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VON DIESEM BUCHE WURDEN 20 EXEMPLARE
ZUM PREISE VON FONFUNDZWANZIO MARK AUF
STRATHMORE-JAPAN GEDRUCKT/IN HALBLEDER
GEBUNDEN UND HANDSCHRIFTLICH NUMERIERT
^
HEINRICH QOMPERZ
WELTANSCHAUUNQS-
LEHRE
EIN VERSUCH DIE HAUPTPROBLEME DER
ALLOEMEINEN THEORETISCHEN PHILO-
SOPHIE OESCHICHTLICH ZU ENTWICKELN
UND SACHLICH ZU BEARBEITEN
ZWEITER BAND
NOOLOGIE
ERSTE HALFTE
EINLEITUNO UND SEMASIOLOGIE
VERLEOT BEI EUOEN DIEDERICHS
JENA 1908
DEN MANEN PLATONS
Vagliami il lungo studio e il grande amore
Che m!ha fatto cercar lo too volume
Dante
601317
INHALTSVERZEICHNIS DER ERSTEN HALFTE
DES ZWEITEN BANDES
DER WELTANSCHAUUNOSLEHRE ERSTER TEIL
DAS PROBLEM DES DENKENS (NOOLOOIE)
EINLEITUNG: AUFGABE UNO EI^4TEILUNG DER NOOLOOIE
Seite
§ 42 Gedanken im objektiven und subjektiven Sinne 2
1) Sachliches zur Erlauterung dieser Unterscheidung — 2) Mogliche Deutungen
derselben — 3) Analoge Verhaltnisse bei der Wahmehmung — 4) Oeschicht-
liches.
§ 43 Logische und psychologische Bearbeitung der Gedanken ... 6
1) Bearbeitung der Gedanken in anderen Wissenschaften — 2) Logischer und
psychologischer Ordnungszusammenhang der Gedanken — 3) Kritik des logi-
schen Psychologismus — 4) Geschichtliches — 5) Die Logik keine normative
Wissenschaft, insbesondere keine Kunstlehre — 6) Logik und Gegenstands-
theorie.
§ 44 Noologie, Logik und Psychologie 37
1) Widerspruche zwischen Logik und Psychologie — 2) Ihre Ausgleichung
die Aufga^ der Noologie — 3) Verhaltnis derselben zur Psychologie —
4) Verhaltnis derselben zur Logik^
§ 45 Einteilung der Noologie 43
1) Denkinhalte und Denkwerte — 2) Objektive und subjektive Denkinhalte und
Denkwerte — 3) Noetische Subjekte und noetische Pradikate — 4) Geschicht-
liches.
ERSTE ABTEILUNG DER NOOLOGIE
DIE DENKINHALTE (SEMASIOLOGIE)
/. ORIENTIERUNQ OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM
§ 46 Gedanke und Aussage 54
1) Sachliches — 2) Geschichtliches.
§ 47 Die Elemente der Aussage 61
I) Aussagelaute, Aussageinhalt, Aussagegrundlage — 2) Verschiedenheit dieser
Elemente — 3) Ausdruck, Auffassung, Bezeichnung — 4) Aussage und Sach-
verhalt — 5) Bedeutung — 6) Begriffe — 7) Andere Arten der Aussage —
8) Zusammenfassung — 9) Geschichtliches zur Unterscheidung der Aussage-
elemente — 10) Geschichtliches zur Unterscheidung der Aussagerelationen —
II) Synkategoreumata.
INHALTSVERZEICHNIS Vlf
Sdte
§ 48 Die Erste setnasiologische Hauptfrage 91
1) Der AoBsagdnhalt unvorstellbar — 2) Zurikkweisuiig einer Einwendung —
3) Die Talsache des logischen Verkehrs — 4) Der Aussageinhalt als psychi-
sches Datum.
§ 49 Die Zweite semasiologische Hauptfrage 97
1) Die Qegenstandlidikett der Aussagen —2) Erllutemngen —3) Empirische
Realitat der noetischen Gegenstande — 4) Qegenstandlichkeit und ^Hyposta-
sierung'' — 5) Bedeutung, Materie und Bewufitsein — 6) Oeschichtliches.
§ 50 Die Dritte semasiologische Hauptfrage 120
1) Reelle und intelligible Teile — 2) Der Sachverhalt als intelligibler Teil der
Aussagegrundlage — 3) Auffassung und Abstraktion — 4) Oeschichtliches —
5) Typische Qegenstande — 6) Oeschichtliches.
§ 51 Die Vierte semasiologische Hauptfrage 132
1) Die Olieder der Bezeichnungs- und der Bedeutungsrelation — 2) Wesens-
unterschied zwischen Bezeichnen und Bedeuten — 3) Bedeuten als Vertreten
— 4) Oeschichtliches.
2. ENTWICKPLUNQ DES BEDEUTUNOSPROBLEMS
§ 52 Der Realismus 140
1) Das Prifudp des Realismus — 2) Realismus und Vemunftwissenschaft —
3) Naiver, monadologischer und agnostischer Realismus — 4) Substantieller
und attributiver Realismus — - 5) Die Realitat der noetischen Oegenstande —
6) Oeschichtliches — 7) Kritik des Realismus — 8) Oeschichtliches.
§ 53 Der Nominalismus 167
1) Der konzeptualistische Nominalismus — 2) Oeschichtliches — 3) Der ge-
mafiigte Nominalismus — 4) Der extreme Nominalismus — 5) Oeschichtliches.
§ 54 Der Rationalismus 20a
1) Sachliches — 2) Oeschichtliches.
3. BEARBEITUNG DES BEDEUTUNOSPROBLEMS
§ 55 Beantwortung der Ersten semasiologischen Hauptfrage .... 220
1) Typische Totalimpressionen — 2) Oenerelle Totalimpressionen — 3) Oenerell-
typische Totalimpressionen als logische Materialgefuhle — 4) Logische Formal-
geftihle — 5) Das Bewufitsein vom Aussageinhalt — 6) Durchfuhrung an
einem Beispiel — 7) Oeschichtliches.
§ 56 Beantwortung der Zweiten semasiologischen Hauptfrage . . . 25&
1) Der Ausdruck als Inharenz — 2) Die Aussage als Oegenstand — 3) Vor-
blicke auf Alethologie und ontologie.
VIII INHALTSVERZEICHNIS
Sette
§ 57 Beantwortung der Dritten semasiologischen Hauptfrage .... 267
1) Auffassung, Abstraktion und intelligible Teile ^ 2) Qenetische Prioritat des
Allgemeinen von dem Besonderen — 3) Qeschichfliches — 4) Die Oegen-
standlichkeit des Sachverhalts — 5) Typische Oegenstande — 6) Individuum,
Typus und Begriff.
§ 58 Beantwortung der Vierten semasiologischen Hauptfrage .... 278
1) Erklarung der Bedeutungsrelation — 2) Erklarung der Vertretungsrelation.
§ 59 Verifikation der semasiologischen Ergebnisse 289
1) Pathempirismus und Realismus ~ 2) Pathempirismus und Nominalismus —
3) Pathempirismus und Rationalismus.
UTERATURVERZEICHNIS 294
ERRATA
Die folgenden, sinnstorenden Fehler sind vor dem Lesen zu verbessem:
S. 24, Z. 2 von oben, ist die Klammer zu streichen.
S. 87, Z. 9 von oben, lies jjUber** jene
S. 241, Z. 7 von unten, lies „dann vermittelt werden" statt „kaum vermittdt
werden".
DER WELTANSCHAUUNGSLEHRE
ERSTER TEIL
DAS PROBLEM DES DENKENS
(NOOLOGIE)
EINLEITUNO
AUFGABE UND EINTEILUNG DER NOOLOGIE
§42
N jedem Gedanken kann man ins Auge fassen:
einerseits das in ihm Gedachte, andererseits das
Denken dieses Oedachten. In ersterer Hinsicht
wollen wir von einem Gedanken im objektiven Sinne
Oder kurz von einem objektiven Gedanken, in
letzterer Hinsicht von einem Gedanken im sub-
jektiven Sinne oder kurz von einem subjektiven
Gedanken sprechen.
ERLAUTERUNG
1) nDaB die homerischen Gedichte nicht von Einem einzigen Dichter
verfaBt sind", oder „daB der menschiiche Wille nicht frei ist" — sind
Beispiele dessen, was ich hier einen objektiven Gedanken nenne,
wogegen das Denken dieser Gedanken durch bestimmte Individuen
zu einem gewissen Zeitpunkte, also etwa durch Fr. Aug. Wolf im
18. resp. durch Spinoza im 17. Jahrhundert, den Begriff des subjektiven
Gedankens iiiustrieren moge. Doch ist die Satzform nichts fur
diese Verhaltnisse Wesentliches. Auch der sogenannte „Ontologische
B ewe is fur das Dasein Gottes" ist ein objektiver, und das Denken
dieses Beweises durch Anselm von Canterbury ein subjektiver Ge-
danke, und ebenso verhait es sich mit dem Begriff der ^NatOriichen
Zuchtwahi" und dem Denken dieses Begriff es durch Darwin. Mit
ausdriicklichen Worten pfiegen wir freilich beides nicht immer zu
unterscheiden, und der Terminus „Gedanke" bezeichnet objektive und
subjektive Gedanken in gleicher Weise Dennoch bleibt es im Zu-
sammenhange der lebendigen Rede kaum jemals zweifelhaft, in welchem
Sinne dieser Terminus verstanden werden soil. HeiBt es z. B., der
Gedanke, „daB der Wille des Menschen nicht frei ist", sei unvertrag-
lich mit dem andem, „da6 der Mensch fur seine Handlungen ver-
antwortlich ist"; oder, der „Ontologische Beweis" leide an einem
offenbaren Fehler; oder, der Begriff der ^Natiirlichen Zuchtwahl* seize
AUFGABE UND EINTEILUNG DER NOOLOGIE 3
den Begriff des ^Kampfes urns Dasein'' voraus und stehe und falle
mit ihm — , so ist offenbar in alien diesen F311en von Gedanken im
objeidiven Sinne die Rede. Denn die angefQhrten SStze handeln nicht
von Zusammenhingen subjeldiver Denkerlebnisse in irgendwelchen
einzelnen Individuen. Sie sprechen vielmehr von ^Gedanken'' nur in
dem Sinne, daB sie gewisse Verhaltnisse der Unvertraglichkeit, Fehler-
haftigkeit und Bedingtheit an dem in diesen Gedanken Gedachten,
also an objektiven Gedanken feststellen wollen. HeiBt es dag^en,
der Gedanke der Willensunfreiheit habe Spinoza zunSchst in lebhafte
Err^^ng versetzt; der ontologische Beweis habe Anselm mit leb-
haftem Stolze erffillt; der Gedanke der nattirlichen Zuchtwahl habe in
Darwins Leben eine lange Periode des Zweifelns und der ZurQck-
haltung eingeleitet — , so ist ebenso offenbar, daB in all diesen Fallen
Gedanken im subjektiven Sinne zu verstehen sind. Denn das in diesen
Gedanken Gedachte hat gar keine Beziehung zu Erregung, Befriedigung
Oder Zweifel: nur das Denken dieses Gedachten, demnach nur der
subjektive Gedanke, kann hier den Gegenstand der Aussage bilden.
Diese Beispiele dtirften genugen, um einen ersten, annShemden Begriff
von dieser Unterscheidung zu vermitteln.
2) In welchem Verhaltnisse stehen nun das Denken eines Gedankens
und das in diesem Gedanken Gedachte, mithin subjektiver und ob-
jektiver Gedanke zueinander? Auf diese Frage glaubte ich mit Absicht
an dieser Stelle noch nicht eingehen zu sollen, und habe deshalb im
Texte dieses Paragraphen eine mdglichst allgemeine und unverbindliche
Ausdrucksweise gewahlL Man kdnne, sagte ich, an jedem Gedanken das
eine wie das andre ins Auge fassen. Dies bleibt richtig, wie immer
man jenes Verhaitnis bestimmen moge. Es konnte sein, daB der ob-
jektive Gedanke etwas von seinem Gedachtwerden vollig Unabhangiges
ware, das ffir sich bestunde und zu anderen objektiven Gedanken in
gewisser Weise sich verhielte — auch dann, wenn es von niemand
gedacht wird, und daB dieser objektive Gedanke nur erfaBt wiirde in
den subjektiven Gedanken der einzelnen Individuen, welche somit als
Erkenntnisakte zu denken waren, die auf ihn als ihren G^enstand sich
richteten. Es kSnnte weiter sein, daB der objektive Gedanke nur ein
unterscheidbarer Teil des subjektiven Gedankens wSre, so daB das
Gedachte durch das Denken und fur das Denken hervorgebracht oder
erzeugt wQrde und auBerhalb desselben keinen Bestand hatte. Es
konnte endlich auch sein, daB der objektive und der subjektive Ge
danke uberhaupt nur wie zwei Ansichten Einer und derselben Tat-
sache sich voneinander unterschieden, daB somit das Gedachte nichts
4 NOOLOGIE
anderes wire als der Gedanke, sofem er in einer gewissen Wdse,
das Denken nichts anderes als derseibe Gedanke, sofern er in einer
gewissen anderen Weise betrachtet wurde: sei es nun, daB dieser
Gedanke, diese Tatsache an und fQr sich als etwas Objektives, als
etwas Subjektives oder auch als etwas weder Objektives noch Sub-
jektives zu denken wire. All diese Mdglichkeiten nun, und auch alle,
die etwa auBer den genannten noch in Betracht kommen mdgen,
lassen wir einstweilen dahingestellt; denn an dieser Stelle handelt es
sich fQr uns nur um die bloBe Unterscheidung zwischen objektiven
und subjektiven Gedanken, ohne Rucksicht auf deren tiefere Be-
grOndung. Diese Unterscheidung aber bleibt aufrecht, fur welche jener
B^^ndungsarten man sich auch entscheide: ob man sie ansehe als
eine Unterscheidung zwischen dem Akte des Denkens und dem von
ihm erfaBten Objekt, als eine solche zwischen dem Denken und dem
von ihm erzeugten Inhalt, oder endlich als eine solche zwischen zwd
Auffassungsweisen Eines und desselben Gedankenfaktums. Nur darum
also, daB man an jedem Gedanken Denken und Gedachtes auseinander-
halte, ist es uns hier zu tun; denn an diese Distinktion knOpft sich
die Verschiedenheit der mehreren Arten, in denen die Gedanken zum
Gegenstande wissenschaftlicher Bearbeitung werden konnen.
3) Dagegen ist es nicht zu fruh, schon hier auf die durchgehende Ana-
logie hinzuweisen, welche zwischen diesen Verhaltnissen beim Denken und
den entsprechenden bei der sinnlichen Wahrnehmung stattfindet, und
gerade die vorurteilslose Betrachtung der verschiedenen Arten, in denen diese
Verhaltnisse gedeutet werden konnen, ist besonders geeignet, die erwahnte
Analogie deutlich zu machen. Geradeso namlich, wie wir an jedem Ge-
danken das Denken und das Gedachte ins Auge fassen konnen, kdnnen wir
auch an jeder Wahrnehmung das Wahmehmen und das Wahrgenommene
unterscheiden. Auch der Ausdrucksweise stunde nichts im Wege, das Wahr-
nehmen eine Wahrnehmung im subjektiven Sinne, oder kurz eine subjddive
Wahrnehmung, das Wahrgenommene dagegen eine Wahrnehmung im ob-
jektiven Sinn, oder kurz eine objektive Wahrnehmung zu nennen. So be-
zeichnen wir etwa die Farbe eines Gegenstandes als eine Gesichtswahr-
nehmung, wobei aber dieses Wort eine Wahrnehmung im objektiven Sinne
bedeuten soil, wahrend es im subjektiven Sinne zu verstehen ist, wenn wir
dieselbe Gesichtswahmehmung als die Ursache von Ermudungszustanden
ansprechen. Allein auch die Deutungsmdglichkeiten sind in beiden Fallen
die gleichen. Denn jene Unterscheidung bleibt aufrecht, ob wir nun das
Wahrgenommene als ein selbstandiges Objekt denken, das fur sich besteht,
auch wenn es von niemandem wahrgenommen wird, und das durch das Wahr-
nehmen der einzelnen Individuen nur von diesen erfaBt und erkannt wird;
Oder als dnen unterscheidbaren Teil, namlich als ein Erzeugnis des Wafar-
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 5
nehmens, so daB es tiberhaupt nur durch dieses und fur dassdbe besteht;
Oder endlidi als dne bloBe andere ^Seite'' des Einen Wahmehmungsfoktunis,
das sich bald als Wahmehmen, bald als Wahrgenommenes ,^uffassen'' laBt^
mag es nun an sich unter den B^ff des Objektiven oder unter den des
Subjektiven oder auch unter keinen von beiden fallen. Wir werden auf
diese Analogic wiederholt zuruckkommen, sie ins einzdne ausfflhren, ihre
Konsequenzen ins Auge fassen, auch aus der Qeschichte unserer Wissen-
schaft AeuBerungen, welche sie aussprechen, heranziehen. Doch schon hier
wird man nicht verkennen, daB sie sehr tid'geht, ja daB es im Qrunde um
mehr als dne Analogic sich handdt, namlich um zwd Erscheinungsformen
eines und dessdben Problems. Eben deshalb aber werden wir dieses Pro-
blem in seiner Allgemeinheit auch in der Noologie noch gar nicht auf-
losen konnen. Als das Problem von dem Verhaltnisse des Subjektiven
und Objektiven, Immanenten und Transcendenten uberhaupt
wird es vidmehr ganz dgentlich einen Hauptgegenstand der ontologie
bilden. Die Noologie muB zufrieden sein, wenn sie dnerseits die ihr eigen-
tumlichen Fragen auf dieses allgemeinere, ontologische Problem zuruckfuhrt,
anderersdts durdi die sachgemaBe Erorterung der ersteren die Aufldsung
des letzteren vorberdtet und erldchtert
4) Wir kehren von diesem Exkurse zuruck, um uns zu fragen, wie es
um die Unterschddung der objektiven von den subjektiven Qedanken in
der bisherigen Entwicklung der Wdtanschauungslehre bestdlt gewesen ist
Es kann nicht davon die Rede sein, als ware sie bisher durchaus verkannt
worden. Allein recht sdten ist sie so vorsichtig vorgetragen worden, wie
wir dies hier fOr notwendig gehalten haben. Vidmehr erscheint sie in
der Regel enge verquickt mit einer jener Deutungen, uber deren Wert
wir hier noch jedes Urteils uns enthalten wollen. Insbesondere die erste
dersdben lag denjenigen nahe, welche diesen Verhaltnissen ihr Augen-
merk zuwandten: nur ein Schritt schien ja hinuberzufuhren von der Ein-
sicht: man kann das Gedachte vom Denken unterscheiden, zu der Ansicht:
das Gedachte besteht f&r sich and wird im Denken nur erfadt Allein man
sieht: dies ist schon die Behauptung einer kosmotheoretischen Partei, und
zwar der uns wohlbekannten metaphysischen (§ 34. 3); denn wenn
das Gedachte bestehen soil, auch wenn es nicht gedacht wird, so muB es
auBerhalb der Erfahrung bestehen. Mit der metaphysischen Ausdeutung der
Tatsachen haben wir es indes an dieser Stelle noch nicht zu tun. Wir sehen
deshalb hier auch von alien jenen Zeugnissen fur die uns beschaftigende
Unterscheidung ab, welche diesdbe mit Ansichten der gekennzeichneten Art
verflechten, und wollen nur solche anfuhren, in denen diese Unterscheidung
rein fur sich hervortritt Deren aber habe ich nicht allzuvide gdunden, und
auch von diesen werden mehrere besser aus anderen Anlassen mitgeteilt
werden. So mag denn hier zunachst nur Ein Satz stehen, der nun frdlich
mit dem Wortlaute dieses Paragraphen so eng verwandt ist, daB wir nichts
dagegen haben, wenn man etwa meint, dieser sei nichts als eine Wieder-
6 NCX)LOOIE
holung dessdben. Es ist der Satz HerbartsI): ^Unsere samtlichen Oe-
danken lassen sich von zwd Seiten betrachten; tdls als Tatigkeiten unseres
Odstes, tdls in Hinsidit dessen, was durdi sie gedadit wirxL'^ Qanz in
demsdben Sinne hat ubrigens audi Kruq2) Denkakte und Denk-
objekte unterschieden : dne bequeme Terminologie, deren audi wir uns
gerne bedient batten, wiirde nidit dodi audi sie sdion dne metaphysisdie
Ausdeutung des Sachverhaltes nahd^^, urn dessen Feststdlung alldn es
uns hier zu tun war.
§43
Der Unterschddung des § 42 entsprediend kann audi die wissen-
schaftliche Bearbdtung der Gedanken (§ 2), abgesehen von anderen
Verfahrungswdsen, zunachst vor allem auf doppdte Art vor sidi
gehen. Die Ordnungsbeziehungen namlich, auf deren Herstellung
diese Bearbdtung abzieit (§ 5), konnen entweder bloB zwischen
den objektiven Gedanken rein als soichen stattfinden, oder
aber sie kdnnen die subjektiven Gedanken sowohi mitdnander
als auch mit anderen BewuBtseinstatsachen verknupfen. In jenem
Fall ist die Bearbeitung eine logische, in diesem eine psycho-
logische.
ERLAUTERUNG
1) Die allgemeinen Prinzipien der Wissenschaftsiehre sind aus
unsem einieitenden methodoiogischen Erdrterungen in Erinnerung^
Wissenschaft treiben, sagten wir (§ 2), heiBt einen Zusammenhang
von soichen Gedanken hersteiien, welche Tatsachen nachbiiden ; diese
T3t]gkeit wird beherrscht von Interessen an der Feststellung und an
der Ordnung der Tatsachen (§ 3 u. 5), und je nach der Verschieden-
heit dieser Interessen biiden die verschiedenen Wissenschaften dieselben
Tatsachen durch andere Gedanken und in anderen Zusammenhangen
nach (§ 4). An aliedem wird naturiich grundsatziich auch dann nichts
geSndert, wenn die nachzubildenden, also wissenschaftlich zu be-
arbdtenden Tatsachen selbst Gedanken sind: der Fall, der uns hier
beschaftigt Dementsprechend, was nach diesen allgemeinen Qrund-
satzen zu erwarten ist, findet denn auch die wissenschaftliche Be-
arbeitung von Gedanken in alien Wissenschaften statt: die B^rnffe
Descendenztheoriey materialistische Geschichtsauffassung, Semipelagia'
nismus, mechanische W&rmetheorie z. B., die in der Zoologie, National-
dkonomie, Theologie und Physik vorkommen, biiden ohne Zweifd
gewisse Gruppen von Gedanken zusammenfassend nach, und dassdbe
>) Lehrb. zur Einl. in d. Phil. § 34 (WW. I, S. 77). ^) Log. § 25, S. 92!!. '
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 7
trifft zu, wenn in den historischen Disziplinen etwa von Epikureis/nus
Oder Scholastik, von Aufkl&rung oder Romantik die Rede ist Es ist
indes dnieuchtend, daB in alien diesen Failen die nacligebildeten Oe-
danicen niclit a I s Oedanlcen G^[enstand wissenscliaftiiclier Bearbdtung
$indy sondem teils w^en der Tatsachen, auf die sie sicli beziehen,
teils wegen der Mensclien und Zeiten, von und in denen sie (im sub-
jelctiven Sinne) hervorgebraclit wurden. Dem entspriclit es, daB die
Gedanken hier durchweg im Zusammenhange mit ganz andersartigen
Tatsaclien betraclitet werden, und so erklirt es sicli auch, daB die fOr
die Gedanken als solche gewiB fundamentale Unterschddung von
Objektiv und Subjektiv in den genannten Wissenscliaften vdliig ver-
nachlSssigt wird. Fflr den Zoologen liat es durcliaus kdn Interesse,
das von den Vertretem der Descendenztlieorie Oedachte von ihrem
Denken desselben zu untersclieiden. In der Logik dag^en und in
der Psychologies aber soviel ich sehe auch nur in diesen beiden unter
den primlren Wissenschaften (§ 6), werden ohne Zweifd Gedanken
als solche wissenschaftlich bearbeitet Es entsteht daher die Frage,
wodurch die Bearbeitungswdsen dieser zwei Disziplinen sich von-
einander unterscheiden mogen.
2) Wenn ich nun behaupte, die logische Bearbeitung der Gedanken
ziele auf die Herstellung eines geordneten Zusammenhanges ob-
jekti ver Gedanken ab, w&hrend es der Psychologie um die Ordnung
der subjektiven Gedanken zu tun sei, so ist zunlchst das zwdte
Glied dieser Behauptung wohl selbstverstlndlich. Denn niemand wird
meinen, daB es zu den Aufgaben der Logik gehdre, die subjektiven
Denkerlebnisse nach ihren Arten und Gesetzen zu untersuchen, die
konkrete Bewegung des individuellen Denkens zu studieren. Warum
bei demselben Gedanken (im objektiven Sinne) dem Einen dies, dem
Andem jenes dnfillt; warum dieselbe Hypothese den Einen aufregt,
den Andem beruhigt; warum vor derselben Folgerung der Eine zu-
rQckschrickt, w3hrend der Andere sie vollzieht — dies alles hat ge-
wiB seine Griinde, allein jedermann gibt zu, daB dies nicht logische,
sondem nur psychologische Grunde sein konnen. In der Tat haben
wir oben (§ 42 1), um den Unterschied der objektiven von den sub-
jektiven Gedanken nur uberhaupt zu erlSutem, diese sofort in Zu-
sammenhingen von solcher Art dargestellt und fast gewaltsam den
Ausdmck psychologisch vermieden; denn nichts hStte naher gelegen,
als gidch von vomherdn die Erklamng zu geben: „ Unter dnem
Gedanken im subjektiven Sinne verstehen wir einen Gedanken, sofem
er in dnem psychologischen Zusammenhange betrachtet wird"", oder
8 NOOLOOIE
auch geradezu: vSofem er 0^[enstand der Psychoiogie, dn psycho-
logisches Datum ist*.
Im oninde nun ist auch die andere Haifte unserer These ebenso
selbstverst&ndlich. Niemand, der nicht durch philosophische Voi^
urtdle verwirrt ist, wird behaupten, daB es zu den Aufgaben der
Psychologic gehdre, zu untersuchen, ob ein B^ff dem andem fiber-
geordnet sei, ob zwei Sitze einander widersprechen, und ob wirklich
dne Konklusion aus gewissen Primissen folge oder nicht Auch hier
muBten wir ja, urn nur flberhaupt den B^ff des objektiven Oedankens
zu pr3zisieren, diese Gedanken in derartigen Zusammenhangen dar-
stellen, und gingen nicht ohne eine gewisse Muhe dem Worte logisdi
aus dem Weg.* Denn vielleicht noch deutiicher als durch den B^jiff
des ^Oedachten* hStten wir das Wesen der objektiven Oedanken
machen kdnnen durch die Definition: „Unter einem Gedanken im
objektiven Sinne verstehen wir einen Gedanken, sofem er in dnem
logischen Zusammenhange stehen kann"", oder geradezu : ,,sofem nur
auf sdnen logischen Gehalt, seine iogische Valenz gesehen wird*.
Bedflrfte dieser an sich kiare Sachverhalt noch einer Eriautening,
so wurde sie uns dargeboten durch jene Analogic zwischen Oedanke
und Wahrnehmung, auf die wir kurz schon einmal (§ 4Z 3) hin-
gewiesen haben. Dem Denken, sagten wir, entspreche das Wahr-
nehmen, dem Gedachten das Wahrgenommene. Und sofort zeigt sich,
daB auch hier die Ordnung des Wahrgenommenen den G^enstand
dner anderen Wissenschaft bildet als die des Wahmehmens. Denn
das Wahmehmen, also die dnzelne „subjektive Wahmehmung*, in
ihrem Zusammenhange mit andem BewuBtseinstatsachen zu bearbdten,
die Arten ihres Vorkommens festzustellen, die Gesetze ihres AuftretenSi
ihre Bedingungen und Folgen zu untersuchen, dies ist offenbar
wiederum Aufgabe der Psychologic. Dagegen die Zusammen*
hSnge des Wahrgenommenen, also der objektiven Wahmehmungen
Oder der perzipierten Gegenstande, zu priifen, mit ihrer raumlichen
Anordnung, ihren typischen Gattungen, den Gesetzen ihrer Ver-
anderung und Wechselwirkung sich zu beschaftigen — dies kann
so wenig Aufgabe der Psychologic sein, daB es ja vielmehr den ein-
zigen Gegenstand aller jener Wissenschaften von der „3uBeren Welt*
ausmacht, als deren Vertreterin uns hier der Kurze halber die Physik
gelten mag. Man sieht schon hier, daB die Analogic abermals dne
vollkommene ist; doch laBt sie sich noch in lehrreicher Weise vertiefea
Setzen wir den Fall, es finde in einem Zimmer vor einem Beobachtef
eine starke elektrische Entladung statt, und durch diese werde in dnem
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 9
andem Zimmer vor einem andem Beobachter in einem Galvanometer
ein Strom induziert und eine Magnetnadei abgelenkt Dann l3Bt sich
die Aussage, es sei der eine Vorgang durch den andem hervorgerufen
worden, schon dadurch als ein physikalischer Satz, im Oegensatze zu
einem psychologischen, erweisen, daB ja in diesem Falle ein psycho-
logischer Zusammenhang gar nicht stattgefunden hat; denn gewiB
war die Entladungswahmehmung des einen Beobachters weder die
Ursache der Ablenkungswahmehmung des andem Beobachters, noch
stand sie sonst mit ihr in einem BewuBtseinszusammenhang. Oanz
ebenso nun ist auch die Aussage, ein Satz des Koran sei einem Satze
des Rigveda gerade entg^engesetzt, schon deshalb gewiB ein logischer
und nicht ein psychologischer Satz, weil ja das Denken des Koran-
Verfassers und das des Rigveda-Verfassers (wenn keiner den Gedanken
des andem kannte) unmdglich in einem psychologischen, d. h. in einem
BewuBtseinszusammenhange miteinander stehen konnen. Setzen wir
nun andererseits, eben jene Entladungs- und AblenkungsvorgSnge
hatten vor je zwei Beobachtem stattgefunden, so ersieht man den
nicht-psychologischen Charakter jener Aussage wiedemm daraus, daB
trotzdem geradeso wie fruher nur eine (urs^chliche) Beziehung zwischen
zwei Vorg&ngen ausgesagt wird, wahrend doch fOr die Psychologic
jetzt vier (subjektive) Wahmehmungen vorhanden sind, — somit daraus,
daB fiir die Physik die Einheit und Identitat des Wahrgenommenen
durch die psychologische Mehrheit und Verschiedenheit der Wahr-
nehmungsvorginge keineswegs aufgehoben wird. Oanz ebenso nun
wird der Logiker auch dann nur von zwei einander entgegengesetzten
Slitzen sprechen, wenn der Satz des Rigveda sich etwa im Homer,
der des Koran in der Bibel wiederfinden sollte, obwohl in diesem Falle
vier subjektive Gedanken an die Stelle von zweien getreten sind.
Auch fiir den Logiker wird mithin durch die Mehrheit und Verschieden-
heit der Denkvorginge die Einheit und Identitat des Oedachten nicht
berflhrt, und eine Aussage, welche diese Auffassung voraussetzt —
z. B. die Aussage flber den Gegensatz jener beiden Satze —
kann deshalb gewiB nicht eine psychologische, sondem nur eine
logische sein.
Wollen wir endlich das Siegel auf diese unsere Ansicht drucken,
so brauchen wir nur zu bedenken, daB unbestrittenermaBen die
Ordnungsbeziehungen, welche die Logik, und wiedemm jene, welche
die Psychologie zwischen Gedanken herstellt, voneinander verschieden
sind. Wir sprechen z. B. in der Logik von Begriffen, die einander
liber- und untergeordnet^ von Satzen, die hinsichtlich ihrer Geltung
10 NOOLCXjIE
durcheinander bedingt sind. Dergieichen findet sich in der Psycho-
iogie nicht: es wire sinnlos, zu sagen, eine BewuBtseinstatsache set
der andem iibergeordnet, oder es musse die eine gelten, wenn die
andere gelte. Andererseits handein wir z. B. in der Psychologie von
der zeitiichen Entwicicelung gewisser Oedanken und von den Gesetzen,
nach welchen die einen durch die andem kausai hervorgerufen warden.
Und diese Betrachtungsweisen finden wieder in der Logik keine An-
wendung, denn Begriffe, Satze und Beweise entwickein sich nicht in
der Zeit und kdnnen sich deshalb auch nicht wie Ursache und
Wirkung zueinander verhalten. Nun ist es ja gewiB nicht unmoglich,
aus denselben Giiedem auf Orund verschiedener Ordnungsbeziehungen
auch verschiedene Ordnungszusammenhange zu bilden, z. B. eine ge-
gebene Menge von Munzen sowohl nach ihrer GrdBe wie nach ihrem
Wert in je eine Reihe zu ordnen. Allein das ist doch undenkbar,
daB in solchem Falle die Ordnungsbeziehungen der einen Reihe auf
die Glieder der andern nicht mehr soilten angewandt werden konneiL
Wo vielmehr dieses stattfindet, da mussen, wie die Beziehungen, so
auch die Glieder beider Zusammenhange voneinander verschieden sdn.
So verhalt es sich z. B. auch mit der physikalischen und psycho-
logischen Ordnung der Wahmehmungen. Der Zusammenhang des
Wahrgenommenen wird u. a. durch raumliche Beziehungen konstituiert;
diese auf die subjektiven Wahmehmungsvorgange anzuwenden wSie
sinnios ; daraus folgt, daB jener erste Zusammenhang nicht ein solcher
von subjektiven Wahmehmungen ist; allein die Herstellung von Zu-
sammenhangen dieser letzteren Art erschopft zugestandenermaBen die
Aufgabe der Psychologie; daraus allein konnten wir folgem, daB
der Zusammenhang des Wahrgenommenen (der objektiven Wahr-
nehmungen) nicht Ergebnis psychologischer, sondern nur physikalischer
Arbeit sein kann. Ebenso nun in unserem Falle. Es ist unwider-
sprochen, daB der psychologische Zusammenhang aus subjektiven
BewuBtseinserlebnissen und nur aus ihnen besteht; nun finden sich
an dem Zusammenhange des Gedachten (der objektiven Gedanken)
Beziehungen, die, wie oben dargetan, auf subjektive Gedanken und
uberhaupt auf subjektive BewuBtseinserlebnisse in keinem verstind-
lichen Sinne angewandt werden konnen; somit konnen die Glieder
des Zusammenhanges des Gedachten (die objektiven Gedanken) nicht
subjektive BewuBtseinserlebnisse, mithin auch nicht Glieder des psycho*
logischen Zusammenhanges bilden; dann aber kann, da eine andere
Wissenschaft nicht in Frage kommt, dieser ihr Zusammenhang nur
ein logischer sein.
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOOIE 11
Man mag also die Sache drehen, wie man will: stets zeigt sich, daB die
wissenschaftliche Herausarbeitung eines Zusammenhanges der ob^
jektiven Gedanken eine logische und nicht eine psychologische Auf-
gabe ist
3) Wir haben der Darl^^ng dieses Sachverhaltes so vid Raum gewidmet,
well sich ihm eine weit verbreitete Ansicht entg^[ensetzt Dieser zufolge
ist die wissenschaftliche Bearbeitung der objektiven Gedanken ebensogut
Psychologic wie die der subjektiven Gedanken; wenn man fQr sic den
Namen Logik beibehalten will, so muB diese jedenfalls als ein Zweig der
Psychologic gefaBt werden ; vielleicht ist audi die Scheidung des Gedachten
vom Denken uberhaupt zu beseitigen, jedenfalls aber gibt es von Gedanken
als solchen nur Eine Wissenschaft, und das ist die Psychologie Man be-
zeichnet diese Lehre als (logischen) Psychologismus.
Ein verstandiger Vertreter dieses ^psychologistischen'' Standpunktes konnte
gegen unsere bisherigen Ausfuhrungen etwa das Folgende einwenden : „Wenn
zwischen den logischen und den psychologischen Beziehungen der Gedanken
allgemein ein Unterschied gemadit wird, so mag dies zwar beweisen, daB
zwischen beiden ein Unterschied besteht, jedoch nicht, daB dieser Unter-
schied mit dem von Subjektiv und Objektiv zusammenfallt; vidmehr konnen
ihm verschiedene Arten des Subjektiven zu Grunde liegen. Und so verhalt
es sich wirklich. Ohne Zweifel liegen unsem Aussagen uber logische
Ordnungsbeziehungen andersartige BewuBtseinserlebnisse zu Grunde als den-
jenigen fiber psychologische Ordnungsbeziehungen im engeren Sinne Wenn
wir z. B. sagen, daB zwei SUtze einander widersprechen, so heiBt dies, daB
wir bei dem Versuche, sie beide fur wahr zu halten, ein gewisses eigen-
tiimliches Widersprudiserlebnis erfahren. Wir haben es demnach doch audi
in diesem Falle* allein mit subjektiven BevoiBtseinserlebnissen zu tun : sowohl
das Denken der beiden ,widersprechenden< Gedanken wie das Widerspruchs-
erlebnis sind doch sicherlich psychische Tatsachen. Die ,logischen< und
die ,psychologischen' Beziehungen der Gedanken unterscheiden sich somit
nur durch die Art der Beziehung zwischen subjektiven BewuBtseinserleb-
nissen : im zweiten Falle folgen etwa diese Eriebnisse auf einander oder werden
durcheinander bewirkt, im ersten ist ein Beziehungs-, z. B. ein Widerspruchs-
eriebnis zwischen sie eingeschoben. Daraus erklart sich zugleich, in welchem
Sinne ,logische' Beziehungen zwischen Gedanken ausgesagt woxlen kdnnen,
die nicht in einem ,psychologischen' Zusammenhange stehen. Damit namlich
eine solche ylogische' Beziehung von ihnen ausgesagt werden kdnne, mussen
sie doch beide in dem Einen BewuBtsein des Aussagenden zusammengeh-offen
sein. Der Gedanke im Rigveda und der Gedanke im Koran widersprechen
einander nicht, solange ich sie nicht beide nach-gedacht habe — denn ebenso-
lange hat auch kein Widerspruchserlebnis stattgefunden. Dieses Eriebnis
tritt erst ein, sobald ich beide Gedanken denke, d. h. aber, sobald sie auch
in Einen ,psychologischen' Zusammenhang geraten; und nichts anderes
12 NCX)L001E
meine ich, wenn ich jenen Widerspruch aussage Auch sieht man Iddi^
weshalb jeder dieser Gedanken seine Einheit und Identiiat bewahrt, audi
wenn dem Rigveda Homer, dem Koran die Bibel an die Seite tritt Denn
da sich gar nicht die Gedanken in den Kdpfen dieser Autoren, sondero
vidmehr meine korrespondierenden Gedanken widersprechen, so ist es ganz
gleichgfiltig, wie zahlrdch jene Kdpfe sein mdgen: in meinem BewuBt-
sein ist doch jeder von bdden Gedanken nur einmal vertrden, und nur in
meinem BewuBtsein ereignd sidi das Widerspruchserlebnis, auf Grund
dessen ich jene Widerspruchsbeziehung aussage. Im ubrigen ist nicht zu
leugnen, dafi wir die Gewohnhdt haben, unsere Gedanken nach ihrem
logischen Gehalt, namlich unsere Gedanken, sofem sie durch solche Jogische*
Beziehungserlebnisse verknupft sind, zu objektivieren, d. h. sie so zu be-
trachten, als ob sie etwas von ihrem Gedaditwerden Unabhangiges wareiL
Und dies tun wir ohne Schaden, da es ja fur ihre logischen Beziehungen
gar nicht in Betracht kommt, von wem, zu wdcher Zeit und unter wdchen
Umstanden sie gedacht wurden; denn mdn Urteil uber jene Beziehungen
wird gar nicht von all diesen Umstanden bestimmt, sondem allein von den
Beziehungserlebnissen, die ich sdbst erlebe, wenn ich diese Gedanken nach-
denke Dabei aber ist ein doppdtes zu beachten. Einerseits, daB infolge
der Allgemeinheit dieser Objektivierung der Sprachgebrauch es nicht mehr
gestattet, die ,logischen< Beziehungen von den subjektiven Gedanken sdbst
auszusagen, vidmehr eine solche Aussage nur von ihren Objektivierungen
zulaBt Es heiBen deshalb z. B. nicht mehr zwei subjektive Urteilsakte sdbst
widersprechend, an die sich ein Widerspruchserlebnis knupft, sondem wider-
sprechend heiBen allein zwei objektivierte Satze, — allein doch nur dann, wenn
an die ihnen entsprechenden subjektiven Urteilsakte ein solches Wider-
spruchserlebnis sich heftet Dies ist der einfache Grund dafur, daB logische
Beziehungen nicht von subjektiven BewuBtsdnserlebnissen ausgesagt werden
k5nnen. Denn dies wurde nach jenem Sprachgebrauche voraussetzen, daS
sie objektivierte Gedanken seien, denen subjektive und durch ein logisdies
Beziehungserlebnis verknupfte Denkvorgange zu Grunde liegen — wdches
naturlich nie der Fall sein kann. Andererseits aber ist festzuhalten, daS
doch alle solche Aussagen logischer Beziehungen zwischen objektivierten
Gedanken nur einen Sinn haben, insofeme die sie fundierenden subjektiven
Denkvoi^gange mit jenen gleichfalls subjektiven Beziehungserlebnissen ver-
knupft sind. Die Aussage z. B., zwei Satze widersprachen einander, hat
einzig und allein den Sinn, daB bei dem Versuche, beide Satze zugldch
fur wahr zu halten, ein Widerspruchserlebnis auftrde, und sie ware voO-
kommen bedeutungslos und unverstandlich, wenn es solche Widerspnichs-
erlebnisse uberhaupt nicht gabe Daher ist in Wahrheit doch alles, was
die Logik formell uber Beziehungen objektiver Gedanken aussagen mag,
materidl auf die Lehren der Psychologic g^rundet, namlich auf ihre Satze
fiber jene Beziehungserlebnisse, welche die jenen objektiven Gedanken
entsprechenden subjektiven Denkvorgange mitdnander verknupfen. Die
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 13
Logik ist somit hinsichtlich ihres ganzen Inhalts in der Tat ein Zweig der
Psychologie"
An alledem nun ist ohne Zweifd vid Wahres, das sich uns im Ver-
laufe unserer noologischen Untersudiungen bestatigen wird. Allein das
Wesentlidie unserer friiheren Darl^^ngen wird dadurch, wie mir scheint,
jn kdner Weise beruhrt Vor allem ist das Zugestandnis wertvoll (von
dem ich nidit sehe, wie man sich ihm sollte entziehen kdnnen), daB wir
^die Qewohnheit batten, unsere Oedanken nadi ihrem logischen Oehalte
zu objektivieren^ In diesem Zugestindnis namlich halten wir die Aner-
kennung der Tatsache fest, daB die logisdien Aussagen sidi formell nicht
auf subjektive, sondem auf objektive Gedanken beziehen. Wenn jedodi
■der Oegner die Tragweite dieser Einraumung dadurch herabzusetzen mdnt,
daB er statt von „objektiven'' vidmehr von ^objektivierten'' Gedanken spridit
und diese „Objektivierung^ auf eine bloBe „Gewohnheif' zuruckfuhrt, wie
denn auch nur ein „Sprachgebrauch^ der Anwendbarkdt jener logisdien
Aussagen auf die subjektiven Denkvorgange selbst im Wege stehen soil, —
so sdieinen uns diese Auskiinfte wenig zu besagen. Denn zunldist er-
kennen wir in ihnen deutlich jene Verwedisdung analytischer und
genetischer Ausdrucksweisen , und spezidl jene psychogonische
Spekulation, die unslangst(§ 10. 5 und 37. 3) nicht im gunstigsten Lichte
erschien. Von dner Objektivierung im genetischen Sinne namlich durfte
man doch nur sprechen, wenn wirklich ein soldier Vo^gang in concreto
nachgewiesen, und wenn insbesondere gezdgt werden kdnnte, daB in der
Entwickdung des Einzdnen oder wenigstens der Gattung die Gedanken
zuerst als subjektive nDenkakte'' und erst spater als objektive ^Denkobjekte^
erlebt worden sind. Dies aber hat nidit nur nie jemand dargetan, sondem
€S widerspricht auch dem von uns schon oft (z. B. § 11. 7, 21. 9 und
39. 5) erwahnten Prinzip, demzufolge das Objektive stets fruher als das
Subjektive die Aufmerksamkeit auf sich zieht In der Tat uberwiegt denn
auch gerade auf primitiven Stufen der individudlen und generdlen Ent-
wickdung das logische Interesse an den Gedanken ohne jeden Zweifd die
psychologische Betrachtung des Denkens. Im analytischen Sinne dag^;en
besagt der Ausdruck objektivierte Gedanken gar nichts anderes als der
andere objektive Gedanken: namlich die Tatsache, daB objektive und sub-
jektive Gedanken ganz allgemein als vondnander verschieden gedacht und
erlebt werden. Daher bilden denn auch nicht diese Auskunfte den Kern
der g^^erischen Argumentation, sondem vidmehr der Gedanke: die
logischen Beziehungen griindeten sich doch letztlich auf subjektive Be-
ziehungserlebnisse, wdche selbst wieder mit subjektiven Denkerlebnissen
verkniipft seien, und der ganze Inhalt aller logischen Satze sd daher im
Omnde der Psychologic entlehnt Gegen diesen Gedanken aber ist nun
dnzuwenden: erstens, daB er aus einer Voraussetzung etwas schlieBt, was
nicht aus ihr folgt, zweitens, daB er die Aussagen auf Gmnd eines Erleb-
nisses verwechsdt mit den Aussagen Qber dieses Erlebnis, und drittens, daB
14 NOOLOOIE
er, wenn uberhaupt etwas, dann viel zu viel beweisen wQrde^ nimlich dat
alle wissenschaftlichen Satze psychologische Satze, und alle Wissensdiaflen
Zweige der Psychologie sind. Wir mussen nun diese drei Punkte der
Reihe nach durchgehen.
Dabei wollen wir uns zunlchst ganz auf den psychologistisdien Stand-
punkt stellen : die Glieder des logischen Zusammenhangs soHen nicMs
anderes sein als ^objektivierte" Daten der Psychologie, und die logisciieii
Beziehungen nichts anderes als die auf diese ,,objektivierten" Elemente iibcr-
tragenen, von ihnen ausgesagten psychologischen Relationen, wie sie zwisdicn
den entsprechenden subjektiven Denkerlebnissen bestdien. Trotzdem nvai,
sage ich, wiirde daraus nicht folgen, daB die Logik ihren ganzen Inhatt
der Psychologie entlehne Und zwar aus dem einfochen Grunde» weil ubcr
alles das, was nun an diesem logischen Zusammenhang die eigentumlidic
Folge der ^Objektivierung'' selbst ist, die Psychologie keine RechensduA
mehr geben kann. Denn gerade wenn man meint, die Objektivitat docs
Gedankens beruhe darauf, daB man von den zeitlichen und individudlen
Umstanden seines Gedachtwerdens absehe, und ihn so betrachte, als wire
er von ihnen unabhangig, — gerade dann sollte man nicht verkennen, daB
man eben damit beschlossen hat, von vielen psychologischen Eigenschatten
und Verhaltnissen dieses Gedankens abzusehen, und ihn in vielen Hin-
sichten nicht unter psychologischen Gesichtspunkten, vielmehr als auBerlialb
des psychologischen Zusammenhanges stehend zu betrachten. Ud>er alks
dasjenige nun, was infolge dieses Absehens vom Psychologischen alien
„objektivierten" Gedanken gemeinsam eigentumlich ist, kann man doch
nicht wieder von der Psychologie selbst Aufklarung verlangen und erwarten
— ebensowenig, als es jemandem einfallen wird, alle Satze der Perspddive
(als wdche durch das Absehen von der Korperlichkeit gekennzeichnd ist)
der Stereometric, mithin der Wissenschaft von den Korpem, entlehnen ai
wollen. Vielmehr ist es auch unter diesen Voraussetzungen Idar, daB die
Logik eine ganze Reihe, ja vidleicht ein ganzes System von Satzen ent-
halten wird, die gar nichts anderes aussagen als das eigentiimliche Wesen
der Objektivierung selbst, d. h. der Abstraktion vom Psychologischen; und
diese konnen doch gewiB nicht wiederum der Psychologie entlehnt san*
So steht es z. B. gleich mit jenem ersten Prinzip der Logik, das man den
Satz der Identitat (das principium identitatis) zu nennen und nicht sefar
glucklich A = A zu schreiben pfl^ das aber einen verstandlichen Sinn
doch wohl erst gewinnt, wenn man es dahin formuliert, daB inhaltsgldche
Gedanken fur die Logik numensch identisch sind; daB es fur sie nicfat
mehrere B^jiffe, Satze dc. gleicher Bedeutung geben kann ; oder eben, daB
fur die logische Valenz eines Gedankens alle zeitlichen und individudlen
Umstande seines Gedachtwerdens gleichgiiltig sind. Da mithin dieser Satz
gerade die Funktion hat, das psychologisch Viele und Verschiedene als dn
logisch Einheitliches und Identisches zu setzen, und uberhaupt fur die
Olieder des logischen Zusammenhangs jeden psychologischen Zusammcn*
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 15
hang zu negieren und sie so aus ihm herauszuheben, so ware es absurd,
ihn selbst wieder als einen psychologischen Satz bezeichnen und aus der
Psychologic herleiten zu wollen. Und wenn es vielleicht schwierig sein
mdchte, noch einen anderen logischen Saiz zu nennen, der — nach den
hier zugesfandenen Voraussetzungen — ebenso wie dieser vollstandig frei
von psychologischem Stoffe ware, so versteht sich doch von sdbst, daB
alle Satze, welche auf diesem Satze ruhen, und d. h. eben alle logischen
Satze, zum mindesten gedankliche Momente enthalten miissen, die auf diese
antipsychologische Basis sich grunden und daher nicht psychologischen
Ursprungs sein kdnnen. Gleich der Satz des Widerspruchs (das
principiam contradidionis) z. B^ welcher aussagt, daB ein und derselbe Satz
nicht sowohl wahr als falsch sein kann, mag wohl zu dem psychologischen
Satze in Korrelation stehen, demzufolge ein und derselbe Mensch nicht zu
ein und dersdben Zeit ein und denselben Satz fur wahr und auch fur falsch
halten kann. Allein indem er, wie seine Fassung zeigt, die Einschrankung
auf Ein Individuum und Einen Zeitpunkt abstreift, zieht er eben die Konse-
quenz aus jenem im Satze der Identitdt ausgesprochenen eigentumlichen
Wesen der Objektivierung; dieses Plus aber, das er dem korrelaten psycho-
logischen Satze gegeniiber enthalt, kann auch der Psychologist nicht auf
eine psychologische Quelle zurfickfuhren wollen. Und leicht ist einzusehen,
daB ihnliche Verhaltnisse wie in dem zuletzt besprochenen Falle sich auch
an alien anderen logischen Satzen wiederholen, nur daB die Differenz g^;en
die korrelaten psychologischen Satze in den verschiedenen Einzdfallen von
sehr verschiedener Tragweite sein mag.
Wir haben hier von einer Korrelation logischer und psychologischer
Satze gesprochen. Der Psychologismus b^^nugt sich damit nicht, und
statuiert vielmehr eine Derivation der ersteren von den letzteren. Denn ihm
steht es fest, daB die logischen Beziehungen, die in jenen ausgesagt werden,
nichts anderes sind als die psychologischen Beziehungen, von welchen
diese handeln, nur ubertragen von den subjektiven auf die ^objektivierten'^
Gedanken : der „Sprachgebrauch" allein sollte es ja verhindem, die logischen
Beziehungen geradezu von den subjektiven Denkvorgangen auszusagen. Dies
alles haben wir bisher zugestanden ; jetzt dagegen muB diese Ansicht selbst
gepruft werden. Und da behaupten wir denn, daB diese Meinung durch-
aus auf einer Verwechslung von Aussagen aufOrund eines Erleb-
nisses mit Aussagen uber dieses Erlebnis beruht, und daB in Wahrheit
die logischen Beziehungen von den „korrelaten" psychologischen durchaus
verschieden sind. Uns namlich stdlt sich die Sachlage folgendermaBen dar.
Die logischen Satze sagen Beziehungen zwischen objektiven Gedanken (z. B.
den Widerspruch zweier Satze) aus auf Grund von Beziehungserlebnissen,
Oder, wie wir ja nach langst gewonnenen Ergebnissen (§ 27) bestimmter
sagen kdnnen, auf Grund von Relationsgefuhlen. Diese Beziehungs-
erlebnisse (Relationsgefuhle) kdnnen natiirlich selbst wieder zum Gegenstande
von Aussagen gemacht werden, und diese Aussagen werden psychologische
16 NCX)LCXjIE
Satze darstdlen. Allein diese psychologischen Satze sind nun ganz andeit
Satze als die urspriinglich g^;€J)enen logischen Satze. Es sd z. B. gegcben
der logische Satz: die S&tze A and B widersprtchen einander. Dann kaim
der korrdate psychologische Satz nur tauten : in jedem Menschen wird dtr
Versuch, A and B zugleich fdr wahr zu haUen, von dnent WiderspntdiS'
eriebnis begleitet. Und uns wenigstens scheint es, wie wir gldchfalls sdioo
friiher einmal (§ 27. 1) angedeutet haben, evident, daB diese beiden Site
ganz verschiedene Satze sind ; namlich ebenso evident, wie daB die in beidci
Satzen ausgesagten Beziehungen ganz verschiedene Beziehtingen sind; tmd
zwar verschiedene Beziehungen sowohl nach der Beziehungsart als audi
nach den Beziehungsgliedem. Denn der logische Satz sagt dne Beziciiuiig
des Widersprechens aus von zwei Oliedem (den Satzen A und B)^ der
psychologische Satz aber eine Beziehung der Gleichzeitigkdt zwisdien dra
Gliedem (dem Widerspruchsgefuhl, dem FurwahrhaltenwoUen des Satzes A
und dem des Satzes B). Will man dieses Verhaltnis sich noch mehr ver-
deutlichen, so mag es zweckmaBig sein, auf die seinerzeit (§ 27) von ii»
verwendete Symbolisierungsweise zurtickzugreifen, der zufolge wir die R^
lationen mit r, die Relationsgefuhle mit p bezeichnden. Abstrahieren wir
nun auch vdllig von der Verschiedenheit objektiver und subjektiver (k-
danken, d. h. von dem Unterschiede, der zwischen den Satzen A und B
einerseits, dem FurwahrhaltenwoUen dieser Satze anderersdts dodi un-
leugbar besteht, und unterscheiden nur die verschiedenen Relationen und
Relationsgduhle als r,, rj und p,, p,, so mussen wir doch die in dem
logischen Satze ausgesagte Beziehung durch r, (A B), die in dem korrdaloi
psychologischen Satze ausgesagte dagegen durch rj (A B p,) wiedeigebea
Naturlich hilft es auch gar nichts, von den ausgesagten Rdationen auf die
diese Aussage fundierenden Relationsgefuhle zuruckzugehen ; denn audi
dann bliebe der psychische Komplex p, (A B) von dem anderen p,
(A B pi) charakteristisch und unaufheblich verschieden, da ja sdbstverstuid-
licherweise das Relationsgefuhl, auf Orund dessen die Gleichzdtig^kdt von
A, B und Pi ausgesagt wird, von jenem, das die Aussage: A und B wider-
sprechen einander, fundiert, ganzlich unterschieden ist Alldn hiezu kommt
nun noch, daB in Wahrheit ja doch auch die „objektivierten*< Qedanken
von den subjektiven Denkvorgangen getrennt werden mussen. Eigentlich
mussen deshalb die beiden Relationen: r, (Aj B,) und rj (A, B, p,X die
beiden Relationsgefuhle: p, (Ai B,) und p2 (Aj Bj pi) geschrid>en werden.
Wenn es sich indes hier um zwei Satze handelt, die von ganz anderen
Gliedem ganz andere Beziehungen aussagen, so ist es klar, daB keinesw^gSi
wie der Psychologismus wollte, nur der „Sprachgebrauch" es verbietet, die
(logischen) Beziehungen der einen Art von den Gliedem der (psydio-
logischen) Beziehungen der anderen Art auszusagen; sondem dies ist dn-
fach deshalb unzulassig, weil das jene Beziehungen fundierende Rdations-
gduhl (pi) die Glieder dieser Beziehungen (A2 B2) iiberhaupt nic duuak-
terisiert, sondem nur mit ihnen zusammen durch dn von ihm ganz ver-
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 17
I schiedenes Relationsgefuhl (P2) charakterisiert wird i). Sind jedoch so beide
■ Satze nach ihren G^enstanden und nach ihrem Inhalt voneinander verschieden,
I wie kann dann der Umstand, daB der eine von ihnen — namlich jener
i fiber r2 (A2 Bj Pi) — ein psychologischer Satz ist, die Behauptung be-
p grunden, daB auch dem anderen — namlich dem fiber r, (Aj Bj) — diese
•J Eigenschaft zugesprochen werden mfisse? Wir kdnnen nns aber diesen
, Sachverhalt auch noch auf eine andere und allgemeinere Art naher bringen.
I Wie namlich schon ofter angedeutet wurde, ist das Verhaltnis des logischen
J Satzes zu dem korrelaten psychologischen einfach dasjenige, das fiberhaupt
I
I
zwischen Aussagen ,^uf Grund'< eines Erlebnisses und Aussagen ^fiber'*
dieses Erlebnis besteht Und zwar haben wir ja dieses Verhaltnis, insofem
es sich dabei speziell um Geffihlserlebnisse handelt, an jener Stelle (§ 39. 3)
schon flfichtig kennen gelemt, an der wir von den verschiedenen Arten der
Charakterisierung handelten. Wir sahen da zunachst: ein Geffihl —
mithin auch ein Relationsgeffihl — kann Vorstellungen einmal so charak-
terisieren, daB es an ihnen, oder an den aus ihnen bestehenden Komplexen,
eine Eigenschaft bestimmt, eine Aussage fiber sie ermdglicht; das ist die
Aussage „auf Grund" des Geffihls, und in diesem Fall sprachen wir (ab-
gesehen von den besonderen Fallen der Endopathie und Adjektion) von
determinierender Charakterisierung. Die Charakterisierung kann indes
auch so beschaffen sein, daB das Geffihl nur als solches zum BewuBtsein
kommt, bloB eine Aussage fiber sich selbst veranlafit; das ist die Aussage
^fiber*' das Geffihl, und hier sprachen wir von konkomitierender
Charakterisierung. So wenig nun determinierende und konkomitierende
Charakterisierung zusammenfallen, so wenig sind Aussagen auf Grund eines
Geffihls und Aussagen fiber dieses Geffihl dasselbe. Das einzige, was man
zwischen beiden anerkennen kann, ist eine gewisse Korrelation. Allein
welcher Art ist diese? Kann man sie etwa naher dahin bestimmen, daB
die Aussagen „auf Grund" von den Aussagen „fiber", somit die deter-
minierende von der konkomitierenden Charakterisierung abgeleitet werden
konnte? Da sahen wir denn weiter (§ 39. 5), daB der Sachverhalt dem-
jenigen gerade entgegengesetzt ist, den die Bejahung dieser Frage in ihrem
einzig verstandlichen Sinne voraussetzen mfiBte. Logisch „ableitbar" namlich
sind Erlebnisse verschiedener Art und Aussagen disparaten Inhalts von-
einander fiberhaupt nicht; genetisch „abgeleitet" dag^en kann nur die
Konkomitanz aus der Determinierung, demnach auch nur die Aussage „fiber"
aus der Aussage „auf Grund" werden. Denn psychogonische Spekulationen
wollen wir uns ja versagen (§ 37. 3), und von genetischen Verhaltnissen
nur insoweit reden, als sie der Beobachtung zuganglich sind (§ 37. 6). In
diesem Sinne aber, fanden wir, sei kein Zweifel, daB die objektivierende
Funktion der Geffihle vor ihrer subjektivierenden stets vorhergehe; denn
') Daruber, in welchem — nicht ganz strengen — Sinne fiberhaupt von der
Charakterisierung Eines Oefuhls durch ein anderes gesprochen werden kann, vgl.
vorderhand § 39. 4.
Oomperz, WeltinsduumiisBlehre Hi 2
18 NOOLOOIE
nur die merkwurdige, schon dfter (§ 21. 9 und 17, § 35. 4) von uns er-
wahnte Erscheinung der Reflexion, oder doch zum mindesten eine init
dieser Erscheinung einigermafien verwandte Art der Aufmerksamkeit, vcr-
wandle jene in diese. Daran, dafi alle Aussagen ,,auf Grund^ von Aus-
sagen ^uber'' abgeleitet waren, fehlt deshalb so viei, daB man vielmehr b^
haupten darf, jede Aussage „uber" setze eine solche ,,auf Qrund'' vonuis;
denn nur, indem auf diese letztere reflektiert oder doch in ahnlicher Wetse
geachtet wird, kann der AnlaB zu jener ersteren geschaffen warden. Dies
ailes nun findet auf unseren Fall seine Anwendung. DaB logische Siize
„auf Qrund" von Relationsgefuhlen und psychologische Satze „ubei^ di^
selben verschiedene Inhalte haben und nur in einem Verhaltnis der Korre^
lation zueinander stehen, ist oben schon gezeigt worden. Allein audi
diese Korrelation kann nun in keiner Weise als eine „Ableitung<* oder „Eiil-
lehnung*' der logischen Satze aus der Psychologic gedeutet werden. Denn
die Behauptung, daB die logischen Beziehungseriebnisse (z. B. das Wider-
spruchsgefhhl) als solche, somit als Daten der Psychologic, friiher ins B^
wuBtsein fielen denn als Grundlagen der logischen Verhaltnisse (z. B. des
Widerspruchs) — diese Behauptung wurde aller Erfahrung ins Oesidit
schlagen, mag man nun das „fruher'' auf die individuelle oder auf die
generelle Entwickelung beziehen. Es ist ja z. B. bekannt, wie ungeman
fruh die Kinder gegen Widerspruch empfindlich werden: mit der Ung^
rechtigkeit zusammen (die ubrigens wohl hauptsachlich gleichfalls als Wider-
spruch gegen die festgesetzte Norm, das gegebene Wort etc. verstanden
wird) gehort er wohl zu den allerersten Abstraktionen des Kindesalters. Ein
Knirps kann noch kaum ordentlich reden, und wirft schon mit Ausdriicken
wie „Du hast doch gesagt^' um sich, mit denen er wirkiiche oder vermdnt-
liche Widerspruche aufdeckt. Und verlangt man nach der phylogenetisdieo
Parallele, so werfe man einen Blick in die Verse des Parmenides.
Wollte man dagegen zu jenem Kind oder diesem Denker von Wider-
spruchsgefuhlen reden, so wurden sie ohne Zweifel verstandnislos den
Redenden anglotzen. Auch hier entstehen vielmehr offenbar die Aussagen
„uber** die logischen Relationsgefuhle erst durch Reflexion auf diejenigen ^auf
Orund" solcher Qefuhle, folglich die konkomitierende durch Reflexion auf
die determinierende Charakterisierungsart. Allein jene Aussagen sind psycho-
logische, diese logische Satze. Wollte man daher durchaus darauf bestefaen,
das Korrelationsverhaltnis zwischen diesen beiden Satzarten in ein Deri-
vationsverhaltnis umzusetzen, so konnte man hochstens sagen ^ daS die
Psychologic diesen Teil ihrer Satze der Logik „entlehne". Indes, noch
Eines muB hier bemerkt werden. Das Verhaltnis von Aussagen tfiha*
und „auf Qrund" beschrankt sich ja nicht auf solche Falle, in denen es
sich um ein Gefuhlserlebnis handelt Und vielleicht geben jene anderen
Falle, in denen an die Stelle des Oefuhls eine Vorstellung tritt, ein nodi
starkeres Argument fur unsere Position ab. Man setze z. B., ein Forschungs-
reisender hatte im Innem Afrikas ein hohes, schneebedecktes Gebirge er-
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOOIE 19
biickt, und darauf in seinen Reisebericht geschrieben: in jener G^end be-
finden sich Schneeberge. Dieser Satz ist eine Aussage ,^uf Grund" jenes
Eriebnisses. Dag^en die Aussage „uber*' dieses Eriebnis wiirde etwa lauten :
der Forschungsreisende X. Y. hat an einem bestimmten Tage die Wahr-
nehmung ^Schneeberge" gehabt. Nun ist dieses ohne Zweifel ein psycho-
iogischer Satz. • Allein wird irgend jemand deswegen sagen, jener erste sei
gleichfalls ein psychologischer Satz? Vielmehr sind alle Menschen daruber
einig, daB es ein geographischer Satz ist Auch wird ihnen nicht zweifei-
haft sein, daB dieser geographische Satz in zeitiicher Beziehung jenem
korrelaten psychologischen Satze unter normalen Umstanden vorherg^[angen,
und daB dieser durch Reflexion auf jenen zuerst entstanden sein wird. Nach
den konsequenten Grundsatzen des Psychologismus dagegen mufite man
vielmehr sagen, da jener sogenannte geographische Satz nur auf Grund
eines Wahmehmungserlebnisses ausgesagt werde, welches an sich ein
psychologisches Datum und Gegenstand eines korrelaten psychologischen
Satzes sei, so sei er von diesem letzteren ,,abgeleitet" und in Wahrheit der
Psychologic „entlehnt", und da die Verhaltnisse hinsichtlich aller „geo-
graphischen" Satze prinzipiell ganz ebenso lagen, so sei in Wahrheit die
sogenannte Geographic nichts anderes als ein „Teil" oder „Zweig" der
Psychologic!
Damit sind wir zu dem dritten Punkte gelangt, den wir ausfuhren
wollten. Auf alles bisher Ausgefuhrte namlich kdnnte der Psychologismus
etwa immer noch erwidem, wenn auch die logischen Satze den korrelaten
psychologischen zeitlich vorangehen und deshalb ihnen gegenuber das
„fur uns Fruhere" (Trpotepov 7rp6^ 'hV'^^) darstellen mogen, so seien doch diese
letzteren, da sie „uber** jene Erlebnisse handelten, „auf Grund" deren allein
jene ersteren ausgesagt werden konnten, das „an sich Fruhere** (Trpdtepov
fuaet), und in diesem Sinne k5nne die psychologistische Deutung der
Korrelation als Derivation aufrecht erhalten werden. Wir wollen nun auf
diese Einwendung eine ganz allgemeine Antwort erteilen. Es ist namlich
doch gar nichts der Logik Eigentumliches, daB sowohl die Glieder als
auch die Beziehungen des von ihr hergestellten Ordnungszusammenhangs
y,auf Grund" von BewuBtseinstatsachen ausgesagt werden, die auch zu Satzen
^uber'^ sie selbst den Anlafi geben und so zu psychologischen Daten
werden k5nnen. Vielmehr ist es ja ganz selbstverstandlich, daB alle wissen-
schaftlichen Satze ohne Ausnahme sowohl hinsichtlich der Tatsachen, welche
ihre Subjekte, als auch hinsichtlich der Ordnungsbeziehungen , die ihre
Pradikate ausmachen (§ 5. 4), korrelate BewuBtseinstatsachen voraussetzen,
In denen wir jene Tatsachen und Ordnungsbeziehungen (rezeptiv oder
reaktiv) „erfahren"; denn ohne solche Erfahrungen konnten wir von jenen
Tatsachen nichts wissen und das Wesen dieser Beziehungen nicht verstehen.
Diese Einsicht ist auch ganz unabhangig von der Antwort, die der Einzelne
auf die Frage zu geben geneigt sein mag, wie sich diese Erfahrungen zu
Jenen Tatsachen und Beziehungen ontologisch verhalten mogen; denn
20 NOOLOGIE
m5gen diese letzteren an sich noch so objektiv und von ihrem Eifahren-
werden unabhangig sein: von uns kdnnen sie doch jedenfails nur in Be-
wuBtseinserlebnissen erfafit werden — mogen sie nun diese erzeugen, von
ihnen erzeugt werden oder mit ihnen uberhaupt zusammenfallen. ^Ueber"
jedes solche BewuBtseinserlebnis sind nun naturlich wieder psychologisdie
Satze moglich, die somit zu jenen Satzen anderer Wissenschaften, welche
,^uf Grund" derselben BewuBtseinserlebnisse ausgesagt werden, Korrdale
darstellen. Sollte also dieses Verhaltnis geniigen, um den psychologischen
Satz als den ,^n sich fruheren", und jene anderen Satze als ,^us der Psycho-
logic entlehnt*' zu erweisen, dann mufite man diese Behauptung auf samt-
liche wissenschaftliche Satze uberhaupt ausdehnen und schlechthin alle
Wissenschaften als Teile oder Zweige der Psychologic betrachten. In der
Tat lassen sich z. B. alle Argumente, die wir fruher dem logischen Psycho-
logisten in den Mund legen mufiten, ganz ebensogut auch zum Erweis
der These verwenden, daB die Physik ein Teil der Psychologie sd
Allerdings, muBte man dann sagen, seien die sogenannten physikalischen
Beziehungen, z. B. das raumliche Nebeneinander, von den psychologischen
verschieden, und dies moge allerdings dafur sprechen, daB beiden ver-
schiedenartige Beziehungserlebnisse zu Grunde liegen. Dies andere aber
nichts daran, dafi doch beide subjektive Erlebnisse seien, wie denn z. B.
jenes eigentumliche Eriebnis des Nebeneinander, das bei der gleichzeitigen
Wahmehmung gewisser „Gegenstande" auftrete, gewiB nicht weniger sub-
jektiv sei als das Eriebnis des Nacheinander, das die Folge mehrerer Vor-
stellungen begleite, oder als jene Wahrnehmungen selbst. Wenn femer
die Physik physikalische Beziehungen auch zwischen solchen Wahr-
nehmungen anerkenne, die gar nicht in Einem BewuBtsein zusammen-
treffen, wenn sie z. B. von einer raumlichen Entfemung zwischen zwei
Korpem spreche, die von verschiedenen Beobachtern wahrgenommen
wurden, so erklare sich dies einfach daraus, daB eben beide Wahrnehmungen
schlieBlich in dem BewuBtsein des aussagenden Physikers zusammengetroffen
seien. Denn jene Korper seien nur insoferne „nebeneinander", als der
Physiker jene beide Wahrnehmungen wiederholt oder doch reproduziert,
somit jedenfails beide Korper als nebeneinander befindlich vorgestellt, dn
Eriebnis des Nebeneinander in Bezug auf sie gehabt habe. Ebenso leuchtc
ein, mit welchem Recht man jeden dieser Korper auch dann als eine identische
Einheit auffasse, wenn er von mehreren Individuen wahrgenommen worden
sei. Da namlich gar nicht die isolierten Wahrnehmungen in jenen Individuen
„nebeneinander** seien, sondem erst die entsprechenden Vorstellungen des
Physikers, so kame die Zahl jener Wahrnehmungen gar nicht in Betracht;
denn in dem BewuBtsein des Physikers, in welchem allein das Eriebnis des
Nebeneinander stattfinde, sei jede von jenen Vorstellungen nur einmal ver-
treten. Im ubrigen sei es freilich richtig, daB wir die Gewohnheit hatten,
unsere Wahrnehmungen nach ihrem physikalischen Gehalt zu objektivieren,
d. h. sie, insofem sie durch „physikalische*' Beziehungserlebnisse verkniipft
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 21
sind, so zu betrachten, als ob sie etwas von ihrem Wahrgenommenwerden
Unabhangiges waren; und dies geschehe in der Tat ohne Schaden, da ja
fur das Urteil des Physikers uber jene physikalischen Beziehungen allein
seine Beziehungserlebnisse bei der Wiederholung resp. Reproduktion der
fremden und eigenen fruheren Wahmehmungen in Betracht kamen, und
gar nicht die Frage, zu welchen Zeitpunkten und von welchen Individuen
jene Gegenstande etwa sonst noch wahrgenommen wurden. Nur auf diese
Gewohnheit der Objektivierung aber stutze sich der Sprachgebrauch, wenn
er es verbiete, die physikalischen Beziehungen (z. B. das Nebeneinander)
von den subjektiven Wahmehmungsvorgangen selbst auszusagen, ihre An-
wendbarkeit vielmehr auf deren Objektivierungen (die sogenannten Wahr-
nehmungsgegenstande) einschranke. Dadurch durfe man sich indes daruber
nicht tauschen lassen, daB alle jene Aussagen physikalischer Beziehungen
von objektivierten Wahmehmungen doch nur einen Sinn haben, insofem
mit den entsprechenden subjektiven Wahmehmungserlebnissen die korre-
laten Beziehungserlebnisse in der Tat verknupft seien. Die Aussage z. B.,
zwei Korper seien nebeneinander, habe allein die Bedeutung, da6 bei der
gleichzeitigen Wahmehmung oder doch Vorstellung derselben ein Erlebnis
des Nebeneinander vorkomme, wahrend, wenn es solche Eriebnisse uber-
haupt nicht gabe, jene Aussage vollkommen sinnlos und unverstandlich
ware. Hieraus gehe jedoch hervor, daB alles, was die Physik formell
uber physikalische Beziehungen objektiver Wahmehmungsgegenstande aus-
sage, materiell doch auf den Lehren der Psychologic beruhe, namlich auf
ihren Satzen uber jene Beziehungserlebnisse, welche die jenen „objektiven
Wahmehmungsg^enstanden" entsprechenden subjektiven Wahmehmungs-
vorgange miteinander verknupfen. Damit aber sei dargetan, daB die
Physik hinsichtlich ihres ganzen Inhalts wirklich ein Zweig der Psycho-
logic sei.
Es zeigt sich somit, daB das Prinzip des logischen Psychologismus zu
einer Konsequenz fuhrt, die den axiomatischen Voraussetzungen jeder Wissen-
schaftslehre widerspricht. Dann muB jedoch auch jede Wissenschaftslehre,
welche an diesen Voraussetzungen, namlich an der Unterscheidung meh rer er
Wissenschaften, festhalten will, den logischen Psychologismus unbedingt und
endgultig ablehnen.
4) Den Psychologismus findet man z. B. bei J. St. Mill vertreten, bei
dem es unter anderem heiBt^): Die Logik „ist nicht eine von der Psycho-
logic unterschiedene und ihr beigeordnete Wissenschaft Soweit sie uber-
haupt eine Wissenschaft [und nicht vielmehr eine Kunstlehre] ist, ist sie ein
Teil Oder Zweig der Psychologic, von der sie sich einerseits wie der Teil
vom Ganzen, andererseite wie eine Kunstlehre von einer Wissenschaft unter-
scheidet Ihre theoretischen Grundlagen sind durchaus der Psychologic
entlehnt" Ebenso nennt neuerdings Lipps 2) die Logik eine „Sonderdisziplin
der Psychologic^'; denn „die Logik ist eine psychologische Disziplin, so
Exam. S. 445. «) Logik S. 1 f.
22 NOOLOGIE
gewiB das Erkennen nur in der Psyche vorkommt, und das E>enken, das-
sich in ihm vollendet, ein psychisches Geschehen ist** ^). Andererseits findet
man die Ansicht, die ich fur richtig halte, schon bei Herbart klar und
scharf fomiulieil Da heifit es^: Man muB „eine Sonderung machen
zwischen Begriffen in logischer und in psychologischer Bedeutung. Jedes
Gedachte, bloB seiner Qualitat nach betrachtet, ist im
logischen Sinne ein Begriff [resp. Satz, Beweis etc, muBte man
hinzusetzen]. Dabei .... kommt nichts an auf das denkende Subjdct,
einem solchen kann man nur im psychologischen Sinne B^jiffe zueignen,
wahrend auBerdem der Begriff des Menschen, des Triangels u. s. w.
niemandem eigentumlich gehort. Ueberhaupt ist in logischer Bedeutung
jeder B^^riff nur einmal vorhanden; welches nicht sein kdnnte, wenn
die Anzahl der Begriffe zunahme mit der Anzahl der dieselben vorstdlen-
den Subjekte, oder gar mit der Anzahl der verschiedenen Akte des Denkens,
wodurch, psychologisch betrachtet, ein Begriff erzeugt und hervoi^gerufen
wird .... Die Begriffe sind etwas vollig Unzeitliches; welches
von ihnen in alien ihren logischen Verhaltnissen wahr ist, daher audi die
aus ihnen gebildeten wissenschaftlichen Satze und Schlusse fur die Alien
so wie fur uns — und am Himmel wie auf Erden — wahr sind und
bleiben. Aber die Begriffe in diesem Sinne, in welchem sie ein gemdn-
schaftliches Wissen fur alle Menschen und Zeiten darbieten, sind gar nichts
Psychologisches .... In psychologischer Hinsicht ist ein Begriff diejenige
Vorstellung [?], welche den Begriff in logischer Bedeutung zu ihrem Vor-
gestellten hat; oder, durch welche der letztere (das Vorzustellende) wirklich
vorgesteUt wird. So genommen, hat nun allerdings Jeder seine Begriffe
fur sich; Archimedes untersuchte seinen eigenen Begriff vom Krdse,
und Newton gleichfalls den seinigen, es waren dies zwei B^rnffe im
psychologischen Sinne, wiewohl in logischer Hinsicht nur ein einziger fiir
alle Mathematiker**. Und ebenso an einer anderen Stelle^): „ln der Logik
ist es notwendig, alles Psychologische zu ignorieren, well hier ledigiich
diejenigen Formen der moglichen Verkniipfung des Gedachten sollen nach-
gewiesen werden, welche das Gedachte selbst nach seiner Beschaffenheit
>) Weniger bedenklich ist es an und fur sich, wenn Stohr (Log. S. I u. V) er-
klart, die Logik lasse sich a u c h als „beschreibend psychologische Lenre vom Denkeo
auffassen", und in einer solchen „psychologisierenden Darstellung** werde dann jAit
sogenannte Loe[k . . . eigentlich zu einem ausgewahlten Telle der introspektiven
Psycholo^". ts fragt sich dann nur, ob es zweckmaBig ist, „auch" die Psydio-
logie des Denkens Lop'k zu nennen ? W ohl ebensowenig, als es zweckmaBig ware,
„auch" die Psychologic des Rechnens Arithmetik zu nennen. Doch zeigt gerade die
zum groBen Teil senr scharfsinnige Durchfuhrung des „psychologisierenaen Stand-
punktes'' bei Stohr, daB jene Benennung nicht nur unzweckmaBig, sondem audi
geradezu gefahrlich ist. Denn dem genannten Forscher werden in seiner „psydio-
logisierenden Darstellung** sehr viele logische Moglichkeiten zu psychologischen
wirklichkeiten. Weil z. B. ein Satz im Plural logisch als die „Kontaraktion^ vieler
Satze im Singular aufgefaBt werden kann, halt er audi psychologisch jcden
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOOIE 23
zulaBt Die erste Folge aus diesen Erklarungen ist der Satz, daB nicht zwei
B^jiffe vollkommen gleich sein k5nnen, sondem jeder gleichsam [?] nur
in einem einzigen Exeniplare vorhanden ist. Denn zwei gleiche B^^ffe
wurden sich in Hinsicht dessen, was durch sie gedacht wird, nicht unter-
scheiden; sie wurden sich also alsBegriffe uberhaupt nicht unterscheiden.
E)ag%en kann das Denken eines und desselben B^ffes vielmal wieder-
holt, bei sehr verschiedenen Oel^enheiten erzeugt und hervorgerufen, von
unzahligen Vemunftwesen vorgenommen werden, ohne da6 der Begriff
hierdurch vervielfaltigt wflrde." Dabei ist sehr bemerkenswert, da6 Herbart
der Gedanke durchaus fern li^ die objektiven Qedanken als fur sich be-
stehende Wesenheiten aufzufassen. Denn unmittelbar nach den zuletzt an-
gefuhrten Worten wamt er ebenso nachdrucklich davor, die „B^jiffe" als
y,reale G^^nstande", wie davor, sie als „wirkliche Akte des Denkens" zu
betrachten. Wie er sich vielmehr ihr Verhaltnis zu diesen letzteren denkt,
haben wir oben schon gehort; doch mag die Stelle^) in ausfuhriicherer
Fassung noch einmal hier stehen: „Unsere samtlichen Gedanken lassen sich
von zwei Seiten betrachten, teils als Tatigkeiten unseres Geistes, teils in
Hinsicht dessen, was durch sie gedacht wird. In letzterer Beziehung heiBen
sie Begriffe, welches Wort, indem es das Begriffene bezeichnet, zu
abstrahieren gebietet von der Art und Weise, wie wir den Gedanken
empfangen, produzieren oder reproduzieren mogen." Wenn also Herbart
auch vielleicht nicht vollig von jeder ontologischen Ausdeutung des Tat-
bestandes absieht, so hat er doch jedenfalls das relativ beste Teil erwahit,
indem er vor der besonderen ontologischen Untersuchung nur fur jene
harmloseste Interpretation sich einsetzt, die wir als die „Zweiseitentheorie"
bezeichnen k5nnen. Aehnliches ist von den Ausfuhrungen Hamiltons^
zu ruhmen, wenn man sich damit abfindet, daB er, was wir als Gedanken
bezeichnen, im Gegensatze zu den (auBeren) Gegenstanden dieses Gedankens
in wenig glucklicher Terminologie die Form des Denkens nennt Dies
vorausgesetzt, sind seine Darlegungen fast durchaus zu billigen : „Die Form
des Denkens kann von zwei Seiten, oder in doppelter Hinsicht betrachtet
werden. Sie hat eine Beziehung . . . zu ihrem Subjekt und zu ihrem Ob-
jekt, und kann daher entweder in der einen oder in der anderen dieser
Beziehungen ins Auge gefaBt werden. Insofem die Form des Denkens in
Beziehung zu dem denkenden Geiste betrachtet wird . . ., wird sie als eine
Handlung, Tatigkeit oder KraftauBerung (an act or operation or energy) be-
trachtet, und in dieser Beziehung gehort sie in die phanomenale Psychologic.
Sofem sie dag^^en in Beziehung zu demjenigen behachtet wird, woran ge-
dacht wird (what thought is about), wird sie als Erzeugnis einer solchen
Tatigkeit behachtet, und in dieser Beziehung gehort sie in die Logik. Somit
handelt die phanomenale Psychologie von Gedanken (thought proper) als
B^jeifen, Urteilen und SchlieBen; die Logik . . . handelt von Gedanken
als B^ffen, Urteilen und Schliissen.'* In demselben Sinne endlich sagt
Uhrb. z. Einltg. in d. Phil. § 34 f. (WW. I, S. 77 f.). ») Lectures III, S. 73 f.
24 NOOLOOIE
neuerdings Cohen i) — und hier beachte man auch die Deutung des
prindpium identitatis — ): „A ist A, und bleibt A, so oft es auch gedacht wind.
So oft es gedacht wird, so oft wird es vielmehr vorgestellt, ge-
dacht wird es nur als die eine Identitat Seine Wiederholungen sind
psychische Vorgange; sein logischer Inhalt verharrt in Identitat"
In den letzten Jahren hat, angeregt namentlich durch den ersten Band
von HussERLS „Logischen Untersuchungen" eine groBe Diskussion iiber das
Verhaltnis von Logik und Psychologic stattgefunden, die jedoch tneines Er-
achtens wenig Brauchbares zu Tage gefordert hat Auf der Einen Seite ist
der psychologistische Standpunkt ohne Not dadurch kompromittiert worden,
da6 die Versuche, jene psychologischen Oesetze zu formulieren, welche den
logischen Satzen korrelat sind, gr56tenteils hochst unglucklich ausgefallen
sind, wovon uns noch gelegentlich Beispiele vorkommen werden. Auf der
anderen Seite haben die Antipsychologisten, hierdurch verleitet, es unter-
nommen, jene Korrelation selbst in Zweifel zu ziehen, wahrend es doch
selbstverstandlich sein sollte, dafi „uber'< jene BewuBtseinstatsachen, „auf
Grund" deren die logischen Satze ausgesagt werden, ebensowohl wie uber
alle anderen, psychologische Satze ni5glich sind. Man hat femer auf dieser
Seite die Frage nach dem Verhaltnis von Logik und Psychologie verquickt
mit der anderen nach der Allgemeinheit und Notwendigkeit (dem apriorischen
Oder empirischen Ursprung, der absoluten oder relativen Geltung) der
logischen Satze. Hierin war ja schon Kant vorangegangen, der die beidcn
so verschiedenen Fragen in dem Einen Ausspruche^ glaubte entschdden
zu kdnnen : Die reine Logik hat „keine empirische Prinzipien, mithin schopft
sie nicht (wie man sich bisweilen iiberredet hat) aus der Psychologie, die also
auf den Kanon des Verstandes gar keinen EinfluB hat Sie ist eine demon-
strierte Doktrin, und Alles muB in ihr a priori gewiB sein." Und dodi
scheint es von vomherein klar, daB die Form der Objektivitat den logischen
Satzen keine andere als eine gleichfalls formale Allgemeinheit und Not-
wendigkeit sichem, unm5glich dagegen uber die materielle Tragweite
unserer Erkenntnis etwas feststellen kann. Endlich hat man die antip^cho-
logistische Unterscheidung von objektiven und subjektiven Gedanken und
die aus ihr flieBende Trennung von Logik und Psychologie identifiziert mit
dem Bekenntnis zu einer solchen ontologisch-metaphysischen Ausdeutung
dieses Verhaltnisses, welche — mehr oder weniger klar und bestimmt —
dem Gedachten ein vom Denken unabhangiges Sein zuschreibt, mag man
es auch vielleicht vorziehen, dieses Sein statt als ein „reales", vielmehr als
ein „ideales'< zu bezeichnen: welches alles nicht anders ist, als ob man die
Unabhangigkeit der Physik von der Psychologie mit der Wahrheit des
transcendenten Realismus wollte stehen und fallen lassen. Diese Bedenken
richten sich auch g^en Husserl selbst, in dessen Ausfuhrungen man, wie
vor allem den zweiten^) so doch auch den ersten 4) und dritten^) der
») Log. S. 79 1 2) Kr. d. r. Vera. (WW. II, S. 58). 3) Log. Unterss. I, S. eOff,
70 u. m ff. *) Ibid. S. 81 ff. ») Ibid. S. 170 ff.
AUFGABE UND EINTEILUNG DER NOOLOOIE 25
erwahnten Fehler nicht verkennen kann. Trotzdem sei bereitwillig aner-
kannt, daB dieser Autor, wie er auch den Verfasser des vorliegenden Buches
vidfach angeregt hat, so auch sachlich doch schlieBh'ch zu jener wichtigen
Einsicht gelangt ist, die wir hier in seiner Fomiulierung folgen lassen, und
die wir uns nicht nur vollinhaltlich aneignen konnen, sondern die wir auch
an einer spateren Stelle unserer Untersuchungen in erweiterter Gestalt als
cine fur die Weltanschauungslehre grundlegende erkennen werden^): „Es
ist in aller Erkenntnis und speziell in aller Wissenschaft der fundamental
Unterschied zwischen dreierlei Zusammenhangen zu beachten: a) der Zu-
sammenhang der Erkenntniserlebnisse, in welchen sich die Wissen-
schaft subjektiv realisiert, also der psychologische Zusammenhang
der Vorstellungen, Urteile, Einsichten, Vemiutungen, Fragen u. s. w., in
denen sich das Forschen vollzieht, oder in welchen die langst entdeckte
Theorie einsichtig durchdacht wird. b) Der Zusammenhang der in der
Wissenschaft erforschten und theoretisch erkannten Sachen, die als
solche das Gebiet dieser Wissenschaft ausmachen. c) Der logische
Zusammenhang, d. h. der spezifische Zusammenhang der theoretischen
Ideen, welcher die Einheit der Wahrheiten einer wissenschaftlichen Dis-
ziplin, spezieller einer wissenschaftlichen Theorie, eines Beweises oder
Schlusses konstituiert; bezw. auch die Einheit der Begriffe im wahren
Satze, der einfachen Wahrheiten in Wahrheitszusammenhangen u. dgl.
Im FaJle der Physik z. B. unterscheiden wir den Zusammenhang der
psychischen Erlebnisse des physikalisch Denkenden von der physischen
Natur, die von ihm erkannt wird, und beide wieder von dem idealen Zu-
sammenhang der Wahrheiten in der physikalischen Theorie, also in der
Einheit der analytischen Mechanik, der theoretischen Optik u. dgl/'
5) Es gibt endlich noch einen Weg, auf dem man versucht hat, zu einem
Unterscheidungsmerkmal zu gelangen, das die Logik von der Psychologic
absondem konnte: jene sollte sich zu dieser verhalten wie eine normative
zu der entsprechenden theoretischen Disziplin, und speziell wie eine Kunst-
lehre zur korrelaten Wissenschaft. Diese Ansicht ist uns ja schon oben
bei J. St. Mill beg^net Sie teilt z. B. auch Siqwart, wenn er2) „die
logische Betrachtung im Unterschied von der psychologischen . . einzig und
allein auf dem BewuBtsein des Zweckes" der Wahrheitserkenntnis „ruhen**
laBt Und ebenso sagt auch Wundt^): „Wahrend die Psychologic uns
lehrt, wie sich der Verlauf unserer Gcdanken wirklich vollzieht, will die
Logik feststellen, wie sich derselbe vollziehen soil, damit er zu richtigen
Erkenntnissen fuhre . . . Hiemach ist sie eine normative Wissenschaft,
ahnlich der Ethik." Im iibrigen ist diese Lehre ihrem Grundgedanken
nach nicht neu. Denn schon Wilhelm v. Occam sagt*): „Logik, Rhetorik
und Grammatik sind in Wahrheit praktische, und nicht theoretische Wissen-
schaften (notUiae practicae et non speculativae\ weil sie dem Verstande fflr
») Log. Unterss. I. S. 178f. ») Log. I, S. 157 Anm.; vgl. ibid. S. 9. ^) Log. I,
S. 1. *) Pranq HI, S. 331, Anm. 741.
26 NOOLOOIE
jene seiner Tatigkeiten Anweisungen geben, welche durch Vermittlung des
Willens in seiner Macht sind"; ja schon vor ihm hatte Gratiadei von Ascou ^
die Logik zu den „praktischen Wissenschaften" (scientiae practicae) gerechnd,
und sie naher der „KunstIehre des Vernunftgebrauches" (ars rationcUis) unter-
geordnet Auch fehit es dieser Meinung nicht an einigen Stutzen. Zunachst
werden wir gleich darauf zuruckkommen mussen, daB es in der Tat logische
Satze geben kann — sie gehoren der sogenannten Methodenlehre an—,
welche wirklich nur technische R^eln zur Erreichung eines g^^enen
Zweckes (hier der Erkenntnis der Wahrheit) enthalten, und daher dem ent-
sprechen, was man von den Satzen einer Kunstlehre erwartet Sodann lafit
sich nicht verkennen, daB, wie gleichfalls bald naher auszufuhren sein wild,
zwischen gewissen logischen und gewissen moralischen, asthetischen etc
Begriffen (z. B. Wahr und Falsch, Gut und Schlecht, Schon und HaBlich)
in der Tat insofem eine Verwandtschaft besteht, als dieselben ganeinsam
dem hoheren Begriff des Wertes sich unterordnen lassen. Und endlidi
ist nicht zu leugnen, daB das subjektive Denken in vielen Fallen nach ob-
jektiven Eigenschaften und Verhaltnissen des Gedachten — also die psycho-
logische Funktion nach logischen Satzen — sich richtet, und daB dadurdi
diese fur jenes den Charakter einer Norm gewinnen konnen. Trotz alle-
dem scheint mir aber nicht nur der Versuch, diesen normativen Chaiakter
fur das Logik und Psychologic unterscheidende Merkmal auszugeben,
sondem schon die allgemeine Behauptung v511ig verfehlt, die Logik als
Ganzes sei an und fur sich eine normative Wissenschaft und insbesondere
eine Kunstlehre.
Was den ersten der angefuhrten Grunde betrifft, so ist leicht einzusehen,
daB keineswegs alle logischen Satze sich als technische R^eln einer Kunst-
lehre des Denkens auffassen lassen. Der Satz z. B., daB zwei beliebige
Satze M und N einander widersprechen, wenn M die Form „A ist B" und
N die Form „A ist nicht B" hat, oder der andere, daB M aus N folge,
wenn M die Form „Alle A sind B" und N die Form „Einige B sind A"
hat, enthalten weder eine technische Regel noch uberhaupt etwas Nonnatives,
keine Anweisung und keine Vorschrift, sondem sie sagen einfach einen
Sachverhalt aus, namlich das Bestehen einer Widerspruchs- resp. Bedingtheits-
relation zwischen gewissen Arten objektiver Gedanken. Freilich gibt es nun
Satze, dieformell ebenso theoretisch aussehen, und materiell doch praktisch
sind, z. B. der Satz der normativen Moralphilosophie: „jeder Mensch schuldet
seinen Wohltatem Dank". Allein warum li^ hier in Wahrheit ein norma-
tiver Satz vor? Weil die ausgesagte Relation (das „Schulden") ihrem B^^riffe
nach ein „Sollen" einschlieBt Kann man nun etwas Aehnliches auch von
jenen logischen Satzen behaupten? Sie sagen aus, daB, wenn ein gewisses
M wahr ist, auch ein gewisses N wahr ist, resp. daB, wenn ein seiches M
wahr ist, ein solches N nicht wahr ist und umgekehrt — und unterscheiden
sich daher grundsatzlich gar nicht von den geometrischen Satzen, daB, wenn
1) Prantl III, S. 313, Anm. 667. '
AUFGABE UND EINTEILUNG DER NOOLOOIE 27
in zwei Dreiecken je eine Seite und beide ihr anli^ende Winkel gleich
sind, auch die beiden ubrigen Seiten und der dritte Winkel jener Dreiecke
gleich sind, oder daB, wenn ein Dreieck gleichseitig ist, es nicht recht-
winklig sein kann.
Ebensowenig begrundet der zweite der genannten Umstande einen norma-
tiven Oder gar technischen Charakter der Logik. Wertb^riffe namlich
konnen in wissenschaftlichen Satzen offenbar in einer doppelten Funktion
sich finden: als Pradikate und als Subjekte. Im zweiten dieser Falle aber,
wenn also nicht von etwas ein Wert, sondem wenn etwas von einem Wert,
ausgesagt wird, kommt ein normativer Charakter eines solchen Satzes offen-
bar von vomherein gar nicht in Frage, weil hier nicht eine vorschreibende,
sondem eine rein beschreibende Beschaftigung mit Werten vorliegt So
jedoch verhalt sich die Logik jedenfalls zu ihrem zentralen Wertb^^riffe, dem
der Wahrheit, durchaus. Die normative Ethik namlich ist eben darum
normativ, weil sie wirklich von einzelnen Handlungen, Gesinnungen oder
doch Zwecken aussagt, daB sie gut seien. Der Logik dag^en fallt (davon
abgesehen, daB sie wie alle anderen Wissenschaften die Wahrheit ihrer
eigenen Satze behauptet) gar nicht ein, einzelne Satze fur wahr zu erklaren,
ja sie setzt nicht einmal voraus, daB es wahre Satze uberhaupt gebe, sondem
sie lehrt nur, daB, wenn es solche gibt, ihnen auch gewisse Eigenschaften
und Beziehungen (der Unvertraglichkeit, Bedingtheit usw.) zukommen. Sie
verhalt sich somit zum Wahrheitswert ganz ebenso deskriptiv, wie sich die
theoretische National5konomie zum Geldwert verhalt, wenn sie etwa den
Satz aufstellt: „Steigt ein Produkt im Werte, so steigt auch der Wert der
zu seiner Herstellung verwendeten Rohprodukte" — wegen welches Satzes
gewiB niemand die theoretische Nationalokonomie fur eine Kunstlehre oder
uberhaupt fur eine normative Wissenschaft erklaren wird. Nun scheint es
freilich gleich mit dem korrelaten B^^ffe der Falschheit — und so auch
mit einigen anderen Begriffen, z. B. dem der Gultigkeit eines Schlusses —
sich etwas anders zu verhalten. Denn es kommt wohl vor, daB die Logik
auch einen bestimmten einzelnen Satz fur widerspmchsvoll, und deshalb,
da ihr jeder widerspmchsvolle Satz als falsch gilt, auch fur falsch erklart;
und wenigstens in solchen logischen Satzen scheinen demnach doch Wert-
begriffe als Pradikate zu fungieren. Allein wird denn die theoretische
Nationalokonomie dadurch zu einer normativen Wissenschaft, daB sie in
einem konkreten einzelnen Falle auf Gmnd der Wertsteigemng eines Produkts
auch eine Wertsteigemng der zugehorigen Rohprodukte voraussagt? Sicher-
lich nichty und es leuchtet auch ein, wamm nicht: weil sie namlich durch
diese Voraussage lediglich von jenem allgemeinen Satze die Anwendung
auf einen einzelnen Fall macht, und weil die einzig neue Tatigkeit, die
sie hierbei vollzieht, d. i. die Feststellung, daB die Bedingungen seiner An-
wendbarkeit vorliegen (daB z. B. das Produkt in der Tat eine Wertsteigemng
erfahren hat), alles eher als einen normativen Charakter hat Ebenso indes
li^ die Sache auch in den oben gekennzeichneten Fallen. DaB ein einzelner
28 NOOLOGIE
Satz widerspruchsvoll (ein einzelner SchluB gultig) sei, sagt die Logik nur
aus, weil sie die allgemeinen Bedingungen solchen Widerspruchs (soldier
Oultigkeit) an ihm verwirklicht findet; daB jedoch dies der Fall sei (daB
z. B. der fragliche SchluB einer zulassigen SchluBfigur entspreche) — diescr
Feststellung kann, eben als einer Feststellung, niemand einen normativen
Charakter beilegen. Und so zeigt sich, daB ein solcher Charakter den
logischen Satzen auch in solchen Fallen nicht zukommt, in denen diese Saize
Wertbegriffe als Pradikate enthalten.
Was nun endlich den dritten Punkt betrifft, so sollte es eigentlich von
vomeherein klar sein, daB es ein den logischen Sateen zufalliger Umstand
ist, wenn das Denken sich nach ihnen richtet; denn nicht das macht einen
Satz zu einem technischen, daB sich jemand seiner Kenntnis zur Erreichung
gewisser Zwecke bedient, sondem vielmehr das, daB er von der Erreichbarkdt
solcher Zwecke handelt So ist z. B. der Satz, daB man einem Kurzsichtigen
Konkavglaser verschreiben musse, damit er normal sehe, ein technischer
Satz einer Kunstlehre, namlich der Augenheilkunde. I>er Satz dagegen,
daB ein Konkavglas eine Dispersion der von Einem Punkte aus einfallenden
Lichtstrahlen bewirkt, ist kein technischer Satz, sondem gehort in einc
theoretische Disziplin, namlich in die Optik — obwohl man sich seiner
zur Erreichung jenes Zweckes bedienen kann. Ebenso nun wird ein Mensch,
welcher die Wahrheit erkennen will, und der auBerdem einen Satz M fiir
wahr halt, naturlich nicht den Satz N fur falsch halten, wenn ihm der
logische Satz bekannt ist: Wenn M wahr ist, ist auch N wahr; aber
dadurch wird dieser letztgenannte Satz nicht zu einem technischen, und die
Logik nicht zu einer Kunstlehre. Ein anderes Beispiel wird dies vielldcht
noch klarer machen. Ganz so namlich wie die Logik zum E>enken, ver-
halt sich die Arithmetik zum Rechnen. Der Satz 3-f 5 = 8 etwa, und
der andere (a -f- b)2 = a^ -f 2 a b + b2, sind theoretische Satze, d. h. sic
enthalten nicht eine Vorschrift oder Anweisung, sondem sie sagen ein Ver-
haltnis zwischen Zahlen aus. Wer indes richtig rechnen will und diese
Satze kennt, wird sich naturlich ihrer bedienen und nicht 3 + 5 = 9 oder
(a -f b)2 = a2 -f b2 setzen. Wird nun irgendwer deshalb die Arithmetik
eine Kunstlehre des Rechnens nennen, und darum, weil „die Psychologie
aussage, wie wirklich gerechnet wird, die Arithmetik aber, wie gerechnet
werden soil", diese letztere fur eine normative Wissenschaft ausgeben 0?
Allerdings zeigt nun diese Parallele auch noch ein anderes. Denn es
gibt ja wirklich auch eine Kunstlehre des Rechnens. Dahin gehoren z, B.
die Satze uber die Art und Weise des Dividierens oder Wurzelziehens oder
J) Wenn man freilich bei Siowart (Log. I, S. 16 f., vgl. S. 22) liest, da „diejenige
Tatigkeit. in welcher unser absichtliches Denken seinen Zweck erreicht, das Ur-
teile n ist: so ist notwendig der erste Schritt^ daB die Funktion, um deren richtigen
Vollzug es sich handelt, in ihrer Natur richtig verstanden" werde, und „es lassen
sich erst dann Regeln geben, sie richtig zu vollziehen, wenn erkannt ist, worin sic
bestehf*; so fragt man sich^ ob dieser Autor nicht auch die Arithmetik, statt mit
dem Einmaleins, vielmehr mit der Psychologie des Rechnens beginnen lassen muBte.
