H. Gomperz

Weltanschauungslehre

이윤진이카루스 2015. 1. 1. 22:10

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Full text of "Weltanschauungslehre: Ein Versuch die Hauptprobleme der Allgemeinen theoretischen Philosophie ..."

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VON DIESEM BUCHE WURDEN 20 EXEMPLARE 
ZUM PREISE VON FONFUNDZWANZIO MARK AUF 
STRATHMORE-JAPAN GEDRUCKT/IN HALBLEDER 
GEBUNDEN UND HANDSCHRIFTLICH NUMERIERT 
^ 
HEINRICH QOMPERZ 
WELTANSCHAUUNQS- 
LEHRE 
EIN VERSUCH DIE HAUPTPROBLEME DER 
ALLOEMEINEN THEORETISCHEN PHILO- 
SOPHIE OESCHICHTLICH ZU ENTWICKELN 
UND SACHLICH ZU BEARBEITEN 
ZWEITER BAND 
NOOLOGIE 
ERSTE HALFTE 
EINLEITUNO UND SEMASIOLOGIE 
VERLEOT BEI EUOEN DIEDERICHS 
JENA 1908 
DEN MANEN PLATONS 
Vagliami il lungo studio e il grande amore 
Che m!ha fatto cercar lo too volume 
Dante 
601317 
INHALTSVERZEICHNIS DER ERSTEN HALFTE 
DES ZWEITEN BANDES 
DER WELTANSCHAUUNOSLEHRE ERSTER TEIL 
DAS PROBLEM DES DENKENS (NOOLOOIE) 
EINLEITUNG: AUFGABE UNO EI^4TEILUNG DER NOOLOOIE 
Seite 
§ 42 Gedanken im objektiven und subjektiven Sinne 2 
1) Sachliches zur Erlauterung dieser Unterscheidung — 2) Mogliche Deutungen 
derselben — 3) Analoge Verhaltnisse bei der Wahmehmung — 4) Oeschicht- 
liches. 
§ 43 Logische und psychologische Bearbeitung der Gedanken ... 6 
1) Bearbeitung der Gedanken in anderen Wissenschaften — 2) Logischer und 
psychologischer Ordnungszusammenhang der Gedanken — 3) Kritik des logi- 
schen Psychologismus — 4) Geschichtliches — 5) Die Logik keine normative 
Wissenschaft, insbesondere keine Kunstlehre — 6) Logik und Gegenstands- 
theorie. 
§ 44 Noologie, Logik und Psychologie 37 
1) Widerspruche zwischen Logik und Psychologie — 2) Ihre Ausgleichung 
die Aufga^ der Noologie — 3) Verhaltnis derselben zur Psychologie — 
4) Verhaltnis derselben zur Logik^ 
§ 45 Einteilung der Noologie 43 
1) Denkinhalte und Denkwerte — 2) Objektive und subjektive Denkinhalte und 
Denkwerte — 3) Noetische Subjekte und noetische Pradikate — 4) Geschicht- 
liches. 
ERSTE ABTEILUNG DER NOOLOGIE 
DIE DENKINHALTE (SEMASIOLOGIE) 
/. ORIENTIERUNQ OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 
§ 46 Gedanke und Aussage 54 
1) Sachliches — 2) Geschichtliches. 
§ 47 Die Elemente der Aussage 61 
I) Aussagelaute, Aussageinhalt, Aussagegrundlage — 2) Verschiedenheit dieser 
Elemente — 3) Ausdruck, Auffassung, Bezeichnung — 4) Aussage und Sach- 
verhalt — 5) Bedeutung — 6) Begriffe — 7) Andere Arten der Aussage — 
8) Zusammenfassung — 9) Geschichtliches zur Unterscheidung der Aussage- 
elemente — 10) Geschichtliches zur Unterscheidung der Aussagerelationen — 
II) Synkategoreumata. 
INHALTSVERZEICHNIS Vlf 
Sdte 
§ 48 Die Erste setnasiologische Hauptfrage 91 
1) Der AoBsagdnhalt unvorstellbar — 2) Zurikkweisuiig einer Einwendung — 
3) Die Talsache des logischen Verkehrs — 4) Der Aussageinhalt als psychi- 
sches Datum. 
§ 49 Die Zweite semasiologische Hauptfrage 97 
1) Die Qegenstandlidikett der Aussagen —2) Erllutemngen —3) Empirische 
Realitat der noetischen Gegenstande — 4) Qegenstandlichkeit und ^Hyposta- 
sierung'' — 5) Bedeutung, Materie und Bewufitsein — 6) Oeschichtliches. 
§ 50 Die Dritte semasiologische Hauptfrage 120 
1) Reelle und intelligible Teile — 2) Der Sachverhalt als intelligibler Teil der 
Aussagegrundlage — 3) Auffassung und Abstraktion — 4) Oeschichtliches — 
5) Typische Qegenstande — 6) Oeschichtliches. 
§ 51 Die Vierte semasiologische Hauptfrage 132 
1) Die Olieder der Bezeichnungs- und der Bedeutungsrelation — 2) Wesens- 
unterschied zwischen Bezeichnen und Bedeuten — 3) Bedeuten als Vertreten 
— 4) Oeschichtliches. 
2. ENTWICKPLUNQ DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 
§ 52 Der Realismus 140 
1) Das Prifudp des Realismus — 2) Realismus und Vemunftwissenschaft — 
3) Naiver, monadologischer und agnostischer Realismus — 4) Substantieller 
und attributiver Realismus — - 5) Die Realitat der noetischen Oegenstande — 
6) Oeschichtliches — 7) Kritik des Realismus — 8) Oeschichtliches. 
§ 53 Der Nominalismus 167 
1) Der konzeptualistische Nominalismus — 2) Oeschichtliches — 3) Der ge- 
mafiigte Nominalismus — 4) Der extreme Nominalismus — 5) Oeschichtliches. 
§ 54 Der Rationalismus 20a 
1) Sachliches — 2) Oeschichtliches. 
3. BEARBEITUNG DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 
§ 55 Beantwortung der Ersten semasiologischen Hauptfrage .... 220 
1) Typische Totalimpressionen — 2) Oenerelle Totalimpressionen — 3) Oenerell- 
typische Totalimpressionen als logische Materialgefuhle — 4) Logische Formal- 
geftihle — 5) Das Bewufitsein vom Aussageinhalt — 6) Durchfuhrung an 
einem Beispiel — 7) Oeschichtliches. 
§ 56 Beantwortung der Zweiten semasiologischen Hauptfrage . . . 25& 
1) Der Ausdruck als Inharenz — 2) Die Aussage als Oegenstand — 3) Vor- 
blicke auf Alethologie und ontologie. 
VIII INHALTSVERZEICHNIS 
Sette 
§ 57 Beantwortung der Dritten semasiologischen Hauptfrage .... 267 
1) Auffassung, Abstraktion und intelligible Teile ^ 2) Qenetische Prioritat des 
Allgemeinen von dem Besonderen — 3) Qeschichfliches — 4) Die Oegen- 
standlichkeit des Sachverhalts — 5) Typische Oegenstande — 6) Individuum, 
Typus und Begriff. 
§ 58 Beantwortung der Vierten semasiologischen Hauptfrage .... 278 
1) Erklarung der Bedeutungsrelation — 2) Erklarung der Vertretungsrelation. 
§ 59 Verifikation der semasiologischen Ergebnisse 289 
1) Pathempirismus und Realismus ~ 2) Pathempirismus und Nominalismus — 
3) Pathempirismus und Rationalismus. 
UTERATURVERZEICHNIS 294 
ERRATA 
Die folgenden, sinnstorenden Fehler sind vor dem Lesen zu verbessem: 
S. 24, Z. 2 von oben, ist die Klammer zu streichen. 
S. 87, Z. 9 von oben, lies jjUber** jene 
S. 241, Z. 7 von unten, lies „dann vermittelt werden" statt „kaum vermittdt 
werden". 
DER WELTANSCHAUUNGSLEHRE 
ERSTER TEIL 
DAS PROBLEM DES DENKENS 
(NOOLOGIE) 
EINLEITUNO 
AUFGABE UND EINTEILUNG DER NOOLOGIE 
§42 
N jedem Gedanken kann man ins Auge fassen: 
einerseits das in ihm Gedachte, andererseits das 
Denken dieses Oedachten. In ersterer Hinsicht 
wollen wir von einem Gedanken im objektiven Sinne 
Oder kurz von einem objektiven Gedanken, in 
letzterer Hinsicht von einem Gedanken im sub- 
jektiven Sinne oder kurz von einem subjektiven 
Gedanken sprechen. 
ERLAUTERUNG 
1) nDaB die homerischen Gedichte nicht von Einem einzigen Dichter 
verfaBt sind", oder „daB der menschiiche Wille nicht frei ist" — sind 
Beispiele dessen, was ich hier einen objektiven Gedanken nenne, 
wogegen das Denken dieser Gedanken durch bestimmte Individuen 
zu einem gewissen Zeitpunkte, also etwa durch Fr. Aug. Wolf im 
18. resp. durch Spinoza im 17. Jahrhundert, den Begriff des subjektiven 
Gedankens iiiustrieren moge. Doch ist die Satzform nichts fur 
diese Verhaltnisse Wesentliches. Auch der sogenannte „Ontologische 
B ewe is fur das Dasein Gottes" ist ein objektiver, und das Denken 
dieses Beweises durch Anselm von Canterbury ein subjektiver Ge- 
danke, und ebenso verhait es sich mit dem Begriff der ^NatOriichen 
Zuchtwahi" und dem Denken dieses Begriff es durch Darwin. Mit 
ausdriicklichen Worten pfiegen wir freilich beides nicht immer zu 
unterscheiden, und der Terminus „Gedanke" bezeichnet objektive und 
subjektive Gedanken in gleicher Weise Dennoch bleibt es im Zu- 
sammenhange der lebendigen Rede kaum jemals zweifelhaft, in welchem 
Sinne dieser Terminus verstanden werden soil. HeiBt es z. B., der 
Gedanke, „daB der Wille des Menschen nicht frei ist", sei unvertrag- 
lich mit dem andem, „da6 der Mensch fur seine Handlungen ver- 
antwortlich ist"; oder, der „Ontologische Beweis" leide an einem 
offenbaren Fehler; oder, der Begriff der ^Natiirlichen Zuchtwahl* seize 
AUFGABE UND EINTEILUNG DER NOOLOGIE 3 
den Begriff des ^Kampfes urns Dasein'' voraus und stehe und falle 
mit ihm — , so ist offenbar in alien diesen F311en von Gedanken im 
objeidiven Sinne die Rede. Denn die angefQhrten SStze handeln nicht 
von Zusammenhingen subjeldiver Denkerlebnisse in irgendwelchen 
einzelnen Individuen. Sie sprechen vielmehr von ^Gedanken'' nur in 
dem Sinne, daB sie gewisse Verhaltnisse der Unvertraglichkeit, Fehler- 
haftigkeit und Bedingtheit an dem in diesen Gedanken Gedachten, 
also an objektiven Gedanken feststellen wollen. HeiBt es dag^en, 
der Gedanke der Willensunfreiheit habe Spinoza zunSchst in lebhafte 
Err^^ng versetzt; der ontologische Beweis habe Anselm mit leb- 
haftem Stolze erffillt; der Gedanke der nattirlichen Zuchtwahl habe in 
Darwins Leben eine lange Periode des Zweifelns und der ZurQck- 
haltung eingeleitet — , so ist ebenso offenbar, daB in all diesen Fallen 
Gedanken im subjektiven Sinne zu verstehen sind. Denn das in diesen 
Gedanken Gedachte hat gar keine Beziehung zu Erregung, Befriedigung 
Oder Zweifel: nur das Denken dieses Gedachten, demnach nur der 
subjektive Gedanke, kann hier den Gegenstand der Aussage bilden. 
Diese Beispiele dtirften genugen, um einen ersten, annShemden Begriff 
von dieser Unterscheidung zu vermitteln. 
2) In welchem Verhaltnisse stehen nun das Denken eines Gedankens 
und das in diesem Gedanken Gedachte, mithin subjektiver und ob- 
jektiver Gedanke zueinander? Auf diese Frage glaubte ich mit Absicht 
an dieser Stelle noch nicht eingehen zu sollen, und habe deshalb im 
Texte dieses Paragraphen eine mdglichst allgemeine und unverbindliche 
Ausdrucksweise gewahlL Man kdnne, sagte ich, an jedem Gedanken das 
eine wie das andre ins Auge fassen. Dies bleibt richtig, wie immer 
man jenes Verhaitnis bestimmen moge. Es konnte sein, daB der ob- 
jektive Gedanke etwas von seinem Gedachtwerden vollig Unabhangiges 
ware, das ffir sich bestunde und zu anderen objektiven Gedanken in 
gewisser Weise sich verhielte — auch dann, wenn es von niemand 
gedacht wird, und daB dieser objektive Gedanke nur erfaBt wiirde in 
den subjektiven Gedanken der einzelnen Individuen, welche somit als 
Erkenntnisakte zu denken waren, die auf ihn als ihren G^enstand sich 
richteten. Es kSnnte weiter sein, daB der objektive Gedanke nur ein 
unterscheidbarer Teil des subjektiven Gedankens wSre, so daB das 
Gedachte durch das Denken und fur das Denken hervorgebracht oder 
erzeugt wQrde und auBerhalb desselben keinen Bestand hatte. Es 
konnte endlich auch sein, daB der objektive und der subjektive Ge 
danke uberhaupt nur wie zwei Ansichten Einer und derselben Tat- 
sache sich voneinander unterschieden, daB somit das Gedachte nichts 
4 NOOLOGIE 
anderes wire als der Gedanke, sofem er in einer gewissen Wdse, 
das Denken nichts anderes als derseibe Gedanke, sofern er in einer 
gewissen anderen Weise betrachtet wurde: sei es nun, daB dieser 
Gedanke, diese Tatsache an und fQr sich als etwas Objektives, als 
etwas Subjektives oder auch als etwas weder Objektives noch Sub- 
jektives zu denken wire. All diese Mdglichkeiten nun, und auch alle, 
die etwa auBer den genannten noch in Betracht kommen mdgen, 
lassen wir einstweilen dahingestellt; denn an dieser Stelle handelt es 
sich fQr uns nur um die bloBe Unterscheidung zwischen objektiven 
und subjektiven Gedanken, ohne Rucksicht auf deren tiefere Be- 
grOndung. Diese Unterscheidung aber bleibt aufrecht, fur welche jener 
B^^ndungsarten man sich auch entscheide: ob man sie ansehe als 
eine Unterscheidung zwischen dem Akte des Denkens und dem von 
ihm erfaBten Objekt, als eine solche zwischen dem Denken und dem 
von ihm erzeugten Inhalt, oder endlich als eine solche zwischen zwd 
Auffassungsweisen Eines und desselben Gedankenfaktums. Nur darum 
also, daB man an jedem Gedanken Denken und Gedachtes auseinander- 
halte, ist es uns hier zu tun; denn an diese Distinktion knOpft sich 
die Verschiedenheit der mehreren Arten, in denen die Gedanken zum 
Gegenstande wissenschaftlicher Bearbeitung werden konnen. 
3) Dagegen ist es nicht zu fruh, schon hier auf die durchgehende Ana- 
logie hinzuweisen, welche zwischen diesen Verhaltnissen beim Denken und 
den entsprechenden bei der sinnlichen Wahrnehmung stattfindet, und 
gerade die vorurteilslose Betrachtung der verschiedenen Arten, in denen diese 
Verhaltnisse gedeutet werden konnen, ist besonders geeignet, die erwahnte 
Analogie deutlich zu machen. Geradeso namlich, wie wir an jedem Ge- 
danken das Denken und das Gedachte ins Auge fassen konnen, kdnnen wir 
auch an jeder Wahrnehmung das Wahmehmen und das Wahrgenommene 
unterscheiden. Auch der Ausdrucksweise stunde nichts im Wege, das Wahr- 
nehmen eine Wahrnehmung im subjektiven Sinne, oder kurz eine subjddive 
Wahrnehmung, das Wahrgenommene dagegen eine Wahrnehmung im ob- 
jektiven Sinn, oder kurz eine objektive Wahrnehmung zu nennen. So be- 
zeichnen wir etwa die Farbe eines Gegenstandes als eine Gesichtswahr- 
nehmung, wobei aber dieses Wort eine Wahrnehmung im objektiven Sinne 
bedeuten soil, wahrend es im subjektiven Sinne zu verstehen ist, wenn wir 
dieselbe Gesichtswahmehmung als die Ursache von Ermudungszustanden 
ansprechen. Allein auch die Deutungsmdglichkeiten sind in beiden Fallen 
die gleichen. Denn jene Unterscheidung bleibt aufrecht, ob wir nun das 
Wahrgenommene als ein selbstandiges Objekt denken, das fur sich besteht, 
auch wenn es von niemandem wahrgenommen wird, und das durch das Wahr- 
nehmen der einzelnen Individuen nur von diesen erfaBt und erkannt wird; 
Oder als dnen unterscheidbaren Teil, namlich als ein Erzeugnis des Wafar- 
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 5 
nehmens, so daB es tiberhaupt nur durch dieses und fur dassdbe besteht; 
Oder endlidi als dne bloBe andere ^Seite'' des Einen Wahmehmungsfoktunis, 
das sich bald als Wahmehmen, bald als Wahrgenommenes ,^uffassen'' laBt^ 
mag es nun an sich unter den B^ff des Objektiven oder unter den des 
Subjektiven oder auch unter keinen von beiden fallen. Wir werden auf 
diese Analogic wiederholt zuruckkommen, sie ins einzdne ausfflhren, ihre 
Konsequenzen ins Auge fassen, auch aus der Qeschichte unserer Wissen- 
schaft AeuBerungen, welche sie aussprechen, heranziehen. Doch schon hier 
wird man nicht verkennen, daB sie sehr tid'geht, ja daB es im Qrunde um 
mehr als dne Analogic sich handdt, namlich um zwd Erscheinungsformen 
eines und dessdben Problems. Eben deshalb aber werden wir dieses Pro- 
blem in seiner Allgemeinheit auch in der Noologie noch gar nicht auf- 
losen konnen. Als das Problem von dem Verhaltnisse des Subjektiven 
und Objektiven, Immanenten und Transcendenten uberhaupt 
wird es vidmehr ganz dgentlich einen Hauptgegenstand der ontologie 
bilden. Die Noologie muB zufrieden sein, wenn sie dnerseits die ihr eigen- 
tumlichen Fragen auf dieses allgemeinere, ontologische Problem zuruckfuhrt, 
anderersdts durdi die sachgemaBe Erorterung der ersteren die Aufldsung 
des letzteren vorberdtet und erldchtert 
4) Wir kehren von diesem Exkurse zuruck, um uns zu fragen, wie es 
um die Unterschddung der objektiven von den subjektiven Qedanken in 
der bisherigen Entwicklung der Wdtanschauungslehre bestdlt gewesen ist 
Es kann nicht davon die Rede sein, als ware sie bisher durchaus verkannt 
worden. Allein recht sdten ist sie so vorsichtig vorgetragen worden, wie 
wir dies hier fOr notwendig gehalten haben. Vidmehr erscheint sie in 
der Regel enge verquickt mit einer jener Deutungen, uber deren Wert 
wir hier noch jedes Urteils uns enthalten wollen. Insbesondere die erste 
dersdben lag denjenigen nahe, welche diesen Verhaltnissen ihr Augen- 
merk zuwandten: nur ein Schritt schien ja hinuberzufuhren von der Ein- 
sicht: man kann das Gedachte vom Denken unterscheiden, zu der Ansicht: 
das Gedachte besteht f&r sich and wird im Denken nur erfadt Allein man 
sieht: dies ist schon die Behauptung einer kosmotheoretischen Partei, und 
zwar der uns wohlbekannten metaphysischen (§ 34. 3); denn wenn 
das Gedachte bestehen soil, auch wenn es nicht gedacht wird, so muB es 
auBerhalb der Erfahrung bestehen. Mit der metaphysischen Ausdeutung der 
Tatsachen haben wir es indes an dieser Stelle noch nicht zu tun. Wir sehen 
deshalb hier auch von alien jenen Zeugnissen fur die uns beschaftigende 
Unterscheidung ab, welche diesdbe mit Ansichten der gekennzeichneten Art 
verflechten, und wollen nur solche anfuhren, in denen diese Unterscheidung 
rein fur sich hervortritt Deren aber habe ich nicht allzuvide gdunden, und 
auch von diesen werden mehrere besser aus anderen Anlassen mitgeteilt 
werden. So mag denn hier zunachst nur Ein Satz stehen, der nun frdlich 
mit dem Wortlaute dieses Paragraphen so eng verwandt ist, daB wir nichts 
dagegen haben, wenn man etwa meint, dieser sei nichts als eine Wieder- 
6 NCX)LOOIE 
holung dessdben. Es ist der Satz HerbartsI): ^Unsere samtlichen Oe- 
danken lassen sich von zwd Seiten betrachten; tdls als Tatigkeiten unseres 
Odstes, tdls in Hinsidit dessen, was durdi sie gedadit wirxL'^ Qanz in 
demsdben Sinne hat ubrigens audi Kruq2) Denkakte und Denk- 
objekte unterschieden : dne bequeme Terminologie, deren audi wir uns 
gerne bedient batten, wiirde nidit dodi audi sie sdion dne metaphysisdie 
Ausdeutung des Sachverhaltes nahd^^, urn dessen Feststdlung alldn es 
uns hier zu tun war. 
§43 
Der Unterschddung des § 42 entsprediend kann audi die wissen- 
schaftliche Bearbdtung der Gedanken (§ 2), abgesehen von anderen 
Verfahrungswdsen, zunachst vor allem auf doppdte Art vor sidi 
gehen. Die Ordnungsbeziehungen namlich, auf deren Herstellung 
diese Bearbdtung abzieit (§ 5), konnen entweder bloB zwischen 
den objektiven Gedanken rein als soichen stattfinden, oder 
aber sie kdnnen die subjektiven Gedanken sowohi mitdnander 
als auch mit anderen BewuBtseinstatsachen verknupfen. In jenem 
Fall ist die Bearbeitung eine logische, in diesem eine psycho- 
logische. 
ERLAUTERUNG 
1) Die allgemeinen Prinzipien der Wissenschaftsiehre sind aus 
unsem einieitenden methodoiogischen Erdrterungen in Erinnerung^ 
Wissenschaft treiben, sagten wir (§ 2), heiBt einen Zusammenhang 
von soichen Gedanken hersteiien, welche Tatsachen nachbiiden ; diese 
T3t]gkeit wird beherrscht von Interessen an der Feststellung und an 
der Ordnung der Tatsachen (§ 3 u. 5), und je nach der Verschieden- 
heit dieser Interessen biiden die verschiedenen Wissenschaften dieselben 
Tatsachen durch andere Gedanken und in anderen Zusammenhangen 
nach (§ 4). An aliedem wird naturiich grundsatziich auch dann nichts 
geSndert, wenn die nachzubildenden, also wissenschaftlich zu be- 
arbdtenden Tatsachen selbst Gedanken sind: der Fall, der uns hier 
beschaftigt Dementsprechend, was nach diesen allgemeinen Qrund- 
satzen zu erwarten ist, findet denn auch die wissenschaftliche Be- 
arbeitung von Gedanken in alien Wissenschaften statt: die B^rnffe 
Descendenztheoriey materialistische Geschichtsauffassung, Semipelagia' 
nismus, mechanische W&rmetheorie z. B., die in der Zoologie, National- 
dkonomie, Theologie und Physik vorkommen, biiden ohne Zweifd 
gewisse Gruppen von Gedanken zusammenfassend nach, und dassdbe 
>) Lehrb. zur Einl. in d. Phil. § 34 (WW. I, S. 77). ^) Log. § 25, S. 92!!. ' 
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 7 
trifft zu, wenn in den historischen Disziplinen etwa von Epikureis/nus 
Oder Scholastik, von Aufkl&rung oder Romantik die Rede ist Es ist 
indes dnieuchtend, daB in alien diesen Failen die nacligebildeten Oe- 
danicen niclit a I s Oedanlcen G^[enstand wissenscliaftiiclier Bearbdtung 
$indy sondem teils w^en der Tatsachen, auf die sie sicli beziehen, 
teils wegen der Mensclien und Zeiten, von und in denen sie (im sub- 
jelctiven Sinne) hervorgebraclit wurden. Dem entspriclit es, daB die 
Gedanken hier durchweg im Zusammenhange mit ganz andersartigen 
Tatsaclien betraclitet werden, und so erklirt es sicli auch, daB die fOr 
die Gedanken als solche gewiB fundamentale Unterschddung von 
Objektiv und Subjektiv in den genannten Wissenscliaften vdliig ver- 
nachlSssigt wird. Fflr den Zoologen liat es durcliaus kdn Interesse, 
das von den Vertretem der Descendenztlieorie Oedachte von ihrem 
Denken desselben zu untersclieiden. In der Logik dag^en und in 
der Psychologies aber soviel ich sehe auch nur in diesen beiden unter 
den primlren Wissenschaften (§ 6), werden ohne Zweifd Gedanken 
als solche wissenschaftlich bearbeitet Es entsteht daher die Frage, 
wodurch die Bearbeitungswdsen dieser zwei Disziplinen sich von- 
einander unterscheiden mogen. 
2) Wenn ich nun behaupte, die logische Bearbeitung der Gedanken 
ziele auf die Herstellung eines geordneten Zusammenhanges ob- 
jekti ver Gedanken ab, w&hrend es der Psychologie um die Ordnung 
der subjektiven Gedanken zu tun sei, so ist zunlchst das zwdte 
Glied dieser Behauptung wohl selbstverstlndlich. Denn niemand wird 
meinen, daB es zu den Aufgaben der Logik gehdre, die subjektiven 
Denkerlebnisse nach ihren Arten und Gesetzen zu untersuchen, die 
konkrete Bewegung des individuellen Denkens zu studieren. Warum 
bei demselben Gedanken (im objektiven Sinne) dem Einen dies, dem 
Andem jenes dnfillt; warum dieselbe Hypothese den Einen aufregt, 
den Andem beruhigt; warum vor derselben Folgerung der Eine zu- 
rQckschrickt, w3hrend der Andere sie vollzieht — dies alles hat ge- 
wiB seine Griinde, allein jedermann gibt zu, daB dies nicht logische, 
sondem nur psychologische Grunde sein konnen. In der Tat haben 
wir oben (§ 42 1), um den Unterschied der objektiven von den sub- 
jektiven Gedanken nur uberhaupt zu erlSutem, diese sofort in Zu- 
sammenhingen von solcher Art dargestellt und fast gewaltsam den 
Ausdmck psychologisch vermieden; denn nichts hStte naher gelegen, 
als gidch von vomherdn die Erklamng zu geben: „ Unter dnem 
Gedanken im subjektiven Sinne verstehen wir einen Gedanken, sofem 
er in dnem psychologischen Zusammenhange betrachtet wird"", oder 
8 NOOLOOIE 
auch geradezu: vSofem er 0^[enstand der Psychoiogie, dn psycho- 
logisches Datum ist*. 
Im oninde nun ist auch die andere Haifte unserer These ebenso 
selbstverst&ndlich. Niemand, der nicht durch philosophische Voi^ 
urtdle verwirrt ist, wird behaupten, daB es zu den Aufgaben der 
Psychologic gehdre, zu untersuchen, ob ein B^ff dem andem fiber- 
geordnet sei, ob zwei Sitze einander widersprechen, und ob wirklich 
dne Konklusion aus gewissen Primissen folge oder nicht Auch hier 
muBten wir ja, urn nur flberhaupt den B^ff des objektiven Oedankens 
zu pr3zisieren, diese Gedanken in derartigen Zusammenhangen dar- 
stellen, und gingen nicht ohne eine gewisse Muhe dem Worte logisdi 
aus dem Weg.* Denn vielleicht noch deutiicher als durch den B^jiff 
des ^Oedachten* hStten wir das Wesen der objektiven Oedanken 
machen kdnnen durch die Definition: „Unter einem Gedanken im 
objektiven Sinne verstehen wir einen Gedanken, sofem er in dnem 
logischen Zusammenhange stehen kann"", oder geradezu : ,,sofem nur 
auf sdnen logischen Gehalt, seine iogische Valenz gesehen wird*. 
Bedflrfte dieser an sich kiare Sachverhalt noch einer Eriautening, 
so wurde sie uns dargeboten durch jene Analogic zwischen Oedanke 
und Wahrnehmung, auf die wir kurz schon einmal (§ 4Z 3) hin- 
gewiesen haben. Dem Denken, sagten wir, entspreche das Wahr- 
nehmen, dem Gedachten das Wahrgenommene. Und sofort zeigt sich, 
daB auch hier die Ordnung des Wahrgenommenen den G^enstand 
dner anderen Wissenschaft bildet als die des Wahmehmens. Denn 
das Wahmehmen, also die dnzelne „subjektive Wahmehmung*, in 
ihrem Zusammenhange mit andem BewuBtseinstatsachen zu bearbdten, 
die Arten ihres Vorkommens festzustellen, die Gesetze ihres AuftretenSi 
ihre Bedingungen und Folgen zu untersuchen, dies ist offenbar 
wiederum Aufgabe der Psychologic. Dagegen die Zusammen* 
hSnge des Wahrgenommenen, also der objektiven Wahmehmungen 
Oder der perzipierten Gegenstande, zu priifen, mit ihrer raumlichen 
Anordnung, ihren typischen Gattungen, den Gesetzen ihrer Ver- 
anderung und Wechselwirkung sich zu beschaftigen — dies kann 
so wenig Aufgabe der Psychologic sein, daB es ja vielmehr den ein- 
zigen Gegenstand aller jener Wissenschaften von der „3uBeren Welt* 
ausmacht, als deren Vertreterin uns hier der Kurze halber die Physik 
gelten mag. Man sieht schon hier, daB die Analogic abermals dne 
vollkommene ist; doch laBt sie sich noch in lehrreicher Weise vertiefea 
Setzen wir den Fall, es finde in einem Zimmer vor einem Beobachtef 
eine starke elektrische Entladung statt, und durch diese werde in dnem 
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 9 
andem Zimmer vor einem andem Beobachter in einem Galvanometer 
ein Strom induziert und eine Magnetnadei abgelenkt Dann l3Bt sich 
die Aussage, es sei der eine Vorgang durch den andem hervorgerufen 
worden, schon dadurch als ein physikalischer Satz, im Oegensatze zu 
einem psychologischen, erweisen, daB ja in diesem Falle ein psycho- 
logischer Zusammenhang gar nicht stattgefunden hat; denn gewiB 
war die Entladungswahmehmung des einen Beobachters weder die 
Ursache der Ablenkungswahmehmung des andem Beobachters, noch 
stand sie sonst mit ihr in einem BewuBtseinszusammenhang. Oanz 
ebenso nun ist auch die Aussage, ein Satz des Koran sei einem Satze 
des Rigveda gerade entg^engesetzt, schon deshalb gewiB ein logischer 
und nicht ein psychologischer Satz, weil ja das Denken des Koran- 
Verfassers und das des Rigveda-Verfassers (wenn keiner den Gedanken 
des andem kannte) unmdglich in einem psychologischen, d. h. in einem 
BewuBtseinszusammenhange miteinander stehen konnen. Setzen wir 
nun andererseits, eben jene Entladungs- und AblenkungsvorgSnge 
hatten vor je zwei Beobachtem stattgefunden, so ersieht man den 
nicht-psychologischen Charakter jener Aussage wiedemm daraus, daB 
trotzdem geradeso wie fruher nur eine (urs^chliche) Beziehung zwischen 
zwei Vorg&ngen ausgesagt wird, wahrend doch fOr die Psychologic 
jetzt vier (subjektive) Wahmehmungen vorhanden sind, — somit daraus, 
daB fiir die Physik die Einheit und Identitat des Wahrgenommenen 
durch die psychologische Mehrheit und Verschiedenheit der Wahr- 
nehmungsvorginge keineswegs aufgehoben wird. Oanz ebenso nun 
wird der Logiker auch dann nur von zwei einander entgegengesetzten 
Slitzen sprechen, wenn der Satz des Rigveda sich etwa im Homer, 
der des Koran in der Bibel wiederfinden sollte, obwohl in diesem Falle 
vier subjektive Gedanken an die Stelle von zweien getreten sind. 
Auch fiir den Logiker wird mithin durch die Mehrheit und Verschieden- 
heit der Denkvorginge die Einheit und Identitat des Oedachten nicht 
berflhrt, und eine Aussage, welche diese Auffassung voraussetzt — 
z. B. die Aussage flber den Gegensatz jener beiden Satze — 
kann deshalb gewiB nicht eine psychologische, sondem nur eine 
logische sein. 
Wollen wir endlich das Siegel auf diese unsere Ansicht drucken, 
so brauchen wir nur zu bedenken, daB unbestrittenermaBen die 
Ordnungsbeziehungen, welche die Logik, und wiedemm jene, welche 
die Psychologie zwischen Gedanken herstellt, voneinander verschieden 
sind. Wir sprechen z. B. in der Logik von Begriffen, die einander 
liber- und untergeordnet^ von Satzen, die hinsichtlich ihrer Geltung 
10 NOOLCXjIE 
durcheinander bedingt sind. Dergieichen findet sich in der Psycho- 
iogie nicht: es wire sinnlos, zu sagen, eine BewuBtseinstatsache set 
der andem iibergeordnet, oder es musse die eine gelten, wenn die 
andere gelte. Andererseits handein wir z. B. in der Psychologie von 
der zeitiichen Entwicicelung gewisser Oedanken und von den Gesetzen, 
nach welchen die einen durch die andem kausai hervorgerufen warden. 
Und diese Betrachtungsweisen finden wieder in der Logik keine An- 
wendung, denn Begriffe, Satze und Beweise entwickein sich nicht in 
der Zeit und kdnnen sich deshalb auch nicht wie Ursache und 
Wirkung zueinander verhalten. Nun ist es ja gewiB nicht unmoglich, 
aus denselben Giiedem auf Orund verschiedener Ordnungsbeziehungen 
auch verschiedene Ordnungszusammenhange zu bilden, z. B. eine ge- 
gebene Menge von Munzen sowohl nach ihrer GrdBe wie nach ihrem 
Wert in je eine Reihe zu ordnen. Allein das ist doch undenkbar, 
daB in solchem Falle die Ordnungsbeziehungen der einen Reihe auf 
die Glieder der andern nicht mehr soilten angewandt werden konneiL 
Wo vielmehr dieses stattfindet, da mussen, wie die Beziehungen, so 
auch die Glieder beider Zusammenhange voneinander verschieden sdn. 
So verhalt es sich z. B. auch mit der physikalischen und psycho- 
logischen Ordnung der Wahmehmungen. Der Zusammenhang des 
Wahrgenommenen wird u. a. durch raumliche Beziehungen konstituiert; 
diese auf die subjektiven Wahmehmungsvorgange anzuwenden wSie 
sinnios ; daraus folgt, daB jener erste Zusammenhang nicht ein solcher 
von subjektiven Wahmehmungen ist; allein die Herstellung von Zu- 
sammenhangen dieser letzteren Art erschopft zugestandenermaBen die 
Aufgabe der Psychologie; daraus allein konnten wir folgem, daB 
der Zusammenhang des Wahrgenommenen (der objektiven Wahr- 
nehmungen) nicht Ergebnis psychologischer, sondern nur physikalischer 
Arbeit sein kann. Ebenso nun in unserem Falle. Es ist unwider- 
sprochen, daB der psychologische Zusammenhang aus subjektiven 
BewuBtseinserlebnissen und nur aus ihnen besteht; nun finden sich 
an dem Zusammenhange des Gedachten (der objektiven Gedanken) 
Beziehungen, die, wie oben dargetan, auf subjektive Gedanken und 
uberhaupt auf subjektive BewuBtseinserlebnisse in keinem verstind- 
lichen Sinne angewandt werden konnen; somit konnen die Glieder 
des Zusammenhanges des Gedachten (die objektiven Gedanken) nicht 
subjektive BewuBtseinserlebnisse, mithin auch nicht Glieder des psycho* 
logischen Zusammenhanges bilden; dann aber kann, da eine andere 
Wissenschaft nicht in Frage kommt, dieser ihr Zusammenhang nur 
ein logischer sein. 
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOOIE 11 
Man mag also die Sache drehen, wie man will: stets zeigt sich, daB die 
wissenschaftliche Herausarbeitung eines Zusammenhanges der ob^ 
jektiven Gedanken eine logische und nicht eine psychologische Auf- 
gabe ist 
3) Wir haben der Darl^^ng dieses Sachverhaltes so vid Raum gewidmet, 
well sich ihm eine weit verbreitete Ansicht entg^[ensetzt Dieser zufolge 
ist die wissenschaftliche Bearbeitung der objektiven Gedanken ebensogut 
Psychologic wie die der subjektiven Gedanken; wenn man fQr sic den 
Namen Logik beibehalten will, so muB diese jedenfalls als ein Zweig der 
Psychologic gefaBt werden ; vielleicht ist audi die Scheidung des Gedachten 
vom Denken uberhaupt zu beseitigen, jedenfalls aber gibt es von Gedanken 
als solchen nur Eine Wissenschaft, und das ist die Psychologie Man be- 
zeichnet diese Lehre als (logischen) Psychologismus. 
Ein verstandiger Vertreter dieses ^psychologistischen'' Standpunktes konnte 
gegen unsere bisherigen Ausfuhrungen etwa das Folgende einwenden : „Wenn 
zwischen den logischen und den psychologischen Beziehungen der Gedanken 
allgemein ein Unterschied gemadit wird, so mag dies zwar beweisen, daB 
zwischen beiden ein Unterschied besteht, jedoch nicht, daB dieser Unter- 
schied mit dem von Subjektiv und Objektiv zusammenfallt; vidmehr konnen 
ihm verschiedene Arten des Subjektiven zu Grunde liegen. Und so verhalt 
es sich wirklich. Ohne Zweifel liegen unsem Aussagen uber logische 
Ordnungsbeziehungen andersartige BewuBtseinserlebnisse zu Grunde als den- 
jenigen fiber psychologische Ordnungsbeziehungen im engeren Sinne Wenn 
wir z. B. sagen, daB zwei SUtze einander widersprechen, so heiBt dies, daB 
wir bei dem Versuche, sie beide fur wahr zu halten, ein gewisses eigen- 
tiimliches Widersprudiserlebnis erfahren. Wir haben es demnach doch audi 
in diesem Falle* allein mit subjektiven BevoiBtseinserlebnissen zu tun : sowohl 
das Denken der beiden ,widersprechenden< Gedanken wie das Widerspruchs- 
erlebnis sind doch sicherlich psychische Tatsachen. Die ,logischen< und 
die ,psychologischen' Beziehungen der Gedanken unterscheiden sich somit 
nur durch die Art der Beziehung zwischen subjektiven BewuBtseinserleb- 
nissen : im zweiten Falle folgen etwa diese Eriebnisse auf einander oder werden 
durcheinander bewirkt, im ersten ist ein Beziehungs-, z. B. ein Widerspruchs- 
eriebnis zwischen sie eingeschoben. Daraus erklart sich zugleich, in welchem 
Sinne ,logische' Beziehungen zwischen Gedanken ausgesagt woxlen kdnnen, 
die nicht in einem ,psychologischen' Zusammenhange stehen. Damit namlich 
eine solche ylogische' Beziehung von ihnen ausgesagt werden kdnne, mussen 
sie doch beide in dem Einen BewuBtsein des Aussagenden zusammengeh-offen 
sein. Der Gedanke im Rigveda und der Gedanke im Koran widersprechen 
einander nicht, solange ich sie nicht beide nach-gedacht habe — denn ebenso- 
lange hat auch kein Widerspruchserlebnis stattgefunden. Dieses Eriebnis 
tritt erst ein, sobald ich beide Gedanken denke, d. h. aber, sobald sie auch 
in Einen ,psychologischen' Zusammenhang geraten; und nichts anderes 
12 NCX)L001E 
meine ich, wenn ich jenen Widerspruch aussage Auch sieht man Iddi^ 
weshalb jeder dieser Gedanken seine Einheit und Identiiat bewahrt, audi 
wenn dem Rigveda Homer, dem Koran die Bibel an die Seite tritt Denn 
da sich gar nicht die Gedanken in den Kdpfen dieser Autoren, sondero 
vidmehr meine korrespondierenden Gedanken widersprechen, so ist es ganz 
gleichgfiltig, wie zahlrdch jene Kdpfe sein mdgen: in meinem BewuBt- 
sein ist doch jeder von bdden Gedanken nur einmal vertrden, und nur in 
meinem BewuBtsein ereignd sidi das Widerspruchserlebnis, auf Grund 
dessen ich jene Widerspruchsbeziehung aussage. Im ubrigen ist nicht zu 
leugnen, dafi wir die Gewohnhdt haben, unsere Gedanken nach ihrem 
logischen Gehalt, namlich unsere Gedanken, sofem sie durch solche Jogische* 
Beziehungserlebnisse verknupft sind, zu objektivieren, d. h. sie so zu be- 
trachten, als ob sie etwas von ihrem Gedaditwerden Unabhangiges wareiL 
Und dies tun wir ohne Schaden, da es ja fur ihre logischen Beziehungen 
gar nicht in Betracht kommt, von wem, zu wdcher Zeit und unter wdchen 
Umstanden sie gedacht wurden; denn mdn Urteil uber jene Beziehungen 
wird gar nicht von all diesen Umstanden bestimmt, sondem allein von den 
Beziehungserlebnissen, die ich sdbst erlebe, wenn ich diese Gedanken nach- 
denke Dabei aber ist ein doppdtes zu beachten. Einerseits, daB infolge 
der Allgemeinheit dieser Objektivierung der Sprachgebrauch es nicht mehr 
gestattet, die ,logischen< Beziehungen von den subjektiven Gedanken sdbst 
auszusagen, vidmehr eine solche Aussage nur von ihren Objektivierungen 
zulaBt Es heiBen deshalb z. B. nicht mehr zwei subjektive Urteilsakte sdbst 
widersprechend, an die sich ein Widerspruchserlebnis knupft, sondem wider- 
sprechend heiBen allein zwei objektivierte Satze, — allein doch nur dann, wenn 
an die ihnen entsprechenden subjektiven Urteilsakte ein solches Wider- 
spruchserlebnis sich heftet Dies ist der einfache Grund dafur, daB logische 
Beziehungen nicht von subjektiven BewuBtsdnserlebnissen ausgesagt werden 
k5nnen. Denn dies wurde nach jenem Sprachgebrauche voraussetzen, daS 
sie objektivierte Gedanken seien, denen subjektive und durch ein logisdies 
Beziehungserlebnis verknupfte Denkvorgange zu Grunde liegen — wdches 
naturlich nie der Fall sein kann. Andererseits aber ist festzuhalten, daS 
doch alle solche Aussagen logischer Beziehungen zwischen objektivierten 
Gedanken nur einen Sinn haben, insofeme die sie fundierenden subjektiven 
Denkvoi^gange mit jenen gleichfalls subjektiven Beziehungserlebnissen ver- 
knupft sind. Die Aussage z. B., zwei Satze widersprachen einander, hat 
einzig und allein den Sinn, daB bei dem Versuche, beide Satze zugldch 
fur wahr zu halten, ein Widerspruchserlebnis auftrde, und sie ware voO- 
kommen bedeutungslos und unverstandlich, wenn es solche Widerspnichs- 
erlebnisse uberhaupt nicht gabe Daher ist in Wahrheit doch alles, was 
die Logik formell uber Beziehungen objektiver Gedanken aussagen mag, 
materidl auf die Lehren der Psychologic g^rundet, namlich auf ihre Satze 
fiber jene Beziehungserlebnisse, welche die jenen objektiven Gedanken 
entsprechenden subjektiven Denkvorgange mitdnander verknupfen. Die 
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 13 
Logik ist somit hinsichtlich ihres ganzen Inhalts in der Tat ein Zweig der 
Psychologie" 
An alledem nun ist ohne Zweifd vid Wahres, das sich uns im Ver- 
laufe unserer noologischen Untersudiungen bestatigen wird. Allein das 
Wesentlidie unserer friiheren Darl^^ngen wird dadurch, wie mir scheint, 
jn kdner Weise beruhrt Vor allem ist das Zugestandnis wertvoll (von 
dem ich nidit sehe, wie man sich ihm sollte entziehen kdnnen), daB wir 
^die Qewohnheit batten, unsere Oedanken nadi ihrem logischen Oehalte 
zu objektivieren^ In diesem Zugestindnis namlich halten wir die Aner- 
kennung der Tatsache fest, daB die logisdien Aussagen sidi formell nicht 
auf subjektive, sondem auf objektive Gedanken beziehen. Wenn jedodi 
■der Oegner die Tragweite dieser Einraumung dadurch herabzusetzen mdnt, 
daB er statt von „objektiven'' vidmehr von ^objektivierten'' Gedanken spridit 
und diese „Objektivierung^ auf eine bloBe „Gewohnheif' zuruckfuhrt, wie 
denn auch nur ein „Sprachgebrauch^ der Anwendbarkdt jener logisdien 
Aussagen auf die subjektiven Denkvorgange selbst im Wege stehen soil, — 
so sdieinen uns diese Auskiinfte wenig zu besagen. Denn zunldist er- 
kennen wir in ihnen deutlich jene Verwedisdung analytischer und 
genetischer Ausdrucksweisen , und spezidl jene psychogonische 
Spekulation, die unslangst(§ 10. 5 und 37. 3) nicht im gunstigsten Lichte 
erschien. Von dner Objektivierung im genetischen Sinne namlich durfte 
man doch nur sprechen, wenn wirklich ein soldier Vo^gang in concreto 
nachgewiesen, und wenn insbesondere gezdgt werden kdnnte, daB in der 
Entwickdung des Einzdnen oder wenigstens der Gattung die Gedanken 
zuerst als subjektive nDenkakte'' und erst spater als objektive ^Denkobjekte^ 
erlebt worden sind. Dies aber hat nidit nur nie jemand dargetan, sondem 
€S widerspricht auch dem von uns schon oft (z. B. § 11. 7, 21. 9 und 
39. 5) erwahnten Prinzip, demzufolge das Objektive stets fruher als das 
Subjektive die Aufmerksamkeit auf sich zieht In der Tat uberwiegt denn 
auch gerade auf primitiven Stufen der individudlen und generdlen Ent- 
wickdung das logische Interesse an den Gedanken ohne jeden Zweifd die 
psychologische Betrachtung des Denkens. Im analytischen Sinne dag^;en 
besagt der Ausdruck objektivierte Gedanken gar nichts anderes als der 
andere objektive Gedanken: namlich die Tatsache, daB objektive und sub- 
jektive Gedanken ganz allgemein als vondnander verschieden gedacht und 
erlebt werden. Daher bilden denn auch nicht diese Auskunfte den Kern 
der g^^erischen Argumentation, sondem vidmehr der Gedanke: die 
logischen Beziehungen griindeten sich doch letztlich auf subjektive Be- 
ziehungserlebnisse, wdche selbst wieder mit subjektiven Denkerlebnissen 
verkniipft seien, und der ganze Inhalt aller logischen Satze sd daher im 
Omnde der Psychologic entlehnt Gegen diesen Gedanken aber ist nun 
dnzuwenden: erstens, daB er aus einer Voraussetzung etwas schlieBt, was 
nicht aus ihr folgt, zweitens, daB er die Aussagen auf Gmnd eines Erleb- 
nisses verwechsdt mit den Aussagen Qber dieses Erlebnis, und drittens, daB 
14 NOOLOOIE 
er, wenn uberhaupt etwas, dann viel zu viel beweisen wQrde^ nimlich dat 
alle wissenschaftlichen Satze psychologische Satze, und alle Wissensdiaflen 
Zweige der Psychologie sind. Wir mussen nun diese drei Punkte der 
Reihe nach durchgehen. 
Dabei wollen wir uns zunlchst ganz auf den psychologistisdien Stand- 
punkt stellen : die Glieder des logischen Zusammenhangs soHen nicMs 
anderes sein als ^objektivierte" Daten der Psychologie, und die logisciieii 
Beziehungen nichts anderes als die auf diese ,,objektivierten" Elemente iibcr- 
tragenen, von ihnen ausgesagten psychologischen Relationen, wie sie zwisdicn 
den entsprechenden subjektiven Denkerlebnissen bestdien. Trotzdem nvai, 
sage ich, wiirde daraus nicht folgen, daB die Logik ihren ganzen Inhatt 
der Psychologie entlehne Und zwar aus dem einfochen Grunde» weil ubcr 
alles das, was nun an diesem logischen Zusammenhang die eigentumlidic 
Folge der ^Objektivierung'' selbst ist, die Psychologie keine RechensduA 
mehr geben kann. Denn gerade wenn man meint, die Objektivitat docs 
Gedankens beruhe darauf, daB man von den zeitlichen und individudlen 
Umstanden seines Gedachtwerdens absehe, und ihn so betrachte, als wire 
er von ihnen unabhangig, — gerade dann sollte man nicht verkennen, daB 
man eben damit beschlossen hat, von vielen psychologischen Eigenschatten 
und Verhaltnissen dieses Gedankens abzusehen, und ihn in vielen Hin- 
sichten nicht unter psychologischen Gesichtspunkten, vielmehr als auBerlialb 
des psychologischen Zusammenhanges stehend zu betrachten. Ud>er alks 
dasjenige nun, was infolge dieses Absehens vom Psychologischen alien 
„objektivierten" Gedanken gemeinsam eigentumlich ist, kann man doch 
nicht wieder von der Psychologie selbst Aufklarung verlangen und erwarten 
— ebensowenig, als es jemandem einfallen wird, alle Satze der Perspddive 
(als wdche durch das Absehen von der Korperlichkeit gekennzeichnd ist) 
der Stereometric, mithin der Wissenschaft von den Korpem, entlehnen ai 
wollen. Vielmehr ist es auch unter diesen Voraussetzungen Idar, daB die 
Logik eine ganze Reihe, ja vidleicht ein ganzes System von Satzen ent- 
halten wird, die gar nichts anderes aussagen als das eigentiimliche Wesen 
der Objektivierung selbst, d. h. der Abstraktion vom Psychologischen; und 
diese konnen doch gewiB nicht wiederum der Psychologie entlehnt san* 
So steht es z. B. gleich mit jenem ersten Prinzip der Logik, das man den 
Satz der Identitat (das principium identitatis) zu nennen und nicht sefar 
glucklich A = A zu schreiben pfl^ das aber einen verstandlichen Sinn 
doch wohl erst gewinnt, wenn man es dahin formuliert, daB inhaltsgldche 
Gedanken fur die Logik numensch identisch sind; daB es fur sie nicfat 
mehrere B^jiffe, Satze dc. gleicher Bedeutung geben kann ; oder eben, daB 
fur die logische Valenz eines Gedankens alle zeitlichen und individudlen 
Umstande seines Gedachtwerdens gleichgiiltig sind. Da mithin dieser Satz 
gerade die Funktion hat, das psychologisch Viele und Verschiedene als dn 
logisch Einheitliches und Identisches zu setzen, und uberhaupt fur die 
Olieder des logischen Zusammenhangs jeden psychologischen Zusammcn* 
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 15 
hang zu negieren und sie so aus ihm herauszuheben, so ware es absurd, 
ihn selbst wieder als einen psychologischen Satz bezeichnen und aus der 
Psychologic herleiten zu wollen. Und wenn es vielleicht schwierig sein 
mdchte, noch einen anderen logischen Saiz zu nennen, der — nach den 
hier zugesfandenen Voraussetzungen — ebenso wie dieser vollstandig frei 
von psychologischem Stoffe ware, so versteht sich doch von sdbst, daB 
alle Satze, welche auf diesem Satze ruhen, und d. h. eben alle logischen 
Satze, zum mindesten gedankliche Momente enthalten miissen, die auf diese 
antipsychologische Basis sich grunden und daher nicht psychologischen 
Ursprungs sein kdnnen. Gleich der Satz des Widerspruchs (das 
principiam contradidionis) z. B^ welcher aussagt, daB ein und derselbe Satz 
nicht sowohl wahr als falsch sein kann, mag wohl zu dem psychologischen 
Satze in Korrelation stehen, demzufolge ein und derselbe Mensch nicht zu 
ein und dersdben Zeit ein und denselben Satz fur wahr und auch fur falsch 
halten kann. Allein indem er, wie seine Fassung zeigt, die Einschrankung 
auf Ein Individuum und Einen Zeitpunkt abstreift, zieht er eben die Konse- 
quenz aus jenem im Satze der Identitdt ausgesprochenen eigentumlichen 
Wesen der Objektivierung; dieses Plus aber, das er dem korrelaten psycho- 
logischen Satze gegeniiber enthalt, kann auch der Psychologist nicht auf 
eine psychologische Quelle zurfickfuhren wollen. Und leicht ist einzusehen, 
daB ihnliche Verhaltnisse wie in dem zuletzt besprochenen Falle sich auch 
an alien anderen logischen Satzen wiederholen, nur daB die Differenz g^;en 
die korrelaten psychologischen Satze in den verschiedenen Einzdfallen von 
sehr verschiedener Tragweite sein mag. 
Wir haben hier von einer Korrelation logischer und psychologischer 
Satze gesprochen. Der Psychologismus b^^nugt sich damit nicht, und 
statuiert vielmehr eine Derivation der ersteren von den letzteren. Denn ihm 
steht es fest, daB die logischen Beziehungen, die in jenen ausgesagt werden, 
nichts anderes sind als die psychologischen Beziehungen, von welchen 
diese handeln, nur ubertragen von den subjektiven auf die ^objektivierten'^ 
Gedanken : der „Sprachgebrauch" allein sollte es ja verhindem, die logischen 
Beziehungen geradezu von den subjektiven Denkvorgangen auszusagen. Dies 
alles haben wir bisher zugestanden ; jetzt dagegen muB diese Ansicht selbst 
gepruft werden. Und da behaupten wir denn, daB diese Meinung durch- 
aus auf einer Verwechslung von Aussagen aufOrund eines Erleb- 
nisses mit Aussagen uber dieses Erlebnis beruht, und daB in Wahrheit 
die logischen Beziehungen von den „korrelaten" psychologischen durchaus 
verschieden sind. Uns namlich stdlt sich die Sachlage folgendermaBen dar. 
Die logischen Satze sagen Beziehungen zwischen objektiven Gedanken (z. B. 
den Widerspruch zweier Satze) aus auf Grund von Beziehungserlebnissen, 
Oder, wie wir ja nach langst gewonnenen Ergebnissen (§ 27) bestimmter 
sagen kdnnen, auf Grund von Relationsgefuhlen. Diese Beziehungs- 
erlebnisse (Relationsgefuhle) kdnnen natiirlich selbst wieder zum Gegenstande 
von Aussagen gemacht werden, und diese Aussagen werden psychologische 
16 NCX)LCXjIE 
Satze darstdlen. Allein diese psychologischen Satze sind nun ganz andeit 
Satze als die urspriinglich g^;€J)enen logischen Satze. Es sd z. B. gegcben 
der logische Satz: die S&tze A and B widersprtchen einander. Dann kaim 
der korrdate psychologische Satz nur tauten : in jedem Menschen wird dtr 
Versuch, A and B zugleich fdr wahr zu haUen, von dnent WiderspntdiS' 
eriebnis begleitet. Und uns wenigstens scheint es, wie wir gldchfalls sdioo 
friiher einmal (§ 27. 1) angedeutet haben, evident, daB diese beiden Site 
ganz verschiedene Satze sind ; namlich ebenso evident, wie daB die in beidci 
Satzen ausgesagten Beziehungen ganz verschiedene Beziehtingen sind; tmd 
zwar verschiedene Beziehungen sowohl nach der Beziehungsart als audi 
nach den Beziehungsgliedem. Denn der logische Satz sagt dne Beziciiuiig 
des Widersprechens aus von zwei Oliedem (den Satzen A und B)^ der 
psychologische Satz aber eine Beziehung der Gleichzeitigkdt zwisdien dra 
Gliedem (dem Widerspruchsgefuhl, dem FurwahrhaltenwoUen des Satzes A 
und dem des Satzes B). Will man dieses Verhaltnis sich noch mehr ver- 
deutlichen, so mag es zweckmaBig sein, auf die seinerzeit (§ 27) von ii» 
verwendete Symbolisierungsweise zurtickzugreifen, der zufolge wir die R^ 
lationen mit r, die Relationsgefuhle mit p bezeichnden. Abstrahieren wir 
nun auch vdllig von der Verschiedenheit objektiver und subjektiver (k- 
danken, d. h. von dem Unterschiede, der zwischen den Satzen A und B 
einerseits, dem FurwahrhaltenwoUen dieser Satze anderersdts dodi un- 
leugbar besteht, und unterscheiden nur die verschiedenen Relationen und 
Relationsgduhle als r,, rj und p,, p,, so mussen wir doch die in dem 
logischen Satze ausgesagte Beziehung durch r, (A B), die in dem korrdaloi 
psychologischen Satze ausgesagte dagegen durch rj (A B p,) wiedeigebea 
Naturlich hilft es auch gar nichts, von den ausgesagten Rdationen auf die 
diese Aussage fundierenden Relationsgefuhle zuruckzugehen ; denn audi 
dann bliebe der psychische Komplex p, (A B) von dem anderen p, 
(A B pi) charakteristisch und unaufheblich verschieden, da ja sdbstverstuid- 
licherweise das Relationsgefuhl, auf Orund dessen die Gleichzdtig^kdt von 
A, B und Pi ausgesagt wird, von jenem, das die Aussage: A und B wider- 
sprechen einander, fundiert, ganzlich unterschieden ist Alldn hiezu kommt 
nun noch, daB in Wahrheit ja doch auch die „objektivierten*< Qedanken 
von den subjektiven Denkvorgangen getrennt werden mussen. Eigentlich 
mussen deshalb die beiden Relationen: r, (Aj B,) und rj (A, B, p,X die 
beiden Relationsgefuhle: p, (Ai B,) und p2 (Aj Bj pi) geschrid>en werden. 
Wenn es sich indes hier um zwei Satze handelt, die von ganz anderen 
Gliedem ganz andere Beziehungen aussagen, so ist es klar, daB keinesw^gSi 
wie der Psychologismus wollte, nur der „Sprachgebrauch" es verbietet, die 
(logischen) Beziehungen der einen Art von den Gliedem der (psydio- 
logischen) Beziehungen der anderen Art auszusagen; sondem dies ist dn- 
fach deshalb unzulassig, weil das jene Beziehungen fundierende Rdations- 
gduhl (pi) die Glieder dieser Beziehungen (A2 B2) iiberhaupt nic duuak- 
terisiert, sondem nur mit ihnen zusammen durch dn von ihm ganz ver- 
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 17 
I schiedenes Relationsgefuhl (P2) charakterisiert wird i). Sind jedoch so beide 
■ Satze nach ihren G^enstanden und nach ihrem Inhalt voneinander verschieden, 
I wie kann dann der Umstand, daB der eine von ihnen — namlich jener 
i fiber r2 (A2 Bj Pi) — ein psychologischer Satz ist, die Behauptung be- 
p grunden, daB auch dem anderen — namlich dem fiber r, (Aj Bj) — diese 
•J Eigenschaft zugesprochen werden mfisse? Wir kdnnen nns aber diesen 
, Sachverhalt auch noch auf eine andere und allgemeinere Art naher bringen. 
I Wie namlich schon ofter angedeutet wurde, ist das Verhaltnis des logischen 
J Satzes zu dem korrelaten psychologischen einfach dasjenige, das fiberhaupt 
I 
I 
zwischen Aussagen ,^uf Grund'< eines Erlebnisses und Aussagen ^fiber'* 
dieses Erlebnis besteht Und zwar haben wir ja dieses Verhaltnis, insofem 
es sich dabei speziell um Geffihlserlebnisse handelt, an jener Stelle (§ 39. 3) 
schon flfichtig kennen gelemt, an der wir von den verschiedenen Arten der 
Charakterisierung handelten. Wir sahen da zunachst: ein Geffihl — 
mithin auch ein Relationsgeffihl — kann Vorstellungen einmal so charak- 
terisieren, daB es an ihnen, oder an den aus ihnen bestehenden Komplexen, 
eine Eigenschaft bestimmt, eine Aussage fiber sie ermdglicht; das ist die 
Aussage „auf Grund" des Geffihls, und in diesem Fall sprachen wir (ab- 
gesehen von den besonderen Fallen der Endopathie und Adjektion) von 
determinierender Charakterisierung. Die Charakterisierung kann indes 
auch so beschaffen sein, daB das Geffihl nur als solches zum BewuBtsein 
kommt, bloB eine Aussage fiber sich selbst veranlafit; das ist die Aussage 
^fiber*' das Geffihl, und hier sprachen wir von konkomitierender 
Charakterisierung. So wenig nun determinierende und konkomitierende 
Charakterisierung zusammenfallen, so wenig sind Aussagen auf Grund eines 
Geffihls und Aussagen fiber dieses Geffihl dasselbe. Das einzige, was man 
zwischen beiden anerkennen kann, ist eine gewisse Korrelation. Allein 
welcher Art ist diese? Kann man sie etwa naher dahin bestimmen, daB 
die Aussagen „auf Grund" von den Aussagen „fiber", somit die deter- 
minierende von der konkomitierenden Charakterisierung abgeleitet werden 
konnte? Da sahen wir denn weiter (§ 39. 5), daB der Sachverhalt dem- 
jenigen gerade entgegengesetzt ist, den die Bejahung dieser Frage in ihrem 
einzig verstandlichen Sinne voraussetzen mfiBte. Logisch „ableitbar" namlich 
sind Erlebnisse verschiedener Art und Aussagen disparaten Inhalts von- 
einander fiberhaupt nicht; genetisch „abgeleitet" dag^en kann nur die 
Konkomitanz aus der Determinierung, demnach auch nur die Aussage „fiber" 
aus der Aussage „auf Grund" werden. Denn psychogonische Spekulationen 
wollen wir uns ja versagen (§ 37. 3), und von genetischen Verhaltnissen 
nur insoweit reden, als sie der Beobachtung zuganglich sind (§ 37. 6). In 
diesem Sinne aber, fanden wir, sei kein Zweifel, daB die objektivierende 
Funktion der Geffihle vor ihrer subjektivierenden stets vorhergehe; denn 
') Daruber, in welchem — nicht ganz strengen — Sinne fiberhaupt von der 
Charakterisierung Eines Oefuhls durch ein anderes gesprochen werden kann, vgl. 
vorderhand § 39. 4. 
Oomperz, WeltinsduumiisBlehre Hi 2 
18 NOOLOOIE 
nur die merkwurdige, schon dfter (§ 21. 9 und 17, § 35. 4) von uns er- 
wahnte Erscheinung der Reflexion, oder doch zum mindesten eine init 
dieser Erscheinung einigermafien verwandte Art der Aufmerksamkeit, vcr- 
wandle jene in diese. Daran, dafi alle Aussagen ,,auf Grund^ von Aus- 
sagen ^uber'' abgeleitet waren, fehlt deshalb so viei, daB man vielmehr b^ 
haupten darf, jede Aussage „uber" setze eine solche ,,auf Qrund'' vonuis; 
denn nur, indem auf diese letztere reflektiert oder doch in ahnlicher Wetse 
geachtet wird, kann der AnlaB zu jener ersteren geschaffen warden. Dies 
ailes nun findet auf unseren Fall seine Anwendung. DaB logische Siize 
„auf Qrund" von Relationsgefuhlen und psychologische Satze „ubei^ di^ 
selben verschiedene Inhalte haben und nur in einem Verhaltnis der Korre^ 
lation zueinander stehen, ist oben schon gezeigt worden. Allein audi 
diese Korrelation kann nun in keiner Weise als eine „Ableitung<* oder „Eiil- 
lehnung*' der logischen Satze aus der Psychologic gedeutet werden. Denn 
die Behauptung, daB die logischen Beziehungseriebnisse (z. B. das Wider- 
spruchsgefhhl) als solche, somit als Daten der Psychologic, friiher ins B^ 
wuBtsein fielen denn als Grundlagen der logischen Verhaltnisse (z. B. des 
Widerspruchs) — diese Behauptung wurde aller Erfahrung ins Oesidit 
schlagen, mag man nun das „fruher'' auf die individuelle oder auf die 
generelle Entwickelung beziehen. Es ist ja z. B. bekannt, wie ungeman 
fruh die Kinder gegen Widerspruch empfindlich werden: mit der Ung^ 
rechtigkeit zusammen (die ubrigens wohl hauptsachlich gleichfalls als Wider- 
spruch gegen die festgesetzte Norm, das gegebene Wort etc. verstanden 
wird) gehort er wohl zu den allerersten Abstraktionen des Kindesalters. Ein 
Knirps kann noch kaum ordentlich reden, und wirft schon mit Ausdriicken 
wie „Du hast doch gesagt^' um sich, mit denen er wirkiiche oder vermdnt- 
liche Widerspruche aufdeckt. Und verlangt man nach der phylogenetisdieo 
Parallele, so werfe man einen Blick in die Verse des Parmenides. 
Wollte man dagegen zu jenem Kind oder diesem Denker von Wider- 
spruchsgefuhlen reden, so wurden sie ohne Zweifel verstandnislos den 
Redenden anglotzen. Auch hier entstehen vielmehr offenbar die Aussagen 
„uber** die logischen Relationsgefuhle erst durch Reflexion auf diejenigen ^auf 
Orund" solcher Qefuhle, folglich die konkomitierende durch Reflexion auf 
die determinierende Charakterisierungsart. Allein jene Aussagen sind psycho- 
logische, diese logische Satze. Wollte man daher durchaus darauf bestefaen, 
das Korrelationsverhaltnis zwischen diesen beiden Satzarten in ein Deri- 
vationsverhaltnis umzusetzen, so konnte man hochstens sagen ^ daS die 
Psychologic diesen Teil ihrer Satze der Logik „entlehne". Indes, noch 
Eines muB hier bemerkt werden. Das Verhaltnis von Aussagen tfiha* 
und „auf Qrund" beschrankt sich ja nicht auf solche Falle, in denen es 
sich um ein Gefuhlserlebnis handelt Und vielleicht geben jene anderen 
Falle, in denen an die Stelle des Oefuhls eine Vorstellung tritt, ein nodi 
starkeres Argument fur unsere Position ab. Man setze z. B., ein Forschungs- 
reisender hatte im Innem Afrikas ein hohes, schneebedecktes Gebirge er- 
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOOIE 19 
biickt, und darauf in seinen Reisebericht geschrieben: in jener G^end be- 
finden sich Schneeberge. Dieser Satz ist eine Aussage ,^uf Grund" jenes 
Eriebnisses. Dag^en die Aussage „uber*' dieses Eriebnis wiirde etwa lauten : 
der Forschungsreisende X. Y. hat an einem bestimmten Tage die Wahr- 
nehmung ^Schneeberge" gehabt. Nun ist dieses ohne Zweifel ein psycho- 
iogischer Satz. • Allein wird irgend jemand deswegen sagen, jener erste sei 
gleichfalls ein psychologischer Satz? Vielmehr sind alle Menschen daruber 
einig, daB es ein geographischer Satz ist Auch wird ihnen nicht zweifei- 
haft sein, daB dieser geographische Satz in zeitiicher Beziehung jenem 
korrelaten psychologischen Satze unter normalen Umstanden vorherg^[angen, 
und daB dieser durch Reflexion auf jenen zuerst entstanden sein wird. Nach 
den konsequenten Grundsatzen des Psychologismus dagegen mufite man 
vielmehr sagen, da jener sogenannte geographische Satz nur auf Grund 
eines Wahmehmungserlebnisses ausgesagt werde, welches an sich ein 
psychologisches Datum und Gegenstand eines korrelaten psychologischen 
Satzes sei, so sei er von diesem letzteren ,,abgeleitet" und in Wahrheit der 
Psychologic „entlehnt", und da die Verhaltnisse hinsichtlich aller „geo- 
graphischen" Satze prinzipiell ganz ebenso lagen, so sei in Wahrheit die 
sogenannte Geographic nichts anderes als ein „Teil" oder „Zweig" der 
Psychologic! 
Damit sind wir zu dem dritten Punkte gelangt, den wir ausfuhren 
wollten. Auf alles bisher Ausgefuhrte namlich kdnnte der Psychologismus 
etwa immer noch erwidem, wenn auch die logischen Satze den korrelaten 
psychologischen zeitlich vorangehen und deshalb ihnen gegenuber das 
„fur uns Fruhere" (Trpotepov 7rp6^ 'hV'^^) darstellen mogen, so seien doch diese 
letzteren, da sie „uber** jene Erlebnisse handelten, „auf Grund" deren allein 
jene ersteren ausgesagt werden konnten, das „an sich Fruhere** (Trpdtepov 
fuaet), und in diesem Sinne k5nne die psychologistische Deutung der 
Korrelation als Derivation aufrecht erhalten werden. Wir wollen nun auf 
diese Einwendung eine ganz allgemeine Antwort erteilen. Es ist namlich 
doch gar nichts der Logik Eigentumliches, daB sowohl die Glieder als 
auch die Beziehungen des von ihr hergestellten Ordnungszusammenhangs 
y,auf Grund" von BewuBtseinstatsachen ausgesagt werden, die auch zu Satzen 
^uber'^ sie selbst den Anlafi geben und so zu psychologischen Daten 
werden k5nnen. Vielmehr ist es ja ganz selbstverstandlich, daB alle wissen- 
schaftlichen Satze ohne Ausnahme sowohl hinsichtlich der Tatsachen, welche 
ihre Subjekte, als auch hinsichtlich der Ordnungsbeziehungen , die ihre 
Pradikate ausmachen (§ 5. 4), korrelate BewuBtseinstatsachen voraussetzen, 
In denen wir jene Tatsachen und Ordnungsbeziehungen (rezeptiv oder 
reaktiv) „erfahren"; denn ohne solche Erfahrungen konnten wir von jenen 
Tatsachen nichts wissen und das Wesen dieser Beziehungen nicht verstehen. 
Diese Einsicht ist auch ganz unabhangig von der Antwort, die der Einzelne 
auf die Frage zu geben geneigt sein mag, wie sich diese Erfahrungen zu 
Jenen Tatsachen und Beziehungen ontologisch verhalten mogen; denn 
20 NOOLOGIE 
m5gen diese letzteren an sich noch so objektiv und von ihrem Eifahren- 
werden unabhangig sein: von uns kdnnen sie doch jedenfails nur in Be- 
wuBtseinserlebnissen erfafit werden — mogen sie nun diese erzeugen, von 
ihnen erzeugt werden oder mit ihnen uberhaupt zusammenfallen. ^Ueber" 
jedes solche BewuBtseinserlebnis sind nun naturlich wieder psychologisdie 
Satze moglich, die somit zu jenen Satzen anderer Wissenschaften, welche 
,^uf Grund" derselben BewuBtseinserlebnisse ausgesagt werden, Korrdale 
darstellen. Sollte also dieses Verhaltnis geniigen, um den psychologischen 
Satz als den ,^n sich fruheren", und jene anderen Satze als ,^us der Psycho- 
logic entlehnt*' zu erweisen, dann mufite man diese Behauptung auf samt- 
liche wissenschaftliche Satze uberhaupt ausdehnen und schlechthin alle 
Wissenschaften als Teile oder Zweige der Psychologic betrachten. In der 
Tat lassen sich z. B. alle Argumente, die wir fruher dem logischen Psycho- 
logisten in den Mund legen mufiten, ganz ebensogut auch zum Erweis 
der These verwenden, daB die Physik ein Teil der Psychologie sd 
Allerdings, muBte man dann sagen, seien die sogenannten physikalischen 
Beziehungen, z. B. das raumliche Nebeneinander, von den psychologischen 
verschieden, und dies moge allerdings dafur sprechen, daB beiden ver- 
schiedenartige Beziehungserlebnisse zu Grunde liegen. Dies andere aber 
nichts daran, dafi doch beide subjektive Erlebnisse seien, wie denn z. B. 
jenes eigentumliche Eriebnis des Nebeneinander, das bei der gleichzeitigen 
Wahmehmung gewisser „Gegenstande" auftrete, gewiB nicht weniger sub- 
jektiv sei als das Eriebnis des Nacheinander, das die Folge mehrerer Vor- 
stellungen begleite, oder als jene Wahrnehmungen selbst. Wenn femer 
die Physik physikalische Beziehungen auch zwischen solchen Wahr- 
nehmungen anerkenne, die gar nicht in Einem BewuBtsein zusammen- 
treffen, wenn sie z. B. von einer raumlichen Entfemung zwischen zwei 
Korpem spreche, die von verschiedenen Beobachtern wahrgenommen 
wurden, so erklare sich dies einfach daraus, daB eben beide Wahrnehmungen 
schlieBlich in dem BewuBtsein des aussagenden Physikers zusammengetroffen 
seien. Denn jene Korper seien nur insoferne „nebeneinander", als der 
Physiker jene beide Wahrnehmungen wiederholt oder doch reproduziert, 
somit jedenfails beide Korper als nebeneinander befindlich vorgestellt, dn 
Eriebnis des Nebeneinander in Bezug auf sie gehabt habe. Ebenso leuchtc 
ein, mit welchem Recht man jeden dieser Korper auch dann als eine identische 
Einheit auffasse, wenn er von mehreren Individuen wahrgenommen worden 
sei. Da namlich gar nicht die isolierten Wahrnehmungen in jenen Individuen 
„nebeneinander** seien, sondem erst die entsprechenden Vorstellungen des 
Physikers, so kame die Zahl jener Wahrnehmungen gar nicht in Betracht; 
denn in dem BewuBtsein des Physikers, in welchem allein das Eriebnis des 
Nebeneinander stattfinde, sei jede von jenen Vorstellungen nur einmal ver- 
treten. Im ubrigen sei es freilich richtig, daB wir die Gewohnheit hatten, 
unsere Wahrnehmungen nach ihrem physikalischen Gehalt zu objektivieren, 
d. h. sie, insofem sie durch „physikalische*' Beziehungserlebnisse verkniipft 
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 21 
sind, so zu betrachten, als ob sie etwas von ihrem Wahrgenommenwerden 
Unabhangiges waren; und dies geschehe in der Tat ohne Schaden, da ja 
fur das Urteil des Physikers uber jene physikalischen Beziehungen allein 
seine Beziehungserlebnisse bei der Wiederholung resp. Reproduktion der 
fremden und eigenen fruheren Wahmehmungen in Betracht kamen, und 
gar nicht die Frage, zu welchen Zeitpunkten und von welchen Individuen 
jene Gegenstande etwa sonst noch wahrgenommen wurden. Nur auf diese 
Gewohnheit der Objektivierung aber stutze sich der Sprachgebrauch, wenn 
er es verbiete, die physikalischen Beziehungen (z. B. das Nebeneinander) 
von den subjektiven Wahmehmungsvorgangen selbst auszusagen, ihre An- 
wendbarkeit vielmehr auf deren Objektivierungen (die sogenannten Wahr- 
nehmungsgegenstande) einschranke. Dadurch durfe man sich indes daruber 
nicht tauschen lassen, daB alle jene Aussagen physikalischer Beziehungen 
von objektivierten Wahmehmungen doch nur einen Sinn haben, insofem 
mit den entsprechenden subjektiven Wahmehmungserlebnissen die korre- 
laten Beziehungserlebnisse in der Tat verknupft seien. Die Aussage z. B., 
zwei Korper seien nebeneinander, habe allein die Bedeutung, da6 bei der 
gleichzeitigen Wahmehmung oder doch Vorstellung derselben ein Erlebnis 
des Nebeneinander vorkomme, wahrend, wenn es solche Eriebnisse uber- 
haupt nicht gabe, jene Aussage vollkommen sinnlos und unverstandlich 
ware. Hieraus gehe jedoch hervor, daB alles, was die Physik formell 
uber physikalische Beziehungen objektiver Wahmehmungsgegenstande aus- 
sage, materiell doch auf den Lehren der Psychologic beruhe, namlich auf 
ihren Satzen uber jene Beziehungserlebnisse, welche die jenen „objektiven 
Wahmehmungsg^enstanden" entsprechenden subjektiven Wahmehmungs- 
vorgange miteinander verknupfen. Damit aber sei dargetan, daB die 
Physik hinsichtlich ihres ganzen Inhalts wirklich ein Zweig der Psycho- 
logic sei. 
Es zeigt sich somit, daB das Prinzip des logischen Psychologismus zu 
einer Konsequenz fuhrt, die den axiomatischen Voraussetzungen jeder Wissen- 
schaftslehre widerspricht. Dann muB jedoch auch jede Wissenschaftslehre, 
welche an diesen Voraussetzungen, namlich an der Unterscheidung meh rer er 
Wissenschaften, festhalten will, den logischen Psychologismus unbedingt und 
endgultig ablehnen. 
4) Den Psychologismus findet man z. B. bei J. St. Mill vertreten, bei 
dem es unter anderem heiBt^): Die Logik „ist nicht eine von der Psycho- 
logic unterschiedene und ihr beigeordnete Wissenschaft Soweit sie uber- 
haupt eine Wissenschaft [und nicht vielmehr eine Kunstlehre] ist, ist sie ein 
Teil Oder Zweig der Psychologic, von der sie sich einerseits wie der Teil 
vom Ganzen, andererseite wie eine Kunstlehre von einer Wissenschaft unter- 
scheidet Ihre theoretischen Grundlagen sind durchaus der Psychologic 
entlehnt" Ebenso nennt neuerdings Lipps 2) die Logik eine „Sonderdisziplin 
der Psychologic^'; denn „die Logik ist eine psychologische Disziplin, so 
Exam. S. 445. «) Logik S. 1 f. 
22 NOOLOGIE 
gewiB das Erkennen nur in der Psyche vorkommt, und das E>enken, das- 
sich in ihm vollendet, ein psychisches Geschehen ist** ^). Andererseits findet 
man die Ansicht, die ich fur richtig halte, schon bei Herbart klar und 
scharf fomiulieil Da heifit es^: Man muB „eine Sonderung machen 
zwischen Begriffen in logischer und in psychologischer Bedeutung. Jedes 
Gedachte, bloB seiner Qualitat nach betrachtet, ist im 
logischen Sinne ein Begriff [resp. Satz, Beweis etc, muBte man 
hinzusetzen]. Dabei .... kommt nichts an auf das denkende Subjdct, 
einem solchen kann man nur im psychologischen Sinne B^jiffe zueignen, 
wahrend auBerdem der Begriff des Menschen, des Triangels u. s. w. 
niemandem eigentumlich gehort. Ueberhaupt ist in logischer Bedeutung 
jeder B^^riff nur einmal vorhanden; welches nicht sein kdnnte, wenn 
die Anzahl der Begriffe zunahme mit der Anzahl der dieselben vorstdlen- 
den Subjekte, oder gar mit der Anzahl der verschiedenen Akte des Denkens, 
wodurch, psychologisch betrachtet, ein Begriff erzeugt und hervoi^gerufen 
wird .... Die Begriffe sind etwas vollig Unzeitliches; welches 
von ihnen in alien ihren logischen Verhaltnissen wahr ist, daher audi die 
aus ihnen gebildeten wissenschaftlichen Satze und Schlusse fur die Alien 
so wie fur uns — und am Himmel wie auf Erden — wahr sind und 
bleiben. Aber die Begriffe in diesem Sinne, in welchem sie ein gemdn- 
schaftliches Wissen fur alle Menschen und Zeiten darbieten, sind gar nichts 
Psychologisches .... In psychologischer Hinsicht ist ein Begriff diejenige 
Vorstellung [?], welche den Begriff in logischer Bedeutung zu ihrem Vor- 
gestellten hat; oder, durch welche der letztere (das Vorzustellende) wirklich 
vorgesteUt wird. So genommen, hat nun allerdings Jeder seine Begriffe 
fur sich; Archimedes untersuchte seinen eigenen Begriff vom Krdse, 
und Newton gleichfalls den seinigen, es waren dies zwei B^rnffe im 
psychologischen Sinne, wiewohl in logischer Hinsicht nur ein einziger fiir 
alle Mathematiker**. Und ebenso an einer anderen Stelle^): „ln der Logik 
ist es notwendig, alles Psychologische zu ignorieren, well hier ledigiich 
diejenigen Formen der moglichen Verkniipfung des Gedachten sollen nach- 
gewiesen werden, welche das Gedachte selbst nach seiner Beschaffenheit 
>) Weniger bedenklich ist es an und fur sich, wenn Stohr (Log. S. I u. V) er- 
klart, die Logik lasse sich a u c h als „beschreibend psychologische Lenre vom Denkeo 
auffassen", und in einer solchen „psychologisierenden Darstellung** werde dann jAit 
sogenannte Loe[k . . . eigentlich zu einem ausgewahlten Telle der introspektiven 
Psycholo^". ts fragt sich dann nur, ob es zweckmaBig ist, „auch" die Psydio- 
logie des Denkens Lop'k zu nennen ? W ohl ebensowenig, als es zweckmaBig ware, 
„auch" die Psychologic des Rechnens Arithmetik zu nennen. Doch zeigt gerade die 
zum groBen Teil senr scharfsinnige Durchfuhrung des „psychologisierenaen Stand- 
punktes'' bei Stohr, daB jene Benennung nicht nur unzweckmaBig, sondem audi 
geradezu gefahrlich ist. Denn dem genannten Forscher werden in seiner „psydio- 
logisierenden Darstellung** sehr viele logische Moglichkeiten zu psychologischen 
wirklichkeiten. Weil z. B. ein Satz im Plural logisch als die „Kontaraktion^ vieler 
Satze im Singular aufgefaBt werden kann, halt er audi psychologisch jcden 
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOOIE 23 
zulaBt Die erste Folge aus diesen Erklarungen ist der Satz, daB nicht zwei 
B^jiffe vollkommen gleich sein k5nnen, sondem jeder gleichsam [?] nur 
in einem einzigen Exeniplare vorhanden ist. Denn zwei gleiche B^^ffe 
wurden sich in Hinsicht dessen, was durch sie gedacht wird, nicht unter- 
scheiden; sie wurden sich also alsBegriffe uberhaupt nicht unterscheiden. 
E)ag%en kann das Denken eines und desselben B^ffes vielmal wieder- 
holt, bei sehr verschiedenen Oel^enheiten erzeugt und hervorgerufen, von 
unzahligen Vemunftwesen vorgenommen werden, ohne da6 der Begriff 
hierdurch vervielfaltigt wflrde." Dabei ist sehr bemerkenswert, da6 Herbart 
der Gedanke durchaus fern li^ die objektiven Qedanken als fur sich be- 
stehende Wesenheiten aufzufassen. Denn unmittelbar nach den zuletzt an- 
gefuhrten Worten wamt er ebenso nachdrucklich davor, die „B^jiffe" als 
y,reale G^^nstande", wie davor, sie als „wirkliche Akte des Denkens" zu 
betrachten. Wie er sich vielmehr ihr Verhaltnis zu diesen letzteren denkt, 
haben wir oben schon gehort; doch mag die Stelle^) in ausfuhriicherer 
Fassung noch einmal hier stehen: „Unsere samtlichen Gedanken lassen sich 
von zwei Seiten betrachten, teils als Tatigkeiten unseres Geistes, teils in 
Hinsicht dessen, was durch sie gedacht wird. In letzterer Beziehung heiBen 
sie Begriffe, welches Wort, indem es das Begriffene bezeichnet, zu 
abstrahieren gebietet von der Art und Weise, wie wir den Gedanken 
empfangen, produzieren oder reproduzieren mogen." Wenn also Herbart 
auch vielleicht nicht vollig von jeder ontologischen Ausdeutung des Tat- 
bestandes absieht, so hat er doch jedenfalls das relativ beste Teil erwahit, 
indem er vor der besonderen ontologischen Untersuchung nur fur jene 
harmloseste Interpretation sich einsetzt, die wir als die „Zweiseitentheorie" 
bezeichnen k5nnen. Aehnliches ist von den Ausfuhrungen Hamiltons^ 
zu ruhmen, wenn man sich damit abfindet, daB er, was wir als Gedanken 
bezeichnen, im Gegensatze zu den (auBeren) Gegenstanden dieses Gedankens 
in wenig glucklicher Terminologie die Form des Denkens nennt Dies 
vorausgesetzt, sind seine Darlegungen fast durchaus zu billigen : „Die Form 
des Denkens kann von zwei Seiten, oder in doppelter Hinsicht betrachtet 
werden. Sie hat eine Beziehung . . . zu ihrem Subjekt und zu ihrem Ob- 
jekt, und kann daher entweder in der einen oder in der anderen dieser 
Beziehungen ins Auge gefaBt werden. Insofem die Form des Denkens in 
Beziehung zu dem denkenden Geiste betrachtet wird . . ., wird sie als eine 
Handlung, Tatigkeit oder KraftauBerung (an act or operation or energy) be- 
trachtet, und in dieser Beziehung gehort sie in die phanomenale Psychologic. 
Sofem sie dag^^en in Beziehung zu demjenigen behachtet wird, woran ge- 
dacht wird (what thought is about), wird sie als Erzeugnis einer solchen 
Tatigkeit behachtet, und in dieser Beziehung gehort sie in die Logik. Somit 
handelt die phanomenale Psychologie von Gedanken (thought proper) als 
B^jeifen, Urteilen und SchlieBen; die Logik . . . handelt von Gedanken 
als B^ffen, Urteilen und Schliissen.'* In demselben Sinne endlich sagt 
Uhrb. z. Einltg. in d. Phil. § 34 f. (WW. I, S. 77 f.). ») Lectures III, S. 73 f. 
24 NOOLOOIE 
neuerdings Cohen i) — und hier beachte man auch die Deutung des 
prindpium identitatis — ): „A ist A, und bleibt A, so oft es auch gedacht wind. 
So oft es gedacht wird, so oft wird es vielmehr vorgestellt, ge- 
dacht wird es nur als die eine Identitat Seine Wiederholungen sind 
psychische Vorgange; sein logischer Inhalt verharrt in Identitat" 
In den letzten Jahren hat, angeregt namentlich durch den ersten Band 
von HussERLS „Logischen Untersuchungen" eine groBe Diskussion iiber das 
Verhaltnis von Logik und Psychologic stattgefunden, die jedoch tneines Er- 
achtens wenig Brauchbares zu Tage gefordert hat Auf der Einen Seite ist 
der psychologistische Standpunkt ohne Not dadurch kompromittiert worden, 
da6 die Versuche, jene psychologischen Oesetze zu formulieren, welche den 
logischen Satzen korrelat sind, gr56tenteils hochst unglucklich ausgefallen 
sind, wovon uns noch gelegentlich Beispiele vorkommen werden. Auf der 
anderen Seite haben die Antipsychologisten, hierdurch verleitet, es unter- 
nommen, jene Korrelation selbst in Zweifel zu ziehen, wahrend es doch 
selbstverstandlich sein sollte, dafi „uber'< jene BewuBtseinstatsachen, „auf 
Grund" deren die logischen Satze ausgesagt werden, ebensowohl wie uber 
alle anderen, psychologische Satze ni5glich sind. Man hat femer auf dieser 
Seite die Frage nach dem Verhaltnis von Logik und Psychologie verquickt 
mit der anderen nach der Allgemeinheit und Notwendigkeit (dem apriorischen 
Oder empirischen Ursprung, der absoluten oder relativen Geltung) der 
logischen Satze. Hierin war ja schon Kant vorangegangen, der die beidcn 
so verschiedenen Fragen in dem Einen Ausspruche^ glaubte entschdden 
zu kdnnen : Die reine Logik hat „keine empirische Prinzipien, mithin schopft 
sie nicht (wie man sich bisweilen iiberredet hat) aus der Psychologie, die also 
auf den Kanon des Verstandes gar keinen EinfluB hat Sie ist eine demon- 
strierte Doktrin, und Alles muB in ihr a priori gewiB sein." Und dodi 
scheint es von vomherein klar, daB die Form der Objektivitat den logischen 
Satzen keine andere als eine gleichfalls formale Allgemeinheit und Not- 
wendigkeit sichem, unm5glich dagegen uber die materielle Tragweite 
unserer Erkenntnis etwas feststellen kann. Endlich hat man die antip^cho- 
logistische Unterscheidung von objektiven und subjektiven Gedanken und 
die aus ihr flieBende Trennung von Logik und Psychologie identifiziert mit 
dem Bekenntnis zu einer solchen ontologisch-metaphysischen Ausdeutung 
dieses Verhaltnisses, welche — mehr oder weniger klar und bestimmt — 
dem Gedachten ein vom Denken unabhangiges Sein zuschreibt, mag man 
es auch vielleicht vorziehen, dieses Sein statt als ein „reales", vielmehr als 
ein „ideales'< zu bezeichnen: welches alles nicht anders ist, als ob man die 
Unabhangigkeit der Physik von der Psychologie mit der Wahrheit des 
transcendenten Realismus wollte stehen und fallen lassen. Diese Bedenken 
richten sich auch g^en Husserl selbst, in dessen Ausfuhrungen man, wie 
vor allem den zweiten^) so doch auch den ersten 4) und dritten^) der 
») Log. S. 79 1 2) Kr. d. r. Vera. (WW. II, S. 58). 3) Log. Unterss. I, S. eOff, 
70 u. m ff. *) Ibid. S. 81 ff. ») Ibid. S. 170 ff. 
AUFGABE UND EINTEILUNG DER NOOLOOIE 25 
erwahnten Fehler nicht verkennen kann. Trotzdem sei bereitwillig aner- 
kannt, daB dieser Autor, wie er auch den Verfasser des vorliegenden Buches 
vidfach angeregt hat, so auch sachlich doch schlieBh'ch zu jener wichtigen 
Einsicht gelangt ist, die wir hier in seiner Fomiulierung folgen lassen, und 
die wir uns nicht nur vollinhaltlich aneignen konnen, sondern die wir auch 
an einer spateren Stelle unserer Untersuchungen in erweiterter Gestalt als 
cine fur die Weltanschauungslehre grundlegende erkennen werden^): „Es 
ist in aller Erkenntnis und speziell in aller Wissenschaft der fundamental 
Unterschied zwischen dreierlei Zusammenhangen zu beachten: a) der Zu- 
sammenhang der Erkenntniserlebnisse, in welchen sich die Wissen- 
schaft subjektiv realisiert, also der psychologische Zusammenhang 
der Vorstellungen, Urteile, Einsichten, Vemiutungen, Fragen u. s. w., in 
denen sich das Forschen vollzieht, oder in welchen die langst entdeckte 
Theorie einsichtig durchdacht wird. b) Der Zusammenhang der in der 
Wissenschaft erforschten und theoretisch erkannten Sachen, die als 
solche das Gebiet dieser Wissenschaft ausmachen. c) Der logische 
Zusammenhang, d. h. der spezifische Zusammenhang der theoretischen 
Ideen, welcher die Einheit der Wahrheiten einer wissenschaftlichen Dis- 
ziplin, spezieller einer wissenschaftlichen Theorie, eines Beweises oder 
Schlusses konstituiert; bezw. auch die Einheit der Begriffe im wahren 
Satze, der einfachen Wahrheiten in Wahrheitszusammenhangen u. dgl. 
Im FaJle der Physik z. B. unterscheiden wir den Zusammenhang der 
psychischen Erlebnisse des physikalisch Denkenden von der physischen 
Natur, die von ihm erkannt wird, und beide wieder von dem idealen Zu- 
sammenhang der Wahrheiten in der physikalischen Theorie, also in der 
Einheit der analytischen Mechanik, der theoretischen Optik u. dgl/' 
5) Es gibt endlich noch einen Weg, auf dem man versucht hat, zu einem 
Unterscheidungsmerkmal zu gelangen, das die Logik von der Psychologic 
absondem konnte: jene sollte sich zu dieser verhalten wie eine normative 
zu der entsprechenden theoretischen Disziplin, und speziell wie eine Kunst- 
lehre zur korrelaten Wissenschaft. Diese Ansicht ist uns ja schon oben 
bei J. St. Mill beg^net Sie teilt z. B. auch Siqwart, wenn er2) „die 
logische Betrachtung im Unterschied von der psychologischen . . einzig und 
allein auf dem BewuBtsein des Zweckes" der Wahrheitserkenntnis „ruhen** 
laBt Und ebenso sagt auch Wundt^): „Wahrend die Psychologic uns 
lehrt, wie sich der Verlauf unserer Gcdanken wirklich vollzieht, will die 
Logik feststellen, wie sich derselbe vollziehen soil, damit er zu richtigen 
Erkenntnissen fuhre . . . Hiemach ist sie eine normative Wissenschaft, 
ahnlich der Ethik." Im iibrigen ist diese Lehre ihrem Grundgedanken 
nach nicht neu. Denn schon Wilhelm v. Occam sagt*): „Logik, Rhetorik 
und Grammatik sind in Wahrheit praktische, und nicht theoretische Wissen- 
schaften (notUiae practicae et non speculativae\ weil sie dem Verstande fflr 
») Log. Unterss. I. S. 178f. ») Log. I, S. 157 Anm.; vgl. ibid. S. 9. ^) Log. I, 
S. 1. *) Pranq HI, S. 331, Anm. 741. 
26 NOOLOOIE 
jene seiner Tatigkeiten Anweisungen geben, welche durch Vermittlung des 
Willens in seiner Macht sind"; ja schon vor ihm hatte Gratiadei von Ascou ^ 
die Logik zu den „praktischen Wissenschaften" (scientiae practicae) gerechnd, 
und sie naher der „KunstIehre des Vernunftgebrauches" (ars rationcUis) unter- 
geordnet Auch fehit es dieser Meinung nicht an einigen Stutzen. Zunachst 
werden wir gleich darauf zuruckkommen mussen, daB es in der Tat logische 
Satze geben kann — sie gehoren der sogenannten Methodenlehre an—, 
welche wirklich nur technische R^eln zur Erreichung eines g^^enen 
Zweckes (hier der Erkenntnis der Wahrheit) enthalten, und daher dem ent- 
sprechen, was man von den Satzen einer Kunstlehre erwartet Sodann lafit 
sich nicht verkennen, daB, wie gleichfalls bald naher auszufuhren sein wild, 
zwischen gewissen logischen und gewissen moralischen, asthetischen etc 
Begriffen (z. B. Wahr und Falsch, Gut und Schlecht, Schon und HaBlich) 
in der Tat insofem eine Verwandtschaft besteht, als dieselben ganeinsam 
dem hoheren Begriff des Wertes sich unterordnen lassen. Und endlidi 
ist nicht zu leugnen, daB das subjektive Denken in vielen Fallen nach ob- 
jektiven Eigenschaften und Verhaltnissen des Gedachten — also die psycho- 
logische Funktion nach logischen Satzen — sich richtet, und daB dadurdi 
diese fur jenes den Charakter einer Norm gewinnen konnen. Trotz alle- 
dem scheint mir aber nicht nur der Versuch, diesen normativen Chaiakter 
fur das Logik und Psychologic unterscheidende Merkmal auszugeben, 
sondem schon die allgemeine Behauptung v511ig verfehlt, die Logik als 
Ganzes sei an und fur sich eine normative Wissenschaft und insbesondere 
eine Kunstlehre. 
Was den ersten der angefuhrten Grunde betrifft, so ist leicht einzusehen, 
daB keineswegs alle logischen Satze sich als technische R^eln einer Kunst- 
lehre des Denkens auffassen lassen. Der Satz z. B., daB zwei beliebige 
Satze M und N einander widersprechen, wenn M die Form „A ist B" und 
N die Form „A ist nicht B" hat, oder der andere, daB M aus N folge, 
wenn M die Form „Alle A sind B" und N die Form „Einige B sind A" 
hat, enthalten weder eine technische Regel noch uberhaupt etwas Nonnatives, 
keine Anweisung und keine Vorschrift, sondem sie sagen einfach einen 
Sachverhalt aus, namlich das Bestehen einer Widerspruchs- resp. Bedingtheits- 
relation zwischen gewissen Arten objektiver Gedanken. Freilich gibt es nun 
Satze, dieformell ebenso theoretisch aussehen, und materiell doch praktisch 
sind, z. B. der Satz der normativen Moralphilosophie: „jeder Mensch schuldet 
seinen Wohltatem Dank". Allein warum li^ hier in Wahrheit ein norma- 
tiver Satz vor? Weil die ausgesagte Relation (das „Schulden") ihrem B^^riffe 
nach ein „Sollen" einschlieBt Kann man nun etwas Aehnliches auch von 
jenen logischen Satzen behaupten? Sie sagen aus, daB, wenn ein gewisses 
M wahr ist, auch ein gewisses N wahr ist, resp. daB, wenn ein seiches M 
wahr ist, ein solches N nicht wahr ist und umgekehrt — und unterscheiden 
sich daher grundsatzlich gar nicht von den geometrischen Satzen, daB, wenn 
1) Prantl III, S. 313, Anm. 667. ' 
AUFGABE UND EINTEILUNG DER NOOLOOIE 27 
in zwei Dreiecken je eine Seite und beide ihr anli^ende Winkel gleich 
sind, auch die beiden ubrigen Seiten und der dritte Winkel jener Dreiecke 
gleich sind, oder daB, wenn ein Dreieck gleichseitig ist, es nicht recht- 
winklig sein kann. 
Ebensowenig begrundet der zweite der genannten Umstande einen norma- 
tiven Oder gar technischen Charakter der Logik. Wertb^riffe namlich 
konnen in wissenschaftlichen Satzen offenbar in einer doppelten Funktion 
sich finden: als Pradikate und als Subjekte. Im zweiten dieser Falle aber, 
wenn also nicht von etwas ein Wert, sondem wenn etwas von einem Wert, 
ausgesagt wird, kommt ein normativer Charakter eines solchen Satzes offen- 
bar von vomherein gar nicht in Frage, weil hier nicht eine vorschreibende, 
sondem eine rein beschreibende Beschaftigung mit Werten vorliegt So 
jedoch verhalt sich die Logik jedenfalls zu ihrem zentralen Wertb^^riffe, dem 
der Wahrheit, durchaus. Die normative Ethik namlich ist eben darum 
normativ, weil sie wirklich von einzelnen Handlungen, Gesinnungen oder 
doch Zwecken aussagt, daB sie gut seien. Der Logik dag^en fallt (davon 
abgesehen, daB sie wie alle anderen Wissenschaften die Wahrheit ihrer 
eigenen Satze behauptet) gar nicht ein, einzelne Satze fur wahr zu erklaren, 
ja sie setzt nicht einmal voraus, daB es wahre Satze uberhaupt gebe, sondem 
sie lehrt nur, daB, wenn es solche gibt, ihnen auch gewisse Eigenschaften 
und Beziehungen (der Unvertraglichkeit, Bedingtheit usw.) zukommen. Sie 
verhalt sich somit zum Wahrheitswert ganz ebenso deskriptiv, wie sich die 
theoretische National5konomie zum Geldwert verhalt, wenn sie etwa den 
Satz aufstellt: „Steigt ein Produkt im Werte, so steigt auch der Wert der 
zu seiner Herstellung verwendeten Rohprodukte" — wegen welches Satzes 
gewiB niemand die theoretische Nationalokonomie fur eine Kunstlehre oder 
uberhaupt fur eine normative Wissenschaft erklaren wird. Nun scheint es 
freilich gleich mit dem korrelaten B^^ffe der Falschheit — und so auch 
mit einigen anderen Begriffen, z. B. dem der Gultigkeit eines Schlusses — 
sich etwas anders zu verhalten. Denn es kommt wohl vor, daB die Logik 
auch einen bestimmten einzelnen Satz fur widerspmchsvoll, und deshalb, 
da ihr jeder widerspmchsvolle Satz als falsch gilt, auch fur falsch erklart; 
und wenigstens in solchen logischen Satzen scheinen demnach doch Wert- 
begriffe als Pradikate zu fungieren. Allein wird denn die theoretische 
Nationalokonomie dadurch zu einer normativen Wissenschaft, daB sie in 
einem konkreten einzelnen Falle auf Gmnd der Wertsteigemng eines Produkts 
auch eine Wertsteigemng der zugehorigen Rohprodukte voraussagt? Sicher- 
lich nichty und es leuchtet auch ein, wamm nicht: weil sie namlich durch 
diese Voraussage lediglich von jenem allgemeinen Satze die Anwendung 
auf einen einzelnen Fall macht, und weil die einzig neue Tatigkeit, die 
sie hierbei vollzieht, d. i. die Feststellung, daB die Bedingungen seiner An- 
wendbarkeit vorliegen (daB z. B. das Produkt in der Tat eine Wertsteigemng 
erfahren hat), alles eher als einen normativen Charakter hat Ebenso indes 
li^ die Sache auch in den oben gekennzeichneten Fallen. DaB ein einzelner 
28 NOOLOGIE 
Satz widerspruchsvoll (ein einzelner SchluB gultig) sei, sagt die Logik nur 
aus, weil sie die allgemeinen Bedingungen solchen Widerspruchs (soldier 
Oultigkeit) an ihm verwirklicht findet; daB jedoch dies der Fall sei (daB 
z. B. der fragliche SchluB einer zulassigen SchluBfigur entspreche) — diescr 
Feststellung kann, eben als einer Feststellung, niemand einen normativen 
Charakter beilegen. Und so zeigt sich, daB ein solcher Charakter den 
logischen Satzen auch in solchen Fallen nicht zukommt, in denen diese Saize 
Wertbegriffe als Pradikate enthalten. 
Was nun endlich den dritten Punkt betrifft, so sollte es eigentlich von 
vomeherein klar sein, daB es ein den logischen Sateen zufalliger Umstand 
ist, wenn das Denken sich nach ihnen richtet; denn nicht das macht einen 
Satz zu einem technischen, daB sich jemand seiner Kenntnis zur Erreichung 
gewisser Zwecke bedient, sondem vielmehr das, daB er von der Erreichbarkdt 
solcher Zwecke handelt So ist z. B. der Satz, daB man einem Kurzsichtigen 
Konkavglaser verschreiben musse, damit er normal sehe, ein technischer 
Satz einer Kunstlehre, namlich der Augenheilkunde. I>er Satz dagegen, 
daB ein Konkavglas eine Dispersion der von Einem Punkte aus einfallenden 
Lichtstrahlen bewirkt, ist kein technischer Satz, sondem gehort in einc 
theoretische Disziplin, namlich in die Optik — obwohl man sich seiner 
zur Erreichung jenes Zweckes bedienen kann. Ebenso nun wird ein Mensch, 
welcher die Wahrheit erkennen will, und der auBerdem einen Satz M fiir 
wahr halt, naturlich nicht den Satz N fur falsch halten, wenn ihm der 
logische Satz bekannt ist: Wenn M wahr ist, ist auch N wahr; aber 
dadurch wird dieser letztgenannte Satz nicht zu einem technischen, und die 
Logik nicht zu einer Kunstlehre. Ein anderes Beispiel wird dies vielldcht 
noch klarer machen. Ganz so namlich wie die Logik zum E>enken, ver- 
halt sich die Arithmetik zum Rechnen. Der Satz 3-f 5 = 8 etwa, und 
der andere (a -f- b)2 = a^ -f 2 a b + b2, sind theoretische Satze, d. h. sic 
enthalten nicht eine Vorschrift oder Anweisung, sondem sie sagen ein Ver- 
haltnis zwischen Zahlen aus. Wer indes richtig rechnen will und diese 
Satze kennt, wird sich naturlich ihrer bedienen und nicht 3 + 5 = 9 oder 
(a -f b)2 = a2 -f b2 setzen. Wird nun irgendwer deshalb die Arithmetik 
eine Kunstlehre des Rechnens nennen, und darum, weil „die Psychologie 
aussage, wie wirklich gerechnet wird, die Arithmetik aber, wie gerechnet 
werden soil", diese letztere fur eine normative Wissenschaft ausgeben 0? 
Allerdings zeigt nun diese Parallele auch noch ein anderes. Denn es 
gibt ja wirklich auch eine Kunstlehre des Rechnens. Dahin gehoren z, B. 
die Satze uber die Art und Weise des Dividierens oder Wurzelziehens oder 
J) Wenn man freilich bei Siowart (Log. I, S. 16 f., vgl. S. 22) liest, da „diejenige 
Tatigkeit. in welcher unser absichtliches Denken seinen Zweck erreicht, das Ur- 
teile n ist: so ist notwendig der erste Schritt^ daB die Funktion, um deren richtigen 
Vollzug es sich handelt, in ihrer Natur richtig verstanden" werde, und „es lassen 
sich erst dann Regeln geben, sie richtig zu vollziehen, wenn erkannt ist, worin sic 
bestehf*; so fragt man sich^ ob dieser Autor nicht auch die Arithmetik, statt mit 
dem Einmaleins, vielmehr mit der Psychologie des Rechnens beginnen lassen muBte. 
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOGIE 29 
uber die Methoden zur Auflosung einer quadratischen oder diophantischen 
Gleichung: diese Satze sagen wirklich nichts uber die Relationen von Zahlen 
aus, sondem geben Anweisungen uber die zur Erreichung gewisser Zwecke 
tauglichen Mittel. So k5nnte es denn auch eine Kunstlehre des Denkens 
geben; und zu ihr wird man wirklich solche Satze zahlen durfen, welche 
etwa dazu anieiten, einen Gedankengang in eine logische Form zu bringen, 
Oder mdgh'chst einfache Hypothesen aufzustellen. In ungefahr diesem Sinn 
haben denn auch seit Al Farabi i) viele arabische und christliche Scholastiker 
von der „lehrenden Logik" (logica docens) eine „anwendende Logik" (logica 
utens) unterschieden, hat Raimundus Lullus^) die Logik sowohl eine 
Wissenschaft als eine Kunst genannt, und Kant 3) die ,^llgemeine Logik*' 
in eine „reine" und eine ,^gewandte" eingeteilt. Zweierlei ist jedoch 
hierbei im Auge zu behalten. Wenn namlich, wie Husserl*) richtig be- 
merkt, „jede normative . . . Disziplin Eine oder mehrere theoretische Dis- 
ziplinen als Fundamente voraussetzt", dann kann als solches Fundament, 
wie der genannte Forscher ja gleichfalls andeutet, fur die Logik ,^s Kunst- 
lehre" nur die Logik „als Theorie", niemals dagegen, wie J. St. Mill wollte, 
die Psychologie des Denkens in Betracht kommen — ebenso wie als Funda- 
ment jener „technischen Arithmetik" nur die „theoretische Arithmetik", und 
nicht etwa die Psychologie des Rechnens angesehen werden kann. Was 
aber sodann das Verhaltnis dieser „normativen Logik" zu ihrem theoretischen 
^Fundament" betrifft, so hat es keinen Sinn, jedem theoretischen Satze nun 
auch einen korrelaten technischen an die Seite zu stellen, also etwa dem 
Satze: „Wenn M wahr ist, ist auch N wahr" den anderen: „Wenn du M 
fur wahr haltst, so sollst du auch N fur wahr halten" — ebensowenig, 
wie es einen Sinn hatte, neben dem theoretischen Satze 3 + 5 = 8 noch 
einen technischen anzuerkennen von der Form : „Wenn du 3 und 5 addieren 
willst, so sollst du sie gleich 8 setzen." Sondem nur mit jenen Anwen- 
dungen der theoretischen Logik, uber die in dieser selbst noch nichts vor- 
kommt, durfte die technische sich beschaftigen. Der eigentlichen theoretischen 
Logik dag^en kdnnte in der technischen hochstens der Eine Satz ent- 
sprechen: „Du sollst in deinem Denken dem Gedachten keine anderen 
Eigenschaften und Verhaltnisse beil^en, als ihm wirklich zukommen", d. h. 
kurz: „Du sollst richtig denken" — gerade wie auch der ganzen theoretischen 
Arithmetik nur der Eine technische Satz korrelat sein konnte: „Du sollst 
in deinem Rechnen den Zahlen keine anderen Eigenschaften und Verhalt- 
nisse beil^en, als ihnen wirklich zukommen", oder kurz: „Du sollst richtig 
rechnen". Ich erwahne dies, weil es beweist, da6 auch die Auskunft un- 
haltbar ware, jeder logische Satz habe doch mindestens neben seiner 
theoretischen auch eine normativ-technische Form, und diese Form sei 
deshalb wenigstens in einem solchen Sinne der ganzen Logik wesentlich. 
Vielmehr sehen wir: die einzelnen Satze der theoretischen Logik haben in 
>) Prantl H, S. 303, Anm. 15. ^) Prantl III, S. 150, Anm. 34. 3) Kr. d. r. Vem. 
(WW. H, S. 57 f.). *) Log. Unterss. I, S. 47. 
30 NOOLOOIE 
gar keinem Sinne einen normativ-technischen Charakter; um so weniger 
aber kann — und hierauf kam es uns ja an dieser Stelle allein an — dicser 
Charakter dazu verwendet werden, um die logische Bearbeitung der „Ge- 
danken" von der psychologischen zu unterscheiden und beide Wissenschaften 
gegeneinander abzugrenzen. 
6) Einer eigenartigen Verquickung der beiden im Vorstehenden abgdehnten 
Auffassungen der Logik, der psychologistischen und der normativen, hat 
jungst Meinono das Wort geredet Dieser Forscher ist namlich der An- 
sicht»), die Begriffsinhalte und Satze sowie deren Verhaltnisse und Zusam- 
menhange seien allerdings nichts Psychisches, sondem etwas rein Objektives^ 
allein mit ihnen habe es auch gar nicht die Logik zu tun, vielmdir einc 
von ihm neu entdeckte Wissenschaft, die „Gegenstandstheorie". Die 
Logik dagegen befasse sich mit den Begriffen, Urteilen und Schlussen, d. h. 
mit jenen psychischen Eriebnissen, welche diese Begriffsinhalte, Satze und 
Satzzusammenhange erfassen, nur nicht mit diesen psychischen Eriebnissen 
als solchen — wie die Psychologic — , vielmehr mit ihnen als den 
Mittein zur Erzielung von Erkenntnissen, und zwar dies wiederum nicht 
theoretisch — wie die Erkenntnistheorie — , sondem praktisch und normative 
Indem somit Meinono fur seine „Gegenstandstheorie" in mdglichst hohem 
Grade Antipsychologist sein will, wird er fur die Logik gerade zum ex- 
tremen Psychologisten, da er aus dieser Wissenschaft alles Nicht-Psycho- 
logische ausscheidet und sic streng auf die Beschaftigung mit subjektiven 
Denkerlebnissen beschrankt Nun li^en mir dieser Position gegenuber allc 
terminologischen Querelen vollkommen feme: wenn Meinono die „Logit* 
abschaffen und sie fortan als einen Zweig der „Gegenstandstheorie" be- 
treiben wollte, so wurde ich dieses Vorgehen zwar einigermaBen lacherlich 
finden, jedoch weiter kein Wort daruber verlieren. Was ich dagegen auf 
das entschiedenste bestreiten muB, ist, daB es eine Wissenschaft wie die, 
welche Meinono als „Logik" bezeichnet, uberhaupt gebe. Ich bestreite dies 
aber deshalb, weil ich davon iiberzeugt bin, daB die Logik eine ganz un- 
psychologische Wissenschaft ist, und daB deshalb von ihr, wenn man alles 
Nichtpsychologische aus ihr ausgeschieden hat, schlechterdings nichts mehr 
ubrig bleibt. Was sollte uns denn auch eine solche „praktische Lehre von 
den Denkerlebnissen als Erkenntnismitteln" lehren? Sie k5nnte nur immer 
wieder in den Ruf ausbrechen: „Denke so, wie es die I>enkobjekte ver- 
langen!", d. h.: „Denke richtig!" Diese Position indes glauben wir schon 
genommen zu haben, ja auch Meinono hat sich — das ist die Pointe der 
Sache — sowohl implicite als explicite gegen sie erklart Implicite^ denn 
auf dem ganz analogen Gebiete der Arithmetik fallt es ihm gar nicht dn, 
so vorzugehen. Konsequenterweise muBte er ja hier sagen: „die Zahlen 
und ihre Verhaltnisse gehoren in die Gegenstandstheorie — und nicht in 
die Arithmetik; diese ist vielmehr die praktische Lehre von den Rechnungs- 
erlebnissen als Mittein zur Gewinnung von Rechnungsergebnissen." Statt 
Gegenstandstheorie S. 124 ff. 2) ibid. S. 116. 
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOGIE 31 
dessen sagt er, und von seinem Standpunkte aus tnit Recht: die Arithmetik 
ist ein Zweig der G^enstandstheorie. Dann begreife ich jedoch nicht, 
warum er nicht auch die Logik einfach als einen Zweig der G^enstands- 
theorie will gelten lassen. Allein auch explicUe hat sich Meinono gegen 
jene Wissenschaft vom „Denke richtig!" ausgesprochen. Wo er namlich den 
Versuch bespricht, die Satze der „G^enstandstheorie" in normative „Denk- 
gesetze" umzudeuten i), bemerkt er, „statt zu sagen, wer bei der Wahr- 
heit bleiben wolle, der solle von jedem G^enstande A denken, da6 er 
stets er selbst und kein anderer . . . sei . ., >- statt dessen ist es viel ein- 
facher . . ^ zu sagen: ,daB A stets A, daB es nicht Non-A sei u. s. f., 
das ist wahr*, oder auch : ,das ist^ ,das ist Tatsache' oder dgi." Was indes 
der „Gegenstandstheorie** recht ist, das wird wohl auch der Logik billig 
sein: auch sie wird ihren „praktischen<* Charakter nicht behaupten konnen, 
sich vielmehr als die Lehre von den Zusammenhangen der Denkobjekte 
bezeichnen lassen mussen, d. h. sie ist genau das, was Meinono den von 
der Logik „vorausgesetzten" Zweig der „G^enstandstheorie" nennt Will 
man demnach nicht etwa die Logik uberhaupt aus der Liste der Wissen- 
schaften streichen, so bleiben nur zwei Auswege ubrig: man wird entweder 
die Logik als einen Zweig der G^enstandstheorie auffassen mussen — oder 
aber sie aus der Gegenstandstheorie ganzlich ausscheiden, d. h. anerkennen, 
daB die objektiven Gedanken auch bisher nicht wissenschaftlich „heimatlos<^ 
waren, und daB es deshalb, um sie zu bearbeiten, einer neuen Wissenschaft 
gar nicht bedarf. 
Meinono durfte sich fur die erste dieser Altemativen entscheiden, da er 
gerade aus der yjHeimatlosigkeit'* gewisser G^enstandsklassen auf ein Be- 
durfnis nach seiner neuen Wissenschaft schlieBt Man wird mir gestatten, 
hier kurz darzul^en, weshalb ich fur die zweite Alternative optiere, und 
bei dieser Gelegenheit zu der „G%enstandstheone<< uberhaupt Stellung zu 
nehmen. 
Ich habe in § 4 zu zeigen versucht, daB sich die verschiedenen Wissen- 
schaften nicht durch ihre G^^enstande voneinander unterscheiden, sondem 
durch die sie beherrschenden Interessen und die von diesen Interessen ge- 
stellten Aufgaben. Von diesem Standpunkte aus halte ich es prinzipiell 
ffir verfehlt, das Bedurfnis nach einer neuen Wissenschaft begrunden zu 
wollen durch die Aufzeigung „heimatloser** Gegenstande; vielmehr durfte 
sich eine solche Begrundung nur auf „heimatlose" Aufgaben, d. i. 
Probleme, berufen. Denn weder wurde eine neue Wissenschaft entstehen, 
wenn bisher „heimatlose'< Gegenstande in die Sphare einer schon bestehen- 
den Wissenschaft einbezogen wiirden, noch ist es notwendig, daB eine 
neue Wissenschaft bis dahin „heimatlose" Gegenstande bearbeite; denn auch 
langst in einer oder mehreren Wissenschaften heimatsberechtigte Objekte 
konnen zu Gegenstanden neuer Fragestellungen werden. Von den drei 
G^enstandsklassen nun, auf die Meinono als auf bisher „heimatlose'' hin- 
Oegenstandstheorie S. 147. " 
32 NOOLOQIE 
weist^), finde ich jedenfalls in Bezug auf zwei nicht, daB er ii^g^endwdcbe 
neue Fragen aufgeworfen hatte. Denn die Aufgabe, die zwischen „Objek- 
tiven", d. h. Satzen oder Satzinhalten 2), bestehenden Beziehungen festzustdleo, 
ist so wenig neu, daB sie eben seit jeher eine Hauptaufgabe der Logik g^ 
bildet hat. Was aber die von Meinonq und seinen Nachfolgern mil so vid 
Liebe behandelten „unm5glichen G^enstande" betrifft, also etwa das ^ninde 
Viereck" oder das „h51zeme Eisen", so sehe ich nicht, daB sie durch die 
„gegenstandstheoretische" Methode zu Objekten neuer Erkenntnisse geworden 
waren. Deswegen leugne ich nicht, daB das „h61zerae Eisen" ein „G^en- 
stand" sei ; ich gehe sogar weiter, und behaupte, daB es ein Korper ist — 
1) weil es holzem, und 2) weil es Eisen ist — , freilich ein Korper, der 
nicht existiert und nicht existieren kann. Allein reichen nun die anerkannten 
Wissenschaften wirklich nicht aus, um die Fragen zu beantworten, die in 
Bezug auf diesen Korper vernunftigerweise gestellt werden kdnnen? Wie 
mir scheint, wohl! Wird namh'ch gefragt, ob holzemes Eisen tatsachlicfa 
vorkomme, so wird die verneinende Antwort auf diese Frage ebenso in die 
Mineralogie gehoren, wie die bejahende Antwort auf die Frage, ob „eisemcs 
Eisen" wirklich existiert? Wird weiter gefragt, ob der B^jiff des hdlzernen 
Eisens ein widerspruchsloser sei, so ist die verneinende Antwort auf diese 
Frage unzweifelhaft Sache der Logik. Wird endlich noch gefragt, ob 
holzernes Eisen, wenn es auch tatsachlich nicht existiert, nicht doch wenigstens 
existieren konnte, d. h. ob die Nichtexistenz dieses Korpers aus der wider- 
spruchsvollen Natur seines Begriffes mitNotwendigkeit folgt oder nidit, 
so obliegt die bejahende Beantwortung dieser Frage, die den Rahmen der 
Logik wie der Physik liberschreitet und das Verhaltnis beider Wissen- 
schaften beruhrt, der allgemeinsten philosophischen Disziplin, d. i. der Er- 
kenntnistheorie, Metaphysik oder Weltanschauungslehre. Etwas anderes, als 
was in diesen und analogen Erkenntnissen festgestellt wird, wird sich jedoch, 
glaub' ich, vom holzemen Eisen auch auf Qrund „g^enstandstheoretischer** 
Betrachtungen nicht aussagen lassen. Nur was die dritte Klasse „heimat- 
loser** Gegenstande, die „Empfindungsgegenstande" oder, wie ich lieber sagen 
mochte, die Empfindungsqualitaten betrifft, hat Meinonq wenigstens ver- 
sucht, auch auf bisher noch nicht bearbeitete Fragen hinzuweisen. Er 
nennt als solche') die Fragen, ob die Reihe der Farben und Tone an sich 
begrenzt oder unbegrenzt sei, und ob sie ein Kontinuum darstellen oder 
nicht? Und er meint, diese Fragen gehorten weder in die Physik, da ja 
diese die „Realitat" der sekundaren Qualitaten gar nicht anerkenne, noch 
auch in die Psychologic, da es ja zweifellos sei, daB die Reihe der von uns 
wirklich empfundenen Farben und Tone weder unbegrenzt noch 
kontinuierlich ist, wahrend jene Fragen sich gerade darauf richteten, ob in 
den Farben und Tonen selbst — unabhangig also von unseren Emp- 
findungsfahigkeiten — ein Moment liege, das ihre Reihe zu einer be- 
grenzten oder diskreten mache. Gesetzt nun, dies alles sei richtig — und 
») Gegenstandstheorie § 2—4. 2) ibid. S. 124. 3) ibid. S. 10. 
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOGIE 33 
t es wurde uns viel zu weit fuhren, wollten wir hier auf das Meritum dieser 
Fragestellung eingehen — so hatte doch damit Meinonq bestenfalls das 
' Bedurfnis nach einer sehr speziellen Wissenschaft nachgewiesen, namlich 
nach einer nicht-psychologischen Systematik der Empfindungsqualitaten, und 
ich vermag schlechterdings nicht einzusehen, warum diese Systematik der 
qualitativen Mannigfaltigkeiten nicht gerade so gut wie etwa die altbekannte 
Systematik der raumlichen Mannigfaltigkeiten — namlich die Geometrie — 
eine selbstandige Wissenschaft sollte darstellen konnen, vielmehr als ein 
Zweig der allgemeinen „Gegenstandstheorie** begriffen werden muBte. Denn 
wollte man sagen, die Empfindungsqualitaten seien eben auch „Gegen- 
stande*' und darum sei ihre Systematik ein Teil der „Gegenstandstheorie", 
so wurde diese Behauptung das Wort treffen : Qui trop embrasse, mal etreint. 
^Gegenstand" in diesem allgemeinsten Sinne ist ja alles; Gegenstands- 
theorie in diesem Sinne ware daher auch jede Wissenschaft von etwas, d. h. 
jede Wissenschaft uberhaupt ; „Gegenstandstheorie" ware dann synonym mit 
^Wissenschaft" — und gewiB ist jede spezielle Wissenschaft ein Zweig 
„der Wissenschaft" im allgemeinen; allein in diesem Sinne brauchte die 
„Oegenstandstheorie" offenbar nicht von Meinonq entdeckt zu werden. 
Lassen wir jedoch diese Auskunft aus dem Spiele, dann werden wir sagen 
diirfen: die wissenschaftliche Bearbeitung „heimatloser" Gegenstande richtet 
Sich geradeso wie die aller anderen Gegenstande nach den Fragen, die 
in Bezug auf jene Gegenstande aufgeworfen werden konnen. Sofem die 
Aufwerfung dieser Fragen zu den Aufgaben schon bestehender Wissen- 
schaften gehort, sind diese Wissenschaften auch fiir die Bearbeitung jener 
bisher „heimatlosen" Gegenstande zustandig. Sofem sich dagegen zeigen 
laBt, daB irgendwelche Gegenstande — mogen sie nun bisher heimatlos 
gewesen sein oder nicht — zur Aufwerfung von Fragen AnlaB geben, die 
nicht zu den Problemen einer schon bestehenden Wissenschaft gehoren, ist 
damit das Bedurfnis nach einer neuen Spezial wissenschaft dargetan. Das 
Postulat einer allgemeinen „Gegenstandstheorie" kann demnach auf diesem 
Wege in keinem Falle begrundet werden. 
Mit alledem will ich indes keinesw^;s in Abrede stellen, daB es zweck- 
maBig sein mag, alle Gegenstande als solche, auch wenn sich schon 
viele Spezialdisziplinen mit ihnen beschaftigen, auBerdem auch noch in 
einer allgemeinsten Wissenschaft zu behandeln, vorausgesetzt naturlich, daB 
es Fragen gibt, die sich auf die Gesamtheit aller Gegenstande gleichmaBig 
beziehen. Ich kann dies um so weniger leugnen, als ja die Weltan- 
schauungslehre, der die vorliegenden Untersuchungen dienen sollen, 
selbst eine solche allgemeinste Wissenschaft darstellt, und zwar eine Wissen- 
schaft, die mir (nach § 7) durch das Interesse an der Ausgleichung jener 
Widerspruche orientiert scheint, welche sich aus der getrennten Arbeit der 
Einzelwissenschaften ergeben. Allein auch wer diese Ansicht uber die Ab- 
ziweckung und Abgrenzung der allgemeinsten Wissenschaft nicht teilt, kennt 
doch eine solche Wissenschaft, etwa unter den Namen Allgemeine theoretische 
Oomperz, WelUmschmntiiigslehre II 1 3 
34 NOOLOOIE 
Philosophic, Metaphysik, ontologie, Erkenntnistheorie u. dgi. Meinono 
hat dies selbst empfunden i) ; allein er glaubt, daB seine „G%enstandstheorie* 
doch auch all diesen altehrwurdigen Disziplinen gegenuber ein Novum dar- 
stelle: unablassig versichert er, daB es sich bei der „G^;eiistandstheorie*' 
um eine neue Sache handle. Nun eig^et sich ja wohl das MaB der sub- 
jektiven Originalitat eines Forschers, als eine rein personliche Angel^enhdt, 
kaum zur offentlichen Auseinandersetzung. Ein sehr emstes sachliches 
Interesse dagegen heftet sich an die Frage, ob die „G^:enstandstheorie^ 
etwas anderes ist als dasjenige, was wir Alle unter den Namen „Mebi- 
physik", „Erkenntnistheorie" usw. seit langem kennen und beurteilen. Diesc 
Frage sei daher hier noch kurz erorteit 
Meinono gibt drei Merkmale an, welche die „Gegenstandstheoric** 
von der „Metaphysik** unterscheiden sollen, drei Merkmale frdlich, 
die miteinander enge zusammenhangen. Erstlich: die G^enstandstheorie 
sei die allgemeinste Wissenschaft von alien G^enstanden uberhaupt, die 
Metaphysik dagegen bloB die allgemeinste Wissenschaft von alien wirk- 
lichen Gegenstanden , wobei unter „wirklichen" G^enstanden sowohl 
physische wie psychische verstanden werden; sollte iibrigens diese Ab- 
grenzung auf die bisherige Metaphysik nicht zutreffen, so sei sie doch fur 
die Zukunft beider Wissenschaften als die empfehlenswerteste anzusehen^ 
Zweitens: die Erkenntnisweise der G^enstandstheorie sei „daseinsfrei**, die 
der Metaphysik dagegen nicht, da es eben wohl bei dieser, nicht aber bei 
jener auf das wirkliche Dasein der erkannten Objekte ankomme^). Endlich 
drittens: die Erkenntnisse der G^enstandstheorie seien apriorisch, die der 
Metaphysik aposteriorisch oder empirisch, da wirkliches Dasein nur duith 
Erfahrung bezeugt werde, Erfahrung jedoch auch nichts anderes als wirk- 
liches Dasein bezeuge*). Wollte man nun einigermaBen an der Oberflache 
bleiben, so konnte man schon g^en den Ausgangspunkt dieses Gedanken- 
ganges erinnem, daB doch etwa Platons Ideen oder Schelunos Absolutes 
gewiB weder physisch noch psychisch sind, daB trotzdem diese „Gegen- 
stande" seit jeher als Objekte metaphysischer Untersuchung g^olten haben, 
und daB es als reine Willkur erschiene, diesen Sprachgebrauch plotzlich zu 
andem. Es durfte indes nicht schwer sein, etwas tiefer g^^en den Kem 
des MEiNONOschen Gedankens hin vorzudringen. 
Die angefuhrten drei Merkmale der „Gegenstandstheorie" konnten namlich 
doch nur dann fiir die Verschiedenheit dieser Wissenschaft von den aner- 
kannten Disziplinen der theoretischen Philosophic sprechen, wenn bisher 
keinc dieser Disziplinen sich die Aufgabe gestellt hatte, apnorische, daseins- 
freic, von wirklichen und unwirklichen Gegenstanden in gleicher Weise 
giiltigc Erkenntnisse zu gewinncn. Allcin hievon ist offenbar das G^;eiitefl 
richtig. Kants Transccndentalphilosophic z. B. hat ja gar kdn 
anderes Ziel, als ein „Organon" aller jener Satze zusammenzustellen, wdche 
Gegenstandstheorie S. 23. 2) Grazer Unterss. S. 37 f. ^) Oegenstandstheorie 
*) Grazer Unterss. S. 40 f., Oegenstandstheorie S. 33. 
») Gege 
31, iS. 
AUFGABE UND EINTEILUNO DER NOOLOGIE 35 
a priori als fur alle G^[enstande moglicher Erfahrung gultig erkannt werden. 
Sie ist also jedenfalls eine apriorische Wissenschaft Da nun uberdies zu 
den G^^enstanden moglicher Erfahrung auch nicht-wirkliche, vielmehr eben 
bloB mdgliche Gegenstande gehoren, so beziehen sich ihre Erkenntnisse 
auch nicht bloB auf Wirkliches und sind somit notwendig auch daseinsfrei i). 
Und in der Tat: die „Antizipation der Wahmehmung" etwa, d. h. derSatz: 
„In alien Erscheinungen hat die Empfindung und das Reale, welches ihr 
an dem Gegenstande entspricht, eine intensive GroBe, d. i. einen Grad**, 
bezieht sich im Sinne Kants ebensowohl auf unwirkliche Empfindungen 
und Qualitaten wie auf wirkliche, z. B. ebenso auf die unwirkliche Farbe 
Ultraviolett wie auf die wirkliche Farbe Violett; er druckt somit auch eine 
daseinsfreie, apriorische Erkenntnis aus. Aus Satzen von dieser Art besteht 
indes — wenigstens der Idee nach — die ganze Transcendentalphilosophie. 
Trotzdem nennt Kant diesen Zweig der Philosophie Metaphysiky ja er 
findet gerade das „Eigentumliche<< der Metaphysik in der Erzeugung ihrer Er- 
kenntnisse a priori'^. Die „Metaphysik<' im Sinne Kants leistet mithin 
methodologisch genau das, was Meinonq von der „Gegenstandstheorie" 
verlangt; und an dieser leb^eren Wissenschaft scheint daher wirklich nur 
der Name „neu" zu sein. 
