten 6000 4 6000 8 6000 K- soll nun berechnet werden, wie groß wahrscheinliehster- wei Verlust durch die Nullfälle ist, falls ein Spieler nach unserer Bretten Regel verfährt, jeweils das Maximum ((>()()() Fr.) setzt und dabei im Sinne unserer obigen Voraussetzungen und Ausführungen S Poii • rinnt. Wenn überhaupt keine Nullfälle auftreten, gewinnt unser • ler 8.6000 Fr. = 48000 Fr. Da er die 8 Points dadurch 368 23. An die SyBtemspieler gewinnt, daß er im ganzen 44 mal gewinnt und 36 mal verliert, so kommen die Nullfälle, die vor einem der 36 Verlustfälle eintreten, für ihn überhaupt nicht in Betracht. Es ist also nur zu prüfen, welcher Schaden dem Spieler durch diejenigen Nullfälle erwächst, die den 44 Gewinnfällen vorausgehen. Dieser Schaden, den wir als das Minus bezeichnen, besteht einerseits im Entgang von Ge- winnen, andererseits in direkten Verlusten. Tritt vor einem Gewinnfall die Null einmal auf, so entgeht dem Spieler der Gewinn von 6000 Fr. Tritt vor einem Gewinn- fall die Null zweimal auf, so entgehen dem Spieler zunächst 6000 Fr. Gewinn, außerdem hat er einen Verlust von ^ Fr. Tritt die Null dreimal auf, so hat er einen Entgang von 6000 Fr. und einen Verlust von Fr. + Fr. Tritt die Null nmal auf, so hat 2 4 der Spieler einen Entgang von 6000 Fr. und einen Verlust von 6000 6000 6000 6000 ~T" 4 + 8 " • • ■ + 2 n - J ' also ein Minus von e«™ 6000 6000 6000 , 6000 6000+ - + j~ + -g +••• + 2 n-l = 6000(1+ * +4 + ; +... + 9n 1 _ 1 x ) r 1 1 + 1 -F 1 2 ^ 4 ' 8 ' = 6000 1 2 -1.000-»«»». Dieses Minus infolge n aufeinanderfolgender Nullen tritt wahr- scheinlichsterweise einmal ein bei 37 n Spielen. (Die Wahrschein- lichkeit für einen Nullfall bei rägi .,_ . da sich unter den 37 möglichen o / 1 — x n 1 ) Hier kommt die Formel 1 s rx 2 + x : . . . | \" — 1 =* zur Anwendung:. und Spielbanken. 369 Resultaten des Etouletteepiela eis Nullfall befindet.) Unser Minus tritt also bei den M Gewinnfällen unseres Spielers wahrscheinliohster- u . ,_ mal ein. l'in nun tost zustellen, welches Minus wahrscheinlichsterweise dureh 1. 2, 8 ... aufeinanderfolgende Nulllalle ontstoht, müssen . i 4i /ionnn 12000 wir m die Formel ,_ ( 12 000 — :> < " \ 2" der Reihe nach für n die Werte 1. 2. 3 . . . einsetzen und die Summe der so gewonnenen -drücke bilden, wodurch sieh ergibt, welches Minus durch das A nitre teu der Nullen im ganzen wahrscheinlichsterweise entsteht. Ee folgl dann, daß im ganzen unserem Spieler 12000-^)+ £(12000. 2 37= ^) + -( 120M -« + ... -g.l«»(l-J) + ^.lM0o(l-J) + ^.MO0o(l-J)+... 1 1 = 44 12000 ^ 87 -r 37 ,-r 37 s -r " 1 1 — 44 12000 87 36 2-37 1 37 "74 = 44 12000 1 1 .36 "73 ■ H 1-2 000 37 1 2-37 ^4.37 JJ+ 8.37" 3+ '" 36- 7 = circa 7434 I r. dureh die Null lalle entgehen bzw. verloren gehen. Das wahr- ste Minus infolge der Nullfälle beträgt also ca. 7434 Fr. für einen Spieler, der nach unserer Regel 2 spielt und der jeweils 6000 i tat und dabei 8 Points (also ohne Berücksichtigung 1 ) Ein müde ( ii<- Formel x -f x 2 -h x 3 + . . . = ."Zt. Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt. 1 — x 24 1 — x 370 -'}- An die Systemspieler der Nullfälle 8 . 6000 = 4S 000 Fr.) gewinnt. Unser Spieler würde also tatsächlich ca. 4* 000 — 7484 Fr. = 40 500 Fr. gewinnen. Bei der Würdigung dieses Ergebnisses ist indessen noch zu bedenken, daß sich unser Material von 49 152 Spielresultaten auf 79 Spieltage verteilt, daß also unser Spieler, um seinen Gewinn zu erzielen, sich 79 Tage in Monte Carlo hätte aufhalten und spielen müssen. Die bisherigen Ausführungen dieses Kapitels führen zu folgen- den Resultaten: 1. Es ist anzunehmen, daß sich die Tatsache des statistischen Ausgleichs bei allen in genügendem Umfang gespielten Glücksspielen geltend macht. 2. Nur unter bestimmten Voraussetzungen kann jedoch der einzelne Spieler diese Tatsache vorteilhaft verwenden. Ein sicherer Gewinn kann in jedem Fall nur bei einer sehr großen Anzahl von Einsätzen resultieren. Daß eine so lange Be- teiligung am Spiel bei jeder oder auch nur bei einer Spiel- gattung für den Einzelnen überhaupt möglich sei, kann nicht ohne weiteres bejaht werden. Um hierüber ein Urteil zu gewinnen, müßte man auf Grund vieler großer Fraktionen die Schwankungen der g-Werte und der Differenzen zwischen den wirklichen und wahrscheinlichsten Anzahlen der reinen Gruppen innerhalb diesen- Fraktionen kennen. 3. Ein solches Material liegl bisher für kein einziges Glücks- spiel vor. 4. Hiernach ist es zurzeit nicht möglich, dem ein/einen Spieler konkrete Regeln, deren Befolgung ihm sichere Gewinne in Aussicht stellen, an die Hand zu geben. 5. Nach den bisherigen, jedoch in mehrfacher Hinsieht, nicht abgeschlossenes und daher nicht anbedingl zuverlässigen Untersuchungen erscheinl Eür das Spiel „Wappen oder Zahl" und für das Roulettespiel die Befolgung unserer beiden oben mitgeteilter Regem am aussichtsreichsten. un«i Spielbanken. 37 i Unter einem „System" verstehen die Glücksspielereine Spiel- methode, die bu Gewinnen führt. Unsere Ergebnisse zeigen, daß die unter Gebildeten vielfach geläufige Ansicht, daß jedes „System- spielen' 1 an rieh deshalb inisinnig sei, weil es sich mit der Wa.hr- scheinliehkeit8rechnung in Widerspruch setzt, nicht zutreffend ist. Wie ich, am zu gewinnen, setzen soll, hängt nicht von apriorischen Wahrscheinlichkeitsbrüchen ah (und um solche handelt es sich bei jener Ansicht), sondern von dem. was im Gebiet der Spielresultate sächlich geschieht. Dies aber kann mit Hilfe genügend umfang- reicher statistischer Untersuchungen festgestellt werden. Liegen solche auch heute in genügendem Umfang nicht vor, so ließen sie sich doch an sich sein- wohl anstellen. Daß freilich eine Spielhank die erfolgreiche systematische 1 ) Anstellung solcher Untersuchungen. falls sie dieselben bemerken winde, gestattete, erscheint mir sehr iweifelhaft. Wie ich hörte, wurde die Fortsetzung der allein soliden Ben rischen Publikationen durch ein Veto der Spielbank zu Monte Carlo, die Bich das Recht vorbehält, jedermann ohne Angabe von Gründen aus dem Spielsaal hinauszukomplimentieren, verboten. Daß vieles, was Bich als authentische Spielresultate ausgibt, auf purem Schwindel beruht, kann nach den Ausführungen unseres 21. Kapitels nicht mehr zweifelhaft erscheinen. Auch sind nach meinen Kriahrungeii jene Damen und Herren, die regelmäßige Gäste der Spielsäle sind, nicht geeignet, sorgfältige statistische Aufnahmen zu machen und sie nach wissenschaftlichen Prinzipien zu verarbeiten. Die gewinnbringenden ,, Systeme", von denen man an Spielorten hört, und die zum Teil in kleinen Büchlein zu teurem Geld angeboten werden, sind übrigens, soweit sie mir bekannt sind, völlig unsinniger Natur. Betont sei nochmals, daß derjenige, welcher sich beim Roulette - spiel genau an das von uns vorgetragene System hält, wenn das ( ogltick es will, an einem Tage so große Verluste haben kann, daß • i sie «regen Mangel an Zeit oder Kapital oder beidem niemals mehr einbringeu kann. Diese Tatsache wäre selbst unter der Vor- ') J>]<- Anfwifohnnng der Spielreenltate an sich ist, soviel mir bekannt ist, nirgends verboten. 24* 372 23. An die Systemspieler aussetzung zu beachten, daß die Ergebnisse unserer Untersuchungen des Roulettespiels für fast alle großen Fraktionen wirklich typisch wären. Multatuli, der anfangs der siebziger Jahre des 19. Jahr- hunderts in seinem Buch „Millionenstudien" 1 ) auch über die Spiel- bank in Wiesbaden und Homburg schrieb, will beim Roulette eine Serie von mindestens 22 beobachtet haben. Er sagt, alte Habitues erzählten von noch höheren Serien, es sollte sogar eine von 34 aufgetreten sein. Ich selbst habe weder in Monte Carlo noch in Biarritz noch an anderen Spielorten Frankreichs jemals Serien von mehr als 10 gleichen Elementen bemerkt. Daß sie aber vorkommen können, kann man natürlich nicht bestreiten. Um dem Schaden durch allzu große Sequenzen zu entgehen, müßte man dann nach einer bestimmten Zahl gleicher Resultate das Spiel jeweils abbrechen. Bisher hatten wir immer den einzelnen Spieler im Auge. Es erhebt sich nun die zunächst rein theoretische Frage, ob es nicht für ein wohl organisiertes, unbeschränkte Zeit bestehendes Kon- sortium, das ein ungeheures disponibles Vermögen besitzt, möglich wäre, eine Roulette-Bank lahm zu legen. Diese Frage ist zu be- jahen. Zunächst ist es an sich nicht unmöglich, ein statistisches Material, das etwa 100 mal so groß ist als das meinige, zu gewinnen. Dies wäre auch möglich, ohne daß die Spielbank darauf aufmerk- sam wird. Befinden sich z. B. in der Nähe einer jeden Roulette zu Monte Carlo und allen anderen Spielorten mehrere Personen, die etwa unvermerkt stündlich abgelöst werden, so könnte eine Person die Anzahl der Spiele an einem Tage festlegen. Die anderen aber könnten die Anzahl der reinen Gruppen zu 7, 8, 9, 10 . . . für Rouge-Noir, Pair-Impair, Manque-Passe notieren, wobei immer die Nullfälle zu ignorieren wären. (Das Resultat Pair (Impair) liegt vor, wenn eine gerade (ungerade) Zahl herauskommt, das Resultat Manque liegt vor, wenn eine der Zahlen 1 bis 18, das Resultat Passe, wenn eine der Zahlen 19 bis 86 herauskommt.) Schreiben und Aufzeichnen der Spielresultate ist im Spielsaal an l ) Multatuli (Pseudonym für E. D. Dekker), Millionen -Studien. Auf dem HollAndisohen übersetzt von W. Spohr. Minden i. Westf. 1900. 8. 234. und Spielbanken. :>7.*> und für sich nicht verboten. Aber unsere Personen könnten ja auch ihre FeetsteDnngeo rein gedächtnismäßig machen. Denn _en der Seltenheit der reinen Gruppen zu 7, s, 9, . . . ist os für «inen Menschen mit gutem Gedächtnis sehr leicht, eine Stunde lang festzustellen, wie viele reine Gruppen zu 7, 8, 9, . . . auf- treten, BUmal wenn Bich jeweils eine andere Person mit Rouge- Noir. eine andere mit Pair-Impair, eine andere mit Manque-Passe jehäftigt. hi manchen Stunden werden solehe Gruppen viel- leicht Qberhaupl nicht vorkommen. Auf Grund eines solchen Material- ließe sich der durchschnittliche Wert von g nicht nur für Rouge ei Nbir, sondern auch für Pair et Impair und für Passe et Manqueleichl festlegen 1 ). Wäre dies geschehen, so hätte die Aktion des Konsortiums etwa in Monte Carlo zu beginnen. An jedem 3 lettisch würde etwa eine größere Anzahl von Mitgliedern oder Angestellten des Konsortiums eintreffen. Sie würden sofort, wenn rreichl wäre, immer das Maximum (6000 Fr.) auf das entgegen- gesetzte Resultat setzen, und zwar jeweils so lange, bis dieses ent- gegen gesetzte Resultat eintrifft, wobei die Nullfälle immer zu ignorieren wären. Ich glaube, bei einem solchen Verfahren wäre es mit der Spielbank bald zu Ende. Sie könnte allerdings, wenn Sequenz die Größe von g überschritten hat, so lange ohne Einsätze spielen, bis die Sequenz abbricht, u. dgl. Solche Ver- haltungsweisen würden aber das Ansehen der Bank wesentlich hrden. Für den Fall, daß unsere Untersuchungen des Roulettespiels für die drei Spielmodi Rouge-Noir, Pair-Impair, Passe-Manque typisch wären, und für den Fall, daß die Zahl der im Spielsaal tätigen Mitglieder des Konsortiums 30 betragen würde, die leicht Tätigkeit an den verschiedenen Spieltischen zu Monte Carlo D konnten, sowie für den Fall, daß jede dieser 30 Personen l ) Wie man -i«-ht, wird hier vorausgesetzt, daß g für Rouge-Noir, -Impair, Manque-Passe ungefähr so groß ist wie bei unseren statisti- »chei ' ' • rsuchungeo dei 20. Kapitels für Rouge-Noir, nämlich ungefähr gleich 10. Win g dal kleiner, so wären auch kleinere Gruppen als solche . . zu notieren. :}74 2.S. An die Systemspieler und Spielbanken. sowohl bei Rouge-Noir, als bei Pair-Impair als bei Passe-Manque jeweils in der gekennzeichneten Weise setzen würde, wenn eine Serie von 9 oder mehr aufgetreten wäre . würde innerhalb je 79 Tagen , , , • vi /o ™ o *km 8 • 80- 44 • 12000- 87 \ „ durchschnittlich ( 8 . 80 . 8 . 6000 — 8ß ? o ) E r.. d. i. ca. 8 650 959 Fr. gewonnen werden können, also jährlich immerhin durchschnittlich mehr als 16 Millionen Fr. Trotz der glänzenden Einnahmen der Spielbank zu Monte Carlo 1 ) müßte sie dieser Verlust empfindlich treffen. Er könnte durch Vermehrung der im Spielsaal tätigen Mitglieder, falls genügend disponibles Kapital vorhanden wäre, beliebig erhöht werden und vielleicht gar das Ende der Spielbank in kurzer Zeit herbeiführen. x ) Vgl. V. Silberer, Vorn grünen Tisch in Monte Carlo. 3. Anfl. Wien 1909. S. 78 ff. Vier und zwanzigstes Kapitel. Die Wette auf das Geschlecht des Kindes. In deo Schriften zur Philosophie der Wahrscheinlichkeits- rechnung isl immer wieder von jenem Vater die Rede, der kurz vor drr Geburl eines Rindes auf das Standesamt lief, um nach- Eusehen, ob in der letzten Zeil mehr Mädchen als Knaben angemeldet wurden, und der glaubte, -eine Hoffnung, einen Sohn zu ho kommen, Bei begründeter, wenn in der letzten Zeit besonders viel Mädchen geboren worden seien. Man will durch diese Anekdote gewisse falsche Auffassungen der Wanrscheinlichkeitsrechnung und Sta- tistik geißeln, und man lnit hiermit in gewissem Grade recht. Eine • ädere Anekdote, die virileicht noch humorvoller ist, und die zu- gleich für manche nicht ganz seltenen Arten pseudowissenschaft- licher Statistik charakteristisch ist, ist die folgende: Ein Chirurg ;.• zu -einem Patienten, der vor einer sehr schweren und gefähr- lichen Operation stand: Sie werden die Operation ganz sieher über- stehen, denn es ist statistisch erwiesen. daß bei einem Prozent der Fälle die Operation einen glücklichen Ausgang nimmt. Ich habe aber die Operation gerade 99 mal ausgeführt, und alle Pa- tienten sind mir bisher gestorben. Unsere statistischen Untersuchungen zeigen, daß (was man bisher immer übersehen hat) ein ganz, ganz kleines Körnchen Wahrheit auch in den Ansichten wenigstens jenes Vaters steckt. Folgende Tabelle, die analog denen des vorigen Kapitels gebaut ist, lehrt, daß in unserem Gesamtmaterial der Geburten auf reine Gruppen von 9 und mehr Elementen das entgegengesetzte Element 876 868 Bmal öfter auftritt als <\-<\< gleiche. Bei den Städten Würzburg, Fürth, Augsburg, Freiburg i. Br. folgt, wie man aus zweiten 1 ) der beiden folgenden Tabellen sieht, auf die reinen Gruppen von 12 und mehr Elementen das entgegengesetzte Element 5- bzw. 2- bzw. 8- bzw. 8 mal öfter als das gleiche. Die im vorigen i) Diese Tabelle ist teils aus entsprechenden Tabellen des l<>. Kapitels, teile am meinem Qrmaterial abgeleitet. 376 24. Die Wette auf das Gesamtmateria J. n = Anzahl der reinen Gruppen zu n und mehr Elementen Anzahl der reinen Grup- pen zu n Ele- menten Anzahl der Fälle, in denen auf n gleiche Elemente ein ent- gegengesetztes folgt Anzahl der Fälle, in denen auf n gleiche Elemente wiederum ein gleiches folgt 9 376 183 183 193 10 193 97 97 96 11 96 50 50 46 12 . 46 26 26 20 13 20 14 14 376 6 368 14 6 1 1 5 15 5 4 4 1 16 1 1 17 1 1 1 Würzburg, Fürth, Augsburg, Freiburg. Anzahl der reinen n = ! Gruppen zu n und I mehr Elementen Würzburg 12 13 14 15 Fürth 12 13 14 15 Augsburg 12 13 14 15 16 17 Freiburi: 12 13 14 lö 11 4 1 1 11 5 2 2 13 5 2 1 1 1 I I 6 I I Anzahl der reinen Grup- pen zu n Ele- menten Anzahl der Fälle, (Anzahl der Fälle, in denen auf n gleiche Elemente ein entgegen- gesetztes folgt in denen auf n gleiche Elemente wiederum ein gleiches folgt 7 1 3 1 11 11 8 1 5 | 3 2 1 1 13 1 1 1 1 ) 10 5 6 | 5 11 1 1 I ) Geschlecht <1< s Kindes. 377 pitel erwähnte Korrektur kommt für die beiden Tabellen auf - 176 oichl in Betracht, da die letzte reine Gruppe bei keiner vier Städte mehr als 2 Elemente umlaßie. \..n Würsburg wurden <li»- Geburten aus <l»'u Jahren ls76 bis M»<>2 behandelt. .. Fürth 1876 „ L905 .. Augsburg 1876 .. 