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOGIE 29
uber die Methoden zur Auflosung einer quadratischen oder diophantischen
Gleichung: diese Satze sagen wirklich nichts uber die Relationen von Zahlen
aus, sondem geben Anweisungen uber die zur Erreichung gewisser Zwecke
tauglichen Mittel. So k5nnte es denn auch eine Kunstlehre des Denkens
geben; und zu ihr wird man wirklich solche Satze zahlen durfen, welche
etwa dazu anieiten, einen Gedankengang in eine logische Form zu bringen,
Oder mdgh'chst einfache Hypothesen aufzustellen. In ungefahr diesem Sinn
haben denn auch seit Al Farabi i) viele arabische und christliche Scholastiker
von der „lehrenden Logik" (logica docens) eine „anwendende Logik" (logica
utens) unterschieden, hat Raimundus Lullus^) die Logik sowohl eine
Wissenschaft als eine Kunst genannt, und Kant 3) die ,^llgemeine Logik*'
in eine „reine" und eine ,^gewandte" eingeteilt. Zweierlei ist jedoch
hierbei im Auge zu behalten. Wenn namlich, wie Husserl*) richtig be-
merkt, „jede normative . . . Disziplin Eine oder mehrere theoretische Dis-
ziplinen als Fundamente voraussetzt", dann kann als solches Fundament,
wie der genannte Forscher ja gleichfalls andeutet, fur die Logik ,^s Kunst-
lehre" nur die Logik „als Theorie", niemals dagegen, wie J. St. Mill wollte,
die Psychologie des Denkens in Betracht kommen — ebenso wie als Funda-
ment jener „technischen Arithmetik" nur die „theoretische Arithmetik", und
nicht etwa die Psychologie des Rechnens angesehen werden kann. Was
aber sodann das Verhaltnis dieser „normativen Logik" zu ihrem theoretischen
^Fundament" betrifft, so hat es keinen Sinn, jedem theoretischen Satze nun
auch einen korrelaten technischen an die Seite zu stellen, also etwa dem
Satze: „Wenn M wahr ist, ist auch N wahr" den anderen: „Wenn du M
fur wahr haltst, so sollst du auch N fur wahr halten" — ebensowenig,
wie es einen Sinn hatte, neben dem theoretischen Satze 3 + 5 = 8 noch
einen technischen anzuerkennen von der Form : „Wenn du 3 und 5 addieren
willst, so sollst du sie gleich 8 setzen." Sondem nur mit jenen Anwen-
dungen der theoretischen Logik, uber die in dieser selbst noch nichts vor-
kommt, durfte die technische sich beschaftigen. Der eigentlichen theoretischen
Logik dag^en kdnnte in der technischen hochstens der Eine Satz ent-
sprechen: „Du sollst in deinem Denken dem Gedachten keine anderen
Eigenschaften und Verhaltnisse beil^en, als ihm wirklich zukommen", d. h.
kurz: „Du sollst richtig denken" — gerade wie auch der ganzen theoretischen
Arithmetik nur der Eine technische Satz korrelat sein konnte: „Du sollst
in deinem Rechnen den Zahlen keine anderen Eigenschaften und Verhalt-
nisse beil^en, als ihnen wirklich zukommen", oder kurz: „Du sollst richtig
rechnen". Ich erwahne dies, weil es beweist, da6 auch die Auskunft un-
haltbar ware, jeder logische Satz habe doch mindestens neben seiner
theoretischen auch eine normativ-technische Form, und diese Form sei
deshalb wenigstens in einem solchen Sinne der ganzen Logik wesentlich.
Vielmehr sehen wir: die einzelnen Satze der theoretischen Logik haben in
>) Prantl H, S. 303, Anm. 15. ^) Prantl III, S. 150, Anm. 34. 3) Kr. d. r. Vem.
(WW. H, S. 57 f.). *) Log. Unterss. I, S. 47.
30 NOOLOOIE
gar keinem Sinne einen normativ-technischen Charakter; um so weniger
aber kann — und hierauf kam es uns ja an dieser Stelle allein an — dicser
Charakter dazu verwendet werden, um die logische Bearbeitung der „Ge-
danken" von der psychologischen zu unterscheiden und beide Wissenschaften
gegeneinander abzugrenzen.
6) Einer eigenartigen Verquickung der beiden im Vorstehenden abgdehnten
Auffassungen der Logik, der psychologistischen und der normativen, hat
jungst Meinono das Wort geredet Dieser Forscher ist namlich der An-
sicht»), die Begriffsinhalte und Satze sowie deren Verhaltnisse und Zusam-
menhange seien allerdings nichts Psychisches, sondem etwas rein Objektives^
allein mit ihnen habe es auch gar nicht die Logik zu tun, vielmdir einc
von ihm neu entdeckte Wissenschaft, die „Gegenstandstheorie". Die
Logik dagegen befasse sich mit den Begriffen, Urteilen und Schlussen, d. h.
mit jenen psychischen Eriebnissen, welche diese Begriffsinhalte, Satze und
Satzzusammenhange erfassen, nur nicht mit diesen psychischen Eriebnissen
als solchen — wie die Psychologic — , vielmehr mit ihnen als den
Mittein zur Erzielung von Erkenntnissen, und zwar dies wiederum nicht
theoretisch — wie die Erkenntnistheorie — , sondem praktisch und normative
Indem somit Meinono fur seine „Gegenstandstheorie" in mdglichst hohem
Grade Antipsychologist sein will, wird er fur die Logik gerade zum ex-
tremen Psychologisten, da er aus dieser Wissenschaft alles Nicht-Psycho-
logische ausscheidet und sic streng auf die Beschaftigung mit subjektiven
Denkerlebnissen beschrankt Nun li^en mir dieser Position gegenuber allc
terminologischen Querelen vollkommen feme: wenn Meinono die „Logit*
abschaffen und sie fortan als einen Zweig der „Gegenstandstheorie" be-
treiben wollte, so wurde ich dieses Vorgehen zwar einigermaBen lacherlich
finden, jedoch weiter kein Wort daruber verlieren. Was ich dagegen auf
das entschiedenste bestreiten muB, ist, daB es eine Wissenschaft wie die,
welche Meinono als „Logik" bezeichnet, uberhaupt gebe. Ich bestreite dies
aber deshalb, weil ich davon iiberzeugt bin, daB die Logik eine ganz un-
psychologische Wissenschaft ist, und daB deshalb von ihr, wenn man alles
Nichtpsychologische aus ihr ausgeschieden hat, schlechterdings nichts mehr
ubrig bleibt. Was sollte uns denn auch eine solche „praktische Lehre von
den Denkerlebnissen als Erkenntnismitteln" lehren? Sie k5nnte nur immer
wieder in den Ruf ausbrechen: „Denke so, wie es die I>enkobjekte ver-
langen!", d. h.: „Denke richtig!" Diese Position indes glauben wir schon
genommen zu haben, ja auch Meinono hat sich — das ist die Pointe der
Sache — sowohl implicite als explicite gegen sie erklart Implicite^ denn
auf dem ganz analogen Gebiete der Arithmetik fallt es ihm gar nicht dn,
so vorzugehen. Konsequenterweise muBte er ja hier sagen: „die Zahlen
und ihre Verhaltnisse gehoren in die Gegenstandstheorie — und nicht in
die Arithmetik; diese ist vielmehr die praktische Lehre von den Rechnungs-
erlebnissen als Mittein zur Gewinnung von Rechnungsergebnissen." Statt
Gegenstandstheorie S. 124 ff. 2) ibid. S. 116.
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOGIE 31
dessen sagt er, und von seinem Standpunkte aus tnit Recht: die Arithmetik
ist ein Zweig der G^enstandstheorie. Dann begreife ich jedoch nicht,
warum er nicht auch die Logik einfach als einen Zweig der G^enstands-
theorie will gelten lassen. Allein auch explicUe hat sich Meinono gegen
jene Wissenschaft vom „Denke richtig!" ausgesprochen. Wo er namlich den
Versuch bespricht, die Satze der „G^enstandstheorie" in normative „Denk-
gesetze" umzudeuten i), bemerkt er, „statt zu sagen, wer bei der Wahr-
heit bleiben wolle, der solle von jedem G^enstande A denken, da6 er
stets er selbst und kein anderer . . . sei . ., >- statt dessen ist es viel ein-
facher . . ^ zu sagen: ,daB A stets A, daB es nicht Non-A sei u. s. f.,
das ist wahr*, oder auch : ,das ist^ ,das ist Tatsache' oder dgi." Was indes
der „Gegenstandstheorie** recht ist, das wird wohl auch der Logik billig
sein: auch sie wird ihren „praktischen<* Charakter nicht behaupten konnen,
sich vielmehr als die Lehre von den Zusammenhangen der Denkobjekte
bezeichnen lassen mussen, d. h. sie ist genau das, was Meinono den von
der Logik „vorausgesetzten" Zweig der „G^enstandstheorie" nennt Will
man demnach nicht etwa die Logik uberhaupt aus der Liste der Wissen-
schaften streichen, so bleiben nur zwei Auswege ubrig: man wird entweder
die Logik als einen Zweig der G^enstandstheorie auffassen mussen — oder
aber sie aus der Gegenstandstheorie ganzlich ausscheiden, d. h. anerkennen,
daB die objektiven Gedanken auch bisher nicht wissenschaftlich „heimatlos<^
waren, und daB es deshalb, um sie zu bearbeiten, einer neuen Wissenschaft
gar nicht bedarf.
Meinono durfte sich fur die erste dieser Altemativen entscheiden, da er
gerade aus der yjHeimatlosigkeit'* gewisser G^enstandsklassen auf ein Be-
durfnis nach seiner neuen Wissenschaft schlieBt Man wird mir gestatten,
hier kurz darzul^en, weshalb ich fur die zweite Alternative optiere, und
bei dieser Gelegenheit zu der „G%enstandstheone<< uberhaupt Stellung zu
nehmen.
Ich habe in § 4 zu zeigen versucht, daB sich die verschiedenen Wissen-
schaften nicht durch ihre G^^enstande voneinander unterscheiden, sondem
durch die sie beherrschenden Interessen und die von diesen Interessen ge-
stellten Aufgaben. Von diesem Standpunkte aus halte ich es prinzipiell
ffir verfehlt, das Bedurfnis nach einer neuen Wissenschaft begrunden zu
wollen durch die Aufzeigung „heimatloser** Gegenstande; vielmehr durfte
sich eine solche Begrundung nur auf „heimatlose" Aufgaben, d. i.
Probleme, berufen. Denn weder wurde eine neue Wissenschaft entstehen,
wenn bisher „heimatlose'< Gegenstande in die Sphare einer schon bestehen-
den Wissenschaft einbezogen wiirden, noch ist es notwendig, daB eine
neue Wissenschaft bis dahin „heimatlose" Gegenstande bearbeite; denn auch
langst in einer oder mehreren Wissenschaften heimatsberechtigte Objekte
konnen zu Gegenstanden neuer Fragestellungen werden. Von den drei
G^enstandsklassen nun, auf die Meinono als auf bisher „heimatlose'' hin-
Oegenstandstheorie S. 147. "
32 NOOLOQIE
weist^), finde ich jedenfalls in Bezug auf zwei nicht, daB er ii^g^endwdcbe
neue Fragen aufgeworfen hatte. Denn die Aufgabe, die zwischen „Objek-
tiven", d. h. Satzen oder Satzinhalten 2), bestehenden Beziehungen festzustdleo,
ist so wenig neu, daB sie eben seit jeher eine Hauptaufgabe der Logik g^
bildet hat. Was aber die von Meinonq und seinen Nachfolgern mil so vid
Liebe behandelten „unm5glichen G^enstande" betrifft, also etwa das ^ninde
Viereck" oder das „h51zeme Eisen", so sehe ich nicht, daB sie durch die
„gegenstandstheoretische" Methode zu Objekten neuer Erkenntnisse geworden
waren. Deswegen leugne ich nicht, daB das „h61zerae Eisen" ein „G^en-
stand" sei ; ich gehe sogar weiter, und behaupte, daB es ein Korper ist —
1) weil es holzem, und 2) weil es Eisen ist — , freilich ein Korper, der
nicht existiert und nicht existieren kann. Allein reichen nun die anerkannten
Wissenschaften wirklich nicht aus, um die Fragen zu beantworten, die in
Bezug auf diesen Korper vernunftigerweise gestellt werden kdnnen? Wie
mir scheint, wohl! Wird namh'ch gefragt, ob holzemes Eisen tatsachlicfa
vorkomme, so wird die verneinende Antwort auf diese Frage ebenso in die
Mineralogie gehoren, wie die bejahende Antwort auf die Frage, ob „eisemcs
Eisen" wirklich existiert? Wird weiter gefragt, ob der B^jiff des hdlzernen
Eisens ein widerspruchsloser sei, so ist die verneinende Antwort auf diese
Frage unzweifelhaft Sache der Logik. Wird endlich noch gefragt, ob
holzernes Eisen, wenn es auch tatsachlich nicht existiert, nicht doch wenigstens
existieren konnte, d. h. ob die Nichtexistenz dieses Korpers aus der wider-
spruchsvollen Natur seines Begriffes mitNotwendigkeit folgt oder nidit,
so obliegt die bejahende Beantwortung dieser Frage, die den Rahmen der
Logik wie der Physik liberschreitet und das Verhaltnis beider Wissen-
schaften beruhrt, der allgemeinsten philosophischen Disziplin, d. i. der Er-
kenntnistheorie, Metaphysik oder Weltanschauungslehre. Etwas anderes, als
was in diesen und analogen Erkenntnissen festgestellt wird, wird sich jedoch,
glaub' ich, vom holzemen Eisen auch auf Qrund „g^enstandstheoretischer**
Betrachtungen nicht aussagen lassen. Nur was die dritte Klasse „heimat-
loser** Gegenstande, die „Empfindungsgegenstande" oder, wie ich lieber sagen
mochte, die Empfindungsqualitaten betrifft, hat Meinonq wenigstens ver-
sucht, auch auf bisher noch nicht bearbeitete Fragen hinzuweisen. Er
nennt als solche') die Fragen, ob die Reihe der Farben und Tone an sich
begrenzt oder unbegrenzt sei, und ob sie ein Kontinuum darstellen oder
nicht? Und er meint, diese Fragen gehorten weder in die Physik, da ja
diese die „Realitat" der sekundaren Qualitaten gar nicht anerkenne, noch
auch in die Psychologic, da es ja zweifellos sei, daB die Reihe der von uns
wirklich empfundenen Farben und Tone weder unbegrenzt noch
kontinuierlich ist, wahrend jene Fragen sich gerade darauf richteten, ob in
den Farben und Tonen selbst — unabhangig also von unseren Emp-
findungsfahigkeiten — ein Moment liege, das ihre Reihe zu einer be-
grenzten oder diskreten mache. Gesetzt nun, dies alles sei richtig — und
») Gegenstandstheorie § 2—4. 2) ibid. S. 124. 3) ibid. S. 10.
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOGIE 33
t es wurde uns viel zu weit fuhren, wollten wir hier auf das Meritum dieser
Fragestellung eingehen — so hatte doch damit Meinonq bestenfalls das
' Bedurfnis nach einer sehr speziellen Wissenschaft nachgewiesen, namlich
nach einer nicht-psychologischen Systematik der Empfindungsqualitaten, und
ich vermag schlechterdings nicht einzusehen, warum diese Systematik der
qualitativen Mannigfaltigkeiten nicht gerade so gut wie etwa die altbekannte
Systematik der raumlichen Mannigfaltigkeiten — namlich die Geometrie —
eine selbstandige Wissenschaft sollte darstellen konnen, vielmehr als ein
Zweig der allgemeinen „Gegenstandstheorie** begriffen werden muBte. Denn
wollte man sagen, die Empfindungsqualitaten seien eben auch „Gegen-
stande*' und darum sei ihre Systematik ein Teil der „Gegenstandstheorie",
so wurde diese Behauptung das Wort treffen : Qui trop embrasse, mal etreint.
^Gegenstand" in diesem allgemeinsten Sinne ist ja alles; Gegenstands-
theorie in diesem Sinne ware daher auch jede Wissenschaft von etwas, d. h.
jede Wissenschaft uberhaupt ; „Gegenstandstheorie" ware dann synonym mit
^Wissenschaft" — und gewiB ist jede spezielle Wissenschaft ein Zweig
„der Wissenschaft" im allgemeinen; allein in diesem Sinne brauchte die
„Oegenstandstheorie" offenbar nicht von Meinonq entdeckt zu werden.
Lassen wir jedoch diese Auskunft aus dem Spiele, dann werden wir sagen
diirfen: die wissenschaftliche Bearbeitung „heimatloser" Gegenstande richtet
Sich geradeso wie die aller anderen Gegenstande nach den Fragen, die
in Bezug auf jene Gegenstande aufgeworfen werden konnen. Sofem die
Aufwerfung dieser Fragen zu den Aufgaben schon bestehender Wissen-
schaften gehort, sind diese Wissenschaften auch fiir die Bearbeitung jener
bisher „heimatlosen" Gegenstande zustandig. Sofem sich dagegen zeigen
laBt, daB irgendwelche Gegenstande — mogen sie nun bisher heimatlos
gewesen sein oder nicht — zur Aufwerfung von Fragen AnlaB geben, die
nicht zu den Problemen einer schon bestehenden Wissenschaft gehoren, ist
damit das Bedurfnis nach einer neuen Spezial wissenschaft dargetan. Das
Postulat einer allgemeinen „Gegenstandstheorie" kann demnach auf diesem
Wege in keinem Falle begrundet werden.
Mit alledem will ich indes keinesw^;s in Abrede stellen, daB es zweck-
maBig sein mag, alle Gegenstande als solche, auch wenn sich schon
viele Spezialdisziplinen mit ihnen beschaftigen, auBerdem auch noch in
einer allgemeinsten Wissenschaft zu behandeln, vorausgesetzt naturlich, daB
es Fragen gibt, die sich auf die Gesamtheit aller Gegenstande gleichmaBig
beziehen. Ich kann dies um so weniger leugnen, als ja die Weltan-
schauungslehre, der die vorliegenden Untersuchungen dienen sollen,
selbst eine solche allgemeinste Wissenschaft darstellt, und zwar eine Wissen-
schaft, die mir (nach § 7) durch das Interesse an der Ausgleichung jener
Widerspruche orientiert scheint, welche sich aus der getrennten Arbeit der
Einzelwissenschaften ergeben. Allein auch wer diese Ansicht uber die Ab-
ziweckung und Abgrenzung der allgemeinsten Wissenschaft nicht teilt, kennt
doch eine solche Wissenschaft, etwa unter den Namen Allgemeine theoretische
Oomperz, WelUmschmntiiigslehre II 1 3
34 NOOLOOIE
Philosophic, Metaphysik, ontologie, Erkenntnistheorie u. dgi. Meinono
hat dies selbst empfunden i) ; allein er glaubt, daB seine „G%enstandstheorie*
doch auch all diesen altehrwurdigen Disziplinen gegenuber ein Novum dar-
stelle: unablassig versichert er, daB es sich bei der „G^;eiistandstheorie*'
um eine neue Sache handle. Nun eig^et sich ja wohl das MaB der sub-
jektiven Originalitat eines Forschers, als eine rein personliche Angel^enhdt,
kaum zur offentlichen Auseinandersetzung. Ein sehr emstes sachliches
Interesse dagegen heftet sich an die Frage, ob die „G^:enstandstheorie^
etwas anderes ist als dasjenige, was wir Alle unter den Namen „Mebi-
physik", „Erkenntnistheorie" usw. seit langem kennen und beurteilen. Diesc
Frage sei daher hier noch kurz erorteit
Meinono gibt drei Merkmale an, welche die „Gegenstandstheoric**
von der „Metaphysik** unterscheiden sollen, drei Merkmale frdlich,
die miteinander enge zusammenhangen. Erstlich: die G^enstandstheorie
sei die allgemeinste Wissenschaft von alien G^enstanden uberhaupt, die
Metaphysik dagegen bloB die allgemeinste Wissenschaft von alien wirk-
lichen Gegenstanden , wobei unter „wirklichen" G^enstanden sowohl
physische wie psychische verstanden werden; sollte iibrigens diese Ab-
grenzung auf die bisherige Metaphysik nicht zutreffen, so sei sie doch fur
die Zukunft beider Wissenschaften als die empfehlenswerteste anzusehen^
Zweitens: die Erkenntnisweise der G^enstandstheorie sei „daseinsfrei**, die
der Metaphysik dagegen nicht, da es eben wohl bei dieser, nicht aber bei
jener auf das wirkliche Dasein der erkannten Objekte ankomme^). Endlich
drittens: die Erkenntnisse der G^enstandstheorie seien apriorisch, die der
Metaphysik aposteriorisch oder empirisch, da wirkliches Dasein nur duith
Erfahrung bezeugt werde, Erfahrung jedoch auch nichts anderes als wirk-
liches Dasein bezeuge*). Wollte man nun einigermaBen an der Oberflache
bleiben, so konnte man schon g^en den Ausgangspunkt dieses Gedanken-
ganges erinnem, daB doch etwa Platons Ideen oder Schelunos Absolutes
gewiB weder physisch noch psychisch sind, daB trotzdem diese „Gegen-
stande" seit jeher als Objekte metaphysischer Untersuchung g^olten haben,
und daB es als reine Willkur erschiene, diesen Sprachgebrauch plotzlich zu
andem. Es durfte indes nicht schwer sein, etwas tiefer g^^en den Kem
des MEiNONOschen Gedankens hin vorzudringen.
Die angefuhrten drei Merkmale der „Gegenstandstheorie" konnten namlich
doch nur dann fiir die Verschiedenheit dieser Wissenschaft von den aner-
kannten Disziplinen der theoretischen Philosophic sprechen, wenn bisher
keinc dieser Disziplinen sich die Aufgabe gestellt hatte, apnorische, daseins-
freic, von wirklichen und unwirklichen Gegenstanden in gleicher Weise
giiltigc Erkenntnisse zu gewinncn. Allcin hievon ist offenbar das G^;eiitefl
richtig. Kants Transccndentalphilosophic z. B. hat ja gar kdn
anderes Ziel, als ein „Organon" aller jener Satze zusammenzustellen, wdche
Gegenstandstheorie S. 23. 2) Grazer Unterss. S. 37 f. ^) Oegenstandstheorie
*) Grazer Unterss. S. 40 f., Oegenstandstheorie S. 33.
») Gege
31, iS.
AUFGABE UND EINTEILUNO DER NOOLOGIE 35
a priori als fur alle G^[enstande moglicher Erfahrung gultig erkannt werden.
Sie ist also jedenfalls eine apriorische Wissenschaft Da nun uberdies zu
den G^^enstanden moglicher Erfahrung auch nicht-wirkliche, vielmehr eben
bloB mdgliche Gegenstande gehoren, so beziehen sich ihre Erkenntnisse
auch nicht bloB auf Wirkliches und sind somit notwendig auch daseinsfrei i).
Und in der Tat: die „Antizipation der Wahmehmung" etwa, d. h. derSatz:
„In alien Erscheinungen hat die Empfindung und das Reale, welches ihr
an dem Gegenstande entspricht, eine intensive GroBe, d. i. einen Grad**,
bezieht sich im Sinne Kants ebensowohl auf unwirkliche Empfindungen
und Qualitaten wie auf wirkliche, z. B. ebenso auf die unwirkliche Farbe
Ultraviolett wie auf die wirkliche Farbe Violett; er druckt somit auch eine
daseinsfreie, apriorische Erkenntnis aus. Aus Satzen von dieser Art besteht
indes — wenigstens der Idee nach — die ganze Transcendentalphilosophie.
Trotzdem nennt Kant diesen Zweig der Philosophie Metaphysiky ja er
findet gerade das „Eigentumliche<< der Metaphysik in der Erzeugung ihrer Er-
kenntnisse a priori'^. Die „Metaphysik<' im Sinne Kants leistet mithin
methodologisch genau das, was Meinonq von der „Gegenstandstheorie"
verlangt; und an dieser leb^eren Wissenschaft scheint daher wirklich nur
der Name „neu" zu sein.
Allein man kann einwenden, die Aprioritat bei Kant sei etwas von
der Aprioritat bei Meinonq vollig Vcrschiedenes. Denn die apriorischen
Erkenntnisse Kants grundeten sich auf allgemeine Bedingungen der Erfahrung,
erfeiBten daher auch die Gegenstande nur, sofem ihr Wesen durch die Natur
unseres Erkenntnisvermogens mitbestimmt sei, infolgedessen auch nur, sofem
sie eben Gegenstande moglicher Erfahrung seien, diese Erkenntnisse seien
daher in gewissem Sinne doch der empirischen Wirklichkeit zugewandt und
beanspruchten fur die „Dinge an sich selbst" keinerlei Geltung. Die
apriorischen Erkenntnisse Meinonos dagegen grundeten sich auf allgemeine
Bedingungen des g^enstandlichen Seins, erfaBten daher die Gegenstande
auch, sofem ihr Wesen von der Natur unseres Erkenntnisvermogens unab-
hangig sei, infolgedessen auch ohne Rucksicht auf ihre Erfahrbarkeit, diese
Erkenntnisse seien somit auch von jeder Rucksicht auf die empirische Wirk-
lichkeit vollkommen frei und galten fur „Dinge an sich" ebenso wie fur
Erscheinungen 3). 1st also vielleicht dies das Neue, das die Gegenstands-
1) Man sage nicht, die Transcendentalphilosophie unterscheide sich eben von
der Oegenstandstheorie durch die AusschlieBung der „unnidglichen Oeeenstande".
Denn auch Meinonq kann doch uber diese nur Aussagen machen. sofem er eine
gewisse Analoeie der unmoglichen mit den moglichen Oegenstanaen voraussetzt
WoUte man uber diese Orenze hinausgehen und etwa auch „Oegenstande, von
welchen kein Satz gilt, der von moglichen Oej;enstanden gilt" zu dem Anwendungs-
gebiete der Oegenstandstheorie zanlen, so konnte es uberhaupt keine Erkenntnisse
S^ben, die sich auf alle Gegenstande beziehen. Respektiert man dagegen diese
renze, dann gelten auch die Satze der Transcendentalphilosophie fur unmogliche
Gegenstande. Das „blaue Oelb" z. B. muBte nach Kant ebenso eine ..intensive
OroBe" haben wie das ,^elbe Oelb". «) prolegomena § 4 (WW. Ill, S. 25).
3) Vielleicht durfte man nmzufugen, die Transcendentalphilosophie bestehe aus
y^ynthetischen Urteilen" und gehe demnach auf eine „Erweiterung" unseres Wissens
3»
36 NOOLOGIE
theorie der bisherigen Metaphysik und insbesondere der Transcendental-
philosophie gegenuber auszeichnet, daB ihre Satze a priori und ^daseinsfreh^
nicht bloB ftir Gegenstande moglicher Erfahrung, sondern dafi sie fur alle
Qegenstande an sich selbst gelten? Doch man braucht diese Frage nur
zu formulieren, um zu erkennen: diese Eigentumlichkeit macht die Qegen-
standstheorie der bisherigen Metaphysik und speziell der Transcendental-
philosophie gegenuber so wenig zu etwas Neuem, daB sie ja gerade mit
dem charakteristischen Merkmal der alten Metaphysik zusammen^lt, die
Kant durch die Transcendentalphilosophie uberwinden wollte. Schon fiir
Leibniz war ja die Metaphysik ein System von Vemunftwahrheiten {veriies
de raison)y das notwendige, apriorische Erkenntnisse uber alle belid)igen
G^enstande vermitteln sollte; und ein solches System hat denn audi
Chr. Wolff in seiner „OntoIogie" ins einzelne auszufuhren untemommen.
Hiermit aber diirfte nun wirklich der „philosophiegeschichtliche Ort" der
„neuen" Wissenschaft bestimmt sein. Denn Meinonos Gegenstandstheorie
stimmt mit Wollfs ontologie nicht nur in der allgemeinsten Fassung
der Aufgabe uberein, sondern auch in vielen der wichtigsten einzelnen
Grund-Satze. Solche Grund-Satze der „Gegenstandstheorie" sind z. B. diese:
Jedes Etwas ist ein G^enstand >) ; G^enstande sind daher nicht bloB Sub-
jekte, sondern auch Eigenschaften und Relationen, denn auch die letzteren
sind etwas an anderen G^enstanden und werden durch die Erkenntnis
nur erfaBt (vorgestellt) ; an jedem G^enstande ist zu unterscheiden sdn
Sein (Dasein oder Bestehen), und sein Sosein; das Sosein nun ist dem
Gegenstande wesenth'ch, das Sein dag^en nicht; das Sosein ist unabhangig
vom Sein, denn der Gegenstand bleibt nach Art und Merkmalen derselbe^
ob er nun ist oder nicht ist; dag^en ist das Sein nicht unabhangig vom
Sosein, denn nur ein Etwas von bestimmter Art und bestimmten Merkmalen
kann sein 2); je nachdem das Sosein eines Gegenstandes sein Sein ein-
schlieBt, zulaBt oder ausschheBt, ist der G^enstand ein notwendiger, mog-
licher oder unmoglicher 3). — Dies alles nun ist auch in Wolffs onto-
logie zu lesen. Denn da heiBt es: Aliquid (ein „Gegenstand*') est, cai
notio aliqua respondet (§ 59). Ens (also ein „m5glicher Gegenstand**)
did fur, quod existere potest (§ 134). Notio entis in genere existentiam
minime involvit, sed saltern nan repugnantiam ad existendun, sea, good
perinde est, existendi possibilitatem (ibid.). Quae in ente sibi mtituo non
repugnant, nee tamen per se invicem determinantur, essentialia appellantar
aus, die Gegenstandstheorie dagegen bestehe aus ^analytischen Urteilen*^ und sei
deshalb — nach dem eigenen Zugestandnis ihres cntdeckers (Gegenstandstheorie
S. 102) — „die Lehre von dem, was sich von selbst versteht**. Denn obwohl Ato-
NONO an einigen Stellen (Gegenstandstheorie S. 58, 100) das Gebiet der apriorisdien
Erkenntnisse weiter ausdehnen mochte als das der analytischen Urteile, so entlehnt
er doch seine Beispiele fur solche nicht-analytische Aprioritat lediglich der Geo-
metric, und keineswegs der allgemeinen Gegenstandstheorie. *) Mally, Grazer
Unterss. S. 126. 2) Meinong. Grazer Unterss. S. 13; Mally, Ibicl. S. 127. «) Ame-
SEDER, Grazer Unterss. S. 82. Fiir die „notwendigen Gegenstande'* diirfte alter-
dings Meinong nicht mitverantwortlich sein (vgl. Uegenstandstheorie S. 17).
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOGIE 37
atque essentiam entis constltuunt (also das „Sosein" der moglichen Oegen-
stande, freilich nur seinen Grundbestfmmungen nach; § 143). Essentia
piimum est, quod de ente concipitur, nee sine ea ens esse potest (§ 144;
also die Abhangigkeit des Seins vom Sosein, wie in § 134 die Unabhangig-
keit des Soseins vom Sein). Existentiam definio per complementum possi-
bilitatis (§ 174; d. h. das Sein ist etwas, das zum Sosein eines moglichen
Gegenstandes hinzutreten, oder auch nicht hinzutreten kann). Ein Gegen-
stand heiBt notwendig, si existentiae ratio sufficiens in essentia eius continetur
(§ 308). Subjectum perdurabile et modificabile dicitur Substantia. Ens autem,
quod modificabile non est, Accidens appellatur (§ 768; also ist auch eine
Eigenschaft ein ens, d. h. ein „m6glicher Qegenstand**). Relationes enim
sunt praedicata renim, quae ipsis conveniunt, non propter operationem in-
tellectus, sed propter fundamentum in re ipsa. Intellectus autem operationi
debetur, ut praedicata ista agnoscantur (§ 865) i). Die inhaltlichen Ueberein-
stimmungen zwischen Meinonqs „Gegenstandstheorie" und Wolffs „Onto-
logie** sind demnach unbestreitbar. Wo indes sogar die Uebereinstimmung
der Ergebnisse so weit geht, da kann doch offenbar eine Verschiedenheit
der Probleme, und d. h. der Wissenschaften, erst recht nicht vorhanden
sein. Die „Gegenstandstheorie" ist somit in der Tat nichts anderes als eine
wieder aufgelebte und modifizierte ontologie.
Natiirlich beruhrt diese Feststellung die Richtigkeit der Lehren Wolffs
wie Meinongs nicht im geringsten. Allein diese stand ja auch hier gar nicht
in Frage. Vielmehr lautete die Frage, auf die wir episodisch eingehen zu sollen
glaubten: Ist die „Gegenstandstheorie" etwas anderes, als was bisher unter
dem Namen „Metaphysik** bekannt war? Meine vemeinende Antwort auf
diese Frage aber durfte im Vorstehenden ausreichend b^^ndet worden sein.
§44
Indem aber die Gedanken von Logik und Psychologie in
anderen Zusammenhangen und durch andere Begriffe nachgebildet
werden (§ 4), entstehen Widerspriiche (Probleme), deren Ausgleichung
(nach § 7) im allgemeinen der Weltanschauungslehre, und im be-
sonderen als deren eigentumliche Aufgabe der Noologie obliegt
Die Noologie hat daher an logischen und psychologischen Einzel-
fragen als solchen kein Interesse, hat vielmehr auf diese Einzelfragen
nur so weit einzugehen, als notig ist, um an den miteinander unver-
einbaren Grundbegriffen beider Wissenschaften die (nach § 8) spe-
zifisch kosmotheoretische Leistung der Begriffsumbildung und Wider-
spruchsausgleichung zu vollziehen.
Vergl. auch die sehr klaren Ausfuhrungen uber res als das ens von bestimmter
essentia^ ohne Rucksicht auf die existentlOy aas im Hinblick auf jene in sein genus
und seme species eingereiht wird (§ 243—247). Oanz ebenso wurde wohl auch
Meinono die Klassifikation eines „Oe§enstandes** blofi nach der Art seines „So-
seins" und ohne Rucksicht auf sein „Sem'' erfolgen lassen.
38 noolooie
erlAuterung
1) DaB auf die angegebene Weise wirklich Widerspruche entstehen,
bedarf kaum noch einer besonderen Nachweisung: es folgt notwendig,
sobald zugestanden wird, daB die Oedanken in der Logik als ob-
jektiv, in der Psychologie als subjektiv gedacht werden mQsseiL
Auch sind uns ja in unserer Kritik des logischen Psychologismus
solche Widerspruche schon haufig genug begegnet Nur das Eine
konnte eingewendet werden, daB es hier uberhaupt an der Identitat
der gedanklich nachgebildeten Tatsachen und damit auch an der Haupt-
voraussetzung eines derartigen Widerspruches fehle. Man kdnnte
namlich sagen, objektive und subjektive Gedanken seien voneinander
so deutlich unterschieden, daB es als eine bloBe sprachliche Mehr-
deutigkeit erscheine, wenn das Eine Wort Oedanken beides bezeichne;
daraus jedoch, daB in zwei Wissenschaften Verschiedenes durch ver-
schiedene Begriffe gedacht werde, konne unmoglich ein Widerspruch
entspringen. Indes, dies hieBe doch die enge Zusammengeh5rigkeit
objektiver und subjektiver Gedanken gewaltig unterschatzen. So not-
wendig es fiir die Logik und fur die Psychologie ist, beide sorgBQtig
zu unterscheiden : in der Erfahrung gibt es doch sowenig ein Oedachtes
ohne Denken wie ein Denken ohne Oedachtes, und die vorwissen-
schaftliche Begriffsbildung der Praxis faBt deshalb mit Recht beides
unter den Einen Begriff des Gedankens zusammen. Denken und Oe-
dachtes bilden fur diesen Standpunkt Einen Komplex, dessen ana-
lytische Zerlegung in seine Bestandteile vorerst durch kein Interesse
gefordert wird. Ereignet es sich aber nun im weiteren Verlaufe der
Entwicklung, daB dieser Eine Komplex von der Logik als objektiver,
von der Psychologie als subjektiver Oedanke begriffen wird, so ent-
steht auf solche Weise ohne Zweifel ein echter Widerspruch ganz
von der Art, die wir zu Beginn unserer methodologischen Unter-
suchungen (§ 7) nach ihren allgemeinen EntstehungsgrOnden und
ihrem charakteristischen Wesen kennen lemten.
2) Damit ist zugleich gesagt, daB die Ausgleichung dieses Wider-
spruches zu den Aufgaben der Weltanschauungslehre gehSrt, und es
wird nichts im Wege stehen, nun speziell die Noo logic als den-
jenigen Teil der Kosmotheorie zu erklaren, der sich mit diesem Wider-
spruche und den aus ihm sich entfaltenden Problemen beschaftigt
Aus dieser ihrer eigentiimlichen Aufgabe ergibt sich indes fur die
Noologie uberhaupt, und insbesondere fiir ihre dialektische Ent-
wicklung (§§ 34—35) ein charakteristisches Merkmal, das sie den
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOOIE 39
anderen Teilen der Weltanschauungslehre gegenOber auszeichnet,
namentlich auch gegeniiber jenen kosmotheoretischen Erorterungen,
^die sich auf die von uns im 1. Bande behandelten Vorbegriffe beziehen.
^J>ort namlich war es vor allem der Gegensatz der Physik, oder all-
^^gemdner derNaturwissenschaft, zur Psychologie, von dem die
^dialektische Entwicklung der Probleme ihren Ausgang nahm. Wie
^f^dch in der Entwicklung des Substanzbegriffes die Psychologie sich
^ lis der fiir die ideologische Fassung dieses Begriffes eigentlich
bestimmende Faktor erwies, so stand seine metaphysische Fassung
unter dem Einflusse der Naturwissenschaft (§ 12. 2), und aus diesem
.. O^rensatze gingen alle weiteren Phasen jenes dialektischen Prozesses
hervor. Derselbe Vorgang wiederholte sich auch an alien folgenden
PkDblemen, so daB wir ihn schlieBlich (in § 34. 3) als einen allge-
* mdnen und typischen registrieren konnten. In der Noologie dagegen
* verhalt sich die Sache anders. Denn hier ist es nicht die Physik,
* Oder Qberhaupt die Naturwissenschaft, die sich der Psychologie ent-
' gegensetzt, sondem die Logik, oder allgemeiner die Vernunft-
* wissenschaft Und in diesem Sinne konnten wires fur die eigen-
* tflmliche Aufgabe der Noologie erklaren, jene Widerspruche auszu-
' gldchen, die sich aus der sachgemaBen Bearbeitung der Gedanken
^ in der Logik einerseits, in der Psychologie andererseits ergeben.
Ist nun aber auf solche Weise die Aufgabe der Noologie und ihre
Stdlung zu Psychologie und Logik grundsatzlich bestimmt, so ergibt
sich daraus weiter auch das Verhaltnis, in das sie zu den ^Gedanken''
als den gemeinsamen Gegenstanden dieser beiden Wissenschaften tritt
Das Allgemeine liber dieses Verhaltnis nun wurde im Texte dieses
P^uagraphen ausgesprochen, wie es sich aus allem Bisherigen von
sdbst ergibt: nicht auf psychologische oder logische Einzelfragen um
ihrer selbst willen darf es der Noologie ankommen, sondem nur auf
jene Grundgedanken der beiden Disziplinen, in denen die Wider-
sprQche ihren Sitz haben, und die zu harmonisieren deshalb ihre eigen-
tflmliche Aufgabe ist Im besondem dagegen weist dieses Verhaltnis
nach seinen zwei Seiten einige Verschiedenheiten auf, und diese fordem
hier noch eine kurze Erlauterung.
3) Von der psychologischen Bearbeitung der Gedanken zunachst
schdnt sich die noologische vorerst dadurch zu unterscheiden, daB
sie alles * beiseite lassen kann, was sich auf den zeitlichen Verlauf
da* intdlektuellen VorgSnge, also auf dieGesetze des Denkens
im dgentlichen Sinne bezieht, mag es sich nun hierbei um Gesetze
der intdlektuellen Entwicklung oder um Gesetze des entwickelten in-
40 NOOLOQIE
tellektuellen Lebens handeln. Denn diese Oesetze, auch wenn sie in
nennenswerter Zahl bekannt sein sollten, konnten doch immer nur
die Bedingungen angeben, unter denen gewisse Oedanken in einzelnen
Individuen zu bestimmten Zeitpunkten auftreten. Dies aber ist der
Logik, als deren Satze ja von aller solchen Beziehung auf Zeit und
Individualitat frei sind, von vomherein gleichgultig, und es kann deshalb
in dieser Rucksicht ein Widerspruch zwischen beiden Wissenschaften
uberhaupt nicht entstehen. Betrachten wir, urn uns dies vollig klar zu
machen, z. B. jenen typischen Zug des intellektuellen Lebens, der einem
echten „Oesetze" des Denkens noch am nachsten kommt, und den man
nach AvENARius J) vielleicht so formulieren konnte, daB jedes Denken
von einer Problematisation zu einer Deproblematisation
sich bewegt, somit Antworten auf Fragen, Losungen zu Problemen
entweder findet oder doch sucht. Dann sieht man sofort, daB das
in dieser Formulierung enthaltene zeitliche Moment fur die Logik
ganzlich irrelevant ist. Sie namlich sieht allein darauf, ob eine (ob-
jektive) Antwort zu einer (objektiven) Frage paBt oder nicht, ob dne
gegebene Antwort wirklich das beantwortet, wonach die g^ebene
Frage fragt, eine gegebene Frage wirklich nach dem fragt, was die
gegebene Antwort beantwortet 2) — sei es, daB sie das Vorhandensein
dieses (objektiven) Korrelationsverhaltnisses in einem einzelnen Fall
bejaht oder vemeint, sei es, daB sie allgemeine Bedingungen seines Vor-
handenseins aussagt. Fiir dieses logisch allein relevante Korrelations-
verhaltnis nun ist es offenbar vollig gleichgiiltig, ob die menschlichen
Individuen zuerst die Frage und dann die Antwort, oder zuerst die
Antwort und dann die Frage (subjektiv) zu denken pflegen. Und
selbst dann, wenn der menschliche Oeist im Sinne der zweiten Alter-
native eingerichtet ware, wenn er demnach nicht zu gegebenen Fragen
zugehorige Antworten, sondern zu gegebenen Antworten zugehdrige
Fragen suchte, so wiirde dadurch an der Geltung der dieses Zu-
gehorigkeitsverhaltnis selbst betreffenden logischen Satze nicht das
mindeste geandert. Aus diesem Beispiele ersehen wir indes zugleich,
mit welcher Oruppe psychologischer Untersuchungen es die Noologie
positiv zu tun hat. Wenn namlich die zeitliche Folge von Frage und
Antwort im menschlichen Denken in der Logik kein O^enstflck
findet, so gilt doch nicht dasselbe hinsichtlich des Denkens von Fragen
und Antworten uberhaupt, und hinsichtlich jenes Denkvorgangs ins-
besondere, in welchem wir die Zugehorigkeit einer Antwort zu einer
Kr. d. r. Erf. 11^ S. 22 ff. 2) Nur dies, nicht die materielle Richtigkeit der Ant-
wort, hat natiirlich fiir die LogiK Interesse.
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOGIE 41
Frage erkennen. Die Feststellung nun, daB es so etwas wie Fragen
und Antworten im menschlichen Denken liberhaupt gebe, ist gewiB
eine legitime Leistung psychologischer Arbeit, und tragt auch offenbar
zur psychologischen Ordnung der Oedanken bei ; nur fallt sie, da sie
nicht auf typische Ziige des Geschehens, sondern auf solche des
Seins sich richtet, nicht unter jene Art des „Verstehens" (§ 5. 2), die
wir Erkldreriy sondern unter diejenige, die wir Begreifen nannten.
Und so wird man allgemein sagen durfen, daB es die statische Be-
trachtung des denkenden BewuBtseins, die phanomenologische Be-
schreibung des intellektuellen seelischen Lebens, oder kurz die klaasi-
fikatorischen Untersuchungen der Psychologie des Denkens sind,
mit denen es die Noologie zu tun hat; denn nur den einzelnen Art en
des denkenden BewuBtseins — ohne Riicksicht auf die Zeitpunkte und
Bedingungen ihrer konkreten VerwirWichung — entsprechen Ver-
schiedenheiten der objektiven Oedanken. Es eliminiert eben nur die
klassifikatorische Betrachtung der subjektiven Gedanken so weit deren
zeith'che und individuelle Momente, um liberhaupt mit Aussagen fiber
die jedes zeitlichen und individuellen Charakters grundsatzlich ent-
kleideten objektiven Gedanken in Widerspruch geraten zu konnen.
Fur die Noologie kommen deshalb psychologische Fragen nur insoweit
in Betracht, als sie auf das Vorkommen gewisser Arten des intellek-
tuellen BewuBtseins sich beziehen.
4) Aus dem bisher Gesagten laBt sich auch das eigentiimliche
Verhaltnis der Noologie zur Logik entwickeln. Denn naturlich gehen
nur jene logischen Gedanken die Noologie an, die einer kosmo-
theoretischen Umbildung bedurfen, weil sie mit psychologischen Ge-
danken in Streit geraten konnen. Nun kann ein solcher Streit nur
daraus entspringen, daB ein und derselbe Gedanke in der Logik als
objektiv, in der Psychologie als subjektiv aufgefaBt wird. Folglich
kdnnen fur die Noologie nur solche logische Fragen in Betracht
kommen, die auch noologisch relevanten psychologischen Fragen
korrelat sind — wobei unter Korrelation das Verhaltnis zwischen der
objektiven und der subjektiven Auffassung Eines Gedankens zu ver-
stehen ist Wie wir sahen, eignet indes eine solche noologische
Relevanz bloB denjenigen psychologischen Fragen, die sich auf die
Arten des denkenden BewuBtseins beziehen. Welche Elemente der
Logik sind nun den Arten des denkenden BewuBtseins korrelat?
Offenbar die logischen Begriffe. So entsprechen z. B. den psycho-
logischen Eriebnisarten des subjektiven Folgems, Urteilens und Be-
greifens die logischen Begriffe eines objektiven Schlusses, Satzes und
42 NOOLOQIE
Begriffs, den psychologischen Eriebnisarten des subjektiven Furwahr-
und Furfalschhaltens die logischen Begriffe einer objektiven Wahr-
heit und Falschheit. Dagegen fallen die logischen Satze als solche
ganz auBerhalb dieser Sphare moglicher Widerspriiche mit der Psycho-
logie. Denn alles, was sie von Objektivitat enthalten, liegt in den
Begriffen, aus denen sie aufgebaut sind, und die VerknQpfung dieser
Begriffe zum Satze fugt ihnen kein neues Element von Objektivitit
hinzu. Wir konnen daher als Ergebnis dieser Untersuchung aussprechen,
daB fur die Noologie unmittelbar bloB jene logischen Fragen in Betracht
kommen, die sich auf die einzelnen Begriffe dieser Wissenschaft be-
Ziehen. Nun wird man wohl schwerlich geneigt sein, diesem recht
formalistisch aussehenden Ergebnis eine besondere Bedeutsamkeit bei-
zumessen. Es bedarf deshalb der Hervorhebung, daB dasselbe fur
alle folgenden noologischen Untersuchungen von groBer Wichtigkdt
und von den wohltatigsten Folgen ist. Es entbindet uns namlich mit
Einem Schlage von der Verpflichtung, auf das Detail der logischen
Regeln uns einzulassen. Von den verschiedenen Arten der Beweise
z. B., etwa von den Figuren und Modi der Syllogistik, warden wir
liberhaupt nicht zu handeln brauchen. Denn sobald wir nur den
Einen Begriff des objektiven „Satzes" und den Einen Begriff des ob-
jektiven „Folgens" zur Klarung gebracht haben, konnen wir sicher
sein, daB alle in dieser Richtung moglichen Widerspriiche zwischen
Psychologie und Logik ausgeglichen sind. Ist demnach einmal das
Verhaltnis des objektiven „Folgens" zu dem subjektiven „Folgerungs-
erlebnis", „auf Orund" dessen es ausgesagt wird, ins Reine gebracht,
dann kann es ruhig der Logik selbst uberlassen werden, mit diesem
geklarten Begriffe weiter zu operieren und im einzelnen die Bedingungen
seiner Anwendbarkeit festzustellen. Und ebenso auf alien andem
Oebieten der Logik. Ueberall hat die Noologie nur die logischen Grund-
begriffe selbst so weit zu reinigen, daB sie mit den korrelaten B^jiffen
der Psychologie vertraglich werden ; in die logische Handhabung dieser
gereinigten Begriffe einzugreifen, muB ihr ebenso feme liegen wie etwa
einem anderen Telle der Weltanschauungslehre das Untemehmen, die
einzelnen Satze der Arithmetik auf ihre Giiltigkeit hin zu untersuchen —
ebenso fern freilich auch, wie es der Logik liegen sollte, diese B^[riffe
selbst kosmotheoretisch bearbeiten zu wollen, die sie vielmehr ganz
in derselben Weise vorauszusetzen hat wie etwa die Arithmetik den
Begriff der Zahl. Nicht darauf also darf es der Noologie ankommen,
wovon die logischen Begriffe ausgesagt werden, sondem allein darauf,
was in ihnen ausgesagt wird, was der Sinn, die Bedeutung einer
AUFOABE UND EINTEILUNQ DER NOOLOOIE 43
solchen Aussage ist So wird sie sich z. B. auch zu dem logischen
Zentralbegriffe der Wahrheit verhalten mussen. Unter welchen Be-
dingungen ein Satz wahr ist, dies zu untersuchen, bleibt der Logik
iiberlassen; die Noologie fragt nur, was wir meinen, wenn wir einen
Satz wahr nennen, was wir unter der Wahrheit eines Satzes verstehen.
Wenn daher die anderen Einzelwissenschaften fragen: „WelcheSatze
sind wahr?", und wenn die Logik fragt: „Wann ist ein Satz wahr?",
so fragt die Noologie vielmehr: „Was heiBt das: ein Satz ist wahr?*'
§45
Neben und unbeschadet der Unterscheidung der Gedanken in
objektive und subjektive kann man jeden Gedanken betrachten:
einmal im HinbHck auf seine Bedeutung, also auf seinen Inhalt,
sodann im Hinblick auf seine Richtigkeit oder Unrichtigkeit,
also auf seinen Wert Danach zerfallt die Noologie naturgemaB in
zwei Abteilungen: in die Semasiologie, d. i. die Lehre von den
Denkinhalten, und in die Alethologie, d. i. die Lehre von den
Denkwerten.
erlAuterung
1) Was ein Satz bedeutet, und ob er wahr ist, sind zwei verschledene
Fragen. Ebenso ist es ein anderes : sich uber den Sinn eines Beweises
Rechenschaft geben, und seine Stichhaltigkeit prufen. Und in der-
selben Weise ist es auch nicht dasselbe: den Inhalt eines Begriffes
sich klar machen, und ihn als in sich widersprechend oder wider-
spruchslos beurteilen. Nichts anderes als die scharfe Auffassung
dieses Unterschiedes wird zum Verstandnis des Prinzips erfordert,
das wir der Einteilung der Noologie glauben zu Grunde legen zu
soUen.
Dasjenige an einem Gedanken, worauf sich in den angefOhrten und
alien ahnlichen FSllen die Fragen der einen Art richten, bezeichnen
wir als die Bedeutung oder als den Inhalt dieses Gedankens. Aller-
dings lassen auch die Antworten auf die Fragen dieser Art sich noch
in zwei Klassen unterscheiden, die wir als formal und material aus-
einanderhalten konnen. Wird nSmlich gefragt, was ein Oedanke be-
deute, welchen Inhalt er habe, so kann die Auskunft lauten: er sei ein
Begriff, ein Satz, ein Beweis, eine Frage etc, und weiter: er
sd ein einfacher oder zusammengesetzter Begriff, ein bejahender
oder vemeinender Satz, ein deduktiver oder Induktiver Beweis usf.
Dasjenige an dem Gedanken, was hier in Betracht gezogen wird,
44 NOOLOQIE
konnte man die Form seiner Bedeutung, seines Inhaltes nennen.
Die Antwort auf jene Frage kann indes auch besagen : der betrachtete
Oedanke beziehe sich auf diese oder jene Tatsachen, das ist Gegen-
stande, Zustande, Vorgange etc., er sei ein Begriff, der durch gewisse
Merkmale konstituiert sei, ein Satz, der von einem bestimmten
Subjekt ein bestimmtes Pradikat aussage, ein Beweis, der aus diesen
oder jenen Voraussetzungen diese oder jene SchluBfolgerung ableite.
Dasjenige an dem Oedanken nun, worauf in diesem Falle gesehen
wird, konnte die Materie seiner Bedeutung, seines Inhaltes
heiBen. Auf diese Distinktion werden wir zuriickkommen. Alldn
an dieser Stelle kommt sie fiir uns nicht in Betracht Vielmehr
weisen wir alle Fragen, welche einen Oedanken ohne Rucksicht
auf seinen Denkwert zum Oegenstande haben, in gleicher Wdse
Einer einzigen, namlich der semasiologischen Abteilung der
Noologie zu.
Als Antworten auf die zweite Oruppe der eben angefuhrten Fragen
kommen hauptsachlich solche von folgender Art in Betracht: dieser
Oedanke ist ein wahrer oder falscher Satz; er ist ein wider-
spruchsvoller oder widerspruchsloser Begriff ; er ist ein gul tiger
oder ungiiltiger SchluB. Alle diese Aussagen nun weisen neben
spezifischen Verschiedenheiten auch eine charakteristische Oemeinsam-
keitauf: die polare Oegensatzlichkeit der ausgesagten Pradikate, durch
welche dieselben in p o s i t i v e und negative Werte gesondert werden.
Denn die Behauptung, ein Satz sei falsch, ein Begriff widerspruchs-
voll, ein SchluB ungiiltig, schlieBt eine Ablehnung und Verwerf ung,
die Behauptung, ein Satz sei wahr, ein Begriff widerspruchslos, dn
SchluB giiltig, schlieBt ein Annehmen und Anerkennen dieser Oe-
danken in sich. Dieses gemeinsame Moment kann jedoch durch die
eben verwendeten Paare von Einzelpradikaten nicht einheitlich ausge-
driickt werden; denn von einem Begriffe kann man nicht Gultigkdt,
von einem Schlusse nicht Wahrheit aussagen, und ein Satz kann
falsch und doch nicht widerspruchsvoll sein. Dagegen scheinen die
Worte Rich tig und Un rich tig, die ja die uns beschaftigende
polare Oegensatzlichkeit gleichfalls ausdriicken, sich auf alle erwahnten
Oedankenarten anwenden zu lassen, und wir erklaren daher Fragen
nach dem Denkwerte eines Oedankens am besten als solche nach
seiner Richtigkeit oder Unrichtigkeit. Innerhalb des Oebietes der
richtigen und unrichtigen Oedanken aber nehmen die wahr en und
falschen Satze offenbar eine hervorragende Sonderstdlung dn,
und so mag es als eine Benennung a potiori entschuldigt werden,
AUFGABE UND EINTEILUNO DER NOOLOGIE 45
wenn wir jene Abteilung der Noologie, die sich mit den Denkwerten
beschaftigt, nicht als Lehre von der Richtigkeit, sondem als Lehre von
der Wahrheity mithin nicht etwa als Orthologie, sondem vielmehr als
Alethologie bezeichnen.
2) Hat man sich nun die Unterscheidung von Denkinhalten und
Denkwerten klar gemacht, so besteht der nachste wichtige Schritt in
der Einsicht, daB diese Unterscheidung sowohl auf objektive wie auf
subjektive Gedanken Anwendung findet, daB sich somit diese beiden
Einteilungsprinzipien durchkreuzen. Man kann namlich sowohl am
objektiven wie am subjektiven Gedanken den Denkinhalt und den
Denkwert ins Auge fassen, oder anders ausgedruckt: es gibt objektive
und subjektive Denkinhalte, jedoch auch objektive und subjektive
Denkwerte. Als einen objektiven Denkinhalt betrachtet man z. B. einen
Gedanken, wenn man ihn naher bestimmt als „den pythagoreischen
Lehrsatz". Denn einerseits wird durch diese Bestimmung lediglich
der logische Gehalt dieses Gedankens bezeichnet, und von alien zeit-
lichen und individuellen Umstanden seines Gedachtwerdens abgesehen,
andererseits wird durch sie lediglich seine Bedeutung angegeben: er
wird (seiner semasiologischen Form nach) als ein Satz, und zwar
(seiner semasiologischen Materie nach) naher als ein solcher Satz ge-
kennzeichnet, welcher von den Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks
ein bestimmtes Verhaltnis aussagt; uber die Richtigkeit oder Unrichtig-
keit (Wahrheit oder Falschheit) dieses Satzes wird hierdurch noch
nicht das mindeste entschieden. Dagegen handelt es sich um einen
subjektiven Denkinhalt, wenn ich einen Gedanken bestimme als das
BewuBtsein von der Bedeutung der pythagoreischen Lehrsatzes, wie
ich es etwa selbst wahrend des Niederschreibens dieser Zeilen erlebe.
Denn auf der einen Seite ist hier naturlich gleichfalls von der Richtig-
keit Oder Unrichtigkeit jenes Satzes noch gar nicht die Rede, auf der
andern bezeichne ich dadurch jenen Gedanken als das Denken eines
bestimmten Individuums in einem bestimmten Augenblick. Spreche ich
femer etwa ausdrucklich von der „objektiven Wahrheit", oder auch
bloB von der „ Wahrheit", oder endlich noch unmiBverstandlicher von
dem „Wahr-Sein" des pythagoreischen Lehrsatzes, so liegt hieroffen-
bar ein objektiver Denkwert vor; denn damit will ich sagen, daB dieser
Satz wahr sei (mithin einen positiven Denkwert besitze), gleichviel
ob er iiberhaupt von irgend jemand, und erst recht, wann und von
wem er als wahr erkannt werde. Rede ich endlich von meinem Be-
wuBtsein von der Wahrheit dieses Satzes, also davon, daB ein be-
stimmtes Individuum in einem bestimmten Moment diesen Satz fQr
46 NOOLOGIE
wahr halt, daB dieser Satz jenem Individuum zu einer gewissen Zdt
als wahr erscheint, dann kann es sich allein urn einen subjektiven
Denkwert handeln.
Es war deshalb wichtig, die Anwendbarkeit der Unterscheidung
von Denkinhalten und Denkwerten auf objektive u n d subjektive Ge-
danken auBer Zweifel zu stellen, weil nur unter dieser Voraussetzung
jene Unterscheidung einer Einteilung der Noologie zu Grande gelegt
werden kann. Denn da es (nach § 44) die diesem Zweige der Wdt-
anschauungslehre eigentumliche Aufgabe ist, die logisch-objektive
Bearbeitung der Gedanken mit ihrer psychologisch-subjektiven Behand-
lung in Einklang zu setzen, so konnte naturlich dort von Noologie
uberhaupt keine Rede sein, wo nicht beide Auffassungen eingeburgert
sind. Ist umgekehrt das Ergebnis gesichert, daB alle aus dem G^en-
satze logisch-objektiver und psychologisch-subjektiver Gedanken-Be-
arbeitung entspringenden Widerspruche sowohl an den Denkinhalten
als auch an den Denkwerten hervortreten miissen, so steht damit
wenigstens so viel fest, daB durch diese Unterscheidung zwei groBe
und beide der Noologie zugehorige Oebiete gegeneinander abgegrenzt
sind. Dann wird man jedoch, angesichts der Bedeutsamkeit dieses
offenbar sehr tiefgreifenden Unterschiedes, von vomherein geneigt sdn,
die auf ihn gegrundete Einteilung auch als die oberste in diesem Tdle
der Kosmotheorie gelten zu lassen — vorausgesetzt nur, daB sie sich
auch als eine technisch brauchbare, d. h. vor allem als eine erschopfende
bewahrt
3) Gerade gegen diese Voraussetzung indes richtet sich nun ein
schwerer Einwurf. Denn es scheint, als konnte man ohne Muhe Aus-
sagen fiber Gedanken namhaft machen, die sich ersichtlich nicht auf
ihren Inhalt und doch auch nicht auf ihren Wert beziehen. Der schein-
bar beweiskraftigste Fall, der hier angefiihrt werden kann, ist wohl der,
in dem von einem Begriffe ausgesagt wird, daB er einem andem
Begriffe uber- oder untergeordnet sei. DaB namlich diese Aus-
sage den Inhalt des iiber- oder untergeordneten Begriffes nicht tan-
giert, scheint klar: der Inhalt eines Begriffes besteht ja darin, daB er
dieser oder jener bestimmte Begriff ist, und hieran wird durch das
ausgesagte Verhaltnis so wenig etwas geandert, daB ja sogar von
Einem und demselben Begriff die verschiedensten Ueber- und Unter-
ordnungsverhaltnisse zu anderen Begriffen pradiziert werden konnen.
Allein ebenso klar scheint auch, daB diese Aussage Qber den Wert
des Begriffes nichts bestimmt, da doch sein auBeres VerhlUtnis zu
anderen Begriffen etwas anderes ist als seine innere Richtigkeit oder
AUFGABE UND EINTEILUNG DER NOOLOGIE 47
Unrichtigkeit 1). Doch an diesem Beispieie scheint sich nicht nur
unsere Einteiiung der nooiogischen Begriffe in noetische Inhaitsbegriffe
und noetische Wertbegriffe ais unvoiistandig und darum unbrauchbar
zu erweisen, sondern auch eine welt bessere Einteiiung derseiben
scheint an ihm hervorzutreten : namlich eine solche in Begriffe von
noetischen Subjekten einerseits, von noetischen Pradikaten
andererseits. Nach dieser Einteiiung fielen die noetischen Subjekte
mit den von uns bisher so genannten Denkinhalten zusammen. Denn
objektive Begriffe, Satze, Beweise etc. fungieren in alien logischen
Slitzen als Subjekte; als deren Pradikate dagegen finden wir zwar
auch die Eigenschaften der Richtigkeit und Unrichtigkeit mit
ihren Unterarten, demnach objektive Denkwerte, jedoch daneben noch
Relationen, die sich hinsichtlich der Wertpolaritat ganz indifferent
verhalten, z. B. eben das Verhaltnis begrifflicher Ueber- und Unter-
ordnung. Und man brauchte nun diese zunachst logischen Begriffe
nur durch Heranziehung ihrer psychologischen Korrelate zu erganzen,
um in der Unterscheidung noetischer Subjekts- und Pradikatsbegriffe
eine dem Anscheine nach vollstandige Einteiiung der nooiogischen
Begriffe, damit aber auch der nooiogischen Fragen und Untersuchungen
selbst, zu gewinnen. Auch wird, wer einmal diesen Weg eingeschlagen
hat, bei dem Einen nicht-alethologischen Verhaltnis der begrifflichen
Ueber- und Unterordnung nicht stehen bleiben konnen. Vielmehr liegt
dann die Bemerkung sehr nahe, daB die Sachlage im Orunde dieselbe
ist, wenn wir von zwei Sat z en aussagen, daB sie einander wider-
sprechen, oder daB der eine aus dem anderen folgt. Denn auch
hier zeigt sich, daB durch die Aussage einer solchen Relation zwischen
zwei Satzen ebensowenig wie iiber ihre Bedeutung auch fiber ihre
Richtigkeit oder Unrichtigkeit irgend etwas behauptet wird: liegt es
doch auf der Hand, daB gerade so gut wie wahre auch falsche Satze
in diesen Verhaltnissen zueinander stehen konnen 2). Und daB wirk-
lich alle diese noetischen Verhaltnisse keine noetischen Werte sind,
scheint sich auch daraus zu ergeben, daB an ihnen alien der polare
G^ensatz von positiven und negativen Werten fehlt. Denn wenn ich
^) Man konnte die Frage aufwerfen. ob die Aussage, ein Begriff sei einem andern
untergeordnet, nicht wenigstens mittelbar eine Behauptung uber die Richtigkeit
dieses Begriffes involviere, da unrichtige, z. B. widerspnichsvolle Begriffe in der-
artifi^en Unterordnungsverhaltnissen gar nicht zu stehen vermochten. Allein das
letztere ist offenbar nicht richtig. Denn der Begriff rundes (Quadrat z. B. ist den
Begriffen Quadrat und Polygon ganz ebenso untergeordnet wie die Begriffe groBes
Quadrat oder kleines Quadrat. 2) So widersprechen einander die falschen Satee:
JCSiSBX starb 100 lahre nach Pompejus" und „Ponipejus starb 100 Jahre nach
Casar'*; und aus dem falschen Satz: ^Der Walfisch ist ein Fisch" folgt der andere
falsche Satz: „Der Satz, daB der Walfisch ein Rsch sei, ist wahr'*.
48 NOOLOGIE
sage: „Der Satz N folgt nicht aus dem Satze M**, so seize ich damit
nicht einen Gedanken irgendwie in seinem Werte herab, sondem kon-
statiere einfach, daB zwischen zwei Gedanken eine gewisse Relation
nicht besteht. Ebenso verhalt es sich, wenn ich behaupte, daB die
Satze M und N einander widersprechen, oder daB der Begriff A dem
Begriffe B nicht libergeordnet sei: iiberall, scheint es, bloBe Fest-
stellung von Tatsachen, und nirgends ein Werturteil!
Indes, so ganz und gar fremd, wie es nach dem Gesagten scheinen
konnte, sind doch auch die zuletzt besprochenen noetischen Pradikate
dem Wertbegriffe nicht. Denn wenn z. B. behauptet wird, N folge
aus M, so ist damit freilich fiber die Wahrheit der Satze N und M
gar nichts ausgemacht; wohl aber ist damit auch behauptet die Kon-
kludenz des Beweises von N durch M, resp. die Stringenz der
Folgerung von N aus M. Ebenso: wenn gesagt wird, die Satze:
„ Dieses A ist B" und „ Dieses A ist C** widersprachen einander, so
ist damit zwar nichts fiber die Wahrheit dieser beiden Satze festge-
stellt, wohl aber fiber die Falschheit des Satzes „Einige A sind B
und C" und fiber die Unrichtigkeit des Begriffes „Ein A, welches
B und auch C ist". Und nicht anders steht es auch in dem Falle,
von dem wir ausgingen. Denn wenn ich sage, der Begriff A sei dem
Begriffe B nicht fibergeordnet, so urteile ich damit freilich nicht fiber
die Richtigkeit dieser beiden Begriffe, wohl aber behaupte ich damit
die Unrichtigkeit derUeberordnung von A fiber B und sage dem-
nach einen negativen Denkwert von jedem geordneten Begriffsystem
aus, das A als einen dem B fibergeordneten Begriff enthalt. Es er-
gibt sich daher zunachst folgendes. Die noetischen Inhalte enthalten
Teile, welche selbst wieder noetische Inhalte sind. In einem Begriff
z. B. kommen logische Bestimmungen, die sogenannten „MerkmaIe",
in einem Satz Begriffe, in einem Beweis oder Schlusse Satze vor. Man
kann diese Teile noetische Teilinhalte, jene Ganzen noetische
Gesamtinhalte nennen. Die Denkwerte nun sind Eigenschaften
der Gesamtinhalte. Diese Werteigenschaften der Gesamtinhalte stehen
jedoch in einer festen Korrelation zu Verhaltnissen der Teilinhalte
untereinander, welche an und ffir sich keinen Wertcharakter haben.
(Wenn man auch Verhaltnisse der Gesamtinhalte selbst zu anderen
Gegenstanden ins Auge faBt, so kann man die Denkwerte Wahr und
Falsch gleichfalls unter diesen Gesichtspunkt bringen, denn die Eigen-
schaft eines Satzes, wahr oder falsch zu sein, steht in Korrelation zu
einem Verhaltnis der Uebereinstimmung oder Nichtfibereinstimmung,
das zwischen ihm und jenen Tatsachen besteht, auf die er sich bezieht —
AUFOABE UND EINTEILUNG DER NOOLOOIE 49
dnem Verhaltnis, das an sich ebenfalls keinen Wertcharakter zeigt)
Die oben vorgeschlagene Einteilung der noologischen B^riffe in
noStische Subjekts- und noetische Pradikatsbegriffe unterscheidet sich
somit von der hier angenommenen in noetische Inhalts- und Wert-
b^^ffe nur dadurch, daB jene die Werteigenschaften der Oesamt-
inhalte und die korrelaten wertbegrQndenden Relationen der Teiiinhalte
als gleichwertige Arten noetischer Pradikate einander koordiniert,
wihrend diese den Inhalten iediglich ihre Werteigenschaften gegen-
flberstellt und die wertbegrQndenden Verhaltnisse der Teiiinhalte —
als bloBe Bedingungen dieser Werteigenschaften — unter den letzteren
mitbegreift Dieses zweite Verfahren laBt sich jedoch, wie mir scheint,
durch mehrere Orunde als zul^ssig erweisen.
Zunachst ist der Zusammenhang zwischen den Werteigenschaften
der Oesamtinhalte und den wertbegrQndenden Relationen der Teii-
inhalte jedenfalls ein ganz besonders enger. DaB ein Oedanke Wider-
sprQche in sich enthalt oder mit den Tatsachen nicht Qbereinstimmt,
und daB er als unrichtig verworfen wird — dies sind zwei nur ab-
straktionsweise voneinander trennbare Pr3dikate dieses Oedankens.
In Wirklichkeit schlieBt sich das eine unmittelbar an dasandere: wer
einen Oedanken als in sich widersprechend oder als mit den Tatsachen
nicht Qbereinstimmend beurteilt, der verwirft ihn auch als unrichtig,
und wer einen Gedanken als unrichtig verwirft, der beurteilt ihn auch
lis in sich widersprechend i) oder doch als mit den Tatsachen nicht
Qbereinstimmend. Ja noch mehr! Die Verwerfung eines Oedankens
als unrichtig hat gar keinen anderen logischen InhaH als das Urteil,
es enthalte einen Widerspruch oder stimme mit den Tatsachen nicht
Qberein : sie drQckt vielmehr auf dieses Urteil gleichsam nur das Siegel
der persSnlichen Stellungnahme. Unter diesen UmstSnden hieBe es
das Zusammengehorige auseinanderreiBen, wollte man die Werteigen-
schaften der noetischen Oesamtinhalte und die wertbegrQndenden
Relationen der noetischen Teiiinhalte, als zwei verschiedene Arten
noStischer Pradikate, in zwei verschiedenen Abschnitten der Noologie
behandeln. Vielmehr empfiehlt sich offenbar das Verfahren, die Denk-
kverte gleichsam von unten aufzubauen: zuerst die Relationen zu unter-
suchen, die ihr Fundament bilden, und dann die Werteigenschaften,
die auf diese Relationen sich grQnden und in denen die nogtischen
W^erte sich vollenden.
1) Zur Verwerfung eines Schlusses genugt es naturlich, wenn die Falschheit des
khluBsatzes der Wahrheit der Pramissen nicht widersprache; ein positiver
0(^iderspruch zwischen der Wahrheit des SchluBsatzes una der Wahrheit der Pra*
nissen wird zur Ungultigkeit eines Schlusses nicht erfordert
Oomperz, Wettanschauungilchrc HI 4
50 NOOLOGIE
Dieses Verfahren wQrde sich auch dann empfehlen, wenn die wert-
begrundenden Relationen und die Werteigenschaften ihrem Wesen
nach vollkommen ungleichartig waren. Allein dies ist in Wahrheit
keineswegs der Fall. Allerdings fehit den wertbegriindenden Relationen
ein fOr die Werteigenschaften charakteristisches Merkmal: sie haben
keinen Teil an der polaren Oegensatzlichkeit freundlicher und feind-
licher Stellungnahme. Ein Satz kann wahr oder falsch sein, d. h. er
wird angenommen und anerkannt oder abgelehnt und verworfen.
Von zwd Satzen dagegen laBt sich nur feststellen, daB sie mit-
einander vertraglich, oder daB sie miteinander nicht vertraglich sind.
Indes, ein anderes, nicht minder charakteristisches Merkmal ist den
wertbegriindenden Relationen mit den eigentlichen Werteigenschaften
gemein. Sie werden niUnlich beide als ihren Subjekten objektiv an-
haftend gedacht Wie wir uns vorstellen, ein Satz sei wahr oder
falsch, auch wenn er diesem oder jenem Individuum nicht als wahr
oder falsch erscheine, so meinen wir auch, zwei Satze sei en ver-
traglich Oder unvertraglich, auch wenn sie diesem oder jenem In-
dividuum nicht als vertraglich oder unvertrSglich erscheinen. Und
zwar wird dieses objektive Anhaften gedacht als jenem gleich, das
eine Qualitat mit einem Ding verbindet, ohne daB doch die Werteigen-
schaften oder die wertbegriindenden Relationen selbst sinnlich wahr-
nehmbare Qualitaten waren. Blau z. B. ist eine sinnlich wahmehm-
bare QualitSt; und ein blaues Ding ist, so meinen wir, auch dann
blau, wenn es irgendeinem Individuum als grun erscheint Wahr
dagegen ist keine sinnlich wahmehmbare Qualitat; allein dennoch
pflegen wir anzunehmen, ein wahrer Satz sei in demselben Sinne
wahr, in dem ein blaues Ding blau ist, auch wenn es nicht alien
denkenden Individuen als wahr erscheint Oanz in derselben Weise
pflegen wir jedoch auch anzunehmen, daB ein widerspruchsvoller Be-
griff widerspruchsvoll ist, auch wenn er nicht alien denkenden In-
dividuen als widerspruchsvoll erscheint — obwohl naturlich auch
Widerspruchsvoll keine sinnlich wahmehmbare Qualitat ist Es zeigt
sich daher: die gemeinsame Bearbeitung der wertbegrundenden
Relationen und der Werteigenschaften empfiehlt sich auch deshalb^
weil beiden das Merkmal gemeinsam ist, daB sie als ihren Subjekten
objektiv anhaftend gedacht werden.
Hierzu tritt nun als drittes und entscheidendes Motiv der Umstand^
daB gerade dieses den wertbegriindenden Relationen mit den Wert-
eigenschaften gemeinsame Merkmal dasjenige ist, welches fur die
Noologie vorzugsweise in Betracht kommt Denn nach § 44 bew^en
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOGIE 51
sich ja alle noologischen Fragen uin den Zentralg^^ensatz von Olh
jektiv und Subjektiv. Wir haben indes eben gesehen, daB in Be-
ziehungauf diesen Oegensatz wertbegriindende Relationen und
Werteigenschaften auf Einer Linie stehen: der Widerspruch zwischen
der logischen Betrachtungsweise, fQr die ein Satz wahr, ein Begriff
widerspruchsvoU ist, und der psychologischen Betrachtungsweise,
fflr die ein Satz resp. ein Begriff nur wahr resp. widerspruchsvoll
scheinen kann, wird in beiden Fallen auf ganz dieselbe Art ausge-
glichen werden mOssen. Man kann deshalb auch geradezu sagen,
daB fQr die Noologie die Anerkennung eines erweiterten Wert-
begriffes zweckm&Big ist Diesem zufolge ware als Wert jedes
Pr&dikat eines Subjekts anzusprechen, von dem wir uns denken, daB
es diesem Subjekte objektiv anhaftet, wenn es nur nicht eine sinnlich
wahmehmbare Qualitat ist — w3hrend allerdings ein solches Pr3dikat
dn Wert im engeren, gewohnlichen Sinne nur dann heiBen kann,
wenn es Gberdies noch den Oegensatz positiver und negativer Wertung,
d h. freundlicher oder feindlicher Stellungnahme eines denkenden
Wesens zu dem betreffenden Subjekte aufweist Dem letzteren Wert-
hegjnSit nun genQgen nur die eigentlichen Werteigenschaften (Richtig
und Unrichtig, Wahr und Falsch usf.); unter den ersteren dagegen
fellen auch die wertbegrundenden Relationen (Widerspruch, Folge etc);
und in diesem Sinne ist es daher gewiB korrekt, wenn wir die wert-
b^jflndenden Relationen und die eigentlichen Werteigenschaften zu
der Einen Oruppe der Wertpradikate zusammenfassen und darum der
Semasiologie als die Eine andere Abteilung der Noologie die Lehre
von den Denkwerten, d. i. die Alethologie, an die Seite stellen.
4) Da ein klares BewuBtsein von der Eigenart der noologischen Probleme,
in ihrem G^;ensatze gegen logische und psychologische Fragen, nie be-
standen hat, so fehlte es naturlich auch stets an einem Prinzip, das ihrer
Eintdlung hatte zu Grunde gelegt werden konnen. Solange die kosmo-
theoretisdien Probleme des Denkens bald der Logik^ bald der Psychologies
bald der Erkenntnistheorie, dann wieder einer Logik und Erhenntnistheorie
Oder auch einer erkenntnistheoretischen Logik zugerechnet werden, mussen
ja notwendig auch fur die Abgrenzung der verschiedenen noologischen Tdl-
probleme gegeneinander bald logische, bald psychologische, bald auch „er-
kenntnistheoretische^ und d. h. in Wahrheit meist ontologische Gesichts-
punkte maBgebend werden. Dies schlieBt indes nicht aus, daB diese Teil-
probleme im einzelnen dennoch eine gewisse innere Geschlossenheit ge-
sdiicbtlich erlangt haben. In der Tat gilt dies auch wirklich von dem
Komplex der semasiologischen ebenso wie von dem der alethologischen
Fragen. Und auch das ist beiden Problemen gemeinsam, dafi ihre ge-
52 NOOLOGIE
schichtliche Entwickdung sie in eigentutnlicher Weise verengt hat: nur daB
<|iese Verengung meines Erachtens fur das Problem der Bedeutung von
flbleren Folgen war als fur das der Wahrheit
Die Lehre von den Denkinhalten ist namlich unter dem Einflusse der
Platonischen Ideenlehre schon fruh zur Diskussion des sogenannten
Universalienproblems verkummert DaB die Frage, ob Gedanken
ihrem Inhalte nach nur ein subjektives oder audi ein objektives E>asein
haben, zuerst an Einer besonderen Art von Oedanken sich aufdrangte, ist
ja begreiflich. Und wenn diese Eine Art auch die einfachste, namlidi
der Begriff war, so ist dies gleidifalls nicht erstaunlich. Allein der Be-
griff ist dodi keineswegs die wichtigste Gedankenart Vollzieht sidi
dodi das wirklidie Denken nie als dn Aneinanderreihen von Begriffen,
sondem vidmehr als ein Ableiten Eines Satzes aus anderen Satzen. Da
nun jene Frage des objektiven oder subjektiven Seins ganz ebenso in Be-
ziehung auf Satze, Beweise, Fragen usw. aufgeworfen werden kann wie
im Hinblick auf B^ffe, so stdlt das Universalienproblem in Wahrheit nur
einen kleinen Ausschnitt aus dem allgemeinen Bedeutungsprobleme dar. Zu
dieser Erkenntnis aber sind bisher nur vereinzelte Denker gelangt Ins-
besondere bot die Stoa in dem B^jiffe des Aussageinhalts (aif][iaivd(jLevov,
Xsxtdv) der noologischen Forschung einen Ausgangspunkt dar, der es ihr
gestattet hdtte, das Bedeutungsproblem sofort in seiner ganzen Allgemeinheit
zu erfassen. Statt an diesen hat jedoch das philosophisdie Denken viel-
mehr an den akademischen Begriff des Universale (ISia, 6ldo(;) ange-
knupft, und eben hieraus hat sich die erwahnte Verengerung des semasio-
logischen Problems ergeben. Man darf es daher mit Lotze^) beklagen,
daB bei ,,der beschrankteren Frage nach der Geltung der allgemeinen Be-
griffe, welche zwischen den verschiedenen realistischen und nominalistischen
Partden verhanddt wurde'S der Keim einer richtigen Einsicht zum Teil
auch dadurch stets wieder erstickt wurde, daB „die uberliderte Gew5hnung
der unergiebigsten Denkform, der des Begriffs, fast ausschliefilich die Auf-
merksamkeit zuwandte, und sie dadurch von der Betrachtung des Urtdls
und Schlusses'* abzog.
Wie das Bedeutungsproblem durch die Frage nach dem Wesen des Be-
griffs, so ist das Richtigkeitsproblem durch die Frage nach dem Wesen der
Wahrheit in den Hintei^grund gedrangt worden. Alldn gerade weil nicht
der Begriff, sondem der Satz das wichtigste Element des Denkens ist, ist
die Richtigkeit des Satzes, d. i. die Wahrheit, wirklich der bedeuisamste
Denkwert Diese nun ist schon friih in den Vordergrund des philosophischen
Interesses geruckt worden durch den kraftigen Angriff, den die Skeptiker
gegen den B^jiff des Wissens gerichtd haben. Dieser Angriff hat das
aldhologische Problem isoliert, und seit jenen Tagen ist das BewuBtsein
doch nie wieder ganz geschwunden, daB die Frage nach dem Wesen, der
Kraft, der Leistungsfahigkeit und den Grenzen unserer Erkennhiis einen sdb-
') Mikr. Ill, S. 220 f.
AUFOABE UND EINTEILUNO DER NOOLOGIE 53
stindigen O^fenstand philosophischen Denkens ausmachi Von diesem Be-
wuBtsein legt ja heute noch der Gebrauch des Terminus Erkenntnis-
kritik Zeugnis ab, der, wenn uberhaupt irgend etwas Bestimmtes, doch
nur die Alethologie bezeichnen zu kdnnen scheini Freilich werden wir
sdien, daB gerade die sogenannte krUische Philosophie jenes BewuBtsdn
iast zerstdrt und diesen Terminus so gut wie verdorben hat, indem sie
alcthologisdie und ontologische Fragen in unglucklicher Weise durchdn-
anderwirrte und auf formale Fragen materiale Antworten erteilen zu kdnnen
S^ubte. Statt namlich vorerst einmal festzusteilen, was wir unter den Be-
griffen von Wahrheit, Erkenntnis, Allgemeinheit und Notwendigkeit usf.
eigentlich verstehen, fing sie gleich damit an, zu untersuchen, von
welchen Gegenstdnden wir allgemein und notwendig wahre Erkennt-
nisse gewinnen kdnnen. Damit aber setzte sie im Grunde jenes „Vemidgen^
der Erkenntnis, auf dessen Priifung sie ausging, ungepriift voraus. Und in
diesem Sinne dfirfte man wohl sagen, es sei fur diesen sogenannten
Kritizismus in Wahrheit nichts charakteristischer als eine (im Sinne von
§ 8. 1) unkritische Rezeption alethologischer Begriffe.
I. ABTEILUNG DER NOOLOGIE
DIE DENKINHALTE (SEMASIOLOGIE)
ERSTES KAP/TEL
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNGS-
PROBLEM
§46
AMIT von der Bedeutung eines Oedankens
im togischen und daher (nach § 44) auch im noo-
logischen Sinne die Rede sein kdnne, muB dieser
Gedanke entweder eine sprachliche Form be-
sitzen oder doch hinreichend gegliedert sein, uin
eine solche annehmen zu kdnnen, ohne seinen In-
halt zu ^dem.
Jeden Oedanken nun, welcher dieser Bedingung genQgt, wollen wir
eine Aussage nennen.
ERLAUTERUNO
1) Die Wissenschaft kann sich nur mit Oegenst&nden mdgiicher
Erfahrung beschaftigen. Dies jedoch sind objektive Oedanken nur,
sofem sie durch subjektives Denken erfaBt werden. Allein das sub-
jektive Denken ist ein ProzeB. Soil nun ein ProzeB wissenschaftlich
bearbeitet, somit zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Menschen
untersucht und mit verschiedenen anderen Prozessen in Zusammen-
hang gebracht werden, so muB er sich in irgendwelchen Wirkungen
oder Erzeugnissen fixiert haben. Das erste und unmittelbarste der-
artige Erzeugnis des Denkens aber ist die Sprache. Nur indem sie
seine sprachliche Form ihrer Untersuchung zu Orunde legt, kann daher
auch die Logik von dem Inhalte eines Oedankens handeln : dieser In-
halt ist fur sie erst dann ein bestimmter, wenn ihm auch eine bestimmte
sprachliche Form in eindeutiger Weise zugeordnet ist. Diese ein-
deutige Zuordnung ist indes nur dann vorhanden, wenn der betreffende
subjektive Denkakt entweder in einem einzelnen Individuum die ent-
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 55
sprechende Sprachform schon wirklich angenommen oder doch zum
mindesten sich soweit ins einzeine gegliedert hat, daB er unfahig ge-
worden ist, eine andere Sprachform anzunehmen, ohne damit auch
seine Bedeutung zu andem. Einen Oedanken nun, fOr welchen eine
dieser beiden Mdglichkeiten sich verwirklicht hat, und der damit zu-
gleich auch ein mdglicher Oegenstand logischer und deshalb auch
noologischer Bearbeitung geworden ist, nennen wir im Folgenden eine
Aussage. Doch nicht nur diese Benennung bedarf noch einiger Er-
lauterungen ; auch der Begriff, fOr den sie steht, ist g^en naheliegende
MiBverstSndnisse zu sichem.
Was jenes anlangt, so folgen wir im ganzen dem Sprachgebrauche
von AvENARius und bezeichnen mit dem Werte Aussage nicht nur
Satze wie „Dies ist blau*, sondem auch bloBe Begriffe wie „Dies*
Oder ^Blau*", ja auch ganze Schlusse und SchluBketten ; all dies wird
ja auch wirklich im buchstablichen Sinne ^ausgesagf*. Bezeichnet
sonach die ^Aussage'' in unserem Sinne nicht die Pradikation, so
^t sie erst recht nicht mit dem Pradikat zusammen, das man ja
sonst wohl auch die ^Satzaussage'' zu nennen pflegt Im technischen
Sinne wenigstens wollen wir unter Aussage alles verstehen, was
eben denkende Wesen ^aussagen*", und nur gelegentlich werden wir
wohl diesen Ausdruck ohne Oefahr einer emstlichen Verwiming auch
in dem engeren Sinne der Pradikation verwenden dOrfen.
Wichtiger ist ein anderer Einwand, der gegen unsere Terminologie
erhoben werden kann. Zugegeben namlich, wird man vielleicht sagen,
daB alles „Aussage'' helBen soil, was denkende Wesen aussagen,
so scheint doch dieser Ausdruck, seinem natOrlichen Sinne nach, b 1 o B
die sprachliche Form eines „ausgesagten^' Oedankens zu bezeichnen
und keineswegs diesen Gedanken selbst — am allerwenigsten dann,
wenn er eine sprachliche Form noch gar nicht angenommen hat,
sondem nur fahig ist, in einer solchen sich zu fixieren. Darauf er-
widem wir: gewiB wird hier der alltagliche Sinn des Wortes Aussage
mit BewuBtsein erweitert; allein diese Erweiterung scheint uns durch
die Tatsachen notwendig gefordert. Und zunachst: Ober die bloBe
sprachliche Form geht doch auch schon der landlaufige Sinn des
Wortes sehr merklich hinaus. Denn sonst wurde dieses gar nichts
anderes bedeuten als den Klang einer Rede. Wenn somit niemand
von einem Phonographen sagen wird, daB er Aussagen mache, so
tritt in diesem Umstande zu Tage, daB zu einer Aussage auBer den
Worten jedenfalls noch ein durch diese Worte ausgedruckter Sinn
gehdrt — folglich ein Gedanke. Erst Sprachform plus Gedanke,
56 NOOLOGIE
so scheint es, konstituieren eine Aussage. Und diesen Fall haben ja
auch wir als den regelni36igen vorzugsweise im Auge. Als den ein-
zigen aber kdnnen wir ihn nicht gelten lassen. Denn sobald ein
Oedanke nur fahig ist, in einer sprachlichen Form sich zu fixieren,
d. h. sobald eine bestimmte Sprachform ihm eindeutig zugeordnet
werden kann, macht es fOr die logische Bearbeitung dieses Oedankens
gar keinen Unterschied mehr, ob jene Fixierung im einzelnen Fall auch
wirklich stattfindet oder nicht: alle logischen Bestimmungen, die sich
auf den Satz „A ist B** beziehen, gelten eo ipso auch fOr jeden Ge-
danken, der in diesem Satze, und nur in ihm, ausgesprochen werden
kann.
Bedeutungsvoller indes als diese terminologischen Erdrterungen ist
die sachliche KUrung des in diesem Paragraphen ausgesprochenen
Orundsatzes. Und da sei vorerst das Folgende betont Fur die Frage,
ob ein Oedanke in einer sprachlichen Form sich verkorpert hat, ist
es vollkommen gleichgultig, ob die ihn ausdruckenden Worte, Satze etc.
von Einem Menschen zu einem anderen gesprochen, von einem ein-
zelnen Individuum leise vor sich hingesagt, bloB als akustische Phan-
tasmen vorgestellt oder auch nur motorisch innerviert werden: in all
diesen Fallen ist eine sprachliche Form in dem hier angenommenen
Sinne wirklich vorhanden, denn in ihnen alien ist dem Gedanken ein
bestimmter sprachlicher Ausdruck eindeutig zugeordnet Allein wenn
wir nun lediglich Gedanken, welche dieser Bedingung genOgen oder
doch genOgen kdnnen, fflr mdgliche GegenstJnde logischer Bearbeitung
erklaren, so soil hiermit doch keineswegs behauptet werden, daB es
andere Gedanken Qberhaupt nicht gebe. Dies ist so wenig meine
Meinung, daB ich vielmehr jene Gedanken, welche dieser Bedingung
nicht genOgen und auch nicht genugen kdnnen, nicht nur der Zeit
nach fOr die frQheren, sondem sogar auch dem Werte nach fur die
wichtigeren halte. Jeder Mensch, dem manchmal etwas „einfallt** —
d, h. jeder Mensch, der nicht bloB zu gegebenen Worten einen Sinn,
sondem auch fQr einen gegebenen Gedanken nach einem Ausdruck
sucht, weiB, daB Gedanken vorhanden sein kdnnen, ehe sie „formuliert''
sind, ja daB ein Gedanke, der nicht in solcher Weise entsteht, uber-
haupt kaum ein Gedanke zu heiBen verdient Dabei ist es gleich-
gQltig, ob es sich bloB um die Wahl eines Wortes, ob es sich um
die Pragung eines Satzes oder ob es sich um den Bau einer ausfuhr-
licheren Darstellung handelt : in all diesen Fallen beweist das Suchen
nach dem passendsten Ausdruck, das Abwagen verschiedener Aus-
drucksmdglichkeiten gegeneinander und die Beurteilung derselben als
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 57
angemessen oder unangemessen, daB der Gedanke unabh3ngig von
dner bestimmten Sprachform vorhanden ist, ja daB diese allererst von
joiem ihren eigentlichen Inhalt und Wert empfSngt Die Meinung,
es gebe kein anderes Denken als ein solches in Worten, scheint uns
deshalb jeder intellektuellen Erfahrung Hohn zu sprechen.
Achten wir indes noch etwas genauer auf die eben berQhrte Ent-
wickelung, die von dem ersten ^Einfall'' zu der schlieBlichen sprach-
lichen ^^Formulierung* hinfuhrt, so erkennen wir zugleich, daB dieselbe
als ein ProzeB fortschreitender ^Oliederung'' begriffen werden muB:
dn ProzeB, der hier fur uns darum von Bedeutung ist, weil der sich
g^iedemde Oedanke in ihm gerade jene beiden ZustHnde durchlauft,
urn deren Auseinanderhaltung wir uns in diesem Paragraphen haupt-
sichlich bemOhen. In dem Endstadium dieser Entwickeiung nSmlich,
d. Il in dem Augenblick, ehe der Gedanke seine endliche sprachliche
Fassung findet, ist jene Mdglichkeit realisiert, die wir als „Aussage
mit bloB potentieller Sprachform'' bezeichnen konnen. Jetzt ist der
Oedanke so sehr ins einzelne gegliedert und bestimmt, daB er jeden
anderen als ^den* treffenden, ihm angemessenen und adiquaten, kurz
jeden anderen als ^seinen** sprachh'chen Ausdruck zuruckstdBt: die
Zuordnung von Oedanke und Sprachform muB daher jetzt bereits als
dne dndeutige bezeichnet werden, und jener kann demnach auch in
unserem Sinne eine Aussage heiBen. So verhilt es sich mit dem ur-
sprQnglichen ^Einfail'' nicht. Hier ^blitzf* der Gedanke in einer un-
gi^iederten und noch sehr verschiedenartiger nSherer Bestimmungen
fShigen Fassung auf: ja er ist soicher naheren Bestimmungen nicht
nur @hig, sondem auch bedQrftig. Er kann noch in sehr verschiedene
sprachliche Formen g^ossen werden, und in jeder derselben wird
er auch sich selbst verandem, nimlich sich gliedem und entfalten.
Und nicht nur kann er dieses Schicksal erleiden, sondem er muB
es sogar, wenn er zur ^Aussage'' werden soil. Denn fQr seine un-
g^liederte und unbestimmte Form gibt es Oberhaupt keinen sprach-
lichen Ausdruck. Richten wir nun auf diese „embryonalen** Gedanken
noch einen Augenblick unsere Aufmerksamkeit ! Ohne Zweifel sind
sie der eigentliche Kern aller sinnvollen Rede, dasjenige, was ihr allein
Wert und Bedeutung verleihen kann : wer Aussagen macht, die nicht
aus dner solchen Wurzel hervorwachsen, von dem werden wir mit
voUem Rechte urteilen, daB er zwar zu uns spreche, uns jedoch „nichts
zu sagen^ habe. Trotzdem sind diese Gedankenkeime einer 1 o g i s c h e n
Bearbeitung nicht zugSnglich; ja man kdnnte mit gutem Grunde sogar
behaupten, daB sie weder dem Satze des Widerspruches noch
58 NOOLOOIE
dem vom ausgeschlossenen Dritten unteriiegen. Denn von
den Sitzen, in die ein solcher „Einfall^ sich auseinanderl^en, zu
denen er sich entfalten kann, mSgen die einen wahr, die anderen
falsch sein: welches dieser Pradikate auf ihn Anwendung findet,
wird deshalb nur davon abhSngen, welche jener mOglichen Gliede-
rungen sich verwirklicht An sich selbst wird daher ein solcher „Ein-
fall" weder wahr noch falsch sein, oder auch ebensowohl wahr als
falsch. Allein dies heiBt zugleich : ein Oedanke, dem in solcher Weise
noch keine sprachliche Form eindeutig zugeordnet ist, ist zwar als
psychologisches Datum vorhanden, dagegen noch nicht als ein mog-
licher Oegenstand logischer Bearbeitung. Wenn somit nach § 44 nur
aus den WidersprQchen zwischen Logik und Psychologic die noo-
logischen Probleme flieBen kdnnen, so folgt unwidersprechlich, daB
fQr das Interesse der Noologie die entscheidende Orenzlinie gerade
zwischen diesen ungegliederten und den anderen, gegliederten Ge-
danken hindurchlauft Solche metalogische Gedanken von unserer Be-
trachtung auszuschlieBen, war mithin an dieser Stelle unsere Aufgabe;
und urn diese Aufgabe zu erfullen, haben wir den Begriff der Aus-
sage gepr%t — als den Begriff eines Gedankens, der eine sprachliche
Form entweder schon besitzt oder sie doch, ohne sich zu verandem,
annehmen kann, und der deshalb auch ein mdglicher G^enstand der
Logik und darum auch der Noologie ist
2) Wir haben im Vorstehenden 3 Arten von Gedanken unterschieden :
solche, wdche, um eine sprachliche Form annehmen zu kdnnen, noch einer
weiteren Gliederung bedurfen; solche, welche zu diesem Behufe einer
weiteren Gliederung nicht mehr bedurfen, jedoch eine sprachliche Form
noch nicht angenommen haben ; endlich solche, welche dne derartige Form
bereits wirklich besitzen. Wir konnen sie der Kfirze halber als Gedanken
mit undeterminierter, mit potentiell determinierter und mit
aktuell determinierter Sprachform bezeichnen. Alle drei, be-
haupten wir, kommen als psychologische Tatsachen vor; doch nur die beiden
letzten, die wir als Aussagen zusammenfassen, sind zugleich auch G^[en-
stande der Logik.
Die so hervortretende, immerhin ziemlich groBe Komplikation dieser
Verhaltnisse macht es begrdflich, daB uber sie dgentlich noch kdne voile
Klarheit besteht, so entschieden auch der unverkennbare Zusammenhang
von Denken und Sprechen von jeher dem BewuBtsein sich aufgedrangt
hat Das letztere ist leicht zu erweisen. Schon wenn Homer sdne Hdden
„zu ihrem Gemute sprechen** laBt, will er damit kaum mehr sagen, als daB
sie sich etwas „gedacht<< hatten, und bezeichnet somit implicite das Denken
als ein inneres Sprechen — ohne daB wir doch berechtigt waren, dieser
Redeweise eine bestimmte Ansicht uber das Verhaltnis unserer 3 Gedanken-
ORIENTIERUNO UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 50
arten imterzulegen. Wenig mehr aber besagt es, wenn Platon i) das Denlcen
«in ^u-sich-sdbst-sprechen der Sede^ nennt, ein „Sich-seIbst-fragen-und-aiit-
worten'', und^ den Verstand ein ^mmloses Gesprach der Sede mit sidi
sdbsi"; wenn Aristoteles 3) von der ^uBeren*" eine Jnnere Rede" (l^tt
und lott X67oc)y und Chrysipp^) von der gesprodienen eine unausge-
sprochene Rede (X670C ivdtddsto^) unterscheideL In einer anderen, bald
naher zu besprechenden Stdle des Aristoteles^ fand man den Oesidits-
punk^ daB die Verschiedenheit der Sprache die Identitat des Sinnes nidit
aufhebe; und nun lag es nahe, die Jnnere" oder bloB „gedankliche Rede*
zugidch als die fiber die Untersdiiede der aufieren Spradie erhabene hinzu-
stellen — dn Gedanke, den nadi dein Voigange alterer Peripatetiker nament-
lidi PoRPHYRios und Boethius ^ angedeutd haben. Von hier aus entstand
die sdiolastisdie Lehre vom verbum mentale im G^^ensatze zum verbum
vocale^ die z. B. Gratiadei von Ascou^) vorgetragen hat Doch ist hier
wenis^ens Wilhelm von Occam uber die Unbestimmthdt der Alten weit
hinausgekommen, indem er unter „geistiger Rede" genau dasjenige verstand,
-was wir oben als „Gedanken mit potentidl dderminierter Spradiform" be-
zddmden. Denn nidit nur hat er wiederholt, daB der bloB „gedachte
Satz" (propasitio mentalis) keiner besonderen Spradie angehort (nuUius
idiomatis tsf), und auch die fdne Bemerkung hinzugefugt, mandie dieser
Satze ^ieSen sich w^;en des Versagens der Spradie (propter defectum idio-
matis) iiberhaupt nidit ausdriicken"^), sondem mit wunderbarer Klarhdt hebt
er audi hervor^ daB z. B. bdm Nomen wohl Casus und Numerus, dodi
nidit das Gesdilecht, bdm Verbum zwar Oenus, Modus, Zeit, Zahl und
Person, dag^;en nidit die Konjugation dem verbum mentale dgne. Hierdurdi
wird mit aller Sdiarfe jeder Gedanke sowohl an akustische Phantasmen
Oder Innervationen wie auch an ungegliederte „Einfalle" ausgesdilossen,
da diese nie dne derartige grammatische Bestimmtheit erreidien kdnnten,
jene die Worte einer bestimmten Sprache voraussetzen wurden. Ja
Oreoor von Rimini hat ausdruckiich ^^ jene mentalen Satze, „wdche nicht
Abbilder ii^gendwdcher Worte und daher auch nicht nach deren Verschieden-
heit . . . verschieden, sondem bei alien [Menschen] spezifisch gleich sind^,
den anderen en^^engesetzt, die bloB ,,Abbilder gesprochener Satze*' seien,
wie sie „durch die auBeren Sinne*' wahrgenommen werden, und die deshalb
^icht bei alien Menschen von gleicher Art sind, sondem auf griechisch
anders lauten, und anders auf lateinisch*'ii). Ueber diese Einsicht ist, um
») Theaet p. 189 e f. 2) Soph. p. 263 e. 3) Anall. postt I. 10, p. 76 b 24. *) Frg. 135
(Arnim II). ^) De interpr. 1, p. 16 a 5. ^) De interpr., ed. II, p. 296 und 298
<S. 21. 16 und S. 26. 17 ff. Meiser). t) Prantl III, S. 315, Anm. 675. «) Prantl III,
S. 339, Anm. 769; ygi. auch S. 352, Anm. 797. ») Prantl III, S. 362. Anm. 824.
*^ Prantl IV, S. IZ Anm. 46. ") Doch ist die These, daB die potentiell determi-
nierte Sprachform mulius idiomatis sei, cum grano saiis zu verstehen, da verschiedene
^radien an die logische Gliederunfi^ der Oedanken verschiedene Anfoiderungen
stellen. So unterscheidet z. B. das Oriecnische und Arabische, nicht aber das Lateinische
und Deutsche, Dual und Plural, das Griechische, nicht aber das Deutsche, Imperativ
Praesentis una Imperativ Aoristi, das Turkische, nicht aber das Deutsche, Perfectum I
60 NOOLCXjIE
das mindeste zu sagen, die Philosophic bis auf unsere Zeit nicht hinaus-
gekommen. Am mafivollsten hat wohl Herbart geurteilt, als er i) „das stille
Denken . . . groBenteils . . ein zuriickgehaltenes Sprechen^ nannte, und
dieses vorwiegend speziell als ein Innervieren bestimmte — als ^ein An-
r^en der Nerven, welche die Sprachorgane r^eren ; nur nicht stark genug,
urn die Muskeln zu bew^en^ Dieses y^oBenteils*^ sticht sehr vorteilhaft
ab gegen die vage Allgemeinheit der Alten, in die Schleiermacher zuruck-
fillt durch die Erklarung^: ,,Denken und Sprechen ist so Eins, daB man es
nur als inneres und auBeres unterscheiden kann, ja auch innerlich ist jeder
Gedanke schon Wort''; noch mehr freilich gegen die prazise Einseitigkeit
anderer Denker. Schon Leibniz namlich hatte^) behauptet, daB er — wie
ihn die Erfohrung lehre — „niemals irgendeine Wahrheit erkenne, entdecke
Oder annehme** (agnosci inveniri probari)^ ohne im Geiste „Worte oder andere
Zeichen zu verwenden*', und neuerdings ist Max MOller^) soweit ge-
gangen, daB er es fur unmdglich erklart, ^bst nur den ersten Schritt in
der Philosophic zu tun, bevor man ganz klar gesehen hat, daB wir in
Worten denken und in nichts anderem als in Worten*', ja daB er sogar
jedermann, der die Frage „Ist Denken ohne Worte mdglich?" nicht mit
einem runden ,,Nein'M zu beantworten wagt, ,,MangeI an intellektuellem
Mute" vorwirft. G^en solche Verirrungen haben sich namentlich Stein-
und Perfectum 11, das Deutsche, nicht aber das Arabische, Praesens und Futurum. Das
heifit, damit ein Oedanke einer griechischen oder arabischen Sprachform eindeutig
zugeordnet sei, muB in ihm die Vielheit entweder als Zweiheit oder als Mehrheit
bestimmt, und ebenso muB im Griechischen die befohlene Handlung als wiederholt
oder einmalig, im Turkischen der vergangene Vorgang als selbst-wahrgenommen oder
als von Anderen bezeuet, im Deutscnen der nicht abgeschlossene Vorgang als gegen-
wartig Oder zukunftijg^ determiniert sein. Daraus ergibt sich, daB Oedanken, denen
die Sprachformen Emer Sprache eindeutig zugeordnet werden konnen, doch in Be-
zug auf Eine fremde Sprache nicht ^enugend, in Bezug auf eine andere fremde
Sprache mehr als notwendig determiniert sein werden, &R somit von potentieller
Determination der Sprachform stets nur in Bezug auf eine bestimmte Sprache die
Rede sein kann, und dafi ein in diesem einzig zulassigen Sinne als ^potentiell deter-
miniert' zu bezeichnender Oedanke bereits Momente in sich entnalten wird. die
unzweideutig auf diese Eine Sprache hinweisen. Enthalt andererseits der Oeaanke
noch keine solchen Momente, so kann ihm auch keine Sprachform einer bestimmten
Sprache eindeutig zugeordnet werden. Hieraus folgt jedoch, daB es im strengen
Smne uberhaupt Iceinen Oedanken gibt, der hinreichend gegliedert ware, um logisch
Erazis zu sein. und der doch zugleich uber die Verscniedenheit der Idiome voll-
ommen erhaben ware. Aus diesen Oriinden halte ich auch die neuerdings von
St5hr (Log. S. 52) erhobene Forderung nach einer von der Verschiedenheit der
Sprachen unabhangjgen „Algebra der Orammatik" fiir unerfullbar. Denn wollte
erne solche SymboTik die logischen Unterscheidungen einiger Sprachen nicht be-
riicksichtigen , so wurde sie den Oedankeninhalt dieser Sprachen nicht adaquat
zum Ausdrudc bringen; wollte sie dagegen alle Distinktionen berucksichtigen, die
auch nur in irgende iner Sprache vorkommen, so wurde sie den logischen Oehalt
aller anderen Sprachen durch Einfiihrung von gedanklichen Momenten, die diesen
Sprachen fremd sind, entstellen. >) Psydiologische Untersuchungen, Erstes Heft
IV (WW. VII, S. 320). 2) Dial., Beilage D (S. 449). Ebenso vag ist der Begriff
einer .,inneren Sprachform", wie ihn W. voN Humboldt formuliert hat (Ueber die
Verschiedenheit d. menschlichen Sprachbaues, § 11, WW. VI, S. 92 ff.). A Dialogus
(WW. VII, S. 191). *) Denken i. L d. Sprache, 1 28.