Allein man kann einwenden, die Aprioritat bei Kant sei etwas von 
der Aprioritat bei Meinonq vollig Vcrschiedenes. Denn die apriorischen 
Erkenntnisse Kants grundeten sich auf allgemeine Bedingungen der Erfahrung, 
erfeiBten daher auch die Gegenstande nur, sofem ihr Wesen durch die Natur 
unseres Erkenntnisvermogens mitbestimmt sei, infolgedessen auch nur, sofem 
sie eben Gegenstande moglicher Erfahrung seien, diese Erkenntnisse seien 
daher in gewissem Sinne doch der empirischen Wirklichkeit zugewandt und 
beanspruchten fur die „Dinge an sich selbst" keinerlei Geltung. Die 
apriorischen Erkenntnisse Meinonos dagegen grundeten sich auf allgemeine 
Bedingungen des g^enstandlichen Seins, erfaBten daher die Gegenstande 
auch, sofem ihr Wesen von der Natur unseres Erkenntnisvermogens unab- 
hangig sei, infolgedessen auch ohne Rucksicht auf ihre Erfahrbarkeit, diese 
Erkenntnisse seien somit auch von jeder Rucksicht auf die empirische Wirk- 
lichkeit vollkommen frei und galten fur „Dinge an sich" ebenso wie fur 
Erscheinungen 3). 1st also vielleicht dies das Neue, das die Gegenstands- 
1) Man sage nicht, die Transcendentalphilosophie unterscheide sich eben von 
der Oegenstandstheorie durch die AusschlieBung der „unnidglichen Oeeenstande". 
Denn auch Meinonq kann doch uber diese nur Aussagen machen. sofem er eine 
gewisse Analoeie der unmoglichen mit den moglichen Oegenstanaen voraussetzt 
WoUte man uber diese Orenze hinausgehen und etwa auch „Oegenstande, von 
welchen kein Satz gilt, der von moglichen Oej;enstanden gilt" zu dem Anwendungs- 
gebiete der Oegenstandstheorie zanlen, so konnte es uberhaupt keine Erkenntnisse 
S^ben, die sich auf alle Gegenstande beziehen. Respektiert man dagegen diese 
renze, dann gelten auch die Satze der Transcendentalphilosophie fur unmogliche 
Gegenstande. Das „blaue Oelb" z. B. muBte nach Kant ebenso eine ..intensive 
OroBe" haben wie das ,^elbe Oelb". «) prolegomena § 4 (WW. Ill, S. 25). 
3) Vielleicht durfte man nmzufugen, die Transcendentalphilosophie bestehe aus 
y^ynthetischen Urteilen" und gehe demnach auf eine „Erweiterung" unseres Wissens 
3» 
36 NOOLOGIE 
theorie der bisherigen Metaphysik und insbesondere der Transcendental- 
philosophie gegenuber auszeichnet, daB ihre Satze a priori und ^daseinsfreh^ 
nicht bloB ftir Gegenstande moglicher Erfahrung, sondern dafi sie fur alle 
Qegenstande an sich selbst gelten? Doch man braucht diese Frage nur 
zu formulieren, um zu erkennen: diese Eigentumlichkeit macht die Qegen- 
standstheorie der bisherigen Metaphysik und speziell der Transcendental- 
philosophie gegenuber so wenig zu etwas Neuem, daB sie ja gerade mit 
dem charakteristischen Merkmal der alten Metaphysik zusammen^lt, die 
Kant durch die Transcendentalphilosophie uberwinden wollte. Schon fiir 
Leibniz war ja die Metaphysik ein System von Vemunftwahrheiten {veriies 
de raison)y das notwendige, apriorische Erkenntnisse uber alle belid)igen 
G^enstande vermitteln sollte; und ein solches System hat denn audi 
Chr. Wolff in seiner „OntoIogie" ins einzelne auszufuhren untemommen. 
Hiermit aber diirfte nun wirklich der „philosophiegeschichtliche Ort" der 
„neuen" Wissenschaft bestimmt sein. Denn Meinonos Gegenstandstheorie 
stimmt mit Wollfs ontologie nicht nur in der allgemeinsten Fassung 
der Aufgabe uberein, sondern auch in vielen der wichtigsten einzelnen 
Grund-Satze. Solche Grund-Satze der „Gegenstandstheorie" sind z. B. diese: 
Jedes Etwas ist ein G^enstand >) ; G^enstande sind daher nicht bloB Sub- 
jekte, sondern auch Eigenschaften und Relationen, denn auch die letzteren 
sind etwas an anderen G^enstanden und werden durch die Erkenntnis 
nur erfaBt (vorgestellt) ; an jedem G^enstande ist zu unterscheiden sdn 
Sein (Dasein oder Bestehen), und sein Sosein; das Sosein nun ist dem 
Gegenstande wesenth'ch, das Sein dag^en nicht; das Sosein ist unabhangig 
vom Sein, denn der Gegenstand bleibt nach Art und Merkmalen derselbe^ 
ob er nun ist oder nicht ist; dag^en ist das Sein nicht unabhangig vom 
Sosein, denn nur ein Etwas von bestimmter Art und bestimmten Merkmalen 
kann sein 2); je nachdem das Sosein eines Gegenstandes sein Sein ein- 
schlieBt, zulaBt oder ausschheBt, ist der G^enstand ein notwendiger, mog- 
licher oder unmoglicher 3). — Dies alles nun ist auch in Wolffs onto- 
logie zu lesen. Denn da heiBt es: Aliquid (ein „Gegenstand*') est, cai 
notio aliqua respondet (§ 59). Ens (also ein „m5glicher Gegenstand**) 
did fur, quod existere potest (§ 134). Notio entis in genere existentiam 
minime involvit, sed saltern nan repugnantiam ad existendun, sea, good 
perinde est, existendi possibilitatem (ibid.). Quae in ente sibi mtituo non 
repugnant, nee tamen per se invicem determinantur, essentialia appellantar 
aus, die Gegenstandstheorie dagegen bestehe aus ^analytischen Urteilen*^ und sei 
deshalb — nach dem eigenen Zugestandnis ihres cntdeckers (Gegenstandstheorie 
S. 102) — „die Lehre von dem, was sich von selbst versteht**. Denn obwohl Ato- 
NONO an einigen Stellen (Gegenstandstheorie S. 58, 100) das Gebiet der apriorisdien 
Erkenntnisse weiter ausdehnen mochte als das der analytischen Urteile, so entlehnt 
er doch seine Beispiele fur solche nicht-analytische Aprioritat lediglich der Geo- 
metric, und keineswegs der allgemeinen Gegenstandstheorie. *) Mally, Grazer 
Unterss. S. 126. 2) Meinong. Grazer Unterss. S. 13; Mally, Ibicl. S. 127. «) Ame- 
SEDER, Grazer Unterss. S. 82. Fiir die „notwendigen Gegenstande'* diirfte alter- 
dings Meinong nicht mitverantwortlich sein (vgl. Uegenstandstheorie S. 17). 
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOGIE 37 
atque essentiam entis constltuunt (also das „Sosein" der moglichen Oegen- 
stande, freilich nur seinen Grundbestfmmungen nach; § 143). Essentia 
piimum est, quod de ente concipitur, nee sine ea ens esse potest (§ 144; 
also die Abhangigkeit des Seins vom Sosein, wie in § 134 die Unabhangig- 
keit des Soseins vom Sein). Existentiam definio per complementum possi- 
bilitatis (§ 174; d. h. das Sein ist etwas, das zum Sosein eines moglichen 
Gegenstandes hinzutreten, oder auch nicht hinzutreten kann). Ein Gegen- 
stand heiBt notwendig, si existentiae ratio sufficiens in essentia eius continetur 
(§ 308). Subjectum perdurabile et modificabile dicitur Substantia. Ens autem, 
quod modificabile non est, Accidens appellatur (§ 768; also ist auch eine 
Eigenschaft ein ens, d. h. ein „m6glicher Qegenstand**). Relationes enim 
sunt praedicata renim, quae ipsis conveniunt, non propter operationem in- 
tellectus, sed propter fundamentum in re ipsa. Intellectus autem operationi 
debetur, ut praedicata ista agnoscantur (§ 865) i). Die inhaltlichen Ueberein- 
stimmungen zwischen Meinonqs „Gegenstandstheorie" und Wolffs „Onto- 
logie** sind demnach unbestreitbar. Wo indes sogar die Uebereinstimmung 
der Ergebnisse so weit geht, da kann doch offenbar eine Verschiedenheit 
der Probleme, und d. h. der Wissenschaften, erst recht nicht vorhanden 
sein. Die „Gegenstandstheorie" ist somit in der Tat nichts anderes als eine 
wieder aufgelebte und modifizierte ontologie. 
Natiirlich beruhrt diese Feststellung die Richtigkeit der Lehren Wolffs 
wie Meinongs nicht im geringsten. Allein diese stand ja auch hier gar nicht 
in Frage. Vielmehr lautete die Frage, auf die wir episodisch eingehen zu sollen 
glaubten: Ist die „Gegenstandstheorie" etwas anderes, als was bisher unter 
dem Namen „Metaphysik** bekannt war? Meine vemeinende Antwort auf 
diese Frage aber durfte im Vorstehenden ausreichend b^^ndet worden sein. 
§44 
Indem aber die Gedanken von Logik und Psychologie in 
anderen Zusammenhangen und durch andere Begriffe nachgebildet 
werden (§ 4), entstehen Widerspriiche (Probleme), deren Ausgleichung 
(nach § 7) im allgemeinen der Weltanschauungslehre, und im be- 
sonderen als deren eigentumliche Aufgabe der Noologie obliegt 
Die Noologie hat daher an logischen und psychologischen Einzel- 
fragen als solchen kein Interesse, hat vielmehr auf diese Einzelfragen 
nur so weit einzugehen, als notig ist, um an den miteinander unver- 
einbaren Grundbegriffen beider Wissenschaften die (nach § 8) spe- 
zifisch kosmotheoretische Leistung der Begriffsumbildung und Wider- 
spruchsausgleichung zu vollziehen. 
Vergl. auch die sehr klaren Ausfuhrungen uber res als das ens von bestimmter 
essentia^ ohne Rucksicht auf die existentlOy aas im Hinblick auf jene in sein genus 
und seme species eingereiht wird (§ 243—247). Oanz ebenso wurde wohl auch 
Meinono die Klassifikation eines „Oe§enstandes** blofi nach der Art seines „So- 
seins" und ohne Rucksicht auf sein „Sem'' erfolgen lassen. 
38 noolooie 
erlAuterung 
1) DaB auf die angegebene Weise wirklich Widerspruche entstehen, 
bedarf kaum noch einer besonderen Nachweisung: es folgt notwendig, 
sobald zugestanden wird, daB die Oedanken in der Logik als ob- 
jektiv, in der Psychologie als subjektiv gedacht werden mQsseiL 
Auch sind uns ja in unserer Kritik des logischen Psychologismus 
solche Widerspruche schon haufig genug begegnet Nur das Eine 
konnte eingewendet werden, daB es hier uberhaupt an der Identitat 
der gedanklich nachgebildeten Tatsachen und damit auch an der Haupt- 
voraussetzung eines derartigen Widerspruches fehle. Man kdnnte 
namlich sagen, objektive und subjektive Gedanken seien voneinander 
so deutlich unterschieden, daB es als eine bloBe sprachliche Mehr- 
deutigkeit erscheine, wenn das Eine Wort Oedanken beides bezeichne; 
daraus jedoch, daB in zwei Wissenschaften Verschiedenes durch ver- 
schiedene Begriffe gedacht werde, konne unmoglich ein Widerspruch 
entspringen. Indes, dies hieBe doch die enge Zusammengeh5rigkeit 
objektiver und subjektiver Gedanken gewaltig unterschatzen. So not- 
wendig es fiir die Logik und fur die Psychologie ist, beide sorgBQtig 
zu unterscheiden : in der Erfahrung gibt es doch sowenig ein Oedachtes 
ohne Denken wie ein Denken ohne Oedachtes, und die vorwissen- 
schaftliche Begriffsbildung der Praxis faBt deshalb mit Recht beides 
unter den Einen Begriff des Gedankens zusammen. Denken und Oe- 
dachtes bilden fur diesen Standpunkt Einen Komplex, dessen ana- 
lytische Zerlegung in seine Bestandteile vorerst durch kein Interesse 
gefordert wird. Ereignet es sich aber nun im weiteren Verlaufe der 
Entwicklung, daB dieser Eine Komplex von der Logik als objektiver, 
von der Psychologie als subjektiver Oedanke begriffen wird, so ent- 
steht auf solche Weise ohne Zweifel ein echter Widerspruch ganz 
von der Art, die wir zu Beginn unserer methodologischen Unter- 
suchungen (§ 7) nach ihren allgemeinen EntstehungsgrOnden und 
ihrem charakteristischen Wesen kennen lemten. 
2) Damit ist zugleich gesagt, daB die Ausgleichung dieses Wider- 
spruches zu den Aufgaben der Weltanschauungslehre gehSrt, und es 
wird nichts im Wege stehen, nun speziell die Noo logic als den- 
jenigen Teil der Kosmotheorie zu erklaren, der sich mit diesem Wider- 
spruche und den aus ihm sich entfaltenden Problemen beschaftigt 
Aus dieser ihrer eigentiimlichen Aufgabe ergibt sich indes fur die 
Noologie uberhaupt, und insbesondere fiir ihre dialektische Ent- 
wicklung (§§ 34—35) ein charakteristisches Merkmal, das sie den 
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 39 
anderen Teilen der Weltanschauungslehre gegenOber auszeichnet, 
namentlich auch gegeniiber jenen kosmotheoretischen Erorterungen, 
^die sich auf die von uns im 1. Bande behandelten Vorbegriffe beziehen. 
^J>ort namlich war es vor allem der Gegensatz der Physik, oder all- 
^^gemdner derNaturwissenschaft, zur Psychologie, von dem die 
^dialektische Entwicklung der Probleme ihren Ausgang nahm. Wie 
^f^dch in der Entwicklung des Substanzbegriffes die Psychologie sich 
^ lis der fiir die ideologische Fassung dieses Begriffes eigentlich 
bestimmende Faktor erwies, so stand seine metaphysische Fassung 
unter dem Einflusse der Naturwissenschaft (§ 12. 2), und aus diesem 
.. O^rensatze gingen alle weiteren Phasen jenes dialektischen Prozesses 
hervor. Derselbe Vorgang wiederholte sich auch an alien folgenden 
PkDblemen, so daB wir ihn schlieBlich (in § 34. 3) als einen allge- 
* mdnen und typischen registrieren konnten. In der Noologie dagegen 
* verhalt sich die Sache anders. Denn hier ist es nicht die Physik, 
* Oder Qberhaupt die Naturwissenschaft, die sich der Psychologie ent- 
' gegensetzt, sondem die Logik, oder allgemeiner die Vernunft- 
* wissenschaft Und in diesem Sinne konnten wires fur die eigen- 
* tflmliche Aufgabe der Noologie erklaren, jene Widerspruche auszu- 
' gldchen, die sich aus der sachgemaBen Bearbeitung der Gedanken 
^ in der Logik einerseits, in der Psychologie andererseits ergeben. 
Ist nun aber auf solche Weise die Aufgabe der Noologie und ihre 
Stdlung zu Psychologie und Logik grundsatzlich bestimmt, so ergibt 
sich daraus weiter auch das Verhaltnis, in das sie zu den ^Gedanken'' 
als den gemeinsamen Gegenstanden dieser beiden Wissenschaften tritt 
Das Allgemeine liber dieses Verhaltnis nun wurde im Texte dieses 
P^uagraphen ausgesprochen, wie es sich aus allem Bisherigen von 
sdbst ergibt: nicht auf psychologische oder logische Einzelfragen um 
ihrer selbst willen darf es der Noologie ankommen, sondem nur auf 
jene Grundgedanken der beiden Disziplinen, in denen die Wider- 
sprQche ihren Sitz haben, und die zu harmonisieren deshalb ihre eigen- 
tflmliche Aufgabe ist Im besondem dagegen weist dieses Verhaltnis 
nach seinen zwei Seiten einige Verschiedenheiten auf, und diese fordem 
hier noch eine kurze Erlauterung. 
3) Von der psychologischen Bearbeitung der Gedanken zunachst 
schdnt sich die noologische vorerst dadurch zu unterscheiden, daB 
sie alles * beiseite lassen kann, was sich auf den zeitlichen Verlauf 
da* intdlektuellen VorgSnge, also auf dieGesetze des Denkens 
im dgentlichen Sinne bezieht, mag es sich nun hierbei um Gesetze 
der intdlektuellen Entwicklung oder um Gesetze des entwickelten in- 
40 NOOLOQIE 
tellektuellen Lebens handeln. Denn diese Oesetze, auch wenn sie in 
nennenswerter Zahl bekannt sein sollten, konnten doch immer nur 
die Bedingungen angeben, unter denen gewisse Oedanken in einzelnen 
Individuen zu bestimmten Zeitpunkten auftreten. Dies aber ist der 
Logik, als deren Satze ja von aller solchen Beziehung auf Zeit und 
Individualitat frei sind, von vomherein gleichgultig, und es kann deshalb 
in dieser Rucksicht ein Widerspruch zwischen beiden Wissenschaften 
uberhaupt nicht entstehen. Betrachten wir, urn uns dies vollig klar zu 
machen, z. B. jenen typischen Zug des intellektuellen Lebens, der einem 
echten „Oesetze" des Denkens noch am nachsten kommt, und den man 
nach AvENARius J) vielleicht so formulieren konnte, daB jedes Denken 
von einer Problematisation zu einer Deproblematisation 
sich bewegt, somit Antworten auf Fragen, Losungen zu Problemen 
entweder findet oder doch sucht. Dann sieht man sofort, daB das 
in dieser Formulierung enthaltene zeitliche Moment fur die Logik 
ganzlich irrelevant ist. Sie namlich sieht allein darauf, ob eine (ob- 
jektive) Antwort zu einer (objektiven) Frage paBt oder nicht, ob dne 
gegebene Antwort wirklich das beantwortet, wonach die g^ebene 
Frage fragt, eine gegebene Frage wirklich nach dem fragt, was die 
gegebene Antwort beantwortet 2) — sei es, daB sie das Vorhandensein 
dieses (objektiven) Korrelationsverhaltnisses in einem einzelnen Fall 
bejaht oder vemeint, sei es, daB sie allgemeine Bedingungen seines Vor- 
handenseins aussagt. Fiir dieses logisch allein relevante Korrelations- 
verhaltnis nun ist es offenbar vollig gleichgiiltig, ob die menschlichen 
Individuen zuerst die Frage und dann die Antwort, oder zuerst die 
Antwort und dann die Frage (subjektiv) zu denken pflegen. Und 
selbst dann, wenn der menschliche Oeist im Sinne der zweiten Alter- 
native eingerichtet ware, wenn er demnach nicht zu gegebenen Fragen 
zugehorige Antworten, sondern zu gegebenen Antworten zugehdrige 
Fragen suchte, so wiirde dadurch an der Geltung der dieses Zu- 
gehorigkeitsverhaltnis selbst betreffenden logischen Satze nicht das 
mindeste geandert. Aus diesem Beispiele ersehen wir indes zugleich, 
mit welcher Oruppe psychologischer Untersuchungen es die Noologie 
positiv zu tun hat. Wenn namlich die zeitliche Folge von Frage und 
Antwort im menschlichen Denken in der Logik kein O^enstflck 
findet, so gilt doch nicht dasselbe hinsichtlich des Denkens von Fragen 
und Antworten uberhaupt, und hinsichtlich jenes Denkvorgangs ins- 
besondere, in welchem wir die Zugehorigkeit einer Antwort zu einer 
Kr. d. r. Erf. 11^ S. 22 ff. 2) Nur dies, nicht die materielle Richtigkeit der Ant- 
wort, hat natiirlich fiir die LogiK Interesse. 
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOGIE 41 
Frage erkennen. Die Feststellung nun, daB es so etwas wie Fragen 
und Antworten im menschlichen Denken liberhaupt gebe, ist gewiB 
eine legitime Leistung psychologischer Arbeit, und tragt auch offenbar 
zur psychologischen Ordnung der Oedanken bei ; nur fallt sie, da sie 
nicht auf typische Ziige des Geschehens, sondern auf solche des 
Seins sich richtet, nicht unter jene Art des „Verstehens" (§ 5. 2), die 
wir Erkldreriy sondern unter diejenige, die wir Begreifen nannten. 
Und so wird man allgemein sagen durfen, daB es die statische Be- 
trachtung des denkenden BewuBtseins, die phanomenologische Be- 
schreibung des intellektuellen seelischen Lebens, oder kurz die klaasi- 
fikatorischen Untersuchungen der Psychologie des Denkens sind, 
mit denen es die Noologie zu tun hat; denn nur den einzelnen Art en 
des denkenden BewuBtseins — ohne Riicksicht auf die Zeitpunkte und 
Bedingungen ihrer konkreten VerwirWichung — entsprechen Ver- 
schiedenheiten der objektiven Oedanken. Es eliminiert eben nur die 
klassifikatorische Betrachtung der subjektiven Gedanken so weit deren 
zeith'che und individuelle Momente, um liberhaupt mit Aussagen fiber 
die jedes zeitlichen und individuellen Charakters grundsatzlich ent- 
kleideten objektiven Gedanken in Widerspruch geraten zu konnen. 
Fur die Noologie kommen deshalb psychologische Fragen nur insoweit 
in Betracht, als sie auf das Vorkommen gewisser Arten des intellek- 
tuellen BewuBtseins sich beziehen. 
4) Aus dem bisher Gesagten laBt sich auch das eigentiimliche 
Verhaltnis der Noologie zur Logik entwickeln. Denn naturlich gehen 
nur jene logischen Gedanken die Noologie an, die einer kosmo- 
theoretischen Umbildung bedurfen, weil sie mit psychologischen Ge- 
danken in Streit geraten konnen. Nun kann ein solcher Streit nur 
daraus entspringen, daB ein und derselbe Gedanke in der Logik als 
objektiv, in der Psychologie als subjektiv aufgefaBt wird. Folglich 
kdnnen fur die Noologie nur solche logische Fragen in Betracht 
kommen, die auch noologisch relevanten psychologischen Fragen 
korrelat sind — wobei unter Korrelation das Verhaltnis zwischen der 
objektiven und der subjektiven Auffassung Eines Gedankens zu ver- 
stehen ist Wie wir sahen, eignet indes eine solche noologische 
Relevanz bloB denjenigen psychologischen Fragen, die sich auf die 
Arten des denkenden BewuBtseins beziehen. Welche Elemente der 
Logik sind nun den Arten des denkenden BewuBtseins korrelat? 
Offenbar die logischen Begriffe. So entsprechen z. B. den psycho- 
logischen Eriebnisarten des subjektiven Folgems, Urteilens und Be- 
greifens die logischen Begriffe eines objektiven Schlusses, Satzes und 
42 NOOLOQIE 
Begriffs, den psychologischen Eriebnisarten des subjektiven Furwahr- 
und Furfalschhaltens die logischen Begriffe einer objektiven Wahr- 
heit und Falschheit. Dagegen fallen die logischen Satze als solche 
ganz auBerhalb dieser Sphare moglicher Widerspriiche mit der Psycho- 
logie. Denn alles, was sie von Objektivitat enthalten, liegt in den 
Begriffen, aus denen sie aufgebaut sind, und die VerknQpfung dieser 
Begriffe zum Satze fugt ihnen kein neues Element von Objektivitit 
hinzu. Wir konnen daher als Ergebnis dieser Untersuchung aussprechen, 
daB fur die Noologie unmittelbar bloB jene logischen Fragen in Betracht 
kommen, die sich auf die einzelnen Begriffe dieser Wissenschaft be- 
Ziehen. Nun wird man wohl schwerlich geneigt sein, diesem recht 
formalistisch aussehenden Ergebnis eine besondere Bedeutsamkeit bei- 
zumessen. Es bedarf deshalb der Hervorhebung, daB dasselbe fur 
alle folgenden noologischen Untersuchungen von groBer Wichtigkdt 
und von den wohltatigsten Folgen ist. Es entbindet uns namlich mit 
Einem Schlage von der Verpflichtung, auf das Detail der logischen 
Regeln uns einzulassen. Von den verschiedenen Arten der Beweise 
z. B., etwa von den Figuren und Modi der Syllogistik, warden wir 
liberhaupt nicht zu handeln brauchen. Denn sobald wir nur den 
Einen Begriff des objektiven „Satzes" und den Einen Begriff des ob- 
jektiven „Folgens" zur Klarung gebracht haben, konnen wir sicher 
sein, daB alle in dieser Richtung moglichen Widerspriiche zwischen 
Psychologie und Logik ausgeglichen sind. Ist demnach einmal das 
Verhaltnis des objektiven „Folgens" zu dem subjektiven „Folgerungs- 
erlebnis", „auf Orund" dessen es ausgesagt wird, ins Reine gebracht, 
dann kann es ruhig der Logik selbst uberlassen werden, mit diesem 
geklarten Begriffe weiter zu operieren und im einzelnen die Bedingungen 
seiner Anwendbarkeit festzustellen. Und ebenso auf alien andem 
Oebieten der Logik. Ueberall hat die Noologie nur die logischen Grund- 
begriffe selbst so weit zu reinigen, daB sie mit den korrelaten B^jiffen 
der Psychologie vertraglich werden ; in die logische Handhabung dieser 
gereinigten Begriffe einzugreifen, muB ihr ebenso feme liegen wie etwa 
einem anderen Telle der Weltanschauungslehre das Untemehmen, die 
einzelnen Satze der Arithmetik auf ihre Giiltigkeit hin zu untersuchen — 
ebenso fern freilich auch, wie es der Logik liegen sollte, diese B^[riffe 
selbst kosmotheoretisch bearbeiten zu wollen, die sie vielmehr ganz 
in derselben Weise vorauszusetzen hat wie etwa die Arithmetik den 
Begriff der Zahl. Nicht darauf also darf es der Noologie ankommen, 
wovon die logischen Begriffe ausgesagt werden, sondem allein darauf, 
was in ihnen ausgesagt wird, was der Sinn, die Bedeutung einer 
AUFOABE UND EINTEILUNQ DER NOOLOOIE 43 
solchen Aussage ist So wird sie sich z. B. auch zu dem logischen 
Zentralbegriffe der Wahrheit verhalten mussen. Unter welchen Be- 
dingungen ein Satz wahr ist, dies zu untersuchen, bleibt der Logik 
iiberlassen; die Noologie fragt nur, was wir meinen, wenn wir einen 
Satz wahr nennen, was wir unter der Wahrheit eines Satzes verstehen. 
Wenn daher die anderen Einzelwissenschaften fragen: „WelcheSatze 
sind wahr?", und wenn die Logik fragt: „Wann ist ein Satz wahr?", 
so fragt die Noologie vielmehr: „Was heiBt das: ein Satz ist wahr?*' 
§45 
Neben und unbeschadet der Unterscheidung der Gedanken in 
objektive und subjektive kann man jeden Gedanken betrachten: 
einmal im HinbHck auf seine Bedeutung, also auf seinen Inhalt, 
sodann im Hinblick auf seine Richtigkeit oder Unrichtigkeit, 
also auf seinen Wert Danach zerfallt die Noologie naturgemaB in 
zwei Abteilungen: in die Semasiologie, d. i. die Lehre von den 
Denkinhalten, und in die Alethologie, d. i. die Lehre von den 
Denkwerten. 
erlAuterung 
1) Was ein Satz bedeutet, und ob er wahr ist, sind zwei verschledene 
Fragen. Ebenso ist es ein anderes : sich uber den Sinn eines Beweises 
Rechenschaft geben, und seine Stichhaltigkeit prufen. Und in der- 
selben Weise ist es auch nicht dasselbe: den Inhalt eines Begriffes 
sich klar machen, und ihn als in sich widersprechend oder wider- 
spruchslos beurteilen. Nichts anderes als die scharfe Auffassung 
dieses Unterschiedes wird zum Verstandnis des Prinzips erfordert, 
das wir der Einteilung der Noologie glauben zu Grunde legen zu 
soUen. 
Dasjenige an einem Gedanken, worauf sich in den angefOhrten und 
alien ahnlichen FSllen die Fragen der einen Art richten, bezeichnen 
wir als die Bedeutung oder als den Inhalt dieses Gedankens. Aller- 
dings lassen auch die Antworten auf die Fragen dieser Art sich noch 
in zwei Klassen unterscheiden, die wir als formal und material aus- 
einanderhalten konnen. Wird nSmlich gefragt, was ein Oedanke be- 
deute, welchen Inhalt er habe, so kann die Auskunft lauten: er sei ein 
Begriff, ein Satz, ein Beweis, eine Frage etc, und weiter: er 
sd ein einfacher oder zusammengesetzter Begriff, ein bejahender 
oder vemeinender Satz, ein deduktiver oder Induktiver Beweis usf. 
Dasjenige an dem Gedanken, was hier in Betracht gezogen wird, 
44 NOOLOQIE 
konnte man die Form seiner Bedeutung, seines Inhaltes nennen. 
Die Antwort auf jene Frage kann indes auch besagen : der betrachtete 
Oedanke beziehe sich auf diese oder jene Tatsachen, das ist Gegen- 
stande, Zustande, Vorgange etc., er sei ein Begriff, der durch gewisse 
Merkmale konstituiert sei, ein Satz, der von einem bestimmten 
Subjekt ein bestimmtes Pradikat aussage, ein Beweis, der aus diesen 
oder jenen Voraussetzungen diese oder jene SchluBfolgerung ableite. 
Dasjenige an dem Oedanken nun, worauf in diesem Falle gesehen 
wird, konnte die Materie seiner Bedeutung, seines Inhaltes 
heiBen. Auf diese Distinktion werden wir zuriickkommen. Alldn 
an dieser Stelle kommt sie fiir uns nicht in Betracht Vielmehr 
weisen wir alle Fragen, welche einen Oedanken ohne Rucksicht 
auf seinen Denkwert zum Oegenstande haben, in gleicher Wdse 
Einer einzigen, namlich der semasiologischen Abteilung der 
Noologie zu. 
Als Antworten auf die zweite Oruppe der eben angefuhrten Fragen 
kommen hauptsachlich solche von folgender Art in Betracht: dieser 
Oedanke ist ein wahrer oder falscher Satz; er ist ein wider- 
spruchsvoller oder widerspruchsloser Begriff ; er ist ein gul tiger 
oder ungiiltiger SchluB. Alle diese Aussagen nun weisen neben 
spezifischen Verschiedenheiten auch eine charakteristische Oemeinsam- 
keitauf: die polare Oegensatzlichkeit der ausgesagten Pradikate, durch 
welche dieselben in p o s i t i v e und negative Werte gesondert werden. 
Denn die Behauptung, ein Satz sei falsch, ein Begriff widerspruchs- 
voll, ein SchluB ungiiltig, schlieBt eine Ablehnung und Verwerf ung, 
die Behauptung, ein Satz sei wahr, ein Begriff widerspruchslos, dn 
SchluB giiltig, schlieBt ein Annehmen und Anerkennen dieser Oe- 
danken in sich. Dieses gemeinsame Moment kann jedoch durch die 
eben verwendeten Paare von Einzelpradikaten nicht einheitlich ausge- 
driickt werden; denn von einem Begriffe kann man nicht Gultigkdt, 
von einem Schlusse nicht Wahrheit aussagen, und ein Satz kann 
falsch und doch nicht widerspruchsvoll sein. Dagegen scheinen die 
Worte Rich tig und Un rich tig, die ja die uns beschaftigende 
polare Oegensatzlichkeit gleichfalls ausdriicken, sich auf alle erwahnten 
Oedankenarten anwenden zu lassen, und wir erklaren daher Fragen 
nach dem Denkwerte eines Oedankens am besten als solche nach 
seiner Richtigkeit oder Unrichtigkeit. Innerhalb des Oebietes der 
richtigen und unrichtigen Oedanken aber nehmen die wahr en und 
falschen Satze offenbar eine hervorragende Sonderstdlung dn, 
und so mag es als eine Benennung a potiori entschuldigt werden, 
AUFGABE UND EINTEILUNO DER NOOLOGIE 45 
wenn wir jene Abteilung der Noologie, die sich mit den Denkwerten 
beschaftigt, nicht als Lehre von der Richtigkeit, sondem als Lehre von 
der Wahrheity mithin nicht etwa als Orthologie, sondem vielmehr als 
Alethologie bezeichnen. 
2) Hat man sich nun die Unterscheidung von Denkinhalten und 
Denkwerten klar gemacht, so besteht der nachste wichtige Schritt in 
der Einsicht, daB diese Unterscheidung sowohl auf objektive wie auf 
subjektive Gedanken Anwendung findet, daB sich somit diese beiden 
Einteilungsprinzipien durchkreuzen. Man kann namlich sowohl am 
objektiven wie am subjektiven Gedanken den Denkinhalt und den 
Denkwert ins Auge fassen, oder anders ausgedruckt: es gibt objektive 
und subjektive Denkinhalte, jedoch auch objektive und subjektive 
Denkwerte. Als einen objektiven Denkinhalt betrachtet man z. B. einen 
Gedanken, wenn man ihn naher bestimmt als „den pythagoreischen 
Lehrsatz". Denn einerseits wird durch diese Bestimmung lediglich 
der logische Gehalt dieses Gedankens bezeichnet, und von alien zeit- 
lichen und individuellen Umstanden seines Gedachtwerdens abgesehen, 
andererseits wird durch sie lediglich seine Bedeutung angegeben: er 
wird (seiner semasiologischen Form nach) als ein Satz, und zwar 
(seiner semasiologischen Materie nach) naher als ein solcher Satz ge- 
kennzeichnet, welcher von den Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks 
ein bestimmtes Verhaltnis aussagt; uber die Richtigkeit oder Unrichtig- 
keit (Wahrheit oder Falschheit) dieses Satzes wird hierdurch noch 
nicht das mindeste entschieden. Dagegen handelt es sich um einen 
subjektiven Denkinhalt, wenn ich einen Gedanken bestimme als das 
BewuBtsein von der Bedeutung der pythagoreischen Lehrsatzes, wie 
ich es etwa selbst wahrend des Niederschreibens dieser Zeilen erlebe. 
Denn auf der einen Seite ist hier naturlich gleichfalls von der Richtig- 
keit Oder Unrichtigkeit jenes Satzes noch gar nicht die Rede, auf der 
andern bezeichne ich dadurch jenen Gedanken als das Denken eines 
bestimmten Individuums in einem bestimmten Augenblick. Spreche ich 
femer etwa ausdrucklich von der „objektiven Wahrheit", oder auch 
bloB von der „ Wahrheit", oder endlich noch unmiBverstandlicher von 
dem „Wahr-Sein" des pythagoreischen Lehrsatzes, so liegt hieroffen- 
bar ein objektiver Denkwert vor; denn damit will ich sagen, daB dieser 
Satz wahr sei (mithin einen positiven Denkwert besitze), gleichviel 
ob er iiberhaupt von irgend jemand, und erst recht, wann und von 
wem er als wahr erkannt werde. Rede ich endlich von meinem Be- 
wuBtsein von der Wahrheit dieses Satzes, also davon, daB ein be- 
stimmtes Individuum in einem bestimmten Moment diesen Satz fQr 
46 NOOLOGIE 
wahr halt, daB dieser Satz jenem Individuum zu einer gewissen Zdt 
als wahr erscheint, dann kann es sich allein urn einen subjektiven 
Denkwert handeln. 
Es war deshalb wichtig, die Anwendbarkeit der Unterscheidung 
von Denkinhalten und Denkwerten auf objektive u n d subjektive Ge- 
danken auBer Zweifel zu stellen, weil nur unter dieser Voraussetzung 
jene Unterscheidung einer Einteilung der Noologie zu Grande gelegt 
werden kann. Denn da es (nach § 44) die diesem Zweige der Wdt- 
anschauungslehre eigentumliche Aufgabe ist, die logisch-objektive 
Bearbeitung der Gedanken mit ihrer psychologisch-subjektiven Behand- 
lung in Einklang zu setzen, so konnte naturlich dort von Noologie 
uberhaupt keine Rede sein, wo nicht beide Auffassungen eingeburgert 
sind. Ist umgekehrt das Ergebnis gesichert, daB alle aus dem G^en- 
satze logisch-objektiver und psychologisch-subjektiver Gedanken-Be- 
arbeitung entspringenden Widerspruche sowohl an den Denkinhalten 
als auch an den Denkwerten hervortreten miissen, so steht damit 
wenigstens so viel fest, daB durch diese Unterscheidung zwei groBe 
und beide der Noologie zugehorige Oebiete gegeneinander abgegrenzt 
sind. Dann wird man jedoch, angesichts der Bedeutsamkeit dieses 
offenbar sehr tiefgreifenden Unterschiedes, von vomherein geneigt sdn, 
die auf ihn gegrundete Einteilung auch als die oberste in diesem Tdle 
der Kosmotheorie gelten zu lassen — vorausgesetzt nur, daB sie sich 
auch als eine technisch brauchbare, d. h. vor allem als eine erschopfende 
bewahrt 
3) Gerade gegen diese Voraussetzung indes richtet sich nun ein 
schwerer Einwurf. Denn es scheint, als konnte man ohne Muhe Aus- 
sagen fiber Gedanken namhaft machen, die sich ersichtlich nicht auf 
ihren Inhalt und doch auch nicht auf ihren Wert beziehen. Der schein- 
bar beweiskraftigste Fall, der hier angefiihrt werden kann, ist wohl der, 
in dem von einem Begriffe ausgesagt wird, daB er einem andem 
Begriffe uber- oder untergeordnet sei. DaB namlich diese Aus- 
sage den Inhalt des iiber- oder untergeordneten Begriffes nicht tan- 
giert, scheint klar: der Inhalt eines Begriffes besteht ja darin, daB er 
dieser oder jener bestimmte Begriff ist, und hieran wird durch das 
ausgesagte Verhaltnis so wenig etwas geandert, daB ja sogar von 
Einem und demselben Begriff die verschiedensten Ueber- und Unter- 
ordnungsverhaltnisse zu anderen Begriffen pradiziert werden konnen. 
Allein ebenso klar scheint auch, daB diese Aussage Qber den Wert 
des Begriffes nichts bestimmt, da doch sein auBeres VerhlUtnis zu 
anderen Begriffen etwas anderes ist als seine innere Richtigkeit oder 
AUFGABE UND EINTEILUNG DER NOOLOGIE 47 
Unrichtigkeit 1). Doch an diesem Beispieie scheint sich nicht nur 
unsere Einteiiung der nooiogischen Begriffe in noetische Inhaitsbegriffe 
und noetische Wertbegriffe ais unvoiistandig und darum unbrauchbar 
zu erweisen, sondern auch eine welt bessere Einteiiung derseiben 
scheint an ihm hervorzutreten : namlich eine solche in Begriffe von 
noetischen Subjekten einerseits, von noetischen Pradikaten 
andererseits. Nach dieser Einteiiung fielen die noetischen Subjekte 
mit den von uns bisher so genannten Denkinhalten zusammen. Denn 
objektive Begriffe, Satze, Beweise etc. fungieren in alien logischen 
Slitzen als Subjekte; als deren Pradikate dagegen finden wir zwar 
auch die Eigenschaften der Richtigkeit und Unrichtigkeit mit 
ihren Unterarten, demnach objektive Denkwerte, jedoch daneben noch 
Relationen, die sich hinsichtlich der Wertpolaritat ganz indifferent 
verhalten, z. B. eben das Verhaltnis begrifflicher Ueber- und Unter- 
ordnung. Und man brauchte nun diese zunachst logischen Begriffe 
nur durch Heranziehung ihrer psychologischen Korrelate zu erganzen, 
um in der Unterscheidung noetischer Subjekts- und Pradikatsbegriffe 
eine dem Anscheine nach vollstandige Einteiiung der nooiogischen 
Begriffe, damit aber auch der nooiogischen Fragen und Untersuchungen 
selbst, zu gewinnen. Auch wird, wer einmal diesen Weg eingeschlagen 
hat, bei dem Einen nicht-alethologischen Verhaltnis der begrifflichen 
Ueber- und Unterordnung nicht stehen bleiben konnen. Vielmehr liegt 
dann die Bemerkung sehr nahe, daB die Sachlage im Orunde dieselbe 
ist, wenn wir von zwei Sat z en aussagen, daB sie einander wider- 
sprechen, oder daB der eine aus dem anderen folgt. Denn auch 
hier zeigt sich, daB durch die Aussage einer solchen Relation zwischen 
zwei Satzen ebensowenig wie iiber ihre Bedeutung auch fiber ihre 
Richtigkeit oder Unrichtigkeit irgend etwas behauptet wird: liegt es 
doch auf der Hand, daB gerade so gut wie wahre auch falsche Satze 
in diesen Verhaltnissen zueinander stehen konnen 2). Und daB wirk- 
lich alle diese noetischen Verhaltnisse keine noetischen Werte sind, 
scheint sich auch daraus zu ergeben, daB an ihnen alien der polare 
G^ensatz von positiven und negativen Werten fehlt. Denn wenn ich 
^) Man konnte die Frage aufwerfen. ob die Aussage, ein Begriff sei einem andern 
untergeordnet, nicht wenigstens mittelbar eine Behauptung uber die Richtigkeit 
dieses Begriffes involviere, da unrichtige, z. B. widerspnichsvolle Begriffe in der- 
artifi^en Unterordnungsverhaltnissen gar nicht zu stehen vermochten. Allein das 
letztere ist offenbar nicht richtig. Denn der Begriff rundes (Quadrat z. B. ist den 
Begriffen Quadrat und Polygon ganz ebenso untergeordnet wie die Begriffe groBes 
Quadrat oder kleines Quadrat. 2) So widersprechen einander die falschen Satee: 
JCSiSBX starb 100 lahre nach Pompejus" und „Ponipejus starb 100 Jahre nach 
Casar'*; und aus dem falschen Satz: ^Der Walfisch ist ein Fisch" folgt der andere 
falsche Satz: „Der Satz, daB der Walfisch ein Rsch sei, ist wahr'*. 
48 NOOLOGIE 
sage: „Der Satz N folgt nicht aus dem Satze M**, so seize ich damit 
nicht einen Gedanken irgendwie in seinem Werte herab, sondem kon- 
statiere einfach, daB zwischen zwei Gedanken eine gewisse Relation 
nicht besteht. Ebenso verhalt es sich, wenn ich behaupte, daB die 
Satze M und N einander widersprechen, oder daB der Begriff A dem 
Begriffe B nicht libergeordnet sei: iiberall, scheint es, bloBe Fest- 
stellung von Tatsachen, und nirgends ein Werturteil! 
Indes, so ganz und gar fremd, wie es nach dem Gesagten scheinen 
konnte, sind doch auch die zuletzt besprochenen noetischen Pradikate 
dem Wertbegriffe nicht. Denn wenn z. B. behauptet wird, N folge 
aus M, so ist damit freilich fiber die Wahrheit der Satze N und M 
gar nichts ausgemacht; wohl aber ist damit auch behauptet die Kon- 
kludenz des Beweises von N durch M, resp. die Stringenz der 
Folgerung von N aus M. Ebenso: wenn gesagt wird, die Satze: 
„ Dieses A ist B" und „ Dieses A ist C** widersprachen einander, so 
ist damit zwar nichts fiber die Wahrheit dieser beiden Satze festge- 
stellt, wohl aber fiber die Falschheit des Satzes „Einige A sind B 
und C" und fiber die Unrichtigkeit des Begriffes „Ein A, welches 
B und auch C ist". Und nicht anders steht es auch in dem Falle, 
von dem wir ausgingen. Denn wenn ich sage, der Begriff A sei dem 
Begriffe B nicht fibergeordnet, so urteile ich damit freilich nicht fiber 
die Richtigkeit dieser beiden Begriffe, wohl aber behaupte ich damit 
die Unrichtigkeit derUeberordnung von A fiber B und sage dem- 
nach einen negativen Denkwert von jedem geordneten Begriffsystem 
aus, das A als einen dem B fibergeordneten Begriff enthalt. Es er- 
gibt sich daher zunachst folgendes. Die noetischen Inhalte enthalten 
Teile, welche selbst wieder noetische Inhalte sind. In einem Begriff 
z. B. kommen logische Bestimmungen, die sogenannten „MerkmaIe", 
in einem Satz Begriffe, in einem Beweis oder Schlusse Satze vor. Man 
kann diese Teile noetische Teilinhalte, jene Ganzen noetische 
Gesamtinhalte nennen. Die Denkwerte nun sind Eigenschaften 
der Gesamtinhalte. Diese Werteigenschaften der Gesamtinhalte stehen 
jedoch in einer festen Korrelation zu Verhaltnissen der Teilinhalte 
untereinander, welche an und ffir sich keinen Wertcharakter haben. 
(Wenn man auch Verhaltnisse der Gesamtinhalte selbst zu anderen 
Gegenstanden ins Auge faBt, so kann man die Denkwerte Wahr und 
Falsch gleichfalls unter diesen Gesichtspunkt bringen, denn die Eigen- 
schaft eines Satzes, wahr oder falsch zu sein, steht in Korrelation zu 
einem Verhaltnis der Uebereinstimmung oder Nichtfibereinstimmung, 
das zwischen ihm und jenen Tatsachen besteht, auf die er sich bezieht — 
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOOIE 49 
dnem Verhaltnis, das an sich ebenfalls keinen Wertcharakter zeigt) 
Die oben vorgeschlagene Einteilung der noologischen B^riffe in 
noStische Subjekts- und noetische Pradikatsbegriffe unterscheidet sich 
somit von der hier angenommenen in noetische Inhalts- und Wert- 
b^^ffe nur dadurch, daB jene die Werteigenschaften der Oesamt- 
inhalte und die korrelaten wertbegrQndenden Relationen der Teiiinhalte 
als gleichwertige Arten noetischer Pradikate einander koordiniert, 
wihrend diese den Inhalten iediglich ihre Werteigenschaften gegen- 
flberstellt und die wertbegrQndenden Verhaltnisse der Teiiinhalte — 
als bloBe Bedingungen dieser Werteigenschaften — unter den letzteren 
mitbegreift Dieses zweite Verfahren laBt sich jedoch, wie mir scheint, 
durch mehrere Orunde als zul^ssig erweisen. 
Zunachst ist der Zusammenhang zwischen den Werteigenschaften 
der Oesamtinhalte und den wertbegrQndenden Relationen der Teii- 
inhalte jedenfalls ein ganz besonders enger. DaB ein Oedanke Wider- 
sprQche in sich enthalt oder mit den Tatsachen nicht Qbereinstimmt, 
und daB er als unrichtig verworfen wird — dies sind zwei nur ab- 
straktionsweise voneinander trennbare Pr3dikate dieses Oedankens. 
In Wirklichkeit schlieBt sich das eine unmittelbar an dasandere: wer 
einen Oedanken als in sich widersprechend oder als mit den Tatsachen 
nicht Qbereinstimmend beurteilt, der verwirft ihn auch als unrichtig, 
und wer einen Gedanken als unrichtig verwirft, der beurteilt ihn auch 
lis in sich widersprechend i) oder doch als mit den Tatsachen nicht 
Qbereinstimmend. Ja noch mehr! Die Verwerfung eines Oedankens 
als unrichtig hat gar keinen anderen logischen InhaH als das Urteil, 
es enthalte einen Widerspruch oder stimme mit den Tatsachen nicht 
Qberein : sie drQckt vielmehr auf dieses Urteil gleichsam nur das Siegel 
der persSnlichen Stellungnahme. Unter diesen UmstSnden hieBe es 
das Zusammengehorige auseinanderreiBen, wollte man die Werteigen- 
schaften der noetischen Oesamtinhalte und die wertbegrQndenden 
Relationen der noetischen Teiiinhalte, als zwei verschiedene Arten 
noStischer Pradikate, in zwei verschiedenen Abschnitten der Noologie 
behandeln. Vielmehr empfiehlt sich offenbar das Verfahren, die Denk- 
kverte gleichsam von unten aufzubauen: zuerst die Relationen zu unter- 
suchen, die ihr Fundament bilden, und dann die Werteigenschaften, 
die auf diese Relationen sich grQnden und in denen die nogtischen 
W^erte sich vollenden. 
1) Zur Verwerfung eines Schlusses genugt es naturlich, wenn die Falschheit des 
khluBsatzes der Wahrheit der Pramissen nicht widersprache; ein positiver 
0(^iderspruch zwischen der Wahrheit des SchluBsatzes una der Wahrheit der Pra* 
nissen wird zur Ungultigkeit eines Schlusses nicht erfordert 
Oomperz, Wettanschauungilchrc HI 4 
50 NOOLOGIE 
Dieses Verfahren wQrde sich auch dann empfehlen, wenn die wert- 
begrundenden Relationen und die Werteigenschaften ihrem Wesen 
nach vollkommen ungleichartig waren. Allein dies ist in Wahrheit 
keineswegs der Fall. Allerdings fehit den wertbegriindenden Relationen 
ein fOr die Werteigenschaften charakteristisches Merkmal: sie haben 
keinen Teil an der polaren Oegensatzlichkeit freundlicher und feind- 
licher Stellungnahme. Ein Satz kann wahr oder falsch sein, d. h. er 
wird angenommen und anerkannt oder abgelehnt und verworfen. 
Von zwd Satzen dagegen laBt sich nur feststellen, daB sie mit- 
einander vertraglich, oder daB sie miteinander nicht vertraglich sind. 
Indes, ein anderes, nicht minder charakteristisches Merkmal ist den 
wertbegriindenden Relationen mit den eigentlichen Werteigenschaften 
gemein. Sie werden niUnlich beide als ihren Subjekten objektiv an- 
haftend gedacht Wie wir uns vorstellen, ein Satz sei wahr oder 
falsch, auch wenn er diesem oder jenem Individuum nicht als wahr 
oder falsch erscheine, so meinen wir auch, zwei Satze sei en ver- 
traglich Oder unvertraglich, auch wenn sie diesem oder jenem In- 
dividuum nicht als vertraglich oder unvertrSglich erscheinen. Und 
zwar wird dieses objektive Anhaften gedacht als jenem gleich, das 
eine Qualitat mit einem Ding verbindet, ohne daB doch die Werteigen- 
schaften oder die wertbegriindenden Relationen selbst sinnlich wahr- 
nehmbare Qualitaten waren. Blau z. B. ist eine sinnlich wahmehm- 
bare QualitSt; und ein blaues Ding ist, so meinen wir, auch dann 
blau, wenn es irgendeinem Individuum als grun erscheint Wahr 
dagegen ist keine sinnlich wahmehmbare Qualitat; allein dennoch 
pflegen wir anzunehmen, ein wahrer Satz sei in demselben Sinne 
wahr, in dem ein blaues Ding blau ist, auch wenn es nicht alien 
denkenden Individuen als wahr erscheint Oanz in derselben Weise 
pflegen wir jedoch auch anzunehmen, daB ein widerspruchsvoller Be- 
griff widerspruchsvoll ist, auch wenn er nicht alien denkenden In- 
dividuen als widerspruchsvoll erscheint — obwohl naturlich auch 
Widerspruchsvoll keine sinnlich wahmehmbare Qualitat ist Es zeigt 
sich daher: die gemeinsame Bearbeitung der wertbegrundenden 
Relationen und der Werteigenschaften empfiehlt sich auch deshalb^ 
weil beiden das Merkmal gemeinsam ist, daB sie als ihren Subjekten 
objektiv anhaftend gedacht werden. 
Hierzu tritt nun als drittes und entscheidendes Motiv der Umstand^ 
daB gerade dieses den wertbegriindenden Relationen mit den Wert- 
eigenschaften gemeinsame Merkmal dasjenige ist, welches fur die 
Noologie vorzugsweise in Betracht kommt Denn nach § 44 bew^en 
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOGIE 51 
sich ja alle noologischen Fragen uin den Zentralg^^ensatz von Olh 
jektiv und Subjektiv. Wir haben indes eben gesehen, daB in Be- 
ziehungauf diesen Oegensatz wertbegriindende Relationen und 
Werteigenschaften auf Einer Linie stehen: der Widerspruch zwischen 
der logischen Betrachtungsweise, fQr die ein Satz wahr, ein Begriff 
widerspruchsvoU ist, und der psychologischen Betrachtungsweise, 
fflr die ein Satz resp. ein Begriff nur wahr resp. widerspruchsvoll 
scheinen kann, wird in beiden Fallen auf ganz dieselbe Art ausge- 
glichen werden mOssen. Man kann deshalb auch geradezu sagen, 
daB fQr die Noologie die Anerkennung eines erweiterten Wert- 
begriffes zweckm&Big ist Diesem zufolge ware als Wert jedes 
Pr&dikat eines Subjekts anzusprechen, von dem wir uns denken, daB 
es diesem Subjekte objektiv anhaftet, wenn es nur nicht eine sinnlich 
wahmehmbare Qualitat ist — w3hrend allerdings ein solches Pr3dikat 
dn Wert im engeren, gewohnlichen Sinne nur dann heiBen kann, 
wenn es Gberdies noch den Oegensatz positiver und negativer Wertung, 
d h. freundlicher oder feindlicher Stellungnahme eines denkenden 
Wesens zu dem betreffenden Subjekte aufweist Dem letzteren Wert- 
hegjnSit nun genQgen nur die eigentlichen Werteigenschaften (Richtig 
und Unrichtig, Wahr und Falsch usf.); unter den ersteren dagegen 
fellen auch die wertbegrundenden Relationen (Widerspruch, Folge etc); 
und in diesem Sinne ist es daher gewiB korrekt, wenn wir die wert- 
b^jflndenden Relationen und die eigentlichen Werteigenschaften zu 
der Einen Oruppe der Wertpradikate zusammenfassen und darum der 
Semasiologie als die Eine andere Abteilung der Noologie die Lehre 
von den Denkwerten, d. i. die Alethologie, an die Seite stellen. 
4) Da ein klares BewuBtsein von der Eigenart der noologischen Probleme, 
in ihrem G^;ensatze gegen logische und psychologische Fragen, nie be- 
standen hat, so fehlte es naturlich auch stets an einem Prinzip, das ihrer 
Eintdlung hatte zu Grunde gelegt werden konnen. Solange die kosmo- 
theoretisdien Probleme des Denkens bald der Logik^ bald der Psychologies 
bald der Erkenntnistheorie, dann wieder einer Logik und Erhenntnistheorie 
Oder auch einer erkenntnistheoretischen Logik zugerechnet werden, mussen 
ja notwendig auch fur die Abgrenzung der verschiedenen noologischen Tdl- 
probleme gegeneinander bald logische, bald psychologische, bald auch „er- 
kenntnistheoretische^ und d. h. in Wahrheit meist ontologische Gesichts- 
punkte maBgebend werden. Dies schlieBt indes nicht aus, daB diese Teil- 
probleme im einzelnen dennoch eine gewisse innere Geschlossenheit ge- 
sdiicbtlich erlangt haben. In der Tat gilt dies auch wirklich von dem 
Komplex der semasiologischen ebenso wie von dem der alethologischen 
Fragen. Und auch das ist beiden Problemen gemeinsam, dafi ihre ge- 
52 NOOLOGIE 
schichtliche Entwickdung sie in eigentutnlicher Weise verengt hat: nur daB 
<|iese Verengung meines Erachtens fur das Problem der Bedeutung von 
flbleren Folgen war als fur das der Wahrheit 
Die Lehre von den Denkinhalten ist namlich unter dem Einflusse der 
Platonischen Ideenlehre schon fruh zur Diskussion des sogenannten 
Universalienproblems verkummert DaB die Frage, ob Gedanken 
ihrem Inhalte nach nur ein subjektives oder audi ein objektives E>asein 
haben, zuerst an Einer besonderen Art von Oedanken sich aufdrangte, ist 
ja begreiflich. Und wenn diese Eine Art auch die einfachste, namlidi 
der Begriff war, so ist dies gleidifalls nicht erstaunlich. Allein der Be- 
griff ist dodi keineswegs die wichtigste Gedankenart Vollzieht sidi 
dodi das wirklidie Denken nie als dn Aneinanderreihen von Begriffen, 
sondem vidmehr als ein Ableiten Eines Satzes aus anderen Satzen. Da 
nun jene Frage des objektiven oder subjektiven Seins ganz ebenso in Be- 
ziehung auf Satze, Beweise, Fragen usw. aufgeworfen werden kann wie 
im Hinblick auf B^ffe, so stdlt das Universalienproblem in Wahrheit nur 
einen kleinen Ausschnitt aus dem allgemeinen Bedeutungsprobleme dar. Zu 
dieser Erkenntnis aber sind bisher nur vereinzelte Denker gelangt Ins- 
besondere bot die Stoa in dem B^jiffe des Aussageinhalts (aif][iaivd(jLevov, 
Xsxtdv) der noologischen Forschung einen Ausgangspunkt dar, der es ihr 
gestattet hdtte, das Bedeutungsproblem sofort in seiner ganzen Allgemeinheit 
zu erfassen. Statt an diesen hat jedoch das philosophisdie Denken viel- 
mehr an den akademischen Begriff des Universale (ISia, 6ldo(;) ange- 
knupft, und eben hieraus hat sich die erwahnte Verengerung des semasio- 
logischen Problems ergeben. Man darf es daher mit Lotze^) beklagen, 
daB bei ,,der beschrankteren Frage nach der Geltung der allgemeinen Be- 
griffe, welche zwischen den verschiedenen realistischen und nominalistischen 
Partden verhanddt wurde'S der Keim einer richtigen Einsicht zum Teil 
auch dadurch stets wieder erstickt wurde, daB „die uberliderte Gew5hnung 
der unergiebigsten Denkform, der des Begriffs, fast ausschliefilich die Auf- 
merksamkeit zuwandte, und sie dadurch von der Betrachtung des Urtdls 
und Schlusses'* abzog. 
Wie das Bedeutungsproblem durch die Frage nach dem Wesen des Be- 
griffs, so ist das Richtigkeitsproblem durch die Frage nach dem Wesen der 
Wahrheit in den Hintei^grund gedrangt worden. Alldn gerade weil nicht 
der Begriff, sondem der Satz das wichtigste Element des Denkens ist, ist 
die Richtigkeit des Satzes, d. i. die Wahrheit, wirklich der bedeuisamste 
Denkwert Diese nun ist schon friih in den Vordergrund des philosophischen 
Interesses geruckt worden durch den kraftigen Angriff, den die Skeptiker 
gegen den B^jiff des Wissens gerichtd haben. Dieser Angriff hat das 
aldhologische Problem isoliert, und seit jenen Tagen ist das BewuBtsein 
doch nie wieder ganz geschwunden, daB die Frage nach dem Wesen, der 
Kraft, der Leistungsfahigkeit und den Grenzen unserer Erkennhiis einen sdb- 
') Mikr. Ill, S. 220 f. 
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOGIE 53 
stindigen O^fenstand philosophischen Denkens ausmachi Von diesem Be- 
wuBtsein legt ja heute noch der Gebrauch des Terminus Erkenntnis- 
kritik Zeugnis ab, der, wenn uberhaupt irgend etwas Bestimmtes, doch 
nur die Alethologie bezeichnen zu kdnnen scheini Freilich werden wir 
sdien, daB gerade die sogenannte krUische Philosophie jenes BewuBtsdn 
iast zerstdrt und diesen Terminus so gut wie verdorben hat, indem sie 
alcthologisdie und ontologische Fragen in unglucklicher Weise durchdn- 
anderwirrte und auf formale Fragen materiale Antworten erteilen zu kdnnen 
S^ubte. Statt namlich vorerst einmal festzusteilen, was wir unter den Be- 
griffen von Wahrheit, Erkenntnis, Allgemeinheit und Notwendigkeit usf. 
eigentlich verstehen, fing sie gleich damit an, zu untersuchen, von 
welchen Gegenstdnden wir allgemein und notwendig wahre Erkennt- 
nisse gewinnen kdnnen. Damit aber setzte sie im Grunde jenes „Vemidgen^ 
der Erkenntnis, auf dessen Priifung sie ausging, ungepriift voraus. Und in 
diesem Sinne dfirfte man wohl sagen, es sei fur diesen sogenannten 
Kritizismus in Wahrheit nichts charakteristischer als eine (im Sinne von 
§ 8. 1) unkritische Rezeption alethologischer Begriffe. 
I. ABTEILUNG DER NOOLOGIE 
DIE DENKINHALTE (SEMASIOLOGIE) 
ERSTES KAP/TEL 
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNGS- 
PROBLEM 
§46 
AMIT von der Bedeutung eines Oedankens 
im togischen und daher (nach § 44) auch im noo- 
logischen Sinne die Rede sein kdnne, muB dieser 
Gedanke entweder eine sprachliche Form be- 
sitzen oder doch hinreichend gegliedert sein, uin 
eine solche annehmen zu kdnnen, ohne seinen In- 
halt zu ^dem. 
Jeden Oedanken nun, welcher dieser Bedingung genQgt, wollen wir 
eine Aussage nennen. 
ERLAUTERUNO 
1) Die Wissenschaft kann sich nur mit Oegenst&nden mdgiicher 
Erfahrung beschaftigen. Dies jedoch sind objektive Oedanken nur, 
sofem sie durch subjektives Denken erfaBt werden. Allein das sub- 
jektive Denken ist ein ProzeB. Soil nun ein ProzeB wissenschaftlich 
bearbeitet, somit zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Menschen 
untersucht und mit verschiedenen anderen Prozessen in Zusammen- 
hang gebracht werden, so muB er sich in irgendwelchen Wirkungen 
oder Erzeugnissen fixiert haben. Das erste und unmittelbarste der- 
artige Erzeugnis des Denkens aber ist die Sprache. Nur indem sie 
seine sprachliche Form ihrer Untersuchung zu Orunde legt, kann daher 
auch die Logik von dem Inhalte eines Oedankens handeln : dieser In- 
halt ist fur sie erst dann ein bestimmter, wenn ihm auch eine bestimmte 
sprachliche Form in eindeutiger Weise zugeordnet ist. Diese ein- 
deutige Zuordnung ist indes nur dann vorhanden, wenn der betreffende 
subjektive Denkakt entweder in einem einzelnen Individuum die ent- 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 55 
sprechende Sprachform schon wirklich angenommen oder doch zum 
mindesten sich soweit ins einzeine gegliedert hat, daB er unfahig ge- 
worden ist, eine andere Sprachform anzunehmen, ohne damit auch 
seine Bedeutung zu andem. Einen Oedanken nun, fOr welchen eine 
dieser beiden Mdglichkeiten sich verwirklicht hat, und der damit zu- 
gleich auch ein mdglicher Oegenstand logischer und deshalb auch 
noologischer Bearbeitung geworden ist, nennen wir im Folgenden eine 
Aussage. Doch nicht nur diese Benennung bedarf noch einiger Er- 
lauterungen ; auch der Begriff, fOr den sie steht, ist g^en naheliegende 
MiBverstSndnisse zu sichem. 
Was jenes anlangt, so folgen wir im ganzen dem Sprachgebrauche 
von AvENARius und bezeichnen mit dem Werte Aussage nicht nur 
Satze wie „Dies ist blau*, sondem auch bloBe Begriffe wie „Dies* 
Oder ^Blau*", ja auch ganze Schlusse und SchluBketten ; all dies wird 
ja auch wirklich im buchstablichen Sinne ^ausgesagf*. Bezeichnet 
sonach die ^Aussage'' in unserem Sinne nicht die Pradikation, so 
^t sie erst recht nicht mit dem Pradikat zusammen, das man ja 
sonst wohl auch die ^Satzaussage'' zu nennen pflegt Im technischen 
Sinne wenigstens wollen wir unter Aussage alles verstehen, was 
eben denkende Wesen ^aussagen*", und nur gelegentlich werden wir 
wohl diesen Ausdruck ohne Oefahr einer emstlichen Verwiming auch 
in dem engeren Sinne der Pradikation verwenden dOrfen. 
Wichtiger ist ein anderer Einwand, der gegen unsere Terminologie 
erhoben werden kann. Zugegeben namlich, wird man vielleicht sagen, 
daB alles „Aussage'' helBen soil, was denkende Wesen aussagen, 
so scheint doch dieser Ausdruck, seinem natOrlichen Sinne nach, b 1 o B 
die sprachliche Form eines „ausgesagten^' Oedankens zu bezeichnen 
und keineswegs diesen Gedanken selbst — am allerwenigsten dann, 
wenn er eine sprachliche Form noch gar nicht angenommen hat, 
sondem nur fahig ist, in einer solchen sich zu fixieren. Darauf er- 
widem wir: gewiB wird hier der alltagliche Sinn des Wortes Aussage 
mit BewuBtsein erweitert; allein diese Erweiterung scheint uns durch 
die Tatsachen notwendig gefordert. Und zunachst: Ober die bloBe 
sprachliche Form geht doch auch schon der landlaufige Sinn des 
Wortes sehr merklich hinaus. Denn sonst wurde dieses gar nichts 
anderes bedeuten als den Klang einer Rede. Wenn somit niemand 
von einem Phonographen sagen wird, daB er Aussagen mache, so 
tritt in diesem Umstande zu Tage, daB zu einer Aussage auBer den 
Worten jedenfalls noch ein durch diese Worte ausgedruckter Sinn 
gehdrt — folglich ein Gedanke. Erst Sprachform plus Gedanke, 
56 NOOLOGIE 
so scheint es, konstituieren eine Aussage. Und diesen Fall haben ja 
auch wir als den regelni36igen vorzugsweise im Auge. Als den ein- 
zigen aber kdnnen wir ihn nicht gelten lassen. Denn sobald ein 
Oedanke nur fahig ist, in einer sprachlichen Form sich zu fixieren, 
d. h. sobald eine bestimmte Sprachform ihm eindeutig zugeordnet 
werden kann, macht es fOr die logische Bearbeitung dieses Oedankens 
gar keinen Unterschied mehr, ob jene Fixierung im einzelnen Fall auch 
wirklich stattfindet oder nicht: alle logischen Bestimmungen, die sich 
auf den Satz „A ist B** beziehen, gelten eo ipso auch fOr jeden Ge- 
danken, der in diesem Satze, und nur in ihm, ausgesprochen werden 
kann. 
Bedeutungsvoller indes als diese terminologischen Erdrterungen ist 
die sachliche KUrung des in diesem Paragraphen ausgesprochenen 
Orundsatzes. Und da sei vorerst das Folgende betont Fur die Frage, 
ob ein Oedanke in einer sprachlichen Form sich verkorpert hat, ist 
es vollkommen gleichgultig, ob die ihn ausdruckenden Worte, Satze etc. 
von Einem Menschen zu einem anderen gesprochen, von einem ein- 
zelnen Individuum leise vor sich hingesagt, bloB als akustische Phan- 
tasmen vorgestellt oder auch nur motorisch innerviert werden: in all 
diesen Fallen ist eine sprachliche Form in dem hier angenommenen 
Sinne wirklich vorhanden, denn in ihnen alien ist dem Gedanken ein 
bestimmter sprachlicher Ausdruck eindeutig zugeordnet Allein wenn 
wir nun lediglich Gedanken, welche dieser Bedingung genOgen oder 
doch genOgen kdnnen, fflr mdgliche GegenstJnde logischer Bearbeitung 
erklaren, so soil hiermit doch keineswegs behauptet werden, daB es 
andere Gedanken Qberhaupt nicht gebe. Dies ist so wenig meine 
Meinung, daB ich vielmehr jene Gedanken, welche dieser Bedingung 
nicht genOgen und auch nicht genugen kdnnen, nicht nur der Zeit 
nach fOr die frQheren, sondem sogar auch dem Werte nach fur die 
wichtigeren halte. Jeder Mensch, dem manchmal etwas „einfallt** — 
d, h. jeder Mensch, der nicht bloB zu gegebenen Worten einen Sinn, 
sondem auch fQr einen gegebenen Gedanken nach einem Ausdruck 
sucht, weiB, daB Gedanken vorhanden sein kdnnen, ehe sie „formuliert'' 
sind, ja daB ein Gedanke, der nicht in solcher Weise entsteht, uber- 
haupt kaum ein Gedanke zu heiBen verdient Dabei ist es gleich- 
gQltig, ob es sich bloB um die Wahl eines Wortes, ob es sich um 
die Pragung eines Satzes oder ob es sich um den Bau einer ausfuhr- 
licheren Darstellung handelt : in all diesen Fallen beweist das Suchen 
nach dem passendsten Ausdruck, das Abwagen verschiedener Aus- 
drucksmdglichkeiten gegeneinander und die Beurteilung derselben als 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 57 
angemessen oder unangemessen, daB der Gedanke unabh3ngig von 
dner bestimmten Sprachform vorhanden ist, ja daB diese allererst von 
joiem ihren eigentlichen Inhalt und Wert empfSngt Die Meinung, 
es gebe kein anderes Denken als ein solches in Worten, scheint uns 
deshalb jeder intellektuellen Erfahrung Hohn zu sprechen. 
Achten wir indes noch etwas genauer auf die eben berQhrte Ent- 
wickelung, die von dem ersten ^Einfall'' zu der schlieBlichen sprach- 
lichen ^^Formulierung* hinfuhrt, so erkennen wir zugleich, daB dieselbe 
als ein ProzeB fortschreitender ^Oliederung'' begriffen werden muB: 
dn ProzeB, der hier fur uns darum von Bedeutung ist, weil der sich 
g^iedemde Oedanke in ihm gerade jene beiden ZustHnde durchlauft, 
urn deren Auseinanderhaltung wir uns in diesem Paragraphen haupt- 
sichlich bemOhen. In dem Endstadium dieser Entwickeiung nSmlich, 
d. Il in dem Augenblick, ehe der Gedanke seine endliche sprachliche 
Fassung findet, ist jene Mdglichkeit realisiert, die wir als „Aussage 
mit bloB potentieller Sprachform'' bezeichnen konnen. Jetzt ist der 
Oedanke so sehr ins einzelne gegliedert und bestimmt, daB er jeden 
anderen als ^den* treffenden, ihm angemessenen und adiquaten, kurz 
jeden anderen als ^seinen** sprachh'chen Ausdruck zuruckstdBt: die 
Zuordnung von Oedanke und Sprachform muB daher jetzt bereits als 
dne dndeutige bezeichnet werden, und jener kann demnach auch in 
unserem Sinne eine Aussage heiBen. So verhilt es sich mit dem ur- 
sprQnglichen ^Einfail'' nicht. Hier ^blitzf* der Gedanke in einer un- 
gi^iederten und noch sehr verschiedenartiger nSherer Bestimmungen 
fShigen Fassung auf: ja er ist soicher naheren Bestimmungen nicht 
nur @hig, sondem auch bedQrftig. Er kann noch in sehr verschiedene 
sprachliche Formen g^ossen werden, und in jeder derselben wird 
er auch sich selbst verandem, nimlich sich gliedem und entfalten. 
Und nicht nur kann er dieses Schicksal erleiden, sondem er muB 
es sogar, wenn er zur ^Aussage'' werden soil. Denn fQr seine un- 
g^liederte und unbestimmte Form gibt es Oberhaupt keinen sprach- 
lichen Ausdruck. Richten wir nun auf diese „embryonalen** Gedanken 
noch einen Augenblick unsere Aufmerksamkeit ! Ohne Zweifel sind 
sie der eigentliche Kern aller sinnvollen Rede, dasjenige, was ihr allein 
Wert und Bedeutung verleihen kann : wer Aussagen macht, die nicht 
aus dner solchen Wurzel hervorwachsen, von dem werden wir mit 
voUem Rechte urteilen, daB er zwar zu uns spreche, uns jedoch „nichts 
zu sagen^ habe. Trotzdem sind diese Gedankenkeime einer 1 o g i s c h e n 
Bearbeitung nicht zugSnglich; ja man kdnnte mit gutem Grunde sogar 
behaupten, daB sie weder dem Satze des Widerspruches noch 
58 NOOLOOIE 
dem vom ausgeschlossenen Dritten unteriiegen. Denn von 
den Sitzen, in die ein solcher „Einfall^ sich auseinanderl^en, zu 
denen er sich entfalten kann, mSgen die einen wahr, die anderen 
falsch sein: welches dieser Pradikate auf ihn Anwendung findet, 
wird deshalb nur davon abhSngen, welche jener mOglichen Gliede- 
rungen sich verwirklicht An sich selbst wird daher ein solcher „Ein- 
fall" weder wahr noch falsch sein, oder auch ebensowohl wahr als 
falsch. Allein dies heiBt zugleich : ein Oedanke, dem in solcher Weise 
noch keine sprachliche Form eindeutig zugeordnet ist, ist zwar als 
psychologisches Datum vorhanden, dagegen noch nicht als ein mog- 
licher Oegenstand logischer Bearbeitung. Wenn somit nach § 44 nur 
aus den WidersprQchen zwischen Logik und Psychologic die noo- 
logischen Probleme flieBen kdnnen, so folgt unwidersprechlich, daB 
fQr das Interesse der Noologie die entscheidende Orenzlinie gerade 
zwischen diesen ungegliederten und den anderen, gegliederten Ge- 
danken hindurchlauft Solche metalogische Gedanken von unserer Be- 
trachtung auszuschlieBen, war mithin an dieser Stelle unsere Aufgabe; 
und urn diese Aufgabe zu erfullen, haben wir den Begriff der Aus- 
sage gepr%t — als den Begriff eines Gedankens, der eine sprachliche 
Form entweder schon besitzt oder sie doch, ohne sich zu verandem, 
annehmen kann, und der deshalb auch ein mdglicher G^enstand der 
Logik und darum auch der Noologie ist 
2) Wir haben im Vorstehenden 3 Arten von Gedanken unterschieden : 
solche, wdche, um eine sprachliche Form annehmen zu kdnnen, noch einer 
weiteren Gliederung bedurfen; solche, welche zu diesem Behufe einer 
weiteren Gliederung nicht mehr bedurfen, jedoch eine sprachliche Form 
noch nicht angenommen haben ; endlich solche, welche dne derartige Form 
bereits wirklich besitzen. Wir konnen sie der Kfirze halber als Gedanken 
mit undeterminierter, mit potentiell determinierter und mit 
aktuell determinierter Sprachform bezeichnen. Alle drei, be- 
haupten wir, kommen als psychologische Tatsachen vor; doch nur die beiden 
letzten, die wir als Aussagen zusammenfassen, sind zugleich auch G^[en- 
stande der Logik. 
Die so hervortretende, immerhin ziemlich groBe Komplikation dieser 
Verhaltnisse macht es begrdflich, daB uber sie dgentlich noch kdne voile 
Klarheit besteht, so entschieden auch der unverkennbare Zusammenhang 
von Denken und Sprechen von jeher dem BewuBtsein sich aufgedrangt 
hat Das letztere ist leicht zu erweisen. Schon wenn Homer sdne Hdden 
„zu ihrem Gemute sprechen** laBt, will er damit kaum mehr sagen, als daB 
sie sich etwas „gedacht<< hatten, und bezeichnet somit implicite das Denken 
als ein inneres Sprechen — ohne daB wir doch berechtigt waren, dieser 
Redeweise eine bestimmte Ansicht uber das Verhaltnis unserer 3 Gedanken- 
ORIENTIERUNO UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 50 
arten imterzulegen. Wenig mehr aber besagt es, wenn Platon i) das Denlcen 
«in ^u-sich-sdbst-sprechen der Sede^ nennt, ein „Sich-seIbst-fragen-und-aiit- 
worten'', und^ den Verstand ein ^mmloses Gesprach der Sede mit sidi 
sdbsi"; wenn Aristoteles 3) von der ^uBeren*" eine Jnnere Rede" (l^tt 
und lott X67oc)y und Chrysipp^) von der gesprodienen eine unausge- 
sprochene Rede (X670C ivdtddsto^) unterscheideL In einer anderen, bald 
naher zu besprechenden Stdle des Aristoteles^ fand man den Oesidits- 
punk^ daB die Verschiedenheit der Sprache die Identitat des Sinnes nidit 
aufhebe; und nun lag es nahe, die Jnnere" oder bloB „gedankliche Rede* 
zugidch als die fiber die Untersdiiede der aufieren Spradie erhabene hinzu- 
stellen — dn Gedanke, den nadi dein Voigange alterer Peripatetiker nament- 
lidi PoRPHYRios und Boethius ^ angedeutd haben. Von hier aus entstand 
die sdiolastisdie Lehre vom verbum mentale im G^^ensatze zum verbum 
vocale^ die z. B. Gratiadei von Ascou^) vorgetragen hat Doch ist hier 
wenis^ens Wilhelm von Occam uber die Unbestimmthdt der Alten weit 
hinausgekommen, indem er unter „geistiger Rede" genau dasjenige verstand, 
-was wir oben als „Gedanken mit potentidl dderminierter Spradiform" be- 
zddmden. Denn nidit nur hat er wiederholt, daB der bloB „gedachte 
Satz" (propasitio mentalis) keiner besonderen Spradie angehort (nuUius 
idiomatis tsf), und auch die fdne Bemerkung hinzugefugt, mandie dieser 
Satze ^ieSen sich w^;en des Versagens der Spradie (propter defectum idio- 
matis) iiberhaupt nidit ausdriicken"^), sondem mit wunderbarer Klarhdt hebt 
er audi hervor^ daB z. B. bdm Nomen wohl Casus und Numerus, dodi 
nidit das Gesdilecht, bdm Verbum zwar Oenus, Modus, Zeit, Zahl und 
Person, dag^;en nidit die Konjugation dem verbum mentale dgne. Hierdurdi 
wird mit aller Sdiarfe jeder Gedanke sowohl an akustische Phantasmen 
Oder Innervationen wie auch an ungegliederte „Einfalle" ausgesdilossen, 
da diese nie dne derartige grammatische Bestimmtheit erreidien kdnnten, 
jene die Worte einer bestimmten Sprache voraussetzen wurden. Ja 
Oreoor von Rimini hat ausdruckiich ^^ jene mentalen Satze, „wdche nicht 
Abbilder ii^gendwdcher Worte und daher auch nicht nach deren Verschieden- 
heit . . . verschieden, sondem bei alien [Menschen] spezifisch gleich sind^, 
den anderen en^^engesetzt, die bloB ,,Abbilder gesprochener Satze*' seien, 
wie sie „durch die auBeren Sinne*' wahrgenommen werden, und die deshalb 
^icht bei alien Menschen von gleicher Art sind, sondem auf griechisch 
anders lauten, und anders auf lateinisch*'ii). Ueber diese Einsicht ist, um 
») Theaet p. 189 e f. 2) Soph. p. 263 e. 3) Anall. postt I. 10, p. 76 b 24. *) Frg. 135 
(Arnim II). ^) De interpr. 1, p. 16 a 5. ^) De interpr., ed. II, p. 296 und 298 
<S. 21. 16 und S. 26. 17 ff. Meiser). t) Prantl III, S. 315, Anm. 675. «) Prantl III, 
S. 339, Anm. 769; ygi. auch S. 352, Anm. 797. ») Prantl III, S. 362. Anm. 824. 
*^ Prantl IV, S. IZ Anm. 46. ") Doch ist die These, daB die potentiell determi- 
nierte Sprachform mulius idiomatis sei, cum grano saiis zu verstehen, da verschiedene 
^radien an die logische Gliederunfi^ der Oedanken verschiedene Anfoiderungen 
stellen. So unterscheidet z. B. das Oriecnische und Arabische, nicht aber das Lateinische 
und Deutsche, Dual und Plural, das Griechische, nicht aber das Deutsche, Imperativ 
Praesentis una Imperativ Aoristi, das Turkische, nicht aber das Deutsche, Perfectum I 
60 NOOLCXjIE 
das mindeste zu sagen, die Philosophic bis auf unsere Zeit nicht hinaus- 
gekommen. Am mafivollsten hat wohl Herbart geurteilt, als er i) „das stille 
Denken . . . groBenteils . . ein zuriickgehaltenes Sprechen^ nannte, und 
dieses vorwiegend speziell als ein Innervieren bestimmte — als ^ein An- 
r^en der Nerven, welche die Sprachorgane r^eren ; nur nicht stark genug, 
urn die Muskeln zu bew^en^ Dieses y^oBenteils*^ sticht sehr vorteilhaft 
ab gegen die vage Allgemeinheit der Alten, in die Schleiermacher zuruck- 
fillt durch die Erklarung^: ,,Denken und Sprechen ist so Eins, daB man es 
nur als inneres und auBeres unterscheiden kann, ja auch innerlich ist jeder 
Gedanke schon Wort''; noch mehr freilich gegen die prazise Einseitigkeit 
anderer Denker. Schon Leibniz namlich hatte^) behauptet, daB er — wie 
ihn die Erfohrung lehre — „niemals irgendeine Wahrheit erkenne, entdecke 
Oder annehme** (agnosci inveniri probari)^ ohne im Geiste „Worte oder andere 
Zeichen zu verwenden*', und neuerdings ist Max MOller^) soweit ge- 
gangen, daB er es fur unmdglich erklart, ^bst nur den ersten Schritt in 
der Philosophic zu tun, bevor man ganz klar gesehen hat, daB wir in 
Worten denken und in nichts anderem als in Worten*', ja daB er sogar 
jedermann, der die Frage „Ist Denken ohne Worte mdglich?" nicht mit 
einem runden ,,Nein'M zu beantworten wagt, ,,MangeI an intellektuellem 
Mute" vorwirft. G^en solche Verirrungen haben sich namentlich Stein- 
und Perfectum 11, das Deutsche, nicht aber das Arabische, Praesens und Futurum. Das 
heifit, damit ein Oedanke einer griechischen oder arabischen Sprachform eindeutig 
zugeordnet sei, muB in ihm die Vielheit entweder als Zweiheit oder als Mehrheit 
bestimmt, und ebenso muB im Griechischen die befohlene Handlung als wiederholt 
oder einmalig, im Turkischen der vergangene Vorgang als selbst-wahrgenommen oder 
als von Anderen bezeuet, im Deutscnen der nicht abgeschlossene Vorgang als gegen- 
wartig Oder zukunftijg^ determiniert sein. Daraus ergibt sich, daB Oedanken, denen 
die Sprachformen Emer Sprache eindeutig zugeordnet werden konnen, doch in Be- 
zug auf Eine fremde Sprache nicht ^enugend, in Bezug auf eine andere fremde 
Sprache mehr als notwendig determiniert sein werden, &R somit von potentieller 
Determination der Sprachform stets nur in Bezug auf eine bestimmte Sprache die 
Rede sein kann, und dafi ein in diesem einzig zulassigen Sinne als ^potentiell deter- 
miniert' zu bezeichnender Oedanke bereits Momente in sich entnalten wird. die 
unzweideutig auf diese Eine Sprache hinweisen. Enthalt andererseits der Oeaanke 
noch keine solchen Momente, so kann ihm auch keine Sprachform einer bestimmten 
Sprache eindeutig zugeordnet werden. Hieraus folgt jedoch, daB es im strengen 
Smne uberhaupt Iceinen Oedanken gibt, der hinreichend gegliedert ware, um logisch 
Erazis zu sein. und der doch zugleich uber die Verscniedenheit der Idiome voll- 
ommen erhaben ware. Aus diesen Oriinden halte ich auch die neuerdings von 
St5hr (Log. S. 52) erhobene Forderung nach einer von der Verschiedenheit der 
Sprachen unabhangjgen „Algebra der Orammatik" fiir unerfullbar. Denn wollte 
erne solche SymboTik die logischen Unterscheidungen einiger Sprachen nicht be- 
riicksichtigen , so wurde sie den Oedankeninhalt dieser Sprachen nicht adaquat 
zum Ausdrudc bringen; wollte sie dagegen alle Distinktionen berucksichtigen, die 
auch nur in irgende iner Sprache vorkommen, so wurde sie den logischen Oehalt 
aller anderen Sprachen durch Einfiihrung von gedanklichen Momenten, die diesen 
Sprachen fremd sind, entstellen. >) Psydiologische Untersuchungen, Erstes Heft 
IV (WW. VII, S. 320). 2) Dial., Beilage D (S. 449). Ebenso vag ist der Begriff 
einer .,inneren Sprachform", wie ihn W. voN Humboldt formuliert hat (Ueber die 
Verschiedenheit d. menschlichen Sprachbaues, § 11, WW. VI, S. 92 ff.). A Dialogus 
(WW. VII, S. 191). *) Denken i. L d. Sprache, 1 28. 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 61 
THALi) und Romanes^ mit guten Grunden gewandt Vor allem jedodi 
hat Schopenhauer — dem audi der Verfasser in dner fruheren Sdiriff) 
sidi angesdilossen hat — die bloB sdcundare Bedeutung der Spradiform 
fOr die Entstehung und den Wert eines Gedankens treffend und eindringlidi 
hervofgehoben. Audi wollen wir nidit dariiber rechten, ob es zweckmaBig 
ist, das Denken mit undeterminierter Sprachform ein anschauliches zu 
nennen, und nur so vid bemerken, daB die Mdnung, das Wesentlidie an 
diesem Denken sden die „Phantasi€^ilder^, sich uns bald genug als unhalt- 
bar herausstdlen wind. Mit diesem Vorbehalt jedodi kdnnen wir uns die 
folgenden Ausfuhrungen Schopenhauers^) durdiaus andgnen: „Das mit 
Hilfe ansdiaulidier Vorstdlungen operierende Denken ist der dgentliche 
Kern aller Erkenntnis, indem es zuriickgeht auf die Urqudle, auf die Grund- 
lage aller Begriffe. Daher ist es der Erzeuger aller wahrhaft origindlen 
Oedanken, aller ursprunglidien Grundansiditen und aller Erfindungen . . . 
Ihm gehdren gewisse Gedanken an, die lange im Kopfe herumziehen, gehen 
und kommen, sich bald in diese, bald in jene Anschauung kleiden, bis sie 
endlidi, zur Dentlichkeit gdangend, sich in Begriffen fixieren und Worte 
finden. Ja es gibt deren, wdche sie nie finden; und leider sind dies die 
besten: quae voce meliora sunt^ wie Apulejus sagt. ... So vid lafit sich 
behaupten, dafi jede wahre und urspriingliche Erkenntnis, audi jedes echte 
Philosophem, zu ihrem innersten Kern, oder ihrer Wurzd, irgenddne an- 
schauliche Auffeissung haben muB. Diese, obgleich ein Momentanes und 
Einhdtliches, tdlt nachmals der ganzen Auseinandersetzung, sei sie audi 
noch so ausfuhrlichy Geist und Leben mit — wie ein Tropfen des rechten 
Reagens der ganzen Aufldsung die Farbe des bewirkten Niederschlags.'' 
§47 
In Bezug auf jede vollstandige Aussage kann man unterscheiden : 
A. die Aussagelaute, d. i. die sprachliche Form der Aussage 
(§ 46); B. den Aussageinhalt, d. i. den Sinn der Aussage; C die 
Aussagegrundlage, d. i. jene Tatsache, auf die sich die Aus- 
sage bezieht 
Die zwischen diesen drei Aussageelementen bestehenden Relationen 
diaiakterisieren wir in der Weise, daB wir die Aussagelaute den 
Ausdruck des Aussageinhalts und die Bezeichnungder Aussage- 
grundlage^ den Aussageinhalt aber die Auf fas sung der Aussage- 
gnindlage nennen. 
Sofem die Aussagelaute als Ausdruck des Aussageinhalts betrachtet 
werden, follen sie mit der Aussage selbst zusammen. Sofem die 
Aussag^jundlage als eine durch den Aussageinhalt aufgefaBte Tat- 
») Einldtg. in d. Psych. S. 47 ff. ^) Origin of hum, fac p. 82. 3) Psych. log. 
onmdtats. S. 88ff. «) Vierfache Wurzel § 28 (WW. Ill, S. 119 ff.). 
62 NOOLOGIE 
sache betrachtet wird, kann sie der ausgesagte Sachverhalt 
heiBen. Die zwischen der Aussage und dem ausgesagten Sachverhalt 
bestehende Relation nennen wir Bedeutung. 
In dem besonderen Falle, in welchem die Aussagegrundlage durch 
den Aussageinhalt als Oegenstand aufgefaBt wird (§ 10. 4), heiBt 
der ausgesagte Sachverhalt eine Sache, die Aussage selbst der 
Begriff, die Aussagelaute der Name, der Aussageinhalt das be- 
griffliche Wesen oder die Essenz dieser Sache. 
ERLAUTERUNG 
1) Vor allem sei die in dem ersten Absatze dieses Paragraphen ent- 
wickelte, fur die folgenden Untersuchungen grundlegende Unter- 
scheidung an einem Beispiele verdeutlicht. Wir wahlen zu diesem 
Behufe den Satz: „ Dieser Vogel fliegt!" Dieser Satz selbst ist natiir- 
lich im Sinne des § 46 eine Aussage: ein Oedanke, der eine sprach- 
liche Form angenommen hat Isolieren wir nun diese sprachliche 
Form, achten wir demnach bloB auf den Klang der Worte „ Dieser 
Vogel fliegt**, d. h. bloB auf dasjenige, was auch ein der deutschen 
Sprache Unkundiger von ihnen wahmehmen kann, so haben wir es 
allein mit den Aussagelauten zu tun. Bedenken wir jetzt anderer- 
seits, daB fur uns, die wir der deutschen Sprache michtig sind, jener 
Satz in diesem Wortklang sich keineswegs erschSpft, vielmehr fiber 
diesen hinaus noch ein anderes Element enthalt, das wir seinen Sinn 
zu nennen pflegen, und achten nun ausschlieBlich auf diesen ^Sinn"" 
im Oegensatze zu jener sprachlichen Form, dann haben wir eben 
damit auch den Aussageinhalt gegen die Aussagelaute isoliert 
Aussagelaute und Aussageinhalt nun erschdpfen zusammen dasjenige, 
was an der Aussage unterschieden werden kann: unserSatz enthalt 
nichts anderes als einen bestimmten Wortklang und einen bestimmten 
Sinn. Allein keineswegs erschopfen diese beiden Momente auch das- 
jenige, was in Bezug auf die Aussage sich unterscheiden laBt: zu 
unserem Satze gehSrt vielmehr auch noch die wirkliche oder wenig- 
stens gedachte Tatsache, daB ^dieser'' Vogel fliegt; und dieser 
physische Vorgang ist es, den wir als die Aussagegrundlage 
bezeichnen. 
2) Die erste Frage, die sich hier aufdrSngt, ist die, ob denn diese 
3 Elemente der Aussage auch wirklich voneinander verschieden sind, ob 
also nicht etwa zwei derselben zusammenfallen. Es wird notwendig 
sein, daB wir die 3 Amben, welche aus 3 Elementen gebildet werderr 
kdnnen, unter dem eben angefuhrten Oesichtspunkte kurz durchgehen. 
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 63 
ZunSchst: Aussagelaute und Aussageinhalt sind voneinander offenbar 
verschieden. Denn derselbe Aussageinhalt kann in verschiedenen 
Sprachen durch verschiedene Aussagelaute ausgedrQckt werden, und 
ebenso kdnnen unter derselben Bedingung dieselben Aussagelaute ver- 
schiedene Aussageinhalte ausdrQcken. Brett und broad mdgen als 
Bdspiele fur den ersten, breit und bright als solche fQr den zweiten 
Fall genflgen. 
Ebenso verschieden sind auch Aussagelaute und Aussag^^ndlage. 
Derselbe physische Vorgang kann durch die zwei voneinander ver- 
schiedenen Worte Ton und sound bezeichnet werden; dasselbe 
Wort Ton kann einmal einen Klang, das andere Mai einen Stoff be- 
zeichnen. 
Kann nun etwa der Aussageinhalt zusammenfallen mit der Aussage- 
grundlage? Auch dies ist ganz unmdglich, denn derselbe Aussage- 
inhalt kann verschiedene Aussagegrundlagen auffassen, dieselbe Aus- 
sag^rundlage kann durch verschiedene Aussageinhalte aufgefaBt 
werden. Zu dem Einen Aussageinhalt „DieserVogel fliegt!" nimlich 
kdnnen die mannigfachsten physischen Vorgange als Aussagegrund- 
lagen gehdren : der fliegende Vogel kann ein Adler, ein Sperling oder 
eine Taube sein; der Vogel kann hoch in der Luft oder hart am 
Boden fliegen, kann ruhige Kreise Ziehen, unruhig flattem oder pfeil- 
gerade die Luft durchschneiden. Und womdglich noch deutlicher ist, 
daB zu Einer Aussagegrundlage die verschiedensten Aussageinhalte 
gehdren konnen. Denn wenn ein Sperling vor meinen Augen un- 
ruhig hin und her flattert, so kann ich aussagen: „Dieser Vogel fliegt!^ 
,,Da flattert ein Sperling!**, „Sieh da, ein Tier!**, „Es bew^ sich 
etwas**, „Es wird Arbeit geleistet**, „Dies ist kein perpetuum mobile^ ^ 
„Wie sich derArme furchtet!** — und die Inhalte all dieser Aussagen 
sind in gleicher Weise korrekte Auffassungen eines und desselben 
physischen Vorgangs. 
3) DaB somit die 3 Elemente der Aussage, die wir hier unter- 
schdden, in der Tat voneinander verschieden sind, glauben wir dar- 
getan zu haben. Dann mussen jedoch auch die verschiedenen Be- 
ziehungen, die zwischen je zweien derselben stattfinden, sorgfaltig 
auseinandergehalten und durch besondere Namen ausgezeichnet 
werden. Im Texte dieses Paragraphen haben wir nun die Aussage- 
laute den Ausdruck des Aussageinhalts und die Bezeichnung 
der Aussagegrundlage, den Aussageinhalt eine Auffassung der 
Aussag^rundlage genannt Doch auch diese Benennungen bediirfen 
dniger Erlsluterungen. 
64 NOOLOGIE 
Freilich gilt dies kaum von den an erster und dritter Stelle genannten. 
Denn wenn etwa ein und derselbe physische Vorgang Ein Mai durch 
den Satz „Dieser Vogel fliegt"*, das andere Mai durch den Satz „Hier 
wird Arbeit geleistet* wiedergegeben wird, so wiiBte ich nicht, wie 
anders man diese Verschiedenheit ausdrucken solite, ais indem man 
sagt, jene beiden Satze steliten verschiedene Auffassungen derselben 
Tatsache dan Und auch wenn wir die sprachliche Form einer Aus- 
sage den Ausdruck des ihr zu Grunde liegenden Gedankengehaltes 
nennen, befinden wir uns wohl mit dem Sprachgebrauch in Ueberein- 
stimmung. Dagegen scheint es fOr die Beziehung der Aussagelaute 
zur Aussagegrundlage an einem vollig angemessenen Terminus uber- 
haupt zu fehien. Ueber das Wort Ausdruck haben wir eben anders 
disponiert Bedeutung enthalt offenbar irgendeine wesentliche Be- 
ziehung auf den Aussageinhalt — die Bedeutung einer Aussage kann 
nicht etwas von ihrem Sinn ganz Verschiedenes sein — , wahrend wir 
hier ja von diesem gerade absehen und bloB die unvermitteite Be- 
ziehung von Sprachform und Tatsache ins Auge fassen wollen. Doch 
auch Bezeichnung scheint sich nur in dem Sonderfalle, in dem es sich 
um ein einzelnes Wort handelt, vdliig ungezwungen darzubieten. DaB 
das Wort „Stein* den Gegenstand „Stein", das Wort „Fallen** den 
Vorgang ^Fallen** bezeichne^ ist eine einwandfreie Ausdrucksweise; 
daB dagegen die Wortfolge „Da fallt ein Stein!** den entsprechenden 
Vorgang bezeichne^ wiirde man vielleicht nicht ohne weiteres sagen. 
Da indes das BedQrfnis nach einem besonderen Terminus fur diese 
Beziehung sich nicht abweisen laBt, so mussen wir hier zu einer Er- 
weiterung des iandlaufigen Sprachgebrauches uns entschlieBen, und 
verstehen demnach im folgenden unter Bezeichnung^ wo dieses Wort 
im technischen Sinne gebraucht wird, die Beziehung der Aussagelaute 
zur Aussagegrundlage. 
4) Bisher haben wir die 3 Elemente der Aussage isoliert betrachtet: 
wir haben Aussagelaute, Aussageinhalt und Aussagegrundlage unter- 
schieden und die zwischen diesen Elementen bestehenden Relationen 
des Ausdrucks, der Auffassung und der Bezeichnung kurz charak- 
terisiert Diese Betrachtungsweise ist indes eigentlich nur dem 
Elementenpaar Aussagelaute— Aussagegrundlage angemessen, denn 
nur die Relation der Bezeichnung haftet ihren Gliedem so lose und 
iuBerlich an, daB sie aus ihnen keine h5here Einheit herstellt: die 
Lautfolge einer Aussage und die Tatsache, auf die sie sich bezieht, 
bilden keinen einheitlichen Komplex — so wenig wie sonst ein Zeichen 
und das durch dieses Zeichen Bezeichnete. Anders dagegen steht es 
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 65 
mit den Relationen des Ausdrucks und der Auffassung. Dadurch, 
daB Aussagelaute und Aussagegrundlage mit dem Aussageinhalt in 
diesen Beziehungen stehen, werden sie selbst in ihrem Wesen ver- 
Sndert Es liegt deshalb auch ein Bedurfnis vor, die Aussagelaute, 
sofeme sie den Aussageinhalt ausdrucken, und die Aussagegrundlage, 
sofeme sie durch den Aussageinhalt aufgefaBt ist, mit anderen Namen 
zu bezeichnen, als die Aussagelaute und die Aussagegrundlage, sofem 
diese nur an sich selbst betrachtet werden. 
Die Aussagelaute als solche sind eine bloBe, sinnlose Klangfolge. 
Der Aussageinhalt ist der Sinn, den diese Klangfolge ausdruckt Da- 
gegen sind die Aussagelaute, sofem sie diesen Sinn ausdrQcken, eine 
Folge von Worten und Satzen, kurz eine sinnvolle Rede. So 
z. B. stellt bei der Aussage „Dieser Vogel f liegt" die Klangfolge 
Dieser Vogel fliegt die Aussagelaute als solche dar. Der Sinn der 
Aussage ist der Aussageinhalt Sofern jedoch jene Klangfolge als 
Ausdruck dieses Sinnes betrachtet wird, bildet sie den Satz „ Dieser 
Vogel fliegt". 
Die Rede besteht aus den Aussagelauten plus dem Aussageinhalt, 
d. h. aus einer sprachlichen Form plus einem Gedanken. Nun haben 
wir in § 46 einen Gedanken plus einer sprachlichen Form eine Aus- 
sage genannt Zwischen diesen beiden Komplexen besteht indes 
offenbar nur eine rein formelle Distinktion, die wohl ohne Schaden 
vemachlassigt werden kann. Wir durfen deshalb die Rede mit der 
Aussage gleichsetzen, und bezeichnen im folgenden die Aussagelaute, 
sofern diese als Ausdruck des Aussageinhalts betrachtet werden, 
geradezu als die Aussage selbst 
Die Aussagegrundlage als solche ist eine bloBe, gedanklich unauf- 
gefaBte Tatsache, sie ist dasjenige wirklich Vorhandene oder doch als 
wirklich vorhanden Gedachte, worauf sich die Aussage bezieht Der 
Aussageinhalt ist der Gedanke, durch den diese Tatsache in der Aus- 
sage aufgefaBt wird. Dagegen ist die Tatsache, sofem sie durch 
diesen Gedanken aufgefaBt wird, das eigentlich in der Aussage Aus- 
gesagte. So z. B. wird bei der Aussage „ Dieser Vogel fliegt" die 
Aussagegmndlage dargestellt durch die Tatsache eines vor den Augen 
des Aussagenden fliegenden Vogels. Der Gedanke „ Dieser Vogel 
fliegt" ist der Aussageinhalt Sofem jedoch jene Tatsache durch 
diesen Gedanken aufgefaBt wird, bildet sie den in der Aussage eigent- 
lich ausgesagten Vorgang: das „Fliegen dieses Vogels". 
In unserem Beispiel ist der ausgesagte Vorgang eine Tatigkeit In 
anderen Fallen ist er ein Leiden. In wieder anderen Fallen ist das 
Com per z, Weltanschauungslehre II 1 5 
66 NOOLOGIE 
Ausgesagte uberhaupt kein Vorgang, sondem das Haben einer Eigen- 
schaft Oder das Identischsein mit einer bestimmten Art von Gegen- 
standen, z. B. bei den Aussagen „Diese Fahne ist rot** oder „ Dieses 
Tier ist ein Vogel**; denn hier ist ausgesagt das „Rotsein dieser Fahne" 
und das „Ein-Vogel-Sein dieses Tieres". Fragen wir nun, wie solche 
Ausgesagte passend zu benennen seien, so werden wir erwidern 
durfen : das Fliegen eines Vogels, das Rotsein einer Fahne, das Vogel- 
sein eines Tieres sind Sachverhalte. Wir nennen daher im folgenden 
die Aussagegrundlage, sofem sie betrachtet wird als aufgefaBt durch 
den Aussageinhalt, den ausgesagten Sachverhalt. 
Es kann auch hler die Frage aufgeworfen werden, ob die Unter- 
scheidung der Aussage von den Aussagelauten und dem Aussage- 
inhalt, des Sachverhalts von der Aussagegrundlage und dem Aussage- 
inhalt nicht eine unniitze Subtilitat sei. Wir mussen deshalb die 
reelle Verschiedenheit dieser Aussageelemente noch besonders nach- 
weisen. 
Die Aussagelaute „ Dieser Vogel fliegt", als solche betrachtet, sind 
eine Klangfolge. Sie gehoren femer keiner bestimmten Sprache an, 
denn es ist rein zufallig, wenn nicht diese selbe Klangfolge in einer 
anderen Sprache als Ausdruck eines ganz anderen Sinnes gebraucht 
wirdi). Dagegen ist der Aussageinhalt, d. h. der Sinn des Satzes 
„ Dieser Vogel fliegt", keine Klangfolge, sondem ein Komplex logischer 
Bestimmungen. Die Aussage nun, d. h. der Satz „ Dieser Vogel 
fliegt", steht zwischen beiden in der Mitte. Sie unterscheidet sich von 
dem Aussageinhalt dadurch, daB auch sie eine Klangfolge ist, mithin 
keine Gruppe logischer Bestimmungen. Sie unterscheidet sich von 
den Aussagelauten dadurch, daB sie einer bestimmten Sprache an- 
geh5rt Sie ist demnach weder mit dem Aussageinhalt noch mit den 
Aussagelauten identisch. Vielmehr ist die Aussage ein Komplex, an 
dem die Aussagelaute gleichsam als Stoff, der Aussageinhalt gleichsam 
als Form beteiligt ist Ein Komplex aber kann naturgemaB weder 
mit seinem stofflichen noch mit seinem formalen Elemente zusammen- 
fallen. 
Die Aussagegrundlage des Satzes „ Dieser Vogel fliegt", als solche 
betrachtet, somit die Tatsache, auf die jener Satz sich bezieht, ist etwas 
Vorhandenes oder doch als vorhanden Gedachtes, ein Stuck physi- 
scher Wirklichkeit2). Als solches kann sie — wie gesagt — vorhanden 
1) Bei kiirzeren Klangfolgen ist dies noch deutlicher. Die Aussagelaute Brett = 
Bright gehoren sowohl der deutschen wie der englischen Sprache an : hier drucken 
sie den Oedanken Clams, dort den Oedanken Lotus aus. ^) Naturlich gibt es auch 
Aussagen, die sich nicht auf Physisches beziehen, sondem auf Psychisches (z. B. 
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 67 
Oder nicht vorhanden sein, und zwar ist sie jedesmal dann vorhanden, 
wenn der angefuhrte Satz wahr, dann nicht vorhanden, wenn er falsch 
ist Dagegen hatte es keinen Sinn, zu sagen, die Tatsache selbst sei 
im ersten Falle wahr, im zweiten falsch ; denn Tatsachen konnen nur 
vorhanden oder nicht vorhanden sein ; bloB Gedanken oder Aussagen 
sind wahr oder falsch, je nachdem sie mit vorhandenen Tatsachen 
libereinstimmen oder nicht. Ein weiteres Merkmal der Aussagegrund- 
lage als solcher ist das, daB sie keinerlei eindeutige Gliederung auf- 
weist. Denn dieselbe Tatsache kann ja aufgefaBt werden durch die 
ganz verschieden gegliederten Aussageinhalte „Dieser Vogel fli^", 
„Das ist ein Vogel", »Hier bewegt sich etwas**, „Ich sehe ein lebendes 
Wesen'^ usf. Es ist somit, solange die Aussagegrundlage nur als 
solche, d. h. eben als bloBe Tatsache, als bloBes Stuck physischer 
Wirklichkeit, betrachtet wird, noch gar nicht bestimmt, ob sie als das 
Haben einer Eigenschaft oder als Vorgang, als Tun oder als Leiden 
zu denken, und welche ihrer Elemente etwa als Eigenschaften oder 
Gegenstande, welche als tatige oder leidende Gegenstande anzusehen 
sind. Demgegenuber ist der Aussageinhalt, also z. B. der Sinn des Satzes 
„Dieser Vogel fli^*, nicht ein Stuck physischer Wirklichkeit, sondem 
eine Gruppe logischer Bestimmungen. Als solche ist er eindeutig 
gegliedert. Zur Auffassung welcher Tatsachen immer er verwendet 
werde — stets enthalt er die Begriffe eines tatigen Wesens, einer 
Tatigkeit desselben sowie seiner unmittelbaren Gegenwartigkeit. Der 
Inhalt jenes Satzes kann auch wahr oder falsch sein, je nachdem die 
Tatsache, auf die er sich bezieht, vorhanden ist oder nicht i). Dagegen 
ist das ^Vorhandensein" des Aussageinhalts selbst von seiner Wahr- 
heit oder Falschheit ganz unabhangig. In dem Sinne, in dem Tat- 
sachen vorhanden sind, ist der Sinn eines Satzes uberhaupt nicht vor- 
handen. In jenem Sinn dagegen, in welchem der Sinn eines wahren 
Satzes „ vorhanden** ist — etwa als Inhalt eines subjektiven Ge- 
dankens — , ist der Sinn eines falschen Satzes auch vorhanden: der 
Inhalt des Satzes „Dieser Vogel fliegt" ist in gleicher Weise, ob nun 
„dieser Vogel" wirklich fliege oder nicht 
,.Dieser Affekt ist heftig*') oder auch weder auf Physisches noch auf Psychisches 
(z. B. „Dieser Satz enuialt einen Widerspruch"). Allein in all diesen rallen ist 
doch der nicht-physische Charakter der Aussagemindlage etwas Zufallifi[es, das 
nur durch den oesonderen Inhalt der einzelnen Aussage bedingt ist. Dem Aussage- 
inhalt dagegen ist es — ganz ohne Rucksicht auf den besonderen Inhalt der ein- 
zelnen Aussage — wesentlich, nicht physisch zu sein. Der Oegensatz, um 
dessen Hervomebung es uns hier zu tun ist, wird deshalb durch jene Mannigfaltigkeit 
der Aussageg[rundlagen nicht beruhrt Cenauer scheint es mir freilich, Wahrheit 
und Falschheit nicht von dem Sinn eines Satzes, sondem nur von einem Satze selbst 
zu pradizieren. Doch kommt diese feinere Unterscheidung hier noch nicht in Frage. 
5» 
68 NOOLOGIE 
Betrachten wir nun die Aussagegrundlage, sofem sie durch den 
Aussageinhalt aufgefaBt ist, demnach den in dem Satze „Dieser Vogel 
fliegt'^ ausgesagten Sachverhalt, so sehen wir, daB derselbe sich aber- 
mals sowohl von der Aussag^^ndlage als solcher wie auch vom 
Aussageinhalt unterscheidet Von der Aussagegrundlage als solcher 
unterscheidet er sich dadurch, daB er ebenso wie der Aussageinhalt 
eine eindeutige Gliederung aufweist Der Satz „Dieser Vogel fliegt" 
sagt namlich nicht bloB aus, daB ein Stuck physischer Wirklichkeit 
vorhanden sei, das als Haben einer Eigenschaft oder als Vorgang, 
als Tun oder als Leiden gedacht werden konne usf., sondem er sagt 
aus, daB ein physischer Vorgang stattfinde, an dem ein tatiger 
Gegen stand „Vogel", eine Tatigkeit „Fliegen** und eine durch 
„Dieser" bezeichnete unmittelbare Gegenwartigkeit jenes 
Gegenstandes zu unterscheiden seien. Mit anderen Worten : was jener 
Satz aussagt, ist „das Fliegen eines Vogels'^. Dies ist indes zwar 
gleichfalls ein Stuck physischer Wirklichkeit, jedoch ein solches von 
eindeutiger Gliederung: es ist nicht nur im allgemeinen ein Stuck 
physischer Wirklichkeit, sondem es ist naher ein physischer Vor- 
gang, und ganz speziell eine physische Tatigkeit — dies aber 
sind lauter PrSdikate, die von der Aussagegrundlage als solcher noch 
nicht ausgesagt werden konnten ; denn sonst lieBe sie sich nicht auch 
durch die Aussageinhalte „Dies ist ein Vogel "^ oder „lch sehe ein 
lebendes Wesen'^ auffassen. Anders ausgedruckt: die Aussagegrund- 
lage als solche kann fur die 3 Satze „Dieser Vogel fliegt", ^Dies ist 
ein VogeP und „Ich sehe ein lebendes Wesen" dieselbe sein. Der 
in diesen 3 Satzen ausgesagte Sachverhalt dagegen ist jedesmal ein 
anderer. Denn ausgesagt wird im ersten Satze das Fliegen y, dieses*' 
VogelSf im zweiten das Vogel-Sein von y^Diesem'^ im dritten das Sehen 
eines lebenden Wesens durch y^mich''. Wenn jedoch die Aussagegrund- 
lage dieser Satze identisch sein kann, wahrend der in ihnen ausgesagte 
Sachverhalt nicht identisch ist, so kann der Sachverhalt mit der Aus- 
sag^^ndlage unmdglich zusammenfallen. 
Nicht minder einleuchtend ist es indes, daB der in einem Satze aus- 
gesagte Sachverhalt auch mit dem Inhalte dieses Satzes nicht identisch 
sein kann. Denn das Fliegen „dieses" Vogels bleibt, wenn es auch 
eine eindeutige Gliederung zeigt, deshalb nicht weniger ein physischer 
Vorgang, der Inhalt oder Sinn des Satzes „ Dieser Vogel fliegt" da- 
gegen ist gar nichts Physisches, sondem eine Gmppe logischer Be- 
stimmungen. Das Fliegen yydieses*' Vogels kann femer — ganz wie 
die Aussagegmndlage als solche — vorhanden oder nicht vorhcmden, 
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM GO 
es kann jedoch nie wahr oder falsch sein. Der Sinn des Satzes 
„Dieser Vogel fliegt** dagegen kann wahr oder falsch sein; er ist 
aber, wenn jener Satz falsch ist, nicht weniger „vorhanden" als wenn 
er wahr ist Unterscheidet sich somit der ausgesagte Sachverhalt von 
der Aussagegrundlage als solcher durch seine eindeutige Gliederung, so 
unterscheidet er sich von dem Aussageinhalt dadurch, daB er im Gegen- 
satze zu diesem etwas Physisches ist^), und daB er zwar vorhanden 
oder nicht vorhanden, jedoch niemals wahr oder falsch sein kann. 
Dies alles ist auch ganz wohl begreiflich. Denn die Aussagegrund- 
lage bleibt, auch wenn sie durch den Aussageinhalt aufgefaBt, und 
das heiBt, wenn sie zum Sachverhalt wird und deshalb eine eindeutige 
Oliederung annimmt, doch eine Tatsache, demnach ein Stuck physi- 
scher Wirklichkeit mit alien EigentQmiichkeiten eines solchen. Auch 
der in einer Aussage ausgesagte Sachverhalt ist eben ein Komplex, 
an welchem die Aussagegrundlage gleichsam als Stoff, der Aussage- 
inhalt dagegen als Form teilnimmt; dieser Komplex aber kann ebenso- 
wenig wie der aus Aussageiauten und Aussageinhalt bestehende mit 
seinem stofflichen oder auch mit seinem formellen Elemente zu- 
sammenfallen. Der in einer Aussage ausgesagte Sachverhalt ist also 
wirklich sowohl von der Aussagegrundlage als solcher als auch vom 
Aussageinhalt ebenso verschieden, wie die Aussage selbst von den 
Aussageiauten und auch vom Aussageinhalt verschieden ist. 
5) Wenn die Aussage von den bloBen Aussageiauten, der ausgesagte 
Sachverhalt von der bloBen Aussagegrundlage verschieden ist, so kann 
auch die Beziehung zwischen Aussage und Sachverhalt nicht mit der 
Beziehung zwischen den bloBen Aussageiauten und der bloBen Aus- 
sagegrundlage zusammenfallen. Die letztere nun ist uns als die Re- 
lation der Bezeichnung bekannt. Im Gegensatze zu ihr wollen wir 
die erstere Beziehung die Relation derBedeutung nennen: dieAus- 
sagelaute als solche bezeichnen die Aussagegrundlage als solche; die 
Aussage bedeutet den ausgesagten Sachverhalt. 
DaB die Relation der Bedeutung von der Relation der Bezeichnung 
wirklich verschieden ist, bestatigt sich, sowohl wenn wir das Wesen 
als wenn wir die Funktion beider Relationen ins Auge fassen. Die 
Bezeichnungsbeziehung zwischen den Aussageiauten und der Aus- 
sagegrundlage ist eine rein auBerliche Beziehung, deren Glieder voll- 
kommen heterogen sind: eine Klangfolge und eine durch sie bezeichnete 
Tatsache enthalten keinerlei gemeinsames Element; es ist wirklich Sache 
n Bezw. etwas Psychisches oder auch Logisches, in jjedem Falle aber nur 
zufallig etwas Nichrohysisches, wahrend dieses negative Pradikat dem Aussage- 
inhalt stets notwendig zukommt 
70 NOOLOOIE 
der bloBen Konvention, wenn jene als Zeichen fur diese gebraucht 
wird. Dagegen enthalten die Aussage und der ausgesagte Sachverhalt 
in dem Aussageinhalt ein gemeinsames Element: der Sinn, als dessen 
Ausdruck die Aussageiaute in der sinnvolien Rede fungieren, ist ja 
derselbe Sinn, durch den die Aussagegrundlage in dem ausgesagten 
Sachverhalt aufgefaBt wurde. Derselbe Oedanke, welcher die an sich 
seibst unzahliger Auffassungen fahige Tatsache eines fliegenden Vogeis 
zu dem Sachverhalt „Bewegung dieses Lebewesens** gliedert, macht 
auch die an sich seibst zum Ausdruck unzahliger Gedanken geeignete 
Klangfolge Dieses Lebewesen bewegt sich zu dem Satz der deutschen 
Sprache „Dieses Lebewesen bewegt sich". Die Bedeutungsbeziehung 
zwischen Aussage und ausgesagtem Sachverhalt ist also eine Be- 
ziehung zwischen zwei teilweise koinzidierenden Oliedern und des- 
halb keine auBerlich-konventionelle, sondern eine innerlich-begriindete 
Beziehung. 
Die Relation der Bedeutung hat jedoch auch eine ganz andere 
Funktion als die Relation der Bezeichnung. Grundfunktion der Aus- 
sage ist die Mitteilung. Wahrend nun aber die Aussageiaute nichts 
anderes zu leisten vermogen, als daB sie aus ihrem eigenen Vorhanden- 
sein auf das Vorhandensein der Aussagegrundlage schlieBen lassen, 
vermag die Aussage zugleich auch eine bestimmte Auffassung der 
Aussagegrundlage zu vermitteln, und der Aussagende kann infolge- 
dessen durch geeignete Wahl der Aussage dem Zuhorer das Vor- 
handensein der Aussagegrundlage gleich in einer solchen Auffassung 
mitteilen, welche ihm ein zweckmaBiges Verhalten ermoglicht Es er- 
blicke z. B. einer von zwei im Walde gehenden M3nnem eine Schlange. 
Als Zeichen fur diese Tatsache sind die Klangfolgen Da ist eine 
Schlangey Das ist ein Korper, Ich sehe einen Qegenstand in gleicher 
Weise verwendbar. K5nnte demnach ein Aussagender nichts anderes 
tun als eine Aussagegrundlage durch Aussageiaute bezeichnen^ so ware 
es vollkommen gleichgultig, welche jener drei Klangfolgen er erzeugte. 
In Wahrheit wird er naturlich stets die erste, und nie die beiden 
letzten Klangfolgen produzieren. Denn nur jene setzt den Ange- 
redeten in den Stand, sich vorzusehen, auszuweichen usf., kurz sich 
zweckmaBig zu verhalten. Allein dies setzt eben voraus, daB die Aus- 
sage nicht nur Tatsachen bezeichnen, sondern auch Sachverhalte be- 
deuten kdnne. Wahrend namlich die angefuhrten drei Klangfolgen 
gleichmaBig dieselbe Tatsache bezeichnen, bedeutet jede einen anderen 
Sachverhalt; und wahrend die Sachverhalte „K6rper-Sein von diesem** 
und „Sehen eines Oegenstandes durch mich** dem Angeredeten gar 
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 71 
kein eindeutiges Verhalten ermoglichen, leistet dies der Sachverhalt 
„Da-Sem einer Schlange" in sehr vollkommener Weise. Die Funktion 
der Aussagelaute, welche dem Angeredeten einen Sachverhalt, d. h. 
eine Tatsache in bestimmter Auffassung, vermittelt, ist indes offenbar 
eine ganz andere Funktion als jene, die ihn bloB auf das Vorhanden- 
sein einer, beliebiger Auffassungen fahigen Tatsache hinweist. 
Nach alledem laBt sich nicht bestreiten, daB die Relation zwischen 
Aussage und Sachverhalt eine andere ist ais die zwischen Aussage- 
lauten und Aussagegrundlage. Es fragt sich daher nur noch, ob es 
dem Sprachgebrauche entspricht, wenn wir jene erstere Relation als 
die der Bedeutung bezeichnen. Und diese Frage glauben wir bejahen 
zu durfen. In jener Bezeichnungsweise liegt ein doppeltes : daB das- 
jenige, was Bedeutung hat, die Aussage, und daB dasjenige, was 
diese Aussage bedeutet, der ausgesagte Sachverhalt sei. Beide Be- 
stimmungen aber scheinen uns dem Sprachgebrauche zu entsprechen. 
Diesem zufolge namlich ist es gewiB nicht der bloBe Wortklang als 
solcher, der Bedeutung »hat", da man von demjenigen, der einer Sprache 
nicht kundig ist, allgemein sagt, daB er die Bedeutung ihrer Worte 
nicht verstehe; und auch nicht der bloBe Sinn jenes Wortklangs, da 
niemand von einem Gedanken, der uberhaupt noch keine sprachliche 
Form angenommen hat, sagen wird, er „bedeute" etwas. Dasjenige, 
was Bedeutung ^hat", sind vielmehr die Worte und Satze einer be- 
stimmten Sprache, d. h. die Aussagelaute, als Ausdruck eines Aussage- 
inhalts betrachtet, kurz, es ist die sinnvolle Rede — die Aussage selbst. 
Andererseits ist dasjenige, ^was"" die Aussage bedeutet, gewiB nicht 
die bloBe, durch keinen bestimmten Aussageinhalt aufgefaBte Aus- 
sag^^ndiage — so daB in die Bedeutung einer Aussage gar keine 
Auffassung der von ihr ausgesagten Tatsache eingeschlossen ware. 
Denn auch wenn die Satze „Dieser Vogel f liegt" und „ Dieses Tier 
bew^ sich" sich auf dieselbe Tatsache beziehen, sagt doch niemand, 
sie „bedeuteten" dasselbe. Und doch kann dasjenige, was eine Aus- 
sage bedeutet, auch nicht der bloBe Aussageinhalt sein. Denn der 
Satz „Dieser Vogel fliegt" bedeutet offenbar nicht eine bloBe Gruppe 
logischer Bestimmungen , sondem den physischen Vorgang: das 
„Fliegen dieses Vogels". Das, was die Aussage bedeutet, kann daher 
nur die durch einen bestimmten Aussageinhalt aufgefaBte Aussage- 
grundlage sein — d. h. der ausgesagte Sachverhalt. Wir befinden uns 
demnach mit dem Sprachgebrauche in Einklang, wenn wir die Be- 
deutung als die Beziehung erklaren, die zwischen der Aussage und 
dem ausgesagten Sachverhalt besteht. 
72 NOOLOGIE 
6) Schon friiher (§ 45. 4) ist erwahnt worden, daB das Bedeutungs- 
problem geschichtlich meist auf das Universalienproblem eingeschrankt 
worden ist. Auch der Aussage hat man deshalb in der Regel den 
Begriff substituiert. Wollen wir daher nunmehr an die uberlieferte 
Fragestellung ankniipfen, so gilt es vorerst zu untersuchen, welche 
Gestait denn die Elemente der Aussage in dem speziellen Falle des 
Begriffes annehmen. Doch fassen wir zu diesem Behufe aus mehreren 
Oriinden hier nur die Gegenstandsbegriffe ins Auge. Einmal weil 
bei diesen die Verhaltnisse besonders klar liegen, Sodann weil offen- 
bar alle Begriffe eine Tendenz haben, sich in Gegenstandsbegriffe zu 
verwandeln ; denn wenn z. B. auch reine Eigenschafts- und Zustands- 
begriffe wie „Rot** und ^Fallen" denkbar sind, so neigen wir doch 
Alle dazu, vielmehr von Begriff en der „R6te" und des „FaIles" (oder 
auch „des Fallens") zu sprechen, durch welche Eigenschaft und Vor- 
gang selbst als Gegenstande aufgefaBt werden, wie denn auch ihr 
sprachlicher Ausdruck ein Hauptwort ist. Endlich ware es an dieser 
Stelle noch kaum mdglich, eine auch andere als Gegenstandsbegriffe 
umfassende Definition der Begriffe zu geben. Dagegen laBt sich der 
Gegenstandsbegriff — wenn wir nur mit der provisorischen, in § 10. 4 
gegebenen Erklarung des „Gegenstandes** uns begnugen^) — sehr 
einfach definieren als eine Aussage, deren Aussagegrundlage durch 
den Aussageinhalt als Gegenstand aufgefaBt wird. DaB dies namlich 
fQr alle Gegenstandsbegriffe zutrifft, ist selbstverstandlich. Allein es 
1) In neuester Zeit gebrauchen besonders Meinono und seine Schiiler das Wort 
Gegenstand in einem viel allgemeineren Sinne, als er hier vorausgesetzt wird (vgl. 
oben § 43. 6). So definiert denn auch Mally (Orazer Unterss. S. 126): „AlIes. 
was etwas ist, heiBt ein Gegenstand", und damit kein Zweifel moglich sei. bemerkt 
er (Ibid. S. 130), in dem Satze „Der Himmel ist blau" sei Blau der .,bestimniende 
Gegenstand". Sachhch gleichsinnig, wenn auch etwas weniger schroft in der Form, 
scheinen auch die Erklarungen von Ameseder zu sein, jedes von einem psvchischen 
Eriebnis ErfaBte sei ein Gegenstand (Ibid. S. 54), oder auch alles, wovon etwas aus- 
gesagt werden konne (j^was einem Objektive zugeordnet ist", S. 57). DaB es nun 
spracnwidrigr ist, eine Eigenschaft wie Blau, oder auch einen Zustand, eine Ver- 
anderung, erne Beziehung als Gegenstand zu bezeichnen, unterliegt wohl keinem 
Zweifel. Denn nach allgemeinem Sprachgebrauche sind cigenschanen etwas, was 
Gegenstande haben^ zustande etwas, worin sich Gegenstande befinden, Be- 
ziehungen etwas. worm Gegenstande stehen. Dennoch wurde ich allfalligen MiB- 
verstandnissen aurch terminologisches Ent^egenkommen geme vorbeugen, wenn 
nur ftir das, was ich GegenstaruL nenne, namlich ftir den emheitlichen und beharr- 
lichen Komplex, dem — wie sich zeigen wird — eben deshalb auch ein ^^selb- 
standiges Sein" zukommt, ein anderer^ passender Name zur Verfugung stunde. 
Allein Subjekt oder Ding waren noch viel bedenklicheren Mifiverstandnissen ausge- 
setzt: sie wtirden eine eindeutige Beziehung zu psychischer oder physischer Seins- 
weise zu involvieren scheinen, wahrend vonkommene Indifferenz geeen die onto- 
logische Modalitat dem fraglichen Begriffe durchaus wesentlich ist cs bleibt mir 
also nur ubrig, bei dem naturlichsten Ausdruck stehen zu bleiben und die Ausdriicke 
Gegenstand und Objekt in dem hier definierten, engeren Sinne auch weiterhin zu 
gebrauchen. 
ORIENTIERUNG OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 73 
leuchtet auch ein, daB es fur alle anderen Aussagen nicht zutrifft 
Denn wenn sich freilich auch ein Satz auf einen oder mehrere Oegen- 
stande bezieht (z. B. der Satz „Der Hund ist ein Raubtier** sowohl 
auf „Hund" als auf „Raubtier"), so besteht doch der in jenem Satze 
ausgesagte Sachverhalt nicht in ihnen, sondern faBt sie in einer be- 
stimmten Weise zusammen (z. B. zu dem Sachverhahe „das Raub- 
tier-Sein des Hundes"), und dieser Sachverhalt ist sicherlich kein 
„Gegenstand" in unserem Sinne. Ebenso in unserem friiheren Bei- 
spiel. Dieselbe Tatsache, welche dem Satze zu Orunde lag „ Dieser 
Vogel fliegf", kann auch als Oegenstand aufgefaBt werden, und fundiert 
erst dann den Begriff „ein fliegender Vogel". An diesem Begriffe 
wollen wir nun die Elemente der Aussage nachweisen. 
Die Aussagegrundlage der Begriffe kann sich von der aller anderen 
Aussagen nicht unterscheiden. Denn der Aussagegrundlage als solcher 
ist es ja ganz unwesentlich, ob sie als Oegenstand, als Vorgang oder 
sonstwie aufgefaBt wird. Dieselbe Tatsache kann durch verschiedene 
Auffassung zu dem Sachverhalt „ Dieser Vogel fliegt", und auch zu 
dem anderen „Ein fliegender Vogel" werden. Aussagegrundlagen der 
Begriffe sind daher Tatsachen von ganz derselben Art, wie sie auch 
andere Aussagen fundieren. Dagegen zeigt die durch den Aussagein- 
halt aufgefaBte Aussagegrundlage hier eine ausgesprochene Besonder- 
heit Wir sahen ja eben: durch den Inhalt eines Begriffes wird die 
Aussagegrundlage als Oegenstand aufgefaBt Nun widerspricht es 
dem Sprachgebrauch, einen Oegenstand als einen „Sach verb alt" zu 
bezeichnen; es scheint vielmehr angemessener, ihn geradezu eine 
Sache zu nennen^). Die Oesamtheit d\\&[ Sachen^ die ein Begriff be- 
deutet, nennt die Logik den Umfang dieses Begriffes. Dagegen be- 
zeichnet sie als seinen Inhalt den Aussageinhalt des Begriffes, d. i. 
jene Oruppe logischer Bestimmungen, durch die aufgefaBt die Aus- 
sagegrundlage zu einem Oegenstande des Begriffes, somit zu einer 
von ihm „bedeuteten" Sache wird. Bezieht man jedoch diesen Be- 
griffsinhalt, d. i. diese Oruppe logischer Bestimmungen, nicht auf den 
Begriff selbst, sondern vielmehr auf seine Oegenstande, die seinen 
Umfang konstituierenden Sachen, dann kdnnen wir ihn — in freiem 
AnschluB an einen alten metaphysischen Sprachgebrauch — das be- 
griffliche Wesen oder die Essenz dieser Oegenstande oder 
Sachen nennen: dieselbe Oruppe logischer Bestimmungen, die den 
^) Dasjenige, was Aussagen „bedeuten", sind daher entweder Sachen oder Sadi- 
vernalte. Um jedoch die schleppende Fugung .,Sachen oder Sachverhalte" zu ver- 
meiden, werden wir im folgenden den Ausdrudc Sachverhalt auch in dem weiteren 
Sinne von „Sachen oder Sachverhalten" gebrauchen. 
74 NOOLOGIE 
Inhalt des Begriffes „ein fliegender VogeP darstellt, bildet auch das 
begriffliche Wesen oder die Essenz aller wirklichen und fgedachten 
fliegenden Vogel. Wie alle anderen Aussageinhalte bedarf ferner auch 
der Begriffsinhalt zu seinem Ausdruck einer sprachlichen Form, somit 
einer Gruppe von Aussagelauten, und diese pflegt man den Nam en 
der von ihm bezeichneten Sachen zu nennen. Die Aussage endlich, 
welche entsteht, wenn der Name als Ausdruck des Begriffsinhaltes 
fungiert, ist der Begriff selbst i). Zusammenfassend kann man also 
sagen: in dem besonderen Falle, in dem die Aussagegrundlage als 
Oegenstand aufgefaBt wird, heiBt ein solcher Oegenstand eine Sache, 
die Aussage heiBt der Begriff, die Aussagelaute heiBen der Name, 
und der Aussageinhalt heiBt die Essenz dieser Sache. 
7) Noch wichtiger indes ist uns hier die Einsicht, daB der Begriff 
wirklich nur eine Art der Aussage darstellt Um hieruber keinen 
Zweifel zu lassen, ist unsere Darsteliung nicht vom Begriffe, sondern 
von einer anderen Art der Aussage, namiich vom Satze, ausgegangen. 
