Karl Kraus

Nachts

이윤진이카루스 2011. 12. 29. 12:05

NACHTS

VON

KARL KRAUS



LEIPZIG

VERLAG DER SCHRIFTEN VON KARL KRAUS

(KURT WOLFF)



i 1 4 1973 i|



pr



Zweite Auflage.

Gedruckt bei Jahoda & Siegel, Wien III,

im Herbst 1918.



DEM ANDENKEN DER FREUNDIN
ELISABETH REITLER



Eros



/



Er mit dem Geist und sie mit der Sciiönheit
mußten auseinander und hinaus. Es mit der Technik
schafft da und dort Ersatz.



Die Lust des Mannes wäre nur ein gottloser
Zeitvertreib und nie erschaffen worden, wenn sie
nicht das Zubehör der weiblichen Lust wäre. Die
Umkehrung dieses Verhältnisses zu einer Ordnung,
in der sich eine ärmliche Pointe als Hauptsache
aufspielt und nachdem sie verpufft ist, das reiche
Epos der Natur tyrannisch abbricht, bedeutet den
Weltuntergang: auch wenn ihn die Welt bei tech-
nischer, intellektueller und sportlicher Entschädigung
durch ein paar Generationen nicht spürt und nicht
mehr Phantasie genug hat, sich ihn vorzustellen.



Es ist gut, daß es der Gesellschaft, die daran
ist, die weibhche Lust trocken zu legen, zuerst mit
der männlichen Phantasie gelingt. Sie wäre sonst
durch die Vorstellung ihres Endes behindert.



Der Mann hat keinen persönlicheren Anteil au
der Lust, als der Anlaß an der Kanst. Und wie jeder



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Anlaß überschätzt er sich und bezieht es auf sich.

Der einzelne Lump sagt auch, ich hätte über ilin

geschrieben, und hält seinen Auteil für wichtiger

als den meinen. Nun könnte er noch verlangen, daß

ich ihm treu bleibe. Aber die Wollust meint alle und

gehört keinem.

*

Das Weib nimmt einen für alle, der Mann alle

für eine.

*

Die Lust hat es nur mit dem Ersatzmann zu
tun. Er steht für den andern, für alle oder für sich
selbst. Der ganze Mann in der Lust ist ein Greuel
vor Gott. Hierin dürfte die Wedekindsche Welt
begrenzt sein: vor dem tief erkannten Naturbestand
des Weibes die tief gefühlte Sehnsucht des Rivalen.
Weibliche Genußfähigkeit als Ziel des Mannes, nicht
als geistige Wurzel. Anspruch einer physischen
Wertigkeit, mit der sich's in Schanden bestehen
ließe. Nicht Kräfte, die einander erschaffen, sondern
Lust um der Lust willen. Tragisch das Weib erfaJßt,
weil es anders sein muß als von Natur, und damit
eine Tragik des Mannes gepaart, weil er anders von i
Natur ist. Aber tragisch wird nur das weibHch Un-
begrenzte an einer Ordnung, die sich die männliche
Begrenztheit erfunden hat. Diese ist nicht tragisch,
sondern nur traurig von Natur, und hassenswert,
weil sie die Freiheit des Weibes in das Joch ihrer
Eitelkeit spannt, den eigenen Defekt an der Fülle
rächt und etwas beraubt, um es zu besitzen. Hier
ist nicht Schicksal, sondern ein Zustand, dessen



LI



Verlängerung, ja Verewigung selbst keine Schöpfer-
kraft gewährte. Denn in nichts wird die Hemmungs-
losigkeit des Mannes umgesetzt. Sie bleibt irdisch.
Die Lust aber, die der Erdgeist genannt wird, braucht
ihi'en Zunder, doch auf den Funken kommt es an,
den sie in eine Seele wirft. Dieser Dichter hat Luiu
erkannt; aber er beneidet ihren Rodrigo. Dieses Genie
der Begrenztheit — in der genialen Hälfte genialer
als irgendein Ganzer im heutigen Deutschland —
sehe ich in den Anblick des Fremisr'schen Gorilla
vertieft. Um die Ohnmacht der Frau — ihr Anblick
gibt den Engeln Stärke, wenn keiner sie ergründen
mag — weiß er. Aber die Kraft des Tieres scheint
ihm zu imponieren.



»Bei mir besteht die intimste Wechselwirkung
zwischen meiner Sinnlichkeit und meinem geistigen
Schaffen«, bekennt Lulus Aiwa mit der seinem Dichter
eigentümlichen großartigen Sachlichkeit. Aber da ist
jene, die Sinnlichkeit, im Vorsprung. Es heiße so:
»Bei mir besteht die intimste Wechselwirkung zwischen
deiner Sinnlichkeit und meinem geistigen Schaffen!«



Sein Dichten bot einen zentaurenhaften Anblick :
unten war die Lust eines Hengstes, die sich zum
Geist eines Mannes fortsetzte.



Er, der genug Kraft hat, um seine Welt aus
dem Geschlecht zu erschaffen, aber nicht genug



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Geist, um sie daraus zu erlösen, schrieb den Satz:
»Zwischen ihm und zwischen ihr hat sich
etwas abgespielt.« Damit hatte er unbedingt seine
bedingte Wahrheit gesag-t und dem Erdgeist alles
gegeben, w-as notwendig ist, damit auch zwischen
ihm und ihr sich etwas abspiele und damit sich
auch etwas abspiele, was nicht nur jedem eigen-
tümlich ist wie das Geschlecht, sondern beiden gemein-
sam wie der Geist.



Dieser Dichter war nur schamlos aus lauter
Schamgefühl, Er schämte sich so sehr seiner Sittlich-
keit, daß er sich Stoffe umhing, an denen das
Publikum Anstoß nahm.



Wenn man nur beizeiten den Kindern verboten
hätte, sich zu schneuzen, die Erwachsenen würden
schon rot werden dabei.



Sexuelle Aufklärung ist jenes hartherzige Ver-
fahren, wodurch es der Jugend aus hygienischen
Gründen versagt wird, ihre Neugierde selbst zu
befriedigen.



Sexuelle Aufklärung ist insoweit berechtigt, als
die Mädchen nicht früh genug erfahren können, wie
die Kinder nicht zur Welt kommen.



13



Es gibt eine Pädagogik, die sich sciion zu Ostern
entschließt, die Jugend schonend darauf vorzubereiten,
was im geheimnisvollen Zimmer am Christbaum hängt.

*

Die Tragik des Gedankens, Meinung zu werden,

erlebt sich am schmerzlichsten in den Problemen des

erotischen Lebens. Das geistige Erlebnis läßt hier Reue

zurück, wenn es jene ermuntert, die bestenfalls recht

haben können. Und so mag es gesagt sein: Jedes

Frauenzimmer, das vom Weg des Geschlechts in den

männlichen Beruf abirrt, ist im Weiblichen echter,

im Männlichen kultivierter als die Horde von

Schwächlingen, die es im aufgeschnappten Tonfall

neuer Erkenntnisse begrinsen und die darin nur

den eigenen Mißwachs erleben. Das Frauenzimmer,

das Psychologie studiert, hat am Geschlecht weniger

gefehlt, als der Psycholog, der ein Frauenzimmer ist,

am Beruf.

*

Wenn eine Frau ein Genie ist, dann ist sie es

höchstens die paar Tage, die eine Frau dafür büßt,

daß sie ein Weib ist. All die andere Zeit aber

dürfte sie dafür büßen, daß sie ein Weib und ein

Genie ist.

*

WeibHche Juristen? Juris uterusque doctor?
Blutiger Dilettantismus !

*

Weibliche Doktoren — warum denn eigentlich
nicht? Warum sollen sie's nicht treffen? Ich



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kenne so wenige männliche Doktoren, daß ich mir
oft denke, hier muß ein starker Bedai-f sein, und da
die Weiber doch eben das Zeug haben, das den
Mihmern fehlt, so werden sie's schon machen. Männer
fürchten sich nicht vor Weibern. Somit kann der
Widerstand gegen die Frauenbewegung nur die
Furcht der Weiber vor den Männern sein.



Das Kleid macht nicht den Mann. Das gilt
jetzt nicht mehr in sozialer, sondern nur noch in
sexueller Beziehung. Das Kleid macht nicht das
Weib. Das gilt erst jetzt.

Ich lasse mich durch keinen Vollbart mehr
täuschen. Ich weiß schon, welches Geschlecht hier
im Haus die Hosen anhat.



Meine Eroberungen sind Halbmänner ; denn die
Halbweiber halten es mit diesen.



Das Weib ist von der Geste betäubt ; der Mann
habe Achtung vor dem Inhalt. Da es die beiden
Typen nicht mehr gibt, so bin ich auf jenen trüb-
seligen Mischmasch angewiesen, der in die Hosen
gefahren ist und mich in Liebe und Haß umgeilt. Ich
muß immer neun Zehntel der Verehrung abziehen, um
auf den brauchbaren Rest zu kommen. Wie wenig
Menschentum bleibt, wenn sich das Femininum ver-
flüchtigt hat!



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Meine Wirkung ist nur die des Spielers auf
das Weib. Im Zwischenakt sind alle gegen mich,
je mehr sie im Akt bei der Sache waren.

*

Weibersachen kann ich höchstens in meinen
Vorlesungen brauchen. Dort unterstützen sie die
Wirkung und machen an meinen Nerven gut, was
sie in der Literatur an ihnen gesündigt haben. Mit
Händen soll man applaudieren und nicht schreiben.
Ich mit den meinen möchte lieber ohrfeigen als
schreiben, wenn nicht die Gefahr bestünde, daß es
als Gewährung empfunden wird und eine zärtliche
Stimme bebend flüstert : Noch !

*

Den tiefsten und echtesten Beweis ihrer Ver-
ehi'ung sind sie mir schuldig geblieben : die eigene
Überflüssigkeit zu erkennen und bei meinen Leb-
zeiten wenigstens literarisch abzudanken. Solange
ich diese Wirkung nicht erzielt habe, glaube ich
nicht an die Nachhaltigkeit meines Einflusses.
Oderint, dum metuant. Mögen sie lieben, wenn sie

nur nicht schreiben !

*

Viele Herren, denen ich den Laufpaß gegeben
habe, haben sich dadurch in ihren weiblichsten
Empfindungen verletzt gefühlt.

*

Ich bin vorsichtig geworden. Als ich einmal
einen Anbeter hinauswarf, wollte er mich wegen
Religionsstörung anzeigen.



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Der Mann muß die Weiber totschweigen, weil
sie von ihm genannt werden wollen. Sie sollen ihn
totschweigen; denn er will Ruhe haben.



Wenn mich einer eitel und gemein nennt, so
weiß ich, daß er mir vertraut und mir etwas zu
beichten hätte.

Aufregen kann ich sie alle. Jeden einzelnen zu
beruhigen, geht über meine Kraft.



Männlichkeit beweist sich jetzt nur an jenen,
die ihr erliegen. Denn der Mann, der mich achtet,
könnte sich irren. Das Weibliche irrt nie, weil es
nicht durch Urteil spricht, sondern durch Unruhe.
Warum mache ich doch Wesen unruhig, die
schmutzige Finger haben!



Ihr wart nicht hübsch genug und nicht genug
mutig, junge Kastraten, in einem bestimmten Punkt
eurer Entwicklung, da ihr zum Mann eure Blicke
aufzuschlagen begännet, euch vom erstbesten mit-
nehmen zu lassen. So hat sich euer Trieb in die
Büsche des Intellekts geschlagen und tobt nun in einem
Dschungel von Sperma und Druckerschwärze. Und
so ist das Inferno dieser letzten Literatur entstanden.
Und ich, auf den alle Fliegen fliegen, bin das
Opfer. Fragt man so einen, warum er mich hasse,
so antwortet er : Er hat mich nicht angesehn ! Oder :



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Er ist da und man sieht mich nicht! Oder: Ich
spreche wie er und man hört ihn ! Journalisten waren
ehedem eine verlorene Abart von Mann. Ich weiß
schon, welchen Beruf die heutigen verfehlt haben.



Ich vielgeliebter, schöner, grausamer Mann,
was habe ich ihnen nur angetan? Nichts, und das
ist es eben. Wie sehne ich mich aus dieser Position
einer Einsamkeit, die von so vielen geteilt wird !
Wenn ich Gefangene gemacht habe und sie mich
nicht mehr loslassen, so will ich auf die Gefangenen
verzichten, und tue ich das, so werde ich erst recht
das Opfer der Beute. Schafft denn Ruhe nicht Ruhe?
Wird denn das erotische Gesetz, daß Entfernung
nähert, bei mir nie eine Ausnahme machen? Wenn
ich Selbstmord begehe, sind sie erschossen!



Eine der verkehrungswürdigsten Redensarten
ist die von den schlechten Beispielen, die gute Sitten
verderben. In einem vaginalen Zeitalter kann das nur
von den guten Beispielen behauptet werden. Denn
das Frauenzimmer, das in einem Burschen von heute
herumrumort, hat den fatalen Hang zur Ich-Behauptung.
Daß sein Ich weniger ist als Hundedreck, sieht es
nicht ein ; im Gegenteil wird es immer das Gegenteil
von dem tun wollen, ivas der männliche Verstand
für gut erkannt hat. Ich habe Burschen neben mir
herumwetzen gesehn, die mir nicht allein wider-
sprachen, wiewohl ich recht hatte, sondern eben des-
halb. Das waren sicher nicht werdende Männer. Denn



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für den Mann ist das Rechthaben keine erotische
Angelegenheit und er zieht das fremde Recht dem
eigenen Unrecht gut und gern vor. Tut er das
aber, so sagt der andere, der kein Mann ist, er
habe es nur mir zuliebe getan. Es ist das deutliche
Kennzeichen einer hysterisch verwirrten Umgebung,
daß das, was in Erfüllung einer ethischen Forderung
geschehen muß, auf Rechnung der Abhängigkeit von
mir gesetzt wird. Ist meine Ansicht mit jener
Forderung eben identisch — was wohl öfter der Fall
sein wird, weil ich sonst solchen Einfluß nicht erlangt
hätte — , so werden die meisten jungen Leute lieber
unanständig handeln, als daß sie in einen Schein der
Abhängigkeit von mir kommen wollten. Es sind die
Ich-Behaupter. Vom Ich ist dann freilich nur eine
Gemeinheit zu sehen, und die Abhängigkeit, deren
Schein vermieden werden sollte, ist durch die strikte
Befolgung des Gegenteils bewiesen. Mit Anstand
unter mir zu leiden, das verstehen wenige. Mit mir,
noch weniger. Wenn ich unter hundert fünf kennen
gelernt hätte, die darum, weil sie jünger oder
schwächer waren als ich, nicht unglücklich, unruhig,
geisteskrank oder schuftig wurden, sondern harmo-
nisch, still, normal und anständig blieben, so könnte
ich sagen, daß ich ein geselliges Leben geführt habe.

*

Heute kann es vorkommen, daß man ausrufen
hört: »Er hat so etwas Männliches an sich!« Und
es ruft ein Herr. Gleich daneben : '>Sie hat etwas.
Weibliches!« Und es ruft eine Dame.



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Das eine Geschlechtsmerkmal reicht wieder
vollständig aus. Man kann eine Suffragette von
einem Ballettänzer unterscheiden.



Ob der Mann bühnenfähig ist, bedarf erst einer

Probe. Die Frau ist immer auf der Probe und

bühnenfähig von Natur. Sie lebt vor Zuschauern.

Sie fühlt sich als Mittelpunkt, wenn sie über die

Straße geht, und begrüßten die Statisten auch den

Einzug Napoleons. Und alle Blicke bezieht sie auf

den Mittelpunkt.

*

Der Mann bildet sich ein, daß er das Weib
ausfülle. Aber er ist nur ein Lückenbüßer.



Tragische Sendung der Natur ! Warum ist diese

lange Lust des Weibes nicht feststellbar wie der

männliche Augenblick !

*

Der Zustand der Geschlechter ist so beschämend
wie das Resultat der einzelnen Liebeshandlung: Die
Frau hat weniger an Lust gewonnen, als der Mann
an Kraft verloren hat. Hier ist Differenz statt Summe.
Ein schnödes Minus, froh, sich in Sicherheit zu
bringen, macht aus einem Plus ein Minus. Hier ist
der wahre Betrug. Denn nichts paßt zu einer Lust,
die erst beginnt, schlechter als eine Kraft, die schon
zu Ende ist; keine Situation, in der Menschen zu
einander geraten können, ist erbarmungsloser und
keine erbarmungswürdiger. In dieser Lücke wohnt

2*



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die ganze Krankheit der Welt. Eine soziale Ordnung,
die das nicht erkennt und sich nicht entschließt, das
Maß der Freiheit zu vertauschen, hat die Menschheit
preisgegeben.

Perversität ist die haushälterische Fähigkeit,
die Frauen auch in den Pausen genießbar zu finden,
zu denen sie die männliche Norm verurteilt hat.



Perversität ist entweder ein Zustand oder eine
Fähigkeit. Die Gesellschaft wird eher dazu gelangen,
den Zustand zu schonen als die Fähigkeit zu achten.
Auf dem Weg des Fortschritts wird sie so weit kommen,
auch hier der Geburt den Vorzug zu geben vor dem
Verdienst. Aber wenigstens wird sich die Norm dann
nur mehr über das Genie entrüsten, das heute diese
Ehre mit dem Monstrum teilen muß.



Ein perverser Kopf kann an der Frau gutmachen,
was zehn gesunde Leiber an ihr nicht gesündigt haben.

*

Liebe und Kunst umarmen nicht, was schön ist,
sondern was eben dadurch schön wird.

Erotik macht aus einem Trotzdem ein Weil.

Wand vor der Lust: Vorwand der Lust.



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Erotik ist immer ein Wiedersehen. Sie zieht es
sogar der ersten Begegnung vor.



Der schöpferische Mensch sieht Helenen in jedem
Weibe. Er hat aber die Rechnung ohne den Analytiker
gemacht, der ihn erst darüber aufklärt, was er
eigentlich in Helenen zu sehen habe.



Wie Schönheit zustandekommt — das weiß die

Nachbarin. Wie Genie entsteht — das weiß sie auch,

die Analyse.

*

Die Kultur hat nur ein vorgeschriebenes Maß
von Schönheit nötig. Sie macht sich alles selbst, sie
hat ihre Kosmetik und braucht nichts mehr vom

Kosmos zu borgen.

*

Bestimmung führt die Frau dem ersten zu.
Zufall dem besten. Wahl dem ersten besten.



Alle Memoirenliteratur ist voll der erotischen
Unbedenklichkeit hochgestellter Frauen, die sich die
Na Degen steckt. Mir fehlt es
nicht an Respekt vor den kleinen Leuten, die mich
zu etwas anregen, was ihnen längst nicht mehr gilt,
wenn's fertig ist. Ich nehme jede nur mögliche
Rücksicht. Denn lähmte mich nicht die Furcht, mit
ihnen zusammengespannt zu werden, so würde ich
sie doch selbst überfallen. Was mir nicht nur Genuß,
sondern auch Erleichterung der satirischen Mühe
brächte. Anbinden — mit jedem ! Aber nur an keinen
angebunden werden !

Man muß dazu gelangen, die erschlagen zu
wollen, die man nicht mehr verarbeiten kann, und
im weiteren Verlauf sich von denen erschlagen zu
lassen, von denen man nicht mehr verstanden wird.



Meine Angriffe sind so unpopulär, daß erst die
Schurken, die da kommen werden, mich verstehen
werden.

Das Verständnis meiner Arbeit ist erschwert
durch die Kenntnis meines Stoffes. Daß das, was



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da ist, erst erfunden werden muß und daß es sich
lohnt, es zu erfinden, sehen sie nicht ein. Und auch
nicht, daß ein Satiriker, dem die Personen so vor-
handen sind, als hätte er sie erfunden, mehr Kraft
braucht, als der, der die Personen so erfindet, als
wären sie vorhanden.

Dieser Wettlauf mit den unaufhörlichen Anlässen!
Und dieser ewige Distanzlauf vom Anlaß zur Kunst !
Keuchend am Ziel — zurückgezerrt zum Start, der
sich erreicht fühlt.

Man kennt meine Anlässe persönlich. Darum
glaubt man, es sei mit meiner Kunst nicht weit her.

*

Ein alter Idiotenglaube räumt dem »Satiriker«
das Recht ein, die Schwächen des Starken zu geißeln.
Nun ist aber die schwächste Schwäche des Starken
noch immer stärker als die stärkste Stärke des
Schwachen, und darum ist der Satiriker, der auf
der Höhe jener Auffassung steht, ein schmieriges
Subjekt und seine Duldung ein rechtes Stigma der
Gesellschaft. Aus dem infamen Bedürfnis der Gesell-
schaft, die Persönlichkeiten als ihresgleichen zu
behandeln und durch deren Herabsetzung auf das
eigene Niveau sich über dessen Niedrigkeit zu beruhigen,
sind die Witzblätter entstanden, x^lle Glatzköpfe
glänzen, weil Bismarck auch nicht mehr als drei
Haare hatte. Diese lästige Bosheit, aus der das
Witzblatt dem Rachebedürfnis der Gesellschaft bei-
springt, nennt sie »harmlos«. Verabscheut aber den



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Positiven, der eine entgötterte Welt in Trümmer
schlägt. Ahnt nicht, daß der Satiriker einer ist,
der nur die Schwächen der Schwachen geißelt und
die der Starken nicht sieht, weil es solche nicht gibt,
und wenn es sie gäbe, sie ehrfürchtig bedeckte.
Satire ist für die Leute etwas, was einer im Nebenamt
betreiben kann, zum Beispiel, wenn er öffentlich
Offizier ist und heimlich Humor hat. Echter ist
wohl, öffentlich Satire zu üben und ein heimlicher
Krieger zu sein. Denn Satire ist in Wahrheit nur
mit einer Funktion : mit der des Mannes vereinbar,
ja sie scheint sie geradezu zu bedingen. Daß der
Satiriker ein Mann ist, beweist allein schon die
satirische Zudringlichkeit, deren er sich selbst zu
erwehren hat. Der Satiriker versteht nämlich keinen
Spaß. Macht er aber das Insekt, das es auf seine
»Schwächen« abgesehen hat, kaputt, so wundern
sich alle und fragen, ja warum denn, und sagen,
daß einer, der doch selbst Satiriker sei, es sich auch
gefallen lassen müsse, daß ein anderer — und so weiter
in infinitum der menschlichen Banalität.



Polemik ist Mut, Verrat oder Feigheit. Entweder
es geht einer gegen die vielen los oder einer von
den vielen gegen die vielen oder einer von den
vielen gegen den einen. So mutig der Starke ist,
der den Schwachen, so feig ist der Schwache, der
den Starken angreift. Denn der Schwache hat
hinter sich eine Armee von Schwachen. Kehrt er
sich, aufgehetzt von einem mißverstandenen Vorbild,
gegen seinesgleichen, so wird er zum Verräter.



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Alle Freibeuter der modernen Meinung handeln so
schimpflich. Es sind Spießbürger, die aus der Reihe
treten.

Ich mache kleine Leute durch meine Satire so
groß, daß sie nachher würdige Objekte für meine
Satire sind und mir kein Mensch mehr einen Vorwurf

machen kann.

*

Die Leute, die mir die irdischen Anlässe vor-
werfen, dürften die Astronomie für eine kosmische

Angelegenheit halten.

*

Es gibt Leute, die sich schlechter als es not-
wendig ist benehmen, damit mir übel werde, ehe
ich sie angreife. Doch sie geben sich einer falschen
Hoffnung hin, da sie zwar jenes bewirken, aber
d.eses nicht verhindern können. So unappetitlich
kann gar keiner sein, daß ich ihn nicht angreife.



Ich bin schon so populär, daß einer, der mich
beschimpft, populärer wird als ich.



Welch ein Rinnsal braust an meinem Riff!
Und solche Brandung beweist mich. Die Leistung
könnte nicht für sich selbst sprechen — dazu ist
nicht die Zeit. Erst im Lärm der andern macht sie
sich vernehmlich.



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Nichts ist scheußlicher als mein Ich im Spiegel
der Hysterie. Nichts ist gemeiner als mein Stil
in der Hand des andern. Mich nachahmen heißt

mich strafen.

*

Ich habe zweierlei Verehrung erfahren. Solche,
deren letzter Schluß lautet: Ich kann es nicht,
er tuts für mich. Und solche, deren letzter Schluß
lautet : Ich könnte es auch, er tuts an meiner Stelle.



Tadler und Lober sind unerwünschte Zeugen.
Die am Ufer stecken ihre Füße ins Wasser, um zu
beweisen, daß es schmutzig sei. Die am Ufer
nehmen eine hohle Hand voll, um die Schönheit

des Elements darzutun.

*

Vor jedem Kunstgenuß stehe die Warnung:
Das Publikum wird ersucht, die ausgestellten Gegen-
stände nur anzusehen, nicht zu begreifen.



Wenn der Leser den Autor fragt, was er sich
dabei gedacht habe, so beweist das nichts gegen den
Gedanken. Aber er ist sicher gut, wenn der Autor
es nicht mehr weiß und den Leser fragt, was er sich
dabei gedacht habe.

Logik ist die Feindin der Kunst. Aber Kunst
darf nicht die Feindin der Logik sein. Logik muß
r\e,v Kunst einmal geschmeckt haben und von ihr



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vollständig verdaut worden sein. Um zu behaupten,
daß zweimal zwei fünf ist, hat man zu wissen, daß
zweimal zwei vier ist. Wer freilich nur dieses weiß,
wird sagen, jenes sei falsch.



Zwischen den Zeilen kann höchstens ein Sinn
verborgen sein. Zwischen den Worten ist Platz
für mehr: für den Gedanken.



Daß die Sprache den Gedanken nicht bekleidet,
sondern der Gedanke in die Sprache hineinwächst,
das wird der bescheidene Schöpfer den frechen
Schneidern nie weismachen können.



Ich beherrsche nur die Sprache der andern.
Die meinige macht mit mir, was sie will.



Wenn ich der Vollendung nahe bin, beginne
ich erst zu zweifeln und da brauche ich dann einen,
dem ich alle meine Fragen beantworte.

*

In keiner Sprache kann man sich so schwer
verständigen wie in der Sprache.



Jeder Satz müßte so oft gelesen werden, als
Korrekturen sein Wachstum von der Handschi'ifc
bis zur Lektüre begleitet haben. Doch um dem



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Leser zu ersparen, was ihm über Kraft und
Glauben geht, möchte ich jeden Satz in den zehn
Verwandlungen erscheinen lassen, damit das Ganze
endlich immer noch weniger gelesen als verstanden
werde. Dies wäre ein in der Literatur seltener Fall.
Es könnte aber von einem Nutzen sein, der den
Schaden eines Jahrhunderts leicht kapierter Meinung
und Unterhaltung aufwiegt.



Wenn ich nicht weiter komme, bin ich an die
Sprachwand gestoßen. Dann ziehe ich mich mit
blutigem Kopf zurück. Und möchte weiter.



Meine Hilflosigkeit wächst mit der Vollendung
des Geschriebenen. Je näher ich an das Wort heran-
trete, desto mehr blutet es wie der Leichnam vor
dem Mörder. Dieses Bahrgericht erspare ich mir nicht,
und bedecke die Ränder einer Korrektur, der fünf-
zehn sorglose voraufgegangen sein mögen, mit
Zeichen, die wie Wundmale sind. Ich habe immer
mindestens zwei Wege, und es wäre am besten,
beide und alle zu gehen. Ich werde es wohl auch
noch über mich bringen, den Satz in verschiedenen
Fassungen hinzusetzen, zum Nutzen des Lesers,
der so gezwungen wird, einen Satz einige Male
zu lesen, und zur weitesten Entfernung von jenen,
die nur nach der Meinung schnappen. Bis dahin
muß ich die Verantwortung für den besten von
allen guten Wegen immer dem überlassen, den ich
frage. Seine mechanische Entscheidung würde mir



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genügen, aber da ich ihm aus ähnlicher Lage
viel besser helfen könnte als er mir, so mache ichs
uns nicht so einfach und stürze ihn so tief in den
Abgrund meiner Zweifel, daß ich an seinem Zustand
sicher werde, ihn rette und so auch mich.



Kein Mensch, der eine meiner gedruckten
Arbeiten absucht, wird eine Naht erkennen. Und
doch war alles hundertmal aufgerissen, und aus
einer Seite, die in Druck ging, mußten sieben werden.
Am Ende, wenns ein Ende gibt, ist die Gliederung
so einleuchtend, daß man die Klitterung nicht sieht
und an sie nicht glaubt. Schreiber, die ohnedies
alles im 'Kopf haben und beim Schreiben nur mit
der Hand beteiligt sind, sind ruchlose Manipulanten,
mit denen ich nichts außer dem Alphabet gemeinsam
habe, und auch das nur widerstrebend. Sie essen
nicht, sondern sie halten schon weiter, weil sie
ohnedies alles im Bauch haben.



Der Journalist hat das Wort bei der Hand.
Ich bin oft in Verlegenheit. Hätt' ich nur einen
Journahsten bei der Hand! Ich nahm' ihm das
Wort aus der Hand und gab' ihm dafür einen
Schlag auf die Hand.

*

Und pflanzt' es wieder am stillen Ort, nun
zweigt es immer und blüht so fort.



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Er wollt' es brechen, da sagt' es fein: Soll ich
zum Welken gebrochen sein? Ich grub's mit allen
den Würzlein aus . . . Aber selbst verwelkt, läßt sich
das Wort noch zum Fortblühen bringen.



Das alte Wort gehört allen. Keiner kann es
nehmen.

Am Ursprung gibts kein Plagiat.



Die Sprache hat in Wahrheit der, der nicht
das Wort, sondern nur den Schimmer hat, aus dem
er das Wort ersehnt, erlöst und empfängt.



Dem von der Natur kultivierten Menschen wird
das Spracherlebnis umso näher gerückt sein, je weiter
er von der Fertigkeit lebt, sich der Sprache als eines
Verkehrsmittels zu bedienen. Schlechtes Sprechen
auf solcher menschlichen Höhe läßt sprachschöpferi-
schen Kräften Raum. Das Kind und die natürliche
Frau teilen mit dem Genie den Vorzug, sich vom
Talent in der Fähigkeit des Ausdrucks und der
Verständigung beschämen zu lassen. Eine Frau, die
auf eine so außerordentliche Art schlecht deutsch
sprach, bewies die reinste Anschauung der Wort-
inhalte, indem sie etwa: Zweige, die abzuschneiden
waren, »abzweigen« wollte, einen Brief, den man ihr
aufsetzen und niederschreiben sollte, »niedersetzen«
ließ, eine Angelegenheit, die verschlechtert wurde



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und nunmehr Ärger schuf, »verärgert« fand, und
eine solche, hmter der man stehen müsse, um sie zu
betreiben, zu »hintertreiben« empfahl. Sie erkannte
den Zweck des Schöntuns als »Schmeichelleckerei«
und sagte von einem Advokaten, der nur mit
geringern Streitsachen betraut war, daß er »dazu
da sei, die kleinen Metzeleien auszuraufen«. Am
Automobil wünschte sie einen »Gleitrutsch« ange'-
bracht und die Wahrnehmung, daß bei einer Fahrt
eine Wegwende, die nach dem Ort Bremgarten wies,
überfahren sei, ließ sie den Namen und die
Nötigung, zurückzufahren, schnell in den Ausruf:
»Halt, Bremsgarten!« zusammenpacken. Kinder er-
fassen noch diese wortbildnerische Gelegenheit,
erleben die schöne Sprachnähe undSprechentferntheit ;
wenn sie nicht zufällig in Berlin geboren sind, wo
die Jugend schnell fertig ist mit dem Wort, nachdem
sie wie dieses als Fertigware zur Welt gekommen ist.

*

Wenn die Sprache nur ein Gewand ist, so wird
sie schäbig oder unmodern. Bis dahin mag man
unter Leute gehen. Ein Smoking macht nicht unsterb-
lich, aber behebt. Doch was haben nur neuestens
die jungen Herren an ? Eine Sprache, die aus lauter
Epitheta besteht! Ein Gewand ohne Stoff, aber ganz

aus Knöpfen!

*

Das Hauptwort ist der Kopf, das Zeitwort ist
der Fuß, das Beiwort sind die Hände. Die Journalisten
schreiben mit den Händen.



42



Der Erzähler unterscheidet sich vom Politiker
nur dadurch, daß er Zeit hat. Gemeinsam ist beiden,
daß die Zeit sie hat.

Autoren, die es zuerst erleben und dann
beschreiben, sind Berichterstatter, auf die man sich
verlassen kann. Dichter erschreiben es nur.