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 61
THALi) und Romanes^ mit guten Grunden gewandt Vor allem jedodi
hat Schopenhauer — dem audi der Verfasser in dner fruheren Sdiriff)
sidi angesdilossen hat — die bloB sdcundare Bedeutung der Spradiform
fOr die Entstehung und den Wert eines Gedankens treffend und eindringlidi
hervofgehoben. Audi wollen wir nidit dariiber rechten, ob es zweckmaBig
ist, das Denken mit undeterminierter Sprachform ein anschauliches zu
nennen, und nur so vid bemerken, daB die Mdnung, das Wesentlidie an
diesem Denken sden die „Phantasi€^ilder^, sich uns bald genug als unhalt-
bar herausstdlen wind. Mit diesem Vorbehalt jedodi kdnnen wir uns die
folgenden Ausfuhrungen Schopenhauers^) durdiaus andgnen: „Das mit
Hilfe ansdiaulidier Vorstdlungen operierende Denken ist der dgentliche
Kern aller Erkenntnis, indem es zuriickgeht auf die Urqudle, auf die Grund-
lage aller Begriffe. Daher ist es der Erzeuger aller wahrhaft origindlen
Oedanken, aller ursprunglidien Grundansiditen und aller Erfindungen . . .
Ihm gehdren gewisse Gedanken an, die lange im Kopfe herumziehen, gehen
und kommen, sich bald in diese, bald in jene Anschauung kleiden, bis sie
endlidi, zur Dentlichkeit gdangend, sich in Begriffen fixieren und Worte
finden. Ja es gibt deren, wdche sie nie finden; und leider sind dies die
besten: quae voce meliora sunt^ wie Apulejus sagt. ... So vid lafit sich
behaupten, dafi jede wahre und urspriingliche Erkenntnis, audi jedes echte
Philosophem, zu ihrem innersten Kern, oder ihrer Wurzd, irgenddne an-
schauliche Auffeissung haben muB. Diese, obgleich ein Momentanes und
Einhdtliches, tdlt nachmals der ganzen Auseinandersetzung, sei sie audi
noch so ausfuhrlichy Geist und Leben mit — wie ein Tropfen des rechten
Reagens der ganzen Aufldsung die Farbe des bewirkten Niederschlags.''
§47
In Bezug auf jede vollstandige Aussage kann man unterscheiden :
A. die Aussagelaute, d. i. die sprachliche Form der Aussage
(§ 46); B. den Aussageinhalt, d. i. den Sinn der Aussage; C die
Aussagegrundlage, d. i. jene Tatsache, auf die sich die Aus-
sage bezieht
Die zwischen diesen drei Aussageelementen bestehenden Relationen
diaiakterisieren wir in der Weise, daB wir die Aussagelaute den
Ausdruck des Aussageinhalts und die Bezeichnungder Aussage-
grundlage^ den Aussageinhalt aber die Auf fas sung der Aussage-
gnindlage nennen.
Sofem die Aussagelaute als Ausdruck des Aussageinhalts betrachtet
werden, follen sie mit der Aussage selbst zusammen. Sofem die
Aussag^jundlage als eine durch den Aussageinhalt aufgefaBte Tat-
») Einldtg. in d. Psych. S. 47 ff. ^) Origin of hum, fac p. 82. 3) Psych. log.
onmdtats. S. 88ff. «) Vierfache Wurzel § 28 (WW. Ill, S. 119 ff.).
62 NOOLOGIE
sache betrachtet wird, kann sie der ausgesagte Sachverhalt
heiBen. Die zwischen der Aussage und dem ausgesagten Sachverhalt
bestehende Relation nennen wir Bedeutung.
In dem besonderen Falle, in welchem die Aussagegrundlage durch
den Aussageinhalt als Oegenstand aufgefaBt wird (§ 10. 4), heiBt
der ausgesagte Sachverhalt eine Sache, die Aussage selbst der
Begriff, die Aussagelaute der Name, der Aussageinhalt das be-
griffliche Wesen oder die Essenz dieser Sache.
ERLAUTERUNG
1) Vor allem sei die in dem ersten Absatze dieses Paragraphen ent-
wickelte, fur die folgenden Untersuchungen grundlegende Unter-
scheidung an einem Beispiele verdeutlicht. Wir wahlen zu diesem
Behufe den Satz: „ Dieser Vogel fliegt!" Dieser Satz selbst ist natiir-
lich im Sinne des § 46 eine Aussage: ein Oedanke, der eine sprach-
liche Form angenommen hat Isolieren wir nun diese sprachliche
Form, achten wir demnach bloB auf den Klang der Worte „ Dieser
Vogel fliegt**, d. h. bloB auf dasjenige, was auch ein der deutschen
Sprache Unkundiger von ihnen wahmehmen kann, so haben wir es
allein mit den Aussagelauten zu tun. Bedenken wir jetzt anderer-
seits, daB fur uns, die wir der deutschen Sprache michtig sind, jener
Satz in diesem Wortklang sich keineswegs erschSpft, vielmehr fiber
diesen hinaus noch ein anderes Element enthalt, das wir seinen Sinn
zu nennen pflegen, und achten nun ausschlieBlich auf diesen ^Sinn""
im Oegensatze zu jener sprachlichen Form, dann haben wir eben
damit auch den Aussageinhalt gegen die Aussagelaute isoliert
Aussagelaute und Aussageinhalt nun erschdpfen zusammen dasjenige,
was an der Aussage unterschieden werden kann: unserSatz enthalt
nichts anderes als einen bestimmten Wortklang und einen bestimmten
Sinn. Allein keineswegs erschopfen diese beiden Momente auch das-
jenige, was in Bezug auf die Aussage sich unterscheiden laBt: zu
unserem Satze gehSrt vielmehr auch noch die wirkliche oder wenig-
stens gedachte Tatsache, daB ^dieser'' Vogel fliegt; und dieser
physische Vorgang ist es, den wir als die Aussagegrundlage
bezeichnen.
2) Die erste Frage, die sich hier aufdrSngt, ist die, ob denn diese
3 Elemente der Aussage auch wirklich voneinander verschieden sind, ob
also nicht etwa zwei derselben zusammenfallen. Es wird notwendig
sein, daB wir die 3 Amben, welche aus 3 Elementen gebildet werderr
kdnnen, unter dem eben angefuhrten Oesichtspunkte kurz durchgehen.
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 63
ZunSchst: Aussagelaute und Aussageinhalt sind voneinander offenbar
verschieden. Denn derselbe Aussageinhalt kann in verschiedenen
Sprachen durch verschiedene Aussagelaute ausgedrQckt werden, und
ebenso kdnnen unter derselben Bedingung dieselben Aussagelaute ver-
schiedene Aussageinhalte ausdrQcken. Brett und broad mdgen als
Bdspiele fur den ersten, breit und bright als solche fQr den zweiten
Fall genflgen.
Ebenso verschieden sind auch Aussagelaute und Aussag^^ndlage.
Derselbe physische Vorgang kann durch die zwei voneinander ver-
schiedenen Worte Ton und sound bezeichnet werden; dasselbe
Wort Ton kann einmal einen Klang, das andere Mai einen Stoff be-
zeichnen.
Kann nun etwa der Aussageinhalt zusammenfallen mit der Aussage-
grundlage? Auch dies ist ganz unmdglich, denn derselbe Aussage-
inhalt kann verschiedene Aussagegrundlagen auffassen, dieselbe Aus-
sag^rundlage kann durch verschiedene Aussageinhalte aufgefaBt
werden. Zu dem Einen Aussageinhalt „DieserVogel fliegt!" nimlich
kdnnen die mannigfachsten physischen Vorgange als Aussagegrund-
lagen gehdren : der fliegende Vogel kann ein Adler, ein Sperling oder
eine Taube sein; der Vogel kann hoch in der Luft oder hart am
Boden fliegen, kann ruhige Kreise Ziehen, unruhig flattem oder pfeil-
gerade die Luft durchschneiden. Und womdglich noch deutlicher ist,
daB zu Einer Aussagegrundlage die verschiedensten Aussageinhalte
gehdren konnen. Denn wenn ein Sperling vor meinen Augen un-
ruhig hin und her flattert, so kann ich aussagen: „Dieser Vogel fliegt!^
,,Da flattert ein Sperling!**, „Sieh da, ein Tier!**, „Es bew^ sich
etwas**, „Es wird Arbeit geleistet**, „Dies ist kein perpetuum mobile^ ^
„Wie sich derArme furchtet!** — und die Inhalte all dieser Aussagen
sind in gleicher Weise korrekte Auffassungen eines und desselben
physischen Vorgangs.
3) DaB somit die 3 Elemente der Aussage, die wir hier unter-
schdden, in der Tat voneinander verschieden sind, glauben wir dar-
getan zu haben. Dann mussen jedoch auch die verschiedenen Be-
ziehungen, die zwischen je zweien derselben stattfinden, sorgfaltig
auseinandergehalten und durch besondere Namen ausgezeichnet
werden. Im Texte dieses Paragraphen haben wir nun die Aussage-
laute den Ausdruck des Aussageinhalts und die Bezeichnung
der Aussagegrundlage, den Aussageinhalt eine Auffassung der
Aussag^rundlage genannt Doch auch diese Benennungen bediirfen
dniger Erlsluterungen.
64 NOOLOGIE
Freilich gilt dies kaum von den an erster und dritter Stelle genannten.
Denn wenn etwa ein und derselbe physische Vorgang Ein Mai durch
den Satz „Dieser Vogel fliegt"*, das andere Mai durch den Satz „Hier
wird Arbeit geleistet* wiedergegeben wird, so wiiBte ich nicht, wie
anders man diese Verschiedenheit ausdrucken solite, ais indem man
sagt, jene beiden Satze steliten verschiedene Auffassungen derselben
Tatsache dan Und auch wenn wir die sprachliche Form einer Aus-
sage den Ausdruck des ihr zu Grunde liegenden Gedankengehaltes
nennen, befinden wir uns wohl mit dem Sprachgebrauch in Ueberein-
stimmung. Dagegen scheint es fOr die Beziehung der Aussagelaute
zur Aussagegrundlage an einem vollig angemessenen Terminus uber-
haupt zu fehien. Ueber das Wort Ausdruck haben wir eben anders
disponiert Bedeutung enthalt offenbar irgendeine wesentliche Be-
ziehung auf den Aussageinhalt — die Bedeutung einer Aussage kann
nicht etwas von ihrem Sinn ganz Verschiedenes sein — , wahrend wir
hier ja von diesem gerade absehen und bloB die unvermitteite Be-
ziehung von Sprachform und Tatsache ins Auge fassen wollen. Doch
auch Bezeichnung scheint sich nur in dem Sonderfalle, in dem es sich
um ein einzelnes Wort handelt, vdliig ungezwungen darzubieten. DaB
das Wort „Stein* den Gegenstand „Stein", das Wort „Fallen** den
Vorgang ^Fallen** bezeichne^ ist eine einwandfreie Ausdrucksweise;
daB dagegen die Wortfolge „Da fallt ein Stein!** den entsprechenden
Vorgang bezeichne^ wiirde man vielleicht nicht ohne weiteres sagen.
Da indes das BedQrfnis nach einem besonderen Terminus fur diese
Beziehung sich nicht abweisen laBt, so mussen wir hier zu einer Er-
weiterung des iandlaufigen Sprachgebrauches uns entschlieBen, und
verstehen demnach im folgenden unter Bezeichnung^ wo dieses Wort
im technischen Sinne gebraucht wird, die Beziehung der Aussagelaute
zur Aussagegrundlage.
4) Bisher haben wir die 3 Elemente der Aussage isoliert betrachtet:
wir haben Aussagelaute, Aussageinhalt und Aussagegrundlage unter-
schieden und die zwischen diesen Elementen bestehenden Relationen
des Ausdrucks, der Auffassung und der Bezeichnung kurz charak-
terisiert Diese Betrachtungsweise ist indes eigentlich nur dem
Elementenpaar Aussagelaute— Aussagegrundlage angemessen, denn
nur die Relation der Bezeichnung haftet ihren Gliedem so lose und
iuBerlich an, daB sie aus ihnen keine h5here Einheit herstellt: die
Lautfolge einer Aussage und die Tatsache, auf die sie sich bezieht,
bilden keinen einheitlichen Komplex — so wenig wie sonst ein Zeichen
und das durch dieses Zeichen Bezeichnete. Anders dagegen steht es
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 65
mit den Relationen des Ausdrucks und der Auffassung. Dadurch,
daB Aussagelaute und Aussagegrundlage mit dem Aussageinhalt in
diesen Beziehungen stehen, werden sie selbst in ihrem Wesen ver-
Sndert Es liegt deshalb auch ein Bedurfnis vor, die Aussagelaute,
sofeme sie den Aussageinhalt ausdrucken, und die Aussagegrundlage,
sofeme sie durch den Aussageinhalt aufgefaBt ist, mit anderen Namen
zu bezeichnen, als die Aussagelaute und die Aussagegrundlage, sofem
diese nur an sich selbst betrachtet werden.
Die Aussagelaute als solche sind eine bloBe, sinnlose Klangfolge.
Der Aussageinhalt ist der Sinn, den diese Klangfolge ausdruckt Da-
gegen sind die Aussagelaute, sofem sie diesen Sinn ausdrQcken, eine
Folge von Worten und Satzen, kurz eine sinnvolle Rede. So
z. B. stellt bei der Aussage „Dieser Vogel f liegt" die Klangfolge
Dieser Vogel fliegt die Aussagelaute als solche dar. Der Sinn der
Aussage ist der Aussageinhalt Sofern jedoch jene Klangfolge als
Ausdruck dieses Sinnes betrachtet wird, bildet sie den Satz „ Dieser
Vogel fliegt".
Die Rede besteht aus den Aussagelauten plus dem Aussageinhalt,
d. h. aus einer sprachlichen Form plus einem Gedanken. Nun haben
wir in § 46 einen Gedanken plus einer sprachlichen Form eine Aus-
sage genannt Zwischen diesen beiden Komplexen besteht indes
offenbar nur eine rein formelle Distinktion, die wohl ohne Schaden
vemachlassigt werden kann. Wir durfen deshalb die Rede mit der
Aussage gleichsetzen, und bezeichnen im folgenden die Aussagelaute,
sofern diese als Ausdruck des Aussageinhalts betrachtet werden,
geradezu als die Aussage selbst
Die Aussagegrundlage als solche ist eine bloBe, gedanklich unauf-
gefaBte Tatsache, sie ist dasjenige wirklich Vorhandene oder doch als
wirklich vorhanden Gedachte, worauf sich die Aussage bezieht Der
Aussageinhalt ist der Gedanke, durch den diese Tatsache in der Aus-
sage aufgefaBt wird. Dagegen ist die Tatsache, sofem sie durch
diesen Gedanken aufgefaBt wird, das eigentlich in der Aussage Aus-
gesagte. So z. B. wird bei der Aussage „ Dieser Vogel fliegt" die
Aussagegmndlage dargestellt durch die Tatsache eines vor den Augen
des Aussagenden fliegenden Vogels. Der Gedanke „ Dieser Vogel
fliegt" ist der Aussageinhalt Sofem jedoch jene Tatsache durch
diesen Gedanken aufgefaBt wird, bildet sie den in der Aussage eigent-
lich ausgesagten Vorgang: das „Fliegen dieses Vogels".
In unserem Beispiel ist der ausgesagte Vorgang eine Tatigkeit In
anderen Fallen ist er ein Leiden. In wieder anderen Fallen ist das
Com per z, Weltanschauungslehre II 1 5
66 NOOLOGIE
Ausgesagte uberhaupt kein Vorgang, sondem das Haben einer Eigen-
schaft Oder das Identischsein mit einer bestimmten Art von Gegen-
standen, z. B. bei den Aussagen „Diese Fahne ist rot** oder „ Dieses
Tier ist ein Vogel**; denn hier ist ausgesagt das „Rotsein dieser Fahne"
und das „Ein-Vogel-Sein dieses Tieres". Fragen wir nun, wie solche
Ausgesagte passend zu benennen seien, so werden wir erwidern
durfen : das Fliegen eines Vogels, das Rotsein einer Fahne, das Vogel-
sein eines Tieres sind Sachverhalte. Wir nennen daher im folgenden
die Aussagegrundlage, sofem sie betrachtet wird als aufgefaBt durch
den Aussageinhalt, den ausgesagten Sachverhalt.
Es kann auch hler die Frage aufgeworfen werden, ob die Unter-
scheidung der Aussage von den Aussagelauten und dem Aussage-
inhalt, des Sachverhalts von der Aussagegrundlage und dem Aussage-
inhalt nicht eine unniitze Subtilitat sei. Wir mussen deshalb die
reelle Verschiedenheit dieser Aussageelemente noch besonders nach-
weisen.
Die Aussagelaute „ Dieser Vogel fliegt", als solche betrachtet, sind
eine Klangfolge. Sie gehoren femer keiner bestimmten Sprache an,
denn es ist rein zufallig, wenn nicht diese selbe Klangfolge in einer
anderen Sprache als Ausdruck eines ganz anderen Sinnes gebraucht
wirdi). Dagegen ist der Aussageinhalt, d. h. der Sinn des Satzes
„ Dieser Vogel fliegt", keine Klangfolge, sondem ein Komplex logischer
Bestimmungen. Die Aussage nun, d. h. der Satz „ Dieser Vogel
fliegt", steht zwischen beiden in der Mitte. Sie unterscheidet sich von
dem Aussageinhalt dadurch, daB auch sie eine Klangfolge ist, mithin
keine Gruppe logischer Bestimmungen. Sie unterscheidet sich von
den Aussagelauten dadurch, daB sie einer bestimmten Sprache an-
geh5rt Sie ist demnach weder mit dem Aussageinhalt noch mit den
Aussagelauten identisch. Vielmehr ist die Aussage ein Komplex, an
dem die Aussagelaute gleichsam als Stoff, der Aussageinhalt gleichsam
als Form beteiligt ist Ein Komplex aber kann naturgemaB weder
mit seinem stofflichen noch mit seinem formalen Elemente zusammen-
fallen.
Die Aussagegrundlage des Satzes „ Dieser Vogel fliegt", als solche
betrachtet, somit die Tatsache, auf die jener Satz sich bezieht, ist etwas
Vorhandenes oder doch als vorhanden Gedachtes, ein Stuck physi-
scher Wirklichkeit2). Als solches kann sie — wie gesagt — vorhanden
1) Bei kiirzeren Klangfolgen ist dies noch deutlicher. Die Aussagelaute Brett =
Bright gehoren sowohl der deutschen wie der englischen Sprache an : hier drucken
sie den Oedanken Clams, dort den Oedanken Lotus aus. ^) Naturlich gibt es auch
Aussagen, die sich nicht auf Physisches beziehen, sondem auf Psychisches (z. B.
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 67
Oder nicht vorhanden sein, und zwar ist sie jedesmal dann vorhanden,
wenn der angefuhrte Satz wahr, dann nicht vorhanden, wenn er falsch
ist Dagegen hatte es keinen Sinn, zu sagen, die Tatsache selbst sei
im ersten Falle wahr, im zweiten falsch ; denn Tatsachen konnen nur
vorhanden oder nicht vorhanden sein ; bloB Gedanken oder Aussagen
sind wahr oder falsch, je nachdem sie mit vorhandenen Tatsachen
libereinstimmen oder nicht. Ein weiteres Merkmal der Aussagegrund-
lage als solcher ist das, daB sie keinerlei eindeutige Gliederung auf-
weist. Denn dieselbe Tatsache kann ja aufgefaBt werden durch die
ganz verschieden gegliederten Aussageinhalte „Dieser Vogel fli^",
„Das ist ein Vogel", »Hier bewegt sich etwas**, „Ich sehe ein lebendes
Wesen'^ usf. Es ist somit, solange die Aussagegrundlage nur als
solche, d. h. eben als bloBe Tatsache, als bloBes Stuck physischer
Wirklichkeit, betrachtet wird, noch gar nicht bestimmt, ob sie als das
Haben einer Eigenschaft oder als Vorgang, als Tun oder als Leiden
zu denken, und welche ihrer Elemente etwa als Eigenschaften oder
Gegenstande, welche als tatige oder leidende Gegenstande anzusehen
sind. Demgegenuber ist der Aussageinhalt, also z. B. der Sinn des Satzes
„Dieser Vogel fli^*, nicht ein Stuck physischer Wirklichkeit, sondem
eine Gruppe logischer Bestimmungen. Als solche ist er eindeutig
gegliedert. Zur Auffassung welcher Tatsachen immer er verwendet
werde — stets enthalt er die Begriffe eines tatigen Wesens, einer
Tatigkeit desselben sowie seiner unmittelbaren Gegenwartigkeit. Der
Inhalt jenes Satzes kann auch wahr oder falsch sein, je nachdem die
Tatsache, auf die er sich bezieht, vorhanden ist oder nicht i). Dagegen
ist das ^Vorhandensein" des Aussageinhalts selbst von seiner Wahr-
heit oder Falschheit ganz unabhangig. In dem Sinne, in dem Tat-
sachen vorhanden sind, ist der Sinn eines Satzes uberhaupt nicht vor-
handen. In jenem Sinn dagegen, in welchem der Sinn eines wahren
Satzes „ vorhanden** ist — etwa als Inhalt eines subjektiven Ge-
dankens — , ist der Sinn eines falschen Satzes auch vorhanden: der
Inhalt des Satzes „Dieser Vogel fliegt" ist in gleicher Weise, ob nun
„dieser Vogel" wirklich fliege oder nicht
,.Dieser Affekt ist heftig*') oder auch weder auf Physisches noch auf Psychisches
(z. B. „Dieser Satz enuialt einen Widerspruch"). Allein in all diesen rallen ist
doch der nicht-physische Charakter der Aussagemindlage etwas Zufallifi[es, das
nur durch den oesonderen Inhalt der einzelnen Aussage bedingt ist. Dem Aussage-
inhalt dagegen ist es — ganz ohne Rucksicht auf den besonderen Inhalt der ein-
zelnen Aussage — wesentlich, nicht physisch zu sein. Der Oegensatz, um
dessen Hervomebung es uns hier zu tun ist, wird deshalb durch jene Mannigfaltigkeit
der Aussageg[rundlagen nicht beruhrt Cenauer scheint es mir freilich, Wahrheit
und Falschheit nicht von dem Sinn eines Satzes, sondem nur von einem Satze selbst
zu pradizieren. Doch kommt diese feinere Unterscheidung hier noch nicht in Frage.
5»
68 NOOLOGIE
Betrachten wir nun die Aussagegrundlage, sofem sie durch den
Aussageinhalt aufgefaBt ist, demnach den in dem Satze „Dieser Vogel
fliegt'^ ausgesagten Sachverhalt, so sehen wir, daB derselbe sich aber-
mals sowohl von der Aussag^^ndlage als solcher wie auch vom
Aussageinhalt unterscheidet Von der Aussagegrundlage als solcher
unterscheidet er sich dadurch, daB er ebenso wie der Aussageinhalt
eine eindeutige Gliederung aufweist Der Satz „Dieser Vogel fliegt"
sagt namlich nicht bloB aus, daB ein Stuck physischer Wirklichkeit
vorhanden sei, das als Haben einer Eigenschaft oder als Vorgang,
als Tun oder als Leiden gedacht werden konne usf., sondem er sagt
aus, daB ein physischer Vorgang stattfinde, an dem ein tatiger
Gegen stand „Vogel", eine Tatigkeit „Fliegen** und eine durch
„Dieser" bezeichnete unmittelbare Gegenwartigkeit jenes
Gegenstandes zu unterscheiden seien. Mit anderen Worten : was jener
Satz aussagt, ist „das Fliegen eines Vogels'^. Dies ist indes zwar
gleichfalls ein Stuck physischer Wirklichkeit, jedoch ein solches von
eindeutiger Gliederung: es ist nicht nur im allgemeinen ein Stuck
physischer Wirklichkeit, sondem es ist naher ein physischer Vor-
gang, und ganz speziell eine physische Tatigkeit — dies aber
sind lauter PrSdikate, die von der Aussagegrundlage als solcher noch
nicht ausgesagt werden konnten ; denn sonst lieBe sie sich nicht auch
durch die Aussageinhalte „Dies ist ein Vogel "^ oder „lch sehe ein
lebendes Wesen'^ auffassen. Anders ausgedruckt: die Aussagegrund-
lage als solche kann fur die 3 Satze „Dieser Vogel fliegt", ^Dies ist
ein VogeP und „Ich sehe ein lebendes Wesen" dieselbe sein. Der
in diesen 3 Satzen ausgesagte Sachverhalt dagegen ist jedesmal ein
anderer. Denn ausgesagt wird im ersten Satze das Fliegen y, dieses*'
VogelSf im zweiten das Vogel-Sein von y^Diesem'^ im dritten das Sehen
eines lebenden Wesens durch y^mich''. Wenn jedoch die Aussagegrund-
lage dieser Satze identisch sein kann, wahrend der in ihnen ausgesagte
Sachverhalt nicht identisch ist, so kann der Sachverhalt mit der Aus-
sag^^ndlage unmdglich zusammenfallen.
Nicht minder einleuchtend ist es indes, daB der in einem Satze aus-
gesagte Sachverhalt auch mit dem Inhalte dieses Satzes nicht identisch
sein kann. Denn das Fliegen „dieses" Vogels bleibt, wenn es auch
eine eindeutige Gliederung zeigt, deshalb nicht weniger ein physischer
Vorgang, der Inhalt oder Sinn des Satzes „ Dieser Vogel fliegt" da-
gegen ist gar nichts Physisches, sondem eine Gmppe logischer Be-
stimmungen. Das Fliegen yydieses*' Vogels kann femer — ganz wie
die Aussagegmndlage als solche — vorhanden oder nicht vorhcmden,
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM GO
es kann jedoch nie wahr oder falsch sein. Der Sinn des Satzes
„Dieser Vogel fliegt** dagegen kann wahr oder falsch sein; er ist
aber, wenn jener Satz falsch ist, nicht weniger „vorhanden" als wenn
er wahr ist Unterscheidet sich somit der ausgesagte Sachverhalt von
der Aussagegrundlage als solcher durch seine eindeutige Gliederung, so
unterscheidet er sich von dem Aussageinhalt dadurch, daB er im Gegen-
satze zu diesem etwas Physisches ist^), und daB er zwar vorhanden
oder nicht vorhanden, jedoch niemals wahr oder falsch sein kann.
Dies alles ist auch ganz wohl begreiflich. Denn die Aussagegrund-
lage bleibt, auch wenn sie durch den Aussageinhalt aufgefaBt, und
das heiBt, wenn sie zum Sachverhalt wird und deshalb eine eindeutige
Oliederung annimmt, doch eine Tatsache, demnach ein Stuck physi-
scher Wirklichkeit mit alien EigentQmiichkeiten eines solchen. Auch
der in einer Aussage ausgesagte Sachverhalt ist eben ein Komplex,
an welchem die Aussagegrundlage gleichsam als Stoff, der Aussage-
inhalt dagegen als Form teilnimmt; dieser Komplex aber kann ebenso-
wenig wie der aus Aussageiauten und Aussageinhalt bestehende mit
seinem stofflichen oder auch mit seinem formellen Elemente zu-
sammenfallen. Der in einer Aussage ausgesagte Sachverhalt ist also
wirklich sowohl von der Aussagegrundlage als solcher als auch vom
Aussageinhalt ebenso verschieden, wie die Aussage selbst von den
Aussageiauten und auch vom Aussageinhalt verschieden ist.
5) Wenn die Aussage von den bloBen Aussageiauten, der ausgesagte
Sachverhalt von der bloBen Aussagegrundlage verschieden ist, so kann
auch die Beziehung zwischen Aussage und Sachverhalt nicht mit der
Beziehung zwischen den bloBen Aussageiauten und der bloBen Aus-
sagegrundlage zusammenfallen. Die letztere nun ist uns als die Re-
lation der Bezeichnung bekannt. Im Gegensatze zu ihr wollen wir
die erstere Beziehung die Relation derBedeutung nennen: dieAus-
sagelaute als solche bezeichnen die Aussagegrundlage als solche; die
Aussage bedeutet den ausgesagten Sachverhalt.
DaB die Relation der Bedeutung von der Relation der Bezeichnung
wirklich verschieden ist, bestatigt sich, sowohl wenn wir das Wesen
als wenn wir die Funktion beider Relationen ins Auge fassen. Die
Bezeichnungsbeziehung zwischen den Aussageiauten und der Aus-
sagegrundlage ist eine rein auBerliche Beziehung, deren Glieder voll-
kommen heterogen sind: eine Klangfolge und eine durch sie bezeichnete
Tatsache enthalten keinerlei gemeinsames Element; es ist wirklich Sache
n Bezw. etwas Psychisches oder auch Logisches, in jjedem Falle aber nur
zufallig etwas Nichrohysisches, wahrend dieses negative Pradikat dem Aussage-
inhalt stets notwendig zukommt
70 NOOLOOIE
der bloBen Konvention, wenn jene als Zeichen fur diese gebraucht
wird. Dagegen enthalten die Aussage und der ausgesagte Sachverhalt
in dem Aussageinhalt ein gemeinsames Element: der Sinn, als dessen
Ausdruck die Aussageiaute in der sinnvolien Rede fungieren, ist ja
derselbe Sinn, durch den die Aussagegrundlage in dem ausgesagten
Sachverhalt aufgefaBt wurde. Derselbe Oedanke, welcher die an sich
seibst unzahliger Auffassungen fahige Tatsache eines fliegenden Vogeis
zu dem Sachverhalt „Bewegung dieses Lebewesens** gliedert, macht
auch die an sich seibst zum Ausdruck unzahliger Gedanken geeignete
Klangfolge Dieses Lebewesen bewegt sich zu dem Satz der deutschen
Sprache „Dieses Lebewesen bewegt sich". Die Bedeutungsbeziehung
zwischen Aussage und ausgesagtem Sachverhalt ist also eine Be-
ziehung zwischen zwei teilweise koinzidierenden Oliedern und des-
halb keine auBerlich-konventionelle, sondern eine innerlich-begriindete
Beziehung.
Die Relation der Bedeutung hat jedoch auch eine ganz andere
Funktion als die Relation der Bezeichnung. Grundfunktion der Aus-
sage ist die Mitteilung. Wahrend nun aber die Aussageiaute nichts
anderes zu leisten vermogen, als daB sie aus ihrem eigenen Vorhanden-
sein auf das Vorhandensein der Aussagegrundlage schlieBen lassen,
vermag die Aussage zugleich auch eine bestimmte Auffassung der
Aussagegrundlage zu vermitteln, und der Aussagende kann infolge-
dessen durch geeignete Wahl der Aussage dem Zuhorer das Vor-
handensein der Aussagegrundlage gleich in einer solchen Auffassung
mitteilen, welche ihm ein zweckmaBiges Verhalten ermoglicht Es er-
blicke z. B. einer von zwei im Walde gehenden M3nnem eine Schlange.
Als Zeichen fur diese Tatsache sind die Klangfolgen Da ist eine
Schlangey Das ist ein Korper, Ich sehe einen Qegenstand in gleicher
Weise verwendbar. K5nnte demnach ein Aussagender nichts anderes
tun als eine Aussagegrundlage durch Aussageiaute bezeichnen^ so ware
es vollkommen gleichgultig, welche jener drei Klangfolgen er erzeugte.
In Wahrheit wird er naturlich stets die erste, und nie die beiden
letzten Klangfolgen produzieren. Denn nur jene setzt den Ange-
redeten in den Stand, sich vorzusehen, auszuweichen usf., kurz sich
zweckmaBig zu verhalten. Allein dies setzt eben voraus, daB die Aus-
sage nicht nur Tatsachen bezeichnen, sondern auch Sachverhalte be-
deuten kdnne. Wahrend namlich die angefuhrten drei Klangfolgen
gleichmaBig dieselbe Tatsache bezeichnen, bedeutet jede einen anderen
Sachverhalt; und wahrend die Sachverhalte „K6rper-Sein von diesem**
und „Sehen eines Oegenstandes durch mich** dem Angeredeten gar
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 71
kein eindeutiges Verhalten ermoglichen, leistet dies der Sachverhalt
„Da-Sem einer Schlange" in sehr vollkommener Weise. Die Funktion
der Aussagelaute, welche dem Angeredeten einen Sachverhalt, d. h.
eine Tatsache in bestimmter Auffassung, vermittelt, ist indes offenbar
eine ganz andere Funktion als jene, die ihn bloB auf das Vorhanden-
sein einer, beliebiger Auffassungen fahigen Tatsache hinweist.
Nach alledem laBt sich nicht bestreiten, daB die Relation zwischen
Aussage und Sachverhalt eine andere ist ais die zwischen Aussage-
lauten und Aussagegrundlage. Es fragt sich daher nur noch, ob es
dem Sprachgebrauche entspricht, wenn wir jene erstere Relation als
die der Bedeutung bezeichnen. Und diese Frage glauben wir bejahen
zu durfen. In jener Bezeichnungsweise liegt ein doppeltes : daB das-
jenige, was Bedeutung hat, die Aussage, und daB dasjenige, was
diese Aussage bedeutet, der ausgesagte Sachverhalt sei. Beide Be-
stimmungen aber scheinen uns dem Sprachgebrauche zu entsprechen.
Diesem zufolge namlich ist es gewiB nicht der bloBe Wortklang als
solcher, der Bedeutung »hat", da man von demjenigen, der einer Sprache
nicht kundig ist, allgemein sagt, daB er die Bedeutung ihrer Worte
nicht verstehe; und auch nicht der bloBe Sinn jenes Wortklangs, da
niemand von einem Gedanken, der uberhaupt noch keine sprachliche
Form angenommen hat, sagen wird, er „bedeute" etwas. Dasjenige,
was Bedeutung ^hat", sind vielmehr die Worte und Satze einer be-
stimmten Sprache, d. h. die Aussagelaute, als Ausdruck eines Aussage-
inhalts betrachtet, kurz, es ist die sinnvolle Rede — die Aussage selbst.
Andererseits ist dasjenige, ^was"" die Aussage bedeutet, gewiB nicht
die bloBe, durch keinen bestimmten Aussageinhalt aufgefaBte Aus-
sag^^ndiage — so daB in die Bedeutung einer Aussage gar keine
Auffassung der von ihr ausgesagten Tatsache eingeschlossen ware.
Denn auch wenn die Satze „Dieser Vogel f liegt" und „ Dieses Tier
bew^ sich" sich auf dieselbe Tatsache beziehen, sagt doch niemand,
sie „bedeuteten" dasselbe. Und doch kann dasjenige, was eine Aus-
sage bedeutet, auch nicht der bloBe Aussageinhalt sein. Denn der
Satz „Dieser Vogel fliegt" bedeutet offenbar nicht eine bloBe Gruppe
logischer Bestimmungen , sondem den physischen Vorgang: das
„Fliegen dieses Vogels". Das, was die Aussage bedeutet, kann daher
nur die durch einen bestimmten Aussageinhalt aufgefaBte Aussage-
grundlage sein — d. h. der ausgesagte Sachverhalt. Wir befinden uns
demnach mit dem Sprachgebrauche in Einklang, wenn wir die Be-
deutung als die Beziehung erklaren, die zwischen der Aussage und
dem ausgesagten Sachverhalt besteht.
72 NOOLOGIE
6) Schon friiher (§ 45. 4) ist erwahnt worden, daB das Bedeutungs-
problem geschichtlich meist auf das Universalienproblem eingeschrankt
worden ist. Auch der Aussage hat man deshalb in der Regel den
Begriff substituiert. Wollen wir daher nunmehr an die uberlieferte
Fragestellung ankniipfen, so gilt es vorerst zu untersuchen, welche
Gestait denn die Elemente der Aussage in dem speziellen Falle des
Begriffes annehmen. Doch fassen wir zu diesem Behufe aus mehreren
Oriinden hier nur die Gegenstandsbegriffe ins Auge. Einmal weil
bei diesen die Verhaltnisse besonders klar liegen, Sodann weil offen-
bar alle Begriffe eine Tendenz haben, sich in Gegenstandsbegriffe zu
verwandeln ; denn wenn z. B. auch reine Eigenschafts- und Zustands-
begriffe wie „Rot** und ^Fallen" denkbar sind, so neigen wir doch
Alle dazu, vielmehr von Begriff en der „R6te" und des „FaIles" (oder
auch „des Fallens") zu sprechen, durch welche Eigenschaft und Vor-
gang selbst als Gegenstande aufgefaBt werden, wie denn auch ihr
sprachlicher Ausdruck ein Hauptwort ist. Endlich ware es an dieser
Stelle noch kaum mdglich, eine auch andere als Gegenstandsbegriffe
umfassende Definition der Begriffe zu geben. Dagegen laBt sich der
Gegenstandsbegriff — wenn wir nur mit der provisorischen, in § 10. 4
gegebenen Erklarung des „Gegenstandes** uns begnugen^) — sehr
einfach definieren als eine Aussage, deren Aussagegrundlage durch
den Aussageinhalt als Gegenstand aufgefaBt wird. DaB dies namlich
fQr alle Gegenstandsbegriffe zutrifft, ist selbstverstandlich. Allein es
1) In neuester Zeit gebrauchen besonders Meinono und seine Schiiler das Wort
Gegenstand in einem viel allgemeineren Sinne, als er hier vorausgesetzt wird (vgl.
oben § 43. 6). So definiert denn auch Mally (Orazer Unterss. S. 126): „AlIes.
was etwas ist, heiBt ein Gegenstand", und damit kein Zweifel moglich sei. bemerkt
er (Ibid. S. 130), in dem Satze „Der Himmel ist blau" sei Blau der .,bestimniende
Gegenstand". Sachhch gleichsinnig, wenn auch etwas weniger schroft in der Form,
scheinen auch die Erklarungen von Ameseder zu sein, jedes von einem psvchischen
Eriebnis ErfaBte sei ein Gegenstand (Ibid. S. 54), oder auch alles, wovon etwas aus-
gesagt werden konne (j^was einem Objektive zugeordnet ist", S. 57). DaB es nun
spracnwidrigr ist, eine Eigenschaft wie Blau, oder auch einen Zustand, eine Ver-
anderung, erne Beziehung als Gegenstand zu bezeichnen, unterliegt wohl keinem
Zweifel. Denn nach allgemeinem Sprachgebrauche sind cigenschanen etwas, was
Gegenstande haben^ zustande etwas, worin sich Gegenstande befinden, Be-
ziehungen etwas. worm Gegenstande stehen. Dennoch wurde ich allfalligen MiB-
verstandnissen aurch terminologisches Ent^egenkommen geme vorbeugen, wenn
nur ftir das, was ich GegenstaruL nenne, namlich ftir den emheitlichen und beharr-
lichen Komplex, dem — wie sich zeigen wird — eben deshalb auch ein ^^selb-
standiges Sein" zukommt, ein anderer^ passender Name zur Verfugung stunde.
Allein Subjekt oder Ding waren noch viel bedenklicheren Mifiverstandnissen ausge-
setzt: sie wtirden eine eindeutige Beziehung zu psychischer oder physischer Seins-
weise zu involvieren scheinen, wahrend vonkommene Indifferenz geeen die onto-
logische Modalitat dem fraglichen Begriffe durchaus wesentlich ist cs bleibt mir
also nur ubrig, bei dem naturlichsten Ausdruck stehen zu bleiben und die Ausdriicke
Gegenstand und Objekt in dem hier definierten, engeren Sinne auch weiterhin zu
gebrauchen.
ORIENTIERUNG OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 73
leuchtet auch ein, daB es fur alle anderen Aussagen nicht zutrifft
Denn wenn sich freilich auch ein Satz auf einen oder mehrere Oegen-
stande bezieht (z. B. der Satz „Der Hund ist ein Raubtier** sowohl
auf „Hund" als auf „Raubtier"), so besteht doch der in jenem Satze
ausgesagte Sachverhalt nicht in ihnen, sondern faBt sie in einer be-
stimmten Weise zusammen (z. B. zu dem Sachverhahe „das Raub-
tier-Sein des Hundes"), und dieser Sachverhalt ist sicherlich kein
„Gegenstand" in unserem Sinne. Ebenso in unserem friiheren Bei-
spiel. Dieselbe Tatsache, welche dem Satze zu Orunde lag „ Dieser
Vogel fliegf", kann auch als Oegenstand aufgefaBt werden, und fundiert
erst dann den Begriff „ein fliegender Vogel". An diesem Begriffe
wollen wir nun die Elemente der Aussage nachweisen.
Die Aussagegrundlage der Begriffe kann sich von der aller anderen
Aussagen nicht unterscheiden. Denn der Aussagegrundlage als solcher
ist es ja ganz unwesentlich, ob sie als Oegenstand, als Vorgang oder
sonstwie aufgefaBt wird. Dieselbe Tatsache kann durch verschiedene
Auffassung zu dem Sachverhalt „ Dieser Vogel fliegt", und auch zu
dem anderen „Ein fliegender Vogel" werden. Aussagegrundlagen der
Begriffe sind daher Tatsachen von ganz derselben Art, wie sie auch
andere Aussagen fundieren. Dagegen zeigt die durch den Aussagein-
halt aufgefaBte Aussagegrundlage hier eine ausgesprochene Besonder-
heit Wir sahen ja eben: durch den Inhalt eines Begriffes wird die
Aussagegrundlage als Oegenstand aufgefaBt Nun widerspricht es
dem Sprachgebrauch, einen Oegenstand als einen „Sach verb alt" zu
bezeichnen; es scheint vielmehr angemessener, ihn geradezu eine
Sache zu nennen^). Die Oesamtheit d\\&[ Sachen^ die ein Begriff be-
deutet, nennt die Logik den Umfang dieses Begriffes. Dagegen be-
zeichnet sie als seinen Inhalt den Aussageinhalt des Begriffes, d. i.
jene Oruppe logischer Bestimmungen, durch die aufgefaBt die Aus-
sagegrundlage zu einem Oegenstande des Begriffes, somit zu einer
von ihm „bedeuteten" Sache wird. Bezieht man jedoch diesen Be-
griffsinhalt, d. i. diese Oruppe logischer Bestimmungen, nicht auf den
Begriff selbst, sondern vielmehr auf seine Oegenstande, die seinen
Umfang konstituierenden Sachen, dann kdnnen wir ihn — in freiem
AnschluB an einen alten metaphysischen Sprachgebrauch — das be-
griffliche Wesen oder die Essenz dieser Oegenstande oder
Sachen nennen: dieselbe Oruppe logischer Bestimmungen, die den
^) Dasjenige, was Aussagen „bedeuten", sind daher entweder Sachen oder Sadi-
vernalte. Um jedoch die schleppende Fugung .,Sachen oder Sachverhalte" zu ver-
meiden, werden wir im folgenden den Ausdrudc Sachverhalt auch in dem weiteren
Sinne von „Sachen oder Sachverhalten" gebrauchen.
74 NOOLOGIE
Inhalt des Begriffes „ein fliegender VogeP darstellt, bildet auch das
begriffliche Wesen oder die Essenz aller wirklichen und fgedachten
fliegenden Vogel. Wie alle anderen Aussageinhalte bedarf ferner auch
der Begriffsinhalt zu seinem Ausdruck einer sprachlichen Form, somit
einer Gruppe von Aussagelauten, und diese pflegt man den Nam en
der von ihm bezeichneten Sachen zu nennen. Die Aussage endlich,
welche entsteht, wenn der Name als Ausdruck des Begriffsinhaltes
fungiert, ist der Begriff selbst i). Zusammenfassend kann man also
sagen: in dem besonderen Falle, in dem die Aussagegrundlage als
Oegenstand aufgefaBt wird, heiBt ein solcher Oegenstand eine Sache,
die Aussage heiBt der Begriff, die Aussagelaute heiBen der Name,
und der Aussageinhalt heiBt die Essenz dieser Sache.
7) Noch wichtiger indes ist uns hier die Einsicht, daB der Begriff
wirklich nur eine Art der Aussage darstellt Um hieruber keinen
Zweifel zu lassen, ist unsere Darsteliung nicht vom Begriffe, sondern
von einer anderen Art der Aussage, namiich vom Satze, ausgegangen.
Im ailgemeinen sind uns daher die Elemente der Satzaussage schon
bekannt. Nur Eine] terminologische Bemerkung sei hier nachgetragen,
die sich auf den Aussageinhalt speziell der Satzaussagen bezieht Fiir
diesen namiich fehlt es uns bisher an einem besonderen Namen. Das
Stuck Wirklichkeit z. B^ das der Aussage „ Dieser Vogel fliegt" zu
Grunde liegt, nannten wir eine Tat sache. Diese Tatsache, aufgefaBt
als einen physischen Vorgang, somit das „Fliegen dieses Vogels", be-
zeichneten wir als einen Sachverhalt. Wie soil jedoch der Ge-
danke heiBen, der hier die Tatsache in solcher Weise auffaBt, die
Gruppe logischer Bestimmungen, welche die Essenz aller Sachverhalte
„Fliegen dieses Vogels** ausmacht, kurz der Sinn des Satzes „Dieser
Vogel fliegt**? Fur derartige „SatzinhaIte" mSchte ich den Ausdruck
1) Es lafit sich allerdings nicht verkennen. dafi der Sprachgebrauch eine gewisse
Neigune zeigt, unter einem Begriffe nicht aie Aussas^e selbst, sondem nur ihren
Sinn Oder logischen Oehalt, kurz den Aussageinhalt, zu verstehen. Wollte man
indes dieser Tendenz nachgebeiu so muBte man sich tiber drei sehr g^ewichtige
Schwierigkeiten hinwegsetzen. zunachst ware dann nicht abzusehen, wodurch sich
der B^ff von dem BegriffsinhaU unterscheiden soUte. Sodann wuixle es an einer
besonderen Bezeichnun^ fur die Aussage fehlen, die entsteht, wenn der Name —
der doch wohl an und tur sich ein bloBes Zeichen ist — als Ausdruck eines Aus-
sa^einhalts fungiert Endlich mufite man darauf verzichten, die Reihe : Begriff, Sat^
Scnlufi {§^, jigSraatgf aviioyiafwg) als eine homogene zu betrachten : denn Satze una
Schlusse sind doch zweifellos nicht blofie Aussageinhalte, sondem vollstandige
Aussagen. Wir ziehen es daher vor, den zweiaeutigen Sprachgebrauch in cler
Richtung zu prazisieren, daB wir unter Begriff den aus dem BegrifBinhalt und dem
ihn ausdriickenden Namen bestehenden Romplex verstehen. haben aber naturlich
nichts daeegen, wenn Andere unter Begriff aasjenige verstehen wollen, was wir
Begnffsiruuut nennen zu soUen glauben. Was wir einen B^ff nennen, muBte
ihnen dann ein Name heifien.
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 75
Tatbestand verwenden i). Unter einem Tatbestand verstehe ich
demnach einen gegliederten Komplex von Begriffsinhalten , unter
einer Tatsadie ein ungegliedertes Stuck Wirklichkeit, unter einem Sach-
verhalt ein mit der „Tatsache'' zusammenfallendes Stuck Wirklichkeit,
welches jedoch eine der Gliederung des „Tatbestandes** entsprechende
Gliederung aufweist.
Doch nicht nur Begriffe und Satze, auch Anreden, Befehle,
Wiinsche, Ausrufungen, Annahmen und Fragen, ja auch
Folgerungen, Schlusse und Beweise sind Aussagen2). Denn
auch in alien diesen Fallen liegen Klangfolgen vor, die einen Sinn
ausdrucken — somit Aussagelaute; ein Sinn, der von ihnen ausge-
druckt wird — demnach ein Aussageinhalt; und eine Tatsache, die
1) Ameseder hat kurzlich den Vorschlafi^ gemacht (Orazer Unterss. S. 66), das
Wort Tatsache in einem Sinne zu gebraucnen^ in dem es entweder den Sachver-
halt Oder den Tatbestand bezeichnen wurde. tr geht von der richtigen Bemerkung
aus, es sei nicht ganz angemessen, ein Objekt, etwa ,,Oold'S eine Tatsache zu
nennen. Dies habe ich denn auch nicht getan, denn die schon als Objekt, etwa
als „Oold", aufgefafite Aussagegrundlage nannten wir nicht Tatsache^ sonaem Sache,
Nur die Aussagegrundlage an sich selbst, die ebensowohl durch den Tatbestand
„Dies ist Oold^ wie durch den Begriffsinhalt „Oold'* aufg[efa6t werden kann, be-
zeichneten wir als Tatsache, Ameseder dagegen mochte im Oeeensatze zum Ob-
jekt vielmehr das „Obiektiv" Tatsache nennen, z. B. „daB Gold gelb ist**; denn
dies, meint er. sei docn zweifellos „eine Tatsache". Freilich mufi er selbst alsbald
hinzufugen, „aa6 Gold farblos ist, ist nicht Tatsache", und er bezeichnet deshalb
die „Objektive" falscher Satze als „Nichttatsachen", wahrend die „Objektive" wahrer
Satze fur ihn „Tatsachen** bleiben. Hieraus geht indes jedenfalls so viel hervor,
daB sich der Tatbestand nicht als „Tatsache" bezeichnen laBt; denn fur den Sinn
eines Satzes ist es doch vollig belanglos, und dem Looker ist es auch sehr haufig
gar nicht bekannt, ob dieser Satz wahr oder falsch ist Aehnlich steht es aber
auch mit dem Sachverhalt. Das ,.Farblossein des Goldes" ist zwar ein nicht wirk-
iich vorhandener, das „Gelbsein des Goldes" ein wirklich vorhandener Sachverhalt,
allein beides sind in ^anz gleicher Weise „Sachverhalte" , deren Vorhandensein
Oder Nichtvorhandensem den Semasiologen nicht kummert, wahrend Ameseder
jenes eine „Nichttatsache", dieses eine „Tatsache" nennen mufite. Die Semasiologie
wurde aber aufgehoben, wenn sie nicht von dem Sinn eines Satzes, oder von dem
in ihm ausfi[esagten Sachverhalt, reden konnte, ohne damit eine Behauptung iiber
seine Wahrheit oder Falschheit zu verbinden. Der Gebrauch des Namens Tatsache
als Bezeichnung der Aussagegrundlage scheint demnach den Aufgaben dieser
Wissenschaft weit besser zu entsprechen.
2) Eine allgemeine Uebersicht fiber die Arten der Aussage, sowie eine nahere
Ausfuhrung und Begrundung der im Texte angedeuteten Einteilung derselben wird
— obwojil es sich dabei eigentlich um eine semasiologische Au^abe handelt —
aus Grunden der Darstellunjg; erst in der Aletholoc^e gegeben werden. Hier mag
das schematische Gerippe emer solchen Uebersicht Platz finden.
Die Aussagen zertallen in vollstandige und unvollstandiee. Unvoll-
standige Aussagen sind die sogenannten synlcategorematischen Redeteile.
Die vollstandigen Aussac^en zerfallen in selbstandige und unselbstandige.
Unselbstandi^e sind die Be griff e. Die selbstandigen Aussagen lassen sich ein-
teilen inpradikationslose Aussagen, Pradikationen und Pradikations-
reihen. Zu den pradikationslosen Aussagen gehoren die An red en oder An-
rufunjgen. Die Pradikationen zerfallen in Befenle, Wunsche, Ausrufungen.
Annahmen, Fragen und Satze. Zu den Pradikationsreihen, und zwar speziell
zu den Satzreihen, gehoren die Folgerungen^ Schlusse und Beweise.
Das Wesentliche dieser Einteilung ist der stoischen Logik entlehnt
76 NOOLOGIE
durch diesen Sinn aufgefaBt wird und auf die sich deshalb die Aus-
sage bezieht, von der in ihr „die Rede ist" — also eine Aussagegrund-
lagei). Das letztere konnte man bezweifein wollen. Allein wenn ich
frage, ob ein eben sichtbarer Vogel ein Adler sei, oder beweisen will,
daB er es sei, so beziehen sich doch unleugbar auch diese beiden
Aussagen auf jenes Stiick Wirklichkeit, das wir als „diesen Vogel"
bezeichnen. Freilich laBt sich nicht verkennen, daB in dem MaBe, als
die Aussagen inhaltsreicher und komplizierter werden, die Aussage-
grundlage fur sie eine relativ immer schmaler werdende Basis abgibt
Durchlaufen wir z. B. im Geiste die Reihe: Begriff, Satz2), Beweis,
so wird der Zusammenhang der Aussage mit der Aussagegrundlage
immer lockerer und iockerer, indem innerhalb des Aussageinhalts die
Momente der „TatsachIichkeit" und „Oegebenheit" neben denen der
„Auffassung" und „Gliederung" in steigendem MaBe zurucktreten.
Doch diesen Unterschied, der so zum ersten Male sich uns aufdrangt,
werden wir erst spater naher ins Auge fassen k5nnen. Hier war es
uns bloB um jene Ziige zu tun, die samtlichen Aussagen gemeinsam
sind, und insbesondere um den Nachweis, daB an ihnen alien dieselben
Elemente sich unterscheiden lassen.
8) Wollen wir das Ergebnis unserer bisherigen Untersuchungen
zusammenfassen, so miissen wir sagen: an jeder voUstandigen Aus-
sage kdnnen wir 3 primare und 2 sekundare Elemente unterscheiden.
Die primaren Elemente sind: die Aussagelaute, d. i. die Klangfolge,
welche die sprachliche Form der Aussage darstellt, der Aussageinhalt,
d. i. der logische Gehalt, der ihren Sinn ausmacht, und die Aussage-
grundlage, d. i. jene Tatsache, auf die sich die Aussage bezieht. Die
1) Doch soil hiermit nicht gesagt sein, dafi zu der Grundlage einer Aussage alle
jene Qegenstande c^ehoren, auf die sich die in der Aussage vorkommenden
Begrifte beziehen. Sage ich z. B. ^^Dieser Vogel ist kein Adler** oder frage ich
„Ist dieser Vogel ein Adler?**, so gehort kein Adler zu den Gmndlagen dieser Aus-
sagen. Vielmehr ist nur das durcn „dieser Vogel** Bezeichnete jene Tatsache, auf
die sich die angefiihrten Aussagen beziehen. Das „Kein-Adler-Sein**, bezw. das
„Ein-Adler-Sein?* „dieses Vogels** dagegen ist g[erade so eine Auffassung der ge-
gebenen Tatsache — ein Saaiverhalt — wie beim positiven Satze „Dieser Vogel
Ist ein Adler** das ,,Ein-Adler-Sein**. Speziell beim negativen Satze „A ist nicht B**
gehort daher die durch B bezeichnete Tatsache nie zur Aussagegrundlage. Viel-
mehr ist Aussagegrundlage dieses Satzes jede Tatsache, die durch den Tatbestand
„A ist nicht B** aufgefafit werden kann, a. h. jedes A, das nicht B ist Anderer-
seits ist aber die ,.Tatsachlichkeit** der Aussagegrundlage wieder nicht so aufzufassen,
als ob nur wirkliche Tatsachen als Aussagegrundlagen fungieren konnten. Denn
bei alien falschen Satzen z. B. wird die Aussagegrundlage durch eine blofi ge-
dachte Tatsache dargestellt Bei dem Satze etwa „Luther endete durch Selbst-
mord** wird die Aussagegrundlage gebildet durch ein gedachtes Ereignis. das sich
durch den Tatbestand „Luther endete durch Selbstmord** auffassen lafit. ^) Und
zwar stehen die affirmativen Satze in dieser Reihe vor den negativen. Denn die
Aussage „Dies ist Qold** halt sich enger an die gegebenen Tatsachen als die
andere Aussage „Dies ist nicht Silber**.
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM
77
sekundaren Elemente sind : die Aussage selbst, d. i. das aus den Aus-
sagelauten und dem Aussageinhalt bestehende Oanze, und der aus-
gesagte Sachverhalt, d. L der aus der Aussagegrundlage und dem
Aussageinhalt bestehende Komplex. Diesen 3 primaren und 2 sekun-
daren Aussageelementen entsprechen aber nun auch 3 primare und
1 sekundslre Aussage -Relation. Die 3 primaren Relationen sind:
der Ausdruck, d. i. das Verhaltnis der Aussagelaute zum Aussage-
inhalt; die Auffassung, d. i. das Verhaltnis des Aussageinhalts zur
Aussagegrundlage; und die Bezeichnung, d. i. das Verhaltnis der Aus-
sagelaute zur Aussagegrundlage. Die 1 sekundare Relation endlich
ist die Bedeutung, d. i. das Verhaltnis der Aussage zum ausgesagten
Sachverhalt. Ein graphisches Schema mag diese Analyse hier noch
einmal anschaulich verdeutlichen.
Aussageinhalt
Aussagelaute
Aussagegnindlage
Wenn das, wie uns scheint, sachlich notwendige Ergebnis dieser
Analyse den Eindruck des Komplizierten und Subtilen hervorbringen
mag, so liegt der Orund hierfur vor allem darin, daB wir alle 5 Elemente
der Aussage nur durch ein und dieselbe sprachliche Form wieder-
geben konnen — namlich durch die Aussagelaute. Die Eine Klang-
folge Dieser Vogel fliegt muB uns diese Klangfolge selbst, den von
ihr ausgedriickten Sinn, die von ihr bezeichnete Tatsache, und weiter
auch den Satz, dessen sprachliche Form sie darstellt, sowie den in
diesem Satze ausgesagten Sachverhalt reprSsentieren. Einen solchen
Qebrauch Eines Lautkomplexes fQr mehrere, unterschiedene Sachen
nannten die Scholastiker die mehrfache Supposition jenes Laut-
78 NOOLOGIE
komplexes. Wollen wir uns diese Redeweise aneignen, so kdnnen
wir deshalb das vorlaufige Ergebnis unserer Untersuchung auch in
folgender Weise formulieren.
Jede einer voUstandigen Aussage entsprechende Klangfolge hat eine
fiinffache Supposition. Sie bezeichnet: A. die Aussagelaute, B. den
Aussageinhalt, C die Aussagegnindlage, D. die Aussage selbst, und
E. den ausgesagten Sachverhalt. Die Klangfolge Dieser Vogel fUegt
z. B. bezeichnet: A. sich selbst, somit die bloBe Klangfolge „ Dieser
Vogel fliegt", ohne Riicksicht auf einen Sinn; B. den Tatbestand
„ Dieser Vogel fliegt", demnach den Sinn, zu dessen Ausdruck jene
Klangfolge nomialerweise bestimmt ist, den logischen Oehalt des Oe-
dankens, der von Allen gedacht wind, die jene Klangfolge mit Ver-
standnis aussprechen oder horen; C die Tatsache ,, Dieser Vogel
fliegt^ d. h. jedes Stuck Wirklichkeit, das durch den Oedanken „ Dieser
Vogel fliegt" aufgefaBt und durch die Klangfolge „ Dieser Vogel fliegt"
bezeichnet werden kann; D. den deutschen Satz ,, Dieser Vogel fliegt",
als ein Stuck sinnvoller Rede, in welcher die Klangfolge „ Dieser Vogel
fliegt" einen entsprechenden Oedanken ausdruckt; E. den Sachverhalt
„ Dieser Vogel fliegt", d. h. jedes Stuck Wirklichkeit, das durch den
Oedanken „Dieser Vogel fliegft" bereits aufgefaBt wurde, und das nun
als der physische Vorgang „Fliegen dieses Vogels" gedacht wird und
daher dasjenige ist, was der Satz „ Dieser Vogel fliegt" eigentlich be-
deutet. Oder um es nochmals ganz kurz zu sagen, die Klangfolge
Dieser Vogel fliegt steht: A, fiir einen bloBen Schall; B. fur den logischen
Inhalt eines Oedankens; C. fiir ein Stuck Wirklichkeit, das als physischer
Vorgang, jedoch ebensowohl auch als Oegenstand oder Eigenschaft
aufgefaBt werden kann ; D. fur einen Satz der deutschen Sprache ; und
E. fur einen physischen Vorgang.
Sich daran zu gewohnen, diese 5 moglichen Oebrauchsweisen
sprachlicher Ausdrucke und die ihnen korrespondierenden 5 Elemente
der Aussagen auseinanderzuhalten, mag einige Muhe kosten. Allein
ich wage zu sagen, daB niemand, der sich hieran nicht gewohnt hat,
imstande ist, die Probleme der Semasiologie sachgemaB zu formulieren
— geschweige denn, sie sachgemaB aufzulosen.
9) Es li^ nicht in meiner Absicht, an dieser Stelle einen voUstandigen
Ueberblick fiber die Lehren zu geben, die im Verlaufe der Philosophiege-
schichte in Bezug auf die verschiedenen Aussageelemente entwickelt worden
sind: die ausgesprochen realistischen, nominalistischen und rationalistischen
Doktrinen werden uns erst im nachsten Kapitel beschaftigen. Ich beschranke
mich vielmehr darauf, hier jene Ansichten hervorzuheben, welche den Aus-
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 79
sageinhalt — um den es uns in erster Linie zu tun ist — von den iibrigen
Elementen scharf unterscheiden, und erwahne von den anderen nur die-
jenigen, die mit jenen ersteren durch ein Band historischer oder sachlicher
Gegensatzlichkeit besonders enge verknupft sind.
An die Spitze stelle ich eine AeuBerung Platons. „ln Bezug auf jeg-
liches^, sagt er einmal % „ist dreierlei zu unterscheiden : der Gegenstand
(o^oia), der Begriff (Xd^oc) und der Name (Svojia)." Damit sind die drei
primaren Aussageelemente mit vorbildlicher Klarheit g^eneinander isoliert
Keineswegs in demselben MaBe gilt dies von jener anderen trichotomischen
Einteilung, mit der Aristoteles seine Schrift „Ueber den Ausdruck** er-
offnet „Das Sprachliche**, sagt er2), „ist ein Zeichen fur seelische Zustande,
und das Geschriebene fur das Sprachliche. Wie nun das Alphabet, so ist
auch die Sprache nicht uberall dieselbe. Die seelischen Zustande dagegen,
deren unmittelbare Zeichen die Sprachlaute sind, sind uberall identisch, und
ebenso auch die Sachen, welche von jenen Zustanden abgebildet werden*^
(TEoTt (liv oov ta Iv rj (pwyg twv iv rg ^^xii ^a^T'ilJ-^^twv a&|ipoXa, xal ta
Ypay6|JL6va twv iv rjj ^a)>rg. Kat coc^sp 008^ Ypdt(i(iaTor iraot ta ahzd, ohSk
^(oval al a»jTai* &v [livroi taota a7][jL6ta irpcotox;, taita naai :raOTj[iaTa Tfjc
fpo/f^C, xal «v zabza 6{jL0t(i)|iaTa, wpdtYjjLata ^8t) taota). Hier erscheint somit
als drittes Aussageelement neben Aussagelauten und Aussag^^ndlage der
„seelische Zustand^' — oder, wie wir kurz sagen durfen, der „Gedanke** im
subjektiven Sinn. Dies ist ja nun gewiB nicht unrichtig, sofem ohne Zweifel
auch der Aussageinhalt in subjektiven Denkakten, also in ,,seelischen Zu-
standen^ erfaBt wird. Allein indem Aristoteles dieses subjektive Element
unbefangen neben 2 objektive Elemente stellt, demnach die Aussage aus
objektiven und subjektiven Elementen aufbaut, streut er doch den Keim
aus, aus dem der sakulare Streit zwischen Logik und Psychologie um das
Gebiet der Erkenntnis, und damit alle semasiologischen Probleme hervor-
wachsen sollten. Und da er es unterlaBt, anzugeben, was fur „seelische
Zustande^ denn den Aussageinhalt erfassen, mithin die spezifisch logischen
BewuBtseinsfunktionen gegen die alogischen abzugrenzen, so ist seine Dar-
stellung auch nicht geeignet, fur die Aufl5sung jener Probleme auf psycho-
logischem Wege einen Ausgangspunkt darzubieten.
Diesen Bedenken hat sich die Stoa entzogen, indem sie, wie Ammonius
treffend sagt 3), „als ein Mittleres zwischen dem Gedanken und der Sache''
(|iioov TOO Ts vo>](i.aToc xal to6 wpdi7(i.aToc) noch das Xextdv (wortlich: das
Gesagte) anerkannt hatte, wahrend Aristoteles auBer dem sprachlichen
Ausdruck, dem Gedanken und der Sache, kein weiteres Element angenommen
habe. In der Tat entspricht dieses Xextdv, seinen wesentlichsten Bestim-
mungen nach, unserem „Aussageinhalt*S und uberhaupt haben wir die Unter-
scheidung der 3 primaren Aussage-Elemente in Anlehnung an die stoische
») Legg. X, p. 895 D. ^ De interpr. 1, p. 16a 3. 3) Chrysipp, Frg. 168
(Arnim TI)-
80 NOOLOGIE
Lehre konzipieit Die Eigenart des Xexrov nun erhellt weniger deutlich aus
seiner technischen Definition als aus seiner Stellung zu den anderen Aus-
sage-Elementen sowie aus einigen weiteren, von ihm ausgesagten Eigentum-
lichkeiten. Definieren namlich durfen wir das X6xt<5v durch Kombination
zweier fiberlieferter Begriffsbestimmungen ^) (Asxt6v 8^ owAp/eiv t6 xata
XoYiXT)V ^avtaoiav o^iotdii^vov Xoyixtjv Sk sivat yavtooiav xaO-' 7]v zb
favraa^v laxt X6^(^ Tcapaarf^aai) wohl im Sinne der Stoa als das Objekt
einer rationalen Vorstellung; und dann ist hieran eben dies fur uns das
Enischeidende, daB — wie auch noch ausdrucklich bezeugt wird^) — das
XexTov nicht Vorstellung ((pavtaota), demnach uberhaupt nicht subjektiver
Denkakt, sondem vielmehr Vorstellungsobjekt (yavtaoTov resp. yavtaoi^sv)
ist Auch andere Umstande schlieBen die Moglichkeit aus, in dem Xsxxdv
einen subjektiven Gedanken sehen zu wollen; denn alles Psychische ist
(als i^78|iovtx6v ;cq)<; I/ov) dem stoischen Materialismus ein Korperliches, das
Xsxtdv dagegen wird stets mit Nachdruck als etwas Unkorperliches bezeichnet 3).
„Ich sehe Cato auf und ab gehen, sagt Seneca*) . . . Was ich da sehe,
ist ein Korper . . . Dann sage ich: ,Cato geht auf und ab*. Was ich jetzt
rede, ist kein Korper, sondem eine Aussage fiber einen Korper (enuntiativum
quiddam de corpore\ die Einige ein Ausgesprochenes, Andere ein Ausgesagtes,
Andere ein Gesagtes nennen" (effatum; enuntiatum; dictum). Ja Chrysipp
hat sogar die subtile Distinktion vertreten ^), die Wahrheit sei kdrperlich, das
Wahre dagegen unkorperlich: denn die Wahrheit sei eine Eigenschaft des
Wissens, das Wissen ein Zustand der Seele, die Seele aber ein Korper;
wahr dag^^n konne nur ein Satz sein, der Satz jedoch sei ein Xexrdv und
die Xexra seien unkorperlich. Steht es somit vollkommen fest, daB das
Xsxtdv kein subjektiver Gedanke ist, so kann nun erst seine Entgegensetzung
gegen Aussagelaute und Aussagegrundlage ganz verstanden werden. Wir
horen namlich % dreierlei hatten die Stoiker an der Aussage unterschieden :
„das Bezeichnende (t6 o7j|iaivov), das Bezeichnete (t6 aif](i.acv6iJLevov) und das,
wovon die Rede ist (t6 rj^/Avov). Das Bezeichnende nun sei der Stimm-
laut (<p(i>vi^), z. B. das Wort ,Dion^ Das Bezeichnete sei die Sache selbst
(ao'c6 t6 wpdtYiia), die von ihm bezeichnet werde und welche wir verstehen,
indem wir sie mit unserem Verstande vorstellen, welche jedoch die Barbaren
nicht verstehen, obwohl sie den Stimmlaut horen. Das, wovon die Rede
ist, endlich sei die auBere Grundlage (t6 ixT6<; b:roxei|ievov), z. B. Dion selbst.
Von diesen 3 Stucken nun seien zwei Korper, namlich der Stimmlaut und
das, wovon die Rede ist, eines dagegen unkorperlich, namlich die bezeichnete
*) Frg. 187; vgl. Frg. 181. Der Ausdruck Xoyixri <pavtaoia hat hier ohne Zweifel
einen anderen Sinn als in Frg. 61. 2) frg. 85. 3) Frg. 85, 166, 182. *) Ep. 117.
13. 5) Frg. 132. 6J Frg. 166; vgl. Plutarch, adv. Cofot. 22, p. 1119 f. Wenn hier
sowie in rrg. 167 das Xexrov als arjfiatv6f*€voyngavfia bezeichnet wird, so wird das
letztere Wort in seinem technischen Sinne gebraucnt, wahrend Ammonius in Frg. 166
sich dem Aristotelischen Sprachgebrauche anschlieBt und die Aussagegrundlage
nqayua nennL die in stoiscner Temiinologie vielmehr xvyxovov heiBen muBte. An
der letzteren Stelle ist daher ^Jieq auf fiioov und nicht etwa auf jigdyfui zu beziehen.
ORIENTIERUNO UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 81
Sache, das Xextdv, welchem die Pradikate Wahr und Falsch zukominen<<y jedoch
nicht immer, denn es gebe selbstandige und unselbstandige Xsxtd, und zu
den selbstandigen gehdrten die Satze, die allein wahr und falsch sein
konnten, femer*) die Fragen, Befehle, Ruche usw. Das in dieser Lehrc
enthaltene meiaphysische Element werden wir spater besprechen ; als Orien-
tierung uber die Grund-Elemente der Aussage dagegen kdnnen wir sie
schon jetzt als uniibertroffen bezeichnen. Doch noch Ein Punkt sei aus ihr
hervorgehoben: die scharfe Unterscheidung des Sinnes einer Aussage von
ihrer Sprachform, wie sie schon in der Erorterung fiber die verschiedene
Wertigkeit Einer Rede fur Griechen und Barbaren uns entgegenhut und
auch in der Behauptung des Chrysipp sich ausspricht, die Worte der
sprechenden Vdgd und der stammelnden Sauglinge seien keine Worte, wetl
sie nicht als Teile einer Rede hervorgebracht wurden^. Gerade gegen
diese Seite der stoischen Ansicht namlich scheinen sich Straton und
Epikur^ gewandt zu haben, indem sie die Xextd fiberhaupt leugneten, an
der Aussage lediglich den Stimmlaut und „das, wovon die Rede ist^, mithin
Aussagelaute und Aussag^^ndlage, unterscheiden wollten, ja sogar aus-
drucklich Wahr und Falsch fur Pridikate der Stimmlaute erklarten.
So ungeheuerlich uns diese letzteren Ansichten erscheinen, so mussen sie
doch wohl auf primitiven Stufen der Entwickelung, auf welchen nur das
Handgreifliche, durch die auBeren Sinne FaBliche, die Aufmerksamkeit auf
sich zieht, sich den Menschen immer wieder aufdrangen. Es ist von hohem
Interesse, wie dann neben den auBeren Tatsachen und der Sprache auch
der beide verbindende Sinn zur Anerkennung sich durchringt; und besonders
merkwurdig ist dieser ProzeB, wenn er auf weit auseinanderliegenden Kultur-
gebieten in homologen Gedankengangen, ja fast in den gleichen Worten
sich auBert Ein solches Schauspiel bietet uns die Ueberwindung des ex-
tremen Nominalismus in Indien und in den Anfangen der Scholastik. Dort
verhat, wie uns Qankara berichtet*), der „ehrwurdige Upavarsha** die
These: „Nur die Buchstaben sind das Wort**. Auch die „Erkenntnis des
Sinnes des Wortes bezieht sich auf die Buchstaben. Nachdem namlich
die Auffassung, z. B. des Wortes ,Kuh*, der Zeit nach vorhergegangen ist,
so folgt ihnen diese einheitliche Erkenntnis ,KuhS deren G^enstand die
Gesamthdt der Buchstaben nnd sonst nichts weiter ist**. Und so »,ist diese
einheitliche Erkenntnis nur eine auf die Buchstaben sich beziehende Er-
innerung**. Dem gegenuber verficht ein ungenannter Gegner die Behauptung,
das Wort enthalte auBer den Buchstaben noch einen Sphota, d. h. ein „Auf-
platzen** des von den Buchstaben ausgedriickten Sinnes. Er geht alle anderen
Mdglichkeiten gewissenhaft durch : der Sinn kann nicht in den einzelnen Buch-
staben li^en, und auch nicht in deren Folge, weil er nicht eine successive
Reihe, sondem etwas Einheitliches ist; er kann auch nicht sein „eine Auffassung
des letzten Buchstabens, unterstutzt von dem Eindrucke, den die Perzeption
») Vgl. Frg. 181 ff. 2) Frg. 143. Ebenso Dante, Convito 111. 7 (Op. min. S. 157).
3) Frg. 1^59 (Usener); vgl. Sext. Emp. Pyrrh. II. 107. *) Deussen, Sutra's, S. 172 ff.
Oomperz, Wdtuuchauangslehre HI 6
82 NOOLOGIE
der vorhergehenden Buchstaben erzeugt hat^, denn dieser Eindruck ist schon
veiigangen; jedoch auch nicht „der letzte Buchstabe, unterstutzt von den in
ihrer Nachwirkuug perzipierten Eindrficken der vorhergehenden" Buchstaben,
well auch in der Erinnerung diese Eindrucke nur nacheinander durchlaufen
werden kSnnten. „Sonach bleibt nur tibrig, daB das Wort als Ganzes ein
Sphota ist, wdcher dem Perzipierenden, nachdem dieser durch Perzeption
der einzelnen Buchstaben den Samen der Eindrucke empfangen und den-
selben mittds der Perzeption des letzten Buchstabens zur Reife gebracht
hat, in seiner Eigenschaft als eine einheitliche Vorstellung plotzlich ein-
leuchtet Und diese einheitliche Vorstellung ist keine Riickerinnerung, die
sich auf die Buchstaben bezdge; denn die Buchstaben sind mehrere und
kdnnen daher nicht das Objekt der einheitlichen Vorstellung sein. Dieser
Sphota wird bei Gelegenheit der Aussprache nur wieder erkannt und ist
daher ewig." Dieses Paar findet im Abendlande sein genaues Gegenbild in
RosCELLiN und Abaelard: nur daB unter der Einwirkung der antiken
Gedanken neben den Aussagelauten die Aussag^^ndlage entschiedener
hervortritt, der Aussageinhalt deutlicher als subjektiver I>enkakt sich darstellt,
und vor allem der B^ff, und speziell der Allgemeinb^ff — der hier
mit dem Universale gleichgesetzt wird — , die ganze Sphare des Aussage-
inhalts auszufullen strebt Indem nimlich Roscellin sachlich streng an die
epikureische Ansicht sich hielt, daB bei einer Aussage lediglich Aussage-
grundlage und Aussagelaute zu unterscheiden seien, gelangte er, soweit wir
nach unseren Quellen urteilen konnen, zu einer doppelten Konsequenz.
Einerseits kann, da ja Namen und Gegenstande immer nur als konkrete
Individuen g^;eben sind, das Allgemeine eines „B^;riffes" nur darin liegen,
daB ein und derselbe Name zur Bezeichnung vieler ahnlicher Gegenstande
verwendet wird. Andererseits mussen, da das von einem Namen Bezeichnete
stets nur ein Gegenstand sein kann, und diese Beziehung auf den Gegen-
stand allein den Sinn des Namens ausmacht, alle Namen denselben Sinn
haben, wdche ein und densdben G^enstand bezeichnen, gleichviel ob diese
Namen Gattungs- oder Artnamen, Haupt- oder Eigenschaftsworte sind. Und
so erklart denn Roscellin ^), allgemein sei allein der „Hauch der Stimme"
{flatus vocis)^ und die AusdrQcke „das Pferd" und „die Farbe des Pferdes",
„die Weisheit** und „die Seele", ja auch „Mensch" und „Tier" (wenn namlich
der letztere von Menschen gebraucht wird) hatten ein und denselben Sinn.
Gegen diese zwei Konsequenzen wendet sich nun Abaelard. Freilich,
meint er2), kdnnen wir uber denselben Gegenstand sehr verschiedene Aus-
sagen machen, z. B. von Sokrates sagen, daB er Sokrates, daB er ein Mensch,
daB er ein Korper, daB er eine Substanz ist Allein wenn auch diesen ver-
schiedenen Namen diesdbe Sache entspricht (non est alia res), so ist doch
nicht auch der mit ihnen verbundene Sinn derselbe {aliud inteUigitur). Eben-
sowenig indes wie mit der Sache kann der Sinn (intellectus) auch mit dem
») Prantl 11, S. 78, Anm. 319 ; vgl. Ibid. S. 122, Anm. 77 und S. 123. Annu 81.
2) Oeuvr. in6d. S. 247 f.
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 83
Namen zusammenfallen. Denn^) der Name ist ein bloBer Stimmlaut (vox).
Der Stimmlaut aber ist nicht nur sdbst immer etwas Individuelles und
keinesw^[S etwas Allgemeines, sondem es hatte auch keineti Sinn, von einem
Gegenstande einen Stimmlaut, somit von Einer Sache eine andere Sache
auszusagen {rem de re praedicare monstrum). Daher ist in Wahrheit nicht
der Stimmlaut allgemein, sondem der mit ihm verknupfte Sinn, resp. der
von diesem Sinn beseelte Stimmlaut, die Rede (sermo). Auch ist ja^ der
Sinn etwas Einhdtliches, wahrend der Stimmlaut aus vielen Teilen besteht
Naher jedoch verhgit es sich so 3), „da6 man der Rede erst, wenn alle ihre
Teile ausgesprochen wurden, eine Bedeutung beil^en kann. Denn in diesem
Zeitpunkte fassen wir ihren Sinn auf, indem wir uns die frfiher ausge-
sprochenen Worte ins Gedachtnis zuruckrufen; und die Bedeutung einer
Aussage ist nie vollendet, ehe sie in ihrer Ganze ausgesprochen ist Daher
geschieht es haufig, daB wir die Rede nicht gleich nach ihrem Aussprechen
verstehen, sondem erst ein wenig die Eigentdmlichkeit der gehdrten Sprach-
fugung dem Geiste einpragen miissen . . ., und stets bleibt die Seele des
Horenden in Erwartung, solange das Aussprechen der Aussage dauert, da
sie mdnt, es mochte dieser noch etwas hinzugefugt werden, das den Sinn
zu andem imstande ware; und die Sede des Horenden gelangt erst dann
zum AbschluB, wenn auch die Zunge des Sprechenden zur Ruhe kommt*'
Es sind daher Sprachform, Sinn und Gegenstand als die 3 Elemente der Aus-
sage zu unterscheiden, und^) der ersteren kommt eine „Bedeutung^ {signi-
ficatio) in doppdter Weise zu, indem sie einerseits dnen gewissen Sinn im
Sprechenden ausdruckt und im Hdrenden erzeugt, andererseits auf gewisse
Sachen hinwdst, und zwar „handdt^ (^/Q jede Rede von diesen Sachen
und nicht von jenem Sinn. Dies gilt sowohl von Namen als auch von
Satzen {propositiones), nur daB im letzteren Falle nicht die Sachen selbst (non
res aliquae\ sondem dne Art, wie sich diesdben verhalten (qaidam modus
rerum habendi se\ die Gmndlage der Aussage bildet ^). Mit alledem nun
kommt Abaelard dem stoischen Schema wieder recht nahe. Doch indem
er6) den „Sinn" {intellectus) gldchsetzt einem „B^ffe des Geistes" {mentis
conceptus)y fiihrt er seine Ansicht wieder in die Aristotelische hiniiber, und
hat so dazu beigetragen, daB diese das ganze Mittelalter beherrscht hat
Ihren klarsten Ausdmck hat sie hier vidleicht in der an Porphyrios^
und PsELLOs8) anknupfenden Lehre des Wilhelm v. Occam von der drd-
fachen Supposition gehmden. Dieser zufolge namlich kann^ jeder
terminus stehen: A. ffir den von ihm bezeichnden Gegenstand, wie wenn
wir sagen: Die Menschen sind Lebewesen {suppositio personalis); B. fur
1) Olosulae sup. Porph. (Opp. II, p. 756 ff.). Es ist wahrlich ebenso bedauerlich
als beschamend, aaB wir, soviel ich sene, fur diese wichtige Schrift noch immer auf
den franzosischen Auszug von Remusat angewiesen sind. ^) Oeuvr. in6d. S. 207.
3) Ibid. S. 191 f. ^) Ibid. S. 238 ff. ^) Eine Unterscheidung zwischen Aussagegrund-
lage und Sachverhalt darf man naturlich in dieser Zeit nicht erwarten. Es ist uns
liberhaupt nicht bekannt, dafi uns mit dieser Distinktion irgendwer vorangegangen
ware. «) Theolog. Christ 1. 4 (Opp. 11, p. 365). ^ In Categg. S. 57. S BussE.
•) Prantl II, S. 2d\ f., Anm. 70 f. ») Prantl III, S. 374, Anm. 877.
84 NOOLOGIE
den von ihm ausgedruckten Begriff {intentio animae), wie wenn wir sagen :
^Mensch*^ ist an Artb^ff {supposUio simplex); C fur das Wort selbst,
wie wenn wir sagen: ^Mensch"" ist ein Hauptwort {supposUio maierialis).
Denn hier sind wiederum die drei Aristotdischen Aussageelemente (^lovai,
Tc&djif rpd7|tata) beisammen.
Soviet ich weiB, hat in neuerer Zeit eigentlich erst Bolzano wieder dnen
energisdien Versudi gemadit, die Eigenart des AussageinhaHs zu betonen
und ihn den 2 anderen primaren Aussagedementen sowie den subjektiven
Denkakten entgegenzusetzen. Seine Lehre dedd sich fast vollig mit der
stoischen. Da sie jedoch die Objektivitit der Aussagen etwas starker hervor-
treten laBt, so wollen wir erst aus diesem Anlasse naher auf sie eingehen
und hier nur soviel bemerken, daB Bolzano den logisdien Gehalt einer
jjVorstellung** — worunter er die B^ffe mitversteht — , ihren Sinn, als
^objektive Vorstellung** oder ^^Vorstdlung an sich" bezeichnd*); ebenso^)
den „Sinn, den dne gewisse Verbindung von Worten ausdrucken kann"
als „Satz an sich"; und spezidl^) den Sinn wahrer Satze als „Wahrheit an
sich", — wahrend ihm demg^eniiber die entsprechenden Vorstellungen,
SStze und Wahrheiten als Daten in dem BewuBtsdn denkender Individuen
„subjektive" oder „gedachte" Vorstdlungen, Satze und Wahrheiten hdBen.
Zur Eriauterung seines B^^'ffes der „Vorstellung ah sich" fuhrt nun Bol-
zano das folgende aus 4): „Wenn ich . . . den Ausdruck gebrauchte, daB
eine Vorstellung an sich der St off desjenigen sei, was eine Vorstellung in
der gewohnlichen oder subjektiven Bedeutung heiBt: so konnte dies bald
so ausgel^ werden, als ob ich unter der Vorstellung an sich nichts anderes
als den Gegen stand, auf den sich eine (gedachte) Vorstellung bezieht,
verstunde." Dies meine er indes nicht, vielmehr wolle er diesen G^en-
stand „gar sehr, . . . nicht nur von einer gedachten, sondem auch von der
. . . Vorstellung an sich, unterschieden wissen"; und „noch weniger als den
Gegenstand, auf den sich eine Vorstellung bezieht, darf man das Wort,
welches zu ihrer Bezeichnung eingefuhrt ist, fur sie selbst . . . ansehen
wollen". Diese Einteilung der Aussageelemente deckt sich demnach durchaus
mit der stoischen: das „Wort*' entspricht dem oT)(i.aivov, der „Gegenstand**
dem T07xavov, die „Vorstellung an sich" dem o7)(i.atv(5|JL6Vov oder Xexr6v —
die „gedachte Vorstellung" aber dem v(5T)(i.a oder T^Y^^ovixdv ircoc Sx°^-
Endlich hat in den letzten Jahren MeinonqS) eine Lehre vorgetragen,
wdche die Frage nach den Aussagedementen in eigentumlicher Weise be-
handelt Der Grundgedanke dieser Lehre ist der, daB an jedem Satze —
Oder, wie der genannte Forscher sich ausdruckt, an jedem „Urteil" — Ob-
jekt und Objektiv zu unterscheiden seien. In dem Satze „Es sind kdne
Ruhestorungen vorgefallen" z, B. seien „Ruhest6rungen" das Objekt^ die
„Tatsache" dagegen, „daB keine Ruhestorungen vorgrfallen sind", das Ob-
jektiv. Solche Objektive nun machten die eigentliche „Bedeutung« aller
») Wiss. L § 16 (1. S. 61 ff.). 2) Ibid. § 28 (1. S. 121). 3) ibid. § 25 (1. S. 112).
*) Ibid. § 49 (1. S. 218 ff.). ») Zuerst Annahmen S. 150ff.
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 85
Satze aus >), sie seien die wahreti Subjekte der Piidikate Wahr, Wahrschein-
lich, Mdglich usf. und deshalb auch der eigentliche Gegenstand der Logik %
JMan sieht nun sofort, daB diese Lehre sehr verschieden zu beurteilen ist,
je nachdem das ^ObjektiV eines Satzes der in diesem Satze ausgedruckte
Tatbestand Oder der in ihm ausgesagte Sachverhalt sein soil. Soil
das Objektiv der Tatbestand sein, dann ist der Gegensatz von Objekt und
Objektiv nur der allgemeine Gegensatz von Aussagegrundlage und Aus-
sageinhalt, soweit dieser in dem spezidlen Falle der Satzaussage hervortritt
Nach dieser Erklarung nun ware an der Lehre vom Objektiv vor allem aus-
zustellen, daB sie die Eigenart des Aussageinhalts ganz einseitig gerade nur
fur Satze hervorhebt, wahrend doch der logische Inhalt eines B^ffes von
den Sachen, auf welche dieser Begriff sich bezieht, ganz ebenso deutlich
unterschieden ist wie der logische Inhalt eines Satzes von den Tatsachen,
von denen dieser Satz handelt^. Sodann aber ware unter dieser Voraus-
setzung festzustdlen, daB die MEiNONOsche Ansicht zwar terminologisch,
jedoch keineswegs sachlich neu ist Denn etwa in Bezug auf das Beispiel
von den Ruhestdrungen hatte schon Chrvsipp ohne weiteres die „Ruhe-
storungen" als vyfxjiyoy oder ixtic offoxeiiJievov und die Tatsache, „daB keine
Ruhestdrungen vorgefallen sind"", als das Xsxtdv oder oif][iaiv6|jL6vov aus-
einandeiigehalten ; ebenso hatte Abaelard das Objekt als res, das Objektiv
als intellectus, Bolzano jenes als den ,,Gegenstand^ dieses als den „Satz an
sich*^ bezeichnet Soil andererseits das Objektiv der Sachverhalt sein, dann
wurde der Gegensatz von Objekt und Objektiv zu deuten sein als der Gegen-
satz zwischen den einzelnen Sachen, von denen in einem Satze die Rede
ist, und dem Sachverhalt, den dieser Satz aussagt Nach dieser Erklarung
nun ware es allerdings durchaus b^jeiflich, daB Meinonq nur Objektive
von Satzen kennt, denn am Begriffe entspricht dem Sachverhalt lediglich
die Sache, mithin das „Objekt". Unter dieser Voraussetzung ware auch der
Hinweis auf die Objektive wirklich etwas Neues, da die Eigenart der Sach-
verhalte in der Tat, soviel ich weiB, noch nie hervorgehoben worden ist
Allan dann ware die Behauptung ganz unhaltbar, die Objektive seien die
Subjekte der Pradikate Wahr und Falsch und der eigentliche Gegenstand
der Logik. Denn diese Bestimmungen treffen nur fur objektive Gedanken
zu, das „Nicht-Vorgefollensein von Ruhestorungen'' dag^;en ist ein Stuck
der auBeren Wirklichkeit, mit dem sich deshalb auch unter normalen Um-
standen keinesw^[s die Logik, sondem vielmehr die Geschichte beschaftigt.
In Wahrheit jedoch scheint es mir so zu stehen, daB Meinonqs „Objektiv<'
weder der von einem Satze ausgedruckte Tatbestand noch der von ihm aus-
1) Ibid. S. 181 1 2) Ibid. S. 174, 192, 194 ff. Von der letzten Behauptung scheint
Meinono seither freihch zuruckfi^ekommen zu sein (vgl. oben § 43. 5). ^) Meinono
scheint freilich auch die Begriffsinhalte fiir Objektive zu halten, da er (Annahmen
S. 179) die „Verschiedenheit zwischen A und B'' gleichsetrt mit dem „Verschieden-
sein des A und B*\ also mit dem Sinn des Satzes ,,A und B sind voneinander ver-
schieden'^. In Wahrheit beweist jedoch die verschiedene Qliederungsweise beider
logischer Oebilde unwidersprechlich, dafi das erstere ein Begriffsinhalt, das letrtere
dagegen ein Satzinh^lt ist
86 NOOLOOIE
gesagte Sachverhalt ist, vielmehr diese beiden Dinge in einen unklaren und
widerspruchsvollen B^^ff zusammenfaBi Wie namlich fruher gezeigt wurde,
imterscheiden sich Tatbestand und Sachverhalt u. a. dadurch, daB jener
wahr Oder falsch^), jedoch nicht vorhanden oder nicht vorhanden, dieser
vorhanden oder nicht vorhanden, jedoch nicht wahr oder falsch sein kann.
Der Sachverhalt „Gleichsein von Rot und Griin" z. B. ist nicht vorhanden
— er ^ist*' nicht und „besteht^ nicht, allein es ware sinnlos, ihn ^falsch''
zu nennen; der Inhalt des Satzes „Rot und Grun sind gleich<' dagegen ist
faischy allein er ist um nichts weniger „vorhanden** — er „ist" oder „be-
steht^ um nichts weniger — als der Inhalt des Satzes „Rot und Grun sind
verschieden". Meinonq und seine Schuler dag^en sagen, wie wir hdrten,
auf der einen Seite von den Objektiven Wahrheit und Falschheit aus % auf
der anderen aber legen sie denselben doch wieder, je nach der Wahrheit
Oder Falschheit der entsprechenden Satze, Sein oder Nichisein, Bestehen
Oder Nichtbestehen bei^). Allein da Wahrheit und Falschheit nur von
Gedanken, Vorhanden- und Nichtvorhandensein nur von Sachen pradiziert
werden kdnnen, und da es nichts gibt, was zugleich Gedanke und Sache
ware, so gibt es auch nichts, was zugleich des Wahr- und Falschseins und
doch auch des Vorhanden- und Nichtvorhandenseins fahig ware. Soil daher
das Objektiv sowohl der Wahrheit und Falschheit als auch des Vorhanden-
und Nichtvorhandenseins fahig sein, so ist in Wahrheit auch das „Objektiv'<
nichts — als Ein gemeinsamer Name fur zwei voneinander verschiedene Dinge.
10) Nachdem wir jene Lehren besprochen haben, die sich auf die Unter-
scheidung der einzelnen Aussageelemente beziehen, mussen wir nun die
Terminologie, welche wir zur Bezeichnung der verschiedenen , zwischen
diesen Elementen stattfindenden Beziehungen gewahlt haben, gegen
andere Bezeichnungsweisen verteidigen. Doch vorerst sei einer Relation
gedacht, die wir bisher noch nicht erwahnten. Husserl^) namlich rechnet
zu den fur die Aussage charakteristischen Beziehungen auch die Beziehung
der Aussag^elaute zu den „sinngebenden psychischen Erlebnissen^' des Aus-
sagenden, somit zu den Gedanken im subjektiven Sinn, und schlagt fur sie
den Ausdruck K^ndgabe vor. Ich vermag mich jedoch nicht davon zu
uberzeugen, daB dieses Verhaltnis der Aussage irgendwie wesentlich ware.
GewiB ist es moglich, von dem, was ein Individuum ausspricht, auf das,
1) Dabei sehe ich wieder davon ab, daB meines Erachtens nach dem allgemein
angenommenen Sprachgebrauche eigentlich auch nicht Tatbestande, d. h. Satzin-
halte, sondem nur Satze selbst wahr oder falsch heiBen. ^) Annahmen S. 174,
S. 192; Oegenstandstheorie S. 25. ^) So sagt z. B. Ameseder (Qrazer Unterss.
S. 66) : „DaD zwischen Rot und Qrun eine ^rschiedenheit besteht, . . . ist; daB
zwischen Rot und Qrun Qleichheit besteht ... ist nichf Ebenso Meinono,
Qegenstandstheorie S. 147. Ja dieser bemerkt sogar (Ibid. S. 126), das Objektiv,
,,daD Wasser aus Sauerstoff und Wasserstoff besteht* ', sei so wenig ein Satz, wie
das Obiekt „Qewicht eines Warenballens'* ein Begriff sei. Allein so jg^ewiB das „Aus-
Sauerstoff-und-Wasserstoff-Bestehen des Wassers" — welches doch allein mit dem
„Schwer-Sein eines Warenballens'* verglichen werden kann — kein Satz ist, ebenso
gewifi kann es, eben we it es kein Satz ist, auch nicht wahr oder falsch, sondem
nur vorhanden oder nicht vorhanden sein. ^) Log. Unterss. II, S. 33.
ORIENTIERUNO UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 87
was in ihm vorgeht, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu schlieBen
— ganz in derselben Weise, in der man iiberhaupt von der Wirkung auf
die Ursache schlieBen kann. Allein nie gehSrt dieser SchluB zum Ver-
standnis einer Aussage — es sei denn, daB die Aussage von psychischen
Eriebnissen des Aussagenden „handelt^, iind dann sind eben diese nicht
nur ,^inngebende psychische Erlebnisse*', sondem auch Aussag^;rundlage.
In alien anderen Fallen dagegen scheint mir zwischen diesen^ beiden
Beziehungsgliedem kein anderes als ein rein kau sales Verhaltnis ob-
zuwalten. Eine Aussage ist eben niemals eine Aussage „uber jene sub-
jektiven Gedanken, ,^uf Grund'^ deren sie erfolgt (vgl. § 43. 3). Im
ubrigen hat Husserl^) Aussagelaute, Aussageinhalt und Au8sag^;rundlage
als „den Ausdruck selbst, seinen Sinn und die zugehorige G^enst&ndlich-
keit*' sehr richtig auseinandeigehalten und auch darauf treffend hingewiesen ^
daB zu gleichem Sinn eine verschiedene Gegenstandlichkeit, zu gldcher
Gegenstandlichkeit ein verschiedener Sinn gehoren kann. Nur damit bin
ich nicht einverstanden, daB er dazu neigt, unter dieser Gegenstandlichkeit
auch bei Satzen lediglich den vom Subjekt benannten G^enstand selbst
zu verstehen, und sie nur problematisch mit dem „ganzen ausgesagten Sach-
verhalt^ gleichzusetzen wagt^). Wenn er indes die Relation Aussagelaute-
Aussageinhalt als „Bedeutung^» die Relation Aussagelaute-Aussagegrundlage
bloB als ,^egenstandliche Beziehung" bezeichnet, so halte ich dies nicht fur
einen empfehlenswerten Sprachgebrauch. Denn wie immer man die Be-
deutung definieren moge, eine wesentliche Beziehung auf die Aussage-
grundlage kann man ihr unmoglich absprechen: in irgendeiner Weise be-
deutet eine Aussage immer das, wovon sie „handelt^, mithin das, wovon
„die Rede isf'. Freilich haftet nun dem Worte auch eine ebenso wesent-
liche Beziehung auf den Aussageinhalt an : irgendwie bedeuiet eine Aussage
stets auch ihren „Sinn". Das mindeste, was gefordert werden muBte, ware
deshalb, daB ein doppelter Gebrauch des Wortes Bedeutung zn&cVznni wurde.
Dies hat denn auch schon Aristoteles^) getan, indem er die Beziehung
des Namens auf den Begriffsinhalt oiqtialveiv ti, seine Beziehung auf den
G^enstand oTiitalvsiv xatd tivoc nennt^). Doch die Folge hat gezeigt, zu
wieviel Verwirrung eine so wenig enischiedene Sonderung fuhrt Schon im
spateren Altertum z. B. laBt Porphyrios^) den Namen ausschlieBlich den
Gegenstand (^pa^iJLa) bedeuten, wahrend Boethius^) von ihm vielmehr die
Begriffe (conceptiones intelledusque animi) bedeutet werden laBt Im Mittel-
alter ist, wie wir schon sahen, Abaelard zu der Aristotelischen Doppel-
bedeutung zuruckgekehrt, wahrend Duns Scotus^) im Anschlusse an eine
andere Aristotelische Stelle das Wort ^unmittelbar"' den logischen Denkakt (die
species intelUgibilis), Wilhelm von Occam ') dagegen das auBere Objekt
») Ibid. S. 42. 2) Ibid. S. 47 ff. 3) ibid. S. 48. *) Metaph. IV. 4, p. 1006 a 31
u. b 15. 5) Auf die erste Art, sagt er, bedeute av&Qfonog den Begriff C<?ov dUow, auf
die zweite die einzelnen Individuen, die auch Xevxoi und fwvaixol sind. ^) In Categg.