Im ailgemeinen sind uns daher die Elemente der Satzaussage schon 
bekannt. Nur Eine] terminologische Bemerkung sei hier nachgetragen, 
die sich auf den Aussageinhalt speziell der Satzaussagen bezieht Fiir 
diesen namiich fehlt es uns bisher an einem besonderen Namen. Das 
Stuck Wirklichkeit z. B^ das der Aussage „ Dieser Vogel fliegt" zu 
Grunde liegt, nannten wir eine Tat sache. Diese Tatsache, aufgefaBt 
als einen physischen Vorgang, somit das „Fliegen dieses Vogels", be- 
zeichneten wir als einen Sachverhalt. Wie soil jedoch der Ge- 
danke heiBen, der hier die Tatsache in solcher Weise auffaBt, die 
Gruppe logischer Bestimmungen, welche die Essenz aller Sachverhalte 
„Fliegen dieses Vogels** ausmacht, kurz der Sinn des Satzes „Dieser 
Vogel fliegt**? Fur derartige „SatzinhaIte" mSchte ich den Ausdruck 
1) Es lafit sich allerdings nicht verkennen. dafi der Sprachgebrauch eine gewisse 
Neigune zeigt, unter einem Begriffe nicht aie Aussas^e selbst, sondem nur ihren 
Sinn Oder logischen Oehalt, kurz den Aussageinhalt, zu verstehen. Wollte man 
indes dieser Tendenz nachgebeiu so muBte man sich tiber drei sehr g^ewichtige 
Schwierigkeiten hinwegsetzen. zunachst ware dann nicht abzusehen, wodurch sich 
der B^ff von dem BegriffsinhaU unterscheiden soUte. Sodann wuixle es an einer 
besonderen Bezeichnun^ fur die Aussage fehlen, die entsteht, wenn der Name — 
der doch wohl an und tur sich ein bloBes Zeichen ist — als Ausdruck eines Aus- 
sa^einhalts fungiert Endlich mufite man darauf verzichten, die Reihe : Begriff, Sat^ 
Scnlufi {§^, jigSraatgf aviioyiafwg) als eine homogene zu betrachten : denn Satze una 
Schlusse sind doch zweifellos nicht blofie Aussageinhalte, sondem vollstandige 
Aussagen. Wir ziehen es daher vor, den zweiaeutigen Sprachgebrauch in cler 
Richtung zu prazisieren, daB wir unter Begriff den aus dem BegrifBinhalt und dem 
ihn ausdriickenden Namen bestehenden Romplex verstehen. haben aber naturlich 
nichts daeegen, wenn Andere unter Begriff aasjenige verstehen wollen, was wir 
Begnffsiruuut nennen zu soUen glauben. Was wir einen B^ff nennen, muBte 
ihnen dann ein Name heifien. 
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 75 
Tatbestand verwenden i). Unter einem Tatbestand verstehe ich 
demnach einen gegliederten Komplex von Begriffsinhalten , unter 
einer Tatsadie ein ungegliedertes Stuck Wirklichkeit, unter einem Sach- 
verhalt ein mit der „Tatsache'' zusammenfallendes Stuck Wirklichkeit, 
welches jedoch eine der Gliederung des „Tatbestandes** entsprechende 
Gliederung aufweist. 
Doch nicht nur Begriffe und Satze, auch Anreden, Befehle, 
Wiinsche, Ausrufungen, Annahmen und Fragen, ja auch 
Folgerungen, Schlusse und Beweise sind Aussagen2). Denn 
auch in alien diesen Fallen liegen Klangfolgen vor, die einen Sinn 
ausdrucken — somit Aussagelaute; ein Sinn, der von ihnen ausge- 
druckt wird — demnach ein Aussageinhalt; und eine Tatsache, die 
1) Ameseder hat kurzlich den Vorschlafi^ gemacht (Orazer Unterss. S. 66), das 
Wort Tatsache in einem Sinne zu gebraucnen^ in dem es entweder den Sachver- 
halt Oder den Tatbestand bezeichnen wurde. tr geht von der richtigen Bemerkung 
aus, es sei nicht ganz angemessen, ein Objekt, etwa ,,Oold'S eine Tatsache zu 
nennen. Dies habe ich denn auch nicht getan, denn die schon als Objekt, etwa 
als „Oold", aufgefafite Aussagegrundlage nannten wir nicht Tatsache^ sonaem Sache, 
Nur die Aussagegrundlage an sich selbst, die ebensowohl durch den Tatbestand 
„Dies ist Oold^ wie durch den Begriffsinhalt „Oold'* aufg[efa6t werden kann, be- 
zeichneten wir als Tatsache, Ameseder dagegen mochte im Oeeensatze zum Ob- 
jekt vielmehr das „Obiektiv" Tatsache nennen, z. B. „daB Gold gelb ist**; denn 
dies, meint er. sei docn zweifellos „eine Tatsache". Freilich mufi er selbst alsbald 
hinzufugen, „aa6 Gold farblos ist, ist nicht Tatsache", und er bezeichnet deshalb 
die „Objektive" falscher Satze als „Nichttatsachen", wahrend die „Objektive" wahrer 
Satze fur ihn „Tatsachen** bleiben. Hieraus geht indes jedenfalls so viel hervor, 
daB sich der Tatbestand nicht als „Tatsache" bezeichnen laBt; denn fur den Sinn 
eines Satzes ist es doch vollig belanglos, und dem Looker ist es auch sehr haufig 
gar nicht bekannt, ob dieser Satz wahr oder falsch ist Aehnlich steht es aber 
auch mit dem Sachverhalt. Das ,.Farblossein des Goldes" ist zwar ein nicht wirk- 
iich vorhandener, das „Gelbsein des Goldes" ein wirklich vorhandener Sachverhalt, 
allein beides sind in ^anz gleicher Weise „Sachverhalte" , deren Vorhandensein 
Oder Nichtvorhandensem den Semasiologen nicht kummert, wahrend Ameseder 
jenes eine „Nichttatsache", dieses eine „Tatsache" nennen mufite. Die Semasiologie 
wurde aber aufgehoben, wenn sie nicht von dem Sinn eines Satzes, oder von dem 
in ihm ausfi[esagten Sachverhalt, reden konnte, ohne damit eine Behauptung iiber 
seine Wahrheit oder Falschheit zu verbinden. Der Gebrauch des Namens Tatsache 
als Bezeichnung der Aussagegrundlage scheint demnach den Aufgaben dieser 
Wissenschaft weit besser zu entsprechen. 
2) Eine allgemeine Uebersicht fiber die Arten der Aussage, sowie eine nahere 
Ausfuhrung und Begrundung der im Texte angedeuteten Einteilung derselben wird 
— obwojil es sich dabei eigentlich um eine semasiologische Au^abe handelt — 
aus Grunden der Darstellunjg; erst in der Aletholoc^e gegeben werden. Hier mag 
das schematische Gerippe emer solchen Uebersicht Platz finden. 
Die Aussagen zertallen in vollstandige und unvollstandiee. Unvoll- 
standige Aussagen sind die sogenannten synlcategorematischen Redeteile. 
Die vollstandigen Aussac^en zerfallen in selbstandige und unselbstandige. 
Unselbstandi^e sind die Be griff e. Die selbstandigen Aussagen lassen sich ein- 
teilen inpradikationslose Aussagen, Pradikationen und Pradikations- 
reihen. Zu den pradikationslosen Aussagen gehoren die An red en oder An- 
rufunjgen. Die Pradikationen zerfallen in Befenle, Wunsche, Ausrufungen. 
Annahmen, Fragen und Satze. Zu den Pradikationsreihen, und zwar speziell 
zu den Satzreihen, gehoren die Folgerungen^ Schlusse und Beweise. 
Das Wesentliche dieser Einteilung ist der stoischen Logik entlehnt 
76 NOOLOGIE 
durch diesen Sinn aufgefaBt wird und auf die sich deshalb die Aus- 
sage bezieht, von der in ihr „die Rede ist" — also eine Aussagegrund- 
lagei). Das letztere konnte man bezweifein wollen. Allein wenn ich 
frage, ob ein eben sichtbarer Vogel ein Adler sei, oder beweisen will, 
daB er es sei, so beziehen sich doch unleugbar auch diese beiden 
Aussagen auf jenes Stiick Wirklichkeit, das wir als „diesen Vogel" 
bezeichnen. Freilich laBt sich nicht verkennen, daB in dem MaBe, als 
die Aussagen inhaltsreicher und komplizierter werden, die Aussage- 
grundlage fur sie eine relativ immer schmaler werdende Basis abgibt 
Durchlaufen wir z. B. im Geiste die Reihe: Begriff, Satz2), Beweis, 
so wird der Zusammenhang der Aussage mit der Aussagegrundlage 
immer lockerer und iockerer, indem innerhalb des Aussageinhalts die 
Momente der „TatsachIichkeit" und „Oegebenheit" neben denen der 
„Auffassung" und „Gliederung" in steigendem MaBe zurucktreten. 
Doch diesen Unterschied, der so zum ersten Male sich uns aufdrangt, 
werden wir erst spater naher ins Auge fassen k5nnen. Hier war es 
uns bloB um jene Ziige zu tun, die samtlichen Aussagen gemeinsam 
sind, und insbesondere um den Nachweis, daB an ihnen alien dieselben 
Elemente sich unterscheiden lassen. 
8) Wollen wir das Ergebnis unserer bisherigen Untersuchungen 
zusammenfassen, so miissen wir sagen: an jeder voUstandigen Aus- 
sage kdnnen wir 3 primare und 2 sekundare Elemente unterscheiden. 
Die primaren Elemente sind: die Aussagelaute, d. i. die Klangfolge, 
welche die sprachliche Form der Aussage darstellt, der Aussageinhalt, 
d. i. der logische Gehalt, der ihren Sinn ausmacht, und die Aussage- 
grundlage, d. i. jene Tatsache, auf die sich die Aussage bezieht. Die 
1) Doch soil hiermit nicht gesagt sein, dafi zu der Grundlage einer Aussage alle 
jene Qegenstande c^ehoren, auf die sich die in der Aussage vorkommenden 
Begrifte beziehen. Sage ich z. B. ^^Dieser Vogel ist kein Adler** oder frage ich 
„Ist dieser Vogel ein Adler?**, so gehort kein Adler zu den Gmndlagen dieser Aus- 
sagen. Vielmehr ist nur das durcn „dieser Vogel** Bezeichnete jene Tatsache, auf 
die sich die angefiihrten Aussagen beziehen. Das „Kein-Adler-Sein**, bezw. das 
„Ein-Adler-Sein?* „dieses Vogels** dagegen ist g[erade so eine Auffassung der ge- 
gebenen Tatsache — ein Saaiverhalt — wie beim positiven Satze „Dieser Vogel 
Ist ein Adler** das ,,Ein-Adler-Sein**. Speziell beim negativen Satze „A ist nicht B** 
gehort daher die durch B bezeichnete Tatsache nie zur Aussagegrundlage. Viel- 
mehr ist Aussagegrundlage dieses Satzes jede Tatsache, die durch den Tatbestand 
„A ist nicht B** aufgefafit werden kann, a. h. jedes A, das nicht B ist Anderer- 
seits ist aber die ,.Tatsachlichkeit** der Aussagegrundlage wieder nicht so aufzufassen, 
als ob nur wirkliche Tatsachen als Aussagegrundlagen fungieren konnten. Denn 
bei alien falschen Satzen z. B. wird die Aussagegrundlage durch eine blofi ge- 
dachte Tatsache dargestellt Bei dem Satze etwa „Luther endete durch Selbst- 
mord** wird die Aussagegrundlage gebildet durch ein gedachtes Ereignis. das sich 
durch den Tatbestand „Luther endete durch Selbstmord** auffassen lafit. ^) Und 
zwar stehen die affirmativen Satze in dieser Reihe vor den negativen. Denn die 
Aussage „Dies ist Qold** halt sich enger an die gegebenen Tatsachen als die 
andere Aussage „Dies ist nicht Silber**. 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 
77 
sekundaren Elemente sind : die Aussage selbst, d. i. das aus den Aus- 
sagelauten und dem Aussageinhalt bestehende Oanze, und der aus- 
gesagte Sachverhalt, d. L der aus der Aussagegrundlage und dem 
Aussageinhalt bestehende Komplex. Diesen 3 primaren und 2 sekun- 
daren Aussageelementen entsprechen aber nun auch 3 primare und 
1 sekundslre Aussage -Relation. Die 3 primaren Relationen sind: 
der Ausdruck, d. i. das Verhaltnis der Aussagelaute zum Aussage- 
inhalt; die Auffassung, d. i. das Verhaltnis des Aussageinhalts zur 
Aussagegrundlage; und die Bezeichnung, d. i. das Verhaltnis der Aus- 
sagelaute zur Aussagegrundlage. Die 1 sekundare Relation endlich 
ist die Bedeutung, d. i. das Verhaltnis der Aussage zum ausgesagten 
Sachverhalt. Ein graphisches Schema mag diese Analyse hier noch 
einmal anschaulich verdeutlichen. 
Aussageinhalt 
Aussagelaute 
Aussagegnindlage 
Wenn das, wie uns scheint, sachlich notwendige Ergebnis dieser 
Analyse den Eindruck des Komplizierten und Subtilen hervorbringen 
mag, so liegt der Orund hierfur vor allem darin, daB wir alle 5 Elemente 
der Aussage nur durch ein und dieselbe sprachliche Form wieder- 
geben konnen — namlich durch die Aussagelaute. Die Eine Klang- 
folge Dieser Vogel fliegt muB uns diese Klangfolge selbst, den von 
ihr ausgedriickten Sinn, die von ihr bezeichnete Tatsache, und weiter 
auch den Satz, dessen sprachliche Form sie darstellt, sowie den in 
diesem Satze ausgesagten Sachverhalt reprSsentieren. Einen solchen 
Qebrauch Eines Lautkomplexes fQr mehrere, unterschiedene Sachen 
nannten die Scholastiker die mehrfache Supposition jenes Laut- 
78 NOOLOGIE 
komplexes. Wollen wir uns diese Redeweise aneignen, so kdnnen 
wir deshalb das vorlaufige Ergebnis unserer Untersuchung auch in 
folgender Weise formulieren. 
Jede einer voUstandigen Aussage entsprechende Klangfolge hat eine 
fiinffache Supposition. Sie bezeichnet: A. die Aussagelaute, B. den 
Aussageinhalt, C die Aussagegnindlage, D. die Aussage selbst, und 
E. den ausgesagten Sachverhalt. Die Klangfolge Dieser Vogel fUegt 
z. B. bezeichnet: A. sich selbst, somit die bloBe Klangfolge „ Dieser 
Vogel fliegt", ohne Riicksicht auf einen Sinn; B. den Tatbestand 
„ Dieser Vogel fliegt", demnach den Sinn, zu dessen Ausdruck jene 
Klangfolge nomialerweise bestimmt ist, den logischen Oehalt des Oe- 
dankens, der von Allen gedacht wind, die jene Klangfolge mit Ver- 
standnis aussprechen oder horen; C die Tatsache ,, Dieser Vogel 
fliegt^ d. h. jedes Stuck Wirklichkeit, das durch den Oedanken „ Dieser 
Vogel fliegt" aufgefaBt und durch die Klangfolge „ Dieser Vogel fliegt" 
bezeichnet werden kann; D. den deutschen Satz ,, Dieser Vogel fliegt", 
als ein Stuck sinnvoller Rede, in welcher die Klangfolge „ Dieser Vogel 
fliegt" einen entsprechenden Oedanken ausdruckt; E. den Sachverhalt 
„ Dieser Vogel fliegt", d. h. jedes Stuck Wirklichkeit, das durch den 
Oedanken „Dieser Vogel fliegft" bereits aufgefaBt wurde, und das nun 
als der physische Vorgang „Fliegen dieses Vogels" gedacht wird und 
daher dasjenige ist, was der Satz „ Dieser Vogel fliegt" eigentlich be- 
deutet. Oder um es nochmals ganz kurz zu sagen, die Klangfolge 
Dieser Vogel fliegt steht: A, fiir einen bloBen Schall; B. fur den logischen 
Inhalt eines Oedankens; C. fiir ein Stuck Wirklichkeit, das als physischer 
Vorgang, jedoch ebensowohl auch als Oegenstand oder Eigenschaft 
aufgefaBt werden kann ; D. fur einen Satz der deutschen Sprache ; und 
E. fur einen physischen Vorgang. 
Sich daran zu gewohnen, diese 5 moglichen Oebrauchsweisen 
sprachlicher Ausdrucke und die ihnen korrespondierenden 5 Elemente 
der Aussagen auseinanderzuhalten, mag einige Muhe kosten. Allein 
ich wage zu sagen, daB niemand, der sich hieran nicht gewohnt hat, 
imstande ist, die Probleme der Semasiologie sachgemaB zu formulieren 
— geschweige denn, sie sachgemaB aufzulosen. 
9) Es li^ nicht in meiner Absicht, an dieser Stelle einen voUstandigen 
Ueberblick fiber die Lehren zu geben, die im Verlaufe der Philosophiege- 
schichte in Bezug auf die verschiedenen Aussageelemente entwickelt worden 
sind: die ausgesprochen realistischen, nominalistischen und rationalistischen 
Doktrinen werden uns erst im nachsten Kapitel beschaftigen. Ich beschranke 
mich vielmehr darauf, hier jene Ansichten hervorzuheben, welche den Aus- 
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 79 
sageinhalt — um den es uns in erster Linie zu tun ist — von den iibrigen 
Elementen scharf unterscheiden, und erwahne von den anderen nur die- 
jenigen, die mit jenen ersteren durch ein Band historischer oder sachlicher 
Gegensatzlichkeit besonders enge verknupft sind. 
An die Spitze stelle ich eine AeuBerung Platons. „ln Bezug auf jeg- 
liches^, sagt er einmal % „ist dreierlei zu unterscheiden : der Gegenstand 
(o^oia), der Begriff (Xd^oc) und der Name (Svojia)." Damit sind die drei 
primaren Aussageelemente mit vorbildlicher Klarheit g^eneinander isoliert 
Keineswegs in demselben MaBe gilt dies von jener anderen trichotomischen 
Einteilung, mit der Aristoteles seine Schrift „Ueber den Ausdruck** er- 
offnet „Das Sprachliche**, sagt er2), „ist ein Zeichen fur seelische Zustande, 
und das Geschriebene fur das Sprachliche. Wie nun das Alphabet, so ist 
auch die Sprache nicht uberall dieselbe. Die seelischen Zustande dagegen, 
deren unmittelbare Zeichen die Sprachlaute sind, sind uberall identisch, und 
ebenso auch die Sachen, welche von jenen Zustanden abgebildet werden*^ 
(TEoTt (liv oov ta Iv rj (pwyg twv iv rg ^^xii ^a^T'ilJ-^^twv a&|ipoXa, xal ta 
Ypay6|JL6va twv iv rjj ^a)>rg. Kat coc^sp 008^ Ypdt(i(iaTor iraot ta ahzd, ohSk 
^(oval al a»jTai* &v [livroi taota a7][jL6ta irpcotox;, taita naai :raOTj[iaTa Tfjc 
fpo/f^C, xal «v zabza 6{jL0t(i)|iaTa, wpdtYjjLata ^8t) taota). Hier erscheint somit 
als drittes Aussageelement neben Aussagelauten und Aussag^^ndlage der 
„seelische Zustand^' — oder, wie wir kurz sagen durfen, der „Gedanke** im 
subjektiven Sinn. Dies ist ja nun gewiB nicht unrichtig, sofem ohne Zweifel 
auch der Aussageinhalt in subjektiven Denkakten, also in ,,seelischen Zu- 
standen^ erfaBt wird. Allein indem Aristoteles dieses subjektive Element 
unbefangen neben 2 objektive Elemente stellt, demnach die Aussage aus 
objektiven und subjektiven Elementen aufbaut, streut er doch den Keim 
aus, aus dem der sakulare Streit zwischen Logik und Psychologie um das 
Gebiet der Erkenntnis, und damit alle semasiologischen Probleme hervor- 
wachsen sollten. Und da er es unterlaBt, anzugeben, was fur „seelische 
Zustande^ denn den Aussageinhalt erfassen, mithin die spezifisch logischen 
BewuBtseinsfunktionen gegen die alogischen abzugrenzen, so ist seine Dar- 
stellung auch nicht geeignet, fur die Aufl5sung jener Probleme auf psycho- 
logischem Wege einen Ausgangspunkt darzubieten. 
Diesen Bedenken hat sich die Stoa entzogen, indem sie, wie Ammonius 
treffend sagt 3), „als ein Mittleres zwischen dem Gedanken und der Sache'' 
(|iioov TOO Ts vo>](i.aToc xal to6 wpdi7(i.aToc) noch das Xextdv (wortlich: das 
Gesagte) anerkannt hatte, wahrend Aristoteles auBer dem sprachlichen 
Ausdruck, dem Gedanken und der Sache, kein weiteres Element angenommen 
habe. In der Tat entspricht dieses Xextdv, seinen wesentlichsten Bestim- 
mungen nach, unserem „Aussageinhalt*S und uberhaupt haben wir die Unter- 
scheidung der 3 primaren Aussage-Elemente in Anlehnung an die stoische 
») Legg. X, p. 895 D. ^ De interpr. 1, p. 16a 3. 3) Chrysipp, Frg. 168 
(Arnim TI)- 
80 NOOLOGIE 
Lehre konzipieit Die Eigenart des Xexrov nun erhellt weniger deutlich aus 
seiner technischen Definition als aus seiner Stellung zu den anderen Aus- 
sage-Elementen sowie aus einigen weiteren, von ihm ausgesagten Eigentum- 
lichkeiten. Definieren namlich durfen wir das X6xt<5v durch Kombination 
zweier fiberlieferter Begriffsbestimmungen ^) (Asxt6v 8^ owAp/eiv t6 xata 
XoYiXT)V ^avtaoiav o^iotdii^vov Xoyixtjv Sk sivat yavtooiav xaO-' 7]v zb 
favraa^v laxt X6^(^ Tcapaarf^aai) wohl im Sinne der Stoa als das Objekt 
einer rationalen Vorstellung; und dann ist hieran eben dies fur uns das 
Enischeidende, daB — wie auch noch ausdrucklich bezeugt wird^) — das 
XexTov nicht Vorstellung ((pavtaota), demnach uberhaupt nicht subjektiver 
Denkakt, sondem vielmehr Vorstellungsobjekt (yavtaoTov resp. yavtaoi^sv) 
ist Auch andere Umstande schlieBen die Moglichkeit aus, in dem Xsxxdv 
einen subjektiven Gedanken sehen zu wollen; denn alles Psychische ist 
(als i^78|iovtx6v ;cq)<; I/ov) dem stoischen Materialismus ein Korperliches, das 
Xsxtdv dagegen wird stets mit Nachdruck als etwas Unkorperliches bezeichnet 3). 
„Ich sehe Cato auf und ab gehen, sagt Seneca*) . . . Was ich da sehe, 
ist ein Korper . . . Dann sage ich: ,Cato geht auf und ab*. Was ich jetzt 
rede, ist kein Korper, sondem eine Aussage fiber einen Korper (enuntiativum 
quiddam de corpore\ die Einige ein Ausgesprochenes, Andere ein Ausgesagtes, 
Andere ein Gesagtes nennen" (effatum; enuntiatum; dictum). Ja Chrysipp 
hat sogar die subtile Distinktion vertreten ^), die Wahrheit sei kdrperlich, das 
Wahre dagegen unkorperlich: denn die Wahrheit sei eine Eigenschaft des 
Wissens, das Wissen ein Zustand der Seele, die Seele aber ein Korper; 
wahr dag^^n konne nur ein Satz sein, der Satz jedoch sei ein Xexrdv und 
die Xexra seien unkorperlich. Steht es somit vollkommen fest, daB das 
Xsxtdv kein subjektiver Gedanke ist, so kann nun erst seine Entgegensetzung 
gegen Aussagelaute und Aussagegrundlage ganz verstanden werden. Wir 
horen namlich % dreierlei hatten die Stoiker an der Aussage unterschieden : 
„das Bezeichnende (t6 o7j|iaivov), das Bezeichnete (t6 aif](i.acv6iJLevov) und das, 
wovon die Rede ist (t6 rj^/Avov). Das Bezeichnende nun sei der Stimm- 
laut (<p(i>vi^), z. B. das Wort ,Dion^ Das Bezeichnete sei die Sache selbst 
(ao'c6 t6 wpdtYiia), die von ihm bezeichnet werde und welche wir verstehen, 
indem wir sie mit unserem Verstande vorstellen, welche jedoch die Barbaren 
nicht verstehen, obwohl sie den Stimmlaut horen. Das, wovon die Rede 
ist, endlich sei die auBere Grundlage (t6 ixT6<; b:roxei|ievov), z. B. Dion selbst. 
Von diesen 3 Stucken nun seien zwei Korper, namlich der Stimmlaut und 
das, wovon die Rede ist, eines dagegen unkorperlich, namlich die bezeichnete 
*) Frg. 187; vgl. Frg. 181. Der Ausdruck Xoyixri <pavtaoia hat hier ohne Zweifel 
einen anderen Sinn als in Frg. 61. 2) frg. 85. 3) Frg. 85, 166, 182. *) Ep. 117. 
13. 5) Frg. 132. 6J Frg. 166; vgl. Plutarch, adv. Cofot. 22, p. 1119 f. Wenn hier 
sowie in rrg. 167 das Xexrov als arjfiatv6f*€voyngavfia bezeichnet wird, so wird das 
letztere Wort in seinem technischen Sinne gebraucnt, wahrend Ammonius in Frg. 166 
sich dem Aristotelischen Sprachgebrauche anschlieBt und die Aussagegrundlage 
nqayua nennL die in stoiscner Temiinologie vielmehr xvyxovov heiBen muBte. An 
der letzteren Stelle ist daher ^Jieq auf fiioov und nicht etwa auf jigdyfui zu beziehen. 
ORIENTIERUNO UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 81 
Sache, das Xextdv, welchem die Pradikate Wahr und Falsch zukominen<<y jedoch 
nicht immer, denn es gebe selbstandige und unselbstandige Xsxtd, und zu 
den selbstandigen gehdrten die Satze, die allein wahr und falsch sein 
konnten, femer*) die Fragen, Befehle, Ruche usw. Das in dieser Lehrc 
enthaltene meiaphysische Element werden wir spater besprechen ; als Orien- 
tierung uber die Grund-Elemente der Aussage dagegen kdnnen wir sie 
schon jetzt als uniibertroffen bezeichnen. Doch noch Ein Punkt sei aus ihr 
hervorgehoben: die scharfe Unterscheidung des Sinnes einer Aussage von 
ihrer Sprachform, wie sie schon in der Erorterung fiber die verschiedene 
Wertigkeit Einer Rede fur Griechen und Barbaren uns entgegenhut und 
auch in der Behauptung des Chrysipp sich ausspricht, die Worte der 
sprechenden Vdgd und der stammelnden Sauglinge seien keine Worte, wetl 
sie nicht als Teile einer Rede hervorgebracht wurden^. Gerade gegen 
diese Seite der stoischen Ansicht namlich scheinen sich Straton und 
Epikur^ gewandt zu haben, indem sie die Xextd fiberhaupt leugneten, an 
der Aussage lediglich den Stimmlaut und „das, wovon die Rede ist^, mithin 
Aussagelaute und Aussag^^ndlage, unterscheiden wollten, ja sogar aus- 
drucklich Wahr und Falsch fur Pridikate der Stimmlaute erklarten. 
So ungeheuerlich uns diese letzteren Ansichten erscheinen, so mussen sie 
doch wohl auf primitiven Stufen der Entwickelung, auf welchen nur das 
Handgreifliche, durch die auBeren Sinne FaBliche, die Aufmerksamkeit auf 
sich zieht, sich den Menschen immer wieder aufdrangen. Es ist von hohem 
Interesse, wie dann neben den auBeren Tatsachen und der Sprache auch 
der beide verbindende Sinn zur Anerkennung sich durchringt; und besonders 
merkwurdig ist dieser ProzeB, wenn er auf weit auseinanderliegenden Kultur- 
gebieten in homologen Gedankengangen, ja fast in den gleichen Worten 
sich auBert Ein solches Schauspiel bietet uns die Ueberwindung des ex- 
tremen Nominalismus in Indien und in den Anfangen der Scholastik. Dort 
verhat, wie uns Qankara berichtet*), der „ehrwurdige Upavarsha** die 
These: „Nur die Buchstaben sind das Wort**. Auch die „Erkenntnis des 
Sinnes des Wortes bezieht sich auf die Buchstaben. Nachdem namlich 
die Auffassung, z. B. des Wortes ,Kuh*, der Zeit nach vorhergegangen ist, 
so folgt ihnen diese einheitliche Erkenntnis ,KuhS deren G^enstand die 
Gesamthdt der Buchstaben nnd sonst nichts weiter ist**. Und so »,ist diese 
einheitliche Erkenntnis nur eine auf die Buchstaben sich beziehende Er- 
innerung**. Dem gegenuber verficht ein ungenannter Gegner die Behauptung, 
das Wort enthalte auBer den Buchstaben noch einen Sphota, d. h. ein „Auf- 
platzen** des von den Buchstaben ausgedriickten Sinnes. Er geht alle anderen 
Mdglichkeiten gewissenhaft durch : der Sinn kann nicht in den einzelnen Buch- 
staben li^en, und auch nicht in deren Folge, weil er nicht eine successive 
Reihe, sondem etwas Einheitliches ist; er kann auch nicht sein „eine Auffassung 
des letzten Buchstabens, unterstutzt von dem Eindrucke, den die Perzeption 
») Vgl. Frg. 181 ff. 2) Frg. 143. Ebenso Dante, Convito 111. 7 (Op. min. S. 157). 
3) Frg. 1^59 (Usener); vgl. Sext. Emp. Pyrrh. II. 107. *) Deussen, Sutra's, S. 172 ff. 
Oomperz, Wdtuuchauangslehre HI 6 
82 NOOLOGIE 
der vorhergehenden Buchstaben erzeugt hat^, denn dieser Eindruck ist schon 
veiigangen; jedoch auch nicht „der letzte Buchstabe, unterstutzt von den in 
ihrer Nachwirkuug perzipierten Eindrficken der vorhergehenden" Buchstaben, 
well auch in der Erinnerung diese Eindrucke nur nacheinander durchlaufen 
werden kSnnten. „Sonach bleibt nur tibrig, daB das Wort als Ganzes ein 
Sphota ist, wdcher dem Perzipierenden, nachdem dieser durch Perzeption 
der einzelnen Buchstaben den Samen der Eindrucke empfangen und den- 
selben mittds der Perzeption des letzten Buchstabens zur Reife gebracht 
hat, in seiner Eigenschaft als eine einheitliche Vorstellung plotzlich ein- 
leuchtet Und diese einheitliche Vorstellung ist keine Riickerinnerung, die 
sich auf die Buchstaben bezdge; denn die Buchstaben sind mehrere und 
kdnnen daher nicht das Objekt der einheitlichen Vorstellung sein. Dieser 
Sphota wird bei Gelegenheit der Aussprache nur wieder erkannt und ist 
daher ewig." Dieses Paar findet im Abendlande sein genaues Gegenbild in 
RosCELLiN und Abaelard: nur daB unter der Einwirkung der antiken 
Gedanken neben den Aussagelauten die Aussag^^ndlage entschiedener 
hervortritt, der Aussageinhalt deutlicher als subjektiver I>enkakt sich darstellt, 
und vor allem der B^ff, und speziell der Allgemeinb^ff — der hier 
mit dem Universale gleichgesetzt wird — , die ganze Sphare des Aussage- 
inhalts auszufullen strebt Indem nimlich Roscellin sachlich streng an die 
epikureische Ansicht sich hielt, daB bei einer Aussage lediglich Aussage- 
grundlage und Aussagelaute zu unterscheiden seien, gelangte er, soweit wir 
nach unseren Quellen urteilen konnen, zu einer doppelten Konsequenz. 
Einerseits kann, da ja Namen und Gegenstande immer nur als konkrete 
Individuen g^;eben sind, das Allgemeine eines „B^;riffes" nur darin liegen, 
daB ein und derselbe Name zur Bezeichnung vieler ahnlicher Gegenstande 
verwendet wird. Andererseits mussen, da das von einem Namen Bezeichnete 
stets nur ein Gegenstand sein kann, und diese Beziehung auf den Gegen- 
stand allein den Sinn des Namens ausmacht, alle Namen denselben Sinn 
haben, wdche ein und densdben G^enstand bezeichnen, gleichviel ob diese 
Namen Gattungs- oder Artnamen, Haupt- oder Eigenschaftsworte sind. Und 
so erklart denn Roscellin ^), allgemein sei allein der „Hauch der Stimme" 
{flatus vocis)^ und die AusdrQcke „das Pferd" und „die Farbe des Pferdes", 
„die Weisheit** und „die Seele", ja auch „Mensch" und „Tier" (wenn namlich 
der letztere von Menschen gebraucht wird) hatten ein und denselben Sinn. 
Gegen diese zwei Konsequenzen wendet sich nun Abaelard. Freilich, 
meint er2), kdnnen wir uber denselben Gegenstand sehr verschiedene Aus- 
sagen machen, z. B. von Sokrates sagen, daB er Sokrates, daB er ein Mensch, 
daB er ein Korper, daB er eine Substanz ist Allein wenn auch diesen ver- 
schiedenen Namen diesdbe Sache entspricht (non est alia res), so ist doch 
nicht auch der mit ihnen verbundene Sinn derselbe {aliud inteUigitur). Eben- 
sowenig indes wie mit der Sache kann der Sinn (intellectus) auch mit dem 
») Prantl 11, S. 78, Anm. 319 ; vgl. Ibid. S. 122, Anm. 77 und S. 123. Annu 81. 
2) Oeuvr. in6d. S. 247 f. 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 83 
Namen zusammenfallen. Denn^) der Name ist ein bloBer Stimmlaut (vox). 
Der Stimmlaut aber ist nicht nur sdbst immer etwas Individuelles und 
keinesw^[S etwas Allgemeines, sondem es hatte auch keineti Sinn, von einem 
Gegenstande einen Stimmlaut, somit von Einer Sache eine andere Sache 
auszusagen {rem de re praedicare monstrum). Daher ist in Wahrheit nicht 
der Stimmlaut allgemein, sondem der mit ihm verknupfte Sinn, resp. der 
von diesem Sinn beseelte Stimmlaut, die Rede (sermo). Auch ist ja^ der 
Sinn etwas Einhdtliches, wahrend der Stimmlaut aus vielen Teilen besteht 
Naher jedoch verhgit es sich so 3), „da6 man der Rede erst, wenn alle ihre 
Teile ausgesprochen wurden, eine Bedeutung beil^en kann. Denn in diesem 
Zeitpunkte fassen wir ihren Sinn auf, indem wir uns die frfiher ausge- 
sprochenen Worte ins Gedachtnis zuruckrufen; und die Bedeutung einer 
Aussage ist nie vollendet, ehe sie in ihrer Ganze ausgesprochen ist Daher 
geschieht es haufig, daB wir die Rede nicht gleich nach ihrem Aussprechen 
verstehen, sondem erst ein wenig die Eigentdmlichkeit der gehdrten Sprach- 
fugung dem Geiste einpragen miissen . . ., und stets bleibt die Seele des 
Horenden in Erwartung, solange das Aussprechen der Aussage dauert, da 
sie mdnt, es mochte dieser noch etwas hinzugefugt werden, das den Sinn 
zu andem imstande ware; und die Sede des Horenden gelangt erst dann 
zum AbschluB, wenn auch die Zunge des Sprechenden zur Ruhe kommt*' 
Es sind daher Sprachform, Sinn und Gegenstand als die 3 Elemente der Aus- 
sage zu unterscheiden, und^) der ersteren kommt eine „Bedeutung^ {signi- 
ficatio) in doppdter Weise zu, indem sie einerseits dnen gewissen Sinn im 
Sprechenden ausdruckt und im Hdrenden erzeugt, andererseits auf gewisse 
Sachen hinwdst, und zwar „handdt^ (^/Q jede Rede von diesen Sachen 
und nicht von jenem Sinn. Dies gilt sowohl von Namen als auch von 
Satzen {propositiones), nur daB im letzteren Falle nicht die Sachen selbst (non 
res aliquae\ sondem dne Art, wie sich diesdben verhalten (qaidam modus 
rerum habendi se\ die Gmndlage der Aussage bildet ^). Mit alledem nun 
kommt Abaelard dem stoischen Schema wieder recht nahe. Doch indem 
er6) den „Sinn" {intellectus) gldchsetzt einem „B^ffe des Geistes" {mentis 
conceptus)y fiihrt er seine Ansicht wieder in die Aristotelische hiniiber, und 
hat so dazu beigetragen, daB diese das ganze Mittelalter beherrscht hat 
Ihren klarsten Ausdmck hat sie hier vidleicht in der an Porphyrios^ 
und PsELLOs8) anknupfenden Lehre des Wilhelm v. Occam von der drd- 
fachen Supposition gehmden. Dieser zufolge namlich kann^ jeder 
terminus stehen: A. ffir den von ihm bezeichnden Gegenstand, wie wenn 
wir sagen: Die Menschen sind Lebewesen {suppositio personalis); B. fur 
1) Olosulae sup. Porph. (Opp. II, p. 756 ff.). Es ist wahrlich ebenso bedauerlich 
als beschamend, aaB wir, soviel ich sene, fur diese wichtige Schrift noch immer auf 
den franzosischen Auszug von Remusat angewiesen sind. ^) Oeuvr. in6d. S. 207. 
3) Ibid. S. 191 f. ^) Ibid. S. 238 ff. ^) Eine Unterscheidung zwischen Aussagegrund- 
lage und Sachverhalt darf man naturlich in dieser Zeit nicht erwarten. Es ist uns 
liberhaupt nicht bekannt, dafi uns mit dieser Distinktion irgendwer vorangegangen 
ware. «) Theolog. Christ 1. 4 (Opp. 11, p. 365). ^ In Categg. S. 57. S BussE. 
•) Prantl II, S. 2d\ f., Anm. 70 f. ») Prantl III, S. 374, Anm. 877. 
84 NOOLOGIE 
den von ihm ausgedruckten Begriff {intentio animae), wie wenn wir sagen : 
^Mensch*^ ist an Artb^ff {supposUio simplex); C fur das Wort selbst, 
wie wenn wir sagen: ^Mensch"" ist ein Hauptwort {supposUio maierialis). 
Denn hier sind wiederum die drei Aristotdischen Aussageelemente (^lovai, 
Tc&djif rpd7|tata) beisammen. 
Soviet ich weiB, hat in neuerer Zeit eigentlich erst Bolzano wieder dnen 
energisdien Versudi gemadit, die Eigenart des AussageinhaHs zu betonen 
und ihn den 2 anderen primaren Aussagedementen sowie den subjektiven 
Denkakten entgegenzusetzen. Seine Lehre dedd sich fast vollig mit der 
stoischen. Da sie jedoch die Objektivitit der Aussagen etwas starker hervor- 
treten laBt, so wollen wir erst aus diesem Anlasse naher auf sie eingehen 
und hier nur soviel bemerken, daB Bolzano den logisdien Gehalt einer 
jjVorstellung** — worunter er die B^ffe mitversteht — , ihren Sinn, als 
^objektive Vorstellung** oder ^^Vorstdlung an sich" bezeichnd*); ebenso^) 
den „Sinn, den dne gewisse Verbindung von Worten ausdrucken kann" 
als „Satz an sich"; und spezidl^) den Sinn wahrer Satze als „Wahrheit an 
sich", — wahrend ihm demg^eniiber die entsprechenden Vorstellungen, 
SStze und Wahrheiten als Daten in dem BewuBtsdn denkender Individuen 
„subjektive" oder „gedachte" Vorstdlungen, Satze und Wahrheiten hdBen. 
Zur Eriauterung seines B^^'ffes der „Vorstellung ah sich" fuhrt nun Bol- 
zano das folgende aus 4): „Wenn ich . . . den Ausdruck gebrauchte, daB 
eine Vorstellung an sich der St off desjenigen sei, was eine Vorstellung in 
der gewohnlichen oder subjektiven Bedeutung heiBt: so konnte dies bald 
so ausgel^ werden, als ob ich unter der Vorstellung an sich nichts anderes 
als den Gegen stand, auf den sich eine (gedachte) Vorstellung bezieht, 
verstunde." Dies meine er indes nicht, vielmehr wolle er diesen G^en- 
stand „gar sehr, . . . nicht nur von einer gedachten, sondem auch von der 
. . . Vorstellung an sich, unterschieden wissen"; und „noch weniger als den 
Gegenstand, auf den sich eine Vorstellung bezieht, darf man das Wort, 
welches zu ihrer Bezeichnung eingefuhrt ist, fur sie selbst . . . ansehen 
wollen". Diese Einteilung der Aussageelemente deckt sich demnach durchaus 
mit der stoischen: das „Wort*' entspricht dem oT)(i.aivov, der „Gegenstand** 
dem T07xavov, die „Vorstellung an sich" dem o7)(i.atv(5|JL6Vov oder Xexr6v — 
die „gedachte Vorstellung" aber dem v(5T)(i.a oder T^Y^^ovixdv ircoc Sx°^- 
Endlich hat in den letzten Jahren MeinonqS) eine Lehre vorgetragen, 
wdche die Frage nach den Aussagedementen in eigentumlicher Weise be- 
handelt Der Grundgedanke dieser Lehre ist der, daB an jedem Satze — 
Oder, wie der genannte Forscher sich ausdruckt, an jedem „Urteil" — Ob- 
jekt und Objektiv zu unterscheiden seien. In dem Satze „Es sind kdne 
Ruhestorungen vorgefallen" z, B. seien „Ruhest6rungen" das Objekt^ die 
„Tatsache" dagegen, „daB keine Ruhestorungen vorgrfallen sind", das Ob- 
jektiv. Solche Objektive nun machten die eigentliche „Bedeutung« aller 
») Wiss. L § 16 (1. S. 61 ff.). 2) Ibid. § 28 (1. S. 121). 3) ibid. § 25 (1. S. 112). 
*) Ibid. § 49 (1. S. 218 ff.). ») Zuerst Annahmen S. 150ff. 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 85 
Satze aus >), sie seien die wahreti Subjekte der Piidikate Wahr, Wahrschein- 
lich, Mdglich usf. und deshalb auch der eigentliche Gegenstand der Logik % 
JMan sieht nun sofort, daB diese Lehre sehr verschieden zu beurteilen ist, 
je nachdem das ^ObjektiV eines Satzes der in diesem Satze ausgedruckte 
Tatbestand Oder der in ihm ausgesagte Sachverhalt sein soil. Soil 
das Objektiv der Tatbestand sein, dann ist der Gegensatz von Objekt und 
Objektiv nur der allgemeine Gegensatz von Aussagegrundlage und Aus- 
sageinhalt, soweit dieser in dem spezidlen Falle der Satzaussage hervortritt 
Nach dieser Erklarung nun ware an der Lehre vom Objektiv vor allem aus- 
zustellen, daB sie die Eigenart des Aussageinhalts ganz einseitig gerade nur 
fur Satze hervorhebt, wahrend doch der logische Inhalt eines B^ffes von 
den Sachen, auf welche dieser Begriff sich bezieht, ganz ebenso deutlich 
unterschieden ist wie der logische Inhalt eines Satzes von den Tatsachen, 
von denen dieser Satz handelt^. Sodann aber ware unter dieser Voraus- 
setzung festzustdlen, daB die MEiNONOsche Ansicht zwar terminologisch, 
jedoch keineswegs sachlich neu ist Denn etwa in Bezug auf das Beispiel 
von den Ruhestdrungen hatte schon Chrvsipp ohne weiteres die „Ruhe- 
storungen" als vyfxjiyoy oder ixtic offoxeiiJievov und die Tatsache, „daB keine 
Ruhestdrungen vorgefallen sind"", als das Xsxtdv oder oif][iaiv6|jL6vov aus- 
einandeiigehalten ; ebenso hatte Abaelard das Objekt als res, das Objektiv 
als intellectus, Bolzano jenes als den ,,Gegenstand^ dieses als den „Satz an 
sich*^ bezeichnet Soil andererseits das Objektiv der Sachverhalt sein, dann 
wurde der Gegensatz von Objekt und Objektiv zu deuten sein als der Gegen- 
satz zwischen den einzelnen Sachen, von denen in einem Satze die Rede 
ist, und dem Sachverhalt, den dieser Satz aussagt Nach dieser Erklarung 
nun ware es allerdings durchaus b^jeiflich, daB Meinonq nur Objektive 
von Satzen kennt, denn am Begriffe entspricht dem Sachverhalt lediglich 
die Sache, mithin das „Objekt". Unter dieser Voraussetzung ware auch der 
Hinweis auf die Objektive wirklich etwas Neues, da die Eigenart der Sach- 
verhalte in der Tat, soviel ich weiB, noch nie hervorgehoben worden ist 
Allan dann ware die Behauptung ganz unhaltbar, die Objektive seien die 
Subjekte der Pradikate Wahr und Falsch und der eigentliche Gegenstand 
der Logik. Denn diese Bestimmungen treffen nur fur objektive Gedanken 
zu, das „Nicht-Vorgefollensein von Ruhestorungen'' dag^;en ist ein Stuck 
der auBeren Wirklichkeit, mit dem sich deshalb auch unter normalen Um- 
standen keinesw^[s die Logik, sondem vielmehr die Geschichte beschaftigt. 
In Wahrheit jedoch scheint es mir so zu stehen, daB Meinonqs „Objektiv<' 
weder der von einem Satze ausgedruckte Tatbestand noch der von ihm aus- 
1) Ibid. S. 181 1 2) Ibid. S. 174, 192, 194 ff. Von der letzten Behauptung scheint 
Meinono seither freihch zuruckfi^ekommen zu sein (vgl. oben § 43. 5). ^) Meinono 
scheint freilich auch die Begriffsinhalte fiir Objektive zu halten, da er (Annahmen 
S. 179) die „Verschiedenheit zwischen A und B'' gleichsetrt mit dem „Verschieden- 
sein des A und B*\ also mit dem Sinn des Satzes ,,A und B sind voneinander ver- 
schieden'^. In Wahrheit beweist jedoch die verschiedene Qliederungsweise beider 
logischer Oebilde unwidersprechlich, dafi das erstere ein Begriffsinhalt, das letrtere 
dagegen ein Satzinh^lt ist 
86 NOOLOOIE 
gesagte Sachverhalt ist, vielmehr diese beiden Dinge in einen unklaren und 
widerspruchsvollen B^^ff zusammenfaBi Wie namlich fruher gezeigt wurde, 
imterscheiden sich Tatbestand und Sachverhalt u. a. dadurch, daB jener 
wahr Oder falsch^), jedoch nicht vorhanden oder nicht vorhanden, dieser 
vorhanden oder nicht vorhanden, jedoch nicht wahr oder falsch sein kann. 
Der Sachverhalt „Gleichsein von Rot und Griin" z. B. ist nicht vorhanden 
— er ^ist*' nicht und „besteht^ nicht, allein es ware sinnlos, ihn ^falsch'' 
zu nennen; der Inhalt des Satzes „Rot und Grun sind gleich<' dagegen ist 
faischy allein er ist um nichts weniger „vorhanden** — er „ist" oder „be- 
steht^ um nichts weniger — als der Inhalt des Satzes „Rot und Grun sind 
verschieden". Meinonq und seine Schuler dag^en sagen, wie wir hdrten, 
auf der einen Seite von den Objektiven Wahrheit und Falschheit aus % auf 
der anderen aber legen sie denselben doch wieder, je nach der Wahrheit 
Oder Falschheit der entsprechenden Satze, Sein oder Nichisein, Bestehen 
Oder Nichtbestehen bei^). Allein da Wahrheit und Falschheit nur von 
Gedanken, Vorhanden- und Nichtvorhandensein nur von Sachen pradiziert 
werden kdnnen, und da es nichts gibt, was zugleich Gedanke und Sache 
ware, so gibt es auch nichts, was zugleich des Wahr- und Falschseins und 
doch auch des Vorhanden- und Nichtvorhandenseins fahig ware. Soil daher 
das Objektiv sowohl der Wahrheit und Falschheit als auch des Vorhanden- 
und Nichtvorhandenseins fahig sein, so ist in Wahrheit auch das „Objektiv'< 
nichts — als Ein gemeinsamer Name fur zwei voneinander verschiedene Dinge. 
10) Nachdem wir jene Lehren besprochen haben, die sich auf die Unter- 
scheidung der einzelnen Aussageelemente beziehen, mussen wir nun die 
Terminologie, welche wir zur Bezeichnung der verschiedenen , zwischen 
diesen Elementen stattfindenden Beziehungen gewahlt haben, gegen 
andere Bezeichnungsweisen verteidigen. Doch vorerst sei einer Relation 
gedacht, die wir bisher noch nicht erwahnten. Husserl^) namlich rechnet 
zu den fur die Aussage charakteristischen Beziehungen auch die Beziehung 
der Aussag^elaute zu den „sinngebenden psychischen Erlebnissen^' des Aus- 
sagenden, somit zu den Gedanken im subjektiven Sinn, und schlagt fur sie 
den Ausdruck K^ndgabe vor. Ich vermag mich jedoch nicht davon zu 
uberzeugen, daB dieses Verhaltnis der Aussage irgendwie wesentlich ware. 
GewiB ist es moglich, von dem, was ein Individuum ausspricht, auf das, 
1) Dabei sehe ich wieder davon ab, daB meines Erachtens nach dem allgemein 
angenommenen Sprachgebrauche eigentlich auch nicht Tatbestande, d. h. Satzin- 
halte, sondem nur Satze selbst wahr oder falsch heiBen. ^) Annahmen S. 174, 
S. 192; Oegenstandstheorie S. 25. ^) So sagt z. B. Ameseder (Qrazer Unterss. 
S. 66) : „DaD zwischen Rot und Qrun eine ^rschiedenheit besteht, . . . ist; daB 
zwischen Rot und Qrun Qleichheit besteht ... ist nichf Ebenso Meinono, 
Qegenstandstheorie S. 147. Ja dieser bemerkt sogar (Ibid. S. 126), das Objektiv, 
,,daD Wasser aus Sauerstoff und Wasserstoff besteht* ', sei so wenig ein Satz, wie 
das Obiekt „Qewicht eines Warenballens'* ein Begriff sei. Allein so jg^ewiB das „Aus- 
Sauerstoff-und-Wasserstoff-Bestehen des Wassers" — welches doch allein mit dem 
„Schwer-Sein eines Warenballens'* verglichen werden kann — kein Satz ist, ebenso 
gewifi kann es, eben we it es kein Satz ist, auch nicht wahr oder falsch, sondem 
nur vorhanden oder nicht vorhanden sein. ^) Log. Unterss. II, S. 33. 
ORIENTIERUNO UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 87 
was in ihm vorgeht, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu schlieBen 
— ganz in derselben Weise, in der man iiberhaupt von der Wirkung auf 
die Ursache schlieBen kann. Allein nie gehSrt dieser SchluB zum Ver- 
standnis einer Aussage — es sei denn, daB die Aussage von psychischen 
Eriebnissen des Aussagenden „handelt^, iind dann sind eben diese nicht 
nur ,^inngebende psychische Erlebnisse*', sondem auch Aussag^;rundlage. 
In alien anderen Fallen dagegen scheint mir zwischen diesen^ beiden 
Beziehungsgliedem kein anderes als ein rein kau sales Verhaltnis ob- 
zuwalten. Eine Aussage ist eben niemals eine Aussage „uber jene sub- 
jektiven Gedanken, ,^uf Grund'^ deren sie erfolgt (vgl. § 43. 3). Im 
ubrigen hat Husserl^) Aussagelaute, Aussageinhalt und Au8sag^;rundlage 
als „den Ausdruck selbst, seinen Sinn und die zugehorige G^enst&ndlich- 
keit*' sehr richtig auseinandeigehalten und auch darauf treffend hingewiesen ^ 
daB zu gleichem Sinn eine verschiedene Gegenstandlichkeit, zu gldcher 
Gegenstandlichkeit ein verschiedener Sinn gehoren kann. Nur damit bin 
ich nicht einverstanden, daB er dazu neigt, unter dieser Gegenstandlichkeit 
auch bei Satzen lediglich den vom Subjekt benannten G^enstand selbst 
zu verstehen, und sie nur problematisch mit dem „ganzen ausgesagten Sach- 
verhalt^ gleichzusetzen wagt^). Wenn er indes die Relation Aussagelaute- 
Aussageinhalt als „Bedeutung^» die Relation Aussagelaute-Aussagegrundlage 
bloB als ,^egenstandliche Beziehung" bezeichnet, so halte ich dies nicht fur 
einen empfehlenswerten Sprachgebrauch. Denn wie immer man die Be- 
deutung definieren moge, eine wesentliche Beziehung auf die Aussage- 
grundlage kann man ihr unmoglich absprechen: in irgendeiner Weise be- 
deutet eine Aussage immer das, wovon sie „handelt^, mithin das, wovon 
„die Rede isf'. Freilich haftet nun dem Worte auch eine ebenso wesent- 
liche Beziehung auf den Aussageinhalt an : irgendwie bedeuiet eine Aussage 
stets auch ihren „Sinn". Das mindeste, was gefordert werden muBte, ware 
deshalb, daB ein doppelter Gebrauch des Wortes Bedeutung zn&cVznni wurde. 
Dies hat denn auch schon Aristoteles^) getan, indem er die Beziehung 
des Namens auf den Begriffsinhalt oiqtialveiv ti, seine Beziehung auf den 
G^enstand oTiitalvsiv xatd tivoc nennt^). Doch die Folge hat gezeigt, zu 
wieviel Verwirrung eine so wenig enischiedene Sonderung fuhrt Schon im 
spateren Altertum z. B. laBt Porphyrios^) den Namen ausschlieBlich den 
Gegenstand (^pa^iJLa) bedeuten, wahrend Boethius^) von ihm vielmehr die 
Begriffe (conceptiones intelledusque animi) bedeutet werden laBt Im Mittel- 
alter ist, wie wir schon sahen, Abaelard zu der Aristotelischen Doppel- 
bedeutung zuruckgekehrt, wahrend Duns Scotus^) im Anschlusse an eine 
andere Aristotelische Stelle das Wort ^unmittelbar"' den logischen Denkakt (die 
species intelUgibilis), Wilhelm von Occam ') dagegen das auBere Objekt 
») Ibid. S. 42. 2) Ibid. S. 47 ff. 3) ibid. S. 48. *) Metaph. IV. 4, p. 1006 a 31 
u. b 15. 5) Auf die erste Art, sagt er, bedeute av&Qfonog den Begriff C<?ov dUow, auf 
die zweite die einzelnen Individuen, die auch Xevxoi und fwvaixol sind. ^) In Categg. 
S. 57. 35 BussE. ^ De interpr., Ed. II, p. 291 u. 296 (S. 7. 29 u. 20. 15 Meiser). 
•) Quaest sup. Perihenn. I. 2 (Opp. I, p. 187 B). «) Prantl 111, S. 340, Anm. 774. 
88 NOOLOOIE 
bedeuten laBi Ebenso macht in der neueren Zeit Hobbes^) den Namen 
aim Zeichen ffir unseren B^^riff des Gegenstandes, J. St. Mill 2) zu einem 
solchen ffir den Gegenstand selbst Und wahrend wir eben gehdrt haben, 
da6 ffir Husserl die Aussagelaute den Inhalt der Aussage bedeuten, bedeuten 
sie ffir Meinonq 3) gerade umgekehrt deren G^;enstand, indes sie die „Vor- 
stellungen^ dieses Gegenstandes ausdriuhen sollen. Hai)en wir nun unsere 
Bedenken gegen die erste Redeweise schon geauBert, so konnen wir uns 
doch auch die zweite nicht aneignen. Wenn freilich Meinono die Worte 
„Die Turmuhr schlagt eben zehn" „den vemommenen Stundenschlag" be- 
deuten^ dagegen ^meine Vorstellung dieses Stundenschlages und mein Urtdl 
darfiber"' ausdmdien liBt, so scheint dies zunachst nicht anstoBig. Dennoch 
ffihrt dieser Sprachgebrauch zu einer Konsequenz, urn derentwillen — wie 
Pierre d'Ailly berichtet*) — die Sorbonne nicht mit Unrecht den Niko- 
laus von Alticuria verdammt hat: wegen der Behauptung namh'ch: „Die 
S§tze ,Gott isf und ,Gott ist nichf bedeuten dasselbe (wk/w significantly wenn 
auch auf andere und andere Weise." Und wollte man dieser Konsequenz 
dadurch en^ehen, daB man — was wohl richtiger ist — als die Aussage- 
grundlage des Satzes „A ist nicht** nicht A auffaBt, sondem die Tatsachen, 
welche zu jener n^;ativen Aussage den AnlaB geben % so wfirde man doch 
nur ffir Eine Absurditat eine andere eintauschen. Denn dann muBten, wenn 
ich auf einsamer Alpenweide sage „Hier sieht man keinen Baum** und „Hier 
h5rt man keinen Laut**, diese beiden Satze dasselbe bedeuten^ Es wird 
also jedenfalls am geratensten sein, nicht nur ffir die Relation zwischen 
Ausss^auten und Aussageinhalt und ffir die zwischen Aussagelauten und 
Aussagegrundlage verschiedene Termini einzuffihren, sondem auch keine dieser 
beiden Relationen mit dem Worte Bedeutung zu bezeichnen. Jenes nun tat 
schon Johannes v. Salesburyt), der von den Namen sagt, daB sie ihren 
Sinn „bedeuten**y ihre Gegenstande dagegen „nennen** (noniinantur singularia^ 
sed universalia significanttu). Dieses versuchte J. St. Mill s) durch die Ver- 
wendung der scholastischen Ausdrficke Konnotation und Denotation. 
Die ^Namen** namlich sollen ihre G^^nstande (seien dies nun Dtnge oder 
Eigenschaften) denotiereny dagegen die Eigenschaften, um derentwillen sie 
>) De corp. 1. 2. 5 (Opp. Lai I, p. 15). 2) Log. 1. 2. 1 (I. S. 23 f.). 3) Annahmen 
S. 20 f., vgl. S. 90. *) Prantl IV, S. 112. Anm. 470. *) Die oben geg^ebene Regel, 
Aussagegrundlage des Satzes ,^ ist nicnt B** sei jedes A, das nicht B ist, sclieini 
namlich fur negative Existentialsatze nicht auszureichen, da ein „A, das nicht 
existiert'S kaum jene Tatsache heiBen kann, auf die sich der Satz .,A existiert nichf 
bezieht. Hier wird man vielmehr auf jene (wirklichen oder geaachten) Tatsachet 
rekurrieren mussen. die zu der Aussage „A ist nicht'' den Anlafi g^eben konnen 
Aussagegrundlage aes Satzes ;.Hier ist kein A'' z. B. wird dasjenige heiBen durfen 
was in der vorausgesetzten Situation tatsachlich „hier** ist *) AlTgemeiner : Wenr 
der Satz „A ist B" A bedeutet, dann bedeuten „A ist B" und „A ist nicht B" dasselbe 
DaB dies freilich Meinonqs Ansicht sei, mochte ich nicht geradezu behaupten. di 
3en Sachverhalt bezeichnet PRANTL 11, S. 155, Anm. 205. «) Log. 
(1, S. 31 ff.). 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 89 
jenen Gegenstanden zukommen, konnotieren; alle Namen sollen daher eine 
Denotation besitzen, wahrend eine Konnotation sowohl den Eigennamen 
als auch den Namen von Eigenschaften abgehi Freilich fiigt er alsbald 
hinzu, die ^Bedeutung^ {the meaning, the signification) falle mit der Kon- 
notation zusammen. Doch auch diese Konstruktion ist nicht durchaus ein- 
wandfrei. Die Frage zwar, was J. St. Mill auf Orund seiner sonstigen 
Voraussetzungen wohl unter y,einer Eigenschaff' — die doch weder als 
ein physisches Objekt noch als eine psychische Tatsache aufgefaBt werden 
kann — verstehen mag, braucht uns hier nicht zu beschaftigen. Auch daB 
nach seiner Darstellung die Eigenschaftsnamen, da ihnen die Konnotation 
fehlt, keine ^yBedeutung*' hatten, sei nur im Vorbeigehen angemerkt Vor 
allem jedoch nimmt J. St. Mill hier lediglich auf Begriffe Riicksicht und 
lafit alle anderen Aussagen ganzlich auBer acht Man kdnnte nun freilich 
seinen Sprachgebrauch erweitem und etwa auch einen Satz eine Tatsache 
denotieren, den Tatbestand dag^[en konnotieren, iiberhaupt die Aussagelaute 
die Aussag^;rundlage denotieren^ den Aussageinhalt konnotieren lassen. Allein 
dann bietet es keinen Vorteil mehr, diese doch schon mit engeren B^ffen 
verwachsenen Fremdworte zu gebrauchen, und es schien mir deshalb zweck- 
maBiger, sie durch die Benennungen Bezeichnen und Ausdmcken zu er- 
setzen. Das Wort Bedeuten dagegen reservierten wir fur die Beziehung der 
Aussage zum ausgesagten Sachverhalt, und glauben damit den Bedenken zu 
en^ehen, die g^en alle anderen Verwendungsarten dieses Ausdruckes 
sprechen. Wir sahen ja: dem Worte Bedeuten ist sowohl eine Beziehung 
auf den Aussageinhalt als auch eine solche auf die Aussag^^ndlage wesent- 
lich. Nun ist der Sachverhalt die durch den Aussageinhalt aufgefaBte Aus- 
sag^;rundlage, mithin ein aus diesen be i den Aussageelementen bestehender 
Komplex. Machen wir daher diesen Komplex zum Objekte der Bedeutungs- 
Beziehung, so kommen damit auch beide jenem Ausdrucke anhangenden 
Beziehungstendenzen zu ihrem Rechte. 
11) Je nachdem man die Bedeatung definiert, ist auch die Frage zu ent- 
scheiden, ob es Redetdle gibt, die derselben entbehren — oder, wie die 
scholastische Terminologie dies ausdruckt, obdiesynkategorematischen 
Redeteile eine Bedeutung besitzen. Doch ist dieser Zusammenhang der 
Probleme keinesw^[s alien Denkem War gewesen. Wenn z. B. Aristo- 
TELESi) die Konjunktionen etc fur „bedeutungslos" (£o7]|ia) erklart, so ist 
dies nur fur das OYjitalvsiv xard tivo<; folgerichtig, keineswegs dagegen fur 
das oif](ialv6iv ti, das ihm doch sonst^) im Vordergrunde steht; denn sicher- 
lich haben auch „Und'' oder „Denn" einen Sinn. Es ist deshalb ganz be- 
rechtigty wenn Abaelard 3) jene aristotelische Behauptung dahin einschrankt, 
Prapositionen und Konjunktionen hatten eine „unvollkommene Bedeutung** 
(imperfecta significatio), denn sie druckten zwar einen gewissen Sinn aus 
(quosdam inteiiectus facere videntur\ allein Gegenstande wurden in ihnen 
n Poet 20, p. 1456b 38 u. 21, p. 1457a 33. 2) z. B. de interpr. 1, p. 16a 6. 
3) Oeuvr. in6d. S. 216. 
go NOOLOGIE 
allerdings nicht erbBt {ipsa res in huiusmodi dicHonibus non tenetiu). Da- 
g^eti durfte Duns Scotus, da er ja die Worte „immittelbar*' den logischen 
Denkakt bedeuten laBt, wohl nicht sagen % den synkat^orematischen Aus- 
drucken entspreche keine eigene Bedeutung. Vielmehr konnte ihnen konse- 
quenterweise erst Wilhelm von Occam ^ eine „selbstandige Bedeutung** 
(finita significatio) absprechen, weil ihm die Namen unmittelbar die Oegen- 
stande bezeichnen. Formell folgerichtig bleibt auch J. St. Mill. Denn er 
laBt3) als „Nanien« nur gelten, was Subjekt oder Pradikat eines Satzes sein 
kann, nennt dementsprechend die synkategorematischen Ausdrucke bloBe 
„Teile von Namen** und kann daher alletxlings behaupten^), alle „Namen** 
hatten eine Denotation, jedoch nicht alle eine Konnotation. Allein hierdurch 
wird die Tatsache nicht aus der Welt geschafft, daB es Worte und Wort- 
verbindungen gibt — z. B. „Und** oder ^Insbesondere jedoch** — , die keine 
Tatsache bezeichnen, einen Sinn aber dennoch ausdrucken. Ebenso ist es 
nicht Inkonsequenz, sondem Unangemessenheit des Ausdrucks, die wir be- 
anstanden, wenn Meinonq s) von „bedeutungslosen** Worten spricht und zu 
ihnen etwa die Fugung „Wenn ... so** zahlt; denn Gegenstande be- 
zeichnen diese Worte allerdings nicht Wir selbst endlich mussen auf Orund 
unserer Festsetzungen fiber die Verwendung der Worte Ausdrack, Bezeich- 
nung und Bedeutung das Folgende konstatieren. Die Synkat^oreumata be- 
zeichnen keine Tatsache, dr&dien indes einen Sinn aus. Eine selbstandige 
Bedeutung kommt ihnen nicht zu, allein sie tragen zu der Bedeutung der 
Aussagen, deren Teile sie sind, etwas bei. Denn obwohl z. B. in dem 
Worte dock gewlB kein selbstandiger Sachverhalt ausgesagt wird, so ist doch 
der in dem Satze „Und sie bew^ sich doch** ausgesagte Sachverhalt, „das 
Sich-doch-Bew^en der Erde**, ein anderer Sachverhalt, als es das bloBe 
„Sich-Bewegen der Erde*' ware. Wir werden deshalb mit Abaelard den 
synkategorematischen Redeteilen eine unvollkommene Bedeutung bei- 
legen und sie, da ihnen an sich selbst keine Aussagegrundlage und kein 
selbstandiger Sachverhalt entspricht, mit J. St. Mill als bloBe Teile von 
Aussagen bezeichnen durfen, denen gegenuber dann alle anderen Aus- 
sagen als vollstandigeAussagen erscheinen. Freilich bleiben wir mit 
alledem in der Sphare formaler Bestimmungen. Erst an einer spateren Stelle 
werden wir das eigentliche Wesen der Synkat^oreumata ins Licht setzen 
und den Orund des Unterschiedes aufdecken konnen, der sie von den kate- 
gorematischen Aussagen trennt: es ist dies derselbe Unlerschied, von dem 
wir oben sagten, er mache auch in dem Verhaltnis der Satze zu den Be- 
griffen und der Schliisse zu den Satzen sich geltend und beruhe auf einem 
Ueberwiegen des Momentes der „Auffassung** und „01iederung** uber das 
der „Tatsachlichkeit** und „G^ebenheit**. 
») Quaestt. sup. AnaU. prior. I. 8 (Opp. 1, p. 2848. ^) Prantl HI, S. 363, 
Anm. 825. 3) L6g. 1. 2. 2 (1, S. 24 ff.). *) ibicf 1. 2. 5 (1, S. 31). «) Ainahmcn 
S. 90. 
ORIENTIERUNG OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 91 
§48 
Oleiche Aussageinhalte kdnnen durch verschiedene Aussage- 
laute ausgedriickt werden und sich auf verschiedene Aussage- 
grundlagen als deren Auffassung beziehen; umgekehrt konnen ver- 
schiedene Aussageinhalte durch gleiche Aussagelaute ausgedrQckt 
werden und sich auf gleiche Aussagegrundlagen als deren Auffassung 
beziehen. Folglich kann der Aussageinhalt weder mit den Aussage- 
lauten noch mit der Aussagegrundlage zusammenfallen. 
Die Aussagelaute und die Aussagegrundlage konnen wahrgenommen 
und vorgestellt werden, scheinen jedoch auch die einzigen wahmehm- 
baren und vorstellbaren Elemente der Aussage zu sein. F3llt daher 
der Aussageinhalt mit ihnen nicht zusammen, so scheint er nicht wahr- 
genommen und vorgestellt werden zu kdnnen. 
Wslhrend somit von den Aussagelauten und der Aussagegrundlage 
ohne weiteres einleuchtet, daB sie dem BewuBtsein durch Vorstel- 
lungen gegeben sind, entsteht hinsichtlich des Aussageinhalts 
zunlchst die Frage, als was er sich dem BewuBtsein darstelle. 
Diese Frage bezeichnen wir als die Erste semasiologische Hauptfrage. 
ERLAUTERUNG 
1) DaB der Aussageinhalt weder mit den Aussagelauten noch mit 
der Aussagegrundlage zusammenfallen kann, ist schon in § 47. 2 ge- 
zeigt worden. Auch daB Aussagelaute und Aussagegrundlage, d. h. 
Klangfolgen und Tatsachen, wenigstens in der Regel wahrgenommen, 
somit auch vorgestellt werden kdnnen, bedarf keiner eingehenden Dar- 
l^[ung. Doch auch daB diese beiden die einzig wahmehmbaren und 
vorstellbaren primaren Aussageelemente zum mindesten zu sein 
scheinen, wird schwerlich geleugnet werden. Denn niemand wird 
meinen, der Aussageinhalt, d. h. der Sinn einer Rede, kdnne gesehen, 
gehSrt, gerochen, geschmeckt oder getastet werden i). Der Konse- 
quenz, daB der Aussageinhalt sich dem BewuBtsein iiberhaupt nicht 
als Vorstellung darstellt, scheinen wir daher nur dann entgehen zu 
kdnnen, wenn er etwa mit den Vorstellungen von den Aussagelauten 
und der Aussagegrundlage, oder wie wir kfirzer sagen durfen, mit 
den Aussagevorstellungen identisch wire. Dagegen spricht 
jedoch schon der Umstand, daB die gleichen Aussageinhalten zuge- 
1) Dafi der Aussageinhalt, insofem er durch ein psychisches Erlebnis erfaBt wird. 
dann in innerer Wanmehmung vorgestellt werden kdnne, sol! damit nicht geleug[net 
werden. Allein diese sekundare Vorstellbarkeit des Aussageinhalts kommt nier nicht 
in Betracht Denn unsere Frage bezieht sich darauf, ob jenes psychische Erlebnis, 
durch das ihn das BewuBtsein primar erfaBt, eine Vorstellung sem kann. 
92 NCXJLOOIE 
ordneten Aussagevorstellungen mindestens ebenso verschieden sein 
kdnnen wie die ihnen zugeordneten Aussagelaute und Aussagegrund- 
lagen, und umgekehrt Wir wissen z. B.: derselbe Begriffsinhalt avis 
kann durch die ganz verschiedenen Aussagelaute Vogel und bird aus- 
gedrOckt werden; dieselben Aussagelaute Breit^ Bright kOnnen die 
ganz verschiedenen Begriffsinhalte Latus und Claras ausdrucken. 
Allein die Vorstellungen der Klangfolgen Vogel und bird sind 
voneinander geradeso verschieden, die Vorstellungen der Klangfolgen 
Breit und Bright sind einander ganz ebenso gleich, wie diese Klang- 
folgen selbst. Mit den Vorstellungen der Aussagelaute kann also der 
Aussageinhalt unmdglich identisch sein. Wir wissen indes auch : der- 
selbe Tatbestand ^Dieser Vogel fliegt'' kann die ganz verschiedenen 
Tatsachen „Flattemder Sperling** und ^Kreisender Adier** auffassen; 
dieselbe Tatsache „Flattemder Sperling** kann durch die ganz ver- 
schiedenen TatbestHnde „Dieser Vogel fliegt** und „Hier bewegt sich 
etwas** aufgefaBt werden. Allein die Vorstellungen eines flattem- 
den Sperlings und eines kreisenden Adlers sind voneinander ganz 
ebenso verschieden, zwei Vorstellungen eines flattemden Sperlings sind 
einander ganz ebenso gleich wie diese vorgestellten Tatsachen selbsL 
Ja hier tritt sogar noch ein anderes Moment hinzu: auch ein und 
dieselbe Tatsache namlich kann durch verschiedene Vorstellungen er- 
faBt werden, z. B. durch optische, durch akustische und durch kinetische 
Empfindungen und Phantasmen, wie dies besonders an dem Unter- 
schiede des fype visaelj des fype auditif und des fype moteur^ und 
wiederum an der Verschiedenheit der vorherrschenden Phantasmen bei 
Blinden und Tauben hervortritt. Die Vorstellungen von der Aussage 
grundlage kdnnen mithin auch bei gleichem Aussageinhalt voneinander 
sogar noch mehr verschieden sein als die vorgestellten Aussage- 
grundlagen selbst, und um so weniger laBt sich denken, es konnte der 
Aussageinhalt mit den Vorstellungen von der Aussagegrundlage zu- 
sammenfallen. Die Koinzidenz von Aussageinhalt und Aussagevor- 
stellungen scheint sich demnach in keiner Weise verteidigen zu lassen. 
Um jedoch das soeben Ausgefuhrte durch ein besonders schlagen- 
des Beispiel zu eriautern, wollen wir noch einen einzelnen Fall be- 
trachten, in welchem die Aussageinhalte zweier Aussagen zusammen- 
fallen, obwohl weder die Aussagelaute noch die Aussagegrundlagen 
noch die Aussagevorstellungen sich decken. In dieser Absicht machen 
wir die folgende Voraussetzung. Es mogen ein Engiander und ein 
Franzose, jeder in seiner Sprache, die Aussage machen: „Fasse ich 
diese zwei Einheiten und diese eine Einheit zusammen, so erhalte ich 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 93 
drd Einheiten." Es m6ge femer der Franzose diese Aussage machen, 
nachdem in seiner Oegenwart auf einem Klavier 2 -f 1 T6ne ange- 
schlagen, der Engl&nder, nachdem in seiner Gegenwart 2 + 1 Streich- 
hSIzer angezQndet wurden. Und es moge endlich der Franzose dem 
type auditify der EnglSnder dem type visuel angehdren, so daB das 
Denken des ersten in der R^el in akustischen, das des zweiten in 
optischen Phantasmen vor sich gehe. DaB unter diesen Voraussetzungen 
die Aussagelaute beider Aussagen voneinander verschieden sind, ver- 
steht sich von selbst Ebenso klar scheint, daB auch die Aussage- 
grundlagen nicht zusammenfallen, da als Aussagegrundlage das eine 
Mai das Anschlagen von 3 Klaviertdnen, das andere Mai das An- 
ziinden von 3 Streichholzem fungiert. Damit ist indes endlich auch 
die Verschiedenheit der Aussagevorstellungen gewahrleistet, die ja das 
eine Mai franzosische Worte und akustische Ph^nomene, das andere 
Mai englische Worte und optische Phanomene zum Inhalte haben. 
Und dennoch wird durch all diese Verschiedenheiten die Inhaltsgleich- 
heit beider Aussagen nicht aufgehoben: obwohl sie von verschiedenen 
Tatsachen handeln, durch verschiedene Worte ausgesprochen werden, 
von verschiedenen Vorstellungen begleitet sind, sagen sie durchaus 
den gleichen Tatbestand aus, daB namlich der Aussagende, „wenn er 
die gegebenen 2 Einheiten und die g^ebene 1 Einheit zusammen- 
faBt, 3 Einheiten erhalt''. Diese Inhaltsgleichheit oder, wie wir auch 
sagen konnen, diese logische Aequipollenz von Aussagen, die sonst 
nach alien anderen Elementen voneinander verschieden sind, ist das 
groBe Faktum, das fur unsere weiteren Ueberlegungen und Frage- 
stellungen den Ausgangspunkt bildet. 
2) Gegen die vorstehende Erorterung ware eine Einwendung mdglich. 
Man konnte namlich sagen, Aussagegrundlage der von uns angefuhrten 
Aussagen sei nicht die einzelne Tatsache, welche die Aussage veran- 
laBt, sondem der Inb^ff aller Tatsachen, die sie veranlassen konnen; 
dieser Inb^ff aller wirklichen und moglichen Falle aber, in denen 2 Ein- 
heiten und 1 Einheit zu 3 Einheiten zusammengefaBt werden, sei naturgemaB 
nur einer (vgl. § 32. 3) und deshalb auch fur unsere beiden Aussagen 
derselbe, so daB ihrer Inhaltsgleichheit doch auch eine Gleichheit der Aus- 
sag^jundlagen entspreche. Diese Einwendung wird indes hinfallig durch 
die Bemerkung, daB ich doch in alien Fallen, in denen ich aussagen kann, 
daB ich durch Zusammenfassung von 2 -f- 1 Einheiten 3 Einheiten erhalte, 
auch geradezu aussagen kann: ,,Dies sind 3 Einheiten''. Denn da demnach 
trotz der angegebenen Erweiterung des Begriffes Aussagegrundlage gleiche 
Aussagegrundlagen verschiedene Aussageinhalte zu fundieren vermdgen, so 
ist diese Erweiterung offenbar nicht imstande, die Begriffe Aussageinha 
94 NOOLOOIE 
und Aussag^jundlage zur Deckung zu bringen und die Gleichheit der Aus- 
sageinhalte an die Gleichheit der Aussag^jundlagen zu binden. Dassdbe 
zeigt sich ja auch an dem Verhaltnis der beiden Aussagen : ^Dieses Dreieck 
hat 3 gleiche Seiten** und ^Dieses Dreieck hat 3 gleiche Winkel^ Beide 
Aussagen haben denselben Inbegriff von Tatsachen zur Grundlage, und 
dennoch sind ihre Inhalte durchaus voneinander verschieden. Auch jene 
Erweiterung des B^ffes Aussagegmndlage wurde also die Unabhangig- 
keit des Aussageinhalts von der Aussag^jundlage keinesw^[s beseitigen. 
3) Ehe wir an das Faktum der logischen Aequipollenz von Aus- 
sagen, die sich nach Orundlage, Vorstellungen und Sprachform unter- 
scheiden, weitere Untersuchungen knQpfen, mOssen wir erst dieses 
Faktum selbst noch mehr klarstellen und es gegen mogh'che Ein- 
wendungen sichem. Es kdnnte nSmlich jemand meinen, in Wahrheit 
gebe es gar keine durchaus gleichen Aussageinhalte, — ebensowenig 
wie es Qberhaupt zwei gleiche Individuen oder auch nur zwei absolut 
kongruente Zustande Fines Individuums gebe. Wie vielmehr jeder 
Mensch eine andere Stimme habe als jeder andere, und ebenso auch 
andere Oedanken, so werde auch jeder mit einer bestimmten Aussage 
einen ganz besonderen Sinn verbinden. Infolgedessen werde denn 
auch jeder solche individuelle Aussageinhalt in anderen logischen 
Beziehungen stehen: jeder Einzelne wird denselben Begriff anders 
definieren, andere Pradikate ihm zu- und absprechen, aus demselben 
Satze andere Folgerungen ableiten. Und diese Vormeinung werde 
von der Erfahrung durchaus bestStigt: zeigt doch diese eine uner- 
schdpfliche FuUe von MiBverstHndnissen, Auffassungs- und Meinungs- 
verschiedenheiten. Niemand werde diese insgesamt auf bloBe Fehler 
in der Anwendung der logischen Funktionen zurQckfQhren wollen, 
sondem offenbar sei an ihnen die mangelnde Kongruenz der Begriffs- 
inhalte, TatbestHnde usw., kurz der Aussageinhalte schuld. Dann habe 
es jedoch keinen Sinn, eben diesen Aussageinhalten logische Aequipollenz 
zuzuschreiben. 
An alledem nun ist ohne Zweifel viel Wahres: solche Verschieden- 
heiten der logischen Elemente von Individuum zu Individuum bestehen 
wirklich, und wir werden bei einer spateren Oel^enheit sehen, in 
welcher Weise die logische Praxis diesen Uebelstand bekampft Allein 
zwei Erwagungen verbieten es, diesen Verh^ltnissen eine entscheidende 
RoUe in dem hier entwickelten Sinne zuzuteilen. ZunSchst: die sub- 
tilen Begriffsnuancen zwischen Aussagen verschiedener Individuen 
sind Unterschiede einer ganz anderen Ordnung als die groben Ver- 
schiedenheiten der Aussagegrundlagen ynd der Aussagevorstellungen. 
Es mag z. B. sein, daB der Begriff des ^Zusammenfassens'' auch bei 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 95 
mehreren erwachsenen und gebildeten Menschen desselben Sprach- 
und Kulturkreises noch individuelle Besonderheiten zeigen Icann: viel- 
leicht wird der eine auch ein ^unwillkQrliches Zusammenfassen'' an- 
erkennen, wShrend der andere in diesem Falle zu sagen vorziehen 
wird, die betreffenden Tatsachen hStten sich ihm ^zusammenge- 
schlossen''. Aber kann man eine solche Differenz vergleichen mit 
derjenigen, die zwischen T6nen und Farbenflecken oder zwischen 
Klavierspielen und Streichhdlzeranzunden besteht? Und wenn man 
es nicht kann, wie wollte man sich dem EingestlUidnis entziehen, daB 
die Oleichheit der Aussageinhalte von derjenigen der Aussagelaute, 
der Aussagegrundlagen und der Aussagevorstellungen unabhSngig is^ 
und daB die logische Aequipollenz der Aussagen durch die indivi- 
duellen Differenzen ihrer physischen Orundlagen und psychischen 
Begleiterscheinungen nicht berOhrt wird? Doch weiter: gerade wenn 
die individuellen Abweichungen der Aussageinhalte sich darin SuBem, 
daB die denkenden Individuen einander nicht oder doch nur mangel- 
haft verstehen, Qber die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit derselben 
Begriffe, die Oultigkeit oder UngQltigkeit desselben Schlusses sich nicht 
einigen kdnnen, muB man umgekehrt einr3umen, daB die Aussage- 
inhalte einander gleich sind, soweit solche MiBverstSndnisse und 
Meinungsverschiedenheiten fehlen, soweit ein logischer Verkehr, eine 
logische Oemeinschaft unter den Menschen sich findet Und dieser 
Verkehr, diese Oemeinschaft ist denn doch eine unleugbare Tatsache, 
ja ein fundamentaler Faktor menschlichen Seins: beruht doch auf 
ihm alles Fragen und Antworten, Behaupten und Leugnen, Beweisen 
und Widerlegen, Lehren und Lemen. Wird indes diese Orundtatsache, 
in diesem Sinne und innerhalb dieser Grenzen, anerkannt und mit dem 
friiher Ausgefuhrten in Beziehung gesetzt, so erweist sie sich zugleich 
als ein groBes Problem : so viel Wunderbares und RStselhaftes schlieBt 
sie ein! 
Dieses Problem konzentriert sich in einem Punkte, der uns nicht 
mehr fremd ist (vgl. § 43): in der UnabhSngigkeit der logischen von 
den psychologischen Beziehungen der Aussagen. Als etwas rein Sub- 
jektives scheinen ja diese produziert zu werden: von einem bestimmten 
Individuum, in einem bestimmten Zeitpunkt, aus einer bestimmten Lage 
heraus. Und dennoch enthalten sie zugleich einen objektiven Inhalt, 
einen bestimmten logischen Wert. Ein anderes Individuum, in einem 
anderen Zeitpunkt, einer anderen Lage begegnet ihnen: und sofort 
bedeuten sie ihm etwas ganz Bestimmtes und Prazises, und zwar 
keineswegs jene individuell zufallige Lage des aussagenden Individuums, 
96 NCX)LOOIE 
sondem etwas, was fflr den Verstehenden ebenso gilt, wie es fur den 
Aussagenden gegolten hat Denn jedem Begriff, jedem Satz, jedem 
Beweis kommt ein bestimmter Inhalt, ein bestimmter Sinn, eine be- 
stimmte logische Valenz zu — ganz unabhSngig davon, welche Tat- 
sachen den Aussagenden zu seiner Aussage veranlaBt haben, was er 
sich dabei vorgestellt und in welche Laute er seine Aussage gekleidet 
hat Ich, der ich jetzt und hier lebe und denke, kann Stellung nehmen 
zu dem, was ISngst Verstorbene in femen LSndem gedacht haben: 
kann ihre S3tze annehmen oder ablehnen, ihre Argumente anerkennen 
Oder widerl^en. Ja noch mehr: ich kann feststellen, daB die Aus- 
sagen von Menschen, die voneinander nie etwas gewuBt haben, mit- 
einander Qbereinstimmen oder einander widersprechen, einander er- 
ginzen oder widerlegen. Die Aussagen selbst also sind an das In- 
dividuum, an Zeit und Ort gebunden, und ebenso ihre Grundlagen, 
ihre Sprachformen und die mit ihnen verknflpften Vorstellungen. Nur 
ihre Inhalte treten uber Lilnder und Zeiten hinw^ miteinander in 
Verbindung, urn in individuelle, unzeitliche und unraumliche Be- 
ziehungen der Vertraglichkeit, des Widerspruches usw. einzugehen. 
Aus der Glut und dem Flusse des Augenblicks erzeugt, erstarren die 
Aussagen gleichsam zu einem dauemden, unveranderlichen Sein, das 
nun gegen alles Subjektive und Zufailige sich indifferent verhSlt In 
der Erregung des Streites zweier Brahmanen ist irgendwo in Indien 
vor 2000 Jahren ein Wort gefallen. Die Erregung ist verklungen, der 
Streit geschlichtet, die Brahmanen sind tot, ihr Volk unteijocht Das 
Wort ist geblieben. Es kann zu dem anderen Worte eines anderen 
Menschen aus einer anderen Zeit stimmen oder nicht stimmen. Es 
kann dieses andere Wort uberwinden oder von ihm fiberwunden 
werden. Ob dies oder jenes geschieht, hingt gar nicht davon ab, 
von wem, aus welchem AnlaB, unter welchen Umstanden die beiden 
Worte gesprochen wurden. Es hangt einzig und allein ab von ihrem 
logischen Gehalt So scheint sich dieser Inhalt der Aussagen aus 
dem individuellen BewuBtsein herauszuringen und ein eigenes Leben 
zu gewinnen: ein Leben auBer der Zeit und auBer den Denkenden. 
Wenn daher Platon an diesem Punkte in unsere Welt der Zeitlich- 
keit eine hohere Welt der Ewigkeit glaubte hereinragen und herein- 
strahlen zu sehen, so sollte man ihn nicht verlachen, sondem be- 
greifen. Denn dieser Grundgedanke seiner Ideenlehre hat ein un- 
vergangliches Recht 
4) Hierauf werden wir zuriickkommen. Doch an dieser Stelle ware 
uns auch mit der uneingeschrankten Anerkennung der platonischen 
ORIENTIERUNO UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 97 
Ideen nicht geholfen. Denn mdchte auch der Aussageinhalt an und 
fur sich selbst Sein und Bestand besitzen, die denkenden Individuen, 
welche ihn verstehen, mOBten ihn dennoch in irgendwelchen Tatsachen 
ihres BewuBtseins erfassen. Diese BewuBtseinstatsachen, welche den 
Inhalt, den Sinn, den logischen Gehalt der Aussagen konstituieren, 
sind demnach zu allererst aufzuzeigen: das ist die erste Aufgabe der 
Noologie, das erste Problem der Lehre von den Denkinhalten, die 
Erste semasiologische Hauptfrage. Allein dnstweilen sehen wir gar 
keine Spur, die uns zur Beantwortung dieser Frage hinfOhren kdnnte. 
Die beiden andem primHren Aussageelemente freilich setzen einer 
psychologischen Bestimmung gar keinen Widerstand entgegen: die 
Aussagelaute und die Aussagegrundlage werden vorgestellt Damit 
ist jedoch fur den Aussageinhalt nur ein negatives Ergebnis gewonnen. 
Als Vorstellung nSmlich, so scheint es, kann er dem BewuBtsein 
nicht gegeben sein, denn mit den Aussagevorstellungen soil er ja 
nicht zusammenfallen : er soil konstant sein, auch wo diese variieren, 
und variieren, auch wo diese konstant sind. Ein andersartiges 
psychisches Element vielmehr ist zu suchen: ein Element, das von 
diesen Vorstellungen ganz unabhangig ist; ein Element, das durch 
seinen Wechse! die verschiedensten „Auffassungen** derselben Vor- 
stellungsinhalte ermdglicht und das doch so beharrlich ist, daB es das 
groBe Faktum des logischen Verkehrs, der logischen Gemeinschaft, 
der logischen Aequipollenz gUnzlich heterogener Vorstellungen zu be- 
grunden vermag; ein Element, welches dasselbe ist, ob nun der 
franzosische Auditif das Anschlagen dreier Klaviertone oder der eng- 
lische Visual das Anzunden dreier Streichhdizer so auffafit, daB er 
„die Zusammenfassung von 2 Einheiten und 1 Einheit zu 3 Einheiten'' 
aussagt. 
§49 
Die nach § 47 zwischen dem Aussageinhalt und den Aus- 
sagelauten bestehende Relation des Ausdrucks ist in mehrfacher 
Hinsicht der zwischen der Substanz und den QualitSten eines 
Dinges bestehenden InhSrenzbeziehung (§ 10) ahnlich. 
Insbesondere gelten uns auch die aus Aussageinhalt und Aussage- 
lauten bestehenden Komplexe, d. i. die Aussagen, ohne Riicksicht 
auf die Mehrheit und den Wechsel der Aussagelaute als einheit- 
lich und beharrlich, wenn sie gleiche Aussageinhalte besitzen. 
Die Aussagen werden also von uns, ebenso wie die Dinge, als 
Gegenst3nde eriebt 
Oomperz, Wdtanschauungslelire II 1 7 
98 NCX)LOOIE 
Es entsteht daher die Frage, was wir unter der Ausdrucksbe- 
ziehung zwischen Aussageinhalt und Aussagelauten uberhaupt, und 
was wir unter der GegenstSndlichkeit der Aussagen insbe- 
sondere verstehen. Diese Frage bezeichnen wir als die Zwdte sema- 
siologische Hauptfrage. 
ERLAUTERUNG 
1) DaB die Verknflpfung der Aussagdaute mit dem Aussageinhalt 
ihrem Zustandekommen nach auf Assoziation beruht^ bedarf 
keines lingeren Beweises. Man muB eine Sprache lemen^ um sie 
sprechen zu kdnnen, d. h. die Sprachformen und die von ihnen aus- 
gedrOckten Oedanken mussen mindestens einmal, meist jedoch wieder- 
holt, gleichzeitig oder in unmittelbarer Folge eriebt worden sein, 
ehe jene Sprachformen als Ausdruck fur diese Oedanken fungieren 
kdnnen. Allein auch das kann nicht zweifelhaft sein, daB diese asso- 
ziative Verknflpfung nur die Auswahl derClieder bestimmt, welche 
in die Ausdrucksbeziehung eintreten, keineswegs dieStruktur dieses 
Verhaitnisses selbst. Damit eine Ehe zustande komme, mflssen Mann 
und Frau einander kennen gelemt haben: deswegen \i&i sich die Ehe 
doch nicht erklaren als das Verhaltnis eines Mannes und einer Frau, 
die einander kennen ; denn ein Mann und eine Frau kdnnen einander 
kennen, auch ohne verheiratet zu sein. So nun fungiert auch eine 
Sprachform keineswegs als Ausdruck fur alles, oder auch nur fur alle 
Aussageinhalte, mit denen sie assoziativ verknupft ist Das Wort 
Grofi z. B. ist ohne Zweifel mit dem Worte Klein assoziiert, und auch 
mit dem Sinne dieses Wortes. Beide werden unzahlige Male in un- 
mittelbarer Folge eriebt, und nach den Prinzipien der Assoziations- 
psychologie lieBe sich sogar ohne weiteres beweisen, daB die Asso- 
ziation zwischen dem Worte Grofi und dem Begriffsinhalt Kiein durch 
Ausfall des vermittelnden Gliedes — des Wortes Kiein — eine kaum 
zu uberbietende Innigkeit annehmen musse. Allein das Wort Orofi 
fungiert niemals als Ausdruck — weder fur das Wort Kiein^ noch 
auch fur dessen Sinn. Das Wesen der Ausdrucksrelation wird daher 
durch die assoziative Verknflpfung ihrer Glieder keineswegs erschopft 
Die Eigenart dieser Relation wird uns etwas naher gebracht werden, 
wenn wir solche Falle betrachten, in denen gleiche Aussagelaute ver- 
schiedene Aussageinhalte ausdrucken. Man vergleiche z. B. die Laut- 
gruppeBm/ in dem deutschen Satze ,, Diese StraBe ist breif*^ mit der- 
selben Lautgruppe in dem englischen Satze „The morning was bright^ ; 
das Wort Tor als Namen fur die Hausture mit demselben Worte 
ORIENTIERUNO UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 99 
Tor als Namen fur elnen tSrichten Menschen; das Wort Hofmann 
als Eigennamen und als Bezeichnung fur einen Mann, der gewohnt 
ist, an Hofen zu leben; endlich das Wort Konigsberg als Namen der 
bekannten deutschen Stadt mit demselben Worte Konigsberg in seiner 
etymologischen Bedeutung als „Berg des Konigs**. Bei jedem solchen 
Auffassungswechsel uberzeugt man sich davon, daB die einander ab- 
Idsenden Bedeutungen nicht etwas sind, was dem Wortklange bloB 
auBerlich anhinge — so daB dieser nur Ein Pradikat gegen ein anderes 
eintauschte, im Qbrigen aber dieselbe Aussage bliebe Vielmehr tritt 
bei solchem Wechsel an die Stelle der einen Aussage eine andere 
Aussage, die sich nur in denselben Wortklang wie jene kleidet Hof- 
mann und Hofmann sind nicht gleiche Aussagen mit verschiedenen 
Eigenschaften, sondem es sind verschiedene Aussagen, die nur gleich 
klingen. Es verhiilt sich demnach hier gerade so, wie wenn ich etwa 
denselben optischen Eindruck erst als Schlange und dann als Baum- 
wurzel, erst als den UmriB eines Berges und dann als die Oesichtslinie 
eines menschlichen Kopfes, erst als eine konvexe und dann als eine 
konkave Hohlkugel auffasse. Auch hier namlich fasse ich nicht den 
gleichen Gegenstand in zwei verschiedenen Zustanden auf, sondem 
zwei verschiedene Gegenst&nde, die nur gleich aussehen. Das heiBt 
indes: wie uber die Identitat oder Nichtidentitat zweier Dinge nicht 
die Gleichheit der sinnlich wahmehmbaren Qualitaten entscheidet, 
sondem die Verschiedenheit der hinzugedachten Substanz, so ent- 
scheidet auch flber die Identitat oder Nichtidentitat zweier Aussagen 
nicht die Gleichheit der sinnlich wahmehmbaren Aussagelaute, 
sondem die Verschiedenheit des hinzugedachten Aussageinhalts. 
In dieser Beziehung also verhalten sich Aussagen ganz wie Dinge, und 
dieAusdrucks beziehung zwischen Aussagelauten und Aussageinhalt 
ganz wie die Inh3renzbeziehung zwischen Qualitaten und Substanz. 
Allein es gilt nun auch das Umgekehrte. Zwei Dinge gelten uns als 
identisch, d. h. als einheitlich und beharrlich, ohne Rucksicht auf die 
Verschiedenheit der Qualitaten, wenn nur ihre Substanzen gleich sind. 
Ebenso nun gelten uns auch zwei Aussagen als identisch, d. h. als 
einheitlich und beharrlich, ohne Rucksicht auf die Verschiedenheit der 
Aussagelaute, wenn nur ihre Aussageinhalte gleich sind. Der pytha- 
goreische Lehrsatz auf deutsch z. B., und der pythagoreische Lehrsatz 
auf englisch, gelten uns als identische Aussagen, ohne Rucksicht auf 
die Verschiedenheit der Aussagelaute, bloB auf Gmnd der Gleichheit 
des Aussageinhalts. Hieran andert sich auch nichts, wenn wir die 
Identitat in ihre Elemente, in Einheitlichkeit und Beharrlichkeit zerlegen. 
100 NCX)LOOIE 
Denn der pythagoreische Lehrsatz gilt uns als Ein Satz, obwohl er 
aus zahlreichen Worten und noch zahlreicheren Lauten besteht, ob- 
wohl diese Worte und Laute zu verschiedenen Zeiten und von ver- 
schiedenen Individuen ausgesprochen oder vorgestellt werden, und 
obwohl diese Worte und Laute sogar verschiedenen Sprachen ange- 
hdren und einander daher auch durchaus unahnlich sein kdnnen. Der 
pythagoreische Lehrsatz gilt uns aber auch als derselbe Satz, ob- 
wohl die Worte und Laute, die seine sprachliche Form konstituieren, 
gewiB nicht dieselben sind, wenn sie auf verschiedene Zeiten, Indi- 
viduen und sogar Sprachen sich verteilen. Ebenso gilt uns der Be- 
griff „Gerade Linie'' als Ein Begriff und als derselbe Begriff, der 
ontologische Beweis als Ein Beweis und als derselbe Beweis — 
ganz ohne ROcksicht darauf, daB die Aussagelaute, welche jenen Be- 
griff Oder diesen Beweis ausdrucken, vielleicht ganz verschieden 
klingen und durch Jahrhunderte voneinander getrennt sein mogen. 
Es findet demnach hier wirklich ganz dasselbe Verhaltnis statt, das 
auch zwischen dem Ding und seinen Qualitaten herrscht: den Quali- 
tUten entsprechen die Aussagelaute, der Substanz der Aussageinhalt, 
dem Verhaltnis der Inharenz die Relation des Ausdrucks, dem Ding 
die Aussage Allein die Aussage ist nichts Kdrperliches. Da wir nun 
die Korperlichkeit zur Bedingung fOr die Verwendung des Dingb^^ffes 
machten (§ 10. 4), so kSnnen wir hier auch nicht von der Dinglicb- 
keit, sondem bloB allgemeiner von derGegenstandlichkeit der 
Aussagen sprechen. Und um die als GegenstSnde aufgefaBten Aus- 
sagen von anderen Gegenstanden zu unterscheiden, wollen wir sie 
fortan als noetische Gegenstande bezeichnen. Ueber Wesen 
und Eigenart dieser noetischen Gegenstandlichkeit nun durften nodi 
einige eriautemde Bemerkungen am Platze sein, ehe wir zu der groBen 
Frage uns zuruckwenden, ob denn von einer solchen Gegenstandlich- 
keit uberhaupt geredet werden durfe. 
2) Wenn wir betonen, daB eine gegenstandliche Auffassung 
der Aussagen vorkommt, so leugnen wir damit doch nicht, daB auch 
eine individuelle Auffassung derselben moglich ist Wir 
sprechen von noetischen Gegenstanden, sobald wir das Verhiltnis 
gleicher Aussageinhalte zu einer M eh rheit von Sprachformen ins 
Auge fassen ; setzen wir dagegen uberhaupt nur E i n e n AussagdnhaK 
und Eine Sprachform zueinander in Beziehung, so haben wir kdnen 
AnIaB, von etwas anderem als von einer individudlen Aussage zu 
sprechen. In der Regel wird die letztere Betrachtungswdse da vor- 
wiegen, wo die Aussage durch ihren Inhalt an eine vorubergehende 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 101 
Situation gebunden isL An und fur sich hat ohne Zweifel auch der 
Satz „!ch bitt' Dich, geh zum Backer und hor mir einen Wecken** 
einen Ewigkeitsgehalt Wenn ich darauf reflektiere, daB dieser Satz 
dasselbe bedeutet, wann immer und von wem immer er ausgesprochen 
werde, dann erfasse ich den Satz „!ch bitt' Dich, geh zum Backer 
und hor mir einen Wecken" — somit einen noStischen Gegenstand. 
Allein fOr gewdhnlich reflektiere ich hierauf nicht, sondem fasse 
den genannten Satz als nichts anderes auf denn als eine einzige, an 
einen bestimmten Zeitpunkt und einen bestimmten Aussagenden ge- 
bundene Sprachform samt dem ihr zugehorigen Sinn — als ein StQck 
deutscher Rede. Ein solches aber kdnnen wir als eine individuelle 
Aussage bezeichnen. In gewissem Sinne freilich ist auch solch 
eine individuelle Aussage ein Gegenstand: sofem namlich auch in ihr 
eine Mehrheit von Aussagelauten durch Einen Aussageinhalt zur Ein- 
heit Einer Aussage geeinigt ist. Dennoch stellt sie naturlich ein 
elementares Gebilde dar — dem noetischen Gegenstande gegenuber, 
an welchem die gesamte Sprachform der individuellen Aussage nur als 
ein vorQbergehendes Accidens erscheint. Mit der individuellen Aus- 
sage verglichen kann daher der noStische Gegenstand ein Gegen- 
stand hoherer Ordnung heiBen. 
Die Beharrlichkeit nimmt bei den noetischen GegenstSnden die 
eigentumliche Form der Unveranderlichkeit an. Bei gleichbleibendem 
Aussageinhalt kdnnen n Jmlich die Aussagelaute zwar einem W e c h s e I , 
nie dagegen einer Aenderung unterliegen. Denn es werden, wenn 
eine Aussage auch in noch so kleinen Zwischenraumen wiederholt 
wird, zwar stets andere und andere Aussagelaute jenen Aussageinhalt 
ausdrucken, allein es wird niemals ein Uebergang der einen in die 
anderen stattfinden : mag nun die Aussage von einem oder mehreren 
Individuen, in Einer oder in mehreren Sprachen vollzogen werden, 
die Folge der Aussagelaute wird stets eine diskrete, niemals eine kon- 
tinuierliche sein, da es zwischen verschiedenen Sprachen und Indi- 
viduen uberhaupt keine stetigen Vermittlungen gibt, und auch Ein 
Individuum mit der neuen Aussage nicht beginnen kann, ehe die alte 
beendet ist Der Wechsel der Aussagelaute eines noetischen Gegen- 
standes verhalt sich daher zu dem der Qualitaten eines Dinges, wie 
sich die KostQmwechsel zweier Schauspieler verhielten, von denen der 
Eine auf offener Szene seine Gewander vertauscht, wShrend der andere 
bloB jedesmal, wenn der Vorhang aufgeht, in einer neuen Tracht sich 
prasentiert Das Aenderungsgefuhl(§ 21. 12), welches im letzteren 
Falle ebenso wie in dem der noStischen GegenstSnde fehit, ist jedoch, 
102 NOOLOOIE 
wie sich noch zeigen wird, das eigentliche Fundament des B^ri 
der Zeit FaBt man daher die noetischen Oegenstande an und 
sich selbst ins Auge, so werden sie zu einer Anwendung des 2 
begriffes uberhaupt keinen AnlaB bieten, sich dem BewuBtsein ' 
mehr als vollkommen zeitlos darstellen. Vergleicht man sie dage 
mit dem zeitlichen Flusse der physischen und psychischen Erse 
nungen, mit denen sie doch jedesmal zugleich dem BewuBtsein 
geben sind, so wird ihre Unveranderlichkeit als eine anfangs- 
endlose Dauer eriebt werden. Diese beiden Betrachtungswe 
kann man indes auch in Eins zusammenfassen, indem man sich e 
Ausdrucks bedient, der zwar im strengen Sinne bloB die Zeitlosigi 
haufig jedoch auch die unbegrenzte Dauer bedeutet, nSmlich des / 
drucks Ewig. Und in der Tat pflegt man ja auf die noetisc 
Gegenstlnde dieses Pradikat anzuwenden, indem man etwa 
„ewigen Wahrheiten** spricht. 
Es muB auch hervorgehoben werden, daB die GegenstlndlichI 
Einheit, Ewigkeit usw. wirklich der Aussage und nicht etwa ( 
Aussageinhalt zukommt Viele Denker, welche die noetis 
GegenstHndlichkeit anerkennen, reden namlich so, als ob das letz 
der Fall ware: die logischen Inhalte der Begriffe, die in den S51 
ausgesagten Tatbestande usf., meinen sie, seien das Objektive i 
Zeitlose. Wir dagegen glauben, daB Gegenstandlichkeit uberall 
einem Komplex anhangt, der aus Beharrlichem und Wechseinc 
besteht. So ist ja auch ein korperliches Ding erst der ganze Kom) 
Substanz + Qualitaten; die Substanz allein ist kein Ding, mil 
auch kein Gegenstand. Ebenso erscheint uns nun auch als noetisc 
Gegenstand erst der Komplex Aussageinhalt -|- Aussagelaute ^ n 
der Aussageinhalt allein : die Begriffe, Satze, Fragen, Beweise etc s 
— so meinen wir — selbst dasjenige, was den gewdhnlichen 
nahmen zufolge dem subjektiven Denken als objektives QedacI 
gegeniibersteht, was trotz der Vielheit der Denkenden als Eines \ 
trotz ihrer Verschiedenheit als identisch gilt. 
Statt von der Gegenstandlichkeit konnen wir auch von der C 
jektivitat der Aussagen sprechen. Denn nicht nur sind beide)^ 
drucke sprachlich gleichbedeutend, sondem es liegt ja auch sach 
im Begriffe eines Gegenstandes, daB ihm Einheitlichkeit und Beh 
lichkeit zukomme trotz der Mehrheit und dem Wechsel der Eindrui 
die wir von ihm erhalten und durch die wir ihn erfassen — das h( 
aber, daB er nicht nur „fur uns", sondern auch „an sich** existi 
In der Tat ist ja dies die Meinung derjenigen, die etwa von ^ewi] 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 103 
Wahrheiten** sprechen. Wie bei den physischen ist daher auch bei 
den noetischen Objekten das selbstandige und unabhSngige Sein in 
die gegenst3ndliche Struktur eingeschlossen. Doch steht f(ir uns hier, 
wo wir noch nicht ontologie treiben, diese Struktur im Vordergrunde, 
wahrend jene Seinsweise uns nur als eine notwendige Konsequenz 
erscheint Wir zielen daher auch mit unserer Fragestellung unmittel- 
bar nur auf die nicht-ontologische Seite des Problems und formulieren 
unsere Zweite semasiologische Hauptfrage so: wie ist es zu erkl^ren, 
daB die Aussagen als Oegenstande erlebt werden, d. h. als einheitliche 
und beharrliche Komplexe, in denen mehrere und wechselnde Aussage- 
laute einem einheitlichen und gleichen Aussageinhalt inharieren? 
Es drSngt sich endlich schon hier die Vermutung auf, auch die Be- 
antwortung dieser Frage werde der Auflosung des Dingproblems 
analog sein mOssen, d. h. der Aussageinhalt werde sich uns gleich 
der Substanz als eine Totalimpression erweisen. Ohne dieser 
Vermutung zu widersprechen, wollen wir nun doch schon jetzt darauf 
hinweisen, daB der Aussageinhalt jedenfalls nicht die Totalimpression 
der Aussagelaute sein kann, da ja diese einen Gesamteindruck auch 
auf solche Individuen machen, welche des von ihnen ausgedriickten 
Sinnes nicht kundig sind. Durch eine einfache Uebertragung der fur 
das Dingproblem gewonnenen Ergebnisse kann somit die Zweite sema- 
siologische Hauptfrage gewiB nicht beantwortet werden, und eben 
dadurch erweist sie sich als ein selbstandiges, besonderer Unter- 
suchungen wurdiges und bedurftiges Problem. 
3) Wir haben die Erorterung dieser einigermaBen nebensachlichen 
Fragen zu Ende gefuhrt, wohl wissend, daB die Mehrzahl der Leser 
von uns etwas ganz anderes erwarten, ja fordem wird: namlich eine 
grundsStzliche Rechtfertigung des Begriffes noetischer GegenstSnde 
uberhaupt. Ehe wir jedoch eine solche Rechtfertigung liefem, mussen 
wir vorerst den problematischen Begriff selbst noch nSher bestimmen ; 
und dies wird am zweckmaBigsten so geschehen, daB wir ihn gegen 
zwei andere Begriffe abgrenzen, mit welchen er nahe verwandt scheint 
und deshalb leicht verwechselt werden kann. 
Der eine dieser beiden Begriffe ist der des objektiven Oe- 
dankens, wie wir ihn in den §§42 und 43 entwickelt haben; der 
andere ist derjenige des transcendenten Gedankenwesens, der uns im 
nichsten Kapitel als Gegenstand der sogenannten realistischen 
Lehre beschaftigen wird. Zwischen beiden steht der Begriff des 
noetischen Gegenstandes, wie wir ihn hier verstanden wissen mSchten, 
in der Mitte. 
104 NCXJLOOIE 
In § 42. 2 lieBen wir ausdrucklich die Frage offen, ob der ^objektive 
Oedanke", d. h. das Oedachte, dem ^subjektiven Oedanken", d. L dem 
Denken, als etwas SelbstHndiges und UnabhSngiges g^enuberstehe, 
ob er von diesem erzeugt werde, oder ob vielleicht die Unterscheidung 
beider nur Ergebnis einer verschiedenartigen Betrachtung dessdben 
Gedankenfaktums sei. Ueber diese Position gehen wir hier durch die 
Behauptung hinaus, daB die erste dieser 3 Mdglichkeiten uns als Inhalt 
unserer Erfahrung unmittelbar gegeben sei : wir vertreten die Ansicht, 
daB der Mensch unter normalen UmstHnden die Aussagen als einheit- 
liche und beharrliche Oegenstande eriebt Doch wenn wir hier das 
Wort Erleben betonen, so geschieht es keineswegs etwa bloB zu dem 
Zwecke, urn die Objektivitat der Aussagen als eine besonders un- 
zweifelhafte und gewisse hinzustellen. Vielmehr soil damit zugleidi 
der ObjektivitHtsanspruch der Aussagen auf diese erlebte O^^en- 
standlichkeit eingeschrankt werden. Soweit nimlich unsere Auffassung 
Ober die bloB problematische Objektivitat der §§ 42—43 hinausgeht, 
soweit bleibt sie doch hinter der absoluten Objektivitat des „Realis- 
mus"^ zurQck. Dieser faBt die Begriffe, S3tze und Beweise als auBer- 
empirische Wesenheiten auf, die unabhangig von ihrem Gedachtwerden 
wirklich existierten. Dieses nun behaupten wir hier nicht, ja wir 
werden es in der ontologie ausdrucklich leugnen. Unsere These 
geht vielmehr dahin, diese Aussagen wurden von uns a 1 s unabhSngig 
von ihrem Gedachtwerden existierende eriebt Es ist dies dn 
kritischer Punkt, an dem wir keine BemOhung scheuen durfen^ um 
alle MiBverstandnisse zu zerstreuen. Wir wiederholen deshalb zu- 
nachst das Gesagte noch einmal. In der normalen Praxis ihres 
Denkens und Sprechens pflegen alle Menschen Aussagen mil gleichem 
Aussageinhalt, z. B. Satze mit gleichem Tatbestand, als ein und die- 
selben zu betrachten und zu bezeichnen, auch wenn die Denkakte, in 
welchen sie erfaBt, und die Sprachlaute, in die sie gekleidet werden, 
verschiedenen Individuen, Zeiten und Sprachen angehSren: sie fassen 
z B. den pythagoreischen Lehrsatz als einen und denselben Satz aui 
auch wenn er das eine Mai im 4. vorchristlichen Jahrhundert von 
einem Griechen auf griechisch, das andere Mai im 20. nachchristlicheo 
Jahrhundert von einem Deutschen auf deutsch gedacht und ausge- 
sprochen wird ; von Beiden, meinen sie, werde ein und dersdbe Satz 
gedacht. Nun gibt es eine Ansicht, der zufolge diese Ausdruckswdse 
nur berechtigt ist, sofem mit ihr auf die spezifische Gleichheit zwder 
Denkakte hingewiesen werden soil; wer sich ihrer bediene, wolk 
nichts anderes sagen, als daB in beiden Fallen mit verschiedenen Aus- 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 105 
sagelauten gleiche Aussageinhalte, d. h. inhaltlich kongruente sub- 
jektive Denkakte, verbunden seien; von einer Einheit und Beharrlich- 
keit der Aussagen kdnne daher nur die Rede sein, sofem von der 
spezifischen Verschiedenheit der Aussagelaute und von der numerischen 
Verschiedenheit der Aussageinhalte abgesehen werde Und es gibt 
eine zweite Ansicht, der zufolge der pythagoreische Lehrsatz etwas 
an sich Existierendes ist, das in jenen zwei Aussagen nur von ver- 
schiedenen Individuen erfaBt und mit verschiedenen Sprachformen aus- 
gestattet wird; die Redeweise, es handle sich in beiden FSUen urn 
einen und denselben Satz, sei daher eine in jedem Sinne angemessene 
und zutreffende Diese zwei Ansichten nun lehnen wir beide in 
gleicher Weise ab und meinen, wer jener Ausdruckweise sich bediene, 
umschreibe damit die Tatsache, daB i h m der pythagoreische Lehrsatz 
als etwas Einheitliches und Beharrliches, von seinem Gedacht- und 
Ausgesagtwerden zu verschiedenen Zeitpunkten, durch verschiedene 
Individuen und in verschiedenen Sprachen Unabhangiges, kurz als 
etwas Objektives, als ein noStischer Oegenstand gegeben sei : wer sich 
so ausdrQcke, brauche demnach durchaus nicht von irgendwelchen 
spezifischen und numerischen Verschiedenheiten abzusehen, sondem 
nur sein Eriebnis unmittelbar in Worte zu kleiden ; allein ob auch un- 
abhangig von diesem und ahnlichen Oegenstandlichkeits-Erlebnissen 
der pythagoreische Lehrsatz wirklich ein einheitlicher und beharrlicher 
Gegenstand sei, darOber sei hierdurch nicht das mindeste ausge- 
macht 
Wer mit der transcendentalphilosophischen Terminologie vertraut 
ist, dem kdnnen wir unsere Position durch eine kurze Formel un- 
miBverstandlich klar machen : wir vertreten die e m p i r i s c h e R e a 1 i t S t 
der noetischen Oegenstande, ohne deswegen ihre trans cen den tale 
I deal it it zu leugnen, und entfemen uns deshalb ebensoweit von 
jenen, welche ihre empirische Idealitat, wie von denjenigen, die ihre 
transcendentale Realitat behaupten. Wer dagegen jener Vertrautheit er- 
mangelt, dem mag vielleicht auch hier wieder die vergleichsweise 
Heranziehung der analogen Verhaltnisse auf dem Gebiete der korper- 
lichen Dinge unseren Standpunkt am ehesten naher bringen. 
Wenn wir hdren, daB verschiedene Menschen zu verschiedenen 
Zeiten den Oipfel des Monte Rosa gesehen haben, so pflegen wir 
unter normalen UmstHnden Alle zu sagen, sie hatten einen und den- 
selben Berg gesehen, mithin etwas Einheitliches und Beharrliches, von 
seinem Wahrgenommenwerden Unabhangiges, kurz etwas Objektives, 
einen physischen Gegenstand. Nun gibt es eine Ansicht, der zufolge 
106 NOOLOOIE 
hiermit nichts anderes gesagt sein soil, als daB zwei zwar inhalts- 
gleiche, jedoch voneinander numerisch verschiedene Oesichtswahr- 
nehmungen stattgefunden hatten; nur wenn man von dieser nume 
rischen Verschiedenheit absehe, habe jene gewdhnliche Ausdrucksweise 
ihre Berechtigung. Und es gibt eine zweite Ansicht, der zufolge der 
Monte Rosa wirklich als ein einheitliches und beharrliches, von seinem 
Oesehenwerden unabhanglges Objekt, als ein physischer Gegenstand 
existiert Tritt nun jemand auf und lehrt — es ist das in diesem 
Falle annihemd die Lehre Kants — , jene Redeweise driicke zunachst 
nur das Eine aus, daB, wer sich ihrer bediene, den Monte Rosa als 
ein einheitliches und beharrliches Objekt, als einen physischen Gegen- 
stand erlebe, so ist einleuchtend, daB er sich damit von jenen beiden 
Ansichten gleich weit entfemt Denn er leugnet, daB der Aussagende, 
urn zu seiner Aussage zu gelangen, von irgendeiner numerischen 
Verschiedenheit absehen muBte; und er behauptet deswegen doch 
keineswegs, daB der Monte Rosa auch unabhangig von seinem Als- 
einheitlich-und-beharrlich-erlebt-werden wirklich einheitlich und beharr- 
lich sei; seine These geht vielmehr nur dahin, das Erlebnis des Aus- 
sagenden sei seiner Struktur nach ein solches, welches zu seinem 
adaquaten Ausdrucke die Aussage fordere, der Monte Rosa sei ein 
physisches Objekt 
Gar nicht anders als mit den physischen steht es nun mit den 
noetischen Gegenstanden. Zeitlich und individuell auseinanderliegende 
Wahmehmungen dort — zeitlich und individuell auseinanderliegende 
Denkakte hier. Ja noch mehr! Denn auch die Verschiedenheit der 
Sprachen findet auf dem korperlichen Gebiete ihr Analogon, indem 
etwa der Eine den Monte Rosa aus der Nahe als weiBe Riesenmasse, 
der Andere aus der Feme als blaues Punktchen sieht Somit weiter: 
Verschiedenheit der Qualitaten dort — Verschiedenheit der Aussage- 
laute hier. Und femer: spezifisch gleiche, jedoch numerisch ver- 
schiedene Gesamteindruckserlebnisse dorti) — spezifisch gleiche, 
jedoch numerisch verschiedene Aussageinhaltserlebnisse hier. Trotzdem 
in beiden Fallen die gelaufige Rede von einheitlichen und beharrlichen 
Gegenstanden, die dort unabhangig sein sollen von der Mehrheit und 
dem Wechsel ihrer Qualitaten sowie von ihrem Wahrgenommenwerden, 
hier von der Mehrheit und dem Wechsel ihrer Aussagelaute sowie 
von ihrem Gedachtwerden. Endlich hier wie dort die gleichen M6g- 
lichkeiten der Interpretation: die gleichen Versuche, die gebrauchliche 
*) Wurde mit jenen verschiedenen Gesichtswahraehmungen nicht eine gleiche 
Totalimpression sich verbinden, so konnten sie nicht beide als „hoher Berg" auf- 
gefafit werden. 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 107 
Redeweise relativierend umzudeuten, die gleichen Versuche, sie ins 
Absolute zu ubertreiben. Die Wucht dieser Analogie scheint mir un- 
widerstehlich : wo die Erscheinungen und ihre Erklarungen so vdllig 
analog sind, da mussen offenbar auch die zu Grunde liegenden Ver- 
haltnisse denselben Parallelismus aufweisen. Die ontologische Er- 
drterung mag schlieBlich ausfallen, wie sie will; daB sie fur das 
physische und das noetische Gebiet zu verschiedenen Ergebnissen 
gelangen sollte, dies darf schon hier als ausgeschlossen gelten: Aus- 
sagen und Kdrper mussen in gleichem MaBe und in gleichem Sinne 
objektiv sein. 
4) Doch ich hdre ein vielstimmiges Hohngeschrei : „Gerade die von 
dir aufgezeigte Analogie vemichtet deine Ansicht Denn wenn die 
Menschen von der Einheit und Beharrlichkeit der Aussagen sprechen, 
so lassen sie sich dabei ausschlieBlich von eben dieser Analogie leiten. 
Sie reden von den Aussagen, als war en sie Kdrper. Das heiBt, sie 
hypostasieren die Aussagen nach Analogie der KSrper. Es 
handelt sich um eine durchsichtige Metapher, hinter der sich gewiB 
kein emstes Problem verbirgt." 
Ich gestehe, daB ich kaum etwas Nichtssagenderes kenne als diese 
Auskunft. Gibt sie doch alles Wesentliche der von ihr verlachten 
Ansicht zu und glaubt nur, durch einen kiihnen psychogonischen 
Schnorkel die Bedeutung dieses Eingestandnisses aufheben zu kdnnen. 
Wer namlich gelemt hat, die analytische Betrachtung von der 
genetischen zu sondem, der wird nicht verkennen, daB von einer 
Hypostasierung oder Objektivierung doch nur da die Rede sein kann, 
wo auch das Ergebnis dieses Prozesses, eine Hypostase oder Ob- 
jektivitat, vorhanden isL Es gibt freilich Denker, die zu glauben 
scheinen, was geworden ist, das existiere nicht Sie sagen: „Die 
Aussagen sind nichts Gegenstandliches, sie sind nur vergegenstSnd- 
licht*", — ohne zu merken, daB dies nicht anders ist, als wollte jemand 
sagen: „Dies ist nicht Eis, es ist nur gefrorenes Wasser." Wirstehen 
auf dem entgegengesetzten Standpunkt. FQr uns ist die Tatsache, 
daB etwas geworden ist, der beste Beweis dafur, daB es auch existiert. 
Wo Wasser gefroren ist, da ist gewiB Eis; und wenn Aussagen nach 
Analogie mit Korpem vergegenstandlicht sind, so sind sie ganz gewiB 
noetische Gegenstande. 
Ach, erwidert man vielleicht argerlich, sie sind ja nicht wirklich ver- 
gegenstSndlicht: die Hypostasierung der Aussagen besteht ja nur 
darin, daB wir sie als Gegenstande den ken. — Ich entgegne: ist 
das denkende Erleben kein Erleben? Wenn es aber ein Erleben ist. 
108 NOOLOOIE 
wie kann man der Behauptung, wir erlebten die Aussagen als G^[en- 
stlnde, die andere entgegenstellen, wir dSchten sie nur als solche — 
da doch die letztere Behauptung in Wahrheit gar nichts anderes be- 
sagt, als daB wir die Aussagen als Gegenstande erleben^ sobald wir 
sie denkend betrachten, mithin gar nichts anderes, als was wir sdbst 
behaupten ? 
Denken — dies ist die letzte Antwort, die ich sehe — wird hicr 
aquivok gebraucht: nicht der Erlebnisweise, nur dem Sprachgebraudi 
zufolge kdnnen wir die Aussagen Gegenstlnde nennen; niemand 
meint, daB sie etwas anderes seien als subjektive Denkakte und 
individuelle Wortklange; allein wir red en von ihnen, als waren sie 
kdrperliche Dinge, indem wir die fur diese Qblichen SprachformeD 
auf sie anwenden. — In dieser Darstellung wird indes der EinfluB 
der Sprache auf das Denken maBlos uberschatzt Ueberhaupt 
diktiert uns ja die Sprache nur in AusnahmsfSllen eine bestimmte 
Auffassung; in aller Regel druckt sie die herrschenden und fypischen 
Auffassungen getreulich aus (vgl. § 40. 3). Es gibt zwar Philosophen, 
die sich vorstellen, wenn wir z. B. das Hauptwort Rote gebraucheiv 
so sei es eben dieser Gebrauch, der uns die Auffassung des Rot als 
eines Gegenstandes vorschreibe, — wahrend uns doch in Wahrheit 
die Sprache ganz ebensowohl auch das Eigenschaftswort Rot zur 
Verfugung stellt, sobald wir unsere Auffassung des Rot als einer 
Eigenschaft ausdrQcken wollen. Folglich ist gewiB nicht die Neigung 
zur Bezeichnung von Erlebnissen durch Hauptwdrter das primire 
Faktum, sondem vielmehr die Neigung zu ihrer gegenstandlichen Auf- 
fassung. Ebenso nun hatte sich auch die Verwendung von Haupt- 
wdrtem fiir die Aussagen nie in der Sprache eingebQrgerty wenn wir diese 
nicht als Gegenstande auffaBten. In der Tat meint doch gewiB kein 
Unbefangener, der pythagoreische Lehrsatz sei der subjektive Oedanke 
eines Individuums oder auch der Inbegriff vieler derartiger Oedanken; 
ja dies ist ebenso gewiB, wie daB jeder Unbefangene die Behauptung 
es gebe viele pythagoreische Lehrsatze, oder auch die andere, dieser 
Lehrsatz bestehe aus zahlreichen Teilen, die nie zugleich existierteiip 
fur sinnlos erklaren wurde. 
Man konnte demnach hochstens behaupten, daB wir die Aussagen 
nach Analogic der Korper als Gegenstande auffassen. Diese Be- 
hauptung aber unterscheidet sich von der unsrigen nur mehr duich 
den Zusatz „nach Analogic der Korper'', d. h. durch eine jener 
psych ogonisch en Thesen, die zum mindesten vdllig unerwdslidi 
sind. Denn gewiB hat noch niemand beobachtet, wie in dnem 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 109 
Individuum die gegenstandliche Aussagenauffassung „nach Analogie'' 
<ler gegensUlndlichen Dingauffassung en t stand. Auch ist dieser 
Hergang nicht eben sehr wahrscheinlich. GewiB tritt die gegenstand- 
liche Auffassung von Aussagen entwickelungsgeschichtlich s pater 
auf als die gegenstandliche Auffassung von Dingen. Allein dies 
schlieBt nicht aus, daB die fQr eine solche Auffassung maBgebenden 
Bedingungen in beiden Fallen gleichmSBig vorhanden sein mdgen, 
und daB deshalb auch eine Aussage diese Auffassung aus eigenem 
Rechte fordem kann. Und in derTat: auch wer annimmt, die gegen- 
standliche Auffassung der Aussagen beruhe auf analoger Anwendung 
eines fur die Auffassung der Kdrper ausgebildeten Schemas, muB 
doch zugeben, daB dann eben auch bei den Aussagen die Bedingungen 
iiir die Anwendung dieses Schemas verwirklicht sein mussen. Auch 
sind uns ja diese Bedingungen, wenigstens im allgemeinen UmriB, 
nicht durchaus unbekannt Sie betreffen hauptslichlich zwei Punkte: 
der zu „hypostasierende" Erlebniskomplex muB einerseits neben 
mehreren und wechselnden Elementen (den Qualititen resp. Aussage- 
lauten) auch ein einheitliches und beharrliches Element (die Substanz 
resp. den Aussageinhalt) enthalten, und er muB andererseits unter 
^leichen Voraussetzungen (auf etwas hinsehen, an etwas denken) bei 
verschiedenen Individuen zu verschiedenen Zeiten in gleicher Weise 
auftreten. Allein je deutlicher sich zeigt, daB diese Bedingungen fur 
Aussagen in demselben Umfange verwirklicht sind wie fur Dinge, 
desto wahrscheinlicher wird es, daB es sich dabei auch in dem Falle 
der Aussagen nicht bloB um Bedingungen fur die Anwendung eines 
fremden Schemas handelt, sondem vielmehr um Bedingungen fQr die 
spontane Erzeugung der Gegenstandsauffassung. Denn wenn das 
Erfulltsein dieser Bedingungen genugt, um den Qualitaten die Struktur 
eines gegenstandlichen Dinges zu verleihen, warum sollte es nicht 
auch genugen, um die Aussagelaute mit der Struktur einer gegen- 
standlichen Aussage auszustatten? Und welchen Sinn hat es, die 
^Hypostasierung" der Aussagen „nach Analogic" mit der „Hypo- 
stasierung" der Korper vor sich gehen zu lassen, wenn doch die 
^Hypostasierung" der Korper selbst zureichend durch jene Bedingungen 
sich soil erklaren lassen, ohne deren Vorhandensein sich auch das 
Schema der Korper auf die Aussagen gar nicht anwenden lieBe? Man 
kdnnte ja auch sagen, Gott lasse das Quecksilber „nach Analogic'^ 
mit dem Wasser gefrieren, — wenn es eben nicht einfacher ware, 
beide Vorgange unter Ein gemeinsames Gesetz zu befassen. Und so 
scheint uns denn auch von der Behauptung, die Aussagen wiirden 
no NCX)LOOIE 
nach Analogie mit den Kdrpem hypostasiert, nichts anderes ubrig zu 
bleiben als unsere oben entwickelte These, daB die Aussagen von uns 
ebenso als Gegenstande eriebt werden wie die KSrper. 
5) Doch ich hoffe nicht, eingewurzelte Vorurteile so leichten Kauh 
zu uberwinden. Vielmehr tont mir aufs neue ein entriistetes Stimmen- 
gewirrim Ohr: „Das sind leere Worte! Die physischen Gegenstande; 
mdgen sie nun welche ontologische Realitat immer besitzen - 
jedenfalls sehen wir sie doch mit Augen und greifen sie mit Hinden. 
Dagegen noStische Gegenstande — wo sind sie? In der Welt der 
Erscheinungen gibt es doch nichts anderes als physische O^enstSnde 
und psychische Zustinde. Jene nehmen wir mit den Sinnen wab, 
diese erleben wir unmittelbar in unserm BewuBtsein. Begriffe jedodi, 
Satze und Beweise, die unabhangig wiren von unserem Denken - 
was wissen wir von ihnen ? In der Welt der Erfahrung gibt es nidite 
anderes als Materie und BewuBtsein : Materie und BewuBtsein in un- 
endlich mannigfaltigen Verhaltnissen und Kombinationen, viel und 
wenig, einfach und zusammengesetzt — allein Begriffe, Satze und Be 
weise an sich, noetische Gegenstande, die weder Materie noch Be 
wuBtsein waren, das gibt es nicht!'' 
Ich erwidere: kein sichereres Mittel, eine Sache nicht zu sehen, ab 
die Augen zuzumachen, und kein sichereres Mittel, eine Sache nicht zo 
finden, als sie da zu suchen, wo sie nicht ist! So steht es ja schon 
bei den einzelnen Sinnen. Leugnete jemand, daB es Tdne gibt, wie 
sollte man ihn iiberfuhren, wenn es verboten ware, ihm zu sagen: 
hore! Er mochte alle Glocken und Saiten betasten, begucken und 
beschniiffeln, mit den feinsten Instrumenten die Luftwellen messen, 
von dem Bau des Ohres die scharfsten Praparate herstellen — stds 
wird er behaupten. Ton sei ein sinnloses Wort, es gebe nichts in 
der Welt als farbige und bewegte Massen. Nur Ein Mittel gibt es» 
ihn zu uberzeugen : man lasse einen Ton erklingen ! StrSubt er sidi 
auch gegen diesen Beweis und beharrt darauf, Tone kdnne es nidrt 
geben, denn soweit er auch herumgekommen sei, er habe noch keinen 
gesehen, und man muBte ihn doch sehen konnen, wenn er da ware 
— dann ist alle Miihe verloren : dieser Mensch wird ruhig entschbda^ 
in dem Glauben, der Ton sei eine Erfindung aberglaubischer SchwSrmer. 
Dasselbe Verhaltnis zwischen Materie und BewuBtsein. Leugnet dff 
Materialist, daB es BewuBtsein gebe? Dann ist wenig Hoffnun^ 
ihn zu uberzeugen 1). Er eilt durch alle Raume, Qberschaut den 
») So schon Platon (Sophist, p. 246 A— D) in seiner unverganglichen Scbflderang 
derjenigen, welche ,,Felsen und tichen mit den Handen umfassend . . . versidiciV) 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 111 
Hlmmel und seine Sterne; er dringt in die feinsten Poren des Stoffes, 
miBt die Molekule, wagt die Atome; er seziert den Menschen, zer- 
schneidet die Nerven, wfihlt im Gehim: BewuBtsein findet er nicht 
Man ruft ihm zu: „Fuhlst du nicht, daB du mOde bist und hungrig?^ 
Plugs eilt er zum Versuchstier zuruck, schneidet den Magen auf, zer- 
fasert die Muskeln, mikroskopiert die Nerven, und verkundet: „Es ist 
nichts da Ware etwas da, man miiBte es doch wahmehmen.^ 
Leugnet der idealist die Materie? LaB ihn in den Geist der altesten 
Volker, in die feinsten Regungen seiner eigenen Seele sich versenken : 
er wird nichts finden als BewuBtsein und immer ivieder BewuBtsein. 