Ich hab's noch nicht versucht, aber ich glaube,
ich müßte mir erst zureden und dann fest die Augen
schließen, um einen Roman zu lesen.



Die Phrase ist manchmal doch einer gewissen
Plastik fähig. Von einem Buch, das als Reiselektüre
empfohlen wurde, hieß es : »Und wer das Buch zu
lesen beginnt, liest es in einem Zuge durch«.



Den Werken des Dichters Seh. wird ein
längeres Leben vorausgesagt als den meinen. Das
mag im allgemeinen zutreffen. Nur die eine Schrift,
in der ich zum Ableben der Werke des Dichters Seh.
beigetragen habe und der sie deshalb ein Fortleben
verdanken, wird sich wohl so lange am Leben erhalten
wie diese Werke und sie hierauf überleben, was
dann vielleicht auch meinen andern Schriften zugute
kommen wird, die am Ende den Werken des
Dichters Seh. ein längeres Leben verdanken könnten,



43



als diesen selbst vorausgesagt wurde. Ich glaube
also, daß wir es uns ganz gut einteilen und keinen
Richter nicht brauchen werden.



Ein X. sagte geringschätzig, daß von mir nicht
mehr bleiben werde als ein paar gute Witze. Das
wäre immerhin etwas, aber leider bleibt auch das
nicht, weil mir die paar guten Witze längst gestohlen
wurden und zwar vom X.



Ein Künstler, der Erfolg hat, muß den Kopf
nicht hängen lassen. Er soll erst dann an sich
verzweifeln, wenn ein Schwindler durchfällt.



Nicht jeder, der kein Künstler ist, muß deshalb
auch schon Erfolg haben. Man kann auch so
zwischen zwei Stühlen sitzen, daß man von dem
einen hinuntergestoßen und zu dem andern nicht
hinaufgelassen wurde.

*

In mancher Beziehung war die Ähnlichkeit
Bahrs mit Goethe auffallend. Wenn man zum Beispiel
geglaubt hat, er sei noch in Linz, war er schon
längst in Urfahr.

*

Die eigenen Lorbeern ließen Herrn v. H. nicht
schlafen, aber auf fremden ruhte er gern aus.



44



Ich weiß nicht, wie er zur Welt kam. Wenn
durch Geburt, so muß eine Zange geholfen haben, und
wenn sie half, so war sie aus Amethyst. Zur Amme
fand er erst Zutrauen, als er sah, sie sei wie
Alabaster.

Zwei Sorten hat der deutsche Geist ausgespien :
die Tänzerischen und die Nachdenklichen. Für diese
ist mehr Heine, für jene mehr Nietzsche verantwort-
lich. Man wird auch im zweiten Fall dem Vorläufer

dahinterkommen.

*

Die Literatur von heute sind Rezepte, die die

Kranken schreiben.

*

Die meisten Kritiker schreiben Kritiken, die von
den Autoren sind, über die sie die Kritiken schreiben.
Das wäre noch nicht das Schlimmste. Aber die
meisten Autoren schreiben dann auch die Werke,
ilie von den Kj'itikern sind, die über sie Kritiken
schreiben.

Der Scheinmensch kann alles, er kann sündigen
und er kann auch bereuen. Aber er wird durch die
Sünde nicht schlechter und durch die Reue nicht
besser.

*

Der Schmutz verlieh ihm noch Haltbarkeit.
Was blieb von ihm, da er sich reinwusch ?
Ein Schwamm.



45



Manche Talente bewahren ihre Frühreife bis

ins späte Alter.

*

Ein Gedicht ist so lange gut, bis man weiß,

von wem es ist.

*

Dieser Autor ist so tief, daß ich als Leser
lange gebraucht habe, um ihm auf die Oberfläche
zu kommen.

Die Hemmungslosigkeit eines Peter Altenberg
schließt mehr Menschlichkeit auf, als zehn gebundene
Jahrgänge der Wiener Literatur zurückhalten.

Es wird jetzt viel über Ekstase gesprochen,
von solchen, die eben noch um die Vorteile ihres
schäbigen Bewußtseins Bescheid wissen. Ich war
aber dabei, als Peter Altenberg, dessen hundert-
faches Leben sein einfaches Werk ersäuft, vor einer
deutsch lallenden Tänzerin ausrief: »Und wie sie
deutsch spricht ! Alleredelste ! ! Goethe ist ein Tier
gegen Dich ! ! !« Goethe war einverstanden. Gott selbst
stimmte zu. Und wenn sich die lebende deutsche
Literatur von der Kraft dieses Augenblicks bedienen
könnte, so würden Werke hervorkommen, die noch
besser wären als das Deutsch der kleinen Tänzerin.
Aber da sie alle als Bettler neben diesem Bettler
stehen, der durch alle zeitliche Erniedrigung auf-
steigen wird in das Reich des Geistes und der Gnade,
so ist jedes Tier ein Goethe gegen sie.



46



Ein Literatlirprofessor meinte, daß meine
Aphorismen nur die mechanische Umdrehung von
Redensarten seien. Das ist ganz zutreffend. Nur hat
er den Gedanken nicht erfaßt, der die Mechanik
treibt: daß bei der mechanischen Umdrehung der
Redensarten mehr herauskommt als bei der mecha-
nischen Wiederholung. Das ist das Geheimnis des
Heutzutag, und man muß es erlebt haben. Dabei
unterscheidet sich aber die Redensart noch immer zu
ilirem Vorteil von einem Literaturprofessor, bei dem
nichts herauskommt, wenn ich ihn auf sich beruhen
lasse, und wieder nichts, wenn ich ihn mechanisch
umdrehe.



Der Dichter schreibt Sätze, die kein schöpfe-
rischer Schauspieler sprechen kann, und ein schöpfe-
rischer Schauspieler spricht Sätze, die kein Dichter
schreiben konnte. Die Wortkunst wendet sich an
Einen, an den Mann, an den idealen Leser. Die
Sprechkunst an viele, an das Weib, an die realen
Hörer. Zwei Wirkungsströme, die einander aus-
schalten. Der jahrhundertalte Wahnsinn, daß der
Dichter auf die Bühne gehöre, bleibt dennoch auf
dem Repertoire und wird jeden Abend vor ausver-
kauftem Haus ad absurdum geführt.



Ich weiß nicht, ob der Dichter etwas geträumt
hat ; aber von der Wirkung, die der Schauspieler
mit der Umbiegung seines Wortes erzielen kann, hat
er sich gewiß nichts träumen lassen. Und solche



47



Leute sind so schamlos, das Geld einzustecken, das
andere gegen sie verdient haben.



Wenn der Autor, ein ungeschminkter Zivilist,
sich an der Hand des Schauspielers verbeugen kommt,
so wird er zum Akteur einer Komödie, die auch

nicht von ihm ist.

*

Daß sich ein Autor verbeugt, ist nicht Er-
niedrigung, sondern Überhebung. Was will das Bleich-
gesicht nach Schluß auf der Bühne? Aber vorher
hatte er dort noch weniger zu tun, und es ist ein
Betrug an den Schauspielern, daß man jenem die

Tantiemen zahlt.

*

Die Viechsarbeit, neunhundert Menschen, die
aus dem Bureau kommen, zur Empfänglichkeit für
das Wort zusammenzuschließen, hat nicht das Wort,
sondern die Musik zu besorgen. Theaterdirektoren,
die das Orchester abschaffen wollen, sollen sich

selber hinaufstellen.

*

Es gibt jetzt literarisch beflissene Theater-
direktoren, die den Ehrgeiz haben, intelligente Leute
ins Theater zu bekommen. Um die zu einer Wh-kung
zusammenzuschließen, müßte schon den ganzen
Abend das Orchester spielen. Und dann noch die
ganze Nacht und überhaupt das ganze Leben
hindurch !



48



Wenn sich einer von den neunhundert schneuzt,

setzt der Wirkungsstrom aus. Und die Ästhetiker

glauben dennoch, daß ein Shakespearescher Gedanke

hinüberkommt.

*

Die deutschen Bühnen sollten bei den
Naturalisten bleiben. Mit dem in Deutschland
naturalisierten Shakespeare ist's nichts.



Das Verhältnis der Bühne zum Dichter ist, daß
sie eben noch seine szenische Bemerkung realisieren

kann.

*

Ich bin vielleicht der erste Fall eines Schreibers,
der sein Schreiben zugleich schauspielerisch erlebt.
Würde ich darum einem andern Schauspieler meinen
Text anvertrauen? Nestroys Geistigkeit ist unbühnen-
haft. Der Schauspieler Nestroy wirkte, weil er etwas,
was kein Hörer verstanden hätte, so schnell herunter-
sprach, daß es kein Hörer verstand.



Im Halbschlaf erledige ich viel Arbeit. Eine
Phrase erscheint, setzt sich auf die Bettkante und
spricht mir zu. Die Situation, die sie herbeigerufen
hat, ist die denkbar unpassendste. Einer etwa speit
und sagt hinterher: »Kommentar überflüssig«. Wenn
Gesichter im Raum sind, weiß ich, daß ich schlafen
werde. Vorher treiben sie Allotria. Nichts ist ihnen
heilig. Sie sprechen und gestikulieren in einer Art,
daß mir bald Hören und Sehen vergehen wird.



49



Einer hat Lippen, von denen ihm beim Sprechen
die Bildung herunterrinnt. Und so etwas wagt
Goethe zu zitieren. Halb erinnere ich mich, womit
ich mich am Schreibtisch beschäftigt habe. Halb an
ein Abenteuer in Czernowitz, wo einer beim Karten-
verkauf gut abschnitt. Den Widerstand der Zeit gegen
die neue Lyrik begriff ich nunmehr in dem Wort, das
die Stimme eines alten ehrlichen Juden, dem man
nichts beweisen kann, neben mir sagte : »Ich hab
gern über allen Gipfeln Ruh«.



0. K. malt bis ins dritte und vierte Geschlecht.
Er macht Fleisch zum Gallert, er verhilft dort, wo
Gemüt ist, dem Schlangendreck zu seinem Rechte.



Ein Bild, das sich noch vom Betrachter
getroffen fühlt.

Das Futurum der Futuristen ist ein Imperfektum
exaktum.

Der Wissenschaftler bringt nichts neues. Er
erfindet nur, was gebraucht wird. Der Künstler
entdeckt, was nicht gebraucht wird. Er bringt

das Neue.

*

Der Ästhet verhält sich zur Schönheit wie der
Pornograph zur Liebe und wie der Politiker zum
Leben.



50



Der Ästhet ist der rechte Realpolitiker im
Reich der Schönheit.

Die meisten Autoren haben keine andere Qualität
als der Leser : Geschmack. Aber der hat den bessern,
weil er nicht schreibt, und den besten, wenn er
nicht liest.

Die Bildungslüge hat die Entfernung des Publi-
kums von der Wortkunst noch größer gemacht als
die von den anderen Künsten, weil es zwar nicht
die Farben, die einer malt, klecksen zu können,
nicht die Töne, die einer komponiert, pfeifen zu
können, wohl aber die Sprache, die einer schreibt,
sprechen zu können behauptet. Und doch könnte
es, und eben darum, noch eher klecksen und
pfeifen. Man lebt so entfernt von der Sprache und
glaubt, weil man sprechen kann, sprechen zu
können. Der Respekt vor ihr wäre größer, wenn's
auch eine Umgangsmalerei und eine Umgangsmusik
gäbe, so daß die Leute einander mit Pfeifen oder
Klecksen erzählen könnten, was sie heute gegessen
haben.

*

Solange die Malerei nicht den Leuten was malt
und die Musik ihnen nicht heimgeigt, halte ichs mit
der Literatur; da kann man mit ihnen deutsch reden.



Die liberale Presse hausiert jetzt mit neu auf-
gefundenen Bemerkungen Lichtenbergs : gegen den



51



Katholizismus und: »wenn noch ein Messias geboren
würde, so könnte er kaum so viel Gutes stiften, als
•die Buchdruckerei«. Um sich aber mit Fug auf
Lichtenberg zu berufen, wäre der Beweis nötig, daß
er auch nach 125 Jahren noch derselben Ansicht ist.
Wäre er's, er wäre nicht derselbe Mann. Den wahren
Segen der Buchdruckerei hat er nicht erlebt. Denn
er hat nicht nur nicht die Presse erlebt, sondern
nicht einmal eine Drucklegung seiner Tagebücher,
deren Tiefe dort, wo sie unverständlich ist, auf
ihrem Grund Druckfehler hat, die die literar-
historischen Tölpel in Ehren halten, weitergeben und
fortpflanzen. Darüber ließen sich ergötzliche Dinge
erzählen, wenn nicht die Wehrlosigkeit des Geistes
vor dem Druck eine so tragische Angelegenheit wäre
wie die Ahnungslosigkeit einer Bildung, welche die
»Freigabe« ihrer Klassiker an das Geschäft der Nach-
drucker, diese Vogelfreigabe des Wortes, als einen
Triumph des Fortschritts bejubelt. Was muß aus den
Gedanken Lichtenbergs geworden sein, wenn selbst
Eigennamen, die er niederschreibt, verhunzt wurden,
und in Stellen, deren Nachprüfung den Herausgebern
nicht nur geboten, sondern auch möglich war. Keines
dieser Subjekte aber hat sich auch nur die Mühe
genommen, die von Lichtenberg gepriesene Stelle aus
Jean Paul zu lesen. »Haben Sie wohl die Stelle in dem
,Kampaner Tal' gelesen, wo Chiaur in einem Luftball
aufsteigt ?« Nein, sie haben es nicht getan ; sie,
Lichtenbergs bezahlte Herausgeber, haben, was jeder
seiner Leser zu tun verpflichtet ist, unterlassen — denn
sonst hätten sie eine solche Stelle nicht gefunden. Wie
das? Steigt Chiaur nicht auf? Im ganzen Buch nicht.



52



Wohl aber eine Gione. Die sonderbare Tatsache,
daß Lichtenberg einen Chiaur und Jean Paul eine
Gione aufsteigen läßt, gestattet vielleicht die Rekon-
struierung der Handschrift Lichtenbergs, die ich
nicht gesehen habe :



Es läßt die Möglichkeit zu, daß jedes zweite Wort
verdruckt wurde. Denn die Herausgeber dürften dort,
wo sie nur auf die Handschrift Lichtenbergs und
jeweils auf die vorhergehende fehlerhafte Ausgabe
angewiesen waren, sich kaum findiger gezeigt
haben als dort, wo ihnen ein Vergleich mit dem
Jean Paul'schen Druck möglich war. Und dafür,
daß dieselbe Schande, nur immer in anderer Ein-
teilung und mit anderem Umschlag, wiederholt wird,
zahlen Verleger Honorare, die ein Jahrgehalt der
Lichtenbergschen Professur übersteigen dürften.
Nein, die Erwartung des Messias dürfte — gegen und
für Lichtenberg — dem Glauben an die Buchdruckerei
noch immer vorzuziehen sein. Kaum ein Autor ist
gTÖbHcher mißhandelt worden ; nicht nur durch eine
wahllose Zitierung, die den aus Vernunftgläubigkeit,
Laune oder Andacht entstandenen Notizen den gleichen
Bekenntniswert beimißt. Man könnte, wenn eine von
Natur meineidige Presse Lichtenberg zum Eidhelfer
beruft, ihr auch mit dem Gegenteil dienen, und vor
allem mit jenem Gegenteil, zu dem eine Menschlichkeit
seiner Art vor der heutigen Ordnung der Dinge
ausschließlich fähig wäre. Der Liberalismus ist,



I



53



wenn alle Stricke reißen, imstande, sich auf Gott
zu berufen, der einmal gesehen haben soll, daß es
gut war. Aber heute, nach 5673 Jahren, ist er gewiß
auch nicht mehr derselben Ansicht. Wäre er's,
er wäre nicht derselbe Gott.



In mir verbindet sich eine gi'oße Fähigkeit zur
Psychologie mit der größeren, über einen psycho-
logischen Bestand hinwegzusehen.

*

Künstler ist nur einer, der aus der Lösung ein

Rätsel machen kann.

*

Die Sprache tastet wie die Liebe im Dunkel
der Welt einem verlorenen Urbild nach. Man macht
nicht, man ahnt ein Gedicht.

*

Mir scheint alle Kunst nur Kunst für heute zu
sein, wenn sie nicht Kunst gegen heute ist. Sie ver-
treibt die Zeit — sie vertreibt sie nicht! Der wahre Feind
der Zeit ist die Sprache. Sie lebt in unmittelbarer
Verständigung mit dem durch die Zeit empörten Geist.
Hier kann jene Verschwörung Zustandekommen, die
Kunst ist. Die Gefälligkeit, die von der Sprache die
Worte stiehlt, lebt in der Gnade der Zeit. Kunst
kann nur von der Absage kommen. Nur vom Aufschrei,
nicht von der Beruhigung. Die Kunst, zum Tröste
gerufen, verläßt mit einem Fluch das Sterbezimmer
der Menschheit. Sie geht durch Hoffnungsloses zur
Erfüllung.



ni
Zeit



57



Die Ärzte wissen noch nicht, ob es humaner-
sei, die Leiden des sterbenden Menschen zu ver-
längern oder zu verkürzen. Ich aber weiß, daß es
am humansten ist, die Leiden der sterbenden
Menschheit zu verkürzen. Eines der besten Gifte
ist das Gefühl der geschlechtlichen Unsicherheit,
Es ist vom Stoff der Krankheit bezogen. An welcher
Krankheit denn leiden sie? Daß sie sich ihrer
Gesundheit schämen. Die Menschheit stirbt heimlich
an dem, wovon zu leben sie sich verbietet :
am Geschlecht. Hier läßt sich nachhelfen, indem
man an das, was sie wie einen Diebstahl ausführen
und hinterdrein Liebe nennen, noch etliche Zentner
jener Vorstellung einer Zeugenschaft hängt, die das
Vergnügen versalzt. Ein Alpdruck, schwerer als das
Gewicht der Sünde. Und dies Gift wird die Männer
umso gewisser bleich machen, als es für die Kon-
kubinen ein Verschönerungsmittel ist. Es geht nicht
länger an, den Frieden denaturierter Bürger ungestört
zu lassen, und tausend Casanovas sind Stümper
neben dem Gespenst, das ein Gedanke hinter die
Gardine schickt. Ist denn solche Vorstellung schlimmer
als die, mit der der Anblick der Zufriedenheit
unsereinen peinigt? Soll es wirklich noch Augen-
blicke geben dürfen, in denen ein Wucherer
unbewußt wird? Dem Verstände der Gesellschaft,



58



die das heutige Leben innehat, läßt sich mit nichts
mehr beikommen. Will man die Heutigen treffen,
so muß man warten, bis sie unzurechnuugsfähig
sind. Nicht im Rausch: denn was hätten sie dabei
zu fürchten, und wüßten sie dort Gefahr, so würden
sie enthaltsam. Nicht im Schlaf: denn nicht im
Traum fällt es ihnen ein, unzurechnungsfähig zu sein.
Aber manchmal liegen sie im Bett und wissen von
nichts. Da sollen sie es erfahren !



An die Achtzigerjahre mit einem kulturellen
Heimweh sich erinnern, is-t ein Stigma in den
Augen der besser entwickelten Jugend. Und doch
könnte man mit Recht die Natur selbst als Zeugin
gegen die Entartung ins zwanzigste Jahrhundert
anrufen und sagen, daß etwa der Frühling in den
Achtzigerjahren noch eine Jahreszeit war und nicht
bloß ein Tag, den Sonnenglut erschlug. Denn man
kann sich auch an einen Frühling erinnern, wie an
alles, was die Menschheit nicht mehr hat.



Die Verluste an Sinnlichkeit und Phantasie,
die Ausfallserscheinungen der Menschheit, sind
kinodramatisch.

*

Die Technik ist ein Dienstbote, der nebenan
so geräuschvoll Ordnung macht, daß die Herrschaft
nicht Musik machen kann.



59



In keiner Zeit war das Bedürfnis so elementar
wie in der heutigen, sich für das Genie zu ent-
schädigen.

*

Das sind die wahren Wunder der Technik,
daß sie das, wofür sie entschädigt, auch ehrlich

kaputt macht.

*

Was an einem einzigen Tage der letzten
fünfzig Jahre gedruckt wurde, hat mehr Macht
gegen die Kultur gehabt als sämtliche Werke

Goethes für eine solche.

• *

Schwarz auf weiß: so hat man jetzt die Lüge.
*

Ich habe eine schwer leserliche Handschrift.

Der Setzer muß mich erraten. Einer, der's traf,

setzte anstatt »das ist ihnen heilig« : »das ist ihnen

Zeitung«.

*

Schmerzlichstes Abbild der Zivilisation: ein
Löwe, der die Gefangenschaft gewohnt war und,
der Wildnis zurückgegeben, dort auf und ab geht

wie vor Gitterstäben.

*

Kultur ist die Pflege der Vernachlässigung

einer Naturanlage.

*

Es gibt keine Dankbarkeit vor der Technik.
Es hat erfunden zu werden.



60



Wenn ich nur ein Telephon habe, der Wald
wird sich finden! Ohne Telephon kann man nur
deshalb nicht leben, weil es das Telephon gibt.
Ohne Wald wird man nicht leben können, auch
wenn's längst keinen Wald mehr geben wird. Dies
gilt für die Menschheit. Wer über ihren Idealen
lebt, wird doch ein Sklave ihrer Bedürfnisse sein
und leichter Ersatz für den Wald als für das
Telephon finden. Die Phantasie hat ein Surrogat
an der Technik gefunden; die Technik ist ein
Surrogat, für das es keines gibt. Die Andern, die
nicht den Wald, wohl aber das Telephon in sich
haben, werden daran verarmen, daß es außen keine
Wälder gibt. Die gibt es nicht, weil es innen und
außen Telephone gibt. Aber weil es sie gibt, kann
man ohne sie nicht leben. Denn die technischen
Dinge hängen mit dem Geist so zusammen, daß
eine Leere entsteht, weil sie da sind, und ein
Vakuum, wenn sie nicht da sind. Was sich innerhalb
de!' Zeit begibt, ist das unentbehrliche Nichts.

*

Adolf Loos und ich, er wörtlich, ich sprachlich,
haben nichts weiter getan als gezeigt, daß zwischen
einer Urne und einem Nachttopf ein Unterschied ist
und daß in diesem Unterschied erst die Kultur
Spielraum hat. Die andern aber, die Positiven, teilen
sich in solche, die die Urne als Nachttopf, und die
den Nachttopf als Urne gebrauchen.

*

Kein Zweifel, der Lazzaroni steht über dem
Venvaltungsrat. Jener stiehlt ehrlich, was er zum



61



Leben braucht, dann pfeift er sich was. Solches

Betragen liegt dem Verwaltungsrat fern. Der

Lazzaroni stört mich durch sein Pfeifen. Aber meine

Nervosität hat der Verwaltungsrat durch sein Dasein

verschuldet.

*

Frische muß erfrischen. Es gibt eine Frische,
die ermüdet. Es gibt muntere Seemannsnaturelle,
die immer dann wie eine Brise hereinwehen, wenn
man gerade das Denken der Abhärtung vorzieht,
und die einem, der gern schweigt, ein Leck in den
Bauch reden. Iimner wollen sie einen untertauchen.
Allen tuts nicht gut. Dem Rheumatiker nicht und
nicht dem Philosophen. Man ist gerade auch kein
Weichling; aber wer ohnedies auf Festland steht,
muß sich nicht zur Seekrankheit überreden lassen.



Nichts ist verdrießlicher für den Lebemann,
als um fünf Uhr früh auf dem Heimweg einem
ausrückenden Touristen zu begegnen. Nun gibt es
aber auch Menschen, die bei Nacht denken, und
solche, die zu jeder Tagesstunde schon munter sind.
Es ist nicht der richtige Humor. Seitdem mir einst
ein Coupegenosse nach einstündigem Schlaf »Auf,
auf!« zurief, habe ich eine Aversion gegen die
muntern Naturburschen. Ich glaube, ich könnte sie,
wenn sie mich nur noch eine Weile schlafen ließen,
mit dem kleinen Finger umwerfen.

*
»Nicht wahr, Sie sind der Herr Karl Kraus?«
fragte mich ein Coupegenosse, der meine Wehr-



62



losigkeit überschätzt hatte. Ich sagte : »Nein.« Womit
ich's allerdings zugegeben habe. Denn wäre ich ein
anderer gewesen, so hätte ich mich ja mit dem
Trottel in ein Gespräch eingelassen.



Was haben Sie gegen den X.? Fragen in der
Regel solche, die vom X. was haben.



Wir leben in einer Übergangszeit von oben
nach unten. Die Ware vermitteln die Zwischen-
händler, das Wissen die Zwischenträger und die
Wollust die Zwischenstufen.



Die Rache der Molluske am Mann, des Händlers
am Helden, des Shaw an Shakespeare, des Ghetto
an Gott macht jenen rapiden Fortschritt, gegen den
aufzutreten rückschrittlich heißt.



Wenn Herr Shaw Shakespeare angreift, so
handelt er in berechtigter Notwehr.



Impotenz ist : das Geheimnis der Zeugung
ergründen wollen. Das kann sie noch weniger und
möchte es noch mehr. Damit liabe ich das Geheim-
nis der Impotenz ergründet.



63

Der Analytiker macht Staub aus dem Menschen.

*

Vor dem Heiligtum, in dem ein Künstler träumt,
stehen jetzt schmutzige Stiefel. Die gehören dem
Psychologen, der drin wie zuhause ist.



»Gottvoll« ist in mancher Gegend ein Superlativ
von »komisch«. Ein Berliner, der eine Moschee
betrat, fand diese gottvoll.



Es gibt eine Lebensart, die so tüchtig ist,
daß sie jede Bahnstation in einen Knotenpunkt
verwandelt.



»Wer sein Geld liebt, aber auch sein Vater-
land, muß möglichst viel Kriegsanleihe zeichnen.«
Dort geht der dicke X., von dem man allerlei
unsaubere Geschichten erzählt. Was denn zum Bei-
spiel? Nun, er soll auch sein Vaterland lieben.



Am Opfertod eines japanischen Generals haben
hunderttausend abendländische Kulis Honorar ver-
dient. Teils durch Kopfschütteln, teils durch An-
erkennung. Ein ebenbürtiger Beweis publizistischer
Gefolgschaft wäre nur durch jenen Zeitungsartikel
erbracht worden, dem man die Fähigkeit des
Verfassers abzulesen vermocht hätte, unter Um-
ständen das zu tun, worüber er schreibt. Die



64



abendländische Kultur hatte einen solchen Zeitungs-
artikel nicht aufzuweisen. Daß sie zum Opfertod
nicht fähig ist, glaubt man ihr. Aber daß sie dazu
verurteilt werden muß, wird man noch einsehen
lernen. Denn ihre Wortführer haben eine Million
an einem Fall verdient, wo honorarloses Schweigen
die geringste Pflicht war. Da jener starb, hatten
diese stumm und mißmutig an die Arbeit zu gehen,
erschrocken über ihr Weiterleben, verwirrt sich dem
Leben überlassend, um zu allem was es gibt Stellung
zu nehmen, nur nicht zu jener Tat.



Alle Naturwissenschaft beruht auf der zu-
treffenden Erkenntnis, daß ein Zyklop nur ein Auge
im Kopf hat, aber ein Privatdozent zwei.



Zeitgenossen leben aus zweiter Hand in den
Mund.

*

Manche teilen meine Ansichten mit mir. Aber
ich nicht mit ihnen.

*

»Sie tun ihm Unrecht. Er ist in allem Ihrer
Meinung!« »Nur nicht darin, daß ich ihn für einen
Esel halte.«

Wenn einer alle meine Ansichten hat, so dürfte
die Addition noch immer kein Ganzes ergeben. Wenn
ich selbst keine einzige meiner Ansichten hätte, so



65



wäre ich immer noch mehr als ein anderer, der alle
meine Ansichten hat.

Der Liberalismus beruft immer, wenn einer
der Seinen stirbt, das Schicksal Grillparzers und
beschuldigt Österreich. Als ob heute der Dichter
am Staat und nicht an der Welt litte. Und als ob
Grillparzer, wäre er heute gestorben, sich durch
Lieferung von Feuilletons für die vaterländische
Unbill entschädigt hätte.



Der Bibliophile hat annähernd dieselbe Beziehung
zur Literatur wie der Briefmarkensammler zur Geo-
graphie.

*

Die Schule ohne Noten muß einer ausgeheckt
haben, der von alkoholfreiem Wein betrunken war.



Was ist denn das nur, daß die Zeit sich ein-
bildet, die Entwicklung habe es auf sie abgesehen
gehabt und ihr zuliebe müßten nun Leben und Schule
auf den Kopf gestellt werden? Die Daseinsbedin-
gungen, die das Entstehen von Leuten wie Goethe,
Jean Paul und Herder nicht gehindert haben,
werden verworfen, wenn der Sohn eines Kommerzial-
rats herangebildet werden soll, um dereinst die
Firma zu übernehmen, und ein Geschlecht von
Kröten spottet der Mühsal, durch die einst die
Genies hindurchmußten. Was einen immer wieder
verwundert, ist die Atonie dieser Zeit, die sich



66



keinen Augenblick bewußt wird, daß all die gott-
losen Erleichterungen, die ihr gegönnt sind, nichts
als eine Entschädigung bedeuten. Sie scheint sich
bei der Henkermahlzeit besoffen zu haben.



Jetzt haben die Kinder in dem Alter, in welchem
sie ehedem die Masern hatten, Symphonien. Ich
glaube nicht, daß sie davonkommen werden.

*

Alle Stände neigen zum Fall. Aber wenn ein
Bürger verkommt, so besteht Aussicht, daß aus ihm
noch etwas wird, während, wenn ein Aristokrat auf
dem Weg ist, ein nützliches Mitglied der mensch-
lichen Gesellschaft zu werden, der Familienrat

zusammentreten sollte.

*

Aristokraten, die Schlepper für Großindustrielle

sind, sollten von ihren Kammerdienern geohrfeigt

werden dürfen.

*

Was hat man denn nur gegen die Konvikte !
Ist es denn schöner, das Zusammenleben im Pferch
der Freiheit, wo die jungen Leute mutuelle Psycho-
logie treiben?

Eine Wissenschaft, die vom Geschlecht so wenig
weiß wie von der Kunst, verbreitet das Gerücht,
daß im Kunstwerk die Sexualität des Künstlers
»sublimiert« werde. Eine saubere Bestimmung der
Kunst, das Bordell zu ersparen! Da ist es doch eine
viel feinere Bestimmung des Bordells, die Sublimierung



67



durch ein Kunstwerk zu ersparen. Wie bedenklich das
von den Künstlern geübte Verfahren, abgesehen von
seiner Weitschweifigkeit, in seiner Wirkung auf die
Empfangenden bleibt, beweist gerade der Fall des
bedeutenden Tonkünstlers, der von jener Wissen-
schaft gern als Beispiel gelungener Sublimierung
herangezogen wird. Die Hörer seiner Musik fühlen
sich von der darin sublimierten Sexualität dermaßen
angeregt, daß ihnen oft kein anderer Ausweg als
jener bleibt, den der Künstler gemieden hat, es
wäre denn, daß sie selbst imstande sind, rechtzeitig
eine Sublimierung vorzunehmen. Hätte der Künstler
den einfacheren Weg gewählt, so wäre diese Wirkung
den Hörern erspart geblieben. So geschieht es, daß
durch die üble Gewohnheit der Künstler, die Sexu-
alität zu sublimieren, diese erst frei wird und daß
eine Angelegenheit, die so recht eine Privat-
angelegenheit des Künstlers zu bleiben hätte, zu

einem öffentlichen Skandal ausartet.

*

Ein Psycholog weiß um die Entstehung des
»Fliegenden Holländers« Bescheid : »aus einer Kinder-
phantasie Richard Wagners, die dem Größenwunsch
des Knaben entsprang, es seinem Vater gleich zu
tun, sich an Stelle des Vaters zu setzen, groß zu
sein wie er. . . .« Da aber nach den Versicherungen
der Psychologen dies der seelische Habitus aller
Knaben ist — ganz abgesehen von der erotischen
Eifersucht und den Inzestgedanken, die das Kind
mit der Muttermilch einsaugt und die nur bei Soxhlet
nicht die Oberhand behalten — , so müßte die
Psychologie bloß noch die eine Frage beantworten:



68



welche spezifischen Anlagen oder Eindrücke bei
Wagner die Entstehung des »Fliegenden Holländers«
vorbereitet haben. Denn Wagner ist von allen
Geschlechtsgenossen der einzige, dem die Autorschaft
des »Fliegenden Holländers« zugeschrieben werden
kann, während die meisten andern dem Größenwunsch,
es dem Vater gleich zu tun, eine Karriere als Börseaner,
Advokaten, Tramwaykondukteure oder Musikkritiker
verdanken, und nur die, die davon geträumt haben,
Heroen zu werden, Psychologen geworden sind.