1896 .. Fniburg 1876 „ 1908 Ee wäre alßO derjenige Beamte des Standesamts, der in den rannten Zeitabschnitten in Würzburg, Fürth, Augsburg oder Freiburg jeweils nach Notierung von 12 oder mehr Geburten gleichen Geschlechts darauf gewettet hätte, daß die nächste zu notierende Geburl das andere Geschlecht aufweisen würde, ent- ieden im Vorteil uvwesen uvüenüber demjenigen, der jeweils im entgegengesetzten Sinne gewettet hätte. Hätten etwa Spieler so _ spielt, daß sie sich von den vier Standesämtern zu Würzburg, Fürth, Augsburg und Freiburg zusammen in den erwähnten Zeit- räumen jeweils hätten Mitteilungen machen lassen, wenn un- mittelbar nacheinander 9 und mehr Geburten gleichen Geschlechts notiert worden wären, und daß sie jeweils darauf gewettet hätten, ob dann eine männliche bzw. weibliche Geburt folgte, so wären wiederum diejenigen im Vorteil gewesen, die auf die Geburt ge- wettel hätten, deren Geschlecht dem der vorausgehenden Geburten entgegengesetzt war. Da der Umstand, daß 12 und mehr aufeinanderfolgende Ge- burten gleichen Geschlechts seltener sind, als theoretisch zu er- warten ist, sowohl für Würzburg, Fürth, Augsburg und Freiburg in gleicher Weise zutrifft, wird man auch annehmen dürfen, daß diese Tatsache in größerem Umfang gilt, und daß analoge Wetten :h in anderen Städten im allgemeinen einen analogen Erfolg hätten. Jede] [fall- gibt es eine Sequenz standesamtlich auf- einander folgender ( leburten, von der an die Anmeldung der Geburt - Bundes mit entgegengesetztem Geschlecht das wahrscheinlichere Jedenfalls gibl ee daher einen Wert g, von dem an die Wette auf ein Kind mit gleichem Geschlecht unvorteilhafter ist als die Wette auf ein Kind, das da- entgegengesetzte Geschlecht hat. F ü n tun d z w a n z igst e s K a p i t e 1 . Die Bedeutung des statistischen Ausgleichs für die angewandte Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik. Ideen zur Unfallstatistik und Unfallversicherung. Unsere durch die mitgeteilten Tabellen bewiesene Lehre vom statistischen Ausgleich zeigt zunächst, daß statistische Massen, auf die man die Wahrscheinlichkeitsrechnung anwendet, eine größere Gleichförmigkeit zeigen, als man auf Grund der Wahrscheinlich- keitsrechnung erwarten sollte. Sie steht ferner im Widerspruch mit der Anwendung einer der wichtigsten Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung, nämlich des sogenannten Multiplikationssatzes. Sie zeigt, daß die einzelnen Ereignisse, denen man gleiche Wahrscheinlichkeit zuschreibt, nicht gleiche relative Häufigkeit haben, und daß die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses durchaus von dem Auftreten anderer Ereignisse abhängig ist nach Maßgabe unserer Abhängigkeit im vierten Sinne des Wortes. Unsere Nachweise beziehen sich auf Tatsachen der Bevölkerungslehre und auf zwei Glücksspiele sehr verschiedener Art. Schon im Kapitel 11 haben wir den dürftigen praktischen Wert der Wahrscheinlichkeitsrechnung a priori dar- getan. Die Ausführungen, die diesem Kapitel folgten, sind ge- eignet, den praktischen Wert der Wahrscheinlichkeitsrechnung a priori noch illusorischer erscheinen zu lassen. Auch für das Petersburger Problem 1 ) ist die Lehre vom statistischen Ausgleich wichtig, da der Fall, daß heim Spie] „Wappen oder Zahl" dasselbe Resultat soofl eintritt, wie heim Petersburger Problem angenommen wird, nicht vorkommt 2 ;. 1 ) Vgl. E.Czuber, Wahrseheinliohkeitsreohnnng usw. Bd. 1. 3. Aufl. Leipzig and Berlin 101 L. 8. 269 IT. 2 ) Vgl. schon K. Marbe, Naturphilosophische Untersuchungen zur r.' deutung <1. >tai . Ausgleichs f. Wahrscheinlichkeitsrechnung u. Statistik. 'M^ Die Lehre vom statistischen Ausgleich, wie wir sie im 15. Kapitel muhert haben, beziehl Bich auf diejenigen statistischen Massen. in einielnen großen Fraktionen einen Ausgleich der variablen Bedingungen zeigen und sich wie Ergebnisse reiner Glücksspiele [halten. Unsere Lein-'' verlangt, daß diese Massen anter der Voraussetzung des Gleichbleibens der konstanten Bedingungen auch in den anderen großen Fraktionen einen Ausgleich der variablen Bedingungen aufweisen. Sinngemäß beziehl sich daher die Lehre vmn statistischen Ausgleich natürlich zunächst nur auf solche statistische Massen, auf welche die Anwendung Her Wahrschein- lichkeitsrechnung bisher zulässig schien, nicht aber auf alle be- liebigen statistischen Massen, vor allem also nicht auf jene, welche bekanntermaßen übernormale Dispersion aufweisen; sie beziehl sich (so können wir auch sagen) zunächst nur auf diejenigen sta- tistischen Kr iah mngen. die sich wie die Erfahrungen bei wirklichen Glücksspielen verhalten. Freilich wird man den naturphilosophi- schen Standpunkt auch weiter ausdehnen dürfen und eben dadurch der zu Ansichten fortschreiten können, welche auch auf die statistischen Reihen, die sich wie die Ergebnisse reiner Glücks- ie verhalten, klärend wirken. Übrigens ist die naturphilo- sophische Betrachtung schon heute in vielen Gebieten geläufig. Es ist z. B. bekannt, daß sich in jeder größeren deutschen 1t unter den Geburten jährlich ein gewisser, übrigens aus ver- dienen Gründen schwankender Prozentsatz unehelicher Ge- » ten vorfindet. Wenn man nun z. B. für Würzhuru die Geburten, wie sie auf 'lem Standesami innerhalb eines bestimmten Jahres meldet wurden, anschreibt und dabei die ehelichen Geburten mit e. die unehelichen mit u bezeichnel und etwa zu folgender Reihe gelangt <• c 6 M c 11 c e e e 6 6 U ll 6 <' usf. . so kann man für das oächste Jahr folgende Betrachtung anstellen: Wahrschemhchkeitolehre. Leipzig 1899. s. 43 ff. Ähnlich schon d'Alem- bert, Melanget de litterature, d'histoire ei de philosophie. Tome V. Amster- d m i:>;7. B. 27H tt. 380 -5. Die Bedeutung des statistischen Ausgleichs An und für sich kann man nicht wissen, ob die erste Geburt des nächsten Jahres eine eheliche oder eine uneheliche ist. Jeden- falls ist der Fall, daß die erste Geburt des Jahres eine eheliche ist, sehr wohl möglich. In derselben Unwissenheit befinden wir uns auch bei der zweiten, dritten und vierten Geburt. Da wir also niemals wissen können, ob die folgende Geburt u oder e ist, so erscheint die Möglichkeit, daß im nächsten Jahre nur eheliche Geburten stattfinden, keineswegs ausgeschlossen, wie eminent un- wahrscheinlich dieser Fall auch sein mag. Aus analogen Gründen könnte man die Erwartung, daß im nächsten Jahre nur uneheliche Geburten stattfinden, ableiten. Diese Ableitungen sind durchaus berechtigt, wenn man es prinzipiell ablehnt, auf die Bedingungen der Geburten einzugehen. Sie entsprechen durchaus demjenigen Standpunkt, den man üblicher- weise bei den statistischen Reihen, auf welche man die Wahrschein- lichkeitsrechnung anwendet, einnimmt. Nur die naturphilosophische Betrachtung, welche lehrt, daß die einzelnen Geburten im vierten Sinne nicht unabhängig sind, belehrt uns eines Besseren. Sie weist uns darauf hin, daß eben in Würzburg Bedingungen vorliegen, die ein Ausbleiben der unehelichen Geburten ausschließen. Die sozialen Verhältnisse, die psychologische Natur der Menschen, die Soldaten und Studenten, der Würzburger Karneval und vieles andere machen das Ausbleiben unehelicher Geburten einfach un- möglich. Andererseits sind auch hier die Leute großenteils ver- heiratet, und auch hier bekommen die Verheirateten meistens Kinder, weshalb auch der Fall, daß nur uneheliche Geburten statt- finden, nicht möglich ist. Der Blick auf die in den einzelnen Jahren wiederkehrenden Bedingungen, also eine wenn auch nur äußerst oberflächliche naturphilosophische Betrachtung, lehrt uns hier sofort, daß die rein mathematische Behandlung ungenügend ist. Derselbe Fall liegl nun über doch auch beim Geschlechtsverhältnis der Geborenen, beim Spiel ,, Wappen oder Zahl" und in allen {inalogen Gebieten vor, wo man heute die naturphilosophische Betrachtung weit von sich weist. Gewiß erscheint es für den- jenigen, <\<>v die Bedingungen der Geburten überhaupt nicht in für tli< angewandte WahiBcheinHoukeitsreohnung und Statistik. 381 Röcksichl riehen will, möglich, daß im nächsten Ja.hr in Deutsch- land nur weibliche Geburten anluvten. ( Jrwil.s erscheint ('s vom odpunkt der Wahrscheinlichkeitsrechnung ans noch wahr- einKcher, daß im nächsten Jahr nur männliche Geburten statt»- finden. Alna- unsere Überlegungen, die durch unsere empirischen Untersuchungen bestätig! wurden, Beigen eben, daß Bedingungen vorliegen, die eine wesentliche Verschiebung des Zahlenverhält - 1118806 zwischen männlichen und weiblichen Geburten ausschließen. Freilich sind wir über die Natur dieser Bedingungen noch viel weniger orientiert als über diejenigen Bedingungen, die in einer - dl das Ausbleiben der ehelichen oder unehelichen Geburten unmöglich machen. Hieraus aber können wir nicht im mindesten ableiten, daß es solche Bedingungen nicht gibt. Ebenso steht es bei den Glücksspielen. Auch beim Spiel ,, Wappen oder Zahl" gibt es ebenso wie bei den ehelichen and unehelichen Geburten offenbar ganz bestimmte Bedingungen, welche das Ausbleiben des ii der beiden Resultate w, z verhindern. Auch bei den Glücks- spielen gibt es, ebenso wie beim Geschlechtsverhältnis der Ge- borenen, Bedingungen, die den statistischen Ausgleich herbei- führen. Man ist in der modernen Statistik gewohnt 1 ), die Aufmerk- samkeit insbesondere auf diejenigen statistischen Zahlenreihen zu Luken, die eine übernormale Dispersion oder eine unternormale Stabilität 2 ) aufweisen, nicht aber auf diejenigen Reihen, denen man normale Dispersion oder Stabilität zuschreibt, und von denen wir im Sinne unserer empirischen Untersuchungen sagen dürfen, sie (im Gegensatz zu der allgemein vertretenen Ansicht) sogar uiiit-rnormale Dispersion zeigen. Man findet es auch rein wissen- Bchaftlich -ehr wichtig, wenn die Lebensmittelpreise plötzlich . wenn die Anzahl der Geburten abnimmt usw., während l ) \ VI A. Kaufmann, Theorie und Methoden der Statistik. Tübingen 1013 ), ll.-,j. V-l. A. Kaufmann, a.a.O. S. 08 ff. und die Werke von W. Lexis, Zur Theorie der M'aageneiBeheinnngen der menschlichen Gesellschaft. Frei- burg i. Br. 1^77 und Abhandlungen zur Theorie der Bevölkerungs- and M-uk. Jcni 1003. S. 84 ff., besonders S. 170 11'. 382 26. Dk Bedeutung des statistischen Ausgleichs man z. B. die Konstanz dos Geschlechtsverhältnisses der Geborenen lediglich als sehr wahrscheinliches Zufallsergebnis betrachtet. Die Ursachenforschung in der Statistik knüpft somit meist nur an die Schwankungen, nicht aber an die Konstanz der Zahlenverhältnisse an. Und doch müssen alle statistischen Zahlenreihen infolge ganz bestimmter (in wissenschaftlicher Hinsicht in allen Gebieten gleich wichtiger) Bedingungen entstanden sein und fortwährend ent- stellen. Schon d'Alembert 1 ) hat hier das Richtige getroffen. Er verlangt, daß man für alle wirklichen im Sinne der Wahrschein- lichkeitslehre möglichen Verhältnisse nach der Ursache fragen muß. Können wir heute diese Ursachen in keinem Gebiete restlos erforschen, so steht es doch außer Frage, daß es in allen Gebieten, wo es statistische Zahlenreihen gibt, deren Konstanz man bisher als bloßes Zufallsprodukt betrachtete, Bedingungen geben muß, welche diese Konstanz herbeiführen, und deren erfolgreiche Er- forschung die Zufallsbetrachtung allmählich eliminieren würde. Trotz des Widerspruchs unserer Ergebnisse mit den geläufigen Voraussetzungen der Wahrscheinlichkeitsrechnung wäre es übrigens im höchsten Grade verfehlt, wenn man dieselben gegen die rein mathematische Wahrscheinlichkeitsrechnung als solche ins Feld führen wollte. Diese ist eine rein mathematische Disziplin, und ihre Bedeutung als solche ist daher nach rein logischen Gesichtspunkten zu bemessen. Es wird also in der theoretischen Wahrscheinlich- keitsrechnung alles beim alten bleiben können. In der angewandten Wahrscheinlichkeitslehre wird man dagegen betonen müssen, daß wesentliche Voraussetzungen der theoretischen Wahrscheinlich- keitsrechnung in der Praxis kaum irgendwo (auch nicht bei den Glücksspielen) zutreffen 2 ), und daß speziell der Multiplikationssalz in Wirklichkeil oichl unbedingt anwendbar ist. Insbesondere in der Theorie der Statistik, die ja auch dem Gebiet der angewandten Wahrscheinlichkeitsrechnung angehört, werden diese Bemerkungen ') D'Alembert, Melange« <1<- litterature, d'histoire et de philosophie. oiim- v. Amsterdam 1767. s. 298. 2 ) Müh muß sich hier auch unseres elften Kapitels erinnern, t"\u dir angewandte Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik. 383 nicht ausbleiben dürfen. Ob man freilich überhaupt Beispiele finden wird, in denen die üblichen Voraussetzungen der Wahr- scheinuchkeitsrechnung wirklich zutreffen, erscheint mir zweifel- haft. Die Beispiele für die Anwendung der mathematischen Wahr- MhcinlichkeitsrechnunL' werden sich daher künftig entweder mir in Gebieten bewegen können, wo man überhaupt nichts Tatsäch- liches weiß, wie dies bei den erörterten Überlegungen zum Satz von Poincare der Fall ist: oder aber sie werden anter der Be- dingung die alten bleiben können, daß man hinzufügt, die in ihnen vorauszusetzende Unabhängigkeit der Fälle bestehe Btreng ge- nommen in Wirklichkeit nicht. Nicht ausgeschlossen erscheint es, daß weitere umfängliche Untersuchungen im Sinne der von mir inaugurierten Detailbetrachtungen, <lie unter den verschiedensten Gesichtspunkten stattfinden könnten, das große außermathe- matische Interesse, das die heutige theoretische Wahrscheinlich- keitsrechnung zurzeit besitzt, zugunsten naturphilosophisch-sta- tistischer Untersuchungen zurückdrängen. Solche Untersuchungen könnten sich auch auf das ziemlich regelmäßige Auf- und Ab- Bchwanken der Warenpreise, Arbeitslöhne, Uiiternehmergewinne, der Kurse der Effektenbörsen und vieler anderer statistischer Zahlen wiederum ganz heterogener Herkunft beziehen. Bei allem Wandel der Zahlen hinsichtlich ihrer Größe zeigen diese Schwan- kungen doch eine eigentümliche, dem Statistiker wohl bekannte Gleichförmigkeit, die in den verschiedenen Gebieten gewiß aus verschiedenen Bedingungen resultiert, deren Bedingungen aber doch wieder ebensogut einen gemeinsamen naturphilosophischen Charakter aufweisen konnten, wie z. B. die Bedingungen des sta- tistischen Ausgleichs bei den Glücksspielen und beim Geschlechts- verhältnis der Geborenen. Wie es offenbar wirkliche Bedingungen statistischen Ausgleich- gibt, so gibt es auch reale Bedingungen jener Schwankungen, l'nd wie die ( deiohförmigkeit <\v^ ({eschehens die ganze Welt beherrscht, so gibt es offenbar auch eine universelle Gleichförmigkeit der Schwankungen (\('> Geschehens. Doch er- net rieh ans hier ein neue- Problem, dessen Behandlung selbst eine schwere Arbeit und ein neue- Buch erforderte. 384 Ideen zur Unfallstatistik Es sei hier nur noch betont, daß die Betrachtung statistischer Daten im Hinblick auf ihre Abhängigkeit im vierten Sinn, die unserer Lehre vom statistischen Ausgleich zugrunde liegt, vielleicht auch im Gebiet anderer als der von uns bisher behandelten Probleme der Statistik nützlich sein kann. Ich denke hier an die Unfall- statistik und an die Unfallversicherung. Meine Bemühungen, meine Ideen in diesem Gebiet statistisch zu prüfen, sind bisher an der Beschaffung eines geeigneten, genügend großen Materials gescheitert. Diese Ideen mögen trotzdem in Kürze mitgeteilt werden. Ich bin der Meinung, daß in allen Gebieten der Unfallstatistik die Wahrscheinlichkeit, daß jemand, der n Unfälle erlitten hat, einen weiteren Unfall erleidet, eine größere ist, als man im Sinne des Multiplikationssatzes erwarten müßte. Schon in den untersten Klassen der Volksschule fiel es mir auf, daß einzelne meiner Mitschüler immer wieder kleine Unfälle erlitten, während andere von solchen gänzlich verschont blieben. Daß einzelne Schüler immer wieder wenn auch jeweils an ganz verschiedenen Krankheiten leiden, während andere durchweg gesund sind, dürfte auch schon vielen Lehrern aufgefallen sein. Auch im Leben begegnet man Leuten genug, die schon alle mög- lichen Glieder gebrochen haben, während wieder andere niemals einen solchen Schaden nahmen. Es gibt Kapitalisten und Banken, die gewissermaßen überall dabei sind, wo es etwas zu verlieren, gibt, während andere immer glückliche Griffe machen und nie oder selten Verlust haben. Viele Menschen stoßen überall an und werden überall zurückgesetzt, während wieder andere den Weg durchs Leben ohne Schwierigkeiten zurücklegen. Dementsprechend geht denn auch die volkstümliche Meinung dahin, daß es aus- gesprochene „Pechvögel" gibt, die in allem möglichen Unglück haben, während wieder andere als ,, Glückskinder" durchs Leben schreiten. Offenbar hängt die Disposition zu Unglücksfällen, Krank- heiten, geschäftlichen Verlusten und Mißlichkeiten aller Art wesent- lich von der körperlichen und geistigen Veranlagung des Menschen ab, sie wird aber auch wesentlich durch seine Beschäftigung be- dingt. So hat z. B. der Handelsmann viel mehr Gelegenheit mit und Unfallversicherung. 