StoB' ihn an eine Wand! Er wird entgegnen: „Das sind Tastemp- 
findungen, Schmerzempfindungen, Muskelgefflhle : von einem Korper 
keine Spur. Ware er da, ich miiBte ihn doch empfinden." Ganz so 
nun auch das Verhaltnis der Bedeutung^) zu Materie und BewuBtsein. 
Bezweifelt einer mit Heoel die beiden letzteren2), wie ihn uberwinden? 
Er wird alle Begriffe durchgehen: Materie und BewuBtsein wird er 
nicht finden. Zeig' ihm einen Stein ! Ja, wird er sagen, das ist der 
Begriff des Korpers: der ist untergeordnet dem Begriff des Seienden, 
fibergeordnet dem Begriff der Fliissigkeit. Das alles sind Begriffe wie 
Etwas und Nichts, Bejahung und Vemeinung. Von Korpem, die 
nicht Begriffe waren, find' ich nichts. Und sie muBten doch irgend- 
eine Stelle in dem System der Begriffe einnehmen, wenn sie existierten.** 
So nun auch jene, welche die Bedeutung leugnen. Greift alle 
Aepfel und Kugeln der Welt ab, ihr werdet keinen Zahlbegriff, meBt 
alle rechtwinkligen Dreiecke aus, ihr werdet nie den pythagoreischen 
Lehrsatz finden. Analysiert das BewuBtsein des groBten Logikers, ihr 
werdet auf nichts anderes stoBen als auf Vorstellungen und Gefflhle. 
Aber wir rufen euch zu: „Denkt! Denkt den Begriff Blely und von 
dem denkt weiter, daB er untergeordnet ist dem Begriff Metall. Denkt 
einen Satz. Jetzt einen anderen. Und von diesen Satzen denkt, daB 
sie einander widersprechen oder auseinander folgen. Ist jetzt die Rede 
von Korpem oder von Tatsachen des BewuBtseins? Kann denn ein 
nur das existiere, was Widerstand leistet und beruhrt werden kann . . . und welche, 
wenn jemand anderer behauptet^ es gebe auch solches, was keinen Korper habe, 
ihn ganzlich verachten". Von diesen namlich sagt er^ solange sie nicht ,^hmer" 
geworden, sei es „schwer, ja beinahe unmodich^, mit ihnen zu diskutieren. ^) So 
nenne ich hier mangels eines besseren Ausdrucks den „Stoff** des Logischen, der 
sich zu diesem verhalt wie die Materie zum Physischen und das BewuBtsein zum 
Psychischen. ^) Man darf es wohl ein Bezweifeln der ,,Natur** nennen, wenn sie 
(Encykl. I, § 244; WW. VI, S, 413!.) aus der ,Idee" auf rein dialektischem Wege 
tiervorgehen soil. Denn was so entstehen konnte, ist doch immer nur der Begrilf 
„Natur'. Und dasselbe gilt vom Hervorgehen des „Oeistes" aus der „Natur** 
<Encykl. II, § 376; WW. VII, S. 692 ff.). 
112 NOOLOOIE 
Korper einem anderen untergeordnet sein? Eine Tatsache des BewuBt- 
seins einer anderen widersprechen? Und ist, daB ein psychisches Er- 
iebnis aus einem anderen zu folgen vermochte, nicht ebenso undenk- 
bar, als daB es neb en ihm sein kdnnte?'' Stutzt ihr? Doch ich 
fflrchte, ihr entgegnet vielmehr: „In alledem sehen wir nichts von 
Bedeutung. Blei und Metall sind Kdrper. Von diesen K5rpem haben 
wir Vorstellungen. Bei dem Uebergange von der Einen dieser Vor- 
stellungen zur anderen erleben wir Gefuhle der Unterordnung. Satze 
sind Komplexe von Vorstellungen und Oefuhlen. Widerspruch und 
Bedingtheit werden gefQhlsmaBig erlebt. Also durchweg Materie und 
BewuBtsein, nirgends Bedeutung. Und das war ja zu erwarten. Denn 
gabe es Bedeutung, wir muBten sie doch wahmehmen oder empfinden/ 
Nun gut, allein warum nehmt ihr denn dann an, daB es Materie gibt? 
Die laBt sich ja auch auflosen in Vorstellungen und Gefuhle. Gibt 
es demnach nicht wenigstens in demselben Sinne Begriffe und Satze, 
in dem es Korper gibt? Nur so viel haben wir ja behauptet — »Nein, 
gewiB nicht! Denn Kdrper gibt es wirklich; wir nehmen sie doch 
mit den Sinnen wahr. Und das BewuBtsein, das empfinden wir. Da- 
gegen Begriffe und Satze, Qberhaupt Bedeutung, nehmen wir weder 
mit den Sinnen wahr noch empfinden wir sie: und darum gibt es 
auch nichts derartiges in der Erfahrung."" Das ist, denk' ich, die Eine 
Antwort, die den Gegnem noch ubrig bleibt, zugleich freilich auch 
die Eine Antwort, 'an der jede Ueberredung abprallt — die Antwort: 
„Es ist so, weil es so ist!" 
6) Fur die Lehre von der empirischen Realitat der noetischen G^enstande, 
die ich soeben zu entwickeln und zu b^junden versucht habe, kann ich mich 
auf eigentliche Vorganger kaum berufen. Wo sie vorzuliegen scheint, pflegt 
es sich teils um abgeschwachte Fonnen des „Realismus" zu handeln, teils 
um eine seiche Betonung der Unabhangigkeit des Logischen vom Psycho- 
logischen, welche der ontologischen Interpretation uberhaupt entbehrt Von 
dieser Art sind namentlich jene AeuBerungen, die in § 43. 6 aus Herbart 
und Cohen angefuhrt wurden. Auch was Lipps^) fiber ^intuitive Gegen- 
stande** vorbringt, die „gedacht", aber freilich gerade nicht „er6ihren" 
werden sollen — wie die Zahl der Arithmetik oder der Raum der Geo- 
metric — , scheint sich mit meiner Ansicht einigermaBen zu beruhren. Am 
nachsten jedoch kommt dieser wohl, was MOnsterbero 2) kurz angedeutet 
hat. Er sagt, es genuge nicht, sich davon zu fiberzeugen, „da6 logische Be- 
ziehungen keine psychologischen Abhangigkeiten sind, es muB auch einge- 
sehen werden, daB logische Beziehungen nur zwischen Objekten bestehen 
konnen, die selbst nicht psychologisch sind". In der „wirklichen Welt** der 
1) E. u. R, S. 7f. 2) Prinzipien S. 1541. 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 113 
^reinen Erfahrang" (vgl. oben § 11. 6) sei jeder „Begriff, der in ein Urteil 
dngehen kann, . . . weder ein physikalisches nodi ein psychologisches Ob- 
ekt, so wenig wie im wirklichen Leben die wahi^enommenen Dinge Vor- 
tellungen in uns sind''. 
Unter solchen Umstanden mfissen wir zur Unterstiitzung und Erlauterung 
inserer Argumentation einiges aus solchen Denkem beibringen, welche 
laraus nicht bloB auf eine empirische, sondem audi auf eine transcendentale 
tealitat der noetischen Gegenstande gesdilossen haben, — d. h. wdche 
licht nur behaupten, diese Gegenstande wurden als von uns unabhangige 
Dbjekte gedacht oder erfahren, vidmehr der Meinung sind, daB sie 
lies alles auch wirklich und in jedem Sinne sei en. Und da ist denn vor 
Jlein jene Analogie zwischen physisdien und noetischen Gegenstanden, auf 
lie wir so groBes Gewicht legen muBten, wohl von niemand kraftiger 
lervorgehoben worden als von Auqustinus. Im 2. Buche seiner Schrift 
,Ueber die Freiheit des Willens" namlich faBt dieser groBe Denker eine dn- 
pdiende Erdrterung folgendermaBen zusammeni): „Du kannst daher auf 
mnen Fall leugnen, daB es eine unveranderliche Wahrheit gibt, wdche alles, 
vas unveranderlich wahr ist, in sich schlieBt — dne Wahrhdt, die du 
licht als die deine oder die mdne oder die irgenddnes anderen Menschen 
^ezeichnen kannst, sondem von der du anerkennen muBt, daB sie — wie 
in wunderbar verborgenes und dodi dffentliches Licht — ffir alle jene, die 
las unveranderlich Wahre sehen, gemeinsam vorhanden ist und gemeinsam 
ich ihnen darbidd; wer aber mdchte behaupten, daB dasjenige, was fur 
lie Vemunftigen und Denkenden gemeinsam vorhanden ist, zu der be- 
onderen Wesenheit eines jeden gehore? Denn ich denke, du erinnerst dich, 
/as erst kurzlich fiber die korperlichen Sinne von uns ausgduhrt wurde: 
laB namlich dasjenige, was wir durch den Sinn des Gesichts oder des 
lehdrs gemeinsam erfassen — wie die Farben und Tdne, die du und ich 
ugleich sehen oder zugleich horen — nicht auf die Beschaffenheit unserer 
kugen oder Ohren sich zuruckffihren lasse, vidmehr ein gemeinsamer 
i^enstand unserer Wahmehmung sei. So kannst du nun auch von dem, 
/as ich und du — jeder mit seinem Geiste — gemeinsam erblicken, nicht 
agen, daB es der geistigen Eigenart Eines von uns angehdre. Denn was 
'ivder Augen zugleich sehen, das kannst du nicht zu den Augen des 
jnen oder des Anderen zahlen, sondem es ist ein Drittes, auf das Beider 
lick sich richtet'' Weniger genial, freilich auch weniger angreifbar, sind 
le folgenden Ausfuhrungen des englischen Platonikers Cud worth 2): „Femer 
aben diese G^enstande ein bestandiges Sein, auch wenn unsere dnzdnen, 
eschaffenen Gdster nicht immer an sie denken . . . Denn die begrifflichen 
Faturen und Wesenhdten eines Dreiecks, Vierecks . . . und alle die not- 
rendigen geometrischen Wahrheiten, die sich auf diese verschiedenen Figuren 
eziehen, waren nicht die Geschdpfe von Archimedes, Euklid oder Pytha- 
1) De lib. arb. II. IZ 33 (MiONE, Patrolog. Ut, Bd. 32, Sp. 1259). ^ Systema 
iteilectuale II, p. 72. 
Oomperz, WdtmsduuiiiosBlehre II 1 8 
114 NCX)LOOIE 
goras . . .; und sie begannen nicht erst dann zu existieren, sondem all 
diese Begriffe und Wahrheiten hatten schon vorher eine wirkliche und tat- 
sachliche Existenz und wtirden auch dann noch fortfahren zu existieren^ 
wenn alle Geometer der Welt ausgestorben waren, und kein Mensch sie 
kennte oder an sie dachte. Ja sogar wenn die ganze materielle Wdt aus- 
getilgt ware, und zugleich alle einzelnen geschaffenen Geister vemichtet, so 
wtirden docli ohne Zweifel*' alle diese Begriffe und Wahrheiten „heil und 
gesund bleiben . . . Denn es ist ganzlich undenkbar, daB es je eine Zeit 
gegeben hatte**, wo diese B^ffe nicht existierten, „oder wo es noch nicht 
wirklich wahr gewesen ware, daB die drei Winkel des Dreiecks zwei Rechten 
gleich sind . . .: so daB ihr Sein ein gewisses Datum an sich trfige, eine 
gewisse Jugend besaBe und nach demselben Prinzip auch altem und ver- 
gehen konnte". Denn „die voyjtA sind ewig und konnen auf keine Weise 
beseitigt oder zerstort werden". Hierher gehort weiter jene ganze Lehre 
BoLZANOS von den Vorstellungen [d. h. Begriffen], Wahrheiten und Satzen 
y^ sich^ auf die wir uns schon einmal (§ 47. 9) gelegentlich bezogen 
haben. Gleich zu B^nn seiner „Wissenschaftslehre'' i) sagt dieser Denker, 
er spreche „von Vorstellungen, Satzen und Wahrheiten an sich . . ., wahrend 
in alien bisherigen Lehrbiichem der Logik . . . von all diesen G^;enstanden 
nur als von . . . Erscheinungen in dem Gemute eines denkenden Wesens 
. . . gehandelt wird''. Diese Verwechslung sei jedoch ebenso unstatthaft wie 
jene „des Zusammenhanges, der zwischen Wahrheiten an sich stattfindet", 
mit „dem Zusammenhange, der zwischen bloBen Erkenntnissen herrscht*'. 
Denn „die ganze Syllogistik, was ist sie anderes als eine Lehre von gewissen 
Verhaltnissen, die zwischen Satzen und Wahrheiten an sich herrschen? 
Oder wer sollte wohl die hier vorkommenden Satze alle nur so auslegen, 
daB sie bloBe Gesetze des Denkens . . . waren? Wer sollte z. B. den 
Kanon, daB sich aus zwei ganz vemeinenden Pramissen keine Konklusion 
ei^ebe, nur so verstehen, daB aus zwei solchen Pramissen nun niemand 
etwas zu folgem vermdge, nicht aber auch so, daB aus solchen Pramissen 
an und fur sich nichts folge?" Weiter 2): „Es gibt gesprochene und bloB 
gedachte Satze. Wie ich aber in der Benennung ,ein ausgesprochener Satz" 
den Satz selbst offenbar von seiner Aussprache unterscheide, so unterscheide 
ich in der Benennung ,ein gedachter Satz' den Satz selbst auch noch von 
dem Gedanken an ihn. Dasjenige nun . . ., was man sich unter einem 
Satze denkt, wenn man noch fragen kann, ob ihn jemand ausgesprochen 
Oder nicht ausgesprochen, gedacht oder nicht gedacht habe, ist eben das» 
was ich einen Satz an sich nenne. M. a. W. also: unter dnem 
Satz an sich verstehe ich nur irgendeine Aussage, daB etwas ist oder nidit 
ist; gleichvid . . . ob sie von irgend jemand in Worte gefaBt oder nicht 
gdaBt, ja auch im Geiste nur gedacht oder nicht gedacht worden ist^ Der 
Satz ist daher nicht „etwas Gesetztes, welches mithin das Dasdn dnes 
Wesens, durch welches es gesetzt worden ist, voraussetzen wurde*'. Femer^: 
») Wiss. L § 16 (I, S. 61 ff.). 2) Ibid. § 19(1, S. 76 ff.). 3) ibid. § 23 (I, S. 99). 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 115 
„Was die hier niedergeschriebenen Worte ,ein gleichseitiges Dreieck' vor- 
stellen, auch wenn sie von niemand gelesen oder verstanden warden, ist eine 
Vorstellung an sich; was durch den Anblick jener Schriftzeichen in dem 
Gemute eines ihrer Bedeutung kundigen Lesers hervorgebracht wird, ist eine 
subjektive oder gedachte Vorstellung.'' Ebenso verhalt es sich mit den Wahr- 
heiten^): „lch verstehe . . . unter einer Wahrheit an sich jeden beliebigen 
Satz, der etwas so, wie es ist, aussagt, wobei ich unbestimmt lasse, ob dieser 
Satz von irgend jemand wirklich gedacht und ausgesprochen worden sei 
Oder nichf' Gott freilich denkt aile Wahrheiten. Allein „es ist nicht etwas 
wahr, weil es Gott so erkennet, sondem im Gegenteile, Gott erkennet es so, 
weil es so ist So gibt es z. B. nicht darum einen Gott, weil Gott sich 
denket, daB er ist; sondem nur weil es einen Gott gibt, so denkt sich dieser 
Gott auch als seiend/' Es wurde auch stets ^ „der B^;riff von einer Wahr- 
heit an sich von einem jeden Menschen in unzahligen Fallen des Lebens 
. . . gedacht und angewandf'. Denn „so oft man auf eine Wahrheit den 
B^ff des Erkennens, ja auch nur den des Denkens anwendete und z. B. 
sagte, daB eine gewisse Wahrheit jemandem bekannt oder unbekannt, fur 
ihn erkennbar oder unerkennbar sei u. dgl.: verstand man immer nur eine 
Wahrheit an sich" 3). Doch *) auch die „Ableitbarkeit der Satze voneinander" 
ist „eines derjenigen Verhaltnisse unter denselben . . ., die ihnen objektiv, 
d. h. ganz abgesehen von unserem Vorstellungs- und Erkenntnisvermdgen 
zukommen Meines Erachtens ist dn Satz nicht darum SchluBsatz 
aus anderen, weil das Setzen (Furwahrhalten) dessdben durch das Gesetzt- 
sein der anderen fur den Verstand notwendig ist; sondem umgekehrt, weil 
jener wahr ist, so oft als diese es sind . . ., fiihlt der Verstandige sich ge- 
ndtiget, jenen zu setzen, sobald er diese gesetzt haf '. Ebenso muB man s) 
die „objektiven GrQnde und Folgen", deren „Verhaltnis unabhangig von 
unserer Vorstellung unter den Wahrheiten an sich'' besteht, abgrenzen gegen 
„bloB subjektive Erkenntnisgriinde und Erkenntnisfolgen". Und den Inbegriff 
dieser Verhaltnisse der Abfolge nennt Bolzano ^) „den zwischen Wahrheiten 
an sich obwaltenden Zusammenhang, auch wohl den objektiven Zusammen- 
hang zwischen den Wahrheiten". Diese Anerkennung eines besonderen 
logischen Zusammenhanges erinnert uns an dasjenige, was wir schon fruher 
») Ibid. 8 25 (I, S. 112ff.). ^) Ibid. § 27 (I, S. 117). f) Jerusalem (Idealismus 
S. 106 ff.) halt die Rede von „Wahrheiten an sich'* fur ^widersinnig". Denn 
^Wahrheit" sei „die Eigenschaft eines Urteiles", eine „Beziehunfi; zwischen dem 
Urteilsakt und einem vom Urteilenden unabhangig sich vollzfehenden Oeschehen" ; 
der Begriff einer von alien Urteilsakten unabhangigen Wahrheit schlieBe deshalb 
einen widerspruch in sich. Diese Kritik sdieint mir auf einer Verwechslung sub- 
jektiver und oojektiver Oedanken zu beruhen. „Wahrheit" im eigentlichen Sinne ist 
eben nicht die Eigenschaft eines Urteils, sondem vielmehr die Eieenschaft eines 
Satzes, und sie beraht auf der Uebereinstimmung, nicht des Urteils alctes, sondem 
vielmehr des Urteils i n h a 1 1 s mit dem beurteilten Bachverhalt Nicht mein D e n k e n 
ist „wahr", sondem das in diesem Denken Oedachte, also z. B. nicht mein 
Urtal, daB 2X2 gleich 4 sei, sondem vielmehr der in diesem Urteil gedachte 
Sfl^r: 2X2 ist gleich 4. *) Wiss. L § 155 (H, S. 128 ff.). *) Ibid. § 198 (U,S. 341). 
•) Ibid. § 222 (if, S. 389). 
116 NOOLOOIE 
(§ 43. 4) aus HussERL angeffihrt haben. In der Tat hat auch dieser Autor 
die G^:enstandlichkdt der Aussagen i) energisch betoni Die Zahl Funf, 
sagt er^ ist „ohne Widersinn nicht als Teil oder Seite des psychischen 
Eriebnisses . . . zu fossen^ Allein 3) auch was „der Aussagesatz n ist cine 
transcendente Zahl besagt, was wir lesend darunter verstehen und sprechetid 
damit meinen, ist nicht ein individudler, nur allzeit wiederkehrender Zug 
unseres Denkerlebnisses. Von Fall zu Fall ist dieser Zug immerhin ein 
individudl anderer, wahrend der Sinn des Aussagesatzes identisch sdn 
soil. Wiederholen wir oder irgendwdche anderen Personen densdben Satz 
mit gleicher Intention, so hat jede ihre Phanomene, ihre Worte und Verstand- 
nismomente. Aber g^enuber dieser unb^[renzten Mannigfaltigkeit indi- 
vidudler Erlebnisse ist das, was in ihnen ausgedruckt ist, uberall dn 
Identisches, es ist d ass el be im strengsten Sinne des Wortes. Mit der 
Zahl der Personen und Akte hat sidi die Satzbedeutung nicht vervidfaltigt, 
das Urteil im ideal logischen Sinne ist Fines. Die Bedeutungen 
bilden daher, so kdnnen wir auch sagen, dne Klasse von Begriffen im 
Sinne von ,allgemeinen Gegenstanden^*' Was endlich die Unver- 
inderlichkdt der noetischen G^enstande betrifft, so vergleiche man auBer 
dem bisher Angefuhrten und dem, was uber die Ewigkeit des Sphota in 
§ 47. 9 aus Qu^KARA bdgebracht worden ist, etwa noch die drei folgenden 
Darlegungen. Bd Meinonq^) heifit es: „Bestande unterscheiden sich von 
Existenzen unter anderem auch darin, daB sie an keine Zdtbestimmung ge- 
bunden, in diesem Sinne ewig oder besser zeitlos sind. Das gilt naturiich 
auch vom ObjektivS). Mein Schrdbtisch ist dn zu bestimmter Zeit existieren- 
des Ding: daB er aber jetzt existiert, das besteht jetzt wie in alle Zukunft 
und Vergangenheit, obwohl es dem Wissen der vergangenen Zeiten unzu- 
ganglich war und dem der kunftigen entschwunden sdn wird. Es ist nicht 
weniger zeitlos, als daB dwa der rechte Winkd groBer ist als der spitze.** 
Femer bd James ^) : „So bleibt jeder Begriff ewig, was er ist, und kann nie 
ein anderer werden Inmitten des Flusses der Meinungen und der 
kdrperlichen Dinge steht die Wdt der B^ffe ... da, hart und unver- 
anderlich wie Platons Ideenrdch." Ebenso bei PalaovT): „Wenn ich also 
dne Tatsache, die soeben stattfindet, in einem Urteile konstatiere, so kon- 
statiere ich sie fur die Ewigkeit Man kann dies bildlich auch so 
ausdriicken, daB durch das wahre Urteil die Tatsache gewissermaBen heraus- 
gehoben ist aus dem Zeitstrome der Verganglichkeit in das iiberzdtliche 
Reich der ewigen Wahrheit. In alien diesen und ahnlichen Wendungen 
kommt immer nur der schlichte Gedanke zum Ausdruck: Die Tatsache ver- 
geht, ihre Wahrheit aber besteht Urteilsakte sind sdbst vergang- 
1) Oder genauer: der Aussageinhalte, womit wir indes nach oben Aus^fuhrtem 
uns nicht einverstanden erklaren konnen. ^) Log. Unterss. I, S. 1701. ^ Ibid. II, 
S. 99 If. *) AnnahmenS. 189. *) Auch wenn man das ,.Objektiv** als SachverhaU 
auffassen will^ behalt diese Betrachtung ihr Recht denn auch fur Sachverhatte 
werden wir im nachsten Paragraphen Oegenstancuichkeit in Ansprudi nehmen 
mussen. «) Psych. I, S. 462. 1-og. S. 163 ff. 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 117 
Ikhe Tatsachen, aber der Sinn, der ihnen innewohnt, d. h. die Wahrheit, 
die in denselben zur Darstellung gelangt, ist unverganglich'' i). Dieselbe, 
ursprunglich naturlich platonische Ansicht hat ubrigens schon der vielbe- 
rufene Scholastiker Buridan ^ vorgefunden und mit — wie mir scheint — 
sehr unzureichenden Grunden bestritten : die These namhch, das ^GewuBte'' 
sei unverganglich oder ewig (die sdbUia seien perpetua oder aetemd). 
Indes, man darf nicht glauben, daB die Anerkennung noetischer Gegen- 
stande nur bei den Vertretem „r&distischei^ Ansichten sich nachweisen lasse. 
Vielmehr ist es ebenso belehrend wie unterhaltend, zu beobachten, wie zu 
alien Zeiten gerade die entschiedensten Gegner dieser Ansichten, ohne es zu 
wissen, die Gegenstandh'chkeit der Aussagen vorausgesetzt haben, so daB in 
den liber diese Frage stattfindenden Diskussionen die Rollen oft wie im 
Handumdrehen vertauscht werden. Der Punkt, an dem diese Vertauschung 
einsetzt, ist die Frage nach der Gegenstandlichkeit der Aussagelaute. 
Wir mussen uns namlich erinnem, daB, wie schon oft bemerkt, das Be- 
deutungsproblem in der Regel zum Universalienproblem verengt wurde. D. h. 
man wurdigte einerseits von alien Aussagen allein die Allgemeinbegriffe 
emster Beachtung; andererseits aber unterschied man auch nicht (wie wir 
dies bald tun werden) zwischen dem Allgemeinb^ff, seinem logischen 
Inhalt und dem allgemeinen Typus der durch diesen Inhalt aufgefaBten 
Sachen. Vielmehr verstand man unter dem Universale sowohl den all- 
gemeinen Begriff „Mensch'' als auch den allgemeinen Typus „der Mensch''. 
So stellte sich denn auch die Frage nach der Gegenstandlichkeit der Aus- 
sagen dar als die Frage nach der „Realitat^ des Universale, und diese wieder 
als die Frage, ob z. B. „der Mensch^' etwas von alien einzelnen Menschen, 
y,die Rdte^ etwas von alien einzelnen roten Objekten Verschiedenes sei. Die 
Denker nun, von denen wir hier reden wollen, vemeinen diese Frage grund- 
satzlich auf das entschiedenste. Allein unser ganzes Sprechen und Denken 
beruht doch so unerschutterlich auf der Voraussetzung, inhaltsgleiche Aus- 
sagen seien einheitlich und identisch, diese Einheit und Identitat wird von 
der Erfahrung unter normalen Umstanden so unzweideutig bezeugt, daB auch 
diese Denker sie nicht ganzlich zu leugnen vermogen. Um indes nur ja 
jeden Gedanken an ein g^^enstandliches Universale recht weit von sich zu 
weisen, bestreiten sie zugleich, daB an der Aussage iiberhaupt noch andere 
Elemente zu unterscheiden seien als Aussagelaute und Aussagegrundlage, 
somit am B^ff Name und Sache. Sie verlegen deshalb die Bedeutung 
der Aussage allein in die Verknupfung dieser beiden Elemente, mithin auch 
die Allgemeinheit eines Begriffes in die Anwendbarkeit Fines Namens auf 
vide Sachen. Sollen daher jetzt trotz alledem inhaltsgleiche Aussagen und 
speziell von verschiedenen Sachen ausgesagte gleiche Begriffe in ii^gendeinem 
Sinne einheitlich und identisch heiBen konnen, so bleibt nur die Annahme 
1) Mir freilich scheinen falsche Satze um nichts weniger ^unverganglich'* zu sein 
als wahre: „daB 2X2 = 5 sei", ist geradeso ein noetischer Oegenstand, wie „daB 
2X2 = 4 ist*'. 2) Prantl IV, S. 17^ Anm. 65, u. S. 31, Anra. 115. 
118 NOOLOOIE 
ubrig, daB diese Pradikate den Aussagelauten an und fur sich zukommen, 
daB also insbesondere, wenn verschiedene Individuen zu verschiedenen Zeiten 
gleichklingende Nam en aussprechen, diese Namen dodi in Wahrtidt ntir 
verschiedene Erscheinungsformen eines und dessdben Namens seien. Alldn 
diese Annahme setzt, wenn sie nicht vdllig widersinnig sdn soil, voraus, 
daB unter „dem Namen^ das Universale der einzelnen gleidiklingenden 
Namen verstanden werde — somit ein Gebilde von eben jener Art, auf 
deren Beseitigung die ganze Theorie ursprfinglich abzidt 
So erinnem wir uns aus § 47. 9 jenes Inders Upavarsha, der da be- 
hauptde: ,^ur die Buchstabeni) sind das Wort^ Dieser Behauptung halt 
sein 0^:ner, der Vertrder der S;;to/iti-Theorie, sofort den Einwand entgqnen ^ 
die Budistaben seien doch verganglidi, wahrend der Wortsinn Einer sd 
Und was erwidert Upavarsha? „Dem ist nicht so, denn man erkennt sie 
wieder als die namlichen.^ Und zwar sei dies ,,ein Wiedererkennen der 
Individuen. Ja, wenn man bdm Sprechen wie sonst bei Individuen, z. B. 
bei Kiihen, immer andere und andere Buchstabenindividuen vemahme, so 
wiirde das Wiedererkennen in den Gattungen seinen Grund haben [d. h. 
auf bloBer Aehnlichkeit beruhen]; dem aber ist nicht so; denn es sind die 
Buchstabenindividuen selber, welche beim Sprechen immer wiederkehren und 
wiedererkannt werden, und wenn einer das namliche Wort, z. B. ,Kuh', 
wiederholt, so nimmt man an, daB er zweimal das Wort ,KuhS nicht aber, 
daB er zwei Worte ,Kuh' ausgesprochen habe.'' Naturlich erwidert der 
G^:ner: „Aber wie kann es geschehen, daB der Laut ga, wdcher doch Einer 
ist, zugleich ein verschiedenartiger ist, wenn zur sdben Zeit Mehrere ihn 
aussprechen, und ebenso, wenn er mit dem Akut, dem Gravis, dem Zirkum- 
flex, mit dem Nasal, ohne Nasal ausgesprochen wird?' Und er schliefit 
daraus: „Das Wiedererkennen hat nur in den Gattungen seinen Qrund''; 
denn „daB man sie wiedererkennt, beruht bei ihnen darauf, daB sie den 
fruheren ahnlich sind, etwa so wie bei den Haaren^ Dieser Konsequenz 
sucht zwar der „ehrwurdige Upavarsha" noch durch alle mdglichen Win- 
dungen zu entgehen, allein jeder Denkende erkennt wohl die Unhaltbarkdt 
seiner Position. Und doch ist eben dieses die Position seiner abend- 
landischen Geistesverwandten und modemen Nachfolger. So haben wir 
in § 47. 9 gesehen, daB Roscellin den Stimmlaut fur das Allgemdne er- 
klarte, aber auch gehort, wie Abaelard hiergegen einwandte, der Stimm- 
laut sei doch gar nichts Allgemeines, sondem etwas Besonderes — es sd 
ja in Wahrheit gar nicht „dersdbe Name", der ein Mai zur Bezdchnung 
der einen, das andere Mai zur Bezeichnung einer anderen Sache gewahit 
werde. So kennt auch Hobbes^) 4 Arten von „benannten Dingen^ (ns 
nominatae): Korper, Eigenschaften, Phantasmen und — Namen, und d)enso 
behandelt J. St. Mill*) „Namen von Namen". Indes, was sind „Namen"? Dor 
Nach dem Zusammenhange ware bier offenbar besser „Laute" als ^Budistaben" 
ubersetzt worden. ^\ Deussen, Sutra's S. 173 f. ^) De corp. I. 5. 2 (Odd. Lat I. 
p. 51). *) Anal. II, S. 3ff. f \ kk- » 
ORIENTIERUNG OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 119 
letztgenannte Autor fuhrt als Beispiele an: Johann, Berg, Laufen, Oben. 
Allein sind dies etwa einzdne Lautfolgen? Meine ich, wenn ich Berg ein 
Hauptwort oder Oben ein Umstandswort nenne, daB diese Pradikate einzelnen 
Wortklangen zukommen? Und nicht ganz im Gegenteil, daB sie sich auf 
^das" eine Wort Berg und auf „das" eine Wort Oben beziehen? Und 
I was ist dieses eine Wort anderes als das Universale all jener einzelnen Laut- 
folgen? Doch wir brauchen diese Fragen nicht selbst zu beantworten: 
J. St. Mill hat sich noch vid deutlicher erklart In einer Auseinander- 
I setzungi), in der ihm die undankbare Rolle des Upavarsha, Spencer die 
p dankbarere des G^:ners zugefallen ist, versteigt er sich zu folgendem Satze: 
I 9yDer Name wird als einer gedacht, obwohl er, jedesmal wenn er ausge- 
{ sprochen wird, numerisch verschiedenen Tonempfindungen entsprichf' Ist 
i dies nicht die berufene „Hypostasierung'' der Universalien? Der Zusammen- 
I hang der Stdle stdlt dies vollkommen auBer Zweifd. Denn J. St. Mill 
fQhrt hier die Einhdt des Wortes trotz der Vielheit der Wortklange nur als 
Beispiel dafiir an, daB auch alle Eigenschaften, die derselbe Name bezeichnet, 
numerisch identisch seien. Dies hatte Spencer bestritten. J. St. Mills 
Antwort wird man gut tun, sorgfaltig zu studieren: „Herr Spencer", sagt 
er, „scheint der Ansicht zu sein, daB, weil Sokrates und Alkibiades nicht 
derselbe Mensch sind, die Eigenschaft, welche sie beide zu Menschen macht, 
nicht dieselbe Eigenschaft genannt werden sollte; und daB, weil die Mensch- 
hdt eines Menschen und die eines anderen Menschen sich fur unsere Sinne 
nicht durch individuell identische, sondem nur durch vollkommen gldche 
Empfindungen ausdriicken, die Menschheit jedes einzelnen Menschen als 
dne besondere Eigenschaft betrachtet werden sollte. Allein nach diesem 
Prinzip muBte man auch die Menschheit eines Menschen jetzt und in einer 
halben Stunde als verschiedene Eigenschaften ansehen; denn die Empfin- 
dungen, durch die sie sich dann meinen Sinneswerkzeugen offenbaren wird, 
werden nicht eine Fortsetzung, sondem eine Wiederholung meiner gegen- 
wirtigen Empfindungen darstellen : es werden neue Empfindungen sein, nicht 
identisch mit den gegenwartigen, sondem ihnen nur vdllig gleich. Wenn 
jeder allgemeine Begriff, statt ,die Einheit in der Mannigfaltigkdf zu sein, 
als so vide verschiedene B^ffe angesehen werden muBte, als es Dinge 
gibt, auf die man ihn anwenden kann, so wurde es etwas wie eine allge- 
mdne Sprache iiberhaupt nicht geben: ein Name wurde keine allgemeine 
Bedeutung haben, wenn Menschy von Johann ausgesagt, eines, und, von 
Wilhelm ausgesagt, etwas anderes, wenn auch sehr Aehnliches, konnotierte. 
Die Bedeutung jedes allgemeinen Namens ist ein auBeres oder inneres 
Phanomen, das in letzter Linie aus BewuBtseinstatsachen besteht; und sobald 
die Kontinuitat dieser BewuBtseinstatsachen fur einen Augenblick unterbrochen 
wird, sind es — im Sinne individudler Identitat — nicht mehr diesdben 
BewuBtseinstatsachen. Was also ist das gemeinsame Etwas, welches dem 
allgemeinen Namen eine Bedeutung verleiht? Herr Spencer kann nur sagen, 
») Log. II. 2. 3 (I, S. 203f.). 
120 NCX)LOGlE 
es sei dies die Aehnlichkdt der BewuBtseinstatsachen ; und ich antworte: 
eben diese Aehnlichkeit ist die Eigenschaft Eigenschaftsnatnen sind Namen 
ffir die Aehnlichkeiten unserer Empfindungen . . . Jeder allgemeine Name 
• . . denotiert oder konnotiert eine oder mehrere dieser Aehnlichkeiten. Es 
wird wohl nicht geleugnet werden, daB, wenn hundert Empfindungen un- 
unierscheidbar gleich sind, von ihrer Aehnlichkeit als von Einer Aehnlich- 
keit gesprochen werden sollte, und nicht als von hundert Aehnlichkeiten, 
die bloB einander ahnlich waren. Der verglichenen Dinge sind vide, 
allein das ihnen alien gemeinsame Etwas muB als Eines gedacht werden 
Der allgemeine Name Mensch konnotiert nicht die Empfindungen, 
die ein einzelner Mensch ein einziges Mai in uns erregt, und die — einmal 
entschwunden — sich ebensowenig wiederholen kdnnen wie ein und derselbe 
Blitz. Er konnotiert den allgemeinen Typus jener Empfindungen, die alle 
Menschen zu alien Zeiten in uns err^^en, und die — stets einheitlich ge- 
dachte — F^higkeit, Empfindungen dieses Typus hervorzurufen" *). Es ist 
klar, daB J. St. Mill hier durch die Tatsachen zu einer sehr wei4[ehenden 
Anerkennung gegenstandlicher Universalien gedrangt worden ist, so fest er 
sich auch an das Dogma klammem mochte, jedes Universale lasse sich in lauter 
subjektive Zustande auflosen. Denn jener „Typus^ der Menschenwahr- 
nehmung, den er fur die eigentliche „Bedeutung** des Wortes Mensch er- 
klart, ist ja sdbst ein Universale und verhaH sich zu den einzelnen Menschen- 
wahmehmungen nicht anders als die platonische Idee des Menschen zu 
den einzdnen menschlichen Individuen. Die Einfiihrung des Begriffes 
Aehnlichkeit kann uber diesen Sachverhalt nicht hinwegtauschen. Denn 
dnmal ist es nicht wahr, daB eine Eigenschaft dassdbe ware wie die Aehn- 
lichkeit der mit ihr behafteten Dinge oder Empfindungen: Rdte ist dne 
Farbe, die Aehnlichkeit aller roten Kdrper oder Rotempfindungen dagegen 
ist durchaus keine Farbe. Sodann aber wird auch trotz J. St. Mills zuversicht- 
licher Behauptung wohl niemand von „der Aehnlichkeit"' gewisser Objdde 
sprechen, statt von zahlreichen, durch diese Objekte hervorgerufenen und ein- 
ander ahnlichen Aehnlichkeitserlebnissen, — der nicht auch bereit wSre, von 
„dem Menschen^ zu reden, statt von zahlreichen, einander ahnlichen Menschen. 
Die hier hervortretende Anerkennung gegenstandlicher Universalien ist jedoch 
kdnesw^;s ein bloB nebensachlicher oder gd^;entlicher Zug in J. St. Mills 
logischem System. Vidmehr ruht auf ihr der ganze B^;riff der Konnotation. 
Denn wie aus § 47. 10 erinnerlich ist, kann nach Mill iiberhaupt nicMs 
anderes konnotiert werden als eine E i g e n s c h a f t Eine „Eigenschaft<< indes 
ist, wie wir eben sahen, selbst ein „hypostasiertes'' Univa^sale. 
§50 
Die nach § 47 zwischen dem Aussageinhalt und der Aussage 
grundlage bestehende Relation der Auffassung weist zwei Eigen- 
tumlichkeiten auf. 
>) Zur Kritik dieser Ausfuhrungen vgl. auch HusSEio., Log. Unterss. II, S. 116ff. 
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 121 
I Einerseits entsprechen den verschiedenen Aussageinhalten, die sich 
■ auf gleiche Aussagegrundlagen als deren Auffassungen beziehen kdnnen, 
> an diesen Aussagegrundlagen nicht vorstellungsmaBig trennbare oder 
■reelle, sondem nur gedanldich unterscheidbare oder intelligible 
■Teile. 
t Andererseits muB auch dieAuffassungs beziehung der I n h 9 r e n z- 
' beziehung ahnlich sein, denn auch die aus Aussageinhalt und Aussage- 
^grundlage bestehenden Komplexe, d. i. die ausgesagten Sachver- 
l^halte, gelten uns ohne Rucksicht auf die Mehrheit und den Wechsel 
. der Aussagegrundlagen als einheitlich und beharrlich, wenn sie 
B gleiche Aussageinhalte besitzen. Auch die ausgesagten Sachverhalte 
Bwerden also von uns als Gegenstande erlebt 
H Es entsteht daher die Frage, was wir unter intelligiblen Teilen, 
■^was wir unter der Auffassungsbeziehung zwischen Aussage- 
iiinhalt und Aussagegrundlage, und was wir unter derGegenstand- 
^lichkeit der ausgesagten Sachverhalte verstehen. Diese 
' Frage bezeichnen wir als die Dritte semasiologische Hauptfrage. 
r 
» erlAuterung 
1) Der Begriff der intelligiblen Telle ist uns bereits einmal vorge- 
kommen (§ 39. 4). Wir bestimmten ihn damals durch das Merkmal, 
^ daB intelligible Telle nicht isoliert erfahren werden konnen. Wir be- 
I tonen nun hier, daB diese Bestimmung keineswegs alle Falle, in 
, welchen die Telle eines Ganzen einer raumlichen oder gar einer 
mechanischen Trennung widerstreben, dem Begriffe des intelligiblen 
\ Teiles unterordnen soil, sondem daB wir auch noch alle Telle, die nur 
ffir sich selbst vorgestellt werden konnen, zu den reellen zahlen. So 
bilden z. B. die Platte und die FQBe eines Tisches allerdings reelle 
Telle, und sind auch mechanisch trennbar. FQr die rechte und die 
linke Halfte eines phantasierten Gesichtes trifft das letztere schon nicht 
mehr zu; immerhin konnen wir sie noch rSumlich auseinanderhalten. 
Auch dies gilt nicht mehr fur die einzelnen T5ne eines Zusammenklangs; 
allein da diese Tdne doch auch fur sich wahrgenommen und phan- 
tasiert werden k5nnen, so bezeichnen wir sie noch immer als reelle 
Telle des Akkords. Ganz anders steht es mit der Hdhe, Starke und 
Klangfarbe Eines Tones. Von einer rSumlichen oder gar mechanischen 
Trennung dieser Momente kann schon a priori nicht die Rede sein. 
Allein auch Inhalte verschiedener Vorstellungen kdnnen sie niemals 
bilden. Niemand vermag einen Ton zu horen, der zwar eine bestimmte 
Stirke, jedoch keine bestimmte Hdhe hStte, niemand einen solchen. 
122 NOOLOOIE 
der zwar von bestimmter H6he, jedoch nicht von bestimmter lOang- 
farbe w3re: vielmehr sind alle drei Momente stets in dem Inhalte 
Einer einzigen Vorstellung verknQpft. Eben deshalb sind sie nicht 
reelle Teile. Indes, unterschieden werden sie gleichwohl. Wie? — ^ dies 
ist eben die Frage, die wir hier stellen. Einstweilen folgen wir dem 
herrschenden kritizistischen Sprachgebrauch, der von der Voraus- 
setzung ausgeht, alles, was die Sinnlichkeit zu vollziehen unver- 
mdgend sei, leiste der In telle kt, und nennen demnach solche Teile 
intelligible. Vielleicht trigt es zur Verdeutlichung ihres Wesens noch 
etwas bei, wenn wir hinzufQgen, da6 diese intelligiblen sich zu den 
reellen Teilen sehr Shnlich verhalten wie die Atome zu den Molekulen, 
ja daB man die letzten reellen Teile der Erlebnisse geradezu als die 
Molekule, ihre intelligiblen Teile dagegen als die Atome der Erfahrung 
bezeichnen kdnnte. Denn auch auf dem physischen Gebiete finden 
wir, daB die bis dahin geObte, mechanische Art der Teilung bei ge- 
wissen Einheiten pldtzlich versagt, und daB, um auch noch zu deren 
Bestandteilen vorzudringen, eine andere, die chemische Teilungsart an 
ihre Stelle treten muB. Ebenso nun k5nnen wir auch die Erfahrung 
durch das Verfahren der vorstellungsm^Bigen Trennung in gewisse 
Einheiten, z. B. in einzelne Tdne, Farbeneindrlicke usw. zerlegen; um 
dagegen auch diese noch in ihre Bestandteile, z. B. in Tonhdhe, Ton- 
starke und Kiangfarbe, oder in Farbennuance, Helligkeit und Sattigung 
aufzuldsen, mussen wir ein ganz anderes Verfahren, dasjenige der ge- 
danklichen Unterscheidung, anwenden. Was indes diese Worte ^ge- 
dankliche Unterscheidung'' eigentlich bedeuten — dies ist eben eine 
der Fragen, mit denen wir im folgenden uns werden beschaftigen 
mOssen. 
2) Wodurch hSngt nun das Problem der intelligiblen Teile mit der 
Semasiologie zusammen? Einfach dadurch, daB der in einer Aussage 
ausgesagte Sachverhalt ein intelligibler Teil der Aussagegrund- 
lage ist, und daB daher die den Sachverhalt aus der Aussag^jund- 
lage aussondemde Auffassung der Aussagegrundlage durch den 
Aussageinhalt nur einen besonderen Fall jener gedanklichenUnter- 
scheidung darstellt, die uberhaupt aus einem Ganzen dessen in- 
telligible Teile heraushebt. Vergleichen wir z. B. die Tatsache eines 
Vogelfluges mit den Sachverhalten „Fliegen dieses Vogels**, ^Bew^^ung 
eines Objekts", „Oeleistetwerden von Arbeit" usf^ so ist es offenbar 
unmdglich, jene Tatsache, sofern sie als Ein solcher Sachverhalt sich 
auffassen laBt, von derselben Tatsache, sofern sie einen anderen der- 
artigen Sachverhalt darstellt, vorstellungsmaBig zu trennen. Ein und 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 123 
dieselbe Vorstellung vielmehr kann und wird alle diese Aussagen be- 
gteiten. Man kann den Vogelflug nicht mechanisch in den Vogelflug, 
sofem er Vogelflug, und in den Vogelflug, sofem er Bewegung oder 
Arbeitsleistung ist, zerlegen; man kann auch den Vogelflug, die Be- 
wegung und die Arbeitsleistung nicht an raumlich unterschiedene Telle 
derselben Vorstellung verteilen; und man kann sie auch nicht isoliert 
erfahren, da es ginzlich unmdglich ist, einen Vogelflug zu erleben, der 
nicht auch Bewegung und Arbeitsleistung wire. Bei der Satzaussage 
hebt also wirklich die Auffassung Einer Tatsache durch verschiedene 
TatbestSnde aus jener Tatsache verschiedene, in ihr enthaltene intelligible 
Telle, namlich verschiedene Sachverhalte^ heraus. Doch dasselbe ergibt 
sich auch fur den Fall des Gegenstandsb^ffes. Der Dom von Pisa z. B. 
ist ein Kdrper, ein Gebaude, eine Kirche und ein Kunstwerk. Allein 
in keiner Weise ISBt sich der Dom von Pisa, sofern er ein Kunst- 
werk ist, von demselben Gegenstande, sofern er ein K5rper ist, vor- 
stellungsmaBig trennen, vielmehr wurde die Forderung einen Wider- 
spnich involvieren, man solle sich den Dom von Pisa als Kunstwerk 
vorstellen, ohne ihn zugleich auch als Kdrper vorzustellen. Auch bei 
der Begriffsaussage hebt daher die Auffassung Einer Tatsache durch 
verschiedene B^jiffsinhalte aus jener Tatsache verschiedene, in ihr 
enthaltene intelligible Telle, namlich verschiedene Sacheriy heraus. 
Diesem Ergebnisse steht nicht entgegen, daB in gewissen Fallen 
verschiedene Auffassungen derselben Aussagegrundlage sich allerdings 
vorstellungsmaBig voneinander trennen lassen; und noch weniger 
natOrlich, daB in gewissen anderen Fallen die vorstellungsmaBige Un- 
trennbarkeit mehrerer Auffassungen nur eine einseitige ist So kann 
ich z. B. zwar den Dom von Pisa nie als Kunstwerk vorstellen, ohne 
Ihn auch als Korper vorzustellen, und den Vogelflug nie als Vogel- 
flug, ohne ihn zugleich als Bewegung aufzufassen ; sehe ich dagegen 
beide etwa aus groBer Entfemung, so kann ich ganz wohl den Dom 
von Pisa als Kdrper, aber nicht als Kunstwerk, den Vogelflug als Be- 
wegung, aber nicht als Vogelflug begreifen. Und wenn ich z. B. den 
Schnee bald etwas Kaltes, bald etwas WeiBes nenne, so gninden sich 
diese beiden Auffassungen in der Tat auf die Inhalte verschiedener 
Vorstellungen. Indes, da in diesen Fallen um nichts mehr zwei von- 
einander verschiedene Auffassungen vorliegen als in den frOher be- 
sprochenen, so kann das Wesen der Auffassungsbeziehung offenbar 
an eine solche reelle Teilbarkeit der Aussagegrundlage nicht geknupft 
sein. Vielmehr dQrfte es so stehen, daB auch in den Fallen der zuletzt 
besprochenen Art neb en der vorstellungsmaBigen Trennbarkeit noch 
124 NOOLOGIE 
eine gedankliche Unterscheidbarkeit vorliegt — eine Annahme, die sich 
uns weiterhin wirklich bestatigen wird. 
3) Wie die historische Philosophie die Aussage uberhaupt auf den 
B^riff, und dazu noch den Aussageinhalt insbesondere auf das 
Universale eingeschrSnkt hat, so pflegt sie auch die Auffassungsbe- 
ziehung zu der Beziehung zwischen Gegenstand und B^jiffsinhalt 
einzuengen, und auch diese ganz vorwiegend nur insoweit in Betracht 
zu Ziehen, als ein und derselbe B^ffsinhalt verschiedene G^en- 
stUnde auffaBt. In dieser doppelt verkummerten Gestalt hdBt dann 
die Auffassung Abstraktion. So sagt man, wenn derselbe Begriffs- 
inhalt „Kunstwerk" sowohl mit dem Gegenstande ,,Dom von Pisa* 
wie mit dem Gegenstande „Sixtinische Madonna'' zu Aussagen sich 
verbindet, jener Begriff sei von diesen GegenstSnden abstrahiert — 
wahrend niemand diesen Ausdruck gebraucht, wenn derselbe Tatbe- 
stand „ Dieser Vogel fliegt" bald der Tatsache „Kreisender Aar", bald 
der Tatsache „Flattemder Sperling" zugeordnet wird. Allein noch vid 
bedenklicher ist, daB fast durchwegs das BewuBtsein davon fehlt, daB 
der Auffassung die Verbindung Einer Aussagegrundlage mit mehreren 
Aussageinhalten ebenso wesentlich ist wie die Verbindung Eines Aus- 
sagdnhalts mit mehreren Aussagegrundlagen. Auch die Auffassung 
Eines Gegenstandes i) durch mehrere B^ffsinhalte ist ja eine ebenso 
allgemeine und wichtige Erscheinung wie die Auffassung mehrerer 
Gegenstande durch Einen BegriffsinhalL DaB z. B. dem Begriffe 
„Kunstwerk" die Gegenstande „Dom von Pisa" und «Sixtinische 
Madonna" zu Grunde liegen kdnnen, ist um nichts bedeutsamer, als 
daB der Gegenstand „Dom von Pisa" die B^ffe „Kunstwerk" und 
„Oebaude", der Gegenstand „Sixtinische Madonna" die B^jiffe „Kunst- 
werk" und „Wertobjekt" zu fundieren vermag. Das Verkennen dieses 
Umstandes, die sachwidrige Restriktion der Auffassung auf die Alh 
straktion^ hat — wie wir noch sehen werden — die verschiedensten 
semasiologischen Doktrinen gleichmaBig in Verwirrung gebracht. 
4) Trotz dieser grundsatzlichen MiBachtung der ^Auffossung^', sowdt sie 
nicht „Abstraktion*< ist, ware naturlich ein scharfes logisches Denken un- 
moglich gewesen, wenn nicht auch diese Verhaltnisse in der Praxis der 
Spekulation waren berucksichtigt worden. Und in der Tat braucht roan 
sich nur zu erinnem, welche RoIIe etwa die Ausdrucke if, qua und gaaienas, 
als und insofem be! Aristoteles, in der Scholastik, bei Spinoza und auch 
noch in der modemen Philosophie spielen, um diese BerQcksichtigung 
auBer Zweifel zu stellen; denn wenn ich.sage „Der Mensch als Mensdi" 
Der Kurze halber gebrauche ich hier den Ausdruck „ein Gegenstand*' in dem 
Sinne von „eine Tatsache, die als Gegenstand aufgefaBt werden kann**. 
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 125 
Oder „Der Mensch, so fern er ein Mensch ist", so mdne ich damit nichts 
anderes als Jede Tatsache, welche durch den Begriffsinhalt Mensch auf- 
jfefaBt werden kann, wenn sie wirklich durch diesen und keinen andean 
Begriffsinhalt aufgefaBt wird^ 
1st somit die semasiologische Auffassungsbeziehung, wenigstens in ihrer 
Anwendung auf die Elemente des Begriffs, der kosmotheoretischen Praxis 
1ceinesw^;s fremd, so ist andererseits auch die Relation intelligibler Teile 
durchaus nicht unbeachtet geblieben. Schon Qankara ») unterscheidet 
^nicht isoliert Erkennbares" und „isoliert Erkennbares", und fuhrt sogar in 
diesem Zusammenhange an, da6 „z. B. Devadatta als Mensch, 
Brahmane, schriftkundig, freigebig . . ., Oreis, Vater, Bruder, Schwiegersohn" 
aufgefaBt werden kann. Auch Aristoteles 2) kennt den nur ,,gedanklich 
trennbaren Teil" ((tdptov \6^i^ x^P^^^^^)- J^emer finden sich auBerordent- 
lich scharfsinnige Untersuchungen uber distinctio fomuUis und distinctio 
lealis bei Duns Scotus 3), der z. B. bemerkt, daB Weifi und Farbig zwar 
reell, aber nicht form ell identisch seien: jenes, weil „ein WeiBes, das 
nicht farbig ist", ein widerspruchsvoller B^ff ware; dieses, weil es doch 
zwei verschiedene Momente an dem G^enstande sein muBten, die ihn zu 
einem weiBen und zu einem farbigen machen {aliqtUd . ., unde habet 
rationem coloris, et aliquid, unde habet rationem differentia^, Schon bei 
wenig spateren Scotisten*) wird dann fur einen besonderen Fall der di- 
stinctio formalis die Bezeichnung distinctio rationis gebraucht, welche weiter- 
hin, z- B. bei Descartes 5), jenen allgemeineren Begriff in seinem ganzen 
Umfange ausdruckt Den entsprechenden modemen B^ff endlich haben 
wir oben (§ 39. 6) beriihrt Er wird vielleicht am scharfsten von Geyser ^) 
folgendermaBen entwickelt: Bei der Analyse des BewuBtseins stoBen wir 
schlieBlich auf „Bestandteile unseres BewuBtseinsinhalts . . ., welche als 
solche fur sich d. h. ohne ein inneres Getragensein durch anderes erlebbar 
sind An diesen letzten Bestandteilen des BewuBtseinsinhaltes lassen 
sich noch verschiedene Seiten unterscheiden, die aber nicht mehr auch fur 
sich allein erlebbar sind; ich erinnere an die Unterscheidung der Hohe, 
Starke und Klangfarbe bei den Tonen. Die erste Art von Bestandteilen des 
BewuBtseinsinhaltes wollen wir als dessen Elemente, die letztere ... als 
Elementenmerkmale bezeichnen." 
5) Aussageinhalt und Aussagegrundlage, durch die Relation der Auf- 
fassung zueinander in Beziehung gesetzt, bilden den Komplex des 
ausgesagten Sach verb alts. Dieser Komplex ist nun dem aus 
Aussageinhalt und Aussagelauten bestehenden, durch die Relation des 
Ausdrucks zusammengehaltenen Komplex, d. i. der Aussage, in vielen 
Beziehungen uberaus ahnlich. Ihre Struktur ist dieselbe; denn beide 
Deussen, Sutra's, S. 341 ff. ^ Dt an. III. 4, p. 429a 12 u. III. 9, p. 432a 20; 
vgl. de gen. et corr. 5, p. 320b 24 u. Metaph. VIII. 1, p. 1042a 29. 3) ^rantl 111, 
S. 220 f., Anm. 147, 148, 149 u. 152. «) Prantl III, S. 290, Anm. 540. ^) Princ pfail. 
I. 62. ^) Psycholog. S. 159 f. 
126 NOOLOOIE 
bestehen aus dem Aussageinhalt einerseits, aus physischen i) Elementen 
andererseits; diese physischen Elemente werden auf seiten der Aus- 
sage dargestellt durch die Aussagelaute, auf seiten des Sachverhalts 
durch die Aussagegrundlage. Wie sich nun dieselbe Aussage wieder- 
holen kann, ohne Aenderung des Aussageinhalts, jedoch mit Wechsel 
der Aussagelaute, so kann sich auch derselbe Sachverhalt wiederholen, 
ohne Aenderung des Aussageinhalts, jedoch mit Wechsel der Aus- 
sagegrundlage. Denn wie sich verhait der pythagoreische Lehrsatz^ 
ausgesprochen in Einem Zeitpunkt in Einer Sprache, zu demselben Lehr- 
satz, ausgesprochen in einem andem Zeitpunkt in einer anderen Sprache, 
so verhSIt sich auch der Sachverhalt „bas Gleichsein des Quadrats 
der Hypotenuse und der Summe der Quadrate der Katheten*, realisiert 
in Einem Zeitpunkt an Einem rechtwinkligen Dreieck, zu demselben 
Sachverhalt, realisiert in einem andem Zeitpunkt an einem anderen 
rechtwinkligen Dreieck. In beiden Fallen nSmlich besteht mit der Mehr- 
heit und dem Wechsel der physischen Elemente die Einheit und Be- 
harrlichkeit des logischen Elementes zusammen. Wir werden deshalb 
auch nicht Qberrascht sein, wenn, ebenso wie SStze mit gleichem Tat- 
bestand, auch Sachverhalte mit gleichem Tatbestand als ein und die- 
selben gelten. In der Tat reden wir in diesem Falle ganz ebenso von 
demselben Sachverhalt wie in jenem von demselben Satz. Damit ist 
indes gesagt, daB den Sachverhalten in demselben Sinne Oegen- 
standlichkeit zukommt wie den Aussagen. 
Ich halte hier einen Augenblick inne, um hervorbrechende Bedenken 
nach Mdglichkeit zu beschwichtigen. Und da sei denn vorerst betont, 
daB wir naturlich den eben neu aufgefundenen Gegenstinden nur 
dieselbe empirische Realitat zuerkennen wie den in § 49 be- 
sprochenen. Es handelt sich also auch hier nicht um die Entdeckung 
neuer entia metaphysical sondem um die Aufdeckung neuer Struktur- 
formen der Erfahrung. Dafur aber, daB die Erfahrung nun einmal 
nicht so einfach gebaut ist, wie sich dies etwa die Assoziations- 
psychologen vorzustellen pflegten; dafur, daB sie nicht als ein bloBes 
Mosaik gleichartiger Elemente sich beschreiben l^Bt, vielmehr auch 
sehr verwickelte und zusammengesetzte Bildungen aufweist — dafur 
ist wohl der Kosmotheoretiker ebensowenig verantwortlich zu machen 
wie der Biologe dafur, daB er das Protoplasma nicht als eine durch- 
aus homogene Substanz beschreiben kann, vielmehr in jeder Zelle, ja 
in jedem Zellkem noch eine unubersehbare Fulle der kompliziertesten 
Strukturformen festzustellen sich gendtigt sieht. 
1) Oder doch nur zufallig nicht-physischen. 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 127 
Doch wir kehren zurQck zu unserer neuen Art von Gegenstanden 
und fragen zunichst, wie denn die Gegenstandlichkeit des ausgesagten 
Sachverhalts sich in dem Falle des Gegenstandsb^jiffes darstellen 
mag? Nun sagten wir f ruber schon (§ 47): von einem Oegenstands- 
b^^ff kann nur da die Rede sein, wo die Aussagegrundlage durch 
den B^ffsinhalt als Gegenstand aufgefaBt wird, und in diesem Falle 
nannten wir den Gegenstand speziell eine Sache. Allein diese Gegen- 
standlichkeit der Sachen bezieht sich auf den einzelnen, individuellen 
Sachverhalty entspricht demnach auch bloB der GegenstSndlichkeit der 
einzelnen, individuellen Aussage und ist mithin nur eine Gegen- 
stSndlichkeit erster Ordnung. Die Frage ist vielmehr: vermSgen wir 
nicht auch viele solche Gegenstande erster Ordnung, somit viele 
Sachen, wenn sie nur ein gleiches begriffliches Wesen aufweisen, als 
ein und denselben Gegenstand hdherer Ordnung aufzufassen? Diese 
Frage nun muB mit Bestimmtheit bejaht werden. Denn jene zahlreichen 
Sachen z. B., welche sSmtlich das begriffliche Wesen des Menschen 
an sich tragen, fassen wir oft genug als einen einzigen Gegenstand 
auf, namlich als „d en Menschen''. Einen solchen Gegenstand nennen 
wir jedoch einen Typus. Von solchen Typen handeln z. B. die 
Satze: „Der Mensch hat 32 ZShne", „Der Neger hat krauses Haar", 
„Das Chlor hat das Atomgewicht 35.5^ In solchen SStzen nSmlich 
ist nicht etwa von den Begriffen Mensch, Neger, Chlor die Rede, 
denn Begriffe haben weder ZShne noch Haare nach Atomgewichte. 
Allein sie handeln auch nicht von bestimmten Menschen-, Neger- und 
Chlordampf-Individuen, und zwar weder einzeln noch zusammen- 
fassend: der Satz „Der Mensch hat 32 Zahne'' kann ja wahr sein, 
wShrend der Satz Jeder Mensch hat 32 ZShne" — ohne Ein- 
schrSnkung ausgesprochen — falsch ware; beide fallen demnach ge- 
wiB nicht zusammen. Wir vermSgen eben zahlreiche durch den 
gleichen Begriffsinhalt aufgefaBte Gegenstande im Hinblick auf diesen 
Begriffsinhalt als Einen Typus aufzufassen, und dieser Typus ist dann 
etwas sowohl von dem einzelnen Individuum wie auch von dem Be- 
griff Verschiedenes. Allerdings bestehen zwischen dem Typus und 
den Individuen einerseits, zwischen dem Typus und dem Begriff 
andererseits feste Korrelationsverhaltnisse. So muB dem Begriff 
„Mensch" dielogischeBestimmung„32 Zahne" zukommen, wenn 
der Typus „Mensch'' das durch diese Bestimmung aufgefaBte 
physische Merkmal — das „Haben von 32 Zahnen" — aufweist; 
und der Typus weist dieses Merkmal wiederum nur dann auf, wenn 
jeder einzelne Mensch, sofern keine besonderen Gegen- 
128 NOOLOGIE 
wirkungen sich geltend machen, wirklich 32 ZShne hat Allein 
nichtsdestoweniger sind Begriff, Typus und Individuum (Sache) in der 
Erfahning als drei voneinander durchaus verschiedene Gegenstlnde, 
als dreieriei Arten von einheitlichen und beharrlichen Eriebniskomplexen 
gegeben. 
Was jedoch hier vom Typus gezeigt wurde, gilt ebensowohl auch 
von anderen Sachverhalten. Auch der Sachverhalt „Das Fliegen eines 
Vogels" ist von dem Satze „Ein Vogel fliegf' ebenso verschieden wie 
von der individuellen Tatsache irgendeines Vogelflugs. Diesen gegen- 
standlich aufgefaBten Sachverhalt werden wir indes gleichfalls einen 
typischen nennen dOrfen. Und so nennen wir im folgenden Oberhaupt 
jeden aus Aussageinhalt und Aussagegrundlage bestehenden Komplex 
— d. h. jede Sache und jeden Sachverhalt —, sofem er als ein ein-, 
heitlicher und beharrlicher Gegenstand aufgefaBt wird, dnen ty- 
pischen Gegenstand. 
Die Eigenart dieser typischen Gegenstande wird noch deutlicher 
hervortreten, wenn wir sie noch einmal mit den nogtischen G^en- 
stSnden vergleichen. Auf ihre Analogic im allgemdnen ist ja schon 
hingewiesen worden. Ein Gesichtspunkt aber bedarf hier noch be- 
sonderer Hervorhebung. Die Wichtigkeit der noetischen GegenstSnde 
beruht auf dem doppelten Umstande, daB sie in Beziehungen zuein- 
ander stehen, die zwischen Gliedem anderer Art schlechterdings nicht 
obwalten k5nnen (Ueber- und Unterordnung, Widerspruch, Folge), 
und daB deshalb die auf diese Beziehungen ihren spezifischen Ord- 
nungszusammenhang griindende Wissenschaft, die Logik, Oberhaupt 
aufgehoben wurde, woUte man ihnen die Anerkennung versagen (vgL 
§ 43. 2). Nun geht schon aus oben angefOhrten Beispielen hervor, 
daB jedenfalls formell die SStze zahlreicher Wissenschaften sich un- 
mittelbar auf typische Gegenstande beziehen. Dies gilt z. B. von der 
Chemie, wenn sie „dem Eisen" eine bestimmte Affinitit zum Sauer- 
stoff, von der Botanik, wenn sie „der Erdbeere" eine bestimmte An- 
zahl von StaubgefaBen beilegt. Allein es gilt auch von der Natur- 
wissenschaft uberhaupt, da ja die allgemdnen Naturgesetze nicht 
von individuell bestimmten Tatsachen, sondem von typischen Sach- 
verhalten handeln, und von der Geometric, deren Satze sich gewiB 
nicht auf individuell bestimmte Dreiecke, EUipsen usf., sondem auf 
„das Dreieck'^ „die Ellipse^ usw. beziehen. Indes muB es hier dahin- 
gestellt bleiben, ob diese Beziehung auf typische GegenstSnde nicht 
nur den Sprachformen, sondem auch den OrdnungszusammenhSngen 
der genannten Wissenschaften wesentlich ist Denn auf den ersten 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 129 
Blick jedenfalls hat es nicht den Anschein, als ob zwischen physi- 
kalischen Sachverhalten und geometrischen Typen andere Beziehungen 
sich fanden als diejenigen, die auch zwischen den entsprechenden 
individuellen Tatsachen und Gegenstinden sich finden. Dag^en gibt 
es mindestens Eine Wissenschaft, die auch in diesem Punkte der 
Logik vdllig analog ist, und das ist die Arithmetik. Die arith- 
metischen S3tze nimlich beziehen sich aufZahlen. Nun sind Zahlen 
gewiB keine physischen GegenstHnde : es wire ja z. B. sinnlos, dnen 
Kdrper eine Primzahl zu nennen. Allein ebenso gewiB sind die Zahlen 
der gew5hnlichen Arithmetik auch keine Begriffe. Denn einen Begriff 
kann man nicht dividieren oder potenzieren. OegenstSnde jedoch sind 
sie ohne Zweifel, da uns „die Zahl ll'^ als eine und dieselbe gilt, von 
wem immer sie gedacht und an was immer sie verwirklicht werde. 
Und zwar ist ,,dieZahl ll'^ einTypus wie y,der Mensch'^ oder „das 
Chlor"; denn sie verhalt sich zu jeder beliebigen Anzahl von 11 Kdrpem, 
11 Vorstellungen usw. genau so, wie sich ,,der Mensch'^ zu jedem 
beliebigen Menschen verhalt Wie namlich ,,ein Mensch*' eine Tatsache 
bedeutet, welche durch den B^jiffsinhalt Mensch aufgefaBt wird, so 
bedeutet ,,eine Elfzahl^ eine Tatsache, welche durch den B^ffsinhalt 
£]^ aufgefaBt wird; und wie alle einzelnen Menschen aufgefaBt werden 
kOnnen als der eine und identische Typus „der Mensch", so k5nnen 
auch alle einzelnen Elfzahlen aufgefaiBt werden als der eine und 
identische Typus „die Elfzahl", d. i. „die Zahl Elf". Dies nun, daB 
ihre SStze von Typen handeln, ist der Arithmetik mit der Geometric 
gemein. Was sie von dieser unterscheidet, ist, daB ihre spezifischen 
Relationen Qberhaupt nur solche Typen als Glieder zulassen. Hieruber 
konnte man sich t3uschen, solange man von den arithmetischen 
Relationen, den sogenannten „Operationen", nur Addition und Sub- 
traktion in Betracht zog: addieren namlich kann man nicht nur die 
Zahlen 5 und 3, sondem auch 5 Aepfel und 3 AepfeH). Schon 
multiplizieren hingegen kann man nur mehr die Zahlen 5 und 3, oder 
hochstens 5 Aepfel und die Zahl 3; der Satz dagegen, 5 Aepfel mal 
3 Aepfel seien 15 Aepfel, wire nicht nur falsch, sondem geradezu 
sinnlos. Es gibt eben nur eine Dreizahl von FQnfzahlen, und auch 
eine Drdzahl von Funf-Aepfel-Gruppen, aber keine Drei-Aepfel-Gruppe 
von FOnf-Aepfel-Gruppen. Es kann daher eine benannte Zahl nie als 
>) Einem ganz strengen Sprachgebrauche scheint freilich auch diese Ausdrucks- 
weise nicht zu entspredien. Denn diesem zufolge kann man zwar eine Menc^e zu 
einer andern Menge hinztUun oder von ihr wegndimen^ addieren und subtnuueren 
dagegen kann man nur Zahlen. Doch schien es zweckmaBiger, auf diesen immer- 
hin subtilen Unterschied hier kein allzugroBes Oewicht zu legen. 
Oomperz, WcHinichanttngilehre II 1 9 
130 NOOLOOIE 
Multiplikator, und ebensowenig als Divisor, Exponent, Logarithmus usw. 
fungieren; ja es kann sogar aus einer benannten Zahl nicht einmal 
eine Wurzel gezogen werden, denn 3 Aepfel sind nicht die Quadiat- 
wurzel aus 9 Aepfeln. Die arithmetischen Satze 3X5=1 5, 15:3 = 5, 
32=9,y 9=3beziehen sich somit gewiB nicht auf individuellephysische 
Oegenst3nde. Ebenso gewiB indes beziehen sie sich auch nicht auf 
die Begriffe „Drei", »Fflnf", „Neun", „Fflnfzehn" usw. Denn man 
kann Zahlbegriffe ebensowenig vervielfJltigen oder teilen wie irgend- 
welche andere B^jiffe, und am allerwenigsten kann man durch Verviel- 
f<igung Oder Teilung einen B^ff in einen anderen verwandeln. 
Handeln jedoch die arithmetischen S3tze weder von physischen noch 
von noetischen Gegenst3nden, dann bleibt nur die Annahme fibrig, 
daB sie sich auf typische GegenstSnde beziehen i). Damit aber ist er- 
wiesen, worauf es uns hier ankam : daB n^mlich die Arithmetik ebenso 
dringend die Anerkennung der typischen Gegenstandlichkdt verlangt, 
wie die Anerkennung der nogtischen Gegenstlndlichkeit von der Logiic 
gefordert wird. 
6) Orunds^tzlich und deutlich ist wohl zwischen noetischen und 
typischen OegenstSnden nie unterschieden worden, auch nicht von 
jenen Denkem, welche derartigen Gegenstanden sogar hanscendente Realitat 
zugeschrieben haben. Vielmehr werden wir bald sehen, wie ihre Ideen, 
Universalien usw. stets zwischen Begriff und Typus hin und her 
schwanken, bald einem Komplex logischer Bestimmungen, bald einer Qruppe 
typischer Merkmale naherstehen 2). Nur zwei Versuche kenne ich eigentlich, 
hier das Verschiedene emstlich zu sondem: einen ganz neuen und einen 
ganz alten. 
Jenen finde ich bei Husserl^); freilich wird sein Verstindnis durch die 
Terminologie nicht eben erleichtert Den Begriffsinhalt namlich nennt dieser 
Autor Bedeutungy und ihm — nicht dem B^jiffe sdbst — schreibt er 
G^enstandlichkeit zu. Er stellt sich nun vor, diese „Bedeutung^ sei der zu 
den korrelaten individuellen Bedeutungserlebnissen („Akten") gehSrige Typus, 
Oder, wie Husserl dies ausdruckt, die zu ihnen geh5rige Species; so 
da6 — in unserer Sprache — die noetische Gegenstindlichkeit ein Sonder- 
fall der typischen ware. Von dieser Bedeutungsspecies unterscheidet er jedoch 
1) CHe Moglichkeit, daB die ariUimetischen Satze von psychischenZustanden handeln 
konnten, dan wohl von vomherein als ausgeschlossen gelten. Es mag wohl sein. 
daB die ariUimetischen Aussagen ,,auf Orund'* soldier Zustande, etwa auf onind 
von Oefiihlen der Aufmericsamkeitsspaltung[, erfolg en. Allein ganz gewiB sind sic 
nicht Aussagen „tiber'' solche Oefiihle: niemand wird meinen. es lieBe sidi das 
der Zahl 3 entsprechende Auhnerksamkeitsspaltungsgefuhl mit 5 Aepfeln, oder 
auch mit dem der Zahl 5 entsprechenden Auhnerksamkeitsspaltungsgefuhl muUh 
plizieren. ^ DaB auch Meinonos ^Objektiv'' in ahnlicher weise zwischen Tatbe- 
stand und Sachverhalt oszilliert, wurde schon in § 47. 9 gezeigi ^) Ix^. Unterss. 
II, S. 102f. 
ORIENTIERUNO UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 131 
die G^^enstandsspecies, d. i. den Typus der zu dem B^jiffsinhalt ge- 
hSrigen Sachen, und zwar bezeichnet er diesen Typus als Begriff^ obwohl 
doch die Sprache unter Begriff ohne Zweifd einen Inb^jiff logischer Be- 
stiniinungen, mithin in Husserls Terminologie eine ^Bedeutung"', versteht 
So gelangt denn \inser Forscher zu dem Satze: „Bedeutung und Begriff im 
Sinne von Species decken sich nicht" und erlautert denselben in folgender 
Weise: „Die Bedeutung, in der eine Species gedacht ist, und ihr Gegen- 
stand, die Species selbsf^ sind nicht dasselbe^). Denn „genau so, wie wir 
im Gebiete des Individuellen z. B. zwischen Bismarck sdbst und den Vor- 
•tdlungen von ihm, etwa Bismarck; der grdfite deutsche Staatsmann; u. dgl. 
unterscheiden, so unterscheiden wir auch im Gebiete des Spezifischen bei- 
•pielsweise zwischen der Zahl 4 selbst und den Vorstellungen (d. i. Be- 
deutungen), welche die 4 zum Gegenstande haben, wie etwa die Zahl 4; 
die zweite gerade Zahl in der Zahlenreihe\ usf.'' Unsere Bedenken g^^en 
cUese Darstellung haben wir schon formuliert; was wir als fur unsere Zwecke 
wertvoll aus ihr herausheben mochten, ist die Unterscheidung zwischen ^der 
Zahl \^\ d. i. dem typischen Gegenstande, und der ,,Bcdeutung^ die Zahl 4^ 
d. i. dem noetischen Gegenstande. 
Allein diese selbe Distinktion zwischen Typus und B^jiff erblicke ich 
audi schon in Platons Unterscheidung der mathematischen von den 
idealen Zahlen, fiber die uns Aristoteles 2) berichtet Wenn es 
nimlich hier heiBt, die mathematischen Zahlen (Sv, S6o, tp[a . . .) be- 
itfinden aus Einheiten und kdnnten sowohl addiert wie geteilt werden, die 
idealen Zahlen ((iovdc, Sodc, tpidc . . .) dag^[en schl5ssen jene Zusammen- 
Betzung und diese Operationen aus, so ist dies genau, was von den ^Zahlen'^ 
als typischen Gegenstanden einerseits, den „Zahlb^jiffen'< als noetischen 
0^[enstanden andererseits wirklich gilt Denn so wie die individudle An- 
zahl dreier konkreter Objekte aus Einheiten besteht, geteilt und zu andem 
Anzahlen hinzugefugt werden kann, so laBt auch der Typus dieser Anzahl, 
eben „die Zahl 3^ all diese Aussagen und Operationen zu, ja nur auf der- 
gleichen ,,Zahlen'< beziehen sich alle arithmetischen Satze. Der B^jiff der 
Dreiheit dag^en besteht ebensowenig aus 3 B^jiffen der Einheit, wie ii^gend- 
dn anderer B^jiff aus Teilbegriffen besteht, und kann auch ebensowenig 
wie alle andem B^jiffe addiert oder geteilt werden 3). 
') In unserer Terminologie: der Begriffsinhalt, durch den ein Tvpus ^edacht wird, 
unci dieser Typus selbst sind nicht dasselbe; der log^sche Innalt des Begriffes 
JVlensch*'^ von dem wir etwa aussagen, er sei dem oegriffe „Lelfewesen" unter- 
fBordnelj ist verschieden von „dem Menschen'', von dem wir reden, wenn wir etwa 
Mffen: „Der Mensch ist ein Lebewesen''. ^) Metaph. XIII. 6, p. 1080a 12 ff. 
■) wenn St6hr (Log. S. 126) sagt: „Zahlw6rter sind nur erhmdene Wortcr, abcr 
brine Namen. Sie bedeuten nichts, das auBer ihnen ware, sie sind keine Zahl- 
aamen. Es gibt keine Zahlbegriffe''. so ist hieran jedenfalls so viel richtig, daB 
die Zahlen im gewohnlichen Sinne keine Begriffe sind. Mit dem ubrigen Inhalt 
der anjgefiihrten Satze konnen wir uns freUich nicht einverstanden erklaren. Denn 
es gibfallerdings auch Zahlbegriffe, und wenn die Zahlen der Arithmetik auch 
keine Begriffe sind, so sind sie doch — Typen. 
132 NOOLOOIE 
§51 
Die nach § 47 zwischen den Aussagelauten und der Aus- 
sagegrundlage stattfindende Relation der Bezeichnung ist 
lediglich eine vermittelte und rein SuBerliche, und ihi; Wesen besteht 
nur darin, daB aus dem Vorhandensein der Aussagelaute auf das Vor- 
handensein der Aussagegrundlage geschlossen werden kann. 
Dagegen ist die nach demselben Paragraphen zwischen der Aus - 
sage und dem ausgesagten Sachverhalt stattfindende Relation 
der Bedeutung eine unmittelbare und innerlich b^^rOndete. Sie 
weist namlich die Eigentumlichkeit auf, daB die Aussage fQr den ihres 
Sinnes Kundigen den ausgesagten Sachverhalt vertritt oder re- 
prSsentiert. 
Es entsteht daher die Frage, was wir unter der Bedeutungs- 
beziehung zwischen Aussage und Sachverhalt verstehen. Diese 
Frage bezeichnen wir als die Vierte semasiologische Hauptfrage. 
erlAuteruno 
1) Wir wissen aus § 47, daB die Relationen der Bezeichnung 
und der Bedeutung verschiedene Olieder haben. Jene besteht 
zwischen den Aussagelauten als solchen und der Aussagegrundlage 
als solcher, diese zwischen den Aussagelauten, sofem sie einen „Sinn'' 
ausdrlicken, und der Aussagegrundlage, sofem sie durch eben diesen 
„Sinn* aufgefaBt wird — somit zwischen der Aussage und dem aus- 
gesagten Sachverhalt Die letztere Bestimmung besteht zurecht, ohne 
Rucksicht darauf, ob Aussage und Sachverhalt individuell oder g^^en- 
standlich gedacht werden. Der einzelne, in einem bestimmten Zdt- 
punkt ausgesprochene Satz „Dieser Vogel fliegf" bedeutet den dn- 
zelnen, in einem bestimmten Zeitpunkt verwirklichten Sachverhalt „das 
Fliegen dieses Vogels''; der ohne jede zeitliche RQcksicht betrachtete, 
als noetischer Gegenstand gedachte pythagoreische Lehrsatz bedeutet 
den ohne jede zeitliche Rucksicht betrachteten, als typischen O^en- 
stand gedachten Sachverhalt „das Oleichsein des Quadrates der Hypo- 
tenuse und der Summe der Quadrate der Katheten**. Ebenso bedeutet 
der jetzt von mir gedachte und sprachlich formulierte B^ff „Mensch* 
alle einzelnen individuellen Menschen, der Begriff „Mensch' dag^en 
den Typus „der Mensch''. Es bedeutet demnach einersdts die ein- 
zelne Aussage die einzelne Sache oder den einzelnen Sach- 
verhalt, andererseits bedeutet der Begriff den Typus, der Satz 
dentypischenSachverhalt, kurz dernoetischeden typischen 
Gegenstand. 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 133 
2) Doch die Relation der Bedeutung hat nicht nur andereOlieder 
als die Relation der Bezeichnung, sie ist auch eine Relation anderer 
Art. Das erhellt im allgemeinen schon aus der Erwigung, daB Aus- 
sagelaute und Aussagegrundlage zwei vollkommen heterogene Tat- 
sachen sind, die nur durch ihre gemeinsame Beziehung zu einer dritten 
Tatsache — dem Aussageinhalt — miteinander verknQpft werden, 
w&hrend Aussage und Sachverhalt an dem Aussageinhalt ein ihnen 
bdden gemeinsam zugehoriges Element besitzen. Hiemach wird man 
allerdings voraussetzen dOrfen, daB die Relation der Bedeutung, wenn 
sie mit der Relation der Bezeichnung verglichen wird, sich als eine 
Beziehung von weit grdBerer Innigkeit erweisen werde. Allein fiber 
das eigentumliche Wesen beider Beziehungen ist damit noch wenig 
gesagt. Auf die Spur dieses Wesens nun werden wir wohl am 
Idchtesten gefuhrt werden, wenn wir beachten, daB ja die Relationen 
des Bezeichnens wie des Bedeutens keineswegs nur zwischen den 
Elementen der Aussage stattfinden. Vielmehr treffen wir dieselben 
mich auf zahlreichen anderen Gebieten an. Und zwar kdnnen wir 
Mer unterscheiden: Faile, in denen bloB von Bezeichnen, jedoch nicht 
von Bedeuten; Falle, in denen bloB von Bedeuten, jedoch nicht 
von Bezeichnen; und endlich Falle, in denen — ebenso wie bei der 
Aussage — sowohl von Bezeichnen als auch von Bedeuten gesprochen 
^erden kann. Die fur beide Beziehungen charakteristischen ZQge 
werden indes natfirlich in den Fallen der beiden ersten Arten am 
deutlichsten hervortreten. 
So sagen wir etwa, der rauberische Ueberfall eines Reisenden sei be- 
zddinend fur die in dem betreffenden Lande herrschende Unsicherheit; 
der gute Appetit eines Kranken sei ein Zeichen fur seine kriftige 
Konstitution ; die geringe Zahl der zwischen zwei Personen gewechselten 
Briefe sei ein Zeichen ffir das Erkalten ihrer Freundschaft Dagegen 
w&re es sinnlos, wollte jemand sagen, der Ueberfall bedeute die Un- 
sicherheit, der Appetit die Kraftigkeit, die geringe Zahl der gewechselten 
Briefe das Erkalten der Freundschaft 
Auf der anderen Seite sagen wir, die pipstlichen Schlussel bedeuten 
dieGewalt, zu binden und zu losen; dem spielenden Knaben bedeute 
der Stock, den er zwischen die Beine nehme, ein Pferd; dem Theater- 
besucher bedeuten die Kulissen eine Landschaft Und es hatte keinen 
Sinn, die Schlussel ein Zeichen der Ldsegewalt, den Stock ein Zeichen 
des Pferdes, die Kulissen ein Zeichen der Landschaft zu nennen. 
Hieraus geht hervor, daB uns a stets dann ein Zeichen fur b heiBt, 
wenn wir aus der Existenz oder aus dem Stattfinden von a auf 
134 NOOLOGIE 
die Existenz oder auf das Stattfinden von b schlieBen. kdnneni); 
daB dagegen einem a die Funktion, b zu bedeuterij stets dann zuge- 
schrieben wird, wenn es dieses vertritt oder reprSsentiert Denn 
aus dem Ueberfall kdnnen wir auf die Unsicherhei^ aus dem Appetit auf 
die kr3ftige Konstitution, aus der geringen Zahl der Briefe auf die 
erkaltende Freundschaft schlieBen; die Schlussei reprisentieren die 
Ldsegewalt, der Stock das Pferd, die Kulissen die Landschaft — wo- 
gegen wir ebensowenig aus den SchlQsseln auf die Ldsegewalt, aus 
dem Stock auf ein Pferd und aus den Kulissen auf eine Landschaft 
schlieBen kdnnen, wie der Ueberfall die Unsicherheit, der Appetit 
die kraftige Konstitution oder die geringe Zahl der Briefe die erkaltende 
Freundschaft vertritt 
Dies bestatigt sich vollkommen da, wo wir beide Relationen aus- 
sagen kdnnen; denn auch hier findet doch zwischen a und b das 
Verhaltnis des Bezeichnens nur statt, sofern wir aus a auf b zu 
schlieBen vermdgen, das Verhiltnis des Bedeutens nur, sofern uns 
das a das b reprSsentiert So ist es nach dem bekannten Aberglauben 
ein schlechtes Zeidien^ wenn der J3ger am Morgen einem alten Wdbe 
beg^^net — sofern er nSmlich aus dieser Beg^^nung auf einen ge- 
ringen Erfolg des Tages schlieBen kann. Dieselbe B^^^ung be- 
deutet aber auch UnglQck — sofern sie nSmlich dem JSger jenen ge- 
ringen Erfolg bereits im voraus reprasentiert Ebenso ist der Flug 
der Vdgel nahe am Boden ein Zeidien dafOr, daB schlechtes Wetter 
im Anzuge ist, sofern man aus jenem auf dieses schlieBen kann, die- 
selbe Erscheinung bedeutet aber auch Regen, sofern sie diesen dem 
Wetterkundigen gleichsam schon als gegenwartig darstellt 
Aus diesen Beispielen ersieht man zugleich, daB Bedeutung nicht 
bloB solchen Zeichen zukommt, die absichtlich als Zeichen verwendet 
werden. Im allgemeinen namlich verhalt sich die B^^^ung zum 
schlechten Jagdergebnis, der niedrige Vogelflug zum Regen nicht 
anders als etwa das Haltsignal vor der Station zu dem Umstande, 
daB das Einfahrtsgeleise nicht frei ist, als das Flaggensignal des not- 
leidenden SchifTes zu seiner Notlage — oder als der Ausruf „ Dieser 
') Jedoch setzt die Anwendung des Wortes Zeichen voraus, daB a ein partikularer 
Sacnverhalt sei, wahrend b auch als ein allgemeiner Sachverhalt, ein sofi^enanntes 
^Oesetz"' sich darstellen kann. Ein Einzelf all kann ein Zeichen sein sowohlfur einen 
andem tinzelfall wie fur die Oeltung eines Oesetzes; dagegen kann man nicht 
sagen. das Oesetz sei ein Zeichen fur das Stattfinden des unter ihm b^[riffenen 
Einzelfalles. Der Orund fiir diese Einschrankun]^ scheint darin zu Wtsxxi^ daB nur 
wahrnehmbare Sachverhalte Z^ui/t^ heiBen konnen, was natiirlich nir ^Oesetze" 
stets ausgeschlossen ist Man konnte deshalb das Zeichen auch definieren als ^ein 
wahmehmbares a, aus dessen Vorhandensein das Vorhandensein von b gefolgert 
werden kann'M 
ORIENTIERUNG OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 135 
Vogel fliegt^ zu dem wirklichen Vogelflug. Auch das Haltsignal ist 
dn Zeichen daffir, daB das Oeleise nicht frei ist — sofem aus ihm 
auf diesen Umstand geschlossen werden Icann; und es bedeutet diesen 
sdben Umstand — sofem es ihn fur den seiner Kundigen vertritt 
Ebenso steht es mit dem Flaggensignal, und in derselben Weise be- 
zeichnet auch der Ausruf den Vogelflug, sofem aus ihm auf diesen 
sich schlieBen l^Bt, und er bedeutet ihn, sofem er fQr den Sprach- 
kundigen diesen Sachverhalt reprasentiert Allein in diesen Fallen tritt 
noch dasBesondere hinzu, daB die Zeichen in der Absicht hervor- 
gebracht werden, auf das Bezeichnete schlieBen zu lassen, oder daB 
sie — wie wir auch sagen k5nnen — „gegeben* werden, also ge- 
gebene Zeichen sind. Und so konnte die Meinung entstehen, nur 
gegebenen Zeichen komme auch eine Bedeutung zu. Ja noch mehr! 
0^[ebene Zeichen sind natiirlich immer konventionelle Zeichen ; denn 
w3re ihre Verbindung mit dem Bezeichneten eine rein naturgesetzliche, 
so kdnnten sie nicht ad hoc gegeben werden, sondem mOBten auch 
ohne eine auf ihre Hervorbringung gerichtete Absicht eintreten^). Es 
li^ deshalb auch die Ansicht nicht fem, nur konventionelle Zeichen 
kdnnten eine Bedeutung haben. Indes, schon unsere ersten Beispiele 
schlieBen diese Auffassung aus, da ja Schliissel, Stock und Kulissen 
flberhaupt keine Zeichen, demnach gewiB auch weder gegebene noch 
konventionelle Zeichen fur Ldsegewalt, Pferd und Landschaft sind. 
Allein noch deutlicher sind die beiden andem Exempel, die wir eben 
anfuhrten : die Begegnung mit dem alten Weib und der niedrige Vogel- 
flug. Jene bedeutet Ungliick, dieser Regen; beide sind Zeichen, sofem 
man auf diese Folgen aus ihnen schlieBen kann; ganz gewiB aber 
sind sie nicht gegebene oder gar konventionelle Zeichen. Denn sie 
werden von niemand in der Absicht, auf ihre Folgen hinzuweisen, 
veranlaBt, sondem stehen zu diesen — wenigstens nach den Voraus- 
setzungen des Aberglaubens resp. der empirischen Wetterkunde — in 
einem rein naturgesetzlichen Verhaitnis. 
Aus dem Gesagten ergibt sich nun auch die Antwort auf die Frage, 
inwiefem denn das Verhahnis der Aussagelaute zur Aussagegmndlage 
ein Verhaitnis der Bezeichnung darstellt Da nSmlich in der lebendigen 
Rede die uberwiegende Mehrzahl der sprachlichen Ausdrucke in der 
Absicht gebraucht wird, den Horer auf wirklich vorhandene Tatsachen 
hinzuweisen, so kdnnen wir aus der Produktion einer Klangfolge 
') Sogar wenn jemand aus AnlaB einer Verletzune aufschreit^ um von Anderen 
gehort zu werden, setzt dies voraus, daB der Aufscnrei nicht erne unbedingt not- 
wendige Wirkung der Verletzung war und daher/?n7 tanto nicht ein rein naturliches 
Zeichen ist 
136 NOOLOOIE 
wenigstensmit einergewissen Wahrscheinlichkeitauf das 
Vorhandensein einer ihr zugeordneten Tatsache schlieBeni). Jene 
Klangfolgen sind somit wirklich Zeichen fOr diese Tatsachen, und zwar 
gehdren sie natOrlich in die Klasse der gegebenen oder konventionellen 
Zeichen. Hiermit aber ist das Wesen der Bezeichnungsbeziehung fur 
unsere Zwecke hinreichend aufgekiart: es bleibt an ihr keine Seite 
Obrig, die noch zum Gegenstande einer besonderen semasiologischen 
Untersuchung gemacht werden muBte. 
3) Ganz anders steht es um die Bedeutungsbeziehung. Hier werden 
wir der Frage nicht ausweichen kdnnen, inwiefem denn fOr das Ver- 
haitnis der Aussage zum Sachverhalt jene Voraussetzungen zutreffen, 
die sonst die Relation des Vertretenden zum Vertretenen oder — wie 
wir auch sagen kdnnen — der Reprasentante zum Reprasen- 
tat zu kennzeichnen pflegen. Um jedoch diese Frage seinerzeit 
beantworten zu kdnnen, werden wir schon jetzt bei dieser Ver- 
tretungsbeziehung noch etwas verweilen und feststellen mussen, worin 
ihre Eigenart besteht und auf Olieder von welcher Art sie Anwendung 
findet. 
Zu diesem Behufe nun gehen wir von jenem Falle aus, von 
welchem der deutsche Ausdruck Vertreten entlehnt zu sein scheint: 
ich meine das VerhSltnis der Stellvertretung zwischen Personen, 
sei es, daB der Botschafter den Monarchen, der Anwalt die Partei, 
der Prokurist die Firma oder sonst ein Mandatar seinen Mandanten 
resp. der negotiorum gestor den dominus negotU vertritt Und fQr 
dieses Verhaltnis scheinen mir von unserem Oesichtspunkte aus 
4 Punkte als die charakteristischen hervorzutreten. I. Wenn der A 
den B vertritt, so unterscheidet sich der A als Vertreter des B von 
dem A als A nicht durch ein Mehr, Weniger oder Anders der sinn- 
lichen Wahmehmungsinhalte, sondem durch eine verschiedene Auf- 
fassung. Ich kann n^mlich den A als A auffassen, als dieses bestimmte 
Individuum; und ich kann ihn auffassen als Vertreter des B. Allein 
was ich sehe, hdre, taste usw., ist in beiden Fallen dasselbe: was ver- 
schieden ist, gehdrt daher (nach § 33) nicht dem Inhalt, sondem der 
Form der Erfahrung an. Dies ist somit der erste Punkt, den wir fest- 
stellen : der Vertreter laBt eine doppelte Auffassung zu, je nachdem er 
1) Wurde die uberwiegende Mehrzahl der tatsachlich gemachten Aussagen auf 
die Irrefuhrung des Horers zielen, so ware die Sprache selbst aufgehoben. Wir 
konnten dann aus der Produktion von Klangfolgen nicht mehr auf das Vorhanden- 
sein zugehori^er Tatsachen schlieBen^ jene wunlen deshalb nicht mehr als Zeichen 
fiir diese fungieren, und alle Rede hatte ein Ende. — Die Luge ist eben wirklich 
eine Handlung, deren ..Maxime'' nie ,,ein allgemeines Oesetz" werden konnte (vgl. 
Kant, WW. VIII, S. n). 
ORIENTIERUNG OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 137 
als das vertretende Individuum oder als der Vertreter des vertretenen 
Individuums aufgefaBt wird. II. Insofem ich nun den A als Vertreter 
des Bauffasse, insofem ist er fflr mich der B. Denn wozu sich der 
A als Vertreter des B verpflichtet, dazu ist der B verpflichtet; was dem 
A als Vertreter des B versprochen ist, das ist dem B versprochen. Ist 
der Botschafter als Vertreter des Monarchen beleidigt, so ist der 
Monarch beleidigt; was der Prokurist als Vertreter der Firma gekauft 
hat, das hat die Firma gekauft; was der Anwalt als Vertreter derPartei 
erklart hat, das hat die Partei erklart Kurz, was der A als Vertreter des 
B tut Oder erleidet, das tut oder erleidet der B: der A als Vertreter 
des B ist der B. III. Freilich, er ist nicht der B „selbst", sondem eben 
nur der durch den A vertretene B. Nicht die Partei „selbst" hat die 
Erklarung abgegeben, sondem die Partei „durch" ihren Anwalt Nicht 
die Firma „selbst** hat gekauft, sondern die Firma „durch** ihren 
Pkx)kuristen. Nicht der Monarch selbst ist beleidigt, sondem der 
Monarch „in" seinem Botschafter. Mithin ist der A als Vertreter des 
B zwar nicht der B „selbst**, wohl aber der „durch" den A vertretene B. 
IV. Und zwar ist dieser „durch** den A vertretene B „derselbe" B, 
der auch ^selbsf* mit mir in Beruhrung treten oder auch ^durch** 
cinen andem Vertreter vertreten werden kann. Wenn der Botschafter 
beleidigt ist, so ist zwar nicht der Monarch lySelbsf" beleidigt, aber 
doch ,derselbe" Monarch, der auch in eigener Person oder „in" einem 
andem Botschafter beleidigt werden kann. Wenn der Anwalt eine 
Erklarung abgegeben hat, so hat zwar nicht die Partei ^selbsf* sie 
abgegeben, aber doch „dieselbe" Partei, die auch in eigener Person 
Oder „durch" einen andem Anwalt eine Erklarung abgeben kann. 
Wenn der Prokurist kauft, so hat zwar nicht die Firma „ selbst** ge- 
kauft, aber doch „dieselbe" Firma, die auch „durch** einen andem 
Prokuristen kaufen kann. Stets also ist der A als Vertreter des B zwar 
nicht der B „selbst", allein dennoch „derselbe" B, der auch in eigener 
Pferson Oder durch andere Vertreter handeln und leiden kann. 
Diese 4 Punkte nun kehren wieder in einer beinahe unermeBlichen 
Ffllle ahnlicher Verhaltnisse, die auf den verschiedensten Oebieten be- 
stehen, mit den verschiedensten Namen belegt, jedoch alle unter den 
B^jiff des Reprasentierens gebracht werden kdnnen. Wir werfen im 
folgenden auf einen Teil dieser Verhaltnisse einen flflchtigen Blick. 
Von der rechtlichen Stellvertretung zwischen Personen kdnnen wir 
cinerseits ubergehen zu andem juristischen und religiosen Formalakten. 
Die Kronung z. B. repr&sentiert die Machtverleihung, die Taufe die 
Sfindentilgung. Und von hier aus weiter zu alien andem Symbolen. 
138 NOOLOOIE 
Schwarze Kleidung z. B. reprOsentiert die Trauer. Andererseits konnen 
wir von der Stellvertretung zwischen Personen auch Qbergehen zur 
darstellenden Kunst Der Schauspieler reprdsentiert etwa Julius Caesar. 
Von hier weiter zur bildenden Kunst Die Photographie reprOsentiert 
den Photographierten, das Landschaftsbild die Landschaft, die BQste 
das Original. Und von hier endlich zum Spiel. Denn auch der Stock 
reprOsentiert fur den Knaben ein Pferd. In all diesen Erscheinungs- 
formen unseres VerhSltnisses finden wir nun die fQr dasselbe charak- 
teristischen 4 Punkte wieder. Die Krdnung l^Bt sich auffassen als 
Symbol der Machtverieihung und als Kopfbelastung, die Taufe als 
Symbol der Sundentilgung und als Korperbenetzung, die Trauer- 
kleidung als Symbol der Trauer und als ein schwarzer Kleiderstoff. 
Ebenso der Schauspieler als Darstellung Julius Caesars und als 
Herr N. N; die Photographie als Bild des Originals und als ein hell 
und dunkel geflecktes Papier; das Landschaftsbild als Bild der Land- 
schaft und als eine mit Farbenklecksen bedeckte Leinwand ; die Buste 
als Bild des Portratierten und als ein StQck Marmor von bestimmter 
Form ; der Stock als etwas, was ein Pferd vorstellt, und als ein StQck 
Holz. Im Falle der reprisentierenden Auffassung nun ist die Krdnung 
die Machtverieihung, — zwar nicht die Machtverieihung „selbst**, aber 
doch „dieselbe** Machtverieihung, die auch in andem Wirkungen sich 
HuBert; die Taufe ist in demselben Sinne die SQndentilgung, die 
Trauerkleidung die Trauer. Ebenso i s t der Schauspieler Julius Caesar, 
— zwar nicht Julius Caesar „selbst", aber doch „derselbe" Julius Caesar, 
der von Brutus ermordet wurde; und in demselben Sinne ist die 
Photographie der Photographierte, das Landschaftsbild die Landschaft, 
die BQste das Original und der Stock ein Pferd. Nicht etwa in un- 
eigentlichem Sinne werden diese AusdrQcke hier gebraucht, sondem 
ganz scharf wollen sie jene Auffassung kennzeichnen, fQr welche das 
Vertretende das Vertretene reprOsentiert: dem spielenden Kinde ist 
der Stock das Pferd; — zwar nicht das Pferd „selbst", aber doch 
^dasselbe" Pferd, das er etwa am Morgen im Stall gesehen hat 
Durchweg finden wir somit als die charakteristischen Merkmale des 
Reprasentierens die folgenden wieder: die Reprisentante l^t sich auf- 
fassen als bloBe Reprasentante, und sie laBt sich auffassen als Re- 
prasentat; im zweiten Falle ist sie fQr denjenigen, der sie so auffaBt, 
das ReprSsentat; — zwar nicht das ReprSsentat „selbst", aber doch 
„dasselbe" Reprasentat, das auch „selbst*' oder „in" andem ReprSsen- 
tanten erfahren werden kann. Unsere Aufgabe bei der Bearbdtung 
des Bedeutungsproblems wird es deshalb sein mQssen, zu zeigen, wie 
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 130 
<liese Vertretungsrelation psychologisch zu verstehen ist, und inwie- 
-feme die Beziehung zwischen Aussage und Sachverhalt als ein Sonder- 
ifidl derselben sich begreifen lUBt. 
4) Ich mSchte hier noch Stellung nehmen zu dem einzigen mir be- 
kannten Versuche, den B^ff der Bedeutung psychologisch etwas naher zu 
ibestimmen. Die alte Lehre der Assoziationspsychologen namlich, die Be- 
4leutung beruhe lediglich auf einer Assoziation der Vorstellungen, kann 
idi nicht einmal als den Versuch einer solchen Bestimmung gelten lassen. 
Assoziiert sind ja alle Vorstellungen, die aneinander erinnem. Allein es bedeaten 
-doch nicht alle, von denen dies gilt, einander, ja sie sind auch nicht alle Zeichen 
ffireinander. So sagten wir fruher einmal (§ H, 7), es kdnnten sowohl die 
Munen D'Alembert und Montalembert wie auch die Namen Harmodios und 
jtristogeiion assoziativ aneinander erinnem. Wird darum irgend jemand be- 
liaupten, D'Alembert sei ein Zeichen fur Montalembert^ oder Harmodios 
Jbedeute Anstogeiton? Ja bedetUet auch nur ein Wort alles, an was es er- 
Jnnert, z. B. das Wort Becken das Wort B&cker^ oder den B^ff Neutnuny 
ftda die Handlung Waschen? Ware jedoch einesolche Behauptung absurd, 
dann muBte man doch jedenfalls erst angeben, was fur Assoziationen eine 
Bezeichnung oder Bedeutung konstituieren, ehe auch nur von einem emst- 
lichen Erklarungsversuche die Rede sein konnte. 
Einen solchen Versuch nun hat Martinak^) in der Tat untemommen, 
Idder jedoch die Verwandtschaft des Bedeutens mit allem andem Repr&sen- 
tieren, SymboUsieren, Darstellen, Abbilden, Vorstellen usf. ganzlich tibersehen. 
Vidmehr faBt er das Bedeaten von vomherein bloB als eine Beziehung des 
Zeichens zum Bezeichneten auf, so daB seine Erklarung uberhaupt gar nicht 
dem, was w i r Bedeaten^ sondem nur dem, was wir Bezeichnen nannten, zu- 
gute kommt In dieser Beziehung scheint er denn auch das Wesentliche 
gesehen zu haben: daB namlich a dann ein Zeichen fur b ist, wenn aus 
liem Vorhandensein des a auf das Vorhandensein des b geschlossen werden 
kuin. Nur wird man zweifeln durfen, ob dieser einfache Sachverhalt sehr 
H^ficklich ausgedruckt wird durch die These, ein wesentliches Moment des 
ipZdchen und Bedeutung verknupfenden Bandes'' sei die „Disposition'S an- 
liBlich des Zeichens (a) zu urteilen: „Das Bezeichnete (b) isf' Dag^^en 
crscheint es mir als das Muster eines 5aT6pov Tcpdrepov, wenn Martinak 
auBer dieser noch eine weitere „Urteilsdisposition<' fur das ^Bedeuten"" 
wesentlich sein lassen mdchte, namlich die Disposition zu dem Urteil: ^ 
bedeutet b^ Denn erst muB doch a wirklich b bedeuten, ehe diese Dis- 
position sich entwickeln kann: das Urteil, zu dem sie disponiert, ware ja 
fdsch, wenn nicht das „Bedeuten'< schon einen anderweitigen Inhalt hatte. 
Diese Erklarung ist daher wirklich kaum anders zu beurteilen, als wollte 
femand das psychische Band zwischen Ursache und Wirkung erklaren als 
die Disposition zu dem Urteil: „a kausiert b''. 
Psycholog. Unterss. S. 60. 
ZWEITES KAPITEL 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGS- 
PROBLEMS 
§52 
IE Metaphysik erklart den Aussageinhalt fur 
eine auBerempirische Wesenheit — wobei es 
keinen Unterschied macht, ob sie nun derartigen 
Wesenheiten im VerhlUtnis zu den kdrperlichen 
Dingen einen hSheren, gleichen oder niedrigeren 
Realitatsgrad zuschreibt. Wir bezeichnen 
diesen Standpunkt als den des semasiologischen 
Realismus. 
Derselbe vermag indes nicht nur auf die Erste, Dritte und Vierte 
semasiologische Hauptfrage keine befriedigende Antwort zu erteilen, 
sondem auch wenn man ihn bloB als Antwort auf die Zweite jener 
Hauptfragen — auf die er sich zunachst zu beziehen scheint — be- 
trachtet, steht ihm der metaphysische Orundwiderspruch 
(§ 35. 2) entgegen. 
ERLAUTERUNG 
1) Der Realismus ist eine metaphysische Lehre(vgl. § 34.3). 
Sein entscheidendes Kennzeichen besteht darin, daB er den logischen 
Oehalt der Aussagen als eine an sich selbst bestehende, unabhSngig 
von ihrem Erfahrenwerden existierende Realitit begreift, somit den 
Aussageinhalt als auBerempirische Wesenheit denkt. Dabei 
kann entweder der Aussageinhalt selbst als auBerempirischer 
Oegenstand aufgefaBt werden, oder es kann die Aussage als 
empirischer Oegenstand, der Aussageinhalt aber als die unerfahrbare 
Substanz dieses Gegenstandes gelten. 
Nach dem in § 49. 2 Ausgefflhrten erscheint uns nun die zweite 
dieser Altemativen als die von einem konsequenten Realismus ge- 
forderte. Denn nur die Aussage, als ein Komplex aus beharrlichen 
und wechselnden Elementen, laBt sich als Oegenstand auffassen; der 
Aussageinhalt, d. i. das beharrliche Element dieses Komplexes, kann 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 141 
ebensowenig ein G^enstand heiBen wie die Substanz eines kdrper- 
lichen Dinges. Wir stellen deshalb auch im folgenden den Realismus 
im Sinne der an zwdter Stelle genannten Alternative dar, somit als 
dne Lehre, fur welche der Aussage gerade deshalb ein objektives Sein 
zukommt, weil ihre mehreren und wechselnden empirischen Elemente, 
die Aussagelaute, durch ein einheitliches und beharrliches auBerempiri- 
sches Element, den Aussageinhalt, zu dem einheitlichen und beharr- 
lichen noetischen Oegenstande geeinigt werden. 
Fur welche jener beiden Altemativen immer sich indes der Realist 
entscheide, stets schreibt er den noStischen Gegenstinden nicht bloB 
empirische, sondem auch transcendentale Realit&t zu (vgl. § 49. 3). 
Denn in beiden Fallen setzt er voraus, daB die Aussagen nicht nur 
von uns als einheitlich und beharrlich eriebt werden, sondem daB 
816 auch an sich selbst einheitlich und beharrlich seien. 
2) Diese metaphysische Auffassung der Aussagen nun wird ganz 
^nso naturgemaB durch die Interessen der Vernunftwissen- 
Bchaft und speziell der Logik gefordert, wie (nach § 12. 2) die 
Interessen der Naturwissenschaft und insbesondere derPhysik 
zu der analogen metaphysischen Auffassung der Korper dr^ngen. Die 
Logik namlich hat nur daran ein Interesse, die Gedanken nach ihrem 
logischen Oehalte von alien individuellen und zeitlichen UmstSnden 
Bires Gedachtwerdens scharf zu sondem, von alien Unterschieden 
Direr sprachlichen Einkleidung und ihrer affektiven FSrbung abzusehen, 
kurz inhaltsgleiche Gedanken als einheitlich und beharrlich zu betrachten. 
Dagegen hat sie gar kein Interesse daran, die BewuBtseinstatsachen 
zu beachten, in denen diese Gedanken in bestimmten Zeitpunkten 
von bestimmten Individuen erfahren werden. Jenes Interesse nun wird 
sie stets so auf die einfachste Weise befriedigen, daB sie die Gedanken 
begjtdft als an und fur sich bestehende Elemente, und ihre VerhlUt- 
nisse als zwischen diesen Elementen an und fQr sich bestehende Re- 
tetionen. Es ist auch gar kein logisches Interesse denkbar, das sie 
bewegen konnte, von dieser Auffassung abzugehen, den Widerspmch 
zwder S3tze z. B. nicht als ein ewiges logisches VerhSltnis zwischen 
zwd ebenso ewigen logischen Gebilden zu denken — ganz ebenso, 
wie auch kein physikalisches Interesse denkbar ist, das die Physik 
bestimmen kdnnte, die Entfemung zweier Kdrper als etwas anderes 
Bufzufassen denn als eine an sich selbst — d. h. ohne Rucksicht auf 
Uir Erfahrenwerden — bestehende physischefBeziehung zwischen zwei 
ebenso an sich selbst existierenden physischen Elementen. Der stets 
zunehmenden MiBachtung gegenQber, welche dieser Ansicht zu tdl 
142 NOOLOGIE 
wird, muB deshalb auf das nachdrOcklichste betont warden, daB der 
semasiologische Realismus eine Doktrin von ganz derselben 
DignitSt ist wie der on tologische Realismus: „Gedanken an sich"^ 
sind um nichts mehr und um nichts weniger glaubhaft als ^Dinge 
an sich". 
Wir kdnnen uns indes hier nicht auf diese allgemeine WQrdigung 
der realistischen Ansicht beschrinken, haben vielmehr die Aufgabe, 
ihre Eigenart im einzelnen zu bestimmen: wir mQssen versuchen, alle 
Momente, die ihr zufSllig sein mdgen, als solche aufzuzeigen und von 
ihr abzustreifen, ihre wahrhaft wesentlichen Merkmale festzustellen und 
sie erst in dieser ihrer reinen, von alien stdrenden Anhangseln befreiten 
Oestalt der Kritik zu unterwerfen. 
3) Wir haben in § 12. 9 gesehen, daB jede metaphysische Ansicht 
fur die von ihr angenommenen auBerempirischen oder transcendenten 
Wesenheiten verschiedene Stufen derTranscendenz annehmen 
kann, und wir unterschieden dort eine naive, eine mechanist ische, 
eine monadologische und ane agnostische Form der meta- 
physischen Lehre von der Substanz der materiellen Dinge. Der Unter- 
schied der beiden ersten Formen fallt hier naturgemHB fort, da im 
Gebiete des Intelligiblen „sekundlire'' und ^primSre'' QualitSten nicht 
auseinandergehalten werden kdnnen. Im Qbrigen jedoch findet dieses 
Schema auch auf unseren Fall seine Anwendung. 
Unter einer naiven Metaphysik verstanden wir diejenige, welche 
den auBerempirischen Bestandteil eines Gegenstandes seinen em- 
pirischen Bestandteilen gleichartig denkt Diese letzteren nun sind im 
Falle der Aussage die Aussagelaute, mithin Worte, Satze usf., kurz 
Stiicke oder Abschnitte menschlicher Rede. Ein naiver semasiologischer 
Realismus wQrde uns deshalb derjenige heiBen, welcher den Aussage- 
inhalt selbst als ein auBerempirisches Wort, einen auBerempirischen 
Satz, kurz als eine transcendente, und zwar natQrlich als eine zeitlose, 
ewige Rede begreifen wollte. Allein es ist klar, daB mit einer solchen 
Verdoppelung der empirischen Daten gar nichts geleistet wiirde. 
Wenn schon unsere Rede eines Sinnes bedarf, um nicht bloBer Laut- 
komplex, sondem vielmehr bedeutungsvoUe Aussage zu sein, so wQrde 
jene transcendente, ewige Rede, um nicht selbst ein transcendenter, 
ewiger nichtssagender Schall zu bleiben, ihrerseits wiederum eines 
Sinnes, d. h. eines Aussageinhalts zwdter Ordnung, bedQrfen, und so 
fort ins Unendliche. 
Dagegen scheint hier eine monadologische Ausgestaltung der 
Metaphysik besonders nahezuliegen : so wie unsere subjektiven Ge- 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 143 
i^ danken Momente eines BewuBtseins sind, so — scheint es — werden 
i«uch die objektiven Oedanken als Momente eines BewuBtseins am 
u diesten sich begreifen lassen. Freilich entsteht nun sofort die Frage, 
i was fOr ein BewuBtsein dies sein mdchte. Fest steht dabei von vome- 
herein das Eine: das fragliche BewuBtsein kann kein menschliches 
land Qberhaupt kein individuelles und zeitliches sein; denn eben un- 
it geachtet alles individuellen und zeitlichen Wechsels der subjektiven 
i Denkakte soil ja das in diesen Gedachte in unwandelbarer Identitat 
ffbeharren. Es wird demnach durch diesen monadologischen Realismus 
i postuliert ein iiberindividuelles und Qberzeitliches, uberdies rein logisches 
I BewuBtsein, dessen Momente, frei von alien Zuf^ligkeiten der An- 
schauung und des Affekts, nichts anderes darstellen wurden als 
f logische Bestimmungen in ihrer Reinheit Eine gottverlassene Theologie 
f wird naturlich sofort nach diesem Postulate schnappen, und behaupten, 
es sei ja erfullt in dem uberindividuellen und uberzeitlichen BewuBt- 
sein Gottes. Die Weltanschauungslehre muB es dieser Theologie 
Oberlassen, auszumachen, ob ein BewuBtsein, das von Ewigkeit zu 
Ewigkeit alle widerspruchsvollen und widerspruchslosen Begriffe mit 
dem BewuBtsein ihres Widerspruches und ihrer Widerspruchslosigkeit, 
alle wahren und falschen Satze mit dem BewuBtsein ihrer Wahrheit 
und Falschheit, alle konkludenten und nicht-konkludenten Beweise 
mit dem BewuBtsein ihrer Konkludenz und Nicht-Konkludenz, und 
sonst nichts anderes dachte, — ob ein solches BewuBtsein noch ein 
gdttliches zu heiBen verdiente. Ich fur meine Person wurde, wenn 
ich dazu verurteilt ware, ohne UnterlaB zu denken: „Dreieckiges 
Dreieck — richtig; viereckiges Dreieck — Unsinn; funfeckiges Dreieck 
— Unsinn; sechseckiges Dreieck — Unsinn ; Westfalischer 
Friede 1648 — richtig; Westfalischer Friede 1649 — falsch; West- 
filischer Friede 1650 — falsch; Westfalischer Friede 1651 — falsch 
" — mich weit eher in die Holle als in den Himmel versetzt 
glauben. Doch mag nun ein solches BewuBtsein Gott oder dem 
Teufd angemessener sein, jedenfalls hStte es mit dem, was v/ir Be- 
wufitsein nennen, so gut wie nichts gemein. Zunachst schon deshalb, 
weil es ja gar nicht als das BewuBtsein irgendeines Wesens bezeichnet 
werden konnte, vielmehr nur als ein Komplex logischer Inhalte „an 
sich''; und so ist es denn auch von alien Einsichtigen stets nur als 
ein Inbegriff von sich selbst denkenden Gedanken betrachtet worden. 
Allein weiterhin wQrde ihm mit der Zeitlichkeit auch alles dasjenige 
abgehen, was fur unser Denken am meisten bezeichnend ist: nam- 
lich alle ^Bewegung"" des Defikens, alles Zweifeln und Losen, mithin 
144 NOOLOGIE 
auch alles Erkennen im eigentlichen Sinne. Ja man wird geradezu 
sagen dQrfen: nichts von dem, was dieses BewuBtsein kennzeichnen 
miiBte, findet sich in unserem BewuBtsein, und wiederum : nichts, was 
uns aus unserm eigenen BewuBtsein bekannt ist, dOrfte sich in diesem 
BewuBtsein finden. Denn kdnnte man objektive Gedanken (logische 
Bestimmungen) in unserem BewuBtsein nachweisen, so brauchte man 
sie ja nicht in ein transcendentes BewuBtsein zu verl^en; und finden 
sich in diesem subjektive Gedanken (psychologische Vorgange), so 
w3re es nicht mehr ein Inbegriff unpersdnh'cher und unver&nderlicher 
Denkinhalte, sondern ein Komplex individueller und zeitlicher Denk- 
akte. Hiedurch wird klar, daB die angebhche Analogie des logisch- 
gSttlichen und des psychologisch-menschlichen BewuBtseins in Wahr- 
heit gar nicht vorhanden ist, vielmehr im Grunde nur auf einer 
Squivoken Verwendung des Ausdrucks Oedanken beruht: irgendeine 
uns bekannte Eigenschaft wenigstens wird den auBerempirischen Aus- 
sageinhalten dadurch nicht zugesprochen, daB man sie als Momente 
eines transcendenten BewuBtseins bezeichnet 
Damit geht der monadologische von selbst in einen agnostischen 
Realismus uber, denn besser, als einem Wesen Merkmale zuzusprechen, 
durch die doch nichts Bestimmtes und Verstandliches von ihm aus- 
gesagt wird, ist es jedenfalls, man gesteht ein, Qber seine PrSdikate 
keine Auskunft geben zu kdnnen. Auch glaut)e ich nicht, daB diese 
Zuruckhaltung dem BedQrfnisse geradezu widerstreitet, die einzelnen 
Begriffsinhalte, Tatbestande usw. auseinanderzuhalten. Der agnostische 
Realist wird eben sagen mussen: „Was der Sinn der Aussage A an 
sich selbst sein mag, und ebenso, was der Sinn der Aussage B an 
sich selbst sein mag, weiB ich nicht Ich weiB nur, daB beide von- 
einander verschieden sein mussen, und daB jeder von beiden dasjenige 
ist, was alien Sprachformen, die ihn ausdrOcken, ihre Bedeutung ver- 
leiht und sie eben dadurch zu einheitlichen und identischen Gegen- 
standen einigt Es verhalt sich in dieser Hinsicht mit der Bedeutung 
nicht anders als mit der Materie oder mit der Seele. Sowie die 
Materie das allgemeine physische, die Seele das allgemeine psychische 
Substrat ist, so ist auch die Bedeutung das allgemeine logische Sub- 
strat. Was alle diese 3 Substrate an sich selbst sein mogen, laBt 
sich nicht sagen. Wir mussen vielmehr die Materie an sich als 
schlechthin strukturlos, die Seele an sich als schlechthin zustandslos, 
die Bedeutung an sich als schlechthin bestimmungslos denken. Die 
Materie nimmt indes verschiedene Strukturformen, die Seele ver- 
schiedene ZustSnde, die Bedeutung. verschiedene Bestimmungen an. 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 145 
Diese Strukturformen, Zust^nde und Bestimmungen kdnnen wir an 
sich ebensowenig erkennen wie Ihre Substrate. Allein die geformte 
Alaterie ist zugleich Substanz gewisser Qualitaten, die zustandliche 
Seele Subjekt gewisser BewuBtseinstatsachen, die bestimmte Be- 
deutung Sinn gewisser Aussagelaute. Diese QualitSten, BewuBtseins- 
; tatsachen und Aussagelaute fallen in unsere Erfahrung. Wir kdnnen 
deshalb die Materie nur definieren als dasjenige, was die QualitSten 
i.Tsa Accidentien eines Dinges, die Seele als dasjenige, was die Be- 
^ wuBtseinstatsachen zu Erlebnissen eines Ich, die Bedeutung als das- 
t|enige, was die Aussagelaute zu Ausdrucken eines Sinnes macht^ In 
f tolcher oder ahnlicher Weise wQrde sich dn mdglichst konsequenter 
i^fgnostischer Realist aussprechen mQssen; und so viel durfte ihm dann 
I'.wohl zuzugestehen sein, daB sein Standpunkt aus rein logischen 
tMotiven keiner grundsatzlichen Anfechtung mehr ausgesetzt wSre. 
t 4) In § 18 haben wir eine substantielle und eine attributive 
F.Metaphysik unterschieden. Dieser Unterschied findet nun auch 
Uer seine Anwendung. Solange freilich der Aussageinhalt als Moment 
einer ewigen Rede oder eines Qberindividuellen und Qberzeitlichen 
BewuBtseins gilt, wird wohl niemand auf den Gedanken verfallen, ihn 
in irgendwelche Dinge zu versetzen; ebensolange kommt demnach 
aur ein substantieller Realismus in Frage. An sich unerkennbare Aus- 
•ageinhalte dag^en lassen sich zwar gewiB auch als von allem 
niysischen und Psychischen getrennte Wesenheiten denken — und 
so haben wir diese Ansicht bisher dargestellt — , allein sie kdnnen 
id>ensowohl auch in eine weit engere Verbindung mit jenen anderen 
SphSren des Seienden gebracht werden. Und zwar dr3ngt in diese 
Richtung vomehmlich die ohne Zweifel zwischen Aussageinhalt 
tind Aussagegrundlage bestehende Korrelation. Denn wenn 
auch Eine Aussag^jundlage durch verschiedene Aussageinhalte auf- 
gefaBt, Ein Aussageinhalt durch verschiedene Aussag^jundlagen ver- 
wirklicht werden kann, so geht diese Vielfaltigkeit der Auffassungs- 
beziehung doch keinesw^s bis zu voUer PromiskuitSt: niemand 
kann eine Ameise durch den Begriffsinhalt ^Textilwaren'' auffassen. 
Es li^ deshalb der Gedanke nahe, den Aussageinhalt irgendwie in 
die Aussagegrundlage hinein zu versetzen: man stellt sich dann vor, 
es kdnnten eben nur jene Aussagegrundlagen durch einen bestimmten 
Aussageinhalt aufgefaBt werden, welche diesen schon in sich enthalten. 
Da jedoch der Aussageinhalt eine auBerempirische Wesenheit sein 
soil, so kann er natQrlich nicht in den empirischen, vielmehr nur in 
den auBerempirischen Elementen der Aussagegrundlage enthalten sein. 
Oomperz, Wdtinschmnngilchrc II 1 10 
146 NOOLOQIE 
Ein solches auBerempirisches Element aber nimmt ja die Metaphysik 
wenigstens fOr Eine Art von Aussag^jundlagen wirklich an, denn 
sie teilt den Oegenst3nden eines Begriffes eine Substanz zu. 
Andererseits ist der Aussageinhalt eines Begriffs die Essenz seiner 
Oegenstande. Demnach mQBte der charakteristische Lehrsatz des 
attributiven Realismus lauten: die Essenz dnes O^enstandes ist in 
seiner Substanz enthalteni). 
Dieser Standpunkt hat nun vor dem des substantiellen Realismus 
unstreitig das voraus^ daB jener auf das zwischen Aussag^rnrndlage 
und Aussageinhalt bestehende KorrelationsverhSltnis RQcksicht niiiunl, 
wahrend dieser gar nicht erklaren kann, weshalb sich nicht jeder 
O^enstand durch jeden Begriffsinhalt auffassen ISBt Alldn dafOr 
lauft der attributive Realismus Oefahr, die Sdbstindigkdt der noetisdia 
Gegenstande den physischen Objekten g^enfiber prelszugeben. 
WQrde er freilich den Aussagdnhalt von der Aussage selbst sdiarf 
unterscheiden, so konnte er dieser Oefahr entgehen. Er kdnnte dann 
sagen : der Inhalt des Begriffes, die Essenz, ist dn Tdl der Substanz; 
Substanz und Essenz sind an sich weder physisch noch logisch; ver- 
bindet sich die Substanz mit den Dingqualitaten, so entsieht dn 
physisches Objekt; verbindet sich die Essenz mit den Aussagelauten, 
so entsteht ein nogtischer Gegenstand. Die Wesensverschiedaiheit 
zwischen jenem Objekt und diesem O^enstande wQrde damit nidit 
geleugnet AUein tatsachlich pflegt jene Unterscheidung nicht gemadit 
zu werden. Die Aussage selbst, der Begriff, wird mit der Essenz 
gleichgesetzt und als Teil der Substanz betrachtet Gilt jedoch der 
Begriff Mensch als ein in der Substanz jedes einzdnen menschlkben 
Individuums enthaltener Teil derselben, dann ist es um die Trennung 
^) Wir sprechen hier wieder von Qegenstanden statt von „Tatsadien, die sidi ak 
Oegenstanae auffassen lassen". Und wir diirfen dies tun, denn die Moglidtkeit, 
dan eine solche Tatsache sich audi als ein nicht-gegenstlndlicher Sachveraalt tli^ 
fassen liefie — etwa das mit „Stuhl" Bezeichnete audi als daft ..Existieren eines 
Stuhles" — , liegt ganz auBerhalb des Qesichtskreises des histonschen Realismu 
Wir reden ferner auch von der „Essenz eines Oegenst and es^ statt wie in § 47 
von der „Essenz einer Sachet Dodi auch dies notgedrungen. Denn andi <fie 
Unterscheidung von ^Gegenstand'' und Sache ist — wie tiberhaupt das Auseinando^ 
halten von Aussagegjundlage und ausgesagtem Sachverhalt — den bisherigen & 
I Reafismus vollig fremd. In Wahrheit kommt freilrch eine 
scheinungsformen _ 
Essenz nur dem schon durch einen bestimmten Begriffsinhalt aufgehifiten »Owb- 
stande'' — etwa dem schon als „Stuhl" aufgefaBten Stable — , mithin der &ik 
zu. Der ,,Oegenstand" selbst dagegen — etwa der Stuhl, sofem er audi noch ab 
2,Kunstprodukr' oder ^Korper*' aufgefaBt werden kann — hat zwar eine Sabsfanx^ 
jedoch keine Essenz. Allein um den attributiven Realismus, als welcher Essenz 
und Substanz auf das gleiche Subjekt bezieht, nur fiberfaaupt verstindlicfa zu madMa^ 
ist es notwendig, sich auf seinen Standpunkt zu stellen und gleich ihm die fi^ 
griffe „Tatsache^ und „Sache" in den Einen Mischbegriff des yT^egenstandes'* zi- 
sammenflieBen zu lassen. 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 147 
des Logischen vom Physischen geschehen: es ist dann gerade jenes 
Prinzip verleugnet, das den eigentlichen Lebensnerv der realistischen 
Ansicht darstellt. 
Immerhin bleibt der attributive Realismus relativ folgerecht, solange 
er sich auf die Behauptung beschrinkt, die Essenz eines Oegenstandes 
set in seiner Substanz en thai ten. Allein eine naheliegende Erw^gung 
veriockt dazu, fiber diese Behauptung hinauszugehen. Die Substanz 
nSmlich wird nach § 12 von den Metaphysikem gedacht: entweder 
als Materie, oder alsSeele, oder als zusammengesetzt aus St off 
und Form. Von so qualitStslosen Prinzipien, wie diese 4 es sind, 
kann man sich jedoch schwer vorstellen, daB sie noch Teile haben 
kfinnten, besonders da es sich ja hier um eine extensive Teilung ge- 
wifi nicht handeln kann. Folglich muBte die Essenz mit einem dieser 
4 Prinzipien geradezu zusammenfallen. Sie kann indes weder mit 
der Materie noch mit der Seele noch mit dem Stoffe identisch sein. 
Denn materiell und beseelt sind ja die allerverschiedensten Dinge, die 
unter die allerverschiedensten Begriffe fallen; und auch aus demselben 
Stoff, z. B. aus Holz, bestehen noch sehr mannigfaltige Objekte, z. B. 
Stfihle und Tische, deren Essenzen gewiB nicht identisch sind. Es 
scheint daher aus diesen Voraussetzungen zu folgen, die Essenz musse 
mit der substantiellen Form zusammenfallen: alle Stfihle z. B. lieBen 
sich darum auffassen durch den Einen Begriffsinhalt ^Stuhl"", weil in 
ihnen alien das Material — sei es nun Holz, Stein oder Erz — die 
Struktur der Einen Stuhlform aufweist. 
Dieses Ergebnis klingt nun zunachst ganz plausibel, erweist sich 
jedoch bei naherer Betrachtung aus zwei Grfinden als vollkommen 
unannehmbar. Erstens : ein Stuhl hat doch nicht nur die Form eines 
vStuhles im allgemeinen**, sondem vielmehr seine besondere, individuelle 
Form. Fiele daher die Essenz mit der Form zusammen, so mflBte auch 
jedem Stuhl ein besonderer, individueller Begriff entsprechen, und dann 
kdnnte es Einen allgemeinen Begriff ^Stuhl** fiberhaupt nicht geben. 
Zweitens: ein Stuhl fallt nicht nur unter den Begriff „Stuhl", sondem 
! auch unter die Begriffe ^Einrichtungsg^enstand"", ^Kunstprodukf" etc 
I Er muB somit mehrere Essenzen haben i). Allein er kann unmoglich 
' mehrere Formen haben, vielmehr nur Eine Form — nSmlich seine 
( Form. Es ist daher unstatthaft, die Essenz mit der Form gleichzusetzen. 
I 
H 1) Wie schon angedeutet, gilt diese Konseguenz nur unter der Voraussetzung, 
F dafi man die Essenz uberhaupt auf „Oegenstande", d. h. auf mixta composita aus 
' JTatsachen'' und ,,Sachen<' bezieht. In Wahrheit hat die Tatsache „Stuhl*S d. h. 
das als ,yStuhl" auffaBbare Stuck Wirklichkeit, uberhaupt noch keine^ die Sache 
yyStuhl", d. h. das schon als ^^tuhl" aufgefafite Sttick Wirklichkeit, nur Eine Essenz. 
io» 
148 NOOLOGIE 
Ich resumiere deshalb folgendermaBen. Das Prinzip des Realismus, 
die Trennung des Logischen vom Physischen und P^ychischen, wird 
vom substantiellen Realismus am besten gewahrt Dafflr vonadh 
lissigt dieser die zwischen Aussagdnhalt und Aussag^;rundlage be 
stehende Korrelation. Der attributive Realismus liuft Gelahr, jenes 
Prinzip zu verieugnen, wird aber dafur dieser Korrelation gerecht, wem 
er sich darauf beschr&nkt, die Essenz fur dnen Tdl der Substanz zo 
erklaren. Geht er darQber hinaus und setzt die Essenz der Substanz 
uberhaupt oder der substantiellen Form insbesondere gleich, so ver- 
f^scht er auch dieses Korrdationsverh^tnis, indem er die Zuordnung 
Eines Begriffs zu mehreren Gegenst£nden sowie diejenige mehrenr 
Begriffe zu Einem Gegenstande n^ert Die Substanz, und so audi 
die substantielle Form, ist eben etwas Individudles, die Essenz dagega 
etwas Typisches; das Typische kann indes zwar in dem IndividueDeii 
enthalten sein, jedoch niemals mit ihm zusammenfallen. 