*
Der Wille der Psychoanalyse ist: die Unkraft
von dem Punkt, wohin der Künstler gekommen ist,
den Weg zurückzuführen bis zu dem Punkt, von wo
er nach analytischem Dafürhalten ausgegangen sein
muß : bis zum Abort. Die Aussicht ist lohnend, aber
die Partie ist kostspiehg. Man fährt mit dem Retour-
billett der Phantasie. Ist der Schwache dort angelangt,
von wo der Starke hergekommen ist, so darf er
sich selbständig machen. Er darf mit besseren
Chancen weiter onanieren, seitdem er gehört hat,
daß Goethes Zauberlehrling aus diesem Punkte zu
kurieren sei. Solche Beruhigung hat viel für sich,
aber der Außenstehende weiß nicht, was gemeiner
ist: die Reduzierung des Kunstwerkes auf den
physiologischen Rest oder die Reduzierung der Erotik
auf das pathologische Maß. Denn die Wissen-
schaftler wissen nur eines nicht : daß von allem,
was das Geschlecht angeht, und selbst von der
Onanie das si duo faciunt idem gilt. Und daß die
Kunst in jedem Falle non est idem.



69



Den Weg zurück ins Kinderland möchte ich,
nach reiflicher Überlegung, doch lieber mit Jean Paul
als mit S. Freud machen.

*

Der Psychoanalytiker ist ein Beichtvater, den
es gelüstet, auch die Sünden der Väter abzuhören.



Die Psychoanalytiker ahnden die Sünden der
Väter bis ins dritte Geschlecht, indem sie dieses
heilen wollen.

Ich bin der Rationalist jenes Wunderglaubens,
den sich die Psychoanalyse teuer bezahlen läßt.



Was hat denn diese neue Jugend für einen
Lehrmeister der Liebe? Einst gab's Schutzmittel;
jetzt soll sie hemmungslos leben. Es scheint, daß sie
den Sigi Ernst mit dem Sigi Freud überwunden hat.



Analyse ist der Hang des Schnorrers, das Zu-
standekommen von Reichtümern zu erklären. Immer
ist das, was er nicht besitzt, durch Schwindel
erworben. Der andere hat's nur; er aber ist zum
Glück eingeweiht.

Das Unterbewußtsein scheint nach den neuesten
Forschungen so eine Art Ghetto der Gedanken zu
sein. Viele haben jetzt Heimweh.



70



Der Handelsgeist soll sich im Pferch der Juden-
gasse entwickelt haben. In der Freiheit treiben sie
Psychologie. Sie scheint aber wie ein Heimweh jenes
enge Zusammenleben zurückzurufen, unter dem die
Ansprache zur Betastung wird. Was nun vollends
eine Verbindung von Handelsgeist und Psychologie
für Wunder wirken kann, sehen wir alle Tage.



Das Unbewußte zu erklären, ist eine schöne
Aufgabe für das Bewußtsein. Das Unbewußte gibt
sich keine Mühe und bringt es höchstens fertig,
das Bewußtsein zu verwirren.



Die Nervenärzte haben es jetzt mit den
Dichtern zu schaffen, die nach ihrem Tode in die
Ordination kommen. Es geschieht ihnen insofern
recht, als sie tatsächlich nicht imstande waren, die
Menschheit auf einen Stand zu bringen, der die
Entstehung von Nervenärzten ausschließt.



Psychologie ist der Omnibus, der ein Luftschiff
begleitet.

*

Man sagt mir oft, daß manches, was ich
gefunden habe, ohne es zu suchen, wahi' sein
müsse, weil es auch F. gesucht und gefunden habe.
Solche Wahrheit wäre wohl ein trostloses Wertmaß.
Denn nur dem, der sucht, ist das Ziel wichtig.
Dem, der findet, aber der Weg. Die beiden treffen



71



sich nicht. Der eine geht schneller, als der andere
zum Ziel kommt. Irgendetwas ist ihnen gemeinsam.
Aber der Prophet ist immer da und verkündet den

apokalyptischen Reiter.

*

Euer Bewußtes dürfte mit meinem Unbewußten
nicht viel anfangen können. Aber auf mein Unbe-
wußtes vertraue ich blind, es wird mit eurem
Bewußten schon fertig.

Psychoanalyse : Ein Kaninchen, das von der
Boa constrictor geschluckt wird, wollte nur unter-
suchen, wie's drin aussehe.



Psychoanalyse ist mehr eine Leidenschaft
als eine Wissenschaft : weil ihr die ruhige Hand
bei der Untersuchung fehlt, ja weil dieser Mangel
die einzige Fähigkeit zur Psychoanalyse ausmacht.
Der Psychoanalytiker liebt und haßt sein Objekt,
neidet ihm Freiheit oder Kraft und führt diese auf
seine eigenen Defekte zurück. Er analysiert nur,
weil er selbst aus Teilen besteht, die keine Synthese
ergeben. Er meint, der Künstler sublimiere ein
Gebreste, weil er selbst es noch hat. Psycho-
analyse ist ein Racheakt, durch den die Inferiorität
sich Haltung, wenn nicht Überlegenheit verschafft
und die Disharmonie aufs gleiche zu kommen sucht.
Ai'zt sein ist mehr als Patient sein und darum sucht
heute jeder Flachkopf jedes Genie zu behandeln.
Die Krankheit ist hier das, was dem Arzte fehlt.
Wie er sich immer anstelle, er wird zur Erklärung



72



des Genies nichts weiter vorbringen, als den Beweis,
daß er es nicht hat. Da aber das Genie eine
Erklärung nicht braucht und eine, die die Mittel-
mäßigkeit gegen das Genie verteidigt, vom Übel ist,
so bleibt der Psychoanalyse nur eine einzige Recht-
fertigung ihres Daseins: sie läßt sich mit genauer
Not zur Entlarvung der Psychoanalyse anwenden.

Krank sind die meisten. Aber nur wenige
wissen, daß sie sich etwas darauf einbilden können.
Das sind die Psychoanalytiker.

*

Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für
deren Therapie sie sich hält.

Man kehrt nur dann vor fremder Bewußtseins-
schwelle, wenn man's zuhause schmutzig hat.

*
Wie der Schelm ist, so denkt der Psycholog.

*

Ein guter Psycholog ist imstande, dich ohne-
weiters in seine Lage zu versetzen.

Infantile, die seit damals nur das Beten ver-
lernt haben, werden von Analytikern ins Gebet
genommen. Am Ende können sie wieder beten :
Erlöse uns von der Analyse !



73



Eröffnung am Schluß einer psychoanalytischen

Kur: Ja, Sie können ja nicht geheilt werden. Sie

sind ja krank !

*

Mein Bewußtsein hat einen Hausknecht, der
immer acht gibt, daß kein ungebetener Gast über
die Schwelle komme. Psychoanalytiker haben auch
unter ihr nichts zu suchen. Erwischt er einen, der
ins Archiv will, so führt er ihn in den Empfangs-
raum, wo ich persönlich ihm mit seiner Diebslaterne

ins Gresicht leuchte.

*

Wo man Fremdwörter vermeiden kann, soll
man's bekanntlich tun. Da hört man immer von
»Psychoanalytikern«. Als ich einmal einen auch zu
sehen bekam, fiel mir sofort die glückliche Ver-
deutschung »Seelenschlieferl« ein.



Sie greifen in unsern Traum, als ob es unsere

Tasche v/äre.

*

Nein, es spukt nicht mehr. Es spuckt.



Psychologie ist die stärkere Religion, die selig
im Zweifel macht. Indem die Schwäche nicht zur
Demut, sondern zur Frechheit bekehrt wird, geht es
ihr schon auf Erden gut. Die neue Lehre ist über
ieden Glauben erhaben.



74



Was fängt man doch mit dieser Jugend an?
Sie ist mißgestalt und reagiert nur psychisch.
Nichts als Freudknaben.



Was man so Männer nennt, läßt sich jetzt psycho-
analytisch auskratzen.



Ich stelle mir vor, daß die jungen Leute Briefe
mit meiner Adresse an sich schreiben, und da sie
sie nicht erhalten, bei der Post reklamieren.



Viele haben schon meine Eigenschaften. Da-
durch kann man sie von mir unterscheiden.



Wenn ich einem Hysteriker nachweise, daß er
ein Dieb ist, so wird er zwar das Stehlen nicht auf-
geben, aber den Vorwurf des Diebstahls annektieren
und gelegentlich mich damit bedenken.



Ich mache sie alle unbewußt. Ich tadelte einen

Adjektivkünstler: sogleich rühmte er einem andern

Adjektivkünstler einen knappen, von Adjektiven
freien Stil nach.



Hysterie macht dem Gesunden das zum Vorwurf,
was er haßt: sie selbst.



75



Die Literaten, die jetzt geboren werden, sind
weniger konsistent als ehedem die Gerüchte waren.
Ich habe noch Gerüchte gekannt, an denen etwas
dran war. Dem, was heute aus Schreibmaschinen
zur Menschheit spricht, würde ich nicht über die

Gasse trauen.

*

Sie machen alles mit. Der Kommis gegen Gott
gibt sich jetzt schon als Kommis Gottes. Ich weiß
einen in Prag, den ich, wenn er im Gebet liegt, nicht
stören und wenn er auf den »Stufenfolgen, die bis
vor Gottes Thron führen«, herumklettert, nicht auf-
halten möchte. Denn es besteht Gefahr, daß mich
solche Inbrunst nüchtern macht, das Firmament mir
als ein Gewölbe erscheint, in das man von der
Gasse eintreten kann, und ich eine Stimme höre:
»Brod, machen Sie keine Ekstasen, lassen Sie das
Ethos liegen und geben Sie herunter die Ewigkeit!«



»Gut, daß ich Sie treffe. Sie verkehren nicht
mehr mit Kohner?« »Nein, denn ich habe nie mit
ihm verkehrt, ich habe ihn nie gesehen, ich weiß
nicht, daß er lebt.« »Wie ist denn das möghch, Sie
müssen Kohner gekannt haben, Sie erinnern sich
vielleicht nur nicht.« »Mein Gedächtnis ist gut, aber
der Name ist mir unbekannt, ich hätte mir ihn
gemerkt, da ich Kohn kenne, aber auch mit diesem
nicht verkehre. Was ist's mit Kohner?« »Er erzählt,
er sei mit Ihnen täglich beisammen gewesen,
Sie waren intim befreundet, nur einmal widersprach
er, da er Ihre Schätzung der Dichterin L. nicht mit-



76



machen konnte. Da haben Sie sich erhoben und
ihm gesagt, daß Sie unter solchen Umständen nicht
länger mit ihm verkehren können, und haben ihm
am nächsten Tag das Abonnementgeld der Fackel
zurückschicken lassen. Etwas muß doch an der
Geschichte wahr sein !« »Alles. Ich habe oft Abonnement-
gelder zurückschicken lassen. Das weiß Kohner. Ich
schätze die Dichterin L. Damit dürfte Kohner nicht
einverstanden sein. Ich habe ihn hinausgeworfen — *
»Nun also — « »Aber ich habe ihn nicht gekannt.«
»Ich verstehe nicht — « »Die Bekanntschaft bestand
im Hinauswurf.« »Wie ist das möglich?« »Kohner
nimmt mit Recht an, daß ich ihn hinausgeworfen
hätte, wenn ich ihn gekannt hätte. Da ich ihn aber
nicht gekannt habe, so will er sich wenigstens den
Hinauswurf sichern.« »Warum?« »Weil ihm das nützt.«
»Wieso?« »Es ist eine Beziehung in den Augen der
Anhänger und es macht bei den Gegnern beliebt.«
»Sie haben ihn aber nicht hinausgeworfen?« »Doch,
metaphysisch.« »Das verstehe ich nicht.« »Wissen
Sie, wie Gerüchte entstehen?« »Nein.« »Genau so
entstehen die Menschen meiner Bekanntschaft.«



Früher ging die Krankheit zum Arzt. Jetzt, da
er krank ist, schmiert sie sich Druckerschwärze auf.



Das vertrackteste Problem dieser Zeit ist: daß
sie Papier hat und, was gedruckt wird, käme es auch
aus dem Mastdarm, als Urteil wirkt und als Humor.



77



Nicht die Gewalttätigkeit, nur die Schwäche
macht mich fürchten.

Als ich, der nie Psycholog an einem ist, nur
an allen, vor einem von der Sorte das Problem
erörterte, flüsterte er errötend, auch er fühle sich
oft als Weib und welches Mittel ich dagegen wüßte.
Ich bereute das Gespräch und gab den Trost, das
Bewußtsein um den Zustand sei schon ein Mittel.
Später prahlte derselbe, er sei der Mann, mich an-
zugreifen. . . Da aber diese Geschichte viele, darunter
solche, die ich gar nicht kenne, auf sich beziehen
dürften, so versichere ich, daß sie erfunden ist. Von
mir erfunden, wie die meisten jungen Leute, die ich,
statt sie zu entdecken, nur erfunden habe.



Ich schleppe das furchtbare Geheimnis der Zeit
mit mir, das meine Erkenntnis auf Kosten meiner
Nerven nährt. Nur in Sätzen darf ich verraten, daß
alles, was die Gegenwart dem Druck verdankt, die
Kultur verschlagener Homosexualität ist. Würde ich
meine Erlebnisse der fünfzehn Jahre in einen Zu-
sammenhang zu stellen wagen, sie würden sich
vertausendfachen durch den Reiz der Beachtung, der
den Einzelfall so üppig macht. Hier weiche ich zurück.
Höchste Aktivität, die sich dem Ansturm der passiven
Naturen preisgegeben sieht, kann zur Pathologie des
Zeitalters sich iiire Gedanken machen, aber nicht
ihre Beweise vorbringen. Die im Traum meines
Wiener Lebens gefundene Devise »Eine Deichsel im
Rücken und Quallen an den Füßen« wird so



78



verständlich. Zwischen den Hindernissen der Mechanik
und den Fesseln der Gefühlsverwirrung ging es
hindurch. Aber schlimmer, am schlimmsten war diese!



Wogegen ich wehrlos bin, das sind Gerüchte,
Hysteriker, Fliegen, Schleim und Psychologie. Mit
dem Zufall nehme ichs schon auf. Und was die
intriganten anlangt — was die können, habe ich
längst verschwitzt.

Daß ich gichtisch bin, will ich denen, die an
meiner Gesundheit zweifeln, zugeben. Aber daß ich
dann auch das kommende Gewitter spüre, das lasse
ich mir nicht in Abrede stellen!



Seit einigen Jahren ist die Welt schon ganz
mondän. Wer nur diese große Entschädigung: zu
können, was man nicht ist, in die Welt gebracht
hat! Woher haben sie es, die Weiber und die
Schreiber?

Die Beziehungen, die ich zwischen den Seelen
der Menschen, und stäken sie hinter den unähn-
lichsten Vorwänden, herzustellen vermag, überraschen
mich selbst zuweilen. So war es mir ganz geläufig,
bei einer Frau, deren Körper, Gang und Haltung
geometrischen Anschauungsunterricht gab, immer an
einen Mann, der etwas ausgesprochen Zoologisches
hatte, zu denken, und umgekehrt. Plötzlich wurde
ich mir des Kontrastes bewußt und besann mich



79



erst, daß beide Feuilletons schrieben, also doch das
Ding gemeinsam hatten, das man Geist nennt. Aber
daß eben solches möglich ist, war das Wunderbare,
und nun hörte ich deutlich, wie beide so grund-
verschiedenen Gestalten, die Libelle und das Fluß-
pferd durch eine und dieselbe Stimme fraternisierten,
so als hätten sie aus urzeitlichem Fett Bruderschaft
getrunken, ohne daß es aber dem einen Teil gut
angeschlagen hat. Diesen schöpferischen Irrtum
retuschierte ich so, daß mir fortan zwar nicht das
Flußpferd als Libelle erschien, wohl aber umgekehrt.



Wenn man mich fragt, von wem ich glaube,
daß er dem Geist näher steht: der Stiefelputzer eines
böhmischen Grafen oder ein neuberliner Literat, so
kann ich nur antworten, daß ich, ehe ich mir von
einem neuberliner Literaten die Stiefel putzen ließe,
ihm lieber mit dem Absatz ins Gesicht treten würde.



Wenn drei unsaubere Analphabeten über mich
im Kaffeehaus abfällig sprechen, so hörts niemand
und man sieht nur, daß die Herrn beim Sprechen
schwarze Fingernägel haben. Schreien sie dabei, so
beschwert man sich beim Kellner. Gehen sie aber in
die nächste Druckerei, um es noch mehr publik zu
machen, daß sie lügen, so ist es ein Urteil, das alle
als Erlösung empfinden, die jenen die Hand nicht
reichen würden und denen wie jenen ich die meine
nicht reiche. Sage ich dann, es seien Geisteskranke,
die sich durch mich beunruhigt fühlen, Vertreter



80



einer durch die Zeit laufenden Abart von Mann,
Verliebte, die nicht erhört werden konnten und
können, weil ihre Mißbildung Hermes wie Aphrodite
verleugnet, Hosenträger, die für mein Dasein, für
das ihre, für alles, was ist und was sie nicht sind,
Rache nehmen, für die Nichtbeachtung eines Grußes,
eines Manuskriptes, einer Leidenschaft: so mache
ich ihnen »Reklame«. Sage ich nichts, so ist es
»Totschweigen«. Sage ich, daß der Mann mit Recht
schweigt, wenn die häßlichste Weiblichkeit den
verkehrten Ausdruck für ihr Gefühl findet und jede
Abwehr für Entgegenkommen nähme, und daß
Totschweigen nur der Versuch der Schwäche ist,
um den Starken herumzukommen: so ist, was ich sage,
Beachtung. Sage ich auch nur dies, oder d£iß ich,
um dem fürchterlichen Circulus der Haßliebe zu
entrinnen, nichts sage: so ist es Beachtung. Und
sage ich es in einer dem schäbigen Anlaß entrüclden,
allen schäbigen Anlässen der Vergangenheit, Gegen-
wart und Zukunft angepaßten Form: so ist es
Beachtung. Und sage ich selbst nur, daß Wanzen zwar
treu sind und stinken, aber dennoch so feinfühlig
sind, den »Wanzentod« nicht als persönlichen Angriff,
sondern als Abwehr aufzufassen, so werden sich
Schriftsteller finden, die es als persönlichen Angriff
auffassen, und werden sagen, ich hätte sie beachtet
und, der immer vom Totschweigen spricht, ihre
Namen dabei totgeschwiegen. Nein, es gibt keine
Wehrlosigkeit als die des Starken vor dem Schwachen !
Darum: wäre ich Gesetzgeber, ich würde die
Meinungsfreiheit nicht antasten. Ich würde das
staatsgrundgesetzlich gewährleistete Recht, eine



Meinung — so ziemlich das Wertloseste, was einer
haben kann — zu äußern, eine Meinung — die ja
auch dann eine Belästigung vorstellt, wenn sie richtig
ist — zu verbreiten, ich würde es nicht antasten,
dieses Recht. Ich würde die Zwitter sich ausleben
lassen. Den literarischen Strich, der wohl das
Schmutzigste ist, was im Leben der Großstadt Platz
hat, nicht behindern. Die Zucht von intellektuellen
Schneppen, die mit etwas Laster und ein paar
gestohlenen psychologischen Adjektiven schon be-
gehrenswert sind, gewähren lassen. Aber ich würde
die Verantwortlichen verantwortlich machen. Nie
einen Redakteur. Immer den Verleger, den Drucker,
den Setzer, den Buchbinder, den Briefträger, und vor
allem den wahren Rädelsführer, den Leser.



Ich kannte einen Mann, der sah aus wie das
Gerücht. Das Gerücht ist grau und hat einen jugend-
lichen Gang, das Gerücht läuft und braucht dennoch
zwanzig Jahre, um aus einem Zimmer ins andere zu
kommen, wo es Dinge, die sich schon damals nicht
ereignet haben, als Neuigkeiten auftischt. Das Gerücht
verdichtet eine Hinrichtung, die abgesagt wurde, mit
einer Frühgeburt, die nicht stattgefunden hat, pflanzt
einen fremden Tonfall in das Mistbeet eigener
Erfindung, hat mit eigenen Augen gehört, was
niemand gesehen, und mit fremden Ohren gesehen,
was niemand gehört hat. Das Gerücht hat eine
profunde Stimme und eine hohe Miene. Es hat
Phantasie ohne Persönlichkeit. Ist es ruhig, so sieht es
aus, als ob das Problem der Entstehung derSeptuaginta

6



82



bereits gelöst wäre. Ist es bewegt, so muß man mit
einer neuen Version über den bethlehemitischen
Kindermord rechnen. Das Gerücht ist der ältere
Stiefbruder der Wissenschaft und ein Schwippschwager
der Information. Von den Veden bis zu den Koch-
büchern ist ihm nichts Unverbürgtes fremd. Das Gerücht,
welches nur tote Schriftsteller liebt, läßt auch den
zeitgenössischen Autor gelten, sobald er antiquarisch
zu haben ist, weil es dann einen Erstdruck mit einem
Zweitdruck verwechseln kann. Das Gerücht hat den
Humor, der sich aus der Distanz von den Tatsachen
ergibt. Es enttäuscht den, der an Gerüchte glaubt,
und spielt dem, der an Gerüchte nicht glaubt, gern
einen Possen. Es sagt etwas. Verleumdet's, gehe man
mit ihm nicht ins Gericht. Es taugt nicht zum Zeugen,
es taugt nicht zum Angeklagten, Es leugnet sich
selbst. Es weiß allerlei, es sagt noch mehr, aber es

ist nicht verläßlich.

*

Ein Vielwisser rühmte sich, er übersiedle seine
Bibliothek mit Gurten. Sie seien nicht billig, dafür
aber habe man sie auch das ganze Leben. Er brauche
dreihundert Gurten. Das ist nicht wenig. Und doch,
welch handhch Maß. Seht, einer der dreihundert
Gurten gebildet ist! Er denkt an der Gurte. Er ist
noch nicht einmal ein Freidenker. Ja, er braucht
dreihundert Gurten, um nicht unterzusinken.



Der Vielwisser ist oft müde von dem vielen,
was er wieder nicht zu denken hatte.



83



Wenn ein Schwätzer einen Tag lang keinen
Hörer hat, wird er heiser.



Das Wort Polyhistor muß man schon sehr
deutlich schi'eiben, damit der Setzer nicht Philister
setzt. Ist dies aber einmal geschehen, so lasse man
es auf sich beruhen, denn es ist noch immer die
mildere Fassung. Einmal las man von einem, er sei
ein bekannter Philister. Das glaubte man gern, und
hielt dann die Berichtigung für einen Druckfehler.



Ich kannte einen, der die Bildung in der
Westentasche hatte, weil dort mehr Platz war als

im Kopf.

*

Bildung ist eine Krücke, mit der der Lahme

den Gesunden schlägt, um zu zeigen, daß er auch

bei Kräften sei.

*

Zu der Blume mag ich nicht riechen, die unter
dem Hauch eines Freidenkers nicht verwelkt.



Als ich zum erstenmal von Freidenkern hörte,
glaubte ich, es seien Redakteure, die wie die Theater-
karten auch die Gedanken gratis bekommen, wenn
sie bei der Direktion einreichen.



Es gibt Leute, deren Auge so intelligent ist, als ob
sie uns stumm überreden wollten, uns auf der Stelle



84



impfen zu lassen. Sie haben den sozialen Sinn,
der einen unter dem Arm faßt, und den Blick, der
einem auf die Pusteln sieht. Es sind die Tyrannen
des Impfzwanges, der eine unvorhergesehene Folge
der Gedankenfreiheit bedeutet. Als Draufgabe scheinen
sie einem das Versprechen abzufordern, daß man sich^
wenn man sich schon nicht impfen lassen und daher
an Blattern sterben wird, nach dem Tod verbrennen
lassen werde.

Der Liberalismus beklagt die Veräußerlichung
des christlichen Gefühls und verpönt das Gepränge.
Aber in einer Monstranz von Gold ist mehr Inhalt
als in einem Jahrhundert von Aufklärung. Und der
Liberalismus beklagt nur, daß er im Angesicht der
verlockenden Dinge, die eine Veräußerlichung des
christlichen Gefühls bedeuten, es doch nicht und um
keinen Preis zu einer Veräußerung des christlichen
Gefühls bringen kann.

Antisemitismus heißt jene Sinnesart, die etwa
den zehnten Teil der Vorwürfe aufbietet und ernst
meint, die der Börsenwitz gegen das eigene Blut
parat hat.

Die Juden leben in einer Inzucht des Humors.
Sie dürfen sich untereinander übereinander lustig
machen. Aber wehe, wenn sie dabei auseinander
kommen!

Von allem andern abgesehen und auf den ersten
Blick ist der Klerikalismus dem Freidenkertum sdion



85



deshalb vorzuziehen, weil er die Schweinerei der
Vollbarte nicht duldet, die von diesem gefördert wird.
Wozu denn sollte ein Vollbart gut sein als daß ich
mir an ihm die Feder abwische? Auch der Kleriker,
der das Gebot der Keuschheit übertritt und darum
von den Freisinnigen getadelt wird, widersteht
wenigstens der Versuchung, Männlichkeit jenem
obszönen Vorsprung zu verdanken, den die Frei-
sinnigen im Gesicht tragen. Er besteht aber auch
die Probe, ob ein bartloses Gesicht männlich wirke.
Darauf eben kommt es an. Die meisten Berufsträger
würden, wenn man ihnen die Manneszier herunter-
nähme, den Eindruck erwecken, daß die Frauen-
bewegung soeben zum Siege gelangt sei. Wenn ein
Juristenkongreß, der zugleich mit einem Priester-
kongreß tagt, sich anstandshalber rasieren heße, dann
würde man wohl merken, wo die besseren Gesichter
sind, und an keinen Leitartikel fürder glauben. Ehe
die Entscheidung fällt, ob die Gesellschaft lebensfähig
sei, wird eine Obduktion der Gesichter vorgenommen
werden müssen. Sie schere sich. Zuerst zum Barbier

un^ dann zum Henker!

*

Die Männer dieser Zeit lassen sich in zwei
deutlich unterscheidbare Gruppen einteilen: die
Kragenschoner und die Hosenträger.

*

Ich sah einen, der sah aus wie der Standard of
life. Einen andern, der sah wie der sinkende Wohlstand
aus. Der Redakteur verließ das Hotelzimmer des
Herrn Venizelos und sah aus wie der Status quo.



86



Vorbei ging die Welt, die hatte das Gesicht der

besitzenden Kiassen und das Gesäß der breiten

Schichten.

*

Der Historiker ist nicht immer ein rückwärts
gekehrter Prophet, aber der Journalist ist immer
einer, der nachher alles vorher gewußt hat.

*

Die ganze Menschlieit befindet sich bereits der
Presse gegenüber im Zustande des Schauspielers, dem
ein unterlassener Gruß schaden könnte. Man wird

preßfürchtig geboren.

*

Der Kritik der Zeitungen gelingt es immerhin,
auszudrücken, v/ie der Kritisierte zum Kritiker steht.

Der Journalismus ist ein Terminhandel, bei dem
das Getreide auch in der Idee nicht vorhanden ist,
aber effektives Stroh gedroschen wird.

Steht die Kunst tagsüber im Dienste des Kauf-
manns, so ist der Abend seiner Erholung an ihr
gewidmet. Das ist viel verlangt von der Kunst, aber
sie und der Kaufmann schaffen es.



Ihr, ihr Götter gehört dem Kaufmann!
*

Die Ostasiaten können ohne Gefahr für ihr
kulturelles Fortleben sich auf technische Spielereien



87



einlassen. Diese sind das Nebengeleise des Lebens,
auf das wir unsere abgebundene Sexualität gedrängt
haben. Dort ist sie festgefahren und wir werden
schon sehen, wohin wir kommen und wo wir bleiben.
Solange im Leben der Ostasiaten die Hauptsache
nicht abgebunden ist, bedeutet ihr Fortschritt nicht
die Gefahr des Steckenbleibens.



Seitdem sich die Menschheit einen Propeller
vorbindet, geht es zurück. Die Luftschraube bewirkt,
daß es auch abwärts geht.



Die Eignung zum Lesen der Kriegsberichte
dürfte bei mancher Nation schon heute die Kriegs-
tauglichkeit ersetzen.

*

Der Erfinder derBuchdruckerkunst ist Gutenberg.
Er hieß eigentlich Gänsefleisch. »Er verband sich in
Straßburg mit mehreren Genossen zur Ausbeutung
gewisser Kenntnisse und Fähigkeiten, die er besaß,
v/ozu sie zum Teil erhebliche Summen einzahlen
mußten. Das fortwährende Drängen seiner Genossen,
noch in weitere Geheimnisse eingeweiht zu werden,
die Tatsache, daß ihnen dies unter neuen Einzahlungen
gelang, sowie die weitere Tatsache, daß hierbei eine
Presse zur Verwendung kam, lassen uns vermuten,
daß G. tatsächlich schon hier die ersten Versuche
in seiner großen Entdeckung gemacht hat.«



88



Die Druckerschwärze ist noch nie zu der Ver-
wendung gelangt, für die sie erschaffen ist. Sie
gehört nicht ins Hirn, sondern in den Hals jener,
die sie falsch verwenden.



IV

Wien



91



Ich glaube, daß wir der Entwicklung der Presse,
die neuestens den Ministern »als Dolmetsch der in
der Bevölkerung verbreiteten Ansichten unent-
behrlich« erscheint, hauptsächlich das eine verdanken:
daß ein lebendiger Kaffeesieder uns täglich gegen-
wärtiger ist als Grillparzer, Schubert und Stifter.
Was allerdings auch mit den in der Bevölkerung
verbreiteten Ansichten übereinstimmen dürfte.



Der Mensch wendet gegen den Kund ein, daß
er Dreck sucht. Was noch mehr gegen ihn spricht,
ist, daß er den Menschen sucht. Immerhin beweist
er seine Höherwertigkeit dadm-ch, daß er nicht zum
»Dreimäderlhaus« läuft.

Made in Austria — aha, von altem Käse ist die
Rede. Österreich ist gut durch. Aber bald werden
die Kellner bedauern, nicht mehi' dienen zu können.



Die österreichische Überzeugung, daß dir nix
g'schehn kann, geht bis zu der Entschlossenheit eines
Mannes, der auf Unfall versichert ist und sich des-
halb ein Bein bricht.



92



Österreich hat durch seine politischen Blamagen
erreicht, daß man in der großen Welt auf Öster-
reich aufmerksam wurde und es endlich einmal
nicht mehr mit Austrahen verwechselt.



Ich bedaure die Sisyphusse, die in der Unter-
welt unseres öffentlichen Lebens den Stein des
Fremdenverkehrs heben wollen und sich freuen,
wenn er ihnen beim Hinabrollen wenigstens die
Fremdwörter erschlägt.

Einen Brief absenden heißt in Österreich einen

Brief aufgeben.

*

Der Wiener Volkscharakter hat zwei Trieb-
federn des Stillstandes, die, scheinbar einander
entgegenstrebend, schließlich doch eine Einheit
ergeben: Der Schiebidennetean-Wille paart sich mit
der Stehtenettafür-Skepsis und es entspringt die
Lekmimoasch- Absage.



Dem Kampf gegen das Welsche scheint eine

heimliche Sympathie für das Kauderwelsche zugrunde-

zuliegen.

*

Jeder Wiener steht allein im Weltenraum und
bietet sich der Betrachtung. In Berlin ist bloß der
Reinhardt eine Individualität und jeder Berliner sein
Komparse. Und wenn ich zehn Jahre in Berlin lebte,
ich würde an die Wimpern eines Passanten nicht



93



klimpern können, während man in Wien am ersten
Tag auf ihnen Klavier spielen kann.



In Wien und in Berlin können Aeroplane auf-
steigen, da ist weiter nichts Wunderbares. Aber daß
man per Eisenbahn in zwölf Stunden von Grinzing
beim Oranienburger Tor sein kann, das klingt wie
eine Erfindung.

Die Sicherheit in Wien ist schon Garantie: der
Kutscher überfährt den Passanten nicht, weil er ihn
persönlich kennt.

Wiewohl der Kutscher den Passanten persönlich
kennt, kann doch etwas passieren. Man darf nicht
außer acht lassen, daß die Freude des Wiedersehens
jenen verwirren kann.

Die Mission der Ämter ist es, die Erhebungen
zu pflegen, die eben dadurch zu entstehen pflegen.