385 in Konflikt zu kommen als der wohlhabende Privatier oder gar etwa der Kapuziner, der abgeschieden von der Well Km Kloster lebt. Wenn nun die Disposition au Unfällen bei den einzelnen Menschen verschieden groß ist, so ist demnach auch die Wahr- einlichkeit, einen Unfall zu erleiden, für die verschiedenen Menschen verschieden. Wenn also z.B. ein Mensch A infolge seiner Veranlagung in den Letzten zehn Jahren eine Reihe von Unfällen erlitten hat. ein anderer Mensch B in den letzten zehn Jahren aber infolge seiner Vera.nla.gnng keine Unfälle erlitten hat, so wird man auch für die Zukunft sagen dürfen: Die Wahrscheinlichkeit, einen Unfall zu erleiden. is1 für A größer als für B. Man darf also die Wahrscheinlichkeit für irgend einen Menschen, einen Unfall zu erleiden, nach den Unfällen bemessen, die er früher erlebt hat. Dabei ist es keineswegs unbedingt notwendig, daß die fraglichen Unfälle lediglich infolge der Veranlagung erlebt wurden. Sie können vielmehr ebensogut aus der Beschäftigung oder aus anderen relativ konstanten Faktoren resultieren. Ein Seiltänzer, ein Akrobat, ein Krieger, ein Berufsjäger wird bei gleicher Veranlagung eher Unfälle erleiden als ein Stubengelehrter oder Verwaltungsbeamter. Aus der angedeuteten Tatsache, daß die Wahrscheinlichkeit künftiger Unglücksfälle nach früheren Unglücksfällen zu bemessen ist, ergeben sich ohne weiteres gewisse Folgerungen für die Unfall- tistik und Unfallversicherung, die nun mitgeteilt werden sollen. Wir bedienen uns zunächst eines exemplum fictum, das in der hilderten Weise allerdings nirgends genau realisiert ist. Eine Unfall Versicherungsgesellschaft umfasse N Personen, die bei ihr Jahre lang versichert sind. Keine dieser Personen stirbt inner- er 80 Jahre, und keine neue Person tritt innerhalb der in die Versicherung ein. Ein Teil dieser N, nämlich a Per- •i), erleiden im ersten Jahre einen Unfall. Die Wahrscheinlich- m zweiten Jahre einen Unfall zu erleiden, ist dann nach o Ausführungen für jede dieser a Personen größer als für die- jenigen N — a Personen, die im ersten Jahre keinen Unfall erlitten Baben in der Tat von den a Personen, die im ersten Jahre Marbe, I hforrni^koit in des Weit. 25 386 leiern zur Unfallstatistik einen Unfall erlitten haben. 1) auch im zweiten Jahre einen Unfall er- litten, bo ist für diese b Personen die Wahrscheinlichkeit, im dritten Jahre oder später einen Unfall zu erleiden, größer als für die a — b Personen, die im zweiten Jahre keinen Unfall erlitten, und noch größer als für die Personen, die weder im ersten noch im zweiten Jahre einen Unfall erlitten, usw. Diese Ausführungen werden implicite auch von vielen Ver- sichernngspraktikem geteilt. Viele Versicherungsagenten haben die Erfahrung gemacht, daß es immer und immer wieder fast dieselben Leute sind, die die Gesellschaften für Unfallentschädigungen in Anspruch nehmen. Mag hierbei auch Querulantentum und Schwindel eine Rolle spielen, so dürften doch auch die von uns hervorgehobenen Gesichtspunkte wesentlich in Frage kommen. Die Folgerungen, die sich für die Versicherungsgesellschaften aus diesen Tatsachen ergeben, sind naheliegend. Es muß bei den verschiedenen Unfallstatistiken großer Wert auf die Feststellung gelegt werden, wie oft jede Person die Gesellschaft in Anspruch nimmt, und es muß für die verschiedenen Zweige der Unfallversiche- rung festgelegl weiden, wie die Geldbeiträge zu erhöhen sind für die Personen, die einmal, zweimal . . . nmal die Gesellschaft in Anspruch nahmen, ein Verfahren, das freilich viel Arbeit und Über- legung erfordert. Radikaler, aber unbillig und sozial nicht zu recht- fertigen ist freilich das gelegentlich geübte Mittel, Personen, die sehr oft Anspruch an die Gesellschaft machen, einfach den Laufpaß zu geben. Unsere Lehre, daß die Wahrscheinlichkeit für eine Person, einen Unfall zu erleiden, nach den früheren Unfällen zu bemessen ist, kann auch so formuliert werden, daß die Günstigkeit der Be- dingungen für einen Unfall von der Zahl der früheren Unfälle abhängl . I üerbei bandelt es sich allerdings lediglich um eine logische, nicht um eine kausale Abhängigkeit. Wir behaupten nicht, daß A realiter Immer deshalb einen neuen Unfall erleidet, weil er früher Unfälle erlitt. Aber die Bedingungen früherer Unfälle sind eben zum guten Teil auch Bedingungen Bpäterer Unfälle. Die Abhängigkeit, uiul Unfallversicherung. :>s7 um die es sich hier bandelt, isl also eine A.bhängigkei1 in unserem \ Ierten Sinne des W ortes. Der Einwand, daß unsere Betrachtung deshalb illusorisch sei, weil die Anlagen und insbesondere die Beschäftigungen der Menschen sich ändern, und weil nur unter der Bedingung, daß das nicht dw Fall sei, Schlüsse aus früheren Unfällen auf spätere zulässig seien, isl leicht zu entkräften. Denn jedenfalls ändern sich die Disposi- tionen zu Unglücksfällen bei den Versicherten durchschnittlich nicht in dem Maße, daß unsere Betrachtung ganz hinfällig wäre, wie sehrauch Dispositionsänderungen im einzelnen vorkommen mögen. Es wän sogar nicht schwer, unsere Betrachtungen auch noch über den Kreis der Unfallversicherung hinaus auszudehnen und sie /.. B. auch auf die Brandversicherung zu beziehen. Als ich vor Jahren einem befreundeten Kollegen die hier mitgeteilten Ideen vortrug, meinte er in wohlwollendem Hohn, ob ich denn auch der Meinung sei, daß im allgemeinen jemand, • ■inen Eisenbahnunfal] gehabl habe, mich in Zukunft mit größerer Wahrscheinlichkeit Eisenbahnunfälle erleiden würde als ein solcher, noch keinen Eisenbahnunfal! erlitten habe. ..Ja," erwiderte ich. ..Denn die Wahrscheinlichkeit Eisenbahnunfälle zu erleiden isl um bo größer, je mehr man auf der Eisenbahn reist. Es weiden also diejenigen, die einmal einen Eisenbahnunfall erlitten haben, durchschnittlich solche Personen sein, die öfter reisen, und diese den auch später wieder mehr in die Lage kommen, Eisenbahn- illc zu erleiden als diejenigen, die selten oder gar nicht mit der Bahn fahren.*' Daß es sich bei all diesen Betrachtungen natürlich nicht um tödliche Unfälle handelt und nicht um solche, die den Menschen zlich unfähig machen, in der früheren Weise weiterzuleben, ' auf dej' Hand. 26* Sechsundzwanzigstes Kapitel. Die Bedeutung des statistischen Ausgleichs für die Physik und Biologie. Die von uns im dritten Kapitel mitgeteilten psychologischen Versuche haben schon untrüglich gezeigt, daß im Sinne der Theorie gleich wahrscheinliche Fehler keineswegs als gleich wahrscheinlich anzusehen sind. Auch hat schon G. F. Lipps darauf hingewiesen, daß das Gau ß sehe Fehlergesetz für das Gebiet der Psychophysik nicht als zureichendes Verteilungsgesetz der Fehler angesehen werden kann 1 ). Unsere Lehre vom statistischen Ausgleich zeigt, daß auch die Wiederholung ein und desselben Fehlers keineswegs so oft stattfinden kann, wie dies rein theoretisch betrachtet möglich wäre, und daß der Verteilungsmodus der Fehler für einzelne große Fraktionen fraktionsweise nicht in dem Maße variieren kann, wie man es nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung a priori für möglich halten sollte. So erweist sich unsere Lehre vom statistischen Ausgleich auch für die Theorie der Beobachtungsfehler und somit auch für die Experimentalphysik als bedeutsam. Unsere Lehre vom statistischen Ausgleich ist aber auch ge- eignet, auf die theoretische Physik einiges Licht zu werfen. Wenn wir ein Gas aus einem kleineren geschlossenen Ge- fäß (a) durch Entfernung einer Scheidewand in ein größeres ge- schlossenes Gefäß (a -{- b) bringen, so entsteht in dem Gefäß (a + b) alsbald an allen Stellen gleicher Druck und gleiche Temperatur. Dieser Satz der kinetischen Gastheorie ist ebenso sicher experi- mentell bewiesen wie viele andere Sätze der Physik und Chemie, deren Richtigkeit allgemein angenommen wird. In gleicher Weise teststehend ist der Satz, daß es unmöglich ist, einen Prozeß herbei- zuführen, dessen einziges Resultat die Verwandlung von Wärme x ) G. F. Lipps, Die psychischen Maßmethoden. (Die Wissenschaft, Heft 10.) Brannschweig 1006. 8. 89. deutung dti Btatfetkohei) Ausgleichs für die Physik und Biologie. 389 in mechanische Arbeit ißt, und daß vielmehr mit einem solchen lltat stet- der l' borgang von Wärme aus einem wärmeren in 'alteren Körper verbunden ist. (Zweiter Eauptsatz der mischen Wärmetheorie.) Beide Sätze können heute indessen nicht als notwendige, !i nur als wahrscheinlichste Tatsachen theoretisch deduziert den. Während man nun sonst in der Physik allgemein Tat- ais unbedingt zutreffend anerkennt, die experimentell lini bewiesen Bind, so betrachtet man bekanntlich vielfach die beiden erwähnten Sätze nicht als feststehend, weil sie nur afe wahrscheinlichste Sätze deduziert werden können 1 ). Diese Auffassung der Dinge scheint mir verfehlt. Zunächst ist es in allen Wissenschaften einschließlich der Physik üblich, die Sicherheit von experimentellen Ergebnissen nach den Methoden zu bemessen, mittels welcher diese Ergebnisse teM wurden, nicht aber nach den Theorien, die wir nach- _ lieh zur Erklärung dieser Ergebnisse ersinnen. Diese Behandlung der Dinge ist durchaus sachgemäß. Die experimentell bewiesenen Tatsachen haben Bestand: die Theorien aber wechseln vielfach im Laufe der Geschichte. Und Tatsachenfragen muß man nicht mit Fragen der Erklärung von Tatsachen konfundieren. Man muß daher auch nicht die erwähnten Tatsachen der kinetischen orie und der mechanischen Wärmetheorie lediglich deshalb geln, weil man sie nicht befriedigend erklären kann. Viel richtiger wird man vielmehr an jenen Tatsachen festhalten und re Erklärungen als die bisherigen bedacht sein. Denn Sachen, wohl aber die Theorien sind in der Tat wissen- iftlich anbefriedigend. Als unbefriedigend muß ich es be- i). wenn es theoretisch nur gelingt, eine experimentell er- tsache als höchst wahrscheinlich, nicht aber als not- zu deduzieren. führt die Wahrscheinlichkeitstheorie jener Sätze -'•ii and unbefriedigenden Konsequenzen, daß man l ) VgL hierzu oben Kapitel 8. Dort ist auch die] hierher gehörige 390 26. Die Bedeutung des statistischen Ausgleich auch deshalb die Sätze selbst nicht auf Grund ihrer Theorie zu nieder bewerten sollte. A. Fick 1 ) schreibt im Hinblick auf die kinetische Gastheorie in vollem Ernst folgendes: „Wir dürften uns gar nicht wundern, wem) wir in einer gleichmäßig warmen Stube plötzlich ein auf dem Tische liegendes Stück Papier in Flammen aufgehen sähen, denn der Kausalnexus könnte ganz wohl solche Bedingungen des Zusammenstoßes der Luftmoleküle verwirklichen, daß die an das Papier anprallenden zum großen Teil mit so großer Geschwindigkeit einträfen, daß sie es zur Ent- zündungstemperatur erhitzten. Die Möglichkeit dieses ganz besonderen Zusammentreffens von Bedingungen ist ganz ent- schieden in den Voraussetzungen enthalten, welche bei der De- duktion des Satzes aus den Prinzipien der Wahrscheinlichkeits- rechnung gemacht sind." Abgesehen davon, daß diese Worte die fehlerhafte Bewertung von Experimentaltatsachen nach den Maß- stäben unserer Theorien dieser Tatsachen aufs beste illustrieren, wird man doch sagen dürfen, daß eine Theorie, welche so aller Erfahrung und man möchte fast sagen auch dem gesunden Menschen- verstand ins Gesicht schlägt, nicht als befriedigend angesehen werden kann. Auch wenn, wie wir früher schon sahen 2 ), Boltz- mann bei seiner wahrscheinlichkeitstheoretischen Betrachtung des zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärnietheorie zu dem Ergebnis gelangt, daß die uns umgebenden Körper von unwahr- scheinlicheren zu wahrscheinlicheren Zuständen fortschreiten, so wird man, wenigstens bei näherer Betrachtung, dieses Ergebnis gewiß nicht als befriedigend ansehen können. Es gibt ja freilich Autoren, welche die fraglichen Ausführungen Boltzmanns im höchsten Maße bewundern 3 ). Dies mag auch durchaus gerecht- fertigt sein in Anbetracht des Scharfsinns der mathematischen x ) A. Fick, Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeiten. Wurzburg 1883. 8. 37. Abgedruckt in A. Ficks Gesammelten Schriften. Würzburg 1903. Bd. 1. S. 146 ff. (vgl. S. 178). 2 ) Vgl. Kapitel 8. ■) So Pfaundler und Klaus. Siehe Müller-Pouillets Lehrbuch der Physik und Meteorologie. Herausgegeben von L. Pfaundler. Bd. 3. id. Auf!. Bzaunschweig 1007. S. 763. tur «In- Physik und Biologie. r 5 * • i Betrachtungen. Aber die Lehre des Übergangs der Körper von heinlicheren Zustanden in wahrscheinlichere kann trotzdem ler physikalisch noch philosophisch genügen. Was is1 denn überhaupt ein wahrscheinlicher Zustand? Doch offenbar ein solcher Zustand, der ans bei unvollständiger Sachkenntnis wahrscheinlich •heim. In der Wirklichkeil gibl es keim 1 wahrscheinlichen und ine unwahrscheinlichen, Bondern nur notwendige Ereignisse und stände. BoH z ; manne Betrachtung des zweiten Hauptsatzes läuft daher auf die Behauptung hinaus, daß jeweils die künftigen Zustande uns bei unserer unvollständigeri Sachkenntnis, die doch nun einmal besteht, wahrscheinlicher erscheinen müssen als die früheren, Sie bezieht sich also auf unser subjektives Verhalten enüber Tatsachen der Natur, die doch Insgesamt den natur- wissenschaftlichen Punktionssätzen 1 ) unterworfen sind, und die daher notwendigerweise so stattfinden müssen wie sie eben stattfinden. Dasselbe was hier über Boltzmanns Behandlung des zweiten Hauptsatzes ausgeführt wurde, gilt mutatis mutandis auch über seine Theorie der Tatsachen der kinetischen Gastheorie. Bedenken wir nun weiterhin, daß die Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen im in der kinetischen Gastheorie und des zweiten Hauptsatzes durchaus -olehe a priori sind, und erinnern wir uns an unseren obigen Nachweis des dürftigen praktischen Wertes der Wahr- BcheinHchkeitsrechnung a priori, der durch unsere Lehre vom -Tjitistischen Ausgleich noch verstärkt wird, so wird die Position üblichen Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen in diesen Ge- • 11 und zumal die Position Boltzmanns gewiß nicht ver- Isi es daher, wie wir sahen, an sich schon bedenklich, Theorien gegen Tatsachen ins Feld zu führen, so erscheint es hier- nach gewiß nichl zweckmäßig, gerade die, wenn auch an sich noch rinnigen und bewunderungswürdigen Theorien der kine- Gastheorie und den /weiten Hauptsatzes höher zu bewerten empirisch wohlbegründete und vom Standpunkt der experi- mentellen Methodik aus unumstößliche Tatsachen. l ) V;.d. oben, I. KapiteL 392 26. Die Bedeutung des statistischen Ausgleichs Unsere Lehre vom statistischen Ausgleich ist übrigens auch geeignet, die üblichen Betrachtungen in den hier in Frage stehenden Gebieten der Physik selbst zu modifizieren. Nach dem Max well - sehen Gesetz der Geschwindigkeitsverteilung 1 ) verhält sich ein unter gleichem Druck und gleicher Temperatur stehendes Gas so, daß seine Moleküle sich in einem stationären Zustand befinden. Es wird dabei als unmöglich angenommen, daß andauernd jedes Molekül die gleiche Geschwindigkeit beibehält. Hätten alle Moleküle die gleichen Geschwindigkeiten, so würden diese durch die Stöße der Teile aufeinander abgeändert werden. Es wird demnach voraus- gesetzt, daß ein stationärer Zustand insofern besteht, als der Prozentsatz derjenigen Moleküle, welche eine gewisse Geschwindig- keit besitzen, dauernd derselbe bleibt. Von allen möglichen Ge- schwindigkeiten wird nun eine als die wahrscheinlichste betrachtet. Bezeichnen wir diese mit 1, so lassen sich die wahrscheinlichsten relativen Häufigkeiten für diese und die übrigen möglichen Ge- schwindigkeiten (z. B. 0,9; 1,1; 0,8; 1,2 usw.) nach einer von Maxwell angegebenen Formel berechnen. Bezeichnet man näm- lich mit x die Geschwindigkeit, deren wahrscheinlichste relative Häufigkeit gesucht wird, und mit y die gesuchte relative Wahr- scheinlichkeit, so ist y = x-e x , yn wobei 7i die Ludolphsche Zahl und e die Basis des natürlichen Logarithmensystems bezeichnet. Berechnet man mit Hilfe dieser Formel y für viele Werte, so gelangt man zu einer Kurve, aus welcher man verschiedene Schlüsse ziehen kann. Man sieht aus ihr, daß solche Geschwindigkeiten, die mit größerer Häufigkeit vorkommen, der wahrscheinlichsten Geschwindigkeit 1 naheliegen, während die größeren und kleineren Geschwindigkeiten nur geringe wahrscheinlichste Häufigkeiten haben, so daß man sich die Sache praktisch so vorstellen darf, als hätten alle Moleküle dieselbe Ge- schwindigkeit. Ferner ergibt sich, daß wahrscheinhehsterweise i) Vgl. hierzu Mfiller -Pouillet, a. a. 0. Bd. :;. 10. A.ufl. Braun* schwof 1907. S. 742 ff. für »lif Physik und Biologie^ 393 nah«.--. 