5) Am weitesten scheinen die verschiedenen realistischen Standpunkk 
voneinander abzuwdchen hinsichtlich der Sdnswdse, die sie den 
noetischen G^enstanden zuschrdben: der Fine erkl3rt, daB in Wahr- 
heit Qberhaupt nur die noetischen Oegenstinde dn wahres Sdn be- 
saBen, wahrend ihnen gegenuber alles Physische und Psychisdie gv 
nicht wirklich existiere; der Andere behauptet, daB man von noetisdien 
GegenstHnden wohl reden musse, jedoch weder Realitit noch Existenz 
mit Recht von ihnen aussagen konne; und zwischen diesen Ex- 
tremen li^en noch manche Vermittdungen. Indes, diese anschdnend 
unuberbruckbaren Gegensatze beruhren im Grunde das Wesen des 
semasiologischen Realismus kaum und gehen vid weniger auf eioe 
verschiedene Auffassung der noetischen Gegenstinde als vidmehr auf 
eine verschiedene Auffassung und Anwendnng der B^rrjffe Realitit 
und Existenz zuriick. 
Einerseits namlich ist es klar, daB, wenn z. B. dn Denker sanen 
Existenzbegriff von den physischen Objekten abzieht, ihm dann alles^ 
was kein physisches Objekt ist, als nicht-existierend erschdnen wird 
Erkennt nun ein solcher dennoch, daB sich die SSltze der Logik auf 
noetische Gegenstande beziehen, somit jedenfalls auf etwas von alien 
physischen Objekten sehr Verschiedenes, so wird er sagen, diese Sitze 
bezdgen sich auf etwas Nichtexistierendes, Irreales, Unwiridiches^ dis 
freiiich im Interesse der logischen Wissenschaft dner eingehenden 
Untersuchung unterworfen werden musse. Denkt er jedoch dieses 
Nichtexistierende, Irreale und Unwirkliche als auBerempirisch — und 
dies wird meistens der Fall sein, da es immerhin schwer ffllt, dn Stfldc 
( 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 149 
Erfahrung fur unwirklich zu erklslren — , so vertritt er ganz ebenso 
ane metaphysische, mithin ^realistische'' Auffassung der nogtischen 
GegenstSnde, als wenn er sich in Ausdrucken fur die Realitat und 
Wirklichkeit derselben nicht genug tun konnte. Denn was ihn von 
dnem Realisten dieser letzteren Art unterscheidet, ist dann durchaus 
nicht eine andere Auffassung des Intelligiblen, sondem lediglich eine 
andere Art und Weise, die Begriffe ExistenZy ReaUtdt, Wirklichkeit etc 
zu definieren. 
Andererseits werden wir spater sehen, daB eine natQrliche Tendenz 
besteht, einem Objekte einen urn so hdheren Grad der Realitat zuzu- 
schreiben, je starker dasselbe unsere Aufmerksamkeit in Anspruch 
nimmt und je hoher es insbesondere von uns gewertet wird. Lebt 
deshalb jemand vorzugsweise in der Theorie, und empfindet er uber- 
dies dieses theoretische Leben dem praktischen gegenuber als hoher- 
wertig, so wird er auch den Objekten der Theorie eine auBerordentlich 
viel hohere Realitat zuerkennen als den Objekten der Praxis: im 
auBersten Falle werden ihm liberhaupt nur die noetischen Gegenstande 
dn wahres Sein zu besitzen scheinen, und ihnen gegenuber werden 
gerade die physischen Objekte zu etwas Nichtexistierendem, Irrealen 
und Unwirklichen, zu einem bloB scheinbar Seienden, einer bloBen 
Erscheinung herabsinken. Doch deswegen ist er nicht mehr „ Realist* 
als derjenige, der die ontologischen Pradikate an die verschiedenen 
Arten von Oegenstanden in ganz entgegengesetzter Weise verteilt, da 
es ja fur die Frage, ob ein Denker die noetischen Gegenstande meta- 
physisch auffaBt oder nicht, nur darauf ankommt, ob er sie von der 
Erfahrung trennt, und nicht darauf, welche Eigenschaften er von ihnen 
aussagt. 
Wird endlich die Frage aufgeworfen, welche dieser ontologischen 
Auffassungen dem Realismus am angemessensten sei, so kdnnen wir 
an dieser Stelle nur eine ganz vorl^ufige Antwort erteilen, da wir ja 
die Begriffe Existenz, Realitat j Wirklichkeit etc noch nicht selbst 
definiert haben. Es scheint indes von vomeherein klar, daB allem, 
wovon notwendigerweise positive Aussagen gemacht werden, auch 
in irgendeinem Sinne und in irgendeinem Grade Sein oder Realitat 
zukommen musse; und weiter, daB Realitatsabstufungen , die aus- 
schlieBlich von den subjektiven Denkgewohnheiten und Wertungen 
des einzelnen Individuums abhangen, eine objektiv-wissenschaftliche 
Berechtigung kaum eignen kann. Besitzen demnach fiir die realistische 
Denkweise die noetischen G^enstande jedenfalls irgendeine Realitat, 
fiber deren Grad sich jedoch einstweilen nichts Naheres ausmachen 
150 NOOLOQIE 
ISBt, so werden wir schwerlich fehlgehen, wenn wir vorlSufig fur die 
konsequenteste Form des Realismus diejenige eridSien, welche da 
noetischen GegenstHnden den gleichen Orad do* Realitit zutdlt wie 
den psychischen ZustHnden und den physischen Objekten. 
6) Unverkennbare Sptiren einer realistischen Ansicht finden sich sdum m 
Indien. Und hier ist es vor allem der oben besprochene nnaivc^ Realismnit 
der sich deutlich ausspricht in der merkwOrdigen Lehre von der Ewigkdt 
der Vedaworte und von ihrer Prioritat gegeniiber den nadi ihnen benannta 
Dingen. Dafi nlmlich ^us dem vedischen Worte die ganze Wdt mit Bd- 
schluB der Odtter entsprungen ist^, beweist Cankara i) eingehend und tmfer 
Beibringung zahlreicher alter Zeugnisse. So heiBe es schon im MiM- 
bharata: 
2.Der durch sich selbst ist, Hefi zuerst ausstrSmen 
Das Wort, das ewige, ohn' End' und Anfang, 
Das gottliche, das wir im Veda lesen. 
Von welchem alle Weltentwicklung ausging.** 
„Da6 man ubrigens, wenn man sich anschickt, irgenddne S«die hcnor- 
zubringen, zuerst an das Wort denkt, welches sie ausdrficUy und ent dm 
sich an die Sache begibt, das ist uns Allen aus der Erfahrung bdouuiL h 
ahnlicher Weise schwebten dem Geiste des Welischdpfers Praj&pati vor der 
Schdpfung die Vedaworte vor, und erst darauf schuf er die ihnen at- | 
sprechenden Dinge. Und so sagt auch die Schrift: fiieses ist die Erdc^ so j 
sprach er, und schuf die Erde< usw Diese Stelle bewdst, dafi entspredNod 
den seinem Geiste vorschwebenden Worten, Erde usw., die ihm vorsdiwebo- 
den Welten, Erde usw., erschaffen worden sind.« Allein mit diesen cwig 
Bezeichnenden, den Worten, werden nun als verbunden gedacht cboiso 
ewig Bezeichnete, die „Gestalten'' (dkriti). Wir hSren idmlidi, daB ^ 
Vedawort, als der Ausdruck des beharrlichen Sdns, ewig, und fQr ewig nut 
der entsprechenden Sache verbunden ist". Denn die Vedaworte sind mi 
den „Gestalten'S nicht mit den Individuen verbunden ; und wenn auch ^die 
Individuen erst in der Zeit entstehen, so bleiben dodi"" die ^GeslaHa' 
„ewig bestehen'' und kdnnen deshalb sehr wohl „durch die ewigen Vedi- 
worte Kuh usw.<' bezeichnet werden. Diese „Gesialten'' sind somit dgentiicii 
Typen im Sinne des § 50. 5, deren GegenstSndlichkdt jedodi zwisdn 
einer substantiellen und einer attributiven Auffassung sdiwankt Doi 
wahrend einerseits ^ die Kuh-Gestalt „in jedem Kuh-Individuum befaBt" sdi 
soil, heiBt es andererseits 3), die „weder als sdend nodi als nidit sdod 
ddinierbaren, noch nicht entfalteten, zur Entfaltung dringenden Namen and 
Gestalten der Sinnenwelt" bildeten „vor der WdtschSpfungr fQr das Er- 
kennen Gottes ein Objekt*' — so daB also hier die noStisdien resp. typisdia 
Gegenstande an und fur sich zwar selbst§ndig sind, jedoch in die indi- 
viduellen Gegenstande bei deren Entstehung eintreten und sidi fbrtan wie 
deren Formen verhalten. 
>) Deussen, Sutra's, S. 169 ff. ») Ibid. S. 293. ») ibid. S. 37. ' 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 151 
In Oriechenland kann zunachst die pythagoreische Lehre als eine Vor- 
liuferin der groBen realistischen Systeme bezdchnet werden, da die Zahlen, 
wdche sie nach Aristoteles i) zu den Prinzipien alles Seienden macht, 
gewiB weder etwas Physisches noch etwas Psychisches sind. Und wenn 
nun, demselben Oewihrsmanne zufolge^), diese Dolrtrin die Zahlen nicht 
von den Dingen trennte, sondern sie ^r die Dinge sdbst^ erkUrte, so muB 
Bie wohl dem attributiven Realismus zugerechnet werden. 
Die wahrhafte Geburt des Realismus findet indes doch erst stait mit der 
Ausbildung von Platons Ideenlehre Von dieser Lehre haben wir dfter, 
am dngehendsten in § 18. 2 gesprodien. Wir sagten dort, die Platonische 
Idee habe eine dreifache Funktion : sie sei nlmlich y^semasiologisches Objekt, 
fypologisches Prinzip und axiologisches Ideals Wir betrachten sie hier 
naturgemaB vorwiegend von dem ersten Oesichtspunkte aus und unterwerfen 
sie vom Standpunkte des Realismus aus einer immanenten Kritik, d. h. wir 
bagen: in welchen Beziehungen entspridit die Platonische Ideenlehre dem 
Ideal eines reinen und folgerechten Realismus, und in wdchen Beziehungen 
Ueibt sie hinter demselben zurtick? Unsere Antwort aber lautet in Kilrze 
ako: die Platonische Ideenlehre genflgt den Forderungen dnes konsequenten 
Realismus, sofem sie die Ideen substantidl und grundsitzlich audi agnostisch 
atiffaBt; sie weicht jedoch von ihnen ab, indem sie erstens von alien Aus- 
aagen aJlein die Begriffe beachtet, indem sie zwdtens nicht die B^[riffe sdbst, 
•ondem nur die Begriffsinhalte vergegenstandlicht, indem sie drittens die 
tioetischen Gq^enstande nicht von den typischen unterscheidet, und indem 
tie endlich viertens den Ideen eine hdhere Realitit als alien anderen Ob- 
jdden zuerkennt Ich ffihre nun diese 6 Thesen ndher ins Einzdne aus. 
Die Platonische Ideenlehre ist aus der Sokratischen Definitionstechnik ent- 
atanden. Hieraus erklart sich gleich dies, daB der Platonische Realismus 
von alien Aussagen alldn die Begriffe beachtet Denn definieren kann 
man nur Begriffe, nicht Satze, Fragen, Bewdse usf. Diese komplexen sprach- 
lichen Gebilde tragen namlich in ihrer Zusammensetzung aus Worten ihre 
logische Bestimmtheit schon in sich und sind daher einer weiteren logischen 
Bestimmung weder fahig noch bedurftig, wahrend der Name, als die niedrigste 
qirachliche Einheit, nicht in gleicher Wdse die Merkmale des von ihm aus- 
gedruckten Begriffes zur Schau stelli Die Idee ist jedoch urspriinglich 
nichts anderes als das Objekt der Definition, das definitum^): die Idee 
des Schdnen z. B. ist jenes „Schdne an sich*", auf das sich die Ddinition 
des Schdnen ganz ebenso bezieht wie der Name „Haus'' auf die dnzdnen 
fiauser. So erklart es sich, daB Platon nie daran denkt, es konnte z. B. 
audi ein Satz „an sich sdbst^ existieren, obwohl sich doch offenbar der 
Satz „2 X 2 = 4'' zu alien dnzdnen Fallen, in denen dies wirklich der 
Fall ist und von uns ausgesagt wird, ganz ebenso verhalt wie der B^ff 2 
zu alien dnzdnen Paaren und Zweiheitsaussagen. Damit war indes die ver- 
n Metaph. I. 5, p. 985b 23. >) Metaph. I. 6, 967b 28. ») Vgl. z. B. Euthyphro 
p. 6D. 
152 NOOLOOIE 
hangnisvolle Einschrankung des Bedeutungsproblems zumUniver- 
salienprobletn bereiis vollzogen. 
Auf dieselbe Weise wird auch die Verg^[enst3ndlichung des B e griff s- 
inhalts ansfatt des Begriffs verstandlich. In logisdie Bestimmuiigai 
nltnlich laBt sich naturlich nur die Essenz und nicht der Name eines Gegen- 
standes zerl^^en. Daher ist streng genotnmen nie der B^;riff, d. h. der 
durch einen Namen ausgedriickte Begriffsinhalt, sondem stets nur der B^ 
griffsinhalt selbst Objekt der Definition, definitiim. So liegt denn audi 
Platon der Qedanke fern, es mochte der Idee das Wort ii^gendwie wesent- 
lich seini): und doch wire der Begriffsinhalt, wenn er sich nicht in immer 
neuen Worten ausdriickte, ebensowenig ein noetischer O^fenstand, wie die 
Substanz ein physisches Objekt darstdlen wiirde, wenn ihr nicht immer 
andere und andere Qualitaten inharierten. 
Noch folgenreicher ist ein drittes Ergebnis derselben historischen Um- 
stande: die Verwechslung noetischer und typischer Oegenstandlichkeit 
Jede Definition ist namlich aquivok: sie zihlt die Merkmale auf, wdche dem 
Typus zugeh5ren, und zugleich die logischen Bestimmungen, die den Be- 
griffsinhalt konstituieren — je nach der Supposition der Worte, aus 
denen die Definition besteht, und die bald auf den ^typisdien Sachverhalt", 
bald auf den „Aussageinhalf' bezogen werden kdnnen (§ 50. 5). Plat(»( 
nun hat, wie wir sahen (§ 50. 6), diese Unterscheidung wohl filr die Zahlen 
vollzogen, dag^gen fur alle anderen Ideen unterlassen, obg^eich die Sadilage 
hier keine andere ist als dort Denn wie nur die mathematische Zabl 
(der Typus „die Zahl 3'*) aus 3 Einheiten besteht, die ideale Zahl (der 
Begriff „Drei'*) aber nicht, so ist auch nur der Typus „der Mensdi" dn 
Saugetier, keinesw^;s aber der Begriff „Mensch". DaB jedoch Platon in 
der Tat Typus und Idee miteinander verwechselt, geht schon aus seiner 
steten Voraussetzung hervor, die empirischen Dinge seien den Ideen ahn- 
lich, verhidten sich zu ihnen wie nachahmende Abbilder (jti^-^^za) zu 
originalen Urbildem (irapaSelfiiata) 2). Denn dies gilt nur von dem Ver- 
haltnis der Dinge zum Typus, keineswegs von ihrer Bezidiung zum Begriff. 
Ein Sonderfall dieser Voraussetzung ist Platons Annahme, daB die Idee 
des Schonen selbst schon, die Idee des GroBen sdbst groB sd ^ Dem 
auch diese Annahme trifft nur fur Typen, nicht fiir Begriffe zu. „Da$ 
OroBe'' ist in demsdben Sinne grojS, in dem „der Mensdi^ dn Menstk 
ist; wie dag^en der Begriff „Mensch<' kein Mensch, so ist auch der Be- 
1) Nur Cratvl. p. 389 Off. und p. 423 E kann man diesen Oedanken angedeutet 
finclen. ^ z. B. Tim. p. 49 A. 3) Farm. p. 122 A. Diese Annahme hat nier znr 
Foljg^e, dafi Platon das Argument vom „dritten Menschen" nicht a limine zurud- 
weist In Wahrheit trifft es den Realismus gar nicht Denn da der Bc^giriff der 
Qrofie mit den einzelnen groBen Dingen in der Eigenschaft, grofi zu sein, gar 
nicht ubereinstimmt, so bedarf es keines Qrofienbegriffes zwener Ordnung, um 
diese Uebereinstimmung zu erklaren. Wollte man freilich die Qrdfie des Typus 
„d e r Mensch'' fur die „Ursache'' der Qrdfie aller einzelnen Menschen ausgeoen, 
so liefie sich das Argument wohl vertreten. Allein dies hat auch nie jemand b^ 
hauptet 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNQSPROBLEMS 153 
griff mStoB" nicht groB. Freilich beruht die eigentfimliche Verschmdzung 
des Semasiologischen mit detn Typologischen und Axiologischen in der 
Platonischen Idee durchaus auf dieser Verwechslung: nur der Typus „der 
Mensch^ nietnals der Begriff „Mensch^ laBt sich als der gemeinsame Ent- 
stdiungsgrund aller einzelnen Menschen, gewissermaBen als der Stamm- 
vater i) der Species ansehen, und ebenso als der ideale Mensdi, der Mensch, 
wie er sein soil. Die Verwechslung noetischer und typischer O^^enstand- 
lidikeit ist eben nicht nur durch den EinfluB der Sokratischen Definitions- 
technik zu erklaren, sondem auch durch eine Stoning der semasiologischen 
durch die axiologische Funktion der Idee, d. h. letztlich durch die ethische 
Orientierung jenes Sokratischen Verfahrens. 
Diese Verwechslung bedingt indes nicht bloB Mangel der Platonischen 
Theorie; sie verdunkelt auch deren Vorzuge. So ist der Platonische Realis- 
mus grundsatzlich agnostisch. Die Ideen sind weder transcendente 
Worte noch sich selbst denkende Gedanken. Sie sind ja Qberhaupt nicht 
Oedanken. Denn waren sie Gedanken, bemerkt Platon ausdriicklich ^, 
so mdBten sie Gedanken von Etwas sein, und dann ware dieses in ihnen 
Oedachte die Idee, und nicht der Gedanke, in dem es gedacht wird. Ist 
jedoch dne realistische Ansicht weder naiv noch monadologisch, so muB 
sie prinzipiell agnostisch sein. Allein dieser agnostische Charakter des Be- 
griffs wird verhuUt durch seine Gleichsetzung mit dem Typus. Als Typus 
nimlich ist die Idee, wie wir sahen, dem empirischen Einzelg^enstande 
ihnlich; und so entsteht der Schein, als ware auch der Begriff ein tran- 
scendentes physisches Objekt 
Urn so h5her ist es Platon anzurechnen, daB er an dem substan- 
tiellen Charakter der Idee und damit an der Trennung des Intelligiblen 
vom Sensiblen unbeugsam festgehalten hat Denn nahe genug hatte es ge- 
legen, die Idee als Typus irgendwie in die Gegenstande zu verl^nen3); 
damit aber wurde die logische Einheit in eine physische Vidheit zerstaubt 
In der Tat hat man neuerlich Platon in ahnlichem Sinne auszulegen ver- 
sudit Allein nicht nur Aristoteles ^) bezeugt jene „Trennung'^ sondem 
audi Platon sdbst hat sich uber diese Frage unzweideutig genug geauBert 
Die Idee der Schonheit, sagt er z. B. s), „besteht ewig, entsteht nicht und 
vergeht nicht, nimmt nicht zu und nicht ab, sie ist nicht in Einer Hin- 
sicht sch5n, in einer andern Hinsicht haBlich, nicht jetzt sch5n, jetzt nicht 
sdidn, nicht mit dem Einen verglichen schon, mit dem andern verglichen 
hifilich, nicht hier schon, dort haBlich, namlich nicht fur den Einen sch5n, 
fflr den Andern haBlich<<; sie ist nicht etwas „wie ein Gesicht oder eine 
Tim. p. 50 D. ^ Parni. p. 132 EC. 3} Der Aussageinhalt ist ja wirklich ein 
Besiandteil der Sachen und Sachverhalte, liberhaupt der typischen Gegenstande. 
LaBt man daher die Sache mit der in inr aufgefafiten Tatsache zur Einheit des 
„Oefl;enstandes'' zusammenflieBen, so kann man mit viel Scheinbarkeit behaupten. 
das Logische sei i n den physischen „Gec;enstanden'' enthalten. Dies ist ohne Zweifel 
dne der Wurzeln, aus aenen der attributive Realismus hervorwachst ^) Metaph. 
XIII. 4, p. lOrab 30. 5) Conviv. p. 211 A B. 
154 NOOLCXilE 
Hand oder sonst etwas Kdrperiiches^ auch kdn Gedanke und kein Wisso, 
und sie ist nicht irgendwo in etwas anderem — in einem 
lebenden Wesen, in derErde, imHimmel oder sonst irgend- 
wo, sondem an sich selbst und fflr sich sdbst bestdit sie ewig in ihitr 
Einzigkeit, und alles andere Sch5ne nimmt an ihr in dner soldien Wdse 
teil, daB, wenn das andere enisteht und vergeht, jene deshalb um nidrts 
zu- Oder abnimmt und keinerld Verinderung erfiUirt^. 
Dagegen erschdnt es uns als dn sdiwerer Fdiler des Platonisdien Redis- 
mus, daB er die wahre Realitat allein den Ideen zutdlt: oft genug i) hdBen 
ja diese sdiledithin das ^Seiende*'. Die allgemdnen Orflnde fOr dicse ad- 
fallende Lehre nun haben wir sdion oben besprodien. AUes vorzugswdse 
Beaditde und Bewertde hat die Tendenz, sich audi als dn eminent Sdendes 
darzustdlen. Dieses Prinzip findd auf die Platonisdie Idee nadi ihren dre 
Funktionen gleichmaBig Anwendung. Der theoretisdie Menscfa wendd den 
no^tischen mehr als den physischen O^iensianden sdne Aufmerksamkdt 211 
und ist geneigt, das denkende Verhalten hdher zu sdiatzen als das tittigt 
Die Typen drangen sidi dem wissensdiaftlichen Blidc auf die Natur stiito 
auf als die Individuen. Das Ideal hat fur den Ethiker notwendig hoherai 
Wert als die Erfahrung. Die Ideen aber sind all das in Eins gefaBt: B^ 
griffe, Typen und Ideale, und so werden sie fur einen Denker, der sdbst 
zugleich Theoretiker, Naturforscher und Ethiker ist, dnen drdfachen An- 
spruch auf hohere Realitat besitzen. In derselben Riditung wiiict indes nodi 
dn anderes Prinzip. Jedes Sein — wir werden es nodi sdien — ist dn 
abgeblaBtes Leben-, wo sich deshalb die starkere Vi tali tat zdgt, da nehmen 
wir auch eine groBere Realitat an. Nun schdnt jedoch die starlcere 
Vitalitat gewiB da vorhanden zu sein, wo den angrdfenden Potenzen dn nadi- 
haltigerer Widerstand entg^fengesetzt wird, mithin da, wo die gr6Bere B^ 
harrlichkeit sich findet Auch dies aber gilt von der Idee nadi ihren drd 
Funktionen. Den Begriffen kommt absolute Unverinderlichkdt zu, wahreod 
die sinnlichen Objekte vidfach zerst5rt werden — und noch mdir zerstdrt 
zu werden scheinen, wenn man den bloBen Wedisd begrifflidi fixierter 
Qualitaten als ein Entstehen und Vergehen auffaBt, z. B. den ^Unteigang* 
der Blasse als ein Anzeichen der allgemeinen Verginglichkeit beUagt, 
wenn ein junger Mensch mit ger5teten Wangen aus der Tumsdiule tritL 
Die Typen beharren, wahrend die Individuen veigdien. Das Ideal an 
sich selbst ist rein; in den empirischen Objekten dagegen erscheint es 
getrubt und verktimmert, somit von fremden Einfltissen fiberwiltigt Aus 
diesen einzelnen Punkten setzt sich das fur Platon charakteristische BiM 
jenes groBen G^ensatzes zusammen zwischen den ewig bdiarrenden und 
seienden Ideen und den bestandig „flieBenden<^ und „werdenden^ Dingen. 
Aus diesem Gegensatze laBt Aristoteles ^ die Platonisdie Ideenlchre g^ 
radezu hervorwachsen, und Platon sdbst hat ihn nicht nur gdegentlich 
scharf formuliert 3), sondem auch auf ihn unmittdbar sdne Ldire von dem 
1) 2. B. Tim. p. 52D. 2) Metaph. I. 6, p. 987a 32. >) z. B. CralfL p. iWClT 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 155 

ontologischen Vorrange der Ideen b^jiindet Denn er fragt i) : „Dasjenige, 
was teil hat an der ewigen Gleichheit, an der Unsterblichkeit und der Wahr- 
hdt, und was selbst ein derartiges ist und an derartigem sich findet, schdnt 
dir das nicht in hdherem Grade zu sein als dasjenige, was tdl hat an der 
steten Ung^dchhdt und der Sterbh'chkdt, was selbst ein soldies ist und an 
soldiem sich findet?^ Uns freilich schdnt dies keineswegs so einleuchtend 
wie dem geffigigen Mitunterredner. Alldn noch so vide und empfindliche 
Mingd vermogen den Ewigkdtswert der Platonischen Ideenlehre nicht 
ganzlich zu iiberschatten. Mag diese Lehre ihr Zid iiberflogen haben: ihr 
innerster Kern, die ^Trennung"' des Logischen von allem Psychischen und 
Physischen, ist unzerstdrbar. 
Gerade diesen Kern hat Aristoteles verkannt Als ein G^:ner des 
Realismus gilt er mit Unrechi In Wahrheit hat er die Ideenldire weder 
grundsStzlich bekimpft noch im einzelnen berichtigt; er hat sie nur ver- 
dorben. Ihren metaphysischen Charakter namlich tastet er nicht an; allein 
statt das Logische vom Physischen und vom Psychischen zu trennen, sucht 
er es tdls hinter diesem, teils hinter jenem zu verbergen und macht so aus 
dem substantiellen und agnostischen Realismus Platons eine attributive 
und monadologische Abart dieser Lehre. Auf der Einen Seite identi- 
fiziert er die Essenz eines G^fenstandes (seinen X^foc, sein tC 'ijv elvai) mit 
sdner Substanz {ohaia)% und naher mit seiner Form (sldoc, iJLOp^)^). 
Diese jedoch kann natiirlich von dem G^enstande selbst nicht „getrennt^ 
werden*), sondem findet sich „in" dem Stoffe^), mit diesem „vermischt" *). 
Hiedurch ist mit Einem Schlage von den 3 Funktionen der Platonischen 
Idee sowohl die axiologische wie die semasiologische vemichtet Denn 
ebensowenig wie das Ideal kann audi der Begriff „in<< dem empirischen 
G^enstande stecken: die Logik muBte sonst auf ihr dgentumliches Objekt 
verzichten und es der Physik tatlos uberlassen. Diesem Interesse vermag 
sich denn auch der Begriinder der systematischen Logik nicht ganzlich zu 
entziehen, und nachdem er das Logische im Physischen hat verschwinden 
lassen, sucht er es aus dem Psychischen wieder hervorzuziehen. Das Denken, 
bdiauptet er namlich^ ist an sich ein bloBer Stoff, fahig zur Aufnahme 
aller mdg^ichen, auch einander enigegengesetzter Gedanken ; erst indem be- 
stimmte Gedanken darein eintrden, gewinnt es einen Inhalt und damit auch 
dne Form. Es stehen demnach dnander gegenuber: das subjektive Denk- 
vermogen (der yob<;) und der Inb^^iff des objektiven Gedachten (die voTjtdc), 
die sich zueinander verhalten sollen wie das subjektive Wahmehmungsver- 
mdgen (die alb^oK;) und der Inbegriff des objektiven Wahrgenommenen 
(die aiodTjrdc) 8). Nun mochte man glauben, von hier aus miiBte Aristo- 
teles den Platonischen Realismus rehabilitieren und dem vod(; die Ideen 
d>enso als objektive yoTjtd gegeniiberstdlen, wie der iiodTjoK; die K5rper 
>) Rcsp. IX, p. 585C. 2) Metaph. VII. 3, p. 1028b 33. ») Ibid. VII. 11. p. 1036a 28. 
«) Ibid. 1. 9, p. 991 b 1. ») Phys. IV. 3. p. 210 a 20; de cod. I. 9, p. 278a 9; de gen. 
et corr. I. 5, p. 321b 20. •) De coel. I. 9, p. 277b 32 u. p. 278a 14. ^ De an. Ill, 
4, p. 429a ilff. u. b 31. >) Ibid. III. 4, p. 429a 17; IIL 8, p. 431b 22. 
156 NOOLOOIE 
als objektive alb^tdc enisprechen. Allein statt dessen tischt er uns dne 
hochst verworrene Konzeption auf^), die crux inierpretum: die Lehre von 
der ^tatigen Vernunft", dem sogenannten vo6c «0fijTix6c. Ueber diesc 
tnochte ich hier nur folgendes bemerken. Itn Zusamtnenhange, nidit nur 
der Schrift „Ueber die Seele^S sondem auch des Aristotdischen Systems 
uberhaupt, ist der Begriff der ^tatigen Vemunft^' nur verstandlich, wenn diese 
aufzufassen ist als ein Inbegriff sich selbst denkender Oedanken, somit ak 
eine beseelte und zur Einheit Eines BewuBtseins zusatnmengeschlossene 
platonische Ideenweli, und wenn sie daher im Sinne des Stagiriten mit der 
gottlichen ^Vemunft^' zusammenfallt, die ja gleichfalls nichis anderes sein 
soil als ein sich selbst denkendes E>enken ^. Denn ^Fomi'' ist dem Aristo 
TELES immer dasjenige, was den „Stoff< in bestimmter Weise detenninieil 
und was dieser Stoff bei solcher Determination annimmt; dies aber kann, wenn 
das „Denken im allgemeinen*' zu einem ,,Denken an etwas Bestimmtes'' wird, 
eben nur dieses bestimmte Gedachte sein, und nicht ii^genddne sedische 
Kraft Oder Substanz. HeiBt daher diese ^Form** dennoch sdbst dn ^yDenken** 
Oder eine ,,Vemunft^^ so kann dies folgerecht nur auf einer monadologischen 
Auffassung der noetischen O^^enstande beruhen : sie mussen gedadit werden 
als sich selbst denkende logische Bestimmungen, die dem denkenden Indi- 
viduum als etwas Objektives g^enuberstehen ; und da solche Denkinhalte 
naturgemaS alle individudlen und zeitlichen Verschiedenhdten von sidi aus- 
schlieBen, so konnen sie nur in der Einzahl vorhanden sdn und mussen 
mit den sich sdbst denkenden gottlichen Gedanken zusammenfallen. So 
hat in der Tat Alexander v. Aphrodisias den Stagiriten verstanden, wenn 
er3) die „tatige Vemunft** mit dem „ersten Bewq^er*' des Aristoteles 
gleichsetzt, im Gegensatze zu ihr die ^Jeidende Vemunft" als dn „Ver- 
mogen der Sede'^ bezeichnet und das fur die „titige Vemunfl^ diarak- 
teristische „Von auBen her^'-stammen auch ,,allen tibrigen Gedanken" zu- 
spricht (6&pa^v (i^ ^ap xal ta £XXa vo7](iaTa). Auch stimmt es mil dieser 
Auffassung uberein, wenn Aristoteles selbst diese ,,tltige Vemunft^ »ewig" 
nennt, sie vom Menschen sich „trennen" und in ihn ,,von auBen her^ dn- 
trden laBt; denn all dies gilt wirklich von als transcendent gedaditen Denk- 
inhalten im Verhaltnis zu dem immanenten Denken des Individuums. Da- 
gegNi scheint nun dieser Erklarung allerdings der Umstand en^ri^nenzu- 
stehen, daB sich diese ,,tatige Vemunft'^ zu den empirischen Gedanken ver- 
halten soil wie das Licht zu den von ihm beschienenen Farben^). Denn 
das Licht mag zwar den Farben in gewissem Sinne ihre qualitative Be- 
stimmtheit verleihen, nimmt jedoch gewiB nicht sdbst an dieser Be- 
stimmtheit teil. Vielmehr ist das Licht fur alle Farben Eines und dassdbe, 
wahrend der Denkinhalt fur jeden Gedanken ein anderer sein muBte. 
Namentlich im Hinblick auf diesen Vergleich wird man es daher wohl fCir 
wahrscheinlich halten mussen, daB Aristoteles sdnen Gedanken tiberhaupt 
^) Ibid. 111. 5, p. 430a lOff. >) Metaph. Xll. 9, p. 1074b 33. ') De an. S. 89. 
22 ff. (Bruns). «) De an. 111. 5, p. 430a 15. 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 157 
nicht klar und konsequent zu Ende gedacht, sondem itn letzten Augenblick 
abermals versucht hat, detn logischen Denkinhalt eine psychische Denk- 
funktion von irgendwelcher h5heren Ordnung zu substituieren. Doch sei dem 
wie immer: jedenfalls klaffen nun die beiden Enden der Aristotelischen Sema- 
siologie weit auseinander. Im G^fenstande drin steckt die Essenz als seine 
Form; und im Denken erweist sich als d ess en Form der Begriffsinhalt 
iatig. Allein wenn tiberhaupt etwas erkannt werden soil, so muB doch 
der Begriffsinhalt mit der Essenz zusammenfallen. Denn ware das Gedachte 
nicht das b^ffliche Wesen des Gegenstandes, so konnte ja dieser 
von jenem Denken in gar keiner Weise erreicht werden. Diese Lucke 
empfindet denn auch Aristoteles, und er sucht sie durch einen kuhnen 
Sprung zu schlieBen. Er behauptet namlich, es sei dieselbe Form, 
welche die Materie zu einem bestimmten G^enstand und das Denken zu 
dem bestimmten Gedanken an diesen G^[enstand mache; denn abgesehen 
von der Materie sei uberhaupt das Denken und das Gedachte dasselbe^), 
und bei materiellen Objekten finde sich, zwar nicht der Gegenstand selbst, 
aber doch seine Form in der Seele^). Hieran ist nun — wie wir schon 
sahen — so vie! richtig, daB gewiB die Essenz eines Gegenstandes in einem 
bestimmten Verhaltnisse zu seiner Substanz stehen muB; denn durch was 
fur B^ffe ein Objekt sich auffassen laBt, dies hangt davon ab, was fiir 
ein Objekt es ist 3). Allein ebenso gewiB kann die Essenz nicht einfach 
mit der Substanz zusammenfallen, da ein Gegenstand nur Eine Substanz 
haben, jedoch durch sehr verschiedene Begriffe aufgefaBt werden kann. Und 
damit sind wir wieder angelangt bei dem unheilbaren Grundfehler des 
Aristotelischen Realismus, bei seiner Gleichseizung des X6yo<; mit dem sl8o<; : 
dner Gleichseizung, welche den metaphysischen Charakter der Platonischen 
Lehre in keiner Weise uberwindet, ihre logische Brauchbarkeit dagegen 
v511ig und unwiederbrin^ich vemichtet 
Jene Umgestaltung der Platonischen Ideenlehre, der sich die Aristotelische 
Konzeption der „tat]gen Vemunft" zum mindesten nahert, ist von Plotin 
vollzogen worden. Auch gibt es hier keine Unklarheiteni Der Realismus 
bleibt substantidl , wird jedoch monadologisch : die Ideen bleiben von 
den empirischen G^enstanden „geb-ennt*', werden aber zu sich selbst 
denkenden Gedanken, und als solche zu der Einheit der Einen gottlichen 
^Vemunft** zusammengeschlossen. Diese Vemunft ist indes ein rein logi- 
sches BewuBtsein, das jedes seiner Momente — jede einzelne Idee — nur 
ximfaBt „wie die Gattung die Art"*). Da nun in dieser rein logischen 
Sphare ein Unterschied zwischen Denkakt und Denkinhalt nicht besteht, 
mithin das Denkende und das Gedachte identisch sind^), so ist „die ganze 
») De an. III. 4. p. 430a 3; III. 5, p. 430a 19: III. 7. p. 431a 1. ^ Ibid. III. 8, 
p. 431 b 29. 3) Nach unserer Auffassung besteht freilicn dieses Verhaltnis nicht 
eigentlich zwischen Essenz und Substanz „des Gegenstandes", sondem zwischen der 
£ssenz der „Sache" und der Substanz Jener „Ta&ache", welche durch jene Essenz 
als eine bestimmte „Sache" aufgefaBt wird. *) Enn. V. 9. 6. ») Enn. V. 3. 5; V. 
9. 5; VI. 6. 6. ' 
158 NOOLOQIE 
Vemunft der Inb^ff alter Ideen, und jede Idee eine besondere Ver- 
nunft" >). 
Die drei groBen Systeme des Platonismus, Aristotdismus und Plotinismus 
sind das Kapital, von dem, wie die Philosophie uberhaupt, so audi der 
Realismus im Mittdalter gezehrt hat Unter ihnen dominiert jedodi der 
Aristotelismus nicht nur kraft auBerer Autoritlt, sondem auch infolge dner 
inneren Wahlverwandischaft Es ist namlich dieses vidlddit das Merk- 
wurdigste an der ganzen Scholastik, daB hier ein seinem Prinzip nach 
durchaus metaphysisches und zugleich von logischen Interessen vor allem 
beherrschtes Denken sich doch vollkommen unfahig erweist zu dner kon- 
sequenten metaphysischen Behandlung des Logischen, vielmehr sidi inuner- 
fort damit abqualt, dasselbe teils als etwas Psydiisches, tdls als etwas 
Physisdies — oder dodi als metaphysischen Trager von Physischem — zu 
begreifen. Seit Al Farabi ^ und Avicenna 3) ward namlich das ^Allgemdne^ 
unterschieden in ein solches „vor den Individuen'S „in den Individuen** 
und „nach den Individuen'^ (Universale ante rem, in re, post rem). Damit 
wird jedoch das einzig wahre Allgemeine, das „neben den Individuen** 
(praeter rem), vemichtd. Denn was sind jene drd Universalien? Das 
Universale post rem ist die menschliche Allgemdnhdtsauffossung, der Be- 
griff 3\s subjektiver Gedanke, als Denkakt: mithin dn psychischer Zustand. 
D^ Universale in re ist das Aristotdische bISo<;, die gemeinsame „Fonn'' 
der ahnlichen Individuen, wie Albertus Magnus «) ausdriicklich bemerkt: 
demnach — soweit es sich um physische Individuen handdt — selbst dn 
Teil des physischen Objekts. Das Universale ante rem endlich ist der typischc^ 
musterbildliche und schopferische Gedanke, in wdchem Gott die betreffdide 
Art Oder Gattung denkt: folglich abermals ein psychischer Zustand. Frd- 
lich bot die neuplatonische Konzeption der yo5(; zu dieser letzten Auffossung 
AnlaB und Handhabe. Allein indem man aus dem logischen BewuBtsdn 
der „Vemunft^' das psychologische BewuBtsdn des persdnlidien Gottes 
machte, beseitigte man gerade das Wesentliche des Realismus: die sdbstandige, 
von alien Geistem und Korpem unabhangige Subsistenz der noetischen 
G^enstande. Welche Grunde mag nun diese Unfahigkdt des Mittdalters 
zu einem folgerechten Realismus gehabt haben? Zum Tdl hat hiezu die 
auf Platon selbst zuruckgehende und im B^[riff des Universale fixieile 
Verwechslung von Begriff und Typus beigetragen. Als Universalien namlich 
gelten vor allem Gattung und Art {genus und spedes). Diese definierte 
man nun mit Porphyrios ^) als dasjenige, was von zahlrdchen, voneinander 
spezifisch resp. numerisch verschiedenen Individuen ausgesagt wird. Das hdBt, 
man ddinierte sie als Gattungs- und Artbegriffe; denn dnen Typus 
kann niemand von Individuen pradizieren. Allein die Nam en der Oattungen 
und Arten — Mensch, Tier usw. — schienen doch unzweideutig auf dnzdne, 
im besten Fall typische Individuen hinzuweisen. Solange dieser Schdn nicht 
>) Enn. V. 9. 8. 2) Prantl II, S. 306, Anm. 25. ») Prantl II, S. 340, Anm. 185. 
«) Prantl III, S. 96, Anm. 385. ^) Isagog. p. 1 a 33 ff. (Brandis). 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 150 
durch eine hochentwickelte Lehre von der Supposition gehoben war, 
machte sich daher immer wieder die Neigung geltend, das Universale als 
physisches Objekt, im besten Falle als einen Typus wie „der Mensch'S 
„das Tier'' etc aufzufassen. Solche physische, und sei es auch typische 
Individuen neb en den einzelnen Individuen anzuerkennen, kann sich aber 
natjirlich kaum jemand entschlieBen. Denn auch der Typus existiert ja nicht 
neben all den Einzdindividuen, deren zusammenfei^nde Auffassung er 
darstdlt All dies ist indes doch nicht dem Mittelalter eigentumlich, und 
man wird deshalb fur seine charakteristische Stellung zum Realismus wohl 
nach einem anderen und tieferen Grunde suchen durfen. Einen solchen 
glaube ich in dem Satze aussprechen zu konnen, daB in jenen Jahrhunderten 
das logische Interesse, so stark es war, doch von dem theologischen er- 
driickt worden ist Nicht an ii^gendein bestimmtes Dogma ist hiebei zu 
denken, sondem an den allgemeinen Dualismus von Geist und Fleisch, 
Qott und Wdt Dieser Dualismus, so meine ich, beherrschte das BewuBt- 
sdn gerade der Denker mit solcher AusschlieBlichkeit, daB fQr eine rein 
logische, jenem G^[ensatz g^enfiber indifferente Sphare uberhaupt kein 
Raum blid). Die platonischen Ideen sind nicht Seele und nicht Leib, nicht 
Sdidpfer und nicht Geschopf. Sie gdten fur die Verdammten wie fiir die 
Sdigen: der x6i:o<; &^6poopdiviO(; ist Jenseits von Himmd und H511e''. 
Das bedeutet indes fur den mittdalterlichen Menschen, daB die Ideen uber- 
haupt nichts sind. So wenigstens suche ich mir die merkwurdige Tatsache 
zu erklaren, daB sdbst die dem Realismus am allemachsten stehenden 
scholastischen Denker sich mit der Platonischen Ideenlehre in ihrer wahren 
Qcstalt keinesw^;s befreunden k5nnen, ja dieselbe uberhaupt nicht ver- 
stehen, vidmehr sie durch Umdeutungen retten zu mussen glauben. So 
stdlt z. B. WiLHELM VON AuvERQNE >) — offenbar im AnschluB an eine 
uns aus § 49. 6 bekannte Stelle des Auqustinus — das Intelligible dem 
Denken ganz ebenso als objektiven Inhalt g^enflber wie das Sensible der 
Wahmehmung, meint jedoch trotzdem Platon nur durch die Behauptung 
rehabilitieren zu konnen, dieser habe die Ideen im Geiste des Schopfers 
existieren lassen. Ja Franciscus de Mavronis wirft sogar dem Aristo- 
TEi.ES vor2), er habe aus Neid die Platonische Ideenlehre entstellt und sie 
so wiederg^eben, als seien die Ideen „in der Luft schwebende monstrose 
Einzdwesen'* (monstra in aire subsistentia singularia). Und doch scheint 
gerade dieser Scholastiker einem wahren Realismus viel naher gekommen 
zu sein als alle seine Zeitgenossen. Denn er betont, und zwar nicht nur 
von den Universalien 3), sondem auch von dem Satze des Widerspruches *), 
dafi sie weder in der Seele noch in den Dingen ihr Sein haben, und ftigt 
hinzu, daB diese ewigen Prinzipien zwar auch vom gdttlichen Geiste ge- 
dacht wurden, daB jedoch nicht hierin ihr Wesen bestehen kdnne, da sie 
doch nicht n u r im Geiste Gottes sich fanden. Damit treten die noetischen 
>) Prantl III, S. 76, Anm. 282—284. ^) Prantl III, S. 284, Anm. 501 u. 502. 
9) Prantx III, S. 285, Anm. 504. «) Prantl III, S. ^, Anm. 523 u. 524. 
160 NOOLOOIE 
Gegenstande nunmehr audi dem gottlichen BewuBtsein wieder g e gen- 
ii ber, und so wird hier der Weg gewiesen, auf dem das Logische aus 
diesem theologischen Psychologistnus sich befreien kann. 
Leibniz ist auf diesem W^^e fortgeschritten, indem er die „ewigen 
Wahrheiten*', somit g^^standlich aufgefaBte Sitze, Gott fdrmlich als 
ein anderes und ubergeordnetes Prinzip entg^enstellt Freilich sagt er dies 
nicht mit durren Worten: diesen zufolge wiirden vielmehr die ewigen Wahr- 
heiten Realitat nur durch ihr Begriinddsein im gdttlichen Gdste besitzen i). 
Allein nicht nur billigt er die Behauptung, die Herrschaft des gottlichen 
Willens erstrecke sich bloB auf das Sein oder Nichtsein der Dinge, kdnes- 
w^;s dagegen auf ihre essentiellen Eigenschaften 2), sondem sdne ganze 
^Theodicee^ konzentriert sich In dem Versuche, nachzuwdsen, das UAd 
gehe nicht auf Gott, sondern auf die ewigen Wahrhdten zuriick; Gott 
habe die beste aller jener Wdten geschaffen, die unter Voraussetzung 
der ewigen Wahrheiten uberhaupt geschaffen werden konnten; kurz die 
ewigen Wahrheiten hatten Gott an der Erschaffung einer von jedem Ud)el 
freien Welt gehindert Schon Bayle hat diese Lehre dahin charakterisiert, 
die ewigen Wahrheiten stdhen eine Art Fatum dar, dem Gott unterworfen 
sei 3) ; J. St. Mill hat sie keinesw^;s unzutreffend als ,,Manichaismus'^ be- 
zeichnet^), und ahnlich hat sich audi Lotze gefiuBert^ Jedenfalls also 
haben wir es hier mit einem zwar verhullten, dafiir indes um so radikaleren 
substantidlen Realismus zu tun, der freilich, durch die Fessdn des Dogmas 
gebunden, eine folgenreiche Wirksamkeit nicht zu entfalten vermochte. 
Im 19. Jahrhundert endlich hat der Realismus in die Bahnen Plotins 
zuriicl^enkt Denn im Grunde ist weder die „Idee^ bd Heqel noch 
das ^Logische*' bd Ed. v. Hartmann von dem neuplatonischen Node 
wesentlich verschieden. In alien drei Fallen wird ein rdn logisches Be- 
wuBtsdn als der wahrhaft reale Kern der Wdt behachtet, und dabd be- 
deutd es eher einen Fortschritt als dnen Ruckschritt, wenn Ed. v. Hart- 
mann dieses BewuBtsein vidmehr als ein UnbewuBtsein erklart, da ja in 
der Tat die dem Realismus notwendige Abstraktion vom Psychologischen 
sich nie vollstSndig durchfQhren laBt, solange die „Vemunft" als ein ,,be- 
wuBtes BewuBtsein*^ angesehen wird. Namentlich bd Heqel findd dieser 
Realismus sdnen radikalsten Ausdruck: es gibt in Wahrheit gar nidits 
anderes als einen sich selbst denkenden Gedankengang; und was es auBer- 
dem etwa noch zu geben scheint, das scheint es eben nur deshalb zu geben, 
weil dieser Schein sdbst in jenem Urgedankengange sich findet „Der Be- 
griff ist . . das wahrhaft Erste, und die Dinge sind das, was sie sind, durch 
die Tatigkeit des ihnen innewohnenden und in ihnen sich offenbarenden 
Begriffs''^). „Die logische Vemunft sdbst ist das Substantidle oder Redle."" 
„Die rdne Wissenschaft . . . enthalt den Gedanken, insofern er eben- 
») Theod. 184 (WW. VI, S. 226). ^ Ibid. 183 (WW. VI, S. 224 f J. ») Ibid. 190 
rWW. VI, S. 229). *) Exam. S. 526. *) Mikr. Ill, S. 582ff. •) Enz. I. § 163, Zus. 2 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 161 
sosehr die Sache an sich selbst ist, oder die Sache an sich 
selbst, tnsofera sieebensosehr der reine Gedanke ist . . . . Dieses 
objektive Denken ist denn der In halt der reinen Wissenschaft .... Die 
Logik ist sonach als das System der reinen Vemunft, als das Reich des 
reinen Qedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit, wie 
sie ohne Hdlle an und fur sich selbst ist Man kann sich des- 
wq[en ausdrficken, daB dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie 
er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur 
und einesendlichen Geistes ist''^). „Der SchluB ist . .derwesent- 
licbeQrund allesWahren; und die Definition desAbsoluten 
ist nunmdir, dafi es der SchluB ist, oder als Satz diese Bestimmung aii»- 
gesprochen: Alles ist ein SchluB^^^ 
Nd)en diesem Hauptstrange der reallstischen Entwickdung geht dne 
tdiliditere und anspruchslosere Form derselben Denkwdse dnher, die — 
mdir von logischen und weniger von rdigidsen Antrid)en beherrscht — 
mit der Anerkennung der noetischen G^^stande keine ontologische Hdher- 
wertung dersdben verbindet Mit dieser Aufhssung stefat im Altertume die 
Sloa so ziemlich alldn. Wir erinnem uns ja aus § 47. 9, wie scharf sie 
den Aussagdnhalt, das Xextdv, von den anderen Elementen der Aussage 
getrennt hat: der Sinn dues Satzes z. B., so hdrten wir, fiUlt ihr d)enso- 
wenig zusammen mit den sedischen Zustanden, in denen er gedacht wird, 
wie mit den Objekten, von denen er handdt, und mit den Lauten, die ihn 
msdrflcken; vidmdir seien diese drd Elemente simtlich kdrperlich, das 
Xmtdv dag^ren unk5rperiich. Diese Unkdrperiichkeit t>edeutd jedoch fOr 
den stoischen Materialismus zugleich Irrealitit; denn nur der Kdrper ist 3), 
Sind indes die Xsxtd nicht — und dies lehrt die Stoa in der Tat«) — ^ 
so mOdite man glauben, daB hier von „Realismus<^ kdne Rede sdn kdnne. 
Dodi dies hieBe den Gdst der stoischen Lehre verkennen. Denn wenn 
dks Xsxtdv auch kdn „Seiendes'' (Sv) ist, so ist es doch dn „Etwas^ 
(iQ^ da das „Etwas" dn allgemdnerer Begriff ist als das „Sdende^ und 
midtk von Unk5rperlichem ausgesagt werden kann 6). Und zwar stdit das 
bloSe f^iwas** uns geradeso als etwas AeuBeres g^endber wie das „Seiende^. 
Eft kann freilich nicht als Subjekt auf uns einwirken wie ein physischer 
Ocgenstand; allein es kann doch Objekt unserer eigenen Tatigkdt sdn. 
Denn „so wie der Turn- oder Fechtlehrer einmal das Kind bei der Mand 
irimmt und ihm so den Rhythmus und gewisse Bewegungen beibringt, dn 
anderes Mai aber sich welt von ihm w^;stellt und, indem er sich selbst in 
cinem gewissen Rhythmus bewegt, sich jenem zur Nachahmung darbidet, 
io machen auch von den Denkobjekten (favtootdi) einige auf die Sede 
einen Eindruck, indem sie sie gewissermaBen betasten und beruhren, z. B. 
das WeiBe, das Schwarze und uberhaupt die Kdrper, andere dagegen haben 
cine solche Beschaffenhdt, daB die Sede zwar an sie denkt, jedoch nicht 
«) Log. (WW. ill, S. 33ff). s) Enz. 1. § 181 (WW. VL S. 345). ») Fig. 329 
<ARN1M II). *) Frg. 335. «) Frg. 331. «) Figg. 329, 332, 333, 334. 
Oomperz, WeHinirtminngriehre U 1 11 
162 NOOLOGIE 
von ihnen zutn Denken gebracht wird (too i^fsiJLovixoo hc^ a6tolc tpavzaaiao^jbfo^ 
xal o&x' ^^ abz&y), und zu diesen gehoren die unkdrperiidien Xfixtd^i). 
Besonders aus diesem Gleichnis sdieint tnir mit volliger Deutlidikdt hervor- 
zugehen, daB das ,Jvlichtsein<' der Aussageinhalte itn Sinne der Stoa ihre 
transcendente Gegenstandlichkeit, und damit ihre realistische Aufbssung, 
durchaus nicht ansschlieBt 
Auch ist ja eben dieser Standpunkt von ganz anderen Denkern — und 
zwar wohl sicherlich ohne jede Kenntnis dieser stoischen Lehre — ebenfalls 
vertreten worden. So z. B. gibt Chr. Wolff ^ eine ausffihriiche Er- 
klarung des Ens universaley das er durch die Adinlichkeit der Individuen 
b^jundet sein lIBt und in Spedes und Genus einteili, um dann mit der 
Erklarung zu schlieBen : ^^ns universale existere nequif — einer Erklarung, 
von der ich nun freilich nicht weiB, wie sie sich mit Wolffs eigener 
Definition 3) ^JEns dicUur, quod existere potest** soil zusammenrdmen lassen. 
Vor allem jedoch ist es Bolzano, der sich ganz sdbstandig dem stoischen 
Standpunkte wieder angenahert hat Seine Lehre von den Vorstdlungen, 
Satzen und Wahrheiten ,^ sich" ist so entschieden realistisch, als dies nur 
tiberhaupt moglich ist Um das ganzlich auBer Zweifd zu stellen, wieder- 
hole ich zunachst dnige seiner schon in § 47. 9 angeftihrten AeuBerungen. 
Da heiBt es^): „Dasjenige nun . . ^ was man sich unter einem Satze denkt, 
wenn man noch fragen kann, ob ihn auch jemand . . . gedacht oder nicht 
gedacht habe, ist eben das, was ich einen Satz an sich nenne . . . . M. a. W. 
also: unter einem Satz an sich verstehe ich nur ii^gendeine Aussage, daB 
etwas ist oder nicht ist, gleichviel . . . ob sie von iif^end jemand . . . 
auch im Geiste nur gedacht oder nicht gedacht worden ist'' Der Satz ist 
daher nicht „etwas Gesetztes, wdches mithin das Dasein dnes Wesens, durch 
wdches es gesetzt worden ist, voraussetzen wflrde". Trotz alledem nun 
behauptet Bolzano mit ebendersdben Entschiedenheit, daB Vorstdlungen, 
Satze und Wahrheiten „an sich" — nicht „existieren". So sagt er z. B.s): 
Man darf „Satzen an sich kein Dasein (kdne Existenz oder Wirklidikdt) 
beil^en. Nur der gedachte oder behauptete Satz, d. h. nur der Qedanke 
an einen Satz, ingleichen das einen Satz enthaltende Urteil, hat Dasdn in 
dem Gemute" des Denkenden ; „allein der Satz an sich, der den Inhalt des 
Gedankens oder Urteils ausmacht, ist nichts Existierendes ; dergestalt, daB 
es ebenso ungereimt ware, zu sagen, ein Satz habe ewiges Dasein, als er 
sei in einem gewissen Augenblicke entstanden und habe in einem andem 
wieder aufgehort". Ebenso heiBt es von den Wahrheiten an sich 6): „Sie 
haben kein wirkliches Dasein, d. h. sie sind nichts solches, das an irgend- 
einem Orte oder zu irgendeiner Zdt oder auf sonst eine Art als ehvas 
Wirkliches bestunde." Und endlich von den „Vorstdlungen", d. h. Begriffen^: 
„Die subjektive Vorstellung ist . . etwas Wirkliches; sie hat zu der be- 
^ ») Frg. 85. 2\ ontolog. S§ 225-235. 3) ibid. § 134. *) Wiss. L § 19 (I, S. 761!.), 
3 Ibid. I 19 (I, S. 78). ^ Ibid. § 25 (I. S. 112); vgl. auch § 1* (11, S. 3281 
i ibid. I 48 (I, S. 217); vgl. auch^'i 54 (f, S. 23^ ^ I » ^. ^^ 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 163 
stimmten Zeit, zu der sie vorgestellt wird, in detn Subjekt . . . ein wirkliches 
Dasein . . . Nicht also die . . . objektive oder Vorstellung an sich .... 
Diese . . bedarf keines Subjektes, von dem sie vorgestellt werde, sondem 
besteht — zwar nicht als etwas Seiendes, aber doch als ein gewisses Etwas, 
auch wenn kein einziges denkendes Wesen sie auffassen sollte, und sie wird 
dadurch, daB 1, 2, 3 oder mehre Wesen sie denken, nicht vervielfacht, wie 
die ihr zugehorige subjektive Vorstellung nun mehrfach vorhanden ist^' Man 
sieht: fur Bolzano haben die noedschen Gegenstande keine Existenz, weil 
er Existenz durch zeitliche und drtliche Bestimmtheit definiert Definiert 
jemand in derselben Weise die RealUdt, so werden ihm die noetischen 
G^[enstande zwar sein, jedoch keine Realitit haben. Dies ist der Stand- 
punkt von Husserl i). Fiir ihn sind die ^Igemeinen G^enstande'S die 
Universalien, „ideale G^enstande'^ Denn „innerhalb der begrifflichen Einheit 
des Seienden" bestehe „ein fundamentaler . . Unterschied . . . zwischen 
idealem Sein und realem Sein"; und ,^ls charakteristisches Merkmal der 
Realitat genugt uns die Zeitlichkeif'. Die Universalien nun y,existieren wahr- 
haft". Allein sie haben keine zeitliche Bestimmtheit an sich. Folglich be- 
sitzen sie nicht Realitat, sondem Idealitat^. Ob es zweckmaBig ist, 
die Realitat durch die Zeitlichkeit zu definieren, kann hier dahingestdlt 
bleiben. Fiir richtig halten wir es jedenfalls, dem Intelligiblen nicht alles 
„Sein^ abzusprechen ; und eine Formulierung, welche dem Logischen und 
dem Physischen nur qualitativ und nicht auch intensiv verschiedene Arten 
des „Seins'< zuteilt, wird dann dem Realismus nur zum Vorteile gereichen. 
Allein daB es sich hiebei doch eben nur um eine Formulierung des Realis- 
mus handelt, scheint mir unzweifelhaft Husserl zwar sieht auf „die MiB- 
deutungen des platonisierenden Realismus ... als langst erledigf' herab. 
Mit welchem Recht? Sind denn die Platonischen Ideen rml im Sinne 
HussERLs? Zeitlichkeit ist doch gewiB nicht ein Merkmal, das sie aus- 
zeichnet Vielmehr stimmt Husserl mit Platon in der Hauptsache durch- 
aus iiberein: die Universalien haben dn „wahrhaftes<< Sein, jedoch ein von 
dem der Korper wie der Seelen verschiedenes ; und mit keinem Worte wird 
angedeutet, es mochte dieses „wahrhafte" Sein nur ein Sein fur das Subjekt 
bedeuten. Im G^enteil: Husserl sagt z. B. von „der Zahl Funf<S sie sei 
„ohne Widerspruch nicht als Teil oder Seite des psychischen Erleb- 
nisses . . . zu fassen'^; vielmehr sei sie eine „ideale Species . . . ohne 
jeden Anteil . . an der individudlen Einzdheit des Realen mit seiner Zeit- 
lichkeit und Verganglichkeit Die Zahlungsakte entstehen und vergehen; in 
Beziehung auf die Zahlen ist von dergleichen sinnvoll nicht zu sprechen" 3). 
So lebendig wandelt der immer wieder totgesagte Platonismus noch unter 
uns. Wir haben jetzt zu fragen, ob er das Bedeutungsproblem vielleicht 
in der Tat aufzulosen vermag. 
>) Log. Unterss. II, S. 122 ff. ^ Der Klage Jerusalems (Idealismus S. 119), dafi 
Husserl den Beeriff „ldealitaf ' nirgends d^niere, vermag ich nach dem Qesagten 
nicht beizutreten. 3) (bid. 1, S. 170 f. 
164 NOOLOOIE 
7) Unsere Erste semasiologische Hauptfrage lautete: als was stellt 
sich der Aussagdnhalt demBewuBtsein dar? Indem der Realis- 
mus den Aussageinhalt fQr eine auBerempirische Wesenhdt erklart, er- 
teilt er auf diese Frage keine unmittelbare Antwoil Alldn mittelbar 
bestimmt er doch die Grenzen, innerhalb deren eine solche Antwort 
sich bewegen muB. Und zwar in doppelter Hinsicht Einerseits namlich 
kann der subjektive Denkakt, welcher den objektiven Denkinhalt erfafit, 
wenn dieser Denkinhalt ein transcendenter noStischer Oegenstand ist, 
keine Vorstellung sein; denn wahrgenommen und phantasiert warden 
kdnnen nur immanente Inhalte SuBerer oder innerer Erfahrung. Jener 
Denkakt muB daher begriffen werden als dne von den Aussagevor- 
stellungen verschiedene, spezifisch logische Funktion — dne Funktion, 
die ja nun an und fur sich ebensowohl dn spezifisch logisches Oef uhl 
wieeine spezifisch logische Verstandestitigkeit sdn kdnnte, tats3ch- 
lich jedoch natQrlich in der weitaus uberwiegenden Anzahl der Falle in 
der letzteren Wdse gedeutet wird. Anderersdts kann sich das denkende 
Individuum, wenn es einen transcendenten noetischen Gegenstand er- 
fassen soil, diesem gegenOber offenbar nur rezeptiv verhalten: derzu 
erfassende Begriff, Satz, Beweis etc steht ihm ja als dn yO^ebenes' 
gegenOber, das aufzunehmen, nicht etwa zu erzeugen ist — mdgen audi 
noch so vide IchauBerungen erforderlich sdn, um dieses Aufnehmen 
vorzubereiten. Man sieht, daB sich auf diese Wdse fQr den Realismus 
notwendig eine h5chst merkwQrdige, und zwar dne widerspruchsvolle 
Auffassung des subjektiven Denkens ergibt: es soil auf der Einen 
Sdte dne Verstandestitigkeit oder doch jedenfalls dne IchSuBerung 
sein, und soil doch auf der anderen Sdte als dn Aufnehmen, somit 
als ein Leiden, sich darstellen. Es wird mithin gefordert der BegriS 
einer passiven Spontaneitat, eines rezeptiven Intellekts oder — wie man 
dies wohl nennen kann — einer intellektualen Anschauung. 
Man mdchte diesen Knoten auflosen. Allein das Moment der Re- 
zeptivitat l3Bt sich auf keine Wdse eliminieren: besteht das Oedachte 
an und fiir sich, unabhangig von seinem Oedachtwerden, dann kann 
das Denken sicherlich kein Erzeugen sein, es muB in dem Aufnehmen 
des Denkinhaltes sich erschopfen. Ebensowenig liRt sich indes das 
Moment der Spontandtat ausschalten: der Sinn des pythagordschen 
Lehrsatzes ist mir nicht ^gegeben""; er verschwindet, sobald ich auf- 
hSre, ihn in mir zu erzeugen. In der Tat hat die groBe Mehrhdt der 
Realisten an diesen beiden Postulaten audi auf Kosten der syste- 
matischen Folgerichtigkeit festgehalten. Obwohl nach ihrer dgenen 
Lehre das Gedachte nicht zu produzieren, sondem nur zu rezipieren 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNQSPROBLEMS 165 
war, haben sie dennoch das Denken als Verstandestitigkeit aufgefaBt 
Das hdBt: sie waren zwar in Bezug auf das Gedachte Meta- 
physiker, in Bezug auf das Denken dagegen Kritizisten. Indieser 
zwiespaltigen Haltung li^ indes das Eingestindnis beschlossen, daB 
der Realismus die Erste semasiologische Hauptfrage nicht ohne Wider- 
spnich zu beantworten vermag. 
Ebensowenig wie auf die Erste kann der Realismus auf die Dritte 
Hauptfrage eine befriedigende Antwort erteilen: auf die Frage nach 
dem Wesen der Auffassungsbeziehung und der Relation intelli- 
gibler Teile. Wenn der Aussageinhalt und die Aussagegrundlage 
als zwei voneinander durchaus verschiedene und einer niheren Analyse 
unfShige Realitaten nebeneinander stehen, kann auch ihr Verhiltnis 
nur als ein rein iuBerliches b^ffen werden. Man kann sich dann 
in allgemeinen Redewendungen ergehen, kann objektivistisch sagen, 
daB die Aussag^rundlage „teilhabe'' an dem Aussageinhalt, oder 
auch subjektivistisch, daB sie auf ihn „bezogen werde**. Allein die 
Natur der fraglichen Relation wird hiedurch nicht bestimmt. Insbe- 
sondre der Frage, wann und wie Eine Aussag^rundlage durch mehrere 
Aussageinhalte aufgefaBt werden kdnne, steht die realistische Ansicht 
ratios gegenuber. Worauf beruht es z. B., daB der Gegenstand „Dom 
von Pisa'' an den Begriffsinhalten „0eb3ude'' und ^Kunstwerk**, da- 
gegen nicht an den Begriffsinhalten ^FnCissigkeit'' und ,,Naturprodukt* 
,,teilhaben'', auf jene und nicht auf diese „bezogen werden** kann? 
Wird man erwidem, eine Aussagegrundlage konne sich nur durch 
solche Aussageinhalte auffassen lassen, denen sie Shnlich sei? Da- 
von abgesehen, daB die Aehnlichkeit zwischen einem physischen 
Objekt und einem logischen Begriff jedenfalls von einer sehr eigen- 
tQmlichen Art sein mflBte, wQrde man doch auch mit dieser Antwort 
sich nur im Kreise drehen. lienn in dem angefOhrten Falle z. B. kdnnte 
die Aehnlichkeit offenbar nicht auf einer Gleichheit reeller Teile be- 
ruhen : gleicht doch gewiB nicht Ein vorstellungsmaBig trennbarer Teil 
des Domes von Pisa dem Begriffsinhalt „Gebaude**, ein anderer dem 
Begriff sinhalt „Kunstwerk**. Beruft man sich aber auf eine Gleichheit 
intelligibler Teile, so ist ja eben dieses das aufzulosende Problem, das 
daher bei dieser angeblichen Losung erst recht ungelost zuruckbleibt 
Solange jedoch das Wesen der Auffassung nicht ermittelt ist, kann 
auch nicht angegeben werden, was der Sachverhalt ist, d. h. die durch 
den Aussageinhalt aufgefafite Aussagegrundlage. Vielmehr bleibt fOr 
tlen Realismus das „Teilhaben** der Tatsachen an den Aussageinhalteni 
und ebenso das ^Beziehen** der ersteren auf die letzteren, eine ganz 
166 NOOLOGIE 
unverstandliche Verbindung des Physischen mit dem Logischen. Audi 
von einer AufklSrung der Oegenstindlichkeit der Sachverhalte kann 
demnach unter diesen Umstinden schlechterdings nicht die Rede sda 
Hieraus folgt auch schon, daB der Realismus der Vierten Haupt- 
frage gegenOber ohnmachtig ist Er soil hier angeben, inwiefem die 
Aussage den Sachverhalt bedeutet^ also vertritt oder reprasentiert Allein 
solange wir nicht wissen, was der Sachverhalt ist, mithin dasjenige, 
was die Aussage bedeutet^ solange kdnnen wir natOrlich auch von dem 
Wesen dieser Bedeutimgsbeziehung keinerlei Rechenschaft geben. 
Indes, mag die realistische Ansicht an diesen Punkten versagen, 
Idst sie wenigstens jenes Problem, aus dessen ErwSgung sie ganz 
eigentlich hervorgewachsen scheint? Vermag sie zu erkliren, was wir 
unter der Oegenstandlichkeit der Aussagen verstehen? Kdnesw^! 
Denn nie laBt sich durch eine auBerempirische Tatsache eine empirische 
Erscheinung erklaren. Was f^lt denn von der Aussage, deren Ob- 
jektivitat die Logik voraussetzt, in unsere Erfahrung? Nach den 
realistischen Voraussetzungen offenbar nichts anderes, als dnersats 
die Vorstellung der Aussagelaute, andererseits jene spezifisch logische 
Verstandesfunktion — jene „intdlektuale Anschauung'' — , durch die 
wir den objektiven Aussageinhalt erfassen. Reden wir daher trotz der 
Mehrheit und dem Wechsel der Aussagdaute von der Einhdt und 
Beharrlichkeit der Aussage, so miissen wir damit notwendig etwas 
meinen, was sich uns in den uns allein zuganglichen Elementen der 
Aussage darstdlt, somit in den Aussagevorstellungen und in jener 
logischen Verstandesfunktion. Folglich nutzt uns dazu, den Sinn jener 
Rede aufzuklaren, die Annahme schlechterdings gar nichts, es bestehe 
auBerhalb unserer Erfahrung eine dnheitliche und beharrliche Aussage 
„an sich''. Das Dilemma des § 12. 15 findet eben auch hier analoge 
Anwendung. Entweder unser Wissen um die Oegenstandlichkdt der 
Aussage wird hinreichend begriindet durch die Art und Wdse, wie 
wir die empirischen Aussageelemente erleben; dann ist die Annahme 
uberfliissig, es gebe uberdies auBerhalb unserer Erfahrung dnen 
noetischen Oegenstand. Oder dieses Wissen wird auf seiche Art 
nicht hinreichend begnindet; dann wissen wir uberhaupt nichts von 
der Oegenstandlichkeit der Aussage, und dann haben wir erst recht 
keinerlei Orund, das Vorhandensein eines auBerempirischen noetischen 
Oegenstandes anzunehmen. Auf jeden Fall schdtert deshalb der Realis- 
mus, auch sofern er nur als Antwort auf die Zweite semasiologische 
Hauptfrage betrachtet wird, an dem metaphysischen Orund- 
widerspruch. 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 167 
8) Es mag hier genfigen, an der Platonischen Ideenlehre, als an dem aus- 
gefuhrtesten realistischen System der Philosophiegeschichte, unsere Kritik zu 
bewahren. In drei Punkten hat diese Kritik sich konzentriert: die auBer- 
empirische Idee erfordert als ihr empirisches Korrdat ein rezeptives Denken ; 
ihr Verhaltnis zum empirischen O^enstand kann nur durch vage Schlag- 
worte umschrieben, jedoch nicht in befriedigender Weise erklart werden; 
und vor allem: die auBerempirische Idee kdnnte, auch wenn sie existierte, 
unser empirisches Wissen um die O^enstandlichkeit der Aussagen nicht 
verstandh'ch machen. Das erste nun haben wir schon fruher einmal dar- 
getan (§ 32. 5). Wir haben dort gesehen, wie fur Platon die Erkenntnis 
der Idee zu einer ubersinnlichen Wahmehmung wird, und vne seine Lehre 
von der iyd^Yqau; die unleugbare Spontaneitat des Denkens vdllig vemichtet 
Fur die beiden anderen Punkte kdnnen wir uns — auf Platon selbst be- 
rufen. Denn sein unersch5pflicher philosophischer Genius hat den Realis- 
mus nicht nur zuerst begriindet, sondem auch zuerst widerl^ Diese 
Widerl^^ng steht in dem Oesprache ^Parmenides'', und vnr heben hier 
aus ihr das Folgende hervor. Die „Teilnahme" ([urdXTj^pic) oder „TeiIhabe" 
((li^ic) der empirischen O^enstande an den Ideen wird einer eingehenden 
Kritik unterworfen 1), die zu einem durchaus ntgstiven Resultate fiihrt: „Auf 
welche Weise — heifit es^ — sollen an den Ideen die anderen Dinge 
teilnehmen, wenn sie doch weder teilweise noch zur Ganze an ihnen teil- 
nehmen konnen?' Insbesondere „konnen die anderen Dinge nicht durch 
Aehnlichkeit an den Ideen teilnehmen, sondem man muB einen anderen 
Begriff suchen, durch den sie teilnehmen'^ 3). Die „gr5Bte^ der Einwendungen 
jedoch ist diese 4): wenn die Ideen auch existierten, so k5nnten wir sie 
nicht erkennen ; und wer sie erkennte, der wurde damit von den empirischen 
G^enstanden kein Wissen gewinnen. Denn die Idee besteht ,^ und fur 
sich" (a^dj xa*' a&rijv), daher nicht „in uns" (h T^jitv). Allein das „in uns" 
und das ,^ und fur sich" (das Empirische und das AuBerempirische) sind 
getrennte Spharen, und auch jedes Wissen kann nur in Eine derselbei ge- 
hdren. Die Ideen konnten daher nur erkannt werden durch ein „Wissen 
an sich" (8 Igtiv liciG'nf)|i.7]). Matte nun ein Gott dieses Wissen, so wurde 
er doch damit nicht die Oegenstande „bei uns" erkennen !^. Wir dagegpi 
haben dieses „Wissen an sich" jedenfalls nicht und kdnnen daher die Ideen 
auf keinen Fall erkennen 6). Das heiBt: wir haben nur ein empirisches 
Wissen; ein solches aber kEinn es vom AuBerempirischen niemals geben. 
§ 53 
Fur die Ideologie kann der Aussageinhalt, soil er uberhaupt 
anerkannt werden, nur mit den die Aussage begleitenden Vorstel- 
lungen zusammenfallen : sei es, daB sie zu diesem Behufe besondere 
») Farm. p. ISOEff. ») Parm. p. 131 E. •) Farm. p. 133 A. *) Pami. p. 133 Bff. 
9) Parm. p. 134 DE. «) Pami. p. 134 B. 
168 NOOLCX}IE 
allgemeine Vorstellungen annimmty sei es, daB sie mit der 
individuellen Vorstellung der jeweiligen Aussag^jundlage giaubt das 
Auslangen finden zu kdnnen, sei es endlich, dafi sie — weil bddes 
sich als unmSglich erweist — den Aussageinhalt flberhaupt leugnet 
Diesen Standpunkt bezeichnen wir als denjenigen des Nominalis- 
mus, und zwar sprechen wir in dem ersten der drel unterschiedenen 
Fllle von konzeptualistischem, imzweiten von gemaBigtem, 
im dritten von ex t re mem Nominalismus. 
Der Nominalismus ist indes nicht nur auBerstande, die Zweite, 
Dritte und Vierte semasiologische Hauptfrage befriedigend zu beant- 
worten, sondem, auch bloB als Antwort auf die Erste jener Haupt- 
fragen — auf die er sich zunSchst zu beziehen scheint — betrachtet, 
scheitert er an dem ideologischen Orundwiderspruch. 
ERLAUTERUNO 
1) Die Psychologie postuliert eine empirische Auffassung 
des Aussageinhalts. Die Ideologie setzt voraus, eine solche Auf- 
fassung sei nur mdglich, wenn der Aussageinhalt sich dem BewuBt- 
sein als Vorstellung darstelle Nun wird niemand daran denken, 
den Aussageinhalt mit der Vorstellung der Aussagelaute gldch- 
zusetzen, d. h. den Sinn eines Wortes, Satzes usw. mit dem wahrge- 
nommenen oder phantasierten Wortklange dieser Aussagen zusammen- 
follen zu lassen. Es kommen mithin hier uberhaupt nur die Vorstel- 
lungen der Aussagegrundlage in Betracht Durch gleiche Aus- 
sageinhalte kSnnen indes sehr verschiedene Aussagegrundlagenau^efoBt 
werden, und dies scheint auch die Oleichsetzung des Aussageinhalts 
mit den Vorstellungen der Aussagegrundlage auszuschlieBen. Allein 
hier dringt sich nun die Frage auf, ob es nicht vielleicht Vorstellungen 
gibt, die zwar die Aussag^^ndlage zum Inhalt haben, dennoch aber 
nicht durch jede Veranderung derselben auch selbst verandert werden. 
Dies ware nSmlich offenbar dann moglich, wenn die postulierte Vor- 
stellung nicht s am t lie he Momente der jeweiligen individuellen Aus- 
sag^^ndlage zum Inhalt hatte, vielmehr bloB denjenigen Teil dieser 
Momente, welcher alien jenen Aussagegrundlagen, die sich durch 
gleiche Aussageinhalte auffassen lassen, gemeinsamist GSbe es z. B. 
eine Vorstellung, welche nur die alien Menschen gemeinsamen Merk- 
male enthait, jedoch weder die einem Europaer noch die einem Neger, 
weder die einem Manne noch die einem Weibe, weder die einem 
Riesen noch die einem Zwerge, weder die einem Kinde noch die einem 
Greise besonders eigentumlichen Merkmale — dann kdnnte natiirlich 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 160 
diese Vorstellung mit dem Begriffsinhalt Mensch gleichgesetzt werden, 
trotzdem als O^enstSnde dieses Begriffes Europaer und N^er, 
Minner und Weiber, Riesen und Zwerge, Kinder und Greise unter- 
schiedslos fungieren kSnnen. Eine Vorstellung nun, welche dieser 
Bedingung genOgt, z. B. die Vorstellung eines ^Menschen Qberhaupf', 
wollen wir eine allgemeine Vorstellung nennen. 
Die Ansicht, welche den Aussageinhalt als eine solche allgemeine 
Vorstellung erldSren will, bezeichnen wir alskonzeptualistischen 
Nominalismus oder auch als nominalistischen Konzep- 
tualismus. In mdglichst engem AnschluB an die Tradition verstehen 
wir nSmlich unter Nominalismus jede Ansicht, die das Universale 
nicht anders als durch Vorstellungen im BewuBtsein repr&sentiert 
sein lafit, unter Konzeptualismus jede Ansicht, der zufolge das 
Universale durch besondere, zur Auffassung von Individuen nicht 
taugliche psychische Funktionen aufgefaBt wird. Nach diesen Er- 
klirungen gibt es dann offenbar sowohl einen nicht-konzeptualistischen 
Nominalismus als auch einen nicht-nominalistischen Konzeptualismus, 
Jener li^ z. B. vor, wenn der Inhalt eines allgemeinen Begriffes 
gleichgesetzt wird der Vorstellung eines individuellen Gegenstandes ; 
dieser, wenn er begriffen wird als eine spezifische, von alien Vor- 
stellungen verschiedene Verstandestatigkeit. In unserem Falle dagegen 
treffen beide Bestimmungen zusammen: die allgemeine Vorstellung ist 
dnerseits eine Vorstellung, andererseits eineallgemeine, der Auf- 
fassung der Universalien besonders dienende Funktion. Die Lehre, 
welche mit solchen allgemeinen Vorstellungen operiert, ist daher sowohl 
Nominalismus als Konzeptualismus. 
Setzt man voraus, der konzeptualistische Nominalismus vermdge die 
Erste semasiologische Hauptfrage befriedigend zu beantworten, so 
wird man ihm auch zugestehen miissen, daB er den Rest dieser 
Hauptfragen ohne besondere Schwierigkeit erledigen kann. Wird 
namlich, so oft der Begriff Mensch gedacht wird, ein allgemeiner und 
unindividueller ^Mensch liberhaupt'' vorgestellt, so wird es naheliegen, 
diesen stets gleichen Inhalt der allgemeinen Vorstellung auch als 
numerisch identisch zu denken und ihn mit den wechselnden Aus- 
sagelauten Einen noetischen G^enstand bilden zu lassen. Ist femer 
der Aussageinhalt eine allgemeine Vorstellung, so wird diese naturlich 
in der besonderen Vorstellung jeder einzelnen Aussagegrundlage als 
Teil enthalten sein. Die verschiedenen „Auffassungen'' etwa des Doms 
von Pisa werden dann darin bestehen, daB aus der besonderen Vor- 
stellung von diesem G^enstande bald die allgemeine Vorstellung 
170 NOOLOOIE 
^Kunstwerk"", bald die allgemeine Vorstellung ^OdbSude^ herausge- 
hoben wird. Die Vorstellung eines individuellen Sachverhaltes wird 
dann aufzufassen sein als eine Summe aus der allgemeinen Vorstellung 
mehr der Vorstellung aller der einzelnen Aussag^[rundlage eigentum- 
lichen Merkmale Setzt man jedoch den stets gleichen Inhalt der 
allgemeinen Vorstellung auch hier als numerisch identisch, so wird 
es wiederum naheliegen, ihn mit den wechselnden besonderen Merk- 
malen der einzelnen Aussagegrundlagen Einen typischen O^^enstand 
bilden zu lassen. Besteht endlich die Aussage aus Aussagelauten 
plus allgemeiner Vorstellung, der Sachverhalt aus allgemdner Vor- 
stellung plus der Vorstellung individueller Merkmale, so ist auch be- 
greiflich, inwiefem jene diesen bedeuten^ d. i. vertreten oder reprSsen- 
tieren kann : insoferne namlich die Aussage die gemeinsamen Merkmale 
aller Sachverhalte bereits in sich enthalt Die Haltbarkeit des kon- 
zeptualistischen Nominalismus hangt somit einzig und allein von der 
Haltbarkeit seiner Grundannahme ab: der Orundannahme, daB es all- 
gemeine Vorstellungen gibt, und daB diese das BewuBtsein des Aus- 
sageinhalts darstellen. 
Gibt es nun solche Vorstellungen? Darauf ist zunSchst zu er- 
widem: der Wahmehmung sind gewiB immer nur bestimmte, indi- 
viduelle Menschen gegeben, und nicht „Menschen im allgemeinen''. 
Allein die Einbildungskraft vermag ja die Wahmehmungen zu ver- 
andem : mit oder ohne unsem Willen kSnnen die perzipierten Elemente 
zu neuen Komplexen sich verbinden. Es fragt sich daher: gibt es 
allgemeine Phantasmen? Nun gibt es ohne Zweifel Phantasmen, die 
man in gewissem Sinne so nennen kann, nSmlich einerseits durch- 
schnittlicheund musterbildliche, andererseitsunbestimmte 
und undeutliche Phantasmen. Ich kann mir unter einem „ Menschen 
uberhaupt'' einen Menschen vorstellen, dessen Merkmale den am 
haufigsten vorkommenden entsprechen oder zwischen den Extremen 
in der Mitte liegen: mithin einen Menschen, der nicht zu groB und 
nicht zu klein, nicht zu dick und nicht zu dOnn, nicht zu krSftig und 
nicht zu schwachlich ist. Ich kann mir auch einen Menschen vor- 
stellen, wie er — an irgendeinem WertmaBstabe gemessen — san 
soil: dieser /tfefl/mensch wird vielleicht nicht dicker, aber wahr- 
scheinlich groBer und kr^ftiger sein als der eben besprochene DoActr- 
schnittsmtns^oh. Ich kann mir indes auch einen Menschen vorstellen, 
wie er mir etwa aus groBer Entfemung zu erscheinen pflegt: seine 
Haltung und Bewegung wird den Menschen verraten, wihrend es un- 
entschieden bleibt, ob es sich um einen Mann oder urn ein Weib, 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 171 
tim einen Oreis oder urn ein Kind, um einen Europaer oder urn einen 
M^er handelt Endlich kann ich mir auch einen Menschen vorstellen, 
wie er mir etwa nach fluchtiger und gleichgiiltiger Betrachtung im 
CedSchtnis bleibt: dieser undeutUche Mensch wird in vieler Hinsicht 
mehr ins einzelne ausgefQhrt und gegliedert sein als der eben be- 
sprochene unbestimmte Mensch. Ich werde in der Regel anzugeben 
wissen, ob er ein Europaer oder ein Neger, ein Mann oder ein Weib, 
dn Kind oder ein Greis, ja meist sogar, ob er groB oder klein ist 
Allein innerhalb dieses Rahmens werden grdBere oder kleinere, mehr 
Oder weniger verwaschene und verschwommene Partien vorkommen. 
Ich werde sehr haufig nicht einmal wissen, ob seine Nase krumm oder 
stumpfy seine Haare blond oder schwarz, seine Augen blau oder braun 
sind. In diesem Sinne gibt es somit allgemeine Phantasmen. Und 
nicht nur gibt es solche Phantasmen, sondern oft werden sie auch 
wirklich das Aussprechen und Denken allgemeiner Namen begleiten. 
Wenn ich von dem ^Menschen" schlechthin spreche, also z* B. sage, daB 
er sterblich sei, vieles erdulden musse, oder seine Anlagen nie in ihrer 
Gesamtheit gleichmSBig entfalten kdnne, so kann und wird es ge- 
schehen, daB mir gleichzeitig ein Phantasma bald einen durchschnitt- 
lichen, bald einen idealen, bald einen unbestimmten, bald einen un- 
deutlichen Menschen darstellt Kdnnte also nicht wirklich auch der 
Aussageinhalt mit solchen allgemeinen Phantasmen zusammenfallen? 
Diese Frage glauben wir auf das entschiedenste vemeinen zu mussen. 
Denn wir glauben zeigen zu konnen: erstens, daB diese Phantasmen 
auch da, wo sie vorhanden sind, nicht den Aussageinhalt darstellen, 
und zweitens, daB sie in uberaus zahlreichen Fallen iiberhaupt nicht 
vorhanden sind, in denen doch ein Aussageinhalt ganz ohne jeden 
Zweifel angenommen werden muB. 
Was das erste betrifft, so stehen uns auch hier wieder verschiedene 
Argumente zur Verfugung. Die Aussageinhalte gleichsinniger Aussagen 
sollen gleich sein. Die allgemeinen Phantasmen dagegen bilden ver- 
^hiedene Arten, und sie variieren von Individuum zu Individuum und 
von Fall zu Fall. Wir haben ja eben gesehen: es gibt durchschnitt- 
liche, musterbildliche, unbestimmte und undeutliche Phantasmen, somit 
allgemeine Phantasmen von viererlei Art Wollten wir daher auch 
von den Verschiedenheiten innerhalb dieser einzelnen Arten absehen, 
so blieben doch jedenfalls fiir den Begriff „ Mensch" vier ver- 
schiedene Phantasmen ubrig. Allein der Begriffsinhalt ist nur Einer. 
Schon deshalb kann er weder mit einem durchschnittlichen noch mit 
einem musterbildlichen, weder mit einem unbestimmten hoch mit einem 
172 NOOLOOIE 
undeutlichen Phantasma zusammenfallen. Man kSnnte hdchstens 
annehmen, nur Phantasmen aus Einer dieser Arten fungierten als 
Begriffsinhalte; die Phantasmen aus den drei anderen Arten stellten 
bloB gleichgOltige psychologische Nebenerscheinungen dar. Doch 
auch diese Annahme wQrde nichts nOtzen; denn schon jede dnzdne 
dieser Arten von Phantasmen umfaBt eine unermeBliche Mannigfaltig- 
keit verschiedener Vorstellungen. Die durchschnittliche Art, denn es 
kSnnen Individuen sehr verschiedener Vdlker, Oruppen und Kreise 
zur Ermittelung des Durchschnitts herangezogen werden; die muster- 
bildliche Art, denn es gibt sehr verschiedene MaBstSbe und Ideale; 
die unbestimmte Art, denn der Grad der Bestimmtheit kann auBer- 
ordentlich verschieden sein; und die undeutliche Art, denn es kann 
bald dieser, bald jener Zug ausgefuhrt, bald dieser, bald jener ver- 
nachlassigt werden. Auch ersieht jedermann aus seiner Erfahrung, 
daB er sich bei dem Worte Mensch bald einen rOstigen Aiann, bald 
einen gebrechlichen Oreis, bald eine bedeutende wPersdnlichkaf, bald 
einen unbeutenden „Massenmenschen'' vorstellt Noch vie! groBer 
indes als diese Schwankungen von Fall zu Fall sind ohne Zweifel die 
Variationen von Individuum zu Individuum. Der Sinn des Wortes 
Mensch dag^en wird durch all diese Schwankungen und Variationen 
gar nicht berOhrt: die Tatsache des logischen Verkehrs wire aufge- 
hoben, wenn der Begriff Mensch seine Bedeutung verSnderte, je nach- 
dem dem Individuum, das ihn gebraucht, gerade dieses oder jenes 
Phantasma vorschwebt 1st jedoch der Inhalt eines B^^es voU- 
kommen unabhangig von den Phantasmen der Individuen, die ihn 
denken, so kann der Aussageinhalt mit den allgemeinen Phantasmen 
auch da nicht zusammenfallen, wo es solche Phantasmen wirklich 
gibt 
AUein in der groBen Mehrzahl der Falle ist dies Qberhaupt nicht 
der Fall: uberall da nSmlich, wo die verschiedenen Aussag^jund- 
lagen einer Aussage einander weniger ahnlich sind als in dem bisher 
betrachteten Beispiel. Vom Menschen gibt es allgemeine Vorstellungen. 
Vom Tiere nicht. Denn es gibt kein ideales Tier, das weder Pferd 
noch Ameise ware. Auch keinen Durchschnitt zwischen Spinnen und 
Mausen, Regenwurmem und Oiraffen. Ebensowenig erzeugen diese 
verschiedenen Spedes unter irgendwdchen Umstanden gleiche Bilder, 
die nur unbestimmt zu bleiben brauchten, um sie alle zu reprisentieren. 
Und wenn man an einem Ferkel noch so vide Zuge unausgefuhrt 
laBt — solange nur noch irgend etwas von ihm deutlich bldbt, laBt 
es sich mit einem Kolibri nicht verwechseln. Man denke femer an 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 173 
den Begriff Farbel Nie wird es mdglich sein, sich eine „Farbe im 
allgemeinen^ vorzustellen, die sich im Oelb wie im Blau, im WeiB 
wie im Schwarz fande. Und doch operieren wir hier erst mit Einem 
Sinn. Nun nehme man jedoch einen Begriff wie Kunstwerk^ der ein- 
mal eine Symphonie bedeutet, ein andermal einen Dom. Welcher 
noch so unbestimmte und undeutliche Vorstellungsrest k5nnte den 
Vorstellungen dieser beiden Gegenst^nde gemeinsam sein? Ich er- 
innere endlich an jenen Satz, den wir in § 48. 1 als Beispiel einer 
Aussage uberhaupt wahlten. Es war der Satz: „Fasse ich diese 2 Ein- 
heiten und diese 1 Einheit zusammen, so erhalte ich 3 Einheiten.^ 
Wer alle in diesem Satz vorkommenden Begriffsinhalte als allgemeine 
Vorstellungen nachweisen und sie zu einem allgemeinen Vorstellungs- 
komplex hdherer Ordnung vereinigen zu konnen glaubt, der hat ein 
Recht, den konzeptualistischen Nominalismus zu vertreten. Wir da- 
g^en sind Qberzeugt, daB nicht ein einziger dieser Begriffsinhalte eine 
solche Deutung zulaBt, geschweige denn der aus ihnen zusammen- 
gesetzte Tatbestand. Diese Begriffsinhalte gehen ja samtlich durch 
alle Sinnesgebiete hindurch und sogar fiber sie hinaus: Schmerzen 
kdnnen nicht weniger als Tone, Tone nicht weniger als Farbenpunkte 
Einheiten, Zweiheiten und Dreiheiten bilden, als ^diese** bezeichnet 
und zu einer Einheit zusammengefaBt werden. Eine Vorstellung da- 
g^en — und ware sie noch so allgemein — mfiBte doch immer 
einem bestimmten, einzelnen Sinnesgebiete angehoren. Gibt es indes 
keine ^allgemeinen Vorstellungen ** der Einheit, Zweiheit und Dreiheit, 
des lydieses'' und des Zusammenfassens, dann sind diese nicht- 
existierenden allgemeinen Vorstellungen auch gewiB nicht die Inhalte 
der Begriffe Eins^ Zwei^ Drei^ Dieses und Zusammenfassen. Damit 
aber ist die These des konzeptualistischen Nominalismus widerl^ 
2) Ueber allgemeine Vorstellungen sind viererlei Ansichten mog- 
lich. Man kann ihr Vorkommen uberhaupt bestreiten. Man kann es an- 
erkennen, ohne doch diesen psychischen Gebilden eine logische Bedeut- 
samkeit zuzusprechen. Man kann ihnen bei der Bildung und Ausubung 
der logischen Funktionen eine gewisse Mitwirkung anweisen. Man kann 
sie endlich mit diesen Funktionen schlechterdings gleichsetzen. Den letzten 
dieser Standpunkte haben wir hier vorzugsweise bekampft Ihn hat wohl 
Locke allein vertreten i). Diesem Denker scheint es „einleuchtend", daB 
„Worte allgemein werden, indem man sie zu Zeichen allgemeiner Vorstel- 
lungen {general ideas) macht'', und daB „Vorstellungen allgemein werden, 
indem man von ihnen alle Umstande der Zeit und des Ortes absondert, 
und alle anderen Vorstellungen, welche sie als dieses oder jenes einzelne 
») Essay III. 3. 6-9 (WW. I, S. 437 f.). 
174 NOOLOOIE 
Sdn determinieren''. Wenn z. B. denkende Individuen die allgemeine Vor- 
stellung eines Menschen bilden, so „erzeugen sie hiedurch nichis Neues^ 
sondern lassen nur aus der zusamtnengesetzten Vorstellung, die sie von 
Peter und Jakob, Maria und Johanna batten, dasjenige aus, was jed^ eigen- 
tjimlich ist, und behalten bloB das ihnen alien Oemeinsame bei<'. Man ent- 
schlieBt sich schwer, Locke wirklich die Meinung zuzutrauen, es sei mog- 
lich, sich einen Menschen ohne irgendwelche individuelle Eigenschaften 
vorzustellen, und man mdchte deshalb geme glauben, er verstehe hier 
unter idea nicht ein Phantasma, sondern einen B^jiff. Allein er selbst 
macht eine solche Ausl^^ng unmdglich, indem er ein deutliches BewuBt- 
sein der Schwierigkeiten verrat, die seiner Annahme allgemeiner Vorstel- 
lungen entg^enstehen, wahrend die blofie Anerkennung allgemeiner Be- 
griffe dies en Bedenken gewifi nicht ausgesetzt ware. Obgleich ihm 
namlich an der angefuhrten Stelle das Entstehen allgemeiner Vorstellungen 
auf die ang^ebene Weise so evident scheint, „daB es keines weiteren Be- 
weises bedarf", sagt er an einer anderen Stelle das Folgendei): „Wenn wir 
genau auf sie achten, so werden vnr finden, daB allgemeine Vorstellungen 
Fiktionen und Kunstgriffe des Oeistes sind, die Schwierigkeiten bei sich 
ffihren und sich nicht so leicht darbieten als wir geneigt sind uns einzu- 
bilden. Erfordert es z. B. nicht einige Mfihe und Qeschicklichkeit, die all- 
gemeine Vorstellung eines Dreiecks zu bilden . . . .? Denn es darf weder 
schief- noch rechtwinklig, weder gleichseitig noch gleichschenklig noch un- 
gleichseitig sein, sondern ist all dies und nichts von alledem zugleich. In 
der Tat, es ist etwas Unvollkommenes, das nicht existieren kann ; eine Vor- 
stellung, in welcher Teile mehrerer, voneinander verschiedener und mitein- 
ander unvertraglicher Vorstellungen verbunden sind. Allerdings bedarf der 
Geist, in diesem seinem unvollkommenen Zustande, solcher Vorstellungen 
Allein dennoch hat man Orund zu dem Verdacht, es seien derartige Vor- 
stellungen Zeichen unserer UnvoUkommenheif < — eine Unvollkommenheit, 
die nun freilich mehr Lockes Theorie als dem menschlichen Qdste anzu- 
haften scheint 
Die zweite Ansicht, sagte ich, gesteht den allgemeinen Vorstellungen eine 
gewisse Mitwirkung beim begrifflichen Denken zu, ohne doch dieses in jene 
aufzul5sen. In diese Oruppe rechne ich solche Denker, welche im Sinne 
des Kritizismus die logischen Funktionen einem vom Vorstellungsver- 
mdgen durchaus getrennten Intellekte zuweisen, jedoch zwischen diesem 
rein intellektuellen Denken des Allgemeinen und dem sinnlichen Vorstellen 
des Einzelnen ein Mittleres annehmen, das entweder als ein sinnliches Vor- 
stellen des Allgemeinen ausdrucklich bezeichnet wird oder doch schwer 
anders denn als ein solches begriffen werden kann. Die RoUe eines solchen 
Mittleren namlich spielt einerseits bei gewissen Scholastikem das ver- 
standesmafiige Bild, die species intelUgibilis^ andererseits bei einigen 
Vertretem der klassischen deutschen Philosophie das Schema. Die species 
«) Ess. IV. 7. 9 (WW. II, S. 162 f.). 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 175 
MeUigibilis hat freilich ursprunglich nicht diese Bedeutung. Wenn man 
z. B. die enischeidenden Sfellen bei Thomas v. Aquino >) genau erwagt, 
so zeigt sich, dafi er unter diesem Begriffe nichts anderes versteht als jene 
„Fonn" (im aristotelischen Sinne des Wortes), die der Verstand bei der Be- 
trachtung der Phantastnen annimmt, und durch die er nun die wesensgleiche 
„foYm^ der phantasierten Dinge erkennt Allein namentlich bei Duns Scotus 
lafit sich diese Auffassung wohl nicht mehr aufrecht halten. Denn da heiBt 
es z. B. ^: „Es gibt keinen Uebergang von Extrem zu Extrem, namlich vom 
Phantasma zum Verstande . . ., es sei denn durch ein Mittieres zwischen 
dem Oeistigen und dem K5rperlichen ; ein solches Mittleres aber ist die 
spedes intelligibilis, die kein ebenso kdrperliches Sein hat wie das Phantasma, 
und doch auch kein ebenso geistiges wie der Verstand/' Und wiederum 3) : 
„Man darf nicht annehmen, es sei dasselbe Bild (species) wie in der Ein- 
bildungskraft auch in der leidenden Vemunft . . .; auch nicht, das Bild in 
der Einbildungskraft erzeuge aus sich ein anderes in der leidenden Ver- 
nunft . . .; und auch nicht, es werde bloB von der tatigen Vemunft be- 
leuchtet .... Vielmehr muB man sagen, die titige Vemunft erzeuge in der 
leidenden ein Bild aus jenem, das in der Phantasie schon vorhanden ist^ 
Ich will nun gewiB nicht behaupten, dieses verstandesmaBige Bild decke 
sich durchaus mit Lockes allgemeiner Vorstellung. Bedenkt man indes, dafi 
der Phantasie das Erbssen des Einzelnen, dem Intellekt das Erfassen des 
Allgemeinen zugeteilt wird, so wird man es immerhin wahrscheinlich finden, 
daB jenes Mittlere, welches der Verstand aus dem Phantasma erzeugt, von 
einem ,,allgemeinen Bild'', d. h. von einer allgemeinen Vorstellung, kaum 
sehr verschieden sein kann. Und diese Wahrscheinlichkeit wird sich noch 
einigermaBen erhdhen, wenn wir sehen, wie unter dem Namen des Schemas 
genau in derselben Funktion der Vermittlung die allgemeine Vorstellung 
von ScHLEiERMACHER in der Tat eingefuhrt worden ist 4). Ihm zufolge 
kann „die einzelne Erscheinung gar nicht anders als nur vermittelst eines 
Schemas mit der intellektuellen Funktion in Verbindung treten . . Aus der 
organischen Affektion, auch bei bestandiger Agilitat der intellektuellen 
Funktion, wurde kein B^jiff entstehen, wenn sich nicht im innem Sinn 
die allgemeinen Bilder gestalteten". Zu einem Begriffe gehdren daher immer 
drd Dinge : „das Bild des einzelnen Dinges, das Schema desselben und die 
intellektuelle Seite des Begriffs". Dieser Ansicht steht der entscheidende 
Umstand entg^en, daB es — wie wir gesehen haben — Begriffe gibt, 
denen unmdglich eine allgemeine Vorstellung entsprechen kann, und deren 
logischen Gehalt wir doch um nichts weniger deutlich und bestimmt er- 
fassen. Dies hat Schleiermacher ubersehen, ja sogar im G^enteil be- 
hauptet: „Ist das Bild dunkel, so ist es auch der Begriff, und zwar selbst 
von seiner idealen Seite" — wonach also etwa Drti der dunkelste aller Be- 
^) Summa theol. I, quaesi 14, art. 2. ad 2; quaesi 55, art 2, ad 2; quaest 85, 
art 1, ad 3; de veritate intell. (Opp. XVI, p. 222). ^ Qu. de rcr. princ 14 (Opp. Ill, 
p. 125 A). 3) Qu. super Anal, postt I. 3 (Opp. Ill, p. 348 A). *) Dial., Erlaute- 
ningen zu § 260 (S. 211 ff.). 
176 NOOLOOIE 
griffe sem mufite. Allein er hat dieser Konsequenz in doppdter Wdse 
entg^[engearbeitet Einerseits namlich erklart er das ,,Schenia'' auf dne 
Weise, die es dem individuellen Phantasma nach Moglidikeit angleicht, und 
nahert sich so jenem Standpunkte^ den wir als den des gemaBigten Nominalis- 
mus kennen lemen werden. „Das allgemeine Bild ist das Bild der Art, und 
das einzelne Bild kommt nur zum BewuBtsein, indem das Bild der Art zu- 
gleich zum BewuBtsein kommt; das allgemeine Bild ist das einzdne Bfld 
selbst, aber in der Verschiebbarkeit gedacht, d. h. so, daB es sidi vedUidem 
kann, ohne aus seiner Art herauszugehen.'' So verstanden, gabe es nun 
freilich allgemeine Bilder von allem, was uberhaupt vorgestdlt werden kann, 
nur daB dies dann eben streng genommen nidit mehr allgemdne Bilder, 
sondem vidmehr Reihen von einzdnen Bildem wSren. Insofem es jedodi 
audi Begriffe von Unvorstdlbarem gibt, namlich Formbegriffe (§ 28), 
sucht ScHLEiERMACHER uodi eiueu anderen Ausw%: Bd den „bloB formalen 
Begriffen" namlidi, meint er, sei „das sinnliche Sdiema . . gar nidit dn 
auBeres Bild . ^ sondem, weil es dabd auf unsre Tatigkeit ankommt, nur 
das BewuBisdn von unserem eigenen Verfohren, von seiner sinnlichen Seite 
festgehalten^ Erweitert man den Begriff des Sdiemas auf diese Wdse, 
dann hat man frdlidi die vorher unuberwindlidien Einwendungen nidit 
mehr zu furditen. Alldn zugleidi ist damit audi der Rahmen, nidit nur 
des konzeptualistischen Nominalismus, sondem audi das Nominalismus iiber- 
haupt durchbrodien. Das BewuBtsein dues Verfahrens nimlidi ist ofifen- 
bar ein reaktives, nidit dn rezeptives BewuBtsdn; es durfte daher 
auch nicht mehr eine VorstdUing oder ein Bild heiBen — so daB diese 
Wendung des Oedankens der hier von uns betraditeten Lehre fiberhaupt 
nidit mehr zugute kommt Dennodi muB idi hier nodi erwShnen, dafi 
gerade diese Auffassung des Begriffes Schema Schlqermacher nidit dgen- 
tumlidi ist Sie findet sidi vidmehr sdion bei Kant i). Es sind, sagt dieser, 
^ine Verstandesb^ffe, in Vergleidiung mit empirisdien (j& fiberhaupt 
sinnlichen) Anschauungen ganz ungleichartig . . . . Wie ist nun die 
Subsumption der letzteren unter die ersten, mithin die Anwendung 
der Kat^^rie auf Erschdnungen mdglich ...?.... Nun ist klar: daB 
es ein Drittes geben mfisse, was einerseits mit der Kat^[orie, anderersdts 
mit der Erscheinung in Qleichartigkeit stehen muB und die Anwendung 
der ersteren auf die letztere mdglich macht Diese vermittelnde Vorstellung 
muB rein (ohne alles Empirische) und doch dnersdts intellektuefl, 
andererseits sinnlich sein. Eine solche ist das transcendentale 
Schema Das Schema ist an sich selbst jederzeit nur ein Produkt 
der Einbildungskraft; aber . . . doch vom Bilde zu unterschdden. So wenn 
ich funf Punkte hintereinander setze, ^) ist dieses ein Bild von der 
Zahl funf. Dagegen, wenn ich eine Zahl uberhaupt nur denke, die nun 
funf Oder hundert sein kann, so ist dieses Denken mehr die Vorstdlung 
dner Mdhode, einem Begriffe gemaB dne Menge (z. E. Tausend) in 
») Kr. d. r. Vem. (WW. II, S. 122 ff.). ^) KANT selbst sctzt hier 5 Punkte. 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 177 
einem Bilde vorzustellen, als dieses Bild selbst, welches ich im letzteren 
Falle schwerlich wurde ubersehen und mit dem Begriffe vergleichen kSnnen. 
Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungs- 
kraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu 
diesem Begriffe .... Dem Begriffe von einem Triangel fiberhaupt wfirde 
gar kein Bild desselben jemals adaquat sein. Denn es wurde die Allgemein- 
heit des Begriffs nicht erreichen, welche macht, daB dieser fur alle, recht- 
oder schiefwinklichte etc gilt, sondem immer nur auf einen Teil dieser 
Sphare eingeschrankt sein. Das Schema des Triangels kann niemals anderswo 
als in Qedanken existieren, und bedeutet eine R^[el der Synthesis der Ein- 
bildungskraft, in Ansehung reiner Gestalten im Raume Dieser 
Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer 
bloBen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen 
Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten und 
sie unverdeckt vor Augen l^en werden." All dies hat — in gewohnter 
Unselbstandigkeit — Schellino fast wortlich wiederholt i). Was er hinzu- 
fugt, ist die Erklarung des Schemas „durch das Beispiel des mechanischen 
Kunstlers, welcher einen Gegenstand von bestimmter Form einem Begriffe 
gemaB hervorbringen soll^ Dieser braucht „eine inneriich, pbgleich sinnlich 
angeschaute R^el, welche ihn in der Hervorbringung leitet^. „Diese R^^d 
ist das Schema, in welchem durchaus nichts Individuelles enthalten, und 
welches ebensowenig ein allgemeiner Begriff ist, nach welchem ein Kunstler 
nichts hervorbringen kdnnte.'^ Wir haben all dies hier angefuhrt, weil es 
sich auf den B^jiff des Schemas bezieht, der auf der Einen Seite mit den 
allgemeinen Vorstellungen des konzeptualistischen Nominalismus zusammen- 
hangi Wie er auf der anderen Seite, durch den Kritizismus hindurch, bis 
an die Schwelle des Pathempirismus sich fortbilden kann, dies zeigen einige 
Gedankengange der letzten Zeit Kant, Schelunq und Schleiermacher 
erklaren das Schema als das BewuBtsein eines Verfahrens. Da sie jedoch 
dieses Verfahren ganz mythisch als ein Verfahren „der Einbildungskraft^ 
Oder „des Verstandes'' denken, so geben sie auch gar keine Handhabe zur 
naheren psychologischen Bestimmung jenes BewuBtseins. Die folgenden 
Ausfuhrungen Machs^) stellen diese Spekulationen mit Einem Schlage in 
belles Licht und auf festen Boden: „Unter differenten Umstanden, die 
etwas Gemeinsames haben, treten gleichartige Tatigkeiten, Be- 
w^^ngen ein (Ergreifen, Beschnuffeln, Belecken, ZerbeiBen), welche neue 
entscheidende sinnliche Merkmale (Geruch, Geschmack) herbeischaffen, die 
fur das weitere Verhalten (Verschlingen, Wegwerfen) maBgebend sind. Diese 
konforme Tatigkeit sowohl als die durch dieselbe hervortretenden kon- 
formen sinnlichen Merkmale, welche ja beide in irgendeiner Weise 
zum BewuBtsein kommen werden, halte ich fur die physiologische Grund- 
lage des Begriffes. Worauf in gleicher Weise reagiert wird, das fallt 
unter Einen Begriff.*' Auch noch bei wissenschaftlichen Begriffen offen- 
Syst d. tr. Id. Ill, 3. Epoche, I (WW. 1. Ill, S. 506 ff.). ^ Warmelehre S. 416 ff. 
Oomperz, Weltantchaaangslehre U 1 12 
178 NCX)LOOIE 
baren sich uns die Merkmale nur als Ergebnis von Operationen 
des Chemikers und Anatomen, des konstruierenden Geometers und des 
zahlenden Arithmetikers. ,Jeder Abstraktion" tnfissen ^gemeinsame reale 
psychische Elemente" zugrunde liegen; allein diese Elemente treten „erst 
durch eine besondere, bestitntnte Tatigkeit ins BewuBtsein^ „Den Oeneralien 
kommt keine physikalische Realitat zu, wohl aber eine physio- 
log is che: die physiologischen Reaktionen sind von geringerer Mannig- 
faltigkeit als die physiologischen Reize.'' Oanz ahnlich habe ich selbst mich 
schon vor Jahren geauBert^); und ebenso erklart nun audi MOnsterberq 2), 
es sei „die Abstraktion beherrscht durch die allgemeine typische Inner- 
vation, und der Begriff . . von derjenigen motorischen Einstellung . ^ die 
der ganzen im B^ff zusammengedachten Objektgruppe gemeinsam zu- 
kommt". Man frage sich dann noch, in was ffir psychischen Elementen 
denn solche gleiche Reaktionen zum BewuBtsein kommen, und man wird 
den Kritizismus vollends fiberwunden und eine wirkliche Antwort auf unsere 
Erste semasiologische Hauptfrage gewonnen haben. OewiB wird man aber 
dann auch erkennen, daB allgemeine Vorstel I ungen, als Tatsachen nicht 
der reaktiven, sondem der rezeptiven Erfahrung, fur das Denken des Be- 
griffsinhaltes ohne jede Bedeutung sein mussen. 
Diese unsere Auffeissung, der zufolge zwar das Vorkommen allgemeiner 
Vorstellungen zuzugeben, ihnen jedoch jeder Anteil am logischen Denken ab- 
zusprechen ist, ist durchaus nicht neu. Vielmehr vertrat sie mit vollkommener 
Klarheit schon Descartes 3): „Ich habe allerdings die Oewohnheit, wenn 
ich an korperliche Dinge denke, mich stets auch meiner Einbildungskraft 
zu bedienen. Und so geschieht es, daB ich, wenn ich an ein Tausendeck 
denke, mir in verworrener Weise irgendeine Figur vorstelle. Allein es ist 
ganz klar, daB diese Figur nicht ein Tausendeck ist Unterscheidet sie sich 
doch in keiner Hinsicht von jener anderen, die ich mir vorstellen wurde, 
wenn ich an ein Zehntausendeck dachte, oder an irgendeine andere Figur 
von vielen Seiten; und dient sie doch in keiner Weise dazu, jene Merk- 
male aufzufinden, welche den Unterschied des Tausendecks von den tibrigen 
Polygonen ausmachen.^' Diese Darl^^ng ist seither oft wiederholt worden : 
so schon von Cudworth % und in unserer Zeit besonders eindringlich von 
Taine^). Wird hier auf die Unbestimmtheit und Undeutlichkeit 
der allgemeinen Phantasmen das Hauptgewicht gel^ so finden wir anderer- 
seits das Vorkommen durchschnittl icher und musterbildlicher 
Vorstellungen schon von Kant 6) betont Es ist anzumerken, sagt er, daB 
die Einbildungskraft „das Bild und die Qestalt des G^enstandes von einer 
unaussprechlichen Zahl von G^enstanden verschiedener Arten, oder auch 
ein und derselben Art, reproduzieren kdnne; ja auch, wenn das Gemut es 
auf Vergleichungen anlegt, allem Vermuten nach wirklich, wenngleich nicht 
») Psych, log. Orundtats. S. 26. ^) Prinzipien S. 552. ^) 6. Meditation, Anfang 
(Oeuvres S. 113). *) Systema Intellectualc II, p. 62. «) De I'intcUigence I, S. 26ff. 
i) Kr. d. Urt § 17 (WW. IV, S. 84 ff.). 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 179 
hinreichend zum BewuBtsein, zu reproduzieren, ein Bild gleichsam auf das 
andere fallen zu lassen, und, durch die Kongruenz der tnehrern von der- 
selben Art, ein Mittleres herauszubekommen wisse, welches alien zum ge- 
meinschaftlichen MaBe dienf'. Die so resultierende Gestalt des Menschen 
z. B. sei die „Nomialidee^, die sich von dem „Ideal'' allerdings noch einiger- 
maBen unterscheide. Nichis als eine Wiederholung dieser Darstellung ist 
dann Huxleys sehr bekannt gewordene Vergleichung der durchschnittlichen 
Phantasmen mil den Galtonschen Photographien ^). Femer hat sich in dem- 
selben Sinne Ribot^) mit den allgemeinen Vorstellungen beschaftigt, und 
auch ich selbst habe diese .^schaulichen Begriffskorrelate^ recht eingehend 
beschrieben ^, ohne sie indes fur mehr als ^^assoziative Nebenprodukte des 
lauten oder stillen Sprechens" auszugeben. 
Absolut ablehnend endlich g^en den B^jiff allgemeiner Vorstellungen 
verhalt sich Berkeley in seiner klassischen Kritik des konzeptualistischen 
Nominalismus und speziell der LocKEschen Lehre^). Aus derselben sei 
hier nur Eine Hauptstelle angefQhrt: „Ich kann mir einen Menschen mit 
2 Kopfen vorstellen ; oder den Oberleib eines Menschen verbunden mit dem 
Unterleib eines Pferdes. Ich kann die Hand, das Auge, die Nase jedes fur 
sich betrachten, abgezogen und getrennt von dem Rest des Korpers. Allein 
mag ich mir welche Hand oder welches Auge immer vorstellen: es muB 
eine bestimmte Form und eine bestimmte Farbe haben. Ebenso mufi, wenn 
ich mir die Vorstellung eines Menschen bilde, dies die Vorstellung entweder 
eines weifien oder eines schwarzen oder eines braunen, entweder eines ge- 
raden oder eines krummen, entweder eines grofien oder eines kleinen oder 
eines mittelgrofien Menschen sein. Durch keine Anstrengung meines Denkens 
kann ich die oben beschriebene abstrakte Vorstellung erzeugen. Ebenso 
unmdglich ist es mir, die abstrakte Vorstellung einer Bew^^ng zu bilden, 
die von dem bew^en Korper verschieden und weder rasch noch langsam, 
weder gerad- noch krummlinig ware. Und dasselbe laBt sich von alien 
beliebigen anderen abstrakten allgemeinen Vorstellungen behaupten/' Hiemit 
schieBt Berkeley, wie wir glauben, uber das Ziel hinaus; denn es ist ge- 
wiB nicht richtig, daB wir die Augenfarbe aller Menschen anzugeben wuBten, 
deren wir uns erinnem. Indes, in der Hauptsache hat er sicherlich recht: 
der Standpunkt des konzeptualistischen Nominalismus ist unhaltbar, denn 
nicht jedem Begriffsinhalt entspricht eine allgemeine Vorstellung, und auch 
wo ihm eine solche entspricht, kann er mit ihr doch niemals identisch sein. 
3) Wenn der Aussageinhalt mit Vorstellungen der Aussagegrundlage 
zusammenfallen soil, jedoch aus allgemeinen Vorstellungen nicht be- 
stehen kann, so bleibt nur die Annahme ubrig, er sei identisch mit der 
besonderen Vorstellung einer einzelnen resp. der jeweiligen Aussage- 
grundlage: der Sinn des Namens Kunstwerk z. B. bestehe darin, daB 
») Hume S. 94f. ^ Id. gin. S. 5ff. J) Psych, log. onindtats. S. 29 ff. *) Prin- 
dples of hum. knowl., introd. 7-17 (WW. I, S. 240ff.). 
12» 
180 NOOLOGIE 
idi irgendein Kunstwok, dcr Sinn desSatzes vDicserVogel f&egtf* 
darin, daS idi irgendeinen fliegenden Vogd wahmehme oder 
phantasioe. Wir bezeidinen cfiese Ldne ak gemiBigten Nomi- 
nalismus. Ihre GnindansicM gefat dahin, daB imfividueDe Vorsid- 
lungen und insbesondere Phantasmen cfie wesenffidien Ekmente des 
logischen Denkens sesen. Diese Gnindansidit nun woDen wir erst 
dner prinzipidlen Prufung unterwerfen, die wir auf die Frage dn- 
gehen, inwidem der gemSBigte Nominalisnnis (fie vier semasiologisdien 
Hauptfragen zu beantworten vermag. 
Ohne Zweifd hat jene Gnindansidit den aDeiersten Ansdidn fur 
sidi. Den Namen Dreieck z. B. pflegen wir im allgemdnen dann aus- 
zuspredien, wenn uns dn Drdedc in der Wahmdimung oder in der 
Phantasie, mithin jedenfalls in der Vorstdlung gegd)en ist; und wenn 
wir den Namen Dreieck hdren, so ist es gewiB die Regel, daB wir 
auch irgenddn Drdeck dabd vorstdlen. Wollen wir femer den Sinn 
des Satzes i^Dieser Vogd fli^' verstehen und seine Riditigkdt priifen, 
so werden wir zunSchst dn diesem Satze entsprediendes Phantasma 
erzeugen, dann aber audi dne inhaltsglddie Wahmdimung uns zu 
verschaffen suchen und je nadi dem Odingen dieses Versudies uber 
die Wahrhdt jenes Satzes urtdlen. Dassdbe gilt endUdi sogar von 
wdt abstrakteren Sitzen. Handelt es sich z. B. urn d» Satz 3X2 
*= 2 X 3, 80 werden wir uns, um sdnen Sinn zu erfassen und zu be- 
urtdien, das VerhSltiiis der verschiedenen Zwdhdts- und Drdhdts- 
gruppen gldchfalls an anschauiichen Einhdten versinnlidira: es ist 
dabd gldchgOltig, ob diese Einhdten aufdnander folgen oder neben- 
dnander bestehen, gidchgiiitig auch, ob es B^ume sind oder Kirsch- 
kerne — alidn immer wird es irgenddne individudle Vorstdlung sdn, 
an der ich den Sinn der g^ebenen Aussage mir zu dgen madie und 
prflfe 
Freilich, diesen positiven Instanzen stehen nun fast ebenso zahlrdche 
und naheliegende gegenOber. Wenn mir jemand sagt, der Mensch 
habe 32 Zahne, so kann ich diese Aussage sehr wohl verstehen und 
auch ihr zustimmen, ohne mir von 32 menschlichen Zahnen gesonderte 
Vorstellungen zu bilden. Und wenn es hdBt, 1000 sei die 3. Potenz 
von 10, so w3re es Qberhaupt nicht moglich, dne diesen Begriffen 
vollkommen entsprechende individuelle Vorstellung zu bilden, da es 
keine Anschauung von 1000 Einheiten gibt, die von der Anschauung 
von 909 Oder auch 998 Einheiten sich irgendwie unterschiede. Indes, 
diesen Einwendungen ist der Nominalismus noch sehr wohl ge- 
wachftcn. Er weist zunlchst darauf hin, daB alle Zdchen das von 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 181 
ihnen Bezeichnete auch reprasentieren konnen, und daB daher, wenn 
nur erst die Bedeutung der Zeichen eindeutig festgestellt ist, auch ein 
abkurzender Gebrauch derselben stattfinden kann. Spielmarken z. E 
bedeuten Oeld. Es ist aber nicht notig, daB nach jedem Spiele die 
Spielmarken sofort in Oeld umgesetzt werden ; vielmehr braucht nach 
jedem Spiele nur ein Hin- und Herschieben der Marken zu erfolgen, 
und erst nach langerer Zeit wird dann die endgiiltige Verteilung der 
Marken den gegenseitigen Zahlungen zugrunde zu legen sein. Ebenso 
gibt es neben der baren auch eine rechnungsmafiige Abwicklung ge- 
schaftlicher Transaktionen. In derselben Weise kann ich eine lange 
Rechnung in unbenannten Zahlen durchfuhren, ohne mich bei jedem 
Schritte derselben zu fragen, was er fOr die entsprechenden benannten 
Or5Ben bedeutet, und erst das letzte Resultat werde ich auf diese 
nach demselben Schlussel anwenden, nach dem ich ursprunglich die 
erste Gleichung angesetzt habe. Ebenso nun gibt es neben dem aus- 
fiihrlichen Denken in Anschauungen auch ein abkOrzendes Denken in 
Worten; selbst eine lange Kette von Gedanken kann ich aneinander- 
reihen, ohne bei jedem Oliede mit meinen Worten bestimmte An- 
schauungen zu verbinden. Es genugt, wenn die Worte, von denen 
ich ausging, ursprunglich fOr solche Anschauungen standen, und wenn 
diejenigen, bei denen ich schlieBlich anlange, wieder in solche An- 
schauungen sich umsetzen lassen. Um so mehr vermag ich einen Satz 
wie den, der Mensch habe 32 Zahne, zu verstehen und auch zu be- 
urteilen, ohne mir wirklich 32 Zahne besonders vorzustellen, wenn 
ich nur auf Grund friiherer Erfahrungen weiB: einmal, daB jedem 
dieser Worte bestimmte Anschauungen entsprechen, sodann, daB diese 
Anschauungen auch wirklich zusammengehoren. Andererseits ist es, 
damit der Aussageinhalt als individuelle Vorstellung begriffen werden 
konne, nicht immer erforderlich, daB mit alien Aussagelauten solche 
Vorstellungen auch wirklich verbunden seien. Es genugt vielmehr, 
wenn sie das Wissen um ein Verfahren ausdrucken, das in eindeutiger 
Weise zu einer bestimmten Anschauung fuhrt So kann ich mir bei 
„dem ersten Vers, auf den beim Aufschlagen der Heiligen Schrift 
mein Auge fallen wird", gewiB keine bestimmten Worte vorstellen; 
allein dennoch bedeuten sie etwas, was der Vorstellung durchaus 
nicht entzogen ist. In ahnlicher Weise nun ist auch eine Menge von 
1000 Einheiten an und fur sich freilich nicht vorstellbar; allein voraus- 
gesetzt, daB Eine Einheit als solche vorstellbar sei, gibt mir doch das 
Wort Tausend eine Menge an, zu der ich durch eindeutig bestimmte 
Operationen mit dieser vorstellbaren Einheit gelangen, und von der 
182 NOOLOGIE 
aus ich auch wieder durch andere Verfahrungsweisen zu vorstellbaren 
Mengen zurOckkommen kann. Auch der Satz, 1000 sei die dritte 
Potenz von 10, laBt sich daher interpretieren als die Feststellung, daB 
ich zu einer gleichen — freih'ch an sich nicht vorstellbaren — Menge 
gelange, ob ich nun 10 X 10 X 10 oder 1 + 1 + 1 + 1 Einheiten 
zusammenfasse. Vorausgesetzt daB 1 Einheit und 10 oder doch 
2X5 Einheiten als solche vorgestellt werden kdnnen, wurde deshalb 
die Unvorstellbarkeit der 1000 Einheiten als solcher die nominalistische 
Ansicht nicht widerlegen. 
Allein die eben besprochenen Auskunftsmittel sind doch nur da 
anwendbar, wo sich der Sinn einer Aussage letztlich auf individuelle 
Vorstellungen reduzieren lS£t Wir mussen daher die Frage stellen: 
vermogen wir denn wirklich mit jeder Aussage, die wir verstehen, 
auch nur irgend Eine Vorstellung, oder irgendeine Oruppe oder 
Reihe von Vorstellungen, zu verbinden, die ihr genau entsprache, 
und die deshalb den Anspruch erheben kdnnte, ihren logischen Inhalt 
darzustellen? Gegen die schlichte Bejahung dieser Frage nun er- 
heben sich schon in den einfachsten FSllen schwere Bedenken. Denn 
auch dem Satze „ Dieser Vogel fliegt'' entspricht keine vollkommen 
adaquate individuelle Vorstellung — nSmlich keine solche, die nicht 
auch dem Begriffe „Ein fliegender Vogel'' entsprache; und doch driicken 
beide Aussagen verschiedene logische Inhalte aus, haben somit einen 
verschiedenen Sinn. Als experimentum cruets jedoch wollen wir die 
oben formulierte Frage selbst verwenden — nSmlich die Aussage: 
Vermdgen wir derm wirklieh mit jeder Aussage^ die wir verstehen^ audi 
nur irgend Eine Vorstellung, oder irgendeine Gruppe oder Reihe von 
Vorstellungen, zu verbinden, die ihr genau entsprache, und die deshalb 
den Anspruch erheben konnte, ihren logischen Inhalt darzustellen ? Ich 
glaube voraussetzen zu durfen, man werde diese Frage oben ganz 
leidlich verstanden haben. DaB man indes mit ihr Eine adequate 
und sie erschopfende Vorstellung verbinden kdnne, wird wohl niemand 
behaupten. Also vielleicht eine Oruppe oder Reihe von Vorstellungen? 
Nun, man gehe unsere Aussage Wort fiir Wort durch und frage sich, was 
man etwa bei den Worten Vermdgen, Wirklich, Jeder, Verstehen, Irgerul 
eine, Oder, Oenau, Entsprechen, Deshalb, Anspruch, Ljogisch, Dar- 
stellen imstande ist, sich vorzustellen ! Mir will scheinen, die einzig 
mogliche Antwort lautet: Oar nichts! Und doch drucken alle diese 
Worte integrierende Bestandteile des logischen Inhalts der gegebenen 
Aussage aus. Die Orundansicht des gem3Bigten Nominalismus halt 
demnach einer prinzipiellen Prflfung keineswegs stand. 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 183 
Es versteht sich hiemach von selbst, daB diese Lehre auch die ein- 
zelnen semasiologischen Hauptfragen nicht wird zufriedenstellend be- 
antworten kdnnen. Doch fassen wir hier vorliufig bloB ihr Verh<nis 
zu der Dritten dieser Hauptfragen ins Auge, weil dieses Verhaltnis 
den gemiBigten Nominalismus, wenn er nur uberhaupt diskutabd 
bleiben will; sofort zu einer wesentlichen ModiHkation seines Stand- 
punktes drangt Wir erinnem uns, die Dritte Hauptfrage bezog sich 
zunachst auf das Doppelproblem der Auffassung: sehr verschiedene 
Aussag^^ndlagen kdnnen durch gleiche Aussageinhalte aufg^Bt 
werden (Problem der Abstraktion), und gleiche Aussag^rnrndlagen 
lassen sich durch sehr verschiedene Aussageinhalte auffassen (Problem 
der Intel li gib 1 en Telle). Wie sollte dies mdglich sein, wenn, im 
Sinne des gemSBigten Nominalismus, der Aussageinhalt mit der Vor- 
stellung einer individuellen Aussagegrundlage zusammenfiele? Be- 
stunde z. B. der Sinn des Namens Dreieck in der Vorstellung irgend- 
eines einzelnen Dreiecks, dann mQBte dieser Name einen anderen Sinn 
haben, wenn das aussagende Individuum an ein spitzwinkliges, und 
wieder einen anderen, wenn es an ein stumpfwinkliges Dreieck dichte. 
Und bestQnde der Sinn der Worte Korper, Oeb&ude und Kunstwerk 
in der Vorstellung beliebiger einzelner K6rper, Gebaude und Kunst- 
werke, dann mOBten diese drei Worte denselben Sinn haben, wenn 
zufallig drei Individuen, die jene Worte aussagen, dabei simtlich den 
Dom von Pisa vorstellten. Durch diese beiden Konsequenzen wQrde 
jedoch die Mdglichkeit logischen Verkehrs in gleicher Weise aufge- 
hoben. In der Tat hat denn auch kaum irgend jemand den gemSBigten 
Nominalismus ohne weiteren Zusatz vertreten. Vielmehr bedarf diese 
Ansicht notwendig einer Erginzung, die imstande ist, den aus ihr 
soeben abgeleiteten widersinnigen Folgerungen vorzubeugen. 
Ein dieser Bedingung genQgender ErgSnzungsversuch scheint denn 
auch nicht femzuliegen. Er wird gekennzeichnet durch das Streben, 
die Vorzuge des konzeptualistischen Nominalismus festzuhalten, ohne 
daB man doch dessen SchwSchen in den Kauf nehmen muBte. Sein 
Grundgedanke ist die Ersetzung der Einen allgemeinen Vorstellung 
durch die gemeinsamen, typischen Elemente der zahlreichen Individual- 
vorstellungen. Diese typischen Elemente, so nimmt man an, seien in 
den einzelnen Individualvorstellungen enthalten, konnten jedoch mehr 
Oder weniger beachtet, zum Gegenstande einer starkeren oder 
schwacheren Aufmerksamkeit gemacht werden. Durch eine 
Konzentration der Aufmerksamkeit kdnnten nun diese typischen Merk- 
male aus der Individualvorstellung herausgehoben werden; sie seien 
184 NOOLOGIE 
mit den Aussagelauten durch das Band der Assoziation verknupft; 
und sie seien es auch, die den logischen Inhalt aller Aussagen bildeten. 
Kann ich mir namlich auch nicht, wie der konzeptualistische Nominalis- 
mus wollte, einen Menschen vorstellen, der weder groB noch klein, 
weder schwarz noch weiB ist, so enthalten doch alle Vorstellungen 
von Menschen — seien diese nun groB oder klein, schwarz oder 
weiB — gewisse gemeinsame Merkmale. Indem ich nun diese aus 
meiner Vorstellung von irgendeinem einzelnen Menschen heraushebe, 
die abweichenden Ziige dag^en vemachlassige, denke ich den Begriff 
Menschf und fasse zugleich den vorgestellten Menschen alsMenschen 
auf. Es ist klar, daB auf diese Weise die oben erdrterten Absurditaten 
vermieden sind. Auffassen heiBt jetzt: in einer bestimmten Weise, 
in einem gewissen Lichte betrachten, und speziell : durch eine gewisse 
Verteilung der Aufmerksamkeit in bestimmter Weise gliedem. Dem- 
nach kann das Wort Dreieck denselben Sinn bewahren, auch wenn 
die verschiedenen Individuen, die es gebrauchen, dabei ganz ver- 
schiedene Dreiecke vorstellen. Denn jedes fafit doch das von ihm 
vorgesteUte Dreieck a Is „ Dreieck im allgemeinen'' auf, d. h. es hebt 
aus seiner individuellen Dreiecksvorstellung dieselben, alien Dreiecken 
gemeinsamen typischen Momente heraus. Ebenso konnen die Worte 
Korper und Kunstwerk auch dann Verschiedenes bedeuten, wenn zu- 
f&llig die aussagenden Individuen dabei beide den Dom von Pisa vor- 
stellen. Denn sie fassen doch diesen selben Oegenstand in ver- 
schiedener Weise aufy indem der Eine aus seiner Vorstellung die 
alien Korpem, der Andere aus derselben Vorstellung die alien Kunst- 
werken gemeinsamen Momente heraushebt So scheint denn die Erste 
semasiologische Hauptfrage beantwortet, indem der Aussageinhalt mit 
jenen typischen Momenten der Aussag^^ndlagevorstellungen gleich- 
gesetzt wurde ; die Dritte, indem die Auffassung als die Heraushebung 
dieser Momente aus der Vorstellung einer einzelnen Aussagegrund- 
lage nachgewiesen wird. Unter diesen Voraussetzungen bereiten indes 
auch die beiden ubrigen Hauptfragen keine Schwierigkeiten mehr. 