*

Es ist nicht gut, daß in einem schlechten Staat
eine Industrie verstaatlicht wird. Denn erstens ist
dann die Ware schlechter, zweitens wird man schlechter
bedient und drittens begeht man dadurch, daß man
dem Lieferanten die Ware an den Schädel wirft, eine

Amtsehrenbeleidigung.

*

Die meisten Staatsbeamten haben Journaldienst.



94

/
Die Zeitung in Deutschland ist immerhin eine
Bedürfnisanstalt. Hier suchen sie durch Goldfische von
dem eigentlichen Sinn der Verrichtung abzulenken.



Natürlich lebe ich immer noch lieber unter dem
Betriebspöbel als unter dem Gemütspöbel.



»Der Wiener geht nicht unter.« Hoffnung oder
Drohung? Vielleicht nur eine Höflichkeit, für »Unkraut
verdirbt nicht«.

Ich glaube nicht, daß der Wiener ein Kenner
von Lyrik ist, wenn er behauptet, eine Mehlspeise
sei ein Gedicht, das auf der Zunge zergeht.



Die Panik auf einem untergehenden Dampfer,
der schon das Notsignal SOS (Rettet unsere Seelen)
abgibt, muß ein Kinderspiel sein gegen das Chaos
in einem Wiener Restaurant, wenn alles teils essen,
teils »zahlen« will, die Mannschaft »nicht mehr dienen«
kann, der Kapitän sich händeringend weinenden
Familien entwindet, während die Hilferufe »Zahlen!«,
von keuchenden Matrosen weitergegeben, verhallend
ins Leere, über seinem Kopf zusammenschlagen,
zwischen jammernden Kindern, irrenden Müttern der
Todesengel, ein unbewegter Grüßer, durch die Reihen
geht und im Moment der äußersten Bedrängnis, wo
nur noch gurgelnde Laute wie »Hier!« »Bier!« »Wo?«



95



»Do!« hörbar werden, plötzlich der furchtbare Angst-
ruf zum Himmel dringt: »Soss bittee!«.



In Wien habe ich oft eine allgemeine Befriedigung
bemerkt, wenn in einem Lokal ein Engländer sich
schlecht benahm. Da wu-d Spalier gebildet und über-
all ist Freude. Ganz nüchtern wird der Osten, wenn

der Westen besoffen ist.

*

Es gibt Leute, die zu grinsen beginnen, wenn
sie mir auf der Straße begegnen, als ob ich mir's
gewünscht hätte, sie zu treffen, und sie, weil sie
schon immer gewußt haben, daß das unangenehm
ist, nun ihre ganze Schadenfreude zusammenrafften.
Auch rufen sie einander, wenn sie zu zweit gehen,
meinen Namen zu, aber auch mir selbst, damit ich
mir's merke. Die Zeitverhältnisse bestärken mich in
der Vermutung, daß es nicht reisende Engländer,
sondern im Gegenteil Angehörige der Zentralstaaten
sind oder vollends, da es auch schwer ist, über
Bodenbach hereinzukommen, Wiener.



»Wie kommt es, daß so viele Leute in Wien
noch immer glauben, daß Sie einen Vollbart haben?«
»Das kommt daher, daß ich einmal zufällig neben
einem ging, der einen Vollbart trug, und daß einer,
der mit einem andern vorbeiging, mit dem Fmger
zeigte: »Dort geht der Fackelkraus.« »Ist Ihnen die
Verwechslung unangenehm?« »Nein, aber dem
andern.« »Kennen Sie ihn?« »Nein, aber ich bedaure ihn,



96



er muß Qualen ausstehen.« »Sie sind schadenfroh.«
»Ja, weil ihm recht geschieht. Einem Vollbart
glaubt man's.« »Leben Sie darum besser?« »Gewiß,
weil nur die Hälfte der Bevölkerung mich agnosziert,
während die andere Hälfte an der andern Version
festhält.« »Sie könnten sich vollends Ruhe schaffen,
wenn Sie sich einen Vollbart wachsen ließen.« »Es
wäre gegen meine Überzeugung und überdies würde
es nichts nützen, weil dann die andere Hälfte der
Bevölkerung mich mit dem andern verwechseln würde.«
»Was würden Sie tun, wenn Sie diesen kennen
lernten?« »Ihm den Rat geben, sich rasieren zu
lassen.« »Warum?« »Weil es besser aussieht.« »Dann
wüßte aber die andre Hälfte der Bevölkerung nicht,
woran sie ist!« »Ich würde mir in den Bart lachen.«
»Aber hätten Sie denn einen, weil der andere sich
rasieren läßt?« »Das ist wahr. So würde ich mir ins
Fäustchen lachen.«



(Lesestück.) Ich kam in ein Lokal. Alle Tische
waren besetzt. An einem saß nur einer. Ich nahm
Platz. Eine Familie kommt, Vater, Mutter, Tochter.
Die Tochter gibt der Mutter einen Stoß, diese dem
Vater. Der Vater versteht nicht. Die Tochter schreibt
es auf. Der Vater starrt entsetzt meinen Nachbarn
an und nimmt eine Zeitung zur Hand. Mein Nachbar
entfernt sich nach einer Weile. Der Vater sieht
ihm nach und sagt triumphierend: »Justament hab
ich mich nicht geniert und hab vor ihm die Neue
Presse gelesen, zersprungen is er und weg!« Die



97



Tochter gab der Mutter einen Stoß, diese dem
Vater. Der Orkus öffnete sich und ich trat diskret ab.



Gibt es eine gi-ößere Wehrlosigkeit als die in
einem Sperrsitz im Theater? Was tust du nur, wenn
vor dir einer sitzt, der dich unaufhörhch grüßt, in
der richtigen Annahme, du werdest ihn bemerken?
Gut, du erwiderst den Gruß nicht. Aber er versucht's
im nächsten Zwischenakt wieder und drelit sich auch
während des Spiels öfter nach dir um. Er grüßt so
oft, um die Grüße der letzten zwanzig Jahre einzu-
bringen, die er nicht erreicht hat. Wie gern lese ich
einem Publikum von solchen im finstern Saal
etwas vor. Aber unter ihnen sitzen — da packt
mich das Lampenfieber.

Wenn ich manche Leute zurückgrüße, so geschieht
es nur, um ihnen ihren Gruß zurückzugeben.



Ich sehe, wenn ich über die Straße gehe, viele
Dummköpfe, bleibe aber ernst. Ja, ich werde immer
ernster, je mehr Dummköpfe ich sehe. Dagegen lächeln
die Dummköpfe, die mich sehen, wenn sie über die
Straße gehen, und da mich ebensoviele Dummköpfe
sehen, als ich Dummköpfe sehe, so lächeln viele Dumm-
köpfe, wenn ich über die Straße gehe. Sie bleiben
stehen, rufen meinen Namen, zeigen auf mich, damit
ich nicht nur sie bemerke, sondern auch wisse, wie
ich heiße, und daß ich es bin. Ich kann mich dagegen
nicht schützen, weil dieser Vorgang sich in einem

7



98



Staate abspielt, der der Meinung ist, daß nur die
Ehre beleidigt werden könne, und der einen Dumm-
kopf ungestraft läßt, aber mich straft, wenn ich ihn
Dummkopf nenne, damit er wisse, wie er heißt und
daß er es ist.

Hast du vom Kahlenberg die Stadt dir nur besehn,
so wirst du, was ich schrieb und was ich bin, verstehnl



V

1915



101



Jetzt sind alle Gedankengänge Laufgräben.
Meine gar Katakomben.

*

Ein Zauberlehrling scheint die Abwesenheit des
Meisters benützt zu haben. Nur daß es statt Wassers

Blut gibt.

*

Eben jenes Böse, welches das Christentum nicht
bändigen konnte, aufzupeitschen, ist der Drucker-
schwärze gelungen.

*

In der Entwicklung europäischer Dinge konnte
die Religion nicht weiter: da trat die Presse ein und
führte alles zum Ende. Wahrlich, sie kam der
lückenhjiften Menschennatur besser entgegen, ihr zu
schmeicheln, als jene, ihr zu helfen. So vermag die
Presse mehr gegen den Menschen als die Religion
für ihn. Wie groß müßte die Persönlichkeit sein, die
im Betrieb dieses Machtmittels ihrer selbst sicher
bliebe, ein der Menschheit verantwortlicher Redakteur ;
wie stark die Menschheit, die ohne Gefahr sich
ihm ganz überantworten könnte! Dies Machtmittel ist
aber das Lebensmittel für eine Horde sittlicher Miß-
geburten, es ist der Unterhalt aller Hinfälligen im
Geiste. Das Wort, das im Anfang war, hören sie nicht.



102



und so muß die antichristliche Menschheit auf ein
neues Machtwort warten.



Die Welt hält Gottseidank noch nicht so weit,
daß das Problematische der geistigen Dinge selbst-
verständlich wird. Das will sie erst durch Kriege
erreichen, durch die das Selbstverständliche der
leiblichen Dinge problematisch wird. Sie führt einen
Kampf gegen das Dasein. Aber eigentlich hat es
dazusein, und dann erst wollen wir uns den Problemen
zuwenden, nicht, um sie zu lösen, sondern um uns
zu sammeln.

*

Das Kinderspiel »Wir spielen Weltkrieg« ist noch
trostloser als der Ernst »Wir spielen Kinderstube«. Es
wäre dieser Menschheit zu wünschen, daß ihre Säug-
linge mit Erfolg anfangen, einander auszuhungern
und den Ammen die Kundschaft abzutreiben.



Es gibt eine Idee, die einst den wählten Weltkrieg
in Bewegung setzen wird : Daß Gott den Menschen nicht
als Konsumenten und Produzenten erschaff en hat. Daß
das Lebensmittel nicht Lebenszweck sei. Daß der
Magen dem Kopf nicht über den Kopf wachse. Daß
das Leben nicht in der Ausschließlichkeit der Erwerbs-
interessen begründet sei. Daß der Mensch in die
Zeit gesetzt sei, um Zeit zu haben und nicht mit
den Beinen irgendwo eher anzulangen als mit dem
Herzen.



103



Die Chinesen müssen die technischen Errungen-
schaften der Neuzeit schon in der Vorzeit durch-
gemacht und ihr Leben gerettet haben. Wenn sie
sie wieder brauchen sollten, um sie uns abzugewöhnen,
wird ihnen das Ding wieder nicht über den Geist
wachsen. Asien wird Firlefanz zu moralischem Zwecke
treiben.

Im Kampf als solchem, den das Christentum
verdammt, konnte einmal das Gute erlöst und das
Böse im Kämpfer besiegt werden. Ist aber das
Kampfmittel vom Bösen bezogen und der Zweck des
Kampfes wieder nur, im Mittel zu wachsen, so siegt
innen das Böse über das Gute. Wäre nun der
Gegner ein solcher, der eben diesem Streben wider-
strebt, so würde er außen zugrunde gehn, weil er
das Mittel nicht hat, und innen, wenn er, um den
Kampf zu bestehen, es erlangen möchte. Denn die
Zeit ist so geartet, daß man an dem zugrunde geht,
wodurch man siegt oder unterliegt.



Dieser Krieg wirkt aus den Verfallsbedingungen
der Zeit. Er ist die eigentliche ReaUsierung des
Status quo.

Was kann durch einen Weltkrieg entschieden
werden? Nicht mehr, als daß das Christentum zu
schwach war, ihn zu verhindern.



104



Das Christentum war zu schwach vor der Rache
Jehovahs, seine Verheißung zu dürftig, sein Himmel-
reich eine so arme Entschädigung, daß die Mensch-
heit sich für dieses Himmelreich im Voraus entschädigen
zu müssen glaubte. Die Szene: Ein Freudenhaus,
das ein Schlachthaus ist, und im Hintergrund die
letzte Kapelle, in der ein einsamer Papst die Hände
ringt. Es ist nur ein Bild. Am Monolog vorbei
geht die Handlung weiter.



Paternoster heißt ein Lift. Bethlehem ist ein
Ort in Amerika, wo sich die größte Munitionsfabrik
befindet.

Die technische Entwicklung wird nur noch
ein Problem übrig lassen: die Hinfälligkeit der
Menschennatur.

Das Gefühl des neudeutschen Menschen, daß
er sich selbst keine höhere Bestimmung zuerkennen
dürfe als die, eine Präzisionsuhr zu sein, hat eine
Redensart gefunden, deren smarte Häßlichkeit durch
ihre bündige Wahrheit versöhnt. Man spricht davon,
irgendwo sei eine Gesellschaft versammelt gewesen,
in der außer Künstlern und Bohemiengs sogar Prinzen
bemerkt wurden. Da setzt man denn, damit es nur
sicher geglaubt werde, gleich hinzu: »richtiggehende
Prinzen«. Adel und Schönheit, Liebe und Kunst,
Tag und Traum, Krieg und Friede, Zufall und
Schicksal — alles geht richtig. Man muß den
Menschen, wenn er einmal erzeugt ist, nur aufziehen,.



105



dann geht er schon von alleine richtig. Eine weitere
Gebrauchsanweisung erübrigt sich . . . Und da wundert
man sich, daß im Instinkt der umgebenden Mensch-
heit etwas gegen ein Verfahren rebelliert, das als
patentierter Instinktersparer den Menschen so weit
gebracht hat, pünktlich dort zu sein, wohin ihn
Gott nicht bestellt hat, und pünktlich dort zu fehlen,
wo Gott so lange vergebens wartet.



In einer gewissen Zivilisation muß es auch für
die Seele so etwas wie einen Suppenwürfel geben,
den sie nur ins heiße Wasser zu tun brauchen, um
ein gleicher Art billiges wie bekömmliches Nahrungs-
mittel zu erzielen.

Am Ende war ein Wort. Wemi es vor dem
die Ewigkeit nicht schaudert, dann ist dies das
letzte Rätsel, welches ihr die Aufklärung gelassen
hat. Das Wort heißt: Aufmachung. Der Geist, der
kein Geheimnis ungeschoren und keinen Inhalt un-
frisiert ließ, hatte auch seine Offenbarung. Er hat
die geschaffene Welt noch einmal »geschafft« und
sorgte für die entsprechende »Aufmachung«. Nun
ist sie zugemacht.

Zwischen der Sprache und dem Ki'ieg läßt sich
etwa dieser Zusammenhang feststellen: daß jene
Sprache, die am meisten zu Phrase und Vorrat erstarrt
ist, auch den Hang und die Bereitschaft erklärt, das
Wesen durch ein Surrogat des Tonfalls zu ersetzen,
mit Überzeugung alles das an sich selbst untadelig



106



zu finden, was dem andern nur zum Vorwurf gereicht,
mit Entrüstung zu enthüllen, was man auch gern
tut, jeden Zweifel in einem Satzdickicht zu fangen
und jeden Verdacht, als ob nicht alles in Ordnung
wäre, wie einen feindlichen Angriff mühelos abzu-
weisen. Das ist vorzüglich die Qualität einer Sprache,
die heute jener Fertigware gleicht, welche an den
Mann zu bringen, den Lebensinhalt ihrer Sprecher
ausmacht; sie glänzt wie ein Heiligenschein, und sie
hat nur noch die selbstverständliche Seele des Bieder-
manns, der gar keine Zeit hatte, eine Schlechtigkeit
zu begehen, weil sein Leben nur aufs Geschäft auf-
und draufgeht und wenns nicht gereicht hat, ein
offenes Konto bleibt.

Gewiß ist ein Wunder der Entwicklung geschehen.
Wenn nur jetzt auch noch ein Festredner oder ein
Austauschprofessor oder sonst ein Apparat so aufrichtig
wäre, sich das Wort entfahren zu lassen: »Deutsche
Materie hat den Geist bezwungen!«



Ich habe einmal im Lärm einer verkehrstollen
Straße den Ausruf gehört: »Weinstube Rosen-
kavalier — lauschigstes Eckchen der Welt!« Über
solche Wahrnehmungen kann die strategisch günstigste
Position schwerlich beruhigen.



Für die Kultur eines Volkes dürfte die Anzahl
der Zarathustra- Exemplare, die seine Soldaten im
Tornister führen, schwerlich ein verläßlicher Maßstab



107



sein. Eher schon der Umstand, daß den Soldaten
mehr Zarathustra- Exemplare nachgerühmt werden,
als im Felddienst tatsächlich zur Verwendung gelangen,
und daß es jene hören wollen, die daheim ihren
Zarathustra lesen und ihre Zeitung.



Die deutsche Bildung sollte nicht geleugnet
werden. Nur muß man auch wissen, daß sie kein
Inhalt ist, sondern ein Schmückedeinheim.



Mit gutem Recht ist in den Betrachtungen über
Kultur und Krieg immer davon die Rede, daß die
andern die Utilitarier sind. Diese Auffassung entstammt
dem deutschen Idealismus, der auch die Nahrungs-
und Abführmittel verklärt hat.



Ich kann beweisen, daß es doch das Volk der
Dichter und Denker ist. Ich besitze einen Band
Klosettpapier, der in Berlin verlegt ist und der auf
jedem Blatt ein zur Situation passendes Zitat aus
einem Klassiker enthält.

*

Alles, was fälschlich gegen eine barbarische
Kriegführung vorgebracht wird, richtet sich, dem
Hasse unbewußt, gegen eine barbarische Friedens-
führung.

Gegen den Vorwurf, daß deutsche Soldaten
Kindern die Füße abhacken, berufen sich deutsche



108



Journalisten darauf, daß dieses Volk Luther, Beethoven
und Kant hei-vorgebracht habe. Aber daran ist es
mindestens so unschuldig wie an den ihm zugeschrie-
benen Greueltaten, und es wäre wirksamer, sich gegen
solche Anschuldigungen auf die Geister zu berufen, die
Deutschland noch künftig hervorbringen will. Wenn wir
so weit halten, daß das Vaterland von seinen Genies keine
anderen Dienste verlangt als von seinen Holzknechten,
und wenn jene durch einen tödlichen Zufall der Gelegen-
heit überhoben werden können, ihm freiwillig andere
zu leisten, dann entsteht wohl auch keines mehr. Die
Geistestaten der Luther, Beethoven und Kant haben
trotz allem, was die deutsche Bildung davon weiß
und die deutsche Ideologie hineinbezieht, keine
Verbindung mit einem Zustand, aus dem jene
ad personam heute, vielleicht, nur durch den priester-
lichen Beruf, durch Taubheit und durch eine Rückgrat-
verkrümmung befreit wären.



Die Pickelhaube ist gebildeter als der Kosak;
aber er lebt nicht so weit von Dostojewski wie sie
von Goethe.

Die Deutschen nennen sich auch das Volk
Schopenhauers, während Schopenhauer so bescheiden
war, sich nicht für den Denker der Deutschen zu
halten.

Die Humanität im Kriege, die Philosophie im
Schützengraben, der Kunstsinn vor einer zerschossenen
Kathedrale und sonstige Tugenden, durch deren Vor-



109



handensein der Ki'ieg erst zum Barbarismus wird,
sollten nicht so oft hervorgehoben werden. Ärger als die
Grausamkeit im Krieg sind Erscheinungen, die jenes
noch länger währende Übel, den Frieden unerträglich
machen. Schweißfüße? Bewahre; das wäre die Meinung
des Ästheten (wiewohl sie ein geistiges Merkmal
sind). Nein, der Ästhet selbst. Nicht Bomben, sondern
Luxusdrucke auf handgeschöpftem Büttenpapier. Der
elende Zierat, mit dem sich der banalste Hausrat
aller Kulturen behängt und durch den Gewinnsucht
und Snobismus einem typographischen Ungeist, dem
erlernbaren Kunstspiel, dem ärgsten Pfuschertum am
Wort Gelegenheit schaffen. Eine Hekatombe Menschen-
opfer wiegt nicht so schwer wie der Umstand, daß die
Schändung eines toten Dichters durch einen spür-
nasigen Tintenjuden, einen ästhetisch interessierten
Buchhändler und einen Letternschneider, diese Häufung
nekrophiler und bibliophiler Bestrebungen, Vergnügen
und Geschäft macht. Und am Ende besteht kein Greuel
ohne das andere und das ärgste ist der Protest der
Bildung, daß sie damit keinen Zusammenhang habe.
Sie hat noch weniger Zusammenhang mit ihrer Sprache.
Denn sie wissen Bescheid von allem und ihre Sprache
hat eben noch den Zweck, ihnen Bescheid zu sagen.
Kein Volk lebt so weit wie dieses von der Sprache
als der Quelle seines Lebens. Es schreibt heute das
abgestutzte Volapük des Weltkommis und wenn es
die Iphigenie nicht gerade ins Esperanto übersetzt,
so überläßt es das Wort seiner Klassiker der schonungs-
losen Barbarei aller Nachdrucker und entschädigt sich
in einer Zeit, in der kein Mensch mehr das Schicksal
des Wortes ahnt und erlebt, durch Luxusdrucke



110



und ähnliche Unzucht eines Ästhetizismus, der das
echtere Stigma des Barbarentums ist als das Bombar-
dement einer Kathedrale, und wäre sie selbst kein
militärischer Beobachtungsposten. Denn die ganze
Menschheit ist einer; und sie lügt, wenn sie glaubt,
ihre Bildung sei ein Beweis gegen ihre Grausamkeit

und nicht für diese.

*

Die Blutbereitschaft des Blutes ist groß oder
traurig. Schauerlich ist die Blutbereitschaft des "Wortes.
Welch ein Fetzen kann doch die Sprache sein, daß
sie sich so dem unerlebtesten Inhalt hingibt, so dem
niedrigsten Willen, sich neben die höchste Tat zu stellen,
erliegt und dem Schleim einen Reim findet, daß er
von weitem aussieht wie Erz. Blaustrümpfe, die sich
nicht einmal selbst befriedigen, Hysteriker, die im
Frieden nicht selbständig onanieren konnten, Lebe-
männer, die vor der Assentierung zittern, Mummel-
greise, die sie nicht mehr zu fürchten haben, sind
mit Kriegsgedichten hervorgetreten. Das Unvorstell-
bare, vor dem der Gedanke eben noch Kraft hat, in
das Schweigen zu flüchten, hat die Mittelmäßigkeit
beredt gemacht und den Dilettantismus geschwätzig.
Wie viel Raum auch eine große Zeit haben mag,
unmöglich wäre es, wenn die Sprache nicht zur Zeit-
genossin herabgesunken wäre. Unmöglich wäre, daß
im Granatenhagel die Stimme eines kleinen Juden-
mädels gehört werden will, das die Armee mit »Ihr,
meine Treu'n« und »Schließt eure Reih'n« apostrophiert;
unmöglich, daß Librettisten sich in die Begeisterung
einlassen und aus einer Affäre, bei der an einem
Tage vierzigtausend Menschenleiber an Drahtverhauen



11



zucken, etwas für ihr elendes Geschäft herausfischen !
Was geht nur in all den unfallsichern Menschenleibem
vor, daß sie eben das, was in ihnen nicht vorgeht,
nie vorgehen könnte und ihrem Gefühl völlig unerreich-
bar bleibt, so als ihr Mitgemachtes verbauter zu
begleiten sich nicht scheuen? Welche Wundermacht
neben dem Ereignis, das zu schwach war, zum
schweigenden Mitleid zu überreden, ist da wirksam?
Einer, der einmal von sich behauptet hat, er »liebe
die hektischen schlanken Narzissen mit blutrotem
Mund, er liebe die Qualengedanken, die Herzen
zerstochen und wund«, wünscht jetzt ganz andere
Verwundungen und ist der Dichter der Parole : »Die
Russen und die Serben, die hauen wir zu Scherben!«
Ist er gesund geworden, ist er erstarkt oder war eins
so gefühlt wie das andere? Ist es möglich, daß
Handwerker des Wortes, die ihr Leben lang gewohnt
waren, die Kundschaft mit dekadenten Stimmungen
oder auch Walzerträumen oder was sonst die Künste
des Friedens bieten, zu bedienen, ist es möglich, daß
sie nicht vor der Zumutung, ab 1. August 1914 das
Ungeheuerliche zu fassonieren, verlegen werden; vor
dem Wunsch, Millionen Menschen auf einmal ver-
nichtet zu sehen, nicht heber Reißaus nehmen als draus
ein Couplet zu machen; ihre Harmlosigkeit so ver-
leugnen und so bewähren, und sich nicht eher selbst
aus dem Leben bringen, als den Tod in Reime?



Der Dori Körner (Pseudonym für Theodor Kohn)
findet jetzt Töne, über die man im Befreiungskriege
einfach paff gewesen wäre, und Sie sollten sehn, wie



112



der Moriz Abeles, der damals noch Arndt hieß, alle
mit sich fortreißt!

Wenn dieser Krieg einer wäre, so wäre keine
Presse. Und wäre der Dreck nicht von selbst erstarrt,
so hätte man ihm helfen müssen. Die weißen Flecke,
die spärlichen und seit Erschaffung der Institution
ersten anständigen Stellen im Text, sind nur geeignet,
einem die schon greifbaren und doch unerreichbaren
Benefizien eines Lebens auf unbedrucktem Papier als
Tantalusqualen empfinden zu lassen. Staaten, die Krieg
führen, sollten auch den Mut zu einem Verbot der
Presse haben. Zensur ist die grundsätzliche Aner-
kennung des Übels. Wann denn sonst als jetzt, da
ein Kommando ihm die Autorität rettet, hätte der
Staat sich endlich zur Verstaatlichung jener Nachrichten
entschließen müssen, auf die das Publikum Anspruch
hat und die ihm ohne die heillose Zutat von Meinung
und Beschreibung in Krieg und Frieden zu genügen
haben? Unentbehrlich ist die Presse selbst jenen
nicht, deren Vorstellungsleben sie vergiftet hat, und
schwerer als den Alkohol in Rußland hätte man sie
auch nicht vermißt. Wer braucht denn die Presse
außer mir, der sie aber auch nur so lange braucht,
als es sie gibt! Die hunderttausend nichtsnutzigen
Staatsangehörigen, die heute nur deshalb nicht wehr-
fähig sind, weil sie schreibfähig sind und die eine
Wahnvorstellung für »unentbehrlich« hält, sind ein
Hindernis des Kriegs, den sie gemacht haben, und
ein Ärgernis jenen, die an ihm teilnehmen. Im Krieg
eine Presse haben heißt den Feind im Rücken haben.
Und von allen Seuchen, die einen Krieg begleiten.



113



ist sie jene, deren furchtbarste Verbreitunir durch
das einfachste Verbot zu hemmen wäre. Sollte der
Gedanke, der eine Menschheit aus ihren Lebens-
bedingungen reißt, nicht stark genug sein vor dem
Feinde aller Staaten?

Es gibt einen Kulturgeschmack, der sich der
Läuse im Pelz mit aller Gewalt zu entledigen sucht. Es
gibt einen, der die Läuse duldet und den Pelz auch
so tragbar findet. Und es gibt schließlich einen, der
am Pelz die Läuse für die Hauptsache hält und deshalb
den Pelz den Läusen zur freien Verfügung überläßt.



An der Erfindung des Schießpulvers und an der
Erfindung der Druckerschwärze müßte man vor allem
die Bedeutung zugeben, die ihre Gleichzeitigkeit für
die Menschheit hat.

Drei Internationalen: die katholische, die sozia-
listische und die journalistische. Sie sind durch denWelt-
krieg in nationale Gruppen gespalten. Der Einfluß, den
die katholisch-nationale Gruppe auf die Volksgenossen
zu nehmen versucht, wird allzu deutlich als Widerspruch
zum Wesen empfunden und kann deshalb zur Stärkung
des nationalen Hasses nicht viel beitragen. Die sozial-
nationale Gruppe verzichtet zumeist auf solchen Einfluß,
da sie ihn selbst als Widerspruch zum Programm
empfindet, dem weder die Förderung des Staats-
interesses angemessen noch die Übertreibung des
nationalen Moments erlaubt ist. Nm' der Einfluß, den
die preßnationale Gruppe jeweils verübt, ist andauernd

8



114



und mächtig. Denn hier wird die nationale Gemeinheit
nirgends als Widerspruch zum internationalen Wesen
empfunden. Über allen Schlachtfeldern könnte noch
heute die Einheit eines Zeitungskongresses walten,
auf dem Individuen, die immer noch mehr Standes-
genossen als Volksgenossen sind, mit dem Weltbrandmal
auf der Stirn, Beschlüsse fassen, etwa wie sie ein-
ander am wirksamsten der Lüge bezichtigen könnten.



Wie wird die Welt regiert und in den Krieg geführt?
Diplomaten belügen Journalisten und glauben es, wenn
sie's gedruckt sehn.

Eine Kultur ist dann fertig, wenn sie ihre Phrasen
noch in einen Zustand mitschleppt, wo sie deren Inhalt
schon erlebt. Das ist dann der sichere Beweis dafür,
daß sie ihn nicht erlebt. Nicht daß in den Tagen der
Schlacht bei Lemberg der jubilierende Besitzer eines
fünfzigjährigen Börsenblattes dicht neben der Welt-
geschichte, nein, vor ihr, als »Generalstabschef des
Geistes« beglückwünscht wird oder seinem »Stab«
nachgerühmt, daß er die »Fahne hochhalte«. Hier
mißt sich der Geist, der die Phrase hat, mit der ihm
fernen Sphäre, aus deren Leben er sie bezogen
hat, frech genug, da diese Sphäre in nächster räum-
licher Nähe eben lebendig wird. Aber man würde
denken, daß sie selbst noch dieses Leben hat und
in ihr selbst der unmittelbar erlebte Inhalt sich nie
anders als im unmittelbar geschöpften Wort aus-
sprechen könnte; daß ihr Phrasen gar nicht einfallen
möchten, deren Inhalt ihr nicht nur eingeboren ist.