16,1 Prozenl aller Moleküle eine zwischen 0,9 und 1,1 ■ 3chwindigkei1 haben müssen und daß die mittlere schwindigkeil der Moleküle größer als die wahrscheinlichste hwindigkeil ist. Wenn alle diese und einige andere Überlegungen, welche den Inhalt des Maxwellsehen Gesetzes der Geschwindigkeitsverteilung machen, nicht nur mathematisch, sondern physikalisch zu- Efend sind, d. h. wenn sie auf solche wahrscheinlichste Tat- .11 führen, die in der Regel wirklich stattfinden (was freilich h unseren Erfahrungen über die Bedeutung der Wahrschein- lichkeitsrechnung a priori zweifelhaft erscheint), so muß man im Sinne unserer Lehre vom statistischen Ausgleich annehmen, daß dich ausgeschlossen ist, daß, falls man den oben erwähnten b der kinetischen Gastheorie unter gleichen Bedingungen immer und immer wiederholt, die Gesclnvindigkeitsverteilung der Moleküle einmal wesentlich von der Max well sehen abweichen n. Sollte das Maxwellsche Gesetz der Geschwindigkeits- verteihmg überhaupt im erwähnten Sinne zutreffend sein, so kann man offenbar eine diesem Gesetz strikte widersprechende Ge- schwindigkeitsverteilung ebensowenig annehmen, als man nach der Mitteilung unserer empirischen Untersuchungen noch annehmen darf, daß z. B. bei einem den Spielbedingungen gemäß stattfinden- Roulettespiel ebensogut 1000 mal nacheinander das Resultat ■ suftreten kann als jede andere Komplexion zu 1000, die sich aus roten, schwarzen und Null-Resultaten zusammensetzt, den Tatsachen der kinetischen Gastheorie wird es eben Bedingungen geben, die im Sinne eines Ausgleichs der variablen lingungen wirken, und die (falls das Maxwellsche Gesetz über- haupt objektive Bedeutung haben sollte) es unmöglich machen, dal iiwindigkeitsvi Teilungen auftreten, die dem Maxwell - durchaus widersprechen. Diese Bedingungen würden len abenteuerlichen Fall, von dessen Möglichkeit A. Fick schließen, [m übrigen dürfte trotz des mathematischen Interesses der Überlegungen die Frage erlaubt sein, ob diese :',\n 26. Die Bedeutung des statistischen Ausgleichs Lehre physikalisch überhaupt nötig ist, und oh man nicht zunächst annehmen darf, daß infolge bestimmter unbekannter Bedingungen die Geschwindigkeitsverteilung so stattfinden muß, daß eine be- stimmte mittlere Geschwindigkeit der Moleküle notwendigerweise resultieren muß. Diese Bedingungen,, die diese bestimmte mittlere Geschwindigkeit herbeiführen, wären dann zu suchen. Trotz der vorhin mitgeteilten Bemerkungen über die scheinbare Unmöglich- keit, daß jedes Molekül andauernd dieselbe Geschwindigkeit bei- behält, könnte es (da man anerkanntermaßen sich die Sache prak- tisch ohne allzu großen Fehler auch so vorstellen darf, als hätten alle Moleküle dieselbe Geschwindigkeit) doch sehr wohl möglich sein, daß es Bedingungen gibt, die nahezu gleiche um eine mittlere Geschwindigkeit schwankende Geschwindigkeiten der Moleküle herbeiführen und erhalten. Diese Bedingungen würden dann im Sinne eines gleichförmigen 1 ) Verhaltens der Moleküle wirken. An die Stelle der Boltzma mischen Lehre von dem Übergang der unwahrscheinlicheren Zustände in wahrscheinlichere hätte dann im Sinne der Weiterführung unserer theoretischen Erwägungen die Lehre vom Übergang des ungleichförmigeren (d. h. schlechter übereinstimmenden) Verhaltens der Geschwindigkeiten in ein gleichförmigeres (d. h. besser übereinstimmenderes) Verhalten zu treten. Ich hoffe nicht, daß man diese letzten Bemerkungen so miß- verstehen wird, als wollten sie mit den bedeutenden und scharf- sinnigen Untersuchungen Maxwells und Boltzmanns kon- kurrieren. Aber in einem so wichtigen und doch so wenig geklärten Gebiet wie das der kinetischen Gastheorie und des zweiten Haupt- satzes darf man doch wohl Anregungen auch auf die Gefahr hin wagen, daß sie nicht beifällig aufgenommen werden. Auch für das Gebiel der Biologie ist die Lehre vom statistischen Ausgleich von Wichtigkeit. Kreuzt man z. B. ein rotblütiges l ) Der Begriff der Gleichförmigkeit wird hier lediglich im Sinne des vorliegend«'!) Buches eingeführt. Man darf daher hier nicht an den Begriff der Gleichförmigkeit der Bewegungen und Geschwindigkeiten im Sinne der IVfechanife denken. für die Physik und Biologie. 395 Löwenmaul (Antirrhinura majus) mit einem weißblütigen, so er- • man aus den Samen Bastarde, die äußerlich dem rotblütigen Elter völlig gleichen. Die Nachkommen eines solchen Bastards pn nun bestimmten Gesetzen, die aach ihrem Entdecker Mendel 1 die Nfendel sehen Vererbungsgesetze genannl werden. Der Bastard Bei Generation I. Die direkten Nachkommen d( j s stardfl (Generation EI) bestehen zu 75% aus rotblütigen, zu •j:»° , ans weißblütigen Ganzen. Ee tritt hier also wieder das Merkmal des anderen Eitere hervor, das in Generation 1 Bcheinbar »runden war. Sorgl mau dafür, daß diese weißblütigen Pflanien nur wieder mit ihresgleichen (nicht mit rotblütigen) i stäubt werden, ^<> bleiben sie in allen folgenden Generationen konstant, sie verhalten sich also genau wie die weißblütigen Mutter- pflanzen. Nichl so die rotblütigen Pflanzen der Generation IL Nur ein Drittel von ihnen ergibt immer rotblütige Nachkommen, die übrigen zwei Drittel spalten in Generation III wieder in 75°/ rotblütige und "iö , weißblütige auf, genau wie die Bastardpflanzen Generation I. Von diesen 75% rotblütigen bleibt wiederum ein Drittel in der Nachkommenschaft konstant, die übrigen zwei Drittel zeigen in Generation IV die gleiche Aufspaltung usw. An der Hand des folgenden Schemas dürften diese Tatsachen ohne dar werden. rot x weiß rot Generation I rot rot (Va) rot (Y 4 ) weiß Generation II -11" i) (%) (Va) Wa) (Va) (Va) (Va) rot rot rot weiß rot rot rot weiß alle weil.' Generation III 1 ) '. Hendel, Versuche aber Pflanzenhybriden (1866), herausgegeben E Tsehermak. (0§twald§ Klassiker Nr. 121.) 3. Aufl. Leipzig 1913. 306 26. Die Bedeutung des statistischen Ausgleichs Die theoretische Deutung, die Mendel diesen Versuchen ge- geben hat, und die sich in zahlreichen Untersuchungen späterer Forscher bewährt hat, ist nun folgende. Bei der Kreuzung ver- einigen sich zweierlei Befruchtungszellen, die der rot- und die der weißblütigen Rasse. Erstere enthalten in irgendwelcher Form die Anlage für Rotblütigkeit, letztere die für Weißblütigkeit. Der aus der Verbindung beider Befruchtungszellen hervorgegangene Bastard (I. Generation) muß also beiderlei Anlagen enthalten. Daß er trotzdem äußerlich völlig dem rotblütigen Elter gleicht, erklärt Mendel so, daß er sagt: Wenn in einem Individuum beide Anlagen vorhanden sind, dominiert die eine (rotblütige) über die andere (weißblütige), d. h. die letztere tritt äußerlich nicht in Erscheinung, sie ist nach Mendels Bezeichnungsweise rezessiv. Daß sie trotzdem vorhanden ist, beweist Generation II, wo ja von den Nachkommen der rotblütigen Exemplare ein bestimmter Prozentsatz weißblütig ist. Das Wesentliche der Mendel sehen Theorie ist die Erklärung der Spaltungserscheinungen durch die Annahme, daß alle Individuen, die die Anlage für rot- und für weißblütig enthalten, zweierlei Befruchtungszellen bilden, solche, die nur die Anlage für rotblütig und solche, die nur die Anlage für weißblütig haben. Beide Sorten werden von der Bastard - pflanze zu gleichen Teilen produziert, unabhängig vom Geschlecht. Es entstehen also 50% männliche Befruchtungszellen mit der Anlage rotblütig, 50% E&it der Anlage weißblütig, und ebenso ist es bei den weiblichen. Setzt man das voraus, so erklären sich die oben besprochenen Spaltungserscheinungen ganz ungezwungen mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wir betrachten daraufhin die Generation II, deren Eltern nach obiger Annahme 50% Ge- -'•lilechtszellen mit der Anlage rotblütig — wir wollen sie r nennen — , 50% mit der Anlage weißblütig — die w genannt werden soll — erzeugen. Bei der Vereinigung der Geschlechtszellen ist die Wahr- scheinlichkeit je 1 / 4 für die Fälle, daß entweder r und r, oder w und w, oder r und w, oder w und r zusammenkommen. Da r domi- niert. Bind also zu erwarten: 75% rotblütige Nachkommen [mit den Anlagen rr (25%), rw (25%) und wr (25%)] und 25% weiß- hu die Physik und Biologie, 397 blutige * w [ . Von -Itii ~~>° roihlütiixBD muß nach der Wahr- einlichkeitfflrechimng ein Dritte] (die mit r r) in der Nachkommen- :>tt konstant bleiben, Bwei Drittel (dir uns den Elementen r u\u\ w bestehenden) müssen nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung in 75°/o rotblütige und 25% heißblütige aufspalten usw. Verfolgung aller weiteren Generationen ergibt eine gute Überein- stimmung der wahrscheinlichsten Anzahlen mit den wirklichen Anzahlen 1 . Das Mengenverhältnis der drei verschiedenen Individuen, die mit r r. r w und w w. entsprechend den darin enthaltenen Anlagen symbolisch bezeichnet werden sollen, ergibt sich nun unter der Annahme, daß jede Pflanze in jeder Generation die gleiche Anzahl, lieh vier Samen erzeugt, folgendermaßen 3 ): < tadnungs- AI »sohlte Individuenzahl bei jeweil s Verhältn iis 1 M-hrr.itioil vierfacher Ernte r r r w W W r r r w w w I 1 2 1 1 : 2 1 II 6 4 6 3 : 2 3 III 28 8 28 7 : 2 7 IV 120 16 120 15 : 2 15 n 2 n- -l (2 n_ -1) 2 n 2 n ~ 1 (2 n - - 1 ) 1 ( 2 n - -1) : 2 (2 n -l) Das e rläuterte Beispiel 4 ) betrifft den ei nfachsten Fall, die l ) Die Individuen mit rw und w r sind völlig gleich; wir können ui<h sagen, die rotblütigen bestehen zu 25% aus Individuen mit r r, mit r w. f ) Mendel (a. a. 0.) arbeitete mit Erbsen, die sich im Prinzip ebenso tan wie Antinhinum. Das obige Beispiel wurde nur der leichten Verständlichkeit wegen gewählt. 3 ; V-l. &. Mendel, a. a. 0. 8. 17. 4 ) Die Ersohemung der Dominanz findet sich keineswegs bei allen . ■■»!. Oft urf der Bastard (Generation I) ein Mittelding zwischen n Et wir*- Wann in unserem Fall rosablütig. Solche rosablütige aSH man /.. B. bei Verbindung einer rot- und einer weißblütigen Wunderblume (Mrrabilu Jalapa), vgl. C. Correns, Die neuen Vererbungs- ■1 Aufl. Berlin 1012. B. 14. 398 -6. Die Bedeutung des statistische]] Ausgleichs Spaltung beim Vorhandensein eines einzigen Merkmalpaares. Spalten zwei oder mehr Merkmalpaare, so erhöhen sich die Kom- binationsmöglichkeiten naturgemäß entsprechend. Es hat sich dabei ergeben, daß die einzelnen Merkmale im allgemeinen an- scheinend völlig unabhängig voneinander aufspalten, da alle er- denklichen Kombinationen tatsächlich in der nach der Wahr- scheinlichkeitsrechnung zu erwartenden Anzahl vorkommen. Diese Tatsachen und Theorien sind von fundamentaler Be- deutung für die moderne Vererbungslehre im Gebiet der Botanik und Zoologie 1 ). Die geschilderten theoretischen Betrachtungen laufen, wie man sieht, auf die Annahme hinaus, daß unabhängige Merkmale von Pflanzen verschiedener Sippen im Laufe der Gene- rationen alle nach der Kombinatorik mögliehen Verbindungen ein- gehen können, und daß die Anzahlen der einzelnen Verbindungen den im Sinne der Wahrscheinlichkeitsrechnung wahrscheinlichsten Anzahlen entsprechen. Im Sinne dieser die ganze moderne Vererbungswissenschaft beherrschenden Lehre ist es nun aber keineswegs naturnotwendig, daß die Anzahlen der fraglichen Verbindungen den wahrschein- lichsten Anzahlen genau oder ungefähr entsprechen; es wird viel- mehr an sich als durchaus möglich betrachtet, daß z. B. gewisse Verbindungen immer, andere prinzipiell gleich mögliche niemals auftreten. Die herrschende Ansicht entspricht also hier durchaus der herrschenden Auffassung im Gebiet der Wahrscheinlichkeits- rechnung. Alles was indessen früher auf Grund unserer Lehre des statistischen Ausgleichs gegen die üblichen Ansichten in der Wahrscheinlichkeitslehre bemerkt wurde, gilt auch hier. Offenbar *) Vgl. B. Goldschmidt, Einführung in die Vererbungs Wissenschaft. 2. Aufl. Leipzig 1013. V. Haecker, Allgemeine Vererbungslehre. 2. Aufl. Braunschweig l!H2. C.Correns, Die neuen Vererbungsgesetze. Berlin 1912. W. Johanngen, Elemente der exakten Erblichkeitslehre. 2. deutsche Aufl. Jena. 1913. L. Plate, Vererbungslehre. Leipzig L913. E. Baur, Emführung in die Vererbungslehre. 2. Aufl. Berlin 1914. Das Studium der Vererbung geistiger Fähigkeiten ha1 neuerdings W. Peters, Fortsehnt!«' der Psycho- logie niid ihrer Anwendungen. Bd. :{. 1915. 8. I85ff. erfolgreich in Angriff genommen. t'i'u die PhyBÜ and Biologie. 399 muß es gewisse Bedingungen geben, dir »las gleich häufige Aut- .11 der verschiedenen gleichmöglichen Kombinationen herbei- führen, und dir. 30 <>t't die Versuche unter gleichen Bedingungen wiederholt werden, wiederum annähernd die gleiche Häufigkeit raglichen Kombinationen herbeiführen werden. Sollte diese iv Ansicht rieht ig >ein. so würde die Tatsache des statistischen Ausgleichs auch in der Biologie von grundlegender Bedeutung sein. Von größter Wichtigkeit wäre dann die experimentelle Erforschung der realen Bedingungen dieses statistischen Ausgleichs. Sie benun dz wanzigst es Kapitel. Das Gesetz der kleinen Zahlen und die Gleichförmigkeit. Wenn man die Selbstmorde von Kindern unter zehn Jahren, die in Preußen in den Jahren 1869 bis 1893 stattfanden, registriert und wenn man feststellt, wie viele Selbstmorde auf die einzelnen Anzahl der Selbstmorde Jahr der Kir ider unter 10 Jahren in Preußen 1869 3 1870 3 1871 2 1872 4 1873 2 1874 4 1875 2 1876 4 1877 1878 1 1879 2 1880 6 1881 3 1882 4 1883 1 1884 1885 2 1886 2 1887 1 1888 2 188!) 1890 3 L801 2 1892 2 1893 5 Im ganzen 60 •jt. Dm Gfoeeti der kleinen Zahlen and die Gleichförmigkeit. 401 Jahre fallen, bo finde! man, daß die Zahlen Eür die einzelnen Jahre :'allon<l große relative Schwankungen zeigen. Dies ergibt sich der Tabelle auf S. 400. Auch die Zahlen für die in den einzelnen Jahren stattfindenden ibliehen Selbstmorde in Schaumburg-Lippe, Waldeck, Lübeck, Eteuß ä. L., Lippe, Schwarzburg-Rudolstadt, Mecklenburg-Strelitz und Schwarzburg-Sondershausen zeigen auffallend große Schwan- kungen. Analoges ergibt sich, wenn man die jährlichen tödlichen Unfälle bei denjenigen Berufegenossenschaften untersucht, in welchen überhaupt äußerst wenig Unglücksfälle vorkommen, oder wenn man etwa die Anzahl der Personen feststellt, die jährlich im preußischen Heer durch Schlag eines Pferdes getötet werden. ude Tabelle gibt für unser letztes Beispiel einen Beleg. Anzahl der Personen des preußi- Jahi sehen Heeres, die dnreh den Schlag eines Pferdes getötet wurden. 1875 1876 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 L885 1886 1887 1888 L889 1890 L801 L893 L894 3 5 7 9 10 18 6 14 11 9 5 11 15 6 11 17 12 15 S 4 Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Wolt. 20 4n:2 27. Das Gesetz der kleinen Zahlen Alle erwähnten Beispiele beziehen sich auf sogenannte seltene Erscheinungen. Die Anzahl der kindlichen Selbstmorde in Preußen, die weiblichen Selbstmorde in Schaumburg-Lippe oder anderen kleinen Bundesstaaten, die Unfälle mit tödlichem Ausgang in den Berufsgenossenschaften, in denen überhaupt nur wenig Unfälle vorkommen, oder die Todesfälle infolge Pferdeschlags im preußischen Heer sind in der Tat höchst seltene Erscheinungen gegenüber jenen häufigen Erscheinungen, mit denen sich die Statistik in der Kegel beschäftigt. Diese relativ häufigen Erscheinungen, wie z. B. die Anzahl der Selbstmorde in Deutschland oder der Todesfälle im preußischen Heer oder gar aller Todesfälle in Deutschland, zeigen viel geringere jährliche relative Schwankungen als jene seltenen Ereignisse. Eine nähere Betrachtung dieses Tatbestandes lehrt indessen, daß die Schwankungen der Zahlen der häufigen Ereignisse nur in sehr geringem Umfang eine normale oder angenähert normale Dispersion zeigen, während hingegen seltene Ereignisse eine nahezu normale Dispersion aufweisen. Diese Tatsache steht mit der vor dem Auftreten von v. Bortke witsch allgemein verbreiteten An- sicht im Widerspruch, daß nur große Ereigniszahlen geeignet seien, im.- statistische Gesetzmäßigkeiten erkennen zu lassen. Sie lehrt zugleich, daß die wegen der großen relativen Schwankungen in der Simistik früher übliche Ignorierung kleiner Ereigniszahlen nich.1 mmebracht ist. Die Tatsache, daß seltenere Ereignisse eine normalere Dispersion aufweisen als häufige, bezeichnen wir mit Bortkewitsch 1 ) als das Gesetz der kleinen Zahlen. WH können das ( resetz der kleinen Zahlen auch so formulieren: I>ic seltenen Ereignisse zeigen eine bessere Übereinstimmung mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung als häufige Ereignisse. Wir ! ommen daher zu dem Resultat, daß Bortkewitsch gezeigt hat, daß die Ergebnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik in einem gewissen Gebiet besser miteinander übereinstimmen, als l ) L. \. Bortkewitsch, Das Gesetz der kleinen Zahlen. Leipzig isi)s. Aul dieser Abhandlung beruhen die bisherigen Ausführungen des vorliegenden Kapitels. und <üe Gleichförmigkeit, 403 man früher angenommen hat. Unsere Lehre vom statistischen Ausgleich eeigl dagegen, daß umgekehrt Wahrscheinlichkeits- rechnung und Statistik verschiedene Resultate ergeben. Aul den ersten Anblick mag daher der Eindruck entstehen, daß die Resultate von Bortkewitsch und die unserigen in ent- eeetztem Sinne gerichtel seien. Picsc Auffassung der Dinge wäre indessen eine rein äußerliche und im Grunde verfehlt. Denn Bortkewitsch und wir zeigen, daß die Gleichförmigkeit B von der Statistik untersuchten Geschehens eine weil größere ist, als man früher annahm. Bortkewitsch hat auf Tatsachen hingewiesen, die lehren, daß die Übereinstimmung von gewissen Zahlen nahezu so groß ist. als man im Sinne der Wahrscheinlichkeitsrechnung erwarten muß, wir haben in einem anderen Gebiet gezeigt, daß die Übereinstimmung von Zahlen eine noch größere ist, als man auf Grund der bloßen Wahrschein- HchkeitBrechnung erwarten sollte. Eine andere Frage ist freilich die, ob Bortkewitschs Lehre von der objektiven Bedeutung des Wiahrsclieinliclikeitsbegriffs 1 ) sich auf die Dauer als haltbar er- weisen wird. Aber Bortkewitsch meint ganz in unserem Sinn: das Gesetz der kleinen Zahlen ist geeignet, ,,der Auffassung, wonach die sta- tistischen Zahlen ein Ergebnis gewisser Allgemeinbedingungen des Geschehens waren, in welche zufällige Ursachen hineinspielen, eine 3t itae zu leihen und auf diese Weise jene Vorstellung von einer rifißch-8tatistischen Gesetzmäßigkeit, welche infolge der Miß- ilets und seiner Anhänger fast jeden Kredit verloren zu hüben schien, wieder zur Geltung zu bringen" 2 ). Auch unsere vom statistischen Ausgleich ist wohl geeignet, die Ansicht zu erharten, nach welcher die statistischen Zahlen Gesetzmäßig- en zum Ausdruck bringen, die infolge allgemeiner Bedingungen ehenc gelten. L v. Bortkewitsch, a. a. 0. S. :>s. *) L. v. Bortkewitsch, a. a. 0. 