Nicht die Zweite, denn die Oegenstdndlichkeit der Aussagen verliert 
ihr Ratselhaftes, wenn man bedenkt, daB dieselben typischen Vor- 
stellungsmomente mit den verschiedensten Aussagelauten als ein ein- 
heitliches und beharrliches Element sich verknupfen. Und nicht die 
Vierte, denn die Aussage vermag allerdings den Sachverhalt zu be- 
deuteOj d. h. zu vertreten, wenn jene dieselben typischen Vorstellungs- 
momente schon enthalt, deren Heraushebung die Sachverhaltsvor- 
stellung von der bloBen Aussag^^ndlagevorstellung unterscheidet 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 185 
1st nun mit alledem das Bedeutungsproblem wirklich aufgeldst? 
Dies hSngt davon ab, ob die hier der Aufmerksamkeit zugeschriebenen 
Leistungen von dieser auch voUzogen werden konnen. Das aber ist 
von vomeherein wenig wahrscheinlich. Denn damit die Aufmerksam- 
keit sich auf ein Moment einer Vorstellung richten und dasselbe aus 
ihr herausheben konne, muB doch — so scheint es — dieses Moment 
schon vorher g^eben sein, es muB von den anderen Momenten der- 
selben Vorstellung unterschieden werden oder sich doch wenigstens 
grundsatzlich von ihnen unterscheiden lassen. Nun kann jedoch der 
Nominalismus, da er keine anderen psychischen Funktionen anerkennt 
als Vorstellungen, diese Unterscheidung nur als eine vorstellungsm3Bige 
Trennung denken. Ware indes der Sachverhalt in der Aussagegrund- 
lage als ein vorstellungsmSBig trennbarer Teil enthalten, dann ware 
er ja ein reeller Teil derselben, und die Frage, wie er sich als in- 
telligibler Teil der Aussagegrundlage begreifen lasse, hatte dann 
nie aufgeworfen werden dOrfen. In der Tat schlieBt der gemaBigte 
Nominalismus die vollkommene Negierung unserer Dritten Haupt- 
frage in sich. Er erklart z. B. die „Auffassung des Doms von Pisa 
als Kunstwerk'' als ein Herausheben der alien Kunstwerken gemein- 
samen Vorstellungsmomente aus der Vorstellung des Doms von Pisa 
Allein es gibt keine Vorstellungsmomente, die den Dom von Pisa zu 
einem Kunstwerk machten, ohne ihn zugleich auch als Korper, als 
Gebaude, als Dom usw. zu determinieren. Oabe es solche Momente, 
ware das Kunstwerk-Sein des Doms von Pisa in derselben Weise ein 
isoliert vorstellbares Merkmal dieses Oegenstandes wie sein Oelb-Sein 
Oder sein Hart-Sein, dann ware uns die Relation intelligibler Teile nie 
zum Problem geworden. Zugleich ersieht man aus diesem Beispiel 
noch etwas anderes. Bei der ^Auffassung des Doms von Pisa als 
Kunstwerk" sollten aus der individuellen Vorstellung dieses Oegen- 
standes herausgehoben werden „die alien Kunstwerken gemeinsamen, 
typischen Vorstellungsmomente". Allein was fur Vorstellungsmomente 
sollten denn alien Kunstwerken gemeinsam sein, da doch der Begriff 
Kunstwerk Vorstellungskomplexe aller Sinnesgebiete zu Oegenstanden 
hat? Denn Kunstwerke sind sowohl Kirchen, d. h. Komplexe von 
Oesichts- und Tastempfindungen, wie Symphonien, d. h. Komplexe 
von Schallempfindungen. Welche vorstellbaren Elemente konnten 
aber diesen zwei Arten von Empfindungskomplexen gemeinsam sein? 
Wie kann die Aufmerksamkeit aus einem Komplex von Schallemp- 
findungen etwas anderes als Schallempfindungen, aus einem Komplex 
von Oesichts- und Tastempfindungen etwas anderes als Oesichts- und 
186 NOOLOGIE 
Tastempfindungen herausheben? Doch um die Unhaltbarkeit dieses 
Standpunktes einzusehen, geniigt die Betrachtung von weit weniger 
komplizierten Verhaltnissen. Denken wir z. B. an einen einfachen 
Stimmgabelton. Ein solcher laBt sich auffassen als eine bestimmte 
Tonhdhe und als eine bestimmte Tonstirke. Hat es nun einen 
Sinn, zu sagen, daB wir diese Elemente als Elemente des Tones 
durch eine Konzentration der Aufmerksamkeit aus ihm herausheben 
kdnnen? FOr mich nicht Ein solcher Ton ist ja ein vollkommen 
einfacher Empfindungsinhalt. Er ermangelt aller Telle und damit 
auch aller Richtpunkte, auf die sich die Aufmerksamkeit verteilen 
kdnnte. Was sollte man denn an ihm beachten, was vemachlassigen 
kdnnen, da doch nichts gegeben ist als Eine vdllig homogene Emp- 
findung? Oder denken wir an eine gleichmaBig gefirbte griine 
FlSche. Eine solche kdnnen wir auffassen als griine und auch als 
farbig. Konnen wir nun als Elemente dieser grQnen Flache 
durch eine Konzentration der Aufmerksamkeit die OrOnheit oder die 
Farbigkeit herausheben? Wir k5nnen natQrlich einer beliebigen Stelle 
der gegebenen FlSche unsere Aufmerksamkeit zuwenden, — raumliche 
Telle sind ja reelle Telle. Allein jede solche Stelle ist so wo hi grun 
als farbig. Was jedoch die Aufmerksamkeit, ohne ihren Blickpunkt 
riumlich zu verrflcken, an Einer g^ebenen Stelle der griinen FlSche 
noch sollte unterscheiden, wie sie an diesem durchaus einfachen Emp- 
findungsinhalt noch sollte Elemente aufspQren kdnnen, an die sie 
sich ungleichmiBig zu verteilen vermdchte — dies ist mir ganzlich 
unerfindlich. Naturlich: irgendeine Verschiedenheit unseres Be- 
wuBtseinszustandes muB vorhanden sein, wenn wir diesen 
EmpfindungsinhaU einmal als grimy ein andermal als farbig be- 
zeichnen. Was wir bestreiten, ist nur, daB dieser Verschiedenheit 
irgendeine Mannigfaltigkeit an dem einfachen Vorstellungs- 
inhalt entspreche. Dies aber scheint uns in der Tat unmoglich: 
an einem einfachen Ton, einer einfachen Farbe usw. ist nichts 
mehr zu unterscheiden und darum auch nichts mehr zu beachten 
und herauszuheben. LaBt sich daher auch noch ein solcher ein- 
facher Empfindungsinhalt durch mehrere und verschiedene Aussage- 
inhalte auffassen, so kdnnen diese Aussageinhalte nicht in jenen 
Vorstellungsinhalten enthalten sein, sondem mussen als eine ganz 
andere Art von psychischen Elementen sich dem BewuBtsein dar- 
stellen: sie kdnnen uns nicht rezeptiv in den Aussagevorstellungen 
g^eben, sondem mussen reaktiv von uns zu diesen hinzugebracht 
werden. 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 187 
4) Erinnem wir uns nun der Lage des Problems. Der Aussage- 
inhalt sollte gefunden werden in den individuellen Vorstellungen der 
Aussagegrundlage. Und doch war unleugbar, daB auch die Gleich- 
heit dieser Vorstellungen mit der Verschiedenheit jenes Inhalts, auch 
die Gleichheit dieses Inhalts mit der Verschiedenheit jener Vorstel- 
lungen vertrSglich ist Man suchte nun diesen Widerspruch auszu- 
gleichen durch die Annahme, nicht die Vorstellung selbst, sondem 
nur gewisse in ihr enthaltene und durch die Aufmerksamkeit aus ihr 
auszusondemde Momente stellten fOr unser BewuBtsein den Aussage- 
inhah dar. Allein auch diese Annahme erwies sich als unhaltbar. 
Kann sonach ein in der Vorstellung selbst gelegenes Merkmal zu ihrer 
logischen Determinierung nicht verwendet werden, so bleibt dem 
Nominalisten nur (ibrig, diese Funktion einem ihr auBerlichen Um- 
stande zuzuweisen. Nicht sofem sie gewisse typische Momente in 
sich enthalt* — wird er jetzt sagen — , stellt die individuelle Vorstellung 
einer beliebigen Aussagegrundlage den Sinn der Aussagelaute ftir das 
BewuBtsein dar, sondem sofem sie zu einer Gmppe von Vorstel- 
lungen gehdrt, deren Gegenstande von den Aussagelauten bezeichnet 
werden. Hore ich z. B. das Wort Dreiecky so werde ich mir freilich 
das eine Mai ein spitzwinkliges, das andere Mai ein rechtwinkliges 
Dreieck vorstellen. Allein jede dieser Vorstellungen wird doch zu 
einer und derselben Gmppe von Vorstellungen gehoren, nSmlich zu 
der Gesamtheit aller Vorstellungen von Dreiecken Qberhaupt, und diese 
Zugehorigkeit wird demnach jenes gemeinsame Moment an beiden Vor- 
stellungen sein, das dem identischen Sinne des Wortes Dreieck entspricht. 
Andererseits kann es allerdings geschehen, daB ich mir den Dom von 
Pisa vorstelle, sowohl wenn ich das Wort Kunstwerkj als auch wenn ich 
das Wort Kirche hore. Diese Vorstellung gehort indes eben auch 
zu zwei ganz verschiedenen Gmppen von Vorstellungen, von denen 
die Eine alle Vorstellungen von Kunstwerken, die andere alle Vor- 
stellungen von Kirchen umfaBt Da sich nun diese Vorstellung mit 
dem Worte Kunstwerk nur verknupft, sofem sie zu der Einen, mit 
dem Worte Kirche nur, sofem sie zu der anderen dieser Gmppen 
gehdrt, und da nur diese Zugehdrigkeit zu einer Vorstellungsgmppe 
dasjenige ist, was einer Vorstellung ihre logische Bedeutsamkeit ver- 
leiht, so wird auch in dem vorausgesetzten Falle der Sinn der Worte 
Kunstwerk und Kirche ein durchaus verschiedener bleiben. Der Aus- 
sageinhalt besteht somit in der Zugehdrigkeit einer beliebigen 
Aussag^^ndlage zu einer Gmppe solcher Aussagegmndlagen, welche 
alle durch dieselben Aussagelaute bezeichnet werden, resp. in der Zu- 
188 NOOLOGIE 
gehdrigkeit einer beliebigen individudlen Vorstellung zu einer Gruppe 
solcher individueller Vorstellungen, welche alle mit der Vorstellung 
derselben Aussagelaute assoziativ verknQpft sind. Die Moglichkeit, 
Eine Aussag^^ndlage durch verschiedene Aussageinhalte aufzu- 
fassetiy ist nichts anderes als die Moglichkeit, dieselbe Aussage- 
grundlage mit anderen Aussagegnindlagen zu verschiedenen Oruppen 
zusammenzustellen. Der Sachverhalt verhalt sich zur Tat- 
sache nur wie ein Individuum als Olied einer Oruppe zu demselben 
Individuum schlechthin. Je nachdem die Aussagelaute mit dem Sach- 
verhalt Oder mit der Tatsache in Beziehung gesetzt werden, heiBt diese 
Beziehung Bedeutung oder Bezeichnung. Und die angebliche 
Oegenst^ndlichkeit der Aussage hat keinen anderen Sinn als den, 
daB verschiedene Aussagelaute zur Bezeichnung derselben Oruppen 
von Aussagegnindlagen verwendet, resp. die Vorstellungen ver- 
schiedener Aussagelaute mit denselben Oruppen von Vorstellungen 
assoziiert werden kdnnen. 
Diese hier in ihren allgemeinsten Umrissen dargestellte Ansicht 
bezeichnen wir als extremen Nominalismus. Obwohl sie nam- 
lich zun^chst mit dem Begriffe der Vorstellung noch vielfach operiert, 
hat sie doch in Wahrheit schon darauf verzichtet, den Aussageinhalt 
als Vorstellung zu begreifen, und wird deshalb von ihren eigenen 
Voraussetzungen unaufhaltsam dahin gedrangt, denselben ganzlich zu 
leugnen. Aussageinhalt — dies horten wir ja — ist ihr nicht mehr 
die individuelle Vorstellung, und auch nicht mehr irgendein Tell oder 
Moment dieser Vorstellung, sondern hochstens deren Zugehorigkeit 
zu einer Vorstellungsgruppe. Allein Zugehorigkeit ist nichts Vorstell- 
bares. Wenn daher der Ideolog den Aussageinhalt als Zugehorigkeit 
erkiart, so rSumt er damit im Orunde ein, daB er auBerstande ist, 
die Erste semasiologische Hauptfrage zu beantworten, d. h. den Aus- 
sageinhalt im BewuBtsein aufzuzeigen. Vorerst zwar wird er in 
dieser Richtung noch einige VorstSBe untemehmen. Doch bald wird 
dieses aussichtslose Streben erlahmen. Einer Vorstellung an sich 
selbst kann man ja nicht anmerken, zu welcher Oruppe sie gehdrt 
Soil daher ihre Zugehorigkeit zu einer solchen Oruppe vom BewuBt- 
sein dennoch erfaBt werden, und gibt es eingestandenermaBen keine 
besonderen Zugehorigkeitsvorstellungen, so mQssen notwendig ent- 
weder alle oder doch einige andere Vorstellungen der Oruppe 
an die gegebene Vorstellung sich anschlieBen. Das erstere nun ist 
so absurd, daB ich dieser Ansicht gar nicht Erwahnung tSte, ware sie 
nicht wirklich einmal vertreten worden. Allein jedenfalls bedarf die 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 189 
These, ich konne den „ Faust** nicht als ein Kunstwerk auffassen, ohne 
mir auch alle anderen Kunstwerke vorzustellen, einmal so formuliert, 
keiner besonderen Widerlegung. Dagegen hat die zweite Alternative 
des obigen Dilemmas vielleicht zunSchst einigen Schein fur sich, die 
Meinung namlich, damit ich den „ Faust** als Kunstwerk auffassen 
konne, sei erforderlich, daB ich mich wenigstens flQchtig irgendeines 
anderen Kunstwerks erinnerte. Denn gewiB muB mir von frflher er- 
lebten Kunstwerks-Eindrucken irgend etwas geblieben sein, damit ich 
diesen Begriff jetzt auf einen neuen Gegenstand anwenden kdnne. 
DaB freilich dieses Etwas die komplette Vorstellung eines Kunstwerks 
sei, liegt hierin noch nicht. Und in der Tat wurde diese Annahme 
fiber die Tatsachen um ebensoviel hinausgehen, als sie hinter den 
Erfordernissen des Problems zuruckbliebe. Sie ginge fiber die Tat- 
sachen hinaus; denn die Erfahrung zeigt uns unzShlige begriffliche 
Auffassungen ohne Erinnerung an ein bestimmtes Individuum. DaB 
das, was mir der BrieftrSger in die Hand gibt, ein Brief ist, dies weiB 
ich; doch trotz redlichstem Willen kann ich nicht finden, daB ich, um 
dies zu wissen, an irgendeinen bestimmten anderen Brief zu denken 
brauchte. Ja ich kann mit voller Bestimmtheit sagen, daB in einem 
solchen Moment gerade alle jene Briefe, die hier etwa in Betracht 
kommen kdnnten — z. B. der letzte Brief, den ich fiberhaupt, oder 
der letzte, den ich von dem gleichen Absender erhalten habe — , 
ganzlich auBerhalb meines Gesichtskreises li^en. Ebenso kann ich 
doch gewiB einen bestimmten Eindruck aussagen durch die Sltze 
„Mir ist furchtbar heiB** und „Heute ist ein unangenehmes Wetter**, 
ohne daB ich im ersten Fall an anderes HeiBes, Furchtbares usw., 
im zweiten an anderes Unangenehmes und anderes Wetter zu denken 
brauchte. Die besprochene Ansicht bleibt aber auch hinter den Er- 
fordernissen des Problems zurfick; denn Eine Erinnerung wfirde sehr 
haufig nicht genfigen, um eine eindeutige begriffliche Auffassung zu 
begrfinden. Fasse ich z. B. den „ Faust** als Kunstwerk auf, und fSllt 
mir dabei wirklich einmal auch noch ein anderes Kunstwerk ein, so 
wird dies gewiB eher der „ Hamlet** oder die „Divina Commedia** 
sein als die Sixtinische Madonna oder die 9. Symphonie. Allein 
„ Faust** und „ Hamlet** gehoren nicht nur der Gruppe „ Kunstwerk", 
sondem auch der Gruppe „ Drama**, „ Faust** und „Divina Commedia** 
nicht nur der Gruppe ^Kunstwerk**, sondem auch der Gruppe „Dich- 
tung** an. Diese Begleitvorstellungen wfirden daher gar nicht hin- 
reichen, um dem Begriffe „ Kunstwerk** im Sinne der besprochenen 
Theorie einen eindeutigen Inhalt zu verleihen. DaB ich aber, um den 
m NOOLOGIE 
vFaisr" jis Kanstwerk zu b^;rdfen, just an ein Bild, ein Musikstuck 
(xaer oksk P^bst denken muBte, wird niemand behaupten. 
WJL isber der extreme Nominalismus aufrecht bleiben, so muB er 
Boigerodit (Se Eiste semasiologische Hauptfrage grundsatzlich n^eren : 
er 3nxi3 kngneiv daB der Aussageinhalt sich dem BewuBtsein uber- 
juf irgendeine Weise darstelle, vielmehr behaupten, dasjenige, 
fes den Aiissagdauten ihren Sinn verleiht — namlich die Zugehorig- 
dcr von ihnen bezeichneten Aussag^rundlage resp. der mit ihnen 
ssozoeiten Vorstdlung zu einer bestimmten Oruppe solcher Aussage- 
gnuKflagen resp. Vorstellungen — , sei eine rein auBerliche und ob- 
jektK-e Tatsache, die gar nicht fur das BewuBtsein des Aussagenden, 
sondem aUein fur dasjenige eines unbeteiligten Beobachters besteht 
Nenne ich z. B. einmal ein Gemalde, ein anderes Mai eine Symphonie 
ein Kanstwerkj oder sage ich einmal das Flattem eines Sperlings, das 
andere Mai das Kreisen eines Adlers aus durch den Satz „Dieser Vogel 
fliegt^, so finden sich nach dieser Ansicht in beiden Fallen keine 
and^en gemeinsamen Elemente in meinem BewuBtsein als die gleichen 
Vorstellungen der Wortkl^nge; und nenne ich den Dom von Pisa 
einmal eine Kirdie^ ein andermal ein Kunstwerkj oder sage dieselbe 
Tatsache einmal aus durch den Satz „ Dieser Vogel fliegf*, ein ander- 
mal durch den Satz i,Es bew^ sich etwas"", so sind in beiden Fallen 
nur die Vorstellungen der Wortklinge verschieden. Fur mich, den 
Aussagenden, ist die Gleichheit oder Verschiedenheit der Auffassung 
reduziert auf die Gleichheit oder Verschiedenheit der Bezeichnung\ ein 
gleicher oder verschiedener Sinn entspricht diesen gleichen oder ver- 
schiedenen Bezeichnungen nur fQr denjenigen, der bedenkt, daB jede 
solche Bezeichnung kraft des herrschenden Sprachgebrauches resp. 
der bestehenden assoziativen VerknQpfungen einer ganzen Gruppe 
von Tatsachen angemessen ist, und daB daher durch die Verwendung 
einer derartigen Bezeichnung auch die jedesmal von ihr bezeichnete 
Tatsache in eine solche Gruppe eingereiht wird. Vogelflug und Be- 
wegung z. B. sind an und fflr sich ganz gleichwertige Bezeichnungen 
fOr das Flattem eines Sperlings und haben einen verschiedenen Sinn 
nur insofem, als die erste dasselbe nur mit dem Kreisen eines Adlers, 
die zweite es auch mit dem Fallen eines Steines zusammenstellt Der 
extreme Nominalismus wird sich deshalb so am einfachsten darstellen 
laasen: »Die Aussage hat nur 2 wesentliche Elemente, die Aussage- 
laute und die Aussagegrundlage; somit auch nur Eine wesentliche 
Relation, die der Bezeichnung. Diese Relation verknQpft je Einen 
Komplcx von Aussagelauten mit jedem beliebigen Individuum einer 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 191 
bestimmten Oruppe von Aussag^^ndlagen, und die Zugehorigkeit 
jenes Individuums zu dieser Oruppe macht den sogenannten Aus- 
sageinhalt aus. Insofem namlich viele Individuen zu Einer Oruppe 
gehoren — d. h. durch dieselben Aussagelaute bezeichnet werden — , 
sagt man, sie wurden in gleicher Weise aufgefaBt; sofem jedes 
Individuum zu vielen Oruppen gehSrt — d. h. durch verschiedene 
Aussagelaute bezeichnet wird — , sagt man, es werde in verschiedener 
Weise aufgefaBt* Speziell fflr die O^enstandsbegriffe ergibt sich 
dann folgendes: „An jedem Begriff sind nur zu unterscheiden Name 
und O^enstandi). Ein Name bezeichnet viele Oegenstande; Ein 
Oegenstand wird durch viele Namen bezeichnet Jenes meinen wir, 
wenn wir den Begriff allgemein nennen, denn nur der Name ist all- 
gemein. Dieses meinen wir, wenn wir den O^enstand verschiedenen 
Auffassungen unterliegen lassen, denn nur die Namen sind verschieden. 
Der Begriff hat eben in Wahrheit nur einen Umfang; was man 
seinen In halt nennt, ist nur die Einordnung der Oegenstande in 
diesen Umfang." 
In dieser seiner urwuchsigen Form wird der Nominalismus freilich 
heute nicht mehr viele Anhanger finden. Auch w3re er in dieser 
Form leicht zu widerlegen. Schon durch den Hinweis auf die Tat- 
sache, daB es auch umfangsgleiche Begriffe verschiedenen Inhalts 
gibt, wie z. B. gleichseitiges Dreieck und gleichwinkliges Dreieck. Vor 
allem jedoch durch die Frage, wie denn neu auftauchende Oegenstande 
unter Begriffe gebracht werden? Entdeckt z. B. ein Botaniker eine 
neue Species^ ja lemt er auch nur ein neues Individium einer schon 
bekannten Species kennen, so besteht ja hier noch gar keine asso- 
ziative Verknupfung zwischen der Vorstellung von diesem neuen 
Individuum und der Vorstellung irgendeines Namens, und kein 
herrschender Sprachgebrauch, welcher die Bezeichnungsweisen des 
neuen Individuums festsetete. Bezeichnen wir daher das neue Indi- 
viduum ohne weiteres als Blume, Pftanze, Organismus, Korper usw., 
so kann dieser Operation unmoglich die Zugehdrigkeit zu bestehen- 
den und iiberlieferten Oruppen zugrunde liegen, und dies allein 
wurde hinreichen, die ganze Theorie des extremen Nominalismus zu 
vemichten. 
Allein so leicht wird er sich nicht gefangen geben. Vielmehr dQrfte 
der Nominalist jetzt behaupten, die Oruppe der Aussagegrundlagen 
;,Gegenstand" eebrauche ich hier wieder als Bezeichnung fiir jede Tatsache, 
die sich als Qegensumd, d. h. als „Sache" auffassen laBt Denn auch der extreme 
Nominalismus muB notwendig die Verschiedenheit von Tatsache und Sache 
ignorieren. 
192 NCXDLOGIE 
werde ja nicht nur auBerlich zusammengehalten durch das Band der 
gemeinsamen Bezeichnung, sondem auch innerlich durch das Band 
der Aehnlichkeit Tauche daher ein neues Individuum auf, so 
werde es nach seiner Aehnlichkeit mit den Oliedern der schon be- 
stehenden Oruppen in diese eingeordnet werden. Allerdings gebe es 
umfangsgleiche Begriffe verschiedenen Inhalts. AUein dies beruhe 
eben darauf, daB die Glieder einer solchen Oruppe einander in mehr- 
facherHinsicht Shnlich seien, so daB sie in Wahrheit zwei Gruppen 
darstellten. Die Gruppe der gleichseitigen und gleichwinkligen Dreiecke 
z. B. lasse sich aufldsen in Eine Gruppe, die alle gleichseitigen 
Dreiecke, und in eine andere, freilich aus denselben Individuen be- 
stehende Gruppe, die alle gleichwinkligen Dreiecke umfasse. 
Indes ist hiedurch nur scheinbar etwas gewonnen. Denn die Aehn- 
lichkeit der Aussagegrundlagen vermdchte den Aussageinhalt nur dann 
zu ersetzen, wenn ihr Fundament in den einzelnen ahnlichen Individuen 
aufgezeigt und im BewuBtsein des Aussagenden erfaBt werden konnte. 
Beides vermag jedoch der Nominalismus nicht zuzugeben, dem viel- 
mehr jene Aehnlichkeit eine irreduzible und dem BewuBtsein SuBerliche 
Tatsache bleibt WQBte er z. B. anzugeben, welches Moment an 
dem Dom von Pisa seine Aehnlichkeit mit einer Symphonic b^^ndet, 
dann hatte er damit auch schon diesen Gegenstand in intelligible 
Telle zerlegt Es ware dann selbstverst^ndlich, daB in dem BewuBt- 
sein von diesem Moment sich eben auch der Begriffsinhalt Kunstwerk 
als psychisches Datum offenbart. Dann wire aber der Name Kunst- 
werk nicht mehr bloB deshalb ein allgemeiner Name, well er zahlreiche 
einander Shnliche G^enstande bezeichnet, sondem vielmehr deshalb, 
well er jenes Eine, all diesen Gegenstanden gemeinsame Moment, den 
Begriffsinhalt Kunstwerk^ ausdrQckt Solange daher der Nominalismus 
Nominalismus bleibt, wird er nie imstande sein, das Fundament der 
Aehnlichkeit in den einzelnen ahnlichen Individuen nachzuweisen. 
Vielmehr kann er die Aehnlichkeit des Doms von Pisa mit einer 
Symphonic nur feststellen und hinnehmen als eine letzte und jeder 
weiteren Analyse spottende Tatsache, und auch diese Tatsache kann 
er nur verwenden, um zu erklaren, wie die Uebung entstanden 
sein mag, den Dom von Pisa auch durch den Namen Kunstwerk zu 
bezeichnen. Denn daB jene Aehnlichkeit jedesmal dem BewuBtsein 
aktuell gegenwartig sei, so oft ich diese Bezeichnung auf den Dom 
von Pisa anwende, diese Behauptung verwehrt ihm die Erfahrung. 
Hiemit ist das Problem der Bedeutung auf das der Form reduziert, 
wie wir es schon friiher (§ 31. 6—8) kennen lemten. Wir sahen 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 103 
damals : die Ideologie gelangt schlieBlich folgerecht zu der These, von 
S die Form (p aussagen bedeute im Orunde nur, von S aussagen, 
daB es an V erinnere; Kopfschmerz z. B. heiBe nach dieser Ansicht 
nur darum unangenehnij weil er an Zahnschmerz erinnere, usf. Eben- 
so heiBt jetzt fur den Nominalismus, eine Aussagegrundlage durch 
einen Aussageinhalt auffassen, letztiich nur, feststellen, daB diese Aus- 
sag^^ndlage an eine andere erinnert, ihr ahnlich ist Verbinde ich 
z. B. zwei Oedanken durch das Wort trotzdem^ so kann der extreme 
Nominalist nur erklaren, es sei eben das Verhaltnis dieser zwei Oe- 
danken ahnlich dem Verhaltnis zweier anderer Oedanken, und nur die 
Zugehorigkeit zu der durch diese Aehnlichkeit verbundenen Oruppe 
von Oedankenpaaren bedeute das Wort trotzdem. Was fQr ein 
Verhaltnis dies dagegen sei, worin denn diese Aehnlichkeit bestehe, 
was daher das Wort trotzdem eigentlich ausdrOcke — dies seien un- 
losbare und deshalb verkehrte Fragen. Allein wie wir schon damals 
sagten, diese Betrachtungsweise durfte folgerecht nicht auf die Formen 
beschrankt, sondem muBte auch auf die Inhalte ausgedehnt werden, 
und dann trete grell ihre Absurditat hervor, so gilt nun dasselbe auch 
fur unsere Frage. Wir bezeichnen z. B. mit dem Worte Blau eine 
groBe Zahi von Inhalten sinnlicher Empfindung. Der extreme No- 
minalismus kann diese Tatsache nur folgendermaBen erkliren. Jene 
Empfindungsinhalte weisen eine gewisse Aehnlichkeit miteinander auf. 
Diese gibt dazu den AnlaB, sie samtlich durch das Wort Blau zu 
bezeichnen. Folge ich nun diesem Sprachgebrauche und bezeichne 
dnen dieser Empfindungsinhalte als blauy so ist dies lediglich eine 
der moglichen Weisen, uberhaupt von ihm zu reden. Diese Rede- 
weise hat einen logischen Sinn nur insofem, als sie darauf hinweist, 
daB der Empfindungsinhalt, von dem ich rede, zu einer Oruppe von 
Empfindungsinhalten gehoil, die untereinander eine gewisse Aehnlich- 
keit zeigen und deshalb sSmtlich durch das Eine Wort Blau bezeichnet 
werden. Davon, daB diese Empfindungsinhalte einander desw^en 
Hhnlich sind, weil sie alle blau sind, und daB ich jeden von ihnen 
darum, dann und insofem blau nenne, weil, wenn und insofem er 
mir die Empfindung Blau verschafft — kommt in dieser Erkiamng 
nichts vor. Damit aber richtet sie sich in den Augen jedes Unbe- 
fangenen wohl selbst 
5) Der Versuch, die Entwickdung des Nominalismus geschichtlich darzu- 
stdlen, b^^^net einer eigentumlichen Schwierigkeit G^enuber dem 
Platonischen Realismus haben sich namlich alle andem Richtungen lange 
Zeit solidarisch gefuhh: es wird gar oft nur die Subjektivitat der Univer- 
Oomperz, WeltansduumngBlehre II 1 13 
194 NOOLOGIE 
salien betont, ohne daB wir mit Sicherheit zu beurtellen vennochten, ob die 
Ansicht des betreffenden Autors ideologisch oder kritizistisch ist Insbe- 
sondere im Mlttelalter treten haufig Wendungen der Rede und des Gedankens, 
die einetn nominalistischen Zusammenhange zu entstammen scheinen, im 
Gefolge durchaus nicht nominalistischer Lehren auf. Doch auch schon im 
Altertume findet gelegentlich Aehnliches statt 
So berichtet uns Ammonius*), Antisthenes habe „den Gattungen und 
Arten nur ein Sein im Denken'' (Iv ^tXaZ<: l7civolai<;) zugestanden, indem er 
betnerkte: „Das Pferd sehe ich, die Pferdheit nicht" Hieraus allein nun 
kdnnte man gar nicht schlieBen, ob die Kyniker den Aussageinhalt mit an- 
schaulichen Vorstellungen oder mit besonderen Denkakten gleichgesetzt haben. 
Nur daraus vielmehr, daB als ein zweites Beispid eines solchen „bIoB in 
Gedanken" Seienden der Centaur angefuhrt wird 2), den wir auf Grund der 
Anschauung (*saaa|jLevot) von Menschen und Pferden fingieren (avaTcXdCstv) 
sollen, scheint hervorzugehen, daB es sich hiebei um eine nominalistische 
Ansicht handelt, die nun freilich immer noch einen mehr gemaBigten oder 
mehr konzeptualistischen Charakter gehabt haben kann. Andererseits geht 
auch im Mittelalter der gemaBigte Nominalismus nur sehr langsam aus den 
herrschenden kritizistischen Ansichten hervor. Und zwar lassen sich hier 
zwei getrennte Entwickdungslinien unterscheiden, auf deren einer die be- 
griffliche Auffassung zu einer Leistung der Aufmerksamkeit, und auf deren 
anderer der Verstandesbegriff zu einer anschaulichen Vorstellung wird. Jene 
ist die altere und setzt schon im 12. Jahrhundert ein mit der an sich ge- 
wiB noch nicht nominalistischen Lehre des Walter von Mortaqne^), das 
Universale sei nur ein anderer „Zustand" (status) des Individuums, indem 
z. B. „PIato ein Individuum sei, sofem er Plato, eine Art, sofem er Mensch, 
eine untergeordnete Gattung, sofem er Tier, und eine hochste Gattung, 
sofem er Substanz sei". Hieran schHeBt sich die sogenannte Indifferenz- 
lehre des Adelard von Bath und anderer Autoren, die ihren Namen 
davon hat, daB ihr zufolge das Universale nicht an sich selbst existiert, 
sondem nur in gleicher Weise (indifferenter) den einzelnen Individuen zu- 
kommt*). Hier finden wir nun zuerst die Behauptung, das Universale 
unterscheide sich vom Individuum nur dadurch, daB es in anderer Hinsicht 
(respectu diverse) aufgefaBt, anders betrachtet (aliter intuentes), von der Auf- 
merksamkeit in anderer Weise beachtet (aliter attentum) werde, kurz daB 
das Erfassen des Allgemeinen nur in einer solchen Betrachtung (consideratio) 
des Besonderen bestehe, bei welcher die individuellen Eigentumlichkeiten 
vergessen, hintangesetzt oder vemachlassigt wurden (obliti, postposita, 
relicta)^) — eine Auffassung, der sich dann im 13. Jahrhundert auch der 
Thomist Aeqvdius von Colonna angeschlossen hat 6). Auf der anderen 
Seite zeigt sich schon bei Wilhelm von Occam eine gewisse Tendenz, 
In Porph. Isagog. S. 40. 6 (BussE). «) Ibid. S. 39. 14 (BussE). 3) Prantl IL 
S. 119, Anm. 65. *) Abaelard, Olosulae sup. Porph. (Opp. II, p. 758 f.) *) Prantl 
II, S. 139-141, Anm. 133, 134, 137 u. 141. ») Prantl ill, S. 262, Anm. 379. 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 195 
die species intelligibUis in eine anschauliche Einzelvorstellung (idolum, fichun, 
simulacrum, phantasma, imago) oder wenigstens in eine Disposition (habitus) 
zur Hervorbringung solcher Einzelvorstellungen ubergehen zu lassen*) — 
wenn auch freilich Occam diese Tendenz schlieBlich uberwindet und das 
Denken in reine Verstandestatigkeiten {actus intelligendi) setzt ^. Bei Greqor 
VON Rimini jedoch wird jener Gedanke wenigstens insofem wieder aufge- 
nommen, als die species intelligibiles Gedachtnisbilder (imagines in memoria 
existentes) sein, sich auf Einzeldinge beziehen und diese vertreten sollen^). 
Pierre d'Ailly endlich*) gebraucht nicht nur fur diese Bilder des Einzelnen 
schon den Kunstausdruck yyVorstellung'' (idea\ sondem grundet auch be- 
reits die Verbindung zwischen Namen und Gegenstand auf eine Asso- 
ziation der Ideen, indem er bemerkt: „Infolge der Gewohnheit besteht 
eine gewisse Verbindung (colligantia) und Wechselbegleitung zwischen 
dem naturlichen Begriffe vom Menschen und dem Begriffe des Wortes 
Mensch. Und deshalb wird, sobald der Eine B^ff durch seinen Gegen- 
stand erregt, namlich das Wort Mensch gehort wird, alsbald auch der 
andere B^ff, d. i. das naturliche Bild des Menschen, erregt" So hat 
denn schon das Mittelalter alle jene gedankHchen Elemente erzeugt, durch 
deren Verbindung dann Berkeley den gemaBigten Nominalistnus b^^riinden 
konnte. Seine Darstellung tragt, wie alles, was dieser machtige Geist hervor- 
gebracht hat, den Stempel der genialen Einfachheit. „Ein Wort wird all- 
gemein, indem man es zum Zeichen macht — nicht fur Eine abstrakte 
allgemeine Vorstellung, sondem fur zahlreiche besondere Vorstellungen ; es 
regt namlich den Geist an, irgendeine dieser Vorstellungen — gleichgiiHig 
welche — zu bilden" (any one of which it indifferently suggests to the 
mind's), Wodurch unterscheidet sich nun dieselbe Vorstellung als Re- 
prasentantin Eines Begriffs von derselben Vorstellung als Reprasentantin 
eines andem B^jiffs? „Es muB zugestanden werden, daB es moglich ist, 
eine Figur bloB als Dreieck zu betrachten: ohne auf die besonderen 
Eigentumlichkeiten der Winkel oder des Verhaltnisses der Seiten zu achten. 
In diesem Sinne gibt es eine Abstraktion. Allein dies beweist 
nicht, daB wir eine abstrakte, allgemeine, innerlich widersprechende Vor- 
stellung eines Dreiecks bilden kdnnten. Ebenso konnen wir Peter be- 
trachten insofem er ein Mensch oder insofem er ein Lebewesen ist, ohne 
die erwahnte abstrakte Vorstellung eines Menschen oder eines Lebewesens 
zu bilden: indem wir namlich nicht alles, was wir vorstellen, beachten"*). 
Aber ist es denn wahr, daB wir mit alien Worten stets anschauliche Vor- 
stellungen verbinden? Nein, erwidert Berkeley; doch steht dies mit der 
g^;ebenen Erklamng nicht im Widerspmche. Denn „ein biBchen Aufmerk- 
samkeit wird davon uberzeugen, wie wenig es — sdbst in den strengsten 
») Prantl hi, S. 335 ff., Anm. 758, 750, 76Z «) Prantl III, S. 335, Anm. 757, 
u. S. 338, Anm. 768. 3) Prantl IV, S. 10 f., Anm. 35-30. *) Prantl IV. S. 105, 
Anm. 437, 438. ^) Principles of human knowledge, Introd. 11—12 (WW. I, S. 244f.). 
Man beachte ubngens den Anklang an die IndimremAjthre^ des Mittelalters. ^) Ibid. 
16 (WW. I, S. 240). 
13» 
196 NOOLOGIE 
Oedankengangen — notwendig ist, daB bedeutungsvolle Namen, die Vor- 
stellungen vertreten, auch jedesmal, wenn sie gebraucht werden, in dem 
Verstande die Vorstellungen , welche sie vertreten, erregen. Beim Lesen 
und Sprechen gebrauchen wir die Worte meist so wie die Buchstaben in 
der Algebra, wo zwar jeder Buchstabe eine bestimmte OroBe vertritt, wo 
es jedoch trotzdem zum richtigen Fortgange nicht erforderlich ist, daB dich 
bei jedem Schritte der Rechnung jeder Buchstabe an jene bestimmte GroB^ 
erinnere, die er zu vertreten berufen ist" Ja sogar „die Affekte Furcht, 
Liebe, HaB, Bewunderung, Verachtung u. dgl. entstehen im Geiste unmittel- 
bar durch die Wahmehmung gewisser Worte, ohne die Dazwischenkunfl 
irgendwdcher Vorstellungen. Urspriinglich freilich mdgen die Worte zui 
Hervorbringung dieser Gemutsbewegungoi geeignete Vorstellungen veran- 
laBt haben"; allein die Gewohnheit wird zur Folge haben, daB diese Vor- 
stellungen aus der Assoziationsreihe „ganz ausgelassen" werden. „K6nnen 
wir z. B. nicht durch das Versprechen von etwas Gutem in Erregung ge- 
raten, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was es ist? Und genugl 
nicht die Drohung mit einer Gefahr^ um Angst zu erzeugen, obwohl wir 
weder an irgendein bestimmtes Uebel denken, das uns leicht zustoBen 
konnte, noch die Vorstellung einer Gefahr im allgemeinen bilden"')? Hief 
scheint mir freilich Berkeley sich selbst widerlegt zu haben: seine Beob- 
achtung ist ebenso richtig als seine Deutung unhaltbar. GewiB wird midi 
die Ankundigung „einer Gefahr^' erschrecken, ohne daB ich mir diese Ge- 
fahr vorstellen konnte; allein ebenso gewiB ist es nicht der bloBe Wort- 
klang Gefahr, der diese Wirkung hervorbringt Fasse ich diesen Wort- 
klang bloB als einen sinnlosen Schall auf — und dies ist moglich — , sc 
laBt er mich vollkommen kiihl. Nur der verstandene Wortklang hal 
jene Wirkung. Darin liegt jedoch, daB ein Wort verstanden werden kann 
ohne Vorstellungen zu erregen. 
Die angefuhrten Gedanken Berkeleys, insbesondere seine Erklarung da 
Abstraktion als Konzentration der Aufmerksamkeit auf gewisse, und Ab 
wendung derselben von gewisseh anderen Momenten einer individudler 
Vorstellung, sind seither ungezahlte Male wiederholt worden. Ich erwahn< 
hier zum Bdeg nur die Ausfuhrungen von Hamilton 2), J. St. Mill 3) 
RiBOT*), Lippss) und HOfler*). Die Frage, wie es moglich sein sollc 
an einer einfachen Vorstdlung noch verschiedene Momente zu unterschdden 
an die dann die Aufmerksamkeit ungleichmaBig verteilt werden konnte, ha 
sich keiner dieser Autoren gestdlt Ich weiB auch nicht, wie man sie be 
antworten wollte. Etwa durch die Behauptung, jene Vorstellungen sda 
gar nicht einfach, sondem nur Erzeugnisse einer unloslichen Asso 
ziation — eine Auskunft, mit der ja besonders J. Mill 7) und J. Si 
Mill 8) so oft operieren? Der Vollstandigkeit halber sei auch auf sie nod 
Ibid. 19-20 (WW. I, S. 251 f.). ^) Lectures II, S. 287 L und III, S. 132 
3) Exam, S. 377 ff.; Anal. I, S. 290. *) Id. g^n. S. 3ff. ») e. u. R. S. 33ff. •) Logi 
S. 23. 7) Anal. I, S. 93 ff. ^) Exam. S. mff. ' ^ 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 197 
mit Einem Worte dngegangen. Ich muB allerdings gestehen, daB ich uber- 
haupt nicht imstande ware, mit der Behauptung dnen Sinn zu verbinden, 
unsere Tonempfindungen etwa seien entstanden durch Assoziation isolierter 
Tonhohen, Tonstarken und Klangfarben, d. h. es sei mdglich, eine Ton- 
starke zu erieben, die nicht die Tonstarke eines bestimmten, auch seiner 
Hdhe und Klangfarbe nach bestimmten Tones ware. Es ware dies ja nicht 
anders, als wollte jemand behaupten, der Mensch entstehe, indem sich seine 
GroBe, seine Breite und seine Dicke miteinander verbanden. Denn eine 
Tonstarke, die nicht die Starke eines bestimmten Tones ist, scheint mir eben- 
sowenig existieren zu konnen als eine MenschengrdBe, die nicht die GrdBe 
eines bestimmten Menschen ware. AUein noch mehr! J. St. Mill selbst 
fiihrt als das Kriterium fur die Unldslichkeit einer Assoziation unsere Un- 
fahigkeit an, ein psychisches Element durch bloBe Konzentration der Auf- 
merksamkeit in dnfachere Elemente aufzulosen. Hier dag^en soil doch 
gerade durch eine Konzentration der Aufmerksamkeit die Unterscheidung 
der intelligiblen Telle zustande kommen. GewiB ist daher die erwahnte 
Schwierigkeit auch auf diesem Wege nicht zu heben. 
Hume hat diese Schwierigkeit gesehen und ist von ihr in den extremen 
Nominalismus hinubergedr§ngt worden. Gel^:entlich zwar behauptet er 
gleichfalls, jede ,,abstrakte Vorstellung^ sei ,,nichts anderes als eine besondere 
Vorstellung, in einem gewissen Lichte betrachtet" ^), Allein er ist sich darOber 
klar, daB diese eigentumliche Betrachtungsweise nicht ein Herausheben ge- 
wisser Merkmale sein kann, well sie sich auch auf einfache Empfindungen 
anwenden laBt Er sagt ^, Blau und Grun seien einander ahnlicher als Blau 
und Rot, „obwohl die vollkommene Einfachheit*' dieser Empfindungen „jede 
Moglichkeit der Trennung und Unterscheidung ausschlieBt^. Ja alle ein- 
fachen Vorstdlungen als solche sden einander gerade wegen ihrer Einfach- 
heit ahnlich, obwohl sie ex definitione kein trennbares oder unterscheidbares 
Moment enthalten konnten. Wodurch unterscheidet sich nun eine Griin- 
empfindung, als Orunempfindung betrachtet, von derselben Grunempfindung, 
als einfache VorsteUung betrachtet? Hier bleibt nur die Antwort fibrig: sie 
unterscheiden sich dadurch, daB die Grfinempfindung im ersten Falle bloB 
andere Grunempfindungen, im zweiten dag^;en auch andere einfache Vor- 
stellungen assoziativ erweckt Hume geht nun freilich nicht so weit wie 
J. Mill, der die ungeheuerlidie Behauptung aufstellt, zum Verstandnis des 
Wortes Mensch sei erforderlich, daB dassdbe „die Vorstellungen einer un- 
begrenzten Zahl von Individuen hervorrufe**, nicht nur aller bekannten, 
sondem auch aller unbekannten Menschen, wodurch denn diese Vorstd- 
lung „offenbar sehr zusammengesetzt und deshalb auch sehr undeutlich 
werde"3). Hume meint vidmehr, durch die Verwendung derselben Be- 
») Treatise II. 3 (I, S. 341). 2) Treatise I. 7 (I, S. 325 ff.). 3) Anal. I, S. 265. 
Eine Mildening dieses Standpunktes ist es, wenn neuerdings St5hr (Log. S. 1 ff.) 
den Begriff als einen „Vorgang** erklart, namlich als jenen hrpischen Verlauf der 
Vorstellungsreproduktion, bei dem von einem „Begriffszenfriim" aus eine un- 
198 NOOLOGIE 
zeichnung fur viele einzdne, einander ahnliche Vorstellungen entstehe eine 
Gewohnheit, diese Vorstellungen der Reihe nach zu uberschauen. Werde 
nun das betreffende Wort wieder einmal gehort, so ,^i es freilich nicht 
imstande, die Vorstellung aller dieser Individuen wieder zu beleben, sondem 
beruhre sozusagen bloB die Seele und belebe jene Gewohnheit wieder"'. 
Die individuellen Vorstellungen seien somit nicht aktuell, sondem bloB 
potentiell dem Geiste g^enwartig; wir stellten jene Individuen nicht wirk- 
iich vor, sondem seien nur darauf vorbereitet, sie zu uberschauen. „Das 
Wort erregt eine individuelle Vorstellung, zusammen mit einer gewissen 
Gewohnheit" Wurden daher verschiedene Begriffe durch dieselbe Vor- 
stellung vertreten, z. B. die Begriffe Figur, geradlinige Figur, regelmafiige 
Figur, Dreieck, gkichseitiges Dreieck durch die Eine Vorstellung eines gleich- 
seitigen Dreiecks, so sei der Unterschied ihrer Bedeutung nur darin be- 
grundet, daB diese Vorstellung in jedem der angefuhrten Falle von einer 
anderen „besonderen Gewohnheit** begleitet werde. Diese absonderliche 
Theorie oszilliert, wie man sieht, zwischen den Postulaten der Logik und 
den Tatsachen der Erfahrung bestandig hin und her: diese verbieten es, 
zum Verstandnis eines Ausdrucks eine Vielheit von Vorstellungen fur un- 
erlaBlich zu halten; jene widerstreben der Annahme, daB verschiedenen Be- 
griffen gleiche BewuBtseinszustande entsprechen konnten. So zwischen 
Scylla und Charybdis schwebend, ist Hume auf den Gedanken verfallen, 
eine „Gewohnheit** fur ein psychisches Datum auszugeben. AUein die Un- 
zulassigkeit dieser Auskunft liegt auf der Hand. Meine Gewohnheit, vor- 
zustellen, ist ebensowenig eine Vorstellung, wie meine Gewohnheit, mich 
zu waschen, eine Waschung ist Nur wenn die Gewohnheit, auch wo sie 
nicht ausgeubt wird, durch ein besonderes psychisches Element reprasentiert 
wurde, wire sie ein Datum des BewuBtseins. Diese Lucke der HuMEschen 
Theorie hat, wie es scheint, Corneuus auszufullen untemommen und zu 
diesem Behufe behauptet^), die „rudimentare Assoziation**, um die es sich 
bestimmte Mehrheit von Individualvorstellungen assoziativ erweckt werde. jedocfa 
so, daB der Vorstellungsverlauf nach jeder Individualvorstellung zu aer Vor- 
stellung des Begriffszentrums zuruckkehre. Auf diese Art meint namlich St6hr 
den absurden Konsequenzen der J. MiLLschen Ansicht zu entsrehen - denn nacb 
ihm ,.genugen . . zwei Exemplare aus dem Umfange und ein Begriftszentrum . ., 
um die Form im Minimum ihrer Erkennbarkeit zu entwickeln". Als „Begriffs- 
zentrum" aber konne sehr verschiedenes fungieren, z, B. die Vorstellung eines 
Zirkels fur den Bejgriff Krds^ die Vorstellung von Blut fur den Bejmff Rot Schon 
diese Belspiele zeieen nun, daB fur einen und denselben Begrirt das „Begriffs- 
zentrum" nach psycnologischen Zufalligkeiten von Individuum zu Individuum vanierer 
kann (ich z. B. denke nie an einen Zirkel, wenn ich den Beg;riff Kreis denke). 
Ware daher diese Auffassung die wahre, so ware ein interindividueller logischei 
Verkehr unmoglich. Vor allem indes ist es, wie schon oben gezeigt wurde, tat 
sachlich unrichtig, daB wir auch nur zwei Exemplare vorstellen muBten, um einei 
Begriff zu erfasscn, d. h. daB wir kein Individuum unter einen Begnff bringer 
konnten, ohne an ein anderes Individuum derselben Art zu denken — davon gan: 
abgesehen, daB Begriffe auch verstanden werden, ohne daB auch nur ein einugei 
Individuum der betreffenden Art vorgestellt wurde oder auch nur vorgestellt weraei 
konntc. ») Psycholog. S. 218 ff. 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 199 
hier handle — und die ich selbst fruheri) als „ein leises Anklingen der 
ringsum assoziierten B^ffe"' bezeichnet hatte — , beschranke sich auf eine 
^eigentumliche Farbung des BewuBtseinshintergrundes'' und sei zu erldaren 
als ^Gestaltqualitat*' der ^unbemerkten Gedachtnisbilder''. Wir wissen indes 
aus § 31. 2, daB hiemit im Grunde zugestanden wird, es sei das BewuBt- 
sein vom Begriffsinhalt etwas ganz anderes als dne Reihe von Vorstdlungen. 
Denn gewiB wird niemand dasjenige, was etwa dem akustischen Phantasma 
dreier Tone und dem optischen Phantasma dreier Aepfel gemeinsam ist, 
fur einen Vorstellungsinhalt ausgeben wollen. Der Nominalismus uber- 
schreitet daher den ihm durch seine eigenen Voraussetzungen gezogenen 
Rahmen in dem Augenblick, in dem er sidi den Gegebenheiten der Er- 
fahrung anzupassen meint 
Es kommt dazu, daB es, wie wir schon bemerkten und wie u. a. auch 
HussERL^ ausgefiihrt hat, in sehr viden Fallen iiberhaupt keine Phantas- 
men gibt, weldie dem logisdien Inhalte einer Aussage adaquat waren: ein 
deutlicher Beweis dafur, daB das Verstehen dieser Inhalte nicht wesentlidi 
ein Vorstdlen sein kann — mag auch dieses Vorstdlen jenes Verstandnis 
oft bedeutend erleichtem. In dieser Hinsicht sind ungemein belehrend die 
Ergebnisse einer Rundfrage, die Ribot veranstaltet hat, um die psychisdie 
Natur des Verstandnisses abstrakter Ausdrucke zu ermitteln. Diese Ergeb- 
nisse, die er im Auszuge mitteilt^), sind namlich fur den Nominalismus 
geradezu niederschmettemd. Es wurde eine groBe Zahl von Personen dazu 
angeleitet, zu beobachten, weldie Phantasmen in ihrem BewuBtsein das Ver- 
standnis von Worten wie z. B. Gerechtigkeit b^leiteten. Darauf erklarten 
53 o/o dieser Personen, daB sie sich bei derartigen Ausdrucken, auch 
wenn sie diesdben sehr wohl verstunden, absolut nichts vorstdlten 4). 
Auch ist dies sehr begreiflich. Denn die einzigen Phantasmen, die neben 
Wortklang und Schriftbild des abstrakten TentUnus konstatiert wurden, 
waren hochst konkrete Vorstdlungen, z. B. ffir das Wort Gerechtigkeit ein 
Gerichtssaal, ein Henker u. dgl. Es wird aber wohl kaum jemand be- 
haupten, daB der Inhalt des Begriffes Gerechtigkeit in dem Phantasma eines 
Gerichtssaales enthalten sein kdnne. Zum UeberfluB hat die RiBOTsche 
Enquete auch hiefur noch einen besonders schlagenden Beweis gelirfert 
Es sagten namlich samtliche Zeugen ohne Ausnahme aus, daB sie sich bd 
einem kurzen Satze genau dassdbe vorstdlen wie bei seinem „wichtigsten*' 
Worte, z. B. bei dem Satze „Gerechtigkeit ist eine Tugend" genau dassdbe 
wie bei dem Worte ^Gerechtigkeit" allein^). Und doch ist der logische 
Sinn jenes Satzes von dem dieses Wortes ofifenbar vollkommen verschieden. 
Zu ganz demsdben Ergebnisse haben auch die von Binet mit seinen 
Kindem angestdlten Versuche gefOhrt^). Durchw^ haben diese Kinder 
die anschaulichen Vorstdlungen (images) von den Gedanken {pensies) unter- 
») Pj 
*) Ibid. 
Psych. log. Orundtats. S. 94. ^) Log. Unterss. II, S. 62 f. 3) id. gin. S. 127 ff. 
' S. 145. 5) Ibid. S. 140. •) InteU. S. 81-102, 
200 NOOLOOIE 
schiedetiy und in unzahligen Fallen haben sie bezeugt, dafi sie eine Aus- 
sage voUkommen verstanden, ohne sich dabei irgend etwas vorzustdlen. 
Audi diese von Binet ausfuhrlich wiederg^ebenen Zeugnisse sind daher 
ffir den gemaBigten Nominalismus geradezu vemichtend. Denn sie tun 
aufs neue und, wie mir scheint, unwiderlegiich dar, daB der Aussageinhalt 
sich dem BewuBtsein nie und nimmer als Vorstdlung darstellt 
Aus diesem Grunde wird man sogar jenen allerextremsten Ansichten eine 
gewisse Sympathie entg^genbringen durfen, weldie den Aussageinhalt aus- 
drucklich leugnen, etwaige das Aussprechen oder Horen der Aussagdaute 
b^ldtende Vorstdlungen ffir unwesentliche Nebenumstande erklaren und 
an der Aussage nichts anderes untersdidden als die Aussagdaute und die 
Aussag^grundlage, am B^friff nidits anderes als Namen und G^enstand. 
^in Wort als Zeidien fur vide Dinge — viele W6rter als Zddien fur 
Ein Ding. Nur in dieser Bezeidmungsfunktion besteht der Sinn dues 
NamenSy der Inhalt eines B^[riffes. Audi Wahr und Falsdi drudcen nur 
die riditige und unrichtige Verwendung von Worten aus.^ Als Vertrder 
dieser Ansidit, deren Unhal&arkeit oben sdion dargetan wurde, haben wir 
in § 47. 9 Upavarshai), Epikur^ und Roscelun^) kennen gdemt 
Ihnen rdht sidi Hobbes an durdi sdne Lehre^), allgemein sd allein der 
Name, der alle ahnlidien Individuen einer Art bezeichne; nur sekundar 
trete dabd audi die Vorstdlung eines bdiebigen einzdnen Individuums ins 
BewuBtsdn; ,,die Wahrheit betrifft die Rede, nicht die Sadie'' ^^ Dodi audi 
J. Mill steh^ trotz mandiem psydiologisdien Bdwerk, im Grunde auf 
diesem Standpunkt 6). 
§54 
FQr den Kritizismus ist der Aussageinhalt AeuBerung oder 
Erzeugnis dnes besonderen, vom VorstellungsvermSgen verschiedenen, 
ffir alle denkenden Wesen gleichen Denkvermdgens, des In telle kts. 
Wir bezeichnen diesen Standpunkt als den des semasiologischen 
Rationalismus. 
Dersdbe vermag in der Tat die Zwdte, Dritte und Vierte sema- 
siologische Hauptfrage befriedigend zu erledigen — unter der Voraus- 
setzung, daB er auch auf die Erste jener Hauptfragen eine zufrieden- 
stellende Antwort erteilen kann. Allein eben diese Voraussetzung 
wird durch den kritizistischen Grundwiderspruch als un- 
haltbar erwiesen. 
ERJLAUTERUNO 
1) Wenn der Aussageinhalt weder durch eine intdlektuale An- 
schauung erfaBt noch in den Aussagegrundlage-Vorstellungen uns ge- 
») Deussen, Sutra's, S. 173 ff. ^ Frg. 259 (Usener). 3) Prantl II. S. 1% 
Anm. 319; S. 122f., Anm. 77 u. 81. *) De corp, 1. 2. 9 (Opp. Ut 1, p. 17f.). «) ibid. I. 
3. 7 (Opp. Ut 1, p. 31 f.). «) Anal. I, S. 2d8ff. 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 201 
geben wird, so kann er uberhaupt nicht rezeptiv von uns erfahren, 
sondem muB reaktiv von uns zu den anderen Elementen der Aussage 
hinzugebracht werden. Nirgends scheint nun die allgemeine Voraus- 
setzung des Kritizismus, solche subjektive Zutaten vollzogen sich als 
spezifisch intellektuelle Operationen, mehr am Platz als hier. Das Er- 
fassen der Aussagen in ihrer logischen Bedeutung ist ja das eigen- 
tumliche Oesch&ft des Denkens. Wenn wir also sonst wohl gegen 
den Kritizismus einwenden konnten und muBten, ihm zufolge wurde 
da ein Operieren mit Begriffen erfordert, wo in Wahrheit nur ein 
schlichtes Erleben sich aufzeigen lieBe, so versagt dieser Einwand 
sicherlich gegenuber der Behauptung, das logische Denken vollziehe 
sich in spezifischen Verstandestatigkeiten. Diese Behauptung scheint 
ja kaum mehr zu sein als eine Tautologie. Jedenfalls ist die kritizistische 
Auffassung des Logischen die meistverbreitete, ja nicht nur in der 
Wissenschafty sondem auch im Leben die herrschende. DaB Denken, 
Wissen, Erkennen etwas anderes sei, nicht nur als Sehen, Wahmehmen, 
VorsteUen^ sondem auch als FUhlen, Wunschen, Wollen — dies gilt 
fur den „naiven Oebildeten'' unserer Zeit als eine ziemlich selbstver- 
standliche Annahme, und ihr entspricht es, wenn auch die korrelaten 
„Vermdgen'' ebenso allgemein auseinandergehalten, demnach Verstand 
und Vemunft nicht weniger scharf von Anschauung und Phantasie 
als von Qemut und Charakter unterschieden werden. Insbesondere 
stellt man sich vor, daB die genannten Denkvermogen, die wir zu- 
sammenfassend als Intellekt bezeichnen wollen, sich in gewissen 
Tdtigkeiten SuBem, namlich vor allem im Begriffebilden, Urteilen und 
Schliefien^ und daB durch diese Tatigkeiten dann gewisse logische 
Oebilde erzeugt wurden, namlich die Begriffei), Urteile und 
SchlQsse. Diese Ansicht nun, welche den Aussageinhalt in Oestalt 
von intellektuellen Operationen und deren Produkten im BewuBtsein 
aufzeigen mdchte, bezeichnen wir als Rationalism us. 
Die Antwort dieser Lehre auf unsere Erste Hauptfrage scheint zu- 
nichst sehr befriedigend auszufallen. Denn wamm soUten die intel- 
lektuellen Tatigkeiten und Erzeugnisse nicht unmittelbar im BewuBt- 
sein erlebt werden? Das subjektive Denken ist ja wirklich durch ein 
TatigkeitsbewuBtsein charakterisiert, und auch die Begriffe, Urteile 
und SchlQsse selbst scheinen sich als psychische Daten darzustellen, 
da wir ihren Sinn verstandnisvoll erfassen konnen. Die Tatsache des 
Der Baffin diesem Sinne deckt sich naturlich mit dem, was wir den Be- 
griffsinhaU nennen, da wir die Aussagelaute zur Aussage, somit auch den Namen 
zum Begriffe rechnen. 
202 NOOLOGIE 
logischen Verkehrs femer l§Bt sich von diesem Standpunkte aus dn- 
fach durch die Annahme erklaren, die intelleiduellen Fahigkeiten der 
denkenden Individuen seien, wenn nicht dem Grade, so doch der 
Art nach spezifisch gleich. Es steht ja hier nicht so wie bei den 
Vorstellungen, wo auch die grSBte Verschiedenheit der Wahmehmungen 
und Phantasmen die Inhaltsgleichheit der Aussagen nicht ausschlieBt 
Mag immerhin der Satz „Fasse ich diese 2 Einheiten und diese 1 Ein- 
heit zusammen, so erhalte ich 3 Einheiten"" das Eine Mai von optischen 
Vorstellungen und englischen Worten, das andere Mai von akustischen 
Vorstellungen und franzosischen Worten begleitet werden: die Be- 
griffe, welche mit den einzelnen Teilen dieser Aussage sich verbinden, 
und das Urteil, das diese Begriffe in eine gewisse Beziehung zuein- 
ander setzt, konnen desungeachtet in beiden Fallen dieselben sein und 
so den identischen Sinn jenes Satzes fundieren. 
Oibt man dies zu, so laBt sich auch die zweite Hauptfrage in mehr 
Oder weniger befriedigender Weise beantworten. Die Aussage 
wird sich dann von den Aussagelauten dadurch unterscheiden, 
daB diese in ihr mit der intellektuellen Operation des Begriffebildens, 
Urteilens oder SchlieBens verknQpft sind. Was jedoch die G^en- 
standlichkeit der Aussagen anlangt, so wird der Kritizist vor allem 
annehmen, es sei die vollkommene spezifische Oleichheit der 
intellektuellen Produkte, die uns zu der Behauptung ihrer Identitat 
verfuhre. Er kann indes auch darauf hinweisen, daB die gleiche 
intellektuelle Operation sich zu den wechselnden Aussagelauten Shn- 
lich verhalte wie die Totalimpression zu den Qualitaten, und daB 
daher der Sinn einer Aussage gewissermaBen die Substanz der- 
selben sei. Als ultimum refugium bleibt ihm endlich noch die Erklarung 
Qbrig, wir pflegten eben aus irgendwelchen Orunden die Aussagen 
mit besonderer Vorliebe unter den Begriff des Oegenstandes 
zu bringen. 
Noch leichter 15st sich fur den Kritizisten die Dritte Hauptfrage. 
Oleiche Aussagegrundlagen konnen durch verschiedene intellektuelle 
Tatigkeiten, verschiedene Aussagegrundlagen durch gleiche intellektuelle 
Tatigkeiten bearbeitet werden. 1st die Tatsache ^kreisender Aar" ge- 
geben, so kann sie das Eine Mai das Urteil ,, Dieser Vogel fli^'", 
das andere Mai das Urteil ,,Es bewegt sich etwas"" veranlassen. 
Ebenso kann jedes dieser Urteile durch sehr verschiedene Tatsachen 
veranlaBt werden. Insbesondere scheinen auch die Probleme der 
Abstraktion und der intelligiblen Telle ihre Schrecken zu ver- 
lieren, wenn dieAuffassung nichts anderes ist als die Bearbeitung 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 203 
durch eine intellektuelle Operation und die Beziehung auf ein logisches 
Gebilde. Ich kann sowohl den Oegenstand „Dom von Pisa"" als 
auch den Oegenstand „Neunte Symphonie" unter den Begriff „Kunst' 
werk** bringen, den ersten dieser Oegenstande ebensowohl unter den 
Begriff „Kunstwerk" wie unter den Begriff ^Kirche". Lassen sich 
demnach die verschiedensten Oegenstande auf denselben Begriff, und 
laBt sich derselbe Oegenstand auf die verschiedensten Begriffe be- 
ziehen, so scheint die Zweite Hauptfrage beantwortet zu sein, ohne 
daB wir zu der Annahme genotigt waren, es lieBen sich auch noch 
an einem einfachen Eoipfmdungsinhalt verschiedene Momente unter- 
scheiden. Nicht in der Empfindung Rot und in der Empfindung 
Griin steckt das gemeinsame Moment Farbej sondem zu der Em- 
pfindung Rot und zu der Empfindung Orun kann ich denselben Be- 
griff Farbe hinzubringen. Nicht in jeder dieser Empfindungen 
stecken die zwei Momente Rot und Farbigy sondem zu jeder von 
ihnen kann ich diese beiden Begriffe hinzutun. Mein BewuBtsein 
von einem Sac hver halt endlich unterscheidet sich von meinem Be- 
wuBtsein von einer bloBen Tatsache dadurch, daB dort meineVor- 
stellung dieser Tatsache durch eine bestimmte intellektuelle Operation 
bearbeitet ist 
Damit ist indes auch schon die kritizistische Antwort auf die Vierte 
Hauptfrage gegeben. Ist es fur die Aussage charakteristisch, daB in 
ihr die Aussagelaute mit einer bestimmten intellektuellen Operation 
verknupft sind, fur den Sachverhalt, daB in ihm eine Tatsache durch 
dieselbe intellektuelle Operation bearbeitet ist, dann ist eben die Ver- 
bindung durch diese identische intellektuelle Operation jenes Band, 
das die Bedeutung gegenuber der bloBen Bezeichnung charak- 
terisiert. Wortklang plus Urteil macht z. B. den Satz, Tatsache plus 
Urteil den Sachverhalt aus. Weil ich also im Satz das auch im Sach- 
verhalt eingeschlossene Urteil schon erfasse, vertntt mir der Satz den 
Sachverhalt und bedeutet ihn deshalb, wahrend ich aus dem Wort- 
klang auf die Tatsache nur zu schUefien und darum jenen nur als ein 
Zeichen fur diese zu verwenden vermag. Alle semasiologischen Fragen 
scheinen demnach wirklich durch den Rationalismus beantwortet zu 
werden — vorausgesetzt, daB es in der Tat moglich ist, das BewuBt- 
sein vom Inhalte der Aussagen als Tatigkeit oder Erzeugnis des In- 
tellekts zu erklaren. Es fragt sich jetzt, ob diese Erklarung auch 
einer grundlicheren Prufung standhait 
Da bedarf es denn wohl keiner ausfuhrlichen Darlegung, daB sich 
der Aussageinhalt als intellektuelle Operation dem BewuBtsein ge- 
204 NOOLOGIE 
wiB nicht darstellt (vgl. § 26). Ein Tatigkeitsgefuhl (Aktivitat) 
mag ja beim Begriffebilden, Urteilen und SchlieBen vorhanden sein, 
und vielleicht ist dieses sogar ein anderes beim Fallen bejahender und 
beim Fallen vemeinender Urteile. Allein so viele voneinander ver- 
schiedene Arten von Aktivitat, als es voneinander verschiedene Aus- 
sageinhalte gibt, gibt es sicherlich nicht Niemand wird vorgeben, er 
sei sich einer anderen Art von Tatigkeit bewuBt, wenn er urteile, dafi 
er gestem, und wenn er urteile, daB er vorgestem seinen Regenschirm 
verloren habe. Schon hiedurch aber ist erwiesen, daB das BewuBt- 
sein von dem logischen Inhalt einer Aussage nicht mit einem Tatig- 
keitsbewuBtsein, geschweige denn mit einer realen Verstandestatigkdi 
zusammenfallen kann. Dann kdnnten es jedoch hochstens die Pro- 
dukte dieser supponierten Verstandestatigkeiten sein, die sich fui 
die spezifisch logischen BewuBtseinstatsachen ausgeben lieBen. Mil 
dieser Wendung tritt indes in der dialektischen Entwickelung des 
Rationalismus eine verhangnisvolle Peripetie ein. 
Solange namlich die logischen Funktionen als intellektuelle Ope- 
rationen gedacht werden, bleibt es begreiflich, daB die Zuordnung 
bestimmter Aussageinhalte zu bestimmten Aussagegrundlagen nui 
in gewissen Fallen stattfinden kann. Sagt man z. B., die Aaf- 
fassung der Aussagegrundlage durch den Aussageinhalt sei eine in- 
tellektuelle B ear beitung der ersteren, so kdnnen wir uns vorstellen, 
verschiedene Stoffe seien verschiedenen Arten der Bearbeitung in ver- 
schiedenem MaBe zuganglich, und wir finden es deshalb verstandlich, 
wenn nicht alle Aussag^^ndlagen durch alle Aussageinhalte auf- 
gefaBt werden kdnnen. Driickt man sich femer so aus, als stellten 
die Begriffe fertige Produkte des Verstandes dar, „unter" die dann 
die einzelnen Oegenstande gebracht wQrden, so erscheint die Leistung 
der Aussage als die Herstellung eines gewissen Bandes, das zwischen 
ihren einzelnen Elementen zu knupfen sei, und es ist nicht unerhdrt, 
daB verschiedene Elemente sich einer solchen Verknupfung mit ver- 
schiedener Leichtigkeit fugen oder ihr mit verschiedener Heftigkeil 
widerstreben. Oanz anders dagegen stellt sich die Sachlage dar, so- 
bald die Annahme realer intellektueller Operationen als unb^rundel 
erkannt ist, und die „intellektuellen Produkte"" daher zu bloBen Be- 
wuBtseinstatsachen spezifisch logischer Art sich wandeln. 
Diirften wir freilich diese „intellektuellen Produkte** wirklich als bloBc 
Bearbeitungen jener BewuBtseinserlebnisse b^reifen, in denen wii 
auch auBerhalb des logischen Denkens die Aussagegrundlage erfassen. 
diirften wir also die spezifisch logischen Funktionen b^jeifen als irgend 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 205 
wie veranderte oder umgestaltete Vorstellungen oder Oefuhle, 
und nicht als psychische Tatsachen ganz eigener Art, so wurde die 
angedeutete Schwierigkeit uns nicht in den Weg treten. Allein im 
ersten Falle wurde der Rationalismus inNominalismus, im zweiten 
in Pathempirismus iibergehen. Solange daher der Rationalismus 
Rationalismus bleibt, muB er darauf beharren, daB die logischen Be- 
wuBtseinsfunktionen psychische Elemente sui generis seien, die mit 
Gefuhlen ebensowenig gemein haben wie mit Vorstellungen. Allein 
ich glaube nun zeigen zu k5nnen, daB gerade diese psych ologisch e 
Isolierung der logischen BewuBtseinsfunktionen sie auch ihrer lo- 
gischen Brauchbarkeit beraubt. 
Stellt sich namlich der Aussageinhalt dem BewuBtsein als eine 
spezifisch logische BewuBtseinstatsache, als ein psychisches Element 
sui generis dar, dann kann auch die Aujfassung nichts anderes sdn 
als das Hinzudenken eines solchen psychischen Elementes zu 
einer Aussagegrundlage, etwa eines Begriffsinhaltes zu einem Oegen- 
stande, eines Tatbestandes zu einer Tatsache. Dann laBt sich 
jedoch nicht absehen, warum denn nicht beliebige Aussageinhalte 
zu beliebigen Aussag^^ndlagen sollten hinzugedacht werden 
konnen. Ich kann doch ohne Zweifel zu dem Oegenstand „Dom 
von Pisa" auch den Begriffsinhalt ^Regenwurm", zu der Tatsache 
^Flattemder Sperling" auch den Tatbestand „7X3 = 21" hinzudenken, 
Warum kann ich nun trotzdem jenen nicht durch diesen auffassen? 
Hier offenbart sich durch den Kontrast ein unverSchtlicher Vorzug 
des konzeptualistischen und des gemiBigten Nominalismus. Indem 
dieser die allgemeinen oder doch als allgemein betrachteten Vorstel- 
lungen aus den individuellen Vorstellungen sich entwickeln lieB, kon- 
servierte er die Wurzeln, die der Aussageinhalt in der Aussagegrundlage 
schlagt Ihm war dasjenige, was wir bei dem allgemeinen Begriffe 
^Mensch" denken, in dem, was wir bei der Vorstellung der einzelnen 
Menschen erleben, wirklich en thai ten. Diese Wurzein s5gt der 
Rationalismus ab, indem er die logische BewuBtseinstatsache von 
alien denjenigen BewuBtseinstatsachen vollstandig trennt, die das Er- 
lebnis eines physischen oder psychischen Objektes konstituieren. 
Nehme ich einen einzelnen Menschen wahr, so erlebe ich nach den 
Voraussetzungen des Rationalismus Vorstellungen und Oefuhle, aber 
keinen Begriffsinhalt Denke ich „Mensch", so erlebe ich einen Be- 
griffsinhalt, aber keine Vorstellungen und Oefuhle. Wie kann sich 
also dieser Oedanke auf jene Wahmehmung irgendwie beziehen? 
Wie kann er sich insbesondere mehr auf sie beziehen als auf irgend- 
206 NOOLOGIE 
welche andere Wahrnehmungen ? Wo liegt iiberhaupt das innere 
Band zwischen Erlebnis und Begriff, wenn beide kein gemeinsames 
psychisches Element aufzuweisen haben? 
Man hat versucht, die so aufgerissene Kluft durch die Relation des 
Meinens oder Intendierens zu uberbrOcken. Im Begriffe sei 
der Oegenstand — zwar nicht gegeben, erlebt, indes doch gemeint^ 
intendiert. Doch das sind Worte. Wie kann ich etwas meinen, ohne 
daB mir wenigstens irgend etwas von dem Oemeinten gegeben ware? 
Das bloBe Nichtgegebensein, Nichterlebtwerden kann doch unmoglich 
eine eindeutige Relation begrunden, denn nicht-gegeben, nicht-erlebt 
ist ja stets Unzahliges. Hier gibt es fur den Rationalisten keinen 
Ausweg mehr. Indem er das Erleben des Aussageinhalts von dem 
Erleben der Aussagegrundlage grundsStzlich und vollstandig trennt, 
verliert er das Eine der Aussageelemente, die Aussagegrundlage, un- 
wiederbringlich. Es bleiben ihm neben dem Aussageinhalt nur die 
Aussagelaute ubrig. Das heiBt, auf die Frage, was der Sinn irgend- 
eines Wortes sei, kann er schlieBlich nur antworten: „das, was eben 
dieses Wort bedeutet, was damit gemeint ist" Wie dieser Sinn in 
den Tatsachen wurzelt, bleibt ihm ein Ratsel. Unsere Losung dieses 
Ratsels dagegen ist sehr einfach. Wir schlieBen so. Da der Aus- 
sageinhalt die Aussagegrundlage „meint", so muB das Erlebnis des 
Aussageinhalts irgendwelche Elemente enthalten, die auch in dem Er- 
lebnis der Aussagegrundlage sich finden. Nur das Vorhanden- oder 
Nichtvorhandensein solcher gemeinsamer Elemente kann daruber ent- 
scheiden, ob eine bestimmte Aussagegrundlage sich durch einen be- 
stimmten Aussageinhalt auffassen ISBt Nun besteht das Erlebnis jeder 
Aussagegrundlage aus Vorstellungen und Oefuhlen. DaB nun der 
Aussageinhalt sich dem BewuBtsein nicht als eine Vorstellung 
oder als ein Komplex von Vorstellungen darstellen konne, haben wir 
gesehen. Folglich muB er sich ihm darstellen als ein OefOhl oder 
als ein Komplex von Oefuhlen. Allein mit dieser Einsicht ist der 
Rationalismus bereits iiberwunden. 
2) Wir haben seinerzeit in § 32. 2 gesehen, daB sich der Kritizismus im 
allgemeinen bis auf Parmenides zuruckverfolgen laBt, und erst kurzlich in 
§ 52. 7 wieder gehort, daB in gewissem Sinne auch der semasiologische 
Realismus eine rationalistische Hilfsannahme erfordert — wie denn auch 
Platon die Vernunft (vo5(;) als ein besonderes, auf die Erfassung der 
Ideen hingeordnetes Vermogen anerkannt hat. Doch auch wenn wir als 
rationalistisch im engsten Sinne nur seiche Lehren bezeichnen wollen, denen 
zufolge der Aussageinhalt, und speziell das Universale, vom Intdlekt 
nicht nur aufgefaBt, sondem uberhaupt erst hervorgebracht wird, brauchen 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 207 
wir, um Vertreter dieser Lehre zu finden, fiber die klassische Zeit der 
griechischen Philosophic nicht hinauszugehen. Lemten wir vielmehr in 
Platon den ersten Vorkampfer des Reah'smus, in Antisthenes den Be- 
grunder des Nominalismus kennen, so kdnnen wir jetzt mit vollem Recht 
Aristoteles als den ersten Vertreter des Rationalismus bezeichnen. Dies 
steht nicht im Widerspruche mit den in § 52. 6 besprochenen realisti- 
schen Tendenzen dieses Denkers. Denn einerseits beschrankt sich bei ihm 
die „Vemunft" (vo(><;) auf die Erfassung der „Prinzipien" (ipxaO ^)» d- h. der 
ersten, nicht weiter definierbaren resp. ableitbaren Begrifjfe und Satze, so 
daB auch nur diese in halb realistischer Weise zur Einheit der „tatigen Ver- 
nunft'* sich zusammenschlieBen ; andererseits kommt seiner Ansicht nach das 
Denken der allgemeinen „Fomien" (eiSYj) nicht durch ein rezeptives Auf- 
fassen derselben zustande, sondem durch eine spontane Erzeugung der ihnen 
entsprechenden B^riffe. Diese Erzeugung nun geht, ganz im Sinne des 
Rationalismus, vor sich als eine intellektuelle Bearbeitung der in- 
dividuellen Vorstel lunge n, speziell der Phantasmen. Wir horen namlich 
nicht nur im allgemeinen, daB das verstandesmaBige Denken (i7ciaT7^[iif]) sich 
durch Vermittlung der Erfahrung und des Gedachtnisses aus der Wahr- 
nehmung entwickelt, mithin auch das Denken des Allgemeinen aus der 
Wahmehmung des Individuellen ^), sondem es wird auch im einzdnen aus- 
gefuhrt, wie dies geschieht — namlich durch Abstraktion (a<paip6oi<;). 
E>er Gedanke (voYjiia), heiBt es, ist zwar nicht eine Vorstellung (fdvTaa|ia), 
kann aber doch nicht ohne eine Vorstellung gebildet werden^). Das 
Denken erfaBt namlich die Artbegriffe (sTSyj) in den Phantasmen*). Wir 
kdnnen freilich die abstrakten Eigenschaften nicht ohne ihre konkreten 
Trager vorstellen, z. B. die Krummnasigkeit ohne Nase oder die Dreieckig- 
keit ohne ein Dreieck von bestimmter GroBe; allein wir kdnnen diese 
wTrennung** gedanklich durchfuhren, indem wir von der Nase resp. von 
der bestimmten GrdBe des Dreiecks absehen^. Aus dieser Skizze ersieht 
man zunachst das Eine, daB die Grenzen zwischen Rationalismus und 
gemaBigtem Nominalismus flieBende sind. Denn sicherlich ist diese 
Darstellung des Aristoteles derjenigen Berkeleys uberaus ahnlich. Auch 
die letztere enthalt namlich ein rationalistisches Element Indem sie zur 
Erklarung des Aussageinhalts neben der Vorstellung noch die auf diese ge- 
richtete Aufmerksamkeit heranzieht, fuhrt sie einen Faktor ein, der 
streng genommen sich in den Rahmen der ideologischen Voraussetzungen 
nicht mehr fugt. Man konnte deshalb sogar in gewissem Sinne Berkeley 
zu den Rationalisten oder auch Aristoteles zu den Nominalisten zahlen, 
wenn dem nicht die Selbstbeurteilung beider Denker entg^enstunde. Hat 
doch der Bischof von Cloyne g^en den B^jiff der Abstraktion die scharf- 
i 
1) Anal, postt. 11. 19, p. 100b 12; Eth. Nic VI. 6, p. 1141 a 7. ^) Anal, postt. II. 
19, p. 100a 3; Metaph. I. 1, p. 980a 27. 3) De an. III. 7, p. 431 a 16: III. 8, p. 432a 
7-14; de mem. 1, p. 449b 31. *) De an. III. 7, p. 431b 2. ») De an. III. 7, 
p. 431 b 12; de mem. 1, p. 450a 4. 
208 NOOLOOIE 
sten Waffen seines Spottes gekehrt, der Stagirit die Verschiedenheit des 
Denkens vom Vorstdlen energisch betont Trotzdem vermag dieser die Tat- 
sache, daB ein und dasselbe Phantasma verschiedene B^jiffe fundieren 
kann, im Grunde ebensowenig zu erklaren wie jener. Denn diese Ver- 
schiedenheit muBte entweder auf eine Mehrheit unterscheidbarer Momente 
im Phantasma sich griinden — und dann ware der Aristotelische Rationalis- 
mus denselben Einwendungen ausgesetzt wie der BERKELEYsche Nominalis- 
mus. Oder jene Verschiedenheit muBte sich auf der Seite der intdlektudlen 
Operationen oder Produkte finden, d. h. es mfiBten die Abstraktionstatig- 
keiten qualitativ voneinander verschieden, oder es mQBten die abstrakten 
B^jiffe etwas selbstandig neb en den Phantasmen Bestehendes sein. Alldn 
von jener qualitativen Verschiedenheit spricht Aristoteles nirgends, und 
diese Selbstandigkeit schlieBt er sogar aus durch die Bemerkung, die Art- 
b^ffe wiirden in den Phantasmen erfaBt Auch li^ ihm die an letzter 
Stdle genannte Auflosung des Problems gewiB ganz feme, denn die in- 
tdlektuelle Operation steht bei ihm durchaus im Vordergrunde, und von 
Begriffen als Produkten dieser Operation ist bei ihm niemals die Rede. 
Die in dem Begriffe des Gedankens (v6if]|ia) h'egende Zweideutigkeit (Denk- 
akt — Gedachtes, s. § 42) hat es nun freilich gerade den Nachfolgern des 
Aristoteles ermoglidit, das intellektudle Produkt weiter in den Vorder- 
grund zu riicken, ohne seinen Standpunkt zu verlassen. So spricht z. B. 
Alexander von Aphrodisias i) von allgemeinen und abstrakten Begriffen, 
die nur existieren, sofem und solange sie gedacht werden: „Werden sie 
dagegen nicht gedacht, so sind sie auch nicht mehr. Denn getrennt von 
dem sie denkenden Verstande gehen sie zugrunde, da ihr Sdn in ihrem 
Gedachtwerden besteht" Auch Porphyrios 2), wdcher ausdrucklidi die 
Worte „weder Wahmehmungen nodi Phantasmen, sondem allein die Eigen- 
art der Begriffe'^ bedeuten laBt {neque sensus neque imaginationes, sed solam 
intelleduum qualitatem), stdlt sich vor, diese „Begriffe<' (Spot) oder „gedank- 
lichen Elemente*' (icp&ta voijitata) traten zu den Phantasmen hinzu, um den 
in diesen verborgenen logischen Gehalt herauszustdlen. Er faBt sie dem- 
nach gleichfalls mehr als Erzeugnisse denn als Titigkeiten des Denkens aui 
Ebenso stdlt sich bei Abaelard, dessen Lehre wir ja schon in § 47. 9 
kennen lemten, der „Sinn'* der Aussage (intelledas) und spezidi der mit 
einem Worte verbundene „Begriff'< (conceptus) mehr als psychische Tatsacfae 
denn als intdlektudle Operation dar^). Ja im 14. Jahrhundert hat sogar 
Petrus Aureolus*) den „vom Verstande gebildden subjektiven Begriff" 
(conceptus objectivus per intelledum fdrmatus) zu der „Tatigkeit des Denkens" 
(actus intelligendi) in ebenso entschiedenen G^ensatz gestdit wie zu dem 
gedachten G^enstande (objedum cognitum), und dem Worte nur als Aus- 
druck jenes B^ffes (vox expressiva conceptus) logische Funktionen zuge- 
1) De an. S. 90. 2 ff. (Bruns). 2) Bei Boethius, De interpr., Ed. II, p. 296 ff. (S. 2& 
Meiser). 3) z. B. Theolog. Christ ' ^ '^-- " - -^-^^ ^ - •'" - ^ — • 
*) Prantl III, S. 320 u. 322, Anm. 697 
17 Meiser). 3) z.J^ theolog. Christ^I. 4 ^pp. II, p. 3te); Ouvr. indd. S. 191 1 
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 209 
standen. Dagegen war Thomas von Aquino zu einem ziemlidi reinen 
Aristotelismus zuruckgekehrt, indem er das Wesentliche des Abstraktions- 
prozesses durchaus in der intellektuellen Bearbeitung der Phantasmen er- 
blickt und einen „Begriff** resp. ein ,,verstandesina6iges Bild" {species 
intelUgibUis) nur insofem anerkennt, als der Intellekt durch seine Beschaf- 
tigung mit den in den Phantasmen enthaltenen ^Formen'' der Gegenstande 
auch selbst diese ^Formen'' annimmt i). Im Gegensatze zu dieser Auffassung 
tritt nun mit Duns Scotus eine neue Wendung in der Entwickelung des 
Rationalismus ein. Zwar kann man grundsatzlich diesen Standpunkt nidit 
entschiedener vertreten als Duns: der Begriff ist ihm ein Mittleres zwischen 
dem Gegenstand und dem Namen; und zwar ist dieser Begriff ein Er- 
zeugnis der Verstandestatigkeit^); das Universale entsteht durch abstrahierende 
Betrachtung der Phantasmen 3) und hat daher ein Sein nur durch den In- 
tellekt, wenn auch sein Inhalt durch den Gegenstand bestimmt wird ^). Allein, 
wie wir schon gehdrt haben (§ 53. 2), ist dieses Erzeugnis des Verstandes, 
das ^verstandesmaBige Bild'* (species intelligibilis), ein Mittleres zwischen 
dem Phantasma und der Verstandestatigkeit und weniger geistig als die 
letzteres). Die logische Funktion nahert sich daher bei dem ersten Ver- 
such, sie psychologisch zu bestimmen, der Vorstellung an, und der Rationalis- 
mus erh^t gerade im Moment seiner scharfsten Akzentuierung einen leichten 
nominalistischen Einschlag, der in seiner Bedeutsamkeit nicht unterschatzt 
werden darf. Denn der B^ff des y,verstandesmaBigen Bildes^ ist der 
zentrale in der Semasiologie des Duns: dieses Bild soil dasjenige sein, was 
einerseits den Gegenstand „vertritt^ andererseits von dem Namen unmittelbar 
bezeichnet wird 6), so daB „das Wort das Bild bezeichnet, insofem dieses 
ein Zeichen des G^enstandes ist^'T). Etwas abweichend und ziemlich kom- 
pliziert ist die Stellung Wilhelms von Occam zu unsem Fragen. Sein 
grundsatzlicher Rationalismus zwar steht vdllig auBer Zweifel, und wenn ihm 
seine energische Bestreitung des Realismus^) den Ruf eines Nominalisten 
eingetragen hat, so zeugt dies nur von der weit verbreiteten Verkennung 
des Unterschiedes zwischen nominalistischem und rationalistischem Konzep- 
tualismus (§ 53. 1). Auch seine eigentumliche Meinung uber die Relationen 
der Aussageelemente ist nicht von groBem Belang. Wahrend namlich Duns 
zwischen Aussagelauten und Aussageinhalt einerseits, zwischen Aussageinhalt 
und Aussag^grundlage andererseits eine unmittelbare Bezeichnungsbeziehung, 
zwischen Aussagelauten und Aussagegrundlage dag^en nur eine durch den 
Aussageinhalt vermittelte Relation anerkannt hatte, will Occam nur einerseits 
die Aussagelaute, andererseits den Aussageinhalt als Zeichen fur die Aus- 
sagegrundlage gelten lassen und betrachtet daher die Beziehung zwischen 
Summ. Theol. I, qu. 55, art 2, ad 2: qu. 84, art 6, in corp.; u. bes. qu. 85. 
art. 1, ad 3. «) Qu. in Praed. 1 (Opp. Ill, p. 125 A). 3) Qu. de rer. princ 13 
(Opp. Ill, D. 118 A B). *) Qu. sup. Porph. 4 (Opp. Ill, p. 908). s) Qu. de rer. 
princ 14 (Opp. Ill, p. l^A); Qu. sup. An. postt I. 3 (Opp. III. p. 348 A). «) Qu. 
sup. Periherm. I. 2 (Opp. Ill, p. 187 B). n Op. II sup. Periherm. 1 (Opp. Ill, 
p. 213 B). «) Prantl lIi; S. 345, Anm. 781 u. 782; S. 356 ff, Anm. 806, 806 und 8ia 
Oomperz, Wdtanschannnsslefare II 1 14 
210 NOOLOQIE 
Aussagdauten und Aussagdnhalt — gewiB mit Unrecht — nur als due 
vcrmittdte 1). Am meisten interessiert uns jedoch hier die Frage, wk cr 
das Denken psychologisch konstruieit Wie wir namlich schon in § 53. 5 
gehort haben, erwagt er diese Frage aufe genaueste. Und zwar bildet cr 
die Lehre des Duns zunSchst nominalistisch fort, indem er die Annahme 
etnes ,,verstandesnia6igen Bildes^ ablehnt und es fur wahrscheinlicher cr- 
klart» daB neben der Verstandestatigkeit und als ihr unmittelbarer G^gen- 
stand noch ein psychischer Zustand (gualUas anmae) vorhanden sd, dcr 
als ein „wahres Ai>bild'' der Aussag^jundlage bezeichnet werden konoe 
— d. h. also dn individuelles Phantasma des auBeren G^ensiandes^ 
Allein Ocx:am ericennt doch sehr wohl, daB dies den Aussagdnhalt ohne 
Not verdoppeln heiBt Denn vermdchte dn individuelles Phantasma alle 
Aussagegrundlagen zu vertreten, so bedOrfte man weiter kdner intdlektudlcn 
Operation. Er verwirft daher schlieBlich alle Lehren, wddie neben der 
Verstandestatigkeit (dem actus intelUgmtU) noch irgenddn Element des 
Denkens annehmen wollen (heiBe dieses nun Begriff, verstandesmafiiges oder 
sinnlidies Bild, psychischer Zustand oder wie immer), und behauptet vid- 
mehr, die Verstandestatigkeit allein vermdge alle erforderlichen Leistungen 
zu vollziehen, da sie infolge ihrer Aehnlichkeit mit der Aussagegrundlage 
diese zu vertreten imstande sd ^ DaB frdlich die letztere Behauptung un- 
haltbar ist, scheint mir d>enso klar, wie daB dne konsequente Durchfiihning 
dieses Standpunktes dazu gdangen milBte, alles logische Denken fur un- 
bewuBt zu erklSren. Denn die intdlektudlcn Operationen kdnnen schon 
deshalb nicht ins BewuBtsdn fallen, weil das in diesem allein aufzeigtMut 
TatigkeitsbewuBtsein durchaus keine den einzdnen Begriffen entsprechendcn 
qualitativen Verschiedenheiten aufwdst 
Die von Occam erwogene, wenn auch nicht angenommene Lehre niherte 
sidi dem Nominalismus, indem sie die von den intdlektudlen Operationen 
erzeugten BewuBtseinstatsachen als individuelle Vorstdlungen bctrachtete. 
Es lag ihr jedoch noch feme, die intdlektudlen Operationen selbst mit den 
Vorstellungen zusammenflieBen zu lassen. Die neuere Philosophic hat auch 
diese Qrenzlinie verwischt und die unhdlvolle Gewohnheit ang^iommen, 
die logischen Funktionen sdbst ebenso wie die Wahmehmungen und Phan- 
tasmen als Vorstellungen zu bezeichnen, wobd es noch als ein rdathr 
gunstiger Umstand zu betrachten ist, wenn sie jene als unanschauliche 
Vorstdlungen von diesen als von anschaulichen Vorstdlungen unter- 
sdieideL Schon Descartes kann in dieser Hinsicht nicht von jedem Vor- 
wurfe freigesprodien werden, da er das Wort Vorstellung (idea) unterschieds* 
los fur Begriffe und Phantasmen gebrauchi Der ^Unterschied, der zwischen 
der Phantasie {imagination) und dem reinen Denken oder B^jdfen" (in- 
1) Prantl III, S. 340. Anm. 774. 2) Prantl ill, S. 335 f., Anm. 757-~75Q: S. 358; 
Anm. 810. Diese Ausfunrungen halten sich h'eilich — wie zum Ueberflufi noch der 
Ausdruck passio animae beweist — ziemltch streng an die etnleitenden Satze der 
Aristotelisdien Schrift De inUrprdaticne. ^) Prantl HI, S. 338, Anm. 768; S. 3i7» 
Anm. 78a 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 211 
telledion ou conception pure) besteht, ist ihm zwar keinesw^ unbekanni Er 
setzt ihn vielmehr gdegentlich mit seiner meisterhaften Klarheit auseinander, 
indem er darauf hinwdst, daB man zwar ein Dreieck oder ein FQnfeck so- 
wohl b^jeifen als auch phantasieren, ein Tausendeck dag^fen bloB be- 
greifen konnei). Freilich, mit dieser Abgrenzung stimmt schon die allge- 
meine Erklarung nicht fiberein, die Imaginibilia unterschieden sich dadurch 
von den anderen InteUigibUiay daB sie sich auf „Ausdehnung, Bew^fung 
und Gestalt^ bezdgen^^ Denn dies wtirde von einem Tausendeck gewiB 
nicht weniger gelten als von einem Dreieck. Noch bedenklicher indes ist 
die Soi^losigkeit, mit der Descartes den Ausdruck Idee nicht nur in einem 
engeren und weiteren Sinne gebraucht, sondem auch den engeren Sinn gegen 
den Begriff der anschaulichen Vorstellung nicht gehdrig abgrenzt !m 
weiteren Sinne namlich soil Idee alles bedeuten, „was vom Geiste unmittel- 
bar erfaBt (conga) wird", z. B. auch den Willen und die Furcht^). Im 
engeren und ^eigentlichen'' Sinne dag^en bedeute Idee nur solche Ge- 
danken, die „gleichsam die Bilder von G^enstanden" (comme les images 
des choses) sind; „wie z. B. wenn ich mir einen Menschen vorstdle {re- 
prisente\ oder eine Chimaera oder den Himmel oder einen Engel oder Gott 
sdbst"*). Hier wird nun offenbar das Wort „Bild" (image) auch fflr Un- 
anschauliches gebraucht, wahrend doch gerade die „Einbildungskraft^ (ima- 
gination) sich nur auf Anschauliches erstrecken sollte. Die Folge ist, daB, 
wenn Descartes das Wesen der Universalien durch die Bemerkung glaubt 
erklaren zu kdnnen, wir verwendeten „eine und dieselbe Idee, um alle 
.untereinander ahnlichen Individuen zu denken^'^), er in Wahrheit uber dne 
nichtssagende Tautologie nicht hinauskommt Denn wir erfahren durch 
diese Erklarung weder, ob die „allgemeine Idee*' eine anschauliche oder un- 
anschauliche Vorstellung, noch ob sie uberhaupt eine Vorstdlung oder vid- 
mehr eine spezifisch logische Funktion bedeuten soil. Diese Unklarheit ver- 
scharft sich noch bd Spinoza, ^dert indes zugleich ihre Natur. Lief 
namlich bisher der „BegrifP* Gefahr, von der „Vorstellung" verschlungen zu 
werden, so droht nun umgekehrt die logische Betrachtung die psycho- 
logische vdllig zu absorbieren. Spinoza ddiniert die Vorstellung (idea) als 
Begriff (conceptus), und bemerkt ausdrticklidi, ein solcher Begriff sei eine 
„Tatigkeit des Geistes" (actio mentis) % Auch wamt er eindringlich vor der 
Verwechslung zwischen „der Vorstdlung, d. h. dem geistigen Begriff, und 
den Bildem der Dinge, wdche wir phantasieren" t). Allein was wir uns 
unter solchen „Bildem** zu denken haben, erfahren wir nicht. Denn dieser 
groBe „geometrische** Geist lost schlieBlich alles Psychische in „Vorstd- 
lungen'*, mithin in Begriffe, auf, und erklart selbst den Affekt als den Be- 
griff einer korperlichen AffektionS). So hebt sich jedoch der Rationalismus 
1) M6d. 6 (Oeuvres S. 112ff.). a) prfnc phil. I. 73. 3) Antwort auf die 5. Ob- 
jektion des Hobbes gegen die Meaitationen (Oeuvres S. 201). ^) M6d. 3 (Oeuvres 
S. 82). 5) princ phiL 1. 59. «) Eth. II, def. 3. t) Eth. II, prop. 49, Schol. •) Eth. 
Ill, def. 3. 
14* 
212 NOOLOOIE 
selbst auf. Sein Prinzip war ja die Trennung der logischen Funktion von 
der anschaulichen Vorstellung. FaBt er nun an allem Psychischen alldn 
den Erkenntniswert ins Auge, so werden ihm auch Wahraehmungen und 
Phantasmen ebenso wie Gedanken zu Erkenntnissen, freilich zu solchen von 
geringerer Leistungsfahigkeit Damit aber ist jene prinzipidle Trennung 
wieder aufgehoben. Auch hat man sich bald mit BewuBtsein auf diesen 
Standpunkt gestdlt Wie einst Platon die Vemunft als eine hdhere An- 
schauungy die Anschauung als eine niedrige Art der Erkenntnis begrifia, 
und wie Plotin^) geradezu die Wahmehmung ein dunkles Denken, de 
Denken eine hdle Wahmehmung genannt hatte, so erklart jetzt Leibniz^ 
die sinnlidien Empfindungen fur verworren (confusa\ well die Merkmaie, 
die zur Ddinition ihrer Inhalte erfordert wurden, nicht gesondert in ihna 
enthalten sind. Von diesem Extrem hat sich der Rationalismus bald wieder 
zuruckgewandt ,,Die Sinne verwirren nicht^ sagt Kant ausdrud- 
lich 3); Anschauung und Begriff mussen zusammenwirken ; „nur daraus, daS 
sie sich vereinigen, kann Erkenntnis entspringen" *). Dies hinder! Kant 
freilich nicht, diese beiden Funktionen dem Begriff der Vorstellung unter- 
zuordnen 5), den er allerdings so weit faBt, daB er beinahe mit dem der B^ 
wuBtseinstatsache zusammenzufallen scheint Alldn wenn er nun den Bt 
griff als eine solche ,,Erkenntnis" bestimmt, die sich ,,auf den Oegenstaod 
. . . vermittdst eines Merkmals, was mehreren Dingen gemein sdn kanif, 
beziehe, so wird man hierin alles eher finden kdnnen als eine psychologiscfae 
Analyse des logischen BewuBtseins. Ebensowenig li^ eine solche vor, 
wenn Schleiermacher die ^Tatigkeit der oi^ganischen Funktion^ und die 
,,Vemunfttatigkeif* zum Denken zusammenwirken laBt^). Man wird vid- 
mehr sagen durfen, daB mit alledem der Rationalismus so ziemlich zu setncr 
peripatetischen Gestalt zuruckgekehrt ist, und kdnnte sogar diese Paralleie 
noch wdter dahin ausfuhren, daB innerhalb dieses Rahmens der Standpunkt 
ScHLEiERMACHERs dem des Aristoteles, der Standpunkt Kants dem des 
PORPHYR entspricht Denn bei jenem Denkerpaare mht der Nachdnick auf 
der intellektuellen Tatigkeit, bei diesem dagegen auf den zu den siim- 
lichen Vorstdlungen hinzutrdenden intdlektudlen Produkten. Und in 
diesem Zustande ist der Rationalismus erstarrt und beherrscht nodi heute 
die wissenschaftliche nicht minder als die populare Philosophie. 
Zur Herbeifiihrung und Erhaltung dieses trostlosen Zustandes hat die 
Erklarung des Begriffs als einer unanschaulichen Vorstellung 
nicht wenig beigetragen. Sie erfordert deshalb eine besondere Zurudc- 
weisung. An und fur sich freilich kann man es niemandem verwehren, 
uber seine Terminologie zu verfugen, und wenn es jemand vortdlhaft findet, 
so heterogene Dinge wie Wahmehmungen , Phantasmen und logische 
Funktionen zusammenfassend durch das Eine Wort Vorstellung zu bezddinen, 
1) Enn. VI. 7. 7. 2) Meditationes de cognitione, veritate et ideis (WW. IV. S. 4221 
3) Anthropolog. § 9 (WW. VII. 2, S. 33). <) Kr. d. r. Vem. (WW. 11, S, 56; vri. 
S. 88 f.). 5) Ffr. a. r. Vem. (WW. II, S. 258). •) Dial. § 107ff. 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 213 
so konnte man dieses Vorgehen an sich selbst hdchstens unzweckmafiig 
nennen. Allein dassdbe erzeugt nun den Schein, als wiirde es nicht auf einer 
terminologischen Willkurlichkeit, sondem auf einer psychologischen 
Subsumption, somit auch auf einer psychologischen Analyse beruhen, und 
diesem Anspruch kann nicht nachdrucklich genug entg^engetreten werden. 
Denn psychologisch haben Wahmehmungen und Phantasmen einerseits, 
logische Funktionen andererseits schlechthin gar nichts gemeini): jene 
stellen sich dem BewuBtsein als nichts anderes dar denn als Empfindungs- 
qualitaten, diese sind etwas von alien Empfindungsqualitaten vollkommen 
Verschiedenes. Anschauliche Vorstellung ist demnach — da wir hier von 
der ^inneren Wahmehmung*' nach § 38. 15 absehen kdnnen — nur ein 
Sammelname fur Farben, Tone, Oerflche, Geschmacke, Beriihrungen und 
Temperaturen ^; unanschauliche Vorstellungen dag^en waren die logischen 
Bedeutungen von Worten, z. B. der Sinn von Und und Oflkr, Vom und 
Hinten, Aehnlich und Undhnlich, Recht und Unrecht Es scheint mir voll- 
kommen einleuchtend , daB es nichts Verschiedenartigeres gibt als diese 
2 Arten von BewuBtseinstatsachen. Und an dieser fundamentalen Ver- 
schiedenheit wird auch durch eine andere Auswahl der Beispide nichts ge- 
andert Denn auch der Sinn des Wortes Farbe kann offenbar nicht mit 
einer Empfindungsqualitat zusammenfallen, da es nicht Eine Empfindungs- 
qualitat Farbe gibt, sondem nur unzahlige einzelne Farbenqualitaten, wahrend 
^) Eine gewisse erkenntnistheoretische Analogic besteht zwischen Vor- 
stelien und Denken insofem, als beide einen Gegenstand „erfassen'', sich auf ein 
Obiekt „richten''. Allein dies tun ja auch Geftihie und Begehrungen. Gerade ein 
Annanger der Lehre von den unanschaulichen Vorstellungen, Ameseder, hat — wie 
BREffFANO langst vor ihm — kurzlich bemerkt (Grazer Unterss. S. 53), jedes 
Psychische sei auf etwas eerichtet, treffe etwas, erfasse etwas, namlich einen ,,Qegen- 
stand''. Dann kann jedoch auch von diesem Gesichtspunkte aus keine spezifische 
Verwandtschaft zwischen Denken und Vorstellen konstatiert werden. ^ Ueber 
diese Erklarung durften sich jene Denker entsetzen, die orthodox der Lehre an- 
hangen. es seien an jeder Vorstellung Akt, Inhalt und Gegenstand zu 
unterscneiden. Wir hoffen nun, in der ontologie dartun zu konnen, daB der so* 
genannte Vorstellungsakt ein Gefuhl der geistigen Tatigkeit, der sogenannte 
Vorstellunesgegenstand ein Komplex ist, der aus dem Vorstellungsinhalt und ge- 
wissen Objektivitatseefuhlen besteht Allein an dieser Stelle haben wir an 
der Bekamphmc^ jener Lfnterscheidung kein Interesse. Denn auch wenn man die 
„anschaulicne Vorstellung'' definiert als ein psychisches Phanomen, dessen Inhalt 
Oder Gegenstand eine tmpfindungsqualitat ist, die .,unanschauliche Vorstellung'' 
dagegen als ein psychisches Phanomen, dessen Inhalt oder G^nstand keine Emp- 
findungsqualitat istT sondem der lospsdie Sinn eines Wortes. so wird durch diese 
Modifikationen die Differenz der anscnaulichen und unanschaulichen „Vorstellungen'' 
um nichts gerineer. Sagt man endlich, das Gemeinsame beider yjVorstellungs"- 
Arten liege im Akt^ so ist dies offenbar falsch. wenn bei jener Gemeinsamkeif an 
ein positives Merkmal gedacht wird. Denn aer psychiscne Habitus beim Wahr- 
nehmen einer grunen Farbe und derjenige beim Verstehen des Wortes Oder haben 
kein gemeinsames Merkmal, das nicht auch alien anderen BewuBtseinserlebnissen 
zukame. Oder meint man nur, daB die unanschaulichen „Vorstellungen" ebenso- 
wenig wie die anschaulichen ein Urteil oder eine Begehrang enthalten? Allein wenn 
daraus, daB ein M ebensowenig wie ein N a oder b ist, gefolgert werden durfte, 
M sei ein N, dann muBten auch die Vo^el Pflanzen sein, weu sie ebensowenig 
wie Pflanzen Eidechsen oder Wurmer sind. 
214 NCXDLOOIE 
das Wort Farbe nur Einen Sinn hat E)asselbe gilt dann audi fur den Sinn 
des Wortes Rot im Verhaltnis zu den Empfindungen aller einzdnen Rot- 
nuancen. Steigt man endlich bis zu Einer einzdnen, bestimmten Nuance von 
Rot herab, so zeigt sich, dafi dieser nun allerdings Eine Empfindungsqualilit, 
dafQr aber kdn besonderer Begriffsinhalt mehr entspricht, da jeder Faiben- 
b^jiff stets auf dne Mehrheit von Farbenempfindungen sich bezidit Sind 
indes dem Oesagten zufolge Empfindungsqualitaten und logische Inhalte 
etwas durchaus Hderogenes, so kann man ihnen zwar den gemeinsaniai 
Namen Vorstellung geben und hierauf die Vorstdlungen in ansc/uutJkke 
und unanschauliche dntdlen; man verfahrt jedoch dabei nicht anders, ak 
wollte jemand Blumen, Stiiucher, Baume und Vdgd zusammenfassend als 
Gewdchse bezeidinen und dann pfUmzUche und mcht - pflanzUdu Oe- 
wachse unterscheiden : sowenig dieses Verfeihren zu einer braudibaitn 
naturgeschichtlichen Bestimmung der V5gd fuhren k5nnte, d>ensowenig 
vermag jenes eine braudibare psydiologisdie Bestimmung der logisdien 
Funktionen zu erziden. 
Man hat in neuester Zeit einen eigentQmlidien Versudi untemommen, 
den Begriff der unanschcuiUchen Vorstellung zu retten. Meinonq namlidi 
mdnt, ein aus g^ebenen anschaulidien Tdlen bestehendes Qanzes kdniie 
man sidi sowohl anschaulidi wie unanschaulidi vorstdlen : dn ^^Kreuz, dis 
rot ist" z. B^ entweder indem man sidi ein rotes Kreuz, oder indem man 
sich nebeneinander ein nicht-rotes Kreuz und ein nicht-kreuzformiges Rot 
vorstellti). Und wenn ich ihn recht verstehe, durfte er hinzufOgen, in ge- 
wissen F^len kdnnte ein solches Ganzes nur unanschaulidi voif[estdit 
werden: dann namlich, wenn die ^^Zusammensetzung"* der Teile dnen 
Widerspruch einschldsse, wie etwa in dem Falle eines ^^Kreises, der 
viereckig ist^. Ich fuhle mich indes ganzlich auBerstande, mit der 6^ 
hauptung, die anschauliche Vorstellung eines nicht-roten Kreuzes und dnes 
nicht-kreuzf5rmigen Rot sei eine unanschauliche Vorstellung eines y^Kreuzes, 
das rot isfS einen vemunftigen Sinn zu verbinden. Mir erschdnt sie nidit 
anders, als mir die andere Behauptung erschiene, die Vorstellung dnes Spides 
Karten sei die ^^unanschauliche Vorstellung^ eines Kartenhauses. Denn io 
beiden Fallen werden zwar die Elemente eines mdglichen Komplexes 
vorgestdlt, und zwar anschaulich vorgestellt, der Komplex selbst da- 
g^en wird in beiden Fallen nicht vorgestdlt, und zwar weder anschauUdi 
noch „unanschaulich^ Meinonq wendd sich zwar g^en diese in dem 
„exklusiven Gebrauche des Wortes Vorstellen hervortretende Bevoizugung 
der Anschaulichkeit vor der Unanschaulichkdt^. Ich sehe jedodi bier nichts 
von einer Bevorzugung, sondem bloB das Festhalten an dner unent- 
behrlichen Unterscheidung. Wer dag^en protestiert, daB man dnen 
Vogel ein „nicht-pflanzliches Gewachs*' nenne, gibt damit nicht den Pflanzen 
vor den Tieren den „Vorzug**; er dringt nur auf eine sachgemiBe Vcr- 
wendung der TerminL Ebenso ist es gar nicht „vorzuglicher'S wenn man 
Annahmen S. 109 ff. 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 215 
sich ein rotes Kreuz vorstdlt, als wenn man nur den Sinn des Ausdrucks 
„Kreuz, das rot isf' versteht, ohne sich ein rotes Kreuz vorzustdlen — gleich* 
gaitig, ob man sich im letzteren Falle anderer anschaulicher Hilfsvorstd- 
lungen bedient oder nicht Desw^en darf man aber doch nicht sagen, 
es werde auch in diesem Falle ein rotes Kreuz votffestellt Die Haltung 
Meinonqs ist um so erstaunlicher, als eine einwandfreie Deutung solcher 
FSlle llngst nicht nur von Anderen, sondem auch von ihm sdbst geflbt 
worden war. So sagte schon Kruq % ein Mrundes Quadrat" sei „eine blofie 
Wortverimflpfung als Zeichen iiigendeiner vidleicht mdglichen Qedanken- 
verknupfung, die aber, sobald sie ausgeffihrt . . . werden soil, als unm5glich 
behmden wird .... Solche Wortverknflpfungen sind also bloBe Aufforde- 
rungen zum Denken, bei denen es aber nicht zum wirklichen Denken kommt^. 
Und femer: Wenn die ^Partialvorstdlungen in eine Totalvoistellung*' nicht 
^ufgenommen werden konnen, . . . hdBt der Begriff unm6glich, und isl 
• . . mithin dgentlich gar kdn Begriff, sondem nur • . . eine Aufforderung 
zum Denken, die nicht realisiert werden kann^ Ersetzt man hier den Be* 
griff durch die Vorstellung und das Nicht«realisiert-werden-k5nnen 
durch das Nicht-realisiert- werden, so erhUt man dne vollkommen zu- 
treffende Beschreibung jenes Falles, in wdchem das „Kreuz, das rot ist^ an* 
geblich „unanschaulich vorgestdlt'* werden soil. Qanz in diesem Sinne nun 
hatte auch Mcinonq selbst fraher von der ausgefGhrten „Verbindung 
von Vorstdlungselementen'' ihre bloB angezeigte Verbindung unter* 
schieden^): eine Unterscheidung, die sich seither Corneuus^) mit Recht 
angeeignet hat NatOrlich kann die begriffliche Vereinigung der Merk- 
male auch dann ausgefuhrt werden, wenn die vorstellungsmftBige 
Verknflpfung der Partialvorstdlungen bloB angezeigt wird. Der Sinn der 
Worte „Kreuz, das rot ist^, kann ja sogar dann verstanden werden, vrcnn 
ich mirfiberhaupt nichtsanschaulich vorstdle. Allein diesbeweist nur, 
daB eben das Denken des Aussageinhalts und das Vorstdlen der Aussage- 
grundlage zwd ginzlich heterogene psychische Erlebnisse sind, ftlr die es 
gerade wegen dieser ihrer Heterogeneitat verkehrt ist, einen gemdnsamen 
Namen zu gebrauchen. Wird jedoch dieses erkannt und das Denken des 
Aussageinhalts nicht mehr mit dem irrefflhrenden Ausdruck unanschauUches 
Vorstdlen bezeichnet, dann tritt nur um so deutlicher der Umstand zutage^ 
daB diese „Denktlltigkeif S solange sie nur als solche bestimmt werden kann, 
ein psychologisches x bleibt, das sdner Einordnung in den systematischen 
Zusammenhang der psychischen Tatsachen entbehrt^). 
Log. § t8 (S. 57 f.) u. S 47 (S. 177). ^) HuME-Studien II, S. 99. ^) Psydiolog. 
S. 60. <) In allemeuester Zeit hat Meinono unter Heranziehunfi: der „gegen8tand8- 
theoretisdien'' Methode einen neuen Anlauf genommen, das Universalienproblem 
zu klaren (Oegenstandstheorie S. 120ff.). Ein Begriff* sag[t er jetzt, ist die Vor> 
stellung eines unvoUstandig bestimmten Oegenstanaes, die insofem audi selbst un- 
voUstandiff bestimmt ist „Qegenstandstheoretisch'' nun ist dies lediglich eine 
WiederhoTung der alten Erkl&rung, die Chr. Wolff in seiner „Onto!ogie'' gab 
(§ 230) : Ens universale est, quod omnimode determinatum non est, seu guoatanrnm- 
modo continet detemUnationes intrinsecas communes pluribus singularibus, exdusis its. 
216 NOOLOOIE 
In der Tat beschranken sich auch in der Gegenwart die allemidsia 
Rationalisten auf negative Bestimmungen der spezifisch gedanldidien Eikb- 
nisse, wenn sie nicht geradezu auf alle solche Bestimmungen vemchia 
So sagt PalXoyi*): „Der Moment des Erkennens ist weder eine Emp- 
findung noch ein Oefiihl noch irgend ein diesen verwandtes Eriebnis." W» 
er jedoch ist, erfeihren wir nicht Auch die folgende Ausdnandersetzuoi 
Geysers ^ — wort- aber wohl kaum inhaltsreicher als der eben angefufarie 
Satz — durfte schwerlich geeignet sein, die psychologische Eigenait der 
logischen Funktionen ins Licht zu setzen: „Die Begriffe sind Wissensinhaii^ 
die nach ihrem eigentumlichen Wissensinhalt von uns nick 
angeschaut, sondem ledigh'ch gewuBt werden Der Unterschied dc 
Anschaulichkeit resp. Nicht-Anschaulichkeit bedingt es, daB in Empfindunga 
und Vorstdlungen Individudles, im Begriff hing^en Allgemeines eriomd 
wird. Was wir namlich anschauen, das existiert, d. h. ist ein Etwas, nidi 
ein reines Nichts in der Welt . . . Alles Existierende ist aber individud, 
ein in sich einmalig Vorhandenes. Beim Begriffsinhalt verhalt sich die Sadie 
anders. Da wir ihn als solchen nicht anschauen, so ist auch mit dem bloBa 
Wissen von demselben seine Existenz nicht g^eben, weder im bejahenda 
noch im vemeinenden Sinne. Infolgedessen kann dieser numerisch Eioe 
Wissensinhalt an sich zugleich in viden Existenzen verwirklicht sen uod 
also auch von ihnen alien in demsdben Sinne und mit der gieichen Wahr- 
hdt ausgesagt werden. Darin besteht die Allgemdnhdt des Begriffe.'' Audi 
Cohen gesteht^): „Das Denken ist, als Voi^gang des Erkennens, dn Voiigai^ 
des BewuBtseins'^ und wiederum: ,,Ein Moment der BewuBtheit ist ds 
Denken auch, und zwar in alien sdnen Formen.'' Was ffir ein Momeot 
indes, daruber verlautet nichts, und eben durch dieses notgedrungene 
quae in individuis diversa sunt Denn dies heiBt: das Universale (der Qegenstand 
eines allgemeinen Begriffes, oder der „Typus") ist ein Gegenstand. der nidit voB- 
standig bestinimt ist, indem er bloB die vielen Individuen gemeinsamen Bestiiih 
mungen enthalt, die bei den einzelnen Individuen verschiedenen Bestimmungen dt- 
fegen nicht enthalt. In der Tat ist dies ja nur die Nominaldefinition des y^ypus^* 
raglich dagegen bleibt bei Wolff die psychologische Erfassung dieses „nnvoS- 
standig besBmmten Gegenstandes". Antwortet nun Meinono auf diese Frage, jeoe 
Erfassung c^eschehe durch eine Vorstdlung, die, well sie einen unvoUstand^ Ix- 
stimmten Gegenstand habe, selbst unvollstandig bestimmt sei, so kann er untff 
einer unvollstandig bestimmten Vorstellung nur entweder eine ansdban- 
liche Oder eine unanschauliche Vorstellung verstehen. Ist die unvollstandig Ix- 
stimmte Vorstellung anschaulich, so falltsie mit der allgemeinen Vorstellung 
LoCKEs zusammen und steUt eine ebensolche psycholo^sche Absurditit dar wie 
diese. Denn des beruhmten Englanders „Vorsteilung eines Dreiecks, das weder 
spitz- noch recht- noch stumpfwinklig isf S war ja gar nichts anderes als eben die 
„Vorstellunc' eines unvollstandig bestimmten Gegenstandes''. 1st dag^egen die an- 
vollstandig bestimmte Vorstellung unanschaulich, dann ist sie eben sar keine Vor- 
stdlung, sondem ein Denkaki Die Frage indes, welche der Psvcnologte hier 
testelli ist, lautet gerade: durch welche psychischen Inhalte erfant unser Denken 
ie als Universalien oder Typen bezeichneten unvollstandig bestimmten Oegen- 
stande? Auf diese Frage aber suche ich auch in Meinonos letzten Darlegungen 
vergebens nach einer Antwort ») Log. S. 194. ^) Psycholog. S. 8. ^ Log. S. 21 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 217 
■ Schweigen widersetzt sich der Rationalismus den gerechten Anspriichen der 
I Psychologie. Rickert i) hat es unumwunden ausgesprochen: „Worin die Be- 
9 deutung eines Wortes besteht, wenn sie keine anschauliche Vorstellung ist, 
I hat noch niemand zu sagen vennocht" Ribot endlich hat audi hier das 
I stets weit offenstehende asylum ignorantiae aufgesucht : nachdem er namlich 
I — wie in § 53. 5 gezeigt wurde — zu dem Schlusse gekommen ist, daB 
I unmoglich Vorstellungen das Verstandnis abstrakter Ausdrucke ausmachen 
I kdnnen, erklart er^ dasselbe falle ins UnbewuBte — obwohl wir doch 
I ohne Zweifd wissen, ob wir ein Wort verstanden haben oder nidit 
i HussERL hat versucht, sich diesen Konsequenzen zu entziehen. Er be- 
zeidinet die spezifisch logischen Funktionen als Akte, und wir haben schon 
gehdrt (§ 38. 5), daB er hierunter nidit Verstandestatigkeiten, sondem rein 
zustandliche BewuBtseinserlebnisse versteht^). Infolgedessen ist er dem 
grundsatzlichen Einspruche der Psychologie nicht mehr ausgesetzt; und in 
der Tat ist z. B. seine Beschreibung der Auffassung einer Tatsache durch 
einen Tati>estand^) eine tadellose, sofem die Aufzeigung und Unterscheidung 
der einzelnen Ahte in Frage kommi Dag^en liegt nun, wie mir scheint, 
die Schwache seines Standpunktes in der p^chologischen Isolierung, in die 
er die „kVie^ dadurch versetzt, daB er ihrer Verwandtschaft mit anderen 
BewuBtseinstatsachen nicht weiter nachdenkt GewiB, auch wer z. B. den 
Sinn des Wortes Dies als ein Gefuhl nachweisen will, wird dieses Gefuhl 
ebensowenig mit einem anderen gldchsetzen kdnnen, als die Empfindung 
Rot mit dner anderen Empfindung sich identifizieren laBt Er wird indes 
doch auf verwandte Gefuhle hinweisen und so den psychologischen Ort des 
fraglichen Erlebnisses naher bestimmen konnen. Er wird etwa darauf auf- 
merksam machen, daB das Dieses zum Jenes sich ahnlich verhalt wie das 
Du zum £>, das Wahrgenommene zum bloB Phantasierten, kurz daB das 
Dieses A^m Jenes g^^nuber durch ein Gefuhl der Unmittelbarkeit 
charakterisiert ist Hiemit wire dann eine zwar gewiB nicht erschopfende, 
allein immerhin annahemde materiale Bestimmung des Sinnes won Dieses 
angebahnt Fur Husserl dag^en ist die Bedeutung des Wortes Dies „der 
Akt des Dies-Meinens'^^), so daB also der Sinn des Wortes durch den 
Akt, und der Akt wiederum durch den Sinn des Wortes erklart wird — 
eine Erklarung, die man im besten Fall eine for male wird nennen mussen. 
Hiedurch wird jedoch, wie wir schon sagten, das Band zwischen Aussage- 
inhalt und Aussagegrundlage durchschnitten. Wenn der ,yAkt", in dem wir 
den Begriffsinhalt erfassen, etwas vollig anderes ist als die Wahmehmung, 
in der wir den G^enstand erleben, dann wird es unbegreiflich, warum 
gerade nur gewisse G^enstande durch gewisse Begriffsinhalte sich auffassen 
lassen. Husserl selbst hat dies sehr wohl gduhlt Denn er gesteht^), es 
sei „unbestreitbar, daB in den ,Wahmehmungsurteilen< die Wahmehmung 
>) Orenzen S. 48. 2) id. g6n. S. 147 ff. 3) Log. Unterss. II, S. 358. *) Ibid. II, 
S. 486 ff. 5) Ibid. II, S. 490. ^) Ibid. II, S. ^^^ 
218 NOOLOOIE 
in einer inneren Beziehung zum Sinn der Aussage stehe^. Wie flberwinkl 
er nun diese Schwierigkeit? Er l&Bt den Akt den Qqnenstand meioei 
Oder intendieren, und nimmt an, diese Bedeutungsintention so 
leer, solange der Oegen$tand nicht anschaulich vorgestdlt wird, sie wotle 
erfailt, sobald dies der Fall ist^). Nun ist ja gegen diese Art, den fng> 
lichen Sachverhalt zu benennen, nichts dnzuwenden* Wenn ich dee 
Sinn eines Namens verstehe, ohne mir dnen der von ihtn bezeiduidB 
O^enst&nde vorzustdlen, so kann man sehr wohl sagen« daB idi Aen joe 
QegenstiUide einstweilen bloB meine. Alleih num sollte doch nidit w- 
kennen, daB hiedurch dieser Sadiverhalt nodi kdneswegs erklirt ist 
Denn wie kann idi etwas meinen^ wovon mir — der Voraussctning met 
— gar nidits gegeben ist? Husserl hat dnen Versudi, dieses Probtae 
aufzuldsen, nidit gemadit Dassdbe erstredct sidi fibrigens weiter, als bfsher 
angenommen ward. Wenn idi dnen Namen vergessen babe, so sidle id 
den veiigessenen Namen gewiB nicht vor. Trotzdem mdne ich ihn« Wii 
hdBt das? Es steht nicht ebva so, als wfirde mir nur — rein privativ — 
zu dnem Gegenstande der zugehdrige Name fehlen. Vidmehr WegL m 
— ganz positiv — der veigessene Name ,^uf der Zunge^: ich meiiu nidit 
nur ganz im allgemdnen den mir vdllig unbekannten Namen des gegebena 
Gegenstandes, sondem geradezu den vergessenen Namen, obwolil ich ibo 
nicht vorstdle und nicht vorstdlen kann. Birch-Reichenwald Aars spridit 
in solchen Fallen von dnem Symbolgeprftge^ — dn nicht unang^ 
messenes Wort, das uns indes fiber die Tatsachen wenig sagt v. Ehren* 
PELS meint3), der „WerdeprozeB der anschaulichen, dirdcten, aus der in- 
direkten Vorstdlung^ fundiere eine besondere Oestaltqualitat LieSe 
sich dies sogar gegenflber unsem prinzipidlen Einwendungen (§ 31. 1—3) 
aufrecht halten, so wilrde es uns doch gar kdne Auskunft darflber gd)a, 
wie dne „indirekte Vorstdlung^ mdglich ist Lipps erkUrt — Qbrigens nadi 
dem Vorgange von James ^) — „alles Meinen'' als dne „Perzeption8tendenz"^ 
Dies sieht vidleicht im ersten Augenblick so aus, als wiirde damit dne Er- 
Mining wenigstens angebahnt Denn einer Tendenz k5nnten ja wohl irgcod- 
wdche GefOhle des Strebens und Erwartens entsprechen. Alldn dennodi 
bliebe die Hauptsache unerledigt zurQck: nlUnlich das Strd>en nadi etwas 
und Erwarten von etwas Bestimmtem. Die „Tendenz^ als solche wire 
ja gleich, auf was immer sie sich richtde. Wie jedoch diese Tendenzeo 
als verschieden eriebt werden kdnnen, je nach ihrem Zid, wenn doch dieses 
Zid vorerst noch nicht eriebt wird — hierOber gibt audi die Eridirung 
von LiPPs keinerlei AufschluB. Am schwersten hat unser Problem wohl 
RoYCE 6) empfunden. Der Frage : wie kann ich ein x meinen^ das mir nicht 
gegeben ist? glaubt er nur durch den Notausgang der Mystik entrinnen 
zu kdnnen. Er antwortd n&mlich: Ich kann jenes x meinen^ wdl ich nur 
») Ibid. II, S. 37 f. 2) Psycholog. Anal. S. 159 f. «) Oesi Qual. S. 274 If. *) PsydL 
1, S. 472. 5) FWD, S. 89. ^) Modem Philosophy S. 366 ff^ vgl. Religious Aspect 
S. 420 ff. 
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 219 
^ein Tell des Einen WeltbewuBiseins bin, das Alles umfaBt, und well daher 
^ in Wahrheit audi jenes x mir ge8[eben ist, — zwar nicht insofern ich dieses 
* Individuum, wohl aber sofem ich das WdtbewuBtsein bin. Die Antwort 
■ mag richtlg sein; zu der Frage paBt sie nicht. Denn gefragt wird ja, wie 
k ich X meinen kann, sofern ich dieses Individuum, nicht sofem ich das 
* WeltbewuBtsein bin. Wenn das principium individuationis stark genug ist, 
^ um mich am Vorstellen des x zu hindera, wamm sollte es nicht auch stark 
k genug sein, um mir das Meinen des x zu verwehren? Zum mindesten 
* aber gilt folgende Erwagung. Kann ich x nicht vorstdlen, so gehort es 
k zu jenem Teil des WdtbewuBtseins, das fur mich qua Individuum dn Un- 
I bewuBtes darstdlt; kann ich es trotzdem mdnen, so beruht dieses Mdnen 
^ auf der Einwirkung desUnbewuBten. Allein in dem Moment, wo dieses 
r zug^eben wird, verliert die ganze Konstmktion ihren Wert Denn da ich 
\ ja nie etwas meine, was ich nicht auch sdbst qtta Individuum vorzustdlen 
Oder wenigstens auf andere Art in der Weise der „Erf{illung^ zu erieben 
vermdchte, so k5nnte auch mein individudles UnbewuBtes all dasjenige 
leisten, was hier dem kosmischen UnbewuBten zugemutdd wird. Man 
mflBte dann z. B. sagen, ich meine den vei^gessenen Namen, weil er mir 
— zwar nicht bewuBt, woM aber unbewuBt gegeben ist DaB jedoch diese 
Erklamng nicht genugt, leuchtet ein. Denn es ist ja gar nicht die Frage, 
wie mein Meinen etwa zu begrunden sdn mdchte. Sondem die Frage 
ist, was ich in meinem BewuBtsein vorfinde, wenn ich xmeine^ ohne 
es vorstdlen zu kdnnen. Kann jedoch diese, allein entscheidende Frage 
durch den Rekurs auf UnbewuBtes uberhaupt nicht beantwortet werden, so 
ist die Hypothese von Royce eine solche, die mit einem Maximum von 
Annahmen zu einem Minimum von Leistung gdangt: sie ist daher unbe- 
dingt abzulehnen. Vermag indes der Rationalismus nicht zu erkllren, wie 
der Aussageinhalt die Aussagegrundlage meinen kann, so lIBt er sich 
fiberhaupt nicht halten. Denn nur indem er auf solche Weise ein neues 
Band zwischen dem Aussageinhalt und der Aussagegmndlage herstdlte^ 
kdnnte er jener Konsequenz entrinnen, die sich sonst aus der voUstlndigen 
psychologischen Trennung des logischen BewuBtsdns und des bloB aus 
Vorstdlungen und Gefuhlen bestehenden TatsachenbewuBtseins notwendig 
ergibt: der unbeschrankten AuffaBbarkdt aller Aussagqjundlagen durch alle 
Aussageinhalte und damit der vollstandigen Unanwendbarkdt des logischen 
Denkens auf das tatsachliche Oeschehen. 