115



sondern den sie aufs neue erlebt, und daß sie
Redensarten verschmähen müßte, die so lange schon
als die ausgespuckten Schalen eines ganz anders
gearteten Appetits in der Welt herumliegen. Man
würde doch nicht denken, daß der Krieger eben
die Umschreibungen noch gebrauchen könnte, die
der Bürger für seine täglichen Verrichtungen und
Verfehlungen, nein, der Tagdieb als dieVerzierung seiner
journalistischen Niedrigkeiten aus der kriegerischen
Sphäre erbeutet hat. Sonderbar genug, daß just
die Untauglichen sich immer freiwillig in der
kriegerischen Sprache betätigt haben. Eben weil
ein Regiment seine Fahne hochhält, so sollte es
solches im Gegensatz zu einer Redaktion, die ja
mit nichts dergleichen zu schaffen hätte, wenn der
Bürstenabzug nicht auch »Fahne« hieße, und die
ihrem Handwerk den gloriosen Nebensinn errafft
hat, nicht mehr öffentlich zugeben, und zu allerletzt
durch die Vermittlung einer Redaktion. Denn wenn-
gleich es im Nahkampf ja fast wieder die Sache
selbst ist, wirkt es doch nur als eine Umschreibung
für Beharrlichkeit und ähnliche Eigenschaften, die
sich in einem langen Frieden ganz andere Berufe
angeeignet haben. Es würde also höchstens zu sagen
sein, daß die Fahne, die ja selbst ein Ornament ist
und in der Auseinandersetzung technischer Gewalten
schon beinahe das Aussehen einer Phrase hat, gehalten,
nicht daß sie hochgehalten wurde. Wenn man aber
gar in einer Aktion, bei der die Erhaltung der Fahne
nicht in Frage kam, Beharrlichkeit gezeigt hat,
würde man da gut tun, davon zu sprechen, man
habe sie hochgehalten? Würde der Krieger da nicht



116



eines rauhen Eingriffs in den Sprachschatz des Kriegs-
berichterstatters sich schuldig machen, der ja ehedem
sein eigener Besitzstand war, aber durch Verjährung
schon dem Feind gehört wie nur irgendein Elsaß-
Lothringen? Und kann von einem gesagt werden, er
habe sich im Schützengraben seine Sporen verdient?
Soll dies selbst von einem Reiter gesagt werden,
auch wenn er noch ein Pferd hat und nicht im Schützen-
graben seine Sporen verdienen muß? Und kann in
einer Seeschlacht das Leben in die Schanze geschlagen
werden? Oder darf von dem Plan der Umzingelung
einer Landarmee gesagt werden, er habe kläglich
Schiffbruch gelitten? Darf dies selbst von der
Operation einer Flotte gesagt werden, da es doch
nur von einem Schiff gesagt werden kann, und auch
dieses dann noch dem Verdacht ausgesetzt wäre, es
sei ein Bankdirektor? Aber wenn ein Krieger von
einem Schiffbruch spricht, den er nicht erleiden
könnte, so könnte er auch von einem Bankerott
sprechen, den er erleidet. Eine Marineaktion in Fluß
bringen kann gefährlich sein. Und soll eine Armee
dem Feind ihre Überlegenheit »schlagend« zum
Bewußtsein bringen? Eben nur schlagend; aber wenn
sie's sagte, so wäre sie ein Advokat. Oder kann
ein Soldat behaupten, der Vorgesetzte sei so beliebt,
daß die Truppe »für ihn durchs Feuer gehen würde«,
da sie's doch ohnedies tun muß? Und darf der
Erfolg dank unserer jetzigen Stellung bombensicher
genannt werden? Wenn die Stellung selbst sogenannt
würde, wäre es noch eine Phrase, die gar nicht
djiran denkt, daß die Stellung wirklich bombensicher
sein muß. Wie können Militärkritiker davon sprechen,



117



daß die Beschießung des Platzes ein Bombenerfolg
war, da sie doch nicht Theaterkritiker sind? Oder:
»In London macht die Torpedierung der Xusitania*"
tiefen Eindruck.« Das ist noch menschlich. Weiter:
»Auch an der Newyorker Börse herrscht große Auf-
regung, alle Kurse fielen.« Weil die Menschen
sanken, das ist ein Begleitumstand. Aber: »In
Washington schlug die Nachricht wie eine Bombe
ein.« Hier sind die Seelen torpediert. Und zwischen
Kriegsberichten wird »Der Kampf gegen die Zensur«
erörtert, »Der Feldzug gegen die Anleihe« und gar
»Der Krieg gegen die Wehrpflicht«. Nun, Journalisten,
Händler und Friedensfreunde haben ihr Lebenlang
wie Soldaten gesprochen. Sie mögen dabei bleiben,
wenn sie über Soldaten sprechen. Jedoch Soldaten
müßten anders sprechen: nicht wie Journalisten,
die wie Soldaten sprechen, sondern wie Soldaten
sprechen. Die Trennung ist aber wohl nicht mehr
durchführbar. Eben weil der »Generalstabschef des
Geistes« auch einen »Stab« hat, so besteht Gefahr,
daß der Generalstabschef einen Redaktionsstab hat,
und wenn Krämer sich aufs hohe Roß schwingen,
so mögen Krieger sich nachrühmen lassen, daß sie
»einen Volltreffer auf ihr Konto buchen konnten«.
Kommis, die die deutsche Sprache evakuiert haben,
gebärden sich als Kommandanten und verbündete
Armeen müssen es sich gefallen lassen, als »Gesell-
schafter mit unbeschränkter Haftung« angeredet zu
werden. Das kommt davon, daß die Menschheit ihre
Exportfragen mit Stinkbomben in Ordnung bringen
will. Sollte solch ein Krieg am Ende doch nicht die
moralische Kraft haben, die Menschheit zu den Dingen



11-8



lind zu den Worten zurückzuführen und die Zwischen-
händler mühelos abzuweisen? Wenn wir die Tat
erlebten, wäre der Schorf der Sprache von selbst
abgefallen, der Dreck der Gesinnung erstarrt. Neulich
las ich, »die Nachricht von dem Brand in Hietzing
habe sich wie ein Lauffeuer verbreitet«. So die
Nachricht vom Weltbrand. Die Welt brennt, weil
Papier brennt. Wie konnte man auch solche Materie

im Hause lassen!

*

Was ist denn das für ein mythologischer
Wirrwarr? Seit wann ist denn Mars der Gott des
Handels und Merkur der Gott des Krieges?



Ist es nicht Unzucht? Eben die Welt, deren
höchstes Lob »gediegen« oder »leistungsfähig« war,,
darf jetzt »wacker« und »brav« sagen.



Es ist ein Triumph der Sprache über die Sieger,
daß sie, ob sie wollen oder nicht, jetzt so oft den
Plural »Schüder« anwenden, und ein Triumph der
Kaufleute über die Sprache, daß sie im kommenden
Frieden nur noch »Schilde« über ihren Geschäften
haben werden. Und es ist nicht einmal eine Ver-
wechslung dieser Worte, da doch der Krieg auf
einer Verwechslung dieser Dinge beruht. In der
gepanzerten Kommerzwelt, die täglich Blutbilanz
macht, tauschen der Schild und das Schild so oft
ihre Rollen wie das Verdienst und der Verdienst.
Es geht umso leichter, als Berufe, die ihr Lebtag



119



einen Verdienst und ein Schild hatten, jetzt ohne
Übergang einen Schild und ein Verdienst haben.



Einer meldete: »Das Kommando wird prompt
ausgeführt.« Er wollte sagen: Die Schlacht wird
prompt geliefert.

Sollte die Technik am Ende nicht imstande sein,
neue Embleme herzustellen? Bleibt sie angewiesen, sie
von den alten Idealen zu beziehen und auf die neue
Sache aufzumontieren?



Ahnungsvoller Druckfehlerteufel! Ein Historiker
schrieb: »So mußte, als die Mongolen im 13. Jahr-
hundert Ungarn erobert hatten, Herzog Friedrich
der Streitbare den wilden Feind durch den Sieg auf
dem Blochfeld bei Wr. Neustadt von Deutschland

fernhalten.«

*

Diese Zeit stellt noch immer eine sichere
Information vor einen ungewissen Heldentod. Darum
hat sich die Zeitung, die wie keine andere der Zeit
Sprache spricht, so ausgedrückt: »Bevorstehender
Heldentod der deutschen Soldaten in China.«



Daß der »Heldentod« einmal eine Zeitungsrubrik
werden könnte, hat sich keiner jener Helden träumen
lassen, deren Andenken auf die mündliche Über-
lieferung, wenns gut ging, auf ein Epos angewiesen war.



120



Unsere Zeit erhebt zu dem neuen Inhalt auch
noch auf die alten Embleme Anspruch. »Maschinen-
risiko« wäre ihr zu farblos. Und dennoch träte hier
wenigstens der individuelle Anteil am allgemeinen
Schicksal immer wieder hervor, aus Rubrik und
Mechanik immer wieder vor unser Gefühl. Kein Tod
aber verträgt die Klischierung weniger als der Helden-
tod, weil er in sich der Vorstellung einer epidemischen
Häufigkeit widerstrebt. Wie häßlich, daß der Lorbeer
dort jetzt wachsen soll, wo die Reklame wuchert!
Der Heldentod, und sei er nur der Zufall eines
Schrapnells, der für die Angehörigen schmerzlich
ist, sei er nur Tod schlechthin, wird er nicht
entweiht durch jenes Register, in dem früher ebenso
häufig die Verleihung des kaiserlichen Rats geführt
wurde? Und ist die Duldung solcher Dinge nicht auch
ein Zeichen der großen Zeit wie ihre Übung? Wäre
nicht hier ein weißer Fleck der Leichenstein, vor
dem der Leser den Hut zu ziehen hätte?



Ehedem war der Krieg ein Turnier der Minder-
zahl und jedes Beispiel hatte Kraft. Jetzt ist er ein
Maschinenrisiko der Gesamtheit und jedes Beispiel
steht in der Zeitung.

Die Quantität ist kein Gedanke. Aber daß sie

ihn fraß, ist einer.

*

Gewiß, die Entwicklung der Waffe konnte
unmöglich hinter den technischen Errungenschaften
der Neuzeit zurückbleiben. Nur die Phantasie der



121



Menschheit mußte hinter ihnen zurückbleiben. «Führt
man denn mit Phantasie Kriege?« Nein, denn wenn
man sie noch hätte, würde man es nicht tun. Denn
dann hätte man die Maschine nicht. Denn dann wüßte
man, daß der Mensch, der die Maschine erfand,
von ihr überwältigt wird, und daß es Sünde ist, das
Leben dem Zufall auszusetzen und den Tod zum
Zufall zu erniedrigen.

Einmal rief ein Weib: »Extraausgabe! Neue Freie
Presse!« Sie hatte an der Hand ein dreijähriges Kind;
das rief: »Neue feile Pesse!« Und sie hatte einen
Säugling auf dem Arm; der rief: »Leie leie lelle!«
Es war eine große Zeit.



Separiertes Zimmer für einen soliden Herrn
gesucht, in das der Ruf »Extraausgabee!« nicht dringt.



»Bleiben Sie denn unbewegt vor den vielen, die

jetzt sterben?« »Ich beweine die Überlebenden und

ihrer sind mehr.«

*

»Es handelt sich in diesem Krieg — « »Jawohl,
es handelt sich in diesem Krieg!«



Ich begreife, daß einer Baumwolle für sein Leben
opfert. Aber umgekehrt?



122



Die Völker, die noch den Fetisch anbeten, werden
nie so tief sinken, in der Ware eine Seele zu vermuten.

*

Wir Menschen sind doch bessere Wilde.



Es gibt verschiedene Kulturen. Die eine lebt im
Lebensmittel. Die andere verbindet den Geist mit dem
Lebensmittel. Die dritte trennt den Geist vom Lebens-
mittel. Die vierte lebt im Geist — aber nicht in

Europa.

*

Es gibt Gegenden, wo man wenigstens die Ideale
in Ruhe läßt, wenn der Export in Gefahr ist, und wo
man so ehrlich vom Geschäft spricht, daß man es
nicht Vaterland nennen würde und vorsichtshalber
gleich darauf verzichtet, in seiner Sprache ein Wort
dafür zu haben. Solches Volk nennen wir Idealisten
des Exports eine Geschäftsnation.



Das selbstlose Pathos, das uns so oft und mit
Recht beteuerte, daß »Söldner« von »Sold« komme,
hat ganz vergessen, daß der »Soldat« mindestens in
seiner etymologischen Bedeutung auf ihn auch nicht

ganz verzichten kann.

*

Bismarck war der letzte, der erkannt hat, daß
ihnen eine Ausdehnung ihres Etablissements nicht
bekömmlich wäre, und daß sie nicht zu viel essen
dürfen, weil sie eine schlechte kulturelle Verdauung



123



haben, deren Begleiterscheinungen die Nachbarschaft
im Nu spürt. Und daß die Expansion im Welthandel
den deutschen Geist, von dem die deutsche Bildung
etliche biographische Daten bewahrt, für alle Zeiten
isolieren würde. Es gibt scheinbare Handelsvölker, die
weniger Seele haben, aber dies Bißchen bewahren
können, weil sie es von den Problemen des Konsums
streng zu separieren vermögen. Freilich, wer weiß,
wie lange noch. Sie laufen Gefahr, mit der allgemeinen
Wehrpflicht nicht die anderen, sondern sich selbst zu
vernichten.



Organisation ist ein Talent und wie jedes Talent
zeitläufig. Es ist praktisch und dient der Individualität,
die sich seiner bedient, besser als eine zerfahrene
Umgebung, in der auch der mittelmäßige Mensch
Individualität hat. Wie sehr muß aber ein Volk sich
seiner eigenen Individualität entäußert haben, um zu
der Fähigkeit zu gelangen, so glatt die Bahn des
äußeren Lebens zu bestellen! Bei der Entscheidung
zwischen Menschenwerten hat das nervöse Bedürfnis
des höheren Einzelmenschen nicht mehr mitzureden.
Er durfte in einem schlechten Leben, und zumal in
dem äußeren Chaos, worin das schlechte Leben
hierzulande wohnt, sich nach Ordnung sehnen; er
durfte die Technik als Pontonbrücke benützen, um zu
sich selbst zu gelangen ; er war es zufrieden, daß die
Menschheit um ihn herum nur mehr aus Chauffeuren
bestand, denen er gern noch das Stimmrecht entzogen
hätte. Jetzt geht es um die Persönlichk-^it der Völker —



124



und jenes siegt, das im Verkehr mit der Technik am
wenigsten Persönlichheit behalten hat.



Nein, es ist kein Widerspruch zwischen meinem
Lob und meinem Tadel desselben Zustandes. Zwischen
meinem Lob einer Zivilisation, die das äußere Leben
reibungslos gemacht hat, und meinem Tadel einer
Kultur, die eben um dieser Reibungslosigkeit willen
sich verflüchtigt hat. Es ist kein Widerspruch, sondern
eine Wiederholung. Ich fühle mich in einer allgemeinen
Mißwelt am wohlsten dort, wo sie geordnet ist und
die Gesellschaft seelisch genug entleert, um mir eine
Komparserie zu stellen, in der einer wie der andere
aussieht. Aber ich wünsche nicht, meine Kommodität
über das Glücksbedürfnis der Menschheit zu setzen,
und halte es für verfehlt, wenn sie selbst sich wie
ein Regiment Aschinger-Brötchen aufreihen läßt.



Der Anspruch auf einen Platz an der Sonne ist
bekannt. Weniger bekannt ist, daß sie untergeht,
sobald er errungen ist.

*

Ich liebe die Lebensbedingungen des Auslandes
nicht. Ich bin nur öfter hingegangen, um die deutsche
Sprache nicht zu verlernen.



»Ach, 's ist ja zum Schießen!« hörte ich einen
Dreijährigen sagen, einen, der drei Jahre erst gelebt,
nicht gedient hatte. Irgendwo wird das Kind als



125



Fertigware geboren. Aus dem Mutterleib springend,
überspringt es die vielen Empfindungswelten, durch
die das Wort sich erst entwickeln mußte, ehe es
Redensart sein durfte.

»Wir haben die feindhchen Vorstellungen ge-
nommen.« Aber die eigenen auch. Welch tiefer Sinn,
daß dieses Wort jetzt nur noch den einen Sinn hat!
Schopenhauer hätte über die »Welt als Wille zur
Macht und als feindliche Vorstellung« nachgedacht.
Nietzsche hätte den »Willen zur Macht« wegen
falscher Vorstellung mit dem Ausdruck des Bedauerns
zurückgezogen.

(Kindermund.) »Der Papa hat gestern gesagt:
Ans Vaterland an teure schließ dich an. Ist denn das
Vaterland jetzt auch teurer geworden?«



Was ist denn das mit den Fremdwörtern? Man
vergesse doch nicht, daß sie so ziemlich die einzigen
deutschen Wörter sind, die dieser »aufgemachte« und
dem Verkehrsbedürfnis der Kundschaft adaptierte

Jargon noch hat.

*

Der Kommis kennt jetzt keinen höheren Ehrgeiz,
als Französisch und Englisch nicht zu können. Deutsch
aber beherrscht er nach wie vor.



Ich weiß nicht, was das ist, aber seitdem ich
statt einer Potage ä la Colbert eine »Suppe mit



126



Wiirzelwerk iind verlorenem Ei«, statt Irish stew
»Hammelfleisch im Topf auf bürgerliche Art«, ein
» Mischgericht < statt eines Ragout, keinen Vol-au-vent,
sondern eine »Blätterteighohlpastete« und dazu nicht
Mixedpickles, sondern im Gegenteil »Scharfes Allerlei«
zu essen bekomme, und wenn mir ein Appetitbrot
genügte, »Reizbrot, Leckerschnitte«, statt einer Sauce
tartare »Tartaren-Tunke (Soß)«, statt einer Sauce
Mayonnaise »Eieröltunke (Soß)«, statt Sardellensauce
»Sardellentunke« oder »Sardellensose«, wobei der
Patriot ohnehin schon ein Auge zudrückt, statt eines
garnierten Rindfleisches entweder ein »Rindfleisch
umlegt (mit Beilagen)« oder mit »Gemüse-Randbeilagen
(Umkränzung)«, statt Pommes ä la mattre d'hotel
»Erdäpfel nach Haushofmeister- Art« und ein »Rumpf-
stück«, ein »Beiried-Doppelstück«, ein »Rinds-Lenden-
Doppelstück« oder ein »blutiges Zwischenstück«,
entweder »mit Teufelstunke« oder »mit Bearner
Tunke«, wobei das unübersetzbare Bearner schwer
verdaulich ist, oder gar »auf Bordelaiser Art«, unter
der ich mir nichts vorstellen kann, während ich
einst doch wußte, wie das Leben ä la Bordelaise
beschaffen war, seitdem ein »Erdäpfelmus-Brei,
frisch gemacht«, ein »Blumenkohl mit holländischer
Tunke (Sos)« oder mit »Holländersose« oder eben-
derselbe »überkrustet« auf den Tisch kommt, seitdem
es, ach, »Volksgartenlendenschnitten« gibt, »Schnee-
Eierkuchen mit Obstmus«, die Maccaroni verständ-
licher Weise »Treubruchnudeln« heißen, der Russische
Salat aber »Nordischer Salat« und zwischen einem
Wälischen und einem Welschen Salat zu unter-
scheiden ist, welch letzterer auch »Schurkensalat«



127



genannt wird, seitdem für »zwei verlorene Eier« nur
ein ehrlicher Finder gesucht wird und mir zum Nach-
tisch »Näschereien« geboten werden, sei es »ein
Päckchen ICnusperchen« oder >Kecks« oder gar eine
»Krem« oder — Hilfe! — ein »Hofratskäschen« statt
eines Romadour, — seitdem, ich weiß nicht, wie das
kommt, ist halt alles so teuer geworden! Ja, ich
versteh nicht, warum diese deutschen Übersetzungen
und die dazu notwendigen Erklärungen auf Französisch
und Deutsch gar so kostspielig sind!



Es gibt einen Hindenburg-Kakau -Sahne -Zucker -
Würfel. So praktisch ist das Leben eingerichtet.
Noch praktischer: es gibt auch eine »Kulturwohnung«
mit einem »Kulturbadezimmer«.



Im Sagenkreis des Deutschtums wird dereinst
ein großes Durcheinander entstehen zwischen Kyff-
häuser und Kaufhäuser.



Welch ein Aufgebot von Bildung ! Verleger haben
das eiserne Kreuz, Soldaten schreiben Feuilletons
und Feldherren sind Doktoren.



In der deutschen Bildung nimmt den ersten
Platz die Bescheidwissenschaft ein.



128



Aus den Äußerungen der deutschen Dichter
habe ich entnommen, daß sie nichts zu sagen haben,
und mir mit der Erv^^artung geschmeichelt, daß sie
mein Schweigen anders deuten würden.



Die deutschen Dichter haben das Talent, nicht
den Mund halten zu können.



Ein deutscher Dichter hat das Geräusch der
Maschinengewehre »Sphärenmusik« genannt und ein
österreichischer hat beobachtet, wie »jeder Halm
stramm steht«. Wenn die Dichter so parieren, werden
der Kosmos und die Natur zu meutern beginnen.



Ich habe zu den Mysterien des Dichters D. nie
so rechtes Zutrauen gehabt. Dem Lyriker L., diesem
Genie der Klarheit, imponierten sie mächtig. Mir
waren sie der Nebel, der über den Wassern liegt,
aber ohne nachfolgende Schöpfung. Mir waren sie
der Dampf, der zu Zeiten aus der Lebensversicherung
aufsteigt. D. muß dieses Mißtrauen schließhch geteilt
liaben. L., dieses Genie der Klarheit, das auf stofflich
greifbarstem Erdengrund alle Tiefe und Höhe durchlebt
hat und noch im Waffenrock ein Schöpfer war,
schien ihm unerreichbar. Da kam denn der Krieg,
da ging er denn hin, und zog auch den Waffenrock
an. Er ließ sich, damit kein Zweifel sei, darin
photographieren. Er rief: »Hurra, ich darf mit!« und
schrieb ein Abschiedsfeuilleton an seine Kinder.



129



Er ward Leutnant. Er nannte das Geräusch der
Maschinengewehre Sphärenmusik. Um aber dem
Erlebnis Farbe abzugewinnen, wie sein Vorgesetzter
in der Lyrik, der Hauptmann L., war er um 45 Jahre
zu spät in den Krieg gezogen. Es war doch anders,
als er sichs vorgestellt hatte. Man hat ein eisernes
Kreuz. Schließlich gehts vom Feld in die Kanzlei,
wo die Mysterien, ich sag's ja, immer noch am
besten aufgehoben waren.



Die deutschen Lyriker sind versatile Leute.



Unsere Literatur hat einen belebenden Impuls
empfangen? Sie hätte lieber Ohi'f eigen empfangen
sollen. Wie, die Schöpfungen unserer Dichter haben
etwas von dem Feueratem übernommen, mit dem diese
Zeit über den Alltag hinweggefegt ist oder so?
Zwischen dem Feueratem und dem Alltag hat sich
sofort eine Gemeinsamkeit ergeben, die Phrase, die
unsere Dichter, anschmiegsam wie sie sind, sofort
übernommen haben. Sie sind pünktlicher und schneller
eingeschnappt, als es die verblüffte Kundschaft ver-
laugt hätte. Ihre Schöpfungen als einen Beweis für
die Größe der Zeit offerieren, hieße Optimismus
bereits mit Frozzelei verwechseln. Ich mache immer-
hin noch den Unterschied mehrerer sittlichen Grade
zwischen Bürgern, die die Notwendigkeit aus dem
Bureau in den Schützengraben treibt, und Tagdieben,
die daheim mit dem Entsetzen Ärgeres treiben als
Spott, nämlich Leitartikel oder Reime, indem sie eine

9



130



Gebärde aus zweiter Hand, die schon in der ersten
falsch war, und einen Feueratem aus dem Mund der
Allgemeinheit zu einer schnöden Wirksamkeit ver-
ai'beiten. Ich habe in diesen Schöpfungen keine Zeile
gefunden, von der ich mich nicht schon in Friedens-
zeiten mit einem Gesichtsausdruck abgewandt hätte,
der mehr auf Brechreiz als auf das Gefühl einer
Offenbarung schließen ließ. Die einzige würdige Zeile,
die in dieser ganzen großen Zeit gedruckt wurde,
stand im Manifest des Kaisers und war an den
Anschlagsäulen so lange zu lesen, bis sie vom
Gesicht des Wolf aus Gersthof verdeckt wurde, des
wahren Tyrtäus dieses Kriegs!



Ein simpler Reim jedoch, den ich gelesen
habe, entstanden im Munde eines Wiener Soldaten,
der seinen Vater an der Front wiedersieht, scheint für
die säkulare Schande der Kriegslyrik von 1915 zu
entschädigen und weist wie ein verirrter Naturlaut
auf eine ursprüngliche Menschlichkeit zurück, die
einmal unter die Maschine des neuwienerischen
Lebenstons geraten ist.

Servas, spater Herr! Bist aa scho dader?

Ah, Jessas, da schauts her — des is mei Vader?!

Wenn die Geschicklichkeit des Berichterstatters,
eines der peinlichsten, es nicht erfunden hat — und
der Geschicklichkeit sind heute selbst die Wunder
der Natur zuzutrauen — ; wenn es — und man
glaubt es lieber — wirklich ein Soldat beim Anblick
des Vaters ausgerufen hat, so ist er der Dichter,
der diesen Krieg erlebt, war es mindestens in diesem



131



Augenblick, der das Gefühl zur Sprache steigert:
ein Deutschmeister von anderm Zuschnitt als jener,
der noch als Zivilist den berühmt gewordenen
Kitsch eines »Reiterliedes« verfaßt hat. Hier hat
der wie die Bildungssprache verödete Wiener Dialekt
wieder die alte Kraft. Die Begebenheit selbst ist
tragischer als der Heldentod. Und nichts könnte die
grimmige Lebensumstülpung einfacher als dieser
Auftritt, als der Anruf an den »spaten Herrn*
(welch ein Wort!) bezeugen, den die Zeit »auch
schon« dorthin geweht hat und auf den der
überraschte Sohn — ah, Jessas, da schauts her —
mit Staunen, Freude und Erschütterung weist. Der
letzte Girardi-Ton und einer Tragödie letzte Szene:
»So nutzt das große Weltall einst sich ab zu nichts.«
Vielleicht liegt so viel nicht drin; ich wollte, es läge
drin. Dann wären es zwei Zeilen, und mehr Seele
als in fünfzig Jahrgängen eines Armeelieferanten-
organs, in das der irre Zufall dieser Zeit solches
Gedicht verschlagen hat, wie solches Leben in den

Krieg.

*

Wenn ich einem im August 1914 prophezeit
hätte, daß übers Jahr der Wolf aus Gersthof so
groß geworden sein wird wie die Zeit und daß der-
einst, wenn draußen eine Menschenmillion begraben
ist, die Hinterbliebenen ihm ins Auge schauen werden
und noch immer nicht dem Tod, und daß in diesem
Anthtz ein blutiger Blick sem wird wie ein Riß der
Welt, darin man lesen wird, daß die Zeit schwer
ist und heute großes Doppelkonzert - wenn ich es
einem im August 1914 prophezeit hätte, er hätte

9*



132



sich, empört über meine Kleingeisterei, von meinem
Tische erhoben. Zufällig habe ich es prophezeit, aber
mir selbst, und schon damals den Verkehr mit den
Gläubigen der großen Zeit gemieden, so daß ihnen
eine Enttäuschung erspart geblieben ist.



Es gibt jetzt eine Jerichoposaune vor allen
Festungen, es gibt jetzt, des Morgens und des
Abends, einen Ton in der Welt, den man nicht
mehr aus den Ohren bringen wird. Etwa so:

Die Nase der Kleopatra war eine ihrer größten
Schönheiten. Gestern wurde gemeldet, noch ist Polen
nicht verloren. Heute wird gemeldet, daß Polen
noch nicht verloren ist. Aus diesen übereinstimmenden
Meldungen geht auch für den einfachen Laien die
wichtige Tatsache hervor, daß Polen noch nicht
verloren ist. Vergleichen wir die gestrige Meldung
mit der heutigen Meldung, so ergibt sich unschwer,
daß Polen, von dem man immer schon gewußt hat,
daß es noch nicht verloren ist, noch nicht verloren
ist. Hier fällt uns vor allem das Wörtchen »noch«
auf. Das Auge bohrt sich förmlich hinein in den
Bericht und man kann sich vorstellen, wie er zustande-
gekommen ist, und die Eindrücke sind lebhaft und
die Einbildungskraft wird angeregt und die Gefühle
erwärmen sich und die Hoffnungen werden wieder
wach und vielleicht ist es in diesem Augenblick schon
wahr und vielleicht ist es nicht mehr länger zu ver-
bergen und vielleicht wälzen sie sich schon unruhig
in ihrem Bett, wenn sie hören werden, daß Polen
noch nicht verloren ist. Wir möchten das Gesicht



133



des Präsidenten Poincare sehen, wenn er diese
Nachricht bekommt. Wir haben schon am Monta<r
aus dem amtlichen Bericht, der in trockenen Worten
meldete, daß Polen noch nicht verloren ist, die
Folgerung gezogen, daß Aussicht bestehen muß, daß
es noch nicht verloren ist. Das kann auch aus dem
gestrigen Bericht und auch aus dem heutigen Bericht
herausgelesen und nach den einfachen Denkgesetzen
behauptet werden. Die besten militärischen Kenner
sagen, es steht gut, unser Kriegskorrespondent meldet,
die Stimmung ist sehr gut. Das ist ein wichtiges
Moment der Lage. Heute läßt sich die Übereinstimmung
dieser Folgerungen und Eindrücke mit den Berichten
unseres Kriegskorrespondenten feststellen. Wir atmen
diese Zuversicht mit der Luft ein und sie kommt aus
der inneren Gewißheit des Instinkts. Wer die Karte
ansieht und sich auf Grund der amtlichen Berichte
in den Zusammenhang zwischen den einzelnen
Schlachten und Kämpfen hineindenkt, muß nach den
Mitteilungen zu der Folgerung kommen, daß, wie
auch aus dem Bericht hervorgeht, angenommen werden
kann, daß unsere Armee den Feind zurückgeworfen
haben muß. Treues Gedenken dem Vaterlande und
einen Glückwunsch den braven Soldaten zu ihrem
Vollbringen. Wir möchten nicht sentimental werden
und es ist nicht unsere Gewohnheit, übermütig zu
sein, bevor die wichtige Meldung, daß Polen noch
nicht verloren ist, durch die Ereignisse selbst mit
den Einzelheiten und den Details bestätigt ist. Aber
schon jetzt müssen die Ereignisse einen Rückschlag
auf die Stimmungen ausüben und der Eindruck
muß groß sein und der Zweifel dürfte sich aus-



134



breiten und im Flügel ist Blei und im Gemäuer
beginnt es zu rieseln. Wer möchte nicht gern heute
über die Boulevards von Paris gehen und in den
Elyseepalast hineinsehen, wo die Sorge nistet. Das
kann nicht sein, daß die Verderbtheit und der Dünkel
sich dort noch behaupten können, wo die Einsicht
und die Reue schon durch einen einfachen Blick auf
die Karte geweckt wird und sich die Erkenntnis
durchringen muß, wir haben gefehlt. Der alte Belisar
war ein anständiger Mensch. Tayllerand pflegte, wenn
er beim Essen war, zu sagen, die Sprache ist der
Mensch, und beim Empfang dieser Nachricht wird
sich der Schrecken ausbreiten, und vielleicht werden
sie, nachdem die Schlechtigkeit ihre Früchte getragen
hat und nachdem sie die Einbildungen vergiftet und
die Stimmungen nicht geschont und die Leidenschaften
aufgewiegelt haben, erkennen, wie sie sich überhoben
haben. Vernichten haben sie uns wollen, zerstören
haben sie wollen die Früchte des Talents, und
die Bosheit hat nicht genug Einfälle gehabt, zu ver-
ärgern und Schlingen zu legen und durch Sticheleien
zu reizen und durch Neckereien zu verbittern. Die
Familie Brodsky ist eine der reichsten in Kiew. Kein
Mensch kann heute wissen, was hinter dem Schleier
der Zukunft verborgen ist, von der die Lady Hamilton
zu sagen pflegte, man soll den Tag nicht vor dem
Abend loben. Heute wurde gemeldet, daß Polen noch
nicht verloren ist. Wir entbieten der Armee unsern
Gruß. Wenn wir hören werden, daß Polen, welches
schon so viele Verluste überstanden hat, noch nicht
verloren ist, so wird wieder Freude in das Herz ein-
ziehen, und überstanden sind die Tage unfruchtbarer



135



Grübeleien. Wenn der knappe Bericht des General-
stabs, den das Auge abtastet, eine so vielsagende
Wendung nicht umgeht, sondern mit kurzen Worten
andeutet, was zu den Herzen spricht, so können wir
uns vorstellen, was es zu bedeuten hat, und auch
der einfache Mann von der Straße kann sich an den
Fingern abzählen, wenn er hören wird, daß Polen
noch nicht verloren ist, daß tatsächlich die Möglich-
keit besteht, daß es noch immer nicht verloren ist.
Die Einbildungskraft schwelgt in der Vorstellung, wie
es geschehen sein mag, und frohe Tage brechen an
und die Hoffnung lebt auf und es wird wieder licht
um uns. Kaiserin Katharina schrieb in ihr Tagebuch,
es ist eine Lust zu leben. Die letzte Meldung ist sehr
wichtig. Polen ist noch nicht verloren.

*

Die Sprache seelischer Zerrüttung, die die Auf-
schriften über Meldungen aus Feindesland seit Jahr
und Tag führen — Besorgnisse im Vierverband,
Entmutigung in Frankreich, Beklemmungen in Rußland ,
ZerknirschunginEngland,ReueinBelgien,Enttäuschung
in Italien, Demoralisation in Serbien, Verzweiflung in
Montenegro, Mißtrauen in Frankreich gegen Rußland,
Verstimmung von Rußland über England, Zweifel in
London, Paris, Rom und Petersburg — , hat kürzlich
für die Mitteilung, daß ein Heerführer von neuem
erhebliche Verstärkungen »erbat«, denTitel gefunden:
»Die Engländer erbeten neue Verstärkungen für
die Dardanellen«. Den Feinden ist in all dem Elend,
in das sie ihr Deutschenhaß gestürzt hat, nur der
eine Trost gebheben, daß ihre Besieger nicht deutsch
können.



136



Einer der führenden Geister Berlins hat ein
satirisches Gedicht auf die italienische Politik verfaßt,
in dem die Wendung: »Das Kabinett hat ausgiolitten«
sechsmal variiert war. Da die italienische Sprache
mehr vom Klang lebt als vom Gedanken, kann ihr
so etwas nicht passieren.



»Infolge der kriegerischen Ereignisse müssen
wir zu unserem Bedauern vorläufig den Umfang der
Hefte einschränken, wir werden jedoch bestrebt sein,
nach Eintritt normalerVerhältnisse unseren Abonnenten
durch Ausgabe stärkerer Hefte Ersatz zu bieten.«
So verspricht die , österreichische Rundschau'. Man
sieht, es gibt Verhältnisse, die den eingefleischtesten
Friedensfreund über den Wert des Krieges vorurteils-
freier denken lassen könnten.



»Es wird weiter gedroschen.« Nein, so gi*ausam
sind wir nicht. Immer noch mehr Phrasen als Menschen !