S. 57. 35 BussE. ^ De interpr., Ed. II, p. 291 u. 296 (S. 7. 29 u. 20. 15 Meiser).
•) Quaest sup. Perihenn. I. 2 (Opp. I, p. 187 B). «) Prantl 111, S. 340, Anm. 774.
88 NOOLOOIE
bedeuten laBi Ebenso macht in der neueren Zeit Hobbes^) den Namen
aim Zeichen ffir unseren B^^riff des Gegenstandes, J. St. Mill 2) zu einem
solchen ffir den Gegenstand selbst Und wahrend wir eben gehdrt haben,
da6 ffir Husserl die Aussagelaute den Inhalt der Aussage bedeuten, bedeuten
sie ffir Meinonq 3) gerade umgekehrt deren G^;enstand, indes sie die „Vor-
stellungen^ dieses Gegenstandes ausdriuhen sollen. Hai)en wir nun unsere
Bedenken gegen die erste Redeweise schon geauBert, so konnen wir uns
doch auch die zweite nicht aneignen. Wenn freilich Meinono die Worte
„Die Turmuhr schlagt eben zehn" „den vemommenen Stundenschlag" be-
deuten^ dagegen ^meine Vorstellung dieses Stundenschlages und mein Urtdl
darfiber"' ausdmdien liBt, so scheint dies zunachst nicht anstoBig. Dennoch
ffihrt dieser Sprachgebrauch zu einer Konsequenz, urn derentwillen — wie
Pierre d'Ailly berichtet*) — die Sorbonne nicht mit Unrecht den Niko-
laus von Alticuria verdammt hat: wegen der Behauptung namh'ch: „Die
S§tze ,Gott isf und ,Gott ist nichf bedeuten dasselbe (wk/w significantly wenn
auch auf andere und andere Weise." Und wollte man dieser Konsequenz
dadurch en^ehen, daB man — was wohl richtiger ist — als die Aussage-
grundlage des Satzes „A ist nicht** nicht A auffaBt, sondem die Tatsachen,
welche zu jener n^;ativen Aussage den AnlaB geben % so wfirde man doch
nur ffir Eine Absurditat eine andere eintauschen. Denn dann muBten, wenn
ich auf einsamer Alpenweide sage „Hier sieht man keinen Baum** und „Hier
h5rt man keinen Laut**, diese beiden Satze dasselbe bedeuten^ Es wird
also jedenfalls am geratensten sein, nicht nur ffir die Relation zwischen
Ausss^auten und Aussageinhalt und ffir die zwischen Aussagelauten und
Aussagegrundlage verschiedene Termini einzuffihren, sondem auch keine dieser
beiden Relationen mit dem Worte Bedeutung zu bezeichnen. Jenes nun tat
schon Johannes v. Salesburyt), der von den Namen sagt, daB sie ihren
Sinn „bedeuten**y ihre Gegenstande dagegen „nennen** (noniinantur singularia^
sed universalia significanttu). Dieses versuchte J. St. Mill s) durch die Ver-
wendung der scholastischen Ausdrficke Konnotation und Denotation.
Die ^Namen** namlich sollen ihre G^^nstande (seien dies nun Dtnge oder
Eigenschaften) denotiereny dagegen die Eigenschaften, um derentwillen sie
>) De corp. 1. 2. 5 (Opp. Lai I, p. 15). 2) Log. 1. 2. 1 (I. S. 23 f.). 3) Annahmen
S. 20 f., vgl. S. 90. *) Prantl IV, S. 112. Anm. 470. *) Die oben geg^ebene Regel,
Aussagegrundlage des Satzes ,^ ist nicnt B** sei jedes A, das nicht B ist, sclieini
namlich fur negative Existentialsatze nicht auszureichen, da ein „A, das nicht
existiert'S kaum jene Tatsache heiBen kann, auf die sich der Satz .,A existiert nichf
bezieht. Hier wird man vielmehr auf jene (wirklichen oder geaachten) Tatsachet
rekurrieren mussen. die zu der Aussage „A ist nicht'' den Anlafi g^eben konnen
Aussagegrundlage aes Satzes ;.Hier ist kein A'' z. B. wird dasjenige heiBen durfen
was in der vorausgesetzten Situation tatsachlich „hier** ist *) AlTgemeiner : Wenr
der Satz „A ist B" A bedeutet, dann bedeuten „A ist B" und „A ist nicht B" dasselbe
DaB dies freilich Meinonqs Ansicht sei, mochte ich nicht geradezu behaupten. di
3en Sachverhalt bezeichnet PRANTL 11, S. 155, Anm. 205. «) Log.
(1, S. 31 ff.).
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 89
jenen Gegenstanden zukommen, konnotieren; alle Namen sollen daher eine
Denotation besitzen, wahrend eine Konnotation sowohl den Eigennamen
als auch den Namen von Eigenschaften abgehi Freilich fiigt er alsbald
hinzu, die ^Bedeutung^ {the meaning, the signification) falle mit der Kon-
notation zusammen. Doch auch diese Konstruktion ist nicht durchaus ein-
wandfrei. Die Frage zwar, was J. St. Mill auf Orund seiner sonstigen
Voraussetzungen wohl unter y,einer Eigenschaff' — die doch weder als
ein physisches Objekt noch als eine psychische Tatsache aufgefaBt werden
kann — verstehen mag, braucht uns hier nicht zu beschaftigen. Auch daB
nach seiner Darstellung die Eigenschaftsnamen, da ihnen die Konnotation
fehlt, keine ^yBedeutung*' hatten, sei nur im Vorbeigehen angemerkt Vor
allem jedoch nimmt J. St. Mill hier lediglich auf Begriffe Riicksicht und
lafit alle anderen Aussagen ganzlich auBer acht Man kdnnte nun freilich
seinen Sprachgebrauch erweitem und etwa auch einen Satz eine Tatsache
denotieren, den Tatbestand dag^[en konnotieren, iiberhaupt die Aussagelaute
die Aussag^;rundlage denotieren^ den Aussageinhalt konnotieren lassen. Allein
dann bietet es keinen Vorteil mehr, diese doch schon mit engeren B^ffen
verwachsenen Fremdworte zu gebrauchen, und es schien mir deshalb zweck-
maBiger, sie durch die Benennungen Bezeichnen und Ausdmcken zu er-
setzen. Das Wort Bedeuten dagegen reservierten wir fur die Beziehung der
Aussage zum ausgesagten Sachverhalt, und glauben damit den Bedenken zu
en^ehen, die g^en alle anderen Verwendungsarten dieses Ausdruckes
sprechen. Wir sahen ja: dem Worte Bedeuten ist sowohl eine Beziehung
auf den Aussageinhalt als auch eine solche auf die Aussag^^ndlage wesent-
lich. Nun ist der Sachverhalt die durch den Aussageinhalt aufgefaBte Aus-
sag^;rundlage, mithin ein aus diesen be i den Aussageelementen bestehender
Komplex. Machen wir daher diesen Komplex zum Objekte der Bedeutungs-
Beziehung, so kommen damit auch beide jenem Ausdrucke anhangenden
Beziehungstendenzen zu ihrem Rechte.
11) Je nachdem man die Bedeatung definiert, ist auch die Frage zu ent-
scheiden, ob es Redetdle gibt, die derselben entbehren — oder, wie die
scholastische Terminologie dies ausdruckt, obdiesynkategorematischen
Redeteile eine Bedeutung besitzen. Doch ist dieser Zusammenhang der
Probleme keinesw^[s alien Denkem War gewesen. Wenn z. B. Aristo-
TELESi) die Konjunktionen etc fur „bedeutungslos" (£o7]|ia) erklart, so ist
dies nur fur das OYjitalvsiv xard tivo<; folgerichtig, keineswegs dagegen fur
das oif](ialv6iv ti, das ihm doch sonst^) im Vordergrunde steht; denn sicher-
lich haben auch „Und'' oder „Denn" einen Sinn. Es ist deshalb ganz be-
rechtigty wenn Abaelard 3) jene aristotelische Behauptung dahin einschrankt,
Prapositionen und Konjunktionen hatten eine „unvollkommene Bedeutung**
(imperfecta significatio), denn sie druckten zwar einen gewissen Sinn aus
(quosdam inteiiectus facere videntur\ allein Gegenstande wurden in ihnen
n Poet 20, p. 1456b 38 u. 21, p. 1457a 33. 2) z. B. de interpr. 1, p. 16a 6.
3) Oeuvr. in6d. S. 216.
go NOOLOGIE
allerdings nicht erbBt {ipsa res in huiusmodi dicHonibus non tenetiu). Da-
g^eti durfte Duns Scotus, da er ja die Worte „immittelbar*' den logischen
Denkakt bedeuten laBt, wohl nicht sagen % den synkat^orematischen Aus-
drucken entspreche keine eigene Bedeutung. Vielmehr konnte ihnen konse-
quenterweise erst Wilhelm von Occam ^ eine „selbstandige Bedeutung**
(finita significatio) absprechen, weil ihm die Namen unmittelbar die Oegen-
stande bezeichnen. Formell folgerichtig bleibt auch J. St. Mill. Denn er
laBt3) als „Nanien« nur gelten, was Subjekt oder Pradikat eines Satzes sein
kann, nennt dementsprechend die synkategorematischen Ausdrucke bloBe
„Teile von Namen** und kann daher alletxlings behaupten^), alle „Namen**
hatten eine Denotation, jedoch nicht alle eine Konnotation. Allein hierdurch
wird die Tatsache nicht aus der Welt geschafft, daB es Worte und Wort-
verbindungen gibt — z. B. „Und** oder ^Insbesondere jedoch** — , die keine
Tatsache bezeichnen, einen Sinn aber dennoch ausdrucken. Ebenso ist es
nicht Inkonsequenz, sondem Unangemessenheit des Ausdrucks, die wir be-
anstanden, wenn Meinonq s) von „bedeutungslosen** Worten spricht und zu
ihnen etwa die Fugung „Wenn ... so** zahlt; denn Gegenstande be-
zeichnen diese Worte allerdings nicht Wir selbst endlich mussen auf Orund
unserer Festsetzungen fiber die Verwendung der Worte Ausdrack, Bezeich-
nung und Bedeutung das Folgende konstatieren. Die Synkat^oreumata be-
zeichnen keine Tatsache, dr&dien indes einen Sinn aus. Eine selbstandige
Bedeutung kommt ihnen nicht zu, allein sie tragen zu der Bedeutung der
Aussagen, deren Teile sie sind, etwas bei. Denn obwohl z. B. in dem
Worte dock gewlB kein selbstandiger Sachverhalt ausgesagt wird, so ist doch
der in dem Satze „Und sie bew^ sich doch** ausgesagte Sachverhalt, „das
Sich-doch-Bew^en der Erde**, ein anderer Sachverhalt, als es das bloBe
„Sich-Bewegen der Erde*' ware. Wir werden deshalb mit Abaelard den
synkategorematischen Redeteilen eine unvollkommene Bedeutung bei-
legen und sie, da ihnen an sich selbst keine Aussagegrundlage und kein
selbstandiger Sachverhalt entspricht, mit J. St. Mill als bloBe Teile von
Aussagen bezeichnen durfen, denen gegenuber dann alle anderen Aus-
sagen als vollstandigeAussagen erscheinen. Freilich bleiben wir mit
alledem in der Sphare formaler Bestimmungen. Erst an einer spateren Stelle
werden wir das eigentliche Wesen der Synkat^oreumata ins Licht setzen
und den Orund des Unterschiedes aufdecken konnen, der sie von den kate-
gorematischen Aussagen trennt: es ist dies derselbe Unlerschied, von dem
wir oben sagten, er mache auch in dem Verhaltnis der Satze zu den Be-
griffen und der Schliisse zu den Satzen sich geltend und beruhe auf einem
Ueberwiegen des Momentes der „Auffassung** und „01iederung** uber das
der „Tatsachlichkeit** und „G^ebenheit**.
») Quaestt. sup. AnaU. prior. I. 8 (Opp. 1, p. 2848. ^) Prantl HI, S. 363,
Anm. 825. 3) L6g. 1. 2. 2 (1, S. 24 ff.). *) ibicf 1. 2. 5 (1, S. 31). «) Ainahmcn
S. 90.
ORIENTIERUNG OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 91
§48
Oleiche Aussageinhalte kdnnen durch verschiedene Aussage-
laute ausgedriickt werden und sich auf verschiedene Aussage-
grundlagen als deren Auffassung beziehen; umgekehrt konnen ver-
schiedene Aussageinhalte durch gleiche Aussagelaute ausgedrQckt
werden und sich auf gleiche Aussagegrundlagen als deren Auffassung
beziehen. Folglich kann der Aussageinhalt weder mit den Aussage-
lauten noch mit der Aussagegrundlage zusammenfallen.
Die Aussagelaute und die Aussagegrundlage konnen wahrgenommen
und vorgestellt werden, scheinen jedoch auch die einzigen wahmehm-
baren und vorstellbaren Elemente der Aussage zu sein. F3llt daher
der Aussageinhalt mit ihnen nicht zusammen, so scheint er nicht wahr-
genommen und vorgestellt werden zu kdnnen.
Wslhrend somit von den Aussagelauten und der Aussagegrundlage
ohne weiteres einleuchtet, daB sie dem BewuBtsein durch Vorstel-
lungen gegeben sind, entsteht hinsichtlich des Aussageinhalts
zunlchst die Frage, als was er sich dem BewuBtsein darstelle.
Diese Frage bezeichnen wir als die Erste semasiologische Hauptfrage.
ERLAUTERUNG
1) DaB der Aussageinhalt weder mit den Aussagelauten noch mit
der Aussagegrundlage zusammenfallen kann, ist schon in § 47. 2 ge-
zeigt worden. Auch daB Aussagelaute und Aussagegrundlage, d. h.
Klangfolgen und Tatsachen, wenigstens in der Regel wahrgenommen,
somit auch vorgestellt werden kdnnen, bedarf keiner eingehenden Dar-
l^[ung. Doch auch daB diese beiden die einzig wahmehmbaren und
vorstellbaren primaren Aussageelemente zum mindesten zu sein
scheinen, wird schwerlich geleugnet werden. Denn niemand wird
meinen, der Aussageinhalt, d. h. der Sinn einer Rede, kdnne gesehen,
gehSrt, gerochen, geschmeckt oder getastet werden i). Der Konse-
quenz, daB der Aussageinhalt sich dem BewuBtsein iiberhaupt nicht
als Vorstellung darstellt, scheinen wir daher nur dann entgehen zu
kdnnen, wenn er etwa mit den Vorstellungen von den Aussagelauten
und der Aussagegrundlage, oder wie wir kfirzer sagen durfen, mit
den Aussagevorstellungen identisch wire. Dagegen spricht
jedoch schon der Umstand, daB die gleichen Aussageinhalten zuge-
1) Dafi der Aussageinhalt, insofem er durch ein psychisches Erlebnis erfaBt wird.
dann in innerer Wanmehmung vorgestellt werden kdnne, sol! damit nicht geleug[net
werden. Allein diese sekundare Vorstellbarkeit des Aussageinhalts kommt nier nicht
in Betracht Denn unsere Frage bezieht sich darauf, ob jenes psychische Erlebnis,
durch das ihn das BewuBtsein primar erfaBt, eine Vorstellung sem kann.
92 NCXJLOOIE
ordneten Aussagevorstellungen mindestens ebenso verschieden sein
kdnnen wie die ihnen zugeordneten Aussagelaute und Aussagegrund-
lagen, und umgekehrt Wir wissen z. B.: derselbe Begriffsinhalt avis
kann durch die ganz verschiedenen Aussagelaute Vogel und bird aus-
gedrOckt werden; dieselben Aussagelaute Breit^ Bright kOnnen die
ganz verschiedenen Begriffsinhalte Latus und Claras ausdrucken.
Allein die Vorstellungen der Klangfolgen Vogel und bird sind
voneinander geradeso verschieden, die Vorstellungen der Klangfolgen
Breit und Bright sind einander ganz ebenso gleich, wie diese Klang-
folgen selbst. Mit den Vorstellungen der Aussagelaute kann also der
Aussageinhalt unmdglich identisch sein. Wir wissen indes auch : der-
selbe Tatbestand ^Dieser Vogel fliegt'' kann die ganz verschiedenen
Tatsachen „Flattemder Sperling** und ^Kreisender Adier** auffassen;
dieselbe Tatsache „Flattemder Sperling** kann durch die ganz ver-
schiedenen TatbestHnde „Dieser Vogel fliegt** und „Hier bewegt sich
etwas** aufgefaBt werden. Allein die Vorstellungen eines flattem-
den Sperlings und eines kreisenden Adlers sind voneinander ganz
ebenso verschieden, zwei Vorstellungen eines flattemden Sperlings sind
einander ganz ebenso gleich wie diese vorgestellten Tatsachen selbsL
Ja hier tritt sogar noch ein anderes Moment hinzu: auch ein und
dieselbe Tatsache namlich kann durch verschiedene Vorstellungen er-
faBt werden, z. B. durch optische, durch akustische und durch kinetische
Empfindungen und Phantasmen, wie dies besonders an dem Unter-
schiede des fype visaelj des fype auditif und des fype moteur^ und
wiederum an der Verschiedenheit der vorherrschenden Phantasmen bei
Blinden und Tauben hervortritt. Die Vorstellungen von der Aussage
grundlage kdnnen mithin auch bei gleichem Aussageinhalt voneinander
sogar noch mehr verschieden sein als die vorgestellten Aussage-
grundlagen selbst, und um so weniger laBt sich denken, es konnte der
Aussageinhalt mit den Vorstellungen von der Aussagegrundlage zu-
sammenfallen. Die Koinzidenz von Aussageinhalt und Aussagevor-
stellungen scheint sich demnach in keiner Weise verteidigen zu lassen.
Um jedoch das soeben Ausgefuhrte durch ein besonders schlagen-
des Beispiel zu eriautern, wollen wir noch einen einzelnen Fall be-
trachten, in welchem die Aussageinhalte zweier Aussagen zusammen-
fallen, obwohl weder die Aussagelaute noch die Aussagegrundlagen
noch die Aussagevorstellungen sich decken. In dieser Absicht machen
wir die folgende Voraussetzung. Es mogen ein Engiander und ein
Franzose, jeder in seiner Sprache, die Aussage machen: „Fasse ich
diese zwei Einheiten und diese eine Einheit zusammen, so erhalte ich
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 93
drd Einheiten." Es m6ge femer der Franzose diese Aussage machen,
nachdem in seiner Oegenwart auf einem Klavier 2 -f 1 T6ne ange-
schlagen, der Engl&nder, nachdem in seiner Gegenwart 2 + 1 Streich-
hSIzer angezQndet wurden. Und es moge endlich der Franzose dem
type auditify der EnglSnder dem type visuel angehdren, so daB das
Denken des ersten in der R^el in akustischen, das des zweiten in
optischen Phantasmen vor sich gehe. DaB unter diesen Voraussetzungen
die Aussagelaute beider Aussagen voneinander verschieden sind, ver-
steht sich von selbst Ebenso klar scheint, daB auch die Aussage-
grundlagen nicht zusammenfallen, da als Aussagegrundlage das eine
Mai das Anschlagen von 3 Klaviertdnen, das andere Mai das An-
ziinden von 3 Streichholzem fungiert. Damit ist indes endlich auch
die Verschiedenheit der Aussagevorstellungen gewahrleistet, die ja das
eine Mai franzosische Worte und akustische Ph^nomene, das andere
Mai englische Worte und optische Phanomene zum Inhalte haben.
Und dennoch wird durch all diese Verschiedenheiten die Inhaltsgleich-
heit beider Aussagen nicht aufgehoben: obwohl sie von verschiedenen
Tatsachen handeln, durch verschiedene Worte ausgesprochen werden,
von verschiedenen Vorstellungen begleitet sind, sagen sie durchaus
den gleichen Tatbestand aus, daB namlich der Aussagende, „wenn er
die gegebenen 2 Einheiten und die g^ebene 1 Einheit zusammen-
faBt, 3 Einheiten erhalt''. Diese Inhaltsgleichheit oder, wie wir auch
sagen konnen, diese logische Aequipollenz von Aussagen, die sonst
nach alien anderen Elementen voneinander verschieden sind, ist das
groBe Faktum, das fur unsere weiteren Ueberlegungen und Frage-
stellungen den Ausgangspunkt bildet.
2) Gegen die vorstehende Erorterung ware eine Einwendung mdglich.
Man konnte namlich sagen, Aussagegrundlage der von uns angefuhrten
Aussagen sei nicht die einzelne Tatsache, welche die Aussage veran-
laBt, sondem der Inb^ff aller Tatsachen, die sie veranlassen konnen;
dieser Inb^ff aller wirklichen und moglichen Falle aber, in denen 2 Ein-
heiten und 1 Einheit zu 3 Einheiten zusammengefaBt werden, sei naturgemaB
nur einer (vgl. § 32. 3) und deshalb auch fur unsere beiden Aussagen
derselbe, so daB ihrer Inhaltsgleichheit doch auch eine Gleichheit der Aus-
sag^jundlagen entspreche. Diese Einwendung wird indes hinfallig durch
die Bemerkung, daB ich doch in alien Fallen, in denen ich aussagen kann,
daB ich durch Zusammenfassung von 2 -f- 1 Einheiten 3 Einheiten erhalte,
auch geradezu aussagen kann: ,,Dies sind 3 Einheiten''. Denn da demnach
trotz der angegebenen Erweiterung des Begriffes Aussagegrundlage gleiche
Aussagegrundlagen verschiedene Aussageinhalte zu fundieren vermdgen, so
ist diese Erweiterung offenbar nicht imstande, die Begriffe Aussageinha
94 NOOLOOIE
und Aussag^jundlage zur Deckung zu bringen und die Gleichheit der Aus-
sageinhalte an die Gleichheit der Aussag^jundlagen zu binden. Dassdbe
zeigt sich ja auch an dem Verhaltnis der beiden Aussagen : ^Dieses Dreieck
hat 3 gleiche Seiten** und ^Dieses Dreieck hat 3 gleiche Winkel^ Beide
Aussagen haben denselben Inbegriff von Tatsachen zur Grundlage, und
dennoch sind ihre Inhalte durchaus voneinander verschieden. Auch jene
Erweiterung des B^ffes Aussagegmndlage wurde also die Unabhangig-
keit des Aussageinhalts von der Aussag^jundlage keinesw^[s beseitigen.
3) Ehe wir an das Faktum der logischen Aequipollenz von Aus-
sagen, die sich nach Orundlage, Vorstellungen und Sprachform unter-
scheiden, weitere Untersuchungen knQpfen, mOssen wir erst dieses
Faktum selbst noch mehr klarstellen und es gegen mogh'che Ein-
wendungen sichem. Es kdnnte nSmlich jemand meinen, in Wahrheit
gebe es gar keine durchaus gleichen Aussageinhalte, — ebensowenig
wie es Qberhaupt zwei gleiche Individuen oder auch nur zwei absolut
kongruente Zustande Fines Individuums gebe. Wie vielmehr jeder
Mensch eine andere Stimme habe als jeder andere, und ebenso auch
andere Oedanken, so werde auch jeder mit einer bestimmten Aussage
einen ganz besonderen Sinn verbinden. Infolgedessen werde denn
auch jeder solche individuelle Aussageinhalt in anderen logischen
Beziehungen stehen: jeder Einzelne wird denselben Begriff anders
definieren, andere Pradikate ihm zu- und absprechen, aus demselben
Satze andere Folgerungen ableiten. Und diese Vormeinung werde
von der Erfahrung durchaus bestStigt: zeigt doch diese eine uner-
schdpfliche FuUe von MiBverstHndnissen, Auffassungs- und Meinungs-
verschiedenheiten. Niemand werde diese insgesamt auf bloBe Fehler
in der Anwendung der logischen Funktionen zurQckfQhren wollen,
sondem offenbar sei an ihnen die mangelnde Kongruenz der Begriffs-
inhalte, TatbestHnde usw., kurz der Aussageinhalte schuld. Dann habe
es jedoch keinen Sinn, eben diesen Aussageinhalten logische Aequipollenz
zuzuschreiben.
An alledem nun ist ohne Zweifel viel Wahres: solche Verschieden-
heiten der logischen Elemente von Individuum zu Individuum bestehen
wirklich, und wir werden bei einer spateren Oel^enheit sehen, in
welcher Weise die logische Praxis diesen Uebelstand bekampft Allein
zwei Erwagungen verbieten es, diesen Verh^ltnissen eine entscheidende
RoUe in dem hier entwickelten Sinne zuzuteilen. ZunSchst: die sub-
tilen Begriffsnuancen zwischen Aussagen verschiedener Individuen
sind Unterschiede einer ganz anderen Ordnung als die groben Ver-
schiedenheiten der Aussagegrundlagen ynd der Aussagevorstellungen.
Es mag z. B. sein, daB der Begriff des ^Zusammenfassens'' auch bei
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 95
mehreren erwachsenen und gebildeten Menschen desselben Sprach-
und Kulturkreises noch individuelle Besonderheiten zeigen Icann: viel-
leicht wird der eine auch ein ^unwillkQrliches Zusammenfassen'' an-
erkennen, wShrend der andere in diesem Falle zu sagen vorziehen
wird, die betreffenden Tatsachen hStten sich ihm ^zusammenge-
schlossen''. Aber kann man eine solche Differenz vergleichen mit
derjenigen, die zwischen T6nen und Farbenflecken oder zwischen
Klavierspielen und Streichhdlzeranzunden besteht? Und wenn man
es nicht kann, wie wollte man sich dem EingestlUidnis entziehen, daB
die Oleichheit der Aussageinhalte von derjenigen der Aussagelaute,
der Aussagegrundlagen und der Aussagevorstellungen unabhSngig is^
und daB die logische Aequipollenz der Aussagen durch die indivi-
duellen Differenzen ihrer physischen Orundlagen und psychischen
Begleiterscheinungen nicht berOhrt wird? Doch weiter: gerade wenn
die individuellen Abweichungen der Aussageinhalte sich darin SuBem,
daB die denkenden Individuen einander nicht oder doch nur mangel-
haft verstehen, Qber die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit derselben
Begriffe, die Oultigkeit oder UngQltigkeit desselben Schlusses sich nicht
einigen kdnnen, muB man umgekehrt einr3umen, daB die Aussage-
inhalte einander gleich sind, soweit solche MiBverstSndnisse und
Meinungsverschiedenheiten fehlen, soweit ein logischer Verkehr, eine
logische Oemeinschaft unter den Menschen sich findet Und dieser
Verkehr, diese Oemeinschaft ist denn doch eine unleugbare Tatsache,
ja ein fundamentaler Faktor menschlichen Seins: beruht doch auf
ihm alles Fragen und Antworten, Behaupten und Leugnen, Beweisen
und Widerlegen, Lehren und Lemen. Wird indes diese Orundtatsache,
in diesem Sinne und innerhalb dieser Grenzen, anerkannt und mit dem
friiher Ausgefuhrten in Beziehung gesetzt, so erweist sie sich zugleich
als ein groBes Problem : so viel Wunderbares und RStselhaftes schlieBt
sie ein!
Dieses Problem konzentriert sich in einem Punkte, der uns nicht
mehr fremd ist (vgl. § 43): in der UnabhSngigkeit der logischen von
den psychologischen Beziehungen der Aussagen. Als etwas rein Sub-
jektives scheinen ja diese produziert zu werden: von einem bestimmten
Individuum, in einem bestimmten Zeitpunkt, aus einer bestimmten Lage
heraus. Und dennoch enthalten sie zugleich einen objektiven Inhalt,
einen bestimmten logischen Wert. Ein anderes Individuum, in einem
anderen Zeitpunkt, einer anderen Lage begegnet ihnen: und sofort
bedeuten sie ihm etwas ganz Bestimmtes und Prazises, und zwar
keineswegs jene individuell zufallige Lage des aussagenden Individuums,
96 NCX)LOOIE
sondem etwas, was fflr den Verstehenden ebenso gilt, wie es fur den
Aussagenden gegolten hat Denn jedem Begriff, jedem Satz, jedem
Beweis kommt ein bestimmter Inhalt, ein bestimmter Sinn, eine be-
stimmte logische Valenz zu — ganz unabhSngig davon, welche Tat-
sachen den Aussagenden zu seiner Aussage veranlaBt haben, was er
sich dabei vorgestellt und in welche Laute er seine Aussage gekleidet
hat Ich, der ich jetzt und hier lebe und denke, kann Stellung nehmen
zu dem, was ISngst Verstorbene in femen LSndem gedacht haben:
kann ihre S3tze annehmen oder ablehnen, ihre Argumente anerkennen
Oder widerl^en. Ja noch mehr: ich kann feststellen, daB die Aus-
sagen von Menschen, die voneinander nie etwas gewuBt haben, mit-
einander Qbereinstimmen oder einander widersprechen, einander er-
ginzen oder widerlegen. Die Aussagen selbst also sind an das In-
dividuum, an Zeit und Ort gebunden, und ebenso ihre Grundlagen,
ihre Sprachformen und die mit ihnen verknflpften Vorstellungen. Nur
ihre Inhalte treten uber Lilnder und Zeiten hinw^ miteinander in
Verbindung, urn in individuelle, unzeitliche und unraumliche Be-
ziehungen der Vertraglichkeit, des Widerspruches usw. einzugehen.
Aus der Glut und dem Flusse des Augenblicks erzeugt, erstarren die
Aussagen gleichsam zu einem dauemden, unveranderlichen Sein, das
nun gegen alles Subjektive und Zufailige sich indifferent verhSlt In
der Erregung des Streites zweier Brahmanen ist irgendwo in Indien
vor 2000 Jahren ein Wort gefallen. Die Erregung ist verklungen, der
Streit geschlichtet, die Brahmanen sind tot, ihr Volk unteijocht Das
Wort ist geblieben. Es kann zu dem anderen Worte eines anderen
Menschen aus einer anderen Zeit stimmen oder nicht stimmen. Es
kann dieses andere Wort uberwinden oder von ihm fiberwunden
werden. Ob dies oder jenes geschieht, hingt gar nicht davon ab,
von wem, aus welchem AnlaB, unter welchen Umstanden die beiden
Worte gesprochen wurden. Es hangt einzig und allein ab von ihrem
logischen Gehalt So scheint sich dieser Inhalt der Aussagen aus
dem individuellen BewuBtsein herauszuringen und ein eigenes Leben
zu gewinnen: ein Leben auBer der Zeit und auBer den Denkenden.
Wenn daher Platon an diesem Punkte in unsere Welt der Zeitlich-
keit eine hohere Welt der Ewigkeit glaubte hereinragen und herein-
strahlen zu sehen, so sollte man ihn nicht verlachen, sondem be-
greifen. Denn dieser Grundgedanke seiner Ideenlehre hat ein un-
vergangliches Recht
4) Hierauf werden wir zuriickkommen. Doch an dieser Stelle ware
uns auch mit der uneingeschrankten Anerkennung der platonischen
ORIENTIERUNO UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 97
Ideen nicht geholfen. Denn mdchte auch der Aussageinhalt an und
fur sich selbst Sein und Bestand besitzen, die denkenden Individuen,
welche ihn verstehen, mOBten ihn dennoch in irgendwelchen Tatsachen
ihres BewuBtseins erfassen. Diese BewuBtseinstatsachen, welche den
Inhalt, den Sinn, den logischen Gehalt der Aussagen konstituieren,
sind demnach zu allererst aufzuzeigen: das ist die erste Aufgabe der
Noologie, das erste Problem der Lehre von den Denkinhalten, die
Erste semasiologische Hauptfrage. Allein dnstweilen sehen wir gar
keine Spur, die uns zur Beantwortung dieser Frage hinfOhren kdnnte.
Die beiden andem primHren Aussageelemente freilich setzen einer
psychologischen Bestimmung gar keinen Widerstand entgegen: die
Aussagelaute und die Aussagegrundlage werden vorgestellt Damit
ist jedoch fur den Aussageinhalt nur ein negatives Ergebnis gewonnen.
Als Vorstellung nSmlich, so scheint es, kann er dem BewuBtsein
nicht gegeben sein, denn mit den Aussagevorstellungen soil er ja
nicht zusammenfallen : er soil konstant sein, auch wo diese variieren,
und variieren, auch wo diese konstant sind. Ein andersartiges
psychisches Element vielmehr ist zu suchen: ein Element, das von
diesen Vorstellungen ganz unabhangig ist; ein Element, das durch
seinen Wechse! die verschiedensten „Auffassungen** derselben Vor-
stellungsinhalte ermdglicht und das doch so beharrlich ist, daB es das
groBe Faktum des logischen Verkehrs, der logischen Gemeinschaft,
der logischen Aequipollenz gUnzlich heterogener Vorstellungen zu be-
grunden vermag; ein Element, welches dasselbe ist, ob nun der
franzosische Auditif das Anschlagen dreier Klaviertone oder der eng-
lische Visual das Anzunden dreier Streichhdizer so auffafit, daB er
„die Zusammenfassung von 2 Einheiten und 1 Einheit zu 3 Einheiten''
aussagt.
§49
Die nach § 47 zwischen dem Aussageinhalt und den Aus-
sagelauten bestehende Relation des Ausdrucks ist in mehrfacher
Hinsicht der zwischen der Substanz und den QualitSten eines
Dinges bestehenden InhSrenzbeziehung (§ 10) ahnlich.
Insbesondere gelten uns auch die aus Aussageinhalt und Aussage-
lauten bestehenden Komplexe, d. i. die Aussagen, ohne Riicksicht
auf die Mehrheit und den Wechsel der Aussagelaute als einheit-
lich und beharrlich, wenn sie gleiche Aussageinhalte besitzen.
Die Aussagen werden also von uns, ebenso wie die Dinge, als
Gegenst3nde eriebt
Oomperz, Wdtanschauungslelire II 1 7
98 NCX)LOOIE
Es entsteht daher die Frage, was wir unter der Ausdrucksbe-
ziehung zwischen Aussageinhalt und Aussagelauten uberhaupt, und
was wir unter der GegenstSndlichkeit der Aussagen insbe-
sondere verstehen. Diese Frage bezeichnen wir als die Zwdte sema-
siologische Hauptfrage.
ERLAUTERUNG
1) DaB die Verknflpfung der Aussagdaute mit dem Aussageinhalt
ihrem Zustandekommen nach auf Assoziation beruht^ bedarf
keines lingeren Beweises. Man muB eine Sprache lemen^ um sie
sprechen zu kdnnen, d. h. die Sprachformen und die von ihnen aus-
gedrOckten Oedanken mussen mindestens einmal, meist jedoch wieder-
holt, gleichzeitig oder in unmittelbarer Folge eriebt worden sein,
ehe jene Sprachformen als Ausdruck fur diese Oedanken fungieren
kdnnen. Allein auch das kann nicht zweifelhaft sein, daB diese asso-
ziative Verknflpfung nur die Auswahl derClieder bestimmt, welche
in die Ausdrucksbeziehung eintreten, keineswegs dieStruktur dieses
Verhaitnisses selbst. Damit eine Ehe zustande komme, mflssen Mann
und Frau einander kennen gelemt haben: deswegen \i&i sich die Ehe
doch nicht erklaren als das Verhaltnis eines Mannes und einer Frau,
die einander kennen ; denn ein Mann und eine Frau kdnnen einander
kennen, auch ohne verheiratet zu sein. So nun fungiert auch eine
Sprachform keineswegs als Ausdruck fur alles, oder auch nur fur alle
Aussageinhalte, mit denen sie assoziativ verknupft ist Das Wort
Grofi z. B. ist ohne Zweifel mit dem Worte Klein assoziiert, und auch
mit dem Sinne dieses Wortes. Beide werden unzahlige Male in un-
mittelbarer Folge eriebt, und nach den Prinzipien der Assoziations-
psychologie lieBe sich sogar ohne weiteres beweisen, daB die Asso-
ziation zwischen dem Worte Grofi und dem Begriffsinhalt Kiein durch
Ausfall des vermittelnden Gliedes — des Wortes Kiein — eine kaum
zu uberbietende Innigkeit annehmen musse. Allein das Wort Orofi
fungiert niemals als Ausdruck — weder fur das Wort Kiein^ noch
auch fur dessen Sinn. Das Wesen der Ausdrucksrelation wird daher
durch die assoziative Verknflpfung ihrer Glieder keineswegs erschopft
Die Eigenart dieser Relation wird uns etwas naher gebracht werden,
wenn wir solche Falle betrachten, in denen gleiche Aussagelaute ver-
schiedene Aussageinhalte ausdrucken. Man vergleiche z. B. die Laut-
gruppeBm/ in dem deutschen Satze ,, Diese StraBe ist breif*^ mit der-
selben Lautgruppe in dem englischen Satze „The morning was bright^ ;
das Wort Tor als Namen fur die Hausture mit demselben Worte
ORIENTIERUNO UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 99
Tor als Namen fur elnen tSrichten Menschen; das Wort Hofmann
als Eigennamen und als Bezeichnung fur einen Mann, der gewohnt
ist, an Hofen zu leben; endlich das Wort Konigsberg als Namen der
bekannten deutschen Stadt mit demselben Worte Konigsberg in seiner
etymologischen Bedeutung als „Berg des Konigs**. Bei jedem solchen
Auffassungswechsel uberzeugt man sich davon, daB die einander ab-
Idsenden Bedeutungen nicht etwas sind, was dem Wortklange bloB
auBerlich anhinge — so daB dieser nur Ein Pradikat gegen ein anderes
eintauschte, im Qbrigen aber dieselbe Aussage bliebe Vielmehr tritt
bei solchem Wechsel an die Stelle der einen Aussage eine andere
Aussage, die sich nur in denselben Wortklang wie jene kleidet Hof-
mann und Hofmann sind nicht gleiche Aussagen mit verschiedenen
Eigenschaften, sondem es sind verschiedene Aussagen, die nur gleich
klingen. Es verhiilt sich demnach hier gerade so, wie wenn ich etwa
denselben optischen Eindruck erst als Schlange und dann als Baum-
wurzel, erst als den UmriB eines Berges und dann als die Oesichtslinie
eines menschlichen Kopfes, erst als eine konvexe und dann als eine
konkave Hohlkugel auffasse. Auch hier namlich fasse ich nicht den
gleichen Gegenstand in zwei verschiedenen Zustanden auf, sondem
zwei verschiedene Gegenst&nde, die nur gleich aussehen. Das heiBt
indes: wie uber die Identitat oder Nichtidentitat zweier Dinge nicht
die Gleichheit der sinnlich wahmehmbaren Qualitaten entscheidet,
sondem die Verschiedenheit der hinzugedachten Substanz, so ent-
scheidet auch flber die Identitat oder Nichtidentitat zweier Aussagen
nicht die Gleichheit der sinnlich wahmehmbaren Aussagelaute,
sondem die Verschiedenheit des hinzugedachten Aussageinhalts.
In dieser Beziehung also verhalten sich Aussagen ganz wie Dinge, und
dieAusdrucks beziehung zwischen Aussagelauten und Aussageinhalt
ganz wie die Inh3renzbeziehung zwischen Qualitaten und Substanz.
Allein es gilt nun auch das Umgekehrte. Zwei Dinge gelten uns als
identisch, d. h. als einheitlich und beharrlich, ohne Rucksicht auf die
Verschiedenheit der Qualitaten, wenn nur ihre Substanzen gleich sind.
Ebenso nun gelten uns auch zwei Aussagen als identisch, d. h. als
einheitlich und beharrlich, ohne Rucksicht auf die Verschiedenheit der
Aussagelaute, wenn nur ihre Aussageinhalte gleich sind. Der pytha-
goreische Lehrsatz auf deutsch z. B., und der pythagoreische Lehrsatz
auf englisch, gelten uns als identische Aussagen, ohne Rucksicht auf
die Verschiedenheit der Aussagelaute, bloB auf Gmnd der Gleichheit
des Aussageinhalts. Hieran andert sich auch nichts, wenn wir die
Identitat in ihre Elemente, in Einheitlichkeit und Beharrlichkeit zerlegen.
100 NCX)LOOIE
Denn der pythagoreische Lehrsatz gilt uns als Ein Satz, obwohl er
aus zahlreichen Worten und noch zahlreicheren Lauten besteht, ob-
wohl diese Worte und Laute zu verschiedenen Zeiten und von ver-
schiedenen Individuen ausgesprochen oder vorgestellt werden, und
obwohl diese Worte und Laute sogar verschiedenen Sprachen ange-
hdren und einander daher auch durchaus unahnlich sein kdnnen. Der
pythagoreische Lehrsatz gilt uns aber auch als derselbe Satz, ob-
wohl die Worte und Laute, die seine sprachliche Form konstituieren,
gewiB nicht dieselben sind, wenn sie auf verschiedene Zeiten, Indi-
viduen und sogar Sprachen sich verteilen. Ebenso gilt uns der Be-
griff „Gerade Linie'' als Ein Begriff und als derselbe Begriff, der
ontologische Beweis als Ein Beweis und als derselbe Beweis —
ganz ohne ROcksicht darauf, daB die Aussagelaute, welche jenen Be-
griff Oder diesen Beweis ausdrucken, vielleicht ganz verschieden
klingen und durch Jahrhunderte voneinander getrennt sein mogen.
Es findet demnach hier wirklich ganz dasselbe Verhaltnis statt, das
auch zwischen dem Ding und seinen Qualitaten herrscht: den Quali-
tUten entsprechen die Aussagelaute, der Substanz der Aussageinhalt,
dem Verhaltnis der Inharenz die Relation des Ausdrucks, dem Ding
die Aussage Allein die Aussage ist nichts Kdrperliches. Da wir nun
die Korperlichkeit zur Bedingung fOr die Verwendung des Dingb^^ffes
machten (§ 10. 4), so kSnnen wir hier auch nicht von der Dinglicb-
keit, sondem bloB allgemeiner von derGegenstandlichkeit der
Aussagen sprechen. Und um die als GegenstSnde aufgefaBten Aus-
sagen von anderen Gegenstanden zu unterscheiden, wollen wir sie
fortan als noetische Gegenstande bezeichnen. Ueber Wesen
und Eigenart dieser noetischen Gegenstandlichkeit nun durften nodi
einige eriautemde Bemerkungen am Platze sein, ehe wir zu der groBen
Frage uns zuruckwenden, ob denn von einer solchen Gegenstandlich-
keit uberhaupt geredet werden durfe.
2) Wenn wir betonen, daB eine gegenstandliche Auffassung
der Aussagen vorkommt, so leugnen wir damit doch nicht, daB auch
eine individuelle Auffassung derselben moglich ist Wir
sprechen von noetischen Gegenstanden, sobald wir das Verhiltnis
gleicher Aussageinhalte zu einer M eh rheit von Sprachformen ins
Auge fassen ; setzen wir dagegen uberhaupt nur E i n e n AussagdnhaK
und Eine Sprachform zueinander in Beziehung, so haben wir kdnen
AnIaB, von etwas anderem als von einer individudlen Aussage zu
sprechen. In der Regel wird die letztere Betrachtungswdse da vor-
wiegen, wo die Aussage durch ihren Inhalt an eine vorubergehende
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 101
Situation gebunden isL An und fur sich hat ohne Zweifel auch der
Satz „!ch bitt' Dich, geh zum Backer und hor mir einen Wecken**
einen Ewigkeitsgehalt Wenn ich darauf reflektiere, daB dieser Satz
dasselbe bedeutet, wann immer und von wem immer er ausgesprochen
werde, dann erfasse ich den Satz „!ch bitt' Dich, geh zum Backer
und hor mir einen Wecken" — somit einen noStischen Gegenstand.
Allein fOr gewdhnlich reflektiere ich hierauf nicht, sondem fasse
den genannten Satz als nichts anderes auf denn als eine einzige, an
einen bestimmten Zeitpunkt und einen bestimmten Aussagenden ge-
bundene Sprachform samt dem ihr zugehorigen Sinn — als ein StQck
deutscher Rede. Ein solches aber kdnnen wir als eine individuelle
Aussage bezeichnen. In gewissem Sinne freilich ist auch solch
eine individuelle Aussage ein Gegenstand: sofem namlich auch in ihr
eine Mehrheit von Aussagelauten durch Einen Aussageinhalt zur Ein-
heit Einer Aussage geeinigt ist. Dennoch stellt sie naturlich ein
elementares Gebilde dar — dem noetischen Gegenstande gegenuber,
an welchem die gesamte Sprachform der individuellen Aussage nur als
ein vorQbergehendes Accidens erscheint. Mit der individuellen Aus-
sage verglichen kann daher der noStische Gegenstand ein Gegen-
stand hoherer Ordnung heiBen.
Die Beharrlichkeit nimmt bei den noetischen GegenstSnden die
eigentumliche Form der Unveranderlichkeit an. Bei gleichbleibendem
Aussageinhalt kdnnen n Jmlich die Aussagelaute zwar einem W e c h s e I ,
nie dagegen einer Aenderung unterliegen. Denn es werden, wenn
eine Aussage auch in noch so kleinen Zwischenraumen wiederholt
wird, zwar stets andere und andere Aussagelaute jenen Aussageinhalt
ausdrucken, allein es wird niemals ein Uebergang der einen in die
anderen stattfinden : mag nun die Aussage von einem oder mehreren
Individuen, in Einer oder in mehreren Sprachen vollzogen werden,
die Folge der Aussagelaute wird stets eine diskrete, niemals eine kon-
tinuierliche sein, da es zwischen verschiedenen Sprachen und Indi-
viduen uberhaupt keine stetigen Vermittlungen gibt, und auch Ein
Individuum mit der neuen Aussage nicht beginnen kann, ehe die alte
beendet ist Der Wechsel der Aussagelaute eines noetischen Gegen-
standes verhalt sich daher zu dem der Qualitaten eines Dinges, wie
sich die KostQmwechsel zweier Schauspieler verhielten, von denen der
Eine auf offener Szene seine Gewander vertauscht, wShrend der andere
bloB jedesmal, wenn der Vorhang aufgeht, in einer neuen Tracht sich
prasentiert Das Aenderungsgefuhl(§ 21. 12), welches im letzteren
Falle ebenso wie in dem der noStischen GegenstSnde fehit, ist jedoch,
102 NOOLOOIE
wie sich noch zeigen wird, das eigentliche Fundament des B^ri
der Zeit FaBt man daher die noetischen Oegenstande an und
sich selbst ins Auge, so werden sie zu einer Anwendung des 2
begriffes uberhaupt keinen AnlaB bieten, sich dem BewuBtsein '
mehr als vollkommen zeitlos darstellen. Vergleicht man sie dage
mit dem zeitlichen Flusse der physischen und psychischen Erse
nungen, mit denen sie doch jedesmal zugleich dem BewuBtsein
geben sind, so wird ihre Unveranderlichkeit als eine anfangs-
endlose Dauer eriebt werden. Diese beiden Betrachtungswe
kann man indes auch in Eins zusammenfassen, indem man sich e
Ausdrucks bedient, der zwar im strengen Sinne bloB die Zeitlosigi
haufig jedoch auch die unbegrenzte Dauer bedeutet, nSmlich des /
drucks Ewig. Und in der Tat pflegt man ja auf die noetisc
Gegenstlnde dieses Pradikat anzuwenden, indem man etwa
„ewigen Wahrheiten** spricht.
Es muB auch hervorgehoben werden, daB die GegenstlndlichI
Einheit, Ewigkeit usw. wirklich der Aussage und nicht etwa (
Aussageinhalt zukommt Viele Denker, welche die noetis
GegenstHndlichkeit anerkennen, reden namlich so, als ob das letz
der Fall ware: die logischen Inhalte der Begriffe, die in den S51
ausgesagten Tatbestande usf., meinen sie, seien das Objektive i
Zeitlose. Wir dagegen glauben, daB Gegenstandlichkeit uberall
einem Komplex anhangt, der aus Beharrlichem und Wechseinc
besteht. So ist ja auch ein korperliches Ding erst der ganze Kom)
Substanz + Qualitaten; die Substanz allein ist kein Ding, mil
auch kein Gegenstand. Ebenso erscheint uns nun auch als noetisc
Gegenstand erst der Komplex Aussageinhalt -|- Aussagelaute ^ n
der Aussageinhalt allein : die Begriffe, Satze, Fragen, Beweise etc s
— so meinen wir — selbst dasjenige, was den gewdhnlichen
nahmen zufolge dem subjektiven Denken als objektives QedacI
gegeniibersteht, was trotz der Vielheit der Denkenden als Eines \
trotz ihrer Verschiedenheit als identisch gilt.
Statt von der Gegenstandlichkeit konnen wir auch von der C
jektivitat der Aussagen sprechen. Denn nicht nur sind beide)^
drucke sprachlich gleichbedeutend, sondem es liegt ja auch sach
im Begriffe eines Gegenstandes, daB ihm Einheitlichkeit und Beh
lichkeit zukomme trotz der Mehrheit und dem Wechsel der Eindrui
die wir von ihm erhalten und durch die wir ihn erfassen — das h(
aber, daB er nicht nur „fur uns", sondern auch „an sich** existi
In der Tat ist ja dies die Meinung derjenigen, die etwa von ^ewi]
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 103
Wahrheiten** sprechen. Wie bei den physischen ist daher auch bei
den noetischen Objekten das selbstandige und unabhSngige Sein in
die gegenst3ndliche Struktur eingeschlossen. Doch steht f(ir uns hier,
wo wir noch nicht ontologie treiben, diese Struktur im Vordergrunde,
wahrend jene Seinsweise uns nur als eine notwendige Konsequenz
erscheint Wir zielen daher auch mit unserer Fragestellung unmittel-
bar nur auf die nicht-ontologische Seite des Problems und formulieren
unsere Zweite semasiologische Hauptfrage so: wie ist es zu erkl^ren,
daB die Aussagen als Oegenstande erlebt werden, d. h. als einheitliche
und beharrliche Komplexe, in denen mehrere und wechselnde Aussage-
laute einem einheitlichen und gleichen Aussageinhalt inharieren?
Es drSngt sich endlich schon hier die Vermutung auf, auch die Be-
antwortung dieser Frage werde der Auflosung des Dingproblems
analog sein mOssen, d. h. der Aussageinhalt werde sich uns gleich
der Substanz als eine Totalimpression erweisen. Ohne dieser
Vermutung zu widersprechen, wollen wir nun doch schon jetzt darauf
hinweisen, daB der Aussageinhalt jedenfalls nicht die Totalimpression
der Aussagelaute sein kann, da ja diese einen Gesamteindruck auch
auf solche Individuen machen, welche des von ihnen ausgedriickten
Sinnes nicht kundig sind. Durch eine einfache Uebertragung der fur
das Dingproblem gewonnenen Ergebnisse kann somit die Zweite sema-
siologische Hauptfrage gewiB nicht beantwortet werden, und eben
dadurch erweist sie sich als ein selbstandiges, besonderer Unter-
suchungen wurdiges und bedurftiges Problem.
3) Wir haben die Erorterung dieser einigermaBen nebensachlichen
Fragen zu Ende gefuhrt, wohl wissend, daB die Mehrzahl der Leser
von uns etwas ganz anderes erwarten, ja fordem wird: namlich eine
grundsStzliche Rechtfertigung des Begriffes noetischer GegenstSnde
uberhaupt. Ehe wir jedoch eine solche Rechtfertigung liefem, mussen
wir vorerst den problematischen Begriff selbst noch nSher bestimmen ;
und dies wird am zweckmaBigsten so geschehen, daB wir ihn gegen
zwei andere Begriffe abgrenzen, mit welchen er nahe verwandt scheint
und deshalb leicht verwechselt werden kann.
Der eine dieser beiden Begriffe ist der des objektiven Oe-
dankens, wie wir ihn in den §§42 und 43 entwickelt haben; der
andere ist derjenige des transcendenten Gedankenwesens, der uns im
nichsten Kapitel als Gegenstand der sogenannten realistischen
Lehre beschaftigen wird. Zwischen beiden steht der Begriff des
noetischen Gegenstandes, wie wir ihn hier verstanden wissen mSchten,
in der Mitte.
104 NCXJLOOIE
In § 42. 2 lieBen wir ausdrucklich die Frage offen, ob der ^objektive
Oedanke", d. h. das Oedachte, dem ^subjektiven Oedanken", d. L dem
Denken, als etwas SelbstHndiges und UnabhSngiges g^enuberstehe,
ob er von diesem erzeugt werde, oder ob vielleicht die Unterscheidung
beider nur Ergebnis einer verschiedenartigen Betrachtung dessdben
Gedankenfaktums sei. Ueber diese Position gehen wir hier durch die
Behauptung hinaus, daB die erste dieser 3 Mdglichkeiten uns als Inhalt
unserer Erfahrung unmittelbar gegeben sei : wir vertreten die Ansicht,
daB der Mensch unter normalen UmstHnden die Aussagen als einheit-
liche und beharrliche Oegenstande eriebt Doch wenn wir hier das
Wort Erleben betonen, so geschieht es keineswegs etwa bloB zu dem
Zwecke, urn die Objektivitat der Aussagen als eine besonders un-
zweifelhafte und gewisse hinzustellen. Vielmehr soil damit zugleidi
der ObjektivitHtsanspruch der Aussagen auf diese erlebte O^^en-
standlichkeit eingeschrankt werden. Soweit nimlich unsere Auffassung
Ober die bloB problematische Objektivitat der §§ 42—43 hinausgeht,
soweit bleibt sie doch hinter der absoluten Objektivitat des „Realis-
mus"^ zurQck. Dieser faBt die Begriffe, S3tze und Beweise als auBer-
empirische Wesenheiten auf, die unabhangig von ihrem Gedachtwerden
wirklich existierten. Dieses nun behaupten wir hier nicht, ja wir
werden es in der ontologie ausdrucklich leugnen. Unsere These
geht vielmehr dahin, diese Aussagen wurden von uns a 1 s unabhSngig
von ihrem Gedachtwerden existierende eriebt Es ist dies dn
kritischer Punkt, an dem wir keine BemOhung scheuen durfen^ um
alle MiBverstandnisse zu zerstreuen. Wir wiederholen deshalb zu-
nachst das Gesagte noch einmal. In der normalen Praxis ihres
Denkens und Sprechens pflegen alle Menschen Aussagen mil gleichem
Aussageinhalt, z. B. Satze mit gleichem Tatbestand, als ein und die-
selben zu betrachten und zu bezeichnen, auch wenn die Denkakte, in
welchen sie erfaBt, und die Sprachlaute, in die sie gekleidet werden,
verschiedenen Individuen, Zeiten und Sprachen angehSren: sie fassen
z B. den pythagoreischen Lehrsatz als einen und denselben Satz aui
auch wenn er das eine Mai im 4. vorchristlichen Jahrhundert von
einem Griechen auf griechisch, das andere Mai im 20. nachchristlicheo
Jahrhundert von einem Deutschen auf deutsch gedacht und ausge-
sprochen wird ; von Beiden, meinen sie, werde ein und dersdbe Satz
gedacht. Nun gibt es eine Ansicht, der zufolge diese Ausdruckswdse
nur berechtigt ist, sofem mit ihr auf die spezifische Gleichheit zwder
Denkakte hingewiesen werden soil; wer sich ihrer bediene, wolk
nichts anderes sagen, als daB in beiden Fallen mit verschiedenen Aus-
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 105
sagelauten gleiche Aussageinhalte, d. h. inhaltlich kongruente sub-
jektive Denkakte, verbunden seien; von einer Einheit und Beharrlich-
keit der Aussagen kdnne daher nur die Rede sein, sofem von der
spezifischen Verschiedenheit der Aussagelaute und von der numerischen
Verschiedenheit der Aussageinhalte abgesehen werde Und es gibt
eine zweite Ansicht, der zufolge der pythagoreische Lehrsatz etwas
an sich Existierendes ist, das in jenen zwei Aussagen nur von ver-
schiedenen Individuen erfaBt und mit verschiedenen Sprachformen aus-
gestattet wird; die Redeweise, es handle sich in beiden FSUen urn
einen und denselben Satz, sei daher eine in jedem Sinne angemessene
und zutreffende Diese zwei Ansichten nun lehnen wir beide in
gleicher Weise ab und meinen, wer jener Ausdruckweise sich bediene,
umschreibe damit die Tatsache, daB i h m der pythagoreische Lehrsatz
als etwas Einheitliches und Beharrliches, von seinem Gedacht- und
Ausgesagtwerden zu verschiedenen Zeitpunkten, durch verschiedene
Individuen und in verschiedenen Sprachen Unabhangiges, kurz als
etwas Objektives, als ein noStischer Oegenstand gegeben sei : wer sich
so ausdrQcke, brauche demnach durchaus nicht von irgendwelchen
spezifischen und numerischen Verschiedenheiten abzusehen, sondem
nur sein Eriebnis unmittelbar in Worte zu kleiden ; allein ob auch un-
abhangig von diesem und ahnlichen Oegenstandlichkeits-Erlebnissen
der pythagoreische Lehrsatz wirklich ein einheitlicher und beharrlicher
Gegenstand sei, darOber sei hierdurch nicht das mindeste ausge-
macht
Wer mit der transcendentalphilosophischen Terminologie vertraut
ist, dem kdnnen wir unsere Position durch eine kurze Formel un-
miBverstandlich klar machen : wir vertreten die e m p i r i s c h e R e a 1 i t S t
der noetischen Oegenstande, ohne deswegen ihre trans cen den tale
I deal it it zu leugnen, und entfemen uns deshalb ebensoweit von
jenen, welche ihre empirische Idealitat, wie von denjenigen, die ihre
transcendentale Realitat behaupten. Wer dagegen jener Vertrautheit er-
mangelt, dem mag vielleicht auch hier wieder die vergleichsweise
Heranziehung der analogen Verhaltnisse auf dem Gebiete der korper-
lichen Dinge unseren Standpunkt am ehesten naher bringen.
Wenn wir hdren, daB verschiedene Menschen zu verschiedenen
Zeiten den Oipfel des Monte Rosa gesehen haben, so pflegen wir
unter normalen UmstHnden Alle zu sagen, sie hatten einen und den-
selben Berg gesehen, mithin etwas Einheitliches und Beharrliches, von
seinem Wahrgenommenwerden Unabhangiges, kurz etwas Objektives,
einen physischen Gegenstand. Nun gibt es eine Ansicht, der zufolge
106 NOOLOOIE
hiermit nichts anderes gesagt sein soil, als daB zwei zwar inhalts-
gleiche, jedoch voneinander numerisch verschiedene Oesichtswahr-
nehmungen stattgefunden hatten; nur wenn man von dieser nume
rischen Verschiedenheit absehe, habe jene gewdhnliche Ausdrucksweise
ihre Berechtigung. Und es gibt eine zweite Ansicht, der zufolge der
Monte Rosa wirklich als ein einheitliches und beharrliches, von seinem
Oesehenwerden unabhanglges Objekt, als ein physischer Gegenstand
existiert Tritt nun jemand auf und lehrt — es ist das in diesem
Falle annihemd die Lehre Kants — , jene Redeweise driicke zunachst
nur das Eine aus, daB, wer sich ihrer bediene, den Monte Rosa als
ein einheitliches und beharrliches Objekt, als einen physischen Gegen-
stand erlebe, so ist einleuchtend, daB er sich damit von jenen beiden
Ansichten gleich weit entfemt Denn er leugnet, daB der Aussagende,
urn zu seiner Aussage zu gelangen, von irgendeiner numerischen
Verschiedenheit absehen muBte; und er behauptet deswegen doch
keineswegs, daB der Monte Rosa auch unabhangig von seinem Als-
einheitlich-und-beharrlich-erlebt-werden wirklich einheitlich und beharr-
lich sei; seine These geht vielmehr nur dahin, das Erlebnis des Aus-
sagenden sei seiner Struktur nach ein solches, welches zu seinem
adaquaten Ausdrucke die Aussage fordere, der Monte Rosa sei ein
physisches Objekt
Gar nicht anders als mit den physischen steht es nun mit den
noetischen Gegenstanden. Zeitlich und individuell auseinanderliegende
Wahmehmungen dort — zeitlich und individuell auseinanderliegende
Denkakte hier. Ja noch mehr! Denn auch die Verschiedenheit der
Sprachen findet auf dem korperlichen Gebiete ihr Analogon, indem
etwa der Eine den Monte Rosa aus der Nahe als weiBe Riesenmasse,
der Andere aus der Feme als blaues Punktchen sieht Somit weiter:
Verschiedenheit der Qualitaten dort — Verschiedenheit der Aussage-
laute hier. Und femer: spezifisch gleiche, jedoch numerisch ver-
schiedene Gesamteindruckserlebnisse dorti) — spezifisch gleiche,
jedoch numerisch verschiedene Aussageinhaltserlebnisse hier. Trotzdem
in beiden Fallen die gelaufige Rede von einheitlichen und beharrlichen
Gegenstanden, die dort unabhangig sein sollen von der Mehrheit und
dem Wechsel ihrer Qualitaten sowie von ihrem Wahrgenommenwerden,
hier von der Mehrheit und dem Wechsel ihrer Aussagelaute sowie
von ihrem Gedachtwerden. Endlich hier wie dort die gleichen M6g-
lichkeiten der Interpretation: die gleichen Versuche, die gebrauchliche
*) Wurde mit jenen verschiedenen Gesichtswahraehmungen nicht eine gleiche
Totalimpression sich verbinden, so konnten sie nicht beide als „hoher Berg" auf-
gefafit werden.
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 107
Redeweise relativierend umzudeuten, die gleichen Versuche, sie ins
Absolute zu ubertreiben. Die Wucht dieser Analogie scheint mir un-
widerstehlich : wo die Erscheinungen und ihre Erklarungen so vdllig
analog sind, da mussen offenbar auch die zu Grunde liegenden Ver-
haltnisse denselben Parallelismus aufweisen. Die ontologische Er-
drterung mag schlieBlich ausfallen, wie sie will; daB sie fur das
physische und das noetische Gebiet zu verschiedenen Ergebnissen
gelangen sollte, dies darf schon hier als ausgeschlossen gelten: Aus-
sagen und Kdrper mussen in gleichem MaBe und in gleichem Sinne
objektiv sein.
4) Doch ich hdre ein vielstimmiges Hohngeschrei : „Gerade die von
dir aufgezeigte Analogie vemichtet deine Ansicht Denn wenn die
Menschen von der Einheit und Beharrlichkeit der Aussagen sprechen,
so lassen sie sich dabei ausschlieBlich von eben dieser Analogie leiten.
Sie reden von den Aussagen, als war en sie Kdrper. Das heiBt, sie
hypostasieren die Aussagen nach Analogie der KSrper. Es
handelt sich um eine durchsichtige Metapher, hinter der sich gewiB
kein emstes Problem verbirgt."
Ich gestehe, daB ich kaum etwas Nichtssagenderes kenne als diese
Auskunft. Gibt sie doch alles Wesentliche der von ihr verlachten
Ansicht zu und glaubt nur, durch einen kiihnen psychogonischen
Schnorkel die Bedeutung dieses Eingestandnisses aufheben zu kdnnen.
Wer namlich gelemt hat, die analytische Betrachtung von der
genetischen zu sondem, der wird nicht verkennen, daB von einer
Hypostasierung oder Objektivierung doch nur da die Rede sein kann,
wo auch das Ergebnis dieses Prozesses, eine Hypostase oder Ob-
jektivitat, vorhanden isL Es gibt freilich Denker, die zu glauben
scheinen, was geworden ist, das existiere nicht Sie sagen: „Die
Aussagen sind nichts Gegenstandliches, sie sind nur vergegenstSnd-
licht*", — ohne zu merken, daB dies nicht anders ist, als wollte jemand
sagen: „Dies ist nicht Eis, es ist nur gefrorenes Wasser." Wirstehen
auf dem entgegengesetzten Standpunkt. FQr uns ist die Tatsache,
daB etwas geworden ist, der beste Beweis dafur, daB es auch existiert.
Wo Wasser gefroren ist, da ist gewiB Eis; und wenn Aussagen nach
Analogie mit Korpem vergegenstandlicht sind, so sind sie ganz gewiB
noetische Gegenstande.
Ach, erwidert man vielleicht argerlich, sie sind ja nicht wirklich ver-
gegenstSndlicht: die Hypostasierung der Aussagen besteht ja nur
darin, daB wir sie als Gegenstande den ken. — Ich entgegne: ist
das denkende Erleben kein Erleben? Wenn es aber ein Erleben ist.
108 NOOLOOIE
wie kann man der Behauptung, wir erlebten die Aussagen als G^[en-
stlnde, die andere entgegenstellen, wir dSchten sie nur als solche —
da doch die letztere Behauptung in Wahrheit gar nichts anderes be-
sagt, als daB wir die Aussagen als Gegenstande erleben^ sobald wir
sie denkend betrachten, mithin gar nichts anderes, als was wir sdbst
behaupten ?
Denken — dies ist die letzte Antwort, die ich sehe — wird hicr
aquivok gebraucht: nicht der Erlebnisweise, nur dem Sprachgebraudi
zufolge kdnnen wir die Aussagen Gegenstlnde nennen; niemand
meint, daB sie etwas anderes seien als subjektive Denkakte und
individuelle Wortklange; allein wir red en von ihnen, als waren sie
kdrperliche Dinge, indem wir die fur diese Qblichen SprachformeD
auf sie anwenden. — In dieser Darstellung wird indes der EinfluB
der Sprache auf das Denken maBlos uberschatzt Ueberhaupt
diktiert uns ja die Sprache nur in AusnahmsfSllen eine bestimmte
Auffassung; in aller Regel druckt sie die herrschenden und fypischen
Auffassungen getreulich aus (vgl. § 40. 3). Es gibt zwar Philosophen,
die sich vorstellen, wenn wir z. B. das Hauptwort Rote gebraucheiv
so sei es eben dieser Gebrauch, der uns die Auffassung des Rot als
eines Gegenstandes vorschreibe, — wahrend uns doch in Wahrheit
die Sprache ganz ebensowohl auch das Eigenschaftswort Rot zur
Verfugung stellt, sobald wir unsere Auffassung des Rot als einer
Eigenschaft ausdrQcken wollen. Folglich ist gewiB nicht die Neigung
zur Bezeichnung von Erlebnissen durch Hauptwdrter das primire
Faktum, sondem vielmehr die Neigung zu ihrer gegenstandlichen Auf-
fassung. Ebenso nun hatte sich auch die Verwendung von Haupt-
wdrtem fiir die Aussagen nie in der Sprache eingebQrgerty wenn wir diese
nicht als Gegenstande auffaBten. In der Tat meint doch gewiB kein
Unbefangener, der pythagoreische Lehrsatz sei der subjektive Oedanke
eines Individuums oder auch der Inbegriff vieler derartiger Oedanken;
ja dies ist ebenso gewiB, wie daB jeder Unbefangene die Behauptung
es gebe viele pythagoreische Lehrsatze, oder auch die andere, dieser
Lehrsatz bestehe aus zahlreichen Teilen, die nie zugleich existierteiip
fur sinnlos erklaren wurde.
Man konnte demnach hochstens behaupten, daB wir die Aussagen
nach Analogic der Korper als Gegenstande auffassen. Diese Be-
hauptung aber unterscheidet sich von der unsrigen nur mehr duich
den Zusatz „nach Analogic der Korper'', d. h. durch eine jener
psych ogonisch en Thesen, die zum mindesten vdllig unerwdslidi
sind. Denn gewiB hat noch niemand beobachtet, wie in dnem
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 109
Individuum die gegenstandliche Aussagenauffassung „nach Analogie''
<ler gegensUlndlichen Dingauffassung en t stand. Auch ist dieser
Hergang nicht eben sehr wahrscheinlich. GewiB tritt die gegenstand-
liche Auffassung von Aussagen entwickelungsgeschichtlich s pater
auf als die gegenstandliche Auffassung von Dingen. Allein dies
schlieBt nicht aus, daB die fQr eine solche Auffassung maBgebenden
Bedingungen in beiden Fallen gleichmSBig vorhanden sein mdgen,
und daB deshalb auch eine Aussage diese Auffassung aus eigenem
Rechte fordem kann. Und in derTat: auch wer annimmt, die gegen-
standliche Auffassung der Aussagen beruhe auf analoger Anwendung
eines fur die Auffassung der Kdrper ausgebildeten Schemas, muB
doch zugeben, daB dann eben auch bei den Aussagen die Bedingungen
iiir die Anwendung dieses Schemas verwirklicht sein mussen. Auch
sind uns ja diese Bedingungen, wenigstens im allgemeinen UmriB,
nicht durchaus unbekannt Sie betreffen hauptslichlich zwei Punkte:
der zu „hypostasierende" Erlebniskomplex muB einerseits neben
mehreren und wechselnden Elementen (den Qualititen resp. Aussage-
lauten) auch ein einheitliches und beharrliches Element (die Substanz
resp. den Aussageinhalt) enthalten, und er muB andererseits unter
^leichen Voraussetzungen (auf etwas hinsehen, an etwas denken) bei
verschiedenen Individuen zu verschiedenen Zeiten in gleicher Weise
auftreten. Allein je deutlicher sich zeigt, daB diese Bedingungen fur
Aussagen in demselben Umfange verwirklicht sind wie fur Dinge,
desto wahrscheinlicher wird es, daB es sich dabei auch in dem Falle
der Aussagen nicht bloB um Bedingungen fur die Anwendung eines
fremden Schemas handelt, sondem vielmehr um Bedingungen fQr die
spontane Erzeugung der Gegenstandsauffassung. Denn wenn das
Erfulltsein dieser Bedingungen genugt, um den Qualitaten die Struktur
eines gegenstandlichen Dinges zu verleihen, warum sollte es nicht
auch genugen, um die Aussagelaute mit der Struktur einer gegen-
standlichen Aussage auszustatten? Und welchen Sinn hat es, die
^Hypostasierung" der Aussagen „nach Analogic" mit der „Hypo-
stasierung" der Korper vor sich gehen zu lassen, wenn doch die
^Hypostasierung" der Korper selbst zureichend durch jene Bedingungen
sich soil erklaren lassen, ohne deren Vorhandensein sich auch das
Schema der Korper auf die Aussagen gar nicht anwenden lieBe? Man
kdnnte ja auch sagen, Gott lasse das Quecksilber „nach Analogic'^
mit dem Wasser gefrieren, — wenn es eben nicht einfacher ware,
beide Vorgange unter Ein gemeinsames Gesetz zu befassen. Und so
scheint uns denn auch von der Behauptung, die Aussagen wiirden
no NCX)LOOIE
nach Analogie mit den Kdrpem hypostasiert, nichts anderes ubrig zu
bleiben als unsere oben entwickelte These, daB die Aussagen von uns
ebenso als Gegenstande eriebt werden wie die KSrper.
5) Doch ich hoffe nicht, eingewurzelte Vorurteile so leichten Kauh
zu uberwinden. Vielmehr tont mir aufs neue ein entriistetes Stimmen-
gewirrim Ohr: „Das sind leere Worte! Die physischen Gegenstande;
mdgen sie nun welche ontologische Realitat immer besitzen -
jedenfalls sehen wir sie doch mit Augen und greifen sie mit Hinden.
Dagegen noStische Gegenstande — wo sind sie? In der Welt der
Erscheinungen gibt es doch nichts anderes als physische O^enstSnde
und psychische Zustinde. Jene nehmen wir mit den Sinnen wab,
diese erleben wir unmittelbar in unserm BewuBtsein. Begriffe jedodi,
Satze und Beweise, die unabhangig wiren von unserem Denken -
was wissen wir von ihnen ? In der Welt der Erfahrung gibt es nidite
anderes als Materie und BewuBtsein : Materie und BewuBtsein in un-
endlich mannigfaltigen Verhaltnissen und Kombinationen, viel und
wenig, einfach und zusammengesetzt — allein Begriffe, Satze und Be
weise an sich, noetische Gegenstande, die weder Materie noch Be
wuBtsein waren, das gibt es nicht!''
Ich erwidere: kein sichereres Mittel, eine Sache nicht zu sehen, ab
die Augen zuzumachen, und kein sichereres Mittel, eine Sache nicht zo
finden, als sie da zu suchen, wo sie nicht ist! So steht es ja schon
bei den einzelnen Sinnen. Leugnete jemand, daB es Tdne gibt, wie
sollte man ihn iiberfuhren, wenn es verboten ware, ihm zu sagen:
hore! Er mochte alle Glocken und Saiten betasten, begucken und
beschniiffeln, mit den feinsten Instrumenten die Luftwellen messen,
von dem Bau des Ohres die scharfsten Praparate herstellen — stds
wird er behaupten. Ton sei ein sinnloses Wort, es gebe nichts in
der Welt als farbige und bewegte Massen. Nur Ein Mittel gibt es»
ihn zu uberzeugen : man lasse einen Ton erklingen ! StrSubt er sidi
auch gegen diesen Beweis und beharrt darauf, Tone kdnne es nidrt
geben, denn soweit er auch herumgekommen sei, er habe noch keinen
gesehen, und man muBte ihn doch sehen konnen, wenn er da ware
— dann ist alle Miihe verloren : dieser Mensch wird ruhig entschbda^
in dem Glauben, der Ton sei eine Erfindung aberglaubischer SchwSrmer.
Dasselbe Verhaltnis zwischen Materie und BewuBtsein. Leugnet dff
Materialist, daB es BewuBtsein gebe? Dann ist wenig Hoffnun^
ihn zu uberzeugen 1). Er eilt durch alle Raume, Qberschaut den
») So schon Platon (Sophist, p. 246 A— D) in seiner unverganglichen Scbflderang
derjenigen, welche ,,Felsen und tichen mit den Handen umfassend . . . versidiciV)
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 111
Hlmmel und seine Sterne; er dringt in die feinsten Poren des Stoffes,
miBt die Molekule, wagt die Atome; er seziert den Menschen, zer-
schneidet die Nerven, wfihlt im Gehim: BewuBtsein findet er nicht
Man ruft ihm zu: „Fuhlst du nicht, daB du mOde bist und hungrig?^
Plugs eilt er zum Versuchstier zuruck, schneidet den Magen auf, zer-
fasert die Muskeln, mikroskopiert die Nerven, und verkundet: „Es ist
nichts da Ware etwas da, man miiBte es doch wahmehmen.^
Leugnet der idealist die Materie? LaB ihn in den Geist der altesten
Volker, in die feinsten Regungen seiner eigenen Seele sich versenken :
er wird nichts finden als BewuBtsein und immer ivieder BewuBtsein.
StoB' ihn an eine Wand! Er wird entgegnen: „Das sind Tastemp-
findungen, Schmerzempfindungen, Muskelgefflhle : von einem Korper
keine Spur. Ware er da, ich miiBte ihn doch empfinden." Ganz so
nun auch das Verhaltnis der Bedeutung^) zu Materie und BewuBtsein.
Bezweifelt einer mit Heoel die beiden letzteren2), wie ihn uberwinden?
Er wird alle Begriffe durchgehen: Materie und BewuBtsein wird er
nicht finden. Zeig' ihm einen Stein ! Ja, wird er sagen, das ist der
Begriff des Korpers: der ist untergeordnet dem Begriff des Seienden,
fibergeordnet dem Begriff der Fliissigkeit. Das alles sind Begriffe wie
Etwas und Nichts, Bejahung und Vemeinung. Von Korpem, die
nicht Begriffe waren, find' ich nichts. Und sie muBten doch irgend-
eine Stelle in dem System der Begriffe einnehmen, wenn sie existierten.**
So nun auch jene, welche die Bedeutung leugnen. Greift alle
Aepfel und Kugeln der Welt ab, ihr werdet keinen Zahlbegriff, meBt
alle rechtwinkligen Dreiecke aus, ihr werdet nie den pythagoreischen
Lehrsatz finden. Analysiert das BewuBtsein des groBten Logikers, ihr
werdet auf nichts anderes stoBen als auf Vorstellungen und Gefflhle.
Aber wir rufen euch zu: „Denkt! Denkt den Begriff Blely und von
dem denkt weiter, daB er untergeordnet ist dem Begriff Metall. Denkt
einen Satz. Jetzt einen anderen. Und von diesen Satzen denkt, daB
sie einander widersprechen oder auseinander folgen. Ist jetzt die Rede
von Korpem oder von Tatsachen des BewuBtseins? Kann denn ein
nur das existiere, was Widerstand leistet und beruhrt werden kann . . . und welche,
wenn jemand anderer behauptet^ es gebe auch solches, was keinen Korper habe,
ihn ganzlich verachten". Von diesen namlich sagt er^ solange sie nicht ,^hmer"
geworden, sei es „schwer, ja beinahe unmodich^, mit ihnen zu diskutieren. ^) So
nenne ich hier mangels eines besseren Ausdrucks den „Stoff** des Logischen, der
sich zu diesem verhalt wie die Materie zum Physischen und das BewuBtsein zum
Psychischen. ^) Man darf es wohl ein Bezweifeln der ,,Natur** nennen, wenn sie
(Encykl. I, § 244; WW. VI, S, 413!.) aus der ,Idee" auf rein dialektischem Wege
tiervorgehen soil. Denn was so entstehen konnte, ist doch immer nur der Begrilf
„Natur'. Und dasselbe gilt vom Hervorgehen des „Oeistes" aus der „Natur**
<Encykl. II, § 376; WW. VII, S. 692 ff.).
112 NOOLOOIE
Korper einem anderen untergeordnet sein? Eine Tatsache des BewuBt-
seins einer anderen widersprechen? Und ist, daB ein psychisches Er-
iebnis aus einem anderen zu folgen vermochte, nicht ebenso undenk-
bar, als daB es neb en ihm sein kdnnte?'' Stutzt ihr? Doch ich
fflrchte, ihr entgegnet vielmehr: „In alledem sehen wir nichts von
Bedeutung. Blei und Metall sind Kdrper. Von diesen K5rpem haben
wir Vorstellungen. Bei dem Uebergange von der Einen dieser Vor-
stellungen zur anderen erleben wir Gefuhle der Unterordnung. Satze
sind Komplexe von Vorstellungen und Oefuhlen. Widerspruch und
Bedingtheit werden gefQhlsmaBig erlebt. Also durchweg Materie und
BewuBtsein, nirgends Bedeutung. Und das war ja zu erwarten. Denn
gabe es Bedeutung, wir muBten sie doch wahmehmen oder empfinden/
Nun gut, allein warum nehmt ihr denn dann an, daB es Materie gibt?
Die laBt sich ja auch auflosen in Vorstellungen und Gefuhle. Gibt
es demnach nicht wenigstens in demselben Sinne Begriffe und Satze,
in dem es Korper gibt? Nur so viel haben wir ja behauptet — »Nein,
gewiB nicht! Denn Kdrper gibt es wirklich; wir nehmen sie doch
mit den Sinnen wahr. Und das BewuBtsein, das empfinden wir. Da-
gegen Begriffe und Satze, Qberhaupt Bedeutung, nehmen wir weder
mit den Sinnen wahr noch empfinden wir sie: und darum gibt es
auch nichts derartiges in der Erfahrung."" Das ist, denk' ich, die Eine
Antwort, die den Gegnem noch ubrig bleibt, zugleich freilich auch
die Eine Antwort, 'an der jede Ueberredung abprallt — die Antwort:
„Es ist so, weil es so ist!"
6) Fur die Lehre von der empirischen Realitat der noetischen G^enstande,
die ich soeben zu entwickeln und zu b^junden versucht habe, kann ich mich
auf eigentliche Vorganger kaum berufen. Wo sie vorzuliegen scheint, pflegt
es sich teils um abgeschwachte Fonnen des „Realismus" zu handeln, teils
um eine seiche Betonung der Unabhangigkeit des Logischen vom Psycho-
logischen, welche der ontologischen Interpretation uberhaupt entbehrt Von
dieser Art sind namentlich jene AeuBerungen, die in § 43. 6 aus Herbart
und Cohen angefuhrt wurden. Auch was Lipps^) fiber ^intuitive Gegen-
stande** vorbringt, die „gedacht", aber freilich gerade nicht „er6ihren"
werden sollen — wie die Zahl der Arithmetik oder der Raum der Geo-
metric — , scheint sich mit meiner Ansicht einigermaBen zu beruhren. Am
nachsten jedoch kommt dieser wohl, was MOnsterbero 2) kurz angedeutet
hat. Er sagt, es genuge nicht, sich davon zu fiberzeugen, „da6 logische Be-
ziehungen keine psychologischen Abhangigkeiten sind, es muB auch einge-
sehen werden, daB logische Beziehungen nur zwischen Objekten bestehen
konnen, die selbst nicht psychologisch sind". In der „wirklichen Welt** der
1) E. u. R, S. 7f. 2) Prinzipien S. 1541.
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 113
^reinen Erfahrang" (vgl. oben § 11. 6) sei jeder „Begriff, der in ein Urteil
dngehen kann, . . . weder ein physikalisches nodi ein psychologisches Ob-
ekt, so wenig wie im wirklichen Leben die wahi^enommenen Dinge Vor-
tellungen in uns sind''.
Unter solchen Umstanden mfissen wir zur Unterstiitzung und Erlauterung
inserer Argumentation einiges aus solchen Denkem beibringen, welche
laraus nicht bloB auf eine empirische, sondem audi auf eine transcendentale
tealitat der noetischen Gegenstande gesdilossen haben, — d. h. wdche
licht nur behaupten, diese Gegenstande wurden als von uns unabhangige
Dbjekte gedacht oder erfahren, vidmehr der Meinung sind, daB sie
lies alles auch wirklich und in jedem Sinne sei en. Und da ist denn vor
Jlein jene Analogie zwischen physisdien und noetischen Gegenstanden, auf
lie wir so groBes Gewicht legen muBten, wohl von niemand kraftiger
lervorgehoben worden als von Auqustinus. Im 2. Buche seiner Schrift
,Ueber die Freiheit des Willens" namlich faBt dieser groBe Denker eine dn-
pdiende Erdrterung folgendermaBen zusammeni): „Du kannst daher auf
mnen Fall leugnen, daB es eine unveranderliche Wahrheit gibt, wdche alles,
vas unveranderlich wahr ist, in sich schlieBt — dne Wahrhdt, die du
licht als die deine oder die mdne oder die irgenddnes anderen Menschen
^ezeichnen kannst, sondem von der du anerkennen muBt, daB sie — wie
in wunderbar verborgenes und dodi dffentliches Licht — ffir alle jene, die
las unveranderlich Wahre sehen, gemeinsam vorhanden ist und gemeinsam
ich ihnen darbidd; wer aber mdchte behaupten, daB dasjenige, was fur
lie Vemunftigen und Denkenden gemeinsam vorhanden ist, zu der be-
onderen Wesenheit eines jeden gehore? Denn ich denke, du erinnerst dich,
/as erst kurzlich fiber die korperlichen Sinne von uns ausgduhrt wurde:
laB namlich dasjenige, was wir durch den Sinn des Gesichts oder des
lehdrs gemeinsam erfassen — wie die Farben und Tdne, die du und ich
ugleich sehen oder zugleich horen — nicht auf die Beschaffenheit unserer
kugen oder Ohren sich zuruckffihren lasse, vidmehr ein gemeinsamer
i^enstand unserer Wahmehmung sei. So kannst du nun auch von dem,
/as ich und du — jeder mit seinem Geiste — gemeinsam erblicken, nicht
agen, daB es der geistigen Eigenart Eines von uns angehdre. Denn was
'ivder Augen zugleich sehen, das kannst du nicht zu den Augen des
jnen oder des Anderen zahlen, sondem es ist ein Drittes, auf das Beider
lick sich richtet'' Weniger genial, freilich auch weniger angreifbar, sind
le folgenden Ausfuhrungen des englischen Platonikers Cud worth 2): „Femer
aben diese G^enstande ein bestandiges Sein, auch wenn unsere dnzdnen,
eschaffenen Gdster nicht immer an sie denken . . . Denn die begrifflichen
Faturen und Wesenhdten eines Dreiecks, Vierecks . . . und alle die not-
rendigen geometrischen Wahrheiten, die sich auf diese verschiedenen Figuren
eziehen, waren nicht die Geschdpfe von Archimedes, Euklid oder Pytha-
1) De lib. arb. II. IZ 33 (MiONE, Patrolog. Ut, Bd. 32, Sp. 1259). ^ Systema
iteilectuale II, p. 72.
Oomperz, WdtmsduuiiiosBlehre II 1 8
114 NCX)LOOIE
goras . . .; und sie begannen nicht erst dann zu existieren, sondem all
diese Begriffe und Wahrheiten hatten schon vorher eine wirkliche und tat-
sachliche Existenz und wtirden auch dann noch fortfahren zu existieren^
wenn alle Geometer der Welt ausgestorben waren, und kein Mensch sie
kennte oder an sie dachte. Ja sogar wenn die ganze materielle Wdt aus-
getilgt ware, und zugleich alle einzelnen geschaffenen Geister vemichtet, so
wtirden docli ohne Zweifel*' alle diese Begriffe und Wahrheiten „heil und
gesund bleiben . . . Denn es ist ganzlich undenkbar, daB es je eine Zeit
gegeben hatte**, wo diese B^ffe nicht existierten, „oder wo es noch nicht
wirklich wahr gewesen ware, daB die drei Winkel des Dreiecks zwei Rechten
gleich sind . . .: so daB ihr Sein ein gewisses Datum an sich trfige, eine
gewisse Jugend besaBe und nach demselben Prinzip auch altem und ver-
gehen konnte". Denn „die voyjtA sind ewig und konnen auf keine Weise
beseitigt oder zerstort werden". Hierher gehort weiter jene ganze Lehre
BoLZANOS von den Vorstellungen [d. h. Begriffen], Wahrheiten und Satzen
y^ sich^ auf die wir uns schon einmal (§ 47. 9) gelegentlich bezogen
haben. Gleich zu B^nn seiner „Wissenschaftslehre'' i) sagt dieser Denker,
er spreche „von Vorstellungen, Satzen und Wahrheiten an sich . . ., wahrend
in alien bisherigen Lehrbiichem der Logik . . . von all diesen G^;enstanden
nur als von . . . Erscheinungen in dem Gemute eines denkenden Wesens
. . . gehandelt wird''. Diese Verwechslung sei jedoch ebenso unstatthaft wie
jene „des Zusammenhanges, der zwischen Wahrheiten an sich stattfindet",
mit „dem Zusammenhange, der zwischen bloBen Erkenntnissen herrscht*'.
Denn „die ganze Syllogistik, was ist sie anderes als eine Lehre von gewissen
Verhaltnissen, die zwischen Satzen und Wahrheiten an sich herrschen?
Oder wer sollte wohl die hier vorkommenden Satze alle nur so auslegen,
daB sie bloBe Gesetze des Denkens . . . waren? Wer sollte z. B. den
Kanon, daB sich aus zwei ganz vemeinenden Pramissen keine Konklusion
ei^ebe, nur so verstehen, daB aus zwei solchen Pramissen nun niemand
etwas zu folgem vermdge, nicht aber auch so, daB aus solchen Pramissen
an und fur sich nichts folge?" Weiter 2): „Es gibt gesprochene und bloB
gedachte Satze. Wie ich aber in der Benennung ,ein ausgesprochener Satz"
den Satz selbst offenbar von seiner Aussprache unterscheide, so unterscheide
ich in der Benennung ,ein gedachter Satz' den Satz selbst auch noch von
dem Gedanken an ihn. Dasjenige nun . . ., was man sich unter einem
Satze denkt, wenn man noch fragen kann, ob ihn jemand ausgesprochen
Oder nicht ausgesprochen, gedacht oder nicht gedacht habe, ist eben das»
was ich einen Satz an sich nenne. M. a. W. also: unter dnem
Satz an sich verstehe ich nur irgendeine Aussage, daB etwas ist oder nidit
ist; gleichvid . . . ob sie von irgend jemand in Worte gefaBt oder nicht
gdaBt, ja auch im Geiste nur gedacht oder nicht gedacht worden ist^ Der
Satz ist daher nicht „etwas Gesetztes, welches mithin das Dasdn dnes
Wesens, durch welches es gesetzt worden ist, voraussetzen wurde*'. Femer^:
») Wiss. L § 16 (I, S. 61 ff.). 2) Ibid. § 19(1, S. 76 ff.). 3) ibid. § 23 (I, S. 99).
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 115
„Was die hier niedergeschriebenen Worte ,ein gleichseitiges Dreieck' vor-
stellen, auch wenn sie von niemand gelesen oder verstanden warden, ist eine
Vorstellung an sich; was durch den Anblick jener Schriftzeichen in dem
Gemute eines ihrer Bedeutung kundigen Lesers hervorgebracht wird, ist eine
subjektive oder gedachte Vorstellung.'' Ebenso verhalt es sich mit den Wahr-
heiten^): „lch verstehe . . . unter einer Wahrheit an sich jeden beliebigen
Satz, der etwas so, wie es ist, aussagt, wobei ich unbestimmt lasse, ob dieser
Satz von irgend jemand wirklich gedacht und ausgesprochen worden sei
Oder nichf' Gott freilich denkt aile Wahrheiten. Allein „es ist nicht etwas
wahr, weil es Gott so erkennet, sondem im Gegenteile, Gott erkennet es so,
weil es so ist So gibt es z. B. nicht darum einen Gott, weil Gott sich
denket, daB er ist; sondem nur weil es einen Gott gibt, so denkt sich dieser
Gott auch als seiend/' Es wurde auch stets ^ „der B^;riff von einer Wahr-
heit an sich von einem jeden Menschen in unzahligen Fallen des Lebens
. . . gedacht und angewandf'. Denn „so oft man auf eine Wahrheit den
B^ff des Erkennens, ja auch nur den des Denkens anwendete und z. B.
sagte, daB eine gewisse Wahrheit jemandem bekannt oder unbekannt, fur
ihn erkennbar oder unerkennbar sei u. dgl.: verstand man immer nur eine
Wahrheit an sich" 3). Doch *) auch die „Ableitbarkeit der Satze voneinander"
ist „eines derjenigen Verhaltnisse unter denselben . . ., die ihnen objektiv,
d. h. ganz abgesehen von unserem Vorstellungs- und Erkenntnisvermdgen
zukommen Meines Erachtens ist dn Satz nicht darum SchluBsatz
aus anderen, weil das Setzen (Furwahrhalten) dessdben durch das Gesetzt-
sein der anderen fur den Verstand notwendig ist; sondem umgekehrt, weil
jener wahr ist, so oft als diese es sind . . ., fiihlt der Verstandige sich ge-
ndtiget, jenen zu setzen, sobald er diese gesetzt haf '. Ebenso muB man s)
die „objektiven GrQnde und Folgen", deren „Verhaltnis unabhangig von
unserer Vorstellung unter den Wahrheiten an sich'' besteht, abgrenzen gegen
„bloB subjektive Erkenntnisgriinde und Erkenntnisfolgen". Und den Inbegriff
dieser Verhaltnisse der Abfolge nennt Bolzano ^) „den zwischen Wahrheiten
an sich obwaltenden Zusammenhang, auch wohl den objektiven Zusammen-
hang zwischen den Wahrheiten". Diese Anerkennung eines besonderen
logischen Zusammenhanges erinnert uns an dasjenige, was wir schon fruher
») Ibid. 8 25 (I, S. 112ff.). ^) Ibid. § 27 (I, S. 117). f) Jerusalem (Idealismus
S. 106 ff.) halt die Rede von „Wahrheiten an sich'* fur ^widersinnig". Denn
^Wahrheit" sei „die Eigenschaft eines Urteiles", eine „Beziehunfi; zwischen dem
Urteilsakt und einem vom Urteilenden unabhangig sich vollzfehenden Oeschehen" ;
der Begriff einer von alien Urteilsakten unabhangigen Wahrheit schlieBe deshalb
einen widerspruch in sich. Diese Kritik sdieint mir auf einer Verwechslung sub-
jektiver und oojektiver Oedanken zu beruhen. „Wahrheit" im eigentlichen Sinne ist
eben nicht die Eigenschaft eines Urteils, sondem vielmehr die Eieenschaft eines
Satzes, und sie beraht auf der Uebereinstimmung, nicht des Urteils alctes, sondem
vielmehr des Urteils i n h a 1 1 s mit dem beurteilten Bachverhalt Nicht mein D e n k e n
ist „wahr", sondem das in diesem Denken Oedachte, also z. B. nicht mein
Urtal, daB 2X2 gleich 4 sei, sondem vielmehr der in diesem Urteil gedachte
Sfl^r: 2X2 ist gleich 4. *) Wiss. L § 155 (H, S. 128 ff.). *) Ibid. § 198 (U,S. 341).
•) Ibid. § 222 (if, S. 389).
116 NOOLOOIE
(§ 43. 4) aus HussERL angeffihrt haben. In der Tat hat auch dieser Autor
die G^:enstandlichkdt der Aussagen i) energisch betoni Die Zahl Funf,
sagt er^ ist „ohne Widersinn nicht als Teil oder Seite des psychischen
Eriebnisses . . . zu fossen^ Allein 3) auch was „der Aussagesatz n ist cine
transcendente Zahl besagt, was wir lesend darunter verstehen und sprechetid
damit meinen, ist nicht ein individudler, nur allzeit wiederkehrender Zug
unseres Denkerlebnisses. Von Fall zu Fall ist dieser Zug immerhin ein
individudl anderer, wahrend der Sinn des Aussagesatzes identisch sdn
soil. Wiederholen wir oder irgendwdche anderen Personen densdben Satz
mit gleicher Intention, so hat jede ihre Phanomene, ihre Worte und Verstand-
nismomente. Aber g^enuber dieser unb^[renzten Mannigfaltigkeit indi-
vidudler Erlebnisse ist das, was in ihnen ausgedruckt ist, uberall dn
Identisches, es ist d ass el be im strengsten Sinne des Wortes. Mit der
Zahl der Personen und Akte hat sidi die Satzbedeutung nicht vervidfaltigt,
das Urteil im ideal logischen Sinne ist Fines. Die Bedeutungen
bilden daher, so kdnnen wir auch sagen, dne Klasse von Begriffen im
Sinne von ,allgemeinen Gegenstanden^*' Was endlich die Unver-
inderlichkdt der noetischen G^enstande betrifft, so vergleiche man auBer
dem bisher Angefuhrten und dem, was uber die Ewigkeit des Sphota in
§ 47. 9 aus Qu^KARA bdgebracht worden ist, etwa noch die drei folgenden
Darlegungen. Bd Meinonq^) heifit es: „Bestande unterscheiden sich von
Existenzen unter anderem auch darin, daB sie an keine Zdtbestimmung ge-
bunden, in diesem Sinne ewig oder besser zeitlos sind. Das gilt naturiich
auch vom ObjektivS). Mein Schrdbtisch ist dn zu bestimmter Zeit existieren-
des Ding: daB er aber jetzt existiert, das besteht jetzt wie in alle Zukunft
und Vergangenheit, obwohl es dem Wissen der vergangenen Zeiten unzu-
ganglich war und dem der kunftigen entschwunden sdn wird. Es ist nicht
weniger zeitlos, als daB dwa der rechte Winkd groBer ist als der spitze.**
Femer bd James ^) : „So bleibt jeder Begriff ewig, was er ist, und kann nie
ein anderer werden Inmitten des Flusses der Meinungen und der
kdrperlichen Dinge steht die Wdt der B^ffe ... da, hart und unver-
anderlich wie Platons Ideenrdch." Ebenso bei PalaovT): „Wenn ich also
dne Tatsache, die soeben stattfindet, in einem Urteile konstatiere, so kon-
statiere ich sie fur die Ewigkeit Man kann dies bildlich auch so
ausdriicken, daB durch das wahre Urteil die Tatsache gewissermaBen heraus-
gehoben ist aus dem Zeitstrome der Verganglichkeit in das iiberzdtliche
Reich der ewigen Wahrheit. In alien diesen und ahnlichen Wendungen
kommt immer nur der schlichte Gedanke zum Ausdruck: Die Tatsache ver-
geht, ihre Wahrheit aber besteht Urteilsakte sind sdbst vergang-
1) Oder genauer: der Aussageinhalte, womit wir indes nach oben Aus^fuhrtem
uns nicht einverstanden erklaren konnen. ^) Log. Unterss. I, S. 1701. ^ Ibid. II,
S. 99 If. *) AnnahmenS. 189. *) Auch wenn man das ,.Objektiv** als SachverhaU
auffassen will^ behalt diese Betrachtung ihr Recht denn auch fur Sachverhatte
werden wir im nachsten Paragraphen Oegenstancuichkeit in Ansprudi nehmen
mussen. «) Psych. I, S. 462. 1-og. S. 163 ff.
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 117
Ikhe Tatsachen, aber der Sinn, der ihnen innewohnt, d. h. die Wahrheit,
die in denselben zur Darstellung gelangt, ist unverganglich'' i). Dieselbe,
ursprunglich naturlich platonische Ansicht hat ubrigens schon der vielbe-
rufene Scholastiker Buridan ^ vorgefunden und mit — wie mir scheint —
sehr unzureichenden Grunden bestritten : die These namhch, das ^GewuBte''
sei unverganglich oder ewig (die sdbUia seien perpetua oder aetemd).
Indes, man darf nicht glauben, daB die Anerkennung noetischer Gegen-
stande nur bei den Vertretem „r&distischei^ Ansichten sich nachweisen lasse.
Vielmehr ist es ebenso belehrend wie unterhaltend, zu beobachten, wie zu
alien Zeiten gerade die entschiedensten Gegner dieser Ansichten, ohne es zu
wissen, die Gegenstandh'chkeit der Aussagen vorausgesetzt haben, so daB in
den liber diese Frage stattfindenden Diskussionen die Rollen oft wie im
Handumdrehen vertauscht werden. Der Punkt, an dem diese Vertauschung
einsetzt, ist die Frage nach der Gegenstandlichkeit der Aussagelaute.
Wir mussen uns namlich erinnem, daB, wie schon oft bemerkt, das Be-
deutungsproblem in der Regel zum Universalienproblem verengt wurde. D. h.
man wurdigte einerseits von alien Aussagen allein die Allgemeinbegriffe
emster Beachtung; andererseits aber unterschied man auch nicht (wie wir
dies bald tun werden) zwischen dem Allgemeinb^ff, seinem logischen
Inhalt und dem allgemeinen Typus der durch diesen Inhalt aufgefaBten
Sachen. Vielmehr verstand man unter dem Universale sowohl den all-
gemeinen Begriff „Mensch'' als auch den allgemeinen Typus „der Mensch''.
So stellte sich denn auch die Frage nach der Gegenstandlichkeit der Aus-
sagen dar als die Frage nach der „Realitat^ des Universale, und diese wieder
als die Frage, ob z. B. „der Mensch^' etwas von alien einzelnen Menschen,
y,die Rdte^ etwas von alien einzelnen roten Objekten Verschiedenes sei. Die
Denker nun, von denen wir hier reden wollen, vemeinen diese Frage grund-
satzlich auf das entschiedenste. Allein unser ganzes Sprechen und Denken
beruht doch so unerschutterlich auf der Voraussetzung, inhaltsgleiche Aus-
sagen seien einheitlich und identisch, diese Einheit und Identitat wird von
der Erfahrung unter normalen Umstanden so unzweideutig bezeugt, daB auch
diese Denker sie nicht ganzlich zu leugnen vermogen. Um indes nur ja
jeden Gedanken an ein g^^enstandliches Universale recht weit von sich zu
weisen, bestreiten sie zugleich, daB an der Aussage iiberhaupt noch andere
Elemente zu unterscheiden seien als Aussagelaute und Aussagegrundlage,
somit am B^ff Name und Sache. Sie verlegen deshalb die Bedeutung
der Aussage allein in die Verknupfung dieser beiden Elemente, mithin auch
die Allgemeinheit eines Begriffes in die Anwendbarkeit Fines Namens auf
vide Sachen. Sollen daher jetzt trotz alledem inhaltsgleiche Aussagen und
speziell von verschiedenen Sachen ausgesagte gleiche Begriffe in ii^gendeinem
Sinne einheitlich und identisch heiBen konnen, so bleibt nur die Annahme
1) Mir freilich scheinen falsche Satze um nichts weniger ^unverganglich'* zu sein
als wahre: „daB 2X2 = 5 sei", ist geradeso ein noetischer Oegenstand, wie „daB
2X2 = 4 ist*'. 2) Prantl IV, S. 17^ Anm. 65, u. S. 31, Anra. 115.