1 
DRITTES KAPITEL 
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 
§ 55 
NTER gOnstigen UmstlUiden wird jede Aussage- 
grundlage in jedem denkenden Wesen eine ge 
wisse Totalimpression hervomifen, die aus 
einer Anzahl von Oef iihlen besteht (§ 15). Unier 
den Oeftihlen nun, die dergestalt mehrere ahnliche 
Aussagegrundlagen in Einem denkenden Wesen 
hervorrufen, werden sich auch gleiche befinden, und 
den Inbegriff s o 1 c h e r gemelnsamer OefQhle wollen wir eine t y p i s che 
Totalimpression nennen. Ebenso werden sich auch unter den 0^ 
fuhlen, die Eine Aussagegrundlage in mehreren Hhnlichen denkenden ' 
Wesen hervomift, gleiche befinden, und den Inbegriff d i e s e r gemdn- 
samen Oefuhle wollen wir eine generelle Totalimpression nenneiL 
1st endlich eine Oruppe ahnlicher Aussagegrundlagen und eine Gruppe 
Hhnlicher denkender Wesen gegeben, dann nennen wir den Inb^jiff 
jener Oefuhle, welche von jeder jener Aussagegrundlagen in jedem 
dieser denkenden Wesen hervorgerufen werden, eine genereil- 
ty pis che Totalimpression. 
Solche generell-typische Totalimpressionen kdnnen femer dutch ge- 
wisse logische Formalgeffihle, die selbst genereller Art sind, 
noch untereinander in Beziehung gesetzt werden und sich so zu ge- 
gliederten Komplexen zusammenschlieBen. 
Als ein solcher gegliederter Komplex von generell-ty- 
pischen Totalimpressionen der Aussagegrundlage stdit 
sich nun im allgemeinen fur den pathempirischen Standpunkt 
der Aussageinhalt dem BewuBtsein dar. 
Hiemit haben wir die Erste semasiologische Hauptfrage (§ 48) be- 
antwortet 
ERLAUTERUNG 
1) Unsere Kritik des Rationalismus hatte uns in § 54. 1 zu dem Er- 
gebnis gefuhrt, der Aussageinhalt musse sich dem BewuBtsein als 
ein Oefuhl oder Oefuhlskomplex darstellen. Denn er kSnnte die 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 221 
Aussagegrundlage nicht ^meinen^, wenn nicht irgendwelche durch sie 
hervorgerufene psychische Elemente auch in ihm enthalten waren ; die 
Aussagegrundlage nun rufe, wenn sie in schlichter Weise eriebt werde, 
d. h. ohne durch einen Aussageinhalt aufgefaBt zu werden, keine 
anderen psychischen Elemente hervor als Vorstellungen und Oefuhle; 
daB aber nicht Vorstellungen den Aussageinhalt konstituieren kdnnen, 
habe unsere Kritik des Nominalismus hinlanglich gezeigt Indem wir 
demnach daran gehen, das Bedeutungsproblem nach der pa t hem- 
pi rischen Methode zu bearbeiten, richtet sich unsere Aufmerksam- 
keit zunachst auf jene Oefuhle, welche die Aussagegrundlage 
auch dann in uns hervorruft, wenn sie in schlichter Weise eriebt wird. 
Den Inbegriff dieser Gefuhle konnen wir jedoch nach § 15 als die 
Totalimpression der Aussagegrundlage bezeichnen. 
Freilich, so ganz ohne weiteres kann das BewuBtsein des Aussage- 
inhalts mit der Totalimpression der Aussag^^ndlage nicht zusam- 
menfallen. Denn zwei spezifisch verschiedene Aussagegrundlagen 
konnen nie gleiche Totalimpressionen besitzen, w3hrend sie doch sehr 
haufig durch gleiche Aussageinhalte sich auffassen lassen. So z. B. 
rufen ohne Zweifel der Dom von Pisa und die Q. Symphonic sehr 
verschiedene Oesamteindrucksgefuhle hervor, und dennoch kdnnen 
beide durch den Begriffsinhalt Kunstwerk aufgefaBt werden. Indes, 
schon die Erwagung dieses Beispiels weist wohl den W^, auf dem 
die erwahnte Schwierigkeit zu besiegen ist Denn warum wir sowohl 
einen Dom als auch eine Symphonic ein Kunstwerk nennen, dies kann 
doch eigentlich gar nicht zweifelhaft sein: es geschieht dies namlich 
darum, weil beide gewisse Oefuhle des Oefallens in uns hervorrufen, 
und zwar Oeffihle des Oefallens von solcher Art, wie sie nicht durch 
Naturgegenstande, sondem eben nur durch kunst- und planvoll ge- 
gliederte Objekte hervorgerufen werden. Es zeigt sich somit, daB die 
Verschiedenheit der Totalimpressionen der Oleichheit der Aussage- 
inhalte deshalb nicht im W^e steht, weil die verschiedenen Total- 
impressionen, unbeschadet ihrer Verschiedenheit, dennoch gleiche 
Oefuhlsmomente enthalten kdnnen. Mit anderen Worten : die Oefuhle, 
welche eine Totalimpression konstituieren, sind zum Teil gerade dieser 
Einen Totalimpression eigentumlich, und diese Oefuhle konnen wir 
dieindividuellen Momente der gegebenen Totalimpression nennen ; 
zum Teil sind sie ihr mit einer Oruppe anderer Totalimpressionen ge- 
meinsam, und diese Oefuhle kdnnen wir als ihre typischen Momente 
bezeichnen. Nehmen wir ferner an, es sei eine bestimmte Oruppe 
von Aussagegrundlagen, und daher auch von Totalimpressionen, ge- 
222 NCXDLOOIE 
geben, so kdnnen wir jedeeinzelne dieser Totalimpressionen tine in- 
dividuelle Totalimpression, den Inbegriff der alien g^ebenen 
Totalimpressionen gemeinsamen Oefuhlsmomente dag^en eine ty- 
pische Totalimpression nennen. Soweit wir nun nach dem 
von uns betrachteten Beispiele urteilen ddrfen, scheint diese typische 
Totalimpression zu dem Aussageinhalt zum mindesten in dner viel 
engeren Beztehung zu stehen als jede der individuellen Totalimpres- 
sionen. Denn alle Bauten, Oemilde, Statuen, Dichtungen, Musik- 
stucke usw. heiBen, so scheint es, Kunstwerke^ weil und insofem die 
von ihnen hervorgerufenen Totalimpressionen gewisse Oefuhle des 
Gefallens als gemeinsame typische Momente in sich enthalten. 
DaB wir jedoch mit diesem Gedankengange uns in der Tat auf der 
wahren Spur befinden, die zur Aufldsung der Ersten semasiologischen 
Hauptfrage fuhrt, dies bestatigt uns die Erw3gung, daB wir auf dieser 
Spur schon jetzt die zwei groBen Hindemisse umgangen haben, die 
dem Nominalismus und Rationalismus entgegenstanden. [>enn wir 
sehen jetzt: es kann zwei verschiedenen Aussagegrundlagen dn ge- 
meinsames psychisches Element auch dann entsprechen, wenn die 
Vorstellungen beider Aussagegrundlagen durchaus keine gemein- 
samen Bestandteile aufweisen, ja sogar wenn sie — wie die Vorstd- 
lungen von Dom und Symphonie — ganz heterogenen Sinnesgebieten 
angehdren; trotzdem aber ist dieses gemeinsame psychische Element 
in dem schlichten Erlebnis jeder der beiden Aussagegrundlagen wirk- 
lich enthalten, und es ist daher leicht b^eiflich, daB nicht jede 
beliebige Aussagegrundlage durch jeden beliebigen Aussagdnhalt auf- 
gefaBt werden kann. 
2) Damit wollen wir keineswegs sagen, daB der Aussagdnhalt sich 
dem BewuBtsein einfach als typische Totalimpression darstelle. G^[en 
eine solche Behauptung wtirden sich vielmehr entschddende Ein- 
wendungen, nicht nur mehr populirer, sondem auch streng wissen- 
schaftlicher Art erheben. 
ZunSchst namlich wird man gegen das Bisherige, und fiberhaupt 
g^en diesen ganzen Paragraphen, vor allem dnwenden, nichts Ab- 
surderes lasse sich denken als die hier von uns versuchte Reduktion 
des spezifisch Logischenauf das Oeftihl. Wir sdbst hStten doch 
in § 48 mit Nachdruck das groBe Faktum des logischen Ver- 
kehrs hervorgehoben : die logische Valenz eines Oedankens wird 
nicht beriihrt durch die psychologischen Besonderhdten der dnzdnen 
denkenden Individuen. Wenn jedoch schon die Vorstellungen, 
die das Denken dnes Gedankens b^ldten, von Individuum zu In- 
^ 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 223 
dividuum variieren, urn wie viel wechselnder und ungleichartiger mflssen 
erst die Oefuhle sein, da doch das Oefuhl die subjektivste Art des 
Erlebens ist? Was gibt es Individuelleres als die Art und Weise, wie 
der Einzelne zu den Tatsachen Stellung nimmt, mithin auch als die 
Gefuhle, die siein ihm hervorrufen? Und dieserxat' J^oxnjv alogische 
Charakter des Oefuhls — wird man fortfahren — laBt sich auch durch 
das Zuruckgehen auf typische Oefiihle nicht verwischen. Denn die 
persdnliche F^lrbung der gefQhlsmaBigen Stellungnahme wird sich, 
wenigstens in vielen Fillen, nicht nur der einzelnen Tatsache, sondem 
auch einer ganzen Gruppe von Tatsachen gegenuber geltend machen. 
Der Streitlustige etwa wird jedem Kampf mit Behagen, der Fried- 
fertige jedem mit Unbehagen entgegensehen. Auch die typische 
Totah'mpression wird daher im ersten Falle ein Moment der Lust, im 
zweiten ein Moment der Unlust enthalten. Wie konnen also trotzdem 
der Streitlustige und der Friedfertige beide mit dem Worte Kampf 
dieselbe logische Bedeutung verbinden, da doch, falls typische Total- 
impression gleich Aussageinhalt wire, fiir sie dieses Wort einen ganz 
verschiedenen Sinn ausdrucken mflBte? 
Rein theoretisch aber wird man das Folgende einwenden. Zugegeben, 
daB in alien Eindrucken, welche die einzelnen Aussagegrundlagen einer 
Gruppe auf Einen Denkenden machen, Eine typische Totalimpression 
als gemeinsames Element enthalten ist, so macht doch auch schon 
Eine einzige Aussagegrundlage auf mehrere Denkende verschiedene 
Eindrucke. Wenn demnach hier, wo der Unterschied des Individuellen 
und Typischen uberhaupt wegfallt, die von Einer Tatsache hervorge- 
rufenen Gefuhle ohne Zweifel voneinander verschieden sind, wie 
kdnnte trotzdem diese Tatsache Gegenstand einer gemeinsamen 
logischen Auffassung werden, falls das Wesen der logischen Auffassung 
in den Gefiihien ISge? Wie konnten z. B. zwei Menschen mit dem 
Worte Sonne denselben Sinn verbinden, wenn doch in der Total- 
impression der Sonne fflr den Frostelnden ein Moment der Lust, fur 
den Fiebernden ein Moment der Unlust enthalten ist? 
Wir knupfen unsere Erwiderung an diese strengere Formulierung 
des Einwands ; denn gerade sie verrit deutlich genug, wie ihm begegnet 
werden kann. Ebenso namlich^ wie die von mehreren Aussagegrund- 
lagen in Einem Denkenden, wwden auch die von Einer Aussagegrund- 
lage in mehreren Denkenden hervorgerufenen Totalimpressionen nicht 
nur verschiedene, sondem auch gleicheOeffihlsmomente enthalten. Denn 
so lihnlich wie die einzelnen Aussagegrundlagen sind einander auch 
die einzelnen Denkenden. Auf alle Menschen insbesondere wirken 
224 NOOLOOIE 
identische Tatsachen auch in gleicher Weise ein, unbeschadet dei 
hinzutretenden, je nach der Individualitlt verschiedenen Farbung des 
Eindrucks. Alle z. B. erleben ein gewisses Oefuhl der Blendung, wenn 
sie in die Sonne schauen — mag auch die Totalimpression der Sonne 
in dem Einen Falle ein Lust-, in dem andem ein Unlustmoment ent- 
halten. Kurz, wie in der Totalimpression solche Momente unterschieden 
werden konnen, welche nur einem bestimmten Objekt eigentflmlich, 
und solche, welche einer ganzen Oruppe von Objekten gemeinsam 
sind, so kann man in ihr auch auseinanderhalten : jene Momente, die 
nur Einem bestimmten Subjekt eigentumlich, und jene, die einer ganzen 
Gruppe von Subjekten gemeinsam sind. Wenn wir nun den ersten 
Gegensatz zum Ausdruck brachten durch die Unterscheidung imU' 
vidueller und typischer Momente und Totalimpressionen, so wollen 
wir jetzt dem zweiten gerecht werden durch die Distinktion singul&ra 
und genereller Momente und Totalimpressionen. AIs eine s i n gu 1 a r e 
Totalimpression namlich bezeichnen wir f ortan eine solche, welche 
von einer Aussagegrundlage in Einem denkenden Wesen hervorge- 
bracht wird, als eine generelle Totalimpression dagegen den 
Inbegriff jener Oefuhle, die in samtlichen, von einer Aussag^rundlage 
in mehreren denkenden Wesen hervorgerufenen Totalimpressionen ge- 
meinsam enthalten sind. Und nun tragen wir dem Faktum des 
logischen Verkehrs Rechnung durch die weitere Bestimmung,, dafi dei 
Aussageinhalt nicht nur als eine typische, sondem auch als eine 
generelle Totalimpression dem BewuBtsein sich darstellt 
Wenden wir uns jetzt zu dem friiher entwickelten, mehr popularen 
Einwande g^en die Reduktion des Logischen auf Oefuhle zuruck 
Dieser Einwand fuBte, wie wir uns erinnem, auf der hdchst persdn- 
lichen, von Individuum zu Individuum variierenden Farbung des Oe 
fQhIs. Im allgemeinen nun erkennen wir jetzt leicht, daB dieses Be 
denken entkraftet wird, wenn das BewuBtsein des Aussageinhalts sXdt 
von dem Gefuhlseindruck der Aussagegrundlage eben dadurch unter< 
scheidet, daB es alle hdchst persdnlichen und variablen Momenta 
dieses Gefiihlseindrucks von sich ausschlieBt und nur dessen gattungs 
maBig gemeinsame Momente umfaBt Wie dies indes mdglich sd 
mag uns vorerst ein Blick auf eine Parallelerscheinung lehren. Den 
Faktum des logischen Verkehrs entspricht namlich das anden 
Faktum desmoralischen Verkehrs. OewiB differieren die Ansichtei 
fiber den moralischen Wert einer Handlung oft in hdherem Gradi 
voneinander als jene fiber die logische Valenz einer Aussage. Immer 
hin besteht in jeder sozialen Oruppe innerhalb relativ weiter Orenzei 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 225 
eine Oemeinschaft der moralischen Beurtdlung. DaB nun dlese Oe- 
metnschaft auf OefGhlen der Billigung und MiBbilligung beruht, 
werden wohl heutzutage nur mehr ganz verbissene Intdlektualisten 
leugnen. Dennoch sehen wir, daB diese Oemdnschaft durchaus un- 
abhSngig ist von der singulftren FHibung des persGnlichen Oefdhis: 
auch wenn ich sdbst aus einer Handiung Nutzen ziehe, kann ich sie 
an dem MaBstabe der herrschenden Moral messen, und sobald idi 
dies tue, werde ich sie ganz ebenso als Unrecht erkennen und ver- 
dammen wie dn Anderer, der durch sie vidldcht empfindllch ge- 
schSdigt wird. Auch die Moral also beruht auf OefQhlen. Alidn 
nicht auf die Gesamthdt aller durch eine Handiung err^en OefQhIe 
grtindet sich die moralische Bewertung, sondem sie schlieBt die sin- 
gulSr-persdnlichen aus und stQtzt sich altein auf gewisse generdt- 
gattungsm26ige OefOhle. Adam Smfth i) hat dies ausgedrfickt durch 
die These, in der moralischen Bewertung reagierten wir g^en dne 
Handiung mit den OefQhlen des unbetdligten Zuschauers {the impartial 
spectator). Dies laBt sich nun auf die Logik ohne weiteres QbertragM. 
Auch im logischen Denken reagieren wir g^en dne Tatsache mit 
den OefQhlen des unbetdligten Zuschauers. So wie der moraHsch 
Urteilende davon absieht, ob ihm persOnlich die Handiung Nutzen 
Oder Schaden bringt, und ausschHeBlich jene OefQhIe zu Worte 
kommen IgBt, die ihm mit alien andem moralisch Urtdlenden gemdn 
sind, so sieht auch der logisch Denkende davon ab, ob ihm persOnlich 
die Tatsache angenehm oder unangenehm ist, und l^t nur jene Oe- 
fQhIe sprechen, die er mit alien andem logisch Denkenden tdlt Es 
kdnnen daher z. B. zwd Menschen, von denen der Eine jedcsm Kampfe 
freudig, der Andere miBmutig entgegensieht, dennoch sehr wohl mit 
dem Worte Kampf denselben Sinn verbinden, obwohl dieser Sinn skh 
ihrem BewuBtsein nur als ein Komplex von OefQhlen darstdlt; denn 
die OefQhIe der Freudigkdt und des MiBmuts gehOren zu den sin- 
guldren Momenten der betreffenden Totalimpressionen, deren genereUe 
Momente etwa ledigiich dn OefQhl der TSttgkdt und dn OefQhl der 
Hemmung dieser TStigkdt umfassen* Wie endlich diese Sonderung 
der generellen von den singulllren OefQhlsmomenten vor skh geht, 
ist gldchfalls kein Oeheimnis: in dem ProzeB des Sprechenlernens 
voUzieht sie sich vor unsem Augen. Nehmen wir an, dn Kind h5re 
den Namen A fur einen Oegenstand gebrauchen, der in ihm dieses 
erste Mai den OefQhlskomplex a p y auslGst Dann wird ihm zu- 
nSchst dieser Komplex o p t dig Bedeutung von A darstellen. Nun 
1) Moral Sentiments 11. Z 2 (S. 139 ff.). 
Oomperzy WcltantrhiimngBlchre II I 15 
226 NOOLOOIE 
rufe aber derselbe Oegenstand ein zweites Mai in ihm selbst den Oe- 
fiihlskomplex a ^ 8 hervor, oder es entnehme aus den Aussagen seiner 
Umgebung, daB diese jetzt mit dem Oegenstande nicht das Gefuhl y, 
sondem das Oeffihl 8 verbindet, — und dennoch werde derselbe aber- 
mals durch A bezdchnet Jetzt wird es ^ und 8 — als stng^lare, 
variable Momente — aus der Bedeutung von A ausscheiden, die ihm 
nun nur noch die Oefuhle a p umfassen wird. Auf gleiche Weise 
werde ein drittes Mai p durch 6 ersetzt Dann werden auch diese 
singulSren und variablen Momente aus der Bedeutung von A heraus- 
fallen, und das Kind wird jetzt den O^enstand nur mehr insofem A 
nennen, als er das Oefuhl a — mithin ein generelles, konstantes Ge- 
fuhlsmoment — erregt Nach einem ganz analogen Schema wird sich 
flbrigens auch die typische aus der individuellen Totalimpression aus- 
sondem, nur daB dabei nicht die Personen wechseln, welche den 
Namen A gebrauchen, sondem die Gegenstande, fiir die er gebraucht 
wird. Das Endergebnis dieser gesamten Prozesse jedoch besteht 
darin, daB sich mit groBer Genauigkeit aus den individuellen und 
singularen jene typischen und generellen Gefuhlskomplexe ausscheiden, 
welche fQr das BewuBtsein die logische Bedeutung der Worte darstellen. 
DaB es sich indes hiebei in der Tat um einen gefuhlsmaBigen Vor- 
gang handelt, dafQr 1^ auch die Sprache ein unverachtliches Zeugnis 
ab, indem sie den ganzen, eben dargestellten ProzeB als die allmahliche 
Entwickelung, Ausbildung und Verfeinerung des Sprachgefuhls be 
zeichnet 
3) Die bisher dargel^en Unterschddungen zwischen individuellen 
und fypischen Totalimpressionen einerseits, singiMren und generellen 
Totalimpressionen andererseits durchkreuzen einander, und es sind 
daher grundssltzlich vier Arten von Totalimpressionen denkbar. Alle 
diese vier Arten kommen jedoch auch wirklich vor. 
Die singular-individuelle Totalimpression ist praktisch 
von der grdBten, logisch von der geringsten Bedeutung. Sie umfaBt 
jene Gefiihle, die eine einzelne Tatsache in einem einzelnen Menschen 
erregt Sie ist mithin die gefuhlsmaBige Seite des „schlichten'' Erleb- 
nisses der Aussagegrundlage — zugleich jene Totalimpression, von 
der wir in § 15 allein gehandelt haben. Auf sie baut sich dasjenige 
auf, was man die anschauliche Erfassung des Besonderen nennen 
kann. 
Die singuUr-typische Totalimpression entbehrt gleichfalls 
noch der logischen Erheblichkeit. Allein sie ist ein wichtiges Mittel, 
nicht nur derpersdnlichen Orientierung, sondern auch des k u n s t- 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 227 
1 e r i s c h e n Schaffens. Sie umfaBt jene Oef uhle, die durch verschiedene 
Tatsachen gleichmaBig in Einem Individuum hervorgerufen werden. 
Auf ihr beruht z. B. jener typische Oesamteindruck, den i c h auf einer 
Reise nach Italien von italienischen Menschen, Sitten oder Landschaften 
gewinnen kann. Dieser Eindruck ist typisch, weil er aus zahlreichen 
individuellen Fallen das Oemeinsame h&raushebt; allein er ist auch 
singular, weil er meine ganz personliche Stellungnahme zu diesem 
Oemeinsamen in sich enth^t und deshalb auf allgemeine Geltung 
keinen Anspruch machen kann. So kennt jeder Mensch Typen von 
Frauen, Denkem, Kunstlem, Nationen, Landschaften, die i h n anziehen 
und abstoBen, in dieser und jener Weise beruhren, ohne daB er des- 
wegen auch schon eine objektiv-gultige ErklSrung, eine Jogische De- 
finition dieser Typen geben kdnnte : diese anschauliche Erfassung des 
Allgemeinen hat fur ihn den Wert einer subjektiv-personlichen 
Orientierung. Dieser Wert steigert sich, wenn der Mensch zum Kunstler 
wird. Man sagt oft, der Kunstler solle typische Gestalten, Charaktere, 
Situationen, Schicksale, Gefuhle usw. darstellen. OewiB mit Recht 
Allein diese kiinstlerischen Typen sind keine logischen. Denn der 
Kunstler stellt sie dar, wie sie ihm erscheinen, er bringt in seiner 
Darstellung auch seine persdnliche Stellungnahme zu diesen Typen 
zum Ausdruck. Und er soil sie zum Ausdruck bringen. Denn wir 
wollen im Kunstwerk nicht ein objektiv giiltiges Schema, das Ergebnis 
einer wissenschaftlichen Klassifikation, vor uns sehen, sondem zugleich 
eine Selbstdarstellung der kQnstlerischen Persdnlichkeit, einen Ausdruck 
ihrer Individualitat. Der Jeremias der Sixtina z. B. ist gewiB „der 
Typus eines verzweifelten alten Mannes". Allein daB gerade diese 
Ziige ihm fur einen verzweifelten alten Mann typisch schienen, darin 
spricht sich unmittelbar die Persdnlichkeit des Michelangelo aus, und 
jeder Versuch, diesen Typus zu einem allgemein gultigen zu machen, 
ihn in eine logische Formel zu fassen, wurde unfehlbar die Eigenart 
dieses Werkes verfehlen. In jedem Kunstwerk bleibt ein Rest, der 
sich der verstandesmaBigen Erfassung entzieht Dies heiBt psycho- 
logisch: dem kQnstlerischen Denken mogen typische^ es konnen ihm 
jedoch niemals generelle Oesamteindrucksgefuhle zugrunde liegen. 
Das Oegenstuck zu den singular-typischen bilden die generell- 
individuellen Totalimpressionen, d. h. Gefuhlskomplexe, die 
yon Einer Tatsache gleichmSBig in mehreren Personen hervorgerufen 
werden. Fundieren jene die asthetische Erfassung des Allgemeinen, 
so begrunden diese die logische Erfassung des Besonderen. So 
stellen sie insbesondere fur das BewuBtsein den Inhalt der Indi- 
15» 
228 NOOLOOIE 
vidualbegriffe und den Sinn der Eigennamen dar. Dafi nam- 
lich auch diese B^ffe einen Inhalt, diese Namen einen Sinn haben, 
^ geht daraus heivor, daB es ein VerstSndnis z. B, der Namen Sonne 
und Sokrates gibt^ ohne daB ich mir etwa jene oder diesen anschaulich 
vorstellen mQBte. Auch 1st es nicht schwer, zu begreifen, woher 
hier die generellen Oeffihlsmomente kommen. So verschieden nSmlich 
die singuldren, persdnlichen Oefuhlegsein mdgen, die wir der Sonne 
Oder Sokrates entgegenbringen, so gibt es doch auch diesen Individuen 
gegenfiber gewisse, uns Allen gemeinsame OefQhlsmomente. Von 
der Sonne sagten wir schon, es sei z. B. das Oefuhl der Blendung 
dn solches gemeinsames Oefflhlsmoment Ooch auch wer von So- 
krates iiigend etwas weiB — und wer von ihm gar nichts weiB, der 
versteht auch den Namen Sokrates nkht — , der weiB wohl auch, daB 
dies ein Denker war, der eines gewaltsamen Todes gestorben ist Mit 
den Worten Denken und gewaltsamer Tod aber verbinden wir sicheriich 
gewisse Oefiihle, die mithin alien denen gemeinsam sind, die den 
Namen Sokrates verstehen. Trotzdem kann nattirlich von einer typischen 
Totalimpression hier, wo uberhaupt nur Ein Oegenstand in Frage 
kommt, nicht die Rede sein. Die generell-individuelle Totalimpresskm 
erweist sk:h somit wiridich als die psychologische Orundlage fflr die 
logisdie Erfassung des Einzelnen. 
Diese bleibt indes doch immer eine Ausnahme. Mit Recht hat man 
vidmehr seit jeher fOr die eigentliche DomSne der Logik das Allge- 
mdne erkldrt Der k>gischen Erfassung des Allgemeinen nun li^en 
stets die Oesamteindrucksgefflhle der vierten Art, die generell- 
typischen Totalimpressionen, zugrunde. Stehen einander 
nSmlfch dne Gruppe von Objekten und dne Oruppe von Subjekten 
gegeniiber, so wird jedes Objekt in jedem Subjekt dne Totalimpression 
hervorrufen. Jede solche Totalimpression wird dne singul§r-individudle 
sdn, und solcher singuiar-individudler Totalimpressionen wird es — 
wenn wh" annehmen, daB a Subjekte b Objekten gegenflberstehen — 
a X b geben. Nun wissen wir, daB die Totalimpressionen, wdche 
jedes der b Objekte in Einem der a Subjekte hervorruft, gewisse ge- 
meinsame Oduhlsmomente enthalten, und daB deren Inbegriff eine sin- 
gular-typische Totalimpression konstituiert Solcher singular-typischer 
Totalimpressionen wird es daher — da jedes der a Subjekte von alien 
b Objekten Einen derartigen typischen Eindruck empfangt — a geben. 
Ebenso wissen wir, daB auch die Totalimpressionen, wdche Eines 
der Objekte in jedem der a Subjekte hervorruft, gewisse gemeinsame 
OefQhlsmomente enthalten, und daB deren Inb^^ff eine generdl-in- 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 229 
dividueUe Totalimpression konstituiert Solcher generell-mdtvidueller 
Totalimpressionen wird es daher — da jedes der b Objekte Einen der- 
artigen genereUen Eindruck erzeugt — b geben. Allan gewisse Ge- 
fiihlsmomente werden nun audi in alien Totalimpressionen, die jedes 
der b Objdcte in jedem der a Subjekte hervorruft (mithin auch so- 
w oh 1 in alien a singular-typischen wie in alien b generell-individuellen 
Totalimpressionen), gemeinsam entbalten sein, und deren Inbegriff 
konstituiert nun eine generell-typische Totalimpression. Sokher generell- 
typischer Totalimpressionen kann es daher, mdgen auch die Zahlen 
a und b noch so groB sein, immer nur Eine geben, da ja die Oe- 
samtheit aUer a Subjekte und b Objekte immer nur Eine Oesamtheit 
sein kann. Diese Einheit der generell-typischen Totalimpression in- 
mitten der unbegraizt vielen Subjekte und Objekte fallt jedoch zusam- 
men mit der Einheit des Aussageinhalts g^aiQber der unbegrenzten 
Vielheit sowohl der Aussagegrundlagen wie der aussagenden Indi- 
viduen; sie b^jQndet jenen uberindividuellen Charakter der logischen 
Werte, den wir in § 48. 1 so entschieden hervorgehoben haben. Zu- 
gleich aber enthullt sich die durch und durch soziale ^4atur des 
Logischen. Es ist ja die Einbiklung des gesellschaftlkhen Produkts 
der Sprache in das BewuBtsetn des Einzelnen, die es bewirkt, dafi mit 
den Aussagelauten nur die alien Aussagenden und alien Aussag^j^nd- 
lagen gemeinsamen Eindrucksgefuhle sich verknupfen, und erst durch 
diese Verkniipfung wird die Oruppe der generell-typischen Gefuhls- 
momente aus dem Chaos der singulSr-individuellen EindrucksgefQhle 
herausgehoben, gednigt und zu einem dauamden Gebilde^ dem BewuBt- 
sein des Aussageinhalts, gemacht 
Wir woUen diese Verhaitnisse zum SchluB noch an zwei verwandten 
Beispielen erlSutem : namlich an den Inhalten der Begriffe Nehmen und 
Empfangen. Aussagegrundlagen dieser Begriffe sind alle denkbaren 
Handlungen des Nehmens und Empfangens. Diese sind naturlich 
voneinander uberaus va-schieden, denn ich kann mit der Hand Geld, 
mit dem Mund Medizin, mit dem Geist Kenntnis, durch den EntschluB 
mir ein Recht nehmen usw., und kann auch ebenso Geld, Medizin, 
Kenntnisse und Rechte empfangen. So verschieden wie diese Hand- 
lungen sind dann auch die von ihnen erzeugten individuellen Total- 
impressionen, da z. B. die Organempfindungen der Handbew^;ung 
gegen das Geftihl des Lemens offenbar Qberaus stark differieren. Auch 
die singulSren Totalimpressionen jener Handlungen sind ebenso ver- 
schieden wie die individuellen. Denn ich kann rasch und zdgemd, 
heiter und finster, gierig und widerwillig etc nehmai und empfangea 
230 NOOLOOIE 
All dieser Vielheit und Mannigfaltigkeit der Handlungen und Emp- 
findungen steht indes der Eine und identische Inhalt der B^^riffe 
Nehmen und Empfangen gegenQber. Was entspricht ihm im BewuBt- 
sdn? Nichts anderes, meinen wir, als die Verbindung der Oefuhle 
Machtsteigerung und Aktivitdt in dem Einen, Machtsteigenmg und 
PassivUdt in dem anderen Falle. Denn was immer von wem immer 
genommen oder empfangen werde, stets erlebt der Nehmende oder 
Empfangende ein GefQhl der Machtsteigerung, und stets ist dieses 
verknQpft mit dnem OefQhle der Tatigkdt, wenn von Nehmen^ mil 
einem Gefuhle des Leidens, wenn von Empfangen die Rede ist Diese 
Gefuhle also sind die generdl-typischen Momente all jener zahllosen 
singulSren und individuellen Totalimpressionen : indem sie an den 
Worten Nehmen und Empfangen gleichsam eine StQtze und einen Halt 
finden, sondem sie sich aus dem Chaos jener anderen Oefuhlsmomente 
aus und bilden nun Eine generell-typische Totalimpression. Diese 
aber stellt fflr das BewuBtsein den Sinn dar, den wir mit den Worten 
Nehmen und Empfangen verbinden, somit den logischen Inhalt der 
gleichnamigen Begriffe. 
Man sieht endlich zugleich, was die psychologische Orundlage der 
logischen Definitionen ist. Wir kdnnten ja nSmlich auch rdn 
logisch das Nehmen als aktive, das Empfangen als passive Macht- 
steigerung definieren. Der logischen Definition eines Begriffes ent- 
spricht somit psychologisch die Aufzahlung der Oefuhlsmomente, 
welche den Begriffsinhalt konstituieren, und diese GefQhlsmomente 
sind jene psychischen Daten, die den logischen Bestimmungen, 
den sogenannten Merkmalen, zugrunde liegen. Das „Merknial* 
eines Begriffes stellt sich dem BewuBtsein als das Gefuhlsmoment 
einer generdl-typischen Totalimpression dar. 
Damit sind auch die Orenzen der logischen sowohl als der psycho- 
logischen Analyse bezeichnet Man kann einen Begriff nur so lange 
durch „Merkmale" definieren, als die ihm zugrunde liegende generdl- 
typische Totalimpression noch eine unterscheidbare Mehrheit von Oe- 
fuhlsmomenten umfaBt Oriin z, B. laBt sich erklaren als eine Art von 
Farbe^ Farbe als eine Art von Empfindung. Denn hier lassen, zwar 
nicht die Vorstdlungen, wohl aber die Oefuhle eine Zerlegung zu. 
WShrend namlich jede konkrete OrOnempfindung voUkommen einfach 
und unzerlegbar ist, kann ich in dem individuellen Eindruck, den dne 
solche Empfindung mir macht, mindestens noch vier Oefuhlsmomente 
unterscheiden: erstens das individuelle OefQhlsmoment, welches gerade 
dieser Grunnuance dgentumlich zukommt; zweitens das typische 
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 231 
Oefuhlsmoment, das alien OrQnempfindungen, drittens dasjenige, das 
alien Farbenempfindungen, viertens jenes, das alien Empfindungen 
uberhaupt gemeinsam ist i). Allein das zweite dieser Gefjihlsmomente, 
der generell-typische Eindruck, den im Gegensatze zu allem Roten, 
Blauen usi alles OrQne auf alle Menschen macht, entzleht sich weiterer 
Zerlegung. Aus dies em Orunde gibt es keine logische Definition 
jener spezifischen Differenz, welche den Begriff Oriin von dem Begriff 
Farbe unterscheidet (vgl, § 40. 3). Auf solche einfachste Oefflhie kann, 
ebenso wie auf die einfachsten Vorstellungen, nur mehr hinge- 
wiesen werden. Auf derartige Hinweisungen mQssen sich deshalb 
auch unsere pathempirischen Analysen in letzter Linie beschranken. 
4) Die generell-typischen Totalimpressionen sind der Stoff des 
logischen BewuBtseins: als ein gedanklicher Extrakt aus den Tatsachen 
sind sie das Moment, das den Aussageinhalt mit der Aussagegrund- 
lage verbindet und durch welches sich die Aussage auf dasjenige be- 
zieht, wo von die Rede ist Sie fundieren daher jene Seite des Denk- 
inhalts, die wirin§ 45. 1 die semasiologische Materienannten, 
und von der wir in § 47. 7 und 11 weiter sagten, sie reprasentiere 
innerhalb der ^Bedeutung'' das Moment der ^TatsSchlichkeit'' und 
^O^ebenheit" und finde ihren Ausdruck vorzugsweise in den kate- 
gorematischen Redeteilen. Ihr steht jedoch diesemasiologische 
Form gegenuber, die Art und Weise, wie von den Tatsachen die 
Rede ist, das Moment der ,,Auffassung'' und ,,Gliederung'', das sich 
vorzugsweise ausdruckt in den synkategorematischen Redeteilen. 
Dieses aber ist durch den Hinweis auf die generell-typischen Total- 
impressionen noch nicht erklart 
Vergleichen wir z. B. miteinander die Aussagen: »Es regnet", 
„Regnet es?", „Es m6ge regnen!*. Ihre Aussageinhalte sind ohne 
Zweifel voneinander verschieden. Ebenso verschieden sind auch die 
3 ausgesagten Sachverhalte, das „Regnen", das „Regnen?" und das 
„Regnen-Sollen". Allein die Aussagegrundlage, dasjenige, wo von die 
Rede ist, ist in alien drei Fallen dasselbe: das Regnen. Denn in 
den Tatsachen liegt nichts von Wunsch, nichts von Frage, ja 
sogar nichts von Bejahung, als welche etwas anderes ist als das 
bloBe Stattfinden. Es kdnnen somit auch die Unterschiede zwischen 
Bejahungs-, Frage- und Wunschsatzen nicht auf Unterschiede der 
generell-typischen Totalimpressionen zuruckgefuhrt werden. In solchen 
1) DaB wirklich auch schon die einfachsten Empfindungen regelmaBig von spezi- 
fiscnen Qefuhlen begleitet werden, ist keineswe^s etwa eine von mir ad hoc aufge- 
stellte Behauptung. Vielmehr hat von diesem ^uefuhlston*' der Vorstellungen schon 
WuNDT ausfuhrlich gehandelt (Psycholog. HI, S. lllff.). 
232 NOOLOQIE 
Fillen durchdringt das nicht-tatsflchliche Moment der Bedeutung die 
ganze Aussaee. In tnderen bezieht es sich auf die Verbindung 
mehrerer Aussageteiie. Denken wir z. B. an Konsekutiv* und 
Finalsfttse, an Kausal- und Konditionalsitze, an Adver- 
sativ- und Konzessivs^tze usL Die Tatsachen existieren und 
geschehen ; sie existieren und geschehen nk:ht so dafi^ nicht damity nicht 
weil^ nicht h^^sm, nicht sondem^ nicht obgleich. Der Sinn alter dieser 
Partikein kann sich daher auch dem BewuBtsein nicht als generell- 
typische Totalimpression darstellen; diese reprasentiert nur dasjenige, 
was in jenen Bezidiungen steht Doch auch mit Konjunktionen, die 
nicht ganze Sitze, nur dnzelne Worte miteinander verbinden, verhalt 
es sich nicht anders. Vergidchen wir z. B. miteinander die beiden 
Sitze .Numerius N^dius ist schuldig, an Aulus Agerius A und B 
zu zahlen^, und .Numerius N^dius ist schuldig, an Aulus Agerius 
A Oder B zu zahlen'', so sehen wir, daB der Bedeutungsverschiedenheit 
beider Aussagen keine Verschiedenheit der semasiologischen Materie 
entspricht: beide Satze handeln von denselben Personen und denselben 
Sachen. Oenerell-typische Totalimpressionen k5nnen mithin auch dieser 
Bedeutungsverschiedenheit nkht zugrunde liegea Endlich dringt 
dieses nicht-tatsachlkhe Moment auch in die einzeinen Worte ein. Dies 
wird am deutlkrhsten an den verschiedenen Wortformen,gilt jedoch 
auch von den verschiedenen Wortarten. Man kann nicht sagen, 
daB dem Oenitiv des Houses ein anderer Eindruck entspricht als 
dem Dativ dem House. Man kann auch nicht sagen, daB Eine 
generell-typische Totalimpressk>n den Sinn des Adjektivs Rot^ eine 
andere den des Substantivs Rote darsteilt 
Wollen wir diese ErwSgungen in bundiger, wenn auch roh-sche- 
matischer Weise darstellen, so dQrfen wir sie vielleicht so zusammen- 
fassen. Die generell-typischen Totalimpressionen stellen im BewuBt- 
sein jane Momente des Aussageinhalts dar, welche sprachlich durch 
die WortstSmmederkategorematischen Redeteile ausgedruckt 
werden. AUe Momente der Bedeutung dagegen, deren sprachlichem 
Ausdruck die einzeinen grammatischen Form en dieser Wortstamm^ 
femer die synkategorematischen Redetdle, endlich Stellung 
und Betonung der einzeinen Worte dienen, erfordem eine anders- 
artige psychologische Bestimmung. 
Man sieht jndes leicht, daB es sich, wenigstens in viden Fallen, 
auch bei der psychischen Erfassung dieser formaten Bedeutungs- 
momente urn QefQhle handeln muB. Sage ich z. B. aus: ^Wenn 
A B ist, so ist C D'', so drucke ich hiemit jedenfalls das BewuBtsan 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 233 
einer Notwendigkeit aus: giit »A ist B^^i so mufi auch gelten ,C ist 
D^ Ich eriebe tnithin in dem Satze „C ist D"* ein endopathisches 
Gefuhl des Zwanges in Beziehung auf den Satz „A ist B^ Zu- 
gldch zeigt sich: Oefiihle des Zwanges kommen auch auBerhalb des 
Daikens vor; wir erleben sie selbst und l^en sie anderen G^en- 
stinden ein. Diese alogischen Zwangsgefuhle gehen auch in generell- 
typische Totalimpressionen ein; eben hierauf beruht es ja, daB wtr 
mit dem Worte Zwang einen Sinn verbinden. Allein in unserem Falle 
gehort das Gefuhl des Zwanges nicht zu dem Eindruck, den die Tat- 
sachen in mir hervorrufen. Es wird auch nicht einfach in sie hindn- 
gefiihli Vielmehr gelange ich zu einer logischen Auffassung der Tat- 
sachen, indem ich den Eindruck, den sie mir machen, durch das 
Gefuhl des Zwanges ergHnze. Solche GefQhle wollen wir deshalb 
logische Formalgeffihle nennen. Mtchen wir nun dieVoraus- 
setzung, daB derartige GefQhle auBerhalb des Denkens fruher auf- 
treten als im Denken, so kdnnen wir die spezifisch logischen Zwecken 
angepaBten Formen dieser GefQhle auch ais logische Derivate 
bezeichnen. Das Gefuhi des Zwanges, welches die konditionalen 
Aussagai fundiert, ist demnach dn logisches FormalgefQhl oder dn 
logisches Derivat 
Hier ist indes dn wdterer Unterschied anzumerken. Der Satz »Wenn 
A B ist| so ist C D"" kann nSmlich dnen doppdten Sinn haben, je 
nachdem er ein konditionales Verhaltnis zwischen den Sachver- 
halten »A ist B^ und »C ist D"* oder aber zwischen den gldch- 
namigen Satzen ausdruckt In jenem Falle wird das D-Sein des 
C hingestellt als notwendig bedingt durch das B-Sein des A 
(„Wenn dn Mensch tot ist, so ist sdn Blut kalf"); in diesem Falle 
wird dieOeltungdesSatzes »C ist D^ hingestdlt tls notwendig 
bedingt durch die Geltung des Satzes „A ist B*" („Wenn die 
Etrusker Semiten wtren, so gab es in Italien dn nicht-arisches Volk'' i). 
1) Wir werden diesen Unterschied spater als den von real-kondMionalen und Uh 
gisch-konditionaim ScUzen kennen lemen. Derselbe wird von Jerusalem (Idealismus 
S. 195 f.) geleugnet, welcher behauptet^ dafi ^die hvpothetisaie Formel . . . immer 
nur eine Beziehung . . . zwischen dem Furwahrhaiten zweier Urteile" ausdriidce. 
Dies halte ich jedoch furunrichtig. Der von Ierusalem angeMhrte Satz z. B. „Wenii 
ein Korper erwannt wird, so vergroBert aicn sein Volumen'' stellt fiir mein Spracb- 
gefuhl zunachst den Sachverhalt der Volumvergrofierung hin als notwendig be- 
dingt durch den Sachverhalt der Erwftrmung. Uerselbe Unterschied findetsidi 
itbngens auch bei kausalen Satzen. Der Satz ^Da X floh, so ist er ein Feigling^ 
spncbt die notwendige Bedingtheit des zweiten Oedankens durch den erstcn aus; 
der Satz dagegen ,,DaX ein reigling ist, so fk)h er" macht den ersten Sachver- 
halt zur Ursache des zweiten, und sagt kdneswegs aus, dafi das Urteil ,PC ist eiii 
Feigling'' ein zureichender onind sei fiir die Anerkennung des anderen Urteils 
„XTloh". 
234 NOOLOOIE 
Im ersteren Falle nun entstammt das OefQhl des Zwanges zwar giach- 
falls nicht dem Eindruck der Tatsachen (in der Wahmehmung dnes 
Toten mit kaltem Blut liegt nichts von Zwang), allein es wird dodi 
von uns den Tatsachen eingelegt Im zweiten Falle dagegen bringen 
auch wir dieses Gefiihl mit den Tatsachen gar nicht in Verbindung 
sondem legen es nur unseren eigenen Oedanken ein. Seiche 
logische FormalgefQhle nun, welche lediglich der Bew^[ung unserer 
Oedanken entspringen, wollen wir speziell noStische Forinalge- 
f Ohle nennen, oder auch nogtische Derivate, wenn wir sie mit 
entsprechenden OefOhlen, die auBerhalb des Denkens vorkommen, ver- 
gleichen. Das Oefuhl des Zwanges, das die konditionale Aussage 
fundiert, ist somit nicht nur stets ein logisches, sondem in vielen 
Fallen uberdies ein noetisches Formalgefiihl^). 
Dieses Schema bewahrt sich nun auf dem ganzen Gebiete des 
Synkategorematischen. Bejahung und Verneinung z. B. sind 
(vgl. § 38. 4) verwandt mit den BewuBtseinsarten der Liebe und des 
Masses, des freundlichen und feindlichen Verhaltens. Doch 
nicht die Tatsachen, von denen ein Satz handelt, erregen in mir 
diese GefQhle, und ich lege sie auch nicht diesen Tatsachen zum Be- 
hufe ihrer logischen Auffassung ein, sondem ich empfinde diese Oe 
fiihle gegenuber den Gedanken, welche jene Tatsachen auffassen: 
nicht dem Regen gegenQber verhalte ich mich feindlich, wenn ich sage 
»Es regnet nicht*' ^ sondem gegenuber dem Gedanken „Es regatV, 
Auch das Feindlichkeitsgeffihl, welches der Negation zugmnde li^ 
ist daher ein logisches, und naher ein noetisches FormalgefuhL Be- 
trachten wirweiter diedisjunktiven, konzessiven und adver- 
sativen Aussagen. Es scheint mir klar, daB ihnen alien verschiedene 
Gefiihle des KampfbewuBtseins zugmnde liegen. Ich sage aus 
„A ist entweder B, oder es ist C", wenn ich in den Gedanken „A ist 
B'' und „A ist C, in Beziehung aufeinander endopathisch ein 
Gefuhl desStreites erlebe: es ist noch unentschiede/iy welche der 
beiden Moglichkeiten die andere uberwinden wird Ich sage aus „Olh 
Wohin man gelangt, wenn man Konjunktionen und andere formale Aussage- 
elemente nicht Qefuhle ausdriicken lafit, moge hier ein Beispiel zeis^en. St6hr 
bemiiht sich (Log. S. 77), die Bedeutung der hypothetischen Satze klarzustellen, 
und gelan^ zu folcnendem Erc^ebnis: Durch Auflosung der Konjunktionen Wenn 
und So „laBt sich Ein hypouietischer Satz: z. B. ,Wenn A ist so ist B', in 
vier kategorische Satze auflosen: 1. An die Existenz des folgend Qesagten ist die 
Existenz von etwas anderem gebunden ; 2. A ist ; 3. Die Existenz des folgend Oe- 
sagten ist an die Existenz des vorhin Qesafi[ten gebunden ; 4. B isf '. Una das soil 
eine ,.psychologisierende" Darstellung seinf In wahrheit ist es ein Versuch rein 
logischer Analyse — genau jenes Venahrens, das die Scholastik als exposUio kannte 
und iibte. 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 235 
gleich A B ist, so ist es dock C, wenn ich in dem Oedanken „A ist 
B"" in Beziehung auf den Gedanken „A ist C endopathisch einOe- 
fuhl des Angreifens, in dem zweiten dieser Oedanken in Be- 
ziehung auf den ersten ein OefQhl der Abwehr eriebe: die Mog- 
lichkeit »A ist C behauptet sich gegen die Mdglichkeit »A ist B''. 
Ich sage endlich aus »A xsijUcht B, sondem C", wenn ich in dem 
Gedanken ,,AistC endopathisch einOefQhl des Ueberwindens, 
in dem Oedanken „A ist B'^ ein Oefuhl des Uiiterliegens er- 
iebe: die Mdglichkeit »A ist C^ verdrOngt die Mdglichkeit »A ist B^ 
Allein wohlgemerkt: all diese OefQhle werden in mir nicht hervorge- 
rufen von den Aussagegrundlagen A, B und Q sondem von den 
Aussageinhalten ,,A ist B'' und „A ist C^ ; nicht die Tatsachen li^en 
im Streit, sondem die Oedanken. Die Oefflhle, welche die disjunk- 
tiven, konzessiven und adversativen Aussagen fundieren, sind dem- 
nach ebenfalls logische, und zwar noetische FomialgefOhle Indem 
die Teilgedanken durch diese FornialgefQhle zueinander in Beziehung 
gesetzt werden, schlieBen sie sich zu einem Komplex, einer gedank- 
lichen Totalit3t, zusammen. 
Am einfachsten kann man diese VerhSltnisse vielleicht studieren an 
der Bedeutung des Wortes Und. Dieses Wort wird ausgesagt auf 
Gmnd eines OefQhls des Ueberganges. Wenn ich von Einem 
Oedanken zu einem andem Qbergehe, so verbinde ich beide durch 
und% Sage ich z. B. „RoB und Reiter'', so drucke ich damit aus, 
daB ich von der Auffassung des Rosses zur Auffassung des Reiters 
iibergegangen bin. Dieser Uebergang ist daher etwas rein Subjektives, 
das in den Aussagegmndlagen gar nicht liegt, auch von uns nicht in 
sie hineingelegt wird, und dem deshalb auch in den von diesen Aus- 
sagegmndlagen in uns hervorgemfenen generell-typischen Totalimpres- 
sionen gar nichts entspricht. Diese Totalimpressionen finden vielmehr 
ihren sprachlichen Ausdmck lediglich in den beiden Worten Rofi und 
Reiter. Erst indem diese beiden generell-typischen Totalimpressionen 
zueinander in Beziehung gesetzt werden durch jenes noetische 
FormalgefQhl des Ueberganges, welches die Aussage Und fundiert, 
entsteht ein umfassenderer, gegliederterKomplex von Gefuhlen, 
der sich nun dem BewuBtsein als der logische In halt der Aussage 
Rofi and Reiter darstellt. 
Nicht anders steht es endlich mit den Wort-Formen und -Arten. Es 
Da ich jeden solchen Uebergang audi auffassen kann als eine Verdrangung 
Oder Ueberwindung des fruheren Ueoankens durch den spateren, so kann ich sehr 
haufig statt und auch aber sagen, wie z. B. die Verbindung der Satze durch di im 
Orieoiischen beweist 
236 NOOLOOIE 
bedeutet z. B. in unserer Sprache der Akkusativ ein dem betreffen- 
den G^enstande eingelegtes Oeftihl des Leidens, das Zeitwort 
in seiner Aktivform ein Gefu hi derTatigkeit Sage ich also »Der 
Hund sieht den Knochen'', so lege ich dem Hund Aktivitat, dem 
Knochen Passivitit ein. Allein diese ,,Auffassung'' li^ nicht not- 
wendig in den Tatsachen. Ich kOnnte ja audi sagen «Der Knochen 
erscheint dem Hund''. Es kann mithin auch die Passivit3t nicht in d» 
generell-typischen Totalimpression des Knochens, die Aktivitat nicht 
in der des Hundes enthalten sein. Zu den von Hund und Knochen un- 
m i 1 1 e 1 b a r in dem ^unbeteiligten Zuschauer'' heivorgerufenen Oefuhl^ 
gehdren vielmehr nur jene Gefuhlsmomente, welche die Bedeuhing 
der Worts tam me Himd, Sehy Knochen ausmadien. Urn indes diese 
Gefiihismomente zu Einem Aussageinhalt zu verknQpfen, muB ich sie 
durch gewisse Formalgefuhle zueinander in Beziehung setzen. Dies 
sind in unserem Falle die ^Akkusativpassivitat'' und die .Verbalak- 
tivitat'' — zwei Formalgefiihle, nebenbei, die zwar logisch sind, weil 
wir durch sie die Totalimpression der Tatsachen zum Behufe iogischer 
Formulierung erganzen, jedoch nicht noetisch^ da wir die Aktivitat und 
Passivitat nicht etwa den Begriffen Hund und Knochen einiegen, 
sondem den gleichnamigen Sachen. indem nun diese beiden Formal- 
gefuhle in jene drei generell-typischai Totalimpressionen eintreten, er- 
moglichen sie eine wechselseitige Anpassung dieser letzteren, und so 
entsteht der Eine Tatbestand „Der Hund sieht den Knochen ''^ d. h. 
psychologisch, es entsteht ein g^liederter Komplex von Oefuhls- 
momaiten, dessen Material die generell-typischen Totalimpressionen 
und dessen Form die logischen FormalgefQhle bilden. 
Die logischen Formalgefuhle unterscheiden sich von den logischai 
Materialgefuhlen, dai generell-typischen Totalimpressionen, dadurcb, 
dafi sie nicht typisch sind. Denn da sie nicht von den Aussage- 
grundlagen unmittelbar in uns hervorgerufen, sondem von uns zu 
diesen hinzugefiihlt werden, so kann man ihnen auch keine wesentliche 
Beziehung auf eine Mehrheit von Aussagegrundlagen zusprechea 
Dagegen sind die logischen Formalgefuhle ganz ebenso gen er ell 
wie die logischen Materialgefuhle. Alle singularen Besonderheiten, die 
in diesem oder jenem Individuum, zu diesem oder jenem Zeitpunkt, 
auch der emotionellen Seite des Gedankenflusses anhaften mdgen, 
mussen abgestreift werden, wenn es gilt, die logische Bedeutung der 
synkategorematischen Redeteile zu fixieren. In dem Sinn von Aber 
z. B. darf weder die Lust am Widerspruch mitklingen, die den Einen, 
noch der Aerger uber den Widerspruch, der den Andem bei dem 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 237 
Gebrauche dieser Partikel beseelen mag, sondem dieser Sinn muB sich 
erschdpfen in dem Beiden gemdnsamen GefQhle der Verdringung des 
ersten Oedankens durch einen zwdten. Diese generelle Natur alier 
logischen Oefflhie wirft zugldch ein hdles Lkht auf das Wesen der 
einzdnen Aussage. Durch jede dnzdne Aussage nSmlkh Idst der 
Aussagende die Aufgabe, dnen singul9ren Eindruck oder Einfall in 
einen OefOhlskompIex umzusetzen, in welchem generelle Totalimpres- 
sionen durch generelle FormalgefQhle gegliedert werden. Mit anderen 
Worten: mag der auszusagende Eindruck oder Einfail noch so per- 
sonlich sdn, der Sdbsttitigkdt des Aussagenden bidbt doch nur die 
Auswahl der ihm gesellschaftlich iiberiieferten Wortbedeutungen und 
Sprachf ormen Gberlassen ; der f este lexikalische Bestand der Wort- 
bedeutungen und der ebenso feste grammatische Bestand der 
Sprachformen sind sdner Spontaneitat so gut wie vdllig entzogen i). 
Aus diesem Orunde kdnnte auch dne Ausfuhrung der hier entwickdten 
Prinzipien ins Einzelne nur an der Hand dieser festen BestSlnde er- 
folgen, Es muBten entweder die generell-typischen Totalimpressionen, 
wdche den Wortbedeutungen, oder die logischen FormalgefQhle, welche 
den grammatischen Formen einer bestimmten Sprache zugrunde Wegen, 
im BewuBtsein aufgezeigt werden. Es scheint mir jedoch von vome- 
herdn dnleuchtend, daB die erstere Aufgabe nicht nur unabsehbar groB, 
sondem auch unldsbar wSre. Denn wie wir schon in § 40. 3 und 
erst eben wieder gesehen haben, geht schlieBlich fast in jeden Begriffs- 
inhalt dne letzte, nkrht weiter zu analysierende, spezifische Oefiihls- 
nuance dn, und es besteht daher wenig Hoffnung, daB dne gdiihls- 
psychotogische Analyse die Wortbedeutungen auf ein geordnetes 
System Gberschaubarer Elemente zu reduzieren vermSchte Doch 
schlieBt dies nkrht aus, daB die Synonymik zur schSrferen Heraus- 
arbdtung der Bedeutungsnuancen mit Vorteil der pathempirischen 
Methode sich bedienen mochte Auch wir selbst suchen ja haufig den 
Inhalt kosmotheoretisch bedeutsamer Begriffe durch Aufzeigung der 
ihnen zugrunde liegenden generell-typischen Totalimpressionen zu 
klaren. Aussichtsrdcher durfte sich die pathempirische Bearbdtung 
der grammatischen Formen gestalten, da die logischen FormalgefQhle 
=— ais logische Derivate — sich zu auch sonst bekannten OdQhlen 
in Beziehung setzen und daher ohne vitiosen Zirkel bestimmen lassen. 
Alle Casus, Modi, Konjunktionen, Satzarten usw. drQcken nk:hts 
1) Ich sage ,,so sut wie vollifi;^, well es ja gerade moglich ist, dafi auch der 
Einzelne neue wone bilden una nene Fiigungen anwenden, d. h. nene Totaltra- 
pressionen und neue Fomialgefiihle in den gesellschaftlichen Qebrauch einfiihren 
und sie dadorch zu generellen stempeln kann. 
238 NOOLOOIE 
anderes aus als gewisse logische Formalgefuhle. Wenn also eine 
psychologische Grundlegung der S y n t a x Oberhaupt mdglich sdn 
soil, so kann sie nur auf dem Wege gef uhlspsychologischer Analyse 
geleistet werden. Und eigentlich sollte ja dies selbstverstandlich sein. 
Denn eine solche Grundlegung hatte doch keine andere Aufgabe als 
die, das SprachgefQhl zu wissenschaftlicher Klarheit und Bestimmt- 
heit zu erheben. Nur mflBte eben darum diese Arbeit an einer leben- 
den Sprache begonnen werden, und es durften sprachgeschicht- 
licheGesichtspunkte nicht vorzeitig sich einmengen. Denn auch auf 
diesem Gebiete ist die Analysis die unerlaBliche Voraussetzung fur 
die Rekonstruktion der Genesis, und unmoglich wSre eine gefuhls- 
psychologische Bearbeitung der Sprache, die nicht ein lebendiges Sprach- 
gefQhl zu ihrem Gegenstande hatte. 
5) Die Erste semasiologische Hauptfrage ist jetzt beantwortet: der 
Aussageinhalt stellt sich dem BewuBtsein dar als ein g^Iiederter 
Komplex von generell-typischen Totalimpressionen der Aussagegrund- 
lage. Einige Erlauterungen mSgen hier zunachst das Vertrauen zu der 
Zulanglichkeit dieser Antwort kraftigen. Wir gehen dabei aus von dem 
Begriffe des Meinens oder Intendierens, der uns im vorigen 
Paragraphen entgegentrat. Der Aussageinhalt, wissen wir jetzt, meint 
die Aussagegrundlage, well er aus Gefuhlsmomenten besteht, die auch 
in dem schlichten Erlebnis der Aussagegrundlage enthalten sind. Und 
zwar meint er a lie moglichen Grundlagen der gegebenen Aussage, 
weii die typische Totalimpression in jeder individuellen Totalimpres- 
sion jeder einzelnen Aussagegrundlage enthalten ist Soil indes diese 
Erklarung richtig sein, so muB das Meinen stets diese Bedeutung 
haben : auch wo es sich nicht um eine Beziehung von Aussageelementen 
handelt, muB „etwas meinen^ ohne es vorzustellen" stets bedeuten „die 
Totalimpression dieses Etwas erleben". Allein so verhalt es sich wirk- 
lich. Denken wir z. B. zuriick an den Fall des vergessenen Namens. 
Wenn mir ein solcher „auf der Zunge liegt", so ist mir sein gefuhls- 
m^Biger Eindruck gegeben. „Fallt" mir nun der vergessene Name „ein% 
so findet nur jener ProzeB der Differenzierung statt, durch den nach 
§ 15 uberhaupt die Qualitaten aus der Totalimpression hervorgehen: 
eben dieses Beispiel hatten wir ja dort fur diese Differenzierung an- 
gefuhrt. Nur weil jetzt der Name eingebettet ist in die schon fruher 
gegebene und zugleich ihm zugehorige Totalimpression, weiB ich, daB 
der Name, der mir einfiel, derselbe ist, den ich suchte — daB es 
der gemeinte Name ist Ganz in derselben Weise nun, in der ich den 
vergessenen Namen meinen kann, ohne ihn vorzustellen, kann ich 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 239 
auch die Aussagegrundlage meinen^ ohne sie vorzustellen, wenn ich die 
Aussage verstehe. Tritt nun etwa zu dem bloBen Verstandnis des 
Wortes Bourn auch noch die Vorstellung eines bestimmten Baumes 
hinzu, so weiB ich in ganz derselben Weise, daB dies einer der vor- 
her bloB gemeinten GegenstSnde ist, in der ich auch der Identitat des 
wiedererinnerten mit dem bisher nur gemeinten Namen mir bewuBt bin. 
Der Begriff des Meinens spielt in der Lehre vom Aussageinhalt auch 
noch eine andere Rolle. Das Suchen nach einem Worte findet nSmlich 
nicht bloB dann statt, wenn dieses Wort vergessen wurde, sondem 
auch dann, wenn es gilt, fur einen gegebenen Oedanken den passendsten 
Ausdruck zu finden. Ich schrieb z. B. einmal den Satz, es muBten 
gewisse Interessen gewahrt werden. Ehe ich jedoch das Wort ge- 
wahrt f and y zogerte ich lange und habe mir die Phasen dieses 
Schwankens folgendermaBen notiert: „Zunachst fiel mir das Wort be- 
wahrt ein. Alsbald hatte ich das GefOhl, dieses Wort entspreche 
nicht meiner Intention. Nach bewahrt kam das lateinische conser- 
vatur, dann das griechische ocbCetat. Das letztere mit dem Oefiihle 
der Befriedigung: der Sinn von ocoCetaL entsprach meiner wortlosen 
Meinung. Dann kam deutsch honserviert — kurzes Schwanken — 
noch einmal oc&Cetat — dann pl5tzlich und endgultig gewahrt^ Hier 
ist es nun freilich ganz klar, daB meine ,,wortlose Meinung** nicht 
in der Totalimpression des Wortklangs gewahrt bestand; hatte sie 
ja sonst nicht durch ocbCetat „erfullt" werden konnen. Vielmehr war mir 
im BewuBtsein gegeben der S i n n von gewahrtj d. h. die diesem Worte 
entsprechende generell-typische Totalimpression, und als die Aussage- 
laute gewahrt hinzutraten, wurde die mit diesen Aussagelauten asso- 
ziierte generell-typische Totalimpression als identisch erkannt mit der 
schon vorher gegebenen. Denn der Aussageinhalt meint nicht nur 
die Aussagegrundlage, sondern auch die Aussagelaute: jene als seine 
Verwirklichung, diese als seinen Ausdruck. 
Wir haben hiemit zwei jener Stadien der Gedankenentwickelung, die 
wir in § 46 kennen lemten, psychologisch bestimmt Die Aussage 
mit potentiell determinierter Sprachform erweist sich als ein 
gegliederter Komplex generell-typischer Totalimpressionen, der einen 
bestimmten sprachlichen Ausdruck meint\ in der Aussage mit aktuell 
determinierterSprachform haben sich mit jenemOefiihlskompiex 
die Vorstellungen dieses Ausdrucks verknupft. Doch auch das dritte, 
Oder im genetischen Sinne vielmehr das erste, der damals unter- 
schiedenen Stadien entzieht sich nicht gan!^lich der psychologischen 
BestimiTiung. Ich meine die Aussage mit undeterminierterSprach- 
240 NCX)LOOIE 
form, den ^ungegliederten Einfall''. Indem wir aus jener frOheren 
ErOrterung das Wort ungegUedert wiederholen, haben wir diese Be- 
stimmung eigentlich schon vollzogen. Der ^Einfall* ¥rird sich nfimlich 
beschreiben lassen als ein u n g e g I i e d e r t e r Komplex generelUtyiMScher 
Totalimpressionen. Wenn ich einem Mitunterredner, der eben dnen 
Oedanken ausspricht, ins Wort falle^ urn ihm eine Einwendung zu 
machen, so geht meiner Formulierung dieser Einwendung ein ganz 
eigentumlicher BewuBtseinszustand voraus. In diesem Augenblicke; 
in dem ich zu sprechen b^nne, ist der ganze Inhalt meiner Einwendung 
in Ein OefQhl zusammengedrflngt Alles, was ich sagen werde, ist 
keimartig in diesem GefQhl enthalten, entbehrt jedoch der EntfeHuflg. 
Ich kOnnte noch nicht angeben, was ich sagen werde. Erst wihrend 
ich spreche^ legt sich dieser Oedankenkeim in seine Teile ausdnander. 
Ich glaube kaum, daB es mdglich wSre, eine erschOpfende psycho- 
logische Analyse dieser blitzartig vorQbergehenden und wShrend ihrer 
Dauer alle Aufmerksamkeit absorbierenden Zustinde zu geben. OewiS 
fehlen in ihnen nicht alle logischen FormalgefQhIe. Denn wie nach 
§ 27 Qberhaupt die Rdationsgefflhle dem BewuBtsdn von den R^ 
lationsgiiedem vorausgehen, so spricht z. B. auch hier das OefOhl des 
Konzessiven skh frOher deutlich aus als der Inhalt des Konzessiv- 
satzes: ich weiB, daB ich ein ZugestSndnis machen kann Oder muB, 
ehe ich sagen kann, welches Zugestandnis dies sein winL Allein 
ebenso gewiB fehlen in diesen ZustSnden'jene logischen Fomtalge- 
fflhie, welche die grammatische Form der Aussage fundieren: es wire 
in dieser Phase der Oedankenentwkkelung ganz unmOglich, zu sagen, 
welcher B^ff in der b^nnenden Aussage Subjekt, und wdcher 
Pridikat sein, ob ein Wort im Dativ oder im Akkusativ stehen werde 
Das Fehlen dieser FormalgefQhIe genQgt jedoch, urn }ene mangdnde 
Gliederung des ^Einfalls'', die uns beschSftigt, dnigermaBen b^^^ 
lich zu machen. Die logischen Tdle des Oedankens, die wShrend 
der Aussage auseinandertrden, befinden sich vor der Auss^^ in 
dnem Verhaltnisse des Indnander und stellen deshalb dne un- 
geschiedene Einheit dar. Und dies ist der Punkt, auf den es um 
hier ankommt: ich meine die Analogic zwischen der Besonderung des 
Dinges in seine QualitSten und der Besonderung des Oedankens in 
seine logischen Elemente. Denn daB der Aussagdnhalt dn g^iederter 
Komplex generell-typischer Totalimpressionen ist, ist nicht die ganze 
Wahrhdt. Sie wfirde zum Irrtum, wenn man diesen Komplex als dn 
SuBerliches Verbundensdn dSchte. Es ist ihm vidmehr wesentlich, 
daB die einzelnen generell-typischen Totalimpressionen und fogisdien 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 241 
-ormalgefOhle, die ihn konstituieren, sich aussondem aus Einer Total- 
mpression hOherer Ordnung, und daB sie in diese auch nach ihrer 
\ussonderung dngebettet bleiben. Die Aussage ist E i n e Aussage, der 
3edanke E i n Oedanke^ weil er zur Oanze belebt und durchdrungen wird 
/on dem Einen vEinfall^ und nichts anderes ist als dessen Auseinander- 
egang in seine logischen Elemente. Ich sage: in seine logischen 
Elemente^ denn wie wir in § 46 gesehen haben, ist allerdings nur der 
a^egiiederte Oedanke einer logischen Bearbeitung zuganglich. Deswegen 
st jedoch jene psychologische Entwickelung nicht minder bedeutsam. 
\uch an dnem kOrperlichen Ding sind ja nur die Differenzierungs- 
srodukte des ersten Eindruckes, die Qualitaten, der physikalischen Be- 
iibdtung fahig, und doch bilden diese nur darum Ein Ding, weil sie 
Sner Totalimpression inharieren. In derselben Weise nun kann auch 
lie Logik den Aussageinhalt nur bearbeiten, sofem er ein gegliederter 
Complex generell-typischer Totalimpressionen ist; die Psych ologie 
iber muB hinzufQgen, daB im subjektiven Denken des Individuums 
lieser gegliederte Komplex aus einem ungegliederten Komplex, dem 
JigefQhl des ^Einfalls'', sich entwickelt. 
Wir haben betont, daB sich der Sinn einer Aussage im BewuBtsein 
lur als ein Komplex von OefQhlen aufzeigen laBt, mithin auch un- 
ibhangig ist von alien begleitenden V o r s t e 1 1 u n g e n. In der Tat ward 
a in § 53. 3 darauf hingewiesen, daB es keineswegs zu jedem Ge- 
ianken dne adequate Vorstellung gibt Trotzdem ist unleugbar, daB, 
iv o es eine solche Vorstellung gibt, sie nicht nur sehr haufig das Denken 
dnes Aussagdnhalts begleitet, sondem auch als zu diesem Denken 
^esentlich gehOrig empfunden wird. Es ist deshalb ohne weiteres 
nizugeben, daB den Vorstellungen eine eigentumliche Leistung fur das 
Denken zukommt Diese Leistung besteht jedoch lediglich in der Er- 
"egung der generell-typischen Totalimpressionen, Ich kann den 
Sinn der Worte Rot oder Drei verstehen, auch ohne mir ein rotes 
Dbjekt oder drei Objekte vorzustellen, indem ich bloB den gefQhls- 
nSBigen Eindruck in mir reproduziere, den mir ein rotes Objekt oder 
ird Objekte machen. Allein auf die sicherste, muheloseste und nach- 
[laltigste Weise wird mir dieser Eindruck kaum vermittelt werden, 
wvenn die Wahmehmung oder das Phantasma eines roten Objekts 
nesp. dreier Objekte ihn wirklich in mir erregt und lebendig erhalt 
Die Vorstellungen der Aussagegrundlage sind demnach ein zwar nicht 
unentbehrliches, indes doch sehr wesentliches Hilfsmittel des logischen 
Denkens. Allein trotzdem ist nicht nur ein Denken ohne Vorstdlungen 
mSglich, sondem es wird auch die Gleichheit des Denkinhalts durch 
Oomperz, WdtuudituanKslehre II 1 16 
242 NOOLOQIE 
die Verschiedenheit der Vorstdlungen gar nicht benihit Denn in der 
Ldstung, gewisse EindnicksgefQhle zu erregen, kdnnen die ver- 
schiedensten Vorstellungen zusammentreffen. Der E>oin von Pisa und 
die Q. Symphonie, 3 Sterne und 3 Donnerschlage k5nnen — neben 
verschiedenen — audi giddie Gefuhle auslosen und deshalb audi 
gidche Gedanken unterstutzend und .erfullend' begleiten, wahrend 
notwendig dne Verschiedenhdt der Gedanken sdbst resultieren mufite, 
wenn die Gedanken nidits anderes wiren als die Vorstdlungen jener 
G^^enstSnde. 
Zum vollen Verst&ndnis dner Aussage gehdrt das Erid>en des ihr 
entspredienden Komplexes von Bedeutungsgefuhlen. Ein soldies 
Denken kann man dn intuitives nennen. Daneben gibt es jedoch 
auch dn symbolisches Denken, von dessen zwd Hauptformen 
sdion dnmal die Rede war (§ 53. 3 u. 5). Erstens namlich gibt es 
ohne Zweifel dn Denken in bloBen Worten, das nicht von dem ak- 
tudlen Eriebnis der entspredienden Bedeutungsgefuhle b^ldtet wird. 
Dassdbe kann trotzdem dnen sadigemaBen Gebrauch der Aussage- 
laute gewahrldsten, jedoch nur dann, wenn das aktudle Eriebnis der 
Bedeutungsgefuhle suppliert wird durch das BewuBtsdn, daB es uns 
im Falle des Bedarfs jederzdt ni6glich ist, diese Gefuhle zu erzeugen. 
In diesem Falle, d h. dann, wenn der Ruckw^ von den Aussage- 
lauten zu dem von ihnen ausgedruckten Sinn jederzeit beschritten 
werden kann, ist der symbolische Gebrauch sprachlicher Ausdrucke 
ebenso zulassig wie die analoge Verwendung von Spidmarken^ 
algebraischen Zdchen usf. Es gibt indes auch dn symbolisches 
Denken, bd dem diese Voraussetzung nicht ohne weiteres erfullt 
werden kann. Und zwar handdt es sich hier namentlich urn die 
hoheren Zahlen. 1000 Objekte z. B. err^^en uns kdne Eindrucks- 
gefuhle, die verschieden waren von den durch 909 Objekten err^en 
Eindrucksgefuhlen. Dem Worte Tausend schdnt demnach nicht in 
demsdben Sinne wie etwa dem Worte Zwei dne generdl-typische 
Totalimpression zu entsprechen; und doch besitzen die B^^rnffe 
Tausend und Zwd den gldchen Grad logischer Prazision. Scheitert 
an diesem Faktum nicht unsere ganze Auffassung des Aussageinhalts? 
Ich glaube nicht Denn auch hier kann das aktudle Erieben des Be- 
griffsinhalts ersetzt werden durch das BewuBtsdn von dnem Verfahren, 
das die Erzeugung desselben garantiert Um dies naher einzusehen, 
ist es jedoch erforderlich, auBer den bdden bisher erwahnten noch 
zwd andere Arten des symbolischen Denkens ins Auge zu fassen. 
In dem Falle, in dem die Worte als ,Spidmarken* verwendet wurden^ 
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 243 
war das aktuelle Erleben des Aussageinhalts jederzeit mdglich; 
es unterblieb nur tatsachlich wahrend einer gewissen Zeitspanne und 
wurde vertreten durch das Wissen urn die Realisierbarkeit jener M6g- 
lichkeit. Denke ich dagegen an „den ersten Vers, auf den beim Auf- 
schlagen der Heiligen Schrift mein Auge fallen wird", so ist es der- 
zeit unmdglich, eine Totalimpression dieses Verses zu erleben; 
dieselbe wird indes vertreten durch mein Wissen um das Verfahren, 
welches diese Mdglichkeit unter gewissen Umstanden realisieren kann. 
Ist mir endlich der Begriff „Rundes Viereck** gegeben, so ist das Er- 
leben des entsprechenden Gefuhlskomplexes dauernd unrndglich, 
well die Totalimpressionen Rund und Viereckig sich nicht in Einen 
Komplex vereinigen lassen ; dieses Erlebnis wird jedoch suppliert durch 
mein Wissen um das Verfahren, durch welches jener Gefuhlskomplex 
realisiert werden kdnnte, wenn er uberhaupt mdglich ware. Er konnte 
n3mlich realisiert werden eben durch die Vereinigung der Materialgefilhle 
Rundnnd Viereckig m Einen Komplex, unter Mitwirkung solcher Formal- 
gefuhle, durch welche Viereck als ein Gegenstand, Rund als eine Eigen- 
schaft dieses Gegenstandes charakterisiert wird. Ganz so wie mit 
dem B^ffe Rundes Viereck steht es aber nun auch mit dem Begriffe 
Tausendy nur daB hier die Unmdglichkeit des Gefuhlskomplexes nicht 
in der Unvertraglichkeit der Gefuhlsmomente, sondem in der SchwSche 
unserer synthetischen Fahigkeiten ihren Grund hat. Ein Wesen, das 
1000 Objekte ebenso zu uberschauen vermochte, wie wir 2 Objekte 
zu Qberschauen vermogen, hatte das voile Verstandnis des Begriffes 
Tausendy es kdnnte den Inhalt dieses. Begriffes intui tiv erfassen. Wir 
haben ein solches intuitives Verst3ndnis nicht, sondem miissen uns 
mit {einem symbolischen Verstandnis dieses Begriffsinhaltes be- 
gnugen. Dieses symbolische VerstSndnis besteht in dem Wissen um 
ein Verfahren, durch das wir zu jener Menge gelangen konnen, die 
uns die Totalimpression Tausend zu liefem vermochte, wenn wir im- 
stande waren, sie aufzufassen, und jenes Verfahren ist das fortgesetzte 
Hinzufugen von Eins zu Eins. Nun erregen uns die Elemente dieses 
Verfahrens, die Einheiten, in der Tat Totalimpressionen, und ebenso 
die Methode des Verfahrens, das Hinzufugen; auch die Dauer dieser 
Operationen ist durch die Stellung des Zeichens 1000 in dem arith- 
metischen Zeichensystem eindeutig bestimmt. Infolgedessen handelt 
es sich hier um ein wahres symbolisches Denken. Die Prazision des 
B^ffsinhaltes Tausend wird dadurch nicht beriihrt, daB wir sub- 
jektiv nicht imstande sind, das ihm entsprechende Bedeutungsgefuhl 
zu erleben. Denn dieses aktuelle Erlebnis wird aych hier vertreten 
16» 
244 NOOLOGIE 
durch unser Wissen urn das Verfahren, das uns zu jenem Gefuhle 
hinfuhren muBte, wenn wir nur uberhaupt fahig waren, dasselbe zu 
erieben. Einen Einwand gegen unsere Theorie kann jedoch dieser 
Sachverhalt deshalb nicht begriinden, weil doch wirklich ein Wesen, 
das 1000 Objekte als solche auffassen konnte, eine ganz andere und 
viel unmittelbarere Einsicht in den Inhalt des Begriffes Tausend hatte, 
als wir sie haben : es ware ein ganz cities Vorgeben, wollte jemand be- 
haupten, wir batten von diesem Begriffe dasselbe voile VerstSndnis, 
das wir etwa von dem Begriffe Zwei besitzen. Liegt somit hier ohne 
Zweifel eineSchwache vor, so ist dies doch nicht eineSchwache unserer 
Noologie, sondem vielmehr eine solche des menschlichen Verstandes. 
Endlich habe ich hier noch zu erlautem, warum im Texte dieses 
Paragraphen die Erklarung des Aussageinhalts als „eines g^liederten 
Komplexes generell-typischer Totalimpressionen der Aussag^^rundlage'' 
nur als eine „im allgemeinen'' zutreffende bezeichnet wurde. Es soUten 
dadurch einerseits die Individualbegriffe ausgenommen warden, 
deren Inhalt sich ja dem BewuBtsein zwar als eine generelle, jedoch 
nicht als eine typische Totalimpression darstellt, andererseits Gber- 
haupt alle Begriffe, da es bei diesen in gewisser Hinsicht zweifel- 
haft scheint, ob man von einer Oliederung der Totalimpression 
sprechen darf. Freilich gibt es ohne Zweifel auch reich g^liederte 
Begriffsinhalte (z. B. Ungewohnlich grofier Mensch)^ wenngleich natur- 
lich auch diesen jene logischen Formalgefiihle fehlen, wdche der 
Pradikation zugrunde li^en. Allein bei einem B^riffe vix^Mensch 
z. B. sind die logischen Formalgefiihle jedenfalls schon sehr zusammen- 
geschmolzen: nur jene, welche der Wortart und der Wortform on 
unserem Falle der Wortart Substantiv und der Wortform Nominativ) 
eigentumlich sind, lassen sich nachweisen. Doch auch dieser karge 
Bestand scheint, wenigstens in unserer Sprache, noch reduziert zu 
werden bei Begriffen wie z. B. Rot^ von deren sprachlichem Ausdruck 
man kaum behaupten kann, daB er in einem bestimmten Kflsus stehe 
Die bloBe Verbindung mit dem fur alle Adjektiva charakteristischen 
Formalgefiihl macht indes die generell-typische Totalimpression wohl 
kaum zu einer gegUederten. Man muBte deshalb, um ganz exakt zu 
sein, eigentlich sagen, der Aussageinhalt stelle sich dem BewuBtsein 
dar „als eine generelle und meist auch typische Totalimpression der 
Aussagegrundlage, beziehungsweise als ein gegliederter Komplex solcher 
Totalimpressionen". 
6) Es bleibt uns noch iibrig, die Haltbarkeit dieser Definition dadurch 
zu erharten, daB wir die ihr zugrunde li^ende Erklarung wenigstens 
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 245 
an Einem Beispiele etwas mehr ins einzelne ausfiihren. Und zwar 
kehren wir zu diesem Behufe zuriick zu jenem Falle, an dem wir in 
§ 48. 1 auch die Unhaltbarkeit der nominalistischen Erklarung vor- 
greifend dargetan hatten. Es handelte sich urn den Satz: Fosse 
ich diese zwei Einheiten und diese Eine Einheit zusammen, so erholte 
ich drei Einheiten. Wir machten damals die Voraussetzung, dieser 
Satz werde von einem franzosischeni4£^^//(^anlaBlich eines akustischen, 
von einem englischen Visual anlaBlich eines optischen Eindruckes 
ausgesprochen, und stellten die Frage, wie diese beiden Aussagen voll- 
kommen gleiche logische Inhalte haben kdnnen, obwohl Aussagelaute, 
Aussagegrundlagen und Aussagevorstellungen in beiden Fallen durch- 
aus verschieden sind. Diese Frage konnen wir jetzt im allgemeinen 
dahin beantworten, daS jene logischen Inhalte sich dem BewuBtsein 
eben als gegliederte Komplexe von Bedeutungsgeftihlen darstellen, 
somit als psychische Tatsachen, die von alien Sprach- und Sachvor- 
stellungen vollkommen unabhangig sind. Um jedoch diese allgemeine 
Antwort auch im einzelnen durchzufuhren , wollen wir nun jenen 
Komplex von Bedeutungsgeftihlen einer eingehenden Analyse unter- 
werfen, die sich freilich auch nicht vermessen kann, alle Feinheiten des 
Sprachgefuhles auszuschopfen. 
Wir b^nnen diese Analyse mit der Erorterung der formalen 
Gliederung der gegebenen Aussage. Dieselbe stellt sich vorerst dar 
als eine konditionalePeriode:die Wortstellung und das so bringen 
zum Ausdruck, daS sie aus zwei Satzen besteht, von denen der zweite 
durch den ersten bedingt ist Und zwar handelt es sich hier nicht 
um eine Bedingtheit des Gedankens, sondem um eine solche des 
Sachverhalts. Dies bedeutet aber nach oben Oesagtem, daB der unsere 
Aussage fundierende Oefiihlskomplex sich zunachst in zwei Oefuhls- 
komplexe niedrigerer Ordnung gliedert, welche durch das logische 
Formalgefiihl des Zwanges zueinander in Beziehung gesetzt 
sind, indem dieses Oeffihl dem Sachverhalte des zweiten Satzes in Be- 
ziehung auf den Sachverhalt des ersten Satzes eingelegt wird. Jeder 
dieser Komplexe erweist sich nun wieder als der Inhalt eines Satzes, 
dessen im Nominativ stehendes Subjekt mit seinem im Akkusativ 
stehenden Objekt durch ein Zeitwort in der Aktivform verbunden ist. 
Dies heiBt psychologisch : jeder dieser Komplexe gliedert sich weiter 
in zwei Oefuhlsgruppen, die Subjekts- und die Objektsgruppe, und 
jede dieser Gefiihlsgruppen enthalt logische Formalgefiihle von zweier- 
lei Art. Durch die Formalgefuhle der Einen Art charakterisiert jede 
dieser Gef uhlsgruppen ihre Aussagegrundlage als einen Gegenstand; 
246 NOOLOGIE 
ihnen entspricht die Wortart Substantivunu Diese Oefuhle wQrden 
sich bei naherer Analyse als logische Derivate der fQr menschliche 
Individuen charakteristischen Persdnlichkeitsgefuhle erweisen. Wir 
wollen sie jedoch hier kurz als Gegenstandlichkeitsgefuhle 
bezeichnen. Die FormalgefQhIe der anderen Art sind OefQhle der 
Tatigkeit resp. des Leidens. Und zwar wird innerhalb jedes der 
beiden Komplexe dem Gegenstande der Einen OefQhlsgruppe (dem 
Subjekt) Aktivitit eingelegt, dem der anderen OefQhlsgruppe (dem Ob- 
jekt) Passivitat Die bisher aufgezeigten OefQhle fundieren lediglich 
das schematische Satzgerippe: „Wenn A dem B p tut *), so tut M dem 
N q''. Doch auch die Elemente dieses Satzgerippes weisen in unserem 
Falle noch eine recht verwickelte formale Struktur auf. Vor allem 
gUedert sich B — das Objekt des Vordersatzes — in zwei Teilobjekte, 
welche durch und verbunden sind. Das heiBt, ein noetisches 
FormalgefQhl des Ueberganges zeigt an, daB die Auffassung 
des leidenden O^enstandes der ersten OefQhlsgruppe vollzogen 
werden soil als sukzessive Auffassung zweier Teilgegenstande. Das 
Schema gewinnt jetzt dieOestalt: „Wenn A dem b, und b2 p tut, so 
tut M dem N q". Allein die bi und bj — die Teilobjekte des Vorder- 
satzes — sind selbst wieder mehrfach gegliedert. Die Sprachformen 
diese zwei Einheiten und diese Eine Einheit verraten namlich, daB die 
Teilobjekte zunachst Eine Eigenschaft, und daB die mit dieser 
Eigenschaft behafteten Teilobjekte selbst wieder eine andere Eigen- 
schaft haben. Diesem eine Eigenschaft haben entspricht nun psycho- 
logisch das Enthaltensein eines Oefuhlsmomentes in einer Totalim- 
pression. Dieses Enthaltensein fSllt im allgemeinen ins BewuBtsdn 
als ein OefQhl des Unterscheidenkonnens, das wir Attri- 
bution nennen wollen, und das logische Derivat dieses OefQhls ist 
das logische FormalgefQhl, das durch die Wortart Adjektivum sich 
ausdrQckt Eine solche Attribution charakterisiert indes auch N, das 
Objekt des Nachsatzes. Und so wQrde denn unser Schema die Form 
gewinnen: „Wenn A dem u-igen v-igen bi und dem w-igen x-igen 
b2 p tut, so tut M dem y-igen N q." Doch vereinfacht sich dieses 
Schema, da die Subjekte A und M, die Objekte bi, b2 und N sowie 
die Eigenschaften u und w je untereinander identisch sind, zu folgen- 
der Formel : „ Wenn A dem u-igen v-igen B und dem u-igen x-igen B 
p tut, so tut A dem y-igen B q/ Diese Formel nun enthalt noch 
gar nichts von den logischen MaterialgefQhlen des Aussageinhalts, 
Durch die ungelenke Fujgung „A tut dem B p" muB ich hier den Oedanken 
ausdriidken „A iibt an B die Tatigkeit p aus". 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 247 
sondem drfickt lediglich jene Gliederung desselben aus, die auf die 
logischen Formalgefflhle des Zwanges (Wenn — so)^ der O^enstand- 
lichkeit (Substantive), der Tatigkeit und des Lddens (Nominativ — 
aktives Verbum — Akkusativ), des Ueberganges (Und) und des Unter- 
scheidenkSnnens (Adjektive) sich griindet 
Bis hieher haben wir nur die semasiologische Form unserer Aus- 
sage untersucht Wir gehen nun zu ihrer semasiologischen Materie 
fiber. Es sind die generell-typischen Totalimpressionen zu ermitteln, 
welche durch die aufgezeigten Formalgefiihle zu dnem g^liederten 
Komplexe zusammengesdilossen werden, also die BedeutungsgefQhIe, 
welche den B^ffsinhalten Ich, Erhalten, Dies, Eins, Einheit, Zwei^ 
Dreiy Zusammenfassen entsprechen. Das Wort Ich nun hat ver- 
schiedene Bedeutungen (vgl. § 17. 2, 21. 12 und 3a 6). Hier aber 
kommt es wohl nicht so sehr an auf die Abgrenzung der Idisphlre 
gegen weitere Spharen als auf die Entg^ensetzung des Ich g^en das 
Du: die TStigkeiten des Erhahens und Zusammenfassens sollen ge- 
kennzeichnet werden als meine^ im Oegensatze zwfremden Tatigkeiten. 
Dieser Oegensatz ist jedoch ein so fundamentaler, daB wohl auch 
die eingehendste Analyse nur auf ein Paar korrelater, einfacher OefQhle 
fflhrenmSchte; nur durch die OefO hie derEigenheit undFremd- 
heit (ProprietSt und Altruitat) lassen sich die Inhalte der Be- 
griffe Ich wnADu bestimmen (vgl. § 38. 4): das generell-typische Oe- 
fuhl der Eigenheit ist jenes Oefuhlsmoment, das alle Menschen emp- 
finden, so oft sie irgendeinen Gegenstand oder Zustand als zu ihnen 
selbst und nicht etwa zu einem anderen Wesen gehSrig erieben. Die 
psychologische Analyse des Begriffes Erhalten ist uns dadurch er- 
leichtert, daB wir erst kiirzlich eine ahnliche Untersuchung fiir den 
Begriff Empfangen durchgefQhrt haben. Denn Erhalten^ wie es hier 
gebraucht wird, differiert in seiner Bedeutung g^en Empfangen nur 
urn eine kleine Nuance — ane Nuance, welche in dem BewuBtsdn 
davon besteht, daB das Erhalten als Wirkung dner vorbereitenden 
eigenen Tatigkeit eintriti Dieses BewuBtsein kann indes naturlich auch 
nur ein OefQhl sein, dessen nShere Bestimmung freilich nicht ganz 
leicht sein mochte. Jedenfalls setzt sich das Erhalten der 3 Einhdten 
zusammen aus einem OefQhl der Machtsteigerung (ich habe 
jetzt die 3 Einheiten, die ich f ruber nicht hatte), aus einer Passivitat 
(ich nehme mir die 3 Einheiten nicht, sondem sie werden m\x g^eben)^ 
und aus dem eben besprochenen gefiihlsmaBigen BewuBtsein davon, 
daS ich das Empfangen der 3 Einheiten durch ein friiheres Zusam- 
menfassen der 2 + 1 Einheiten vorberdtet habe. Auch flber rf&s haben 
248 NOOLOGIE 
wir vor kurzem (in § 54. 2) schon gesprochen und einOefflhI der 
Unmittelbarkeit (Prasentation) fOr den wesentlichsten Bestand- 
teil der Bedeutung dieses Wortes erkllit Denn diese zwei Einheiten 
sage ich nur, wenn mir die zwei Einheiten unmittelbar sdbst g^eben 
sind, und es weder notwendig noch mSglich ist, erst durch Vermitt- 
lung irgendwelcher Veranstaltungen zu ihnen zu gelangen ; mflBte ich 
mich umwenden, urn sie zu sehen, oder auch nur sie reproduzieren, um 
sie vorzustdlen — kurz waren sie mir nicht selbst g^eben, so kdnnte 
ich sie nur als jene zwei Einheiten bezeichnen; und dieser Unter- 
schied zwischen den Oefuhlen der Unmittelbarkeit und Mittdbarkeit 
(Presentation und Representation), so sagten wir schon damals, 
ist dersdbe, der auch zwischen Du und Er, Wahmehmung und Phan- 
tasma besteht Verbindet sich demnach in dem adjektivisch gebrauchten 
Fiirwort diese die Prasentation mit der Attribution, so hdBt 
dies, daB in der Totalimpression der fraglichen 2 Einhdten das Ge- 
fiihlsmoment der Unmittelbarkeit unterschieden werden konne, — und 
ich glaube nicht, daB es mdglich ist, die Bedeutung des Ausdruckes 
„diese 2 Einheiten"" pr3ziser zu umschreiben. Die restlichen Be- 
griffe unserer Aussage, die sich auf das Oebiet der Zahlen beziehen, 
wollen wir im Zusammenhange behanddn. Wenn zwei Dinge mdne 
Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen — sd es zugleich oder auch 
unmittdbar nachdnander — , so eriebe ich ein OefflhI der Auf- 
merksamkeit ss pal tung (Attentionsdispersion). Dieses Ge- 
fiihl ist ganz dasselbe, ob ich nun meine Aufmerksamkdt an zwd 
Dinge, zwei T5ne, zwei Oedanken usf. verteile. Es ist mithin, so 
meinen wir, das Oeftihl, auf Orund dessen Qberhaupt Zwdheit aus- 
gesagt wird, die generdl-typische Totalimpression, welche den Inhalt 
des Begriffes Zwei darstdlt An eine reelle Spaltung der Aufmerksam- 
keit ist dabei natiirlich nicht zu denken: jener Ausdruck ist dn bild- 
licher und umschrdbt nur die eigenartige OefQhlsqualitat, auf Orund 
deren wir eben von Zweiheit und daher auch von Spaltung reden. 
Wir haben uns jedoch bisher einer Ungenauigkeit schuldig gemacht 
Wir redeten so, als ob jedes Oefuhl der Aufmerksamkeitsspaltung ge- 
rade die Aussage einer Zweiheit fundieren muBte. Allein auch 
wenn drei oder mehrere Objekte uns beschaftigen, tritt dne Attentions- 
dispersion ein. Die in all diesen Fallen von Mehrheit auftretenden Ge- 
fiihle sind jedoch einander zwar ahnlich, aber nicht gleich. Offenbar 
setzt sich namlich jedes dieser Gefuhle zusammen: einmal aus einem 
ihnen alien gemeinsamen Oefiihlsmoment, und sodann aus einer nur 
ihm allein eigentumlichen Nuance. Jenes gemeinsame Gefuhlsmoment, 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 249 
fur sich genommen, fundiert den B^riff der Mehrheit; durch diese 
Nuancen determiniert, macht es den Inhalt der Begriffe Zwei\ 
Drei usw. aus. Im Oegensatze zu all diesen Oefiihlen der Aufmerk- 
samkeitsspaltung steht das Oefiihl der Aufmerksamkeitsge- 
schlossenheit (Attentionskonzentration), das wir erleben, 
wenn wir uns nur mit Einem Objekt — Einem Ding, Einer Farbe, 
Einem Oedanken — beschaftigen. Dieses Oefuhl fundiert den Begriff 
der Einheiti). Davon, daB wirklich nur dieser Unterschied der Oe- 
fflhle — der Attentionsdispersion und der Attentionskonzentration — 
die Einheit und die Mehrheit trennt, kann man sich am leichtesten 
durch das schon in § 37. 1 erwahnte „ Experiment" uberzeugen. Einen 
geknickten Zahnstocher kann ich ebensowohl als eine Einheit wie als 
eine Zweiheit auffassen. Frage ich mich jedoch, wodurch sich diese 
beiden Auffassungen voneinander unterschdden, so finde ich vorerst 
keine andere Antwort als die, daB ich meine Aufmerksamkeit das eine 
Mai auf den Zahnstocher als Oanzes, das andere Mai auf seine beiden 
HSlften, jede fur sich genommen, richte. Frage ich mich indes weiter, 
durch welche Tatsachen meines BewuBtseins ich denn von dieser ver- 
schiedenen „Richtung meiner Aufmerksamkeit" weiB, so finde ich 
endlich keine andere Antwort als die, daB ich eben das eine Mai eine 
Attentionskonzentration, das andere Mai eine Attentionsdispersion er- 
lebe. — Die Aufmerksamkeit ist einer sehr komplizierten Oliederung 
fahig. Wenn mir die Objekte A, B und C gegeben sind, so kann 
ich „ meine Aufmerksamkeit gleichmiiSig auf sie verteilen", d. h. es 
konnen A, B und C gemeinsam durch Eine Nuance der Attentions- 
dispersion charakterisiert sein. Dies wird dann jene Nuance sein, die 
den B^jiff Drei fundiert, und auf Orund dieser Charakterisierung 
werden wir die Objekte A, B und C als drei Objekte aussagen. Ich 
kann jedoch auf dieselben Objekte A, B und C meine Aufmerksamkeit 
auch so verteilen, daB sie sich mir darstellen als Eine Oruppe A B 
und Ein Objekt C, demnach so, daB A und B durch eine Attentions- 
dispersion in der Zweiheitsnuance, C durch eine Attentionskonzen- 
tration charakterisiert ist — wobei dann natiirlich die Oruppe A B 
und das Objekt C selbst wieder gemeinsam durch eine Attentions- 
dispersion in der Zweiheitsnuance charakterisiert sein werden. Wir 
sagen dann auf Orund dieser Charakterisierung die Objekte A, B und 
C aus als „2 Mengen, Eine zu 2 Objekten, Eine zu 1 Objekt". Gehe 
ich nun von dieser zweiten Auffassung zu der ersten fiber, so wird 
Einheit und Ein unterscheiden sich voneinander natiirlich nur durch jene 
Fornialgeftihle, die uberhaupt den Oegenstand von der entsprechenden Eigenschaft 
trennen. 
250 NOOLOGIE 
die kompliziertere durch die einfachere ^Oliederung der Aufmerksan^ 
keif" ersetzt, indem aus „2 Oruppen zu 2 und 1* jetzt vEineGruppe 
zu 3^ wird. Dieser Udbergang nun — und eb^so jeder analog! 
Uebergang — wird b^leitet von einem eigentfimlichen OefQhl, dis 
wirals Aufmerksamkeitszusammenfassungsgef ahl<Attefr 
tionskomprehension) bezeichnen kdnnen, und dieses Oefiikl 
fundierty wenn es als ein die Oruppen A, B und C charakterisierendes 
RelationsgefQhl vorkommt, den arithmetischen Beziehung^begriff pta 
wenn es sich dag^fen mit den OefQhlen der subjektiven TStigkeit v& 
bindet, den B^ff Zusammenfassen — somit den letzten jener B^rifc 
deren Analyse uns noch aufg^;eben war. 
Wenn die vorstehende, kursorische und darum notwendigerwdst 
weder erschdpfende noch exakte Analyse ihren Zweck erreicht hat, so 
hat sie nicht nur die pathempirische Auffassung des AussagdnhaHs 
an einem Beispiel illustriert, sondem auch die Vorzflge dieser Aui- 
fassung vor der nominalistischen ins rechte Licht gesetzt Denn (bs 
hat sie doch wohl klar gemacht, warum die inhaltliche Identhi 
unserer beiden Aussagen von aller Verschiedenheit der engUschen und 
franzosischen Worte sowie der optischen und akustischen Phantasmen I 
gar nicht berOhrt wird : weil nSmlich die materialen OefGhle der Eigo- 
heit, des Zusammenfassens, der Unmittelbarkeit, der Aufmerksam- 
keits-Spaltung, Oeschlossenheit und Zusammenfassung sowie der 
Machtsteigerung, und ebenso die formalen Oefiihie des Zwanges, der 
Tatigkeit, des Leidens, der O^enstandlichkeit, des Unterscheideih 
kdnnens, des Uebergangs usf. von der Eigenart der sie etwa begleiteih 
den Sach- und Sprachvorstellungen vollkommen unabhangig sind 
7) Den ersten mir bekannten Versuch, die Logik auf das Qeftihl zo 
grunden, hat Comte am Ende seines Lebens untemommen i). Man findd 
hier Satze, die durchaus den Geist der eben von uns entwidcdten Theorie 
zu atmen scheinen, wie z. B. den : „Man hat die Zdchen und die Phantatt- 
men als die Hilfsmittel der Gefuhle bei der Ausarbeitung der Gedanken an- 
zusehen'S oder den anderen : ,,An die Spitze der logischen Faktoren sind die 
Gefuhle zu stellen, welche — da sie sowohl die Quelle wie das Zid der 
Gedanken sind — diese nach der Verwandtschaft der korrdaten Qemutsb^ 
w^;ungen zueinander in Beziehung setzen.** E>ennoch ist Comte voo 
unserem Standpunkte welt entfemt, da er im Grunde doch nur behaupten 
will, die Verknupfung der Vorstdlungen und Worte — das gew5hnlich so 
genannte Denken — spiegle die Bedurhiisse des Gemutes wieder. Dicsc 
der alten Lehre vom Primat des Willens nachgd>ildete Lehre vom 
Primat des Gef uhls ist indes etwas vdllig anderes als eine psychologisdie 
») Synthase subjective S. 27 ff. 
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 251 
Reduktion der spezifisdi logisdien Funktionen auf spezifisch logisdie Ge- 
fuhle. Der G^^ensatz bdder Auffassungen tritt scharf hervor an der Frage 
nach dem Verhaltnis der Gefiihie zu den korrelaten Vorstellungen. Unseres 
Erachtens ist das logisch bedeutsame Gefiihl die Totalimpression der Aus- 
sag^jundlage: das vorgestellte Objekt verhalt sich daher zu der logischen 
Funktion wie der Reiz zur Reaktion, und das Denken ist ein Bearbeiten 
der Reize im Hinblick auf die ihnen gegenuber mdgliche Stellungnahme. 
Nach CoMTE entspricht ,,jeder Gemutsbew^^g . . das Phaniasma ihrer Be- 
friedigung^y und das E>enken ware demnach ein Bearbeiten der Bediirfnisse 
im Hinblick auf ihre mogliche Befriedigung. J. St. Mill i) war nahe daran, 
diese Anr^^ung Comtes in einen fruchtbaren Gesichtspunkt zu verwandeln. 
Denn wenn „jene Dinge, welche den Hunger zu stillen vermogen, in dem 
Geist aller intelligenteren Tiere eine vollkommen deutliche Gruppe bilden'', 
so scheint ja, wenigstens bei den Tieren, die B^ffsbildung von der Reak- 
tionsweise beherrscht zu werden. Doch wirkt der SchluB des Satzes einiger- 
maBen enttauschend : „ — nicht weniger, als wenn sie imstande wSren, das 
Wort Nahning im gebrauchen oder zu verstehen". Dafi dieses Wort uberhaupt 
nur einen Sinn hat, weil es die mit jener Reaktion verknupften Gefuhle 
konnotiert, scheint demnach J. St. Mill nicht erkannt zu haben. Das hier 
nur tastend gestreifte Prinzip ist dann in neuester Zeit von Mach^ und 
MuNSTERBERQ 3) deutlich ausgesprochen worden, wie schon in § 53. 2 ge- 
I^entlich erwahnt wurde. Jener laBt „jeder Abstraktion . . gemeinsame 
reale psychische Elemente*' zugrunde li^en, die jedoch „er5t durch eine 
besondere, bestimmte Tatigkeit ins BewuBtsein" treten, dieser faBt „die 
Bedeutung des Wortes lediglich als eine motorische Einstellung*' auf. 
^ie Art unserer Reaktion" macht „den eigentlichen Sinn des Wortes" aus, 
und „das, was dabei ins BewuBtsein tritt, mag eine ganz luckenhafte 
Spi^elung dieser entschddenden Vorgange sein. In gleicher Weise ist dann 
die Abstraktion beherrscht durch die allgemeine typische Innervation, 
und der B^jiff wird von derjenigen motorischen Einstellung beherrscht, 
die der ganzen im B^[riff zusammengedachten Objektgruppe gemeinsam 
zukommt**. Wir glauben die „gemeinsamen realen psychischen Elemente" 
in den typischen Totalimpressionen nachgewiesen und zugleich gezeigt zu 
haben, daJB dieselben nicht eine „ganz luckenhafte Spi^elung" der physio- 
logischen Reaktionsvorgange darstellen, sondem eine sehr exakte und em- 
pfindliche Umschreibung dersdben in der eigentumlichen Sprache des Gefuhls. 
DaB das Logische psychologisch unter die Kat^orie des Gefuhls gehort — 
dies hat Avenarius grundsatzlich sehr deutlich erkannt und dadurch zum 
Ausdruck gd)racht, daB er die psychischen Grundlagen der spezifisch 
logischen B^ffe als „dialektische Epicharaktere" bezeichnet und erortert *). 
Speziell die semasiologischen Fragen scheinen ihn jedoch sehr wenig t)e- 
schaftigt zu haben, und seine aphoristischen Bemerkungen Qber Begriff, 
2) Warmelehre S. 419. s) Prinzipien S. 551 f. *) Kr. d. r. Erf. 
n Exam. S. 385. 
II, S. ^ S. 129 ff. 
252 NOOLOOIE 
Qattung und Art i) erheben wohl selbst nicht den Anspruch, ihren Q^^- 
stand irgendwie zu erschopfen. Petzoldt hat diese Gesichtspunkte etwas 
weiter durchgefuhrt und sich dadurch derjenigen Auffassung des Logischen, 
die wir ffir die richtige halten, genaheit ,Jeder neu wahrgenommene 
yBaum' — sagt er^) in der Terminologie von Avenarius — hat das 
Charakteristische aller frfiher wahrgenommenen ,BaumeV' Der Be- 
griff ist das alien Vorstellungen des Q%enst$mdes Qemeinsame, er ist 
namlich „fur die Logik dn Charakter**. Wenn wir Worte verstehen, ohne 
uns doch dabd irgendwdche G^enstande vorzustellen, so haften die 
Charaktere an den Worten: „Nie kann ein bloBes Wort ffir einen Begriff 
stehen, sondem nur ein Wort, das mit dem Charakter des B^ffes, dessen 
Glieder es vertreten soil, bdegt ist** Freilich stellt Petzoldt zunachst die 
sonderbare Behauptung auf, der B^ff sei ein Charakter nur fur die Logik, 
fur die Psychologie dag^en „ein Bfindel von gleichartig diarakterisierten 
Erinnerungsbildem oder Vorstellungen" — welches beides falsdi ist, da der 
B^ffsinhalt gerade fur die Psychologie ein Gefuhl, fur die Logik hingegen 
stets nur eine logische Bestimmung ist. Allein er widerruft dies spater selbst 
durch die Bemerkung 3), es sei empfehlenswerter, unter einem Begriff nicht 
„eine gewisse Vorstellungsfolge . . ^ sondem lieber das zu verstehen, was 
wir im Bisherigen als einen begriff lichen Charakter bezdchnet 
haben**. Erfreulicher als all diese Uebereinstimmungen ist mir indes das 
schon einmal angerufene Zeugnis von Binets Kindem % die auf die Frage, 
wie sich ihnen ihr von Vorstdlungen und Worten nicht begldtetes Denken 
darstelle, unweigerlich zur Antwort gaben: „als Gefuhl" (sentiment)^ so daS 
schlieBIich auch Binet selbst — wenn auch zdgemd und bedenklich — 
gesteht: „Aus diesen Unterredungen mochte hervorzugehen scheinen, daB 
das wortlose Denken als ein Gefuhl erld>t wird." 
Was bei all diesen Auffassungen voUkommen fehlt, ist dn BewuBtsdn 
von dem Unterschiede genereller und singularer Gefuhle, und damit 
von der spezifischen Eigenart des logischen BewuBtseins. Nur der Q^[en- 
satz des Typischen und Individuellen fessdt die Aufmerksamkdt, 
denn nur das Verhaltnis des Allgemeinen zum Besondem gilt als erldarungs- 
bedurftig; so stark ist noch heute der Druck des Universalienproblems. 
DaB dag^en die begriffliche Bearbeitung der Tatsachen nicht eine persdn- 
liche Stellungnahme des Einzelnen ausdruckt, sondem die gesellsdiaftlich 
uberlieferte, in der Sprache fixierte Stellungnahme des „unbeteiligten Zu- 
schauers", — davon mangelt jede Erkenntnis. Ja das Faktum des logischen 
Verkehrs, und damit das uberindividuelle Wesen der logischen Werte, ihre 
Unabhangigkeit von aller Mannigfaltigkeit und Zufalligkeit der denkenden 
Individuen, wird uberhaupt nicht als Problem empfunden. Besonders deutiid) 
ersieht man dies z. B. aus den Ausfuhrungen Ribots uber „Gefuhlsabstrak- 
tion"5). Diesem Begriffe subsumiert namlich der franzosische Forscher nur 
1) Ibid. S. 147 ff. 2) Einfuhrung S. 263 ff. 3) Ibid. S. 340. *) Intel!. S. 1071. 
5) Psych, des sent. S. 184 f. 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 253 
solche Gesamteindrucke, wie sie etwa der Einzelne von dem Besuche eines 
Klosters, der Reise nach einem fremden Lande mitbringt Lediglich diese 
singular-typischen Totalimpressionen heiBen ihm allgemeine 
Oefuhle (sentiments giniraux). Es ist unter diesen Umstanden nur konsequent, 
daB er diese ,^llgemeinen Gefuhle'' nicht dazu verwendet, das Wesen der 
logischen Allgemeinheit zu erklaren. Aehnliches gilt von Wundt, der freilich 
den entscheidenden Tatsachen eine ungleich groBere Aufmerksamkeit ge- 
widmet hat Wie er uberhaupt (vgl. § 38. 14) unserer Ansicht von den 
Gefuhlen sehr nahesteht, so kennt er auch den Fall, in dem das Gefuhl 
vor der korrelaten Vorstellung vorhergeht, ja in bezug auf die Phaniasmen 
halt er diesen Sachverhalt sogar fur den normalen und macht von ihm auch 
zur Erklarung des Meinens vergessener Namen Qd>rauch i). Wie ihm femer 
auch der B^ff logischer Oefuhle nicht fremd ist, den er allerdings nur 
fluchtig bd der Erorterung alethologischer Fragen streift % so kennt er auch 
ein Begriffsgefuhl, das er im allgemeinen als einen die Vorstellungen 
b^leitenden „Gefuhlston" auffaBt, dem er jedoch bei den, durch Inter- 
jektionen und abstrakte Partikeln ausgedriickten „unbestimmten Vorstellungen** 
geradezu eine entscheidende Rolle zuerkennt^). Diese -Bemerkungen ent- 
halten die fruchtbarsten Keime zu einer haltbaren semasiologischen Theorie; 
allein — wie dies gerade diesem Denker so oft begegnet — ihre weitere 
Entfaltung wird durch die uberwuchemde Fulle anderweitiger Qesichtspunkte 
erstickt Und so hat denn Wundt schlieBlich doch nicht nur die fun- 
damentale logische Bedeutung der Gefuhle verkannt, sondem auch deren 
unerlaBliche Voraussetzung, die generelle Natur der logischen Gefuhle, mit 
keinem Worte erwahnt 
Endlich legt fur unsere Auffassung auch Husserl ein unwillkurliches, 
indes eben deshalb um so wertvolleres Zeugnis ab, wenn er z. B. von der 
„Allgemeinheit des Bedeutens** sagt, daB sie dem Namen „fuhlbar ein- 
wohnt***), Oder ein anderes Mai ein den Begriff der Intention erlautemdes 
Beispiel mit den Worten einleitet: „Wir fuhlen sozusagen, daB . . .**5). 
Trotzdem halt Husserl, wie wir wissen, an seiner Theorie von den Be- 
deutung verleihenden und erfullenden Akten fest und wendet sie z. B. auch 
auf die Konjunktion Und an 6), — wobei denn freilich der Zirkel schwer 
zu vermeiden ist, daB die Bedeutung des Wortes Und durch den Akt des 
f//rrf-Meinens, und der Akt des t//w/-Meinens durch die Bedeutung des Wortes 
Und bestimmt werden soil. Ebensowenig scheint mir die Erklarung von 
Lipps 7) zu befriedigen, welcher das Wort Und „die Beziehung des Zusammen 
eines Mehrfachen und apperzeptiv Herausgesonderten in einem einzigen 
Apperzeptionsakt** ausdrucken laBt Denn die einheitliche Auffassung unter- 
schiedener Einheiten kann zur Aussage sehr mannigfaltiger Relationen — 
z. B. von Neben, Nach, Zwei — den AnlaB geben; nur wenn die suk- 
1) Psycholog. III. S. llOff.; OrundriB S. 253f. 2) Psvcholog. Ill, S. 625. 3) Volker- 
£sychologie I. 1, S. 563 u. sonst; vgl. auch Ibid. I. 1, S. 553 u. 556 f. *) Log. 
rnterss. II, S. 185. ^) Ibid. II, S. 51Z ^) Ibid. II, S. 306 u. 631 f. ?) £. u. R. s. 36. 
254 NOOLOQIE 
zessive Auffassung dieser Einheiten, unter Absehen von der Eigenart ihrer 
Beziehung, in unser BewuBtsein fallt, werden wir die betreffenden Gedanken 
durch Und verbinden. In diesem Zusammenhange sei noch der interessante 
Versuch von Leibniz i) erwahnt, alle Bedeutungen des englischen But {Aber^ 
Nur usf.) auf den Sinn von „Halt!'' zuriickzufuhren ; denn hierin li^ ein 
deutlicher Hinweis auf die realdive Natur der noetischen FormalgefQhle Zu 
unserer Analyse der Zahlb^jiffe mag man wdter die Bemerkung von 
Berqson^ vergleichen: ,,Man konnte bdnahe sagen, daB von den Zahlen 
des taglichen Gebrauches dne jede ihr gefiihlsmaBiges Aequivalent hat^ 
Was schlieBlidi die Gleichsetzung der materialen Bedeutungsgefuhle mit 
Totalimpressionen betrifft, so hat sdion Herbart wiederholt geauBert, die 
Worte bedeutden ursprunglich „Gesamteindrucke von viden ahnlichen 
G^enstanden'', und erst aus soldien GesamteindrQcken gingen weiterhin 
die Begriffe hervor^); und auch Lotze laBt „unsere gew5hnlidien Begriffe" 
an ^einen ganz unanalysierten Gesamteindruck^ sich knupfen^). 
Es bleibt uns jetzt nur noch iibrig, zu unserer Lehre von der Gliederung 
des Aussageinhalts einige historische Parallden bdzubringen^ Dodi . 
ist es nidit notwendig, bei den allgemeinen Versicherungen zu verweilen, 
der Satz oder das Urteil setze sich aus Begriffen oder Vorstdlungen zu- 
sammen: damit wird ja nur ein klar zutage li^ender und durch die Ver- 
bindung der Worte zum Satz sogar sinnenfalliger Sachverhalt ausgesprochen. 
Auch kame man nicht zu Ende, wollte man aufzahlen, wie oft diese An- 
sicht wiederholt worden ist, seit zuerst Aristoteles ^) den Satz dne Ge- 
dankenverbindung (oov^oic voT]{idTo>v) genannt hat Doch verdient vielldcht 
jene, an eine miBverstandene Aristotelische Stelle^) anknupfende, ungewdhnlich 
absurde Auffassung eine besondere Zuriickwdsung, die, besonders sdt 
Locke 8), so oft zwar das affirmative Urteil als eine Verbindung, das 
negative dagegen als eine Trennung von Vorstdlungen erklaren wollte, 
— als ob in dem Satze „A ist nicht B" die Gedanken an A und an B nicht 
ebenso, wenn auch auf andere Weise, zu einem Ganzen verbunden waren wie 
in dem Satze „A ist B". Wichtiger ist es, die Einseitigkeit dieser ganzen Be- 
trachtungsweise hervorzuheben, welche nur zu leicht zu der Ansicht verfuhrt 
1) Nouv. Ess. III. 7. 5 (WW. V, S. 311 ff.). 2) Donnees immddiates S. 92. 3) Lehrb. 
zur Psych. § 79, 181, 186 (WW. 11, S. 60 u. 127 f.); Psych, als Wiss. § 131 (WW. VI, 
S. 225). *) Mikr. II, S. 290. *) Qrundsatzlich geleucmet wird m. E. die Oliederung 
des Aussageinhalts, wenn St6hr (Log. S. 48) behauptet: „Der Satz einfachsten 
Baues ist eine mehrfache Benennung desselben Phanomens." Nach dieser Auf- 
fassung wurde z. B. der Satz „Dieser Vogel singt** gar nichts anderes zum Aus- 
druck bringen, als daB die ausgesagte Tatsache sowohl als ein „Dieses" wie als 
ein .,VogeP* wie auch als ein „Singen" bezeichnet werden kann. Etem gcgenuber 
ist aaran festzuhalten, daB, wer jenen Satz ausspricht, zugleich auch das Singen als 
eine Tatigkeit, und das Dies-Sein als eine Eigenschaft des Voxels hin- 
6, p. 430a 27. ^ Metaph. IX. 10, p. 1051b 1. ^ Ess. IV. 5. 2 (WW. Il, S. 138!.). 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 255 
— wenn sie nicht geradezu aus ihr entspringt — , es sei der in einem Satze 
sich ausddickende Tatbestand ein iuBerliches Nd>eneinander mehrerer Be- 
griffsinhalte. Wir wissen, daB im G^enteil durch die Satzaussage Ein ein- 
heitiicher Gedanke, der „Einfall" oder „Eindrudc", in ein g^liedertes Oanze 
mehrerer Teilgedanken sich auseinanderlegt, — wenngldch fiir die Logik 
nur dieses Oanze und nicht jene ursprilngliche Einheit in Betracht kommt 
Von diesem Gesichtspunkte aus verdienen jene Denker unsern Dank, welche, 
der herrschenden Einseitigkdt durch eine entgegengesetzte Einseitigkeit ent- 
gegentretend, die zerlegende Funktion des Urteils in den Vordergrund rOcken. 
So hat schon unter den spateren Scholastikem Greqor von Rimini i) ge- 
leugnet, daB bejahende und vemeinende Urtdle audi psychologisch (in in- 
telledu) aus mehreren Teilbegriffen bestunden: nur sprachh'ch entspreche 
ihrer einhdtlichen Bedeutung eine Verbindung mehrerer Worte; und diese 
Ansicht hat sich audi Pierre d'Ailly^ wenigstens fur die kat^orischen 
Urteile angedgnet In neuerer Zeit ist es dann vor allem Heqel^), der die 
analytische Natur des U r t e i I s hervorhebt und dasselbe — eine etymologische 
Spiderei benutzend — als „die urspriingliche Teilung des urspriinglidi 
Einen'' oder als ,,die Diremption des Begriffs durch sich sdbst" bestimmt 
Den herrschenden nominalistischen Anschauungen entsprechend, erscheint 
dann bei neueren Autoren diese „Teilung^ oder ^Diremption^ namentlich als 
die Zerl^;ung einer Gesamtvorstellung in Teilvorstellungen. 
So sagt Waitz*), der sprachliche Ausdruck sei stets zur „Zergliederung*' 
des uns „mit Einem Schlage g^ebenen'' . . ^sinnlidi anschaulichen Bildes*^ 
gendtigt Siqwart^) setzt wiederholt und eingehend ausdnander, wie etwa 
dem Satze „Das SchloB brennf' die einheitliche Gesamtvorstdlung des 
brennenden Schlosses, den Worten Schbfi und Brennen dag^en die kor- 
rdaten Teilvorstdlungen entsprechen, und wie daher die Aussage voraussetze, 
daB der Aussagende sdne Gesamtvorstellung analysiere. Ich selbst habe diese 
Vorgange noch weiter ins einzdne beobachtet und beschrieben % Vor allem 
jedoch hat Wundt diese Auffassung energisch vertrden. Immer wieder 
bdont er den analytischen Charakter des Urteils t). „In unserem Denken", 
sagt erS), ,^bt es . . vor allem zwei Momente, wo wir einen zusammenge- 
setzten Gedanken ganz uberblicken: den Moment vor und den Moment 
nach der Zerl^;ung dessdben. Dort steht er dunkler, hier klarer in 
unserem BewuBtsdn. Wahrend des Ablaufes bleibt er uns zwar g^en- 
wartig, doch tritt er hinter den gerade apperzipierten Elementen in die 
Dunkdheit zuruck und bleibt nur stark genug, um das vereinigende Band zu 
bilden, das den Zusammenhang lebendig erhalt" Er ddiniert das Urteil 
^s dne Zerl^[ung eines Gedankens in sdne begrifflichen Bestandteile'^ ^ 
und erklart ein andermal den Satz als „den sprachlichen Ausdruck fur die 
») Prantl IV, S. 12, Anm. 45. ^) Prantl IV, S. lllf., Anm. 467 und 468. 
5) Log. (WW. V, S. 68); Enzykl. I. § 166 (WW. VI, S. 326 ff.). *) Anthropolog. I, 
S. 27? 5) Log. 1, S. 25, 70f. u. 137 f. «) Psych.log. Orundtats. S. 42 ff. Psydio- 
log. Ill, S. 574 f.; Orundrifi S. 310 f. <) Log. I, S. 54. «) Ibid. 1, S. 148. 
256 NOOLOGIE 
willkiirliche Gliederung einer Gesamtvorstellung in ihre, in logischen Be- 
ziehungen zueinander gesetzten Bestandteile*' i). 
Unserem Standpunkte scheint sich endlich noch mehr eine eigentumliche 
Urtdlstheorie zu nahern, die einst von Schleiermacher angedeutet und 
jtingst von Jerusalem nachdrucklich vertreten worden ist Ihren Qrundge- 
danken druckt der letztgenannte Forscher folgendermaBen aus^): „Durch 
das Urteil wird der ganze Vorstellungskomplex, der unzergliederte Vorgang, 
dadurch geformt und g^liedert, daB^ das Subjdd ^s ein kraftbegabtes, ein- 
heitiiches Wesen hingestellt wird, dessen g^enwartig sich vollziehende Kraft- 
auBerung^ das Pradikat ist ,,Die Funktion des Urteilens ist somit nicht 
sowohl ein Trennen und Verbinden, sie besteht vielmehr in der Gliederung 
und Formung vorgestellter Inhalte.'' Ganz ebenso hatte Schleiermacher 3) 
es als ein ,,Axiom'' hingestellt, „welches die Tatigkeit des Geistes im Denken 
leitet, daB die ganze unbestimmte Mannigfaltigkeit musse zerteilt werden in 
Dinge und Aktionen'': es „wird dadurch das Chaotische ausgeschlossen, das 
wir in der Wirklichkeit immer schon hinter uns haben, jedoch nur indem 
unser Axiom eben die Methode dazu isf'. Dieses „Beziehen der Aktionen 
und Dinge aufeinander'' aber, fiigt er hinzu % „ist Urteil, nur unvoUkommenes, 
insofem keine gebildeten B^jiffe dabei zum Grunde li^en^ Diese Theorie, 
sage ich, scheint unserem Standpunkte besonders nahezustehen. Denn einen 
Vorgang als KraftauBerung eines Kniftzentrums auffassen — dies hdBt 
psychologisch, einem G^enstande Geftihle der Kraft, Tatigkeit usw. ein- 
legen. Die fragliche Theorie sieht daher wenigstens implidte das Wesent- 
liche der logischen Urteilsform in dem Vorkommen bestimmter logisdier 
Formalgefuhle. Auch li^ es mir feme, das Berechtigte dieser Ansicht zu 
verkennen. Doch sollte man, glaub' ich, uber diesem Vorzuge dersdben 
zwei Unvollkommenheiten, an denen sie leidet, nicht tibersehen. Einerseiis 
namlich kann doch gar nicht davon die Rede sein, als ob dieses Eine 
endopathische Formalgefuhl der Tatigkeit die Gliederung auch nur irgend 
Eines Tatbestandes zu ersch5pfen vermdchte. Schon weil das Hauptwort in 
irgendeinem Kosus und NumeruSy das Zeitwort in einem Tempos^ einem 
Modus, einer Person stehen muB, wird auch die Gliederung des dnfachsten 
Satze^ nicht ohne die Heranziehung anderer logischer Formalgefuhle psycho- 
logisch erklart werden konnen. Andererseits aber und vor allem kann ich 
mich nicht davon uberzeugen, daB in der Tat alle Satze diese Art der 
Gliederung aufweisen. Sie mag vorliegen, wo das Pradikat durdi ein Zeit- 
wort, auch ein intransitives, ausgedruckt wird, also z. B. auch bd dem 
Satze „Dieser Baum grunt*'. Sage ich dagegen „Dieser Baum ist grun", so 
glaube ich den Sinn dieser Aussage sehr wohl zu .verstehen, ohne das 
Grunsein als eine „KraftauBerung" des Baumes aufzufassen. In der Tat ware 
auch nicht verstandlich, wodurch sich die beiden Satze „Dieser Baum grunt" 
und „Dieser Baum ist grun'' ihrer Bedeutung nach unterscheiden sollten, 
1) Volkerpsychologie I. 2, S. 245. 2) Urteilshinktion S. 82. 3) Dial. § 258, Vor- 
lesung 1822. «) Ibid § 264. 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 257 
wenn nicht detn zweiten auch jenes geringe Aktivitaismotnent tnangelte, das 
der erste noch einschlieBt Vielmehr scheint mir die adjektivische PradilcUion 
ebenso deuUich eine Eigenschaftdes Subjektes auszusagen wie die verbale 
eine Tatigkeit Mit anderen Worten: die Gliederung des Aussageinhalf$ 
beruht zwar in dem Einen Fall auf detn logischen Formalgefuhl der Ak- 
tivitSt, in dem andem dag^en auf dem logischen Formalgeftihl der 
Attribution. Entsprechend den drei Arten der Vorstellungsverbindung, 
die ich an anderem Orte unterschieden habei), wird man indes wohl auch 
noch fdr die Satze mit substantivischem Pr&dikat — wie z. B. ^Dieser Baum 
kt eine Linde*' — ein besonderee logisches Formalgeftihl anerkennen mfissen 
und dattdbe vielletcht nlUier als ein logisches Derivat der Rekognition 
(§ 21) bestimmen kdnnen. Wird nun hiedurch nicht die Einheit der sprach* 
lichen Satzform und damit auch des logischen Pridikationsbegriffes aufge- 
hoben? Keinesw^^s, nur darf dieser Begriff eben nicht ausschliefilich auf 
das Formalgeffihl der Tatigkeit g^jundet werden. Er durfte vielmehr etwa 
in folgender Weise zu bestimmen sdn. Der Bejahung und Verneinung 
hegen Oefuhle der Anerkennung und Verwerfung dem bejahten oder ver- 
neinten Sachverhalt gegenfiber zugrunde. Diese beiden Oefuhlsarten ent- 
halten jedoch ein gemeinsames Gefuhlsmoment, das wir etwa als ein Oe- 
fuhl der noetischen Stellungnahme bezeichnen kdnnen; denn es 
jst immer vorhanden, wenn zu einem Sachverhalt — sei es bejahend, set es 
vemeinend, oder auch in anderer Weise, z. B. wunschend oder befehlend, 
annehmend oder fragend — Stellung genommen wird Dieses Gefuhl nun 
scheint mir den logischen Begriff der Pradikation, und damit auch die 
sprachliche Form des Satzes im weitesten Sinne, zu fundieren^. Verbindet 
sich dieses logische Formalgefuhl der noetischen Stellungnahme mit dem 
Formalgeffihl der Attribution oder mit dem der Rekognition, so wird diese 
Oeffihlsverbindung durch das verbum substantivum, die C o p u 1 a , ausgedrfidd. 
Verbindet es sich mit dem Formalgeffihl der Aktivitat oder Passivitit, so 
dient zum Ausdrucke dieser Oeffihlsverbindung ein anderes Zeitwort im 
Aktivum oder Passivum. Allen Urtdlen ist daher nur das Oeffihl der 
noetischen Stellungnahme gemeinsam. Urteilen im weitesten Sinne hdBt eben^ 
zu einera Sachverhalt Stellung nehmen. Die Gliederung des beurteilten Sach- 
verhalts in Dinge und Aktionen, Kraftzentren und Kraftaufierungen, ist Ein er 
der wichtigsten Urteilsarten eigentfimlich. Allein daneben steht die Gliederung 
desselben in Dinge und Eigenschaften, oder auch blo8 in Dinge. Jene erste 
Oliederungsform kann deshalb keineswegs als die einzige angesehen 
werden, 
PsychJog. Orundtats. S. 54 ff. ^) Deshalb halte ich es auch fur falsch^ wenn 
Stohr (Log. S. 62 ff.) den „Urteilsakf * auf eine bloBe „voriibergehende Begriffs- 
bildung^ reduzieren will. Dies ware zulassig, wenn der Satz uns nur dazu anleiten 
wollte, an einen bestimmten Sachverhalt zu den ken. Allein in Wahrheit will er 
uns auch eine bestimmte Stellungnahme zu diesem Sachverhalt veraiitteln* 
St6hr mochte das Ergebnis dieser Stellungnahme in den Inhalt des Sachverhaltes 
selbst verlegen, indem er etwa die Behauptung ^k ist B'' aufldst in den Oe- 
Oomperz, WdtenschaniiiiKslehre W 1 17 
258 NOOLOOIE 
§56 
Sind die Vorstellungen derAussagelaute in einen g^liederten 
Komplex generell-typischer Totalimpressionen, der sich dem Be- 
wuBtsein als Aussageinhalt darstellt (§ 55), auf dieselbe Art ein- 
gebettet, auf die auch die Qualitaten eines Dinges in dessen Total- 
impression eingebettet sind, so fungieren die Aussagelaute als Aus- 
druck fur den Aussageinhalt 
In diesem Falle gelten uns dann Aussagen mit gleichem Aussage- 
inhalt ebenso ohne Rucksicht auf die Mehrheit und den Wechsel der 
Aussagelaute als einheitlich und beharrlich, wie uns auch Dinge 
mit gleicher Substanz ohne Riicksicht auf die Mehrheit und den 
Wechsel ihrer Qualitaten als einheitlich und beharrlich gelten. Die 
Gegenstandlichkeit der Aussagen beruht demnach darauf, daB 
mehrere und wechselnde Aussagelaute einem einheitlichen und beharr- 
lichen Aussageinhah inharieren (§ 15. 9). 
Hiemit haben wir die Zweite semasiologische Hauptfrage beant- 
wortet. 