Es gibt ein Revanchebedürfnis, das weit über
Elsaß hinausgeht.

*

Die falschesten Argumente können einen richtigen
Haß beweisen.



Die Wurzel des innereuropäischen Übels ist, daß
sich das Lebensmittel über den Lebenszweck erhob



137



und daß der Händler, anstatt wie es sich gebührte
ein Leibeigener zu sein, der Herr des Geistes wurde.



Jeder Staat führt den Krieg gegen die eigene
Kultur. Anstatt Krieg gegen die eigene Unkultur zu

führen.

*

Vae victoribus!

Manches Volk lebt wie einer, der seinen neuen
Regenschirm bei schönem Wetter aufspannt und
wenns regnet, mit seinem alten Gewand zudeckt.



Was zu gunsten des Staates begonnen wird,
geht oft zu Ungunsten der Welt aus.



Es hängt letzten Endes von den Diplomaten ab,
wie der Volksruf: »Nieder mit den — !« auszufüllen
ist. Das Nichtgewünschte bitte zu durchstreichen. Ich

fühle international.

*

Ein großer Moment hat schon oft ein kleines
Geschlecht gefunden, noch nie aber hat ein so kleines
Geschlecht eine so große Zeit gefunden.



Noch kurz vor Kriegsausbruch habe ich solche
Coupegespräche zwischen Menschen, die einander bis
dahin fremd gewesen waren, gehört: »Hab ich mir



138



doch meine Kolatschen erobert!« »Wenn wir Geistes-
gegenwart haben, können wir in Wessely ein Gullasch
essen!« Man denke, wie die seeHsche Annäherung,
die der Krieg gebracht hat, die Gemeinsamkeit in
Freud und Leid, erst nachher zur Aussprache gelangen
wird. Ich werde die Strecke abfahren und darauf
achten.

Der seelische Aufschwung des Hinterlands ist
der Straßenstaub, den die Kehrichtwalze aufwirbelt,
damit er unverändert wieder zu Boden sinke.



Das Übel wirkt über den Krieg hinaus und durch
ihn; es mästet sich am Opfer.



Im Krieg gesundet die Menschheit? Wenn sie
nicht den Krieg ansteckt!



Wohl ist der Ki'ieg besser als der Friede. Aber
der Friede dauert länger.



Das Übel gedeiht nie besser, als wenn ein Ideal

davorsteht.

*

Wie, noch mehr Wucher? Ja, sind denn die
Zurückbleibenden der Landsturm der Selbsterhaltung?



139



Es ist schön, für eine Idee zu sterben. Wenn's

nicht eben die Idee ist, von der man lebt und an

der man stirbt.

*

Die Macht hat zur Durchsetzung ihrer Idee jene
Organisation geschaffen, zu der die Idee ausschließlich
fähig war.

*

Wenn nur nicht ein Volk, das sich den Militarismus
anschaffen muß, um mit dem Militarismus fertig zu
werden, statt mit diesem mit sich selbst fertig wird !
Die Kraft, das technische Leben zu überdauern, wächst
nicht in den Reichen des Christentums.



Der Kampf bis aufs Brotmesser ist eine logische
Notwendigkeit, die nur noch ein Überflüssiges mit-
schleppt: das Blut, mit dem die Fakturen geschrieben
werden.

Der Schützengraben ist heute noch eine ziemlich
primitive Zuflucht vor dem Mörser. Wenn der Geist,
der diesen erschaffen hat, erst so weit halten wird,
jenen mit allen Komfort der Neuzeit auszustatten,
dann wird er vielleicht auf den Mörser verzichten.



Welcher Weg der deutschen Seele von der
ScWärmerei zur Klarheit — von der Jean Paul'schen
Entrückung in einer Montgolfiere bis zudem gelungenen
Witz, der eine Bombe aus einem Zeppelin begleitet!



140



Deutsche Sätze wie die fünf Seiten bei Jean
Paul, in denen der Aufstieg in einer Montgolfiere
beschrieben wird, können heute nicht mehr Zustande-
kommen, weil der Gast der Lüfte nicht mehr die
Ehrfurcht vor dem näheren Himmel mitbringt und
bewahrt, sondern als Einbrecher der Luft die sichere
Entfernung von der Erde zu einem gleichzeitigen
Attentat auf diese selbst benützt. Der Aufstieg des
Luftballs war eine Andacht, der Aufstieg des Luft-
schiffs ist eine Gefahr für jene, die ihn nicht
mitmachen. Weil die Luft »erobert« ist, wird die
Erde bombardiert. Es ist von allen Schanden dieser
Erde die größte, daß jene einzige Erfindung, die
die Menschheit den Sternen näher bringt, aus-
schließlich dazu gedient hat, ihre irdische Erbärmlich-
keit, als hätte sie unten nicht genügend Spielraum,
noch in den Lüften zu entfalten! Und selbst hier
noch ein sittlicher Rangunterschied: zwischen dem
Mut, der jene grauenvolle Sicherheit, statt eines
Arsenals ein Schlafzimmer zu treffen, bestialisch
betätigt, immer von neuem vergessend, was es
bedeute, und dem Fleiß, der mit der Bombe noch einen
Witz hinunterschickt und gar den eines »Weihnachts-
grußes«. Selbst da wieder die greuliche Vermischung
des Gebrauchsgegenstandes, nämlich der Bombe, mit
dem Gemütsleben, nämlich dem Scherz oder Gruß: der
Greuel größtes, jene äußerste Unzucht, durch die sich
ein im Reglement verarmtes Leben auffrischt, die
organische Entschädigung für Zucht und Sitte, der
Humor des Henkers, die letzte Freiheit einer Moral,
die die Liebe auf den Gerichtstisch gelegt hat!



141



Held ist Einer, der gegen viele steht. Diese
Position erringt im neuen Krieg am ehesten der
Luftbombenwerfer, einer, der sogar über vielen steht.



Es gibt ein militärisches Witzblatt, das der großen
Zeit umso leichter nachgekommen ist, als sich die
große Zeit bemüht hat, dem militärischen Witzblatt
nachzugeraten.

Es gibt auch Bilder, die den Krieg von einer ver-
söhnlichen Seite zeigen. Die Sammler von Dokumenten
der Menschlichkeit sollten es sich nicht entgehen
lassen: »Szene in der befreiten Bukowina: Rumänische
Bäuerin gibt einem Kriegsberichterstatter Feuer.«



Ich weiß nicht, wie das mit dem Mut ist. Ich
bin darin, da ich erst seit sechzehn Jahren allein
gegen alle stehe, offenbar nicht maßgebend. Ich weiß,
nicht, ob der Nervenarzt recht hat, der zweierlei Mut
unterschied und den anderen, auf dessen neurasthe-
nischen Ursprung zurückgehend, als eine Art Los-
gelassenheit definierte, die auch den Minderwertigen
zu Taten befähige, die sonst einen ganzen Mann
erfordert haben. So wäre denn Tapferkeit unter
Umständen eine rabiate Feigheit und das Vorwärts-
gehen eine umgekehrte Flucht. Ich weiß nicht, ob
die Wissenschaft recht hat. Das aber ist mir auf-
gefallen, daß ein junger Mann, der einmal, als ich
u-gendwo eine Vorlesung hielt, aus einem Pfeifchen
Töne hervorbrachte, den ganzen Abend hindurch



142



in einem Winkel geduckt, und nur stille wurde, wenn
der Arrangeur zufällig den Blick nach dem Winkel
richtete, daß eben dieser junge Mann eine belobende
Anerkennung »für tapferes, mutiges und beispiel-
gebendes Verhalten vor dem Feind« empfangen hat.
Es ist möglich, daß, wenn der Feind oben auf dem
Podium statt mit dem Wort mit dem Maschinen-
gewehr gewirkt hätte, auch das Verhalten vor ihm
ein tapferes und mutiges gewesen wäre und vielleicht
beispielgebend für den Saal, der dann endlich einmal,
anstatt mir unter meiner Suggestion Applaussalven
zuzuschicken, mich seiner wahren Meinung entspre-
chend beschossen hätte. Da ich aber nur das Wort
habe und nur einer gegen alle und nicht unter allen
eingereiht, so kenne ich mich mit der Tapferkeit
nicht aus. So viel kann ich aber noch sagen, daß
auch Leute, die der Abfassung von anonymen Schmäh-
briefen an mich überwiesen sind, draußen gute Arbeit
leisten, lauter Volltreffer erzielen oder wenn sie sich
schon nicht selbst bemühn, doch mindestens, erfüllt
vom Glanz des Erlebten, daheim der großen Tat das
Wort sprechen, und zwar in Vortragssälen, wie ich
im Frieden gewohnt war. Es ist aber möglich, daß
mir die Vereinbarkeit solcher Erscheinungen mit
meinen Erfahrungen nur darum auffällt, weil ich den
seelischen Aufschwung übersehe, der im Gefolge
einer tatberauschten Gegenwart Wunder auch über
jene vermocht hat, die bis dahin nur des heimlichen
Wortes fähig waren. Ist dem so, dann wird die
Verwandlung gewiß auch meinem eigenen Wirken
zugutekommen, und ich könnte sicher sein, daß es
künftig von verborgenen Kunstpfeifern und heim-



143



liehen Korrespondenten verschont bleibt. Sollte diese
Wendung durch Gottes Fügung aber gleichwohl nicht
eintreten, so werde ich mit der mir eigenen Offen-
heit davon Bericht erstatten, genau den Helden
bezeichnen und die Anerkennung, die er empfangen
hat, und fortfahren, mich dm-ch tapferes, mutiges
und beispielgebendes Verhalten vor dem heim-
gekehrten Feind auszuzeichnen.

*
Einer, der in dem Verdacht steht, ohne gerade
eine Persönlichkeit zu sein, eine solche doch zu haben,
so einer wird für die Gefahr des Ki-ieges, der ihm
das leibliche Ende oder sonst allerlei Schaden bringen
kann, durch einen sichern Vorteil entschädigt: durch
das Todesurteil, das die zu den höheren Zwecken
organisierte öffentliche Meinung über seine Geltung
beschlossen hat. Durch die Abkehr einer peinvollen
Aufmerksamkeit, durch die Zerstreuung des Pöbels
und die Ablenkung der Hysterie, also durch das
plötzliche Desinteressement zweier Mächte, die sich
fast so willig von dem Druck des Einzelnen befreien,
wie er von ihrer Gefolgschaft. Sie können endlich
von der Gnade einer allgemeinen Pflicht das beziehen,
was vom Zwang eines besonderen Charakters nicht
zu haben war: auch auf der Welt zu sein. Sub-
ordination unter eine Massenverpfhchtung wird von
ihnen bei weitem nicht so hart empfunden wie das
Gefühl der Inferiorität vor dem Denker und darum
überstürzen sie sich in beiderseits willkommenen
Absagen an ihn. Die allgemeine Verpflichtung ist die
Befreiung für beide. Sie schafft einen klaren Zustand,
mit dem sie zufrieden sein können. Die Möglichkeit,



144



durch Pflicht und Zufall als Held zurückzukehren,
ist doch ein berauschenderes Erlebnis als die tote
Gewißheit, hinter dem Helden leben zu müssen und
tatenlos, wehrlos in der Front vor dem immer feind-
lichen Geist zu stehen. Die erfrischende Leere um
einen Zurückbleibenden, die ehedem durch eine wert-
lose Truppe scheinbar ausgefüllt war, gibt erst das
Maß der ausgespielten Rolle, Man wird gleichwohl
nicht unbescheiden; denn das Glück dieser ruhigen
Gegenwart ist groß, weit größer als die verflossene
Ehre. Niemand bekennt lieber als der so Gestürzte
den Sachverhalt der so verrückten Welt. Wohl, »jetzt
ist nicht die Zeit für Gedanken«. Jetzt tragen die
Quallen einen Panzer. Die Zeit ist groß, ich habe
zehntausend Geliebte im Feld! Keine läuft mir mehr
nach. Die Literatur ist von mir befreit: ich atme auf.
Das Scheinmenschentum, von mir abgeglitten, beginnt
sich zu fühlen, und manch ein Tinterl steht draußen
und — macht Gedichte, als wär's ein Bluterl.

*
Der Krieg wird vielleicht eine einzige Ver-
änderung bringen, aber eine, der zuliebe er sicher
nicht unternommen wurde: die Opfer der Psycho-
analyse werden gesund heimkehren. Denn der Krieg
versteht fast so wenig von Psychologie wie die
Psychoanalyse, aber er hat vor dieser individuali-
sierenden Methode, die auf das Nichts am meisten
eingeht, wenigstens den Vorteil, daß er am meisten
schabionisiert und somit dem Nichts wieder zu seiner
wahren Position verhilft. Es ist gut, wenn Quallen,
die noch nicht einmal Instrumente waren, dazu
erhoben werden.



145



Heimlich ein offenes Wort nicht scheuend und
vor aller Welt ein Kujon, so zwischen Hochverrat
und Unterwürfigkeit, lebt sichs hier am besten. Es
gibt Märtyrer ihres Mangels an Überzeugung, auf
deren Lügen kein Verlaß ist, die aus purer Verachtung
für gesellschaftliche Ehren sie zu erlangen trachten
und einer Hoheit nur zu dem Zweck hineinkriechen,
um zu sagen, daß es dort finster sei.



Die Zurücklegung von Orden ist die Ordens-
streberei nach hinten. Denn obschon diese immer
nach hinten zielt, so diesmal auch vom Punkte des

Strebenden aus.

*

Die Quantität mindert in jeder Hinsicht den
Ertrag. Die Anziehungskraft, die die Verkleidung auf
Frauen ausübt, ist geschwunden und geblieben die
erotische Enttäuschung. Da den Frauen nur gefällt,
was auffällt, so hat heute wieder jener die bessere
Aussicht, der ein Ziviige wand trägt, oder ein Bunter,
von dem bekannt würde, daß er sich durch besondere
Feigheit vor dem Feind hervorgetan hat; denn Held
kann ein jeder sein. Es geht eben wie auf jedem
Maskenball, für den jeder sich selbst das größte
Aufsehen verspricht und an dessen Ende er erkennt,
daß er einen Frack hätte anziehen müssen, um auf-
zufallen, denn eine falsche Nase hatten alle.

Gleichwohl wird sich der Heimkehrende nicht
leicht in das zivile Leben wieder einreihen lassen.

10



146



Vielmehr glaube ich: Er wird in das Hinterland
einbrechen und dort den Krieg erst beginnen. Er
wird die Erfolge, die ihm versagt werden, an sich
reißen und der Krieg wird ein Kinderspiel gewesen
sein gegen den Frieden, der da ausbrechen wird.
Vor der Offensive, die dann bevorsteht, bewahre
uns Gott! Eine furchtbare Aktivität, durch kein
Kommando mehr gebändigt, wird in allen Lebens-
lagen nach der Waffe und nach dem Genuß greifen
und es wird mehr Tod und Krankheit in die Welt
kommen, als der Krieg je ihr zugemutet hat.



Eine Frau sechs Wochen im Schützengraben?
Wenn sie nicht doch auch einmal in der Zeit geblutet
hätte, müßte man es für unnatürlich halten.



Ich glaube nicht, daß erzogene Mädchen, die
bis zum 1. August 1914 nicht wissen durften, wie
der Mann beschaffen ist, von dem sie Mutter sein
werden, von da an, ohne ihr eigenes und die ihm
folgenden Geschlechter in Verwirrung zu bringen,
Handreichungen an der Leiblichkeit fremder Männer
vornehmen können, auf die niemals Väter, Brüder,
Gatten, geschweige denn Diener einen Anspruch
hatten. Ich glaube, daß diese Verwandlung der Dame
zur Pflichterfüllerin, auch wenn sie äußerlich nicht
die kleinste Bewegtheit und nicht die geringste
greifbare Inkonvenienz mit sich brächte, unter den
Blicken von Ärzten, die nie in ihrem ganzen Leben
davon geträumt haben, in die gesellschaftliche Nähe



147



solcher Frauen zu gelangen oder gar deren Befehls-
Tiaber zu werden, sieh mit der gleichen Plötzlichkeit,
mit der sie vor sich ging, auch als erotisches
Schauspiel präsentieren könnte. Ich glaube nicht, daß
die Möglichkeit, eine Aristokratin zur Entfernung von
Ungeziefer zu verhalten, von einem graduierten
Burschen mit intelligenten Äuglein nur unter dem
Gesichtspunkt der Selbstaufopferung tagsüber be-
trachtet und abends am Stammtisch besprochen werden
dürfte. Ich glaube, daß der im luftleeren, von
Fibelgedanken begrenzten Raum lebende Offizialgeist
sich auch dieses Kriegsopfer anders vorgestellt hat, als
es ausfällt. Ich glaube: das hinter der äußern Wirrnis in
fiu'chtbarer Unsichtbarkeit verborgene Chaos werden
erst die Enkel büßen. Die Nächstenliebe, die den
weiblichen Landsturm aufgeboten hat, ist noch
weniger als der Nächstenhaß imstande, die Folgen
zu decken. Keiner der Imperative, unter denen die
heutige Welt noch geboren ist, weder der heroische,
noch der charitative, wird den neuen Zeitformen
standhalten. Eine Gesellschaft, die unter dem Schutze
alter Moralgesetze so unbekannte Abenteuer bestehen
zu können wähnt, muß an jenen selbst zuschanden
gehn. Nicht die Sitthchkeit, sondern deren Umsturz
ist die Grundbedingung, daß die Frau von der Kranken-
pflege davonkomme. Wer hilft den Helferinnen? Denn
es kann wohl einem Restchen Phantasie, welches
dem technischen Weltsturm standgehalten hat, nicht
verborgen bleiben, daß dieses Experiment der Mensch-
heit die Frauen noch in Mitleidenschaft ziehen wird,
wenn die Männerwunden längst geheilt sein werden.
Die Entwicklung in die Quantität hat sie zu einem

10*



148



früher nie gesehenen Aufgebot der Hilfe mobilisiert,
dessen Agenden einen viel tiefern Wesenseingriff
bedeuten als die Verwandlung der Männer und viel
schmerzlichere Wunden hinterlassen werden, als jene
sind, bei deren Behandlung die Frauen assistieren. Denn
noch weniger als Blutverlust sich im Raum idealer
Schulvorstellungen vollzieht, spielen sich dort die
Angelegenheiten der Charitas ab. Dieselbe Sittlichkeit,
die Aufopferung verlangt und weibliche Hingabe
außerhalb des Geschlechts konstruiert, hat durch
Generationen nicht einmal zur Aussprache gelangen
lassen, was jetzt täglich, plötzlich, zur unmittelbaren
Anschauung kommt. Der praktische Sinn der
Menschheit hat der Unmoral nur im männlichen
Punkt Konzessionen gemacht und die Erkenntnis
zugelassen, daß man mit Bibelsprüchen keine Eisen-
bahnen baut. Aber daß man mit Fibelsprüchen
Spitäler bedient, von dieser Überzeugung würde er
sein Lebtag nicht lassen. Hat er aber schon für den
Bereich männlichen Wirkens im Kriege außer der
Verpflichtung, fürs Vaterland zu bluten, keine
unheroischen Begleiterscheinungen berücksichtigt
und etwa die Möglichkeit, Läuse zu bekommen, gar
nicht in die Glorie einbezogen, wie würde er diese mit
der Notwendigkeit, jene zu entfernen, vereinbaren
können? Ist eine Geistesverfassung haltbar, die zu
jedem Bett eines Kriegers neben die Pflegerin auch
die unsichtbare Gouvernante der Moral stellt, die nicht
zu fühlen erlaubt, was zu tun sie nicht verhindern
kann, und nicht auszusprechen, was zu empfinden
die unsichtbare Kupplerin Natur befiehlt? Ist der
Zustand fortsetzbar, daß eine vor ihren Angehörigen



149



nicht beim Namen nennen darf, was sie tagsüber
für einen Fremden tun mußte? Die freiwillige Pflegerin
ist doch eben jenes Mädchen, das nach aufgehobener
Hochzeitstafel von der Mutter, ja gleich darauf vom
Gatten auch nicht annähernd so viele physiologische
Neuigkeiten erfährt, als eine Stunde am Operations-
tisch oder Krankenbett ihr vermitteln kann. Die
Hoffnung, daß das überstandene Studium eine
moralistische Auffassung in diesem Belang, die
immer noch gesünder war, künftig ausschalten
werde, wäre töricht. Nur das Zwielicht wird
peinlicher sein, und der Kontrast, daß die schlechte
Zeitung, die in den guten Häusern gehalten wird, in
einem Kriegsbericht das Wort Läuse nur mit dem
Anfangsbuchstaben und vier Punkten schreibt und
die Töchter der Abonnenten ohne Umschreibung mit
der Sache selbst fertig werden müssen, wird sich
tausendmal fühlbar machen. Die Natur, vorausgesetzt,
daß so etwas noch in Frauen lebt, dürfte denn doch
leichter eine Verbindung mit dem Ekel zur Erschaffung
heilloser Hysterien eingehen können, als die Moral
mit dem Wort. Was die Krankenpflege, gefährlich
nur durch die Gelegenheit, daß Gefühlsmonstren zur
Welt kommen, an normaleren Vermischungen zeitigen
mag, ist unbeträchtlich, da hier dank einer tatsachen-
durstigen Moral der greifbare Fall rasch genug
bekannt wird und die Zahl der Begebenheiten immer
hinter der Fülle der Erzählungen zurückbliebe. Viel
bedenklicher ist jene Einwirkung, die von der Moral
zwar von altersher verschuldet, aber im präsenten
Fall von ihr nicht bemerkt und nicht verstanden
wird. Die Verbindung der formwilligsten Natur mit



150



Grauen und Ekel wird noch in Generationen zu spüren
sein, die von dem Anlaß nur aus Geschichtsbüchern
unterrichtet sein werden. Und ist man wirkhch sa
blind, den Anteil nicht zu sehen, den an solcher
Alteration noch der wehrloseste Patient hat, der nach
einer geschlechtlichen Hungerperiode zum erstenmal
die beständige Nähe eines Wesens spürt, das immerhin
von der Natur dazu gebildet scheint, den durch Blut-
geruch hundertfach vermehrten Hunger zu befriedigen?
Und ist es denn human, Männer, deren rein körperliche
Erregung dem Heilungsprozeß abträglich ist, so im
Prokrustesbett der Sitte liegen zu lassen, Frauen,,
deren vom Geschlecht irritiertes Gemütsleben in die
Zukunft wirkt, in die Luft solch eines Kranken-
zimmers zu stellen? Ist es nicht grausam, die
furchtbarste Naturgewalt, die sich im Bund mit dem
blutigsten Handwerk steigert, der konstanten Reizung
auszusetzen und eine Entspannung zu verhindern?
Nicht noch grausamer, den Instinkt der Frau, dem
der eigene Wunsch fern genug liegen mag, aber der
fremde schmeichelt, solchen Prüfungen zu überlassen
und die Schönheiten des Hinterlandes vermöge einer
suggerierten idealen Aufgabe zum bewußten Zielpunkt
von Begierden zu machen, die draußen in den be-
klagten sexuellen Gewalttaten Befriedigung finden?
Und wenn es schon nicht das ausgehungerte
Geschlechtstier selbst ist, dem die Pflichterfüllerin
vorgeführt wird, wenn Aggression und jedes Anbot
gröberen Wunsches vollständig ausgeschaltet wären,
bringt dann nicht doch der Reiz der Unterwerfung unter
weibliche Aufsicht und die dem feineren Geschmack
auf beiden Seiten erreichbare Sensation des Standes-



151



Unterschieds genug Nebensinu in die Barmherzigkeit,
um sie, mindestens durch die Zeugenschaft dritter
Personen, zu einer erotischen Angelegenheit zu machen ?
Was hat denn die Chirurgie mit diesen Dingen zu
schaffen, und hat man nicht oft genug gehört, daß
Kranke, die von allen erotischen Ingredienzen nur
die Schamhaftigkeit hatten, aber zu krank waren,
um sie in ein Wohlgefühl umzusetzen, den Beistand
der ihnen sozial übergeordneten oder gleichgestellten
Damen unbequem empfanden? Nichts müßte »ge-
schehen«, und die Geschlechtsluft, in der diese
Frauen geatmet haben, hinterließe doch — unter der
gleichzeitigen Erhaltung dessen, was sie im Zaum
hält, und eben darum — eine fortwirkende Unruhe.
Warum belügt sich denn die Welt so dumm, und
was ändert die unmenschliche Sicherheit ihrer Vor-
kehrungen an dem Dasein eines Triebes, der sich
am Verbot nährt und verheerend nach innen wendet!
Der strategische Rückzug dieses Feindes ist die Offensive

gegen die Zukunft.

*

Zu einer jungen Krankenpflegerin: »Nein, ich
bin nicht dafür.« »Warum?« »WeU ich Ihnen nicht
sagen darf, warum ich dagegen bin.«

*

Alles was ehedem paradox war, bestätigt nun
die große Zeit.

»Von allen möchte ich doch noch am liebsten
die zu Feinden haben.« »Aber nicht zu Freunden!«



152



In Deutschland steht die Kunst »im Dienste des
Kaufmanns«. Noch nie dürfte einem Dienstboten
mit weniger Wahrheit nachgerühmt worden sein, daß
er gesund entlassen wurde.

*

Die Achtziger Jahre brachten allerlei Schnörkel.
Das Sinnbild des Lebens war ihnen der Pferdesport
und mit dessen Zeichen verschnörkelte man alle
Gegenstände des nüchternen Gebrauchs. Kein Tinten-
zeug, das nicht mit Sattel oder Jokeykappe bepackt
war, kein Leuchter, der nicht auf einem Hufeisen
stand. Aber das Spiel, mit dem der Ernst ornamentiert
wurde, war wenigstens vom Spiel bezogen, nicht vom
Ernst. Die eiserne Zeit hält es anders. Sie ist
keineswegs zu ernst, um auf das Ornament zu ver-
zichten; aber sie behängt nicht den Ernst mit dem
Spiel, sondern das Spiel mit dem Ernst. Es wäre
immerhin noch geistig sauberer, einen Mörser zu
verzieren, als dem Zierat die Fasson eines Mörsers
zu geben. Die Achtziger Jahre waren denn doch
besser, wiewohl sie nur die hufeiserne Zeit waren.

*

Derselbe Mischmasch einer Kultur, die aus
Absatzgebieten Schlachtfelder macht und umgekehrt,
baut aus Stearinkerzen Tempel und stellt »die Kunst
in den Dienst des Kaufmanns«. Wenn die Industrie
Künstler beschäftigt, so kann sie auch Krüppel liefern.

*

Das Kriegsmittel sei vom Material bezogen.
Wenn zwei Konsumvereine sich streiten, so ist der



153



der sittlich höher stehende Konsumverein, der nicht
die Vereinsmitglieder selbst, sondern eine von ihnen
gemietete Polizei raufen läßt, und er handelt am
sittlichsten, wenn er sich gar mit der Kundenabtreibung
begnügt. Die einen wollen den Export und sagen.
es handle sich um ein Ideal; die andern sagen, es
handle sich um den Export, und diese Offenheit
ermöglicht schon das Ideal. Und sie könnten es den
andern zurückerobern, indem sie sie von der kultur-
widrigen Gewohnheit befreien, es als »Aufmachung«
für ihre Fertigware zu verwenden. Denn Spediteure
haben nicht ideale Güter als Draufgabe zu verfrachten.

*
Wenn Buchhalter Kriege führen, sollten sie
auch die Chancen berechnen.

Wie einer lügt, kann manchmal wertvoller sein
als daß ein anderer die Wahrheit sagt.

Die Lügen des Auslands, vorausgesetzt daß
nicht auch sie made in Germany sind, enthalten
noch immer mehr Lebenssaft als eine Wahrheit des
Wolff'schen Büros. Denn bei jenen kann man die
Lüge, die einem Naturell entspringt, von der Wahr-
heit, die einer Einsicht entspringt, noch unterscheiden ;
anderwärts sagen sie selbst die Wahrheit wie gedruckt
und alles entspringt dem Papier.

*

Es gibt Künster der Lüge und es gibt Ingenieure
der Lüge. Jene wirken gefährlich auf die Phantasie;
diese haben sie schon vorher aufgebraucht.



154



Die Lüge im Krieg ist entweder ein Rausch
oder eine Wissenschaft. Diese schadet dem Organismus

mehr.

*

Die deutsche Sprache ist die tiefste, die deutsche
Rede die seichteste.

Ich weiß um die Entfernung des heiligen Geistes

von den Sitten der Wilden. Ein Analphabet in

Timbuktu nämlich dürfte dem Geist seiner Sprache

erheblich näher stehen als ein Literaturprofessor in

Dresden dem Geist der seinen. Mithin dürfte ein

Analphabet in Timbuktu auch dem Geist der deutschen

Sprache näher stehen.

*

Der Franzose hat sich von seiner Oberfläche
noch immer nicht so weit entfernt, wie der Deutsche

von seiner Tiefe.

*

Die grausamsten Schändungen werden doch an
der Sprache begangen. Es gibt Kosakenhorden, die
den Boden für die Ewigkeit verwüstet haben, und
es gibt Kulturen, die es zufrieden sind.



Manchen Punkt wüßte ich noch, der erfolgreich

mit Bomben belegt werden könnte. Aber folgt man

mir denn?

*

Ein rechter Krieg wäre erst, wenn nur die, die
nicht taugen, in ihn geschickt würden.



155-



Der Österreicher läßt sich aus jeder Verfassung
bringen, nur nicht aus der Gemütsverfassung.



Darin ist Ordnung: die Schlamperei ist gebUeben.
Darin ist Pünktlichkeit: die Schlamperei beruft sich

auf den Weltbrand.

*

Es ist in alten Mären, auf welche die Nibelungen-
treue zurückzuführen ist, der Wunder viel geseit.
Aber was sind diese gegen die wunderbaren, märchen-
haften Verbindungen und Kontraste der blutlebendigen
Gegenwart? Denn: Noch nicht einmal telephonieren
können und nichts als telephonieren können — das
mag wohl zwei Welten ergeben; aber läßt es eigentlich
ihre seelischeVerbindung zu, da kaum eine telephonische
Zustandekommen könnte? Lassen sich zwei Wesen
Schulter an Schulter denken, deren eines die Unordnung
zum Lebensinhalt hat und nur aus Schlamperei noch
nicht zu bestehen aufgehört hat, und deren anderes
in nichts und durch nichts besteht als durch Ordnung?



Wir hier müssen erst das werden, was wir nicht
sein sollen.

Der Wiener wird nie untergehn, sondern im
Gegenteil immer hinaufgehn und sichs richten.

*

Immer schon habe ich es draußen in der Well
ungemütlich gefunden. Wenn ich trotzdem so oft



156



hinausgereist bin, so geschah es nur, weil ich es hier
gemütlich gefunden habe.



Den Ägyptern war der Scarabäus heilig, den
Wienern der Zahlkellner. Die unwahrscheinliche Ver-
flossenheit dieser Kultur spricht schon heute in
Hieroglyphen. Eine Bilderschrift ergibt etwa den
folgenden Sinn: Ein anscheinend den besseren Ständen
angehöriger Herr hat während des Essens noch die
Geistesgegenwart, dem Zahlkellner einen Witz zu
erzählen. Der Zahlkellner schmunzelt befriedigt und
revanchiert sich, indem er um den Gast herumgeht,
sich über sein Ohr beugt, und ihm eine offenbar
gewagte Anekdote einsagt. Das Gesicht des Herrn,
auf dem das wachsende Verständnis sich aus nach-
denkhchen Schatten mählich zu einem strahlenden
Ausdruck gesteigert hat, legt sich wieder in Falten:
er scheint sich an etwas zu erinnern und beginnt
mit vollem Mund sich über die ungenügende Ver-
pflegung in den Schützengräben aufzuhalten . . .
Der Zahlkellner war im Rang über den Hohepriester
gestellt. Er bezog scheinbar nur dafür Einkünfte, daß
man ihm Geld gab; in Wahrheit hatte er Rat und
Trost in allen Lebenslagen zu spenden. Ihm nahe im
öffentlichen Ansehen kamen die Sänger. Hatte der
Zahlkellner auf den Geist der Männer einzuwirken,
so sprach der Operettentenor mehr zu den Sinnen
der Frauen. In allen Schaufenstern, die man auch
Auslagen nannte, prangte sein Bild, selbst in Blumen-
läden tauchte das anheimelnde Gesicht unvermutet
wie eine liebe Schnecke zwischen den Boten des



157



Frühlings auf, in der Regel sogar mit der eigenhändigen
Unterschrift verziert. Als es Krieg gab, erhöhte die
Uniform den Reiz dieser an und für sich schon
unwiderstehlichen Figuren, denen man dann noch
häufiger auf der Straße begegnete als sonst, weil
ihre Unentbehrlichkeit für die Damenwelt ihnen von
selbst eine Beschäftigung im Hinterland anwies. Das
Wesen jener sagenumwobenen Stadt war es, daß der
Liebreiz ihrer Sitten noch das Auspeitschenswerteste
mit dem Vorzug der Schmackhaftigkeit begnaden
konnte.