118 NOOLOOIE
ubrig, daB diese Pradikate den Aussagelauten an und fur sich zukommen,
daB also insbesondere, wenn verschiedene Individuen zu verschiedenen Zeiten
gleichklingende Nam en aussprechen, diese Namen dodi in Wahrtidt ntir
verschiedene Erscheinungsformen eines und dessdben Namens seien. Alldn
diese Annahme setzt, wenn sie nicht vdllig widersinnig sdn soil, voraus,
daB unter „dem Namen^ das Universale der einzelnen gleidiklingenden
Namen verstanden werde — somit ein Gebilde von eben jener Art, auf
deren Beseitigung die ganze Theorie ursprfinglich abzidt
So erinnem wir uns aus § 47. 9 jenes Inders Upavarsha, der da be-
hauptde: ,^ur die Buchstabeni) sind das Wort^ Dieser Behauptung halt
sein 0^:ner, der Vertrder der S;;to/iti-Theorie, sofort den Einwand entgqnen ^
die Budistaben seien doch verganglidi, wahrend der Wortsinn Einer sd
Und was erwidert Upavarsha? „Dem ist nicht so, denn man erkennt sie
wieder als die namlichen.^ Und zwar sei dies ,,ein Wiedererkennen der
Individuen. Ja, wenn man bdm Sprechen wie sonst bei Individuen, z. B.
bei Kiihen, immer andere und andere Buchstabenindividuen vemahme, so
wiirde das Wiedererkennen in den Gattungen seinen Grund haben [d. h.
auf bloBer Aehnlichkeit beruhen]; dem aber ist nicht so; denn es sind die
Buchstabenindividuen selber, welche beim Sprechen immer wiederkehren und
wiedererkannt werden, und wenn einer das namliche Wort, z. B. ,Kuh',
wiederholt, so nimmt man an, daB er zweimal das Wort ,KuhS nicht aber,
daB er zwei Worte ,Kuh' ausgesprochen habe.'' Naturlich erwidert der
G^:ner: „Aber wie kann es geschehen, daB der Laut ga, wdcher doch Einer
ist, zugleich ein verschiedenartiger ist, wenn zur sdben Zeit Mehrere ihn
aussprechen, und ebenso, wenn er mit dem Akut, dem Gravis, dem Zirkum-
flex, mit dem Nasal, ohne Nasal ausgesprochen wird?' Und er schliefit
daraus: „Das Wiedererkennen hat nur in den Gattungen seinen Qrund'';
denn „daB man sie wiedererkennt, beruht bei ihnen darauf, daB sie den
fruheren ahnlich sind, etwa so wie bei den Haaren^ Dieser Konsequenz
sucht zwar der „ehrwurdige Upavarsha" noch durch alle mdglichen Win-
dungen zu entgehen, allein jeder Denkende erkennt wohl die Unhaltbarkdt
seiner Position. Und doch ist eben dieses die Position seiner abend-
landischen Geistesverwandten und modemen Nachfolger. So haben wir
in § 47. 9 gesehen, daB Roscellin den Stimmlaut fur das Allgemdne er-
klarte, aber auch gehort, wie Abaelard hiergegen einwandte, der Stimm-
laut sei doch gar nichts Allgemeines, sondem etwas Besonderes — es sd
ja in Wahrheit gar nicht „dersdbe Name", der ein Mai zur Bezdchnung
der einen, das andere Mai zur Bezeichnung einer anderen Sache gewahit
werde. So kennt auch Hobbes^) 4 Arten von „benannten Dingen^ (ns
nominatae): Korper, Eigenschaften, Phantasmen und — Namen, und d)enso
behandelt J. St. Mill*) „Namen von Namen". Indes, was sind „Namen"? Dor
Nach dem Zusammenhange ware bier offenbar besser „Laute" als ^Budistaben"
ubersetzt worden. ^\ Deussen, Sutra's S. 173 f. ^) De corp. I. 5. 2 (Odd. Lat I.
p. 51). *) Anal. II, S. 3ff. f \ kk- »
ORIENTIERUNG OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 119
letztgenannte Autor fuhrt als Beispiele an: Johann, Berg, Laufen, Oben.
Allein sind dies etwa einzdne Lautfolgen? Meine ich, wenn ich Berg ein
Hauptwort oder Oben ein Umstandswort nenne, daB diese Pradikate einzelnen
Wortklangen zukommen? Und nicht ganz im Gegenteil, daB sie sich auf
^das" eine Wort Berg und auf „das" eine Wort Oben beziehen? Und
I was ist dieses eine Wort anderes als das Universale all jener einzelnen Laut-
folgen? Doch wir brauchen diese Fragen nicht selbst zu beantworten:
J. St. Mill hat sich noch vid deutlicher erklart In einer Auseinander-
I setzungi), in der ihm die undankbare Rolle des Upavarsha, Spencer die
p dankbarere des G^:ners zugefallen ist, versteigt er sich zu folgendem Satze:
I 9yDer Name wird als einer gedacht, obwohl er, jedesmal wenn er ausge-
{ sprochen wird, numerisch verschiedenen Tonempfindungen entsprichf' Ist
i dies nicht die berufene „Hypostasierung'' der Universalien? Der Zusammen-
I hang der Stdle stdlt dies vollkommen auBer Zweifd. Denn J. St. Mill
fQhrt hier die Einhdt des Wortes trotz der Vielheit der Wortklange nur als
Beispiel dafiir an, daB auch alle Eigenschaften, die derselbe Name bezeichnet,
numerisch identisch seien. Dies hatte Spencer bestritten. J. St. Mills
Antwort wird man gut tun, sorgfaltig zu studieren: „Herr Spencer", sagt
er, „scheint der Ansicht zu sein, daB, weil Sokrates und Alkibiades nicht
derselbe Mensch sind, die Eigenschaft, welche sie beide zu Menschen macht,
nicht dieselbe Eigenschaft genannt werden sollte; und daB, weil die Mensch-
hdt eines Menschen und die eines anderen Menschen sich fur unsere Sinne
nicht durch individuell identische, sondem nur durch vollkommen gldche
Empfindungen ausdriicken, die Menschheit jedes einzelnen Menschen als
dne besondere Eigenschaft betrachtet werden sollte. Allein nach diesem
Prinzip muBte man auch die Menschheit eines Menschen jetzt und in einer
halben Stunde als verschiedene Eigenschaften ansehen; denn die Empfin-
dungen, durch die sie sich dann meinen Sinneswerkzeugen offenbaren wird,
werden nicht eine Fortsetzung, sondem eine Wiederholung meiner gegen-
wirtigen Empfindungen darstellen : es werden neue Empfindungen sein, nicht
identisch mit den gegenwartigen, sondem ihnen nur vdllig gleich. Wenn
jeder allgemeine Begriff, statt ,die Einheit in der Mannigfaltigkdf zu sein,
als so vide verschiedene B^ffe angesehen werden muBte, als es Dinge
gibt, auf die man ihn anwenden kann, so wurde es etwas wie eine allge-
mdne Sprache iiberhaupt nicht geben: ein Name wurde keine allgemeine
Bedeutung haben, wenn Menschy von Johann ausgesagt, eines, und, von
Wilhelm ausgesagt, etwas anderes, wenn auch sehr Aehnliches, konnotierte.
Die Bedeutung jedes allgemeinen Namens ist ein auBeres oder inneres
Phanomen, das in letzter Linie aus BewuBtseinstatsachen besteht; und sobald
die Kontinuitat dieser BewuBtseinstatsachen fur einen Augenblick unterbrochen
wird, sind es — im Sinne individudler Identitat — nicht mehr diesdben
BewuBtseinstatsachen. Was also ist das gemeinsame Etwas, welches dem
allgemeinen Namen eine Bedeutung verleiht? Herr Spencer kann nur sagen,
») Log. II. 2. 3 (I, S. 203f.).
120 NCX)LOGlE
es sei dies die Aehnlichkdt der BewuBtseinstatsachen ; und ich antworte:
eben diese Aehnlichkeit ist die Eigenschaft Eigenschaftsnatnen sind Namen
ffir die Aehnlichkeiten unserer Empfindungen . . . Jeder allgemeine Name
• . . denotiert oder konnotiert eine oder mehrere dieser Aehnlichkeiten. Es
wird wohl nicht geleugnet werden, daB, wenn hundert Empfindungen un-
unierscheidbar gleich sind, von ihrer Aehnlichkeit als von Einer Aehnlich-
keit gesprochen werden sollte, und nicht als von hundert Aehnlichkeiten,
die bloB einander ahnlich waren. Der verglichenen Dinge sind vide,
allein das ihnen alien gemeinsame Etwas muB als Eines gedacht werden
Der allgemeine Name Mensch konnotiert nicht die Empfindungen,
die ein einzelner Mensch ein einziges Mai in uns erregt, und die — einmal
entschwunden — sich ebensowenig wiederholen kdnnen wie ein und derselbe
Blitz. Er konnotiert den allgemeinen Typus jener Empfindungen, die alle
Menschen zu alien Zeiten in uns err^^en, und die — stets einheitlich ge-
dachte — F^higkeit, Empfindungen dieses Typus hervorzurufen" *). Es ist
klar, daB J. St. Mill hier durch die Tatsachen zu einer sehr wei4[ehenden
Anerkennung gegenstandlicher Universalien gedrangt worden ist, so fest er
sich auch an das Dogma klammem mochte, jedes Universale lasse sich in lauter
subjektive Zustande auflosen. Denn jener „Typus^ der Menschenwahr-
nehmung, den er fur die eigentliche „Bedeutung** des Wortes Mensch er-
klart, ist ja sdbst ein Universale und verhaH sich zu den einzelnen Menschen-
wahmehmungen nicht anders als die platonische Idee des Menschen zu
den einzdnen menschlichen Individuen. Die Einfiihrung des Begriffes
Aehnlichkeit kann uber diesen Sachverhalt nicht hinwegtauschen. Denn
dnmal ist es nicht wahr, daB eine Eigenschaft dassdbe ware wie die Aehn-
lichkeit der mit ihr behafteten Dinge oder Empfindungen: Rdte ist dne
Farbe, die Aehnlichkeit aller roten Kdrper oder Rotempfindungen dagegen
ist durchaus keine Farbe. Sodann aber wird auch trotz J. St. Mills zuversicht-
licher Behauptung wohl niemand von „der Aehnlichkeit"' gewisser Objdde
sprechen, statt von zahlreichen, durch diese Objekte hervorgerufenen und ein-
ander ahnlichen Aehnlichkeitserlebnissen, — der nicht auch bereit wSre, von
„dem Menschen^ zu reden, statt von zahlreichen, einander ahnlichen Menschen.
Die hier hervortretende Anerkennung gegenstandlicher Universalien ist jedoch
kdnesw^;s ein bloB nebensachlicher oder gd^;entlicher Zug in J. St. Mills
logischem System. Vidmehr ruht auf ihr der ganze B^;riff der Konnotation.
Denn wie aus § 47. 10 erinnerlich ist, kann nach Mill iiberhaupt nicMs
anderes konnotiert werden als eine E i g e n s c h a f t Eine „Eigenschaft<< indes
ist, wie wir eben sahen, selbst ein „hypostasiertes'' Univa^sale.
§50
Die nach § 47 zwischen dem Aussageinhalt und der Aussage
grundlage bestehende Relation der Auffassung weist zwei Eigen-
tumlichkeiten auf.
>) Zur Kritik dieser Ausfuhrungen vgl. auch HusSEio., Log. Unterss. II, S. 116ff.
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 121
I Einerseits entsprechen den verschiedenen Aussageinhalten, die sich
■ auf gleiche Aussagegrundlagen als deren Auffassungen beziehen kdnnen,
> an diesen Aussagegrundlagen nicht vorstellungsmaBig trennbare oder
■reelle, sondem nur gedanldich unterscheidbare oder intelligible
■Teile.
t Andererseits muB auch dieAuffassungs beziehung der I n h 9 r e n z-
' beziehung ahnlich sein, denn auch die aus Aussageinhalt und Aussage-
^grundlage bestehenden Komplexe, d. i. die ausgesagten Sachver-
l^halte, gelten uns ohne Rucksicht auf die Mehrheit und den Wechsel
. der Aussagegrundlagen als einheitlich und beharrlich, wenn sie
B gleiche Aussageinhalte besitzen. Auch die ausgesagten Sachverhalte
Bwerden also von uns als Gegenstande erlebt
H Es entsteht daher die Frage, was wir unter intelligiblen Teilen,
■^was wir unter der Auffassungsbeziehung zwischen Aussage-
iiinhalt und Aussagegrundlage, und was wir unter derGegenstand-
^lichkeit der ausgesagten Sachverhalte verstehen. Diese
' Frage bezeichnen wir als die Dritte semasiologische Hauptfrage.
r
» erlAuterung
1) Der Begriff der intelligiblen Telle ist uns bereits einmal vorge-
kommen (§ 39. 4). Wir bestimmten ihn damals durch das Merkmal,
^ daB intelligible Telle nicht isoliert erfahren werden konnen. Wir be-
I tonen nun hier, daB diese Bestimmung keineswegs alle Falle, in
, welchen die Telle eines Ganzen einer raumlichen oder gar einer
mechanischen Trennung widerstreben, dem Begriffe des intelligiblen
\ Teiles unterordnen soil, sondem daB wir auch noch alle Telle, die nur
ffir sich selbst vorgestellt werden konnen, zu den reellen zahlen. So
bilden z. B. die Platte und die FQBe eines Tisches allerdings reelle
Telle, und sind auch mechanisch trennbar. FQr die rechte und die
linke Halfte eines phantasierten Gesichtes trifft das letztere schon nicht
mehr zu; immerhin konnen wir sie noch rSumlich auseinanderhalten.
Auch dies gilt nicht mehr fur die einzelnen T5ne eines Zusammenklangs;
allein da diese Tdne doch auch fur sich wahrgenommen und phan-
tasiert werden k5nnen, so bezeichnen wir sie noch immer als reelle
Telle des Akkords. Ganz anders steht es mit der Hdhe, Starke und
Klangfarbe Eines Tones. Von einer rSumlichen oder gar mechanischen
Trennung dieser Momente kann schon a priori nicht die Rede sein.
Allein auch Inhalte verschiedener Vorstellungen kdnnen sie niemals
bilden. Niemand vermag einen Ton zu horen, der zwar eine bestimmte
Stirke, jedoch keine bestimmte Hdhe hStte, niemand einen solchen.
122 NOOLOOIE
der zwar von bestimmter H6he, jedoch nicht von bestimmter lOang-
farbe w3re: vielmehr sind alle drei Momente stets in dem Inhalte
Einer einzigen Vorstellung verknQpft. Eben deshalb sind sie nicht
reelle Teile. Indes, unterschieden werden sie gleichwohl. Wie? — ^ dies
ist eben die Frage, die wir hier stellen. Einstweilen folgen wir dem
herrschenden kritizistischen Sprachgebrauch, der von der Voraus-
setzung ausgeht, alles, was die Sinnlichkeit zu vollziehen unver-
mdgend sei, leiste der In telle kt, und nennen demnach solche Teile
intelligible. Vielleicht trigt es zur Verdeutlichung ihres Wesens noch
etwas bei, wenn wir hinzufQgen, da6 diese intelligiblen sich zu den
reellen Teilen sehr Shnlich verhalten wie die Atome zu den Molekulen,
ja daB man die letzten reellen Teile der Erlebnisse geradezu als die
Molekule, ihre intelligiblen Teile dagegen als die Atome der Erfahrung
bezeichnen kdnnte. Denn auch auf dem physischen Gebiete finden
wir, daB die bis dahin geObte, mechanische Art der Teilung bei ge-
wissen Einheiten pldtzlich versagt, und daB, um auch noch zu deren
Bestandteilen vorzudringen, eine andere, die chemische Teilungsart an
ihre Stelle treten muB. Ebenso nun k5nnen wir auch die Erfahrung
durch das Verfahren der vorstellungsm^Bigen Trennung in gewisse
Einheiten, z. B. in einzelne Tdne, Farbeneindrlicke usw. zerlegen; um
dagegen auch diese noch in ihre Bestandteile, z. B. in Tonhdhe, Ton-
starke und Kiangfarbe, oder in Farbennuance, Helligkeit und Sattigung
aufzuldsen, mussen wir ein ganz anderes Verfahren, dasjenige der ge-
danklichen Unterscheidung, anwenden. Was indes diese Worte ^ge-
dankliche Unterscheidung'' eigentlich bedeuten — dies ist eben eine
der Fragen, mit denen wir im folgenden uns werden beschaftigen
mOssen.
2) Wodurch hSngt nun das Problem der intelligiblen Teile mit der
Semasiologie zusammen? Einfach dadurch, daB der in einer Aussage
ausgesagte Sachverhalt ein intelligibler Teil der Aussagegrund-
lage ist, und daB daher die den Sachverhalt aus der Aussag^jund-
lage aussondemde Auffassung der Aussagegrundlage durch den
Aussageinhalt nur einen besonderen Fall jener gedanklichenUnter-
scheidung darstellt, die uberhaupt aus einem Ganzen dessen in-
telligible Teile heraushebt. Vergleichen wir z. B. die Tatsache eines
Vogelfluges mit den Sachverhalten „Fliegen dieses Vogels**, ^Bew^^ung
eines Objekts", „Oeleistetwerden von Arbeit" usf^ so ist es offenbar
unmdglich, jene Tatsache, sofern sie als Ein solcher Sachverhalt sich
auffassen laBt, von derselben Tatsache, sofern sie einen anderen der-
artigen Sachverhalt darstellt, vorstellungsmaBig zu trennen. Ein und
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 123
dieselbe Vorstellung vielmehr kann und wird alle diese Aussagen be-
gteiten. Man kann den Vogelflug nicht mechanisch in den Vogelflug,
sofem er Vogelflug, und in den Vogelflug, sofem er Bewegung oder
Arbeitsleistung ist, zerlegen; man kann auch den Vogelflug, die Be-
wegung und die Arbeitsleistung nicht an raumlich unterschiedene Telle
derselben Vorstellung verteilen; und man kann sie auch nicht isoliert
erfahren, da es ginzlich unmdglich ist, einen Vogelflug zu erleben, der
nicht auch Bewegung und Arbeitsleistung wire. Bei der Satzaussage
hebt also wirklich die Auffassung Einer Tatsache durch verschiedene
TatbestSnde aus jener Tatsache verschiedene, in ihr enthaltene intelligible
Telle, namlich verschiedene Sachverhalte^ heraus. Doch dasselbe ergibt
sich auch fur den Fall des Gegenstandsb^ffes. Der Dom von Pisa z. B.
ist ein Kdrper, ein Gebaude, eine Kirche und ein Kunstwerk. Allein
in keiner Weise ISBt sich der Dom von Pisa, sofern er ein Kunst-
werk ist, von demselben Gegenstande, sofern er ein K5rper ist, vor-
stellungsmaBig trennen, vielmehr wurde die Forderung einen Wider-
spnich involvieren, man solle sich den Dom von Pisa als Kunstwerk
vorstellen, ohne ihn zugleich auch als Kdrper vorzustellen. Auch bei
der Begriffsaussage hebt daher die Auffassung Einer Tatsache durch
verschiedene B^jiffsinhalte aus jener Tatsache verschiedene, in ihr
enthaltene intelligible Telle, namlich verschiedene Sacheriy heraus.
Diesem Ergebnisse steht nicht entgegen, daB in gewissen Fallen
verschiedene Auffassungen derselben Aussagegrundlage sich allerdings
vorstellungsmaBig voneinander trennen lassen; und noch weniger
natOrlich, daB in gewissen anderen Fallen die vorstellungsmaBige Un-
trennbarkeit mehrerer Auffassungen nur eine einseitige ist So kann
ich z. B. zwar den Dom von Pisa nie als Kunstwerk vorstellen, ohne
Ihn auch als Korper vorzustellen, und den Vogelflug nie als Vogel-
flug, ohne ihn zugleich als Bewegung aufzufassen ; sehe ich dagegen
beide etwa aus groBer Entfemung, so kann ich ganz wohl den Dom
von Pisa als Kdrper, aber nicht als Kunstwerk, den Vogelflug als Be-
wegung, aber nicht als Vogelflug begreifen. Und wenn ich z. B. den
Schnee bald etwas Kaltes, bald etwas WeiBes nenne, so gninden sich
diese beiden Auffassungen in der Tat auf die Inhalte verschiedener
Vorstellungen. Indes, da in diesen Fallen um nichts mehr zwei von-
einander verschiedene Auffassungen vorliegen als in den frOher be-
sprochenen, so kann das Wesen der Auffassungsbeziehung offenbar
an eine solche reelle Teilbarkeit der Aussagegrundlage nicht geknupft
sein. Vielmehr dQrfte es so stehen, daB auch in den Fallen der zuletzt
besprochenen Art neb en der vorstellungsmaBigen Trennbarkeit noch
124 NOOLOGIE
eine gedankliche Unterscheidbarkeit vorliegt — eine Annahme, die sich
uns weiterhin wirklich bestatigen wird.
3) Wie die historische Philosophie die Aussage uberhaupt auf den
B^riff, und dazu noch den Aussageinhalt insbesondere auf das
Universale eingeschrSnkt hat, so pflegt sie auch die Auffassungsbe-
ziehung zu der Beziehung zwischen Gegenstand und B^jiffsinhalt
einzuengen, und auch diese ganz vorwiegend nur insoweit in Betracht
zu Ziehen, als ein und derselbe B^ffsinhalt verschiedene G^en-
stUnde auffaBt. In dieser doppelt verkummerten Gestalt hdBt dann
die Auffassung Abstraktion. So sagt man, wenn derselbe Begriffs-
inhalt „Kunstwerk" sowohl mit dem Gegenstande ,,Dom von Pisa*
wie mit dem Gegenstande „Sixtinische Madonna'' zu Aussagen sich
verbindet, jener Begriff sei von diesen GegenstSnden abstrahiert —
wahrend niemand diesen Ausdruck gebraucht, wenn derselbe Tatbe-
stand „ Dieser Vogel fliegt" bald der Tatsache „Kreisender Aar", bald
der Tatsache „Flattemder Sperling" zugeordnet wird. Allein noch vid
bedenklicher ist, daB fast durchwegs das BewuBtsein davon fehlt, daB
der Auffassung die Verbindung Einer Aussagegrundlage mit mehreren
Aussageinhalten ebenso wesentlich ist wie die Verbindung Eines Aus-
sagdnhalts mit mehreren Aussagegrundlagen. Auch die Auffassung
Eines Gegenstandes i) durch mehrere B^ffsinhalte ist ja eine ebenso
allgemeine und wichtige Erscheinung wie die Auffassung mehrerer
Gegenstande durch Einen BegriffsinhalL DaB z. B. dem Begriffe
„Kunstwerk" die Gegenstande „Dom von Pisa" und «Sixtinische
Madonna" zu Grunde liegen kdnnen, ist um nichts bedeutsamer, als
daB der Gegenstand „Dom von Pisa" die B^ffe „Kunstwerk" und
„Oebaude", der Gegenstand „Sixtinische Madonna" die B^jiffe „Kunst-
werk" und „Wertobjekt" zu fundieren vermag. Das Verkennen dieses
Umstandes, die sachwidrige Restriktion der Auffassung auf die Alh
straktion^ hat — wie wir noch sehen werden — die verschiedensten
semasiologischen Doktrinen gleichmaBig in Verwirrung gebracht.
4) Trotz dieser grundsatzlichen MiBachtung der ^Auffossung^', sowdt sie
nicht „Abstraktion*< ist, ware naturlich ein scharfes logisches Denken un-
moglich gewesen, wenn nicht auch diese Verhaltnisse in der Praxis der
Spekulation waren berucksichtigt worden. Und in der Tat braucht roan
sich nur zu erinnem, welche RoIIe etwa die Ausdrucke if, qua und gaaienas,
als und insofem be! Aristoteles, in der Scholastik, bei Spinoza und auch
noch in der modemen Philosophie spielen, um diese BerQcksichtigung
auBer Zweifel zu stellen; denn wenn ich.sage „Der Mensch als Mensdi"
Der Kurze halber gebrauche ich hier den Ausdruck „ein Gegenstand*' in dem
Sinne von „eine Tatsache, die als Gegenstand aufgefaBt werden kann**.
ORIENTIERUNG UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 125
Oder „Der Mensch, so fern er ein Mensch ist", so mdne ich damit nichts
anderes als Jede Tatsache, welche durch den Begriffsinhalt Mensch auf-
jfefaBt werden kann, wenn sie wirklich durch diesen und keinen andean
Begriffsinhalt aufgefaBt wird^
1st somit die semasiologische Auffassungsbeziehung, wenigstens in ihrer
Anwendung auf die Elemente des Begriffs, der kosmotheoretischen Praxis
1ceinesw^;s fremd, so ist andererseits auch die Relation intelligibler Teile
durchaus nicht unbeachtet geblieben. Schon Qankara ») unterscheidet
^nicht isoliert Erkennbares" und „isoliert Erkennbares", und fuhrt sogar in
diesem Zusammenhange an, da6 „z. B. Devadatta als Mensch,
Brahmane, schriftkundig, freigebig . . ., Oreis, Vater, Bruder, Schwiegersohn"
aufgefaBt werden kann. Auch Aristoteles 2) kennt den nur ,,gedanklich
trennbaren Teil" ((tdptov \6^i^ x^P^^^^^)- J^emer finden sich auBerordent-
lich scharfsinnige Untersuchungen uber distinctio fomuUis und distinctio
lealis bei Duns Scotus 3), der z. B. bemerkt, daB Weifi und Farbig zwar
reell, aber nicht form ell identisch seien: jenes, weil „ein WeiBes, das
nicht farbig ist", ein widerspruchsvoller B^ff ware; dieses, weil es doch
zwei verschiedene Momente an dem G^enstande sein muBten, die ihn zu
einem weiBen und zu einem farbigen machen {aliqtUd . ., unde habet
rationem coloris, et aliquid, unde habet rationem differentia^, Schon bei
wenig spateren Scotisten*) wird dann fur einen besonderen Fall der di-
stinctio formalis die Bezeichnung distinctio rationis gebraucht, welche weiter-
hin, z- B. bei Descartes 5), jenen allgemeineren Begriff in seinem ganzen
Umfange ausdruckt Den entsprechenden modemen B^ff endlich haben
wir oben (§ 39. 6) beriihrt Er wird vielleicht am scharfsten von Geyser ^)
folgendermaBen entwickelt: Bei der Analyse des BewuBtseins stoBen wir
schlieBlich auf „Bestandteile unseres BewuBtseinsinhalts . . ., welche als
solche fur sich d. h. ohne ein inneres Getragensein durch anderes erlebbar
sind An diesen letzten Bestandteilen des BewuBtseinsinhaltes lassen
sich noch verschiedene Seiten unterscheiden, die aber nicht mehr auch fur
sich allein erlebbar sind; ich erinnere an die Unterscheidung der Hohe,
Starke und Klangfarbe bei den Tonen. Die erste Art von Bestandteilen des
BewuBtseinsinhaltes wollen wir als dessen Elemente, die letztere ... als
Elementenmerkmale bezeichnen."
5) Aussageinhalt und Aussagegrundlage, durch die Relation der Auf-
fassung zueinander in Beziehung gesetzt, bilden den Komplex des
ausgesagten Sach verb alts. Dieser Komplex ist nun dem aus
Aussageinhalt und Aussagelauten bestehenden, durch die Relation des
Ausdrucks zusammengehaltenen Komplex, d. i. der Aussage, in vielen
Beziehungen uberaus ahnlich. Ihre Struktur ist dieselbe; denn beide
Deussen, Sutra's, S. 341 ff. ^ Dt an. III. 4, p. 429a 12 u. III. 9, p. 432a 20;
vgl. de gen. et corr. 5, p. 320b 24 u. Metaph. VIII. 1, p. 1042a 29. 3) ^rantl 111,
S. 220 f., Anm. 147, 148, 149 u. 152. «) Prantl III, S. 290, Anm. 540. ^) Princ pfail.
I. 62. ^) Psycholog. S. 159 f.
126 NOOLOOIE
bestehen aus dem Aussageinhalt einerseits, aus physischen i) Elementen
andererseits; diese physischen Elemente werden auf seiten der Aus-
sage dargestellt durch die Aussagelaute, auf seiten des Sachverhalts
durch die Aussagegrundlage. Wie sich nun dieselbe Aussage wieder-
holen kann, ohne Aenderung des Aussageinhalts, jedoch mit Wechsel
der Aussagelaute, so kann sich auch derselbe Sachverhalt wiederholen,
ohne Aenderung des Aussageinhalts, jedoch mit Wechsel der Aus-
sagegrundlage. Denn wie sich verhait der pythagoreische Lehrsatz^
ausgesprochen in Einem Zeitpunkt in Einer Sprache, zu demselben Lehr-
satz, ausgesprochen in einem andem Zeitpunkt in einer anderen Sprache,
so verhSIt sich auch der Sachverhalt „bas Gleichsein des Quadrats
der Hypotenuse und der Summe der Quadrate der Katheten*, realisiert
in Einem Zeitpunkt an Einem rechtwinkligen Dreieck, zu demselben
Sachverhalt, realisiert in einem andem Zeitpunkt an einem anderen
rechtwinkligen Dreieck. In beiden Fallen nSmlich besteht mit der Mehr-
heit und dem Wechsel der physischen Elemente die Einheit und Be-
harrlichkeit des logischen Elementes zusammen. Wir werden deshalb
auch nicht Qberrascht sein, wenn, ebenso wie SStze mit gleichem Tat-
bestand, auch Sachverhalte mit gleichem Tatbestand als ein und die-
selben gelten. In der Tat reden wir in diesem Falle ganz ebenso von
demselben Sachverhalt wie in jenem von demselben Satz. Damit ist
indes gesagt, daB den Sachverhalten in demselben Sinne Oegen-
standlichkeit zukommt wie den Aussagen.
Ich halte hier einen Augenblick inne, um hervorbrechende Bedenken
nach Mdglichkeit zu beschwichtigen. Und da sei denn vorerst betont,
daB wir naturlich den eben neu aufgefundenen Gegenstinden nur
dieselbe empirische Realitat zuerkennen wie den in § 49 be-
sprochenen. Es handelt sich also auch hier nicht um die Entdeckung
neuer entia metaphysical sondem um die Aufdeckung neuer Struktur-
formen der Erfahrung. Dafur aber, daB die Erfahrung nun einmal
nicht so einfach gebaut ist, wie sich dies etwa die Assoziations-
psychologen vorzustellen pflegten; dafur, daB sie nicht als ein bloBes
Mosaik gleichartiger Elemente sich beschreiben l^Bt, vielmehr auch
sehr verwickelte und zusammengesetzte Bildungen aufweist — dafur
ist wohl der Kosmotheoretiker ebensowenig verantwortlich zu machen
wie der Biologe dafur, daB er das Protoplasma nicht als eine durch-
aus homogene Substanz beschreiben kann, vielmehr in jeder Zelle, ja
in jedem Zellkem noch eine unubersehbare Fulle der kompliziertesten
Strukturformen festzustellen sich gendtigt sieht.
1) Oder doch nur zufallig nicht-physischen.
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 127
Doch wir kehren zurQck zu unserer neuen Art von Gegenstanden
und fragen zunichst, wie denn die Gegenstandlichkeit des ausgesagten
Sachverhalts sich in dem Falle des Gegenstandsb^jiffes darstellen
mag? Nun sagten wir f ruber schon (§ 47): von einem Oegenstands-
b^^ff kann nur da die Rede sein, wo die Aussagegrundlage durch
den B^ffsinhalt als Gegenstand aufgefaBt wird, und in diesem Falle
nannten wir den Gegenstand speziell eine Sache. Allein diese Gegen-
standlichkeit der Sachen bezieht sich auf den einzelnen, individuellen
Sachverhalty entspricht demnach auch bloB der GegenstSndlichkeit der
einzelnen, individuellen Aussage und ist mithin nur eine Gegen-
stSndlichkeit erster Ordnung. Die Frage ist vielmehr: vermSgen wir
nicht auch viele solche Gegenstande erster Ordnung, somit viele
Sachen, wenn sie nur ein gleiches begriffliches Wesen aufweisen, als
ein und denselben Gegenstand hdherer Ordnung aufzufassen? Diese
Frage nun muB mit Bestimmtheit bejaht werden. Denn jene zahlreichen
Sachen z. B., welche sSmtlich das begriffliche Wesen des Menschen
an sich tragen, fassen wir oft genug als einen einzigen Gegenstand
auf, namlich als „d en Menschen''. Einen solchen Gegenstand nennen
wir jedoch einen Typus. Von solchen Typen handeln z. B. die
Satze: „Der Mensch hat 32 ZShne", „Der Neger hat krauses Haar",
„Das Chlor hat das Atomgewicht 35.5^ In solchen SStzen nSmlich
ist nicht etwa von den Begriffen Mensch, Neger, Chlor die Rede,
denn Begriffe haben weder ZShne noch Haare nach Atomgewichte.
Allein sie handeln auch nicht von bestimmten Menschen-, Neger- und
Chlordampf-Individuen, und zwar weder einzeln noch zusammen-
fassend: der Satz „Der Mensch hat 32 Zahne'' kann ja wahr sein,
wShrend der Satz Jeder Mensch hat 32 ZShne" — ohne Ein-
schrSnkung ausgesprochen — falsch ware; beide fallen demnach ge-
wiB nicht zusammen. Wir vermSgen eben zahlreiche durch den
gleichen Begriffsinhalt aufgefaBte Gegenstande im Hinblick auf diesen
Begriffsinhalt als Einen Typus aufzufassen, und dieser Typus ist dann
etwas sowohl von dem einzelnen Individuum wie auch von dem Be-
griff Verschiedenes. Allerdings bestehen zwischen dem Typus und
den Individuen einerseits, zwischen dem Typus und dem Begriff
andererseits feste Korrelationsverhaltnisse. So muB dem Begriff
„Mensch" dielogischeBestimmung„32 Zahne" zukommen, wenn
der Typus „Mensch'' das durch diese Bestimmung aufgefaBte
physische Merkmal — das „Haben von 32 Zahnen" — aufweist;
und der Typus weist dieses Merkmal wiederum nur dann auf, wenn
jeder einzelne Mensch, sofern keine besonderen Gegen-
128 NOOLOGIE
wirkungen sich geltend machen, wirklich 32 ZShne hat Allein
nichtsdestoweniger sind Begriff, Typus und Individuum (Sache) in der
Erfahning als drei voneinander durchaus verschiedene Gegenstlnde,
als dreieriei Arten von einheitlichen und beharrlichen Eriebniskomplexen
gegeben.
Was jedoch hier vom Typus gezeigt wurde, gilt ebensowohl auch
von anderen Sachverhalten. Auch der Sachverhalt „Das Fliegen eines
Vogels" ist von dem Satze „Ein Vogel fliegf' ebenso verschieden wie
von der individuellen Tatsache irgendeines Vogelflugs. Diesen gegen-
standlich aufgefaBten Sachverhalt werden wir indes gleichfalls einen
typischen nennen dOrfen. Und so nennen wir im folgenden Oberhaupt
jeden aus Aussageinhalt und Aussagegrundlage bestehenden Komplex
— d. h. jede Sache und jeden Sachverhalt —, sofem er als ein ein-,
heitlicher und beharrlicher Gegenstand aufgefaBt wird, dnen ty-
pischen Gegenstand.
Die Eigenart dieser typischen Gegenstande wird noch deutlicher
hervortreten, wenn wir sie noch einmal mit den nogtischen G^en-
stSnden vergleichen. Auf ihre Analogic im allgemdnen ist ja schon
hingewiesen worden. Ein Gesichtspunkt aber bedarf hier noch be-
sonderer Hervorhebung. Die Wichtigkeit der noetischen GegenstSnde
beruht auf dem doppelten Umstande, daB sie in Beziehungen zuein-
ander stehen, die zwischen Gliedem anderer Art schlechterdings nicht
obwalten k5nnen (Ueber- und Unterordnung, Widerspruch, Folge),
und daB deshalb die auf diese Beziehungen ihren spezifischen Ord-
nungszusammenhang griindende Wissenschaft, die Logik, Oberhaupt
aufgehoben wurde, woUte man ihnen die Anerkennung versagen (vgL
§ 43. 2). Nun geht schon aus oben angefOhrten Beispielen hervor,
daB jedenfalls formell die SStze zahlreicher Wissenschaften sich un-
mittelbar auf typische Gegenstande beziehen. Dies gilt z. B. von der
Chemie, wenn sie „dem Eisen" eine bestimmte Affinitit zum Sauer-
stoff, von der Botanik, wenn sie „der Erdbeere" eine bestimmte An-
zahl von StaubgefaBen beilegt. Allein es gilt auch von der Natur-
wissenschaft uberhaupt, da ja die allgemdnen Naturgesetze nicht
von individuell bestimmten Tatsachen, sondem von typischen Sach-
verhalten handeln, und von der Geometric, deren Satze sich gewiB
nicht auf individuell bestimmte Dreiecke, EUipsen usf., sondem auf
„das Dreieck'^ „die Ellipse^ usw. beziehen. Indes muB es hier dahin-
gestellt bleiben, ob diese Beziehung auf typische GegenstSnde nicht
nur den Sprachformen, sondem auch den OrdnungszusammenhSngen
der genannten Wissenschaften wesentlich ist Denn auf den ersten
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 129
Blick jedenfalls hat es nicht den Anschein, als ob zwischen physi-
kalischen Sachverhalten und geometrischen Typen andere Beziehungen
sich fanden als diejenigen, die auch zwischen den entsprechenden
individuellen Tatsachen und Gegenstinden sich finden. Dag^en gibt
es mindestens Eine Wissenschaft, die auch in diesem Punkte der
Logik vdllig analog ist, und das ist die Arithmetik. Die arith-
metischen S3tze nimlich beziehen sich aufZahlen. Nun sind Zahlen
gewiB keine physischen GegenstHnde : es wire ja z. B. sinnlos, dnen
Kdrper eine Primzahl zu nennen. Allein ebenso gewiB sind die Zahlen
der gew5hnlichen Arithmetik auch keine Begriffe. Denn einen Begriff
kann man nicht dividieren oder potenzieren. OegenstSnde jedoch sind
sie ohne Zweifel, da uns „die Zahl ll'^ als eine und dieselbe gilt, von
wem immer sie gedacht und an was immer sie verwirklicht werde.
Und zwar ist ,,dieZahl ll'^ einTypus wie y,der Mensch'^ oder „das
Chlor"; denn sie verhalt sich zu jeder beliebigen Anzahl von 11 Kdrpem,
11 Vorstellungen usw. genau so, wie sich ,,der Mensch'^ zu jedem
beliebigen Menschen verhalt Wie namlich ,,ein Mensch*' eine Tatsache
bedeutet, welche durch den B^jiffsinhalt Mensch aufgefaBt wird, so
bedeutet ,,eine Elfzahl^ eine Tatsache, welche durch den B^ffsinhalt
£]^ aufgefaBt wird; und wie alle einzelnen Menschen aufgefaBt werden
kOnnen als der eine und identische Typus „der Mensch", so k5nnen
auch alle einzelnen Elfzahlen aufgefaiBt werden als der eine und
identische Typus „die Elfzahl", d. i. „die Zahl Elf". Dies nun, daB
ihre SStze von Typen handeln, ist der Arithmetik mit der Geometric
gemein. Was sie von dieser unterscheidet, ist, daB ihre spezifischen
Relationen Qberhaupt nur solche Typen als Glieder zulassen. Hieruber
konnte man sich t3uschen, solange man von den arithmetischen
Relationen, den sogenannten „Operationen", nur Addition und Sub-
traktion in Betracht zog: addieren namlich kann man nicht nur die
Zahlen 5 und 3, sondem auch 5 Aepfel und 3 AepfeH). Schon
multiplizieren hingegen kann man nur mehr die Zahlen 5 und 3, oder
hochstens 5 Aepfel und die Zahl 3; der Satz dagegen, 5 Aepfel mal
3 Aepfel seien 15 Aepfel, wire nicht nur falsch, sondem geradezu
sinnlos. Es gibt eben nur eine Dreizahl von FQnfzahlen, und auch
eine Drdzahl von Funf-Aepfel-Gruppen, aber keine Drei-Aepfel-Gruppe
von FOnf-Aepfel-Gruppen. Es kann daher eine benannte Zahl nie als
>) Einem ganz strengen Sprachgebrauche scheint freilich auch diese Ausdrucks-
weise nicht zu entspredien. Denn diesem zufolge kann man zwar eine Menc^e zu
einer andern Menge hinztUun oder von ihr wegndimen^ addieren und subtnuueren
dagegen kann man nur Zahlen. Doch schien es zweckmaBiger, auf diesen immer-
hin subtilen Unterschied hier kein allzugroBes Oewicht zu legen.
Oomperz, WcHinichanttngilehre II 1 9
130 NOOLOOIE
Multiplikator, und ebensowenig als Divisor, Exponent, Logarithmus usw.
fungieren; ja es kann sogar aus einer benannten Zahl nicht einmal
eine Wurzel gezogen werden, denn 3 Aepfel sind nicht die Quadiat-
wurzel aus 9 Aepfeln. Die arithmetischen Satze 3X5=1 5, 15:3 = 5,
32=9,y 9=3beziehen sich somit gewiB nicht auf individuellephysische
Oegenst3nde. Ebenso gewiB indes beziehen sie sich auch nicht auf
die Begriffe „Drei", »Fflnf", „Neun", „Fflnfzehn" usw. Denn man
kann Zahlbegriffe ebensowenig vervielfJltigen oder teilen wie irgend-
welche andere B^jiffe, und am allerwenigsten kann man durch Verviel-
f<igung Oder Teilung einen B^ff in einen anderen verwandeln.
Handeln jedoch die arithmetischen S3tze weder von physischen noch
von noetischen Gegenst3nden, dann bleibt nur die Annahme fibrig,
daB sie sich auf typische GegenstSnde beziehen i). Damit aber ist er-
wiesen, worauf es uns hier ankam : daB n^mlich die Arithmetik ebenso
dringend die Anerkennung der typischen Gegenstandlichkdt verlangt,
wie die Anerkennung der nogtischen Gegenstlndlichkeit von der Logiic
gefordert wird.
6) Orunds^tzlich und deutlich ist wohl zwischen noetischen und
typischen OegenstSnden nie unterschieden worden, auch nicht von
jenen Denkem, welche derartigen Gegenstanden sogar hanscendente Realitat
zugeschrieben haben. Vielmehr werden wir bald sehen, wie ihre Ideen,
Universalien usw. stets zwischen Begriff und Typus hin und her
schwanken, bald einem Komplex logischer Bestimmungen, bald einer Qruppe
typischer Merkmale naherstehen 2). Nur zwei Versuche kenne ich eigentlich,
hier das Verschiedene emstlich zu sondem: einen ganz neuen und einen
ganz alten.
Jenen finde ich bei Husserl^); freilich wird sein Verstindnis durch die
Terminologie nicht eben erleichtert Den Begriffsinhalt namlich nennt dieser
Autor Bedeutungy und ihm — nicht dem B^jiffe sdbst — schreibt er
G^enstandlichkeit zu. Er stellt sich nun vor, diese „Bedeutung^ sei der zu
den korrelaten individuellen Bedeutungserlebnissen („Akten") gehSrige Typus,
Oder, wie Husserl dies ausdruckt, die zu ihnen geh5rige Species; so
da6 — in unserer Sprache — die noetische Gegenstindlichkeit ein Sonder-
fall der typischen ware. Von dieser Bedeutungsspecies unterscheidet er jedoch
1) CHe Moglichkeit, daB die ariUimetischen Satze von psychischenZustanden handeln
konnten, dan wohl von vomherein als ausgeschlossen gelten. Es mag wohl sein.
daB die ariUimetischen Aussagen ,,auf Orund'* soldier Zustande, etwa auf onind
von Oefiihlen der Aufmericsamkeitsspaltung[, erfolg en. Allein ganz gewiB sind sic
nicht Aussagen „tiber'' solche Oefiihle: niemand wird meinen. es lieBe sidi das
der Zahl 3 entsprechende Auhnerksamkeitsspaltungsgefuhl mit 5 Aepfeln, oder
auch mit dem der Zahl 5 entsprechenden Auhnerksamkeitsspaltungsgefuhl muUh
plizieren. ^ DaB auch Meinonos ^Objektiv'' in ahnlicher weise zwischen Tatbe-
stand und Sachverhalt oszilliert, wurde schon in § 47. 9 gezeigi ^) Ix^. Unterss.
II, S. 102f.
ORIENTIERUNO UBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 131
die G^^enstandsspecies, d. i. den Typus der zu dem B^jiffsinhalt ge-
hSrigen Sachen, und zwar bezeichnet er diesen Typus als Begriff^ obwohl
doch die Sprache unter Begriff ohne Zweifd einen Inb^jiff logischer Be-
stiniinungen, mithin in Husserls Terminologie eine ^Bedeutung"', versteht
So gelangt denn \inser Forscher zu dem Satze: „Bedeutung und Begriff im
Sinne von Species decken sich nicht" und erlautert denselben in folgender
Weise: „Die Bedeutung, in der eine Species gedacht ist, und ihr Gegen-
stand, die Species selbsf^ sind nicht dasselbe^). Denn „genau so, wie wir
im Gebiete des Individuellen z. B. zwischen Bismarck sdbst und den Vor-
•tdlungen von ihm, etwa Bismarck; der grdfite deutsche Staatsmann; u. dgl.
unterscheiden, so unterscheiden wir auch im Gebiete des Spezifischen bei-
•pielsweise zwischen der Zahl 4 selbst und den Vorstellungen (d. i. Be-
deutungen), welche die 4 zum Gegenstande haben, wie etwa die Zahl 4;
die zweite gerade Zahl in der Zahlenreihe\ usf.'' Unsere Bedenken g^^en
cUese Darstellung haben wir schon formuliert; was wir als fur unsere Zwecke
wertvoll aus ihr herausheben mochten, ist die Unterscheidung zwischen ^der
Zahl \^\ d. i. dem typischen Gegenstande, und der ,,Bcdeutung^ die Zahl 4^
d. i. dem noetischen Gegenstande.
Allein diese selbe Distinktion zwischen Typus und B^jiff erblicke ich
audi schon in Platons Unterscheidung der mathematischen von den
idealen Zahlen, fiber die uns Aristoteles 2) berichtet Wenn es
nimlich hier heiBt, die mathematischen Zahlen (Sv, S6o, tp[a . . .) be-
itfinden aus Einheiten und kdnnten sowohl addiert wie geteilt werden, die
idealen Zahlen ((iovdc, Sodc, tpidc . . .) dag^[en schl5ssen jene Zusammen-
Betzung und diese Operationen aus, so ist dies genau, was von den ^Zahlen'^
als typischen Gegenstanden einerseits, den „Zahlb^jiffen'< als noetischen
0^[enstanden andererseits wirklich gilt Denn so wie die individudle An-
zahl dreier konkreter Objekte aus Einheiten besteht, geteilt und zu andem
Anzahlen hinzugefugt werden kann, so laBt auch der Typus dieser Anzahl,
eben „die Zahl 3^ all diese Aussagen und Operationen zu, ja nur auf der-
gleichen ,,Zahlen'< beziehen sich alle arithmetischen Satze. Der B^jiff der
Dreiheit dag^en besteht ebensowenig aus 3 B^jiffen der Einheit, wie ii^gend-
dn anderer B^jiff aus Teilbegriffen besteht, und kann auch ebensowenig
wie alle andem B^jiffe addiert oder geteilt werden 3).
') In unserer Terminologie: der Begriffsinhalt, durch den ein Tvpus ^edacht wird,
unci dieser Typus selbst sind nicht dasselbe; der log^sche Innalt des Begriffes
JVlensch*'^ von dem wir etwa aussagen, er sei dem oegriffe „Lelfewesen" unter-
fBordnelj ist verschieden von „dem Menschen'', von dem wir reden, wenn wir etwa
Mffen: „Der Mensch ist ein Lebewesen''. ^) Metaph. XIII. 6, p. 1080a 12 ff.
■) wenn St6hr (Log. S. 126) sagt: „Zahlw6rter sind nur erhmdene Wortcr, abcr
brine Namen. Sie bedeuten nichts, das auBer ihnen ware, sie sind keine Zahl-
aamen. Es gibt keine Zahlbegriffe''. so ist hieran jedenfalls so viel richtig, daB
die Zahlen im gewohnlichen Sinne keine Begriffe sind. Mit dem ubrigen Inhalt
der anjgefiihrten Satze konnen wir uns freUich nicht einverstanden erklaren. Denn
es gibfallerdings auch Zahlbegriffe, und wenn die Zahlen der Arithmetik auch
keine Begriffe sind, so sind sie doch — Typen.
132 NOOLOOIE
§51
Die nach § 47 zwischen den Aussagelauten und der Aus-
sagegrundlage stattfindende Relation der Bezeichnung ist
lediglich eine vermittelte und rein SuBerliche, und ihi; Wesen besteht
nur darin, daB aus dem Vorhandensein der Aussagelaute auf das Vor-
handensein der Aussagegrundlage geschlossen werden kann.
Dagegen ist die nach demselben Paragraphen zwischen der Aus -
sage und dem ausgesagten Sachverhalt stattfindende Relation
der Bedeutung eine unmittelbare und innerlich b^^rOndete. Sie
weist namlich die Eigentumlichkeit auf, daB die Aussage fQr den ihres
Sinnes Kundigen den ausgesagten Sachverhalt vertritt oder re-
prSsentiert.
Es entsteht daher die Frage, was wir unter der Bedeutungs-
beziehung zwischen Aussage und Sachverhalt verstehen. Diese
Frage bezeichnen wir als die Vierte semasiologische Hauptfrage.
erlAuteruno
1) Wir wissen aus § 47, daB die Relationen der Bezeichnung
und der Bedeutung verschiedene Olieder haben. Jene besteht
zwischen den Aussagelauten als solchen und der Aussagegrundlage
als solcher, diese zwischen den Aussagelauten, sofem sie einen „Sinn''
ausdrlicken, und der Aussagegrundlage, sofem sie durch eben diesen
„Sinn* aufgefaBt wird — somit zwischen der Aussage und dem aus-
gesagten Sachverhalt Die letztere Bestimmung besteht zurecht, ohne
Rucksicht darauf, ob Aussage und Sachverhalt individuell oder g^^en-
standlich gedacht werden. Der einzelne, in einem bestimmten Zdt-
punkt ausgesprochene Satz „Dieser Vogel fliegf" bedeutet den dn-
zelnen, in einem bestimmten Zeitpunkt verwirklichten Sachverhalt „das
Fliegen dieses Vogels''; der ohne jede zeitliche RQcksicht betrachtete,
als noetischer Gegenstand gedachte pythagoreische Lehrsatz bedeutet
den ohne jede zeitliche Rucksicht betrachteten, als typischen O^en-
stand gedachten Sachverhalt „das Oleichsein des Quadrates der Hypo-
tenuse und der Summe der Quadrate der Katheten**. Ebenso bedeutet
der jetzt von mir gedachte und sprachlich formulierte B^ff „Mensch*
alle einzelnen individuellen Menschen, der Begriff „Mensch' dag^en
den Typus „der Mensch''. Es bedeutet demnach einersdts die ein-
zelne Aussage die einzelne Sache oder den einzelnen Sach-
verhalt, andererseits bedeutet der Begriff den Typus, der Satz
dentypischenSachverhalt, kurz dernoetischeden typischen
Gegenstand.
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 133
2) Doch die Relation der Bedeutung hat nicht nur andereOlieder
als die Relation der Bezeichnung, sie ist auch eine Relation anderer
Art. Das erhellt im allgemeinen schon aus der Erwigung, daB Aus-
sagelaute und Aussagegrundlage zwei vollkommen heterogene Tat-
sachen sind, die nur durch ihre gemeinsame Beziehung zu einer dritten
Tatsache — dem Aussageinhalt — miteinander verknQpft werden,
w&hrend Aussage und Sachverhalt an dem Aussageinhalt ein ihnen
bdden gemeinsam zugehoriges Element besitzen. Hiemach wird man
allerdings voraussetzen dOrfen, daB die Relation der Bedeutung, wenn
sie mit der Relation der Bezeichnung verglichen wird, sich als eine
Beziehung von weit grdBerer Innigkeit erweisen werde. Allein fiber
das eigentumliche Wesen beider Beziehungen ist damit noch wenig
gesagt. Auf die Spur dieses Wesens nun werden wir wohl am
Idchtesten gefuhrt werden, wenn wir beachten, daB ja die Relationen
des Bezeichnens wie des Bedeutens keineswegs nur zwischen den
Elementen der Aussage stattfinden. Vielmehr treffen wir dieselben
mich auf zahlreichen anderen Gebieten an. Und zwar kdnnen wir
Mer unterscheiden: Faile, in denen bloB von Bezeichnen, jedoch nicht
von Bedeuten; Falle, in denen bloB von Bedeuten, jedoch nicht
von Bezeichnen; und endlich Falle, in denen — ebenso wie bei der
Aussage — sowohl von Bezeichnen als auch von Bedeuten gesprochen
^erden kann. Die fur beide Beziehungen charakteristischen ZQge
werden indes natfirlich in den Fallen der beiden ersten Arten am
deutlichsten hervortreten.
So sagen wir etwa, der rauberische Ueberfall eines Reisenden sei be-
zddinend fur die in dem betreffenden Lande herrschende Unsicherheit;
der gute Appetit eines Kranken sei ein Zeichen fur seine kriftige
Konstitution ; die geringe Zahl der zwischen zwei Personen gewechselten
Briefe sei ein Zeichen ffir das Erkalten ihrer Freundschaft Dagegen
w&re es sinnlos, wollte jemand sagen, der Ueberfall bedeute die Un-
sicherheit, der Appetit die Kraftigkeit, die geringe Zahl der gewechselten
Briefe das Erkalten der Freundschaft
Auf der anderen Seite sagen wir, die pipstlichen Schlussel bedeuten
dieGewalt, zu binden und zu losen; dem spielenden Knaben bedeute
der Stock, den er zwischen die Beine nehme, ein Pferd; dem Theater-
besucher bedeuten die Kulissen eine Landschaft Und es hatte keinen
Sinn, die Schlussel ein Zeichen der Ldsegewalt, den Stock ein Zeichen
des Pferdes, die Kulissen ein Zeichen der Landschaft zu nennen.
Hieraus geht hervor, daB uns a stets dann ein Zeichen fur b heiBt,
wenn wir aus der Existenz oder aus dem Stattfinden von a auf
134 NOOLOGIE
die Existenz oder auf das Stattfinden von b schlieBen. kdnneni);
daB dagegen einem a die Funktion, b zu bedeuterij stets dann zuge-
schrieben wird, wenn es dieses vertritt oder reprSsentiert Denn
aus dem Ueberfall kdnnen wir auf die Unsicherhei^ aus dem Appetit auf
die kr3ftige Konstitution, aus der geringen Zahl der Briefe auf die
erkaltende Freundschaft schlieBen; die Schlussei reprisentieren die
Ldsegewalt, der Stock das Pferd, die Kulissen die Landschaft — wo-
gegen wir ebensowenig aus den SchlQsseln auf die Ldsegewalt, aus
dem Stock auf ein Pferd und aus den Kulissen auf eine Landschaft
schlieBen kdnnen, wie der Ueberfall die Unsicherheit, der Appetit
die kraftige Konstitution oder die geringe Zahl der Briefe die erkaltende
Freundschaft vertritt
Dies bestatigt sich vollkommen da, wo wir beide Relationen aus-
sagen kdnnen; denn auch hier findet doch zwischen a und b das
Verhaltnis des Bezeichnens nur statt, sofern wir aus a auf b zu
schlieBen vermdgen, das Verhiltnis des Bedeutens nur, sofern uns
das a das b reprSsentiert So ist es nach dem bekannten Aberglauben
ein schlechtes Zeidien^ wenn der J3ger am Morgen einem alten Wdbe
beg^^net — sofern er nSmlich aus dieser Beg^^nung auf einen ge-
ringen Erfolg des Tages schlieBen kann. Dieselbe B^^^ung be-
deutet aber auch UnglQck — sofern sie nSmlich dem JSger jenen ge-
ringen Erfolg bereits im voraus reprasentiert Ebenso ist der Flug
der Vdgel nahe am Boden ein Zeidien dafOr, daB schlechtes Wetter
im Anzuge ist, sofern man aus jenem auf dieses schlieBen kann, die-
selbe Erscheinung bedeutet aber auch Regen, sofern sie diesen dem
Wetterkundigen gleichsam schon als gegenwartig darstellt
Aus diesen Beispielen ersieht man zugleich, daB Bedeutung nicht
bloB solchen Zeichen zukommt, die absichtlich als Zeichen verwendet
werden. Im allgemeinen namlich verhalt sich die B^^^ung zum
schlechten Jagdergebnis, der niedrige Vogelflug zum Regen nicht
anders als etwa das Haltsignal vor der Station zu dem Umstande,
daB das Einfahrtsgeleise nicht frei ist, als das Flaggensignal des not-
leidenden SchifTes zu seiner Notlage — oder als der Ausruf „ Dieser
') Jedoch setzt die Anwendung des Wortes Zeichen voraus, daB a ein partikularer
Sacnverhalt sei, wahrend b auch als ein allgemeiner Sachverhalt, ein sofi^enanntes
^Oesetz"' sich darstellen kann. Ein Einzelf all kann ein Zeichen sein sowohlfur einen
andem tinzelfall wie fur die Oeltung eines Oesetzes; dagegen kann man nicht
sagen. das Oesetz sei ein Zeichen fur das Stattfinden des unter ihm b^[riffenen
Einzelfalles. Der Orund fiir diese Einschrankun]^ scheint darin zu Wtsxxi^ daB nur
wahrnehmbare Sachverhalte Z^ui/t^ heiBen konnen, was natiirlich nir ^Oesetze"
stets ausgeschlossen ist Man konnte deshalb das Zeichen auch definieren als ^ein
wahmehmbares a, aus dessen Vorhandensein das Vorhandensein von b gefolgert
werden kann'M
ORIENTIERUNG OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 135
Vogel fliegt^ zu dem wirklichen Vogelflug. Auch das Haltsignal ist
dn Zeichen daffir, daB das Oeleise nicht frei ist — sofem aus ihm
auf diesen Umstand geschlossen werden Icann; und es bedeutet diesen
sdben Umstand — sofem es ihn fur den seiner Kundigen vertritt
Ebenso steht es mit dem Flaggensignal, und in derselben Weise be-
zeichnet auch der Ausruf den Vogelflug, sofem aus ihm auf diesen
sich schlieBen l^Bt, und er bedeutet ihn, sofem er fQr den Sprach-
kundigen diesen Sachverhalt reprasentiert Allein in diesen Fallen tritt
noch dasBesondere hinzu, daB die Zeichen in der Absicht hervor-
gebracht werden, auf das Bezeichnete schlieBen zu lassen, oder daB
sie — wie wir auch sagen k5nnen — „gegeben* werden, also ge-
gebene Zeichen sind. Und so konnte die Meinung entstehen, nur
gegebenen Zeichen komme auch eine Bedeutung zu. Ja noch mehr!
0^[ebene Zeichen sind natiirlich immer konventionelle Zeichen ; denn
w3re ihre Verbindung mit dem Bezeichneten eine rein naturgesetzliche,
so kdnnten sie nicht ad hoc gegeben werden, sondem mOBten auch
ohne eine auf ihre Hervorbringung gerichtete Absicht eintreten^). Es
li^ deshalb auch die Ansicht nicht fem, nur konventionelle Zeichen
kdnnten eine Bedeutung haben. Indes, schon unsere ersten Beispiele
schlieBen diese Auffassung aus, da ja Schliissel, Stock und Kulissen
flberhaupt keine Zeichen, demnach gewiB auch weder gegebene noch
konventionelle Zeichen fur Ldsegewalt, Pferd und Landschaft sind.
Allein noch deutlicher sind die beiden andem Exempel, die wir eben
anfuhrten : die Begegnung mit dem alten Weib und der niedrige Vogel-
flug. Jene bedeutet Ungliick, dieser Regen; beide sind Zeichen, sofem
man auf diese Folgen aus ihnen schlieBen kann; ganz gewiB aber
sind sie nicht gegebene oder gar konventionelle Zeichen. Denn sie
werden von niemand in der Absicht, auf ihre Folgen hinzuweisen,
veranlaBt, sondem stehen zu diesen — wenigstens nach den Voraus-
setzungen des Aberglaubens resp. der empirischen Wetterkunde — in
einem rein naturgesetzlichen Verhaitnis.
Aus dem Gesagten ergibt sich nun auch die Antwort auf die Frage,
inwiefem denn das Verhahnis der Aussagelaute zur Aussagegmndlage
ein Verhaitnis der Bezeichnung darstellt Da nSmlich in der lebendigen
Rede die uberwiegende Mehrzahl der sprachlichen Ausdrucke in der
Absicht gebraucht wird, den Horer auf wirklich vorhandene Tatsachen
hinzuweisen, so kdnnen wir aus der Produktion einer Klangfolge
') Sogar wenn jemand aus AnlaB einer Verletzune aufschreit^ um von Anderen
gehort zu werden, setzt dies voraus, daB der Aufscnrei nicht erne unbedingt not-
wendige Wirkung der Verletzung war und daher/?n7 tanto nicht ein rein naturliches
Zeichen ist
136 NOOLOOIE
wenigstensmit einergewissen Wahrscheinlichkeitauf das
Vorhandensein einer ihr zugeordneten Tatsache schlieBeni). Jene
Klangfolgen sind somit wirklich Zeichen fOr diese Tatsachen, und zwar
gehdren sie natOrlich in die Klasse der gegebenen oder konventionellen
Zeichen. Hiermit aber ist das Wesen der Bezeichnungsbeziehung fur
unsere Zwecke hinreichend aufgekiart: es bleibt an ihr keine Seite
Obrig, die noch zum Gegenstande einer besonderen semasiologischen
Untersuchung gemacht werden muBte.
3) Ganz anders steht es um die Bedeutungsbeziehung. Hier werden
wir der Frage nicht ausweichen kdnnen, inwiefem denn fOr das Ver-
haitnis der Aussage zum Sachverhalt jene Voraussetzungen zutreffen,
die sonst die Relation des Vertretenden zum Vertretenen oder — wie
wir auch sagen kdnnen — der Reprasentante zum Reprasen-
tat zu kennzeichnen pflegen. Um jedoch diese Frage seinerzeit
beantworten zu kdnnen, werden wir schon jetzt bei dieser Ver-
tretungsbeziehung noch etwas verweilen und feststellen mussen, worin
ihre Eigenart besteht und auf Olieder von welcher Art sie Anwendung
findet.
Zu diesem Behufe nun gehen wir von jenem Falle aus, von
welchem der deutsche Ausdruck Vertreten entlehnt zu sein scheint:
ich meine das VerhSltnis der Stellvertretung zwischen Personen,
sei es, daB der Botschafter den Monarchen, der Anwalt die Partei,
der Prokurist die Firma oder sonst ein Mandatar seinen Mandanten
resp. der negotiorum gestor den dominus negotU vertritt Und fQr
dieses Verhaltnis scheinen mir von unserem Oesichtspunkte aus
4 Punkte als die charakteristischen hervorzutreten. I. Wenn der A
den B vertritt, so unterscheidet sich der A als Vertreter des B von
dem A als A nicht durch ein Mehr, Weniger oder Anders der sinn-
lichen Wahmehmungsinhalte, sondem durch eine verschiedene Auf-
fassung. Ich kann n^mlich den A als A auffassen, als dieses bestimmte
Individuum; und ich kann ihn auffassen als Vertreter des B. Allein
was ich sehe, hdre, taste usw., ist in beiden Fallen dasselbe: was ver-
schieden ist, gehdrt daher (nach § 33) nicht dem Inhalt, sondem der
Form der Erfahrung an. Dies ist somit der erste Punkt, den wir fest-
stellen : der Vertreter laBt eine doppelte Auffassung zu, je nachdem er
1) Wurde die uberwiegende Mehrzahl der tatsachlich gemachten Aussagen auf
die Irrefuhrung des Horers zielen, so ware die Sprache selbst aufgehoben. Wir
konnten dann aus der Produktion von Klangfolgen nicht mehr auf das Vorhanden-
sein zugehori^er Tatsachen schlieBen^ jene wunlen deshalb nicht mehr als Zeichen
fiir diese fungieren, und alle Rede hatte ein Ende. — Die Luge ist eben wirklich
eine Handlung, deren ..Maxime'' nie ,,ein allgemeines Oesetz" werden konnte (vgl.
Kant, WW. VIII, S. n).
ORIENTIERUNG OBER DAS BEDEUTUNGSPROBLEM 137
als das vertretende Individuum oder als der Vertreter des vertretenen
Individuums aufgefaBt wird. II. Insofem ich nun den A als Vertreter
des Bauffasse, insofem ist er fflr mich der B. Denn wozu sich der
A als Vertreter des B verpflichtet, dazu ist der B verpflichtet; was dem
A als Vertreter des B versprochen ist, das ist dem B versprochen. Ist
der Botschafter als Vertreter des Monarchen beleidigt, so ist der
Monarch beleidigt; was der Prokurist als Vertreter der Firma gekauft
hat, das hat die Firma gekauft; was der Anwalt als Vertreter derPartei
erklart hat, das hat die Partei erklart Kurz, was der A als Vertreter des
B tut Oder erleidet, das tut oder erleidet der B: der A als Vertreter
des B ist der B. III. Freilich, er ist nicht der B „selbst", sondem eben
nur der durch den A vertretene B. Nicht die Partei „selbst" hat die
Erklarung abgegeben, sondem die Partei „durch" ihren Anwalt Nicht
die Firma „selbst** hat gekauft, sondern die Firma „durch** ihren
Pkx)kuristen. Nicht der Monarch selbst ist beleidigt, sondem der
Monarch „in" seinem Botschafter. Mithin ist der A als Vertreter des
B zwar nicht der B „selbst**, wohl aber der „durch" den A vertretene B.
IV. Und zwar ist dieser „durch** den A vertretene B „derselbe" B,
der auch ^selbsf* mit mir in Beruhrung treten oder auch ^durch**
cinen andem Vertreter vertreten werden kann. Wenn der Botschafter
beleidigt ist, so ist zwar nicht der Monarch lySelbsf" beleidigt, aber
doch ,derselbe" Monarch, der auch in eigener Person oder „in" einem
andem Botschafter beleidigt werden kann. Wenn der Anwalt eine
Erklarung abgegeben hat, so hat zwar nicht die Partei ^selbsf* sie
abgegeben, aber doch „dieselbe" Partei, die auch in eigener Person
Oder „durch" einen andem Anwalt eine Erklarung abgeben kann.
Wenn der Prokurist kauft, so hat zwar nicht die Firma „ selbst** ge-
kauft, aber doch „dieselbe" Firma, die auch „durch** einen andem
Prokuristen kaufen kann. Stets also ist der A als Vertreter des B zwar
nicht der B „selbst", allein dennoch „derselbe" B, der auch in eigener
Pferson Oder durch andere Vertreter handeln und leiden kann.
Diese 4 Punkte nun kehren wieder in einer beinahe unermeBlichen
Ffllle ahnlicher Verhaltnisse, die auf den verschiedensten Oebieten be-
stehen, mit den verschiedensten Namen belegt, jedoch alle unter den
B^jiff des Reprasentierens gebracht werden kdnnen. Wir werfen im
folgenden auf einen Teil dieser Verhaltnisse einen flflchtigen Blick.
Von der rechtlichen Stellvertretung zwischen Personen kdnnen wir
cinerseits ubergehen zu andem juristischen und religiosen Formalakten.
Die Kronung z. B. repr&sentiert die Machtverleihung, die Taufe die
Sfindentilgung. Und von hier aus weiter zu alien andem Symbolen.
138 NOOLOOIE
Schwarze Kleidung z. B. reprOsentiert die Trauer. Andererseits konnen
wir von der Stellvertretung zwischen Personen auch Qbergehen zur
darstellenden Kunst Der Schauspieler reprdsentiert etwa Julius Caesar.
Von hier weiter zur bildenden Kunst Die Photographie reprOsentiert
den Photographierten, das Landschaftsbild die Landschaft, die BQste
das Original. Und von hier endlich zum Spiel. Denn auch der Stock
reprOsentiert fur den Knaben ein Pferd. In all diesen Erscheinungs-
formen unseres VerhSltnisses finden wir nun die fQr dasselbe charak-
teristischen 4 Punkte wieder. Die Krdnung l^Bt sich auffassen als
Symbol der Machtverieihung und als Kopfbelastung, die Taufe als
Symbol der Sundentilgung und als Korperbenetzung, die Trauer-
kleidung als Symbol der Trauer und als ein schwarzer Kleiderstoff.
Ebenso der Schauspieler als Darstellung Julius Caesars und als
Herr N. N; die Photographie als Bild des Originals und als ein hell
und dunkel geflecktes Papier; das Landschaftsbild als Bild der Land-
schaft und als eine mit Farbenklecksen bedeckte Leinwand ; die Buste
als Bild des Portratierten und als ein StQck Marmor von bestimmter
Form ; der Stock als etwas, was ein Pferd vorstellt, und als ein StQck
Holz. Im Falle der reprisentierenden Auffassung nun ist die Krdnung
die Machtverieihung, — zwar nicht die Machtverieihung „selbst**, aber
doch „dieselbe** Machtverieihung, die auch in andem Wirkungen sich
HuBert; die Taufe ist in demselben Sinne die SQndentilgung, die
Trauerkleidung die Trauer. Ebenso i s t der Schauspieler Julius Caesar,
— zwar nicht Julius Caesar „selbst", aber doch „derselbe" Julius Caesar,
der von Brutus ermordet wurde; und in demselben Sinne ist die
Photographie der Photographierte, das Landschaftsbild die Landschaft,
die BQste das Original und der Stock ein Pferd. Nicht etwa in un-
eigentlichem Sinne werden diese AusdrQcke hier gebraucht, sondem
ganz scharf wollen sie jene Auffassung kennzeichnen, fQr welche das
Vertretende das Vertretene reprOsentiert: dem spielenden Kinde ist
der Stock das Pferd; — zwar nicht das Pferd „selbst", aber doch
^dasselbe" Pferd, das er etwa am Morgen im Stall gesehen hat
Durchweg finden wir somit als die charakteristischen Merkmale des
Reprasentierens die folgenden wieder: die Reprisentante l^t sich auf-
fassen als bloBe Reprasentante, und sie laBt sich auffassen als Re-
prasentat; im zweiten Falle ist sie fQr denjenigen, der sie so auffaBt,
das ReprSsentat; — zwar nicht das ReprSsentat „selbst", aber doch
„dasselbe" Reprasentat, das auch „selbst*' oder „in" andem ReprSsen-
tanten erfahren werden kann. Unsere Aufgabe bei der Bearbdtung
des Bedeutungsproblems wird es deshalb sein mQssen, zu zeigen, wie
ORIENTIERUNO OBER DAS BEDEUTUNOSPROBLEM 130
<liese Vertretungsrelation psychologisch zu verstehen ist, und inwie-
-feme die Beziehung zwischen Aussage und Sachverhalt als ein Sonder-
ifidl derselben sich begreifen lUBt.
4) Ich mSchte hier noch Stellung nehmen zu dem einzigen mir be-
kannten Versuche, den B^ff der Bedeutung psychologisch etwas naher zu
ibestimmen. Die alte Lehre der Assoziationspsychologen namlich, die Be-
4leutung beruhe lediglich auf einer Assoziation der Vorstellungen, kann
idi nicht einmal als den Versuch einer solchen Bestimmung gelten lassen.
Assoziiert sind ja alle Vorstellungen, die aneinander erinnem. Allein es bedeaten
-doch nicht alle, von denen dies gilt, einander, ja sie sind auch nicht alle Zeichen
ffireinander. So sagten wir fruher einmal (§ H, 7), es kdnnten sowohl die
Munen D'Alembert und Montalembert wie auch die Namen Harmodios und
jtristogeiion assoziativ aneinander erinnem. Wird darum irgend jemand be-
liaupten, D'Alembert sei ein Zeichen fur Montalembert^ oder Harmodios
Jbedeute Anstogeiton? Ja bedetUet auch nur ein Wort alles, an was es er-
Jnnert, z. B. das Wort Becken das Wort B&cker^ oder den B^ff Neutnuny
ftda die Handlung Waschen? Ware jedoch einesolche Behauptung absurd,
dann muBte man doch jedenfalls erst angeben, was fur Assoziationen eine
Bezeichnung oder Bedeutung konstituieren, ehe auch nur von einem emst-
lichen Erklarungsversuche die Rede sein konnte.
Einen solchen Versuch nun hat Martinak^) in der Tat untemommen,
Idder jedoch die Verwandtschaft des Bedeutens mit allem andem Repr&sen-
tieren, SymboUsieren, Darstellen, Abbilden, Vorstellen usf. ganzlich tibersehen.
Vidmehr faBt er das Bedeaten von vomherein bloB als eine Beziehung des
Zeichens zum Bezeichneten auf, so daB seine Erklarung uberhaupt gar nicht
dem, was w i r Bedeaten^ sondem nur dem, was wir Bezeichnen nannten, zu-
gute kommt In dieser Beziehung scheint er denn auch das Wesentliche
gesehen zu haben: daB namlich a dann ein Zeichen fur b ist, wenn aus
liem Vorhandensein des a auf das Vorhandensein des b geschlossen werden
kuin. Nur wird man zweifeln durfen, ob dieser einfache Sachverhalt sehr
H^ficklich ausgedruckt wird durch die These, ein wesentliches Moment des
ipZdchen und Bedeutung verknupfenden Bandes'' sei die „Disposition'S an-
liBlich des Zeichens (a) zu urteilen: „Das Bezeichnete (b) isf' Dag^^en
crscheint es mir als das Muster eines 5aT6pov Tcpdrepov, wenn Martinak
auBer dieser noch eine weitere „Urteilsdisposition<' fur das ^Bedeuten""
wesentlich sein lassen mdchte, namlich die Disposition zu dem Urteil: ^
bedeutet b^ Denn erst muB doch a wirklich b bedeuten, ehe diese Dis-
position sich entwickeln kann: das Urteil, zu dem sie disponiert, ware ja
fdsch, wenn nicht das „Bedeuten'< schon einen anderweitigen Inhalt hatte.
Diese Erklarung ist daher wirklich kaum anders zu beurteilen, als wollte
femand das psychische Band zwischen Ursache und Wirkung erklaren als
die Disposition zu dem Urteil: „a kausiert b''.
Psycholog. Unterss. S. 60.
ZWEITES KAPITEL
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGS-
PROBLEMS
§52
IE Metaphysik erklart den Aussageinhalt fur
eine auBerempirische Wesenheit — wobei es
keinen Unterschied macht, ob sie nun derartigen
Wesenheiten im VerhlUtnis zu den kdrperlichen
Dingen einen hSheren, gleichen oder niedrigeren
Realitatsgrad zuschreibt. Wir bezeichnen
diesen Standpunkt als den des semasiologischen
Realismus.
Derselbe vermag indes nicht nur auf die Erste, Dritte und Vierte
semasiologische Hauptfrage keine befriedigende Antwort zu erteilen,
sondem auch wenn man ihn bloB als Antwort auf die Zweite jener
Hauptfragen — auf die er sich zunachst zu beziehen scheint — be-
trachtet, steht ihm der metaphysische Orundwiderspruch
(§ 35. 2) entgegen.
ERLAUTERUNG
1) Der Realismus ist eine metaphysische Lehre(vgl. § 34.3).
Sein entscheidendes Kennzeichen besteht darin, daB er den logischen
Oehalt der Aussagen als eine an sich selbst bestehende, unabhSngig
von ihrem Erfahrenwerden existierende Realitit begreift, somit den
Aussageinhalt als auBerempirische Wesenheit denkt. Dabei
kann entweder der Aussageinhalt selbst als auBerempirischer
Oegenstand aufgefaBt werden, oder es kann die Aussage als
empirischer Oegenstand, der Aussageinhalt aber als die unerfahrbare
Substanz dieses Gegenstandes gelten.
Nach dem in § 49. 2 Ausgefflhrten erscheint uns nun die zweite
dieser Altemativen als die von einem konsequenten Realismus ge-
forderte. Denn nur die Aussage, als ein Komplex aus beharrlichen
und wechselnden Elementen, laBt sich als Oegenstand auffassen; der
Aussageinhalt, d. i. das beharrliche Element dieses Komplexes, kann
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 141
ebensowenig ein G^enstand heiBen wie die Substanz eines kdrper-
lichen Dinges. Wir stellen deshalb auch im folgenden den Realismus
im Sinne der an zwdter Stelle genannten Alternative dar, somit als
dne Lehre, fur welche der Aussage gerade deshalb ein objektives Sein
zukommt, weil ihre mehreren und wechselnden empirischen Elemente,
die Aussagelaute, durch ein einheitliches und beharrliches auBerempiri-
sches Element, den Aussageinhalt, zu dem einheitlichen und beharr-
lichen noetischen Oegenstande geeinigt werden.
Fur welche jener beiden Altemativen immer sich indes der Realist
entscheide, stets schreibt er den noStischen Gegenstinden nicht bloB
empirische, sondem auch transcendentale Realit&t zu (vgl. § 49. 3).
Denn in beiden Fallen setzt er voraus, daB die Aussagen nicht nur
von uns als einheitlich und beharrlich eriebt werden, sondem daB
816 auch an sich selbst einheitlich und beharrlich seien.
2) Diese metaphysische Auffassung der Aussagen nun wird ganz
^nso naturgemaB durch die Interessen der Vernunftwissen-
Bchaft und speziell der Logik gefordert, wie (nach § 12. 2) die
Interessen der Naturwissenschaft und insbesondere derPhysik
zu der analogen metaphysischen Auffassung der Korper dr^ngen. Die
Logik namlich hat nur daran ein Interesse, die Gedanken nach ihrem
logischen Oehalte von alien individuellen und zeitlichen UmstSnden
Bires Gedachtwerdens scharf zu sondem, von alien Unterschieden
Direr sprachlichen Einkleidung und ihrer affektiven FSrbung abzusehen,
kurz inhaltsgleiche Gedanken als einheitlich und beharrlich zu betrachten.
Dagegen hat sie gar kein Interesse daran, die BewuBtseinstatsachen
zu beachten, in denen diese Gedanken in bestimmten Zeitpunkten
von bestimmten Individuen erfahren werden. Jenes Interesse nun wird
sie stets so auf die einfachste Weise befriedigen, daB sie die Gedanken
begjtdft als an und fur sich bestehende Elemente, und ihre VerhlUt-
nisse als zwischen diesen Elementen an und fQr sich bestehende Re-
tetionen. Es ist auch gar kein logisches Interesse denkbar, das sie
bewegen konnte, von dieser Auffassung abzugehen, den Widerspmch
zwder S3tze z. B. nicht als ein ewiges logisches VerhSltnis zwischen
zwd ebenso ewigen logischen Gebilden zu denken — ganz ebenso,
wie auch kein physikalisches Interesse denkbar ist, das die Physik
bestimmen kdnnte, die Entfemung zweier Kdrper als etwas anderes
Bufzufassen denn als eine an sich selbst — d. h. ohne Rucksicht auf
Uir Erfahrenwerden — bestehende physischefBeziehung zwischen zwei
ebenso an sich selbst existierenden physischen Elementen. Der stets
zunehmenden MiBachtung gegenQber, welche dieser Ansicht zu tdl
142 NOOLOGIE
wird, muB deshalb auf das nachdrOcklichste betont warden, daB der
semasiologische Realismus eine Doktrin von ganz derselben
DignitSt ist wie der on tologische Realismus: „Gedanken an sich"^
sind um nichts mehr und um nichts weniger glaubhaft als ^Dinge
an sich".
Wir kdnnen uns indes hier nicht auf diese allgemeine WQrdigung
der realistischen Ansicht beschrinken, haben vielmehr die Aufgabe,
ihre Eigenart im einzelnen zu bestimmen: wir mQssen versuchen, alle
Momente, die ihr zufSllig sein mdgen, als solche aufzuzeigen und von
ihr abzustreifen, ihre wahrhaft wesentlichen Merkmale festzustellen und
sie erst in dieser ihrer reinen, von alien stdrenden Anhangseln befreiten
Oestalt der Kritik zu unterwerfen.
3) Wir haben in § 12. 9 gesehen, daB jede metaphysische Ansicht
fur die von ihr angenommenen auBerempirischen oder transcendenten
Wesenheiten verschiedene Stufen derTranscendenz annehmen
kann, und wir unterschieden dort eine naive, eine mechanist ische,
eine monadologische und ane agnostische Form der meta-
physischen Lehre von der Substanz der materiellen Dinge. Der Unter-
schied der beiden ersten Formen fallt hier naturgemHB fort, da im
Gebiete des Intelligiblen „sekundlire'' und ^primSre'' QualitSten nicht
auseinandergehalten werden kdnnen. Im Qbrigen jedoch findet dieses
Schema auch auf unseren Fall seine Anwendung.
Unter einer naiven Metaphysik verstanden wir diejenige, welche
den auBerempirischen Bestandteil eines Gegenstandes seinen em-
pirischen Bestandteilen gleichartig denkt Diese letzteren nun sind im
Falle der Aussage die Aussagelaute, mithin Worte, Satze usf., kurz
Stiicke oder Abschnitte menschlicher Rede. Ein naiver semasiologischer
Realismus wQrde uns deshalb derjenige heiBen, welcher den Aussage-
inhalt selbst als ein auBerempirisches Wort, einen auBerempirischen
Satz, kurz als eine transcendente, und zwar natQrlich als eine zeitlose,
ewige Rede begreifen wollte. Allein es ist klar, daB mit einer solchen
Verdoppelung der empirischen Daten gar nichts geleistet wiirde.
Wenn schon unsere Rede eines Sinnes bedarf, um nicht bloBer Laut-
komplex, sondem vielmehr bedeutungsvoUe Aussage zu sein, so wQrde
jene transcendente, ewige Rede, um nicht selbst ein transcendenter,
ewiger nichtssagender Schall zu bleiben, ihrerseits wiederum eines
Sinnes, d. h. eines Aussageinhalts zwdter Ordnung, bedQrfen, und so
fort ins Unendliche.
Dagegen scheint hier eine monadologische Ausgestaltung der
Metaphysik besonders nahezuliegen : so wie unsere subjektiven Ge-
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 143
i^ danken Momente eines BewuBtseins sind, so — scheint es — werden
i«uch die objektiven Oedanken als Momente eines BewuBtseins am
u diesten sich begreifen lassen. Freilich entsteht nun sofort die Frage,
i was fOr ein BewuBtsein dies sein mdchte. Fest steht dabei von vome-
herein das Eine: das fragliche BewuBtsein kann kein menschliches
land Qberhaupt kein individuelles und zeitliches sein; denn eben un-
it geachtet alles individuellen und zeitlichen Wechsels der subjektiven
i Denkakte soil ja das in diesen Gedachte in unwandelbarer Identitat
ffbeharren. Es wird demnach durch diesen monadologischen Realismus
i postuliert ein iiberindividuelles und Qberzeitliches, uberdies rein logisches
I BewuBtsein, dessen Momente, frei von alien Zuf^ligkeiten der An-
schauung und des Affekts, nichts anderes darstellen wurden als
f logische Bestimmungen in ihrer Reinheit Eine gottverlassene Theologie
f wird naturlich sofort nach diesem Postulate schnappen, und behaupten,
es sei ja erfullt in dem uberindividuellen und uberzeitlichen BewuBt-
sein Gottes. Die Weltanschauungslehre muB es dieser Theologie
Oberlassen, auszumachen, ob ein BewuBtsein, das von Ewigkeit zu
Ewigkeit alle widerspruchsvollen und widerspruchslosen Begriffe mit
dem BewuBtsein ihres Widerspruches und ihrer Widerspruchslosigkeit,
alle wahren und falschen Satze mit dem BewuBtsein ihrer Wahrheit
und Falschheit, alle konkludenten und nicht-konkludenten Beweise
mit dem BewuBtsein ihrer Konkludenz und Nicht-Konkludenz, und
sonst nichts anderes dachte, — ob ein solches BewuBtsein noch ein
gdttliches zu heiBen verdiente. Ich fur meine Person wurde, wenn
ich dazu verurteilt ware, ohne UnterlaB zu denken: „Dreieckiges
Dreieck — richtig; viereckiges Dreieck — Unsinn; funfeckiges Dreieck
— Unsinn; sechseckiges Dreieck — Unsinn ; Westfalischer
Friede 1648 — richtig; Westfalischer Friede 1649 — falsch; West-
filischer Friede 1650 — falsch; Westfalischer Friede 1651 — falsch
" — mich weit eher in die Holle als in den Himmel versetzt
glauben. Doch mag nun ein solches BewuBtsein Gott oder dem
Teufd angemessener sein, jedenfalls hStte es mit dem, was v/ir Be-
wufitsein nennen, so gut wie nichts gemein. Zunachst schon deshalb,
weil es ja gar nicht als das BewuBtsein irgendeines Wesens bezeichnet
werden konnte, vielmehr nur als ein Komplex logischer Inhalte „an
sich''; und so ist es denn auch von alien Einsichtigen stets nur als
ein Inbegriff von sich selbst denkenden Gedanken betrachtet worden.
Allein weiterhin wQrde ihm mit der Zeitlichkeit auch alles dasjenige
abgehen, was fur unser Denken am meisten bezeichnend ist: nam-
lich alle ^Bewegung"" des Defikens, alles Zweifeln und Losen, mithin
144 NOOLOGIE
auch alles Erkennen im eigentlichen Sinne. Ja man wird geradezu
sagen dQrfen: nichts von dem, was dieses BewuBtsein kennzeichnen
miiBte, findet sich in unserem BewuBtsein, und wiederum : nichts, was
uns aus unserm eigenen BewuBtsein bekannt ist, dOrfte sich in diesem
BewuBtsein finden. Denn kdnnte man objektive Gedanken (logische
Bestimmungen) in unserem BewuBtsein nachweisen, so brauchte man
sie ja nicht in ein transcendentes BewuBtsein zu verl^en; und finden
sich in diesem subjektive Gedanken (psychologische Vorgange), so
w3re es nicht mehr ein Inbegriff unpersdnh'cher und unver&nderlicher
Denkinhalte, sondern ein Komplex individueller und zeitlicher Denk-
akte. Hiedurch wird klar, daB die angebhche Analogie des logisch-
gSttlichen und des psychologisch-menschlichen BewuBtseins in Wahr-
heit gar nicht vorhanden ist, vielmehr im Grunde nur auf einer
Squivoken Verwendung des Ausdrucks Oedanken beruht: irgendeine
uns bekannte Eigenschaft wenigstens wird den auBerempirischen Aus-
sageinhalten dadurch nicht zugesprochen, daB man sie als Momente
eines transcendenten BewuBtseins bezeichnet
Damit geht der monadologische von selbst in einen agnostischen
Realismus uber, denn besser, als einem Wesen Merkmale zuzusprechen,
durch die doch nichts Bestimmtes und Verstandliches von ihm aus-
gesagt wird, ist es jedenfalls, man gesteht ein, Qber seine PrSdikate
keine Auskunft geben zu kdnnen. Auch glaut)e ich nicht, daB diese
Zuruckhaltung dem BedQrfnisse geradezu widerstreitet, die einzelnen
Begriffsinhalte, Tatbestande usw. auseinanderzuhalten. Der agnostische
Realist wird eben sagen mussen: „Was der Sinn der Aussage A an
sich selbst sein mag, und ebenso, was der Sinn der Aussage B an
sich selbst sein mag, weiB ich nicht Ich weiB nur, daB beide von-
einander verschieden sein mussen, und daB jeder von beiden dasjenige
ist, was alien Sprachformen, die ihn ausdrOcken, ihre Bedeutung ver-
leiht und sie eben dadurch zu einheitlichen und identischen Gegen-
standen einigt Es verhalt sich in dieser Hinsicht mit der Bedeutung
nicht anders als mit der Materie oder mit der Seele. Sowie die
Materie das allgemeine physische, die Seele das allgemeine psychische
Substrat ist, so ist auch die Bedeutung das allgemeine logische Sub-
strat. Was alle diese 3 Substrate an sich selbst sein mogen, laBt
sich nicht sagen. Wir mussen vielmehr die Materie an sich als
schlechthin strukturlos, die Seele an sich als schlechthin zustandslos,
die Bedeutung an sich als schlechthin bestimmungslos denken. Die
Materie nimmt indes verschiedene Strukturformen, die Seele ver-
schiedene ZustSnde, die Bedeutung. verschiedene Bestimmungen an.
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 145
Diese Strukturformen, Zust^nde und Bestimmungen kdnnen wir an
sich ebensowenig erkennen wie Ihre Substrate. Allein die geformte
Alaterie ist zugleich Substanz gewisser Qualitaten, die zustandliche
Seele Subjekt gewisser BewuBtseinstatsachen, die bestimmte Be-
deutung Sinn gewisser Aussagelaute. Diese QualitSten, BewuBtseins-
; tatsachen und Aussagelaute fallen in unsere Erfahrung. Wir kdnnen
deshalb die Materie nur definieren als dasjenige, was die QualitSten
i.Tsa Accidentien eines Dinges, die Seele als dasjenige, was die Be-
^ wuBtseinstatsachen zu Erlebnissen eines Ich, die Bedeutung als das-
t|enige, was die Aussagelaute zu Ausdrucken eines Sinnes macht^ In
f tolcher oder ahnlicher Weise wQrde sich dn mdglichst konsequenter
i^fgnostischer Realist aussprechen mQssen; und so viel durfte ihm dann
I'.wohl zuzugestehen sein, daB sein Standpunkt aus rein logischen
tMotiven keiner grundsatzlichen Anfechtung mehr ausgesetzt wSre.
t 4) In § 18 haben wir eine substantielle und eine attributive
F.Metaphysik unterschieden. Dieser Unterschied findet nun auch
Uer seine Anwendung. Solange freilich der Aussageinhalt als Moment
einer ewigen Rede oder eines Qberindividuellen und Qberzeitlichen
BewuBtseins gilt, wird wohl niemand auf den Gedanken verfallen, ihn
in irgendwelche Dinge zu versetzen; ebensolange kommt demnach
aur ein substantieller Realismus in Frage. An sich unerkennbare Aus-
•ageinhalte dag^en lassen sich zwar gewiB auch als von allem
niysischen und Psychischen getrennte Wesenheiten denken — und
so haben wir diese Ansicht bisher dargestellt — , allein sie kdnnen
id>ensowohl auch in eine weit engere Verbindung mit jenen anderen
SphSren des Seienden gebracht werden. Und zwar dr3ngt in diese
Richtung vomehmlich die ohne Zweifel zwischen Aussageinhalt
tind Aussagegrundlage bestehende Korrelation. Denn wenn
auch Eine Aussag^jundlage durch verschiedene Aussageinhalte auf-
gefaBt, Ein Aussageinhalt durch verschiedene Aussag^jundlagen ver-
wirklicht werden kann, so geht diese Vielfaltigkeit der Auffassungs-
beziehung doch keinesw^s bis zu voUer PromiskuitSt: niemand
kann eine Ameise durch den Begriffsinhalt ^Textilwaren'' auffassen.
Es li^ deshalb der Gedanke nahe, den Aussageinhalt irgendwie in
die Aussagegrundlage hinein zu versetzen: man stellt sich dann vor,
es kdnnten eben nur jene Aussagegrundlagen durch einen bestimmten
Aussageinhalt aufgefaBt werden, welche diesen schon in sich enthalten.
Da jedoch der Aussageinhalt eine auBerempirische Wesenheit sein
soil, so kann er natQrlich nicht in den empirischen, vielmehr nur in
den auBerempirischen Elementen der Aussagegrundlage enthalten sein.
Oomperz, Wdtinschmnngilchrc II 1 10
146 NOOLOQIE
Ein solches auBerempirisches Element aber nimmt ja die Metaphysik
wenigstens fOr Eine Art von Aussag^jundlagen wirklich an, denn
sie teilt den Oegenst3nden eines Begriffes eine Substanz zu.
Andererseits ist der Aussageinhalt eines Begriffs die Essenz seiner
Oegenstande. Demnach mQBte der charakteristische Lehrsatz des
attributiven Realismus lauten: die Essenz dnes O^enstandes ist in
seiner Substanz enthalteni).
Dieser Standpunkt hat nun vor dem des substantiellen Realismus
unstreitig das voraus^ daB jener auf das zwischen Aussag^rnrndlage
und Aussageinhalt bestehende KorrelationsverhSltnis RQcksicht niiiunl,
wahrend dieser gar nicht erklaren kann, weshalb sich nicht jeder
O^enstand durch jeden Begriffsinhalt auffassen ISBt Alldn dafOr
lauft der attributive Realismus Oefahr, die Sdbstindigkdt der noetisdia
Gegenstande den physischen Objekten g^enfiber prelszugeben.
WQrde er freilich den Aussagdnhalt von der Aussage selbst sdiarf
unterscheiden, so konnte er dieser Oefahr entgehen. Er kdnnte dann
sagen : der Inhalt des Begriffes, die Essenz, ist dn Tdl der Substanz;
Substanz und Essenz sind an sich weder physisch noch logisch; ver-
bindet sich die Substanz mit den Dingqualitaten, so entsieht dn
physisches Objekt; verbindet sich die Essenz mit den Aussagelauten,
so entsteht ein nogtischer Gegenstand. Die Wesensverschiedaiheit
zwischen jenem Objekt und diesem O^enstande wQrde damit nidit
geleugnet AUein tatsachlich pflegt jene Unterscheidung nicht gemadit
zu werden. Die Aussage selbst, der Begriff, wird mit der Essenz
gleichgesetzt und als Teil der Substanz betrachtet Gilt jedoch der
Begriff Mensch als ein in der Substanz jedes einzdnen menschlkben
Individuums enthaltener Teil derselben, dann ist es um die Trennung
^) Wir sprechen hier wieder von Qegenstanden statt von „Tatsadien, die sidi ak
Oegenstanae auffassen lassen". Und wir diirfen dies tun, denn die Moglidtkeit,
dan eine solche Tatsache sich audi als ein nicht-gegenstlndlicher Sachveraalt tli^
fassen liefie — etwa das mit „Stuhl" Bezeichnete audi als daft ..Existieren eines
Stuhles" — , liegt ganz auBerhalb des Qesichtskreises des histonschen Realismu
Wir reden ferner auch von der „Essenz eines Oegenst and es^ statt wie in § 47
von der „Essenz einer Sachet Dodi auch dies notgedrungen. Denn andi <fie
Unterscheidung von ^Gegenstand'' und Sache ist — wie tiberhaupt das Auseinando^
halten von Aussagegjundlage und ausgesagtem Sachverhalt — den bisherigen &
I Reafismus vollig fremd. In Wahrheit kommt freilrch eine
scheinungsformen _
Essenz nur dem schon durch einen bestimmten Begriffsinhalt aufgehifiten »Owb-
stande'' — etwa dem schon als „Stuhl" aufgefaBten Stable — , mithin der &ik
zu. Der ,,Oegenstand" selbst dagegen — etwa der Stuhl, sofem er audi noch ab
2,Kunstprodukr' oder ^Korper*' aufgefaBt werden kann — hat zwar eine Sabsfanx^
jedoch keine Essenz. Allein um den attributiven Realismus, als welcher Essenz
und Substanz auf das gleiche Subjekt bezieht, nur fiberfaaupt verstindlicfa zu madMa^
ist es notwendig, sich auf seinen Standpunkt zu stellen und gleich ihm die fi^
griffe „Tatsache^ und „Sache" in den Einen Mischbegriff des yT^egenstandes'* zi-
sammenflieBen zu lassen.
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 147
des Logischen vom Physischen geschehen: es ist dann gerade jenes
Prinzip verleugnet, das den eigentlichen Lebensnerv der realistischen
Ansicht darstellt.
Immerhin bleibt der attributive Realismus relativ folgerecht, solange
er sich auf die Behauptung beschrinkt, die Essenz eines Oegenstandes
set in seiner Substanz en thai ten. Allein eine naheliegende Erw^gung
veriockt dazu, fiber diese Behauptung hinauszugehen. Die Substanz
nSmlich wird nach § 12 von den Metaphysikem gedacht: entweder
als Materie, oder alsSeele, oder als zusammengesetzt aus St off
und Form. Von so qualitStslosen Prinzipien, wie diese 4 es sind,
kann man sich jedoch schwer vorstellen, daB sie noch Teile haben
kfinnten, besonders da es sich ja hier um eine extensive Teilung ge-
wifi nicht handeln kann. Folglich muBte die Essenz mit einem dieser
4 Prinzipien geradezu zusammenfallen. Sie kann indes weder mit
der Materie noch mit der Seele noch mit dem Stoffe identisch sein.
Denn materiell und beseelt sind ja die allerverschiedensten Dinge, die
unter die allerverschiedensten Begriffe fallen; und auch aus demselben
Stoff, z. B. aus Holz, bestehen noch sehr mannigfaltige Objekte, z. B.
Stfihle und Tische, deren Essenzen gewiB nicht identisch sind. Es
scheint daher aus diesen Voraussetzungen zu folgen, die Essenz musse
mit der substantiellen Form zusammenfallen: alle Stfihle z. B. lieBen
sich darum auffassen durch den Einen Begriffsinhalt ^Stuhl"", weil in
ihnen alien das Material — sei es nun Holz, Stein oder Erz — die
Struktur der Einen Stuhlform aufweist.
Dieses Ergebnis klingt nun zunachst ganz plausibel, erweist sich
jedoch bei naherer Betrachtung aus zwei Grfinden als vollkommen
unannehmbar. Erstens : ein Stuhl hat doch nicht nur die Form eines
vStuhles im allgemeinen**, sondem vielmehr seine besondere, individuelle
Form. Fiele daher die Essenz mit der Form zusammen, so mflBte auch
jedem Stuhl ein besonderer, individueller Begriff entsprechen, und dann
kdnnte es Einen allgemeinen Begriff ^Stuhl** fiberhaupt nicht geben.
Zweitens: ein Stuhl fallt nicht nur unter den Begriff „Stuhl", sondem
! auch unter die Begriffe ^Einrichtungsg^enstand"", ^Kunstprodukf" etc
I Er muB somit mehrere Essenzen haben i). Allein er kann unmoglich
' mehrere Formen haben, vielmehr nur Eine Form — nSmlich seine
( Form. Es ist daher unstatthaft, die Essenz mit der Form gleichzusetzen.
I
H 1) Wie schon angedeutet, gilt diese Konseguenz nur unter der Voraussetzung,
F dafi man die Essenz uberhaupt auf „Oegenstande", d. h. auf mixta composita aus
' JTatsachen'' und ,,Sachen<' bezieht. In Wahrheit hat die Tatsache „Stuhl*S d. h.
das als ,yStuhl" auffaBbare Stuck Wirklichkeit, uberhaupt noch keine^ die Sache
yyStuhl", d. h. das schon als ^^tuhl" aufgefafite Sttick Wirklichkeit, nur Eine Essenz.
io»
148 NOOLOGIE
Ich resumiere deshalb folgendermaBen. Das Prinzip des Realismus,
die Trennung des Logischen vom Physischen und P^ychischen, wird
vom substantiellen Realismus am besten gewahrt Dafflr vonadh
lissigt dieser die zwischen Aussagdnhalt und Aussag^;rundlage be
stehende Korrelation. Der attributive Realismus liuft Gelahr, jenes
Prinzip zu verieugnen, wird aber dafur dieser Korrelation gerecht, wem
er sich darauf beschr&nkt, die Essenz fur dnen Tdl der Substanz zo
erklaren. Geht er darQber hinaus und setzt die Essenz der Substanz
uberhaupt oder der substantiellen Form insbesondere gleich, so ver-
f^scht er auch dieses Korrdationsverh^tnis, indem er die Zuordnung
Eines Begriffs zu mehreren Gegenst£nden sowie diejenige mehrenr
Begriffe zu Einem Gegenstande n^ert Die Substanz, und so audi
die substantielle Form, ist eben etwas Individudles, die Essenz dagega
etwas Typisches; das Typische kann indes zwar in dem IndividueDeii
enthalten sein, jedoch niemals mit ihm zusammenfallen.
5) Am weitesten scheinen die verschiedenen realistischen Standpunkk
voneinander abzuwdchen hinsichtlich der Sdnswdse, die sie den
noetischen G^enstanden zuschrdben: der Fine erkl3rt, daB in Wahr-
heit Qberhaupt nur die noetischen Oegenstinde dn wahres Sdn be-
saBen, wahrend ihnen gegenuber alles Physische und Psychisdie gv
nicht wirklich existiere; der Andere behauptet, daB man von noetisdien
GegenstHnden wohl reden musse, jedoch weder Realitit noch Existenz
mit Recht von ihnen aussagen konne; und zwischen diesen Ex-
tremen li^en noch manche Vermittdungen. Indes, diese anschdnend
unuberbruckbaren Gegensatze beruhren im Grunde das Wesen des
semasiologischen Realismus kaum und gehen vid weniger auf eioe
verschiedene Auffassung der noetischen Gegenstinde als vidmehr auf
eine verschiedene Auffassung und Anwendnng der B^rrjffe Realitit
und Existenz zuriick.
Einerseits namlich ist es klar, daB, wenn z. B. dn Denker sanen
Existenzbegriff von den physischen Objekten abzieht, ihm dann alles^
was kein physisches Objekt ist, als nicht-existierend erschdnen wird
Erkennt nun ein solcher dennoch, daB sich die SSltze der Logik auf
noetische Gegenstande beziehen, somit jedenfalls auf etwas von alien
physischen Objekten sehr Verschiedenes, so wird er sagen, diese Sitze
bezdgen sich auf etwas Nichtexistierendes, Irreales, Unwiridiches^ dis
freiiich im Interesse der logischen Wissenschaft dner eingehenden
Untersuchung unterworfen werden musse. Denkt er jedoch dieses
Nichtexistierende, Irreale und Unwirkliche als auBerempirisch — und
dies wird meistens der Fall sein, da es immerhin schwer ffllt, dn Stfldc
(
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 149
Erfahrung fur unwirklich zu erklslren — , so vertritt er ganz ebenso
ane metaphysische, mithin ^realistische'' Auffassung der nogtischen
GegenstSnde, als wenn er sich in Ausdrucken fur die Realitat und
Wirklichkeit derselben nicht genug tun konnte. Denn was ihn von
dnem Realisten dieser letzteren Art unterscheidet, ist dann durchaus
nicht eine andere Auffassung des Intelligiblen, sondem lediglich eine
andere Art und Weise, die Begriffe ExistenZy ReaUtdt, Wirklichkeit etc
zu definieren.