8. VI. 26* Achtundzwanzigstes Kapitel. Zur universellen Theorie der Gleichförmigkeit. Wir haben einen langen Weg zurückgelegt. W T ir sahen, daß schon die ganz laienhafte Betrachtung der Welt auf eine große Gleichförmigkeit des Seins und Geschehens in der Welt führt, und daß die Wissenschaft zeigt, daß diese Gleichförmigkeit noch viel größer ist als der Laie annimmt. Die Psychologie, die Sprach- wissenschaft, die Geschichtswissenschaften einschließlich der Sozio- logie und die sogenannte Völkerpsychologie führen auf wichtige Gleichförmigkeiten, die demjenigen, welcher diesen Wissenschaften fernsteht, verborgen bleiben. Auch im Gebiet der Biologie haben wir, wie wir schon in den Kapiteln 2 und 4 sahen, interessante Gleichförmigkeiten zu verzeichnen. Überdies zeigen gewisse sta- tistische Reihen eine größere Gleichförmigkeit, als man bisher all- gemein annahm. Daß überhaupt Gleichförmigkeiten in der Welt vorkommen, erscheint bei dem weiten Sinn des Begriffs der Gleichförmigkeit (vgl. den Anfang von Kapitel 12) nicht verwunderlich. Daß sich aber die Gleichförmigkeit des Seins und Geschehens bei näherer Betrachtung als eine auffallend große erweist, rechtfertigt unseren Versuch, die Gleichförmigkeit zum Objekt ausführlicher Unter- suchungen zu machen. Daß wir überall, wohin wir blicken, auf- fällige Gleichförmigkeiten finden, und daß wir diese Gleichförmig- keiten nach den verschiedensten, wenn auch natürlich keineswegs nach allen Richtungen hin behandelt haben, rechtfertigt den Titel unseres Buches: Die Gleichförmigkeit in der Welt. Die Tatsachen der Gleichförmigkeit lassen Folgerungen für die verschiedensten Gebiete der Wissenschaft zu. So haben wir z. B. gesehen, daß sie gebieterisch die Entfernung unkritischer Übertragungs- und Entlehnungshypothcsen aus den Geschichts- wissenschaften fordern. Auch sahen wir rieben vielem anderen, 28, Zur oniverseUeo Theorie * 1 « • t Gleichförmigkeit, 105 Gleichförmigkeil der eben erwähnten statistischen Reihen - Iüss( auf tu»' Anwendung der apriorischen Wahrscheinlichkeits- BUläßt. Was muß nun eine universelle Theorie der Gleichfönnigkeil jten? 1 in voraus Bei bemerkt, daß es gegenwärtig nicht im ent- 3ten möglich ist, eine wirklich befriedigende universelle ler Gleichförmigkeit vorzutragen. Ja ich möchte fast - ii. daß eine restlose Theorie der Gleichförmigkeit nur dann . lieh wäre, wenn die meisten Fragen aller Wissenschaften über- hau] wären. Trotzdem aber darf man sich wenigstens mit dem Problem der universellen Theorie der Gleichförmigkeit rtigen. Zunächsl wird es darauf ankommen, die Tatsachen der Gleich- heit, die freilich auch nach dem vorliegenden Buche nur geringsten Tri! bekannt sein dürften, zu sichten. Zu dieser _ der Gleichförmigkeiten haben wir bereits einige, wenn ii unwesentliche Beiträge geliefert. Ich meine natürlich nicht, B wir die Gleichförmigkeiten nach den Wissensgebieten unter- schieden haben, in welchen sie vorkommen; ich denke vielmehr an ♦•ine Bichtung nach logischen oder doch nach allgemeineren Gesichts- akten. In diesem Sinne unterschieden wir die lokale und tem- rale Gleichförmigkeit, ferner die Gleichförmigkeit einzelner stände und die Gleichförmigkeit von Massen. In diesem ;<• unterschieden wir auch im Rahmen soziologischer Betrach- tungen zwischen der primären und der sekundären Gleichförmig- Kapitel 7). Die wichtigste Frage im Gebiet der Theorie der Gleichförmig- er die Frage nach den Gründen, aus welchen die Gleich- keit vorhanden ist. Wir haben die große Gleichförmigkeit 1 ■■ genstände im weitesten Sinne des Wortes auf die Gleich- der Bedingungen dieser Gegenstände zurückgeführt, Buk de zes: unter ähnlichen Bedingungen findet Ähn- Hcbi Und wir haben schon vorher (Kapitel 1) die umfassende, h keinem weg.-; allgemeine Gültigkeit dieses Satzes betont. Wir hi ber auch darauf hingewiesen, daß sich eine Theorie 406 28. Zur universellen Theorie der Gleichförmigkeit mit dem Hinweis auf jenen Satz nicht be- gnügen kann. In allen einzelnen Gebieten, wo die Gleichförmigkeit unter- sucht wird, ist die Frage auf zuwerfen, welches denn die Bedingungen sind, aus denen die Gleichförmigkeit entsteht. Unser Buch zeigt, daß zur Beantwortung dieser Frage schon mancherlei Ansätze vorliegen. Am ausführlichsten haben wir uns zur Lehre von den Bedingungen der psychischen Gleichförmigkeit geäußert (Kapitel 4). Es liegen im Gebiet der Psychologie höchst einfache, von jedem Fachmann leicht kontrollierbare Experimente vor, die zeigen, daß die Gleichförmigkeit des Geschehens hier eine größere ist, als man ohne Kenntnis dieser Experimente hätte annehmen dürfen. Es liegen aber, wie wir sahen, auch psychologische Untersuchungen vor, in welchen die Bedingungen des gleichförmigen Verhaltens einer Vielheit von Individuen so modifiziert werden, daß wir aus ihnen über die Ursachen der Gleichförmigkeit Aufschlüsse ge- winnen können. So sahen wir, daß die Gleichförmigkeit der Re- aktionen im Assoziationsversuch innerhalb gewisser Grenzen vom Milieu der Versuchspersonen abhängig ist, während wieder andere Gleichförmigkeiten, wie sich aus statistischen Untersuchungen er- gibt, vom Milieu der Menschen unabhängig sind und sich innerhalb weit auseinanderliegender Jahrhunderte nachweisen lassen. In gewissem Sinne können wir auch sagen, daß bei einer Mehrheit von Individuen unter bestimmten physikalischen, d. h. hier außer- halb ihres Körpers liegenden Bedingungen diejenige Reaktion am meisten eintreten wird, für welche die Bedingungen am günstigsten sind, d. h. diejenige Reaktion, welche die größte Bereitschaft be- sitzt. Spezielle Untersuchungen lehren nun, daß die Bereitschaft in vielen Gebieten teils durch die Gewohnheit, teils durch be- -liinmte Sinneswahrnehmungen und teils vielleicht auch durch die unwillkürliche Aufmerksamkeit erhöht wird. Wir haben also ge- sehen, daß zu den Bedingungen gewisser Gleichförmigkeiten gewisse auf die in Betracht kommenden Individuen gleichmäßig wirkende Tatsachen der Gewöhnung, Sinneswahrnehmungen und vielleicht auch Tatsachen der Aufmerksamkeil gehören. Andere Gleich- der Gleichförmigkeit. 407 aiigkeiten, 30 sahen wir weiter, resultieren aus der allgemeinen \ lei Menschen, ihre Ziele mit möglichst geringer An- au erreichen. In anderen Fällen erhöht sich die Gleich- heit infolge der Suggestion. Die in unserem dritten und vierten Kapitel mitgeteilten experimentellen Untersuchungen, die in diesem Buche ausführlich wiederzugehen nicht am Platze ist, fährten noch auf viele andere Bedingungen psychologischer Gleich- migkeiten. 80 hat Stoll 1 ) u. a. auch gezeigt, daß für eine große Anzahl von von einer Vielheit von Personen unter gleichförmigen Be- dingungen gleichmäßig iieinaehten Schreibfehlern die sogenannte Tatsache der Ranschhurgschen Hemmung in Betracht kommt. Die Aufdeckung der Bedingungen der psychischen Gleichförmig- keiten ist der wichtige Teil der psychologischen Analyse dieser Gleichförmigkeiten. Es braucht hier nicht wiederholt zu werden, - immer und immer wieder von großen Gelehrten betont wurde, I nämlich die Auffindung neuer fruchtbarer Tatsachen eine weit wissenschaftliche Leistung ist als die Aufstellung von mehr oder weniger zweifelhaften Theorien. Es soll auch nicht an der Hand der Geschichte gezeigt werden, daß es wohl noch niemals »inen Forscher gegeben hat, der eine größere Anzahl von wissen- schaftlichen Tatsachen entdeckte, ohne nicht dabei von theo- retischen Gesichtspunkten geleitet zu sein. Aber ich kann es doch tri unterlassen, kurz meiner Verwunderung darüber Ausdruck zu geben, daß man öfters Bemerkungen hört und liest, welche chologischen Untersuchungen der Gleichförmigkeit als bloße „Tatsachenforschung 1 ' herabsetzen wollen und meinen, daß es in 1 biet an der psychologischen Analyse vollkommen fehle. Wer so redet, kennt entweder die in unserem vierten Kapitel ahnten experimentellen Untersuchungen über die Bedingungen psychischen Gleichförmigkeit, die bis ins Jahr 1911 zurück- hen, nicht, oder er hat von psychologischen Analysen Vor- stellungen, die dem Stand der modernen Wissenschaft wider- •'■ fttoll, Portochritte der Psychologie und ihrer Anwendungen. Bd- - 1914, >. 1 ff. VgL besonder! die Zusammenstellung der Resultate 3 1 a 1 ff. 408 28. Zur universellen Theorie sprechen. Eine wissenschaftlich befriedigende psychologische Ana- lyse der Gleichförmigkeit kann man nämlich nicht dadurch leisten, daß man Meinungen über die Gründe der Entstehung der Gleich- förmigkeit zum besten gibt, sondern lediglich dadurch, daß man sich, wie es meine Schüler mehrfach taten, der Mühe experimenteller und statistischer Untersuchungen unterzieht, die auf die Auffindung der Bedingungen der Gleichförmigkeiten abzielen. Bequemer ist es freilich z. B., die Bevorzugung von rot in unserem Gleichförmig- keitsversuch 1 ) einfach mit der roten Farbe des Blutes und der- gleichen in Verbindung zu bringen, oder die Bevorzugung einzelner Karten beim Merken einer beliebigen Karte 2 ) aus der Bedeutung der Karten im Kartenspiel zu erklären, wie dies neuerdings ge- schehen ist. Aber ist es nicht wahrscheinlicher, daß, wie wir auf Grund von Tatsachen oben behaupteten, die Antwort rot vor allen anderen deshalb bevorzugt wird , weil der Farbenname rot in der Sprache am meisten vorkommt, zumal auch wiederum statistisch erwiesen ist, daß im Assoziationsversuch diejenigen Wörter meistens als Reaktionsworte auftreten und daher die größte Bereitschaft aufweisen, die in der Sprache am häufigsten sind? Wie es mit der Sicherheit der erwähnten Erklärung meiner Spielkartenversuche steht, mag man daraus erkennen, daß ein anderer Autor für ihre Erklärung neben anderen Faktoren die Tatsache der verschiedenen Eindringlichkeit der fraglichen Wahrnehmungen geltend macht. Nur das zweckmäßig ausgeführte Experiment und die richtig an- gewandte Statistik werden solche Fragen einwandfrei lösen können. Schon das Studium der Bedingungen der psychischen Gleich- förmigkeiten zeigt, daß diese Bedingungen für die verschiedenen Fälle psychologischer Gleichförmigkeiten sehr verschieden sind. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Untersuchung der Gleich- förmigkeiten, die innerhalb und außerhalb der Psychologie liegen, noch in höherem Maße auf differente Bedingungen der Gleich- förmigkeiten führen. Man denke z. B. an die Bedingungen der Gleichförmigkeil im Assoziationsversuch und an die Bedingungen l ) Vgl. Kapitel 3 und I. -j Vgl. Kapitel 3. <l»-r Gleichförmigkeit. 409 batistischen Gleichförmigkeiten. So wenig wir die letzteren, die natürlich z. B. wieder etwa beim Roulettespie] und bei den inander registrierten Geburten eines Standesamts gänzlich differieren, wirklich kennen, bo dürfen wir doch sagen, daß sie ■ 11s teilweise gänzlich anderer Natur sind als die Bedingungen der psychischen Gleichförmigkeit. Freilich kann die Gegenüber- stellung von Gleichförmigkeiterj verschiedener Gebiete trotzdem Qtlich lehrreich Bein. Deshalb stellten wir auch im vierten Kapitel der psychischen Gleichförmigkeit den Versuch mit den Purpurbakterien gegenüber. Zur speziellen Theorie der statistischen Gleichförmigkeil handelten wir, wenn auch ohne die Frage nach den konkreten Bedingungen dieser Gleichförmigkeit klären zu könnm , im liahmen unserer Lehre vom Abhängigkeitsbegrii'f Kapitel 15) und überhaupt unserer Lehre vom statistischen Ausgleich. Da, wie wir sahen, die wichtigste Frage im Gebiet der Theorie der Gleichförmigkeit die nach den Gründen der Gleichförmigkeit und da die ungeheure Menge der Gleichförmigkeiten in der Well aus den verschiedensten realen Bedingungen resultiert, so :t sich eine universelle Theorie der Gleichförmigkeit, indem sie die pjedingungen der verschiedensten Gleichförmigkeiten festlegen müßte, vor eine kaum jemals zu bewältigende Aufgabe gestellt. Die Gleichförmigkeit, so meinten wir immer wieder, resultiert der Gleichförmigkeit der Bedingungen. So richtig nun dieser lieh für eine Theorie der Gleichförmigkeit keineswegs ausreichende ist und so fruchtbar er in heuristischer Beziehung vielfach -ein mag, so ist er doch nicht nur nicht ausreichend, sondern über- haupt ungeeignet, tiefere Einsichten in das Wesen der Gleich- förmigkeit in der Welt zu vermitteln. Ja wir können ihn in ge- als einen selbstverständlichen Satz bezeichnen. Denn wenn die Gleichförmigkeit der Gegenstände in der Welt wirklich mHch und zeitlich so ausgedehnt ist, wie wir meinen, so müssen vielen gleichförmigen Gegenstände doch auch wieder als auftreten. Daa beißt: die Gleichförmigkeit in der H involviert an rieh eine Gleichförmigkeit der Bedingungen rmigkeit. 4K» 28. Zur uni verseilen Theorie Dk' Krone einer universellen Theorie der Gleichförmigkeit bestünde in dem Nachweis, daß eine zu Gleichförmigkeiten führende Gleichförmigkeit der Bedingungen notwendig ist. Wir haben schon im sechsten Kapitel von der auf Laplace zurückgehenden Lehre gesprochen, nach welcher die Ableitung alles körperlichen Geschehens aus einem gewissen Anfangs zustand des Weltalls, falls dieser bekannt wäre, rein logisch gesprochen, sehr wohl möglich wäre. Diese Ableitung müßte sich auf die Naturgesetze stützen. Ganz im Sinne dieser Ansicht verfahren Kant und Laplace bei ihren bekannten Theorien des Weltgebäudes. Sie nehmen einen bestimmten Zustand des Weltalls an, den sie sich unter dem Ein- fluß von Gesetzen verändern lassen. Es ist klar, daß, wenn jene faktisch unmögliche Ableitung des Geschehens im Sinne des Laplace nicht nur logisch, sondern wirklich möglich wäre, sie auch wichtigste Fragen zur Begründung der allgemein verbreiteten Gleichförmigkeit in der Welt klären müßte. Aber es bliebe immer noch die Frage offen, warum denn gerade jener ,, Anfangszustand" oder noch frühere Zustände, die unter dem Einfluß der Naturgesetze zu Gleichförmigkeiten führen müßten, vorhanden wären und nicht andere, die nicht auf Gleichförmig- keiten führen. Diese Frage gilt vielfach als prinzipiell unlösbar. Man sieht in dem ältesten Anfangszustand, auf den sich unsere Betrachtung erstrecken könnte, ein historisches Faktum, das man, wenn man es nicht etwa einem Schöpfer zuschreiben will, einfach als gegeben lunnehmen muß. Hiernach wären auch die Tatsachen der Gleichförmigkeit nicht aus bloßen Gesetzen erklärbar, sondern nur aus Gesetzen in Verbindung mit der Annahme eines bestimmten gegebenen Anfangszustandes des Weltalls. Diese Ansichten habe auch ich mir früher zu eigen gemacht 1 ). Aber ich habe mich mittlerweile überzeugt, daß auch andere Auf- fassungen der Dinge als möglich angesehen werden müssen. Es kann nicht als a priori unbedingt ausgeschlossen angesehen werden, daß auch, wenn uns alle Gesetze der Physik und Chemie bekannt l ) K. Marbe, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie. Jahrg. 30. 1912. S. 83. dei ( rleiehföi migkeil . 