Bei Kriegsausbruch scheint es in Paris zugegangen
zu sein, wie in Wien nach Konzertschluß.



Es gab Tage in Wien, wo einem eher die Fenster
eingeschlagen wurden, wenn man laut sagte, die Fran-
zosen hätten ein Debacle erlitten und wären nun in
der Sauce, als wenn man von einer Niederlage der
Deutschen gesprochen hätte, die nun in der Tunke
wären.

In einer aufgeregten Zeit, in der alles durcheinander-
geht, kann es leicht geschehen, daß ein Korrespondent
von den »Brüsseler Spitzen der Behörden« spricht.



Ein kleines Vorstadtcafe in der Nähe des West-
bahnhofes, das Cafe Westminster hieß, damit sich die
ankommenden Lords sogleich wie zu Hause fühlten,
heißt jetzt Cafe Westmünster. Das ist ein rührender



158



Beweis für den guten Willen, die Notwendigkeiten der

veränderten Zeit zu erfassen, und dürfte späterhin auch

eine verdiente Enttäuschung für die auf dem West-

balinhof wieder ankommenden Lords bedeuten. Die

wem schaun!

*

Der kriegerische Zustand scheint den geistigen
auf das Niveau der Kinderstube herabzudrücken. Nicht
allein, daß jeder recht und der andere angefangen
hat. Nicht nur, daß jeder sich eben das als Einsicht
und Ehre einräumt, was des andern Unbill und
Schande ist, dem andern die Untat vorwirft, die er
selbst begeht, das Unglück vorhält, das er selbst
erleidet, und daß noch die grellste Anschaulichkeit
solcher Kontraste, die in zwei benachbarten Zeitungs-
spalten zusammenstoßen, ihnen nichts von ihrer
Unbefangenheit nehmen kann und immerzu der, dessen
Kartoffeln nur dreimal so teuer wurden, den andern,
dem sie um zwanzig Prozent hinaufgegangen sind, für
ruiniert halten wird. Nicht nur, daß keiner von ihnen
unter allen möglichen Schlüssen, mit denen man eine
verfehlte Sache beenden kann, auch nur den Vernunft-
schluß wählt, der eigene Sieg müsse längst besiegelt
sein, wenn nur der hundertste Teil dessen wahr ist,
was der Tag an feindlichen Verlusten von Macht
und Ehre bringt. Nein, jeder ist auch der Meinung,
daß der »Wille zum Sieg« diesen verbürge und daß
nur er allein diesen Willen zum Sieg habe, während
der andere, offenbar von dem nicht minder ent-
schlossenen Willen zur Niederlage getrieben, mit
knapper Not und m it Anspannung aller Kräfte vielleicht
diese erreichen kann, aber beileibe nicht den Sieg, auf



159



den er es ja auch gar nicht abgesehen hat, es wäre denn,
daß wider Erwarten der am Ende doch allen gemeinsame
Wille zum Sieg allen eben diesen verbürgte. Dabei
ahnt aber die verfolgende Unschuld nicht, daß
tatsächlich der Wille zur Niederlage eine Triebkraft
sein könnte, die einen wahren Feldherrn der Kultur
zum Triumph der Demut über den expansiven Ungeist
führt, und daß jene Sprache gewinnen würde, in
deren Verkehrsbereich sich der Zusammensturz des
weltbeherrschenden Unwerts endlich vollzieht, damit
auch dieser Krieg den Sinn eines Krieges habe.
Wenn aber die Sprachen so weit halten, daß dieselbe
Rede die Wahrheit des einen und die Wahrheit des
andern ist, so lügt nicht einer, sondern beide, und
über alle triumphiert wie eh und je der Unwert.



Der Witz umarmt die Wirklichkeit, und der
Wahnsinn springt auf die Welt. Wie soll man noch
erfinden, wenn hinter jeder Fratze ein Gesicht auf-
taucht und sich selbst zum Sprechen ähnhch findet?
Wie soll man übertreiben, wenn die Tatsache zur
Karikatur der Übertreibung wird? A und B sind im
Streit. Von A erzählt man eine rechtswidrige Handlung.
Da man das aber aus irgendeinem Grunde nicht laut
sagen darf, so sagt man laut: Wissen Sie schon,
welche Rechtswidrigkeit der B wieder begangen hat?
Daß B sie wirklich auch begangen haben könnte,
daran denkt man dabei nicht. Daß A, seines eigenen
Vergehens bewußt, es dem B je zum Vorwurf machen
könnte, wenn der es auch begangen hätte, glaubt
man gleichfalls nicht. Wenigstens in diesem besonders



160



argen Fall nicht. Nur die allgemeine Erfahrung, daß
ähnliches wohl schon geschehen sei, ja daß dem B
so viel aufs Kerbholz gesetzt werde, was nur der A
getan hat, berechtigt zu der scherzhaften Verwechs-
lung: »Nein, denken Sie, was bei dem B alles
möglich ist!« Am nächsten Tag erscheint eine Ver-
wahrung des A gegen das Vorgehen des B. Er habe
eben jene Rechtswidrigkeit begangen, in der Reihe
ähnlicher Vergehungen die ärgste. So übernimmt A
selbst die parodistische Methode, mit der man die
Sünden des A dem B zuschiebt, weil man nicht
anders kann. So bleibt nur die Erklärung, daß er
Reue verspürte und in der Hoffnung, man werde ihn
richtig verstehen, sein Verschulden in der Form
beichtete, daß er es dem B zuschob. Hätte B es
wirklich begangen, so müßte ja A mindestens den
gerechten Ausgleich spüren und schweigen. Nicht die
Entrüstung über das, was man selbst auch schon oder
gar nur allein getan hat, bildet die Komik des Falles,
sondern die Pünktlichkeit, mit der eine absichtliche
Entstellung, die der Vorsichtige gebraucht, welcher B
sagen muß, wenn er A meint, von A aufgegriffen
wird. Somit hüte man sich nicht nur, die Wahrheit
zu sagen, man sei auch vorsichtig mit der Lüge,
denn auch sie ist vergeblich und taugt höchstens zum

Possenmotiv.

*

Was die Spione immer verbrechen mögen, die
Landesgrenzen der Ethik werden sie nicht verrücken
können. Immer wird jeder Staat dasselbe Verbrechen,
das er mit dem Tode bestraft, mit Gold aufwiegen.
Darum sollte eine Angelegenheit der Utilität wenigstens



161



von dem Ballast einer Moralität befreit werden,
innerhalb deren ja beide Teile einander nichts vor-
zuwerfen haben.

*

Es gibt politische Überzeugungen, deren Anhänger
lieber gegen sie als für sie sterben.



Nie sollte der Bürger das Gefühl haben, daß das
Vaterland ein Gut- und Blutegel sei!



Diplomatie ist ein Schachspiel, bei dem die Völker

matt gesetzt werden.

*

Der Krieg wäre ja ein leidliches Strafgericht, wenn
er nicht die Fortsetzung des Deliktes wäre.



Der militärische Typus ist der brauchbarste aller
im Frieden vorrätigen Typen der Demokratie. Dienst
ist die Schranke der zügellosen Unbedeutung. Es ist
Pflichterfüllung um ihrer selbst willen. Zucht ist der
Anstand der Mittelmäßigkeit. Selbst der Jobber, der
einmal dienen muß, anstatt zu gebieten, kommt mit
einem bessern, weniger störenden, weniger individu-
ellen, fettloseren Gesicht zurück. Dies ist kein Lob
des Krieges, sondern beileibe nur der Strapaz. Der
Tod hebt den erreichten Gewinn wieder auf. Nicht
daß die Jobber stürben, bewahre !, Die Jobber sterben
nicht. Aber ich denke, daß der angemaßte Todes-
glanz den Wert der Turnübung wettmacht. Das

11



162



Heldentum der Unbefugten ist die traurigste Aussicht
dieses Krieges. Es wird dereinst der Hintergrund
sein, auf dem sich die vermehrte und unveränderte
Niedrigkeit noch malerischer und vorteilhafter abhebt.



Die militärische Daseinsform verträgt sich mit
dem Denken nur als Gelegenheit oder Beruf des edel
Gehörnen, den Gefahrenlust oder die Empfindlichkeit
in jedem und somit auch im vaterländischen Ehrbegriffe
zum Schutz des zu solchen Gefühlen untauglichen
Bürgers befähigen, und als Dienst des Söldners. Die
große Neuerung, die Hand in Hand mit der Entwicklung
der technischen Quantität den Bürger selbst unter die
militärische Pflicht gestellt hat, wäre höchstens dort, wo
sie den Vorteil körperlicher Abhärtung ergibt, mit dem
Sinn des Lebens in Übereinstimmung zu bringen. Die
Demokratisierung der Glorie, die Umwandlung des
Opfers zum Tribut, des Rechts, für das Vaterland zu
sterben, in die diesbezügliche Pflicht, ist bisher nur
als der Nutzen eines vermehrten Aufgebots der Körper
in Betracht gezogen, aber in ihren inneren Folgen noch
nicht durchdacht worden. Disziplin ist das erhaltende
Prinzip innerhalb des militärischen Berufs oder des
militärischen Geschäfts, ein zerstörendes innerhalb des
militärischen Zwanges. Wenn das Dienen der Inhalt
der durch moralische oder materielle Ambition
freigewählten Betätigung ist, so findet der Wert kein
anderes Maß als im Rang. Nie kann es da geschehen,
daß • ein Hochwertiger einem Minderwertigen zu
gehorchen hat. Denn da — die Gerechtigkeit der
Verwaltung und die Ordnung der Sphäre gerade da



163



leicht vorausgesetzt — muß der Vorgesetzte, der sein
ganzes Wesen dem Beruf gewidmet hat, menschhch
über dem Subalternen stehen, der desgleichen getan
hat. Kultur ist im letzten Grunde von der restlosen
Aufwendung der Fähigkeiten auf den freigewählten
Beruf bedingt. Nun denke man aber den Fall, daß
— aus einer mißgeleiteten demokratischen Absicht —
ein autokratisches Gesetz zustandekommt, welches den
Gelehrten eines Tages zwingt, als Lehrling bei einem
Tischlermeister einzutreten und ihm außer der Arbeit,
die sein besseres Teil zwar nicht aufbraucht, aber
schädigt, auch noch wo immer die vorschriftsmäßige
Ehrenbezeigung zu leisten. Der Rangunterschied dürfte
hier kaum mit dem Wertunterschied zur Deckung
kommen. Die Fortsetzung dieses Zustands in ein soziales
und seelisches Chaos ist unschwer durchzudenken. Die
demokratische Idee, die es auf die Freilieit aller von
allen abgesehen hat, ist bloß nicht ins Leben umzusetzen.
Aber wenn sie mit dem Zwang aller durch alle vorlieb
nimmt, führt sie sich ad absurdum. Wie kann ein Beruf,
dessen Bereitschaft zu Gefahren Staat und Gesellschaft
mit Recht durch ein Vorrecht belohnt haben, die
Popularisierung ertragen? Oder wie kann die Pflicht,
gleiche Gefahr zu bestehen, auf das Vorrecht verzichten ?
Nie konnte ein Subalterner der alten Ordnung unter
dem Gefühl, der höhere Mensch zu sein, leiden, weil
solches Gefühl auch Gelegenheit hatte, ihn bei der
Berufswahl zu beraten und noch die Möglichkeit, die
Berufswahl zu korrigieren. Wohltätig wäre der plötzliche
Zwang, der nur den zuchtlosen Intellekt oder die
freche Habsucht unter das Kommando einer Schablone
beugte, mag auch diese heute im letzten Grunde

11*



164



nichts anderes bedeuten als die Autorität der Erwerbs-
mächte selbst. Wie soll aber wahres Menschentum, das
solchen Stoßes nicht bedurft hat, in der neuen
Wirklichkeit sich zurecht finden? Und wenns gelingt,
wie kann das Mißverhältnis von Macht und Wert
bestehen bleiben ohne weitere, der Macht nm- zu
erwünschte Verkümmerung des Wertes? Wenn die
Demokratie des einzigen Privilegs, das sie noch nicht
hatte, des Privilegs, Zucht zu halten, habhaft wird,
dann kann es zu einem furchtbaren Instrument in
der Hand der Minderwertigkeit werden, zu einem
grausameren als die Waffe selbst. Kein Staat ver-
möchte als einziger dieser Entwicklung Einhalt zu
tun. Aber welcher Gedanke war, da das Menschen-
leben kurz ist, die Sonne nur einmal scheint und
Haushalten mit der irdischen Glückseligkeit geboten
ist, welcher Gedanke war so verführerisch, alle
zusammen und die Welt selbst auf diese Bahn zu

führen !

*

Die Entwicklung der Technik ist bei der Wehr-
losigkeit vor der Technik angelangt.

*

Nie war eine riesenhaftere Winzigkeit das Format

der Welt. Die Tat hat nur das Ausmaß des Berichts,

der mit nachkeuchender Deutlichkeit sie zu erreichen

sucht.

*

Wie geht das nur zu ? Die Welt brennt — aber von
den Häuptern jener Lieben, die man schon vorher
täglich gezählt hat, fehlt kein einziges.



165



Welche Torheit, zu glauben, daß die ekelhaftesten
Erscheinungen des gesellschaftlichen Hinterlandes
nicht die maßgebenden seien! Was wie Oberfläche
aussieht, ist in Wahrheit Alles, denn Alles drängt
zur Oberfläche. Was geopfert wird, war gesünder
als das, was bleibt: diesem wurde es geopfert. Wie?
Der deutsche Michel ist für die Schmach der Großstadt
nicht verantwortlich? Aber er dient ihr, für sie blutet
er. Denn alles wird Großstadt und Schmach. Der
Thüringer, in die Maschine geworfen, stirbt oder wird
Berliner. Umgekehrt gehts nicht und zurück ginge
es auch nicht mehr. Der deutsche Michel ist das
Rohmaterial. Die Fertigware, auf die es ankommt,
ist der deutsche Koofmichel.

*

La bourse est la vie.

Die Feldpost bewährt sich. Sie hat schon jetzt
die seelische Verbindung zwischen den Taten und
dem Hinterland überlebt.

*

Nichts hat sich geändert, höchstens, daß man es

nicht sagen darf.

*

Jetzt sprechen hat entweder zur Voraussetzung,
daß man keinen Kopf hat, oder zur Folge.

Ich bin dafür, daß man den Leuten verbietet,
das, was ich denke, zu meinen.

*



166



Die Menschheit würde vom Kiieg statt einer
Extraausgabe einen Denkzettel behalten, wenn sie
durch den Krieg verhindert würde, jene zu bekommen.

*

Einer saß am Klavier, nach ein paar Tagen
traf ihn ein Schuß ins Herz. . . Ein Verstümmelter mit
zuckendem Gesicht schleppt sich vorbei. . . Wie gut
blickt jener, der dort hinkt, als möchte er dem
schnellen Passanten sagen: Alles kam, ich weiß
nicht wie, ich war ja bereit für euch, nun finde ich
mich nicht mehr zurecht unter euch, dem Tod entkam
ich. bitte, wie kommt man hier durchs Leben?
Weicht nie mehr dieser Brand von meinem Auge,
nie diese Höllenmusik aus meinem Ohr? . . . Zwei
Leiber, die nicht Narben, sondern Lieferungen haben,
eilen vorüber. Es fällt das Wort: »Friedensrisiko«.

*

Ich sah einen, dessen Gesicht gedieh, wurde
breit und breiter, bis es aufging wie ein lachender
Vollmond über dem blutigen Zeitvertreib der Erde.
Solcher Monde so viele zählte schon der Krieg.

Wenn man dem Teufel, dem der Krieg seit jeher
eine reine Passion war, erzählt hätte, daß es einmal
Menschen geben werde, die an der Fortsetzung des
Krieges ein geschäftliches Interesse haben, das zu
verheimlichen sie sich nicht einmal Mühe geben und
dessen Ertrag ihnen noch zu gesellschaftlicher
Geltung verhilft — so hätte er einen aufgefordert, es
seiner Großmutter zu erzählen. Dann aber, wenn



167



er sich von der Tatsache überzeugt hätte, wäre die

Hölle vor Schani erglüht und er hätte erkennen

müssen, daß er sein Lebtag ein armer Teufel

gewesen sei!

*

Wenn man von einem Krieg der Quantitäten
spricht, bejaht man scheinbar die Notwendigkeit des
Krieges als solchen, der ja immerhin das Problem
der Übervölkerung auf eine Zeit in Ordnung bringen
mag. Aber wäre dieser edle Zweck nicht schmerzloser
durch die Freigabe der Fruchtabtreibung zu erreichen?
»Dazu würde die herrschende Moralauffassung« —
höre ich eben diese sagen — »nie ihre Zustimmung
geben!« Das habe ich mir auch nicht eingebildet, da
die herrschende Moralauffassung nur dazu ihre Zu-
stimmung gibt, daß Frauen Kinder bekommen, damit
diese von Fliegerbomben zerrissen werden!



Ein Franktireur ist ein Zivilist, der mit Absicht
einen Bewaffneten angreift. Ein Flieger ist ein Bewaff-
neter, der durch Zufall einen Zivilisten tötet.



Der Humor eines Kegelklubs wirft, wenns sein
muß, auch Bomben mit Witzen.



Als tausende Menschen in den schauerlichsten
Tod versunken wai-en, erhob sich von einer Wiener
Operettenbühne der Witz zu den Sternen : »Dös warn
die ramasurischen Sümpfe« — und eine Stadt, der



168



es bestimmt ist, immerdar nicht unterzugehen, lachte.
Ein Sumpf, der Menschenleiber trägt, warf sich in
Bauchfalten und lachte. Ein Riesenbauch, dem keine
Gefahr aufstößt, wand sich lachend, gekitzelt von
einem Juden, geschützt vor den Einfällen des Welt-
laufs, und lachte, und siehe, eine gemütliche Pratzen
streckte sich der Schicksalshand entgegen und sagte:
Mir wern kan Richter brauchen ! Und hielt sie fest.
Darob verwunderten sich die Sterne.

Alles was geschieht, geschieht für die, die es
beschreiben, und für die, die es nicht erleben. Ein
Spion, der zum Galgen geführt wird, muß einen
längeren Weg gehen, damit die im Kino Abwechs-
lung haben, und muß noch einmal in den photo-
graphischen Apparat starren, damit die im Kino mit
dem Gesichtsausdruck zufrieden sind. Schweigen wir.
Beschreiben wir es nicht, die es erlebten. Es ist ein
dunkler Gedankengang zum Galgen der Menschheit,
ich wollte ihn als ihr sterbender Spion nicht mit-
machen. Und muß, und zeige ihr mein Gesicht! Denn
mein herzbeklemmendes Erlebnis ist der horror vor
dem vacuum, das diese unbeschreibliche Ereignisfülle
in den Gemütern, in den Apparaten vorfindet.

Ich glaube: Daß dieser Krieg, wenn er die
Guten nicht tötet, wohl eine moralische Insel für die
Guten herstellen mag, die auch ohne ihn gut waren.
Daß er aber die ganze umgebende Welt in ein großes
Hinterland des Betrugs, der Hinfälligkeit und des
unmenschlichsten Gottverrats verwandeln wird, indem



169



das Schlechte über ihn hinaus und durch ihn fort-
wirkend, hinter vorgeschobenen Idealen fett wird
und am Opfer wächst. Daß sich in diesem Krieg,
dem Krieg von heute, die Kultur nicht erneuert,
sondern nur durch Selbstmord vor dem Henker rettet.
Daß er mehr war als Sünde: daß er Lüge war,
tägliche Lüge, aus der Druckerschwärze floß wie
Blut, eins das andere nährend, auseinanderströmend,
ein Delta zum großen Wasser des Wahnsinns. Daß
dieser Krieg von heute nichts ist als ein Ausbruch
des Friedens, und daß er nicht durch Frieden zu
beenüen wäre, sondern durch den Krieg des Kosmos
gegen diesen hundstollen Planeten! Daß Menschen-
opfer unerhört fallen mußten, nicht beklagenswert,
weil sie ein fremder Wille zur Schlachtbank trieb,
sondern tragisch, weil sie eine unbekannte Schuld
zu büßen hatten. Daß für einen, der das beispiellose
Unrecht, das sich noch die schlechteste Welt zufügt,
als Tortur an sich selbst empfindet, nur die letzte
sittliche Aufgabe bleibt: mitleidslos diese bange
Wartezeit zu verschlafen, bis ihn das Wort erlöst
oder die Ungeduld Gottes.

»Auch Sie sind ein Optimist, der da glaubt und
hofft, daß die Welt untergeht.«

Nein, sie verläuft nur wie mein Angsttraum, und
wenn ich erwache, ist alles vorbei.



VI

Nachts



173



In der Schöpfung ist die Antithese nicht
beschlossen. Denn in ihr ist alles widerspruchslos
und unvergleichbar. Erst die Entfernung der Welt
vom Schöpfer schafft Raum für die Sucht, die jedem
Gegenteil das verlorene Ebenbild findet.

Witz und Glaube wurzeln beide im größten
Kontrast. Denn einen größeren als den zwischen Gott
und Gottes Ebenbild gibt es nicht.

Ich muß wieder unter Menschen gehen. Denn
zwischen Bienen und Löwenzahn, in diesem Sommer,
ist mein Menschenhaß arg ausgeartet.

Flucht in die Landschaft ist verdächtig. Die
Gletscher sind zu groß, um unter ihnen zu denken,
wie klein die Menschen sind. Aber die Menschen
sind klein genug, um unter ihnen zu denken, wie groß
die Gletscher sind. Man m.uß die Menschen zu diesem
und nicht die Gletscher zu jenem benützen. Der
Einsame aber, der Gletscher braucht, um an Gletscher
zu denken, hat vor den Gemeinsamen, die unter
Menschen an Menschen denken, nur eine Größe
voraus, die nicht von ihm ist. Gletscher sind schon
da. Man muß sie dort erschaffen, wo sie nicht sind,
weil Menschen sind.



174



Quallen, Würmer und Medusen lagen oft auf
dem Strand. Wenn ich sie beschien, spielten sie alle
Farben. Wenn ich ging, waren sie schmutzig. Sie
wollten ihre Persönlichkeit behaupten. Sie beneideten
dann Weichtiere, die eine Schale hatten und keiner
Farbe fähig waren, aber eines Zwecks. Es waren
dennoch Weichtiere und Schaltiere. Genießbar war
keine all der Arten. Keine Auster habe ich gefunden.

Ich geriet einst auf einer Partie in Norwegen,
die als lohnend empfohlen wurde, in sumpfige Gegend,
rettete mich auf einen Baumstrunk und verharrte so,
bis ich wieder Ki-aft hatte, den sicheren Weg zu
suchen . . . Ich weiß nicht, ob ich ihn gefunden
habe . . . Dennoch, lange tauchte die grausige
Erinnerung nicht auf. Bis man mir eines Tages
zuredete, in eine Gesellschaft zu gehen, in der ich
gut aufgehoben und von lauter »Verehrern« umgeben
wäre . . . Ringsum nichts als Verehrer. Die Gegend
gibt nach, wenn ich auftrete. Justament gibt sie nach.
Ich stehe auf einem Baumstrunk. Da sagt man mir,
diese Exklusivität sei schlecht angebracht, denn ich
brauchte doch nur einen Schritt zu machen und wäre
mitten drin unter den Verehrern . . . Seither spaziere
ich im Karst, wo einem das nicht passieren kann.

Als Kind träumte mir oft von Menschen, die nur
aus Haut waren, und die war löcherig. Ich habe später
nichts mehr hineingetan.

*

Bei den meisten Menschen dringe ich bis zur Seele
nicht vor, sondern zweifle schon an den Eingeweiden.



175



Denn ich kann nicht glauben, daß dieser wundervolle

Mechanismus erschaffen wurde, um einen Kommerzial-

rat zusammenzustellen, und erst durch Obduktion

lasse ich mich davon überzeugen, daß ein Wucherer

eine Milz hat.

*

In der Berliner Passage wächst kein Gras. Es
sieht so aus, wie nach dem Weltuntergang, wiewohl
noch Leute Bewegungen machen. Das organische Leben
ist verdorrt und in diesem Zustand ausgestellt.
Kastans Panoptikum. Oh, ein Sommersonntag dort,
um sechs Uhr. Ein Orchestrion spielt zur Stein-
operation Napoleons IIL Der Erwachsene kann den
Schanker eines Negers sehen. Die unwiderruflich
letzten Azteken. Öldrucke. Strichjungen mit dicken
Händen. Draußen ist das Leben: ein Bierkabaret.
Das Orchestrion spielt: Emil du bist eine Pflanze.
Hier wird der Gott mit der Maschine gemacht.



In Wien, grünenden Lebens voll, welken die

Automaten.

*

(Georg Trakl zum Dank für den Psalm.) Siebeumonats-

kinder sind die einzigen, deren Blick die Eltern ver-
antwortlich macht, so daß diese wie ertappte Diebe
dasitzen neben den Bestohlenen. Sie haben den Blick,
der zurückfordert, was ihnen genommen wurde, und
wenn ihr Denken aussetzt, so ist es, als suchte es
den Rest, und sie starren zurück in die Versäumnis.
Andere gibt es, die denkend solchen Blick annehmen,
aber den Blick, der dem Chaos erstatten möchte,



176



was sie zu viel bekommen haben. Es sind die Voll-
kommenen, die fertig wurden, als es zu spät war.
Sie sind mit dem Schrei der Scham auf eine Welt
gekommen, die ihnen nur das eine, erste, letzte
Gefühl beläßt: Zurück in deinen Leib, o Mutter, wo
es gut war!

Alles was recht ist, sagen sie, aber es fehlt
mir an Liebe, sagen sie, an Liebe zur Menschheit.
Das müssen wohl arge Pessimisten sein, die die
vorhandene Kollektion schon für die denkbar beste
halten! Oder arge Idioten, die Jenen einen
Schmetterlingsfeind nennen, dem beim Gedanken an
einen toten^Admiral die Kohlweißlinge zu viel werden.

Das Martyrium war ehedem der Lohn der Er-
kenntnis. Jetzt muß es verkehrt sein: der Gedanke
belohnt die Qual und straft die Quäler. Unter den
Lanzenstichen, die sie austeilen, entsteht, was sie
peinigt! :;=

Oft ritze ich mit der Feder meine Hand und weiß
erst dann, daß ich erlebt habe, was geschrieben steht.

*

Wenn ich einschlafen will, muß ich immer erst
eine ganze Menagerie von Stimmen zum Kuschen
bringen. Man glaubt gar nicht, was für einen Lärm
die in meinem Zimmer machen.

*

Selbstrettung der Selbstmörder: Die Schlechtig-
keit verwechselt meine Beweggründe, sie zu hassen,
mit ihren Beweggründen, schlecht zu sein. Indem



177



sie an mich nicht ghmbt, erspart sie, an sich zu

verzweifehi.

*

Man hat mich oft gebeten, gerecht zu sein unti
eine Sache von allen Seiten zu betrachten. Ich habe
es getan, in der Hoffnung, daß eine Sache vielleicht
dadurch besser werden könnte, daß ich sie von
allen Seiten betrachte. Aber ich kam zu dem gleichen
Resultat. So blieb ich dabei, eine Sache nur von
einer Seite zu betrachten, wodurch ich mir viel
Arbeit und Enttäuschung erspare. Denn es ist
tröstlich, eine Sache für schlecht zu halten und sich
dabei auf ein Vorurteil ausreden zu können.

*

Wenn sich die Schlange vor mir auch windet —
ich zweifle doch an ihrer Zuverlässigkeit.

Wenn man so zwischen Ab- und Zuneigung
hindurchleben muß, nur darum, weil man sich das
Leben nicht leicht gemacht hat, so möchte man wohl
zu der Bitte ein Recht haben, daß sich das Publikum
zerstreuen und jede Unruhestörung vermeiden möge.

Wort und Wesen — das ist die einzige Verbindung,
die ich je im Leben angestrebt habe.

*

Auf dem Weg, auf dem man zu sich kommt,
steht auch noch ein lästiges Spalier von Neugierigen,
die wissen möchten, wie es dort aussieht.



12



178



Wir alle haben keine Zeit. Ich hatte so viel zu
tun, was den Leuten oberflächlich gefiel, daß ich am
Ende vielen eine gründliche Enttäuschung schuldig
geblieben sein werde. Wenn nicht auch sie so viel
zu tun hätten, was mir gründlich mißfällt, wären
vsir längst miteinander im Reinen.



Was sich alles entpuppen kann: ein Schurke
und ein Schmetterling!

Ich höre Geräusche, die andere nicht hören und
die mir die Musik der Sphären stören, die andere
auch nicht hiiren.

Woodie, ein kleiner Hund mit langen Haaren,
den ich persönlich gekannt habe, er lachte, w^enn
die Menschen zu ihm sprachen, und weinte, weil er
mit ihnen nicht sprechen konnte, und sein Blick war
für sich und sie der Dank der Kreatur — ist von eineni
Automobil getötet worden. Wer hatte es so eilip;.
Soll das bißchen Raum zwischen Menschenleibern,
das solch ein Passant in Anspruch nahm — er konnte
sich eng machen wie eine Schlange — nun besser
verwendet werden? Die Würdigen büßen dafür, daß
die andern unwürdig fortleben. Warum doch, da auch
dieses Beispiel die Schlechten nicht bessert? Jener
ging seines Weges und starb daran. Als die Frau
sich umwandte, lag er in der Sonne. Wo Leben keine
Worte hatte, bleibt viel Stille zurück.



179



Ich kannte einen Hund, der war so groß wie
ein Mann, so arglos wie ein Kind und so weise wie
ein Greis. Er schien so viel Zeit zu haben, wie in
ein Menschenleben nicht geht. Wenn er sich sonnte
und einen dabei ansah, war es, als wollte er sagen:
Was eilt ihr so? Und er hätte es gewiß gesagt, wenn
man nur gewartet hätte.



Wenn Tiere gähnen, haben sie ein menschliches
Gesicht.

:f:

So würdig wie das Pferd die Schmach, erträgt
sein Herr die Würde nicht.



Die Undankbarkeit steht oft in keinem Verhältnis
zur empfangenen Wohltat.



Pedanterie ist ein Zustand, an dem sich entweder
der Mangel entschädigt oder die Fülle beruhigt. Wie
Perversität ein Minus oder ein Plus ist. Hinter dem
Pedanten steht zuweilen ein Phantast, der Stützpunkte
sucht, um es so recht sein zu können. Pedant ist
nicht nur, wer im Außen lebt, sondern auch einer,
der sich außen schützt, um sich besser zu verUeren.



Es gibt parasitäre Eindrücke, die im Urteil
nisten bleiben und Erinnerungen aufschließen, aber
so wenig zur Kunst gehören wie die Laus zur Liebe.

12*



180

Ich war auch einmal jung, rief einer, als von
Läusen die Rede war.

Der Einsame : Nichts ist ein besserer Ersatz für
die Liebe als die Vorstellung.

Das Echo: Nichts ist ein besserer Ersatz für
die Liebe als die Vorstellung.



Musik sei mir nur eine leise Anspielung auf

Gedanken, die ich schon habe und wieder haben

möchte.

*

An vieles, was ich erst erlebe, kann ich mich

schon erinnern.

*

Oft bin ich nah der Sprachwand und empfange
nur noch ihr Echo. Oft stoße ich mit dem Kopf an
die Sprachwand.

Die Entschuldigung: »Das ist ihm so in die
Feder geflossen« — mein Ehrentitel. Die Anerkennung:
»Das fließt ihm nur so aus der Feder« — mein
Vorwurf. Aus der Feder fließt Tinte : das ist tüchtig
und ein Verdienst. In die Feder fließt ein Gedanke:
dafür kann man nicht, es ist eine Schuld von tieferher.



Eines Dichters Sprache, eines Weibes Liebe —
es ist immer das, was zum erstenmal geschieht.



181



Ein Sprichwort entsteht nur auf einem Stand
•der Sprache, wo sie noch schweigen kann.



Umgangssprache entsteht, wenn sie mit der
Sprache nur so umgehn ; wenn sie sie wie das Gesetz
umgehen; wie den Feind umgehen; wenn sie umgehend
antworten, ohne gefragt zu sein. Ich möchte mit ihi-
nicht Umgang haben; ich möchte von ihr Umgang
nehmen; die mir tags wie ein Rad im Kopf umgeht;
und nachts als Gespenst umgeht.