Andererseits werden wir spater sehen, daB eine natQrliche Tendenz
besteht, einem Objekte einen urn so hdheren Grad der Realitat zuzu-
schreiben, je starker dasselbe unsere Aufmerksamkeit in Anspruch
nimmt und je hoher es insbesondere von uns gewertet wird. Lebt
deshalb jemand vorzugsweise in der Theorie, und empfindet er uber-
dies dieses theoretische Leben dem praktischen gegenuber als hoher-
wertig, so wird er auch den Objekten der Theorie eine auBerordentlich
viel hohere Realitat zuerkennen als den Objekten der Praxis: im
auBersten Falle werden ihm liberhaupt nur die noetischen Gegenstande
dn wahres Sein zu besitzen scheinen, und ihnen gegenuber werden
gerade die physischen Objekte zu etwas Nichtexistierendem, Irrealen
und Unwirklichen, zu einem bloB scheinbar Seienden, einer bloBen
Erscheinung herabsinken. Doch deswegen ist er nicht mehr „ Realist*
als derjenige, der die ontologischen Pradikate an die verschiedenen
Arten von Oegenstanden in ganz entgegengesetzter Weise verteilt, da
es ja fur die Frage, ob ein Denker die noetischen Gegenstande meta-
physisch auffaBt oder nicht, nur darauf ankommt, ob er sie von der
Erfahrung trennt, und nicht darauf, welche Eigenschaften er von ihnen
aussagt.
Wird endlich die Frage aufgeworfen, welche dieser ontologischen
Auffassungen dem Realismus am angemessensten sei, so kdnnen wir
an dieser Stelle nur eine ganz vorl^ufige Antwort erteilen, da wir ja
die Begriffe Existenz, Realitat j Wirklichkeit etc noch nicht selbst
definiert haben. Es scheint indes von vomeherein klar, daB allem,
wovon notwendigerweise positive Aussagen gemacht werden, auch
in irgendeinem Sinne und in irgendeinem Grade Sein oder Realitat
zukommen musse; und weiter, daB Realitatsabstufungen , die aus-
schlieBlich von den subjektiven Denkgewohnheiten und Wertungen
des einzelnen Individuums abhangen, eine objektiv-wissenschaftliche
Berechtigung kaum eignen kann. Besitzen demnach fiir die realistische
Denkweise die noetischen G^enstande jedenfalls irgendeine Realitat,
fiber deren Grad sich jedoch einstweilen nichts Naheres ausmachen
150 NOOLOQIE
ISBt, so werden wir schwerlich fehlgehen, wenn wir vorlSufig fur die
konsequenteste Form des Realismus diejenige eridSien, welche da
noetischen GegenstHnden den gleichen Orad do* Realitit zutdlt wie
den psychischen ZustHnden und den physischen Objekten.
6) Unverkennbare Sptiren einer realistischen Ansicht finden sich sdum m
Indien. Und hier ist es vor allem der oben besprochene nnaivc^ Realismnit
der sich deutlich ausspricht in der merkwOrdigen Lehre von der Ewigkdt
der Vedaworte und von ihrer Prioritat gegeniiber den nadi ihnen benannta
Dingen. Dafi nlmlich ^us dem vedischen Worte die ganze Wdt mit Bd-
schluB der Odtter entsprungen ist^, beweist Cankara i) eingehend und tmfer
Beibringung zahlreicher alter Zeugnisse. So heiBe es schon im MiM-
bharata:
2.Der durch sich selbst ist, Hefi zuerst ausstrSmen
Das Wort, das ewige, ohn' End' und Anfang,
Das gottliche, das wir im Veda lesen.
Von welchem alle Weltentwicklung ausging.**
„Da6 man ubrigens, wenn man sich anschickt, irgenddne S«die hcnor-
zubringen, zuerst an das Wort denkt, welches sie ausdrficUy und ent dm
sich an die Sache begibt, das ist uns Allen aus der Erfahrung bdouuiL h
ahnlicher Weise schwebten dem Geiste des Welischdpfers Praj&pati vor der
Schdpfung die Vedaworte vor, und erst darauf schuf er die ihnen at- |
sprechenden Dinge. Und so sagt auch die Schrift: fiieses ist die Erdc^ so j
sprach er, und schuf die Erde< usw Diese Stelle bewdst, dafi entspredNod
den seinem Geiste vorschwebenden Worten, Erde usw., die ihm vorsdiwebo-
den Welten, Erde usw., erschaffen worden sind.« Allein mit diesen cwig
Bezeichnenden, den Worten, werden nun als verbunden gedacht cboiso
ewig Bezeichnete, die „Gestalten'' (dkriti). Wir hSren idmlidi, daB ^
Vedawort, als der Ausdruck des beharrlichen Sdns, ewig, und fQr ewig nut
der entsprechenden Sache verbunden ist". Denn die Vedaworte sind mi
den „Gestalten'S nicht mit den Individuen verbunden ; und wenn auch ^die
Individuen erst in der Zeit entstehen, so bleiben dodi"" die ^GeslaHa'
„ewig bestehen'' und kdnnen deshalb sehr wohl „durch die ewigen Vedi-
worte Kuh usw.<' bezeichnet werden. Diese „Gesialten'' sind somit dgentiicii
Typen im Sinne des § 50. 5, deren GegenstSndlichkdt jedodi zwisdn
einer substantiellen und einer attributiven Auffassung sdiwankt Doi
wahrend einerseits ^ die Kuh-Gestalt „in jedem Kuh-Individuum befaBt" sdi
soil, heiBt es andererseits 3), die „weder als sdend nodi als nidit sdod
ddinierbaren, noch nicht entfalteten, zur Entfaltung dringenden Namen and
Gestalten der Sinnenwelt" bildeten „vor der WdtschSpfungr fQr das Er-
kennen Gottes ein Objekt*' — so daB also hier die noStisdien resp. typisdia
Gegenstande an und fur sich zwar selbst§ndig sind, jedoch in die indi-
viduellen Gegenstande bei deren Entstehung eintreten und sidi fbrtan wie
deren Formen verhalten.
>) Deussen, Sutra's, S. 169 ff. ») Ibid. S. 293. ») ibid. S. 37. '
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 151
In Oriechenland kann zunachst die pythagoreische Lehre als eine Vor-
liuferin der groBen realistischen Systeme bezdchnet werden, da die Zahlen,
wdche sie nach Aristoteles i) zu den Prinzipien alles Seienden macht,
gewiB weder etwas Physisches noch etwas Psychisches sind. Und wenn
nun, demselben Oewihrsmanne zufolge^), diese Dolrtrin die Zahlen nicht
von den Dingen trennte, sondern sie ^r die Dinge sdbst^ erkUrte, so muB
Bie wohl dem attributiven Realismus zugerechnet werden.
Die wahrhafte Geburt des Realismus findet indes doch erst stait mit der
Ausbildung von Platons Ideenlehre Von dieser Lehre haben wir dfter,
am dngehendsten in § 18. 2 gesprodien. Wir sagten dort, die Platonische
Idee habe eine dreifache Funktion : sie sei nlmlich y^semasiologisches Objekt,
fypologisches Prinzip und axiologisches Ideals Wir betrachten sie hier
naturgemaB vorwiegend von dem ersten Oesichtspunkte aus und unterwerfen
sie vom Standpunkte des Realismus aus einer immanenten Kritik, d. h. wir
bagen: in welchen Beziehungen entspridit die Platonische Ideenlehre dem
Ideal eines reinen und folgerechten Realismus, und in wdchen Beziehungen
Ueibt sie hinter demselben zurtick? Unsere Antwort aber lautet in Kilrze
ako: die Platonische Ideenlehre genflgt den Forderungen dnes konsequenten
Realismus, sofem sie die Ideen substantidl und grundsitzlich audi agnostisch
atiffaBt; sie weicht jedoch von ihnen ab, indem sie erstens von alien Aus-
aagen aJlein die Begriffe beachtet, indem sie zwdtens nicht die B^[riffe sdbst,
•ondem nur die Begriffsinhalte vergegenstandlicht, indem sie drittens die
tioetischen Gq^enstande nicht von den typischen unterscheidet, und indem
tie endlich viertens den Ideen eine hdhere Realitit als alien anderen Ob-
jdden zuerkennt Ich ffihre nun diese 6 Thesen ndher ins Einzdne aus.
Die Platonische Ideenlehre ist aus der Sokratischen Definitionstechnik ent-
atanden. Hieraus erklart sich gleich dies, daB der Platonische Realismus
von alien Aussagen alldn die Begriffe beachtet Denn definieren kann
man nur Begriffe, nicht Satze, Fragen, Bewdse usf. Diese komplexen sprach-
lichen Gebilde tragen namlich in ihrer Zusammensetzung aus Worten ihre
logische Bestimmtheit schon in sich und sind daher einer weiteren logischen
Bestimmung weder fahig noch bedurftig, wahrend der Name, als die niedrigste
qirachliche Einheit, nicht in gleicher Wdse die Merkmale des von ihm aus-
gedruckten Begriffes zur Schau stelli Die Idee ist jedoch urspriinglich
nichts anderes als das Objekt der Definition, das definitum^): die Idee
des Schdnen z. B. ist jenes „Schdne an sich*", auf das sich die Ddinition
des Schdnen ganz ebenso bezieht wie der Name „Haus'' auf die dnzdnen
fiauser. So erklart es sich, daB Platon nie daran denkt, es konnte z. B.
audi ein Satz „an sich sdbst^ existieren, obwohl sich doch offenbar der
Satz „2 X 2 = 4'' zu alien dnzdnen Fallen, in denen dies wirklich der
Fall ist und von uns ausgesagt wird, ganz ebenso verhalt wie der B^ff 2
zu alien dnzdnen Paaren und Zweiheitsaussagen. Damit war indes die ver-
n Metaph. I. 5, p. 985b 23. >) Metaph. I. 6, 967b 28. ») Vgl. z. B. Euthyphro
p. 6D.
152 NOOLOOIE
hangnisvolle Einschrankung des Bedeutungsproblems zumUniver-
salienprobletn bereiis vollzogen.
Auf dieselbe Weise wird auch die Verg^[enst3ndlichung des B e griff s-
inhalts ansfatt des Begriffs verstandlich. In logisdie Bestimmuiigai
nltnlich laBt sich naturlich nur die Essenz und nicht der Name eines Gegen-
standes zerl^^en. Daher ist streng genotnmen nie der B^;riff, d. h. der
durch einen Namen ausgedriickte Begriffsinhalt, sondem stets nur der B^
griffsinhalt selbst Objekt der Definition, definitiim. So liegt denn audi
Platon der Qedanke fern, es mochte der Idee das Wort ii^gendwie wesent-
lich seini): und doch wire der Begriffsinhalt, wenn er sich nicht in immer
neuen Worten ausdriickte, ebensowenig ein noetischer O^fenstand, wie die
Substanz ein physisches Objekt darstdlen wiirde, wenn ihr nicht immer
andere und andere Qualitaten inharierten.
Noch folgenreicher ist ein drittes Ergebnis derselben historischen Um-
stande: die Verwechslung noetischer und typischer Oegenstandlichkeit
Jede Definition ist namlich aquivok: sie zihlt die Merkmale auf, wdche dem
Typus zugeh5ren, und zugleich die logischen Bestimmungen, die den Be-
griffsinhalt konstituieren — je nach der Supposition der Worte, aus
denen die Definition besteht, und die bald auf den ^typisdien Sachverhalt",
bald auf den „Aussageinhalf' bezogen werden kdnnen (§ 50. 5). Plat(»(
nun hat, wie wir sahen (§ 50. 6), diese Unterscheidung wohl filr die Zahlen
vollzogen, dag^gen fur alle anderen Ideen unterlassen, obg^eich die Sadilage
hier keine andere ist als dort Denn wie nur die mathematische Zabl
(der Typus „die Zahl 3'*) aus 3 Einheiten besteht, die ideale Zahl (der
Begriff „Drei'*) aber nicht, so ist auch nur der Typus „der Mensdi" dn
Saugetier, keinesw^;s aber der Begriff „Mensch". DaB jedoch Platon in
der Tat Typus und Idee miteinander verwechselt, geht schon aus seiner
steten Voraussetzung hervor, die empirischen Dinge seien den Ideen ahn-
lich, verhidten sich zu ihnen wie nachahmende Abbilder (jti^-^^za) zu
originalen Urbildem (irapaSelfiiata) 2). Denn dies gilt nur von dem Ver-
haltnis der Dinge zum Typus, keineswegs von ihrer Bezidiung zum Begriff.
Ein Sonderfall dieser Voraussetzung ist Platons Annahme, daB die Idee
des Schonen selbst schon, die Idee des GroBen sdbst groB sd ^ Dem
auch diese Annahme trifft nur fur Typen, nicht fiir Begriffe zu. „Da$
OroBe'' ist in demsdben Sinne grojS, in dem „der Mensdi^ dn Menstk
ist; wie dag^en der Begriff „Mensch<' kein Mensch, so ist auch der Be-
1) Nur Cratvl. p. 389 Off. und p. 423 E kann man diesen Oedanken angedeutet
finclen. ^ z. B. Tim. p. 49 A. 3) Farm. p. 122 A. Diese Annahme hat nier znr
Foljg^e, dafi Platon das Argument vom „dritten Menschen" nicht a limine zurud-
weist In Wahrheit trifft es den Realismus gar nicht Denn da der Bc^giriff der
Qrofie mit den einzelnen groBen Dingen in der Eigenschaft, grofi zu sein, gar
nicht ubereinstimmt, so bedarf es keines Qrofienbegriffes zwener Ordnung, um
diese Uebereinstimmung zu erklaren. Wollte man freilich die Qrdfie des Typus
„d e r Mensch'' fur die „Ursache'' der Qrdfie aller einzelnen Menschen ausgeoen,
so liefie sich das Argument wohl vertreten. Allein dies hat auch nie jemand b^
hauptet
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNQSPROBLEMS 153
griff mStoB" nicht groB. Freilich beruht die eigentfimliche Verschmdzung
des Semasiologischen mit detn Typologischen und Axiologischen in der
Platonischen Idee durchaus auf dieser Verwechslung: nur der Typus „der
Mensch^ nietnals der Begriff „Mensch^ laBt sich als der gemeinsame Ent-
stdiungsgrund aller einzelnen Menschen, gewissermaBen als der Stamm-
vater i) der Species ansehen, und ebenso als der ideale Mensdi, der Mensch,
wie er sein soil. Die Verwechslung noetischer und typischer O^^enstand-
lidikeit ist eben nicht nur durch den EinfluB der Sokratischen Definitions-
technik zu erklaren, sondem auch durch eine Stoning der semasiologischen
durch die axiologische Funktion der Idee, d. h. letztlich durch die ethische
Orientierung jenes Sokratischen Verfahrens.
Diese Verwechslung bedingt indes nicht bloB Mangel der Platonischen
Theorie; sie verdunkelt auch deren Vorzuge. So ist der Platonische Realis-
mus grundsatzlich agnostisch. Die Ideen sind weder transcendente
Worte noch sich selbst denkende Gedanken. Sie sind ja Qberhaupt nicht
Oedanken. Denn waren sie Gedanken, bemerkt Platon ausdriicklich ^,
so mdBten sie Gedanken von Etwas sein, und dann ware dieses in ihnen
Oedachte die Idee, und nicht der Gedanke, in dem es gedacht wird. Ist
jedoch dne realistische Ansicht weder naiv noch monadologisch, so muB
sie prinzipiell agnostisch sein. Allein dieser agnostische Charakter des Be-
griffs wird verhuUt durch seine Gleichsetzung mit dem Typus. Als Typus
nimlich ist die Idee, wie wir sahen, dem empirischen Einzelg^enstande
ihnlich; und so entsteht der Schein, als ware auch der Begriff ein tran-
scendentes physisches Objekt
Urn so h5her ist es Platon anzurechnen, daB er an dem substan-
tiellen Charakter der Idee und damit an der Trennung des Intelligiblen
vom Sensiblen unbeugsam festgehalten hat Denn nahe genug hatte es ge-
legen, die Idee als Typus irgendwie in die Gegenstande zu verl^nen3);
damit aber wurde die logische Einheit in eine physische Vidheit zerstaubt
In der Tat hat man neuerlich Platon in ahnlichem Sinne auszulegen ver-
sudit Allein nicht nur Aristoteles ^) bezeugt jene „Trennung'^ sondem
audi Platon sdbst hat sich uber diese Frage unzweideutig genug geauBert
Die Idee der Schonheit, sagt er z. B. s), „besteht ewig, entsteht nicht und
vergeht nicht, nimmt nicht zu und nicht ab, sie ist nicht in Einer Hin-
sicht sch5n, in einer andern Hinsicht haBlich, nicht jetzt sch5n, jetzt nicht
sdidn, nicht mit dem Einen verglichen schon, mit dem andern verglichen
hifilich, nicht hier schon, dort haBlich, namlich nicht fur den Einen sch5n,
fflr den Andern haBlich<<; sie ist nicht etwas „wie ein Gesicht oder eine
Tim. p. 50 D. ^ Parni. p. 132 EC. 3} Der Aussageinhalt ist ja wirklich ein
Besiandteil der Sachen und Sachverhalte, liberhaupt der typischen Gegenstande.
LaBt man daher die Sache mit der in inr aufgefafiten Tatsache zur Einheit des
„Oefl;enstandes'' zusammenflieBen, so kann man mit viel Scheinbarkeit behaupten.
das Logische sei i n den physischen „Gec;enstanden'' enthalten. Dies ist ohne Zweifel
dne der Wurzeln, aus aenen der attributive Realismus hervorwachst ^) Metaph.
XIII. 4, p. lOrab 30. 5) Conviv. p. 211 A B.
154 NOOLCXilE
Hand oder sonst etwas Kdrperiiches^ auch kdn Gedanke und kein Wisso,
und sie ist nicht irgendwo in etwas anderem — in einem
lebenden Wesen, in derErde, imHimmel oder sonst irgend-
wo, sondem an sich selbst und fflr sich sdbst bestdit sie ewig in ihitr
Einzigkeit, und alles andere Sch5ne nimmt an ihr in dner soldien Wdse
teil, daB, wenn das andere enisteht und vergeht, jene deshalb um nidrts
zu- Oder abnimmt und keinerld Verinderung erfiUirt^.
Dagegen erschdnt es uns als dn sdiwerer Fdiler des Platonisdien Redis-
mus, daB er die wahre Realitat allein den Ideen zutdlt: oft genug i) hdBen
ja diese sdiledithin das ^Seiende*'. Die allgemdnen Orflnde fOr dicse ad-
fallende Lehre nun haben wir sdion oben besprodien. AUes vorzugswdse
Beaditde und Bewertde hat die Tendenz, sich audi als dn eminent Sdendes
darzustdlen. Dieses Prinzip findd auf die Platonisdie Idee nadi ihren dre
Funktionen gleichmaBig Anwendung. Der theoretisdie Menscfa wendd den
no^tischen mehr als den physischen O^iensianden sdne Aufmerksamkdt 211
und ist geneigt, das denkende Verhalten hdher zu sdiatzen als das tittigt
Die Typen drangen sidi dem wissensdiaftlichen Blidc auf die Natur stiito
auf als die Individuen. Das Ideal hat fur den Ethiker notwendig hoherai
Wert als die Erfahrung. Die Ideen aber sind all das in Eins gefaBt: B^
griffe, Typen und Ideale, und so werden sie fur einen Denker, der sdbst
zugleich Theoretiker, Naturforscher und Ethiker ist, dnen drdfachen An-
spruch auf hohere Realitat besitzen. In derselben Riditung wiiict indes nodi
dn anderes Prinzip. Jedes Sein — wir werden es nodi sdien — ist dn
abgeblaBtes Leben-, wo sich deshalb die starkere Vi tali tat zdgt, da nehmen
wir auch eine groBere Realitat an. Nun schdnt jedoch die starlcere
Vitalitat gewiB da vorhanden zu sein, wo den angrdfenden Potenzen dn nadi-
haltigerer Widerstand entg^fengesetzt wird, mithin da, wo die gr6Bere B^
harrlichkeit sich findet Auch dies aber gilt von der Idee nadi ihren drd
Funktionen. Den Begriffen kommt absolute Unverinderlichkdt zu, wahreod
die sinnlichen Objekte vidfach zerst5rt werden — und noch mdir zerstdrt
zu werden scheinen, wenn man den bloBen Wedisd begrifflidi fixierter
Qualitaten als ein Entstehen und Vergehen auffaBt, z. B. den ^Unteigang*
der Blasse als ein Anzeichen der allgemeinen Verginglichkeit beUagt,
wenn ein junger Mensch mit ger5teten Wangen aus der Tumsdiule tritL
Die Typen beharren, wahrend die Individuen veigdien. Das Ideal an
sich selbst ist rein; in den empirischen Objekten dagegen erscheint es
getrubt und verktimmert, somit von fremden Einfltissen fiberwiltigt Aus
diesen einzelnen Punkten setzt sich das fur Platon charakteristische BiM
jenes groBen G^ensatzes zusammen zwischen den ewig bdiarrenden und
seienden Ideen und den bestandig „flieBenden<^ und „werdenden^ Dingen.
Aus diesem Gegensatze laBt Aristoteles ^ die Platonisdie Ideenlchre g^
radezu hervorwachsen, und Platon sdbst hat ihn nicht nur gdegentlich
scharf formuliert 3), sondem auch auf ihn unmittdbar sdne Ldire von dem
1) 2. B. Tim. p. 52D. 2) Metaph. I. 6, p. 987a 32. >) z. B. CralfL p. iWClT
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 155
ontologischen Vorrange der Ideen b^jiindet Denn er fragt i) : „Dasjenige,
was teil hat an der ewigen Gleichheit, an der Unsterblichkeit und der Wahr-
hdt, und was selbst ein derartiges ist und an derartigem sich findet, schdnt
dir das nicht in hdherem Grade zu sein als dasjenige, was tdl hat an der
steten Ung^dchhdt und der Sterbh'chkdt, was selbst ein soldies ist und an
soldiem sich findet?^ Uns freilich schdnt dies keineswegs so einleuchtend
wie dem geffigigen Mitunterredner. Alldn noch so vide und empfindliche
Mingd vermogen den Ewigkdtswert der Platonischen Ideenlehre nicht
ganzlich zu iiberschatten. Mag diese Lehre ihr Zid iiberflogen haben: ihr
innerster Kern, die ^Trennung"' des Logischen von allem Psychischen und
Physischen, ist unzerstdrbar.
Gerade diesen Kern hat Aristoteles verkannt Als ein G^:ner des
Realismus gilt er mit Unrechi In Wahrheit hat er die Ideenldire weder
grundsStzlich bekimpft noch im einzelnen berichtigt; er hat sie nur ver-
dorben. Ihren metaphysischen Charakter namlich tastet er nicht an; allein
statt das Logische vom Physischen und vom Psychischen zu trennen, sucht
er es tdls hinter diesem, teils hinter jenem zu verbergen und macht so aus
dem substantiellen und agnostischen Realismus Platons eine attributive
und monadologische Abart dieser Lehre. Auf der Einen Seite identi-
fiziert er die Essenz eines G^fenstandes (seinen X^foc, sein tC 'ijv elvai) mit
sdner Substanz {ohaia)% und naher mit seiner Form (sldoc, iJLOp^)^).
Diese jedoch kann natiirlich von dem G^enstande selbst nicht „getrennt^
werden*), sondem findet sich „in" dem Stoffe^), mit diesem „vermischt" *).
Hiedurch ist mit Einem Schlage von den 3 Funktionen der Platonischen
Idee sowohl die axiologische wie die semasiologische vemichtet Denn
ebensowenig wie das Ideal kann audi der Begriff „in<< dem empirischen
G^enstande stecken: die Logik muBte sonst auf ihr dgentumliches Objekt
verzichten und es der Physik tatlos uberlassen. Diesem Interesse vermag
sich denn auch der Begriinder der systematischen Logik nicht ganzlich zu
entziehen, und nachdem er das Logische im Physischen hat verschwinden
lassen, sucht er es aus dem Psychischen wieder hervorzuziehen. Das Denken,
bdiauptet er namlich^ ist an sich ein bloBer Stoff, fahig zur Aufnahme
aller mdg^ichen, auch einander enigegengesetzter Gedanken ; erst indem be-
stimmte Gedanken darein eintrden, gewinnt es einen Inhalt und damit auch
dne Form. Es stehen demnach dnander gegenuber: das subjektive Denk-
vermogen (der yob<;) und der Inb^^iff des objektiven Gedachten (die voTjtdc),
die sich zueinander verhalten sollen wie das subjektive Wahmehmungsver-
mdgen (die alb^oK;) und der Inbegriff des objektiven Wahrgenommenen
(die aiodTjrdc) 8). Nun mochte man glauben, von hier aus miiBte Aristo-
teles den Platonischen Realismus rehabilitieren und dem vod(; die Ideen
d>enso als objektive yoTjtd gegeniiberstdlen, wie der iiodTjoK; die K5rper
>) Rcsp. IX, p. 585C. 2) Metaph. VII. 3, p. 1028b 33. ») Ibid. VII. 11. p. 1036a 28.
«) Ibid. 1. 9, p. 991 b 1. ») Phys. IV. 3. p. 210 a 20; de cod. I. 9, p. 278a 9; de gen.
et corr. I. 5, p. 321b 20. •) De coel. I. 9, p. 277b 32 u. p. 278a 14. ^ De an. Ill,
4, p. 429a ilff. u. b 31. >) Ibid. III. 4, p. 429a 17; IIL 8, p. 431b 22.
156 NOOLOOIE
als objektive alb^tdc enisprechen. Allein statt dessen tischt er uns dne
hochst verworrene Konzeption auf^), die crux inierpretum: die Lehre von
der ^tatigen Vernunft", dem sogenannten vo6c «0fijTix6c. Ueber diesc
tnochte ich hier nur folgendes bemerken. Itn Zusamtnenhange, nidit nur
der Schrift „Ueber die Seele^S sondem auch des Aristotdischen Systems
uberhaupt, ist der Begriff der ^tatigen Vemunft^' nur verstandlich, wenn diese
aufzufassen ist als ein Inbegriff sich selbst denkender Oedanken, somit ak
eine beseelte und zur Einheit Eines BewuBtseins zusatnmengeschlossene
platonische Ideenweli, und wenn sie daher im Sinne des Stagiriten mit der
gottlichen ^Vemunft^' zusammenfallt, die ja gleichfalls nichis anderes sein
soil als ein sich selbst denkendes E>enken ^. Denn ^Fomi'' ist dem Aristo
TELES immer dasjenige, was den „Stoff< in bestimmter Weise detenninieil
und was dieser Stoff bei solcher Determination annimmt; dies aber kann, wenn
das „Denken im allgemeinen*' zu einem ,,Denken an etwas Bestimmtes'' wird,
eben nur dieses bestimmte Gedachte sein, und nicht ii^genddne sedische
Kraft Oder Substanz. HeiBt daher diese ^Form** dennoch sdbst dn ^yDenken**
Oder eine ,,Vemunft^^ so kann dies folgerecht nur auf einer monadologischen
Auffassung der noetischen O^^enstande beruhen : sie mussen gedadit werden
als sich selbst denkende logische Bestimmungen, die dem denkenden Indi-
viduum als etwas Objektives g^enuberstehen ; und da solche Denkinhalte
naturgemaS alle individudlen und zeitlichen Verschiedenhdten von sidi aus-
schlieBen, so konnen sie nur in der Einzahl vorhanden sdn und mussen
mit den sich sdbst denkenden gottlichen Gedanken zusammenfallen. So
hat in der Tat Alexander v. Aphrodisias den Stagiriten verstanden, wenn
er3) die „tatige Vemunft** mit dem „ersten Bewq^er*' des Aristoteles
gleichsetzt, im Gegensatze zu ihr die ^Jeidende Vemunft" als dn „Ver-
mogen der Sede'^ bezeichnet und das fur die „titige Vemunfl^ diarak-
teristische „Von auBen her^'-stammen auch ,,allen tibrigen Gedanken" zu-
spricht (6&pa^v (i^ ^ap xal ta £XXa vo7](iaTa). Auch stimmt es mil dieser
Auffassung uberein, wenn Aristoteles selbst diese ,,tltige Vemunft^ »ewig"
nennt, sie vom Menschen sich „trennen" und in ihn ,,von auBen her^ dn-
trden laBt; denn all dies gilt wirklich von als transcendent gedaditen Denk-
inhalten im Verhaltnis zu dem immanenten Denken des Individuums. Da-
gegNi scheint nun dieser Erklarung allerdings der Umstand en^ri^nenzu-
stehen, daB sich diese ,,tatige Vemunft'^ zu den empirischen Gedanken ver-
halten soil wie das Licht zu den von ihm beschienenen Farben^). Denn
das Licht mag zwar den Farben in gewissem Sinne ihre qualitative Be-
stimmtheit verleihen, nimmt jedoch gewiB nicht sdbst an dieser Be-
stimmtheit teil. Vielmehr ist das Licht fur alle Farben Eines und dassdbe,
wahrend der Denkinhalt fur jeden Gedanken ein anderer sein muBte.
Namentlich im Hinblick auf diesen Vergleich wird man es daher wohl fCir
wahrscheinlich halten mussen, daB Aristoteles sdnen Gedanken tiberhaupt
^) Ibid. 111. 5, p. 430a lOff. >) Metaph. Xll. 9, p. 1074b 33. ') De an. S. 89.
22 ff. (Bruns). «) De an. 111. 5, p. 430a 15.
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 157
nicht klar und konsequent zu Ende gedacht, sondem itn letzten Augenblick
abermals versucht hat, detn logischen Denkinhalt eine psychische Denk-
funktion von irgendwelcher h5heren Ordnung zu substituieren. Doch sei dem
wie immer: jedenfalls klaffen nun die beiden Enden der Aristotelischen Sema-
siologie weit auseinander. Im G^fenstande drin steckt die Essenz als seine
Form; und im Denken erweist sich als d ess en Form der Begriffsinhalt
iatig. Allein wenn tiberhaupt etwas erkannt werden soil, so muB doch
der Begriffsinhalt mit der Essenz zusammenfallen. Denn ware das Gedachte
nicht das b^ffliche Wesen des Gegenstandes, so konnte ja dieser
von jenem Denken in gar keiner Weise erreicht werden. Diese Lucke
empfindet denn auch Aristoteles, und er sucht sie durch einen kuhnen
Sprung zu schlieBen. Er behauptet namlich, es sei dieselbe Form,
welche die Materie zu einem bestimmten G^enstand und das Denken zu
dem bestimmten Gedanken an diesen G^[enstand mache; denn abgesehen
von der Materie sei uberhaupt das Denken und das Gedachte dasselbe^),
und bei materiellen Objekten finde sich, zwar nicht der Gegenstand selbst,
aber doch seine Form in der Seele^). Hieran ist nun — wie wir schon
sahen — so vie! richtig, daB gewiB die Essenz eines Gegenstandes in einem
bestimmten Verhaltnisse zu seiner Substanz stehen muB; denn durch was
fur B^ffe ein Objekt sich auffassen laBt, dies hangt davon ab, was fiir
ein Objekt es ist 3). Allein ebenso gewiB kann die Essenz nicht einfach
mit der Substanz zusammenfallen, da ein Gegenstand nur Eine Substanz
haben, jedoch durch sehr verschiedene Begriffe aufgefaBt werden kann. Und
damit sind wir wieder angelangt bei dem unheilbaren Grundfehler des
Aristotelischen Realismus, bei seiner Gleichseizung des X6yo<; mit dem sl8o<; :
dner Gleichseizung, welche den metaphysischen Charakter der Platonischen
Lehre in keiner Weise uberwindet, ihre logische Brauchbarkeit dagegen
v511ig und unwiederbrin^ich vemichtet
Jene Umgestaltung der Platonischen Ideenlehre, der sich die Aristotelische
Konzeption der „tat]gen Vemunft" zum mindesten nahert, ist von Plotin
vollzogen worden. Auch gibt es hier keine Unklarheiteni Der Realismus
bleibt substantidl , wird jedoch monadologisch : die Ideen bleiben von
den empirischen G^enstanden „geb-ennt*', werden aber zu sich selbst
denkenden Gedanken, und als solche zu der Einheit der Einen gottlichen
^Vemunft** zusammengeschlossen. Diese Vemunft ist indes ein rein logi-
sches BewuBtsein, das jedes seiner Momente — jede einzelne Idee — nur
ximfaBt „wie die Gattung die Art"*). Da nun in dieser rein logischen
Sphare ein Unterschied zwischen Denkakt und Denkinhalt nicht besteht,
mithin das Denkende und das Gedachte identisch sind^), so ist „die ganze
») De an. III. 4. p. 430a 3; III. 5, p. 430a 19: III. 7. p. 431a 1. ^ Ibid. III. 8,
p. 431 b 29. 3) Nach unserer Auffassung besteht freilicn dieses Verhaltnis nicht
eigentlich zwischen Essenz und Substanz „des Gegenstandes", sondem zwischen der
£ssenz der „Sache" und der Substanz Jener „Ta&ache", welche durch jene Essenz
als eine bestimmte „Sache" aufgefaBt wird. *) Enn. V. 9. 6. ») Enn. V. 3. 5; V.
9. 5; VI. 6. 6. '
158 NOOLOQIE
Vemunft der Inb^ff alter Ideen, und jede Idee eine besondere Ver-
nunft" >).
Die drei groBen Systeme des Platonismus, Aristotdismus und Plotinismus
sind das Kapital, von dem, wie die Philosophie uberhaupt, so audi der
Realismus im Mittdalter gezehrt hat Unter ihnen dominiert jedodi der
Aristotelismus nicht nur kraft auBerer Autoritlt, sondem auch infolge dner
inneren Wahlverwandischaft Es ist namlich dieses vidlddit das Merk-
wurdigste an der ganzen Scholastik, daB hier ein seinem Prinzip nach
durchaus metaphysisches und zugleich von logischen Interessen vor allem
beherrschtes Denken sich doch vollkommen unfahig erweist zu dner kon-
sequenten metaphysischen Behandlung des Logischen, vielmehr sidi inuner-
fort damit abqualt, dasselbe teils als etwas Psydiisches, tdls als etwas
Physisdies — oder dodi als metaphysischen Trager von Physischem — zu
begreifen. Seit Al Farabi ^ und Avicenna 3) ward namlich das ^Allgemdne^
unterschieden in ein solches „vor den Individuen'S „in den Individuen**
und „nach den Individuen'^ (Universale ante rem, in re, post rem). Damit
wird jedoch das einzig wahre Allgemeine, das „neben den Individuen**
(praeter rem), vemichtd. Denn was sind jene drd Universalien? Das
Universale post rem ist die menschliche Allgemdnhdtsauffossung, der Be-
griff 3\s subjektiver Gedanke, als Denkakt: mithin dn psychischer Zustand.
D^ Universale in re ist das Aristotdische bISo<;, die gemeinsame „Fonn''
der ahnlichen Individuen, wie Albertus Magnus «) ausdriicklich bemerkt:
demnach — soweit es sich um physische Individuen handdt — selbst dn
Teil des physischen Objekts. Das Universale ante rem endlich ist der typischc^
musterbildliche und schopferische Gedanke, in wdchem Gott die betreffdide
Art Oder Gattung denkt: folglich abermals ein psychischer Zustand. Frd-
lich bot die neuplatonische Konzeption der yo5(; zu dieser letzten Auffossung
AnlaB und Handhabe. Allein indem man aus dem logischen BewuBtsdn
der „Vemunft^' das psychologische BewuBtsdn des persdnlidien Gottes
machte, beseitigte man gerade das Wesentliche des Realismus: die sdbstandige,
von alien Geistem und Korpem unabhangige Subsistenz der noetischen
G^enstande. Welche Grunde mag nun diese Unfahigkdt des Mittdalters
zu einem folgerechten Realismus gehabt haben? Zum Tdl hat hiezu die
auf Platon selbst zuruckgehende und im B^[riff des Universale fixieile
Verwechslung von Begriff und Typus beigetragen. Als Universalien namlich
gelten vor allem Gattung und Art {genus und spedes). Diese definierte
man nun mit Porphyrios ^) als dasjenige, was von zahlrdchen, voneinander
spezifisch resp. numerisch verschiedenen Individuen ausgesagt wird. Das hdBt,
man ddinierte sie als Gattungs- und Artbegriffe; denn dnen Typus
kann niemand von Individuen pradizieren. Allein die Nam en der Oattungen
und Arten — Mensch, Tier usw. — schienen doch unzweideutig auf dnzdne,
im besten Fall typische Individuen hinzuweisen. Solange dieser Schdn nicht
>) Enn. V. 9. 8. 2) Prantl II, S. 306, Anm. 25. ») Prantl II, S. 340, Anm. 185.
«) Prantl III, S. 96, Anm. 385. ^) Isagog. p. 1 a 33 ff. (Brandis).
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 150
durch eine hochentwickelte Lehre von der Supposition gehoben war,
machte sich daher immer wieder die Neigung geltend, das Universale als
physisches Objekt, im besten Falle als einen Typus wie „der Mensch'S
„das Tier'' etc aufzufassen. Solche physische, und sei es auch typische
Individuen neb en den einzelnen Individuen anzuerkennen, kann sich aber
natjirlich kaum jemand entschlieBen. Denn auch der Typus existiert ja nicht
neben all den Einzdindividuen, deren zusammenfei^nde Auffassung er
darstdlt All dies ist indes doch nicht dem Mittelalter eigentumlich, und
man wird deshalb fur seine charakteristische Stellung zum Realismus wohl
nach einem anderen und tieferen Grunde suchen durfen. Einen solchen
glaube ich in dem Satze aussprechen zu konnen, daB in jenen Jahrhunderten
das logische Interesse, so stark es war, doch von dem theologischen er-
driickt worden ist Nicht an ii^gendein bestimmtes Dogma ist hiebei zu
denken, sondem an den allgemeinen Dualismus von Geist und Fleisch,
Qott und Wdt Dieser Dualismus, so meine ich, beherrschte das BewuBt-
sdn gerade der Denker mit solcher AusschlieBlichkeit, daB fQr eine rein
logische, jenem G^[ensatz g^enfiber indifferente Sphare uberhaupt kein
Raum blid). Die platonischen Ideen sind nicht Seele und nicht Leib, nicht
Sdidpfer und nicht Geschopf. Sie gdten fur die Verdammten wie fiir die
Sdigen: der x6i:o<; &^6poopdiviO(; ist Jenseits von Himmd und H511e''.
Das bedeutet indes fur den mittdalterlichen Menschen, daB die Ideen uber-
haupt nichts sind. So wenigstens suche ich mir die merkwurdige Tatsache
zu erklaren, daB sdbst die dem Realismus am allemachsten stehenden
scholastischen Denker sich mit der Platonischen Ideenlehre in ihrer wahren
Qcstalt keinesw^;s befreunden k5nnen, ja dieselbe uberhaupt nicht ver-
stehen, vidmehr sie durch Umdeutungen retten zu mussen glauben. So
stdlt z. B. WiLHELM VON AuvERQNE >) — offenbar im AnschluB an eine
uns aus § 49. 6 bekannte Stelle des Auqustinus — das Intelligible dem
Denken ganz ebenso als objektiven Inhalt g^enflber wie das Sensible der
Wahmehmung, meint jedoch trotzdem Platon nur durch die Behauptung
rehabilitieren zu konnen, dieser habe die Ideen im Geiste des Schopfers
existieren lassen. Ja Franciscus de Mavronis wirft sogar dem Aristo-
TEi.ES vor2), er habe aus Neid die Platonische Ideenlehre entstellt und sie
so wiederg^eben, als seien die Ideen „in der Luft schwebende monstrose
Einzdwesen'* (monstra in aire subsistentia singularia). Und doch scheint
gerade dieser Scholastiker einem wahren Realismus viel naher gekommen
zu sein als alle seine Zeitgenossen. Denn er betont, und zwar nicht nur
von den Universalien 3), sondem auch von dem Satze des Widerspruches *),
dafi sie weder in der Seele noch in den Dingen ihr Sein haben, und ftigt
hinzu, daB diese ewigen Prinzipien zwar auch vom gdttlichen Geiste ge-
dacht wurden, daB jedoch nicht hierin ihr Wesen bestehen kdnne, da sie
doch nicht n u r im Geiste Gottes sich fanden. Damit treten die noetischen
>) Prantl III, S. 76, Anm. 282—284. ^) Prantl III, S. 284, Anm. 501 u. 502.
9) Prantx III, S. 285, Anm. 504. «) Prantl III, S. ^, Anm. 523 u. 524.
160 NOOLOOIE
Gegenstande nunmehr audi dem gottlichen BewuBtsein wieder g e gen-
ii ber, und so wird hier der Weg gewiesen, auf dem das Logische aus
diesem theologischen Psychologistnus sich befreien kann.
Leibniz ist auf diesem W^^e fortgeschritten, indem er die „ewigen
Wahrheiten*', somit g^^standlich aufgefaBte Sitze, Gott fdrmlich als
ein anderes und ubergeordnetes Prinzip entg^enstellt Freilich sagt er dies
nicht mit durren Worten: diesen zufolge wiirden vielmehr die ewigen Wahr-
heiten Realitat nur durch ihr Begriinddsein im gdttlichen Gdste besitzen i).
Allein nicht nur billigt er die Behauptung, die Herrschaft des gottlichen
Willens erstrecke sich bloB auf das Sein oder Nichtsein der Dinge, kdnes-
w^;s dagegen auf ihre essentiellen Eigenschaften 2), sondem sdne ganze
^Theodicee^ konzentriert sich In dem Versuche, nachzuwdsen, das UAd
gehe nicht auf Gott, sondern auf die ewigen Wahrhdten zuriick; Gott
habe die beste aller jener Wdten geschaffen, die unter Voraussetzung
der ewigen Wahrheiten uberhaupt geschaffen werden konnten; kurz die
ewigen Wahrheiten hatten Gott an der Erschaffung einer von jedem Ud)el
freien Welt gehindert Schon Bayle hat diese Lehre dahin charakterisiert,
die ewigen Wahrheiten stdhen eine Art Fatum dar, dem Gott unterworfen
sei 3) ; J. St. Mill hat sie keinesw^;s unzutreffend als ,,Manichaismus'^ be-
zeichnet^), und ahnlich hat sich audi Lotze gefiuBert^ Jedenfalls also
haben wir es hier mit einem zwar verhullten, dafiir indes um so radikaleren
substantidlen Realismus zu tun, der freilich, durch die Fessdn des Dogmas
gebunden, eine folgenreiche Wirksamkeit nicht zu entfalten vermochte.
Im 19. Jahrhundert endlich hat der Realismus in die Bahnen Plotins
zuriicl^enkt Denn im Grunde ist weder die „Idee^ bd Heqel noch
das ^Logische*' bd Ed. v. Hartmann von dem neuplatonischen Node
wesentlich verschieden. In alien drei Fallen wird ein rdn logisches Be-
wuBtsdn als der wahrhaft reale Kern der Wdt behachtet, und dabd be-
deutd es eher einen Fortschritt als dnen Ruckschritt, wenn Ed. v. Hart-
mann dieses BewuBtsein vidmehr als ein UnbewuBtsein erklart, da ja in
der Tat die dem Realismus notwendige Abstraktion vom Psychologischen
sich nie vollstSndig durchfQhren laBt, solange die „Vemunft" als ein ,,be-
wuBtes BewuBtsein*^ angesehen wird. Namentlich bd Heqel findd dieser
Realismus sdnen radikalsten Ausdruck: es gibt in Wahrheit gar nidits
anderes als einen sich selbst denkenden Gedankengang; und was es auBer-
dem etwa noch zu geben scheint, das scheint es eben nur deshalb zu geben,
weil dieser Schein sdbst in jenem Urgedankengange sich findet „Der Be-
griff ist . . das wahrhaft Erste, und die Dinge sind das, was sie sind, durch
die Tatigkeit des ihnen innewohnenden und in ihnen sich offenbarenden
Begriffs''^). „Die logische Vemunft sdbst ist das Substantidle oder Redle.""
„Die rdne Wissenschaft . . . enthalt den Gedanken, insofern er eben-
») Theod. 184 (WW. VI, S. 226). ^ Ibid. 183 (WW. VI, S. 224 f J. ») Ibid. 190
rWW. VI, S. 229). *) Exam. S. 526. *) Mikr. Ill, S. 582ff. •) Enz. I. § 163, Zus. 2
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 161
sosehr die Sache an sich selbst ist, oder die Sache an sich
selbst, tnsofera sieebensosehr der reine Gedanke ist . . . . Dieses
objektive Denken ist denn der In halt der reinen Wissenschaft .... Die
Logik ist sonach als das System der reinen Vemunft, als das Reich des
reinen Qedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit, wie
sie ohne Hdlle an und fur sich selbst ist Man kann sich des-
wq[en ausdrficken, daB dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie
er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur
und einesendlichen Geistes ist''^). „Der SchluB ist . .derwesent-
licbeQrund allesWahren; und die Definition desAbsoluten
ist nunmdir, dafi es der SchluB ist, oder als Satz diese Bestimmung aii»-
gesprochen: Alles ist ein SchluB^^^
Nd)en diesem Hauptstrange der reallstischen Entwickdung geht dne
tdiliditere und anspruchslosere Form derselben Denkwdse dnher, die —
mdir von logischen und weniger von rdigidsen Antrid)en beherrscht —
mit der Anerkennung der noetischen G^^stande keine ontologische Hdher-
wertung dersdben verbindet Mit dieser Aufhssung stefat im Altertume die
Sloa so ziemlich alldn. Wir erinnem uns ja aus § 47. 9, wie scharf sie
den Aussagdnhalt, das Xextdv, von den anderen Elementen der Aussage
getrennt hat: der Sinn dues Satzes z. B., so hdrten wir, fiUlt ihr d)enso-
wenig zusammen mit den sedischen Zustanden, in denen er gedacht wird,
wie mit den Objekten, von denen er handdt, und mit den Lauten, die ihn
msdrflcken; vidmdir seien diese drd Elemente simtlich kdrperlich, das
Xmtdv dag^ren unk5rperiich. Diese Unkdrperiichkeit t>edeutd jedoch fOr
den stoischen Materialismus zugleich Irrealitit; denn nur der Kdrper ist 3),
Sind indes die Xsxtd nicht — und dies lehrt die Stoa in der Tat«) — ^
so mOdite man glauben, daB hier von „Realismus<^ kdne Rede sdn kdnne.
Dodi dies hieBe den Gdst der stoischen Lehre verkennen. Denn wenn
dks Xsxtdv auch kdn „Seiendes'' (Sv) ist, so ist es doch dn „Etwas^
(iQ^ da das „Etwas" dn allgemdnerer Begriff ist als das „Sdende^ und
midtk von Unk5rperlichem ausgesagt werden kann 6). Und zwar stdit das
bloSe f^iwas** uns geradeso als etwas AeuBeres g^endber wie das „Seiende^.
Eft kann freilich nicht als Subjekt auf uns einwirken wie ein physischer
Ocgenstand; allein es kann doch Objekt unserer eigenen Tatigkdt sdn.
Denn „so wie der Turn- oder Fechtlehrer einmal das Kind bei der Mand
irimmt und ihm so den Rhythmus und gewisse Bewegungen beibringt, dn
anderes Mai aber sich welt von ihm w^;stellt und, indem er sich selbst in
cinem gewissen Rhythmus bewegt, sich jenem zur Nachahmung darbidet,
io machen auch von den Denkobjekten (favtootdi) einige auf die Sede
einen Eindruck, indem sie sie gewissermaBen betasten und beruhren, z. B.
das WeiBe, das Schwarze und uberhaupt die Kdrper, andere dagegen haben
cine solche Beschaffenhdt, daB die Sede zwar an sie denkt, jedoch nicht
«) Log. (WW. ill, S. 33ff). s) Enz. 1. § 181 (WW. VL S. 345). ») Fig. 329
<ARN1M II). *) Frg. 335. «) Frg. 331. «) Figg. 329, 332, 333, 334.
Oomperz, WeHinirtminngriehre U 1 11
162 NOOLOGIE
von ihnen zutn Denken gebracht wird (too i^fsiJLovixoo hc^ a6tolc tpavzaaiao^jbfo^
xal o&x' ^^ abz&y), und zu diesen gehoren die unkdrperiidien Xfixtd^i).
Besonders aus diesem Gleichnis sdieint tnir mit volliger Deutlidikdt hervor-
zugehen, daB das ,Jvlichtsein<' der Aussageinhalte itn Sinne der Stoa ihre
transcendente Gegenstandlichkeit, und damit ihre realistische Aufbssung,
durchaus nicht ansschlieBt
Auch ist ja eben dieser Standpunkt von ganz anderen Denkern — und
zwar wohl sicherlich ohne jede Kenntnis dieser stoischen Lehre — ebenfalls
vertreten worden. So z. B. gibt Chr. Wolff ^ eine ausffihriiche Er-
klarung des Ens universaley das er durch die Adinlichkeit der Individuen
b^jundet sein lIBt und in Spedes und Genus einteili, um dann mit der
Erklarung zu schlieBen : ^^ns universale existere nequif — einer Erklarung,
von der ich nun freilich nicht weiB, wie sie sich mit Wolffs eigener
Definition 3) ^JEns dicUur, quod existere potest** soil zusammenrdmen lassen.
Vor allem jedoch ist es Bolzano, der sich ganz sdbstandig dem stoischen
Standpunkte wieder angenahert hat Seine Lehre von den Vorstdlungen,
Satzen und Wahrheiten ,^ sich" ist so entschieden realistisch, als dies nur
tiberhaupt moglich ist Um das ganzlich auBer Zweifd zu stellen, wieder-
hole ich zunachst dnige seiner schon in § 47. 9 angeftihrten AeuBerungen.
Da heiBt es^): „Dasjenige nun . . ^ was man sich unter einem Satze denkt,
wenn man noch fragen kann, ob ihn auch jemand . . . gedacht oder nicht
gedacht habe, ist eben das, was ich einen Satz an sich nenne . . . . M. a. W.
also: unter einem Satz an sich verstehe ich nur ii^gendeine Aussage, daB
etwas ist oder nicht ist, gleichviel . . . ob sie von iif^end jemand . . .
auch im Geiste nur gedacht oder nicht gedacht worden ist'' Der Satz ist
daher nicht „etwas Gesetztes, wdches mithin das Dasein dnes Wesens, durch
wdches es gesetzt worden ist, voraussetzen wflrde". Trotz alledem nun
behauptet Bolzano mit ebendersdben Entschiedenheit, daB Vorstdlungen,
Satze und Wahrheiten „an sich" — nicht „existieren". So sagt er z. B.s):
Man darf „Satzen an sich kein Dasein (kdne Existenz oder Wirklidikdt)
beil^en. Nur der gedachte oder behauptete Satz, d. h. nur der Qedanke
an einen Satz, ingleichen das einen Satz enthaltende Urteil, hat Dasdn in
dem Gemute" des Denkenden ; „allein der Satz an sich, der den Inhalt des
Gedankens oder Urteils ausmacht, ist nichts Existierendes ; dergestalt, daB
es ebenso ungereimt ware, zu sagen, ein Satz habe ewiges Dasein, als er
sei in einem gewissen Augenblicke entstanden und habe in einem andem
wieder aufgehort". Ebenso heiBt es von den Wahrheiten an sich 6): „Sie
haben kein wirkliches Dasein, d. h. sie sind nichts solches, das an irgend-
einem Orte oder zu irgendeiner Zdt oder auf sonst eine Art als ehvas
Wirkliches bestunde." Und endlich von den „Vorstdlungen", d. h. Begriffen^:
„Die subjektive Vorstellung ist . . etwas Wirkliches; sie hat zu der be-
^ ») Frg. 85. 2\ ontolog. S§ 225-235. 3) ibid. § 134. *) Wiss. L § 19 (I, S. 761!.),
3 Ibid. I 19 (I, S. 78). ^ Ibid. § 25 (I. S. 112); vgl. auch § 1* (11, S. 3281
i ibid. I 48 (I, S. 217); vgl. auch^'i 54 (f, S. 23^ ^ I » ^. ^^
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 163
stimmten Zeit, zu der sie vorgestellt wird, in detn Subjekt . . . ein wirkliches
Dasein . . . Nicht also die . . . objektive oder Vorstellung an sich ....
Diese . . bedarf keines Subjektes, von dem sie vorgestellt werde, sondem
besteht — zwar nicht als etwas Seiendes, aber doch als ein gewisses Etwas,
auch wenn kein einziges denkendes Wesen sie auffassen sollte, und sie wird
dadurch, daB 1, 2, 3 oder mehre Wesen sie denken, nicht vervielfacht, wie
die ihr zugehorige subjektive Vorstellung nun mehrfach vorhanden ist^' Man
sieht: fur Bolzano haben die noedschen Gegenstande keine Existenz, weil
er Existenz durch zeitliche und drtliche Bestimmtheit definiert Definiert
jemand in derselben Weise die RealUdt, so werden ihm die noetischen
G^[enstande zwar sein, jedoch keine Realitit haben. Dies ist der Stand-
punkt von Husserl i). Fiir ihn sind die ^Igemeinen G^enstande'S die
Universalien, „ideale G^enstande'^ Denn „innerhalb der begrifflichen Einheit
des Seienden" bestehe „ein fundamentaler . . Unterschied . . . zwischen
idealem Sein und realem Sein"; und ,^ls charakteristisches Merkmal der
Realitat genugt uns die Zeitlichkeif'. Die Universalien nun y,existieren wahr-
haft". Allein sie haben keine zeitliche Bestimmtheit an sich. Folglich be-
sitzen sie nicht Realitat, sondem Idealitat^. Ob es zweckmaBig ist,
die Realitat durch die Zeitlichkeit zu definieren, kann hier dahingestdlt
bleiben. Fiir richtig halten wir es jedenfalls, dem Intelligiblen nicht alles
„Sein^ abzusprechen ; und eine Formulierung, welche dem Logischen und
dem Physischen nur qualitativ und nicht auch intensiv verschiedene Arten
des „Seins'< zuteilt, wird dann dem Realismus nur zum Vorteile gereichen.
Allein daB es sich hiebei doch eben nur um eine Formulierung des Realis-
mus handelt, scheint mir unzweifelhaft Husserl zwar sieht auf „die MiB-
deutungen des platonisierenden Realismus ... als langst erledigf' herab.
Mit welchem Recht? Sind denn die Platonischen Ideen rml im Sinne
HussERLs? Zeitlichkeit ist doch gewiB nicht ein Merkmal, das sie aus-
zeichnet Vielmehr stimmt Husserl mit Platon in der Hauptsache durch-
aus iiberein: die Universalien haben dn „wahrhaftes<< Sein, jedoch ein von
dem der Korper wie der Seelen verschiedenes ; und mit keinem Worte wird
angedeutet, es mochte dieses „wahrhafte" Sein nur ein Sein fur das Subjekt
bedeuten. Im G^enteil: Husserl sagt z. B. von „der Zahl Funf<S sie sei
„ohne Widerspruch nicht als Teil oder Seite des psychischen Erleb-
nisses . . . zu fassen'^; vielmehr sei sie eine „ideale Species . . . ohne
jeden Anteil . . an der individudlen Einzdheit des Realen mit seiner Zeit-
lichkeit und Verganglichkeit Die Zahlungsakte entstehen und vergehen; in
Beziehung auf die Zahlen ist von dergleichen sinnvoll nicht zu sprechen" 3).
So lebendig wandelt der immer wieder totgesagte Platonismus noch unter
uns. Wir haben jetzt zu fragen, ob er das Bedeutungsproblem vielleicht
in der Tat aufzulosen vermag.
>) Log. Unterss. II, S. 122 ff. ^ Der Klage Jerusalems (Idealismus S. 119), dafi
Husserl den Beeriff „ldealitaf ' nirgends d^niere, vermag ich nach dem Qesagten
nicht beizutreten. 3) (bid. 1, S. 170 f.
164 NOOLOOIE
7) Unsere Erste semasiologische Hauptfrage lautete: als was stellt
sich der Aussagdnhalt demBewuBtsein dar? Indem der Realis-
mus den Aussageinhalt fQr eine auBerempirische Wesenhdt erklart, er-
teilt er auf diese Frage keine unmittelbare Antwoil Alldn mittelbar
bestimmt er doch die Grenzen, innerhalb deren eine solche Antwort
sich bewegen muB. Und zwar in doppelter Hinsicht Einerseits namlich
kann der subjektive Denkakt, welcher den objektiven Denkinhalt erfafit,
wenn dieser Denkinhalt ein transcendenter noStischer Oegenstand ist,
keine Vorstellung sein; denn wahrgenommen und phantasiert warden
kdnnen nur immanente Inhalte SuBerer oder innerer Erfahrung. Jener
Denkakt muB daher begriffen werden als dne von den Aussagevor-
stellungen verschiedene, spezifisch logische Funktion — dne Funktion,
die ja nun an und fur sich ebensowohl dn spezifisch logisches Oef uhl
wieeine spezifisch logische Verstandestitigkeit sdn kdnnte, tats3ch-
lich jedoch natQrlich in der weitaus uberwiegenden Anzahl der Falle in
der letzteren Wdse gedeutet wird. Anderersdts kann sich das denkende
Individuum, wenn es einen transcendenten noetischen Gegenstand er-
fassen soil, diesem gegenOber offenbar nur rezeptiv verhalten: derzu
erfassende Begriff, Satz, Beweis etc steht ihm ja als dn yO^ebenes'
gegenOber, das aufzunehmen, nicht etwa zu erzeugen ist — mdgen audi
noch so vide IchauBerungen erforderlich sdn, um dieses Aufnehmen
vorzubereiten. Man sieht, daB sich auf diese Wdse fQr den Realismus
notwendig eine h5chst merkwQrdige, und zwar dne widerspruchsvolle
Auffassung des subjektiven Denkens ergibt: es soil auf der Einen
Sdte dne Verstandestitigkeit oder doch jedenfalls dne IchSuBerung
sein, und soil doch auf der anderen Sdte als dn Aufnehmen, somit
als ein Leiden, sich darstellen. Es wird mithin gefordert der BegriS
einer passiven Spontaneitat, eines rezeptiven Intellekts oder — wie man
dies wohl nennen kann — einer intellektualen Anschauung.
Man mdchte diesen Knoten auflosen. Allein das Moment der Re-
zeptivitat l3Bt sich auf keine Wdse eliminieren: besteht das Oedachte
an und fiir sich, unabhangig von seinem Oedachtwerden, dann kann
das Denken sicherlich kein Erzeugen sein, es muB in dem Aufnehmen
des Denkinhaltes sich erschopfen. Ebensowenig liRt sich indes das
Moment der Spontandtat ausschalten: der Sinn des pythagordschen
Lehrsatzes ist mir nicht ^gegeben""; er verschwindet, sobald ich auf-
hSre, ihn in mir zu erzeugen. In der Tat hat die groBe Mehrhdt der
Realisten an diesen beiden Postulaten audi auf Kosten der syste-
matischen Folgerichtigkeit festgehalten. Obwohl nach ihrer dgenen
Lehre das Gedachte nicht zu produzieren, sondem nur zu rezipieren
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNQSPROBLEMS 165
war, haben sie dennoch das Denken als Verstandestitigkeit aufgefaBt
Das hdBt: sie waren zwar in Bezug auf das Gedachte Meta-
physiker, in Bezug auf das Denken dagegen Kritizisten. Indieser
zwiespaltigen Haltung li^ indes das Eingestindnis beschlossen, daB
der Realismus die Erste semasiologische Hauptfrage nicht ohne Wider-
spnich zu beantworten vermag.
Ebensowenig wie auf die Erste kann der Realismus auf die Dritte
Hauptfrage eine befriedigende Antwort erteilen: auf die Frage nach
dem Wesen der Auffassungsbeziehung und der Relation intelli-
gibler Teile. Wenn der Aussageinhalt und die Aussagegrundlage
als zwei voneinander durchaus verschiedene und einer niheren Analyse
unfShige Realitaten nebeneinander stehen, kann auch ihr Verhiltnis
nur als ein rein iuBerliches b^ffen werden. Man kann sich dann
in allgemeinen Redewendungen ergehen, kann objektivistisch sagen,
daB die Aussag^rundlage „teilhabe'' an dem Aussageinhalt, oder
auch subjektivistisch, daB sie auf ihn „bezogen werde**. Allein die
Natur der fraglichen Relation wird hiedurch nicht bestimmt. Insbe-
sondre der Frage, wann und wie Eine Aussag^rundlage durch mehrere
Aussageinhalte aufgefaBt werden kdnne, steht die realistische Ansicht
ratios gegenuber. Worauf beruht es z. B., daB der Gegenstand „Dom
von Pisa'' an den Begriffsinhalten „0eb3ude'' und ^Kunstwerk**, da-
gegen nicht an den Begriffsinhalten ^FnCissigkeit'' und ,,Naturprodukt*
,,teilhaben'', auf jene und nicht auf diese „bezogen werden** kann?
Wird man erwidem, eine Aussagegrundlage konne sich nur durch
solche Aussageinhalte auffassen lassen, denen sie Shnlich sei? Da-
von abgesehen, daB die Aehnlichkeit zwischen einem physischen
Objekt und einem logischen Begriff jedenfalls von einer sehr eigen-
tQmlichen Art sein mflBte, wQrde man doch auch mit dieser Antwort
sich nur im Kreise drehen. lienn in dem angefOhrten Falle z. B. kdnnte
die Aehnlichkeit offenbar nicht auf einer Gleichheit reeller Teile be-
ruhen : gleicht doch gewiB nicht Ein vorstellungsmaBig trennbarer Teil
des Domes von Pisa dem Begriffsinhalt „Gebaude**, ein anderer dem
Begriff sinhalt „Kunstwerk**. Beruft man sich aber auf eine Gleichheit
intelligibler Teile, so ist ja eben dieses das aufzulosende Problem, das
daher bei dieser angeblichen Losung erst recht ungelost zuruckbleibt
Solange jedoch das Wesen der Auffassung nicht ermittelt ist, kann
auch nicht angegeben werden, was der Sachverhalt ist, d. h. die durch
den Aussageinhalt aufgefafite Aussagegrundlage. Vielmehr bleibt fOr
tlen Realismus das „Teilhaben** der Tatsachen an den Aussageinhalteni
und ebenso das ^Beziehen** der ersteren auf die letzteren, eine ganz
166 NOOLOGIE
unverstandliche Verbindung des Physischen mit dem Logischen. Audi
von einer AufklSrung der Oegenstindlichkeit der Sachverhalte kann
demnach unter diesen Umstinden schlechterdings nicht die Rede sda
Hieraus folgt auch schon, daB der Realismus der Vierten Haupt-
frage gegenOber ohnmachtig ist Er soil hier angeben, inwiefem die
Aussage den Sachverhalt bedeutet^ also vertritt oder reprasentiert Allein
solange wir nicht wissen, was der Sachverhalt ist, mithin dasjenige,
was die Aussage bedeutet^ solange kdnnen wir natOrlich auch von dem
Wesen dieser Bedeutimgsbeziehung keinerlei Rechenschaft geben.
Indes, mag die realistische Ansicht an diesen Punkten versagen,
Idst sie wenigstens jenes Problem, aus dessen ErwSgung sie ganz
eigentlich hervorgewachsen scheint? Vermag sie zu erkliren, was wir
unter der Oegenstandlichkeit der Aussagen verstehen? Kdnesw^!
Denn nie laBt sich durch eine auBerempirische Tatsache eine empirische
Erscheinung erklaren. Was f^lt denn von der Aussage, deren Ob-
jektivitat die Logik voraussetzt, in unsere Erfahrung? Nach den
realistischen Voraussetzungen offenbar nichts anderes, als dnersats
die Vorstellung der Aussagelaute, andererseits jene spezifisch logische
Verstandesfunktion — jene „intdlektuale Anschauung'' — , durch die
wir den objektiven Aussageinhalt erfassen. Reden wir daher trotz der
Mehrheit und dem Wechsel der Aussagdaute von der Einhdt und
Beharrlichkeit der Aussage, so miissen wir damit notwendig etwas
meinen, was sich uns in den uns allein zuganglichen Elementen der
Aussage darstdlt, somit in den Aussagevorstellungen und in jener
logischen Verstandesfunktion. Folglich nutzt uns dazu, den Sinn jener
Rede aufzuklaren, die Annahme schlechterdings gar nichts, es bestehe
auBerhalb unserer Erfahrung eine dnheitliche und beharrliche Aussage
„an sich''. Das Dilemma des § 12. 15 findet eben auch hier analoge
Anwendung. Entweder unser Wissen um die Oegenstandlichkdt der
Aussage wird hinreichend begriindet durch die Art und Wdse, wie
wir die empirischen Aussageelemente erleben; dann ist die Annahme
uberfliissig, es gebe uberdies auBerhalb unserer Erfahrung dnen
noetischen Oegenstand. Oder dieses Wissen wird auf seiche Art
nicht hinreichend begnindet; dann wissen wir uberhaupt nichts von
der Oegenstandlichkeit der Aussage, und dann haben wir erst recht
keinerlei Orund, das Vorhandensein eines auBerempirischen noetischen
Oegenstandes anzunehmen. Auf jeden Fall schdtert deshalb der Realis-
mus, auch sofern er nur als Antwort auf die Zweite semasiologische
Hauptfrage betrachtet wird, an dem metaphysischen Orund-
widerspruch.
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 167
8) Es mag hier genfigen, an der Platonischen Ideenlehre, als an dem aus-
gefuhrtesten realistischen System der Philosophiegeschichte, unsere Kritik zu
bewahren. In drei Punkten hat diese Kritik sich konzentriert: die auBer-
empirische Idee erfordert als ihr empirisches Korrdat ein rezeptives Denken ;
ihr Verhaltnis zum empirischen O^enstand kann nur durch vage Schlag-
worte umschrieben, jedoch nicht in befriedigender Weise erklart werden;
und vor allem: die auBerempirische Idee kdnnte, auch wenn sie existierte,
unser empirisches Wissen um die O^enstandlichkeit der Aussagen nicht
verstandh'ch machen. Das erste nun haben wir schon fruher einmal dar-
getan (§ 32. 5). Wir haben dort gesehen, wie fur Platon die Erkenntnis
der Idee zu einer ubersinnlichen Wahmehmung wird, und vne seine Lehre
von der iyd^Yqau; die unleugbare Spontaneitat des Denkens vdllig vemichtet
Fur die beiden anderen Punkte kdnnen wir uns — auf Platon selbst be-
rufen. Denn sein unersch5pflicher philosophischer Genius hat den Realis-
mus nicht nur zuerst begriindet, sondem auch zuerst widerl^ Diese
Widerl^^ng steht in dem Oesprache ^Parmenides'', und vnr heben hier
aus ihr das Folgende hervor. Die „Teilnahme" ([urdXTj^pic) oder „TeiIhabe"
((li^ic) der empirischen O^enstande an den Ideen wird einer eingehenden
Kritik unterworfen 1), die zu einem durchaus ntgstiven Resultate fiihrt: „Auf
welche Weise — heifit es^ — sollen an den Ideen die anderen Dinge
teilnehmen, wenn sie doch weder teilweise noch zur Ganze an ihnen teil-
nehmen konnen?' Insbesondere „konnen die anderen Dinge nicht durch
Aehnlichkeit an den Ideen teilnehmen, sondem man muB einen anderen
Begriff suchen, durch den sie teilnehmen'^ 3). Die „gr5Bte^ der Einwendungen
jedoch ist diese 4): wenn die Ideen auch existierten, so k5nnten wir sie
nicht erkennen ; und wer sie erkennte, der wurde damit von den empirischen
G^enstanden kein Wissen gewinnen. Denn die Idee besteht ,^ und fur
sich" (a^dj xa*' a&rijv), daher nicht „in uns" (h T^jitv). Allein das „in uns"
und das ,^ und fur sich" (das Empirische und das AuBerempirische) sind
getrennte Spharen, und auch jedes Wissen kann nur in Eine derselbei ge-
hdren. Die Ideen konnten daher nur erkannt werden durch ein „Wissen
an sich" (8 Igtiv liciG'nf)|i.7]). Matte nun ein Gott dieses Wissen, so wurde
er doch damit nicht die Oegenstande „bei uns" erkennen !^. Wir dagegpi
haben dieses „Wissen an sich" jedenfalls nicht und kdnnen daher die Ideen
auf keinen Fall erkennen 6). Das heiBt: wir haben nur ein empirisches
Wissen; ein solches aber kEinn es vom AuBerempirischen niemals geben.
§ 53
Fur die Ideologie kann der Aussageinhalt, soil er uberhaupt
anerkannt werden, nur mit den die Aussage begleitenden Vorstel-
lungen zusammenfallen : sei es, daB sie zu diesem Behufe besondere
») Farm. p. ISOEff. ») Parm. p. 131 E. •) Farm. p. 133 A. *) Pami. p. 133 Bff.
9) Parm. p. 134 DE. «) Pami. p. 134 B.
168 NOOLCX}IE
allgemeine Vorstellungen annimmty sei es, daB sie mit der
individuellen Vorstellung der jeweiligen Aussag^jundlage giaubt das
Auslangen finden zu kdnnen, sei es endlich, dafi sie — weil bddes
sich als unmSglich erweist — den Aussageinhalt flberhaupt leugnet
Diesen Standpunkt bezeichnen wir als denjenigen des Nominalis-
mus, und zwar sprechen wir in dem ersten der drel unterschiedenen
Fllle von konzeptualistischem, imzweiten von gemaBigtem,
im dritten von ex t re mem Nominalismus.
Der Nominalismus ist indes nicht nur auBerstande, die Zweite,
Dritte und Vierte semasiologische Hauptfrage befriedigend zu beant-
worten, sondem, auch bloB als Antwort auf die Erste jener Haupt-
fragen — auf die er sich zunSchst zu beziehen scheint — betrachtet,
scheitert er an dem ideologischen Orundwiderspruch.
ERLAUTERUNO
1) Die Psychologie postuliert eine empirische Auffassung
des Aussageinhalts. Die Ideologie setzt voraus, eine solche Auf-
fassung sei nur mdglich, wenn der Aussageinhalt sich dem BewuBt-
sein als Vorstellung darstelle Nun wird niemand daran denken,
den Aussageinhalt mit der Vorstellung der Aussagelaute gldch-
zusetzen, d. h. den Sinn eines Wortes, Satzes usw. mit dem wahrge-
nommenen oder phantasierten Wortklange dieser Aussagen zusammen-
follen zu lassen. Es kommen mithin hier uberhaupt nur die Vorstel-
lungen der Aussagegrundlage in Betracht Durch gleiche Aus-
sageinhalte kSnnen indes sehr verschiedene Aussagegrundlagenau^efoBt
werden, und dies scheint auch die Oleichsetzung des Aussageinhalts
mit den Vorstellungen der Aussagegrundlage auszuschlieBen. Allein
hier dringt sich nun die Frage auf, ob es nicht vielleicht Vorstellungen
gibt, die zwar die Aussag^^ndlage zum Inhalt haben, dennoch aber
nicht durch jede Veranderung derselben auch selbst verandert werden.
Dies ware nSmlich offenbar dann moglich, wenn die postulierte Vor-
stellung nicht s am t lie he Momente der jeweiligen individuellen Aus-
sag^^ndlage zum Inhalt hatte, vielmehr bloB denjenigen Teil dieser
Momente, welcher alien jenen Aussagegrundlagen, die sich durch
gleiche Aussageinhalte auffassen lassen, gemeinsamist GSbe es z. B.
eine Vorstellung, welche nur die alien Menschen gemeinsamen Merk-
male enthait, jedoch weder die einem Europaer noch die einem Neger,
weder die einem Manne noch die einem Weibe, weder die einem
Riesen noch die einem Zwerge, weder die einem Kinde noch die einem
Greise besonders eigentumlichen Merkmale — dann kdnnte natiirlich
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 160
diese Vorstellung mit dem Begriffsinhalt Mensch gleichgesetzt werden,
trotzdem als O^enstSnde dieses Begriffes Europaer und N^er,
Minner und Weiber, Riesen und Zwerge, Kinder und Greise unter-
schiedslos fungieren kSnnen. Eine Vorstellung nun, welche dieser
Bedingung genOgt, z. B. die Vorstellung eines ^Menschen Qberhaupf',
wollen wir eine allgemeine Vorstellung nennen.
Die Ansicht, welche den Aussageinhalt als eine solche allgemeine
Vorstellung erldSren will, bezeichnen wir alskonzeptualistischen
Nominalismus oder auch als nominalistischen Konzep-
tualismus. In mdglichst engem AnschluB an die Tradition verstehen
wir nSmlich unter Nominalismus jede Ansicht, die das Universale
nicht anders als durch Vorstellungen im BewuBtsein repr&sentiert
sein lafit, unter Konzeptualismus jede Ansicht, der zufolge das
Universale durch besondere, zur Auffassung von Individuen nicht
taugliche psychische Funktionen aufgefaBt wird. Nach diesen Er-
klirungen gibt es dann offenbar sowohl einen nicht-konzeptualistischen
Nominalismus als auch einen nicht-nominalistischen Konzeptualismus,
Jener li^ z. B. vor, wenn der Inhalt eines allgemeinen Begriffes
gleichgesetzt wird der Vorstellung eines individuellen Gegenstandes ;
dieser, wenn er begriffen wird als eine spezifische, von alien Vor-
stellungen verschiedene Verstandestatigkeit. In unserem Falle dagegen
treffen beide Bestimmungen zusammen: die allgemeine Vorstellung ist
dnerseits eine Vorstellung, andererseits eineallgemeine, der Auf-
fassung der Universalien besonders dienende Funktion. Die Lehre,
welche mit solchen allgemeinen Vorstellungen operiert, ist daher sowohl
Nominalismus als Konzeptualismus.
Setzt man voraus, der konzeptualistische Nominalismus vermdge die
Erste semasiologische Hauptfrage befriedigend zu beantworten, so
wird man ihm auch zugestehen miissen, daB er den Rest dieser
Hauptfragen ohne besondere Schwierigkeit erledigen kann. Wird
namlich, so oft der Begriff Mensch gedacht wird, ein allgemeiner und
unindividueller ^Mensch liberhaupt'' vorgestellt, so wird es naheliegen,
diesen stets gleichen Inhalt der allgemeinen Vorstellung auch als
numerisch identisch zu denken und ihn mit den wechselnden Aus-
sagelauten Einen noetischen G^enstand bilden zu lassen. Ist femer
der Aussageinhalt eine allgemeine Vorstellung, so wird diese naturlich
in der besonderen Vorstellung jeder einzelnen Aussagegrundlage als
Teil enthalten sein. Die verschiedenen „Auffassungen'' etwa des Doms
von Pisa werden dann darin bestehen, daB aus der besonderen Vor-
stellung von diesem G^enstande bald die allgemeine Vorstellung
170 NOOLOOIE
^Kunstwerk"", bald die allgemeine Vorstellung ^OdbSude^ herausge-
hoben wird. Die Vorstellung eines individuellen Sachverhaltes wird
dann aufzufassen sein als eine Summe aus der allgemeinen Vorstellung
mehr der Vorstellung aller der einzelnen Aussag^[rundlage eigentum-
lichen Merkmale Setzt man jedoch den stets gleichen Inhalt der
allgemeinen Vorstellung auch hier als numerisch identisch, so wird
es wiederum naheliegen, ihn mit den wechselnden besonderen Merk-
malen der einzelnen Aussagegrundlagen Einen typischen O^^enstand
bilden zu lassen. Besteht endlich die Aussage aus Aussagelauten
plus allgemeiner Vorstellung, der Sachverhalt aus allgemdner Vor-
stellung plus der Vorstellung individueller Merkmale, so ist auch be-
greiflich, inwiefem jene diesen bedeuten^ d. i. vertreten oder reprSsen-
tieren kann : insoferne namlich die Aussage die gemeinsamen Merkmale
aller Sachverhalte bereits in sich enthalt Die Haltbarkeit des kon-
zeptualistischen Nominalismus hangt somit einzig und allein von der
Haltbarkeit seiner Grundannahme ab: der Orundannahme, daB es all-
gemeine Vorstellungen gibt, und daB diese das BewuBtsein des Aus-
sageinhalts darstellen.
Gibt es nun solche Vorstellungen? Darauf ist zunSchst zu er-
widem: der Wahmehmung sind gewiB immer nur bestimmte, indi-
viduelle Menschen gegeben, und nicht „Menschen im allgemeinen''.
Allein die Einbildungskraft vermag ja die Wahmehmungen zu ver-
andem : mit oder ohne unsem Willen kSnnen die perzipierten Elemente
zu neuen Komplexen sich verbinden. Es fragt sich daher: gibt es
allgemeine Phantasmen? Nun gibt es ohne Zweifel Phantasmen, die
man in gewissem Sinne so nennen kann, nSmlich einerseits durch-
schnittlicheund musterbildliche, andererseitsunbestimmte
und undeutliche Phantasmen. Ich kann mir unter einem „ Menschen
uberhaupt'' einen Menschen vorstellen, dessen Merkmale den am
haufigsten vorkommenden entsprechen oder zwischen den Extremen
in der Mitte liegen: mithin einen Menschen, der nicht zu groB und
nicht zu klein, nicht zu dick und nicht zu dOnn, nicht zu krSftig und
nicht zu schwachlich ist. Ich kann mir auch einen Menschen vor-
stellen, wie er — an irgendeinem WertmaBstabe gemessen — san
soil: dieser /tfefl/mensch wird vielleicht nicht dicker, aber wahr-
scheinlich groBer und kr^ftiger sein als der eben besprochene DoActr-
schnittsmtns^oh. Ich kann mir indes auch einen Menschen vorstellen,
wie er mir etwa aus groBer Entfemung zu erscheinen pflegt: seine
Haltung und Bewegung wird den Menschen verraten, wihrend es un-
entschieden bleibt, ob es sich um einen Mann oder urn ein Weib,
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 171
tim einen Oreis oder urn ein Kind, um einen Europaer oder urn einen
M^er handelt Endlich kann ich mir auch einen Menschen vorstellen,
wie er mir etwa nach fluchtiger und gleichgiiltiger Betrachtung im
CedSchtnis bleibt: dieser undeutUche Mensch wird in vieler Hinsicht
mehr ins einzelne ausgefQhrt und gegliedert sein als der eben be-
sprochene unbestimmte Mensch. Ich werde in der Regel anzugeben
wissen, ob er ein Europaer oder ein Neger, ein Mann oder ein Weib,
dn Kind oder ein Greis, ja meist sogar, ob er groB oder klein ist
Allein innerhalb dieses Rahmens werden grdBere oder kleinere, mehr
Oder weniger verwaschene und verschwommene Partien vorkommen.
Ich werde sehr haufig nicht einmal wissen, ob seine Nase krumm oder
stumpfy seine Haare blond oder schwarz, seine Augen blau oder braun
sind. In diesem Sinne gibt es somit allgemeine Phantasmen. Und
nicht nur gibt es solche Phantasmen, sondern oft werden sie auch
wirklich das Aussprechen und Denken allgemeiner Namen begleiten.
Wenn ich von dem ^Menschen" schlechthin spreche, also z* B. sage, daB
er sterblich sei, vieles erdulden musse, oder seine Anlagen nie in ihrer
Gesamtheit gleichmSBig entfalten kdnne, so kann und wird es ge-
schehen, daB mir gleichzeitig ein Phantasma bald einen durchschnitt-
lichen, bald einen idealen, bald einen unbestimmten, bald einen un-
deutlichen Menschen darstellt Kdnnte also nicht wirklich auch der
Aussageinhalt mit solchen allgemeinen Phantasmen zusammenfallen?
Diese Frage glauben wir auf das entschiedenste vemeinen zu mussen.
Denn wir glauben zeigen zu konnen: erstens, daB diese Phantasmen
auch da, wo sie vorhanden sind, nicht den Aussageinhalt darstellen,
und zweitens, daB sie in uberaus zahlreichen Fallen iiberhaupt nicht
vorhanden sind, in denen doch ein Aussageinhalt ganz ohne jeden
Zweifel angenommen werden muB.
Was das erste betrifft, so stehen uns auch hier wieder verschiedene
Argumente zur Verfugung. Die Aussageinhalte gleichsinniger Aussagen
sollen gleich sein. Die allgemeinen Phantasmen dagegen bilden ver-
^hiedene Arten, und sie variieren von Individuum zu Individuum und
von Fall zu Fall. Wir haben ja eben gesehen: es gibt durchschnitt-
liche, musterbildliche, unbestimmte und undeutliche Phantasmen, somit
allgemeine Phantasmen von viererlei Art Wollten wir daher auch
von den Verschiedenheiten innerhalb dieser einzelnen Arten absehen,
so blieben doch jedenfalls fiir den Begriff „ Mensch" vier ver-
schiedene Phantasmen ubrig. Allein der Begriffsinhalt ist nur Einer.
Schon deshalb kann er weder mit einem durchschnittlichen noch mit
einem musterbildlichen, weder mit einem unbestimmten hoch mit einem
172 NOOLOOIE
undeutlichen Phantasma zusammenfallen. Man kSnnte hdchstens
annehmen, nur Phantasmen aus Einer dieser Arten fungierten als
Begriffsinhalte; die Phantasmen aus den drei anderen Arten stellten
bloB gleichgOltige psychologische Nebenerscheinungen dar. Doch
auch diese Annahme wQrde nichts nOtzen; denn schon jede dnzdne
dieser Arten von Phantasmen umfaBt eine unermeBliche Mannigfaltig-
keit verschiedener Vorstellungen. Die durchschnittliche Art, denn es
kSnnen Individuen sehr verschiedener Vdlker, Oruppen und Kreise
zur Ermittelung des Durchschnitts herangezogen werden; die muster-
bildliche Art, denn es gibt sehr verschiedene MaBstSbe und Ideale;
die unbestimmte Art, denn der Grad der Bestimmtheit kann auBer-
ordentlich verschieden sein; und die undeutliche Art, denn es kann
bald dieser, bald jener Zug ausgefuhrt, bald dieser, bald jener ver-
nachlassigt werden. Auch ersieht jedermann aus seiner Erfahrung,
daB er sich bei dem Worte Mensch bald einen rOstigen Aiann, bald
einen gebrechlichen Oreis, bald eine bedeutende wPersdnlichkaf, bald
einen unbeutenden „Massenmenschen'' vorstellt Noch vie! groBer
indes als diese Schwankungen von Fall zu Fall sind ohne Zweifel die
Variationen von Individuum zu Individuum. Der Sinn des Wortes
Mensch dag^en wird durch all diese Schwankungen und Variationen
gar nicht berOhrt: die Tatsache des logischen Verkehrs wire aufge-
hoben, wenn der Begriff Mensch seine Bedeutung verSnderte, je nach-
dem dem Individuum, das ihn gebraucht, gerade dieses oder jenes
Phantasma vorschwebt 1st jedoch der Inhalt eines B^^es voU-
kommen unabhangig von den Phantasmen der Individuen, die ihn
denken, so kann der Aussageinhalt mit den allgemeinen Phantasmen
auch da nicht zusammenfallen, wo es solche Phantasmen wirklich
gibt
AUein in der groBen Mehrzahl der Falle ist dies Qberhaupt nicht
der Fall: uberall da nSmlich, wo die verschiedenen Aussag^jund-
lagen einer Aussage einander weniger ahnlich sind als in dem bisher
betrachteten Beispiel. Vom Menschen gibt es allgemeine Vorstellungen.
Vom Tiere nicht. Denn es gibt kein ideales Tier, das weder Pferd
noch Ameise ware. Auch keinen Durchschnitt zwischen Spinnen und
Mausen, Regenwurmem und Oiraffen. Ebensowenig erzeugen diese
verschiedenen Spedes unter irgendwdchen Umstanden gleiche Bilder,
die nur unbestimmt zu bleiben brauchten, um sie alle zu reprisentieren.
Und wenn man an einem Ferkel noch so vide Zuge unausgefuhrt
laBt — solange nur noch irgend etwas von ihm deutlich bldbt, laBt
es sich mit einem Kolibri nicht verwechseln. Man denke femer an
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 173
den Begriff Farbel Nie wird es mdglich sein, sich eine „Farbe im
allgemeinen^ vorzustellen, die sich im Oelb wie im Blau, im WeiB
wie im Schwarz fande. Und doch operieren wir hier erst mit Einem
Sinn. Nun nehme man jedoch einen Begriff wie Kunstwerk^ der ein-
mal eine Symphonie bedeutet, ein andermal einen Dom. Welcher
noch so unbestimmte und undeutliche Vorstellungsrest k5nnte den
Vorstellungen dieser beiden Gegenst^nde gemeinsam sein? Ich er-
innere endlich an jenen Satz, den wir in § 48. 1 als Beispiel einer
Aussage uberhaupt wahlten. Es war der Satz: „Fasse ich diese 2 Ein-
heiten und diese 1 Einheit zusammen, so erhalte ich 3 Einheiten.^
Wer alle in diesem Satz vorkommenden Begriffsinhalte als allgemeine
Vorstellungen nachweisen und sie zu einem allgemeinen Vorstellungs-
komplex hdherer Ordnung vereinigen zu konnen glaubt, der hat ein
Recht, den konzeptualistischen Nominalismus zu vertreten. Wir da-
g^en sind Qberzeugt, daB nicht ein einziger dieser Begriffsinhalte eine
solche Deutung zulaBt, geschweige denn der aus ihnen zusammen-
gesetzte Tatbestand. Diese Begriffsinhalte gehen ja samtlich durch
alle Sinnesgebiete hindurch und sogar fiber sie hinaus: Schmerzen
kdnnen nicht weniger als Tone, Tone nicht weniger als Farbenpunkte
Einheiten, Zweiheiten und Dreiheiten bilden, als ^diese** bezeichnet
und zu einer Einheit zusammengefaBt werden. Eine Vorstellung da-
g^en — und ware sie noch so allgemein — mfiBte doch immer
einem bestimmten, einzelnen Sinnesgebiete angehoren. Gibt es indes
keine ^allgemeinen Vorstellungen ** der Einheit, Zweiheit und Dreiheit,
des lydieses'' und des Zusammenfassens, dann sind diese nicht-
existierenden allgemeinen Vorstellungen auch gewiB nicht die Inhalte
der Begriffe Eins^ Zwei^ Drei^ Dieses und Zusammenfassen. Damit
aber ist die These des konzeptualistischen Nominalismus widerl^
2) Ueber allgemeine Vorstellungen sind viererlei Ansichten mog-
lich. Man kann ihr Vorkommen uberhaupt bestreiten. Man kann es an-
erkennen, ohne doch diesen psychischen Gebilden eine logische Bedeut-
samkeit zuzusprechen. Man kann ihnen bei der Bildung und Ausubung
der logischen Funktionen eine gewisse Mitwirkung anweisen. Man kann
sie endlich mit diesen Funktionen schlechterdings gleichsetzen. Den letzten
dieser Standpunkte haben wir hier vorzugsweise bekampft Ihn hat wohl
Locke allein vertreten i). Diesem Denker scheint es „einleuchtend", daB
„Worte allgemein werden, indem man sie zu Zeichen allgemeiner Vorstel-
lungen {general ideas) macht'', und daB „Vorstellungen allgemein werden,
indem man von ihnen alle Umstande der Zeit und des Ortes absondert,
und alle anderen Vorstellungen, welche sie als dieses oder jenes einzelne
») Essay III. 3. 6-9 (WW. I, S. 437 f.).
174 NOOLOOIE
Sdn determinieren''. Wenn z. B. denkende Individuen die allgemeine Vor-
stellung eines Menschen bilden, so „erzeugen sie hiedurch nichis Neues^
sondern lassen nur aus der zusamtnengesetzten Vorstellung, die sie von
Peter und Jakob, Maria und Johanna batten, dasjenige aus, was jed^ eigen-
tjimlich ist, und behalten bloB das ihnen alien Oemeinsame bei<'. Man ent-
schlieBt sich schwer, Locke wirklich die Meinung zuzutrauen, es sei mog-
lich, sich einen Menschen ohne irgendwelche individuelle Eigenschaften
vorzustellen, und man mdchte deshalb geme glauben, er verstehe hier
unter idea nicht ein Phantasma, sondern einen B^jiff. Allein er selbst
macht eine solche Ausl^^ng unmdglich, indem er ein deutliches BewuBt-
sein der Schwierigkeiten verrat, die seiner Annahme allgemeiner Vorstel-
lungen entg^enstehen, wahrend die blofie Anerkennung allgemeiner Be-
griffe dies en Bedenken gewifi nicht ausgesetzt ware. Obgleich ihm
namlich an der angefuhrten Stelle das Entstehen allgemeiner Vorstellungen
auf die ang^ebene Weise so evident scheint, „daB es keines weiteren Be-
weises bedarf", sagt er an einer anderen Stelle das Folgendei): „Wenn wir
genau auf sie achten, so werden vnr finden, daB allgemeine Vorstellungen
Fiktionen und Kunstgriffe des Oeistes sind, die Schwierigkeiten bei sich
ffihren und sich nicht so leicht darbieten als wir geneigt sind uns einzu-
bilden. Erfordert es z. B. nicht einige Mfihe und Qeschicklichkeit, die all-
gemeine Vorstellung eines Dreiecks zu bilden . . . .? Denn es darf weder
schief- noch rechtwinklig, weder gleichseitig noch gleichschenklig noch un-
gleichseitig sein, sondern ist all dies und nichts von alledem zugleich. In
der Tat, es ist etwas Unvollkommenes, das nicht existieren kann ; eine Vor-
stellung, in welcher Teile mehrerer, voneinander verschiedener und mitein-
ander unvertraglicher Vorstellungen verbunden sind. Allerdings bedarf der
Geist, in diesem seinem unvollkommenen Zustande, solcher Vorstellungen
Allein dennoch hat man Orund zu dem Verdacht, es seien derartige Vor-
stellungen Zeichen unserer UnvoUkommenheif < — eine Unvollkommenheit,
die nun freilich mehr Lockes Theorie als dem menschlichen Qdste anzu-
haften scheint
Die zweite Ansicht, sagte ich, gesteht den allgemeinen Vorstellungen eine
gewisse Mitwirkung beim begrifflichen Denken zu, ohne doch dieses in jene
aufzul5sen. In diese Oruppe rechne ich solche Denker, welche im Sinne
des Kritizismus die logischen Funktionen einem vom Vorstellungsver-
mdgen durchaus getrennten Intellekte zuweisen, jedoch zwischen diesem
rein intellektuellen Denken des Allgemeinen und dem sinnlichen Vorstellen
des Einzelnen ein Mittleres annehmen, das entweder als ein sinnliches Vor-
stellen des Allgemeinen ausdrucklich bezeichnet wird oder doch schwer
anders denn als ein solches begriffen werden kann. Die RoUe eines solchen
Mittleren namlich spielt einerseits bei gewissen Scholastikem das ver-
standesmafiige Bild, die species intelUgibilis^ andererseits bei einigen
Vertretem der klassischen deutschen Philosophie das Schema. Die species
«) Ess. IV. 7. 9 (WW. II, S. 162 f.).
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 175
MeUigibilis hat freilich ursprunglich nicht diese Bedeutung. Wenn man
z. B. die enischeidenden Sfellen bei Thomas v. Aquino >) genau erwagt,
so zeigt sich, dafi er unter diesem Begriffe nichts anderes versteht als jene
„Fonn" (im aristotelischen Sinne des Wortes), die der Verstand bei der Be-
trachtung der Phantastnen annimmt, und durch die er nun die wesensgleiche
„foYm^ der phantasierten Dinge erkennt Allein namentlich bei Duns Scotus
lafit sich diese Auffassung wohl nicht mehr aufrecht halten. Denn da heiBt
es z. B. ^: „Es gibt keinen Uebergang von Extrem zu Extrem, namlich vom
Phantasma zum Verstande . . ., es sei denn durch ein Mittieres zwischen
dem Oeistigen und dem K5rperlichen ; ein solches Mittleres aber ist die
spedes intelligibilis, die kein ebenso kdrperliches Sein hat wie das Phantasma,
und doch auch kein ebenso geistiges wie der Verstand/' Und wiederum 3) :
„Man darf nicht annehmen, es sei dasselbe Bild (species) wie in der Ein-
bildungskraft auch in der leidenden Vemunft . . .; auch nicht, das Bild in
der Einbildungskraft erzeuge aus sich ein anderes in der leidenden Ver-
nunft . . .; und auch nicht, es werde bloB von der tatigen Vemunft be-
leuchtet .... Vielmehr muB man sagen, die titige Vemunft erzeuge in der
leidenden ein Bild aus jenem, das in der Phantasie schon vorhanden ist^
Ich will nun gewiB nicht behaupten, dieses verstandesmaBige Bild decke
sich durchaus mit Lockes allgemeiner Vorstellung. Bedenkt man indes, dafi
der Phantasie das Erbssen des Einzelnen, dem Intellekt das Erfassen des
Allgemeinen zugeteilt wird, so wird man es immerhin wahrscheinlich finden,
daB jenes Mittlere, welches der Verstand aus dem Phantasma erzeugt, von
einem ,,allgemeinen Bild'', d. h. von einer allgemeinen Vorstellung, kaum
sehr verschieden sein kann. Und diese Wahrscheinlichkeit wird sich noch
einigermaBen erhdhen, wenn wir sehen, wie unter dem Namen des Schemas
genau in derselben Funktion der Vermittlung die allgemeine Vorstellung
von ScHLEiERMACHER in der Tat eingefuhrt worden ist 4). Ihm zufolge
kann „die einzelne Erscheinung gar nicht anders als nur vermittelst eines
Schemas mit der intellektuellen Funktion in Verbindung treten . . Aus der
organischen Affektion, auch bei bestandiger Agilitat der intellektuellen
Funktion, wurde kein B^jiff entstehen, wenn sich nicht im innem Sinn
die allgemeinen Bilder gestalteten". Zu einem Begriffe gehdren daher immer
drd Dinge : „das Bild des einzelnen Dinges, das Schema desselben und die
intellektuelle Seite des Begriffs". Dieser Ansicht steht der entscheidende
Umstand entg^en, daB es — wie wir gesehen haben — Begriffe gibt,
denen unmdglich eine allgemeine Vorstellung entsprechen kann, und deren
logischen Gehalt wir doch um nichts weniger deutlich und bestimmt er-
fassen. Dies hat Schleiermacher ubersehen, ja sogar im G^enteil be-
hauptet: „Ist das Bild dunkel, so ist es auch der Begriff, und zwar selbst
von seiner idealen Seite" — wonach also etwa Drti der dunkelste aller Be-
^) Summa theol. I, quaesi 14, art. 2. ad 2; quaesi 55, art 2, ad 2; quaest 85,
art 1, ad 3; de veritate intell. (Opp. XVI, p. 222). ^ Qu. de rcr. princ 14 (Opp. Ill,
p. 125 A). 3) Qu. super Anal, postt I. 3 (Opp. Ill, p. 348 A). *) Dial., Erlaute-
ningen zu § 260 (S. 211 ff.).
176 NOOLOOIE
griffe sem mufite. Allein er hat dieser Konsequenz in doppdter Wdse
entg^[engearbeitet Einerseits namlich erklart er das ,,Schenia'' auf dne
Weise, die es dem individuellen Phantasma nach Moglidikeit angleicht, und
nahert sich so jenem Standpunkte^ den wir als den des gemaBigten Nominalis-
mus kennen lemen werden. „Das allgemeine Bild ist das Bild der Art, und
das einzelne Bild kommt nur zum BewuBtsein, indem das Bild der Art zu-
gleich zum BewuBtsein kommt; das allgemeine Bild ist das einzdne Bfld
selbst, aber in der Verschiebbarkeit gedacht, d. h. so, daB es sidi vedUidem
kann, ohne aus seiner Art herauszugehen.'' So verstanden, gabe es nun
freilich allgemeine Bilder von allem, was uberhaupt vorgestdlt werden kann,
nur daB dies dann eben streng genommen nidit mehr allgemdne Bilder,
sondem vidmehr Reihen von einzdnen Bildem wSren. Insofem es jedodi
audi Begriffe von Unvorstdlbarem gibt, namlich Formbegriffe (§ 28),
sucht ScHLEiERMACHER uodi eiueu anderen Ausw%: Bd den „bloB formalen
Begriffen" namlidi, meint er, sei „das sinnliche Sdiema . . gar nidit dn
auBeres Bild . ^ sondem, weil es dabd auf unsre Tatigkeit ankommt, nur
das BewuBisdn von unserem eigenen Verfohren, von seiner sinnlichen Seite
festgehalten^ Erweitert man den Begriff des Sdiemas auf diese Wdse,
dann hat man frdlidi die vorher unuberwindlidien Einwendungen nidit
mehr zu furditen. Alldn zugleidi ist damit audi der Rahmen, nidit nur
des konzeptualistischen Nominalismus, sondem audi das Nominalismus iiber-
haupt durchbrodien. Das BewuBtsein dues Verfahrens nimlidi ist ofifen-
bar ein reaktives, nidit dn rezeptives BewuBtsdn; es durfte daher
auch nicht mehr eine VorstdUing oder ein Bild heiBen — so daB diese
Wendung des Oedankens der hier von uns betraditeten Lehre fiberhaupt
nidit mehr zugute kommt Dennodi muB idi hier nodi erwShnen, dafi
gerade diese Auffassung des Begriffes Schema Schlqermacher nidit dgen-
tumlidi ist Sie findet sidi vidmehr sdion bei Kant i). Es sind, sagt dieser,
^ine Verstandesb^ffe, in Vergleidiung mit empirisdien (j& fiberhaupt
sinnlichen) Anschauungen ganz ungleichartig . . . . Wie ist nun die
Subsumption der letzteren unter die ersten, mithin die Anwendung
der Kat^^rie auf Erschdnungen mdglich ...?.... Nun ist klar: daB
es ein Drittes geben mfisse, was einerseits mit der Kat^[orie, anderersdts
mit der Erscheinung in Qleichartigkeit stehen muB und die Anwendung
der ersteren auf die letztere mdglich macht Diese vermittelnde Vorstellung
muB rein (ohne alles Empirische) und doch dnersdts intellektuefl,
andererseits sinnlich sein. Eine solche ist das transcendentale
Schema Das Schema ist an sich selbst jederzeit nur ein Produkt
der Einbildungskraft; aber . . . doch vom Bilde zu unterschdden. So wenn
ich funf Punkte hintereinander setze, ^) ist dieses ein Bild von der
Zahl funf. Dagegen, wenn ich eine Zahl uberhaupt nur denke, die nun
funf Oder hundert sein kann, so ist dieses Denken mehr die Vorstdlung
dner Mdhode, einem Begriffe gemaB dne Menge (z. E. Tausend) in
») Kr. d. r. Vem. (WW. II, S. 122 ff.). ^) KANT selbst sctzt hier 5 Punkte.
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 177
einem Bilde vorzustellen, als dieses Bild selbst, welches ich im letzteren
Falle schwerlich wurde ubersehen und mit dem Begriffe vergleichen kSnnen.
Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungs-
kraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu
diesem Begriffe .... Dem Begriffe von einem Triangel fiberhaupt wfirde
gar kein Bild desselben jemals adaquat sein. Denn es wurde die Allgemein-
heit des Begriffs nicht erreichen, welche macht, daB dieser fur alle, recht-
oder schiefwinklichte etc gilt, sondem immer nur auf einen Teil dieser
Sphare eingeschrankt sein. Das Schema des Triangels kann niemals anderswo
als in Qedanken existieren, und bedeutet eine R^[el der Synthesis der Ein-
bildungskraft, in Ansehung reiner Gestalten im Raume Dieser
Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer
bloBen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen
Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten und
sie unverdeckt vor Augen l^en werden." All dies hat — in gewohnter
Unselbstandigkeit — Schellino fast wortlich wiederholt i). Was er hinzu-
fugt, ist die Erklarung des Schemas „durch das Beispiel des mechanischen
Kunstlers, welcher einen Gegenstand von bestimmter Form einem Begriffe
gemaB hervorbringen soll^ Dieser braucht „eine inneriich, pbgleich sinnlich
angeschaute R^el, welche ihn in der Hervorbringung leitet^. „Diese R^^d
ist das Schema, in welchem durchaus nichts Individuelles enthalten, und
welches ebensowenig ein allgemeiner Begriff ist, nach welchem ein Kunstler
nichts hervorbringen kdnnte.'^ Wir haben all dies hier angefuhrt, weil es
sich auf den B^jiff des Schemas bezieht, der auf der Einen Seite mit den
allgemeinen Vorstellungen des konzeptualistischen Nominalismus zusammen-
hangi Wie er auf der anderen Seite, durch den Kritizismus hindurch, bis
an die Schwelle des Pathempirismus sich fortbilden kann, dies zeigen einige
Gedankengange der letzten Zeit Kant, Schelunq und Schleiermacher
erklaren das Schema als das BewuBtsein eines Verfahrens. Da sie jedoch
dieses Verfahren ganz mythisch als ein Verfahren „der Einbildungskraft^
Oder „des Verstandes'' denken, so geben sie auch gar keine Handhabe zur
naheren psychologischen Bestimmung jenes BewuBtseins. Die folgenden
Ausfuhrungen Machs^) stellen diese Spekulationen mit Einem Schlage in
belles Licht und auf festen Boden: „Unter differenten Umstanden, die
etwas Gemeinsames haben, treten gleichartige Tatigkeiten, Be-
w^^ngen ein (Ergreifen, Beschnuffeln, Belecken, ZerbeiBen), welche neue
entscheidende sinnliche Merkmale (Geruch, Geschmack) herbeischaffen, die
fur das weitere Verhalten (Verschlingen, Wegwerfen) maBgebend sind. Diese
konforme Tatigkeit sowohl als die durch dieselbe hervortretenden kon-
formen sinnlichen Merkmale, welche ja beide in irgendeiner Weise
zum BewuBtsein kommen werden, halte ich fur die physiologische Grund-
lage des Begriffes. Worauf in gleicher Weise reagiert wird, das fallt
unter Einen Begriff.*' Auch noch bei wissenschaftlichen Begriffen offen-
Syst d. tr. Id. Ill, 3. Epoche, I (WW. 1. Ill, S. 506 ff.). ^ Warmelehre S. 416 ff.