411 docb Doch irgendwelche Bindere Gesetze zu suchen wären, denen die Körperwell vielleicht neben jenen Gesetzen unterworfen im. So wäre es an sich wohl möglich, daß für die Lebewesen als physikalisch-chemische Gegenstände insgesamt die, Gesetze der Physik und < M it m i ii * ^ gelten würden, daß aber doch hier noch ändert' uns gänzlich anbekannte Sätze anderer Art in Betracht kämen, die für das Gebiel des Nichtlebenden nicht in Frage kämen. Dabei wäre es keineswegs nötig, an Zielstrebigkeiten oder Gesetz- mäßigkeiten im Sinne des Vitalismus zu denken. Auch liegt es mir gänzlich fern, die Richtigkeit der erwähnten Annahmen ver- treten va\ wollen. AJber ihre logische Möglichkeit steht außer Frage. Ebenso wäre es an Bich wohl möglich, daß die Massenpunkte der reinen Mechanik, abgesehen von den bekannten Sätzen der Me- chanik, anch noch durch ganz andere Sätze gänzlich anderer Art beherrscht würden. Nun können wir im Anschluß an die in diesem Buch ausführlich behandelten Lehren Poincares offenbar sagen, daß beim n-Körperproblem unter allen möglichen Anfangszuständen verschwindend wenige vorhanden sind, welche unter der ver- liviteten Voraussetzung, daß die Welt dem Satz von der Erhaltung der mechanischen Energie unterworfen ist, nicht wiederkehren. • alle möglichen Anfangszustände führen also hiernach auf die Wiederkehr dc< Gleichen. Wir sahen, daß der Schluß, daß eine Wiederkehr des (deichen tatsächlich stattfindet, nicht stringent ist. Daß aher die Zahl der nicht auf die Wiederkehr des Gleichen führenden Anfangszustände unter allen möglichen Anfangs zuständen p-ee Weltalls verschwindend klein ist, konnten wir nicht be- tten. Wie nun in unserem Beispiel mit den Lebewesen wäre ueh hier sehr wohl denkbar, daß es noch gewisse uns unbekannte setze anbekannter Art gibt, die dahin wirken, daß keiner jener glichen nicht auf Wiederkehr des (deichen führenden Anfangs- znstän Laie eintritt. Die ewige Wiederkehr des Gleichen im der Körperwelt wäre dann Tatsache und demgemäß hätten im Sinne der Eypothese vom psychophysischen Parallelismus ii die ewige Wiederkehr des Gleichen im Seelenleben anzu- 412 28. Zur universellen Theorie Wenn die in Betracht gezogenen Möglichkeiten wirklich zu- träfen, so könnte man sagen: Man kann, rein logisch betrachtet, ohne sich überhaupt um einen historischen Anfangszustand zu kümmern, die* Tatsache der Wiederkehr des Gleichen ableiten. Die Schwierigkeit freilich, die wir ausführlich erörterten, daß näm- lich die Wiederkehr des Gleichen gewissen Theorien der kinetischen Gastheorie und dem zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärme- theorie widerspricht, ist damit nicht behoben. Es soll ja aber auch hier nicht etwa für die Lehre von der Wiederkehr des Gleichen eingetreten werden, sondern nur gezeigt werden, daß die Deduktion der Wiederkehr als solcher aus Gesetzen allein ohne Annahme eines bestimmten Anfangs zustandes des Weltalls nicht ausge- schlossen erscheint. Muß aber eine solche Deduktion als möglich angesehen werden, so wird man vielleicht auch die Tatsache der Gleichförmigkeit aus Gesetzen allein ableiten können, ohne einen bestimmten Anfangs- zustand vorauszusetzen. Hiernach wäre jener vorhin im Anschluß an La place skizzierte Standpunkt, wonach eine Ableitung der Gleichförmigkeit aus bloßen Gesetzen nicht möglich ist, nicht haltbar. Diese Bemerkungen sollen nicht meinen früher vertretenen Standpunkt durch einen anderen ersetzen. Sie sollen nur zeigen, daß gegen ihn Bedenken bestehen, die freilich zur Begründung einer entgegengesetzten Lehre keineswegs ausreichen. Wir be- finden uns eben hier auf dem schwankenden Boden der modernen theoretischen Physik. Die Zukunft der Lehre von den Gründen, {ms denen im Weltall notwendigerweise Bedingungen für Gleich - ]"< Innigkeiten vorhanden sind, ist offenbar an die Fortschritte der theoretischen Physik geknüpft. Ihr heutiger Stand scheint uns aber nicht zu erlauben, bestimmte Schlüsse in den angedeuteten J Achtungen zu ziehen. Doch sei noch betont, daß eine im Sinne der theoretischen Physik befriedigende Theorie der Gleichförmig- keit vielleicht auch die Theorie des Individuums und des organischen Lebens fördern könnte. Endlich sei noch auf die Bedeutung der Lehre von der Gleich- förmigkeil Etir die wissenschaftliche Forschung hingewiesen. Die der Gleichförmigkeit. 413 '!-> Annahme einer großen Gleichförmigkeit ist, um hier einen Aus- ick Kants zu gebrauchen, für viele Wissensehaften ein regu- latives Prinzip. Die vergleichende Anatomie und alle vergleichenden dpHnen zielen fortwährend auf die Feststelluno; von Gleich- migkeiten ah. indem sie immer voraussetzen, daß die Gleich- migkeil in ihren Gebieten eine noch größere ist, als bisher nach- n wurde. In diesem Sinne sagte schon 1863 der bekannte Anatoni Max Schulze in den Schlußbemerkungen zu einer seiner eiten 1 ): „Meine Beobachtungen drängen mich immer mehr zur Überzeugung, daß die ,, Übereinstimmung in der Struktur und dem Wachstum der Tiere und Pflanzen", wie Schwann den Inhalt seiner berühmten Untersuchungen nannte, eine viel größere sei, als man heutzutage anzunehmen geneigt ist, und einen Beleg hierzu bildet auch der Inhalt der vorstehenden Untersuchungen/' x ) M. Schulze, Das Protoplasma der Rhizopoden und der Pflanzen- z.hVn. Leipzig 1863. S. 63. Namenregister. Adler. K. 260. Adler. M. 35. d'Alembert IV, 260, 379, 382. Andreas- Salorne, L. 137. Aristoteles 11, 13. 74, 86—89. 98, 104, 107, 231. Auerbach, F. 140. Avenarius, R. 11, 59. Awramoff, D. 25. Ballod, C. 236. Barth, P. 96. Bastian, A. 91, 126. Bauch, M. 41, 45—48, 53, 57. Baur, E. 226, 398. Bayes 154, 160, 161. Beloch, K. J. 52, 53, 88, 104. v. Below, G. 97. Bernheim, E. 94, 96, 101, 102, 104. Bernoulli, D. 260. Bernoulli, J. 152, 158, 167, 181, 254, 313, 331. Bertrand 203—20.",. Binet, A. 33—36. Bishop, J. 38. Blanqni 23, 137. Boll, F. 86. Boltzmann, L. 138, 142. 143. 236, 31)0. :{01, 394. Le Bon 23, 84, 116, 137. v. Bortkewitsch (Bortkiewicz), L.273, 274. 402, 403. Brem r 85. Brömse, II. 273. Brönner, VV. 116. 128. Brown 38. I'.row ii. < i um 85. Bxugmann, K. 73. Bruns, IL 150. 229. 260. 265. 268, 273. 277, 343. Bücher. K. 25. Buckle. H. Th. 95, 96. Buffon 201, 203—205. Bühler, K. 222. Cantor, M. 150. Chwolson, O. D. 140. Claparede. E. 35. Clemen, C. 86. Comte, A. 87, 95, 104, 107. Condorcet 95, 96. Conrad, W. 93. Corly 38. Correns, C. 397, 398. Cumberland, St. 38. Crum Brown 85. Curtius, G. 70. Czuber, E. 146—150, 158, 167, 172, 182, 188, 199—204, 209, 228, 229, 254, 272, 273, 326, 345, 346, 378. Dauber, J. 44—46, 53, 55, 56, 85, Davenport, C. B. 226. Deißmann, A. 94. Dekker, E. D. (Multatuli) 279, 372. D.-Il, nick. 15. 68—70, 73. Demokrit 1 3C>. Dilthey, W. 90. Dom, V. it."). 260. DreBslar, F. B. 41. Drewe, \ 94. Duck. .1. I«.). .-»n, 60. Dühring, E. 58. Eastman, r\ C. 32. v. Ehrenfels, Chr. 222. Namenregister 4IT) idter, J. 91 93, L02. Ekler, B 58, 59, 84, 97. EUis, 1! 42. Kit«-. M 35. Empedoklea 137. igelmann, Th, W. 61. Crdmann, B. 332, 233. 235, 2.-..-.. Rrigena 121. K, ebner, G. Th. L99, 229. de Fermat, P. 58, 150. Ficht*' 11. 98, 121. Pick, \. «id. 172. 390, 393. i . Flicks, A. 299. Förster-Nietzsche, E. 23. 137. Fol 202. Fries, .1. F. 156, 159. v. ,1. Gabelents, Gr. 7<>. 71. Gabrielsson, .1. 94. Gralton, F. 42. Garner, Ch. 8t. 38. Gauß 4«). 24<». 388. Gibbs, .1. \V. 236. Goldschmidt, L. 171. Goldschmidt, R. 226, 398. Gomperi, Th. 167, 232. Graber, V. 61. Grelling, K. 172. Griffith 344. Grimsehl, E. 273, 274. Grünbanm, H. 272. 273, 277. Gumplowiez, L. 104. Hrn. A. 129. Baberlandt, .M. 56. r, V. 398. Bansen, F. C. C. 38. Harnack, A. - \. Hartmann, F. 273. söhrl, F. 13s. I 11. Henkel, H Henri, M. 338, 340, 348, 340. 351, 363- -366, 367— 35!», 371. Heraklil 136. Heß, C. 61. Heß, W. R. <>»>. Heyl, K. 94. Hiokson, J. \V. A. 4. Hill. C. \V. 133. 131. Hülebrand, F. 7. L66. v. Holtzendorff, F. 74. Hnber, F. 52. v. Humboldt, A. 91. v. Humboldt, \Y. 69. Hyslop, .). H. 38. lasche, G. B. 156. Jennings, II. S. 61, 62. Jensen, P. 94. Johannes Scotus (Frigena) 121. Johannsen, \Y. 22:». 226, 267, 398. Jollv. .1. 71. Kaeding, F. W. 57. Kaerst, .1. 97. Kant 12, 13, 98, 114, 154, 156, 157 r 172, 410, 413. Kaufmann, A. 182, 233, 235, 237, 240.. 260, 381. Kent, G. II. 32. Kirchhoff, G. 12. Klaus 390. Klemm. 0. 89. Kniep, H. 26. Koenig, E. 4. Kohs, S. C. 35. Kosog, <>. 49, 50, 84. v. Kries, J. 152, 154, 157, 168—171, 173, 207, 212, 313. Krueger, F. 116. Kummer, G. 47. Labitzke, P. 47. Lagrange 131. Lammel, R. 204. Lamprecht, K. 98, 104. Lang, A. 4. Lange, F. A. 166. 416 Namenregister. de Laplace, P. S. 109, 152. 157. 167, 410, 412. Lazarus, M. 120. Lazzarini, M. 202, 203. Lehmann, A. 38. Leibniz 85. Leskien, A. 71. Lexis, W. 183, 233, 239, 240, 250, 260, 273, 381. Lichtenberger, H. 23, 137. Linne 17. Lipps, G. F. 229, 273, 343, 388. Littre, E. 95. Loeb, J. 61. Lotsy, J. P. 226. Lottin, J. 259, 260. Lucas, F. 61. Mach, E. 10, 58, 59, 85. Maier, H. 166, 273. Marbe, K. III, IV, 7, 20 Anm., 24, 27 Anm., 28, 30—32, 36, 43, 45, 46, 59, 63, 68, 84, 111—114, 128, 170 Anm., 217, 269, 271—274, 298, 342, 352, 354, 378, 410. Maxwell, J. C. 139, 236, 392—394. Mayer, J. R. 14. Meinhof, C. 24. Mcinong, A. 172. Mendel, G. 395—397. Mfturaann, E. 33. Mill, J. St. 156, 157, 172, 232. Minot, Ch. S. 40, 41. Montesquieu 95. Müller, C. 47. Müller, F. M. 69, 70. Müller ( J.) — Pouillet (C. S. M.) 140, 390, 392. Müller, J. 73. Multatuli 279, 372. >;.!)], J. 138. Netto, E. 150. Newton, J. 6, 7, 85, 129, 130, 134. Nietzsche, F. 23, J37. Nitz, K. 46. Niven. W. D. 236. Oechelhäu^er, W. 93. Osthoff, H. 74. Pannen ides 11. Pascal 150. Paul, H. 68—70, 81, 82, 103, 121 — 123. Pearson, K. 182, 279, 337, 339, 340. 344, 345, 348, 349, 351, 352, 354, 357—359, 364. Peters, W. 85, 398. Petzoldt, J. 11. Pfaundler, L. 140, 390. Pfungst, 0. 38. ! Plate, L. 398. Plateau 85. Piaton 11, 86—88, 116, 118, 120, 121. Poincare, H. 109, 133—144, 148, 149, 160, 165, 176, 177, 214—216, 218, 383, 411. Poisson 133, 134, 142. 1 Polybius 86, 88, 89, 104. Posselt, E. L. 95. Prichard, J. C. 91. I Quetelet, A. 259, 260, 267, 403. v. Ranke, L. 99. Ransehburg, P. 35, 407. Raudnitz, R. W. 36. Reinhold, F. 28, 29. Rickert, H. 97, 111. Rieeke, V. A. 260. Riehl, A. 23. Römer, F. 33. Rosanoff, A. J. 32, 33. Etoßanoff, J. R. 32. Rüge A. 96. Saling, <i. 32. Sanford, E. C. 41. Scheffln« 11. Namenregister. 417 um. r - imnlt. 1 3 Schmidt, 22 S»h,ijH'uh;»iU'i- 19 - thulenburg, A. 70. ;; .. M 113. Schrw V 152. Schwann 413. bI, v. 56 Shakespeare 92, '.':;. Bighele mv . cii. 166, 229, 27::. Silberer, V. 374 Simon, Th. ;}:J— : Bmith, M. \. 202. Smith. M. K. 25 S sp 36 - 3 ar, W. 279 372. 3 Btadthagen ::^ ä rlial. H. 60, 120. - a, L. W 33, 140. ringer, 0. L52, 156, 168. 170— 172. 182. 273. Btoll, J. 42. 4.;. .»7. 407. ./.. F. 7:'.. >umpf, C. 157, 166, 168, 169, 173, 2<»7. •r-rlin, L. 71. 7:: Thomdike, E. L. 226. Thuk 92. Thumb, A. III. 24. 28, 30, 63, 73, 83. merding, II. E. 273. Todhunter, .1. L60. 1 k. E. 395. iBohnprow, A. A. 234. T.vlor. E. B. 91. Urban, F. M. 172. Viro, G. B. 88, 89. KU. Virohow, R. 7 1. Voltaire B9. Waokernagel, .1. 73. Waentig, II. 260. Weber, W. E. 89. Weckssler, E. 79, 81. 82. Weismann, A. 22. Wendland, P. 94. Westergaard, II. 182. Weyrauch, J. J. 14. White, H. J. 43. Withney, W. D. 71. Whittaker, E. T. 129. Wien, W. 12, 237. Windelband, W. 96, 97. Wines, F. H. 42. Woermann, K. 23. Wolf, B. 129. Wolf, R. 188, 197, 200, 202. Wolff, H. 237. Wordsworth, J. 43. Wreschner, A. 31. Wundt, W. 68, 71—73, 103, 116— 122, 220, 273. Yule, G. Udny 229. Zahn, F. 237. Zahn, Th. 94. Zermelo, E. 135, 138, 142, 144, 236. Mart- -n.ii-kf.-it in der Wolt. 27 Sachregister. Abhängigkeit — Unabhängigkeit im ersten Sinn 261 f. ., zweiten „ dritten ,, vierten 387. Additionssatz keitsrechnnng Ähnlichkeit 15 f., Ähnlichkeitssätze 261 f. 262 f. 263 11.. 298, 378, der Wahrscheinlich - 146. 18. 15 ff., 24. ,, , umgekehrte 18. ,, , beschränkte Gül- tigkeit der 17 f. Analogiebildung, sprachliche 63. Anatomie, vergleichende 413. Arbeitslöhne 383. Assoziations versuche 27 ff., 41, i)2, 55, 63, 209. Astronomie 21, 47, 110, 129 ff. Aussage, Psychologie der 44 f., 49 1'., 55 f. Bayessches Theorem 154 f., 160. 161. Bedingungen, unmittelbare lff. »> » vorausgehende 1 f. >» > gleichzeitige 1 f. 5> > konstante-vari.i ble 179 ff., 257. 5 J > indifferente 180. mitte] bare 2. kausale 5, 80 nichtkansale 80. notwendige — nichtnotwendige 262 f. im ersten Sinn ."». 75, 77 f. ,, zweiten Sinn 5, 75, 77 1. Gleichförmigkeil der 24 f., 37, 39, 42, 52, 55, 60. 09. 82, 106. Begriffsbildung 25, 230. Beobachtungsfehler 45 ff.. 57, 211, 388. Bequemlichkeit der Reaktion 48, 58 ff., 64 ff., 72. Bequemlichkeitssatz in der Sprach- wissenschaft 66 ff. Bereitschaft der Reaktion 54 ff. Bernoullisches Theorem 158, 181, 254, 313, 331. Bertrandsches Paradoxon 203. Bevölkerungsstatistik 53, 278 ff. Bevorzugte Reaktionen 27 ff., 52 ff., 94 f. Bevorzugung von Farben 40, 55, 57, 211. Bevorzugung der muskulären Reak- tion 47 ff., 58 ff., 64 ff., 190 ff. Bevorzugung von Wörtern 27 ff., 41, 52, 55, 57, 105 f., 209. Bevorzugung von Zahlen 40, 41 f.. 53, 102, 211. Biologie 59 ff., 205, 394 ff . Botanik 21 f., 398. Buffonsches Nadelpro blem 201 ff. Carolina, Zeugenbewertung in der 45. causa vera 6, 69 f. Chemie 8, 17, 21, 77, 410 f. Comtes Gesetz der drei Stadien 87, 104, 107. Dispersion statistischer Reihen 233, 239 It.. 25(>, 381, 402. I >reikörperproblem 1 29 ff. . resl ringierteslSl . 1 treikörperproblem, Partikularlösungen <l<> 132. periodische Lösungen <l«'s 132. Sachreiristc] 4M) I treikörperprohlem, stabile Lösungen des 132 ff instabile Lösungen des 132 ff. Effektenbörse, Kurse der :'.s:j. mentargedanke ( Völkergedanke) ol t.. 126, Rntlehnungshypothesen in der Ge- Bohiehte ( tJbertragungshypothe- Ben) Mff., L02. Entropie 14<>. ErlöBungBidee 94, 102. Ethnologie 91 f. Ezistenziaibegriff 114 f. Experiment 9, 17. 75, 108, 12.~». FaUgeaetse 76 f. Pehlertheorie, mathematische 46,388. Funktionss&tze 2 f. Gedankenlesen 37 ff., 211. . egomorphes 39. Gielanfjgkeitsgesetz 20 f.. 47. ( reodaeie 47. I resamtbewu&tsein 1 16 Ef. Gtasamtgeist 116 ff. Gesamtwille 116 ff. [177. untbedingungen eines Resultats Geschichtswissenschaft 7. 9f., 52f., 59, 84 ff. 1 U sehichtsauffassung, individualistische 98. kollektivistische 08. singularistische 07 ff. vergleichende 101 ff. pragmatische 02. Domothetische 9öff., 103 ff. Gtasehlechtsverhältnifl der Greborenen L60 tt.. MO ff. ehlechtsverhAltnia der Greborenen in Bayern und Baden 200. chwindigkeitssatz in der Sprach- irissenschafl 66 ff.. 83. Gesellschaftliche Organisation 124. ' resetz dei kleinen Zahlen ton n. Greseti des kleinsten Kraftmaßes 58 ff.. 72. Gestaitqualital 222. 22s. ( iewohnheil 5 i ff. Gleichförmigkeit (siehe auch Alm lichkeit) 16. 20 ff.. 217 f.. 378. Gleichförmigkeit, lokale 20 ff. , temporale 20 ff. . ideale 218. Gleichförmigkeiten, primäre 124, 126. , sekundäre 124 f., 126. Gleichförmigkeit des psychischen Ge- schehens 27 ff., 52 ff., 189 ff., 203, 205. Gleichförmigkeit, Theorie der 52 ff.. 404 ff. Gleichheit 218. <; leichmögliche Fälle 145 ff., 213. ( deichmögliche Fälle, erster Ordnung 160 ff. zweiter Ordnung 160 ff. Theorie der 159 ff. empirisch orientierte Auffassung der 163 ff. logisch orientierte Auffassung der 165 ff. subjektiv-logische Auffassung der 166 ff. objektiv-logische Auffassung der 168 ff. ( rleichmögliohkeit, Spielraumtheorie der 162 f., 168 ff. Glücksspiele 145 ff., 337 ff . Gruppeneinteilung, Willkürlich keit der 277. Gruppen, reine 252. 279. Häufigkeit, relative 177 ff., 378. Iläufigkeitsaufgaben 196 ff. II auf igkeitsauf gaben, thetische 196. ,, , praktische 197. Iläufigkeitsbrüche, apriorische Be- stimmung der 184 ff. Häufigkeitsbrüche, fraktionelle Kon- -laiiz der 178 f. 27* 420 Sachregister. Hauptsatz, erster, der mechanischen Wärmetheorie 139. Hauptsatz, zweiter, der mechanisch. Wärmetheorie 138 ff., 389. Hauptursache 6 f. Ich 113 ff. Induktion 25, 231 ff. Induktion im weiteren Sinn 234, 253. ,, im engeren Sinn 234. ,, , unvollständige 182 ff, 231 ff. Infinitesimalrechnung 85. Intelligenzalter 35 f. Irreversible Prozesse 138 ff. Juristische Personen 127. Kausalsätze 1 ff. Kausalsätze, beschränkt gültige 14 ff. korrigierte 2 f. populäre 3 ff. umgekehrte 18. Apriorität der 12 ff. Kinetische Gastheorie 137 ff., 215, 388. Kollektivgegenstände 119, 228. Kollektivgegenstände im engeren Sinn 228. Kollektivmaßlehre 229, 236. Kombinatorik 150, 312. Konservative Kräfte 134. Konstanz der Körpertemperatur 76 f. Konvergenzerscheinungen 22, 24. Kriminalstatistik 205. Kunstgeschichte 23. Labyrinththeorie des statischen Sinns 85. Laplacesche Theorie der Weltent- itehung L09, 410. Lautgesetze (siehe auch Lautwandel) 78 ff. Lautgesetze, Ausnahmslosigkeit der 78 ff. Lautwandel, bedingter 79 f. spontaner 79 ff. sporadischer 81. Lotterie 189 ff. Ludolphsche Zahl 209. Marbes Typentheorie 270 ff . Zahl p 271. 299. Masse 126, 217 ff. Massen, Gleichförmigkeit von 219 ff. Masse, statistische 222 ff . unnatürliche 222. 228. Massenpunkte, 136, 411. Maxwellsches Gesetz der Geschwin- digkeitsverteilung 139, 392 ff. Mechanik 129 ff., 136, 411. Mechanische Wärmetheorie 215. Men de Ische Vererbungsgesetze 395 ff. Meteorologie 47. Mittlere Abweichung bei Glücksspielen 345 ff. , 357 ff. in der Bevölkerungslehre 345 ff., 357 ff. Monophyletische Entstehung der Lebewesen 26. Multiplikationssatz der Wahrschein- lichkeitsrechnung 147, 171, 175, 213, 259, 268, 298, 378. Mythus, Entwicklung des 118, 122. n- Körperproblem 1 33 ff . , 411. n - Körperproblem , Partikularlösungen des 134. periodische Lösungen des 134. stabile — instabile Lösungen des 134, 214. Naturgesetze 77 f., 82 t. NormalgruppeE 311. Normalgruppen, Prävalenz der 238, 301 ff., 331, 33Eff. Normaltests nach Binet • Simon 33 H. Sachregisti r 421 Pädagogik 32 ff., 42 f, ivinln-!. htsordnung Kai Is \ . lieh« Carolina. - hee Sj Bteoi der Elemente 21. Problem 378. I s. 12, 17. 