ERLAUTERUNG 
1) Wir wissen aus § 49. 1, daB die VerknQpfung zwischen Aussage- 
inhalt und Aussagelauten durch Assoziation entsteht^ daB jedoch ihr 
Wesen sich in einer bloBen Assoziation schon deshalb nicht erschdpfen 
kann, well beide Glieder einen Komplex bilden, iiber dessen identisches 
Beharren nicht die Gleichheit oder Verschiedenheit der Aussagelaute, 
sondem nur die Gleichheit oder Verschiedenheit des Aussageinhalts 
entscheidet ' Denn Aussagen mit gleichem Aussageinhalt, so hdrten 
wir, gelten uns ohne Rucksicht auf die Verschiedenheit der Aussage- 
laute als numerisch identisch, Aussagen mit ungleichem Aussageinhalt 
gelten uns ohne Rucksicht auf die Gleichheit der Aussagelaute als 
numerisch verschieden. Nun haben wir seither gesehen, daB zwar die 
Aussagelaute vom BewuBtsein durch Vorstellungen, der Aussage- 
inhalt dagegen durch einen Komplex von Gefiihlen erfaBt wird. Der 
Verknupfung des Aussageinhalts mit den Aussagelauten entspricht daher 
psychologisch eine Verknupfung von Gefuhlen mit Vorstellungen, somit 
nach § 39 eine Art der Charakterisierung. Allein es gibt nur Eine 
Art der Charakterisierung, bei der nicht die Gleichheit oder Verschieden- 
heit der Vorstellung, sondem die Gleichheit oder Verschiedenheit des 
Gefiihls uber die Identitat oder Nichtidentitat des aus Vorstellungen und 
danken „A— B — jetzt — hier— wirklich" Bei dieser Auflosung wird jedoch das 
psychologische Datum der Anerkennung, d. h. eines Qefuhles freunolicher An- 
eignung, vernachlassigt. 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 259 
Gefiihlen bestehenden Komplexes entscheidet, — namlich die In- 
i harenz der Accidentien in der Substanz. Bei jeder anderen 
i Art der Charakterisierung, mag dieselbe nun im Qbrigen Endopathie, 
I Adjektion, Determination oder Konkomitanz sein, kann ein Wechsel 
r des Oefiihls an dem Komplex wohl einen Wechsel der PrSdikate be- 
E wirken, macht ihn jedoch nie zu „etwas anderem**. Ein Mensch z, B. 
kann durch den Wechsel eingelegter Gefuhle aus einem heiteren ein 
I trauriger, durch den Wechsel beigelegter GefQhle aus einem ehr- 
j wiirdigen ein verachtlicher, durch den Wechsel determinierender Gefuhle 
aus einem rechtsstehenden ein linksstehender, durch den Wechsel 
konkomitierender Gefuhle aus einem beneideten ein bemitleideter 
werden, — allein in alien diesen Fallen bleibt er „derselbe" Mensch. 
Dagegen wird bei dem in § 49. 1 erwahnten „Auffassungswechsel** 
die Schlange zu einer „gleich aussehenden"* Baumwurzel, der Berg zu 
einem „gleich aussehenden** Kopf. Wodurch? Dadurch, daB die 
gleichen Gesichtsbilder, die vor dem Auffassungswechsel in die Total- 
impression einer Schlange resp. eines Berges eingebettet waren, sich 
bei dem Auffassungswechsel in die Totalimpression einer Baumwurzel 
resp. eines Kopfes einbetten, somit dadurch, daB die gleichen Qualitaten, 
die vorher Einer Substanz inhSrierten, jetzt zu Accidentien einer anderen 
Substanz werden. Werden daher, wie wir in § 49. 1 zeigten, auch 
Breit und Bright, Tor und Tor, Hofmann und Hofmann, Konigsberg 
und Konigsberg erlebt — nicht als je Eine Aussage mit verschiedenen 
PradikateUy sondem als je zwei verschiedene Aussagen, die nur »gleich 
klingen'', so muB auch die Charakterisierung der Aussagelautvor- 
stellungen durch die Bedeutungsgeftihle derselben Charakterisierungs- 
art angehoren: die Vorstellungen der Aussagelaute mussen in den 
gegliederten Komplex generell-typischer Totalimpressionen, der fur das 
BewuBtsein den Aussageinhalt darstellt, auf dieselbe Art eingebettet 
sein wie die Qualitaten eines Dinges in dessen Totalimpression, — 
die Beziehung des Ausdrucks zwischen Aussagelauten und Aussage- 
inhalt muB sich als Inhdrenz auffassen lassen. 
Soil nun diese Vormeinung sich bestatigen, der Komplex der Be- 
deutungsgeftihle als Substanz der Aussage sich erweisen, so muB es 
nach § 15 auch moglich jsein, zu zeigen, daB die Aussagelaute aus 
diesem Komplex sich differenzieren, jedoch auch nach dieser Differen- 
zierung noch in ihn eingebettet bleiben und eben hiedurch zu Einer 
Aussage geeinigt werden. Allein all dies ist — zunachst bei der 
Wortaussage — ganz offenbar wirklich der Fall. Die einzelnen Laute 
des Wortes differenzieren sich aus dem Bedeutungsgefiihl; denn ich 
260 NCX)LOGIE 
muB wissen, was ich sagen will, eh' ich es ausspreche. Sie bidben 
aber auch nach dieser Foimulierung des Gedankens noch in diesen 
dngebettet; denn alle Tdle des Wortes fungieren in glekher Weise 
als Ausdruck seines Sinnes. Die Ausdrucksfunktion des Wortes be- 
ruht ja darauf, daB alle seine einzeinen Laute von der Einen Wort- 
bedeutung durchdrungen, d h. in den Einen Komplex von Bedeutungs- 
gefuhlen dngebettet sind. Nur diese Durchdringung und Einbettung 
schlieBt die Laute zur Einhdt Eines Wortes zusammen. Denn im 
Flusse der Rede folgt inn^iialb dnes Satzes Laut auf Laut, Silbe auf 
Silbe, und lediglidi die dnhdtliche Wortbedeutung bfit dne bestimmte 
Oruppe von Lauten und SiVben zu Einem Worte zusammen. Genau 
so mithin, wie das Weifi, das Hart, das SuB usw. des Zuckers sidi 
aus dem Gesamteindrucksgefiihl aussondem, irotzdem aber in das- 
sdbe dngebettet bidben und erst durdi diese gemdnsame Einbettung 
zu Einem Dinge werden, so 1^ skh audi etwa das Eine noetische 
Formalgduhl des Nadidrudcs ausdnander in die Silben Ins-be-sonr 
de-re^ alle diese 5 Silben bidben jedodi glddimUBig dngebettet in 
jenes Gefuhl, und nur wdl sie derart in dasselbe dngebettet sind, 
bilden die angefiihrten 5 Silben zusammen das Eine Wort Insbe- 
sondere. 
Man konnte mdnen, bdm Hdren dnes Wortes Viegt die Sadie 
anders^ da hier dodi die Vorstdlungen der Aussagelaute dem Be- 
deutungsgeffihl vorausgingen. Allein in Wahrheit findet hier nur dne 
Ueberdedamg; ganz ahnlich der in § 27. 1 besprodienen, statt Wenn 
ich den Anfang dnes Wortes hore, ohne noch sein Ende zu kennen, 
so geht fidUch der Aussagdaut dem Bedeutungsgduhl voran. Ailein 
dieser Wortanfang ist nun eben noch gar kdne Aussage, vidmehr dn 
bloBer Wortkiang. Erst wenn mir der Sinn des Wortes ^aufplatzt^, 
klddet er sich nochmals in die Vorstellung des ganzen Worts: ich 
konnte ja die geh5rte Rede gar nicht in die Worte, aus denen sie 
besteht, zerlegen, wenn nicht jedes dnzdne Wort nach Erfassung 
seiner Bedeutung nochmals als dne simultane Totalitit mdnem Be- 
wufitsdn gegeben ware. Nur durch Verwechslung dieses »Wort-Er- 
lebnisses nach dem Verstandnis'' mit dem bloBen ^Wortklangs-Erlebnis 
vor dem Verstandnis'' entsteht also hier der Schdn dner umgekehrten 
Rdhenfolge. 
Doch auch bei iangeren Aussagen, bd Satzen, Bewdsoi, Fragen usw^ 
finden dieselben Verh^tnisse statt Die Satzbedeutung geht im Sprechen- 
den wenigstens als ungegliederter Ein^ vor dem BewuBtsdn von 
den einzeinen Worten vorher und 1^ sich in diese auseinander. Und 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 261 
audi der Hdrende muB erst die einheitliche Satzbedeutung erfassen, 
ehe er den Satz als Ganzes verstandnisvoU in sich aufnehmen kana 
Allein auch nachdem der ungegliederte Einfatl sich in einen gegliederten 
Komplex von Bedeutungsgefuhten differenziert hat, denen zahlreiche 
dnzdne Worte entsprechen, bleiben diese doch alle in die Eine Satz- 
bedeutung eingebettet Denn jener gegliederte Komplex ist nicht ein 
bloBes Biindel auBerlich aneinandergeleimter Oeffihlsmomente, die Satz- 
bedeutung ist durchaus nicht die mechanische Summe der einzelnen 
Wortbedeutungen. Die Phrase ^A und B** z. B. druckt nicht ein 
Nebeneinander der Wortbedeutungen von A, Und und B aus, sondem 
die Verbindung der Wortbedeutungen von A und B durch das dem 
Und entsprechende Uebergangsgefuhl. Wie bei dieser kleinen Phrase 
steht es aber bei jedem noch so langen Satze* Obwohl jedem Worte 
ein besonderes Moment der Satzbedeutung entspricht, so besteht in 
der lebendigen Rede die Beziehung des Ausdrucks doch nicht zwischen 
jenen einzelnen Worten und diesen eiqzelnen Momenten, sondem 
erst die Summe aller Worte, der Satz als Ganzes, drQckt den Komplex 
aller Bedeutungsgefiihle, die Eine Satzbedeutung, aus. Soil demnach 
ein Satz wirklich verstanden werden, so muB er, wie er nur die ver- 
schiedenen Momente der Einen Satzbedeutung auseidanderl^ auch 
stets von dieser Einen Satzbedeutung durchdrungen, in sie eingebettet 
bleiben, und nur diese gemeinsame Einbettung einigt die zahlreichen 
Worte zu Einem Ganzen und schlieBt sie zu der Einheit Eines Satzes 
zusammen. Auch bei den kompliziertesten Aussagen erweist sich somit 
die Ausdrucksbeziehung als Inharenz: die Vofstellungen der Aus- 
sagelaute mussen als die Accidentien, der gegliederte Komplex 
der Bedeutungsgefuhle muB als dieSubstanz der Aussage begriffen 
werden. 
2) Ist die Aussage ein Komplex von Aussagelauten, welche Einem 
Aussageinhalt inharieren, so muB sie trotz der Mehrheit und dem 
Wechsel der Aussagelaute als einheitlich und beharrlich eriebt 
werden, solange ihr Inhalt sich nicht andert. Diese Konsequenz, die 
sich aus unseren bisherigen Feststellungen von selbst ergibt, fallt zu- 
sammen mit jener Gegenst3ndlichkeit der Aussage, die wir in 
§ 4Q als Faktum erkannten, und deren Erkiarung durch unsere Zweite 
semasiologische Hauptfrage gefordert wurde. Wenn also der pytha- 
goreische Lehrsatz als ein und derselbe gilt, von wem immer, wann 
immer und in welcher Sprache immer er gedacht oder ausgesprochen 
werde, so hat dies seinen Grund lediglich darin, daB es stets der 
gleiche Komplex von Bedeutungsgefiihlen ist, in den die wechselnden 
262 NOOLOOIE 
Aussagelautvorstellungen eingebettet sind Die nogtische Oegen- 
standlichkeit der Aussage und die physische Gegenstand- 
lichkeit des Dinges beruhen auf dner ganz gleichen psychischen 
Struktur. Hier inharieren sinnlich wahmehmbare Qualitaten dner 
singular-individuellen Totalimpression, dort Aussagdaute dnem g^ 
gliederten Komplex generell-typischer Totalimpressionen. In bddei 
F^len bedingt die Einheit und Beharrlidikeit der Substanz audi de 
Einheit und Beharrlichkeit des Gegenstandes, ohne Riidcsicht auf die 
Mehrheit und den Wechsel der Acddentien. Die O^enstandlichicdt 
der Aussagen steht daher in der Tat auf Einer Linie mit der G^^en- 
standlichkeit der Dinge, so daB es irgendweldier Annahmen flber die 
Hypostasierung der ersteren „nach Analogie" der letzteren nicht 
mehr bedarf. Denn es hat sich gezeigt, daB die „Vei^^enstand- 
iichung'* in beiden Fallen auf Grund gleidier Bedingungen dntriti 
Dann werden jedoch auch in ontologischer Hinsicht diese bdden 
^Hypostasierungen" gleich ^u beurteilen sdn. Mit anderen Worten: 
die Frage nach der Realitat der ^Ideen** ist auf die Frage nach der 
Realitat der „AuBenwelt** reduziert 
3) Mehr zu leisten waren wir durch unsere Fragestdlung nidit verbundo. 
Denn wie wir stets betonten, haben wir nur die empirische Realitat 
der noetischen G^enstande behauptet und zu erkliren untemommen. Diese 
nun ist erhartet, nachdem wir im BewuBtsein samtliche Elemente der 
Aussage und uberdies deren g^enstandliche Struktur aufgezeigt haben. Die 
etwaige transcendentaleRealitatdernoetisdien Q^enstande hingegcn 
bleibt in der Noologie vollig in suspenso. Nadi den gewdhnlichen An- 
nahmen entsprechen den subjektiven Vorstdlungen von den Aussagelauten 
objektive Aussagelaute; nach diesen Annahmen wird daher auch dem sub- 
jektiven BewuBtsein vom Aussageinhalt dn objektiver Aussageinhalt ent- 
sprechen. Die Aussagelautvorstellungen und die Aussagdnhaltsgefuhle 
wurden dann zusammen den subjektiven Qedanken, die Aussagdaute 
sdbst und der Aussageinhalt selbst dag^en den objektivenQedanken 
konstituieren. Um nun fur diese, erst in der ontologie endgiiltig zu b^ 
urteilende Auffassung Raum zu lassen, bedienen wir uns hier durchw^ der 
vorsichtigen Wendung, der g^liederte Komplex generdl-fypischer Total- 
impressionen stelle sich dem BewuBtsein als Aussageinhalt dar; diese 
Feststellung dessen, was der Aussageinhalt „fur uns'' ist, laBt die Frage often, 
ob er nicht „an sich" etwas anderes sei oder wenigstens durch andere B^ 
griffe gedacht werden musse. 
Aussagen und Dinge konnen mit gleichem Rechte den Anspruch erheben, 
als seiend anerkannt zu werden. Allein dieses ihr Sdn ist doch gewiB von 
sehr verschiedener Art — von ebenso verschiedener Art wie ihre Substanzen, 
Materie und Bedeutung. Auch wissen wir ja, daB dem Physisdien 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 263 
singular-individuelle, dem Noetischen generdl-iypische Totalimpressionen zu- 
grunde liegen. Indes, wenn dieser Qegensatz hinreichen mag, die Bedeutung 
als ein Qedankliches und Allgemeines gegen die Materie als ein Anschau- 
liches und Besonderes abzugrenzen, so fullt er doch gewiB nicht den ganzen 
Abgrund aus, der zwischen einem Qedanken und einem K5rper klafft 
Urn diesen auszumessen, wird man vielmehr offenbar nicht nur die Mo- 
dal i tat , sondem auch die Qua li tit der Totalimpressionen berQcksichtigen 
mussen. In gewisser Hinsicht namlich ist meine Reaktion gegen einen Qe- 
danken eine ganz andere als meine Reaktion gegen einen Kdrper. Jenen 
kann ich z. B. bezweifeln, aber nicht betasten, diesen betasten, aber nicht 
bezweifeln. Es werden daher sicherlich auch allem BewuBisein von Logischem 
als solchem, und ebeiiso allem BewuBtsein von Physischem als solchem 
gewisse GeJfiihlsmomente gemeinsam sein. Diese ^^Igemein-logischen'' und 
^Igemein-physischen'' Qefuhlsmomeute werden dann einerseiis einander 
ahneln, andererseits gegeneinander differieren. Sofem sie einander ahnlich 
sind, werden sie beide zu den in § 35. 4 erwahnten Objektivitats- 
gefuhlen gehoren, und so wird sich die Tatsache erldaren, daB wir Qe- 
danken und K5rper beide als objektiv erleben. Sofem sie voneinander 
verschieden sind, werden sie getrennte Arten von Objektivitaisgefiihien dar- 
stellen, und dies wird die andere Tatsache b^jeiflich machen, daB wir 
dennoch Qedanken und Kdrpem verschiedene Seinsweisen zuschreiben. 
Diese hier im knappsten UmriB skizzierten und erst in der ontologie weiter 
zu verfolgenden Perspektiven mogen schon an dieser Stelle den Verdacht 
verscheuchen, als ware die pathempirische Methode auBerstande, auch jenen 
Unterschieden des Logischen und des Physischen gerecht zu werden, die 
liber den Qegensatz singular-individueller und generell-iypischer Qefiihle 
hinausgreifen, und als wurde diese Methode das Intelligible und das Sensible 
in eine verschwommene Einheit bloBer Objektivitat zusammenflieBen lassen. 
Auch noch zwei andere Qedanken, deren nahere Ausfuhrung besser 
spateren Untersuchungen vorbehalten bleibt, seien hier wenigstens angedeutet 
Wir haben zu erklaren versucht, worin die gegenstandliche Auffassung der 
Aussagen bestehi Allein neben der gegenstandlichen gibt es auch eine zu- 
standliche Auffassung der Aussagen, neben den objektiven gibt es subjektive 
Qedanken. Fur das naive BewuBtsein des logisch denkenden Menschen 
stellt die Aussage einen objektiven Verband logischer Bestimmungen und 
physischer Aussagelaute dar, fur das kritische BewuBisein des psychologisch 
denkenden Menschen eine subjektive Verbindung psychischer Bedeutungs- 
gefuhle und psychischer Aussagelautvorstellungen, — gerade so wie auch 
ein Ding fur das naive BewuBisein des Physikers als ein objektiver Verband 
einer physischen Substanz und physischer Qualitaten, fur das kritische Be- 
wuBtsein des Psychologen als eine subjektive Verbindung psychischer Ein- 
drucksgefuhle und psychischer Qualitatsvorstellungen erscheini Wir glauben 
nun, daB im ersten Falle wie im zweiten die objektive Auffassung genetisch 
der subjektiven vorhergeht: wie das BewuBtsein von Dingen, also von 
264 NOOLOOIE 
Wahrnehtnungsobjekten, fruher auftritt als dn BewuBtsein von Wahmehmungs- 
akten^ do tritt audi das BewuBtsein von Bedeutungen^ also von Denkobjdcten, 
fruher auf als ein BewuBtsein von Denkakten. Den naiven Mensdien inter- 
easiert an einer Wahmehmung zunSchsl ihr Qegenstand, an einem Oedanken 
zunSchst sein Inhalt; erst der kritische Philosoph beachtet an jener auch das 
Wabmehmen jenes Gegensiandes, an diesem auch das Denken jenes InhaliSw 
Und wir giauben nun weiter, daB in beiden FiUIen die subjektive Auffassung 
aus der objektiven durch jene Funktion der Reflexion entsteht, die wir in 
§ 35. 4 vorlllufig charakterisiert haben. Indent der Mensch auf Dinge und Aus- 
sagen reflektiertj glaubt er, sich daruber ,yklar zu werden''^ daB ihm ^eigentlich'' 
gar nicht objektive Dinge und Aussagen^ sondem ^^bloB'' subjektive Wahr* 
ndimungen und Oedanken g%d>en sind. Allein in Wahrheit bedeutet dieses 
^ich-klar-werden'' nicht bloB einen Wechsel in der Interpretion Eines un- 
veranderlicben Sachverhaltes, sondem vielmdir die Ersetzung Eines Sachver- 
haltes durch einen andem. Denn offenbar hat sich das BewuBtsein ver- 
anderti wenn es in Einem Augenblick dn BewuBtsdn von objektiven 
Dingen und Aussagen war, in einem zweiten Augenblick aber zu einem 
BewuBtsein von subjektiven Denk- und Wahmehmungserlebnissen gewordcn 
ist, und dne nfihere Analyse wurde diesen Wechsd der BewuBtsdnsart un* 
schwer als dne Abldsung der oben erwahnten Objektivitatsgefuhle 
durch SubjektivitatsgefQhle bestimmen kSnnen. Da wir nun nadi 
§ 35. 4 unter Objektivit^ und Subjektivitit letztlich gar nichts anderes v er- 
st eh en als die Charakterisierung dnes Erlebniskomplexes durch Objektivitats- 
oder Subjektivitatsgefuhle, so wird auch die ontologie schlieBlich die Frage 
nach der Objektivitat oder Subjektivitat, Realitat oder Idealitit der noetischen 
Oegenstande nicht mit einem runden Ja oder Ndn beantworten kSnnen, 
sondem sie wird vielmehr folgendermaBen urteilen miissen. Fiir den naiven, 
logisch denkenden Menschen gibt es wirklich objektive, reale noetische 
Q^enstande; ffir den kritischen, psychologisch denkenden Menschen gibt 
es solche objektive, reale noetische Oegenstande wirklich nicht Denn Ob- 
jektivitat und Subjektivitat, Realitdt und Idealitat kSnnen sinnvoll nur von 
Komplexen ausgesagt werden, je nachdem diese Komplexe ObjektivitSts- oder 
Subjektivitatsgefuhle enthalten und je nachdem sie deshalb Komplexe von 
der Art dnes objektiven Verbandes oder von der Art dner subjektiven Ver- 
bindung sind. Die Elemente dieser Komplexe aber sind an sich weder 
objektiv noch subjektiv, weder real noch ideal, sondem hdBen nur so, je 
nachdem sie einem objektiven Verbande oder einer subjektiven Verbindung 
angehdren. Nun vermag die Rfflexion Komplexe der ersten Art, also objektive 
Verbande, in Komplexe der zwdten Art, also in subjektive Verbindungen, 
zu verwandeln, daher auch insbesondere objektive Denkobjekte in subjektive 
Denkakte. Allein bdde Arten von Komplexen bestehen aus densdben 
Elementen. Diese Elemente hdBen als Elemente dnes Denkobjekts Aus- 
sagdaute und logische Bestimmungen ; als Elemente dnes Denkalds heiBen 
sie Aussagdautvorstdlungen und Bedeutungsgefuhle. An sich sdbst dagegen 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 265 
sind diese Elemente weder objektiv noch subjektiv, weder real noch ideal, 
an sich selbst sind sie weder physische Laute und logische Bestimmungen 
noch psychische Vorstdlungen und Geffihle, an sich selbst gehdren sie 
weder der physischen und logischen noch der psychischen Sphare an, 
sondem an sich selbst sind sie schlechthin, ohne jede Mdglichkeit einer 
naheren Bestimmung, Elemente der Erfahrung. Zu diesen, an sich selbst 
gegen alle ontologischen Kategorien indifferenten Erfahrungselementen ge- 
horen naturlich auch die Objektivitats- und SubjektivitaisgefQhle, sofem sie 
an sich selbst betrachtet werden. AUein in jene Elementen-Komplexe, wdche 
nach dem Prinzip der Inh&renz gebildet sind, gehen auch Objektivitatsge- 
fuhle, in alle anderen gehen Subjektivitatsgefuhle ein, und dann heiBen jene 
ersteren Komplexe objektiv, und zwar physisch oder logisch, diese letzteren 
subjektiv oder psychisch. Ja sie heiBen nicht nur so, sondem sind auch 
das, was sie heiBen: jene Pradikate k5nnen von ihnen nicht nur ausgesagt 
werden, sie kommen ihnen auch — in ihrem einzig verstandlichen Sinne 
— wirklich zu, nur daB durch die Reflexion aus objektiven Gedanken sub- 
jektive Denkerlebnisse, und durch eine Umkehrung dieses Voi^gangs aus 
subjektiven Denkerlebnissen objektive Gedanken werden konnen. FaBt nuui 
daher die B^ffe transcendenteder Realitat und Idealitat so, daB dieselben 
einen Uebergang in die entg^engesetzte Seinswdse ausschlieBen , dann 
kann den noetischen — wie ubrigens auch den materiellen — Oegenstanden 
weder transcendentale Realitat noch transcendentale Idealitat zugesprodien 
werden. Die Behauptung, ein G^enstand, sei es nun dne Aussage oder 
dn Ding, sei an sich sdbst real oder ideal, wire dann ebenso falsch, als 
es die Behauptung ware, der Schnee, der jetzt zu dner Kugd geballt, im 
nachsten Augenblicke aber zu einem Wiirfel geknetet werden kann, sd an 
sich sdbst kugdfdrmig oder wiirfdfdnnig. In dem soeben gekennzeich- 
neten Sinne ist auch die Denk- und Wahmehmungserfahrung ontologisch 
amorph. 
Wir haben in diesem Paragraphen das Wesen der g^enst^ndlichen 
Aussage-Auffassung zu ermittdn gesucht Es kann indes auch die Frage 
aufgeworfen werden, unter welchen Bedingungen diese Auffassung ein- 
tritt Auf Eine solche Bedingung nun sd hier noch kurz hingewiesen. Es 
besteht namlich offenbar ein Zusammenhang zwischen der empirischen 
G^enstdndlichkeit der Aussagen und der sozialen Natur des Logischen. In 
der Alethologie und in der ontologie werden wir sehen, daB sich dieser 
Zusammenhang zwischen Objektivitat und sozialen Gemeinsamkeit ganz all- 
gemdn nachweisen ISBi Wir halten diejenigen Vorstellungsobjekte, die uns 
mit den mdsten anderen Menschen gemdnsam sind, fur objektive Dinge^ 
diejenigen dagegen, die wir — in Phantasien, TrSumen, Halluzinationen — 
nur fur unsere Person erleben, bloB fur subjektive Erscheinungen. Ebenso 
nennen wir solche Satze, Gegenstande, Handlungen objektiv wahr, objektiv 
schon, objektiv gut, die nicht nur uns, sondem auch den mdsten anderen 
Menschen als wahr, schon und gut erscheinen. Sofem wir uns dag^en 
266 NOOLOOIE 
bewuBt sind, daB ein Satz, ein Qegenstand, eine Handlung nur uns selbst 
als wahr, schdn, gut erscheint, sagen wir nur: wir sind von diesem Satze 
iiberzeugt, dieser Qegenstand geflllt uns, wir billigen diese Handlung. Wir 
werden auf Qrund dieser Tatsachen den Satz vertreten „Das einer Qruppe 
relativ gemeinsame Subjektive wird von den einzelnen Individuen dieser 
Oruppe als absolut objektiv erlebt", und ffir densdben die Rolle eines 
psychosozialen Orundgesetzes in Anspruch nehmen durfen. Diesem 
Gesetze nun laBt sich aucb die Qegenstandlichkeit der Aussagen ohne 
weiteres unterordnen. Denn der Objektivitat des B^ffes ^Mensch'^y des 
pythagoreischen Lehrsatzes und des ontologischen Beweises entspricht auf 
der Seite des Subjektiven die Tatsache, daB alle oder fast alle denkenden 
Individuen mit dem Wortlaute dieser Aussagen gleiche subjektive Bedeutungs- 
erlebnisse verbinden, und diese Tatsache wieder erklart sich daraus, daB ja 
diese Bedeutungserlebnisse generelle QefQhle, d. h. sozial gemeinsame Reak- 
tionserscheinungen sind. Von diesem Qesichispunkte aus betrachtet, stdlt 
sich dann die objektive Auffassung der Aussagen als Korrelat der ursprung- 
lich undifferenzierten, hordenmaBig gemeinsamen Denkweise des Menschen 
dar, wahrend ihre reflektierende Subjektivierung der allmahlichen Differen- 
zierung des Denkens, der Ausbildung singularer, d. i. nur Einer Person eigen- 
tumlicher B^ffe, Ueberzeugungen, Erwagungen usf. enisprichi Dies ist nun 
freilich nicht so zu verstehen, als bestunde das Wesen der gegenstandlichen 
Auffassung eines Denkobjektes in der Gleichheit der ihm in verschiedenen 
Individuen entsprechenden subjektiven Denkakte ; denn fur das BewuBtsein des 
einzelnen Individuums ist die Objektivitat einer Aussage mit der Inharenz der 
Aussagelaute im Aussageinhalt unmittelbar gegeben, ohne daB es an die Denk- 
erlebnisse anderer Individuen auch nur zu denken brauchte. Und jene Ent- 
sprechung ist auch nicht so zu versehen, als ware die soziale Gemeinsamkeit 
der Denkakte die Ursache der „Hypostasierung" des Denkobjekts; 
denn diese Auffassung wurde einen einseitig psychologischen Standpunkt 
voraussetzen, fur den die subjektiven Denkakte etwas Fruheres, Wahreres, 
Realeres, Berechtigteres waren als die objektiven Denkobjekte. Ihr konnte 
ja sofort eine ebenso einseitig logische Beirachtungsweise entg^entreten mit 
der Behauptung, es sei vielmehr die Objektivitat der Oedanken die Ursache 
fur die soziale Gemeinsamkeit der Denkerlebnisse. Von beiden Einseitig- 
keiten wird sich die Noologie gleichweit entfemt halten mussen. Wohl aber 
darf sie fesistellen, daB zwischen der Objektivitat der B^ffe, Satze und 
Beweise einerseits, der sozialen Uebereinstimmung des B^jeifens, Urteilens 
und Beweisens andererseiis eine gesetzmaBige Korrelation besteht, und daB 
deshalb die Reflexion die objektiven Gedanken nicht bloB in subjektive 
Denkfunktionen Eines Individuums, sondem vielmehr in spezifisch gleiche 
Denkfunktionen zahlreicher Individuen verwandelt Der logischen Identitat 
des Denkinhalis entspricht die psychologische Gleichheit der diesen Denk- 
inhalt „erfassenden" Denkfunktionen zahlreicher denkender Individuen. 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 267 
§57 
Erkennt ein denkendes Wesen, in dem eine Aussagegrundlage 
eine singular-individuelleTotalimpression hervomift, unter 
den diese Totalimpression konstituierenden Gefuhlsmomenten solche 
gerierell-typische Totalimpressionen wieder, welche — 
durch logische Formalgefuhle zu einem gegliederten Komplex 
verbunden — sich dem BewuBtsein als Aussageinhalt darstellen, 
so hat es jene Aussagegrundlage durch diesen Aussageinhalt auf- 
gefaBt 
Nun beruht die Unterscheidung intelligibler Teile Qberhaupt 
daraufy daB auf die Inhalte gleicher Vorstellungenmit verschiedenen 
Gefuhlen reagiert werden kann. Nach der soeben gegebenen Er- 
klarung aber ist es darum mdglich, gleiche Aussagegrundlagen durch 
verschiedene Aussageinhalte aufzufassen, weil in den durch gleiche 
Aussagegrundlagen hervorgerufenen singular -individuellen Totalim- 
pressionen verschiedene generell-typische Totalimpressionen wieder- 
erkannt, und diese wiederum durch verschiedene logische Formalge- 
fuhle miteinander zu verschiedenen Komplexen verbunden werden 
konnen. . Es ist daher verstandlich, weshalb den verschiedenen Aus- 
sageinhalten, durch welche gleiche Aussagegrundlagen sich auffassen 
lassen, an diesen Aussagegrundlagen nicht reelle, sondem nur in- 
telligible Teile entsprechen. 
Wenn eine Aussagegrundlage durch einen Aussageinhalt aufgefaBt 
wird, so sind die Vorstellungen von jener Aussagegrundlage in den 
gegliederten Komplex generell-typischer Totalimpressionen, der diesen 
Aussageinhalt psychisch reprasentiert, in derselben Weise eingebettet 
wie die Qualitaten eines Dinges in dessen Totalimpression. Infolge- 
dessen gelten uns dann ausgesagte Sach verbal te mit gleichem 
Aussageinhalt ebenso ohne Rucksicht auf die Mehrheit und den 
Wechsel der Aussagegrundlagen als einheitlich und beharrlich, 
wie uns auch Dinge mit gleicher Substanz ohne Rucksicht auf die 
Mehrheit und den Wechsel ihrer Qualitaten als einheitlich und be- 
harrlich gelten. Die Gegenstandlichkeit der ausgesagten 
Sachverhalte beruht demnach darauf, daB mehrere und wechselnde 
Aussagegrundlagen einem einheitlichen und beharrlichen Aussageinhalt 
inhSrieren. 
Hiemit haben wir die Dritte semasiologische Hauptfrage beant- 
wortet. 
268 NOOLOOIE 
ERLAUTERUNG 
1) Nach den Ergd)nissen des § 55 ist die generdl-tyiHSche fai der 
singulSr-individuelien Totatimpression enthalten. Daraus ergibt sich 
unmittelbar^ daB dieAuffassung der Aussag^rundlage durch den 
Aussagetnhalt in der Heraushebung der ersteren aus der letzteren be- 
steht, — nur daB diese Heraushebung dann freilich noch einer Er- 
ganzung durch das Hinzutreten logischer Formalgefuhle bediirfen wird 
So fasse ich etwa den Dom von Pisa als Kunstwerk au^ indem idi 
in dem personlichen Eindrucke, den dieses Einzelding mir macht, jene 
alien menschlichen Kunstwerken gemeinsamen GefOhle des Oebllens 
wiedererkenne, welche den B^riff Kunstwerk fundieren, und indem 
ich dann diese Gefiihle mit dem FormalgefQhl der O^enstandlichkdt 
verbinde. Ebenso fasse ich die Tatsache des Vogelflugs auf durdi 
den Satz „Dieser Vogel fliegt**, indem ich in dem persdnlichen Ein- 
druck, den dieser Eine Vorgang mir macht, die den Begriffen Diesa, 
Vogel, Fliegen zugrunde liegenden generell-typischen Totalimpressionen 
erkenne und dieselben durch die der syntaktischen Form des ange- 
fuhrten Satzes entsprechenden logischen Formalgeffihle (Behauptung; 
Gegenstandlichkeit, Tatigkeit usw.) erganze. 
Dabei zeigt sich aufs neue: die singuiar-individuelle Totalimpression, 
das hochstpersSnliche Erlebnis des absolut Einzelnen^ kann keine 
Aussage fundieren. Soil es in logische Werte umgesetzt, soil die 
vAnschauung"" durch ^B^ffe"" erfaBt werden, so muB jenes Erlebnis 
einer doppelten Bearbeitung sich unterwerfen : es gilt, im individuellefl 
Eindruck den typischen, d h. im Besonderen das Allgemeine, und ini 
singularen Eindruck den generellen, d h. im Persdnlichen das Soziaie 
aufzuzeigen. Eben in dieser Umsetzung des nur flir Eine Person 
gultigen Eindrucks von Einem Objekt in den ffir eine ganze Oruppe 
giiltigen Eindruck von einer ganzen Art besteht die logische Auf- 
fassung der Fakten. Dies ihr einheitliches Wesen aber stdlt sich 
verschieden dar, je nachdem es sich um die gleiche Auffassung ver- 
schiedener Tatsachen oder um die verschiedene Auffassung gleicher 
Tatsachen handelt 
Die gleiche Auffassung verschiedener Tatsachen ist die Abstrak- 
t i o n. Sie erweist sich jetzt als das Wiedererkennen dersdben generdl- 
typischen Gefiihlsmomente in verschiedenen singular -individuellen 
Totalimpressionen. Ich abstrahiere z. B. den Begriff des Kunstwerks 
vom Dom von Pisa und von der Neunten Symphonic, indem ich in 
meinen personlichen Eindriicken von diesen beiden GegenstSnden 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 260 
dieselben Gefuhle des Gefallens erkenne. Das Ratsel, wie denn Vor- 
stdlungen ganz verschiedener Sinnesgebiete unier Einen Begriff fallen 
^ kfinnen, Idst sich jetzt auf sehr einfache Art : es konnen eben mit ganz 
oivcrschiedenen Vorstellungen ganz gleiche Oefflhle sich ver- 
•llcnflpfen. Erinnem wir uns nun, daB die Vorstellungen die BewuBt- 
ii seinskorrelate unseres Rezipierens, die Gefuhle diejenigen unseres 
iReagierens sind, so erkennen wir auch die biologischen Grund- 
■ lagen dieses Verhaltnisses. Wir konnen eben auf verschiedene Reize 
■ in derselben Weise reagieren. AUes dasjenige aber, worauf wir in 
■ gleicher Weise reagieren, ordnen wir Einem Begriffe unter. Abstraktion 
I ist die Zusammenordnung verschiedenartiger sensorischer Eindrucke 
■ im Hinblick auf unsere gieichartige motorische Resddion. 
b Umgekehrt ist die verschiedene Auffassung glekher Tatsachen die 
i Unterschddung intelligibler Teile. Diese erweist sich jetzt als 
i das Wiedererkennen verschiedener generell-typischer Oefflhlsmomente 
I in denselben singular-individuellen Totalimpressionen. So unterscheide 
I ich z. B. dn bestimmtes Grlin als Farbe und als Grun, indem ich in 
k meinem personlichen Eindrucke von einem bestimmten Griin einersdts 
I jene Gefuhlsmomente erkenne, die alien Farben, andererseits jene^ die 
allem Grunen eigentumlicb sind. Auch das Ratsd, wie denn dne ein- 
i fache Empfindung unter mehrere Begriffe fallen kdnne, lost sich daher: 
r es konnen sich eben auch mit ganz gidchen Vorstellungen ganz ver- 
i schiedene Gefuhle verknupfen. Und auch dieses Ergebnis hat sdne 
; biologjsche Seite Wir kdnnen nimlich auch auf gteiche Rdze in ver- 
I schiedener Wdse reagieren. Alles dasjenige nun, worauf wir in ver- 
schiedener Weise reagieren, unterscheiden wir als verschiedenen Be- 
griffen untergeordnet. Der Dom von Pisa ist ein Kunstwerk, sofem 
er uns gefSIlt, ein KSrper, sofem er uns Widerstand leistet. Die Unter- 
schddung intelligibler Teile ist daher die Trennung gldchartiger 
sensorischer Eindrucke im Hinblick auf unsere verschiedenartige mo- 
torische Reaktion. 
2) Das Vorstehende laBt sich etwas wdter ausfuhren, wenn man einen 
kurzen Seitenblick auf das Gebiet des Genetischen nicht scheut Und 
vielleicht durfen wir eine solche Abschweifung auch damit vor uns selbst 
entschuldigen, daB sie uns zugleich Gel^enheit bietet, eine fruher gegebene, 
dnseitig-scbematische Darstellung zu korrigieren. In § 55. 2 namlich haben 
wir auseinandergesetzt, wie beira Sprechenlemen aus den individuellen 
typische, aus den singularen generelle Totalioipressionen sich entwickeln. 
Ohne Zweifd ist dies nun wirklich die Hauptrichtung der Entwickdung da, 
wo dem Einzdnen die gesdlschaftlich gangbaren Denkformen uberlidert 
werden. Handelt es sich dagegen um die Entstehung dieser Denkformen 
270 NOOLOOIE 
selbst, und auch urn die analoge Entwickelung beitn Einzelnen, soweit sie 
sich nicht unter dem Drucke der Tradition vollzieht, so muB nadi dem eben 
Gesagten eine ganz entg^engesetzte Entwickelungsrichtung vorausgesdzt 
werden. Denn gewiB ist auf fruheren Stufen der Entwickelung das praktische 
Interesse an der motorischen Reaktion im Verhaltnis zu dem theoretischen 
Interesse an der sensorischen Perzeption nicht von geringerer, sondem von 
gr5Berer Bedeutung. Man darf sogar wohl annehmen, daB ursprQnglich 
dasjenige, was nicht verschiedene Reaktionen erfordert, auch nicht unter- 
schieden wird: die Verallgemeinerung hat zu ihrer Vorstufe die Ver- 
wechslung. Je unentwickdter der Organismus ist, je beschrankter dem- 
nach seine Reaktionsmoglichkeiten, desto weniger Kat^:orien kennt er, desto 
mehr verwechselt er, desto allgemeineren B^ffen entsprechen daher auch 
seine psychischen Zustande. Wir werden z. B. mit der Annahme schwerlicb 
fehlgehen, daB das BewuBtsein von Out und Schlecht — ein Paar psychi- 
scher Zustande also, die heute sehr allgemeinen B^jiffen entsprechen — 
zu dem alleraltesten seelischen Bestande der lebenden Wesen gehort Die 
Genesis nimmt somit nicht von individuellen, sondem von typischen Total- 
impressionen ihren Ausgang und verlauft nicht als Abstrahierung des All- 
gemeinen, sondem als Differenziemng des Besonderen. Indem namlich 
die Reaktionsmoglichkeiten sich vervielfachen, wird es notwendig, auf zwd 
Eindrucke, die in Einer Hinsicht eine gleiche Reaktion erfordera, in 
anderer Hinsicht doch auch verschieden zu reagieren. Beide werden 
deshalb jetzt unterschieden, indem zu den gleichen auch verschiedene Ge- 
fuhlsmomente treten. Im Gegensatze zu diesen individuellen Momenten des 
Eindrucks erscheinen dann jene als iypische, und, durch die feinere Aus- 
einanderhaltung modifiziert, stellt sich die ursprungliche Verwechslung jetzt 
als Verallgemeinemng dar. Etwas Aehnliches wie fur das Verhaltnis des 
Typischen zum Individuellen gilt indes auch fur das des Generellen zum 
Singularen. Denn je geringer die Hdhe der Entwickelung, desto geringer 
auch die Differenziemng der einzelnen Individuen, desto entschiedener 
mithin auch das Vorherrschen sozial gemeinsamer psychischer Zustande. 
Die primitiven Eindrucke muB man sich daher wohl als solche denken, 
welche uns als in hohem Grade generell erscheinen wurden. Das Faktum 
des logischen Verkehrs hat in der Horde oder gar im Rudel weit geringere 
Widerstande zu uberwinden als in der kultivierten Gesellschaft, denn die iiber- 
individuelle Geltung des Logischen hat zu ihrer Vorstufe die unindividuelle 
Herrschaft des Instinkts. Erst indem die Einzelnen dieser Herrschaft ent- 
wachsen, mehr und mehr zu differenzierten Individualitaten sich heranbilden, 
gesellen sich zu den sozial gemeinsamen auch personlich eigentumliche 
Gefuhlsmomente. Jene erscheinen dann im Gegensatze zu diesen als generdl, 
und der ursprungliche Mangel an persdnlicher Eigenart stellt sich jetzt als 
logische Ud^erwindung derselben dar. Zusammenfassend aber darf man 
zwar von einer Enistehung der generdl-tjrpischen aus den singular-indivi- 
dudlen Totalimpressionen sprechen, sowdt es sich um die Einbildung der 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 271 
uberlieferten Denkformen in das BewuBtsein des Einzelnen und urn die Ein- 
gliederung eines neuen Individuums in eine bestehende Gruppe von Denk- 
genossen handelt; soweit dag^en die spontane Enistehung des logischen 
Denkens und allgemeiner B^ffe in Frage steht, muB die Aussonderung 
der singular-individuellen aus den generell-typischen Totalimpressionen als 
die regelmaBige Art der Entwickdung gelten. 
3) Die allgemeinen Voraussetzungen unseres Auflosungsversuches mogen 
hier noch einmal mit klassischen Worten wiederholt werden: die Tatsache 
kann nicht ausgesagt werden, ein Gedanke muB sie auffassen ; da sie jedoch 
durch sehr verschiedene Gedanken aufgefaBt werden kann, so besitzt sie an 
sich selbst tiberhaupt keinen bestimmten logischen Wert Jenes hat Heqel i) 
trefflich formuliert: ,,Als ein AUgemeines sprechen wir audi das Sinnliche 
a u s'< ; es ist „gar nicht mdghch, daB wir ein sinnliches Sein, das wir 
meinen, je sagen konnen .... Zeigen mussen wir es uns lassen". 
Dieses Schleiermacher 2) nicht minder scharf: Es ist klar, „daB diesdbe 
organische Affektion auf ganz verschiedene B^ffe fiihrt zu verschiedenen 
Zeiten. Die Wahmehmung eines Smaragd wird mir einmal ein Schema 
eines bestimmten Grun, dann einer bestimmten Kristallisation, endlich eines 
bestimmten Gesteins". 
Auch unser Auflosungsversuch selbst ist nicht origindl, soweit seine 
biologischen Prinzipien in Betracht kommen. Wir mussen hier aus dem 
schon in § 53. 2 Angdiihrten einiges wiederholen. MACHsagts): „Worauf 
in gleicher Weise reagiert wird, das fallt unter Einen Begriff. So 
vielerlei Reaktionen, so viderlei B^^ffe .... Den ,Generalien* kommt 
keine physikalische Realitat zu, wohl aber eine physiologische: die 
physiologischen Reaktionen sind von geringerer Mannigfaltigkeit als die 
physikalischen Reize." Fast gleichzeitig habe ich sdbst fur die Abstraktion 
denselben Grundgedanken entwickdt*): „Unterschieden wird auf jeder Stufe 
der Organisation das, was in uns verschiedene Gduhle erregt und ver- 
schiedene Reaktionen auslost .... Unter Einem Worte wurden alle jene 
Einzdvorstellungen zusammengefaBt, welche zur Zeit der Sprachentstehung 
gleiche Reaktionen hervorzurufen geeignet waren." Ebenso erklart jetzt 
MOnsterberqs): Es ist „die Abstraktion beherrscht durch die allgemeine 
typische Innervation, und der Begriff wird von derjenigen motorischen Einstd- 
lung beherrscht, die der ganzen im Begriffe zusammengedachten Objektgruppe 
gemeinsam zukommt .... Erst durch das Erlemen der gdrennten Reaktion 
lemen wir, die Dinge zu zerl^en ; nur durch die Einiibung einheitlicher 
Reaktion lemen wir, das Gesonderte zusammenzufassen und psychisch zu 
verbinden". Diese Darl^^ngen bedurfen unseres Erachtens nur einer 
doppdten Erganzung. Wie zunachst die Abstraktion bedingt ist durch die 
gleiche Reaktion auf Verschiedenes, so die Unterscheidung intelligibler Teile 
durch die verschiedene Reaktion auf Gleiches. Unsere physiologischen 
») Phanomenolog. A. I (WW. 11, S. 76 ff.). 2) Dial. § 175. 3) Warmelehrc 
S. 416 ff. *) Psych-log. Qrundtats. S. 26; vgl. S. 97 ff. *) Prinzipien S. 552 f. 
272 NOOLOOIE 
Reaktionen sind daher im Orunde nicht von geringerer, sondem nur von 
anderer Mannigfaltigkdt al8 die physikalischen Rdze. Insofon diese 
Diskrepanz sich auBert in gleichen Reaktionen auf veischiedene Reize, tassen 
wir viele Einzdheiten durch Einen B^ff auf, d. h. wir abstrahieren ; in- 
sofem sidi dag^:en diesdbe Diskrepanz iuBert in veradiiedenen Reaktionen 
auf gleiche Reize, fassen wir Eine Einzelhdt durdi viele B^ffe auf, d. h. 
wir untersdidden an ihr intdligible Tdle. Weiter aber stdlen sidi die 
Reaktionen dem BewuBisein als Oeffihle dar, und wir, die wir an dne 
psydiologisdie Methode gebunden sind, kdnnen deshalb den AussagdnhaH 
nicht erkUiren als die dner Oruppe von Subjekten und dner Qruppe von 
Objekten gemdnsame Reaktion, sondem mussen ihn bestimmen als dn 
generdles und typisdies Oesamteindrudcsgeffihl. 
Was endlich die genetisdie Prioritat des Allgemeinen vor dem Besonderen 
angeht, so ist audi diese langst erkannt worden. Sclion Aristoteles^ 
sagt, die Erkenntnis sdireite vom Allgemdnen zum Besonderen fort (hi 
t&v xa^Xoi) Ifcl zdi oca^dxoGta). Denn das Allgemdne sd ein aus viden 
Tdlen bestehendes Oanzes; das Oanze aber sd der Wahmehmung in 
hdherem Orade zuganglich. So sd audi der B^jiff des Krdses friiher als 
seine Definition. Und audi die Kinder nennten ursprQnglidi alle Mdnner 
Vdter und alle Weiber MUtter^ und unterschieden erst spftter die einzdnen 
Individuen^. Nocli wdter ist Wilhelm von Occam 3) g^;angen, der den 
B^^riff geradezu als das verworrene Denken des Einzdnen bezddinet Er 
sagt: „Das Einzdding veranlaBt den Versfeuid sowohl dazu, es verworren 
{confuse), als dazu, es deutlidi (disHnde) zu denken. Verworren nenne idi 
denjenigen Gedanken, durch welchen der Verstand Ein Dtng vom anderen 
nicht unterschddet, und in dieser Weise veranlaBt Sokrates den Verstand, 
(bloB) dnen Menschen (fiberhaupt) zu denken, . . . wobd er Sokrates von 
Plato nicht unterscheidd . . . Er veranlaBt aber den Verstand auch, ihn auf 
nicht verworrene Weise zu denken, und dann sage ich, daB dieser Sokrates 
dn Mensch ist.'' Oanz ahnlich mdnt Lessinq^): „In alien FSllen . ^ wo 
das Aehnliche sofort in die Sinne f^lt, das Un§hnliche aber so Idcht nfdit 
in die Sinne fiUlt, entstehen allgemdne B^ffe, ehe wir noch den Vorsatz 
haben, dergleichen durch die Absonderung zu bilden. Und daB daher 
dieser ihre Zeichen in der Sprache ebenso fruh werden gewesen sdn ab 
die Zdchen der einzdnen Dinge, die in ihnen zusammentreffen, ist wohl 
ganz naturlich. Ja friiher; Bourn ist sicherlich alteren Ursprungs als Eiche, 
Tonne, Unde.'' So hat auch Oeioer^) den „Qrund« fur die Entstehung 
der Allgemdnb^jiffe in dem „Nichtbemerken der Untersdiiede des Aehn- 
lichen'' gefunden, und ebenso hat Spencer <>) betont, daB in der Wissensdiaft die 
Phys. I. 1, p. 184a 23 ff.; vgL auch Anal, postt II. 19, p. 100a 16 ff. f) Die 
letzte Bemerkunc; schlieBt jeden Zweifel daran aus. daB das „Fruher^ hier in der 
Tat im genetiscnen Sinne zu verstehen ist ^ Frantl III, S. 356, Anm. 806. 
^) Zusatze zu den Philosophischen Aufsatzen von K. W. Jerusalem (WW. X, S. 8). 
«) Sprache u. Veraunft II, S. 247. •) First Prindplcs 11. 13. 113 (S. 376 ff.). 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 273 
allgemeineren B^ffe den spezielleren vorausgehen, z. B. der B^ff Kriech- 
tier den B^ffen Insekt und Spinne. Avenarius i) hat an viden Bdspiden 
diese „Prioritat des Allgemeinen'' infolge mangelh^er Beachtung der Unter- 
schiede nachgewiesen, und jtingst hat audi Corneuus^ fur diese Ansidit 
sich erklart 
4) Aus der Aussag^^rundlage und dem sie auffassenden Aussage- 
inhalt besteht nach § 47 ein Komplex: der ausgesagteSachver- 
halt Nach den bisherigen Ergebnissen unserer Untersudiung muB 
nun dieser Komplex fur das BewuBtsdn dargestellt werden durch dne 
Verbindung zwischen den Vorstdlungen der Aussag^^rundlage und 
der den Aussageinhalt psychisch reprisentierenden, gegliederten Oruppe 
logischer Oefiihle. Es entsteht daher die Frage nach der Art dieser 
Verbindung; denn von ihr wird die Struktur des Sachverhaltes ab- 
hangen. Es laBt sich jedoch leicht zeigen, daB die Art der Verbindung 
zwischen den Aussagegrundlagevorstellungen und den Aussageinhalts- 
gefuhlen dieselbe sein muB wie die Art der Verbindung zwischen den 
Aussagelautvorstellungen und den AussageinhaltsgefQhlen, somit audi 
die Struktur des Sachverhaltes dieselbe wie die Struktur der Aussage. 
DaB namlich die Verkntipfung der Aussagdaute mit dem Aussage- 
inhalt alslnharenz, die Struktur der Aussage als diednes Oegen- 
standes b^ffen werden musse, dies Idteten wir in § 56. 1 aus 
der Tatsache ab, daB uber die IdentitSt oder Nichtidentitlit zweier Aus- 
sagen ohne Rucksicht auf die Verschiedenheit oder Oleichheit der 
Aussagdaute die Oleichheit oder Verschiedenhdt des Aussagdnhalts 
entschdde. Alldn ganz dasselbe gilt nun audi von der Identitat oder 
Nichtidentitat zwder Sachverhalte. Wenn ich dieselbe Tatsache das 
eine Mai auffasse als „das Fliegen eines Vogds"*, das andere Mai als 
^die Bewegung eines Korpers", so handelt es sich — nach dem ge- 
wohnlichen Denk- und Sprachgebrauche zu urteilen — in bdden 
Fallen nicht etwa um Einen Sachverhalt, der nur zwd verschiedene 
Pradikate besaBe, sondem es handdt sich um zwd Sachverhalte, die 
nur ngldch aussehen*". Fasse ich anderersdts dnmal die Tatsache 
eines flattemden Sperlings, ein andermal die Tatsache eines kreisenden 
Adlers auf als ,,das Fli^en eines Vogels"*, so liegen hier nicht etwa 
zwei Sachverhalte vor, die nur ein gemdnsames Pridikat hatten, 
sondem es liegt Ein Sachverhalt vor, der sich nur in zwd verschiedenen 
Tatsachen realisiert Auch bei der Verknupfung der Aussagdnhalts- 
geftihle mit den Aussagegrundlagevorstdlungen entscheidet demnach 
fiber die IdentitUt oder Nichtidentitlit des Komplexes ohne RQcksicht 
») Kr. d. r. Erf. II, S. 269!. ^ Psycholog. S. 42 If. 
Oomperz, WeltmscfaanunsBlehre U 1 It 
274 NOOLOOIE 
auf die Verschiedenheit oder Gleichheit der Vorstellungen die Oleich- 
heit Oder Verschiedenheit der OefQhle. Nun haben wir in § 56. 1 
gezeigty daB von alien Arten der Charakterisierung nur die Inharenz 
der Accidentienin einer S u b s t a n z diese Eigentiimlichkeit aufweist. 
Folglich besitzt auch der Sachverhalt eine gegenstHndliche Struktur, 
indem die Aussag^^rundlage dem Aussageinhalt inh&riert 
Es geht aus dem Oesagten hervor, daB bei dem Uebergange von 
der sinnlich-anschauenden zu der b^^fflich-denkenden Erfassung einer 
Tatsache sich noch etwas anderes vollzieht, als daB bloB generell- 
typische OefQhlsmomente aus einem singular-individuellen Eindruck 
durch die Aufmerksamkeit herausgehoben und durch logische Formal- 
gefQhle miteinander verbunden wQrden. Jene Heraushebung bedingt 
nimlich zugleich eine Modifikation der Substanz. Beim ^schlichten'' 
Erlebnis einer Tatsache sind die Vorstellungen von dieser Tatsache in 
ihre singular-individuelle Totalimpression eingebettet, d. h. in die Ge- 
samtheit der von ihr in dem Erlebenden hervorgerufenen Gefuhle. 
Fasse ich dagegen dieselbe Tatsache durch einen Oedanken auf, so 
fallen fQr die Dauer dieser Auffassung die von der Aufmerksamkeit 
vemachlassigten, rein singularen und individuellen Momente jenes Oe- 
fuhlseindrucks aus dem Komplex heraus, und die Vorstellungen von 
der betreffenden Tatsache sind jetzt bloB in jene generellen und 
typischen Momente des Oeflihiseindrucks eingebettet, die fur das Be- 
wuBtsein den auffassenden Oedanken darstellen. So sind z. B., wenn 
ich den Dom von Pisa als Kunstwerk auffasse, fur die Dauer dieser 
Auffassung die Vorstellungen jenes Oebaudes bloB in jene Gefuhle 
des Oefallens eingebettet, welche den B^^ff des Kunstwerks fundieren. 
Und wenn ich die Tatsache eines Vogelfluges auffasse als den Sach- 
verhalt „das Fliegen dieses Vogels^, so inhSriert fur die Dauer dieser 
Auffassung meine Wahmehmung jener Tatsache bloB jenem gegliederten 
Komplex generell-typischer Totalimpressionen, der fur das BewuBtsein 
den Tatbestand „ Dieser Vogel fliqgt** reprasentiert Der ausgesagte 
Sachverhalt unterscheidet sich somit von der Aussagegrundlage da- 
durch, daB diese einer singulMr-individuellen Totalimpression, jener 
einem gegliederten Komplex generell-typischer Totalimpressionen 
inhariert. 
5) Wir wissen, daB Oegenstande mit gleicher Substanz ohne Rfick- 
sicht auf die Mehrheit und den Wechsel ihrer Acddentien stets als 
einheitlich und beharrlich, d. h. als identisch erlebt werden. Nun kdnnen 
zwei verschiedene Tatsachen niemals eine gleiche Substanz haben. 
Denn zwischen den Vorstellungen und den OefQhlen, die eine Tat- 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 275 
sache hervomift, besteht eine feste Korrelation. Zwei Tatsachen, die 
„verschieden aussehen'^, konnen niemals auf ein Subjekt den ^gleichen 
Eindruck" machen. Infolgedessen bleiben denn auch Tatsachen slets 
etwas rein Individuelles ; niemals kdnnen zwei verschiedene Tatsachen 
nur zwei Erscheinungsformen Eines Oegenstandes darstellen. Ein 
Europaer und ein Neger z. B., oder das Flattem eines Sperlings und 
das Kreisen eines Adlers, machen, da sie verschieden aussehen, auch 
stets einen verschiedenen Eindruck. Deshalb bleiben ein Europaer 
und ein Neger stets zwei verschiedene menschliche Individuen, das 
Flattem eines Sperlings und das Kreisen eines Adlers stets zwei ver- 
schiedene individuelle Tatsachen. 
Oanz anders verhalt es sich mit dem Sachverhalt Auch wenn 
mehrere Tatsachen ^verschieden aussehen"*, kdnnen doch die von 
ihnen hervorgerufenen Oefuhle gleiche generell-typische Momente ent- 
halten. Da nun diese Momente die Substanz, jenes ^Aussehen^ die 
Accidentien des Sachverhaltes darstellt, so kann es mehrere Sachver- 
halte geben, die zwar verschiedene Accidentien, jedoch gleiche Sub- 
stanzen haben. Dann werden aber diese Sachverhalte uns nur als 
verschiedene Erscheinungsformen Eines Sachverhaltes gelten. Solche 
als einheitlich und beharrlich erlebte Sachverhalte nun sind die typi- 
schen OegenstSnde. 
Alle Menschen z. B., mogen sie nun Europaer oder Neger, Manner 
Oder Weiber, Kinder oder Oreise sein, rufen in luns neb en ver- 
schiedenen, singular-individuellen Oefuhlsmomenten auch jene gleiche, 
generell-typische Totalimpression hervor, die den B^^ff Mensch fundiert 
Sofeme wir nun alle jene menschlichen Individuen durch den Begriffs- 
inhalt Mensch auffassen, inharieren die verschiedenen Vorstellungen 
von alien jenen Menschen dem gleichen Komplex generell-typischer 
Totalimpressionen, namlich jenem, der fflr das BewuBtsein den B^^ffs- 
inhalt Mensch reprasentiert. Jedes einzelne, in solcher Weise aufge- 
faBte menschliche Individuum ist eine Sache. Allein da alle diese 
Sachen sich voneinander nur durch ihre Accidentien unterscheiden, 
dagegen eine vollkommen gleiche Substanz aufweisen, so werden sie 
sich uns, wenn wir hierauf reflektieren, auch nur als verschiedene Er- 
scheinungsformen Eines O^enstandes darstellen. Dieser Oegenstand 
aber ist der Typus „Der Mensch". 
Ebenso wie mit den Sachen steht es jedoch auch mit den ScuAver- 
halten im engeren Sinne (§ 47. 6). Jedes rechtwinklige Dreieck, 
uber dessen 3 Seiten Quadrate errichtet sind, ist, sofem es jenem 
Komplex generell-typischer Totalimpressionen inhariert, der fur das 
18» 
276 NOOLOOIE 
BewuBtsein den logischen Inhalt des pythagoreischen Lehrsatzes ^ 
darstellt, ein Sachverhalt Da indes all diese Sachverhalte sicb 
voneinander nur durch ihre Accidentien unterscheiden, dagegen dne 
vollkommen gleiche Substanz besitzen, so werden wir auch sie nur ; 
als verschiedene Erscheinungsformen Eines G^[enstandes auffassen. i 
Dieser O^enstand aber ist der typische Sachverhalt ^Das | 
Oleichsein des Quadrats der Hypotenuse und der Summe der Quadrate j 
der Katheten". 
6) DaB wir auch den typischen G^enstinden nur eine empirische 
Realitat zuschreiben, brauchen wir kaum ausdrficklich zu wieder- 
holen. Unsere Fragestellung ging ja auch nur davon aus, dafi wir in 
der Erfahrung Oebilde vorfinden, die dnen typischen Chaiakter 
zdgen und denselben Anspruch auf Anerkennung ihrer Objektivitat 
erheben wir die physischen und noetischen Gegenstinde. Die Frage 
nach der transcendentalen Berechtigung dieses Anspruches kann 
nur in der ontologie erSrtert werden. Hier war nur die empirische, 
d. h. psychologische Grundlage desselben nachzuweisen und insbe- 
sondere zu zeigen, daB die typischen G^enstSnde dnen soldien 
Anspruch mit nicht geringerem Rechte als die physischen und noStischen 
G^enstinde erheben i). Demselben Zwecke mdgen noch folgende 
Bemerkungen dienen. 
Die physischen G^enstSnde sind dem BewuBtsein g^eben als 
Komplexe, in wdchen sinnlich wahmehmbare Qualitaten einer singular- 
individuellen Totalimpression inhSrieren. Dabd hebt der dem Dinge 
wesentliche Wechsel der Qualitaten die auf die Einhdt der Substanz 
sich grundende Einheit des Dinges nicht auf. Es ist natfiriich un- 
mdglich, einen Berg zugleich als nahe, weiBe Riesenmasse und als 
femes, blaues Punktchen, einen Menschen zugleich als blonden 
Knaben und als wdBhaarigen Greis zu sehen. Trotzdem gelten uns 
Berg und Mensch als je Ein Ding. Dieses identische Ding wird 
daher gewiB nicht als seiches von uns wahrgenommen; alldn 
trotzdem wird es von uns als Ein physischer Gegenstand eriebt 
Die noetischen Gegenstande sind dem BewuBtsein g^eben als 
Komplexe, in welchen sinnlich wahmehmbare Aussagelaute dner ge- 
gliederten, generell-typischen Totalimpression inharieren. Auch hiebd 
hebt der der Aussage wesentliche Wechsel der Aussagdaute die auf 
die Einheit des Aussagdnhalts gegrundete Einhdt der Aus sage nidit 
Audi das Ergebnis der ontologischen Erdrterung; wird deshalb fur die typischen 
Qegenstande dasselbe sein mussen wie fur die physischen und noetischen Obiekte. 
Alles. was wir fiber die letzteren in § 56. 3 vorgreitend bemerkten, wiitl daher auch 
auf die ersteren analoge Anwendung finden. 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 277 
auf. Auch den pythagoreischen Lehrsatz kann man naturlich nicht 
zugleich als einen griechischen und als einen deutschen Satz hdren. 
Trotzdem gilt uns dieser Satz als E i n e Aussage. Diese identische Aus- 
sage wird daher gewiB gleichfalls nicht als solche wahrgenommen; 
allein trotzdem wird sie von uns als Ein noetischer G^enstand erlebt 
So sind nun auch die typischen Gegenstande dem BewuBtsein ge- 
geben als Komplexe, in denen sinnlich wahmehmbare Tatsachen einer 
gegliederten, generell-typischen Totalimpression inharieren. Doch auch 
hier hebt der dem Typus wesentliche Wechsel der Tatsachen die auf 
die Einheit des Aussageinhalts gegrQndete Einheit des Typus nicht 
auf. Auch den Typus „Der Mensch'^ kann man naturlich nicht zu- 
gleich als einen Europ3er und als einen Neger, als Wdb und als 
Mann, als Kind und als Greis sehen. Trotzdem gilt uns „Der Mensch* 
als Ein Typus. Dieser identische Typus wird daher allerdings auch 
nicht als solcher wahrgenommen; allein trotzdem wird auch er 
von uns als Ein typischer Gegenstand erlebt 
Ueber das eigentQmliche VerhlUtnis von physischen, noetischen und 
typischen Gegenstanden, und speziell von Individuen, Begriffen 
und Typen, ist hier noch eine andere Bemerkung erforderlich. Wir 
sahen in § 50. 5, da6 der Typus sowohl vom Begriff wie vom In- 
dividuum scharf getrennt werden muB, jedoch zugleich auch, daB der 
Typus sowohl zum B^ff wie zum Individuum in einem strengen 
Korrelationsverhaltnis steht Denn jedemMerkmal des Typus „Der 
Mensch'^ entspricht einerseits eine logische Bestimmung des Be- 
griff es „Mensch", andererseits eine Eigenschaft der einzelnen 
menschlichen Individuen. Auf Grund unserer Untersuchungen kdnnen 
wir jetzt das Wesen dieses Verhaltnisses zwanglos erklSren. FQr das 
BewuBtsein ist der Typus ein Komplex von Aussagegrundlagen, die 
einer gegliederten, generell-typischen Totalimpression inhirieren; der 
Begriff ist ein Komplex von Aussagelauten, die derselben generell- 
typischen Totalimpression inharieren ; der Inbegriff der Individuen ist ein 
Komplex von Aussagegrundlagen, deren jede einer singular-individuellen 
Totalimpression inhariert, und zwar einer solchen, in welcher die er- 
wahnte generell-typische Totalimpression als Moment enthalten ist. So- 
mit unterscheidet sich der Typus vom Begriff durch eine Verschieden- 
heit der Accidentien i), vom Inbegriff der Individuen durch eine partielle 
Man konnte einwenden, nach unserer eigenen Ansicht hebe doch die bloBe 
Verschiedenheit der Acddentien bei Gleichheit der Substanz die Identitat nicht auL 
Das Berechtigte und das Unberechtigte dieser Einwendung wird im nachsten 
Paragraphen Tdar hervortreten. Einstweilen mag die Unterscheidung von Typus 
und Begriff als eine vorlaufige betrachtet werden. 
278 NOOLOOIE 
Verschiedenheit der Substanz. Allein der ersten Verschiedenhdt steht 
eine totale, der zweiten wenigstens eine partielle Oldchhdt der Sub- 
stanz entgegen. Denn die Substanz des Typus ist mit der des BegnSs , 
identisch, in der der Individuen aber als Teil enthalten. Infolgedessen ; 
muB auch jedes Oeflihlsmonient, das in dieser Substanz enthaltai ist, ; 
mithin jede emotionelle Komponente des B^^ffsinhalts, sich sowohl ; 
in Beziehung auf den B^ff wie in Beziehung auf den Typus wie 
auch in Beziehung auf das Individuum aussagen lasseiu Jedes solche ', 
Oeflihlsmoment der generell-typischen Totalimpression bestimmt nSm- ; 
lich am Begriff eine logische Bestimmung, am Typus dn Morkmal, an 
den Individuen eine Eigenschaft Alle drei Arten von Aussagen ^ 
werden demnach ,,auf Grund^ identischer OefQhlsmomente ausgesagl, 
wenn sie auch ^Hbev'' verschiedene OegenstSnde etwas aussagai, 
n&mlich an physischen, typischen und noStischen 0^[enstanden ver- , 
schiedene Arten von Pradikaten bestimmen. Dutch diese Formd ^ 
scheint uns sowohl die Verschiedenheit als auch die Korrdation auf- 
geklart, die zwischen diesen 3 Arten von Gegenstinden besteht 
§58 
Wenn ein Gegenstand eine solche Struktur besitzt, daB seine 
Accidentien nicht der ihnen normalerweise zugehdrigen Sub- 
stanz, sondem vielmehr der Substanz dnes anderen O^^enstandes 
inharieren, so besteht zwischen jenem ersten und diesem zweiten 
G^enstande die Relation des Bedeutens, Vertretens oder Re- 
prasentierens. 
Nun ist nach § 57 der gegliederte Komplex generell-typischer 
Totalimpressionen, der fQr das BewuBtsdn den Aussage- 
inhalt darstellt, die Substanz des ausgesagten Sachverhaltes. 
Nach § 56 aber besitzt die Aussage eine solche Strulctur, daB ihre 
Accidentien, die Aussagelaute, eben diesem Komplex genereD- 
typischer Totalimpressionen inharieren. Infolgedessen besteht zwischen 
der Aussage und dem ausgesagten Sachverhalt wirklich die Relation 
des Bedeutens, Vertretens oder Reprasentierens. 
Hiemit haben wir die Vierte semasiologische Hauptfrage beani- 
wortet. 
erlAuterunq 
1) Nach § 56 beruht die Gegenstandlichkeit der Aussage darauf, 
daB die Aussagelaute jenem gegliederten Komplex generell-typischer 
Totalimpressionen inharieren, der fflr das BewuBtsein den Aussag^ 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNQSPROBLEMS 279 
inhalt darstellt; nach §57 beruht die Oegenstandlichkeit des ausge- 
sagten Sachverhaltes darauf, daB eben demselben Komplex die 
Aussagegrundlage inharieit Aussage und Sachverhalt, noStische und 
typische Oegenst3nde besitzen somit die gleiche Substanz: es ist 
derselbe Komplex logischer Oefuhle, der den Worten ihren Sinn und 
den Tatsachen ihre Auffassung verleiht, und der dadurch jene zur 
Einheit Einer Aussage, diese zur Einheit Eines Sachverhaltes zusam- 
menfaBt Alldn die Verbindung der Accidentien mit der Substanz ist 
in beiden Fallen eine verschiedenartige. Denn wenn auch nach § 56 
die generell-typischen Totalimpressionen als Substanz der Aussage-- 
lautefungierenkdnnen, sosind sie doch nach § 55 an sich selbst 
Totalimpressionen der Aussagegrundlage. Jene GefQhle des Gefallens 
z. B., welche den Begriffsinhalt Kunstwerk fur das BewuBtsein dar- 
stellen, werden durch den Dom von Pisa oder die 9. Sinfonie wirklich 
in mir hervorgeruf en ; sie gehSren dag^en keinesw^s zu dem Oe- 
samteindruck, den der Lautkomplex Kunstwerk als solqher in mir er- 
regt. Jene Korrelation nSmlich, die zwischen den einzelnen Gefiihls- 
momenten einer Totalimpression und den aus ihr sich besondemden 
Qualitatsvorstellungen besteht, findet zwar statt zwischen den generell- 
typischen Totalimpressionen und den Vorstellungen der Aussagegrund- 
lage, keineswegs dagegen zwischen jenen Totalimpressionen und den 
Vorstellungen der Aussagelaute. Die ersteren bleiben daher auch stets 
die eigentlicheriy ihr normalerweise zugehorigen Accidentien der gemein- 
samen Substanz, diese bleibt die Substanz des Sachverhaltes, und 
zwar auch dann, wenn ihr die Aussagelaute inharieren. Es genflgt 
deshalb nicht, das VerhSltnis von Aussage und Sachverhalt durch die 
Formel zu kennzeichnen, beide besSBen eine gemeinsame Substanz, 
denn diese Formel wurde die primSre Beziehung der generell-typischen 
Totalimpression zur Aussagegrundlage vemachlissigen und ein ein- 
seitiges Verhaitnis als ein wechselseitiges hinstellen. Man muB viel- 
mehr sagen: wenn die Aussagelaute als Ausdruck des Aussageinhalts 
fungieren, so inharieren sie der Substanz der durch eben diesen Aus- 
sageinhalt aufgefaBten Aussagegrundlage, — oder kOrzer: die Aus- 
sage kommt zustande, wenn die Aussagelaute der Substanz 
des Sachverhalts inharieren. 
Diese Formel drflckt die zentrale EigentQmlichkeit der zwischen Aus- 
sage und Sachverhalt, nogtischen und typischen Gegenst3nden ob- 
waltenden Beziehung aus. Aus derselben lassen sich indes auch noch 
andere, kaum minder charakteristische Besonderheiten dieses Verhalt- 
nisses ableiten. ZunSchst wissen wir, daB zwei GegenstSnde mit 
280 NOOLOOIE 
gleicher Substanz ungeachtet der Verschiedenhdt ihrer Acddentien ak 
identisch eriebt werden. Die Aussage ist daher der Sachverhalt und 
zwarderselbeSachverhalt, der auch in anderer Wdse eriebt werden 
kann. H5re ich z. B. mit Verstlndnis das Wort Kunstwerkj so denke 
ich dabei — nicht etwa an das Wort Kunstwerk^ sondem vidmehr 
an „ein Kunstwerk"*, d. h. an eine durdi jenes Wort ausgesagte Sac he 
Indem idi den B^;riff Mensch erfosse, ist mir — nicht bloB der Be- 
griff Mensch gegeben, sondem audi der Typus «Der Mensch*. 
Jene Sache, dieser Typus, sie sind ja dasjenige, was in den bdden 
Aussagen ausgesagt wird, was mit ihnen gemeint ist Wflrden sie 
mdnem Denken nicht g^d>en, so kdnnte ich den Namen Kunstwerk, 
den B^ff Mensch nicht verstehen. Ebenso bd Satzen. Verstehe idi 
den Satz » Dieser Vogel fliegt**, so denke ich dabei — nicht an den 
Satz „ Dieser Vogel fliegt^ sondem an den Vorgang ,,das Fli^gen 
dieses Vogels^^i d. h. an den in jenem Satze ausgesagten, von ihm^ 
meinten Sachverhalt Erfasse ich den Sinn des pythagordschen 
LehrsatzeSi so ist mir — nicht bloB dieser Satz g^;^>en, sondem 
auch der typische Sachverhalt ^dasOldchsdn des Quadrates der 
Hypotenuse und der Summe der Quadrate der Katheten*. Und wohl- 
gemerkt, diese Sachen und Typen, individudlen und typischen Sadh 
verhalte sind dies el ben, die mir auch ohne jede Aussage g^[eben 
sdn kdnnen, wenn ich die betreffenden Tatsachen durch die ent- 
sprechenden Aussageinhalte auffasse. Die Aussage h§tte ja gar kdne 
reelle Bedeutung, w3re nicht demjenigen, der sie verstdit, in und 
mit ihr auch derselbe Sachverhalt g^d>en, der ebensowohl auch an* 
schaulich erfaBt werden kann. FQr denjenigen also^ der die Aussage 
verstehty ist sie zugleich der ausgesagte Sachverhalt, und zwar der- 
selbe Sachverhalt, den er auch anschaulich vorzustdlen vemiagi). 
Freilich, trotz alledem macht es einen groBen Unterschied, ob do 
Sachverhalt bloB ausgesagt, oder ob er anschaulich voi^gestdlt wird 
Allerdings kann dieser Unterschied dem Oesagten zufolge nicht das 
Objekt des Erlebnisses betreffen, — wohl aber die Weise desEr* 
lebens. Besteht nSmlich das Wesen der Aussage darin, daB in ihr 
den generell-typischen Totalimpressionen statt der ihn^i normaler- 
weise zugehorigen Aussagegmndlage vielmehr die Aussagelaute m- 
1) Fur den eifrigen Leser eines Romanes ist das Buch und die in ihm wieder 
gegebene Rede des Erzahlers nur wie ein durchsichtiges QIas, durch das er (fit 
erzahlten Vorgange schaut und verfolgt. Seinem Oeiste ist nur das Erzihite eegco- 
wartig; die Erzanlung als solche fallt gar nicht in sein BewuBtsdn. So vdUig ist 
fiir ihn die Erzahlung das Erzahlte. wie es sich indes mit dem eifrigen RomaD- 
lesen verhalt, so vernalt es sich mit jedem intensiven und vollen Venwidnis einer 
Rede. 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 281 
harieren, so muB doch auch dieser Umstand irgendwie ins BewuBtsein 
fallen. Denn ob die einer Substanz inharierenden Accidentien zu 
dieser Substanz normalerweise gehdren, ob zwischen den ersteren und 
der letzteren jene Korrelation besteht, die zwischen den Qualitaten 
dnes Dinges und seiner Substanz stattzufinden pflegt, ob also ein 
g^ebener Oegenstand eine normale oder eine abnorme Struktur be- 
sitzty dies muB in dem Eindruck, den dieser Oegenstand auf mich 
macht, gleichfalls irgendwie zum Ausdruck kommen. Damit ist schon 
gesagt, daB ein anderes Oefuhl den Oegenstand charakterisieren 
wird, je nachdem der Substanz ih re Accidentien inharieren oder solche, 
welche normalerweise einer anderen Substanz zu inhirieren pflegen. 
Und zwar werden wir im ersteren Falle, d. h. in dem Falle, wo nicht 
nur die Substanz des Oegenstandes erlebt wird, sondem auch seine 
Accidentien, aussagen, es sei uns der Oegenstand unmittelbar, 
oder auch, er sei uns selbst gegeben. Im letzteren Falle dag^en, 
d. i. in dem Falle, in dem nur die Substanz, jedoch nicht auch die 
Accidentien des Oegenstandes erlebt werden, werden wir aussagen, 
es sei uns nicht derO^enstand selbst, oder auch, er sei uns nur 
mittelbar gegeben. DieOefuhle der Mittelbarkeit und Un- 
mittelbarkeit (Representation und Presentation) nun sind 
uns schon in § 54. 2 und § 55. 6 als diejenigen begegnet, welche die 
Verschiedenheit des Jenes vom Dieses^ des Er vom DUy des Phan- 
tasierten vom Wahrgenommenen fundieren. Auch wird man sich, 
glaub' ich, leicht davon Qberzeugen, daB wirklich das Verhaltnis des 
bloB in der Aussage gemeinten zu dem in anschaulicher Fulle vor- 
ges tell ten O^enstande der Relation zwischen jenen anderen Be- 
griffspaaren vdllig analog ist Die Objekte, die wir als jeneSj als er^ 
als phantasiert aussagen, sind ja gleichfalls stets identisch mit 
solchen, welche wir als dieses^ als du^ als wahrgenommen auszusprechen 
pflegen. Allein solange sie in jener ersteren Weise erlebt werden, sind 
sie eben als bloB mittelbar oder nicht selbst gegebene charak- 
terisiert, wahrend sie sof ort zuunmittelbar oder selbst gegebenen 
werden, wenn es moglich ist, sie als dieses, als du, als wahrgenommen 
auszusagen. In der Tat wQrde es der Sprachgebrauch auch gestatten, 
das Jenes ein hloR gemeintes Dieses, das Er tin bloB gemeintes Du, das 
Phantasierte ein bloB gemeintes Wahrgenommenes zu nennen. In der- 
selben Weise nun, wie das Jenes als ein hloQ gemeintes Dieses, das Er 
als ein bloB gemeintes Da, das Phantasierte als ein bloB gemeintes 
Wahrgenommenes, ist auch die A u s s a g e als ein bloB gemeinter S a c h - 
verhaltdurch ein Oefuhl der Mittelbarkeit (Representation) 
282 NOOLOOIE 
charakterisieri Wir durfen deshalb sagen: wie das*Wesen der Aus- 
sage darin besteht, daB in ihr die Aussagelaute der Substanz des Sach- 
verhaltes inhSrieren, und wie diese Gleichheit der Substanz sich darin 
auBert, daB die Aussage fiirden, der sieversteht, der Sachverhalt ist, 
und zwar derselbe Sachverhalt, der auch anschauHch vorgestellt 
werden kann, so f3Ilt nun das Fehlen der normalen Korrelation zwischen 
den Aussagelauten als Accidentien und der generdl-typischen Total- 
impression als Substanz ins BewuBtsein als eine den Sachverhalt 
charakterisierende Representation, auf Orund deren wir aussagen, 
es sei uns auch in der verstandenen Aussage doch nicht der Sach- 
verhalt selbst gegeben. 
Dies ist die eigentQmliche Beziehung zwischen Aussage und Sach- 
verhalt, wenn die Aussage verstanden wird: sie ist dann, sagten 
wir, fur den, der sie versteht, der Sachverhalt; zwar nicht der Sach- 
verhalt „ selbst "", aber doch „ derselbe'' Sachverhalt, der auch anschaulich 
vorgestellt werden kann. Indes, die Aussage wird nicht immer ver- 
standen. Denn ich kann die Worte nicht nur auffassen als den Aus- 
druck eines bestimmten Sinnes, sondem auch als einen bloBen Schall, 
eine Oruppe von Lauten i). Wie unterscheidet sich nun die in dieser 
letzteren Weise aufgefaBte Aussage von derselben Aussage als Aus- 
druck eines Sinnes? Soviel ist klar: in bezug auf die sinnlich 
vorstellbaren Qualitaten besteht zwischen beiden Auffassungen ein 
Unterschied nicht. Die Aussagelaute als Schall klingen um kdne 
Nuance anders denn die Aussagelaute als Ausdruck. Was dag^en 
in beiden Fallen verschieden ist, ist zun3chst offenbar die Totalim- 
pression, in welche die sinnlich vorstellbaren Qualit&ten eingebettet 
sind, die Substanz, der die Aussagelaute inhSrieren. Als Ausdruck, 
dies wissen wir, inharieren sie der generdl-typischen Totalimpression 
der Aussagegrundlage, mithin der Substanz des Sachverhalts. Als 
Schall dagegen — wem kdnnten sie da anders inharieren als ihrer 
Substanz, d. h. jenem OesamteindrucksgefQhl, das eben einem Schall, 
einer Oruppe von Lauten, normalerweise zugehdrt und korrelat ist? 
Der erste Unterschied zwischen der Aussage als Ausdruck und der 
Aussage als Schall besteht demnach darin^ daB die Aussagelaute im 
ersten Fall der Substanz des Sachverhaltes, im zweiten ihrer eigenen 
Substanz inharieren. Dadurch ist jedoch auch noch ein zweiter 
Unterschied bedingt. Da nSmlich jeder Oegenstand, dessen Acddentien 
zu seiner Substanz normalerweise gehoren, durch Presentation, jeder, 
bei dem dieses Verhaltnis nicht stattfindet, durch ReprSsentation 
1) Vgl. SwOBODA, Studien S. 42. 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 283 
charakterisiert ist, so wird auch die Aussage zwar als Ausdruck re- 
prasentativ erlebt — denn sie ist nicht der Sachverhalt „selbst** —, 
als Schall dagegen prasentativ, denn sie ist allerdings der Schall 
»selbst". Der Uebergang von jener Auffassung zu dieser stellt sich 
demnach einerseits dar als Trans substantiation, indem die- 
selben Accidentien erst Einer, dann einer anderen Substanz inhS- 
rieren, andererseits als Abldsung der Reprasentation durch die 
Presentation. Zusammenfassend muB deshalb dieser Auffassungs- 
wechsel beschrieben werden als der Uebergang des reprdsentativ er- 
Jebten Sachverhaltes in die prOsentativ erlebten Aussagelaute, 
Wann kommt nun dieser Uebergang zustande? Dem naiven BewuBt- 
sein stellt er sich jedenfalls so dar, daB ich mir ,,daruber klar werde^ 
die Aussage sei doch ,,eigentlich'' gar nicht der Sachverhalt, sondem 
vielmehr ein „bloBer^ Schall. Das kosmotheoretisch geschulte Denken 
dagegen erkennt sofort, daB ich mir durch die eben skizzierte Ueber- 
legung keinesw^s fiber einen schon bestehenden Tatbestand ,,klar 
geworden" bin, sondem vielmehr einen n eu en Tatbestand geschaff en 
habe. Denn vor dieser Ueberlegung war ja ein ganz anderes Erlebnis 
gegeben als nach derselben. Vorher inharierten die Aussagelaute der 
Substanz des Sachverhaltes und waren reprasentativ charakterisiert; 
nachher inharierten sie ihrer Substanz und waren prasentativ charak- 
terisiert. Ueberlegungen dieses Typus nun sind uns schon 6fter vor- 
gekommen und wurden damals von uns als Reflexion bezeichnet 
(vgl § 21. 17, § 27. 1 u. 3, § 35. 4, § 56. 3). Insbesondere sahen wir 
in § 21. Q und 3Q. 5, wie die Reflexion endopathische Oeffihle in 
idiopathische, determinierende in konkomitierende ver- 
wandelt Auch hier meint das naive BewuBtsein, es werde sich nur 
^daruber klar", daB das von mir einem anderen Wesen eingelegte 
Oefuhl doch „eigentlich" gar nicht ein Oeffihl dieses Wesens, sondem 
^bloB"" mein eigenes Oeffihl sei. Auch hier sieht dagegen das ge- 
schultere Denken, daB diese Ueberiegung nicht einen schon vor- 
handenen Tatbestand beschreibt, vielmehr einen neuen Tatbestand 
herstellt. Denn auch hier war ja das Eriebnis vor der Ueberiegung 
ein anderes als nachher: das Oeffihl wurde vorher als Oeffihl eines 
anderen Wesens, nachher bloB als das meinige eriebt Wir dfirfen 
deshalb wohl auch den Uebergang von der Auffassung der Aussage 
als Ausdruck zu der Auffassung der Aussage als Schall einen ProzeB 
der Reflexion nennen und feststellen, daB die Reflexion den re- 
prasentativ charakterisierten Sachverhalt in prasentativ charakterisierte 
Aussagelaute verwandelt, daB somit — um einen schon in § 21. 1 
284 NOOLOOIE 
eingefuhrten Sprachgebrauch wieder aufzunehmen — prireflektiv 
der Sachverhalty aber nicht er ^selbst*", postreflektiv dag^en nur 
die Aussagelaute, diese aber ^selbst"*, erlebt werden. 
Fassen wir dasjenige, was wir fiber die Beziehung der Aussage 
zum Sachverhalt ermittelt haben, zusammen. Die Aussage laBt sidi 
auffassen als bloBer Komplex von Aussagelauten, und sie laBt sich 
auffassen als Sachverhalt Im zweiten Falle ist sie fflr denjenigen, 
der sie so auffaBt, der Sachverhalt Zwar nicht der Sachverhalt «selbst', 
aber doch ^derselbe^ Sachverhalt, der auch „selbst^ oder ,,in* anderen 
Aussagen erfahren werden Icann. Und jetzt erinnem wir uns an ein 
doppeltes. Erstens daran, da6 die eigentumliche Beziehung zwischen 
Aussage und Sachverhalt nach § 47 Bedeutung hdBt Zweitens 
daran, daB uns in § 51. 3 genau dieselben Punkte, die soeben fur diese 
Bedeutungsrelation zwischen Aussage und Sachverhalt als charak- 
teristisch sich herausstdlten, auch als kennzeichnend erschienen fur 
die Beziehung des Vertretens (Repr3sentierens) zwischen deni 
Vertretenden (der ReprSsentante) und dem Vertretenen 
(dem ReprSsentat). Demnach haben wir die in § 51 au^geworfenen 
Fragen bereits beantwortet Denn wir haben einersdts gezdgt, in- 
wiefem die Bedeutungsrelation zwischen Aussage und Sachverhalt 
nur ein Sonderfall der allgemeinen Vertretungsrdation zwischen dner 
Reprasentante und einem Reprasentat ist, und wir haben andererseits 
das Wesen dieser allgemdnen Vertretungsrdation psychologisch be- 
stimmt 
2) Fragen wir uns nun, wie diese Vertretungsbeziehung zustande 
kommt, so diirfen wir unsere Antwort unter Heranziehung dner dn- 
fachen Symbolik entwickdn. Es sei das ReprSsentat dn O^enstand, 
dessen Accidentien m n o p der Substanz S inhSrieren. Ist uns nun 
dieser Gegenstand anschaulich gegeben, so daB die Acddentien m n op 
ihrer Substanz S inharieren, so ist dieser ganze Komplex durch da^ 
Unmittelbarkeitsgefuhl tc charakterisiert, nach dem folgenden Schema!: 
Im n 
S 
o p 
Wir erleben jettt das Reprasentat „selbst". Andererseits sd die Re- 
prasentante ein Gegenstand, dessen Accidentien abed der Substanz I 
inharieren. Ist uns nun auch dieser Gegenstand anschaulich g^[eben, 
so daB die Accidentien abed ihrer Substanz £ inharieren, so ist 
auch dieser ganze Komplex durch das UnmittelbarkdtsgefQhl « charak- 
terisiert, nach dem folgenden Schema 11: 
*> 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 285 
ra b 
U d 
Wir erleben jetzt die Reprasentante „selbst**. Nun mdgen irgend- 
welche Umstande eintreten, die mich veranlassen, mich g^en die 
ReprSsentante so zu verhalten, wie ich mich sonst nur gegen das Re- 
prasentat zu verhalten pflege. Dann wird diesem Wechsd meiner 
Reaktion auch ein Wechsd der Totalimpression entsprechen. Die 
Accidentien a b c d der Reprisentante werden jetzt nicht mehr ihrer 
Substanz I, sondem vielmehr der Substanz S des Reprisentats in- 
harieren. Der Umstand jedoch, daB der so entstehende Komplex aus 
einer Substanz und aus Accidentien besteht, die normalerweise nicht 
zueinander gehdren, wird zur Folge haben, daB dieser ganze Komplex 
durch ein Mittdbarkeitsgefiihl p charakterisiert sdn wird. Das heiBt, 
es wird aus Reprasentante und Reprisentat dn Mischgebilde entstehen, 
zu dem die Reprasentante die Acddentien abed, das ReprSsentat 
die Substanz S beisteuem wird, und der so entstehende Komplex 
wird, eben als Mischgebilde, nicht mehr durch ic, sondem durch p 
charakterisiert sein, nach folgendem Schema III: 
fa b 
Da nun die Identitat eines O^enstandes durch seine Substanz, sdn 
^Sdhstg^ebensdn"* aber durch das charakterisierende Oeflihl be- 
stimmt wird, so erlebe ich jetzt das Reprasentat, und zwar „dassdbe' 
Reprasentat, das ich auch anschaulich — wie in Schema I — erieben 
kann, allein nicht das ReprSsentat ^selbst"*, sondem nur das durch die 
Reprasentante vertretene Repnlsentat Schema III symbolisiert demnach 
die Reprasentante, sofem sie das Reprasentat vertritt, reprdsentiert oder 
bedeutet Reflektiere ich endlich auf diesen Komplex, werde ich mir 
also „daraber klar"*, daB die Reprasentante doch ^eigentlich'' nicht das 
Reprasentat sei, sondern eben nur die Reprasentante, so tritt an die 
Stelle von Schema III wiedemm Schema II: 
fa b 
[c d 
Ich eriebe jetzt wieder die Reprasentante »selbst**, — ihre Vertretungs- 
hinktion aber ist damit vemichtet 
Diese Darstdlung scheint recht abstrakt Wir konkretisieren sie, 
indem wir von ihr auf die dnzdnen Arten des Reprisentierens die 
■i: 
^ 
286 NOOLOOIE 
Anwendung machen. Wodurch unterscheidet sich . der Botschafter 
als Vertreter des Monarchen vom Botschafter als Privatperson? Primar 
offenbar dadurch, daB ich bei meinem Verhalten gegen ihn im ersten 
Falle auf ein Oegenverhalten des Monarchen, im zweiten nur auf ein 
O^enverhalten eines Privatmannes gefaBt bin. Daraus folgt jedoch 
weiter, daB auch meine Reaktion g^en den Botschafter das eine Mai 
meine spezifische Reaktion gegen einen Monarchen, das andere Mai 
bloB meine Reaktion g^en einen Privatmann ist Und hieraus ergibt 
sich endlich, daB meine Vorstellungen von dem Botschafter in jenem 
Falle eingebettet sind in einen Oesamteindruck, wie ich ihn einem 
Monarchen, in diesem Falle dagegen in einen Oesamteindruck, wie 
ich ihn einem Privatmanne g^enOber zu ftihlen pflege. In jenem 
ersten Falle inharieren demnach die Accidentien des Botschafters der 
Substanz des Monarchen: er ist jetzt fur mich der Monarch, nur 
freilich nicht der Monarch „selbst", vielmehr bloB ein vertretener 
Monarch. Von dieser Auffassung kann ich dann zu der zweiten uber- 
gehen durch Reflexion, d. h. indem ich mir „daruber klar werde^, daB 
doch der Botschafter „eigentlich" gar nicht der Monarch ist, sondem 
eben „bloB" ein Botschafter — eine Leistung der „Aufklarung", durch 
die es mir dann etwa gelingen kann, den feierlichen Aufzug des Bot- 
schafters aus einem „bedeutungsvollen" in einen „sinnlosen** Vorgang 
zu verwandeln. Ebenso steht es mit Kronung und Taufe. Es hangt 
allein von den OefQhlen ab, die ich diesen Handlungen entgegen- 
bringe — d. h. von den Totalimpressionen, denen ihre Accidentien 
inharieren — , ob ich in ihnen die symbolisierte Machtverieihung und 
SQndentilgung oder die wahrgenommene Kopfbelastung und Korper- 
benetzung erblicke. Und ich kann dann von jener zu dieser Auf- 
fassung iibergehen durch „Reflexion^, d. i. durch die Erkenntnis, daB 
es sich bei jenen Handlungen „eigentlich" bloB um korperiiche Vor- 
gauge handelt. In dem Falle des Altarsakramentes hat die kathoh'sche 
Theologie selbst unsere Erklarung vorweggenommen, — nur freilich 
sie zugleich auch metaphysisch ausgedeutet Denn bei der „ Wand- 
lung" findet auch nach unserer Erklarung eine wahre Trans sub- 
stantiation statt Dieselben sinnlich wahmehmbaren Accidentien, 
die bisher der Substanz von Brot und Wein inharierten, d. h. die ein- 
gebettet waren in jene Oefiihle, die wir derartigen Nahrungsmitteln 
von geringem Wert entgegenzubringen pflegen, — diese selben 
Accidentien inharieren fortan der Substanz von Leib und Blut des 
Herm, d. h. sie sind jetzt eingebettet in solche Oefuhle, wie wir sie 
dem Kostbarsten, Verehrungswurdigsten usw. widmen. Die Leistung 
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 287 
der Reflexion aber, die sich daruber „klar wird'', daB doch die Hostie 
„eigentlich^ gar nicht der Leib des Herm, sondem ^bloB'' ein Stuck 
Brot ist, — steht auf den BISttem der Dogmengeschichte verzeichnet 
DaB auch die Trauerkleidung einen „Sinn** hat, solange ihre Wahr- 
nehmung dem Qefiihl der Trauer inhariert, jedoch sofort in ein »be- 
deutungsloses"" Stuck Tuch sich verwandelt, sobald wir uns daruber 
„klar werden"", daB sie ^eigentlich"" nichts anderes ist, bedarf keines 
besonderen Nachweises. Dasselbe Schauspiel bietet sich uns jedoch 
auf dem Oebiete der Kunst. Der Schauspieler ist Julius Caesar, 
solange wir ihm die fiir diesen charakteristischen Oefiihle entg^en- 
bringen; er wird zu Herm N. N^ sobald die fur diesen charak- 
teristischen Oefuhle an ihre Stelle treten. Diese AeuBerung der Re- 
flexion ist als die Zerstorung der dramatischen Illusion be- 
kannt Ebenso ist die Photographic die photographierte Person, das 
Landschaftsbild die abgebildete Landschaft, solange ihre sinnlich wahr- 
nehmbaren Qualitaten eingebettet sind in die einer Person, einer Land- 
schaft entsprechenden OesamteindrucksgefQhIe; werden diese abgelost 
von anderen Oefiihlen, so verwandelt sich die Landschaft in eine mit 
Farben bekleckste Leinwand, die Photographic in ein hell und dunkel 
geflecktes Papier i). Wann „bedeutet** endlich der Stock dem Knaben 
ein Pferd? Offenbar so lange, als er sich ihm g^enuber wie einem 
Pferde g^eniiber benimmt, es zwischen die Beine nimmt, antreibt usf. 
Ebensolange namlich inharieren die Qualitaten des Stockes der Total- 
impression eines Pferdes. LaBt ihn jetzt sich „ daruber klar werden % 
daB der fragliche O^enstand doch „eigentlich** gar kein Pferd sei, 
vielmehr „blo6** ein Stock, so ist dem Stock seine „Bedeutung** ge- 
nommen, — der Knabe ist „aufgeklart* 2). 
Ich erwahne hier noch vorgreifend Einen weiteren Fall des Re- 
prSsentierens : die Beziehung des Phantasmas zu seinem Oegen- 
stande. Wenn ich mir in meinem Zimmer das Universitatsgebaude 
„vorstelle", so ist mir prareflektiv ohne Zweifel eben das Universitats- 
gebaude g^eben ; zwar nicht dieses Oebaude „selbst", allein dennoch 
„dasselbe** Oebaude, das ich auch wahmehmen kann. Ware dem 
nicht so, so wurde ich ja nicht aussagen, daB ich mir „das Universitats- 
*) Naturlich splelen unter den „einer Landschaft oder einer Person entsprechen- 
den Gesaniteindrucksg[efuhlen'' jene Organempfindungen eine groBe Rolle, welche 
die Korperbewegiing m der Tiefendimension oegleiten. An ihre Stelle treten dann 
nach der yReflexion" Organempfindungen, wie sie fur unser motorisches Verhalten 
bloBen fHachen gegenuber charakteristisch sind. 
^) Die vorstehenden Oedanken habe ich etwas popularer ausgefuhrt, und nament- 
lich zur Erklarung einiger allgemeinster Ziiee in der Entwickelungsgeschichte der 
Kunst verwertet, m der Abhandlung uber „Naturalistische Kunsf '. 
> 
288 NOOLOOIE 
gebaude" vorstelle. So li^ nun die Sache, solange mein Phantasma 
der Totalimpression des Universitatsgebaudes inhariert, — zu welcher 
Totalimpression natQrlich auch das BewuBtsein davon gehort, daB ich 
es mit einem objektiven Oegenstande, einem kdrperlichen Ding zu tun 
habe. Reflektiere ich dag^en auf dieses Erlebnis, so werde ich mir 
„darQber klar'', daB mein Phantasma ja ^eigentlich"" gar nicht das 
Universitatsgebaude, sondem eben „bIoB** ein Phantasma ist. Jetzt 
inhariert somit dieses Phantasma seiner Totalimpression, zu der 
natiirlich auch das BewuBtsein davon gehdrt, daB ich es nur mit einem 
subjektiven Zustand, einem psychischen Eriebnis zu tun habe. Dieses 
Phantasma aber ist mir jetzt ^selbst** gegeben. Aus dem phantasierten 
O^enstande wird daher durch die Reflexion ein (innerlich) wahrge- 
nommenes Phantasma. In der Tat wird sich uns in der ontologie die 
Entwickelung des Idealismus aus dem Realismus als ein Vor- 
gang darstellen, der mit der „Einsicht^ in die Sinnlosigkeit aller Sym- 
bole, mit der ^Aufklarung" des Knaben flber seinen Stock, mit der 
Zerstorung der „dramatischen Illusion'' auf Einer Stufe steht. Hier 
jedoch ist es uns um etwas anderes zu tun. Viele namlich werden 
sich nur ungem dazu entschlieBen, die Beziehung des Reprasen- 
tierens und das Qefiihl der Representation als letzte, keiner 
weiteren Erklarung zugangliche Tatsachen anzuerkennen. Das Verhalt- 
nis der Stellvertretung, werden sie sagen, kann doch nicht ein 
biologisch primares sein. Allein implicite ward nun dieses Bedenken 
bereits von uns entkrSftet Denn wenn das Verhlltnis der Stellver- 
tretung auch zwischen jedem Phantasma und seinem G^enstande be- 
steht, dann ist es zum mindesten ebenso alt und ebenso fundamental 
wie die Tatsache der Erin nerung, und das heiBt wohl: ebenso alt 
und fundamental wie bewuBtes psychisches Leben uberhaupt. 
Oanz in derselben Weise nun, in welcher der Botschafter den 
Monarchen, die KrSnung die Machtverleihung, der Schauspieler den 
Dargestellten, das Bild das Abgebildete, der Stock das Pferd, das 
Phantasma den Oegenstand bedeutet, bedeutet auch die Aussage den 
ausgesagten Sachverhalt Solange die Aussagelaute als Ausdruck eines 
Sinnes fungieren, solange sie mithin der Substanz des Sachverhaltes 
inharieren, ist fur denjenigen, der sie versteht, die Aussage der Sach- 
verhalt — freilich nicht der Sachverhalt „selbst", sondem nur der in 
der Aussage ausgesagte Sachverhalt Reflektiere ich dagegen auf die 
Aussage, werde ich mir also „daruber klar", daB doch die Aussage- 
laute ^eigentlich** nicht der Sachverhalt sind, sondem vielmehr 
bloBe Wortklange, dann inharieren die Aussagelaute ihrer eigenen 
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 280 
Substanz: sie sind jetzt fur mich bloBe Wortklange, und zwar diese 
Wortkiange .selbst''. Die Bedeutung der Aussage aber ist hiemit 
vernichtet 
§59 
Die in den §§ 55—58 entwickelte AuflSsung des Bedeutungsproblems 
wind verifiziert durch den Nachweis, daB sie die berechtigten 
Momente der realistischen, nominalistischen und ratio- 
nal is tisc hen Ldsungsversuche in sich vereinigt, ohne gleich diesen 
Versuchen in den metaphysischen, ideologischen oder kri- 
tizistischen Grundwiderspruch sich zu verstricken. 
ERLAUTERUNO 
1) Vergleichen wir die Ergebnisse, zu denen uns die Bearbeitung 
der semasiologischen Fragen gefuhrt hat, zunSchst mit den realis ti- 
sc hen Versuchen, diese Fragen.zu beantworten, so werden jene der 
bo'echtigten Grundtendenz dieser Versuche gewiB gerecht Denn die 
.Trennung** des Logischen von allem Physischen und Psychischen 
ISBt sich gar nicht entschiedener betonen, als wir dies getan haben: 
nach unserer Auffassung werden die B^riffe, SStze, Beweise usw^ 
wenigstens solange auf sie nicht reflektiert wird, ebenso unmittelbar 
als noStische wie die K6rper als physische GegenstSnde er- 
lebt, und diese noStischen Oegenstande unterscheiden sich auch in 
ganz derselben Weise von dem Vorstellen der Aussagelaute und dem 
Fuhlen des Aussageinhalts, in der sich auch die physischen Gegenstinde 
von dem Vorstellen ihrer Qualitaten und dem Fuhlen ihrer Substanz 
unterscheiden. Es kommt eben u. E. Gegenstandlichkeit wie 
Zustandlichkeit nicht den Elementen, sondem nur den Komplexen 
zu (vgl. §56.3): dieselben Erfahrungsbestandteile, die wir im Zusam- 
menhange eines BewuBtseins Vorstellungen und G e f li h 1 e nennen, 
fungieren an den Gegenstinden als Accidentien und Substanzen, 
und speziell an denAussagen als Aussagelaute und Aussage- 
inhalte. Durch Reflexion freilich kann der Gegenstand in eine 
Oruppe von Vorstellungen und Gefuhlen aufgeldst werden, und auf 
diesem postreflektiven Standpunkte steht notwendig die P s y c h o - 
logie, fiir die deshalb alles Den ken als eine bloBe Mannigfaltigkeit 
subjektiver Denkakte sich darstellt. Allein mit derselben Notwendig- 
keit steht die Logik auf dem prSreflektiven Standpunkt; fflr sie 
bilden daher Vorstellung und Oefuhl den noetischen Gegenstand, 
und das Gedachte erscheint ihr als eine Vielheit solcher G^en- 
Oomperz, WelUnschauungslehre II 1 19 
290 NOOLOGIE 
stande. Durch diese Bemerkungen haben wir der Frage nach der 
transcendentalen Realitat der noetischen Oegenstande vorge- 
griffen, die wir verneinen ; ihre em pi rische Realitat behaupten wir 
gewiB nicht minder kraftig als der Realismus. Oenauer: dieser be- 
hauptet gar nicht eine solche empirische Realitat der noetischen 
Oegenstande, sondem gibt sie preis, um ihr transcendentales Oegen- 
bild dafur einzutauschen. Denn die ^Idee"" soUte ja nicht unmittelbar 
erfahren werden. Eben an diesem seinem auBerempirischen Charakter 
aber ging der Realismus zugrunde. Unsere Auffassung entgeht 
diesem Schicksal, indem sie auf jenes Schattenbild verzichtet. Sie laBt 
die noetischen O^enstande als solche unmittelbar erfahren werden, 
so daB gewiB niemand fragen kann, woher wir von ihnen wissen. 
Nur mussen wir dafur auf die Behauptung verzichten, die noetischen 
Oegenstande existierten als solche auch dann, wenn sie nicht erfahren 
werden. Unsere Meinung geht vielmehr nurdahin: wann immer Aus- 
sagen nach ihrem logischen Oehalte gedacht werden, werden sie als 
einheitlich und beharrlich (ewig) gedacht, ohne Rucksicht auf die Mehr- 
heit und den Wechsel der sprachlichen Ausdrucke, in denen, der 
Zeitpunkte, zu denen, und der Individuen, von denen diese Aussagen 
gemacht werden; nur in solcher Weise gedacht, sind sie befahigt, in 
logischen Beziehungen zueinander zu stehen und deshalb auch den 
Gegenstand logischer Bearbeitung zu bilden. 
Was die einzelnen realistischen Lehren angeht, kdnnen wir uns 
kiirzer fassen. Mit dem auBerempirischen Charakter des Aussagein- 
halts schwindet auch die Notwendigkeit, ihn agnostisch zu denken. 
Allein wir werden nicht in Versuchung kommen, das logischeBe- 
wuBtsein — so kann man ja mit dem monadologischen Realis- 
mus die logischen Bedeutungsgefuhle ganz wohl bezeichnen — auch 
fur ein gottliches auszugeben. Eher durften wir dasselbe ein ge- 
sellschaftliches nennen. Denn wie wir sahen, kommen jene 
generellen Oefuhle, welche die spezifischen Trager des Logischen 
sind, dadurch zustande, daB das denkende Individuum aus dem Chaos 
seines personlichen BewuBtseins diejenigen Elemente heraushebt, die 
ihm mit alien anderen Oliedem einer Denkgenossenschaft gemeinsam 
sind. 
Indem wir femer die typischen Oegenstande und insbesondere die 
Typen als Bestandteile der Erfahrung aufzeigten, glauben wir die Lehre 
von der Realitat derUniversalien zugleich rehabilitiert und in eine 
erfahrungsmaBige Form gebracht zu haben. Und da wir die noetischen 
Oegenstande neben die typischen stellen, rechtfertigen wir grund- 
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 291 
satzlich die substantielle Spielart des Realismus. Doch vermdgen 
wir zugleich auch seinen attributiven Erscheinungsf ormen gerecht 
zu werden. DaB namlich die Essenz in der Substanz enthalten 
sei, erkennen wir jetzt als eine vollkommen richtige Behauptung. Die 
generell-typische steht ja zu der singular-individuellen 
Totalimpression wirklich in diesem Verh^tnis, jene aber ist nach § 55 
identisch mit der Essenz, diese nach § 15 mit der Substanz. Freilich, 
dieses Enthaltensein ist kein Zusammenfallen. Ein Oegenstand lieBe 
sich ja nicht durch mehrere B^riffsinhalte auffassen, wenn in Einer 
singular-individuellen nicht mehrere generell-typische Totalimpressionen 
enthalten waren. Sieht man indes nicht auf den Gegenstand an sich, 
sondem auf den Oegenstand, sofem er durch einen bestimmten Be- 
griff aufgefaBt wird, mithin auf den O^enstand als SachCj dann kann 
man Essenz und Substanz allerdings gleichsetzen oder auch der Sache 
und dem Begriff „dieselbe Form** zuteilen. Denn Aussage und Sach- 
verhalt inharieren ja wirklich derselben Substanz. 
2) Wenden wir uns nun zum Nominalismus, so zeigt sich, daB 
wir auch diesen zum groBen Teile rehabilitiert haben. Dies gilt zu- 
nachst fur seine Qrundtendenz, die Forderung eines empirischen 
Aussageinhalts. In der Tat haben wir dieser Forderung im weitesten 
MaBe Oenuge geleistet, denn die generell-typischen Totalimpressionen 
und logischen Formalgefiihle sind ja von uns als Daten der Er- 
fahrung nachgewiesen worden. Doch unsere Uebereinstimmung, 
zunachst mit dem konzeptualistischen und gemaBigten No- 
minalismus, geht noch weiter. Freilich, mit allgemeinenVorstel- 
lungen setzen wir den Aussageinhalt nicht mehr gleich, und lassen 
ihn auch nicht mehr durch die Aufmerksamkeit aus individuellen 
Vorstellungen herausheben. Allein daB das Allgemeine in ty- 
pischen BewuBtseinstatsachen erfaBt wird, und daB diese typi- 
schen BewuBtseinstatsachen aus individuellen BewuBtseinstatsachen 
durch die Aufmerksamkeit herausgehoben werden, — diese An- 
nahmen sind uns mit den genannten Formen des Nominalismus gemein. 
Nurersetzen wir die allgemeinen Vorstellungen durch typische Oe- 
fiihle, die individuellen Vorstellungen durch individuelle Qe- 
f u h 1 e. Unsere Ansicht kann daher mit Recht auch eine konzeptua- 
1 i s t i s c h e heiBen, denn die typischen Totalimpressionen sind psychische 
Funktionen, welche ausschlieBlich der Aufgabe dienen, das Allgemeine 
zu erfassen. Da jedoch die typischen Totalimpressionen in den indi- 
viduellen enthalten sind, so wahren wir auch jenen Zusammenhang 
zwischen Aussageinhalt und Aussagegrundlage, auf den der gemaBigte 
19» 
2g2 NCX)LOOIE 
Nominalismus sich zu seinen Ounsten berufen konnte ; denn auch wir 
vermSgen zu erklaren, weshalb nicht jede beliebige Aussagegrundlage 
durch jeden beliebigen Aussageinhalt aufgefaBt werden kann. AUein 
wir entgehen all jenen Fahrlichkeiten, denen sich der Nominalismus 
aussetzte durch die Behauptung, der Aussageinhalt sei eineVorstel- 
lung Oder ein Teil einer Vorstellung. Wir sehen uns nicht vor die 
aussichtslose Aufgabe gestellt, zu erklaren, wie denn an einer einfachen 
Empfindung noch verschiedene Momente sich unterscheiden lassen. 
Denn wir erklaren die Abstraktion und die Unterscheidung in- 
telligibler Telle eben durch den Nachweis, daB mit verschie- 
denen Vorstellungen gleiche Oefuhle, mit Einer Emp- 
findung mehrere OefQhle verkniipft sein kdnnen. Wirbrauchen 
endlich auch nicht vorzugeben, daB wir uns bei Worten wie Zusam- 
menfassen oder Trotzdem etwas vorzustellen vermogen, da es uns 
ja feststeht, daB der Sinn der Worte Oberhaupt nicht in Vorstellungen, 
sondem vielmehr in Oefuhlen zu suchen ist 
Doch auch dem extremen Nominalismus vermogen wir ge- 
recht zu werden. Dieser vertrat eine ganz auBerliche Auffassung der 
Worte, der zufolge sie uberhaupt keinen Sinn haben und nichts be- 
deuten^ sondem nur Zeichen fur Qruppen ahnlicher Qegenstande sind. 
Diese Auffassung nun hat sich uns alseineunter einergewissen 
Voraussetzung durchaus zutreffende erwiesen, unter der Voraus- 
setzung nimlich, daB auf die Aussage reflektiert wurde. Post- 
reflektiVj dies sahen wir ja, sind die Aussagen wirklich nichts anderes 
als bloBe Lautfolgen {flatus vocis), die gar nichts uber jene Merkmale 
anzeigen, um derentwillen die Tatsachen zu Gruppen vereinigt 
und durch gemeinsame Namen bezeichnet werden. Wir diirfen des- 
halb auch sagen: wie der Real ism us eine ganz angemessene Be- 
schreibung der Aussagen in ihrem prareflektiven Zustande darstellt, 
so erweist sich der extreme Nominalismus als eine ebenso ange- 
messene Beschreibung derselben in ihrem postreflektiven Zustand. 
3) Fassen wir endlich den Rationalism us ins Auge, so fehlt es 
uns gewiB auch mit dieser Ansicht nicht an Beruhrungspunkten. Ja 
seine fundamental Position kdnnen wir uns ohne weiteres aneignen : 
die logischen Funktionen sind von den sinnlichen Vorstellungen 
durchaus verschieden und gehoren im Oegensatze zu diesen der 
reaktiven Erfahrung an. Auch die Unterscheidung intellek- 
tuellerOperationen und intellektuellerProdukte vermogen 
wir in gewissem Sinne zu rechtfertigen : den letzteren entsprechen die 
generell-typischen Totalimpressionen, den ersteren ent- 
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 293 
spricht das Wiedererkennen dieser Totalimpressionen in den sin- 
gular- individuellen Oesamtseindrucksgefuhlen. „Eine Anschauung 
unter einen Begriff bringen^ heiBt deshalb in unserer Sprache: „in 
einer singular-individuellen Totalimpression eine generell-typische er- 
kennen". Denn nicht derVorstellungs charakter, sondem die s i n - 
gulare Natur der mit den Vorstellungen verbundenen OefQhIe 
macht das Wesen der Anschauung im Oegensatze zum Den ken 
aus, und in diesem Sinne ist der Begriff gewiB etwas Unanschauliches, 
obwohl er nicht als eine unanschauliche Vorstellung erklart werden 
darf. Dagegen entgehen wir jenem Dilemma, das den Rationalismus 
dazu zwang, entweder auf eine psychologische Bestimmung der 
spezifisch logischen Akte zu verzichten, ja dieselben sogar ins Un- 
bewuBte zu verlegen, oder sie aus ihrer naturlichen Verwandtschaft 
mit den Anschauungen herauszureiBen. Denn die generell-typischen 
Totalimpressionen sind psychologisch vollkommen bestimmt und 
hangen dennoch mit den singular-individuellen Totalimpressionen aufs 
innigste zusammen ; sie sind ja nichts anderes als in diesen enthaltene 
Gefuhlsmomente. Wir vermogen daher auch ohne weiteres zu er- 
klaren, wie ein Qegenstand gemeint oder intendiert werden kann, 
ohne doch vorgestellt zu werden : indem namlich seine Totalimpression, 
und speziell seine generell-typische Totalimpression, ohne eine ent- 
sprechende, erfullende Vorstellung erlebt wird. 
Es zeigt sich somit, daB unsere Auflosung des Bedeutungsproblems 
durchweg jener Verifikation fahig ist, deren allgemeines Schema 
wir in § 8 entworfen haben. Sie „hebt" synthetisch die berechtigten 
Momente aller ihr vorangehenden Losungsversuche in sich „auf", ohne 
doch deren Mangel an sich zu tragen. 
VERZEICHNIS 
DER IN DIESEM HALBBANDE ANOEFOHRTEN WERKE UND 
DER FOR IHRE TITEL OEBRAUCHTEN ABKORZUNQEN 
P. Abaelardi Opera, ed. Cousin. Paris 1849. (Abk. Opp.) 
Derselbe, Ouvrages in^dits, ed. Cousin (Collection de documents in^its 
sur I'histoire de la France, 2. Serie, Band 4). Paris 1836. {Abk. 
Ouvr. in&I.) 
Alexander v. Aprodisias, Praeter Commentaria scripta minora, ed. 
Bruns. (Suppl. Aristotel. II. 1) 
R. Ameseder, s. A. Meinong. 
Ammonius Hermiae, In Porphyrii Isagogen, ed. Busse. (Comm. in 
Aristotelem Qraeca IV. 3) 
Aristotelis Opera, ed. Acad. R^. Borussica. 
J. V. Arnim, Stoicorum Veterum Fragmenta. (Abk. Amim I, II, III) 
R. Avenarius, Kritik der reinen Erhhrung. (Abk. Kr. d. r. Erf.) 
H. Bergson, Essai sur les donndes imm6diates de la conscience. 3. Auf- 
lage. Paris 1901. (Abk. Donn6es imm&liates) 
G. Berkeley, Works, ed. Eraser. Oxford 1901. (Abk. WW.) 
A. Binet, L'dtude expdrimentale de I'intelligence. Paris 1903. (Abk. 
Intdl.) 
Kr. Birch- Reichenwald Aars, Zur psychologisdien Analyse der 
Wdt Projektionsphilosophie. Leipzig 1900. (Abk. Psycholog. Anal.) 
Boethius, De interpretatione, ed. Meiser. 
B. Bolzano, Wissenschaftslehre. Sulzbach 1837. (Abk. Wiss. L.) 
H. Cohen, System der Philosophic. I. Teil: Logik der reinen Erkenntnis. 
(Abk. Log.) 
A. Comte, Synth^ subjective^ ou syst^e universel des conceptions propres 
k V&ai normal de I'homme. (Abk. Synthtee subjective) 
H. Cornelius, Psychologic als Erfahrungswissenschaft. (Abk. Psycholog.) 
R. Cudworth, Systema intdlectuale, latine vertit L J. Moshemius. (Abk. 
Systema Intdlectuale) 
Dante Allighieri, La vita nuova, II convito, II canzoniere. Milano 1890. 
(Abk. Op. min.) 
R Descartes, Oeuvres, ed. Jules Simon. Paris 1850. (Abk. Oeuvres) 
Derselbe, Principia philosophiae. (Abk. Princ phil.) 
P. Deussen, Die Sutra's des Vedanta, oder die ^^raka-Mimansa des 
Bidarayana nebst dem vollstandigen Kommentare des Qmkara. Aus 
dem Sanskrit ubersetzt. Leipzig 1887. (Abk. Deussen, Sutra's) 
J. Duns Scoti Opera omnia. Lugduni 1638. (Abk. Opp.) 
Chr. V. Ehrenfels, Ueber Gestaltqualitaten, Viertdjahrsschrift f(ir wissen- 
schafUiche Philosophic, Band 14, S. 249 ff. (Abk. Gest Qual.) 
Epikur, s. H. Usener 
L Geiger, Ursprung und Entwickdung der menschlichen Sprache und 
Vemunft. StuttgSi 1868—72. (Abk. Sprache und Vemunft) 
ANOEFUHRTE WERKE UND DEREN ABKURZUNOEN 295 
J. Oeyser, Grundl^^ung der empirischen Psychologic Bonn 1902. (Abk. 
Psycholog.) 
H. Gomperz, Zur Psychologie der logischen Grundtatsachen. Leipzig 
und Wien 1897. (Abk. Psych, log. Grundtats.) 
D e r s e 1 b e , Ueber einige psychologische Voraussetzungen der naturalistischen 
Kunst. Beilage zur Miinchner Allgemeinen Zeitung vom 14. und 
15. Juli 1905. (Abk. Naturalistische Kunst) 
SirW. Hamilton, Lectures on metaphysics and Logic, ed. Mansel u. 
Veitsch. London 1865. (Abk. Ledures) 
G. W. Fr. Hegel, Werke. Vollstandige Ausgabe durch einen Verein von 
Freunden des Verewigten. (Abk. WW.) 
J. Fr. Herbart, Samtliche Werke, herausg^eben von Hartenstein. (Abk. 
WW.) 
Th. Hobbes, Opera Latina, ed. Molesworth. (Abk. Opp. Lai) 
A. Hofler, Logik, unter Mitwirkung von A. Meinong. Philosophische 
Propadeutik I. (Abk. Logik) 
W. V. Humboldt's Gesammelte Werke. Berlin 1848. (Abk. WW.) 
D. Hume, Treatise of Human Nature, ed. Green and Grose. (Abk. 
Treatise) 
E. Husserl, Logische Untersuchungen. Halle 1900 — 01. (Abk. Log. 
Unterss.) 
Th. Huxley, Hume (English men of letters V). London 1881. 
W. James, The principles of Psychology. London 1901. Zuerst 1890 
erschienen. (Abk. Psych.) 
W.Jerusalem, Die Urteilsfunktion. Wien 1895. (Abk. Urteilsfunktion) 
Derselbe, Der kritische Idealismus und die reine Logik. Wien und 
Leipzig 1905. (Abk. Idealismus) 
I. Kant, Samtliche Werke, herausg^eben von Rosenkranz und Schubert 
Leipzig 1838. (Abk. WW.) 
W. T. Krug, System der theoretischen Philosophic. L Teil: Logik oder 
Denklehre. Konigsberg 1806. (Abk. Log.) 
G. W. Leibniz, Philosophische Schriften, herausg^eben von Gerhardt 
(Abk. WW.) 
G. E. Lessing, Samtliche Werke, ed. Lachmann-Maltzahn. (Abk. WW.) 
Th. Lipps, Vom Fuhlen, Wollen und Denken. Leipzig 1901. (Abk. 
FWD.) 
Derselbe, Einheiten und Relationen. Eine Skizze zur Psychologie der 
Apperzeption. Leipzig 1902. (Abk. E u. R.) 
Derselbe, Grundzuge der Logik. Hamburg 1893. (Abk. Logik) 
J. Locke, Works. London 1794. (Abk. WW.) 
H. Lotze, Mikrokosmus. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der 
Menschheit Versuch einer Anthropologic. 3. Auflage. Leipzig 1876. 
(Abk. Mikr.) 
E. Mach, Die Prinzipien der Warmdehre. Leipzig 1896. (Abk. Warme- 
lehre) 
E. Mally, s. A. Meinong. 
E. Martinak, Psychologische Untersuchungen zur Bedeutungslehre. Leip- 
zig 1901. (Abk. Psychol. Unterss.) 
296 anoefOhrte werke und deren abkOrzunoen 
A. Meinong, Hume-Studien 11. Wien 1882. 
Derselbe, Ueber Annahtnen. Leipzig 1902. (Abk. Annahmen) 
Derselbe, Ueber die Stellung der Gegenstandstheorie im System der Wis- 
senschsrften. Leipzig 1907. (Abk. Q^[enstandstheorie) 
A. Meinong, R. Ameseder, E. Mally, Untersuchungen zur Qegen- 
standstheorie und Psychologies herausg^;d)en von A. Meinong. Leip- 
zig 1904. (Abk. Grazer Untersuchungen) 
Migne, Patrologia Latina. 
J. Mill, Analysis of the phenomena of the human mind. A new edition 
with notes illustrative and critical by A. Bain, O. Findlater and G. Qrote. 
Edited with additional notes by J. St Mill. London 1869. (Abk 
Anal.) 
J. St Mill. A System of Logic, ratiocinative and inductive. 5. Auflage. 
London 1862. (Abk. Log.) 
Derselbe, An Examination of Sir William Hamiltons Philosophy and of 
the principal philosophical questions discussed in his writings. 3. Auf- 
lage. London 1867. (Abk. Exam.) 
Fr. Max Muller, Das Denken im Lichte der Sprache. Uebersetzt von 
E. Schneider. Leipzig 1888. (Abk. Denken i. L d. Sprache) 
M. Paligy, Die Logik auf dem Scheidew^e. Berlin 1903. (Abk. Log.) 
J. Petzoldt, Einleitung in die Philosophic der reinen Erfahning. Leipzig 
1900—04. (Abk. Einfuhrung) 
Plat on is Dialogi, ed. Wohlrab. 
Plotini Enneades, ed. Volkmann. (Abk. Enn.) 
Porphyrii Isagoge, ed. Brandis. (Aristotelis Opera, ed. Acad. R^. Boruss., 
Band IV) 
Porphyrii Isagoge et in Aristotelis Cat^^orias Commentarium, ed. Busse. 
(Commentaria in Aristotelem Graeca IV. 1) 
C Prantl, Geschichte der Logik im Abendlande. Leipzig 1855—70. (Abk. 
Pranti I, II, III, IV) 
Th. Ribot, La Psychologic des sentiments. Paris 1899. (Abk. Psych, des 
Sent) 
Derselbe, L' evolution des id^es g^n^rales. (Abk. Id. g6n.) 
H. Rickert, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen B^riffeblldung. Eine 
logische Einleitung in die historischen Wissenschaften. (Abk. Orenzen) 
G. J. Romanes, The origin of human faculty. (Abk. Origin of hum. fac) 
J. Royce, The religious aspect of philosophy. A critique of the bases 
of conduct and of faith. Boston 1900. Zuerst 1885 erschienen. (Abk. 
Religious Aspect) 
Derselbe, The spirit of modem philosophy. An Essay in the form of 
lectures. Boston 1900. (Abk. Modem philosophy) 
F. W. J. V. Schelling, Samfliche Werke. Stuttgart und Augsbuiig 1856. 
(Abk. WW.) 
Fr. Schleiermacher, Dialekti'k. (Samtiiche Werke, 3. Abteilung, 4. Band, 
2. Teil.) Beriin 1830. (Abk. Dial.) 
A. Schopenhauer, Samtiiche Werke, herausg^eben von Ed. Orisebach. 
(Abk. WW.) 
Seneca, Opera, ed. Haase. 
ANGCFOWTE WERKE UND t)EREN ABKURZUNOEN 297 
Chr. Sigwart, Logik. 2. Auflage. Freiburg i. Br. 1889. (Abk. Log.) 
Ad. Smith, The theory of moral sentiments. 11. AuTlage Londoki 1812. 
<Abk. Moral Sentiment^ 
H. Spencer, First Principles. London 1862. 
B. Spinoza, Opera quae supersunt omnia, ed. Bruder. 
Ch. H. Stein thai, Einleitung iii die Psychologic und Sprachwissenschaft. 
(Abri6 der Sprachwissenschaft I.) 2. Auflage. Berlin 1881. (Abk. 
Eitileitg. in d. Psych.) 
A. Stdhr, Leitfaden der Logik in psychologisierender Darstdlung. Leipzig 
und Wien 1905. (Abk. Log.) 
H. Swoboda, Studien zur Gmndlegung der Psychologie. Leipzig und 
Wien 1905. (Abk. Studien) 
H. Taine, De Tintelligence. Paris 1870. 
Thomas v. Aquino, Summa Theologiae. Turin 1888. (Abk. Summ. 
Theol.) 
H. Usener, Epicurea. Leipzig 1882. (Abk. Usener) 
Th. Waitz, Anthropologic der Naturvolker. Leipzig 1859. (Abk. Anthro- 
polog.) 
Chr. Wolff, ontologie. 
W. Wundt, Logik. Fine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis 
und der Melhoden wissenschaftlicher Forschung. 1. Bartd. 3. Auflage. 
Shittgart 1906. (Abk. Log. I) 
Derselbe, Grundzflge der physiologischen Psychologie 5. Auflage. 
Leipzig 1903. (Abk. Psycholog.) 
Derselbe, GrundriB der Psychologic. 2. Auflage. Leipzig 1897. (Abk. 
GrundriB) 
Derselbe, Volkerpsychologie. Leipzig 1900—06. 
OEDRUCKT IN DER FROMMANNSCHEN BUCHdRUCKERei IN JENA 
EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA 
HEINRICH GOMPERZ, WELTANSCHAUUNGSLEHRE 
Ein Versuch, die Hauptprobleme der allgemeinen theoretischen Phllo- 
sophiegeschichtlich zu entwickein und sachlich zu bearbeiten. I. Bd. 
Methodologie. Br. Mk. 13.—, in Halbfrz. geb. Mk. 15.— 
Inhalt: Die Aufgabe der Weltanschauungslehre. Der Substanzbegriff. Der 
Identitatsbegriff. Der Relationsbegriff. Der Formbegriff. Die dialektische Methode. 
Die pathempirische Methode. Die Einteilung der Weltanschauungslehre. 
Jahrbuch der Oorresgesellschaft (Dr. C. Gutberlet): ,,Mit spekulativer 
Kraft, Scharfsinn in der Kritik, und einer seltenen Vertrautheit mit der philo- 
sophischen Literatur bestrebt sich der Verfasser fiber die herrschende empiristische, 
positivistische Richtung in der Philosophie hinwegzukommen und die Metaphysik 
zu einer allgemeinen Weltanschauungslehre zu erweitem." 
HEINRICH GOMPERZ, DIE LEBENSAUFFASSUNG 
DER GRIECHISCHEN PHILOSOPHEN UND DAS 
IDEAL DER INNEREN FREIHEIT. Mit Anhang: Zum Ver- 
standnis der Mystiker. Br. Mk. 8.—, in Halbperg. geb. Mk. 10.— 
Inhalt: Das Ideal der inneren Freiheit, Die Lebensauffassung der Oriechen. 
Vorsokratiker. Sokrates. Die Kyniker. Die Kyrenaiker. Platon. Die Stoa. Epikur 
und die Skepsis. Verfall und Ausgang der philosophischen Ethik der Oriechen. 
Monatsschrift fur die Kirchliche Praxis (Otto Baumgarten): Eines 
der fesselndsten , personlichsten Bucher, daraus besonders wir in christlicher 
Lebensluft Aufgewachsenen lemen konnen, wie edle und starke Oeister ausser- 
halb derselben frei atmen, ist Heinrich Oomperz' Vortragsreihe : die Lebens- 
auffassung der griechischen Philosophen. Indem er sie alle unter dem Oesichts- 
punkt des Ideals der inneren Freiheit betrachtet, gewinnt er einen ungemein 
innerlichen Aufriss der antiken Philosophie, deren einzelne Vertreter doch nicht 
zu blossen zufalligen Tragem der Entwickelung jenes Prinzips werden, da sie 
stark individuell charakterisiert und durch eine Fulle treffendster Beweisstellen in 
vorzuglicher Uebersetzung nahe gebracht werden. 
HEINRICH GOMPERZ, DAS PROBLEM DER WILLENS- 
FREIHEIT. Br. Mk. 4.— geb. Mk. 5.50 
DieWartburg: Ein eigenartiges, nicht uninteressantes Buch, in dem der Verfasser 
der Form nach den Determinismus und den Indeterminismus bekampft, eine 
„dritte Theorie" empfiehlt, nach der die Willensentscheidung weder ein bloB 
mogliches, noch ein notwendiges Ergebnis der vorhandenen Reize sind, sondem es 
sich dabei um bloBe Wahrscheinlichkeit handelt. Oomperz steht dem eigentJichen 
Kausalitatsgesetze ablehnend gegeniiber und bestreitet auch, dafi auf dem Qebiete 
des Seelenlebens durchgangig OesetzmaBigkeit herrsche. Der Sache nach stimmt 
er im wesentlichen mit dem modemen (relativen) Indeterminismus uberein , der 
auf Folgerichtigkeit verzichtet 
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