Oomperz, Weltantchaaangslehre U 1 12
178 NCX)LOOIE
baren sich uns die Merkmale nur als Ergebnis von Operationen
des Chemikers und Anatomen, des konstruierenden Geometers und des
zahlenden Arithmetikers. ,Jeder Abstraktion" tnfissen ^gemeinsame reale
psychische Elemente" zugrunde liegen; allein diese Elemente treten „erst
durch eine besondere, bestitntnte Tatigkeit ins BewuBtsein^ „Den Oeneralien
kommt keine physikalische Realitat zu, wohl aber eine physio-
log is che: die physiologischen Reaktionen sind von geringerer Mannig-
faltigkeit als die physiologischen Reize.'' Oanz ahnlich habe ich selbst mich
schon vor Jahren geauBert^); und ebenso erklart nun audi MOnsterberq 2),
es sei „die Abstraktion beherrscht durch die allgemeine typische Inner-
vation, und der Begriff . . von derjenigen motorischen Einstellung . ^ die
der ganzen im B^ff zusammengedachten Objektgruppe gemeinsam zu-
kommt". Man frage sich dann noch, in was ffir psychischen Elementen
denn solche gleiche Reaktionen zum BewuBtsein kommen, und man wird
den Kritizismus vollends fiberwunden und eine wirkliche Antwort auf unsere
Erste semasiologische Hauptfrage gewonnen haben. OewiB wird man aber
dann auch erkennen, daB allgemeine Vorstel I ungen, als Tatsachen nicht
der reaktiven, sondem der rezeptiven Erfahrung, fur das Denken des Be-
griffsinhaltes ohne jede Bedeutung sein mussen.
Diese unsere Auffeissung, der zufolge zwar das Vorkommen allgemeiner
Vorstellungen zuzugeben, ihnen jedoch jeder Anteil am logischen Denken ab-
zusprechen ist, ist durchaus nicht neu. Vielmehr vertrat sie mit vollkommener
Klarheit schon Descartes 3): „Ich habe allerdings die Oewohnheit, wenn
ich an korperliche Dinge denke, mich stets auch meiner Einbildungskraft
zu bedienen. Und so geschieht es, daB ich, wenn ich an ein Tausendeck
denke, mir in verworrener Weise irgendeine Figur vorstelle. Allein es ist
ganz klar, daB diese Figur nicht ein Tausendeck ist Unterscheidet sie sich
doch in keiner Hinsicht von jener anderen, die ich mir vorstellen wurde,
wenn ich an ein Zehntausendeck dachte, oder an irgendeine andere Figur
von vielen Seiten; und dient sie doch in keiner Weise dazu, jene Merk-
male aufzufinden, welche den Unterschied des Tausendecks von den tibrigen
Polygonen ausmachen.^' Diese Darl^^ng ist seither oft wiederholt worden :
so schon von Cudworth % und in unserer Zeit besonders eindringlich von
Taine^). Wird hier auf die Unbestimmtheit und Undeutlichkeit
der allgemeinen Phantasmen das Hauptgewicht gel^ so finden wir anderer-
seits das Vorkommen durchschnittl icher und musterbildlicher
Vorstellungen schon von Kant 6) betont Es ist anzumerken, sagt er, daB
die Einbildungskraft „das Bild und die Qestalt des G^enstandes von einer
unaussprechlichen Zahl von G^enstanden verschiedener Arten, oder auch
ein und derselben Art, reproduzieren kdnne; ja auch, wenn das Gemut es
auf Vergleichungen anlegt, allem Vermuten nach wirklich, wenngleich nicht
») Psych, log. Orundtats. S. 26. ^) Prinzipien S. 552. ^) 6. Meditation, Anfang
(Oeuvres S. 113). *) Systema Intellectualc II, p. 62. «) De I'intcUigence I, S. 26ff.
i) Kr. d. Urt § 17 (WW. IV, S. 84 ff.).
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 179
hinreichend zum BewuBtsein, zu reproduzieren, ein Bild gleichsam auf das
andere fallen zu lassen, und, durch die Kongruenz der tnehrern von der-
selben Art, ein Mittleres herauszubekommen wisse, welches alien zum ge-
meinschaftlichen MaBe dienf'. Die so resultierende Gestalt des Menschen
z. B. sei die „Nomialidee^, die sich von dem „Ideal'' allerdings noch einiger-
maBen unterscheide. Nichis als eine Wiederholung dieser Darstellung ist
dann Huxleys sehr bekannt gewordene Vergleichung der durchschnittlichen
Phantasmen mil den Galtonschen Photographien ^). Femer hat sich in dem-
selben Sinne Ribot^) mit den allgemeinen Vorstellungen beschaftigt, und
auch ich selbst habe diese .^schaulichen Begriffskorrelate^ recht eingehend
beschrieben ^, ohne sie indes fur mehr als ^^assoziative Nebenprodukte des
lauten oder stillen Sprechens" auszugeben.
Absolut ablehnend endlich g^en den B^jiff allgemeiner Vorstellungen
verhalt sich Berkeley in seiner klassischen Kritik des konzeptualistischen
Nominalismus und speziell der LocKEschen Lehre^). Aus derselben sei
hier nur Eine Hauptstelle angefQhrt: „Ich kann mir einen Menschen mit
2 Kopfen vorstellen ; oder den Oberleib eines Menschen verbunden mit dem
Unterleib eines Pferdes. Ich kann die Hand, das Auge, die Nase jedes fur
sich betrachten, abgezogen und getrennt von dem Rest des Korpers. Allein
mag ich mir welche Hand oder welches Auge immer vorstellen: es muB
eine bestimmte Form und eine bestimmte Farbe haben. Ebenso mufi, wenn
ich mir die Vorstellung eines Menschen bilde, dies die Vorstellung entweder
eines weifien oder eines schwarzen oder eines braunen, entweder eines ge-
raden oder eines krummen, entweder eines grofien oder eines kleinen oder
eines mittelgrofien Menschen sein. Durch keine Anstrengung meines Denkens
kann ich die oben beschriebene abstrakte Vorstellung erzeugen. Ebenso
unmdglich ist es mir, die abstrakte Vorstellung einer Bew^^ng zu bilden,
die von dem bew^en Korper verschieden und weder rasch noch langsam,
weder gerad- noch krummlinig ware. Und dasselbe laBt sich von alien
beliebigen anderen abstrakten allgemeinen Vorstellungen behaupten/' Hiemit
schieBt Berkeley, wie wir glauben, uber das Ziel hinaus; denn es ist ge-
wiB nicht richtig, daB wir die Augenfarbe aller Menschen anzugeben wuBten,
deren wir uns erinnem. Indes, in der Hauptsache hat er sicherlich recht:
der Standpunkt des konzeptualistischen Nominalismus ist unhaltbar, denn
nicht jedem Begriffsinhalt entspricht eine allgemeine Vorstellung, und auch
wo ihm eine solche entspricht, kann er mit ihr doch niemals identisch sein.
3) Wenn der Aussageinhalt mit Vorstellungen der Aussagegrundlage
zusammenfallen soil, jedoch aus allgemeinen Vorstellungen nicht be-
stehen kann, so bleibt nur die Annahme ubrig, er sei identisch mit der
besonderen Vorstellung einer einzelnen resp. der jeweiligen Aussage-
grundlage: der Sinn des Namens Kunstwerk z. B. bestehe darin, daB
») Hume S. 94f. ^ Id. gin. S. 5ff. J) Psych, log. onindtats. S. 29 ff. *) Prin-
dples of hum. knowl., introd. 7-17 (WW. I, S. 240ff.).
12»
180 NOOLOGIE
idi irgendein Kunstwok, dcr Sinn desSatzes vDicserVogel f&egtf*
darin, daS idi irgendeinen fliegenden Vogd wahmehme oder
phantasioe. Wir bezeidinen cfiese Ldne ak gemiBigten Nomi-
nalismus. Ihre GnindansicM gefat dahin, daB imfividueDe Vorsid-
lungen und insbesondere Phantasmen cfie wesenffidien Ekmente des
logischen Denkens sesen. Diese Gnindansidit nun woDen wir erst
dner prinzipidlen Prufung unterwerfen, die wir auf die Frage dn-
gehen, inwidem der gemSBigte Nominalisnnis (fie vier semasiologisdien
Hauptfragen zu beantworten vermag.
Ohne Zweifd hat jene Gnindansidit den aDeiersten Ansdidn fur
sidi. Den Namen Dreieck z. B. pflegen wir im allgemdnen dann aus-
zuspredien, wenn uns dn Drdedc in der Wahmdimung oder in der
Phantasie, mithin jedenfalls in der Vorstdlung gegd)en ist; und wenn
wir den Namen Dreieck hdren, so ist es gewiB die Regel, daB wir
auch irgenddn Drdeck dabd vorstdlen. Wollen wir femer den Sinn
des Satzes i^Dieser Vogd fli^' verstehen und seine Riditigkdt priifen,
so werden wir zunSchst dn diesem Satze entsprediendes Phantasma
erzeugen, dann aber audi dne inhaltsglddie Wahmdimung uns zu
verschaffen suchen und je nadi dem Odingen dieses Versudies uber
die Wahrhdt jenes Satzes urtdlen. Dassdbe gilt endUdi sogar von
wdt abstrakteren Sitzen. Handelt es sich z. B. urn d» Satz 3X2
*= 2 X 3, 80 werden wir uns, um sdnen Sinn zu erfassen und zu be-
urtdien, das VerhSltiiis der verschiedenen Zwdhdts- und Drdhdts-
gruppen gldchfalls an anschauiichen Einhdten versinnlidira: es ist
dabd gldchgOltig, ob diese Einhdten aufdnander folgen oder neben-
dnander bestehen, gidchgiiitig auch, ob es B^ume sind oder Kirsch-
kerne — alidn immer wird es irgenddne individudle Vorstdlung sdn,
an der ich den Sinn der g^ebenen Aussage mir zu dgen madie und
prflfe
Freilich, diesen positiven Instanzen stehen nun fast ebenso zahlrdche
und naheliegende gegenOber. Wenn mir jemand sagt, der Mensch
habe 32 Zahne, so kann ich diese Aussage sehr wohl verstehen und
auch ihr zustimmen, ohne mir von 32 menschlichen Zahnen gesonderte
Vorstellungen zu bilden. Und wenn es hdBt, 1000 sei die 3. Potenz
von 10, so w3re es Qberhaupt nicht moglich, dne diesen Begriffen
vollkommen entsprechende individuelle Vorstellung zu bilden, da es
keine Anschauung von 1000 Einheiten gibt, die von der Anschauung
von 909 Oder auch 998 Einheiten sich irgendwie unterschiede. Indes,
diesen Einwendungen ist der Nominalismus noch sehr wohl ge-
wachftcn. Er weist zunlchst darauf hin, daB alle Zdchen das von
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 181
ihnen Bezeichnete auch reprasentieren konnen, und daB daher, wenn
nur erst die Bedeutung der Zeichen eindeutig festgestellt ist, auch ein
abkurzender Gebrauch derselben stattfinden kann. Spielmarken z. E
bedeuten Oeld. Es ist aber nicht notig, daB nach jedem Spiele die
Spielmarken sofort in Oeld umgesetzt werden ; vielmehr braucht nach
jedem Spiele nur ein Hin- und Herschieben der Marken zu erfolgen,
und erst nach langerer Zeit wird dann die endgiiltige Verteilung der
Marken den gegenseitigen Zahlungen zugrunde zu legen sein. Ebenso
gibt es neben der baren auch eine rechnungsmafiige Abwicklung ge-
schaftlicher Transaktionen. In derselben Weise kann ich eine lange
Rechnung in unbenannten Zahlen durchfuhren, ohne mich bei jedem
Schritte derselben zu fragen, was er fOr die entsprechenden benannten
Or5Ben bedeutet, und erst das letzte Resultat werde ich auf diese
nach demselben Schlussel anwenden, nach dem ich ursprunglich die
erste Gleichung angesetzt habe. Ebenso nun gibt es neben dem aus-
fiihrlichen Denken in Anschauungen auch ein abkOrzendes Denken in
Worten; selbst eine lange Kette von Gedanken kann ich aneinander-
reihen, ohne bei jedem Oliede mit meinen Worten bestimmte An-
schauungen zu verbinden. Es genugt, wenn die Worte, von denen
ich ausging, ursprunglich fOr solche Anschauungen standen, und wenn
diejenigen, bei denen ich schlieBlich anlange, wieder in solche An-
schauungen sich umsetzen lassen. Um so mehr vermag ich einen Satz
wie den, der Mensch habe 32 Zahne, zu verstehen und auch zu be-
urteilen, ohne mir wirklich 32 Zahne besonders vorzustellen, wenn
ich nur auf Grund friiherer Erfahrungen weiB: einmal, daB jedem
dieser Worte bestimmte Anschauungen entsprechen, sodann, daB diese
Anschauungen auch wirklich zusammengehoren. Andererseits ist es,
damit der Aussageinhalt als individuelle Vorstellung begriffen werden
konne, nicht immer erforderlich, daB mit alien Aussagelauten solche
Vorstellungen auch wirklich verbunden seien. Es genugt vielmehr,
wenn sie das Wissen um ein Verfahren ausdrucken, das in eindeutiger
Weise zu einer bestimmten Anschauung fuhrt So kann ich mir bei
„dem ersten Vers, auf den beim Aufschlagen der Heiligen Schrift
mein Auge fallen wird", gewiB keine bestimmten Worte vorstellen;
allein dennoch bedeuten sie etwas, was der Vorstellung durchaus
nicht entzogen ist. In ahnlicher Weise nun ist auch eine Menge von
1000 Einheiten an und fur sich freilich nicht vorstellbar; allein voraus-
gesetzt, daB Eine Einheit als solche vorstellbar sei, gibt mir doch das
Wort Tausend eine Menge an, zu der ich durch eindeutig bestimmte
Operationen mit dieser vorstellbaren Einheit gelangen, und von der
182 NOOLOGIE
aus ich auch wieder durch andere Verfahrungsweisen zu vorstellbaren
Mengen zurOckkommen kann. Auch der Satz, 1000 sei die dritte
Potenz von 10, laBt sich daher interpretieren als die Feststellung, daB
ich zu einer gleichen — freih'ch an sich nicht vorstellbaren — Menge
gelange, ob ich nun 10 X 10 X 10 oder 1 + 1 + 1 + 1 Einheiten
zusammenfasse. Vorausgesetzt daB 1 Einheit und 10 oder doch
2X5 Einheiten als solche vorgestellt werden kdnnen, wurde deshalb
die Unvorstellbarkeit der 1000 Einheiten als solcher die nominalistische
Ansicht nicht widerlegen.
Allein die eben besprochenen Auskunftsmittel sind doch nur da
anwendbar, wo sich der Sinn einer Aussage letztlich auf individuelle
Vorstellungen reduzieren lS£t Wir mussen daher die Frage stellen:
vermogen wir denn wirklich mit jeder Aussage, die wir verstehen,
auch nur irgend Eine Vorstellung, oder irgendeine Oruppe oder
Reihe von Vorstellungen, zu verbinden, die ihr genau entsprache,
und die deshalb den Anspruch erheben kdnnte, ihren logischen Inhalt
darzustellen? Gegen die schlichte Bejahung dieser Frage nun er-
heben sich schon in den einfachsten FSllen schwere Bedenken. Denn
auch dem Satze „ Dieser Vogel fliegt'' entspricht keine vollkommen
adaquate individuelle Vorstellung — nSmlich keine solche, die nicht
auch dem Begriffe „Ein fliegender Vogel'' entsprache; und doch driicken
beide Aussagen verschiedene logische Inhalte aus, haben somit einen
verschiedenen Sinn. Als experimentum cruets jedoch wollen wir die
oben formulierte Frage selbst verwenden — nSmlich die Aussage:
Vermdgen wir derm wirklieh mit jeder Aussage^ die wir verstehen^ audi
nur irgend Eine Vorstellung, oder irgendeine Gruppe oder Reihe von
Vorstellungen, zu verbinden, die ihr genau entsprache, und die deshalb
den Anspruch erheben konnte, ihren logischen Inhalt darzustellen ? Ich
glaube voraussetzen zu durfen, man werde diese Frage oben ganz
leidlich verstanden haben. DaB man indes mit ihr Eine adequate
und sie erschopfende Vorstellung verbinden kdnne, wird wohl niemand
behaupten. Also vielleicht eine Oruppe oder Reihe von Vorstellungen?
Nun, man gehe unsere Aussage Wort fiir Wort durch und frage sich, was
man etwa bei den Worten Vermdgen, Wirklich, Jeder, Verstehen, Irgerul
eine, Oder, Oenau, Entsprechen, Deshalb, Anspruch, Ljogisch, Dar-
stellen imstande ist, sich vorzustellen ! Mir will scheinen, die einzig
mogliche Antwort lautet: Oar nichts! Und doch drucken alle diese
Worte integrierende Bestandteile des logischen Inhalts der gegebenen
Aussage aus. Die Orundansicht des gem3Bigten Nominalismus halt
demnach einer prinzipiellen Prflfung keineswegs stand.
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 183
Es versteht sich hiemach von selbst, daB diese Lehre auch die ein-
zelnen semasiologischen Hauptfragen nicht wird zufriedenstellend be-
antworten kdnnen. Doch fassen wir hier vorliufig bloB ihr Verh<nis
zu der Dritten dieser Hauptfragen ins Auge, weil dieses Verhaltnis
den gemiBigten Nominalismus, wenn er nur uberhaupt diskutabd
bleiben will; sofort zu einer wesentlichen ModiHkation seines Stand-
punktes drangt Wir erinnem uns, die Dritte Hauptfrage bezog sich
zunachst auf das Doppelproblem der Auffassung: sehr verschiedene
Aussag^^ndlagen kdnnen durch gleiche Aussageinhalte aufg^Bt
werden (Problem der Abstraktion), und gleiche Aussag^rnrndlagen
lassen sich durch sehr verschiedene Aussageinhalte auffassen (Problem
der Intel li gib 1 en Telle). Wie sollte dies mdglich sein, wenn, im
Sinne des gemSBigten Nominalismus, der Aussageinhalt mit der Vor-
stellung einer individuellen Aussagegrundlage zusammenfiele? Be-
stunde z. B. der Sinn des Namens Dreieck in der Vorstellung irgend-
eines einzelnen Dreiecks, dann mQBte dieser Name einen anderen Sinn
haben, wenn das aussagende Individuum an ein spitzwinkliges, und
wieder einen anderen, wenn es an ein stumpfwinkliges Dreieck dichte.
Und bestQnde der Sinn der Worte Korper, Oeb&ude und Kunstwerk
in der Vorstellung beliebiger einzelner K6rper, Gebaude und Kunst-
werke, dann mOBten diese drei Worte denselben Sinn haben, wenn
zufallig drei Individuen, die jene Worte aussagen, dabei simtlich den
Dom von Pisa vorstellten. Durch diese beiden Konsequenzen wQrde
jedoch die Mdglichkeit logischen Verkehrs in gleicher Weise aufge-
hoben. In der Tat hat denn auch kaum irgend jemand den gemSBigten
Nominalismus ohne weiteren Zusatz vertreten. Vielmehr bedarf diese
Ansicht notwendig einer Erginzung, die imstande ist, den aus ihr
soeben abgeleiteten widersinnigen Folgerungen vorzubeugen.
Ein dieser Bedingung genQgender ErgSnzungsversuch scheint denn
auch nicht femzuliegen. Er wird gekennzeichnet durch das Streben,
die Vorzuge des konzeptualistischen Nominalismus festzuhalten, ohne
daB man doch dessen SchwSchen in den Kauf nehmen muBte. Sein
Grundgedanke ist die Ersetzung der Einen allgemeinen Vorstellung
durch die gemeinsamen, typischen Elemente der zahlreichen Individual-
vorstellungen. Diese typischen Elemente, so nimmt man an, seien in
den einzelnen Individualvorstellungen enthalten, konnten jedoch mehr
Oder weniger beachtet, zum Gegenstande einer starkeren oder
schwacheren Aufmerksamkeit gemacht werden. Durch eine
Konzentration der Aufmerksamkeit kdnnten nun diese typischen Merk-
male aus der Individualvorstellung herausgehoben werden; sie seien
184 NOOLOGIE
mit den Aussagelauten durch das Band der Assoziation verknupft;
und sie seien es auch, die den logischen Inhalt aller Aussagen bildeten.
Kann ich mir namlich auch nicht, wie der konzeptualistische Nominalis-
mus wollte, einen Menschen vorstellen, der weder groB noch klein,
weder schwarz noch weiB ist, so enthalten doch alle Vorstellungen
von Menschen — seien diese nun groB oder klein, schwarz oder
weiB — gewisse gemeinsame Merkmale. Indem ich nun diese aus
meiner Vorstellung von irgendeinem einzelnen Menschen heraushebe,
die abweichenden Ziige dag^en vemachlassige, denke ich den Begriff
Menschf und fasse zugleich den vorgestellten Menschen alsMenschen
auf. Es ist klar, daB auf diese Weise die oben erdrterten Absurditaten
vermieden sind. Auffassen heiBt jetzt: in einer bestimmten Weise,
in einem gewissen Lichte betrachten, und speziell : durch eine gewisse
Verteilung der Aufmerksamkeit in bestimmter Weise gliedem. Dem-
nach kann das Wort Dreieck denselben Sinn bewahren, auch wenn
die verschiedenen Individuen, die es gebrauchen, dabei ganz ver-
schiedene Dreiecke vorstellen. Denn jedes fafit doch das von ihm
vorgesteUte Dreieck a Is „ Dreieck im allgemeinen'' auf, d. h. es hebt
aus seiner individuellen Dreiecksvorstellung dieselben, alien Dreiecken
gemeinsamen typischen Momente heraus. Ebenso konnen die Worte
Korper und Kunstwerk auch dann Verschiedenes bedeuten, wenn zu-
f&llig die aussagenden Individuen dabei beide den Dom von Pisa vor-
stellen. Denn sie fassen doch diesen selben Oegenstand in ver-
schiedener Weise aufy indem der Eine aus seiner Vorstellung die
alien Korpem, der Andere aus derselben Vorstellung die alien Kunst-
werken gemeinsamen Momente heraushebt So scheint denn die Erste
semasiologische Hauptfrage beantwortet, indem der Aussageinhalt mit
jenen typischen Momenten der Aussag^^ndlagevorstellungen gleich-
gesetzt wurde ; die Dritte, indem die Auffassung als die Heraushebung
dieser Momente aus der Vorstellung einer einzelnen Aussagegrund-
lage nachgewiesen wird. Unter diesen Voraussetzungen bereiten indes
auch die beiden ubrigen Hauptfragen keine Schwierigkeiten mehr.
Nicht die Zweite, denn die Oegenstdndlichkeit der Aussagen verliert
ihr Ratselhaftes, wenn man bedenkt, daB dieselben typischen Vor-
stellungsmomente mit den verschiedensten Aussagelauten als ein ein-
heitliches und beharrliches Element sich verknupfen. Und nicht die
Vierte, denn die Aussage vermag allerdings den Sachverhalt zu be-
deuteOj d. h. zu vertreten, wenn jene dieselben typischen Vorstellungs-
momente schon enthalt, deren Heraushebung die Sachverhaltsvor-
stellung von der bloBen Aussag^^ndlagevorstellung unterscheidet
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 185
1st nun mit alledem das Bedeutungsproblem wirklich aufgeldst?
Dies hSngt davon ab, ob die hier der Aufmerksamkeit zugeschriebenen
Leistungen von dieser auch voUzogen werden konnen. Das aber ist
von vomeherein wenig wahrscheinlich. Denn damit die Aufmerksam-
keit sich auf ein Moment einer Vorstellung richten und dasselbe aus
ihr herausheben konne, muB doch — so scheint es — dieses Moment
schon vorher g^eben sein, es muB von den anderen Momenten der-
selben Vorstellung unterschieden werden oder sich doch wenigstens
grundsatzlich von ihnen unterscheiden lassen. Nun kann jedoch der
Nominalismus, da er keine anderen psychischen Funktionen anerkennt
als Vorstellungen, diese Unterscheidung nur als eine vorstellungsm3Bige
Trennung denken. Ware indes der Sachverhalt in der Aussagegrund-
lage als ein vorstellungsmSBig trennbarer Teil enthalten, dann ware
er ja ein reeller Teil derselben, und die Frage, wie er sich als in-
telligibler Teil der Aussagegrundlage begreifen lasse, hatte dann
nie aufgeworfen werden dOrfen. In der Tat schlieBt der gemaBigte
Nominalismus die vollkommene Negierung unserer Dritten Haupt-
frage in sich. Er erklart z. B. die „Auffassung des Doms von Pisa
als Kunstwerk'' als ein Herausheben der alien Kunstwerken gemein-
samen Vorstellungsmomente aus der Vorstellung des Doms von Pisa
Allein es gibt keine Vorstellungsmomente, die den Dom von Pisa zu
einem Kunstwerk machten, ohne ihn zugleich auch als Korper, als
Gebaude, als Dom usw. zu determinieren. Oabe es solche Momente,
ware das Kunstwerk-Sein des Doms von Pisa in derselben Weise ein
isoliert vorstellbares Merkmal dieses Oegenstandes wie sein Oelb-Sein
Oder sein Hart-Sein, dann ware uns die Relation intelligibler Teile nie
zum Problem geworden. Zugleich ersieht man aus diesem Beispiel
noch etwas anderes. Bei der ^Auffassung des Doms von Pisa als
Kunstwerk" sollten aus der individuellen Vorstellung dieses Oegen-
standes herausgehoben werden „die alien Kunstwerken gemeinsamen,
typischen Vorstellungsmomente". Allein was fur Vorstellungsmomente
sollten denn alien Kunstwerken gemeinsam sein, da doch der Begriff
Kunstwerk Vorstellungskomplexe aller Sinnesgebiete zu Oegenstanden
hat? Denn Kunstwerke sind sowohl Kirchen, d. h. Komplexe von
Oesichts- und Tastempfindungen, wie Symphonien, d. h. Komplexe
von Schallempfindungen. Welche vorstellbaren Elemente konnten
aber diesen zwei Arten von Empfindungskomplexen gemeinsam sein?
Wie kann die Aufmerksamkeit aus einem Komplex von Schallemp-
findungen etwas anderes als Schallempfindungen, aus einem Komplex
von Oesichts- und Tastempfindungen etwas anderes als Oesichts- und
186 NOOLOGIE
Tastempfindungen herausheben? Doch um die Unhaltbarkeit dieses
Standpunktes einzusehen, geniigt die Betrachtung von weit weniger
komplizierten Verhaltnissen. Denken wir z. B. an einen einfachen
Stimmgabelton. Ein solcher laBt sich auffassen als eine bestimmte
Tonhdhe und als eine bestimmte Tonstirke. Hat es nun einen
Sinn, zu sagen, daB wir diese Elemente als Elemente des Tones
durch eine Konzentration der Aufmerksamkeit aus ihm herausheben
kdnnen? FOr mich nicht Ein solcher Ton ist ja ein vollkommen
einfacher Empfindungsinhalt. Er ermangelt aller Telle und damit
auch aller Richtpunkte, auf die sich die Aufmerksamkeit verteilen
kdnnte. Was sollte man denn an ihm beachten, was vemachlassigen
kdnnen, da doch nichts gegeben ist als Eine vdllig homogene Emp-
findung? Oder denken wir an eine gleichmaBig gefirbte griine
FlSche. Eine solche kdnnen wir auffassen als griine und auch als
farbig. Konnen wir nun als Elemente dieser grQnen Flache
durch eine Konzentration der Aufmerksamkeit die OrOnheit oder die
Farbigkeit herausheben? Wir k5nnen natQrlich einer beliebigen Stelle
der gegebenen FlSche unsere Aufmerksamkeit zuwenden, — raumliche
Telle sind ja reelle Telle. Allein jede solche Stelle ist so wo hi grun
als farbig. Was jedoch die Aufmerksamkeit, ohne ihren Blickpunkt
riumlich zu verrflcken, an Einer g^ebenen Stelle der griinen FlSche
noch sollte unterscheiden, wie sie an diesem durchaus einfachen Emp-
findungsinhalt noch sollte Elemente aufspQren kdnnen, an die sie
sich ungleichmiBig zu verteilen vermdchte — dies ist mir ganzlich
unerfindlich. Naturlich: irgendeine Verschiedenheit unseres Be-
wuBtseinszustandes muB vorhanden sein, wenn wir diesen
EmpfindungsinhaU einmal als grimy ein andermal als farbig be-
zeichnen. Was wir bestreiten, ist nur, daB dieser Verschiedenheit
irgendeine Mannigfaltigkeit an dem einfachen Vorstellungs-
inhalt entspreche. Dies aber scheint uns in der Tat unmoglich:
an einem einfachen Ton, einer einfachen Farbe usw. ist nichts
mehr zu unterscheiden und darum auch nichts mehr zu beachten
und herauszuheben. LaBt sich daher auch noch ein solcher ein-
facher Empfindungsinhalt durch mehrere und verschiedene Aussage-
inhalte auffassen, so kdnnen diese Aussageinhalte nicht in jenen
Vorstellungsinhalten enthalten sein, sondem mussen als eine ganz
andere Art von psychischen Elementen sich dem BewuBtsein dar-
stellen: sie kdnnen uns nicht rezeptiv in den Aussagevorstellungen
g^eben, sondem mussen reaktiv von uns zu diesen hinzugebracht
werden.
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 187
4) Erinnem wir uns nun der Lage des Problems. Der Aussage-
inhalt sollte gefunden werden in den individuellen Vorstellungen der
Aussagegrundlage. Und doch war unleugbar, daB auch die Gleich-
heit dieser Vorstellungen mit der Verschiedenheit jenes Inhalts, auch
die Gleichheit dieses Inhalts mit der Verschiedenheit jener Vorstel-
lungen vertrSglich ist Man suchte nun diesen Widerspruch auszu-
gleichen durch die Annahme, nicht die Vorstellung selbst, sondem
nur gewisse in ihr enthaltene und durch die Aufmerksamkeit aus ihr
auszusondemde Momente stellten fOr unser BewuBtsein den Aussage-
inhah dar. Allein auch diese Annahme erwies sich als unhaltbar.
Kann sonach ein in der Vorstellung selbst gelegenes Merkmal zu ihrer
logischen Determinierung nicht verwendet werden, so bleibt dem
Nominalisten nur (ibrig, diese Funktion einem ihr auBerlichen Um-
stande zuzuweisen. Nicht sofem sie gewisse typische Momente in
sich enthalt* — wird er jetzt sagen — , stellt die individuelle Vorstellung
einer beliebigen Aussagegrundlage den Sinn der Aussagelaute ftir das
BewuBtsein dar, sondem sofem sie zu einer Gmppe von Vorstel-
lungen gehdrt, deren Gegenstande von den Aussagelauten bezeichnet
werden. Hore ich z. B. das Wort Dreiecky so werde ich mir freilich
das eine Mai ein spitzwinkliges, das andere Mai ein rechtwinkliges
Dreieck vorstellen. Allein jede dieser Vorstellungen wird doch zu
einer und derselben Gmppe von Vorstellungen gehoren, nSmlich zu
der Gesamtheit aller Vorstellungen von Dreiecken Qberhaupt, und diese
Zugehorigkeit wird demnach jenes gemeinsame Moment an beiden Vor-
stellungen sein, das dem identischen Sinne des Wortes Dreieck entspricht.
Andererseits kann es allerdings geschehen, daB ich mir den Dom von
Pisa vorstelle, sowohl wenn ich das Wort Kunstwerkj als auch wenn ich
das Wort Kirche hore. Diese Vorstellung gehort indes eben auch
zu zwei ganz verschiedenen Gmppen von Vorstellungen, von denen
die Eine alle Vorstellungen von Kunstwerken, die andere alle Vor-
stellungen von Kirchen umfaBt Da sich nun diese Vorstellung mit
dem Worte Kunstwerk nur verknupft, sofem sie zu der Einen, mit
dem Worte Kirche nur, sofem sie zu der anderen dieser Gmppen
gehdrt, und da nur diese Zugehdrigkeit zu einer Vorstellungsgmppe
dasjenige ist, was einer Vorstellung ihre logische Bedeutsamkeit ver-
leiht, so wird auch in dem vorausgesetzten Falle der Sinn der Worte
Kunstwerk und Kirche ein durchaus verschiedener bleiben. Der Aus-
sageinhalt besteht somit in der Zugehdrigkeit einer beliebigen
Aussag^^ndlage zu einer Gmppe solcher Aussagegmndlagen, welche
alle durch dieselben Aussagelaute bezeichnet werden, resp. in der Zu-
188 NOOLOGIE
gehdrigkeit einer beliebigen individudlen Vorstellung zu einer Gruppe
solcher individueller Vorstellungen, welche alle mit der Vorstellung
derselben Aussagelaute assoziativ verknQpft sind. Die Moglichkeit,
Eine Aussag^^ndlage durch verschiedene Aussageinhalte aufzu-
fassetiy ist nichts anderes als die Moglichkeit, dieselbe Aussage-
grundlage mit anderen Aussagegnindlagen zu verschiedenen Oruppen
zusammenzustellen. Der Sachverhalt verhalt sich zur Tat-
sache nur wie ein Individuum als Olied einer Oruppe zu demselben
Individuum schlechthin. Je nachdem die Aussagelaute mit dem Sach-
verhalt Oder mit der Tatsache in Beziehung gesetzt werden, heiBt diese
Beziehung Bedeutung oder Bezeichnung. Und die angebliche
Oegenst^ndlichkeit der Aussage hat keinen anderen Sinn als den,
daB verschiedene Aussagelaute zur Bezeichnung derselben Oruppen
von Aussagegnindlagen verwendet, resp. die Vorstellungen ver-
schiedener Aussagelaute mit denselben Oruppen von Vorstellungen
assoziiert werden kdnnen.
Diese hier in ihren allgemeinsten Umrissen dargestellte Ansicht
bezeichnen wir als extremen Nominalismus. Obwohl sie nam-
lich zun^chst mit dem Begriffe der Vorstellung noch vielfach operiert,
hat sie doch in Wahrheit schon darauf verzichtet, den Aussageinhalt
als Vorstellung zu begreifen, und wird deshalb von ihren eigenen
Voraussetzungen unaufhaltsam dahin gedrangt, denselben ganzlich zu
leugnen. Aussageinhalt — dies horten wir ja — ist ihr nicht mehr
die individuelle Vorstellung, und auch nicht mehr irgendein Tell oder
Moment dieser Vorstellung, sondern hochstens deren Zugehorigkeit
zu einer Vorstellungsgruppe. Allein Zugehorigkeit ist nichts Vorstell-
bares. Wenn daher der Ideolog den Aussageinhalt als Zugehorigkeit
erkiart, so rSumt er damit im Orunde ein, daB er auBerstande ist,
die Erste semasiologische Hauptfrage zu beantworten, d. h. den Aus-
sageinhalt im BewuBtsein aufzuzeigen. Vorerst zwar wird er in
dieser Richtung noch einige VorstSBe untemehmen. Doch bald wird
dieses aussichtslose Streben erlahmen. Einer Vorstellung an sich
selbst kann man ja nicht anmerken, zu welcher Oruppe sie gehdrt
Soil daher ihre Zugehorigkeit zu einer solchen Oruppe vom BewuBt-
sein dennoch erfaBt werden, und gibt es eingestandenermaBen keine
besonderen Zugehorigkeitsvorstellungen, so mQssen notwendig ent-
weder alle oder doch einige andere Vorstellungen der Oruppe
an die gegebene Vorstellung sich anschlieBen. Das erstere nun ist
so absurd, daB ich dieser Ansicht gar nicht Erwahnung tSte, ware sie
nicht wirklich einmal vertreten worden. Allein jedenfalls bedarf die
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 189
These, ich konne den „ Faust** nicht als ein Kunstwerk auffassen, ohne
mir auch alle anderen Kunstwerke vorzustellen, einmal so formuliert,
keiner besonderen Widerlegung. Dagegen hat die zweite Alternative
des obigen Dilemmas vielleicht zunSchst einigen Schein fur sich, die
Meinung namlich, damit ich den „ Faust** als Kunstwerk auffassen
konne, sei erforderlich, daB ich mich wenigstens flQchtig irgendeines
anderen Kunstwerks erinnerte. Denn gewiB muB mir von frflher er-
lebten Kunstwerks-Eindrucken irgend etwas geblieben sein, damit ich
diesen Begriff jetzt auf einen neuen Gegenstand anwenden kdnne.
DaB freilich dieses Etwas die komplette Vorstellung eines Kunstwerks
sei, liegt hierin noch nicht. Und in der Tat wurde diese Annahme
fiber die Tatsachen um ebensoviel hinausgehen, als sie hinter den
Erfordernissen des Problems zuruckbliebe. Sie ginge fiber die Tat-
sachen hinaus; denn die Erfahrung zeigt uns unzShlige begriffliche
Auffassungen ohne Erinnerung an ein bestimmtes Individuum. DaB
das, was mir der BrieftrSger in die Hand gibt, ein Brief ist, dies weiB
ich; doch trotz redlichstem Willen kann ich nicht finden, daB ich, um
dies zu wissen, an irgendeinen bestimmten anderen Brief zu denken
brauchte. Ja ich kann mit voller Bestimmtheit sagen, daB in einem
solchen Moment gerade alle jene Briefe, die hier etwa in Betracht
kommen kdnnten — z. B. der letzte Brief, den ich fiberhaupt, oder
der letzte, den ich von dem gleichen Absender erhalten habe — ,
ganzlich auBerhalb meines Gesichtskreises li^en. Ebenso kann ich
doch gewiB einen bestimmten Eindruck aussagen durch die Sltze
„Mir ist furchtbar heiB** und „Heute ist ein unangenehmes Wetter**,
ohne daB ich im ersten Fall an anderes HeiBes, Furchtbares usw.,
im zweiten an anderes Unangenehmes und anderes Wetter zu denken
brauchte. Die besprochene Ansicht bleibt aber auch hinter den Er-
fordernissen des Problems zurfick; denn Eine Erinnerung wfirde sehr
haufig nicht genfigen, um eine eindeutige begriffliche Auffassung zu
begrfinden. Fasse ich z. B. den „ Faust** als Kunstwerk auf, und fSllt
mir dabei wirklich einmal auch noch ein anderes Kunstwerk ein, so
wird dies gewiB eher der „ Hamlet** oder die „Divina Commedia**
sein als die Sixtinische Madonna oder die 9. Symphonie. Allein
„ Faust** und „ Hamlet** gehoren nicht nur der Gruppe „ Kunstwerk",
sondem auch der Gruppe „ Drama**, „ Faust** und „Divina Commedia**
nicht nur der Gruppe ^Kunstwerk**, sondem auch der Gruppe „Dich-
tung** an. Diese Begleitvorstellungen wfirden daher gar nicht hin-
reichen, um dem Begriffe „ Kunstwerk** im Sinne der besprochenen
Theorie einen eindeutigen Inhalt zu verleihen. DaB ich aber, um den
m NOOLOGIE
vFaisr" jis Kanstwerk zu b^;rdfen, just an ein Bild, ein Musikstuck
(xaer oksk P^bst denken muBte, wird niemand behaupten.
WJL isber der extreme Nominalismus aufrecht bleiben, so muB er
Boigerodit (Se Eiste semasiologische Hauptfrage grundsatzlich n^eren :
er 3nxi3 kngneiv daB der Aussageinhalt sich dem BewuBtsein uber-
juf irgendeine Weise darstelle, vielmehr behaupten, dasjenige,
fes den Aiissagdauten ihren Sinn verleiht — namlich die Zugehorig-
dcr von ihnen bezeichneten Aussag^rundlage resp. der mit ihnen
ssozoeiten Vorstdlung zu einer bestimmten Oruppe solcher Aussage-
gnuKflagen resp. Vorstellungen — , sei eine rein auBerliche und ob-
jektK-e Tatsache, die gar nicht fur das BewuBtsein des Aussagenden,
sondem aUein fur dasjenige eines unbeteiligten Beobachters besteht
Nenne ich z. B. einmal ein Gemalde, ein anderes Mai eine Symphonie
ein Kanstwerkj oder sage ich einmal das Flattem eines Sperlings, das
andere Mai das Kreisen eines Adlers aus durch den Satz „Dieser Vogel
fliegt^, so finden sich nach dieser Ansicht in beiden Fallen keine
and^en gemeinsamen Elemente in meinem BewuBtsein als die gleichen
Vorstellungen der Wortkl^nge; und nenne ich den Dom von Pisa
einmal eine Kirdie^ ein andermal ein Kunstwerkj oder sage dieselbe
Tatsache einmal aus durch den Satz „ Dieser Vogel fliegf*, ein ander-
mal durch den Satz i,Es bew^ sich etwas"", so sind in beiden Fallen
nur die Vorstellungen der Wortklinge verschieden. Fur mich, den
Aussagenden, ist die Gleichheit oder Verschiedenheit der Auffassung
reduziert auf die Gleichheit oder Verschiedenheit der Bezeichnung\ ein
gleicher oder verschiedener Sinn entspricht diesen gleichen oder ver-
schiedenen Bezeichnungen nur fQr denjenigen, der bedenkt, daB jede
solche Bezeichnung kraft des herrschenden Sprachgebrauches resp.
der bestehenden assoziativen VerknQpfungen einer ganzen Gruppe
von Tatsachen angemessen ist, und daB daher durch die Verwendung
einer derartigen Bezeichnung auch die jedesmal von ihr bezeichnete
Tatsache in eine solche Gruppe eingereiht wird. Vogelflug und Be-
wegung z. B. sind an und fflr sich ganz gleichwertige Bezeichnungen
fOr das Flattem eines Sperlings und haben einen verschiedenen Sinn
nur insofem, als die erste dasselbe nur mit dem Kreisen eines Adlers,
die zweite es auch mit dem Fallen eines Steines zusammenstellt Der
extreme Nominalismus wird sich deshalb so am einfachsten darstellen
laasen: »Die Aussage hat nur 2 wesentliche Elemente, die Aussage-
laute und die Aussagegrundlage; somit auch nur Eine wesentliche
Relation, die der Bezeichnung. Diese Relation verknQpft je Einen
Komplcx von Aussagelauten mit jedem beliebigen Individuum einer
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 191
bestimmten Oruppe von Aussag^^ndlagen, und die Zugehorigkeit
jenes Individuums zu dieser Oruppe macht den sogenannten Aus-
sageinhalt aus. Insofem namlich viele Individuen zu Einer Oruppe
gehoren — d. h. durch dieselben Aussagelaute bezeichnet werden — ,
sagt man, sie wurden in gleicher Weise aufgefaBt; sofem jedes
Individuum zu vielen Oruppen gehSrt — d. h. durch verschiedene
Aussagelaute bezeichnet wird — , sagt man, es werde in verschiedener
Weise aufgefaBt* Speziell fflr die O^enstandsbegriffe ergibt sich
dann folgendes: „An jedem Begriff sind nur zu unterscheiden Name
und O^enstandi). Ein Name bezeichnet viele Oegenstande; Ein
Oegenstand wird durch viele Namen bezeichnet Jenes meinen wir,
wenn wir den Begriff allgemein nennen, denn nur der Name ist all-
gemein. Dieses meinen wir, wenn wir den O^enstand verschiedenen
Auffassungen unterliegen lassen, denn nur die Namen sind verschieden.
Der Begriff hat eben in Wahrheit nur einen Umfang; was man
seinen In halt nennt, ist nur die Einordnung der Oegenstande in
diesen Umfang."
In dieser seiner urwuchsigen Form wird der Nominalismus freilich
heute nicht mehr viele Anhanger finden. Auch w3re er in dieser
Form leicht zu widerlegen. Schon durch den Hinweis auf die Tat-
sache, daB es auch umfangsgleiche Begriffe verschiedenen Inhalts
gibt, wie z. B. gleichseitiges Dreieck und gleichwinkliges Dreieck. Vor
allem jedoch durch die Frage, wie denn neu auftauchende Oegenstande
unter Begriffe gebracht werden? Entdeckt z. B. ein Botaniker eine
neue Species^ ja lemt er auch nur ein neues Individium einer schon
bekannten Species kennen, so besteht ja hier noch gar keine asso-
ziative Verknupfung zwischen der Vorstellung von diesem neuen
Individuum und der Vorstellung irgendeines Namens, und kein
herrschender Sprachgebrauch, welcher die Bezeichnungsweisen des
neuen Individuums festsetete. Bezeichnen wir daher das neue Indi-
viduum ohne weiteres als Blume, Pftanze, Organismus, Korper usw.,
so kann dieser Operation unmoglich die Zugehdrigkeit zu bestehen-
den und iiberlieferten Oruppen zugrunde liegen, und dies allein
wurde hinreichen, die ganze Theorie des extremen Nominalismus zu
vemichten.
Allein so leicht wird er sich nicht gefangen geben. Vielmehr dQrfte
der Nominalist jetzt behaupten, die Oruppe der Aussagegrundlagen
;,Gegenstand" eebrauche ich hier wieder als Bezeichnung fiir jede Tatsache,
die sich als Qegensumd, d. h. als „Sache" auffassen laBt Denn auch der extreme
Nominalismus muB notwendig die Verschiedenheit von Tatsache und Sache
ignorieren.
192 NCXDLOGIE
werde ja nicht nur auBerlich zusammengehalten durch das Band der
gemeinsamen Bezeichnung, sondem auch innerlich durch das Band
der Aehnlichkeit Tauche daher ein neues Individuum auf, so
werde es nach seiner Aehnlichkeit mit den Oliedern der schon be-
stehenden Oruppen in diese eingeordnet werden. Allerdings gebe es
umfangsgleiche Begriffe verschiedenen Inhalts. AUein dies beruhe
eben darauf, daB die Glieder einer solchen Oruppe einander in mehr-
facherHinsicht Shnlich seien, so daB sie in Wahrheit zwei Gruppen
darstellten. Die Gruppe der gleichseitigen und gleichwinkligen Dreiecke
z. B. lasse sich aufldsen in Eine Gruppe, die alle gleichseitigen
Dreiecke, und in eine andere, freilich aus denselben Individuen be-
stehende Gruppe, die alle gleichwinkligen Dreiecke umfasse.
Indes ist hiedurch nur scheinbar etwas gewonnen. Denn die Aehn-
lichkeit der Aussagegrundlagen vermdchte den Aussageinhalt nur dann
zu ersetzen, wenn ihr Fundament in den einzelnen ahnlichen Individuen
aufgezeigt und im BewuBtsein des Aussagenden erfaBt werden konnte.
Beides vermag jedoch der Nominalismus nicht zuzugeben, dem viel-
mehr jene Aehnlichkeit eine irreduzible und dem BewuBtsein SuBerliche
Tatsache bleibt WQBte er z. B. anzugeben, welches Moment an
dem Dom von Pisa seine Aehnlichkeit mit einer Symphonic b^^ndet,
dann hatte er damit auch schon diesen Gegenstand in intelligible
Telle zerlegt Es ware dann selbstverst^ndlich, daB in dem BewuBt-
sein von diesem Moment sich eben auch der Begriffsinhalt Kunstwerk
als psychisches Datum offenbart. Dann wire aber der Name Kunst-
werk nicht mehr bloB deshalb ein allgemeiner Name, well er zahlreiche
einander Shnliche G^enstande bezeichnet, sondem vielmehr deshalb,
well er jenes Eine, all diesen Gegenstanden gemeinsame Moment, den
Begriffsinhalt Kunstwerk^ ausdrQckt Solange daher der Nominalismus
Nominalismus bleibt, wird er nie imstande sein, das Fundament der
Aehnlichkeit in den einzelnen ahnlichen Individuen nachzuweisen.
Vielmehr kann er die Aehnlichkeit des Doms von Pisa mit einer
Symphonic nur feststellen und hinnehmen als eine letzte und jeder
weiteren Analyse spottende Tatsache, und auch diese Tatsache kann
er nur verwenden, um zu erklaren, wie die Uebung entstanden
sein mag, den Dom von Pisa auch durch den Namen Kunstwerk zu
bezeichnen. Denn daB jene Aehnlichkeit jedesmal dem BewuBtsein
aktuell gegenwartig sei, so oft ich diese Bezeichnung auf den Dom
von Pisa anwende, diese Behauptung verwehrt ihm die Erfahrung.
Hiemit ist das Problem der Bedeutung auf das der Form reduziert,
wie wir es schon friiher (§ 31. 6—8) kennen lemten. Wir sahen
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 103
damals : die Ideologie gelangt schlieBlich folgerecht zu der These, von
S die Form (p aussagen bedeute im Orunde nur, von S aussagen,
daB es an V erinnere; Kopfschmerz z. B. heiBe nach dieser Ansicht
nur darum unangenehnij weil er an Zahnschmerz erinnere, usf. Eben-
so heiBt jetzt fur den Nominalismus, eine Aussagegrundlage durch
einen Aussageinhalt auffassen, letztiich nur, feststellen, daB diese Aus-
sag^^ndlage an eine andere erinnert, ihr ahnlich ist Verbinde ich
z. B. zwei Oedanken durch das Wort trotzdem^ so kann der extreme
Nominalist nur erklaren, es sei eben das Verhaltnis dieser zwei Oe-
danken ahnlich dem Verhaltnis zweier anderer Oedanken, und nur die
Zugehorigkeit zu der durch diese Aehnlichkeit verbundenen Oruppe
von Oedankenpaaren bedeute das Wort trotzdem. Was fQr ein
Verhaltnis dies dagegen sei, worin denn diese Aehnlichkeit bestehe,
was daher das Wort trotzdem eigentlich ausdrOcke — dies seien un-
losbare und deshalb verkehrte Fragen. Allein wie wir schon damals
sagten, diese Betrachtungsweise durfte folgerecht nicht auf die Formen
beschrankt, sondem muBte auch auf die Inhalte ausgedehnt werden,
und dann trete grell ihre Absurditat hervor, so gilt nun dasselbe auch
fur unsere Frage. Wir bezeichnen z. B. mit dem Worte Blau eine
groBe Zahi von Inhalten sinnlicher Empfindung. Der extreme No-
minalismus kann diese Tatsache nur folgendermaBen erkliren. Jene
Empfindungsinhalte weisen eine gewisse Aehnlichkeit miteinander auf.
Diese gibt dazu den AnlaB, sie samtlich durch das Wort Blau zu
bezeichnen. Folge ich nun diesem Sprachgebrauche und bezeichne
dnen dieser Empfindungsinhalte als blauy so ist dies lediglich eine
der moglichen Weisen, uberhaupt von ihm zu reden. Diese Rede-
weise hat einen logischen Sinn nur insofem, als sie darauf hinweist,
daB der Empfindungsinhalt, von dem ich rede, zu einer Oruppe von
Empfindungsinhalten gehoil, die untereinander eine gewisse Aehnlich-
keit zeigen und deshalb sSmtlich durch das Eine Wort Blau bezeichnet
werden. Davon, daB diese Empfindungsinhalte einander desw^en
Hhnlich sind, weil sie alle blau sind, und daB ich jeden von ihnen
darum, dann und insofem blau nenne, weil, wenn und insofem er
mir die Empfindung Blau verschafft — kommt in dieser Erkiamng
nichts vor. Damit aber richtet sie sich in den Augen jedes Unbe-
fangenen wohl selbst
5) Der Versuch, die Entwickdung des Nominalismus geschichtlich darzu-
stdlen, b^^^net einer eigentumlichen Schwierigkeit G^enuber dem
Platonischen Realismus haben sich namlich alle andem Richtungen lange
Zeit solidarisch gefuhh: es wird gar oft nur die Subjektivitat der Univer-
Oomperz, WeltansduumngBlehre II 1 13
194 NOOLOGIE
salien betont, ohne daB wir mit Sicherheit zu beurtellen vennochten, ob die
Ansicht des betreffenden Autors ideologisch oder kritizistisch ist Insbe-
sondere im Mlttelalter treten haufig Wendungen der Rede und des Gedankens,
die einetn nominalistischen Zusammenhange zu entstammen scheinen, im
Gefolge durchaus nicht nominalistischer Lehren auf. Doch auch schon im
Altertume findet gelegentlich Aehnliches statt
So berichtet uns Ammonius*), Antisthenes habe „den Gattungen und
Arten nur ein Sein im Denken'' (Iv ^tXaZ<: l7civolai<;) zugestanden, indem er
betnerkte: „Das Pferd sehe ich, die Pferdheit nicht" Hieraus allein nun
kdnnte man gar nicht schlieBen, ob die Kyniker den Aussageinhalt mit an-
schaulichen Vorstellungen oder mit besonderen Denkakten gleichgesetzt haben.
Nur daraus vielmehr, daB als ein zweites Beispid eines solchen „bIoB in
Gedanken" Seienden der Centaur angefuhrt wird 2), den wir auf Grund der
Anschauung (*saaa|jLevot) von Menschen und Pferden fingieren (avaTcXdCstv)
sollen, scheint hervorzugehen, daB es sich hiebei um eine nominalistische
Ansicht handelt, die nun freilich immer noch einen mehr gemaBigten oder
mehr konzeptualistischen Charakter gehabt haben kann. Andererseits geht
auch im Mittelalter der gemaBigte Nominalismus nur sehr langsam aus den
herrschenden kritizistischen Ansichten hervor. Und zwar lassen sich hier
zwei getrennte Entwickdungslinien unterscheiden, auf deren einer die be-
griffliche Auffassung zu einer Leistung der Aufmerksamkeit, und auf deren
anderer der Verstandesbegriff zu einer anschaulichen Vorstellung wird. Jene
ist die altere und setzt schon im 12. Jahrhundert ein mit der an sich ge-
wiB noch nicht nominalistischen Lehre des Walter von Mortaqne^), das
Universale sei nur ein anderer „Zustand" (status) des Individuums, indem
z. B. „PIato ein Individuum sei, sofem er Plato, eine Art, sofem er Mensch,
eine untergeordnete Gattung, sofem er Tier, und eine hochste Gattung,
sofem er Substanz sei". Hieran schHeBt sich die sogenannte Indifferenz-
lehre des Adelard von Bath und anderer Autoren, die ihren Namen
davon hat, daB ihr zufolge das Universale nicht an sich selbst existiert,
sondem nur in gleicher Weise (indifferenter) den einzelnen Individuen zu-
kommt*). Hier finden wir nun zuerst die Behauptung, das Universale
unterscheide sich vom Individuum nur dadurch, daB es in anderer Hinsicht
(respectu diverse) aufgefaBt, anders betrachtet (aliter intuentes), von der Auf-
merksamkeit in anderer Weise beachtet (aliter attentum) werde, kurz daB
das Erfassen des Allgemeinen nur in einer solchen Betrachtung (consideratio)
des Besonderen bestehe, bei welcher die individuellen Eigentumlichkeiten
vergessen, hintangesetzt oder vemachlassigt wurden (obliti, postposita,
relicta)^) — eine Auffassung, der sich dann im 13. Jahrhundert auch der
Thomist Aeqvdius von Colonna angeschlossen hat 6). Auf der anderen
Seite zeigt sich schon bei Wilhelm von Occam eine gewisse Tendenz,
In Porph. Isagog. S. 40. 6 (BussE). «) Ibid. S. 39. 14 (BussE). 3) Prantl IL
S. 119, Anm. 65. *) Abaelard, Olosulae sup. Porph. (Opp. II, p. 758 f.) *) Prantl
II, S. 139-141, Anm. 133, 134, 137 u. 141. ») Prantl ill, S. 262, Anm. 379.
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 195
die species intelligibUis in eine anschauliche Einzelvorstellung (idolum, fichun,
simulacrum, phantasma, imago) oder wenigstens in eine Disposition (habitus)
zur Hervorbringung solcher Einzelvorstellungen ubergehen zu lassen*) —
wenn auch freilich Occam diese Tendenz schlieBlich uberwindet und das
Denken in reine Verstandestatigkeiten {actus intelligendi) setzt ^. Bei Greqor
VON Rimini jedoch wird jener Gedanke wenigstens insofem wieder aufge-
nommen, als die species intelligibiles Gedachtnisbilder (imagines in memoria
existentes) sein, sich auf Einzeldinge beziehen und diese vertreten sollen^).
Pierre d'Ailly endlich*) gebraucht nicht nur fur diese Bilder des Einzelnen
schon den Kunstausdruck yyVorstellung'' (idea\ sondem grundet auch be-
reits die Verbindung zwischen Namen und Gegenstand auf eine Asso-
ziation der Ideen, indem er bemerkt: „Infolge der Gewohnheit besteht
eine gewisse Verbindung (colligantia) und Wechselbegleitung zwischen
dem naturlichen Begriffe vom Menschen und dem Begriffe des Wortes
Mensch. Und deshalb wird, sobald der Eine B^ff durch seinen Gegen-
stand erregt, namlich das Wort Mensch gehort wird, alsbald auch der
andere B^ff, d. i. das naturliche Bild des Menschen, erregt" So hat
denn schon das Mittelalter alle jene gedankHchen Elemente erzeugt, durch
deren Verbindung dann Berkeley den gemaBigten Nominalistnus b^^riinden
konnte. Seine Darstellung tragt, wie alles, was dieser machtige Geist hervor-
gebracht hat, den Stempel der genialen Einfachheit. „Ein Wort wird all-
gemein, indem man es zum Zeichen macht — nicht fur Eine abstrakte
allgemeine Vorstellung, sondem fur zahlreiche besondere Vorstellungen ; es
regt namlich den Geist an, irgendeine dieser Vorstellungen — gleichgiiHig
welche — zu bilden" (any one of which it indifferently suggests to the
mind's), Wodurch unterscheidet sich nun dieselbe Vorstellung als Re-
prasentantin Eines Begriffs von derselben Vorstellung als Reprasentantin
eines andem B^jiffs? „Es muB zugestanden werden, daB es moglich ist,
eine Figur bloB als Dreieck zu betrachten: ohne auf die besonderen
Eigentumlichkeiten der Winkel oder des Verhaltnisses der Seiten zu achten.
In diesem Sinne gibt es eine Abstraktion. Allein dies beweist
nicht, daB wir eine abstrakte, allgemeine, innerlich widersprechende Vor-
stellung eines Dreiecks bilden kdnnten. Ebenso konnen wir Peter be-
trachten insofem er ein Mensch oder insofem er ein Lebewesen ist, ohne
die erwahnte abstrakte Vorstellung eines Menschen oder eines Lebewesens
zu bilden: indem wir namlich nicht alles, was wir vorstellen, beachten"*).
Aber ist es denn wahr, daB wir mit alien Worten stets anschauliche Vor-
stellungen verbinden? Nein, erwidert Berkeley; doch steht dies mit der
g^;ebenen Erklamng nicht im Widerspmche. Denn „ein biBchen Aufmerk-
samkeit wird davon uberzeugen, wie wenig es — sdbst in den strengsten
») Prantl hi, S. 335 ff., Anm. 758, 750, 76Z «) Prantl III, S. 335, Anm. 757,
u. S. 338, Anm. 768. 3) Prantl IV, S. 10 f., Anm. 35-30. *) Prantl IV. S. 105,
Anm. 437, 438. ^) Principles of human knowledge, Introd. 11—12 (WW. I, S. 244f.).
Man beachte ubngens den Anklang an die IndimremAjthre^ des Mittelalters. ^) Ibid.
16 (WW. I, S. 240).
13»
196 NOOLOGIE
Oedankengangen — notwendig ist, daB bedeutungsvolle Namen, die Vor-
stellungen vertreten, auch jedesmal, wenn sie gebraucht werden, in dem
Verstande die Vorstellungen , welche sie vertreten, erregen. Beim Lesen
und Sprechen gebrauchen wir die Worte meist so wie die Buchstaben in
der Algebra, wo zwar jeder Buchstabe eine bestimmte OroBe vertritt, wo
es jedoch trotzdem zum richtigen Fortgange nicht erforderlich ist, daB dich
bei jedem Schritte der Rechnung jeder Buchstabe an jene bestimmte GroB^
erinnere, die er zu vertreten berufen ist" Ja sogar „die Affekte Furcht,
Liebe, HaB, Bewunderung, Verachtung u. dgl. entstehen im Geiste unmittel-
bar durch die Wahmehmung gewisser Worte, ohne die Dazwischenkunfl
irgendwdcher Vorstellungen. Urspriinglich freilich mdgen die Worte zui
Hervorbringung dieser Gemutsbewegungoi geeignete Vorstellungen veran-
laBt haben"; allein die Gewohnheit wird zur Folge haben, daB diese Vor-
stellungen aus der Assoziationsreihe „ganz ausgelassen" werden. „K6nnen
wir z. B. nicht durch das Versprechen von etwas Gutem in Erregung ge-
raten, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was es ist? Und genugl
nicht die Drohung mit einer Gefahr^ um Angst zu erzeugen, obwohl wir
weder an irgendein bestimmtes Uebel denken, das uns leicht zustoBen
konnte, noch die Vorstellung einer Gefahr im allgemeinen bilden"')? Hief
scheint mir freilich Berkeley sich selbst widerlegt zu haben: seine Beob-
achtung ist ebenso richtig als seine Deutung unhaltbar. GewiB wird midi
die Ankundigung „einer Gefahr^' erschrecken, ohne daB ich mir diese Ge-
fahr vorstellen konnte; allein ebenso gewiB ist es nicht der bloBe Wort-
klang Gefahr, der diese Wirkung hervorbringt Fasse ich diesen Wort-
klang bloB als einen sinnlosen Schall auf — und dies ist moglich — , sc
laBt er mich vollkommen kiihl. Nur der verstandene Wortklang hal
jene Wirkung. Darin liegt jedoch, daB ein Wort verstanden werden kann
ohne Vorstellungen zu erregen.
Die angefuhrten Gedanken Berkeleys, insbesondere seine Erklarung da
Abstraktion als Konzentration der Aufmerksamkeit auf gewisse, und Ab
wendung derselben von gewisseh anderen Momenten einer individudler
Vorstellung, sind seither ungezahlte Male wiederholt worden. Ich erwahn<
hier zum Bdeg nur die Ausfuhrungen von Hamilton 2), J. St. Mill 3)
RiBOT*), Lippss) und HOfler*). Die Frage, wie es moglich sein sollc
an einer einfachen Vorstdlung noch verschiedene Momente zu unterschdden
an die dann die Aufmerksamkeit ungleichmaBig verteilt werden konnte, ha
sich keiner dieser Autoren gestdlt Ich weiB auch nicht, wie man sie be
antworten wollte. Etwa durch die Behauptung, jene Vorstellungen sda
gar nicht einfach, sondem nur Erzeugnisse einer unloslichen Asso
ziation — eine Auskunft, mit der ja besonders J. Mill 7) und J. Si
Mill 8) so oft operieren? Der Vollstandigkeit halber sei auch auf sie nod
Ibid. 19-20 (WW. I, S. 251 f.). ^) Lectures II, S. 287 L und III, S. 132
3) Exam, S. 377 ff.; Anal. I, S. 290. *) Id. g^n. S. 3ff. ») e. u. R. S. 33ff. •) Logi
S. 23. 7) Anal. I, S. 93 ff. ^) Exam. S. mff. ' ^
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 197
mit Einem Worte dngegangen. Ich muB allerdings gestehen, daB ich uber-
haupt nicht imstande ware, mit der Behauptung dnen Sinn zu verbinden,
unsere Tonempfindungen etwa seien entstanden durch Assoziation isolierter
Tonhohen, Tonstarken und Klangfarben, d. h. es sei mdglich, eine Ton-
starke zu erieben, die nicht die Tonstarke eines bestimmten, auch seiner
Hdhe und Klangfarbe nach bestimmten Tones ware. Es ware dies ja nicht
anders, als wollte jemand behaupten, der Mensch entstehe, indem sich seine
GroBe, seine Breite und seine Dicke miteinander verbanden. Denn eine
Tonstarke, die nicht die Starke eines bestimmten Tones ist, scheint mir eben-
sowenig existieren zu konnen als eine MenschengrdBe, die nicht die GrdBe
eines bestimmten Menschen ware. AUein noch mehr! J. St. Mill selbst
fiihrt als das Kriterium fur die Unldslichkeit einer Assoziation unsere Un-
fahigkeit an, ein psychisches Element durch bloBe Konzentration der Auf-
merksamkeit in dnfachere Elemente aufzulosen. Hier dag^en soil doch
gerade durch eine Konzentration der Aufmerksamkeit die Unterscheidung
der intelligiblen Telle zustande kommen. GewiB ist daher die erwahnte
Schwierigkeit auch auf diesem Wege nicht zu heben.
Hume hat diese Schwierigkeit gesehen und ist von ihr in den extremen
Nominalismus hinubergedr§ngt worden. Gel^:entlich zwar behauptet er
gleichfalls, jede ,,abstrakte Vorstellung^ sei ,,nichts anderes als eine besondere
Vorstellung, in einem gewissen Lichte betrachtet" ^), Allein er ist sich darOber
klar, daB diese eigentumliche Betrachtungsweise nicht ein Herausheben ge-
wisser Merkmale sein kann, well sie sich auch auf einfache Empfindungen
anwenden laBt Er sagt ^, Blau und Grun seien einander ahnlicher als Blau
und Rot, „obwohl die vollkommene Einfachheit*' dieser Empfindungen „jede
Moglichkeit der Trennung und Unterscheidung ausschlieBt^. Ja alle ein-
fachen Vorstdlungen als solche sden einander gerade wegen ihrer Einfach-
heit ahnlich, obwohl sie ex definitione kein trennbares oder unterscheidbares
Moment enthalten konnten. Wodurch unterscheidet sich nun eine Griin-
empfindung, als Orunempfindung betrachtet, von derselben Grunempfindung,
als einfache VorsteUung betrachtet? Hier bleibt nur die Antwort fibrig: sie
unterscheiden sich dadurch, daB die Grfinempfindung im ersten Falle bloB
andere Grunempfindungen, im zweiten dag^;en auch andere einfache Vor-
stellungen assoziativ erweckt Hume geht nun freilich nicht so weit wie
J. Mill, der die ungeheuerlidie Behauptung aufstellt, zum Verstandnis des
Wortes Mensch sei erforderlich, daB dassdbe „die Vorstellungen einer un-
begrenzten Zahl von Individuen hervorrufe**, nicht nur aller bekannten,
sondem auch aller unbekannten Menschen, wodurch denn diese Vorstd-
lung „offenbar sehr zusammengesetzt und deshalb auch sehr undeutlich
werde"3). Hume meint vidmehr, durch die Verwendung derselben Be-
») Treatise II. 3 (I, S. 341). 2) Treatise I. 7 (I, S. 325 ff.). 3) Anal. I, S. 265.
Eine Mildening dieses Standpunktes ist es, wenn neuerdings St5hr (Log. S. 1 ff.)
den Begriff als einen „Vorgang** erklart, namlich als jenen hrpischen Verlauf der
Vorstellungsreproduktion, bei dem von einem „Begriffszenfriim" aus eine un-
198 NOOLOGIE
zeichnung fur viele einzdne, einander ahnliche Vorstellungen entstehe eine
Gewohnheit, diese Vorstellungen der Reihe nach zu uberschauen. Werde
nun das betreffende Wort wieder einmal gehort, so ,^i es freilich nicht
imstande, die Vorstellung aller dieser Individuen wieder zu beleben, sondem
beruhre sozusagen bloB die Seele und belebe jene Gewohnheit wieder"'.
Die individuellen Vorstellungen seien somit nicht aktuell, sondem bloB
potentiell dem Geiste g^enwartig; wir stellten jene Individuen nicht wirk-
iich vor, sondem seien nur darauf vorbereitet, sie zu uberschauen. „Das
Wort erregt eine individuelle Vorstellung, zusammen mit einer gewissen
Gewohnheit" Wurden daher verschiedene Begriffe durch dieselbe Vor-
stellung vertreten, z. B. die Begriffe Figur, geradlinige Figur, regelmafiige
Figur, Dreieck, gkichseitiges Dreieck durch die Eine Vorstellung eines gleich-
seitigen Dreiecks, so sei der Unterschied ihrer Bedeutung nur darin be-
grundet, daB diese Vorstellung in jedem der angefuhrten Falle von einer
anderen „besonderen Gewohnheit** begleitet werde. Diese absonderliche
Theorie oszilliert, wie man sieht, zwischen den Postulaten der Logik und
den Tatsachen der Erfahrung bestandig hin und her: diese verbieten es,
zum Verstandnis eines Ausdrucks eine Vielheit von Vorstellungen fur un-
erlaBlich zu halten; jene widerstreben der Annahme, daB verschiedenen Be-
griffen gleiche BewuBtseinszustande entsprechen konnten. So zwischen
Scylla und Charybdis schwebend, ist Hume auf den Gedanken verfallen,
eine „Gewohnheit** fur ein psychisches Datum auszugeben. AUein die Un-
zulassigkeit dieser Auskunft liegt auf der Hand. Meine Gewohnheit, vor-
zustellen, ist ebensowenig eine Vorstellung, wie meine Gewohnheit, mich
zu waschen, eine Waschung ist Nur wenn die Gewohnheit, auch wo sie
nicht ausgeubt wird, durch ein besonderes psychisches Element reprasentiert
wurde, wire sie ein Datum des BewuBtseins. Diese Lucke der HuMEschen
Theorie hat, wie es scheint, Corneuus auszufullen untemommen und zu
diesem Behufe behauptet^), die „rudimentare Assoziation**, um die es sich
bestimmte Mehrheit von Individualvorstellungen assoziativ erweckt werde. jedocfa
so, daB der Vorstellungsverlauf nach jeder Individualvorstellung zu aer Vor-
stellung des Begriffszentrums zuruckkehre. Auf diese Art meint namlich St6hr
den absurden Konsequenzen der J. MiLLschen Ansicht zu entsrehen - denn nacb
ihm ,.genugen . . zwei Exemplare aus dem Umfange und ein Begriftszentrum . .,
um die Form im Minimum ihrer Erkennbarkeit zu entwickeln". Als „Begriffs-
zentrum" aber konne sehr verschiedenes fungieren, z, B. die Vorstellung eines
Zirkels fur den Bejgriff Krds^ die Vorstellung von Blut fur den Bejmff Rot Schon
diese Belspiele zeieen nun, daB fur einen und denselben Begrirt das „Begriffs-
zentrum" nach psycnologischen Zufalligkeiten von Individuum zu Individuum vanierer
kann (ich z. B. denke nie an einen Zirkel, wenn ich den Beg;riff Kreis denke).
Ware daher diese Auffassung die wahre, so ware ein interindividueller logischei
Verkehr unmoglich. Vor allem indes ist es, wie schon oben gezeigt wurde, tat
sachlich unrichtig, daB wir auch nur zwei Exemplare vorstellen muBten, um einei
Begriff zu erfasscn, d. h. daB wir kein Individuum unter einen Begnff bringer
konnten, ohne an ein anderes Individuum derselben Art zu denken — davon gan:
abgesehen, daB Begriffe auch verstanden werden, ohne daB auch nur ein einugei
Individuum der betreffenden Art vorgestellt wurde oder auch nur vorgestellt weraei
konntc. ») Psycholog. S. 218 ff.
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 199
hier handle — und die ich selbst fruheri) als „ein leises Anklingen der
ringsum assoziierten B^ffe"' bezeichnet hatte — , beschranke sich auf eine
^eigentumliche Farbung des BewuBtseinshintergrundes'' und sei zu erldaren
als ^Gestaltqualitat*' der ^unbemerkten Gedachtnisbilder''. Wir wissen indes
aus § 31. 2, daB hiemit im Grunde zugestanden wird, es sei das BewuBt-
sein vom Begriffsinhalt etwas ganz anderes als dne Reihe von Vorstdlungen.
Denn gewiB wird niemand dasjenige, was etwa dem akustischen Phantasma
dreier Tone und dem optischen Phantasma dreier Aepfel gemeinsam ist,
fur einen Vorstellungsinhalt ausgeben wollen. Der Nominalismus uber-
schreitet daher den ihm durch seine eigenen Voraussetzungen gezogenen
Rahmen in dem Augenblick, in dem er sidi den Gegebenheiten der Er-
fahrung anzupassen meint
Es kommt dazu, daB es, wie wir schon bemerkten und wie u. a. auch
HussERL^ ausgefiihrt hat, in sehr viden Fallen iiberhaupt keine Phantas-
men gibt, weldie dem logisdien Inhalte einer Aussage adaquat waren: ein
deutlicher Beweis dafur, daB das Verstehen dieser Inhalte nicht wesentlidi
ein Vorstdlen sein kann — mag auch dieses Vorstdlen jenes Verstandnis
oft bedeutend erleichtem. In dieser Hinsicht sind ungemein belehrend die
Ergebnisse einer Rundfrage, die Ribot veranstaltet hat, um die psychisdie
Natur des Verstandnisses abstrakter Ausdrucke zu ermitteln. Diese Ergeb-
nisse, die er im Auszuge mitteilt^), sind namlich fur den Nominalismus
geradezu niederschmettemd. Es wurde eine groBe Zahl von Personen dazu
angeleitet, zu beobachten, weldie Phantasmen in ihrem BewuBtsein das Ver-
standnis von Worten wie z. B. Gerechtigkeit b^leiteten. Darauf erklarten
53 o/o dieser Personen, daB sie sich bei derartigen Ausdrucken, auch
wenn sie diesdben sehr wohl verstunden, absolut nichts vorstdlten 4).
Auch ist dies sehr begreiflich. Denn die einzigen Phantasmen, die neben
Wortklang und Schriftbild des abstrakten TentUnus konstatiert wurden,
waren hochst konkrete Vorstdlungen, z. B. ffir das Wort Gerechtigkeit ein
Gerichtssaal, ein Henker u. dgl. Es wird aber wohl kaum jemand be-
haupten, daB der Inhalt des Begriffes Gerechtigkeit in dem Phantasma eines
Gerichtssaales enthalten sein kdnne. Zum UeberfluB hat die RiBOTsche
Enquete auch hiefur noch einen besonders schlagenden Beweis gelirfert
Es sagten namlich samtliche Zeugen ohne Ausnahme aus, daB sie sich bd
einem kurzen Satze genau dassdbe vorstdlen wie bei seinem „wichtigsten*'
Worte, z. B. bei dem Satze „Gerechtigkeit ist eine Tugend" genau dassdbe
wie bei dem Worte ^Gerechtigkeit" allein^). Und doch ist der logische
Sinn jenes Satzes von dem dieses Wortes ofifenbar vollkommen verschieden.
Zu ganz demsdben Ergebnisse haben auch die von Binet mit seinen
Kindem angestdlten Versuche gefOhrt^). Durchw^ haben diese Kinder
die anschaulichen Vorstdlungen (images) von den Gedanken {pensies) unter-
») Pj
*) Ibid.
Psych. log. Orundtats. S. 94. ^) Log. Unterss. II, S. 62 f. 3) id. gin. S. 127 ff.
' S. 145. 5) Ibid. S. 140. •) InteU. S. 81-102,
200 NOOLOOIE
schiedetiy und in unzahligen Fallen haben sie bezeugt, dafi sie eine Aus-
sage voUkommen verstanden, ohne sich dabei irgend etwas vorzustdlen.
Audi diese von Binet ausfuhrlich wiederg^ebenen Zeugnisse sind daher
ffir den gemaBigten Nominalismus geradezu vemichtend. Denn sie tun
aufs neue und, wie mir scheint, unwiderlegiich dar, daB der Aussageinhalt
sich dem BewuBtsein nie und nimmer als Vorstdlung darstellt
Aus diesem Grunde wird man sogar jenen allerextremsten Ansichten eine
gewisse Sympathie entg^genbringen durfen, weldie den Aussageinhalt aus-
drucklich leugnen, etwaige das Aussprechen oder Horen der Aussagdaute
b^ldtende Vorstdlungen ffir unwesentliche Nebenumstande erklaren und
an der Aussage nichts anderes untersdidden als die Aussagdaute und die
Aussag^grundlage, am B^friff nidits anderes als Namen und G^enstand.
^in Wort als Zeidien fur vide Dinge — viele W6rter als Zddien fur
Ein Ding. Nur in dieser Bezeidmungsfunktion besteht der Sinn dues
NamenSy der Inhalt eines B^[riffes. Audi Wahr und Falsdi drudcen nur
die riditige und unrichtige Verwendung von Worten aus.^ Als Vertrder
dieser Ansidit, deren Unhal&arkeit oben sdion dargetan wurde, haben wir
in § 47. 9 Upavarshai), Epikur^ und Roscelun^) kennen gdemt
Ihnen rdht sidi Hobbes an durdi sdne Lehre^), allgemein sd allein der
Name, der alle ahnlidien Individuen einer Art bezeichne; nur sekundar
trete dabd audi die Vorstdlung eines bdiebigen einzdnen Individuums ins
BewuBtsdn; ,,die Wahrheit betrifft die Rede, nicht die Sadie'' ^^ Dodi audi
J. Mill steh^ trotz mandiem psydiologisdien Bdwerk, im Grunde auf
diesem Standpunkt 6).
§54
FQr den Kritizismus ist der Aussageinhalt AeuBerung oder
Erzeugnis dnes besonderen, vom VorstellungsvermSgen verschiedenen,
ffir alle denkenden Wesen gleichen Denkvermdgens, des In telle kts.
Wir bezeichnen diesen Standpunkt als den des semasiologischen
Rationalismus.
Dersdbe vermag in der Tat die Zwdte, Dritte und Vierte sema-
siologische Hauptfrage befriedigend zu erledigen — unter der Voraus-
setzung, daB er auch auf die Erste jener Hauptfragen eine zufrieden-
stellende Antwort erteilen kann. Allein eben diese Voraussetzung
wird durch den kritizistischen Grundwiderspruch als un-
haltbar erwiesen.
ERJLAUTERUNO
1) Wenn der Aussageinhalt weder durch eine intdlektuale An-
schauung erfaBt noch in den Aussagegrundlage-Vorstellungen uns ge-
») Deussen, Sutra's, S. 173 ff. ^ Frg. 259 (Usener). 3) Prantl II. S. 1%
Anm. 319; S. 122f., Anm. 77 u. 81. *) De corp, 1. 2. 9 (Opp. Ut 1, p. 17f.). «) ibid. I.
3. 7 (Opp. Ut 1, p. 31 f.). «) Anal. I, S. 2d8ff.
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 201
geben wird, so kann er uberhaupt nicht rezeptiv von uns erfahren,
sondem muB reaktiv von uns zu den anderen Elementen der Aussage
hinzugebracht werden. Nirgends scheint nun die allgemeine Voraus-
setzung des Kritizismus, solche subjektive Zutaten vollzogen sich als
spezifisch intellektuelle Operationen, mehr am Platz als hier. Das Er-
fassen der Aussagen in ihrer logischen Bedeutung ist ja das eigen-
tumliche Oesch&ft des Denkens. Wenn wir also sonst wohl gegen
den Kritizismus einwenden konnten und muBten, ihm zufolge wurde
da ein Operieren mit Begriffen erfordert, wo in Wahrheit nur ein
schlichtes Erleben sich aufzeigen lieBe, so versagt dieser Einwand
sicherlich gegenuber der Behauptung, das logische Denken vollziehe
sich in spezifischen Verstandestatigkeiten. Diese Behauptung scheint
ja kaum mehr zu sein als eine Tautologie. Jedenfalls ist die kritizistische
Auffassung des Logischen die meistverbreitete, ja nicht nur in der
Wissenschafty sondem auch im Leben die herrschende. DaB Denken,
Wissen, Erkennen etwas anderes sei, nicht nur als Sehen, Wahmehmen,
VorsteUen^ sondem auch als FUhlen, Wunschen, Wollen — dies gilt
fur den „naiven Oebildeten'' unserer Zeit als eine ziemlich selbstver-
standliche Annahme, und ihr entspricht es, wenn auch die korrelaten
„Vermdgen'' ebenso allgemein auseinandergehalten, demnach Verstand
und Vemunft nicht weniger scharf von Anschauung und Phantasie
als von Qemut und Charakter unterschieden werden. Insbesondere
stellt man sich vor, daB die genannten Denkvermogen, die wir zu-
sammenfassend als Intellekt bezeichnen wollen, sich in gewissen
Tdtigkeiten SuBem, namlich vor allem im Begriffebilden, Urteilen und
Schliefien^ und daB durch diese Tatigkeiten dann gewisse logische
Oebilde erzeugt wurden, namlich die Begriffei), Urteile und
SchlQsse. Diese Ansicht nun, welche den Aussageinhalt in Oestalt
von intellektuellen Operationen und deren Produkten im BewuBtsein
aufzeigen mdchte, bezeichnen wir als Rationalism us.
Die Antwort dieser Lehre auf unsere Erste Hauptfrage scheint zu-
nichst sehr befriedigend auszufallen. Denn wamm soUten die intel-
lektuellen Tatigkeiten und Erzeugnisse nicht unmittelbar im BewuBt-
sein erlebt werden? Das subjektive Denken ist ja wirklich durch ein
TatigkeitsbewuBtsein charakterisiert, und auch die Begriffe, Urteile
und SchlQsse selbst scheinen sich als psychische Daten darzustellen,
da wir ihren Sinn verstandnisvoll erfassen konnen. Die Tatsache des
Der Baffin diesem Sinne deckt sich naturlich mit dem, was wir den Be-
griffsinhaU nennen, da wir die Aussagelaute zur Aussage, somit auch den Namen
zum Begriffe rechnen.
202 NOOLOGIE
logischen Verkehrs femer l§Bt sich von diesem Standpunkte aus dn-
fach durch die Annahme erklaren, die intelleiduellen Fahigkeiten der
denkenden Individuen seien, wenn nicht dem Grade, so doch der
Art nach spezifisch gleich. Es steht ja hier nicht so wie bei den
Vorstellungen, wo auch die grSBte Verschiedenheit der Wahmehmungen
und Phantasmen die Inhaltsgleichheit der Aussagen nicht ausschlieBt
Mag immerhin der Satz „Fasse ich diese 2 Einheiten und diese 1 Ein-
heit zusammen, so erhalte ich 3 Einheiten"" das Eine Mai von optischen
Vorstellungen und englischen Worten, das andere Mai von akustischen
Vorstellungen und franzosischen Worten begleitet werden: die Be-
griffe, welche mit den einzelnen Teilen dieser Aussage sich verbinden,
und das Urteil, das diese Begriffe in eine gewisse Beziehung zuein-
ander setzt, konnen desungeachtet in beiden Fallen dieselben sein und
so den identischen Sinn jenes Satzes fundieren.
Oibt man dies zu, so laBt sich auch die zweite Hauptfrage in mehr
Oder weniger befriedigender Weise beantworten. Die Aussage
wird sich dann von den Aussagelauten dadurch unterscheiden,
daB diese in ihr mit der intellektuellen Operation des Begriffebildens,
Urteilens oder SchlieBens verknQpft sind. Was jedoch die G^en-
standlichkeit der Aussagen anlangt, so wird der Kritizist vor allem
annehmen, es sei die vollkommene spezifische Oleichheit der
intellektuellen Produkte, die uns zu der Behauptung ihrer Identitat
verfuhre. Er kann indes auch darauf hinweisen, daB die gleiche
intellektuelle Operation sich zu den wechselnden Aussagelauten Shn-
lich verhalte wie die Totalimpression zu den Qualitaten, und daB
daher der Sinn einer Aussage gewissermaBen die Substanz der-
selben sei. Als ultimum refugium bleibt ihm endlich noch die Erklarung
Qbrig, wir pflegten eben aus irgendwelchen Orunden die Aussagen
mit besonderer Vorliebe unter den Begriff des Oegenstandes
zu bringen.
Noch leichter 15st sich fur den Kritizisten die Dritte Hauptfrage.
Oleiche Aussagegrundlagen konnen durch verschiedene intellektuelle
Tatigkeiten, verschiedene Aussagegrundlagen durch gleiche intellektuelle
Tatigkeiten bearbeitet werden. 1st die Tatsache ^kreisender Aar" ge-
geben, so kann sie das Eine Mai das Urteil ,, Dieser Vogel fli^'",
das andere Mai das Urteil ,,Es bewegt sich etwas"" veranlassen.
Ebenso kann jedes dieser Urteile durch sehr verschiedene Tatsachen
veranlaBt werden. Insbesondere scheinen auch die Probleme der
Abstraktion und der intelligiblen Telle ihre Schrecken zu ver-
lieren, wenn dieAuffassung nichts anderes ist als die Bearbeitung
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 203
durch eine intellektuelle Operation und die Beziehung auf ein logisches
Gebilde. Ich kann sowohl den Oegenstand „Dom von Pisa"" als
auch den Oegenstand „Neunte Symphonie" unter den Begriff „Kunst'
werk** bringen, den ersten dieser Oegenstande ebensowohl unter den
Begriff „Kunstwerk" wie unter den Begriff ^Kirche". Lassen sich
demnach die verschiedensten Oegenstande auf denselben Begriff, und
laBt sich derselbe Oegenstand auf die verschiedensten Begriffe be-
ziehen, so scheint die Zweite Hauptfrage beantwortet zu sein, ohne
daB wir zu der Annahme genotigt waren, es lieBen sich auch noch
an einem einfachen Eoipfmdungsinhalt verschiedene Momente unter-
scheiden. Nicht in der Empfindung Rot und in der Empfindung
Griin steckt das gemeinsame Moment Farbej sondem zu der Em-
pfindung Rot und zu der Empfindung Orun kann ich denselben Be-
griff Farbe hinzubringen. Nicht in jeder dieser Empfindungen
stecken die zwei Momente Rot und Farbigy sondem zu jeder von
ihnen kann ich diese beiden Begriffe hinzutun. Mein BewuBtsein
von einem Sac hver halt endlich unterscheidet sich von meinem Be-
wuBtsein von einer bloBen Tatsache dadurch, daB dort meineVor-
stellung dieser Tatsache durch eine bestimmte intellektuelle Operation
bearbeitet ist
Damit ist indes auch schon die kritizistische Antwort auf die Vierte
Hauptfrage gegeben. Ist es fur die Aussage charakteristisch, daB in
ihr die Aussagelaute mit einer bestimmten intellektuellen Operation
verknupft sind, fur den Sachverhalt, daB in ihm eine Tatsache durch
dieselbe intellektuelle Operation bearbeitet ist, dann ist eben die Ver-
bindung durch diese identische intellektuelle Operation jenes Band,
das die Bedeutung gegenuber der bloBen Bezeichnung charak-
terisiert. Wortklang plus Urteil macht z. B. den Satz, Tatsache plus
Urteil den Sachverhalt aus. Weil ich also im Satz das auch im Sach-
verhalt eingeschlossene Urteil schon erfasse, vertntt mir der Satz den
Sachverhalt und bedeutet ihn deshalb, wahrend ich aus dem Wort-
klang auf die Tatsache nur zu schUefien und darum jenen nur als ein
Zeichen fur diese zu verwenden vermag. Alle semasiologischen Fragen
scheinen demnach wirklich durch den Rationalismus beantwortet zu
werden — vorausgesetzt, daB es in der Tat moglich ist, das BewuBt-
sein vom Inhalte der Aussagen als Tatigkeit oder Erzeugnis des In-
tellekts zu erklaren. Es fragt sich jetzt, ob diese Erklarung auch
einer grundlicheren Prufung standhait
Da bedarf es denn wohl keiner ausfuhrlichen Darlegung, daB sich
der Aussageinhalt als intellektuelle Operation dem BewuBtsein ge-
204 NOOLOGIE
wiB nicht darstellt (vgl. § 26). Ein Tatigkeitsgefuhl (Aktivitat)
mag ja beim Begriffebilden, Urteilen und SchlieBen vorhanden sein,
und vielleicht ist dieses sogar ein anderes beim Fallen bejahender und
beim Fallen vemeinender Urteile. Allein so viele voneinander ver-
schiedene Arten von Aktivitat, als es voneinander verschiedene Aus-
sageinhalte gibt, gibt es sicherlich nicht Niemand wird vorgeben, er
sei sich einer anderen Art von Tatigkeit bewuBt, wenn er urteile, dafi
er gestem, und wenn er urteile, daB er vorgestem seinen Regenschirm
verloren habe. Schon hiedurch aber ist erwiesen, daB das BewuBt-
sein von dem logischen Inhalt einer Aussage nicht mit einem Tatig-
keitsbewuBtsein, geschweige denn mit einer realen Verstandestatigkdi
zusammenfallen kann. Dann kdnnten es jedoch hochstens die Pro-
dukte dieser supponierten Verstandestatigkeiten sein, die sich fui
die spezifisch logischen BewuBtseinstatsachen ausgeben lieBen. Mil
dieser Wendung tritt indes in der dialektischen Entwickelung des
Rationalismus eine verhangnisvolle Peripetie ein.
Solange namlich die logischen Funktionen als intellektuelle Ope-
rationen gedacht werden, bleibt es begreiflich, daB die Zuordnung
bestimmter Aussageinhalte zu bestimmten Aussagegrundlagen nui
in gewissen Fallen stattfinden kann. Sagt man z. B., die Aaf-
fassung der Aussagegrundlage durch den Aussageinhalt sei eine in-
tellektuelle B ear beitung der ersteren, so kdnnen wir uns vorstellen,
verschiedene Stoffe seien verschiedenen Arten der Bearbeitung in ver-
schiedenem MaBe zuganglich, und wir finden es deshalb verstandlich,
wenn nicht alle Aussag^^ndlagen durch alle Aussageinhalte auf-
gefaBt werden kdnnen. Driickt man sich femer so aus, als stellten
die Begriffe fertige Produkte des Verstandes dar, „unter" die dann
die einzelnen Oegenstande gebracht wQrden, so erscheint die Leistung
der Aussage als die Herstellung eines gewissen Bandes, das zwischen
ihren einzelnen Elementen zu knupfen sei, und es ist nicht unerhdrt,
daB verschiedene Elemente sich einer solchen Verknupfung mit ver-
schiedener Leichtigkeit fugen oder ihr mit verschiedener Heftigkeil
widerstreben. Oanz anders dagegen stellt sich die Sachlage dar, so-
bald die Annahme realer intellektueller Operationen als unb^rundel
erkannt ist, und die „intellektuellen Produkte"" daher zu bloBen Be-
wuBtseinstatsachen spezifisch logischer Art sich wandeln.
Diirften wir freilich diese „intellektuellen Produkte** wirklich als bloBc
Bearbeitungen jener BewuBtseinserlebnisse b^reifen, in denen wii
auch auBerhalb des logischen Denkens die Aussagegrundlage erfassen.
diirften wir also die spezifisch logischen Funktionen b^jeifen als irgend
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 205
wie veranderte oder umgestaltete Vorstellungen oder Oefuhle,
und nicht als psychische Tatsachen ganz eigener Art, so wurde die
angedeutete Schwierigkeit uns nicht in den Weg treten. Allein im
ersten Falle wurde der Rationalismus inNominalismus, im zweiten
in Pathempirismus iibergehen. Solange daher der Rationalismus
Rationalismus bleibt, muB er darauf beharren, daB die logischen Be-
wuBtseinsfunktionen psychische Elemente sui generis seien, die mit
Gefuhlen ebensowenig gemein haben wie mit Vorstellungen. Allein
ich glaube nun zeigen zu k5nnen, daB gerade diese psych ologisch e
Isolierung der logischen BewuBtseinsfunktionen sie auch ihrer lo-
gischen Brauchbarkeit beraubt.
Stellt sich namlich der Aussageinhalt dem BewuBtsein als eine
spezifisch logische BewuBtseinstatsache, als ein psychisches Element
sui generis dar, dann kann auch die Aujfassung nichts anderes sdn
als das Hinzudenken eines solchen psychischen Elementes zu
einer Aussagegrundlage, etwa eines Begriffsinhaltes zu einem Oegen-
stande, eines Tatbestandes zu einer Tatsache. Dann laBt sich
jedoch nicht absehen, warum denn nicht beliebige Aussageinhalte
zu beliebigen Aussag^^ndlagen sollten hinzugedacht werden
konnen. Ich kann doch ohne Zweifel zu dem Oegenstand „Dom
von Pisa" auch den Begriffsinhalt ^Regenwurm", zu der Tatsache
^Flattemder Sperling" auch den Tatbestand „7X3 = 21" hinzudenken,
Warum kann ich nun trotzdem jenen nicht durch diesen auffassen?
Hier offenbart sich durch den Kontrast ein unverSchtlicher Vorzug
des konzeptualistischen und des gemiBigten Nominalismus. Indem
dieser die allgemeinen oder doch als allgemein betrachteten Vorstel-
lungen aus den individuellen Vorstellungen sich entwickeln lieB, kon-
servierte er die Wurzeln, die der Aussageinhalt in der Aussagegrundlage
schlagt Ihm war dasjenige, was wir bei dem allgemeinen Begriffe
^Mensch" denken, in dem, was wir bei der Vorstellung der einzelnen
Menschen erleben, wirklich en thai ten. Diese Wurzein s5gt der
Rationalismus ab, indem er die logische BewuBtseinstatsache von
alien denjenigen BewuBtseinstatsachen vollstandig trennt, die das Er-
lebnis eines physischen oder psychischen Objektes konstituieren.
Nehme ich einen einzelnen Menschen wahr, so erlebe ich nach den
Voraussetzungen des Rationalismus Vorstellungen und Oefuhle, aber
keinen Begriffsinhalt Denke ich „Mensch", so erlebe ich einen Be-
griffsinhalt, aber keine Vorstellungen und Oefuhle. Wie kann sich
also dieser Oedanke auf jene Wahmehmung irgendwie beziehen?
Wie kann er sich insbesondere mehr auf sie beziehen als auf irgend-
206 NOOLOGIE
welche andere Wahrnehmungen ? Wo liegt iiberhaupt das innere
Band zwischen Erlebnis und Begriff, wenn beide kein gemeinsames
psychisches Element aufzuweisen haben?
Man hat versucht, die so aufgerissene Kluft durch die Relation des
Meinens oder Intendierens zu uberbrOcken. Im Begriffe sei
der Oegenstand — zwar nicht gegeben, erlebt, indes doch gemeint^
intendiert. Doch das sind Worte. Wie kann ich etwas meinen, ohne
daB mir wenigstens irgend etwas von dem Oemeinten gegeben ware?
Das bloBe Nichtgegebensein, Nichterlebtwerden kann doch unmoglich
eine eindeutige Relation begrunden, denn nicht-gegeben, nicht-erlebt
ist ja stets Unzahliges. Hier gibt es fur den Rationalisten keinen
Ausweg mehr. Indem er das Erleben des Aussageinhalts von dem
Erleben der Aussagegrundlage grundsStzlich und vollstandig trennt,
verliert er das Eine der Aussageelemente, die Aussagegrundlage, un-
wiederbringlich. Es bleiben ihm neben dem Aussageinhalt nur die
Aussagelaute ubrig. Das heiBt, auf die Frage, was der Sinn irgend-
eines Wortes sei, kann er schlieBlich nur antworten: „das, was eben
dieses Wort bedeutet, was damit gemeint ist" Wie dieser Sinn in
den Tatsachen wurzelt, bleibt ihm ein Ratsel. Unsere Losung dieses
Ratsels dagegen ist sehr einfach. Wir schlieBen so. Da der Aus-
sageinhalt die Aussagegrundlage „meint", so muB das Erlebnis des
Aussageinhalts irgendwelche Elemente enthalten, die auch in dem Er-
lebnis der Aussagegrundlage sich finden. Nur das Vorhanden- oder
Nichtvorhandensein solcher gemeinsamer Elemente kann daruber ent-
scheiden, ob eine bestimmte Aussagegrundlage sich durch einen be-
stimmten Aussageinhalt auffassen ISBt Nun besteht das Erlebnis jeder
Aussagegrundlage aus Vorstellungen und Oefuhlen. DaB nun der
Aussageinhalt sich dem BewuBtsein nicht als eine Vorstellung
oder als ein Komplex von Vorstellungen darstellen konne, haben wir
gesehen. Folglich muB er sich ihm darstellen als ein OefOhl oder
als ein Komplex von Oefuhlen. Allein mit dieser Einsicht ist der
Rationalismus bereits iiberwunden.
2) Wir haben seinerzeit in § 32. 2 gesehen, daB sich der Kritizismus im
allgemeinen bis auf Parmenides zuruckverfolgen laBt, und erst kurzlich in
§ 52. 7 wieder gehort, daB in gewissem Sinne auch der semasiologische
Realismus eine rationalistische Hilfsannahme erfordert — wie denn auch
Platon die Vernunft (vo5(;) als ein besonderes, auf die Erfassung der
Ideen hingeordnetes Vermogen anerkannt hat. Doch auch wenn wir als
rationalistisch im engsten Sinne nur seiche Lehren bezeichnen wollen, denen
zufolge der Aussageinhalt, und speziell das Universale, vom Intdlekt
nicht nur aufgefaBt, sondem uberhaupt erst hervorgebracht wird, brauchen
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 207
wir, um Vertreter dieser Lehre zu finden, fiber die klassische Zeit der
griechischen Philosophic nicht hinauszugehen. Lemten wir vielmehr in
Platon den ersten Vorkampfer des Reah'smus, in Antisthenes den Be-
grunder des Nominalismus kennen, so kdnnen wir jetzt mit vollem Recht
Aristoteles als den ersten Vertreter des Rationalismus bezeichnen. Dies
steht nicht im Widerspruche mit den in § 52. 6 besprochenen realisti-
schen Tendenzen dieses Denkers. Denn einerseits beschrankt sich bei ihm
die „Vemunft" (vo(><;) auf die Erfassung der „Prinzipien" (ipxaO ^)» d- h. der
ersten, nicht weiter definierbaren resp. ableitbaren Begrifjfe und Satze, so
daB auch nur diese in halb realistischer Weise zur Einheit der „tatigen Ver-
nunft'* sich zusammenschlieBen ; andererseits kommt seiner Ansicht nach das
Denken der allgemeinen „Fomien" (eiSYj) nicht durch ein rezeptives Auf-
fassen derselben zustande, sondem durch eine spontane Erzeugung der ihnen
entsprechenden B^riffe. Diese Erzeugung nun geht, ganz im Sinne des
Rationalismus, vor sich als eine intellektuelle Bearbeitung der in-
dividuellen Vorstel lunge n, speziell der Phantasmen. Wir horen namlich
nicht nur im allgemeinen, daB das verstandesmaBige Denken (i7ciaT7^[iif]) sich
durch Vermittlung der Erfahrung und des Gedachtnisses aus der Wahr-
nehmung entwickelt, mithin auch das Denken des Allgemeinen aus der
Wahmehmung des Individuellen ^), sondem es wird auch im einzdnen aus-
gefuhrt, wie dies geschieht — namlich durch Abstraktion (a<paip6oi<;).
E>er Gedanke (voYjiia), heiBt es, ist zwar nicht eine Vorstellung (fdvTaa|ia),
kann aber doch nicht ohne eine Vorstellung gebildet werden^). Das
Denken erfaBt namlich die Artbegriffe (sTSyj) in den Phantasmen*). Wir
kdnnen freilich die abstrakten Eigenschaften nicht ohne ihre konkreten
Trager vorstellen, z. B. die Krummnasigkeit ohne Nase oder die Dreieckig-
keit ohne ein Dreieck von bestimmter GroBe; allein wir kdnnen diese
wTrennung** gedanklich durchfuhren, indem wir von der Nase resp. von
der bestimmten GrdBe des Dreiecks absehen^. Aus dieser Skizze ersieht
man zunachst das Eine, daB die Grenzen zwischen Rationalismus und
gemaBigtem Nominalismus flieBende sind. Denn sicherlich ist diese
Darstellung des Aristoteles derjenigen Berkeleys uberaus ahnlich. Auch
die letztere enthalt namlich ein rationalistisches Element Indem sie zur
Erklarung des Aussageinhalts neben der Vorstellung noch die auf diese ge-
richtete Aufmerksamkeit heranzieht, fuhrt sie einen Faktor ein, der
streng genommen sich in den Rahmen der ideologischen Voraussetzungen
nicht mehr fugt. Man konnte deshalb sogar in gewissem Sinne Berkeley
zu den Rationalisten oder auch Aristoteles zu den Nominalisten zahlen,
wenn dem nicht die Selbstbeurteilung beider Denker entg^enstunde. Hat
doch der Bischof von Cloyne g^en den B^jiff der Abstraktion die scharf-
i
1) Anal, postt. 11. 19, p. 100b 12; Eth. Nic VI. 6, p. 1141 a 7. ^) Anal, postt. II.
19, p. 100a 3; Metaph. I. 1, p. 980a 27. 3) De an. III. 7, p. 431 a 16: III. 8, p. 432a
7-14; de mem. 1, p. 449b 31. *) De an. III. 7, p. 431b 2. ») De an. III. 7,
p. 431 b 12; de mem. 1, p. 450a 4.