77. L36, 215, 388 ff., HO Phj 17 ff. -"' s . 58 i. 7t; f. äati \on 109, L35 it.. 148 f., L«0, 166, 177 ff., 214 ff., Prinzip des mangelnden G-rundes 167 •• . 268 Psychiatrie 32 it. ä IliliVw issensohafl der schichte Ulf. hophysik 16, 388. Psychophvsischer Parallelismus L, 11". 136. Poipnrbakterien 61 f., 105 f.. 210. Queteletschee Gesetz 267. R anseht) nrgsche Hemmung 407. chtsphilosophie 127 f., 263. atswissenschaft 7, 30 ff., 41 f., 44 f., 59, 84, 127. Religionswissenschaft, vergleichende . 86, 94, 102. Reversible Prozesse 141. Ronlettespiel 183 ff.. 344 ff. S taeibfehler 12 f., 57. Le 113 ff. bstmorde 206, 400 ff. Bettenc Erscheinnngen 400 ff . irickrang der 1 18. 122. I 12, 124. 3 iielbanken 361 ff. entwicklung 63 ff., 11s. 121 1'. lenschafl 23 f., 63 ff. ü. Kreislauf der :i .. 1"). 107. istischei Reihen 240. ,. 26, 232 n. ; 269 f., 37s ff. Statistischer Ausgleich 238, 251 ff., 298, 337 ff., 361 , 37S ff., 388 ff . Statistischer Schluß 232 ff. Statistischer Schluß, vollständiger 235. un vollst findiger 235. Strafmaß 41 f. Streokensohätzung 451, 53, 57, 211. Stroboskop 85. Subjekt-Objekt-Auffassung 113 f. Suggestion 49 ff., 60, 84, 86, 124. Sukkulenz 22. fcemspieler 371. Tatbestandsdiagnostik 30 ff. IVilmasse 219. Textkritik 43. Tierpsychologie 126. Tierpsychologie, objektive 122. Typische Reihen 240. Übertragungs- und Entlehnungs- hypothesen in der Geschichte 93 ff., 102. Uneheliche Geburten 379 f. Unfallstatistik 384 ff., 401. Unfallversicherung 384 ff. Unternehmergewinne 383. Ursache 4 ff., 14 f. Usus, sprachlicher 65 ff. Variationsstatistik 226. Versicherungswissenschaft 205. Vierpunktproblem 148, 150, 160. Vital ismus 411. Völkergedanke 91 f., 126. Völkerpsychologie 120 ff. Volksgeist 116 ff. Volksseele 1 1 5 ff. Wahrscheinlichkeit, inathematische 145 ff., 251 ff. statistische 161, 253. apriorische 153 ff., 159, 177. \22 Sachregister Wahrscheinlichkeit, aposteriorische 153 ff., 159. von Einzelfällen 146. von Gruppen 146, 211. Wahrscheinlichkeitsbrüche 149. 206ff. Wahrschein lichkeitsbrüche, empirische Theorie der 155 ff. logische Theorie der 157 ff.. 208. psychologische Theorie der 171. Wahrscheinlichkeitsbrüche a 1s Durchschnittszahlen 206 ff. Wahrscheinlichkeitsrechnung 145 ff., 382 f. Wahi-scheinlichkeitsrechniino. Philosophie der 152 ff. Wahrscheinlichkeitsrechnung, logisches Problem der 152 ff. naturphilosophisches Problem der 152 ff., 174 ff., 251 ff. Warenpreise 383. Wechselzahl von Gruppen 242. Wiederkehr des Gleichen, ewige 23, 109, 129 ff., 411 f. Zahlensysteme 102. Zeitschätzung 44. Zeugenaussagen 44 f., 55 f., 84. Zielstrebigkeit 411. Zoologie 21 f.. 61 f., 398. Drnok der Cöaigl. rnivorditütadruckeroi H. Stttrti \. (;., Wttnburg MATHEMATISCHE BEMERKUNGEN ZU MEINEM BUCH „DIE GLEICHFÖRMIGKEIT IN DER WELT" VON KARL MARBE C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG OSKAR BECK MÜNCHEN 1916 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung vorbehalten Inhalt. Seite 1. Vorbemerkung 5 2. Neue Formeln 6 3. Nachweiß, daß man mittele der alten und neuen Formeln zu den- selben Schlußsätzen gelangt 13 1. Vorbemerkung. unmittelbar nach dem Erscheinen meines Buches „Die Gleich- migkeit in der Welt 1 )" fanden zwischen meinen mathematischen Kollegen Rost und v. Weber höchst interessante Diskussionen ttber gewisse in dem Buch enthaltene mathematische Darlegungen statt, an denen auch ich teilnehmen durfte. Hierdurch sah ich mich veranlaßt, eine Reihe meiner Ausführungen von neuem zu prüfen, nochmals durchzudenken und teilweise zu verbessern. Da das Ergebnis dieser Arbeit von allgemeinem Interesse sein dürfte und da es mir geeignet erscheint, meine mir sehr am Herzen liegende Lehre vom statistischen Ausgleich gegen alle bisher noch möglichen Einwände zu sichern, habe ich mich zur Abfassung der vorliegenden (zunächst für die Leser meines Buches bestimmten) Schrift entschlossen. ) München 1916. 2. Neue Formeln. Wenn wir eine Münze in die Höhe werfen, so sind, nachdem sie zu Boden gefallen ist, nur zwei Resultate möglich; entweder fiel Wappen (m) oder Zahl (f). Wenn nun jemand mit einer Münze nur so lange wirft, bis das dem ersten Resultat entgegengesetzte auftritt, so kann das entgegengesetzte Resultat beim zweiten oder dritten . . . oder (n + l)-ten Wurf auftreten. Wir bezeichnen nun eine aus lauter gleichen Elementen bestehende Komplexion oder Gruppe von Elementen als eine reine Gruppe 1 ). Findet dann das entgegengesetzte Resultat schon beim zweiten Wurf statt, so haben wir eine reine Gruppe zu 1 zu verzeichnen. Findet es beim dritten, vierten . . . bzw. (n + l)-ten Wurf statt, so haben wir eine reine Gruppe zu 2 bzw. 3 . . . bzw. n zu verzeichnen. Wir führen nun für die Wahrscheinlichkeit von Wappen (m) das Symbol M, für die Wahrscheinlichkeit von Zahl (f) das Symbol F ein. Es ist dann die Wahrscheinlichkeit für eine reine Gruppe zu 1 gleich M F + F M = M F (M° + F°) 2 „ M M F + F F M = M F (M 1 + F 1 ) 3 „ MMMF+FFFM = MF(M 2 + F 2 ) 12 3 n^ 12J ^ n „ MMM...MF + FFF...FM = MF (M 11 " 1 + F 11 " 1 ) Diese Betrachtung ist unabhängig davon, ob m und f gleiche oder verschiedene Wahrscheinlichkeit haben, d. h. sie ist unabhängig davon, ob M gleich, größer oder kleiner F ist. Sie gilt daher auch für den Fall, daß wir die der Reihe nach auf einem Standesamt aufgenommenen Geburten mit m (masculinum) und f (femininum) bezeichnen und daß wir von einem beliebigen m (f) anfangend, x ) Der Begriff der reinen Gruppen bei H. Grünbaum (Isolierte und reine Gruppen und die Marbesche Zahl „p". Würzburg 1904) stimmt mit dem meinigen nicht überein. 2. Neue Formeln. 7 die Anzahl ta gleichen Fälle bis zum Eintritt des entgegengesetzten Falles in Betracht ziehen. Wenn nun statt dos einen Spielers eine große Anzahl S von Spielen] so lange wirft, bis für jeden einzelnen das entgegengesetzte Resultat auttritt, so bleiben natürlich die Wahrscheinlichkeiten für die reinen Gruppen zu 1, 2, 3 ... n genau dieselben. Die rseheinliehste Anzahl s n der reinen Gruppen zu n unter den N entstehenden S isolierten 1 ) reinen Gruppen ist dann proportional clor Wahrscheinlichkeit einer reinen Gruppe zu n zu setzen. Man erhält so (S. 281 ff.) 2 ) für die wahrscheinlichste Anzahl s n und für die wahrscheinlichste Anzahl S n der reinen Gruppen über n folgende Formeln: M 2 F 2 (I) s n - (M-i + F-') ^-^ N, (II) S n - (M ü + F n ) 53^ N. Unter der wahrscheinlichsten Anzahl S n der reinen Gruppen über n verstehe ich die wahrscheinlichste Anzahl der reinen Gruppen mit mehr als n Elementen. N bedeutet in den obigen Formeln die Anzahl der Elemente, also die Anzahl der m + der Anzahl der f. Wenn endlich ein einziger Spieler das Spiel nicht abbricht, nachdem es sich gezeigt hat, daß eine reine Gruppe zu n entstanden ist, sondern wenn er eine große Anzahl von Würfen nacheinander aufführt, so kann man, wie Grünbaum 3 ), Czuber 4 ) und ich 5 ) es getan haben, die wahrscheinlichste Anzahl der reinen Gruppen in dieser Reihe „verbundener" reiner Gruppen so berechnen, als ob die Reihe durch Zusammensetzung isolierter reiner Gruppen l ) Der Ausdruck „isolierte" Gruppe stammt von Grün bäum. *) Die Seitenhinweise im obigen Text beziehen sich auf die Seiten meines Buches. a ) H. Grünbaum a. a. 0. S. 7 ff. •) E. Czuber, Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Anwendung auf ftfclftfffHMgWdlimf. Statistik und Lebensversicherung. Bd. 1. Dritte Auflage. Leipzig und Berlin 1914. S. 164. *) K. Marbt-, Die Gleichförmigkeit in der Welt. München 1916. S. 281. 8 2. Neue Formeln. entstanden wäre. Man kann also auch hier die Formeln I, II be- nützen. Allerdings wird dabei der Umstand vernachlässigt, daß durch Aneinanderreihen gleichartiger reiner Gruppen höhere reine Gruppen entstehen. Will man ganz streng verfahren, so muß man auch den Um- stand berücksichtigen, daß bei einer fortlaufenden Reihe die Wahr- scheinlichkeit für eine reine Randgruppe zu n verschieden ist von der Wahrscheinlichkeit einer reinen Mittelgruppe zu n. Als Rand- gruppen wollen wir künftig die erste und letzte reine Gruppe einer Reihe bezeichnen; die dazwischen liegenden Gruppen sollen Mittel- gruppen heißen. Bezeichnen wir wie oben die beiden Elemente mit m und f, ihre Wahrscheinlichkeiten mit M und F, so bleibt die Wahrschein- lichkeit, daß am Anfang eine reine Gruppe zu n entsteht, ganz im Sinne unserer früheren Überlegungen M n F + F n M. Ebenso groß ist auch die Wahrscheinlichkeit, daß die letzte reine Gruppe eine reine Gruppe zu n ist. Anders ist jedoch im Sinne der neuen Betrachtung die Wahr- scheinlichkeit der Mittelgruppen zu bestimmen. Erwägt man, daß zur Entstehung einer reinen Mittelgruppe zu n diesen n Elementen erstens ein entgegengesetztes vorausgehen, zweitens ein entgegen- gesetztes folgen muß, so gelangt man für die Wahrscheinlichkeiten der Mittelgruppen zu folgender Zusammenstellung. Es ist die Wahrscheinlichkeit für eine reine Gruppe zu 1 gleich FMF+MFM = F 2 M + M 2 F 2 „ FMMF+MFFM = F 2 M 2 + M 2 F 2 3 „ FMMMF+MFFFM=F 2 M 8 +M 2 F 3 12 3 n 12 8 n^ n „ FMMM ... MF + MFFF ... FM = F 2 M n + M 2 F n Die Wahrscheinlichkeit der reinen Gruppen zu n, die bei einer großen Anzahl aufeinanderfolgender Spielresultate (nach Art 2. NftM Formeln. 9 - Spiels Wappen oder Zahl) oder bei einer großen Anzahl nach- einander registrierter Geburten entstehen können, ist demnach im Sinne der neuen Betrachtung eine verschiedene, je nachdem es pich um eine Rand- oder Mittelgruppe handelt. Zur Ableitung von s n und S n ist unter Berücksichtigung der verschiedenen Wahr- scheinlichkeiten beider Arten von Gruppen folgendes zu beachten. Kino reine Gruppe zun (1 <n^N — 1) Elementen kann entweder an der ersten oder an der zweiten . . . oder an der (N — n + l)-ten Stelle herinnen. Soll die reine Gruppe an der ersten oder an der N — n + l)-ten Stelle beginnen, so ist ihre Wahrscheinlichkeit gleich M n F + F n M; soll sie an einer der [(N — n + 1) — 2j = N — n — 1 übrigen Stellen beginnen, so ist ihre Wahrscheinlich- keit gleich F 2 M n + M 2 F n . Die wahrscheinlichste Anzahl s n der reinen Gruppen zu n wird daher bei N Einzelfällen durch die Formeln (III) s n =2(M n F + F n M) + (N-n-l)(F 2 M u + M 2 F n ), i<n^N-i, (III a) s N =M N + F N ausgedrückt. Um eine Formel für die wahrscheinlichste Anzahl (S ) aller reinen Gruppen, d. i. die wahrscheinlichste Anzahl der reinen Gruppen über abzuleiten, kann man die aus den Formeln III und lila sich ergebenden Ausdrücke für s 1? s 2 , s 3 . . . s N summieren. Auf diese Weise ergibt sich nach mehrfachen Umformungen die Gleichung: S = 2MF(N — 1) + 1. Es gibt aber auch einen bequemeren Weg, um S zu bestimmen, wenn man nämlich von dem in meinem Buch diskutierten Begriff der Wechselzahl 1 ) ausgeht. Unter Wechselzahl verstehe ich die Zahl, die angibt, wie oft ein Wechsel der Elemente innerhalb einer Komplexion vorkommt. Es ist daher z. B. die Wechselzahl für m m m m m m gleich ,, m f m m m f ,, 8 ,, m f m f m f ,, 5. *) K. Marbe, a. a. O. S. 242 ff . 10 2. Neue Formeln. Nun ist die wahrscheinlichste Anzahl S aller reinen Gruppen gleich der wahrscheinlichsten Wechselzahl + 1. Denn es tritt immer eine reine Gruppe mehr auf als Wechsel vorhanden sind, wie denn auch im obigen Beispiel den Wechselzahlen 0, 3, 5 die Zahlen 1, 4, 6 als Anzahlen der reinen Gruppen gegenüberstehen. Die Wahrscheinlichkeit eines Wechsels ist nun MF + FM = 2MF. Somit ist (IV) S = 2MF(N — 1) + 1. Dies ist genau die vorhin mitgeteilte Formel für S . dann weiterhin Si ~ So — s v S2 = Sj — 83, (IVa) S3 = s 2 — S3, Es ist Sn — S n -1 S n- Man braucht also, um die Werte für S v S 2 . . . zu gewinnen, einfach S nach der Formel IV zu bestimmen und seinen Wert sowie die Werte für s v s 2 , s 3 . . . in die obigen Formeln einzusetzen. Die alte zu den Formeln I, II und die neue zu den Formeln III, III a und IV, IVa führende Betrachtung können auch so charakterisiert werden. Jene fragt nach den wahrscheinlichsten Anzahlen der reinen Gruppen zu n unter einer Totalität von irgend- wie gegebenen reinen Gruppen und sie setzt die wahrscheinlichsten Anzahlen der reinen Gruppen zu 1, 2, 3 . . . proportional den Wahrscheinlichkeiten der entsprechenden nicht verbundenen reinen Gruppen. Diese fragt nach der Wahrscheinlichkeit einer reinen Gruppe zu n und nach der wahrscheinlichsten Anzahl aller reinen Gruppen unter einer Totalität von N aufeinanderfolgenden Ele- menten. Die Ableitung der Formeln III, III a und IV, IVa hat gegen- über meiner früheren Ableitung (S. 281 ff.) der jetzt mit I und II bezeichneten Formeln auch den Vorzug, daß hier im Gegensatz zur früheren Ableitung eine nur approximativ zulässige Erweiterung 2. Neue Formeln. 11 einer endlichen Reihe zu einer unendlichen nicht stattfindet. Ich hatte nämlich bei der Ableitung der Formel I aus praktischen Gründen angenommen, es sei die wahrscheinlichste Anzahl aller Gruppen $o = s i + S2 + «3 + • • • i wobei Sj die wahrscheinlichste Anzahl der reinen Gruppen zu 1 bedeutet, Natürlich kann aber tatsächlich eine reine Gruppe, die mehr als N Elemente enthält, überhaupt nicht auftreten. Da aber, wenn sicli wie bei meinem Material N nach Tausenden bemißt, die Summe der wahrscheinlichsten Anzahlen der Gruppen, die größer als N sind, gegenüber der Summe der wahrscheinlichsten Anzahlen der Gruppen, die gleich N oder kleiner als N sind, praktisch belanglos erscheint, so habe ich unbedenklich die übrigens praktisch durchaus zulässige Summation ins Unendliche vollzogen. Ähnlich verfuhr ich bei der Ableitung der Formel II. Es erscheint nun nicht zweifelhaft, daß wenn (wie dies bei den Untersuchungen meines Buches der Fall ist) tatsächlich aufeinander- folgende Spielresultate oder tatsächlich nacheinander registrierte Geburten vorliegen, die Anwendung der Formeln III, III a und IV, IV a und nicht die Anwendung der Formeln I und II geboten ist. Auch wenn es sich, wie bei meinem „Gesamtmaterial" um eine sehr große Anzahl von Geburten handelt, die aus vier großen Materialien aufeinanderfolgender Geburten zusammengesetzt sind, verdienen die neuen Formeln den Vorzug. Für M = F = — oder 2 für den Fall, daß M nahezu gleich F ist (und lediglich um solche Fälle handelt es sich in meinem Buch), führen aber die alten und die neuen Formeln nicht zu wesentlich verschiedenen Ergebnissen. AJle in meinem Buch mit Hilfe der alten Formeln abgeleiteten Schlüsse bleiben daher in genau der gleichen Weise bestehen, wenn man die neuen Formeln benützt. Dies soll im dritten Abschnitt dieser Schrift gezeigt werden. 12 2. Neue Formeln. Es lag auch nahe zu untersuchen, ob auch meine auf die Formeln I und II gestützten Schlüsse über die mittlere Abweichung oder Standardabweichung keine Veränderung erleiden, wenn man ihnen statt der Formeln I und II die neue Auffassung zugrunde legt. Ich habe in meinem Buch unter Verwendung der aus den Formeln I und II erhaltenen Werte die mittleren Abweichungen für die wahrscheinlichsten Anzahlen der reinen Gruppen zu n berechnet und sie mit den wirklichen Abweichungen verglichen. Die mittlere Abweichung für die wahrscheinlichste Anzahl der reinen Gruppen zu n führte nach meiner früheren Betrachtung (Seite 346 f.) zu der Gleichung (V) /'n yfc Sn (Seite 347), in die ich s n und S auf Grund der Formeln I und II einsetzte. Für die neue Berechnung von ^ n ist folgendes zu beachten: Die mittlere Abweichung ist allgemein ]/N . p . q , wobei p die Wahrscheinlichkeit des einen Elementes bzw. der einen Elementenkomplexion ist und wobei q = 1 — p. Es ist also die mittlere Abweichung für die wahrscheinlichste Anzahl der reinen Gruppen zu n , ==^- d. i. // n = i/NW n (1 — W D ). Da nun mit einer für unsere Zwecke vollständig genügenden s Annäherung W n = -5- gesetzt werden kann, so wird N S n (N — S n ) N (vi) , n= y Sn (i_|) = y Bei der neuen Berechnung der Werte von // n aus der Formel VI habe ich natürlich für s n die neuen aus Formel III berechneten Werte eingesetzt. Auch die neuen und die alten Werte von // n stimmen so gut miteinander überein, daß die neue Rechnungsweise an meinen Schlüssen aus den mittleren Abweichungen nichts ändert. Auch dies soll im folgenden Abschnitt •■/<i"i werden. li. Nachweis, daß man mittels der alten und neuen Formeln zu denselben Schlußsätzen gelangt. Zunächst teile ich vhw auf 8178 Ergebnisse des Spiels Wappen oder Zahl bezügliche Tabelle mit. Die wirklichen Anzahlen sind, wie man sieht, in der zweiten Kolumne unter A mitgeteilt, während die dritte Kolumne (Bj) die wahrscheinlichsten Anzahlen nach Formel I, die vierte (B m ) die wahrscheinlichsten Anzahlen nach Formel III bringt. Bei dieser und allen folgenden Tabellen wird die Seitenzahl meines Buches, auf welcher die entsprechende Tabelle stellt, in der Überschrift der Tabelle mitgeteilt. Da es sich in Tabelle 1 um das Spiel Wappen oder Zahl handelt, ist M = F = i. Tabelle 1. (S. 350). Wappen oder Zahl. Reine Gruppen zu A Wirkliche Anzahl Bi Wahrschein- lichste Anzahl nach Formel I B lll Wahrschein- lichste Anzahl nach Formel III A— B! A— B III 1 2163 2 1056 3 479 4 240 5 120 6 68 7 40 8 15 9 4 10 5 11 12 1 2044,5 1022,3 511,1 255,6 127,8 63,9 31,9 16,0 8,0 4,0 2,0 1,0 2045,0 1022,4 511,1 255,5 127,8 63,9 31,9 16,0 8,0 4,0 2,0 1,0 + 118,5 + 118,0 + + + + + 33,7 32,1 15,6 7,8 4,1 8,1 1,0 4,0 1,0 2,0 0,0 + + + + + 33,6 32,1 15,5 7,8 4,1 8,1 1,0 4,0 1,0 2,0 0,0 Man sieht sofort, daß die nach den beiden Formeln berechneten wahrscheinlichsten Anzahlen fast völlig übereinstimmen und daß 14 3. Nachweis, daß man mittels der alten und neuen Formeln die Unterschiede gegenüber den entsprechenden Differenzen zwischen wahrscheinlichsten nnd wirklichen Anzahlen absolut nicht ins Ge- wicht fallen. (Vergleiche die beiden letzten Kolumnen der Tabelle.) Wir sehen also, daß f ür M = F = iund für den Fall, daß N = 8178 2 oder größer ist, die Formeln I und III praktisch gleichwertig sind. Wir kommen daher zu dem Resultat, daß keine in meinem Buch benützte und in demselben mitgeteilte Tabelle, für welche M = F = - ist (S. 348 ff.), Werte von s n enthält, die von den mit der Formel III gewonnenen Werten in irgendeiner sachlich in Betracht kommenden Weise differieren. Folgende Tabelle 2 behandelt die reinen Gruppen zu n meines Gesamtmaterials in analoger Weise wie die Tabelle 1 das Material M . des Spiels Wappen oder Zahl behandelte. — ist für Tabelle 2 gleich ^°^ 5 = 1,04495387. 