Man glaubt gar nicht, was für eine Holzhacker-
arbeit diese geistige Tätigkeit ist. Das Wortspalten,
eh' man euch Feuer macht! — Sich selbst? Wie
hirnverbrannt! Man hat Feuer, es brennt schon, und
dann erst, dadurch erst, immer weiter das Wortspalten!



Das Unverständliche in der Wortkunst — in den

anderen Künsten verstehe ich auch das Verständliche

nicht — darf nicht den äußeren Sinn berühren. Der

muß klarer sein, als was Hinz und Kunz einander zu

sagen haben. Das Geheimnisvolle sei hinter der

Klarheit. Kunst ist etwas, was so klar ist, daß es

niemand versteht. Daß über allen Gipfeln Ruh' ist,

begreift jeder Deutsche und hat gleichwohl noch keiner

erfaßt.

*

Sie sind nicht imstande, einem Wort Leben zu
geben. Wenn ich »Hugo Heller« sage, ist mehr



182



Mysterium darin als in allen transzendenten Redens-
arten, die die modernen Dichter zu Gedichten
zusammenlesen.

■X-

Worüber ich nicht wegkomme : Daß eine ganze
Zeile von einem halben Menschen geschrieben sein
könne. Daß auf dem Flugsand eines Charakters ein
Werk erbaut wäre.

*

Kein Erlebnis könnte spannender sein als die
Enthüllung eines Dichters. Wie sich allmählich die
Distanz zwischen seinen echtesten Zeilen und dem
Menschen aufzutun beginnt.



An dem Unechten ist das Echte einer Steigerung

fähig,

*

Ein grauenhaftes Verhängnis hat mich bestimmt,
den Schein zu vergrößern, ehe ich ihn unter
meinen Blicken vergehen lasse.



Die Dinge, die jeden angehn, sind gar un-
interessant. Es ist am besten, sich auf die Wirkung
zu verlassen, die sie auf die andern gemacht haben.



Alles anklagen ist Einheit. Alles vertragen ist
Kleinheit. Zu allem ja sagen, ist Gemeinheit.



183
»Das Leben geht weiter«. Als es erlaubt ist.



Die Moral, die eine Übertragung von Geschlechts-
krankheiten zum Verbrechen machen sollte, verbietet
zu sagen, daß man eine hat. Darum ist der Menschheit
nicht Wissen und Gewissen ins Blut übergegangen,
sondern eben das, was gewußt werden sollte.



Den Mangel, daß das Genie einer Familie ent-
stammt, kann es nur dadurch wettmachen, daß es
keine hinterläßt.

Die Kinder der Leute laufen um wie die Kalauer,
die nicht unterdrückt wurden. Es sind die unfruchtbaren
Witze der Unfruchtbaren, lästig den Erzeugern.

Kindspech ist eben das, womit man auf die

Welt kommt.

*

Ein dick aufgetragener Vaterstolz hat mir immer
den Wunsch eingegeben, daß der Kerl wenigstens
Schmerzen der Zeugung verspürt hätte.



Eros hat Glück in der Liebe. Verschwendung
schafft ihm Zuwachs ; Kränkung Ehre. Füge ihm einen
Tort zu, es wird ihm eine Lust sein; lästere ihn, es
geht zu seinem Frommen aus. Alles darfst du ihm
antun, nur nicht ihm deine Meinung ins Gesicht sagen.
Er ist nicht wehleidig, aber auch nicht wißbegierig.



184



Er ist nur neugierig, und will es selbst herauskriegen.

Wenngleich du alles besser weißt als er, dieses wisse :

daß er an allem in der Welt beteiligt ist, nur nicht

an der Langeweile. Das Geheimnis, das du vor ihm

hast, wird er mit dir teilen; aber deine Wissenschaft

verschmäht er.

*

Jeder meiner Gedanken, die es auf die erotische
Freiheit abgesehen haben, hat sich noch stets vor
der Welt geschämt: vor jenen und jener geschämt,
die ihm Geschmack abgewinnen wollten. Die einem
darin unrecht geben, haben recht. Die einem darin
recht geben, haben nicht Zeitgenossen zu sein. Solche
mögen dem Gedanken nachdenken, aber es ist vom
Übel, wenn sie ihm nachleben, und ein Greuel, wenn
sie ihn nachsagen. Das geistige Erlebnis bleibt, auch
Wort geworden, eine Privatsache. Wie erst, wenn es
der Liebe entstammt!

Wider besseres Wissen die Wahrheit zu sagen,
sollte für ehrlos gelten.

Mein Unbewußtes kennt sich im Bewußtsein eines
Psychologen weit besser aus als dessen Bewußtsein
in meinem Unbewußten.

Es mag Kriege gegeben haben, in denen
Körperliches für Geistiges eingesetzt wurde. Aber nie
zuvor hat es einen gegeben, in dem nur die Abwesen-
heit des Geistigen verhindert hat, dieses für Körper-
liches einzusetzen.



185



Unter den vielen deutschen Dingen, die jetzt
auf — ol ausgehen, dürfte Odol noch immer wünschens-
werter als Idol sein.



Um in einem kriegführenden Land eine Grenz-
übertrittsbewilligung zu erhalten, braucht man einen
»triftigen Grund«. Ich wäre in Verlegenheit, keinen
zu finden.

»Wie können Sie so mit den Engländern sym-
pathisieren? Sie können ja nicht einmal englisch.«
»Nein, aber deutsch!«

*

Da wird aus Amsterdam gemeldet, die rücksichts-
losen Engländer hätten ein neutrales Schiff durch-
sucht und den Koffer einer Holländerin verdächtig
gefunden, in welchem sich auch tatsächlich ihr Gatte,
ein armer Deutscher, der erblindet war, befunden
habe; ohne Gnade sei er verhaftet worden. Ob das
Gerücht nun auf dem ehrlichen Weg eines Miß-
verständnisses entstanden ist oder ob der Bericht
ein blinder Passagier war, den man in die Schiffs-
ladung des solchen Zufäll unausgesetzten Zentralorgans
deutsch -österreichischer Intelligenz geschmuggelt
hatte — der Fall beweist so augenfällig, daß es ein
blinder Passagier sehen muß: wie bewegt die Handlung
wird, sobald man den Weg aus der Phrase wieder
zurück ins Leben nimmt. In der Geschichte der
Kriegslüge eines der anschaulichsten Beispiele. Ein
Deutscher hat eine Seereise als blinder Passagier
in einem Koffer mitmachen wollen; aber wenn man



)86



eine Redensart auspackt, kann es leicht geschehen,
daß so einer zum Vorschein kommt.



Die Redensart wird durch tausend Röhren ins
Volksbewußtsein geleitet. Ein verwundeter Soldat,
der sicherlich nie ein Buch, wohl auch keine Zeitung
gelesen hatte, war doch des Tonfalls habhaft, mit
dem ein gutes Gewissen Abschied nimmt. »Jetzt
kann ich ruhig sterben,« sagte er, »vierzehn hab i
heut umbracht!«

Dreifachem Reim entziehe sich die Welt: dem
Reim auf Feld und Geld und Held.



Nein, der Seele bleibt keine Narbe zurück. Der
Menschheit wird die Kugel bei einem Ohr hinein
und beim andern herausgegangen sein.



Über den erhofften seelischen Gewinn des heim-
kehrenden Kriegers hat ein deutscher Professor der
Psychologie den tiefsten Aufschluß gegeben: »Die
psychische Umschaltung tritt schon in der Etappe
ein.« Das wird einmal klappen, wie eben ein Wunder
der Technik.

Wie erklärt sich die Gewalttätigkeit der Schwäche?
Der Blutdurst der Nüchternheit? Seltsam verknüpft
es sich: Hysterie und Tauglichkeit zur neuen Waffe.



187



Was beide tun, wenn sie den Feind vernichten
wollen, ist leichter Dienst bei der schweren Artillerie.



Die Seele ist von der Technik enteignet. Das
hat uns schwach und kriegerisch gemacht. Wie führen,
wir Krieg? Indem wir die alten Gefühle an die
Technik wenden. Wie treiben wir Psychologie? Indem
\vir die neuen Maße an die Seele legen.



Der neue Krieg mit der so entwickelten Waffe
wird nicht durch Siege entschieden, sondern anders.
Und führten ihn auch Völkerschaften, die Menschen-
fleisch essen. Denn auch unter solchen wäre jener
Teil der Sieger, der dem andern um ein Mittagmahl
voraus ist. Aber diese Frage muß offen bleiben,,
weil Menschenfresser einen Krieg nicht mit der so
entwickelten Waffe führen würden.



Heldentum ist heute der Zwang, den Tod zu
erwarten. Ist Delinquententum nicht der leichtere,
da seine Galgenfrist für Tapferkeit die kürzere ist?
Ist Mut auch der Wille, der den Zwang verhängt?
Dieser läßt nur noch die Freiheit, anonym den Tod
über den andern zu verhängen. Ist auch dieses Mut ?
Werden die Völker nicht künftig, wenn sie einander
gegenübertreten wollen, weil Menschennatur und
Exportinteressen solches erfordern, vorziehen, es
Aug in Aug zu tun und der Maschine nur bis zu
dem Punkt ihrer Entwicklung Gefolgschaft zu leisten.



188



wo sie. wenn in Teufels Namen schon gegen eine

Quantität, doch noch gegen eine sichtbare Quantität

losgeht?

*

Wenn Mut überhaupt im Bereich physischer
Auseinandersetzungen denkbar ist, so könnte er
wohl eher dem Unbewaffneten zuzuschreiben sein,
der dem Bewaffneten gegenübersteht, als umgekehrt.
Die so entwickelte Waffe bedingt es nun, daß der
Mensch im neuen Kriege zugleich bewaffnet und
unbewaffnet ist, indem er doch eine Waffe gebraucht,
gegen die er persönhch wehrlos Ist, zugleich ein
Feigling und ein Held. Es sollte in diesem Stadium der
Entwicklung, wenn nichts anderes, das ornamentale
Wesen des Säbels auffallen, einer Waffe, die etwa
noch im Frieden Verwendung finden könnte. So
mag dereinst ein Flammenwerfer zur Montur gehören,
wenn anders der Fortschritt der Menschheit weiter
auf das Ingenium des Ingenieurs angewiesen bleibt.
Aber es ist wohl zu hoffen, daß die Menschheit, wenn
sie den Ehrgeiz hat, sich die Rauflust zu erhalten,
sich eines Tages entwaffnen und versuchen wird,
wieder ohne die Ingenieure Krieg zu führen.

*
Schwer wird es dem Gedanken, Gasmaske
und Panier zu verbinden. Die neue Waffe setzt den
höchsten Mut bei dem voraus, den sie bedroht, und
die höchste Feigheit bei dem, der sie anwendet.
Diese wird nicht durch den Umstand entschuldigt,
daß sie auf die gleiche Art bedroht ist, und jener
wirbt nicht um Bewunderung, sondern um Mitleid.



189



Die Menschheit wird sich nach diesem Kriege fragen,
wie es möghch war, daß er nicht von Sklaven,
sondern von Soldaten geführt wurde, und staunen,
daß damals nicht jeder, der bei der Waffe blieb,
wegen Feigheit vor dem Feind ausgestoßen worden
ist. Aber vielleicht wird man wenigstens dann die
Ausstoßung der Armee aus dem Armeeverband in
Erwägung ziehen.

Da Ornament und Redeblume am liebsten von
einer Zeit getragen werden, deren Wesen dem
verlorenen Sinn dieser Formen widerstrebt, und
umso lieber, je weiter sie jenem Sinn entwachsen
ist, ihr eigener Inhalt aber nie imstande sein wird,
neue Ornamente und Redeblumen zu schaffen, so
wird ein Staat noch »zum Schwerte greifen '<, wenn
es ihm schon längst geläufig sein wird, zum
Gas zu greifen. Kann man sich denken, daß solcher
Entschluß je zur Redensart werden könnte? Es sollte
Aufschluß über die Technik geben, daß sie zwar
keine neue Phrase bilden kann, aber den Geist der
Menschheit in dem Zustand beläßt, die alte nicht
entbehren zu können. In diesem Zweierlei eines
veränderten Lebens und einer mitgeschleppten Lebens-
form lebt und wächst das Weltübel. Die Zeit ist
nicht phrasenbildend, aber phrasenvoll; und eben
darum, aus heillosem Konflikt mit sich selbst, muß
sie immer wieder zum Schwerte greifen. Die neue
Begebenheit wird keine Redensart hervorbringen,
wohl aber die alte Redensart die Begebenheit!



190



Seitdem der Raufhandel eine Handelsrauferei
geworden ist, sollte Hektor wieder bei der Andromache
zu finden sein, seinen Kleinen lehren Speere werfen
und vor allem die Götter ehren.



»Den Weltmarkt erobern« : weil Händler so
sprachen, mußten Krieger so handeln. Seitdem wird
erobert, wenngleich nicht der Weltmarkt.



Ihr höret lange schon den neuen Klang im Namen
»Siegfried«. Denkt solchen euch nun als den Sieger der
Welt und bereuet die Glorie!



Der deutsche Geist wird, solange er nicht der
Verbindung von Ware und Wunder zu Gunsten eines
der beiden Faktoren entsagt, die Welt vor den Kopf
stoßen, wobei die Absicht die geringere Schuld wäre.



Das Verlangen der Feinde nach Auslieferung der
deutschen Artillerie ist ein Wahnsinn. Logisch wäre
nur das Verlangen nach Auslieferung der deutschen
Weltanschauung, und dieses ist unerfüllbar.



Was ist das nur? Wie schal schmeckt das Leben,
seitdem es ein Ding wie »Mannesmannröhren« gibt.
Wenn's irgendwo so organisatorisch klappt, so halten
sie wohl Mannesmannszucht.



191



Das ist es, was die Welt rebellisch macht:
Überall ist Firma, aber dahinter vielleicht doch, unseren
Blicken unsichtbar, ein Firmament. Überall ist Ware,
aber dahinter vielleicht doch noch, unbehelligt, das
Wunder. Weil wir's nicht sehen, sagen wir, es seien
Materialisten. Wir aber haben vom idealen Lebens-
zweck den Namen genommen, um ihn dem Lebens-
mittel zu geben, dem Schweinespeck. Unser tot-
sicheres Ingenium hat den Idealen den Skalp abge-
zogen und dem Leben den Balg und verwendet sie
als Hülle, Marke und Aufmachung. Wir sind die
Idealisten. Und gegen diesen Zustand, das im Munde
und im Schilde zu führen, wovon wir bestreiten, daß
es der andere im Herzen habe, weil er es nicht im
Munde und im Schilde führt, während doch schon
dies ein Zeichen für jenes ist und die Lebensgüter
eben in der Trennung von Leben und Gütern ge-
deihen und in der Verbindung verdorren — gegen
diesen Zustand lehnt sich ein Instinkt auf, der im
politisch offenbarten Bewußtsein der Völker als Neid,
Raubgier, Revanchelust, unter allen Umständen aber
als Haß in Erscheinung tritt. Es ist der Haß gegen
den Fortschritt und gegen die eigene Möglichkeit,
ihm zu erliegen. Es ist nicht allein der Stolz, nicht
so zu sein wie diese, sondern auch die Furcht, so zu
werden wie diese. Es ist das europäische Problem;
das aber vermutlich erst von einer nichtbeteiligten
Seite gelöst werden wird.



Nicht genug daran, daß es eine Zeit gibt, gibt
es auch eine große Zeit, die neuestens auch eine



192



neue Zeit ist. Eine solche sollte doch eigentlich eine
freie Zeit sein. Es dürfte sich aber herausstellen, daß
sie wie die kleine Zeit und wie die alte Zeit nur eine
neue freie Zeit ist.

Sollte »Schlachtbank« nicht vielmehr von der
Verbindung der Schlacht mit der Bank herkommen?



Was jetzt die größte Rolle spielt, das spielt jetzt
keine Rolle: Blut und Geld.



Nein, den Generaldirektoren braucht ihr Braven
nicht die vorschriftsmäßige Ehrenbezeigung zu leisten.
Wenngleich sie euch in den Krieg geführt haben.



Schulter an Schulter: »Nanu?« »Nu na!«
»Vater, Brot!« »Kinder, Rußland verhungert!«



Der Zensor verbot eine Stelle, die den Titel
führte: So leben wir alle Tage. Ich fragte, ob ich
(ohne der Wahrheit etwas zu vergeben) der Erlaubnis
vielleicht näherkäme mit dem Titel: So lesen wir alle
Tage. Er fand aber mit Recht, daß es dasselbe sei.



Zensur und Zeitung — wie sollte ich nicht zu-
gunsten jener entscheiden? Die Zensur kann die



193



Wahrheit auf eine Zeit unterdrücken, indem sie ihr
das Wort nimmt. Die Zeitung unterdrückt die
Wahrheit auf die Dauer, indem sie ihr Worte gibt.
Die Zensur schadet weder der Wahrheit noch dem Wort ;
die Zeitung beiden.

Klerus und Krieg: man kann auch den Mantel
der Nächstenliebe nach dem Winde hänsren.



Man sollte sich eigentlich entschließen, zuzu-
geben, daß Patriotismus eine Eigenschaft ist, die in
allen kriegführenden Staaten vorkommt. Wenn man
einmal bis zu dieser Erkenntnis vorgedrungen ist,
könnte der Moment eintreten, wo man dem Feinde
manches zugutehält, und es wäre vielleicht eine Ver-
ständigung auf der Basis möghch, daß, wenn einer
um eines Betragens willen, das ihn zum Schuft macht,
zugleich ein Ehrenmann ist, alle nicht nur von sich,
sondern auch von einander sagen könnten, daß sie
Ehrenmänner seien, wenn sie auch noch nicht so weit
vorgeschritten sein mögen, zu wissen, daß sie
eigentlich doch Schufte sind.



Wer den Patrioten des andern Landes für einen
Lumpen hält, dürfte ein Dummkopf des eigenen sein.



Es mag wohl in allen Staaten Kriegsgewinner
geben, die wirklich nur daran denken, daß der Krieg
gewonnen werde, und die, fern jeglichem Wunsch

13



194



nach einer Bereicherung, größere Menschenopfer nur
schweren Herzens und in der Hoffnung hinnehmen,
späterhin dadurch doch größeren Geldopfern zu ent-
gehen. Diese aufopfernde Gesinnung, aus der sie sich
nicht selbst, sondern einander den größten Vorwurf
machen, nennt man in allen Staaten Patriotismus.



Eine Heimat zu haben, habe ich stets für rühm-
lich gehalten. Wenn man dazu noch ein Vaterland
hat, so muß man das nicht gerade bereuen, aber
zum Hochmut ist kein Grund vorhanden, und sich gar
so zu benehmen, als ob man allein eines hätte und
die andern keins, erscheint mir verfehlt.



Daß die Lüge mit ihren kurzen Beinen jetzt
gezwungen ist rund um die Welt zu laufen, und daß
sie's aushält, ist das Überraschende an dem Zustand.



Daß jetzt alle gegen alle kämpfen, wäre noch
auf einen elementaren Punkt zurückzuführen. Aber
daß jetzt alle einander grüßen, scheint mir kein von
der Natur angeschaffter sozialer Umsturz zu sein.



Jeder ist jetzt vom andern durch eine Uniform
unterschieden. Wie farblos wird die Welt, wenn sie's
so bunt treibt!



195



Seitdem man dem Bürger einen Spieß in die
Hand gegeben hat, wissen wir endlich, was ein Held ist.



Manche Redensart erwacht: Bis aufs Blut
sekkieren.

Am Tor eines deutschen Militärbüros sah ich
ein Plakat, aus dem die Worte hervorsprangen:
»Macht Soldaten frei!« Es war aber gemeint, daß
Zivilisten als Schreiber für die Kanzlei gesucht werden,
um den dort beschäftigten Soldaten den Abgang an
die Front zu ermöglichen.

*

Ich hörte Offiziere über die schlechte Bedienung
schimpfen. Man sagte ihnen, die Zivilbevölkerung
sei an der Front. Sie waren aber nicht zu beruhigen
und nannten es einen Skandal.



Grüßen sie einander oder greifen sie an ihre
Stirn? Andere wieder schütteln die Köpfe.



Theaterwirkung ist zweierlei: der Zusammen-
schluß der Spieler und der Zusammenschluß der
Zuschauer. Beides vermag die Regie. Krieg ist jene
Regie, bei der beiderlei Wirkung durcheinandergeht.
Jene dort brüllen, als wären sie begeistert, diese
hier sind begeistert, weil sie brüllen dürfen, Publikum
ist Komparserie, und in dem Durcheinander kann
man nicht unterscheiden, wer mitspielt, weil er mittut,

13*



196



und wer mittut, weil er dabei ist. Es ist, als ob der
neuberliner Großregisseur seine Hand im Spiel hätte :
die oben sind von unten hinaufgekommen und die
unten sind von oben heruntergekommen. Die Tragödie,
die sie spielen, besteht darin, daß sie sie spielen.



Krieg ist zuerst die Hoffnung, daß es einem
besser gehen wird, hierauf die Erwartung, daß es
dem andern schlechter gehen wird, dann die
Genugtuung, daß es dem andern auch nicht besser
geht, und hernach die Überraschung, daß es beiden
schlechter geht.

Viele, die am 1. August 1914 begeistert
waren und Butter hatten, haben gehofft, daß am
1. August 1917 noch mehr Butter sein werde. An
die Begeisterung können sie sich noch erinnern.

Organisation und Eigenschaft. Der Moment, wo
der Deutsche grausam wird, tritt später ein. Der
Moment, wo der Romane menschlich wird, tritt
früher ein.

Das muß man zugeben: wo die Deutschen hin-
kommen, machen sie ihre Sache ordentlich. Wenn's
auch nicht immer ihre, sondern manchmal eine

fremde Sache ist.

*

Die Kriegs Ursache? Daß sie in Berlin auf Marmor
gepißt haben.



197



Ich kann mir nicht helfen, aber mir scheint halt
doch zwischen der artilleristischen Überlegenheit und
den hohen Obstpreisen sowie auch dem Zustand im
Beiwagen einer Elektrischen mit seinem ganzen
durchhaltenden und durchschwankenden Elend ein
kausaler Zusammenhang zu bestehen.



Die artilleristische Überlegenheit ist ein Vorteil,
wenn durch sie noch wichtigere Kulturgüter als sie
geschützt werden sollen. Da aber die artilleristische
Überlegenheit das Vorhandensein wichtigerer Kultur-
güter ausschließt, so bleibt, um den Vorteil der
artilleristischen Überlegenheit zu erklären, nichts
übrig als die Erwägung, daß durch die artilleristische
Überlegenheit die artilleristische Überlegenheit ge-
schützt werden soll.

*

Um einen Bahnhof sicher zu treffen, sollte man
auf einen Tiepolo zielen.



Was helfen uns die Flammenwerfer, wenn die
Zündhölzchen ausgehen!



Die Völker Europas dürften nachher gezwungen
sein, ihre heiligsten Güter aus Asien zu beziehen.



Geschäft ist Geschäft: weil jene es sagten,
sagten diese, es seien Händler. Jene aber meinten,



198



daß Geschäft Geschäft sei und nicht auch Leben

und Religion.

*

Kriege und Geschäftsbücher werden mit Gott

geführt.

*

Alle Vorräte, an Getreide, Mehl, Zucker, Kaffee
und so weiter, sind nach einander gestreckt worden.
Mit den Waffen wär's noch zu probieren.



Soldaten, die nicht wissen, wofür sie kämpfen,
wissen doch einmal, wofür sie nicht kämpfen.



Persönlich geht mir nur die Entwürdigung der
Menschheit nahe und ihre Bereitschaft sie zu ertragen.
Persönlich würde ich mich nur gegen eine geistige
Musterung sträuben. Und daß ich tauglich erklärt
würde.

Die Welt wird sich einmal wundern, daß sie
kein Geld mehr hat. So geht's jedem, der es
verpulvert.

Es geht weiter. Das ist das einzige, was weiter geht.



Die Menschheit hatte die freiheitlichen Errungen-
schaften erfunden, und in derselben Zeit die Maschinen.
Das war zuviel auf einmal und durch beiden Fortschritt
ist ihr die Phantasie abhanden gekommen, so daß sie



199



sich nicht mehr vorstellen konnte, wie die Maschinen

schneller ans Ziel kämen als sie selbst. Daß diese

mit den Errungenschaften fertig würden und mit

ihr selbst.

*

Die Technik: Automobil im wahren Sinn des
Wortes. Ein Ding, das sich nicht bloß ohne Pferd,
sondern auch ohne den Menschen fortbewegt. Nach-
dem der Chauffeur den Wagen angekurbelt hatte,
wurde er von ihm überfahren. Nun geht es so weiter.



Die Quantität läßt nur noch einen Gedanken zu;
abzubröckeln.



Die Quantität verhindert auch jede Auflehnung
gegen sie. Nicht die Drohung, sondern das Dasein
des Maschinengewehrs unterdrückt die Besinnung der
Menschenwürde. Revolvertaten, als die Antwort aus
der so entwickelten Maschine selbst, haben keine
Fortsetzung. Die Tat als Beispiel ist in der techni-
schen Entwicklung nur bis zu Teils Geschoß vor-
gesehen. Bis dahin geht die Seele noch mit.



Zum Schutz gegen die Maschine hat das
Ingenium der Menschheit die Hysterie erfunden. Ohne
diese würde sie jene nicht aushalten und da sie auch
diese nicht aushält, so kommt sie weiter.



200



Am 1. August 1914 hörte ich einen Ruf: »Immer
feste rin in die Glorie!« Ich schämte mich, ein Nörgler
zu sein, denn ich wußte damals schon ganz genau,
daß die Zeit kommen werde für: »Außi möcht' i!«
Nur war ich zugleich ein solcher Optimist, daß ich
das Datum für die Äußerung dieses Wunsches, der
sich schon am 1. August 1915 fühlbar machen mußte,
auf den 1. August 1916 und nicht auf den
1. August 1917 festsetzte. In solchen Fällen läßt es
sich aber nicht mit mathematischer, sondern nur mit
apokalyptischer Genauigkeit arbeiten. Wo ich in-
zwischen die große Zeit angepackt habe, war sie
interessant, und ihre schauerliche Kontrasthaftigkeit
verbrannte den Märtyrern an den Fronten mehr das
Herz als alle Flammenwerfer. Aber daß sie es in
einem vermocht hat, einen Menschen wie Friedrich
Adler, dessen Edelmut ausgereicht hätte, ein schuldiges
Zeitalter zu begnadigen, zum Mörder und einen
Menschen wie Moriz Benedikt zum Pair zu machen —
das hätte selbst ich ihr nicht zugetraut ! Nein, W^af fen-
taten von heute, ob aus Pflicht oder aus Idee voll-
bracht, eben noch geeignet, in dem von jenem Unglück-
lichen verleugneten Sinne Schrecken zu erregen, sind
nicht mehr imstande, in dem von ihm bejahten Sinn
die »psychologische Voraussetzung einer künftigen
Massenaktion« zu bilden. Denn der Mangel an Phantasie
war die psychologische Voraussetzung der gegen-
wärtigen Massenaktion, deren fortwirkendem
Kommando kein Gegenruf der Menschenwürde mehr
antwortet, um die in Einzelschicksale aufgelöste Masse
wieder zu sammeln. Es gibt keine Armbrust und keinen
Tyrannen; es gibt Technik und Bürokraten. Es gibt



201



nur den Knopf, auf den das Plutokratische drückt.
Aber da ist kein verantwortliches Gesicht. Die
Problemstellung: Demokratie — Autokratie trifft ins
Leere, in das Vacuum der Zeit, das hier nur fühl-
barer wird als im andern Europa. Autokratie als ein
technischer Begriff: das könnte es sein. Ein Ding,^
das nicht selbst, sondern von selbst gebietet. Und
alle treibt das hohle Wort des Herrschers Zufall,
der die Quantität regiert.



Der neue Krieg ist nicht allein der zwischen den
Staaten, sondern hauptsächlich der blutige Zusammen-
stoß der alten und der neuen Macht, Er ist entstanden,
weil es jene noch gab, als diese heraufkam und weil
sich die beiden in eine Verbindung eingelassen haben,
indem sich die alte mit ihrem Wesen zum Werkzeug
der neuen machte und mit ihrem Schein sie unterjocht
hat. Diese Verbindung, die Zwist bedeutet, drückt sich
in der allgemeinen Gleichberechtigung zur Sklaverei
aus. Um die alte Welt aus der daraus entstandenen
Not zu befreien, ist es nötig, die Partei der neuen
zu nehmen. Denn diese, die jene entgeistigt hat, um
sich von ihr überwältigen zu lassen, verfügt am Ende
allein über die Mittel, um sie wenigstens zur Vernunft
zu bringen, wenngleich sie beide nicht Phantasie
genug hatten, das Unheil abzuwenden. In diesem
Sinne muß der konservative Standpunkt, der doch die
äußere Ordnung und die Sicherung des Lebens wie
seiner Notwendigkeiten voraussetzt, auf Kriegsdauer
eine Verschiebung erfahren. In Staaten, die dümmer
sind als ihre Demokratie, muß man für diese sein



202



und ihr gegen den Staat helfen, dessen Dummheit
sie mobilisiert hat. Sie haben einander untergekriegt.
Die demokratische Tendenz muß im Kampf gegen
ihren Folgezustand unterstützt und die aristokratische
zu ihren Gunsten verlassen werden.



Neulich ertappte ich mich dabei, wie ich plötz-
lich halblaut das Wort »Mörder« sagle. Zum Glück
hatte mich niemand gehört. Hätte ich »Wucherer«
gesagt, so hätten sich alle umgedreht und keine
Erklärung hätte mir geholfen. So aber konnte ich
erforderlichenfalls vorbringen: daß ich eben darüber
nachgedacht hätte, wie nötig es wäre, die Todesstrafe
teils abzuschaffen teils einzuführen. Und daß ich mich
gerade zur Staatsprüfung vorbereite.



Ein Gesicht, dessen Furchen Schützengräben sind.
*

Und wenn sie untergeht, und nichts mehr zu
haben und niemand mehr da sein wird: Arbeitskräfte
werden da sein und Papier zu haben, damit behauptet
werden könne, daß sie nicht untergeht, oder, wenn
sich's schon rein nicht mehr in Abrede stellen ließe,
zu schildern, wie jene, die die Schuld tragen, dabei
martialisch dreingeblickt haben.



Als zum erstenmal das Wort »Friede« ausge-
sprochen wurde, entstand auf der Börse eine Panik.



203



Sie schrieen auf im Schmerz: Wir haben verdient!
Laßt uns den Krieg! Wir haben den Krieg verdient!



Wo viel Reisende wai-en, wird's viel Hinkende

geben.

*

Wo kommen all die Sünden nur hin, die die
Menschheit täglich begeht? Sollten überirdische
Wesen nicht finden, daß der Äther schon zum

Schneiden dick sei?

*

Mein Tag ist ein Spießrutenlaufen inter homines
et omina.

Die deutsche Sprache schützt nicht mehr gegen
Jene, die sie sprechen. Ich muß mir, will ich mich
retten, schnell etwas auf lateinisch einfallen lassen.
Das glückt; denn wie schön läßt sich's in einer
Sprache, die man vergessen hat, denken. Es ent-
springt dort, wo Deutsch mir noch nicht jenes Umgangs
Sprache war. Die Ungebildeten werden es nicht ver-
stehen, die Gebildeten werden es für ein Sprichwort
halten und mir weiter nicht übelnehmen. Und so
empfiehlt man sich auf lateinisch.



Daß die Welt nicht vor ihrer Sünde erschrickt,
sieht ihr ähnlich. Aber vor eben diesem Spiegelbild
sollte sie erschrecken!



204



Wozu das Aufsehen? Der Planet ist so gering-
fügig, daß ihn ein Haß umarmen kann!



Der Zustand, in dem wir leben, ist der wahre
Weltuntergang: der stabile.



»Noch kein Ende abzusehen.« »Doch!«



Um zu glauben, daß Einer das alles gemacht
hat, braucht man doch sicher mehr Gedanken, als
um zu wissen, daß er es nicht gemacht hat — ihr
Idioten des freien Geistes!



Geduld, ihr Forscher! Die Aufklärung des
Geheimnisses wird von diesem selbst erfolgen.



Inhalt



Seite

I. Eros 7

n. Kunst 29

in. Zeit 55

IV. Wien 89

V. 1915 99

VI. Nachts 171



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BINDJNG SECT. MAY 221973



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PT Kraus, Karl

2621 Nachts

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