96143 Tabelle 2. (S. 285.) Gesamtmaterial der Geburten. A = wirkliche Anzahl Bi = wahrscheinlichste Anzahl nach Formel I Bill = >> » >> » HI a M = arithmetische Mittel Keine Grup- pen A Bi B III A— Bj aM A— B in aM zu 1 48619 49080,8 49128,7 -461,8 (-461,8) -509,7 (-509,7) 2 24282 24540,4 24552,4 -258,4 -270,4 3 12551 12276,1 12276,1 + 274,9 + 274,9 4 6169 6144,0 6141,0 + 25,0 + 28,0 5 3088 3076,4 3073,4 + 11,6 1 +10,0 + 14,6 1 +9,8 6 1534 1541,2 1538,9 - 7,2 , - 4,9 7 772 772,4 771,0 - 0,4 + 1,0 8 412 387,3 386,4 + 24,7 ! + 25,6 zu denselben Schlußsätzen gelangt. 15 Reine Grup- pen 1 B, Bill A- -Hl aM A- B III aM zu 1 189 194,3 193,8 . 11,3 10,8 10 91 97,5 97,2 — 0,5 — 0,2 11 50 49,0 48,8 + 1,0 + 1,2 12 26 24,6 24,5 + 1,4 + 1,5 13 14 12.4 12,3 + 1,6 } -1,6 ; + 1,7 | -1,5 14 1 6,2 6,2 — 5,2 — 5,2 IT, 4 3,1 3,1 + 0,9 + 0,9 16 1,6 1,6 — 1,6 — 1,6 16+x 1 1,6 1,6>) — 0,6 — 0,6 Wir sehen, daß die nach den beiden Formeln berechneten Werte nur für die Gruppen mit wenig Elementen größtenteils erheblich voneinander abweichen, während hingegen die Unter- schiede bei den Gruppen mit 9 und mehr Elementen, soweit Unter- schiede überhaupt bei der Abrundung auftreten, nicht ins Gewicht fallen. Insbesondere sehen wir jedoch, daß die Werte für die arith- metischen Mittel (a M) der Gruppen zu 2 bis 8 und der Gruppen zu 9 bis 17 nach beiden Formeln praktisch als gleich bezeichnet werden können. Auch die Überlegung hinsichtlich der Vorzeichen, die ich in meinem Buch S. 287 angestellt habe, erleidet, wie eine Unter- suchung ergab, keinerlei Veränderung, wenn man statt mit der Formel I mit der Formel III operiert. Berechnet man ferner % einzeln für die vier Städte Würzburg, Fürth, Augsburg, Frei- burg i. Br. und bildet man die entsprechenden Werte von A — B nach beiden Formeln, so kommt man (vgl. S. 286) nach Formel I zu dem Mittelwert — 114,2, nach der Formel III zu dem Mittel- wert — 133,7; die drei negativen Differenzen sind hier noch größer, die positive (22,5) noch kleiner als nach Formel I (35,0) 2 ). Hiermit 1 ) Dieser Wert wurde nach Formel IVa berechnet, der entsprechende unter Bj mitgeteilte Wert war nach Formel II berechnet worden. 2 ) Die negativen Differenzen, die für Bj bei den Städten Fürth, Augs- burg, Freiburg auftreten, sind nach Formel I: 240,5; 122,6; 128,6. III: 254,0; 130,7; 144,7. lü 3. Nachweis, daß man mittels der alten und neuen Formeln bleiben auch die auf diesen Punkt bezüglichen Bemerkungen meines Buches durch die Verwendung der Formel III unberührt. Somit sind alle in meinem Buch aus den reinen Gruppen zu n meines Gesamtmaterials gezogenen Schlüsse auch gültig, wenn man s n nach der Formel III berechnet. Besonderen Wert habe ich in meinem Buch (S. 289 oben) auf den Vergleich zwischen Theorie und Erfahrung im Gebiet der Gruppen über n gelegt. Ich teile nun fünf Tabellen mit, in denen die Werte von S n nach beiden Formeln berechnet sind. M M Für Tab. 3 ist ^ = 1,04495387 Für Tab. 6 ist ^ = 1,03578528 = 1,04527298 = 1,04714700 1,05167593 Tabelle 3. (S. 289.) Gesamtmaterial der Geburten. A = wirkliche Anzahl B n = wahrscheinlichste Anzahl nach Formel II ■t>4 == »» . »» », »> a M = arithmetische Mittel IV und IVa Reine Grup- A Bn B 4 A— B n aM A— B 4 aM pen über 97803 98209,0 98257,0 — 406,0 (-406,0) -454,0 (-454,0) 1 49184 49128,2 49128,2 + 55,8 + 55,8 2 24902 24587,9 24575,9 + 414,1 + 326,1 3 12351 12311,7 12299,7 + 39,3 + 51,3 4 6182 6167,7 6158,7 + 14,3 • + 78,1 + 23,3 ► + 70,2 5 3094 3091,3 3085,3 + 2,7 + 8,7 6 1560 1550,1 1546,4 + 9,9 + 13,6 7 788 777,7 775,4 + 10,3 + 12,6 8 376 390,3 389,0 - 14,3 - 13,0 9 193 196,0 195,2 - 3,0 - 2,2 10 96 98,5 98,0 - 2,5 - 2,0 11 46 49,5 49,3 - 3,5 - 3,3 12 20 24,9 24,8 - 4,9 - - 4,3 - 4,8 ► - 4,0 13 6 12,5 12,4 — 6,5 - 6,4 14 5 6,3 6,3 - 1,3 - 1,3 15 1 3,2 3,2 - 2,2 - 2,2 16 1 1,6 1,6 - 0,6 1 - 0,6 zu denselben Schlußsätzen gelangt. 17 Tabelle 4. (S. 292.) Würzburger Geburten. Zeü'hen bodeutnng wie in Tabelle 3. Reine Grnp- MO A Bn B 4 A-B„ aM A— B 4 aM aber 24663 24551,9 24564,5 + 111,1 (+111,1) + 98,5 ( + 98,5) 1 12358 12282,0 12282,0 + 76,0 + 76,0 2 6174 6147,0 6143,9 + 27,0 1 + 8,3 + 30,1 • +10,4 3 3000 3078,0 3074,9 - 78,0 - 74,9 4 1511 1542,0 1539,7 - 31,0 - 28,7 5 731 772,9 771,3 - 41,9 - 40,3 6 369 387,6 386,6 - 18,6 - 17,6 7 182 194,4 193,9 - 12,4 1 - 18,3 - 11,9 \ -17,4 8 84 97,6 97,3 - 13,6 - 13,3 9 43 49,0 48,8 - 6,0 - 5,8 10 20 24,6 24,5 - 4,6 - 4,5 11 11 12,4 12,3 - 1,4 - 1,3 12 13 4 1 6,2 3,1 6,2 3,1 - 2,2 - 2,1 | - 1,6 - 2,2 - 2,1 - 1,6 14 1 1,6 1,6 - 0,6 - 0,6 Tabelle 5. (S. 292.) Fürther Gebu Zeichen bedeutung wie in Tabelle 3. Reine Grup- pen A Bn B 4 A-B n aM A— B 4 aM über 24364 24549,9 24563,5 -203,9 (- 203,9) -199,5 (- 199,5) 1 12318 12281,5 12281,5 + 36,5 | + 36,5 2 6262 6147,3 6143,9 + 114,7 } + 59,6 + 118,1 + 61,8 3 3106 3078,5 3075,1 + 27,5 1 + 30,9 4 1526 1542,5 1540,0 - 16,5 - 14,0 5 791 773,3 771,6 + 17,7 + 19,4 6 394 387,9 386,8 + 6,1 + 7,2 7 208 194,6 194,0 + 13,4 | + 4,3 + 14,0 1+ 5,2 8 106 97,7 97,4 + 8,3 + 8,6 9 48 49,1 48,9 - 1,1 - 0,9 10 27 24,7 24,6 + 2,3 + 2,4 11 11 12,4 12,3 - 1,4 - 1,3 j 12 13 5 2 6,2 3,1 6,2 3,1 - 1,2 - 1,1 > - 0,8 - 1,2 - 1,1 1- 0,8 14 2 1,6 1,6 + 0,4 + 0,4 ) Marbe, Mathematische Bemerkungen zu „Die Gleich förmlgkeit i. d. Welt". 18 3. Nachweis, daß man mittels der alten und neuen Formeln Tabelle 6. (S. 293.) Augsburger Geburten. Zeichenbedeutung wie in Tabelle 3. Reine Grup- pen A Bn B 4 A-B n aM A— B 4 aM über 24371 24560,8 24568,9 -189,8 (- 189,8) -197,9 (- 197,9) 1 12217 12284,2 12284,2 - 67,2 - 67,2 2 6227 6145,9 6143,9 + 81,1 i + 26,4 + 83,1 | + 27,7 3 3141 3075,8 3073,8 + 65,2 + 67,2 4 1605 1539,8 1538,3 + 65,2 + 66,7 5 792 771,1 770,1 + 20,9 + 21,9 6 397 386,3 385,6 + 10,7 + 11,4 7 195 193,5 193,2 + 1,5 1+ 16,0 + 1,8 1 + 16,6 8 101 97,0 96,8 + 4,0 + 4,2 9 57 48,6 48,5 + 8,4 + 8,5 10 26 24,4 24,3 + 1,6 + 1,7 11 13 12,2 12,2 + 0,8 + 0,8 12 13 5 2 6,1 3,1 6,1 3,1 - 1,1 - 1,1 ► - 0,5 - 1,1 - 1,1 - 0,5 14 1 1,5 1,5 - 0,5 - 0,5 Tabelle 7. (S. 293.) Freiburger Geburten. Zeichen bedeutung wie in Tabelle 3. Reine Grup- pen A Bn B 4 A- -B„ aM A- -B 4 aM über 24426 24544,8 24560,9 118,8 (-118,8) 134,9 (- 134,9) 1 12290 12280,2 12280,2 + 9,8 + 9,8 2 6238 6147,9 6143,9 + 90,1 J + 41,4 + 94,1 - -f 44,0 3 3104 3079,8 3075,8 + 24,2 + 28,2 4 1540 1543,8 1540,8 — 3,8 — 0,8 5 779 774,3 772,3 + 4,7 + 6,7 6 400 388,6 387,4 + 11,4 + 12,6 7 203 195,2 194,4 + 7,8 1+ 0,1 + 8,6 |+ 1,2 8 85 98,1 97,6 — 13,1 — 12,6 9 45 49,3 49,1 — 4,3 — 4,1 10 23 24,8 24,7 — 1,8 — 1,7 11 11 12,5 12,4 — 1,5 j — 1,4 12 13 6 1 6,3 3,2 6,3 3,2 0,3 2,2 1 W : 0,3 2,2 - 1.1 14 1 1,6 1.6 — 0,6 1 — 0,6 zu denselben SchlußsAtzen gelangt. 19 Auch diese Tabellen zeigen, daß die nach beiden Formeln berechneten Wert« zwar vielfach differieren, daß diese Differenzen aber auf die in meinem Buch gezogenen Schlüsse nicht den aller- geringsten Einfluß haben, da sowohl die Werte nach Formel II als die nach Formel IV und IV a die von mir behaupteten Unter- schiede zwischen Theorie und Erfahrung bekunden. Das arith- metische Mittel der (A — B)-Werte für die Gesamtheit der reinen Gruppen, also der Gruppen über ist für Würzburg + Fürth + Augsburg -f Freiburg nach Formel II gleich — 100,4 (vgl. S. 290), nach Formel IV gleich — 108,5. Auch die auf diesen Mittelwert gestützten Überlegungen erweisen sich somit als haltbar. Meine (S. 294) aus den Vorzeichen gezogenen Schlüsse bleiben deshalb unumstößlich, weil, wie ein Blick auf die vier letzten Tabellen zeigt, die Vorzeichen sich nach der neuen Rechnungsweise nicht ändern. Endlich ergibt sich auch, daß der Satz „Von n = 9 an bleibt die wirkliche Anzahl der reinen Gruppen über n hinter der wahrscheinlichsten mit wachsender Gruppen- größe verhältnismäßig immer mehr zurück'* sowohl bei Benützung der Formel II als der Formel IV zutrifft. Dies zeigt folgende Tabelle. Tabelle 8. (S. 296.) Gesamtmaterial der Geburten. Reine A— Bn A— B 4 Gruppen in % von aM in % vori aM über Bn Biv (bzw. Biva) - 0,4 (- 0,40) - 0,5 (- 0,50) 1 2 4- 0,1 4- 1,7 } + 0,90 4- 0,1 4- 1,3 } + 0,70 3 4 4- 0,3 4- 0,2 J 4- 0,25 4- 0,4 4- 0,4 } 4- 0,40 5 6 4- 0,1 4- 0,6 ♦ 0,35 4- 0,3 4- 0,9 } 4- 0,60 7 8 + 1,3 - 3,7 1- 1,20 4- 1,6 - 3,3 } - 0,85 2* 20 3. Kachweis, daß man mittels der alten und neuen Formeln Reine Gruppen über A— Bn in % von Bn A— B 4 in % von Biv (bzw. Biva) aM 9 10 11 12 13 14 15 16 1,5 2,5 7,1 19,7 52,0 20,6 68,8 37,5 !- 2,00 13,40 - 36,30 - 53,15 1,1 2,0 6,7 19,4 51,6 20,6 68,8 37,5 ]- 1,55 13,05 36,10 53,15 Nach der guten Übereinstimmung der Resultate beider Formeln für den Fall, daß M nahezu gleich F ist, wird man ohne weiteres erwarten müssen, daß die nach beiden Formeln gewonnenen Werte für die reinen Gruppen über n noch besser übereinstimmen, wenn M genau gleich F ist. Dies ist der Fall. Für meine S. 338 mitgeteilte auf das Spiel Wappen oder Zahl bezügliche Tabelle ergab sich nach der neuen Rechnung für S der Wert 4089,5 gegenüber 4089,0, während die Werte für S x zusammenfielen, die von S 2 um zwei Zehntel, alle übrigen nur um ein Zehntel differierten. Wir kommen daher zu dem Resultat, daß auch alle meine Schlüsse betreffs der Gruppen über n (S. 289 ff. und S. 337 ff.) ganz unabhängig davon haltbar sind, ob man die wahrscheinlichsten Anzahlen der Gruppen über n nach Formel III oder nach Formel IV und IV a berechnet. In Tabelle 9 teile ich die alten nach Formel V und die neuen nach Formel VI berechneten Werte der mittleren Ab- weichung mit. zu denselben wSchlußsatzen gelangt. 21 Tabelle 9. (S. 348 bis 853.) Mit t lnc Abweichungen bei den Glücksspielen. - 348) b (S 350) c (S. 351) d (S. 353) Keine Gnppoo zu Roulett« nach Henri und Pearson Wappen oder Zahl Roulette nach Henri und Marbo Roulette nach „Le Monaco" und Poarson V VI v VI V VI V VI 1 61,8 75,7*) 32,0 39,2 78,4 96,0 32,0 39,2 2 53,5 57,8 27,7 29,9 67,9 73,3 27,7 29,9 3 40,9 42,3 21,1 21,9 51,8 53,7 21,1 21,9 4 29,9 30,4 15,5 15,7 37,9 38,6 15,5 15,7 5 21,5 21,7 IM 11,2 27,3 27,5 11,1 11,2 6 15,3 15,4 7,9 8,0 19,4 19,5 7,9 8,0 7 10,9 10,9 5,6 5,6 13,8 13,8 5,6 5,6 8 7,7 7,7 4,0 4,0 9,8 9,8 4,0 4,0 9 5.5 5,5 2,8 2,8 6,9 6,9 2,8 2,8 10 2,0 2,0 4,9 4,9 2,0 2,0 11 1,4 1,4 3,5 3,5 1,4 1,4 12 1,0 1,0 2,4 2,4 1,0 1,0 13 1,7 1,7 14 1,2 1,2 Man sieht sofort, daß die nach beiden Formeln gewonnenen Zahlen nur für die Gruppen zu 1 bis 6 differieren, während sie für die höheren Gruppen völlig zusammenfallen. Folgende Tabelle 10 gibt die der Tabelle 9 entsprechenden Werte des Quotienten Wirkliche Abweichung . . Mittlere Abweichung dle lch früher nut dem Buchstaben V be- zeichnet habe, sowohl nach Formel V als nach Formel VI. Die über- nächste Tabelle 11 enthält den Quotienten .-. J1 . t-, \ U - Mittlere Abweichung für die Städte Würzburg, Fürth, Augsburg und Freiburg i. Br. *) Dies ist genau der Wert Pearsons, der nach unserer Formel VI gerechnet zu haben scheint. Früher (Die Gleichförmigkeit in der Welt 8. 348) hatte ich angenommen, daß dieser Wert Pearsons auf einem Irrtum beruhen müsse. 22 3. Nachweis, daß man mittels der alten und neuen Formeln Tabelle 10. (S. 348 bis 853.) Quotienten bei den Glücksspielen. Eeine i 1 b c ( 1 Gruppen zu V VI V VI V VI V VI 1 4,4 3,6 3,7 3,0 1,1 0,9 13,0 10,7 2 0,8 0,7 1,2 1,1 1,4 1,3 2,8 2,6 3 0,5 0,4 1,5 1,5 0,3 0,2 8,4 8,1 4 0,5 0,4 1,0 1,0 0,4 0,4 2,3 2,3 5 0,9 0,9 0,7 0,7 0,0 0,0 0,6 0,6 6 0,3 0,3 0,5 0,5 0,3 0,3 2,2 2,1 7 0,2 0,2 1,4 1,4 0,5 0,5 2,0 2,0 8 1,5 1,5 0,3 0,3 0,6 0,6 3,5 3,5 9 0,9 0,9 1,4 1,4 2,6 2,6 1,4 1,4 10 0,5 0,5 0,8 0,8 1,5 1,5 11 1,4 1,4 1,1 1,1 2,1 2,1 12 0,0 0,0 1,3 1,3 0,0 0,0 13 0,0 0,0 14 1,3 1,3 Tabelle 11. (S. 351.) Quotienten bei den Geburten der vier Städte. Reine Gruppen Würzburg Fürth Augsburg Freiburg zu V VI V VI V VI V VI 1 0,4 0,2 3,1 2,6 1,6 1,4 1,6 1,5 2 0,7 0,6 1,2 1,1 2,2 2,1 1,2 1,2 3 2,0 2,0 1,7 1,6 0,3 0,3 1,3 1,2 4 1,2 1,2 1,2 1,2 0,0 0,0 0,7 0.8 5 0,4 0,4 1,3 1,2 1,6 1,6 0,3 0,3 6 1,2 1,2 0,6 0,6 0,5 0,5 0,3 0,3 7 0,4 0,4 0,5 0,5 0,7 0,7 0,3 0,3 8 0,1 0,1 0,5 0,5 0,3 0,2 2,1 2,2 9 1,1 1,1 1,3 1,4 0,6 0,6 1,3 1,2 10 0,3 0,3 0,7 0,7 1,4 1,4 0,5 0,5 11 0,9 0,9 1,1 1,1 0,2 0,3 0,1 0,1 12 0,3 0,4 0,1 0,0 0,8 0,8 0,5 0,5 13 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 0,0 1,1 1,1 14 1,2 1,3 1,2 1,2 0,4 0,4 1,2 1,2 tu ilt'iiaelbcn Schlußsätzen gelangt. l>:*, Man sieht BOgleich, daß die nach beiden Formeln berechneten Quotienten bei den Gruppen 1 bis 8 durchschnittlich größer sind als bei den übrigen Gruppen. Dies wird direkt durch die folgende Tabelle 19 klar, in der ich die alten Werte unter den neuen in Klammern beifüge. Allerdings sind bei den Gruppen 1 bis 3 die neuen Werte kleiner als die alten; auch ist bei den neuen Werten in einem Fall, nämlich beim Roulettespiel nach Henri und Marbe, das Mittel aus den Quotienten für die Gruppen 1 bis 8 eine Spur kleiner als das Mittel aus den Quotienten für die übrigen Gruppen. Die Spielresultate, die Pearson aus der Zeitung „Le Monaco" entnommen hatte, erfüllen gleichfalls unsere betreffs der Quotienten behauptete Gesetzmäßigkeit. Sie sind aber hier ebenso wie in der entsprechenden Tabelle meines Buches aus guten Gründen (S. 354) weggelassen. Tabelle 12. (S. 357.) Arithmetische Mittel der Quotienten. Wappen oder Zahl Roulette nach Henri und Pearson Roulette nach Henri und Marbe Würz- burg Fürth Augs- burg Frei- burg Reine Gruppen zu 1, 2, 3 1,87 (2,13) 1,57 (1,90) 0,80 (0,93) 0,93 (1,03) 1,77 (2,00) 1,27 (1,37) 1,30 (1,37) Reine Gruppen zu 4, 5 . . . 0,80 (0,80) 0,70 (0,72) 0,81 (0,81) 0,67 (0,65) 0,77 (0,78) 0,59 (0,60) 0,77 (0,76) Zählt man (wiederum unter Vernachlässigung dieser von Pearson benützten Werte zweifelhafter Provenienz) in den Tabellen 10 und 11 die Quotienten, die gleich oder größer als 1 sind, für die Gruppen 1 bis 3 und für die Gruppen 4, 5 usw. aus, und zählt man für die Gruppen 1 bis 3 und 4, 5 ... die Quotienten, die kleiner als 1 sind, so gelangt man zu folgender Tabelle, in der wiederum die alten Werte in Klammern beigefügt sind. Auch sie zeigt, daß die neuen Formeln an meiner alten Betrachtung nichts ändern. 24 3. Nachweis, daß man mittels der alten und neuen Formeln etc. Tabelle 13. (S. 358.) Der Quotient (V) ist 1 oder > 1 I < 1 Reine Gruppen zu 1, 2, 3 14 mal (15 „ ) 7 mal (6 „ ) Reine Gruppen zu 4, 5 24 mal (24 „ ) 46 mal (46 „ ) Wir haben nun das ganze einschlägige Material meines Buches nach den neuen Formeln geprüft und wir haben gesehen, daß alle meine Schlüsse hinsichtlich der Abweichung von Theorie und Er- fahrung in genau der gleichen Weise zutreffen, wenn wir statt der alten Formeln die neuen Formeln anwenden. Allerdings werden meine Lehren über die Abweichung von Theorie und Erfahrung auch durch eine Reihe von Tabellen (S. 306 ff., S. 365, S. 876) gestützt, die mit den hier behandelten Formeln nichts zu tun haben. In den Tabellen S. 365 und S. 376 sind überhaupt keine speziellen Formeln, sondern bloße Abzahlungen zugrunde gelegt worden. ' ••' P M \ ^4