208 NOOLOOIE
sten Waffen seines Spottes gekehrt, der Stagirit die Verschiedenheit des
Denkens vom Vorstdlen energisch betont Trotzdem vermag dieser die Tat-
sache, daB ein und dasselbe Phantasma verschiedene B^jiffe fundieren
kann, im Grunde ebensowenig zu erklaren wie jener. Denn diese Ver-
schiedenheit muBte entweder auf eine Mehrheit unterscheidbarer Momente
im Phantasma sich griinden — und dann ware der Aristotelische Rationalis-
mus denselben Einwendungen ausgesetzt wie der BERKELEYsche Nominalis-
mus. Oder jene Verschiedenheit muBte sich auf der Seite der intdlektudlen
Operationen oder Produkte finden, d. h. es mfiBten die Abstraktionstatig-
keiten qualitativ voneinander verschieden, oder es mQBten die abstrakten
B^jiffe etwas selbstandig neb en den Phantasmen Bestehendes sein. Alldn
von jener qualitativen Verschiedenheit spricht Aristoteles nirgends, und
diese Selbstandigkeit schlieBt er sogar aus durch die Bemerkung, die Art-
b^ffe wiirden in den Phantasmen erfaBt Auch li^ ihm die an letzter
Stdle genannte Auflosung des Problems gewiB ganz feme, denn die in-
tdlektuelle Operation steht bei ihm durchaus im Vordergrunde, und von
Begriffen als Produkten dieser Operation ist bei ihm niemals die Rede.
Die in dem Begriffe des Gedankens (v6if]|ia) h'egende Zweideutigkeit (Denk-
akt — Gedachtes, s. § 42) hat es nun freilich gerade den Nachfolgern des
Aristoteles ermoglidit, das intellektudle Produkt weiter in den Vorder-
grund zu riicken, ohne seinen Standpunkt zu verlassen. So spricht z. B.
Alexander von Aphrodisias i) von allgemeinen und abstrakten Begriffen,
die nur existieren, sofem und solange sie gedacht werden: „Werden sie
dagegen nicht gedacht, so sind sie auch nicht mehr. Denn getrennt von
dem sie denkenden Verstande gehen sie zugrunde, da ihr Sdn in ihrem
Gedachtwerden besteht" Auch Porphyrios 2), wdcher ausdrucklidi die
Worte „weder Wahmehmungen nodi Phantasmen, sondem allein die Eigen-
art der Begriffe'^ bedeuten laBt {neque sensus neque imaginationes, sed solam
intelleduum qualitatem), stdlt sich vor, diese „Begriffe<' (Spot) oder „gedank-
lichen Elemente*' (icp&ta voijitata) traten zu den Phantasmen hinzu, um den
in diesen verborgenen logischen Gehalt herauszustdlen. Er faBt sie dem-
nach gleichfalls mehr als Erzeugnisse denn als Titigkeiten des Denkens aui
Ebenso stdlt sich bei Abaelard, dessen Lehre wir ja schon in § 47. 9
kennen lemten, der „Sinn'* der Aussage (intelledas) und spezidi der mit
einem Worte verbundene „Begriff'< (conceptus) mehr als psychische Tatsacfae
denn als intdlektudle Operation dar^). Ja im 14. Jahrhundert hat sogar
Petrus Aureolus*) den „vom Verstande gebildden subjektiven Begriff"
(conceptus objectivus per intelledum fdrmatus) zu der „Tatigkeit des Denkens"
(actus intelligendi) in ebenso entschiedenen G^ensatz gestdit wie zu dem
gedachten G^enstande (objedum cognitum), und dem Worte nur als Aus-
druck jenes B^ffes (vox expressiva conceptus) logische Funktionen zuge-
1) De an. S. 90. 2 ff. (Bruns). 2) Bei Boethius, De interpr., Ed. II, p. 296 ff. (S. 2&
Meiser). 3) z. B. Theolog. Christ ' ^ '^-- " - -^-^^ ^ - •'" - ^ — •
*) Prantl III, S. 320 u. 322, Anm. 697
17 Meiser). 3) z.J^ theolog. Christ^I. 4 ^pp. II, p. 3te); Ouvr. indd. S. 191 1
ENTWICKELUNG DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 209
standen. Dagegen war Thomas von Aquino zu einem ziemlidi reinen
Aristotelismus zuruckgekehrt, indem er das Wesentliche des Abstraktions-
prozesses durchaus in der intellektuellen Bearbeitung der Phantasmen er-
blickt und einen „Begriff** resp. ein ,,verstandesina6iges Bild" {species
intelUgibUis) nur insofem anerkennt, als der Intellekt durch seine Beschaf-
tigung mit den in den Phantasmen enthaltenen ^Formen'' der Gegenstande
auch selbst diese ^Formen'' annimmt i). Im Gegensatze zu dieser Auffassung
tritt nun mit Duns Scotus eine neue Wendung in der Entwickelung des
Rationalismus ein. Zwar kann man grundsatzlich diesen Standpunkt nidit
entschiedener vertreten als Duns: der Begriff ist ihm ein Mittleres zwischen
dem Gegenstand und dem Namen; und zwar ist dieser Begriff ein Er-
zeugnis der Verstandestatigkeit^); das Universale entsteht durch abstrahierende
Betrachtung der Phantasmen 3) und hat daher ein Sein nur durch den In-
tellekt, wenn auch sein Inhalt durch den Gegenstand bestimmt wird ^). Allein,
wie wir schon gehdrt haben (§ 53. 2), ist dieses Erzeugnis des Verstandes,
das ^verstandesmaBige Bild'* (species intelligibilis), ein Mittleres zwischen
dem Phantasma und der Verstandestatigkeit und weniger geistig als die
letzteres). Die logische Funktion nahert sich daher bei dem ersten Ver-
such, sie psychologisch zu bestimmen, der Vorstellung an, und der Rationalis-
mus erh^t gerade im Moment seiner scharfsten Akzentuierung einen leichten
nominalistischen Einschlag, der in seiner Bedeutsamkeit nicht unterschatzt
werden darf. Denn der B^ff des y,verstandesmaBigen Bildes^ ist der
zentrale in der Semasiologie des Duns: dieses Bild soil dasjenige sein, was
einerseits den Gegenstand „vertritt^ andererseits von dem Namen unmittelbar
bezeichnet wird 6), so daB „das Wort das Bild bezeichnet, insofem dieses
ein Zeichen des G^enstandes ist^'T). Etwas abweichend und ziemlich kom-
pliziert ist die Stellung Wilhelms von Occam zu unsem Fragen. Sein
grundsatzlicher Rationalismus zwar steht vdllig auBer Zweifel, und wenn ihm
seine energische Bestreitung des Realismus^) den Ruf eines Nominalisten
eingetragen hat, so zeugt dies nur von der weit verbreiteten Verkennung
des Unterschiedes zwischen nominalistischem und rationalistischem Konzep-
tualismus (§ 53. 1). Auch seine eigentumliche Meinung uber die Relationen
der Aussageelemente ist nicht von groBem Belang. Wahrend namlich Duns
zwischen Aussagelauten und Aussageinhalt einerseits, zwischen Aussageinhalt
und Aussag^grundlage andererseits eine unmittelbare Bezeichnungsbeziehung,
zwischen Aussagelauten und Aussagegrundlage dag^en nur eine durch den
Aussageinhalt vermittelte Relation anerkannt hatte, will Occam nur einerseits
die Aussagelaute, andererseits den Aussageinhalt als Zeichen fur die Aus-
sagegrundlage gelten lassen und betrachtet daher die Beziehung zwischen
Summ. Theol. I, qu. 55, art 2, ad 2: qu. 84, art 6, in corp.; u. bes. qu. 85.
art. 1, ad 3. «) Qu. in Praed. 1 (Opp. Ill, p. 125 A). 3) Qu. de rer. princ 13
(Opp. Ill, D. 118 A B). *) Qu. sup. Porph. 4 (Opp. Ill, p. 908). s) Qu. de rer.
princ 14 (Opp. Ill, p. l^A); Qu. sup. An. postt I. 3 (Opp. III. p. 348 A). «) Qu.
sup. Periherm. I. 2 (Opp. Ill, p. 187 B). n Op. II sup. Periherm. 1 (Opp. Ill,
p. 213 B). «) Prantl lIi; S. 345, Anm. 781 u. 782; S. 356 ff, Anm. 806, 806 und 8ia
Oomperz, Wdtanschannnsslefare II 1 14
210 NOOLOQIE
Aussagdauten und Aussagdnhalt — gewiB mit Unrecht — nur als due
vcrmittdte 1). Am meisten interessiert uns jedoch hier die Frage, wk cr
das Denken psychologisch konstruieit Wie wir namlich schon in § 53. 5
gehort haben, erwagt er diese Frage aufe genaueste. Und zwar bildet cr
die Lehre des Duns zunSchst nominalistisch fort, indem er die Annahme
etnes ,,verstandesnia6igen Bildes^ ablehnt und es fur wahrscheinlicher cr-
klart» daB neben der Verstandestatigkeit und als ihr unmittelbarer G^gen-
stand noch ein psychischer Zustand (gualUas anmae) vorhanden sd, dcr
als ein „wahres Ai>bild'' der Aussag^jundlage bezeichnet werden konoe
— d. h. also dn individuelles Phantasma des auBeren G^ensiandes^
Allein Ocx:am ericennt doch sehr wohl, daB dies den Aussagdnhalt ohne
Not verdoppeln heiBt Denn vermdchte dn individuelles Phantasma alle
Aussagegrundlagen zu vertreten, so bedOrfte man weiter kdner intdlektudlcn
Operation. Er verwirft daher schlieBlich alle Lehren, wddie neben der
Verstandestatigkeit (dem actus intelUgmtU) noch irgenddn Element des
Denkens annehmen wollen (heiBe dieses nun Begriff, verstandesmafiiges oder
sinnlidies Bild, psychischer Zustand oder wie immer), und behauptet vid-
mehr, die Verstandestatigkeit allein vermdge alle erforderlichen Leistungen
zu vollziehen, da sie infolge ihrer Aehnlichkeit mit der Aussagegrundlage
diese zu vertreten imstande sd ^ DaB frdlich die letztere Behauptung un-
haltbar ist, scheint mir d>enso klar, wie daB dne konsequente Durchfiihning
dieses Standpunktes dazu gdangen milBte, alles logische Denken fur un-
bewuBt zu erklSren. Denn die intdlektudlcn Operationen kdnnen schon
deshalb nicht ins BewuBtsdn fallen, weil das in diesem allein aufzeigtMut
TatigkeitsbewuBtsein durchaus keine den einzdnen Begriffen entsprechendcn
qualitativen Verschiedenheiten aufwdst
Die von Occam erwogene, wenn auch nicht angenommene Lehre niherte
sidi dem Nominalismus, indem sie die von den intdlektudlen Operationen
erzeugten BewuBtseinstatsachen als individuelle Vorstdlungen bctrachtete.
Es lag ihr jedoch noch feme, die intdlektudlen Operationen selbst mit den
Vorstellungen zusammenflieBen zu lassen. Die neuere Philosophic hat auch
diese Qrenzlinie verwischt und die unhdlvolle Gewohnheit ang^iommen,
die logischen Funktionen sdbst ebenso wie die Wahmehmungen und Phan-
tasmen als Vorstellungen zu bezeichnen, wobd es noch als ein rdathr
gunstiger Umstand zu betrachten ist, wenn sie jene als unanschauliche
Vorstdlungen von diesen als von anschaulichen Vorstdlungen unter-
sdieideL Schon Descartes kann in dieser Hinsicht nicht von jedem Vor-
wurfe freigesprodien werden, da er das Wort Vorstellung (idea) unterschieds*
los fur Begriffe und Phantasmen gebrauchi Der ^Unterschied, der zwischen
der Phantasie {imagination) und dem reinen Denken oder B^jdfen" (in-
1) Prantl III, S. 340. Anm. 774. 2) Prantl ill, S. 335 f., Anm. 757-~75Q: S. 358;
Anm. 810. Diese Ausfunrungen halten sich h'eilich — wie zum Ueberflufi noch der
Ausdruck passio animae beweist — ziemltch streng an die etnleitenden Satze der
Aristotelisdien Schrift De inUrprdaticne. ^) Prantl HI, S. 338, Anm. 768; S. 3i7»
Anm. 78a
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 211
telledion ou conception pure) besteht, ist ihm zwar keinesw^ unbekanni Er
setzt ihn vielmehr gdegentlich mit seiner meisterhaften Klarheit auseinander,
indem er darauf hinwdst, daB man zwar ein Dreieck oder ein FQnfeck so-
wohl b^jeifen als auch phantasieren, ein Tausendeck dag^fen bloB be-
greifen konnei). Freilich, mit dieser Abgrenzung stimmt schon die allge-
meine Erklarung nicht fiberein, die Imaginibilia unterschieden sich dadurch
von den anderen InteUigibUiay daB sie sich auf „Ausdehnung, Bew^fung
und Gestalt^ bezdgen^^ Denn dies wtirde von einem Tausendeck gewiB
nicht weniger gelten als von einem Dreieck. Noch bedenklicher indes ist
die Soi^losigkeit, mit der Descartes den Ausdruck Idee nicht nur in einem
engeren und weiteren Sinne gebraucht, sondem auch den engeren Sinn gegen
den Begriff der anschaulichen Vorstellung nicht gehdrig abgrenzt !m
weiteren Sinne namlich soil Idee alles bedeuten, „was vom Geiste unmittel-
bar erfaBt (conga) wird", z. B. auch den Willen und die Furcht^). Im
engeren und ^eigentlichen'' Sinne dag^en bedeute Idee nur solche Ge-
danken, die „gleichsam die Bilder von G^enstanden" (comme les images
des choses) sind; „wie z. B. wenn ich mir einen Menschen vorstdle {re-
prisente\ oder eine Chimaera oder den Himmel oder einen Engel oder Gott
sdbst"*). Hier wird nun offenbar das Wort „Bild" (image) auch fflr Un-
anschauliches gebraucht, wahrend doch gerade die „Einbildungskraft^ (ima-
gination) sich nur auf Anschauliches erstrecken sollte. Die Folge ist, daB,
wenn Descartes das Wesen der Universalien durch die Bemerkung glaubt
erklaren zu kdnnen, wir verwendeten „eine und dieselbe Idee, um alle
.untereinander ahnlichen Individuen zu denken^'^), er in Wahrheit uber dne
nichtssagende Tautologie nicht hinauskommt Denn wir erfahren durch
diese Erklarung weder, ob die „allgemeine Idee*' eine anschauliche oder un-
anschauliche Vorstellung, noch ob sie uberhaupt eine Vorstdlung oder vid-
mehr eine spezifisch logische Funktion bedeuten soil. Diese Unklarheit ver-
scharft sich noch bd Spinoza, ^dert indes zugleich ihre Natur. Lief
namlich bisher der „BegrifP* Gefahr, von der „Vorstellung" verschlungen zu
werden, so droht nun umgekehrt die logische Betrachtung die psycho-
logische vdllig zu absorbieren. Spinoza ddiniert die Vorstellung (idea) als
Begriff (conceptus), und bemerkt ausdrticklidi, ein solcher Begriff sei eine
„Tatigkeit des Geistes" (actio mentis) % Auch wamt er eindringlich vor der
Verwechslung zwischen „der Vorstdlung, d. h. dem geistigen Begriff, und
den Bildem der Dinge, wdche wir phantasieren" t). Allein was wir uns
unter solchen „Bildem** zu denken haben, erfahren wir nicht. Denn dieser
groBe „geometrische** Geist lost schlieBlich alles Psychische in „Vorstd-
lungen'*, mithin in Begriffe, auf, und erklart selbst den Affekt als den Be-
griff einer korperlichen AffektionS). So hebt sich jedoch der Rationalismus
1) M6d. 6 (Oeuvres S. 112ff.). a) prfnc phil. I. 73. 3) Antwort auf die 5. Ob-
jektion des Hobbes gegen die Meaitationen (Oeuvres S. 201). ^) M6d. 3 (Oeuvres
S. 82). 5) princ phiL 1. 59. «) Eth. II, def. 3. t) Eth. II, prop. 49, Schol. •) Eth.
Ill, def. 3.
14*
212 NOOLOOIE
selbst auf. Sein Prinzip war ja die Trennung der logischen Funktion von
der anschaulichen Vorstellung. FaBt er nun an allem Psychischen alldn
den Erkenntniswert ins Auge, so werden ihm auch Wahraehmungen und
Phantasmen ebenso wie Gedanken zu Erkenntnissen, freilich zu solchen von
geringerer Leistungsfahigkeit Damit aber ist jene prinzipidle Trennung
wieder aufgehoben. Auch hat man sich bald mit BewuBtsein auf diesen
Standpunkt gestdlt Wie einst Platon die Vemunft als eine hdhere An-
schauungy die Anschauung als eine niedrige Art der Erkenntnis begrifia,
und wie Plotin^) geradezu die Wahmehmung ein dunkles Denken, de
Denken eine hdle Wahmehmung genannt hatte, so erklart jetzt Leibniz^
die sinnlidien Empfindungen fur verworren (confusa\ well die Merkmaie,
die zur Ddinition ihrer Inhalte erfordert wurden, nicht gesondert in ihna
enthalten sind. Von diesem Extrem hat sich der Rationalismus bald wieder
zuruckgewandt ,,Die Sinne verwirren nicht^ sagt Kant ausdrud-
lich 3); Anschauung und Begriff mussen zusammenwirken ; „nur daraus, daS
sie sich vereinigen, kann Erkenntnis entspringen" *). Dies hinder! Kant
freilich nicht, diese beiden Funktionen dem Begriff der Vorstellung unter-
zuordnen 5), den er allerdings so weit faBt, daB er beinahe mit dem der B^
wuBtseinstatsache zusammenzufallen scheint Alldn wenn er nun den Bt
griff als eine solche ,,Erkenntnis" bestimmt, die sich ,,auf den Oegenstaod
. . . vermittdst eines Merkmals, was mehreren Dingen gemein sdn kanif,
beziehe, so wird man hierin alles eher finden kdnnen als eine psychologiscfae
Analyse des logischen BewuBtseins. Ebensowenig li^ eine solche vor,
wenn Schleiermacher die ^Tatigkeit der oi^ganischen Funktion^ und die
,,Vemunfttatigkeif* zum Denken zusammenwirken laBt^). Man wird vid-
mehr sagen durfen, daB mit alledem der Rationalismus so ziemlich zu setncr
peripatetischen Gestalt zuruckgekehrt ist, und kdnnte sogar diese Paralleie
noch wdter dahin ausfuhren, daB innerhalb dieses Rahmens der Standpunkt
ScHLEiERMACHERs dem des Aristoteles, der Standpunkt Kants dem des
PORPHYR entspricht Denn bei jenem Denkerpaare mht der Nachdnick auf
der intellektuellen Tatigkeit, bei diesem dagegen auf den zu den siim-
lichen Vorstdlungen hinzutrdenden intdlektudlen Produkten. Und in
diesem Zustande ist der Rationalismus erstarrt und beherrscht nodi heute
die wissenschaftliche nicht minder als die populare Philosophie.
Zur Herbeifiihrung und Erhaltung dieses trostlosen Zustandes hat die
Erklarung des Begriffs als einer unanschaulichen Vorstellung
nicht wenig beigetragen. Sie erfordert deshalb eine besondere Zurudc-
weisung. An und fur sich freilich kann man es niemandem verwehren,
uber seine Terminologie zu verfugen, und wenn es jemand vortdlhaft findet,
so heterogene Dinge wie Wahmehmungen , Phantasmen und logische
Funktionen zusammenfassend durch das Eine Wort Vorstellung zu bezddinen,
1) Enn. VI. 7. 7. 2) Meditationes de cognitione, veritate et ideis (WW. IV. S. 4221
3) Anthropolog. § 9 (WW. VII. 2, S. 33). <) Kr. d. r. Vem. (WW. 11, S, 56; vri.
S. 88 f.). 5) Ffr. a. r. Vem. (WW. II, S. 258). •) Dial. § 107ff.
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 213
so konnte man dieses Vorgehen an sich selbst hdchstens unzweckmafiig
nennen. Allein dassdbe erzeugt nun den Schein, als wiirde es nicht auf einer
terminologischen Willkurlichkeit, sondem auf einer psychologischen
Subsumption, somit auch auf einer psychologischen Analyse beruhen, und
diesem Anspruch kann nicht nachdrucklich genug entg^engetreten werden.
Denn psychologisch haben Wahmehmungen und Phantasmen einerseits,
logische Funktionen andererseits schlechthin gar nichts gemeini): jene
stellen sich dem BewuBtsein als nichts anderes dar denn als Empfindungs-
qualitaten, diese sind etwas von alien Empfindungsqualitaten vollkommen
Verschiedenes. Anschauliche Vorstellung ist demnach — da wir hier von
der ^inneren Wahmehmung*' nach § 38. 15 absehen kdnnen — nur ein
Sammelname fur Farben, Tone, Oerflche, Geschmacke, Beriihrungen und
Temperaturen ^; unanschauliche Vorstellungen dag^en waren die logischen
Bedeutungen von Worten, z. B. der Sinn von Und und Oflkr, Vom und
Hinten, Aehnlich und Undhnlich, Recht und Unrecht Es scheint mir voll-
kommen einleuchtend , daB es nichts Verschiedenartigeres gibt als diese
2 Arten von BewuBtseinstatsachen. Und an dieser fundamentalen Ver-
schiedenheit wird auch durch eine andere Auswahl der Beispide nichts ge-
andert Denn auch der Sinn des Wortes Farbe kann offenbar nicht mit
einer Empfindungsqualitat zusammenfallen, da es nicht Eine Empfindungs-
qualitat Farbe gibt, sondem nur unzahlige einzelne Farbenqualitaten, wahrend
^) Eine gewisse erkenntnistheoretische Analogic besteht zwischen Vor-
stelien und Denken insofem, als beide einen Gegenstand „erfassen'', sich auf ein
Obiekt „richten''. Allein dies tun ja auch Geftihie und Begehrungen. Gerade ein
Annanger der Lehre von den unanschaulichen Vorstellungen, Ameseder, hat — wie
BREffFANO langst vor ihm — kurzlich bemerkt (Grazer Unterss. S. 53), jedes
Psychische sei auf etwas eerichtet, treffe etwas, erfasse etwas, namlich einen ,,Qegen-
stand''. Dann kann jedoch auch von diesem Gesichtspunkte aus keine spezifische
Verwandtschaft zwischen Denken und Vorstellen konstatiert werden. ^ Ueber
diese Erklarung durften sich jene Denker entsetzen, die orthodox der Lehre an-
hangen. es seien an jeder Vorstellung Akt, Inhalt und Gegenstand zu
unterscneiden. Wir hoffen nun, in der ontologie dartun zu konnen, daB der so*
genannte Vorstellungsakt ein Gefuhl der geistigen Tatigkeit, der sogenannte
Vorstellunesgegenstand ein Komplex ist, der aus dem Vorstellungsinhalt und ge-
wissen Objektivitatseefuhlen besteht Allein an dieser Stelle haben wir an
der Bekamphmc^ jener Lfnterscheidung kein Interesse. Denn auch wenn man die
„anschaulicne Vorstellung'' definiert als ein psychisches Phanomen, dessen Inhalt
Oder Gegenstand eine tmpfindungsqualitat ist, die .,unanschauliche Vorstellung''
dagegen als ein psychisches Phanomen, dessen Inhalt oder G^nstand keine Emp-
findungsqualitat istT sondem der lospsdie Sinn eines Wortes. so wird durch diese
Modifikationen die Differenz der anscnaulichen und unanschaulichen „Vorstellungen''
um nichts gerineer. Sagt man endlich, das Gemeinsame beider yjVorstellungs"-
Arten liege im Akt^ so ist dies offenbar falsch. wenn bei jener Gemeinsamkeif an
ein positives Merkmal gedacht wird. Denn aer psychiscne Habitus beim Wahr-
nehmen einer grunen Farbe und derjenige beim Verstehen des Wortes Oder haben
kein gemeinsames Merkmal, das nicht auch alien anderen BewuBtseinserlebnissen
zukame. Oder meint man nur, daB die unanschaulichen „Vorstellungen" ebenso-
wenig wie die anschaulichen ein Urteil oder eine Begehrang enthalten? Allein wenn
daraus, daB ein M ebensowenig wie ein N a oder b ist, gefolgert werden durfte,
M sei ein N, dann muBten auch die Vo^el Pflanzen sein, weu sie ebensowenig
wie Pflanzen Eidechsen oder Wurmer sind.
214 NCXDLOOIE
das Wort Farbe nur Einen Sinn hat E)asselbe gilt dann audi fur den Sinn
des Wortes Rot im Verhaltnis zu den Empfindungen aller einzdnen Rot-
nuancen. Steigt man endlich bis zu Einer einzdnen, bestimmten Nuance von
Rot herab, so zeigt sich, dafi dieser nun allerdings Eine Empfindungsqualilit,
dafQr aber kdn besonderer Begriffsinhalt mehr entspricht, da jeder Faiben-
b^jiff stets auf dne Mehrheit von Farbenempfindungen sich bezidit Sind
indes dem Oesagten zufolge Empfindungsqualitaten und logische Inhalte
etwas durchaus Hderogenes, so kann man ihnen zwar den gemeinsaniai
Namen Vorstellung geben und hierauf die Vorstdlungen in ansc/uutJkke
und unanschauliche dntdlen; man verfahrt jedoch dabei nicht anders, ak
wollte jemand Blumen, Stiiucher, Baume und Vdgd zusammenfassend als
Gewdchse bezeidinen und dann pfUmzUche und mcht - pflanzUdu Oe-
wachse unterscheiden : sowenig dieses Verfeihren zu einer braudibaitn
naturgeschichtlichen Bestimmung der V5gd fuhren k5nnte, d>ensowenig
vermag jenes eine braudibare psydiologisdie Bestimmung der logisdien
Funktionen zu erziden.
Man hat in neuester Zeit einen eigentQmlidien Versudi untemommen,
den Begriff der unanschcuiUchen Vorstellung zu retten. Meinonq namlidi
mdnt, ein aus g^ebenen anschaulidien Tdlen bestehendes Qanzes kdniie
man sidi sowohl anschaulidi wie unanschaulidi vorstdlen : dn ^^Kreuz, dis
rot ist" z. B^ entweder indem man sidi ein rotes Kreuz, oder indem man
sich nebeneinander ein nicht-rotes Kreuz und ein nicht-kreuzformiges Rot
vorstellti). Und wenn ich ihn recht verstehe, durfte er hinzufOgen, in ge-
wissen F^len kdnnte ein solches Ganzes nur unanschaulidi voif[estdit
werden: dann namlich, wenn die ^^Zusammensetzung"* der Teile dnen
Widerspruch einschldsse, wie etwa in dem Falle eines ^^Kreises, der
viereckig ist^. Ich fuhle mich indes ganzlich auBerstande, mit der 6^
hauptung, die anschauliche Vorstellung eines nicht-roten Kreuzes und dnes
nicht-kreuzf5rmigen Rot sei eine unanschauliche Vorstellung eines y^Kreuzes,
das rot isfS einen vemunftigen Sinn zu verbinden. Mir erschdnt sie nidit
anders, als mir die andere Behauptung erschiene, die Vorstellung dnes Spides
Karten sei die ^^unanschauliche Vorstellung^ eines Kartenhauses. Denn io
beiden Fallen werden zwar die Elemente eines mdglichen Komplexes
vorgestdlt, und zwar anschaulich vorgestellt, der Komplex selbst da-
g^en wird in beiden Fallen nicht vorgestdlt, und zwar weder anschauUdi
noch „unanschaulich^ Meinonq wendd sich zwar g^en diese in dem
„exklusiven Gebrauche des Wortes Vorstellen hervortretende Bevoizugung
der Anschaulichkeit vor der Unanschaulichkdt^. Ich sehe jedodi bier nichts
von einer Bevorzugung, sondem bloB das Festhalten an dner unent-
behrlichen Unterscheidung. Wer dag^en protestiert, daB man dnen
Vogel ein „nicht-pflanzliches Gewachs*' nenne, gibt damit nicht den Pflanzen
vor den Tieren den „Vorzug**; er dringt nur auf eine sachgemiBe Vcr-
wendung der TerminL Ebenso ist es gar nicht „vorzuglicher'S wenn man
Annahmen S. 109 ff.
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 215
sich ein rotes Kreuz vorstdlt, als wenn man nur den Sinn des Ausdrucks
„Kreuz, das rot isf' versteht, ohne sich ein rotes Kreuz vorzustdlen — gleich*
gaitig, ob man sich im letzteren Falle anderer anschaulicher Hilfsvorstd-
lungen bedient oder nicht Desw^en darf man aber doch nicht sagen,
es werde auch in diesem Falle ein rotes Kreuz votffestellt Die Haltung
Meinonqs ist um so erstaunlicher, als eine einwandfreie Deutung solcher
FSlle llngst nicht nur von Anderen, sondem auch von ihm sdbst geflbt
worden war. So sagte schon Kruq % ein Mrundes Quadrat" sei „eine blofie
Wortverimflpfung als Zeichen iiigendeiner vidleicht mdglichen Qedanken-
verknupfung, die aber, sobald sie ausgeffihrt . . . werden soil, als unm5glich
behmden wird .... Solche Wortverknflpfungen sind also bloBe Aufforde-
rungen zum Denken, bei denen es aber nicht zum wirklichen Denken kommt^.
Und femer: Wenn die ^Partialvorstdlungen in eine Totalvoistellung*' nicht
^ufgenommen werden konnen, . . . hdBt der Begriff unm6glich, und isl
• . . mithin dgentlich gar kdn Begriff, sondem nur • . . eine Aufforderung
zum Denken, die nicht realisiert werden kann^ Ersetzt man hier den Be*
griff durch die Vorstellung und das Nicht«realisiert-werden-k5nnen
durch das Nicht-realisiert- werden, so erhUt man dne vollkommen zu-
treffende Beschreibung jenes Falles, in wdchem das „Kreuz, das rot ist^ an*
geblich „unanschaulich vorgestdlt'* werden soil. Qanz in diesem Sinne nun
hatte auch Mcinonq selbst fraher von der ausgefGhrten „Verbindung
von Vorstdlungselementen'' ihre bloB angezeigte Verbindung unter*
schieden^): eine Unterscheidung, die sich seither Corneuus^) mit Recht
angeeignet hat NatOrlich kann die begriffliche Vereinigung der Merk-
male auch dann ausgefuhrt werden, wenn die vorstellungsmftBige
Verknflpfung der Partialvorstdlungen bloB angezeigt wird. Der Sinn der
Worte „Kreuz, das rot ist^, kann ja sogar dann verstanden werden, vrcnn
ich mirfiberhaupt nichtsanschaulich vorstdle. Allein diesbeweist nur,
daB eben das Denken des Aussageinhalts und das Vorstdlen der Aussage-
grundlage zwd ginzlich heterogene psychische Erlebnisse sind, ftlr die es
gerade wegen dieser ihrer Heterogeneitat verkehrt ist, einen gemdnsamen
Namen zu gebrauchen. Wird jedoch dieses erkannt und das Denken des
Aussageinhalts nicht mehr mit dem irrefflhrenden Ausdruck unanschauUches
Vorstdlen bezeichnet, dann tritt nur um so deutlicher der Umstand zutage^
daB diese „Denktlltigkeif S solange sie nur als solche bestimmt werden kann,
ein psychologisches x bleibt, das sdner Einordnung in den systematischen
Zusammenhang der psychischen Tatsachen entbehrt^).
Log. § t8 (S. 57 f.) u. S 47 (S. 177). ^) HuME-Studien II, S. 99. ^) Psydiolog.
S. 60. <) In allemeuester Zeit hat Meinono unter Heranziehunfi: der „gegen8tand8-
theoretisdien'' Methode einen neuen Anlauf genommen, das Universalienproblem
zu klaren (Oegenstandstheorie S. 120ff.). Ein Begriff* sag[t er jetzt, ist die Vor>
stellung eines unvoUstandig bestimmten Oegenstanaes, die insofem audi selbst un-
voUstandiff bestimmt ist „Qegenstandstheoretisch'' nun ist dies lediglich eine
WiederhoTung der alten Erkl&rung, die Chr. Wolff in seiner „Onto!ogie'' gab
(§ 230) : Ens universale est, quod omnimode determinatum non est, seu guoatanrnm-
modo continet detemUnationes intrinsecas communes pluribus singularibus, exdusis its.
216 NOOLOOIE
In der Tat beschranken sich auch in der Gegenwart die allemidsia
Rationalisten auf negative Bestimmungen der spezifisch gedanldidien Eikb-
nisse, wenn sie nicht geradezu auf alle solche Bestimmungen vemchia
So sagt PalXoyi*): „Der Moment des Erkennens ist weder eine Emp-
findung noch ein Oefiihl noch irgend ein diesen verwandtes Eriebnis." W»
er jedoch ist, erfeihren wir nicht Auch die folgende Ausdnandersetzuoi
Geysers ^ — wort- aber wohl kaum inhaltsreicher als der eben angefufarie
Satz — durfte schwerlich geeignet sein, die psychologische Eigenait der
logischen Funktionen ins Licht zu setzen: „Die Begriffe sind Wissensinhaii^
die nach ihrem eigentumlichen Wissensinhalt von uns nick
angeschaut, sondem ledigh'ch gewuBt werden Der Unterschied dc
Anschaulichkeit resp. Nicht-Anschaulichkeit bedingt es, daB in Empfindunga
und Vorstdlungen Individudles, im Begriff hing^en Allgemeines eriomd
wird. Was wir namlich anschauen, das existiert, d. h. ist ein Etwas, nidi
ein reines Nichts in der Welt . . . Alles Existierende ist aber individud,
ein in sich einmalig Vorhandenes. Beim Begriffsinhalt verhalt sich die Sadie
anders. Da wir ihn als solchen nicht anschauen, so ist auch mit dem bloBa
Wissen von demselben seine Existenz nicht g^eben, weder im bejahenda
noch im vemeinenden Sinne. Infolgedessen kann dieser numerisch Eioe
Wissensinhalt an sich zugleich in viden Existenzen verwirklicht sen uod
also auch von ihnen alien in demsdben Sinne und mit der gieichen Wahr-
hdt ausgesagt werden. Darin besteht die Allgemdnhdt des Begriffe.'' Audi
Cohen gesteht^): „Das Denken ist, als Voi^gang des Erkennens, dn Voiigai^
des BewuBtseins'^ und wiederum: ,,Ein Moment der BewuBtheit ist ds
Denken auch, und zwar in alien sdnen Formen.'' Was ffir ein Momeot
indes, daruber verlautet nichts, und eben durch dieses notgedrungene
quae in individuis diversa sunt Denn dies heiBt: das Universale (der Qegenstand
eines allgemeinen Begriffes, oder der „Typus") ist ein Gegenstand. der nidit voB-
standig bestinimt ist, indem er bloB die vielen Individuen gemeinsamen Bestiiih
mungen enthalt, die bei den einzelnen Individuen verschiedenen Bestimmungen dt-
fegen nicht enthalt. In der Tat ist dies ja nur die Nominaldefinition des y^ypus^*
raglich dagegen bleibt bei Wolff die psychologische Erfassung dieses „nnvoS-
standig besBmmten Gegenstandes". Antwortet nun Meinono auf diese Frage, jeoe
Erfassung c^eschehe durch eine Vorstdlung, die, well sie einen unvoUstand^ Ix-
stimmten Gegenstand habe, selbst unvollstandig bestimmt sei, so kann er untff
einer unvollstandig bestimmten Vorstellung nur entweder eine ansdban-
liche Oder eine unanschauliche Vorstellung verstehen. Ist die unvollstandig Ix-
stimmte Vorstellung anschaulich, so falltsie mit der allgemeinen Vorstellung
LoCKEs zusammen und steUt eine ebensolche psycholo^sche Absurditit dar wie
diese. Denn des beruhmten Englanders „Vorsteilung eines Dreiecks, das weder
spitz- noch recht- noch stumpfwinklig isf S war ja gar nichts anderes als eben die
„Vorstellunc' eines unvollstandig bestimmten Gegenstandes''. 1st dag^egen die an-
vollstandig bestimmte Vorstellung unanschaulich, dann ist sie eben sar keine Vor-
stdlung, sondem ein Denkaki Die Frage indes, welche der Psvcnologte hier
testelli ist, lautet gerade: durch welche psychischen Inhalte erfant unser Denken
ie als Universalien oder Typen bezeichneten unvollstandig bestimmten Oegen-
stande? Auf diese Frage aber suche ich auch in Meinonos letzten Darlegungen
vergebens nach einer Antwort ») Log. S. 194. ^) Psycholog. S. 8. ^ Log. S. 21
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 217
■ Schweigen widersetzt sich der Rationalismus den gerechten Anspriichen der
I Psychologie. Rickert i) hat es unumwunden ausgesprochen: „Worin die Be-
9 deutung eines Wortes besteht, wenn sie keine anschauliche Vorstellung ist,
I hat noch niemand zu sagen vennocht" Ribot endlich hat audi hier das
I stets weit offenstehende asylum ignorantiae aufgesucht : nachdem er namlich
I — wie in § 53. 5 gezeigt wurde — zu dem Schlusse gekommen ist, daB
I unmoglich Vorstellungen das Verstandnis abstrakter Ausdrucke ausmachen
I kdnnen, erklart er^ dasselbe falle ins UnbewuBte — obwohl wir doch
I ohne Zweifd wissen, ob wir ein Wort verstanden haben oder nidit
i HussERL hat versucht, sich diesen Konsequenzen zu entziehen. Er be-
zeidinet die spezifisch logischen Funktionen als Akte, und wir haben schon
gehdrt (§ 38. 5), daB er hierunter nidit Verstandestatigkeiten, sondem rein
zustandliche BewuBtseinserlebnisse versteht^). Infolgedessen ist er dem
grundsatzlichen Einspruche der Psychologie nicht mehr ausgesetzt; und in
der Tat ist z. B. seine Beschreibung der Auffassung einer Tatsache durch
einen Tati>estand^) eine tadellose, sofem die Aufzeigung und Unterscheidung
der einzelnen Ahte in Frage kommi Dag^en liegt nun, wie mir scheint,
die Schwache seines Standpunktes in der p^chologischen Isolierung, in die
er die „kVie^ dadurch versetzt, daB er ihrer Verwandtschaft mit anderen
BewuBtseinstatsachen nicht weiter nachdenkt GewiB, auch wer z. B. den
Sinn des Wortes Dies als ein Gefuhl nachweisen will, wird dieses Gefuhl
ebensowenig mit einem anderen gldchsetzen kdnnen, als die Empfindung
Rot mit dner anderen Empfindung sich identifizieren laBt Er wird indes
doch auf verwandte Gefuhle hinweisen und so den psychologischen Ort des
fraglichen Erlebnisses naher bestimmen konnen. Er wird etwa darauf auf-
merksam machen, daB das Dieses zum Jenes sich ahnlich verhalt wie das
Du zum £>, das Wahrgenommene zum bloB Phantasierten, kurz daB das
Dieses A^m Jenes g^^nuber durch ein Gefuhl der Unmittelbarkeit
charakterisiert ist Hiemit wire dann eine zwar gewiB nicht erschopfende,
allein immerhin annahemde materiale Bestimmung des Sinnes won Dieses
angebahnt Fur Husserl dag^en ist die Bedeutung des Wortes Dies „der
Akt des Dies-Meinens'^^), so daB also der Sinn des Wortes durch den
Akt, und der Akt wiederum durch den Sinn des Wortes erklart wird —
eine Erklarung, die man im besten Fall eine for male wird nennen mussen.
Hiedurch wird jedoch, wie wir schon sagten, das Band zwischen Aussage-
inhalt und Aussagegrundlage durchschnitten. Wenn der ,yAkt", in dem wir
den Begriffsinhalt erfassen, etwas vollig anderes ist als die Wahmehmung,
in der wir den G^enstand erleben, dann wird es unbegreiflich, warum
gerade nur gewisse G^enstande durch gewisse Begriffsinhalte sich auffassen
lassen. Husserl selbst hat dies sehr wohl gduhlt Denn er gesteht^), es
sei „unbestreitbar, daB in den ,Wahmehmungsurteilen< die Wahmehmung
>) Orenzen S. 48. 2) id. g6n. S. 147 ff. 3) Log. Unterss. II, S. 358. *) Ibid. II,
S. 486 ff. 5) Ibid. II, S. 490. ^) Ibid. II, S. ^^^
218 NOOLOOIE
in einer inneren Beziehung zum Sinn der Aussage stehe^. Wie flberwinkl
er nun diese Schwierigkeit? Er l&Bt den Akt den Qqnenstand meioei
Oder intendieren, und nimmt an, diese Bedeutungsintention so
leer, solange der Oegen$tand nicht anschaulich vorgestdlt wird, sie wotle
erfailt, sobald dies der Fall ist^). Nun ist ja gegen diese Art, den fng>
lichen Sachverhalt zu benennen, nichts dnzuwenden* Wenn ich dee
Sinn eines Namens verstehe, ohne mir dnen der von ihtn bezeiduidB
O^enst&nde vorzustdlen, so kann man sehr wohl sagen« daB idi Aen joe
QegenstiUide einstweilen bloB meine. Alleih num sollte doch nidit w-
kennen, daB hiedurch dieser Sadiverhalt nodi kdneswegs erklirt ist
Denn wie kann idi etwas meinen^ wovon mir — der Voraussctning met
— gar nidits gegeben ist? Husserl hat dnen Versudi, dieses Probtae
aufzuldsen, nidit gemadit Dassdbe erstredct sidi fibrigens weiter, als bfsher
angenommen ward. Wenn idi dnen Namen vergessen babe, so sidle id
den veiigessenen Namen gewiB nicht vor. Trotzdem mdne ich ihn« Wii
hdBt das? Es steht nicht ebva so, als wfirde mir nur — rein privativ —
zu dnem Gegenstande der zugehdrige Name fehlen. Vidmehr WegL m
— ganz positiv — der veigessene Name ,^uf der Zunge^: ich meiiu nidit
nur ganz im allgemdnen den mir vdllig unbekannten Namen des gegebena
Gegenstandes, sondem geradezu den vergessenen Namen, obwolil ich ibo
nicht vorstdle und nicht vorstdlen kann. Birch-Reichenwald Aars spridit
in solchen Fallen von dnem Symbolgeprftge^ — dn nicht unang^
messenes Wort, das uns indes fiber die Tatsachen wenig sagt v. Ehren*
PELS meint3), der „WerdeprozeB der anschaulichen, dirdcten, aus der in-
direkten Vorstdlung^ fundiere eine besondere Oestaltqualitat LieSe
sich dies sogar gegenflber unsem prinzipidlen Einwendungen (§ 31. 1—3)
aufrecht halten, so wilrde es uns doch gar kdne Auskunft darflber gd)a,
wie dne „indirekte Vorstdlung^ mdglich ist Lipps erkUrt — Qbrigens nadi
dem Vorgange von James ^) — „alles Meinen'' als dne „Perzeption8tendenz"^
Dies sieht vidleicht im ersten Augenblick so aus, als wiirde damit dne Er-
Mining wenigstens angebahnt Denn einer Tendenz k5nnten ja wohl irgcod-
wdche GefOhle des Strebens und Erwartens entsprechen. Alldn dennodi
bliebe die Hauptsache unerledigt zurQck: nlUnlich das Strd>en nadi etwas
und Erwarten von etwas Bestimmtem. Die „Tendenz^ als solche wire
ja gleich, auf was immer sie sich richtde. Wie jedoch diese Tendenzeo
als verschieden eriebt werden kdnnen, je nach ihrem Zid, wenn doch dieses
Zid vorerst noch nicht eriebt wird — hierOber gibt audi die Eridirung
von LiPPs keinerlei AufschluB. Am schwersten hat unser Problem wohl
RoYCE 6) empfunden. Der Frage : wie kann ich ein x meinen^ das mir nicht
gegeben ist? glaubt er nur durch den Notausgang der Mystik entrinnen
zu kdnnen. Er antwortd n&mlich: Ich kann jenes x meinen^ wdl ich nur
») Ibid. II, S. 37 f. 2) Psycholog. Anal. S. 159 f. «) Oesi Qual. S. 274 If. *) PsydL
1, S. 472. 5) FWD, S. 89. ^) Modem Philosophy S. 366 ff^ vgl. Religious Aspect
S. 420 ff.
ENTWICKELUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 219
^ein Tell des Einen WeltbewuBiseins bin, das Alles umfaBt, und well daher
^ in Wahrheit audi jenes x mir ge8[eben ist, — zwar nicht insofern ich dieses
* Individuum, wohl aber sofem ich das WdtbewuBtsein bin. Die Antwort
■ mag richtlg sein; zu der Frage paBt sie nicht. Denn gefragt wird ja, wie
k ich X meinen kann, sofern ich dieses Individuum, nicht sofem ich das
* WeltbewuBtsein bin. Wenn das principium individuationis stark genug ist,
^ um mich am Vorstellen des x zu hindera, wamm sollte es nicht auch stark
k genug sein, um mir das Meinen des x zu verwehren? Zum mindesten
* aber gilt folgende Erwagung. Kann ich x nicht vorstdlen, so gehort es
k zu jenem Teil des WdtbewuBtseins, das fur mich qua Individuum dn Un-
I bewuBtes darstdlt; kann ich es trotzdem mdnen, so beruht dieses Mdnen
^ auf der Einwirkung desUnbewuBten. Allein in dem Moment, wo dieses
r zug^eben wird, verliert die ganze Konstmktion ihren Wert Denn da ich
\ ja nie etwas meine, was ich nicht auch sdbst qtta Individuum vorzustdlen
Oder wenigstens auf andere Art in der Weise der „Erf{illung^ zu erieben
vermdchte, so k5nnte auch mein individudles UnbewuBtes all dasjenige
leisten, was hier dem kosmischen UnbewuBten zugemutdd wird. Man
mflBte dann z. B. sagen, ich meine den vei^gessenen Namen, weil er mir
— zwar nicht bewuBt, woM aber unbewuBt gegeben ist DaB jedoch diese
Erklamng nicht genugt, leuchtet ein. Denn es ist ja gar nicht die Frage,
wie mein Meinen etwa zu begrunden sdn mdchte. Sondem die Frage
ist, was ich in meinem BewuBtsein vorfinde, wenn ich xmeine^ ohne
es vorstdlen zu kdnnen. Kann jedoch diese, allein entscheidende Frage
durch den Rekurs auf UnbewuBtes uberhaupt nicht beantwortet werden, so
ist die Hypothese von Royce eine solche, die mit einem Maximum von
Annahmen zu einem Minimum von Leistung gdangt: sie ist daher unbe-
dingt abzulehnen. Vermag indes der Rationalismus nicht zu erkllren, wie
der Aussageinhalt die Aussagegrundlage meinen kann, so lIBt er sich
fiberhaupt nicht halten. Denn nur indem er auf solche Weise ein neues
Band zwischen dem Aussageinhalt und der Aussagegmndlage herstdlte^
kdnnte er jener Konsequenz entrinnen, die sich sonst aus der voUstlndigen
psychologischen Trennung des logischen BewuBtsdns und des bloB aus
Vorstdlungen und Gefuhlen bestehenden TatsachenbewuBtseins notwendig
ergibt: der unbeschrankten AuffaBbarkdt aller Aussagqjundlagen durch alle
Aussageinhalte und damit der vollstandigen Unanwendbarkdt des logischen
Denkens auf das tatsachliche Oeschehen.
1
DRITTES KAPITEL
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS
§ 55
NTER gOnstigen UmstlUiden wird jede Aussage-
grundlage in jedem denkenden Wesen eine ge
wisse Totalimpression hervomifen, die aus
einer Anzahl von Oef iihlen besteht (§ 15). Unier
den Oeftihlen nun, die dergestalt mehrere ahnliche
Aussagegrundlagen in Einem denkenden Wesen
hervorrufen, werden sich auch gleiche befinden, und
den Inbegriff s o 1 c h e r gemelnsamer OefQhle wollen wir eine t y p i s che
Totalimpression nennen. Ebenso werden sich auch unter den 0^
fuhlen, die Eine Aussagegrundlage in mehreren Hhnlichen denkenden '
Wesen hervomift, gleiche befinden, und den Inbegriff d i e s e r gemdn-
samen Oefuhle wollen wir eine generelle Totalimpression nenneiL
1st endlich eine Oruppe ahnlicher Aussagegrundlagen und eine Gruppe
Hhnlicher denkender Wesen gegeben, dann nennen wir den Inb^jiff
jener Oefuhle, welche von jeder jener Aussagegrundlagen in jedem
dieser denkenden Wesen hervorgerufen werden, eine genereil-
ty pis che Totalimpression.
Solche generell-typische Totalimpressionen kdnnen femer dutch ge-
wisse logische Formalgeffihle, die selbst genereller Art sind,
noch untereinander in Beziehung gesetzt werden und sich so zu ge-
gliederten Komplexen zusammenschlieBen.
Als ein solcher gegliederter Komplex von generell-ty-
pischen Totalimpressionen der Aussagegrundlage stdit
sich nun im allgemeinen fur den pathempirischen Standpunkt
der Aussageinhalt dem BewuBtsein dar.
Hiemit haben wir die Erste semasiologische Hauptfrage (§ 48) be-
antwortet
ERLAUTERUNG
1) Unsere Kritik des Rationalismus hatte uns in § 54. 1 zu dem Er-
gebnis gefuhrt, der Aussageinhalt musse sich dem BewuBtsein als
ein Oefuhl oder Oefuhlskomplex darstellen. Denn er kSnnte die
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 221
Aussagegrundlage nicht ^meinen^, wenn nicht irgendwelche durch sie
hervorgerufene psychische Elemente auch in ihm enthalten waren ; die
Aussagegrundlage nun rufe, wenn sie in schlichter Weise eriebt werde,
d. h. ohne durch einen Aussageinhalt aufgefaBt zu werden, keine
anderen psychischen Elemente hervor als Vorstellungen und Oefuhle;
daB aber nicht Vorstellungen den Aussageinhalt konstituieren kdnnen,
habe unsere Kritik des Nominalismus hinlanglich gezeigt Indem wir
demnach daran gehen, das Bedeutungsproblem nach der pa t hem-
pi rischen Methode zu bearbeiten, richtet sich unsere Aufmerksam-
keit zunachst auf jene Oefuhle, welche die Aussagegrundlage
auch dann in uns hervorruft, wenn sie in schlichter Weise eriebt wird.
Den Inbegriff dieser Gefuhle konnen wir jedoch nach § 15 als die
Totalimpression der Aussagegrundlage bezeichnen.
Freilich, so ganz ohne weiteres kann das BewuBtsein des Aussage-
inhalts mit der Totalimpression der Aussag^^ndlage nicht zusam-
menfallen. Denn zwei spezifisch verschiedene Aussagegrundlagen
konnen nie gleiche Totalimpressionen besitzen, w3hrend sie doch sehr
haufig durch gleiche Aussageinhalte sich auffassen lassen. So z. B.
rufen ohne Zweifel der Dom von Pisa und die Q. Symphonic sehr
verschiedene Oesamteindrucksgefuhle hervor, und dennoch kdnnen
beide durch den Begriffsinhalt Kunstwerk aufgefaBt werden. Indes,
schon die Erwagung dieses Beispiels weist wohl den W^, auf dem
die erwahnte Schwierigkeit zu besiegen ist Denn warum wir sowohl
einen Dom als auch eine Symphonic ein Kunstwerk nennen, dies kann
doch eigentlich gar nicht zweifelhaft sein: es geschieht dies namlich
darum, weil beide gewisse Oefuhle des Oefallens in uns hervorrufen,
und zwar Oeffihle des Oefallens von solcher Art, wie sie nicht durch
Naturgegenstande, sondem eben nur durch kunst- und planvoll ge-
gliederte Objekte hervorgerufen werden. Es zeigt sich somit, daB die
Verschiedenheit der Totalimpressionen der Oleichheit der Aussage-
inhalte deshalb nicht im W^e steht, weil die verschiedenen Total-
impressionen, unbeschadet ihrer Verschiedenheit, dennoch gleiche
Oefuhlsmomente enthalten kdnnen. Mit anderen Worten : die Oefuhle,
welche eine Totalimpression konstituieren, sind zum Teil gerade dieser
Einen Totalimpression eigentumlich, und diese Oefuhle konnen wir
dieindividuellen Momente der gegebenen Totalimpression nennen ;
zum Teil sind sie ihr mit einer Oruppe anderer Totalimpressionen ge-
meinsam, und diese Oefuhle kdnnen wir als ihre typischen Momente
bezeichnen. Nehmen wir ferner an, es sei eine bestimmte Oruppe
von Aussagegrundlagen, und daher auch von Totalimpressionen, ge-
222 NCXDLOOIE
geben, so kdnnen wir jedeeinzelne dieser Totalimpressionen tine in-
dividuelle Totalimpression, den Inbegriff der alien g^ebenen
Totalimpressionen gemeinsamen Oefuhlsmomente dag^en eine ty-
pische Totalimpression nennen. Soweit wir nun nach dem
von uns betrachteten Beispiele urteilen ddrfen, scheint diese typische
Totalimpression zu dem Aussageinhalt zum mindesten in dner viel
engeren Beztehung zu stehen als jede der individuellen Totalimpres-
sionen. Denn alle Bauten, Oemilde, Statuen, Dichtungen, Musik-
stucke usw. heiBen, so scheint es, Kunstwerke^ weil und insofem die
von ihnen hervorgerufenen Totalimpressionen gewisse Oefuhle des
Gefallens als gemeinsame typische Momente in sich enthalten.
DaB wir jedoch mit diesem Gedankengange uns in der Tat auf der
wahren Spur befinden, die zur Aufldsung der Ersten semasiologischen
Hauptfrage fuhrt, dies bestatigt uns die Erw3gung, daB wir auf dieser
Spur schon jetzt die zwei groBen Hindemisse umgangen haben, die
dem Nominalismus und Rationalismus entgegenstanden. [>enn wir
sehen jetzt: es kann zwei verschiedenen Aussagegrundlagen dn ge-
meinsames psychisches Element auch dann entsprechen, wenn die
Vorstellungen beider Aussagegrundlagen durchaus keine gemein-
samen Bestandteile aufweisen, ja sogar wenn sie — wie die Vorstd-
lungen von Dom und Symphonie — ganz heterogenen Sinnesgebieten
angehdren; trotzdem aber ist dieses gemeinsame psychische Element
in dem schlichten Erlebnis jeder der beiden Aussagegrundlagen wirk-
lich enthalten, und es ist daher leicht b^eiflich, daB nicht jede
beliebige Aussagegrundlage durch jeden beliebigen Aussagdnhalt auf-
gefaBt werden kann.
2) Damit wollen wir keineswegs sagen, daB der Aussagdnhalt sich
dem BewuBtsein einfach als typische Totalimpression darstelle. G^[en
eine solche Behauptung wtirden sich vielmehr entschddende Ein-
wendungen, nicht nur mehr populirer, sondem auch streng wissen-
schaftlicher Art erheben.
ZunSchst namlich wird man gegen das Bisherige, und fiberhaupt
g^en diesen ganzen Paragraphen, vor allem dnwenden, nichts Ab-
surderes lasse sich denken als die hier von uns versuchte Reduktion
des spezifisch Logischenauf das Oeftihl. Wir sdbst hStten doch
in § 48 mit Nachdruck das groBe Faktum des logischen Ver-
kehrs hervorgehoben : die logische Valenz eines Oedankens wird
nicht beriihrt durch die psychologischen Besonderhdten der dnzdnen
denkenden Individuen. Wenn jedoch schon die Vorstellungen,
die das Denken dnes Gedankens b^ldten, von Individuum zu In-
^
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 223
dividuum variieren, urn wie viel wechselnder und ungleichartiger mflssen
erst die Oefuhle sein, da doch das Oefuhl die subjektivste Art des
Erlebens ist? Was gibt es Individuelleres als die Art und Weise, wie
der Einzelne zu den Tatsachen Stellung nimmt, mithin auch als die
Gefuhle, die siein ihm hervorrufen? Und dieserxat' J^oxnjv alogische
Charakter des Oefuhls — wird man fortfahren — laBt sich auch durch
das Zuruckgehen auf typische Oefiihle nicht verwischen. Denn die
persdnliche F^lrbung der gefQhlsmaBigen Stellungnahme wird sich,
wenigstens in vielen Fillen, nicht nur der einzelnen Tatsache, sondem
auch einer ganzen Gruppe von Tatsachen gegenuber geltend machen.
Der Streitlustige etwa wird jedem Kampf mit Behagen, der Fried-
fertige jedem mit Unbehagen entgegensehen. Auch die typische
Totah'mpression wird daher im ersten Falle ein Moment der Lust, im
zweiten ein Moment der Unlust enthalten. Wie konnen also trotzdem
der Streitlustige und der Friedfertige beide mit dem Worte Kampf
dieselbe logische Bedeutung verbinden, da doch, falls typische Total-
impression gleich Aussageinhalt wire, fiir sie dieses Wort einen ganz
verschiedenen Sinn ausdrucken mflBte?
Rein theoretisch aber wird man das Folgende einwenden. Zugegeben,
daB in alien Eindrucken, welche die einzelnen Aussagegrundlagen einer
Gruppe auf Einen Denkenden machen, Eine typische Totalimpression
als gemeinsames Element enthalten ist, so macht doch auch schon
Eine einzige Aussagegrundlage auf mehrere Denkende verschiedene
Eindrucke. Wenn demnach hier, wo der Unterschied des Individuellen
und Typischen uberhaupt wegfallt, die von Einer Tatsache hervorge-
rufenen Gefuhle ohne Zweifel voneinander verschieden sind, wie
kdnnte trotzdem diese Tatsache Gegenstand einer gemeinsamen
logischen Auffassung werden, falls das Wesen der logischen Auffassung
in den Gefiihien ISge? Wie konnten z. B. zwei Menschen mit dem
Worte Sonne denselben Sinn verbinden, wenn doch in der Total-
impression der Sonne fflr den Frostelnden ein Moment der Lust, fur
den Fiebernden ein Moment der Unlust enthalten ist?
Wir knupfen unsere Erwiderung an diese strengere Formulierung
des Einwands ; denn gerade sie verrit deutlich genug, wie ihm begegnet
werden kann. Ebenso namlich^ wie die von mehreren Aussagegrund-
lagen in Einem Denkenden, wwden auch die von Einer Aussagegrund-
lage in mehreren Denkenden hervorgerufenen Totalimpressionen nicht
nur verschiedene, sondem auch gleicheOeffihlsmomente enthalten. Denn
so lihnlich wie die einzelnen Aussagegrundlagen sind einander auch
die einzelnen Denkenden. Auf alle Menschen insbesondere wirken
224 NOOLOOIE
identische Tatsachen auch in gleicher Weise ein, unbeschadet dei
hinzutretenden, je nach der Individualitlt verschiedenen Farbung des
Eindrucks. Alle z. B. erleben ein gewisses Oefuhl der Blendung, wenn
sie in die Sonne schauen — mag auch die Totalimpression der Sonne
in dem Einen Falle ein Lust-, in dem andem ein Unlustmoment ent-
halten. Kurz, wie in der Totalimpression solche Momente unterschieden
werden konnen, welche nur einem bestimmten Objekt eigentflmlich,
und solche, welche einer ganzen Oruppe von Objekten gemeinsam
sind, so kann man in ihr auch auseinanderhalten : jene Momente, die
nur Einem bestimmten Subjekt eigentumlich, und jene, die einer ganzen
Gruppe von Subjekten gemeinsam sind. Wenn wir nun den ersten
Gegensatz zum Ausdruck brachten durch die Unterscheidung imU'
vidueller und typischer Momente und Totalimpressionen, so wollen
wir jetzt dem zweiten gerecht werden durch die Distinktion singul&ra
und genereller Momente und Totalimpressionen. AIs eine s i n gu 1 a r e
Totalimpression namlich bezeichnen wir f ortan eine solche, welche
von einer Aussagegrundlage in Einem denkenden Wesen hervorge-
bracht wird, als eine generelle Totalimpression dagegen den
Inbegriff jener Oefuhle, die in samtlichen, von einer Aussag^rundlage
in mehreren denkenden Wesen hervorgerufenen Totalimpressionen ge-
meinsam enthalten sind. Und nun tragen wir dem Faktum des
logischen Verkehrs Rechnung durch die weitere Bestimmung,, dafi dei
Aussageinhalt nicht nur als eine typische, sondem auch als eine
generelle Totalimpression dem BewuBtsein sich darstellt
Wenden wir uns jetzt zu dem friiher entwickelten, mehr popularen
Einwande g^en die Reduktion des Logischen auf Oefuhle zuruck
Dieser Einwand fuBte, wie wir uns erinnem, auf der hdchst persdn-
lichen, von Individuum zu Individuum variierenden Farbung des Oe
fQhIs. Im allgemeinen nun erkennen wir jetzt leicht, daB dieses Be
denken entkraftet wird, wenn das BewuBtsein des Aussageinhalts sXdt
von dem Gefuhlseindruck der Aussagegrundlage eben dadurch unter<
scheidet, daB es alle hdchst persdnlichen und variablen Momenta
dieses Gefiihlseindrucks von sich ausschlieBt und nur dessen gattungs
maBig gemeinsame Momente umfaBt Wie dies indes mdglich sd
mag uns vorerst ein Blick auf eine Parallelerscheinung lehren. Den
Faktum des logischen Verkehrs entspricht namlich das anden
Faktum desmoralischen Verkehrs. OewiB differieren die Ansichtei
fiber den moralischen Wert einer Handlung oft in hdherem Gradi
voneinander als jene fiber die logische Valenz einer Aussage. Immer
hin besteht in jeder sozialen Oruppe innerhalb relativ weiter Orenzei
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 225
eine Oemeinschaft der moralischen Beurtdlung. DaB nun dlese Oe-
metnschaft auf OefGhlen der Billigung und MiBbilligung beruht,
werden wohl heutzutage nur mehr ganz verbissene Intdlektualisten
leugnen. Dennoch sehen wir, daB diese Oemdnschaft durchaus un-
abhSngig ist von der singulftren FHibung des persGnlichen Oefdhis:
auch wenn ich sdbst aus einer Handiung Nutzen ziehe, kann ich sie
an dem MaBstabe der herrschenden Moral messen, und sobald idi
dies tue, werde ich sie ganz ebenso als Unrecht erkennen und ver-
dammen wie dn Anderer, der durch sie vidldcht empfindllch ge-
schSdigt wird. Auch die Moral also beruht auf OefQhlen. Alidn
nicht auf die Gesamthdt aller durch eine Handiung err^en OefQhIe
grtindet sich die moralische Bewertung, sondem sie schlieBt die sin-
gulSr-persdnlichen aus und stQtzt sich altein auf gewisse generdt-
gattungsm26ige OefOhle. Adam Smfth i) hat dies ausgedrfickt durch
die These, in der moralischen Bewertung reagierten wir g^en dne
Handiung mit den OefQhlen des unbetdligten Zuschauers {the impartial
spectator). Dies laBt sich nun auf die Logik ohne weiteres QbertragM.
Auch im logischen Denken reagieren wir g^en dne Tatsache mit
den OefQhlen des unbetdligten Zuschauers. So wie der moraHsch
Urteilende davon absieht, ob ihm persOnlich die Handiung Nutzen
Oder Schaden bringt, und ausschHeBlich jene OefQhIe zu Worte
kommen IgBt, die ihm mit alien andem moralisch Urtdlenden gemdn
sind, so sieht auch der logisch Denkende davon ab, ob ihm persOnlich
die Tatsache angenehm oder unangenehm ist, und l^t nur jene Oe-
fQhIe sprechen, die er mit alien andem logisch Denkenden tdlt Es
kdnnen daher z. B. zwd Menschen, von denen der Eine jedcsm Kampfe
freudig, der Andere miBmutig entgegensieht, dennoch sehr wohl mit
dem Worte Kampf denselben Sinn verbinden, obwohl dieser Sinn skh
ihrem BewuBtsein nur als ein Komplex von OefQhlen darstdlt; denn
die OefQhIe der Freudigkdt und des MiBmuts gehOren zu den sin-
guldren Momenten der betreffenden Totalimpressionen, deren genereUe
Momente etwa ledigiich dn OefQhl der TSttgkdt und dn OefQhl der
Hemmung dieser TStigkdt umfassen* Wie endlich diese Sonderung
der generellen von den singulllren OefQhlsmomenten vor skh geht,
ist gldchfalls kein Oeheimnis: in dem ProzeB des Sprechenlernens
voUzieht sie sich vor unsem Augen. Nehmen wir an, dn Kind h5re
den Namen A fur einen Oegenstand gebrauchen, der in ihm dieses
erste Mai den OefQhlskomplex a p y auslGst Dann wird ihm zu-
nSchst dieser Komplex o p t dig Bedeutung von A darstellen. Nun
1) Moral Sentiments 11. Z 2 (S. 139 ff.).
Oomperzy WcltantrhiimngBlchre II I 15
226 NOOLOOIE
rufe aber derselbe Oegenstand ein zweites Mai in ihm selbst den Oe-
fiihlskomplex a ^ 8 hervor, oder es entnehme aus den Aussagen seiner
Umgebung, daB diese jetzt mit dem Oegenstande nicht das Gefuhl y,
sondem das Oeffihl 8 verbindet, — und dennoch werde derselbe aber-
mals durch A bezdchnet Jetzt wird es ^ und 8 — als stng^lare,
variable Momente — aus der Bedeutung von A ausscheiden, die ihm
nun nur noch die Oefuhle a p umfassen wird. Auf gleiche Weise
werde ein drittes Mai p durch 6 ersetzt Dann werden auch diese
singulSren und variablen Momente aus der Bedeutung von A heraus-
fallen, und das Kind wird jetzt den O^enstand nur mehr insofem A
nennen, als er das Oefuhl a — mithin ein generelles, konstantes Ge-
fuhlsmoment — erregt Nach einem ganz analogen Schema wird sich
flbrigens auch die typische aus der individuellen Totalimpression aus-
sondem, nur daB dabei nicht die Personen wechseln, welche den
Namen A gebrauchen, sondem die Gegenstande, fiir die er gebraucht
wird. Das Endergebnis dieser gesamten Prozesse jedoch besteht
darin, daB sich mit groBer Genauigkeit aus den individuellen und
singularen jene typischen und generellen Gefuhlskomplexe ausscheiden,
welche fQr das BewuBtsein die logische Bedeutung der Worte darstellen.
DaB es sich indes hiebei in der Tat um einen gefuhlsmaBigen Vor-
gang handelt, dafQr 1^ auch die Sprache ein unverachtliches Zeugnis
ab, indem sie den ganzen, eben dargestellten ProzeB als die allmahliche
Entwickelung, Ausbildung und Verfeinerung des Sprachgefuhls be
zeichnet
3) Die bisher dargel^en Unterschddungen zwischen individuellen
und fypischen Totalimpressionen einerseits, singiMren und generellen
Totalimpressionen andererseits durchkreuzen einander, und es sind
daher grundssltzlich vier Arten von Totalimpressionen denkbar. Alle
diese vier Arten kommen jedoch auch wirklich vor.
Die singular-individuelle Totalimpression ist praktisch
von der grdBten, logisch von der geringsten Bedeutung. Sie umfaBt
jene Gefiihle, die eine einzelne Tatsache in einem einzelnen Menschen
erregt Sie ist mithin die gefuhlsmaBige Seite des „schlichten'' Erleb-
nisses der Aussagegrundlage — zugleich jene Totalimpression, von
der wir in § 15 allein gehandelt haben. Auf sie baut sich dasjenige
auf, was man die anschauliche Erfassung des Besonderen nennen
kann.
Die singuUr-typische Totalimpression entbehrt gleichfalls
noch der logischen Erheblichkeit. Allein sie ist ein wichtiges Mittel,
nicht nur derpersdnlichen Orientierung, sondern auch des k u n s t-
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 227
1 e r i s c h e n Schaffens. Sie umfaBt jene Oef uhle, die durch verschiedene
Tatsachen gleichmaBig in Einem Individuum hervorgerufen werden.
Auf ihr beruht z. B. jener typische Oesamteindruck, den i c h auf einer
Reise nach Italien von italienischen Menschen, Sitten oder Landschaften
gewinnen kann. Dieser Eindruck ist typisch, weil er aus zahlreichen
individuellen Fallen das Oemeinsame h&raushebt; allein er ist auch
singular, weil er meine ganz personliche Stellungnahme zu diesem
Oemeinsamen in sich enth^t und deshalb auf allgemeine Geltung
keinen Anspruch machen kann. So kennt jeder Mensch Typen von
Frauen, Denkem, Kunstlem, Nationen, Landschaften, die i h n anziehen
und abstoBen, in dieser und jener Weise beruhren, ohne daB er des-
wegen auch schon eine objektiv-gultige ErklSrung, eine Jogische De-
finition dieser Typen geben kdnnte : diese anschauliche Erfassung des
Allgemeinen hat fur ihn den Wert einer subjektiv-personlichen
Orientierung. Dieser Wert steigert sich, wenn der Mensch zum Kunstler
wird. Man sagt oft, der Kunstler solle typische Gestalten, Charaktere,
Situationen, Schicksale, Gefuhle usw. darstellen. OewiB mit Recht
Allein diese kiinstlerischen Typen sind keine logischen. Denn der
Kunstler stellt sie dar, wie sie ihm erscheinen, er bringt in seiner
Darstellung auch seine persdnliche Stellungnahme zu diesen Typen
zum Ausdruck. Und er soil sie zum Ausdruck bringen. Denn wir
wollen im Kunstwerk nicht ein objektiv giiltiges Schema, das Ergebnis
einer wissenschaftlichen Klassifikation, vor uns sehen, sondem zugleich
eine Selbstdarstellung der kQnstlerischen Persdnlichkeit, einen Ausdruck
ihrer Individualitat. Der Jeremias der Sixtina z. B. ist gewiB „der
Typus eines verzweifelten alten Mannes". Allein daB gerade diese
Ziige ihm fur einen verzweifelten alten Mann typisch schienen, darin
spricht sich unmittelbar die Persdnlichkeit des Michelangelo aus, und
jeder Versuch, diesen Typus zu einem allgemein gultigen zu machen,
ihn in eine logische Formel zu fassen, wurde unfehlbar die Eigenart
dieses Werkes verfehlen. In jedem Kunstwerk bleibt ein Rest, der
sich der verstandesmaBigen Erfassung entzieht Dies heiBt psycho-
logisch: dem kQnstlerischen Denken mogen typische^ es konnen ihm
jedoch niemals generelle Oesamteindrucksgefuhle zugrunde liegen.
Das Oegenstuck zu den singular-typischen bilden die generell-
individuellen Totalimpressionen, d. h. Gefuhlskomplexe, die
yon Einer Tatsache gleichmSBig in mehreren Personen hervorgerufen
werden. Fundieren jene die asthetische Erfassung des Allgemeinen,
so begrunden diese die logische Erfassung des Besonderen. So
stellen sie insbesondere fur das BewuBtsein den Inhalt der Indi-
15»
228 NOOLOOIE
vidualbegriffe und den Sinn der Eigennamen dar. Dafi nam-
lich auch diese B^ffe einen Inhalt, diese Namen einen Sinn haben,
^ geht daraus heivor, daB es ein VerstSndnis z. B, der Namen Sonne
und Sokrates gibt^ ohne daB ich mir etwa jene oder diesen anschaulich
vorstellen mQBte. Auch 1st es nicht schwer, zu begreifen, woher
hier die generellen Oeffihlsmomente kommen. So verschieden nSmlich
die singuldren, persdnlichen Oefuhlegsein mdgen, die wir der Sonne
Oder Sokrates entgegenbringen, so gibt es doch auch diesen Individuen
gegenfiber gewisse, uns Allen gemeinsame OefQhlsmomente. Von
der Sonne sagten wir schon, es sei z. B. das Oefuhl der Blendung
dn solches gemeinsames Oefflhlsmoment Ooch auch wer von So-
krates iiigend etwas weiB — und wer von ihm gar nichts weiB, der
versteht auch den Namen Sokrates nkht — , der weiB wohl auch, daB
dies ein Denker war, der eines gewaltsamen Todes gestorben ist Mit
den Worten Denken und gewaltsamer Tod aber verbinden wir sicheriich
gewisse Oefiihle, die mithin alien denen gemeinsam sind, die den
Namen Sokrates verstehen. Trotzdem kann nattirlich von einer typischen
Totalimpression hier, wo uberhaupt nur Ein Oegenstand in Frage
kommt, nicht die Rede sein. Die generell-individuelle Totalimpresskm
erweist sk:h somit wiridich als die psychologische Orundlage fflr die
logisdie Erfassung des Einzelnen.
Diese bleibt indes doch immer eine Ausnahme. Mit Recht hat man
vidmehr seit jeher fOr die eigentliche DomSne der Logik das Allge-
mdne erkldrt Der k>gischen Erfassung des Allgemeinen nun li^en
stets die Oesamteindrucksgefflhle der vierten Art, die generell-
typischen Totalimpressionen, zugrunde. Stehen einander
nSmlfch dne Gruppe von Objekten und dne Oruppe von Subjekten
gegeniiber, so wird jedes Objekt in jedem Subjekt dne Totalimpression
hervorrufen. Jede solche Totalimpression wird dne singul§r-individudle
sdn, und solcher singuiar-individudler Totalimpressionen wird es —
wenn wh" annehmen, daB a Subjekte b Objekten gegenflberstehen —
a X b geben. Nun wissen wir, daB die Totalimpressionen, wdche
jedes der b Objekte in Einem der a Subjekte hervorruft, gewisse ge-
meinsame Oduhlsmomente enthalten, und daB deren Inbegriff eine sin-
gular-typische Totalimpression konstituiert Solcher singular-typischer
Totalimpressionen wird es daher — da jedes der a Subjekte von alien
b Objekten Einen derartigen typischen Eindruck empfangt — a geben.
Ebenso wissen wir, daB auch die Totalimpressionen, wdche Eines
der Objekte in jedem der a Subjekte hervorruft, gewisse gemeinsame
OefQhlsmomente enthalten, und daB deren Inb^^ff eine generdl-in-
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 229
dividueUe Totalimpression konstituiert Solcher generell-mdtvidueller
Totalimpressionen wird es daher — da jedes der b Objekte Einen der-
artigen genereUen Eindruck erzeugt — b geben. Allan gewisse Ge-
fiihlsmomente werden nun audi in alien Totalimpressionen, die jedes
der b Objdcte in jedem der a Subjekte hervorruft (mithin auch so-
w oh 1 in alien a singular-typischen wie in alien b generell-individuellen
Totalimpressionen), gemeinsam entbalten sein, und deren Inbegriff
konstituiert nun eine generell-typische Totalimpression. Sokher generell-
typischer Totalimpressionen kann es daher, mdgen auch die Zahlen
a und b noch so groB sein, immer nur Eine geben, da ja die Oe-
samtheit aUer a Subjekte und b Objekte immer nur Eine Oesamtheit
sein kann. Diese Einheit der generell-typischen Totalimpression in-
mitten der unbegraizt vielen Subjekte und Objekte fallt jedoch zusam-
men mit der Einheit des Aussageinhalts g^aiQber der unbegrenzten
Vielheit sowohl der Aussagegrundlagen wie der aussagenden Indi-
viduen; sie b^jQndet jenen uberindividuellen Charakter der logischen
Werte, den wir in § 48. 1 so entschieden hervorgehoben haben. Zu-
gleich aber enthullt sich die durch und durch soziale ^4atur des
Logischen. Es ist ja die Einbiklung des gesellschaftlkhen Produkts
der Sprache in das BewuBtsetn des Einzelnen, die es bewirkt, dafi mit
den Aussagelauten nur die alien Aussagenden und alien Aussag^j^nd-
lagen gemeinsamen Eindrucksgefuhle sich verknupfen, und erst durch
diese Verkniipfung wird die Oruppe der generell-typischen Gefuhls-
momente aus dem Chaos der singulSr-individuellen EindrucksgefQhle
herausgehoben, gednigt und zu einem dauamden Gebilde^ dem BewuBt-
sein des Aussageinhalts, gemacht
Wir woUen diese Verhaitnisse zum SchluB noch an zwei verwandten
Beispielen erlSutem : namlich an den Inhalten der Begriffe Nehmen und
Empfangen. Aussagegrundlagen dieser Begriffe sind alle denkbaren
Handlungen des Nehmens und Empfangens. Diese sind naturlich
voneinander uberaus va-schieden, denn ich kann mit der Hand Geld,
mit dem Mund Medizin, mit dem Geist Kenntnis, durch den EntschluB
mir ein Recht nehmen usw., und kann auch ebenso Geld, Medizin,
Kenntnisse und Rechte empfangen. So verschieden wie diese Hand-
lungen sind dann auch die von ihnen erzeugten individuellen Total-
impressionen, da z. B. die Organempfindungen der Handbew^;ung
gegen das Geftihl des Lemens offenbar Qberaus stark differieren. Auch
die singulSren Totalimpressionen jener Handlungen sind ebenso ver-
schieden wie die individuellen. Denn ich kann rasch und zdgemd,
heiter und finster, gierig und widerwillig etc nehmai und empfangea
230 NOOLOOIE
All dieser Vielheit und Mannigfaltigkeit der Handlungen und Emp-
findungen steht indes der Eine und identische Inhalt der B^^riffe
Nehmen und Empfangen gegenQber. Was entspricht ihm im BewuBt-
sdn? Nichts anderes, meinen wir, als die Verbindung der Oefuhle
Machtsteigerung und Aktivitdt in dem Einen, Machtsteigenmg und
PassivUdt in dem anderen Falle. Denn was immer von wem immer
genommen oder empfangen werde, stets erlebt der Nehmende oder
Empfangende ein GefQhl der Machtsteigerung, und stets ist dieses
verknQpft mit dnem OefQhle der Tatigkdt, wenn von Nehmen^ mil
einem Gefuhle des Leidens, wenn von Empfangen die Rede ist Diese
Gefuhle also sind die generdl-typischen Momente all jener zahllosen
singulSren und individuellen Totalimpressionen : indem sie an den
Worten Nehmen und Empfangen gleichsam eine StQtze und einen Halt
finden, sondem sie sich aus dem Chaos jener anderen Oefuhlsmomente
aus und bilden nun Eine generell-typische Totalimpression. Diese
aber stellt fflr das BewuBtsein den Sinn dar, den wir mit den Worten
Nehmen und Empfangen verbinden, somit den logischen Inhalt der
gleichnamigen Begriffe.
Man sieht endlich zugleich, was die psychologische Orundlage der
logischen Definitionen ist. Wir kdnnten ja nSmlich auch rdn
logisch das Nehmen als aktive, das Empfangen als passive Macht-
steigerung definieren. Der logischen Definition eines Begriffes ent-
spricht somit psychologisch die Aufzahlung der Oefuhlsmomente,
welche den Begriffsinhalt konstituieren, und diese GefQhlsmomente
sind jene psychischen Daten, die den logischen Bestimmungen,
den sogenannten Merkmalen, zugrunde liegen. Das „Merknial*
eines Begriffes stellt sich dem BewuBtsein als das Gefuhlsmoment
einer generdl-typischen Totalimpression dar.
Damit sind auch die Orenzen der logischen sowohl als der psycho-
logischen Analyse bezeichnet Man kann einen Begriff nur so lange
durch „Merkmale" definieren, als die ihm zugrunde liegende generdl-
typische Totalimpression noch eine unterscheidbare Mehrheit von Oe-
fuhlsmomenten umfaBt Oriin z, B. laBt sich erklaren als eine Art von
Farbe^ Farbe als eine Art von Empfindung. Denn hier lassen, zwar
nicht die Vorstdlungen, wohl aber die Oefuhle eine Zerlegung zu.
WShrend namlich jede konkrete OrOnempfindung voUkommen einfach
und unzerlegbar ist, kann ich in dem individuellen Eindruck, den dne
solche Empfindung mir macht, mindestens noch vier Oefuhlsmomente
unterscheiden: erstens das individuelle OefQhlsmoment, welches gerade
dieser Grunnuance dgentumlich zukommt; zweitens das typische
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 231
Oefuhlsmoment, das alien OrQnempfindungen, drittens dasjenige, das
alien Farbenempfindungen, viertens jenes, das alien Empfindungen
uberhaupt gemeinsam ist i). Allein das zweite dieser Gefjihlsmomente,
der generell-typische Eindruck, den im Gegensatze zu allem Roten,
Blauen usi alles OrQne auf alle Menschen macht, entzleht sich weiterer
Zerlegung. Aus dies em Orunde gibt es keine logische Definition
jener spezifischen Differenz, welche den Begriff Oriin von dem Begriff
Farbe unterscheidet (vgl, § 40. 3). Auf solche einfachste Oefflhie kann,
ebenso wie auf die einfachsten Vorstellungen, nur mehr hinge-
wiesen werden. Auf derartige Hinweisungen mQssen sich deshalb
auch unsere pathempirischen Analysen in letzter Linie beschranken.
4) Die generell-typischen Totalimpressionen sind der Stoff des
logischen BewuBtseins: als ein gedanklicher Extrakt aus den Tatsachen
sind sie das Moment, das den Aussageinhalt mit der Aussagegrund-
lage verbindet und durch welches sich die Aussage auf dasjenige be-
zieht, wo von die Rede ist Sie fundieren daher jene Seite des Denk-
inhalts, die wirin§ 45. 1 die semasiologische Materienannten,
und von der wir in § 47. 7 und 11 weiter sagten, sie reprasentiere
innerhalb der ^Bedeutung'' das Moment der ^TatsSchlichkeit'' und
^O^ebenheit" und finde ihren Ausdruck vorzugsweise in den kate-
gorematischen Redeteilen. Ihr steht jedoch diesemasiologische
Form gegenuber, die Art und Weise, wie von den Tatsachen die
Rede ist, das Moment der ,,Auffassung'' und ,,Gliederung'', das sich
vorzugsweise ausdruckt in den synkategorematischen Redeteilen.
Dieses aber ist durch den Hinweis auf die generell-typischen Total-
impressionen noch nicht erklart
Vergleichen wir z. B. miteinander die Aussagen: »Es regnet",
„Regnet es?", „Es m6ge regnen!*. Ihre Aussageinhalte sind ohne
Zweifel voneinander verschieden. Ebenso verschieden sind auch die
3 ausgesagten Sachverhalte, das „Regnen", das „Regnen?" und das
„Regnen-Sollen". Allein die Aussagegrundlage, dasjenige, wo von die
Rede ist, ist in alien drei Fallen dasselbe: das Regnen. Denn in
den Tatsachen liegt nichts von Wunsch, nichts von Frage, ja
sogar nichts von Bejahung, als welche etwas anderes ist als das
bloBe Stattfinden. Es kdnnen somit auch die Unterschiede zwischen
Bejahungs-, Frage- und Wunschsatzen nicht auf Unterschiede der
generell-typischen Totalimpressionen zuruckgefuhrt werden. In solchen
1) DaB wirklich auch schon die einfachsten Empfindungen regelmaBig von spezi-
fiscnen Qefuhlen begleitet werden, ist keineswe^s etwa eine von mir ad hoc aufge-
stellte Behauptung. Vielmehr hat von diesem ^uefuhlston*' der Vorstellungen schon
WuNDT ausfuhrlich gehandelt (Psycholog. HI, S. lllff.).
232 NOOLOQIE
Fillen durchdringt das nicht-tatsflchliche Moment der Bedeutung die
ganze Aussaee. In tnderen bezieht es sich auf die Verbindung
mehrerer Aussageteiie. Denken wir z. B. an Konsekutiv* und
Finalsfttse, an Kausal- und Konditionalsitze, an Adver-
sativ- und Konzessivs^tze usL Die Tatsachen existieren und
geschehen ; sie existieren und geschehen nk:ht so dafi^ nicht damity nicht
weil^ nicht h^^sm, nicht sondem^ nicht obgleich. Der Sinn alter dieser
Partikein kann sich daher auch dem BewuBtsein nicht als generell-
typische Totalimpression darstellen; diese reprasentiert nur dasjenige,
was in jenen Bezidiungen steht Doch auch mit Konjunktionen, die
nicht ganze Sitze, nur dnzelne Worte miteinander verbinden, verhalt
es sich nicht anders. Vergidchen wir z. B. miteinander die beiden
Sitze .Numerius N^dius ist schuldig, an Aulus Agerius A und B
zu zahlen^, und .Numerius N^dius ist schuldig, an Aulus Agerius
A Oder B zu zahlen'', so sehen wir, daB der Bedeutungsverschiedenheit
beider Aussagen keine Verschiedenheit der semasiologischen Materie
entspricht: beide Satze handeln von denselben Personen und denselben
Sachen. Oenerell-typische Totalimpressionen k5nnen mithin auch dieser
Bedeutungsverschiedenheit nkht zugrunde liegea Endlich dringt
dieses nicht-tatsachlkhe Moment auch in die einzeinen Worte ein. Dies
wird am deutlkrhsten an den verschiedenen Wortformen,gilt jedoch
auch von den verschiedenen Wortarten. Man kann nicht sagen,
daB dem Oenitiv des Houses ein anderer Eindruck entspricht als
dem Dativ dem House. Man kann auch nicht sagen, daB Eine
generell-typische Totalimpressk>n den Sinn des Adjektivs Rot^ eine
andere den des Substantivs Rote darsteilt
Wollen wir diese ErwSgungen in bundiger, wenn auch roh-sche-
matischer Weise darstellen, so dQrfen wir sie vielleicht so zusammen-
fassen. Die generell-typischen Totalimpressionen stellen im BewuBt-
sein jane Momente des Aussageinhalts dar, welche sprachlich durch
die WortstSmmederkategorematischen Redeteile ausgedruckt
werden. AUe Momente der Bedeutung dagegen, deren sprachlichem
Ausdruck die einzeinen grammatischen Form en dieser Wortstamm^
femer die synkategorematischen Redetdle, endlich Stellung
und Betonung der einzeinen Worte dienen, erfordem eine anders-
artige psychologische Bestimmung.
Man sieht jndes leicht, daB es sich, wenigstens in viden Fallen,
auch bei der psychischen Erfassung dieser formaten Bedeutungs-
momente urn QefQhle handeln muB. Sage ich z. B. aus: ^Wenn
A B ist, so ist C D'', so drucke ich hiemit jedenfalls das BewuBtsan
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 233
einer Notwendigkeit aus: giit »A ist B^^i so mufi auch gelten ,C ist
D^ Ich eriebe tnithin in dem Satze „C ist D"* ein endopathisches
Gefuhl des Zwanges in Beziehung auf den Satz „A ist B^ Zu-
gldch zeigt sich: Oefiihle des Zwanges kommen auch auBerhalb des
Daikens vor; wir erleben sie selbst und l^en sie anderen G^en-
stinden ein. Diese alogischen Zwangsgefuhle gehen auch in generell-
typische Totalimpressionen ein; eben hierauf beruht es ja, daB wtr
mit dem Worte Zwang einen Sinn verbinden. Allein in unserem Falle
gehort das Gefuhl des Zwanges nicht zu dem Eindruck, den die Tat-
sachen in mir hervorrufen. Es wird auch nicht einfach in sie hindn-
gefiihli Vielmehr gelange ich zu einer logischen Auffassung der Tat-
sachen, indem ich den Eindruck, den sie mir machen, durch das
Gefuhl des Zwanges ergHnze. Solche GefQhle wollen wir deshalb
logische Formalgeffihle nennen. Mtchen wir nun dieVoraus-
setzung, daB derartige GefQhle auBerhalb des Denkens fruher auf-
treten als im Denken, so kdnnen wir die spezifisch logischen Zwecken
angepaBten Formen dieser GefQhle auch ais logische Derivate
bezeichnen. Das Gefuhi des Zwanges, welches die konditionalen
Aussagai fundiert, ist demnach dn logisches FormalgefQhl oder dn
logisches Derivat
Hier ist indes dn wdterer Unterschied anzumerken. Der Satz »Wenn
A B ist| so ist C D"" kann nSmlich dnen doppdten Sinn haben, je
nachdem er ein konditionales Verhaltnis zwischen den Sachver-
halten »A ist B^ und »C ist D"* oder aber zwischen den gldch-
namigen Satzen ausdruckt In jenem Falle wird das D-Sein des
C hingestellt als notwendig bedingt durch das B-Sein des A
(„Wenn dn Mensch tot ist, so ist sdn Blut kalf"); in diesem Falle
wird dieOeltungdesSatzes »C ist D^ hingestdlt tls notwendig
bedingt durch die Geltung des Satzes „A ist B*" („Wenn die
Etrusker Semiten wtren, so gab es in Italien dn nicht-arisches Volk'' i).
1) Wir werden diesen Unterschied spater als den von real-kondMionalen und Uh
gisch-konditionaim ScUzen kennen lemen. Derselbe wird von Jerusalem (Idealismus
S. 195 f.) geleugnet, welcher behauptet^ dafi ^die hvpothetisaie Formel . . . immer
nur eine Beziehung . . . zwischen dem Furwahrhaiten zweier Urteile" ausdriidce.
Dies halte ich jedoch furunrichtig. Der von Ierusalem angeMhrte Satz z. B. „Wenii
ein Korper erwannt wird, so vergroBert aicn sein Volumen'' stellt fiir mein Spracb-
gefuhl zunachst den Sachverhalt der Volumvergrofierung hin als notwendig be-
dingt durch den Sachverhalt der Erwftrmung. Uerselbe Unterschied findetsidi
itbngens auch bei kausalen Satzen. Der Satz ^Da X floh, so ist er ein Feigling^
spncbt die notwendige Bedingtheit des zweiten Oedankens durch den erstcn aus;
der Satz dagegen ,,DaX ein reigling ist, so fk)h er" macht den ersten Sachver-
halt zur Ursache des zweiten, und sagt kdneswegs aus, dafi das Urteil ,PC ist eiii
Feigling'' ein zureichender onind sei fiir die Anerkennung des anderen Urteils
„XTloh".
234 NOOLOOIE
Im ersteren Falle nun entstammt das OefQhl des Zwanges zwar giach-
falls nicht dem Eindruck der Tatsachen (in der Wahmehmung dnes
Toten mit kaltem Blut liegt nichts von Zwang), allein es wird dodi
von uns den Tatsachen eingelegt Im zweiten Falle dagegen bringen
auch wir dieses Gefiihl mit den Tatsachen gar nicht in Verbindung
sondem legen es nur unseren eigenen Oedanken ein. Seiche
logische FormalgefQhle nun, welche lediglich der Bew^[ung unserer
Oedanken entspringen, wollen wir speziell noStische Forinalge-
f Ohle nennen, oder auch nogtische Derivate, wenn wir sie mit
entsprechenden OefOhlen, die auBerhalb des Denkens vorkommen, ver-
gleichen. Das Oefuhl des Zwanges, das die konditionale Aussage
fundiert, ist somit nicht nur stets ein logisches, sondem in vielen
Fallen uberdies ein noetisches Formalgefiihl^).
Dieses Schema bewahrt sich nun auf dem ganzen Gebiete des
Synkategorematischen. Bejahung und Verneinung z. B. sind
(vgl. § 38. 4) verwandt mit den BewuBtseinsarten der Liebe und des
Masses, des freundlichen und feindlichen Verhaltens. Doch
nicht die Tatsachen, von denen ein Satz handelt, erregen in mir
diese GefQhle, und ich lege sie auch nicht diesen Tatsachen zum Be-
hufe ihrer logischen Auffassung ein, sondem ich empfinde diese Oe
fiihle gegenuber den Gedanken, welche jene Tatsachen auffassen:
nicht dem Regen gegenQber verhalte ich mich feindlich, wenn ich sage
»Es regnet nicht*' ^ sondem gegenuber dem Gedanken „Es regatV,
Auch das Feindlichkeitsgeffihl, welches der Negation zugmnde li^
ist daher ein logisches, und naher ein noetisches FormalgefuhL Be-
trachten wirweiter diedisjunktiven, konzessiven und adver-
sativen Aussagen. Es scheint mir klar, daB ihnen alien verschiedene
Gefiihle des KampfbewuBtseins zugmnde liegen. Ich sage aus
„A ist entweder B, oder es ist C", wenn ich in den Gedanken „A ist
B'' und „A ist C, in Beziehung aufeinander endopathisch ein
Gefuhl desStreites erlebe: es ist noch unentschiede/iy welche der
beiden Moglichkeiten die andere uberwinden wird Ich sage aus „Olh
Wohin man gelangt, wenn man Konjunktionen und andere formale Aussage-
elemente nicht Qefuhle ausdriicken lafit, moge hier ein Beispiel zeis^en. St6hr
bemiiht sich (Log. S. 77), die Bedeutung der hypothetischen Satze klarzustellen,
und gelan^ zu folcnendem Erc^ebnis: Durch Auflosung der Konjunktionen Wenn
und So „laBt sich Ein hypouietischer Satz: z. B. ,Wenn A ist so ist B', in
vier kategorische Satze auflosen: 1. An die Existenz des folgend Qesagten ist die
Existenz von etwas anderem gebunden ; 2. A ist ; 3. Die Existenz des folgend Oe-
sagten ist an die Existenz des vorhin Qesafi[ten gebunden ; 4. B isf '. Una das soil
eine ,.psychologisierende" Darstellung seinf In wahrheit ist es ein Versuch rein
logischer Analyse — genau jenes Venahrens, das die Scholastik als exposUio kannte
und iibte.
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 235
gleich A B ist, so ist es dock C, wenn ich in dem Oedanken „A ist
B"" in Beziehung auf den Gedanken „A ist C endopathisch einOe-
fuhl des Angreifens, in dem zweiten dieser Oedanken in Be-
ziehung auf den ersten ein OefQhl der Abwehr eriebe: die Mog-
lichkeit »A ist C behauptet sich gegen die Mdglichkeit »A ist B''.
Ich sage endlich aus »A xsijUcht B, sondem C", wenn ich in dem
Gedanken ,,AistC endopathisch einOefQhl des Ueberwindens,
in dem Oedanken „A ist B'^ ein Oefuhl des Uiiterliegens er-
iebe: die Mdglichkeit »A ist C^ verdrOngt die Mdglichkeit »A ist B^
Allein wohlgemerkt: all diese OefQhle werden in mir nicht hervorge-
rufen von den Aussagegrundlagen A, B und Q sondem von den
Aussageinhalten ,,A ist B'' und „A ist C^ ; nicht die Tatsachen li^en
im Streit, sondem die Oedanken. Die Oefflhle, welche die disjunk-
tiven, konzessiven und adversativen Aussagen fundieren, sind dem-
nach ebenfalls logische, und zwar noetische FomialgefOhle Indem
die Teilgedanken durch diese FornialgefQhle zueinander in Beziehung
gesetzt werden, schlieBen sie sich zu einem Komplex, einer gedank-
lichen Totalit3t, zusammen.
Am einfachsten kann man diese VerhSltnisse vielleicht studieren an
der Bedeutung des Wortes Und. Dieses Wort wird ausgesagt auf
Gmnd eines OefQhls des Ueberganges. Wenn ich von Einem
Oedanken zu einem andem Qbergehe, so verbinde ich beide durch
und% Sage ich z. B. „RoB und Reiter'', so drucke ich damit aus,
daB ich von der Auffassung des Rosses zur Auffassung des Reiters
iibergegangen bin. Dieser Uebergang ist daher etwas rein Subjektives,
das in den Aussagegmndlagen gar nicht liegt, auch von uns nicht in
sie hineingelegt wird, und dem deshalb auch in den von diesen Aus-
sagegmndlagen in uns hervorgemfenen generell-typischen Totalimpres-
sionen gar nichts entspricht. Diese Totalimpressionen finden vielmehr
ihren sprachlichen Ausdmck lediglich in den beiden Worten Rofi und
Reiter. Erst indem diese beiden generell-typischen Totalimpressionen
zueinander in Beziehung gesetzt werden durch jenes noetische
FormalgefQhl des Ueberganges, welches die Aussage Und fundiert,
entsteht ein umfassenderer, gegliederterKomplex von Gefuhlen,
der sich nun dem BewuBtsein als der logische In halt der Aussage
Rofi and Reiter darstellt.
Nicht anders steht es endlich mit den Wort-Formen und -Arten. Es
Da ich jeden solchen Uebergang audi auffassen kann als eine Verdrangung
Oder Ueberwindung des fruheren Ueoankens durch den spateren, so kann ich sehr
haufig statt und auch aber sagen, wie z. B. die Verbindung der Satze durch di im
Orieoiischen beweist
236 NOOLOOIE
bedeutet z. B. in unserer Sprache der Akkusativ ein dem betreffen-
den G^enstande eingelegtes Oeftihl des Leidens, das Zeitwort
in seiner Aktivform ein Gefu hi derTatigkeit Sage ich also »Der
Hund sieht den Knochen'', so lege ich dem Hund Aktivitat, dem
Knochen Passivitit ein. Allein diese ,,Auffassung'' li^ nicht not-
wendig in den Tatsachen. Ich kOnnte ja audi sagen «Der Knochen
erscheint dem Hund''. Es kann mithin auch die Passivit3t nicht in d»
generell-typischen Totalimpression des Knochens, die Aktivitat nicht
in der des Hundes enthalten sein. Zu den von Hund und Knochen un-
m i 1 1 e 1 b a r in dem ^unbeteiligten Zuschauer'' heivorgerufenen Oefuhl^
gehdren vielmehr nur jene Gefuhlsmomente, welche die Bedeuhing
der Worts tam me Himd, Sehy Knochen ausmadien. Urn indes diese
Gefiihismomente zu Einem Aussageinhalt zu verknQpfen, muB ich sie
durch gewisse Formalgefuhle zueinander in Beziehung setzen. Dies
sind in unserem Falle die ^Akkusativpassivitat'' und die .Verbalak-
tivitat'' — zwei Formalgefiihle, nebenbei, die zwar logisch sind, weil
wir durch sie die Totalimpression der Tatsachen zum Behufe iogischer
Formulierung erganzen, jedoch nicht noetisch^ da wir die Aktivitat und
Passivitat nicht etwa den Begriffen Hund und Knochen einiegen,
sondem den gleichnamigen Sachen. indem nun diese beiden Formal-
gefuhle in jene drei generell-typischai Totalimpressionen eintreten, er-
moglichen sie eine wechselseitige Anpassung dieser letzteren, und so
entsteht der Eine Tatbestand „Der Hund sieht den Knochen ''^ d. h.
psychologisch, es entsteht ein g^liederter Komplex von Oefuhls-
momaiten, dessen Material die generell-typischen Totalimpressionen
und dessen Form die logischen FormalgefQhle bilden.
Die logischen Formalgefuhle unterscheiden sich von den logischai
Materialgefuhlen, dai generell-typischen Totalimpressionen, dadurcb,
dafi sie nicht typisch sind. Denn da sie nicht von den Aussage-
grundlagen unmittelbar in uns hervorgerufen, sondem von uns zu
diesen hinzugefiihlt werden, so kann man ihnen auch keine wesentliche
Beziehung auf eine Mehrheit von Aussagegrundlagen zusprechea
Dagegen sind die logischen Formalgefuhle ganz ebenso gen er ell
wie die logischen Materialgefuhle. Alle singularen Besonderheiten, die
in diesem oder jenem Individuum, zu diesem oder jenem Zeitpunkt,
auch der emotionellen Seite des Gedankenflusses anhaften mdgen,
mussen abgestreift werden, wenn es gilt, die logische Bedeutung der
synkategorematischen Redeteile zu fixieren. In dem Sinn von Aber
z. B. darf weder die Lust am Widerspruch mitklingen, die den Einen,
noch der Aerger uber den Widerspruch, der den Andem bei dem
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 237
Gebrauche dieser Partikel beseelen mag, sondem dieser Sinn muB sich
erschdpfen in dem Beiden gemdnsamen GefQhle der Verdringung des
ersten Oedankens durch einen zwdten. Diese generelle Natur alier
logischen Oefflhie wirft zugldch ein hdles Lkht auf das Wesen der
einzdnen Aussage. Durch jede dnzdne Aussage nSmlkh Idst der
Aussagende die Aufgabe, dnen singul9ren Eindruck oder Einfall in
einen OefOhlskompIex umzusetzen, in welchem generelle Totalimpres-
sionen durch generelle FormalgefQhle gegliedert werden. Mit anderen
Worten: mag der auszusagende Eindruck oder Einfail noch so per-
sonlich sdn, der Sdbsttitigkdt des Aussagenden bidbt doch nur die
Auswahl der ihm gesellschaftlich iiberiieferten Wortbedeutungen und
Sprachf ormen Gberlassen ; der f este lexikalische Bestand der Wort-
bedeutungen und der ebenso feste grammatische Bestand der
Sprachformen sind sdner Spontaneitat so gut wie vdllig entzogen i).
Aus diesem Orunde kdnnte auch dne Ausfuhrung der hier entwickdten
Prinzipien ins Einzelne nur an der Hand dieser festen BestSlnde er-
folgen, Es muBten entweder die generell-typischen Totalimpressionen,
wdche den Wortbedeutungen, oder die logischen FormalgefQhle, welche
den grammatischen Formen einer bestimmten Sprache zugrunde Wegen,
im BewuBtsein aufgezeigt werden. Es scheint mir jedoch von vome-
herdn dnleuchtend, daB die erstere Aufgabe nicht nur unabsehbar groB,
sondem auch unldsbar wSre. Denn wie wir schon in § 40. 3 und
erst eben wieder gesehen haben, geht schlieBlich fast in jeden Begriffs-
inhalt dne letzte, nkrht weiter zu analysierende, spezifische Oefiihls-
nuance dn, und es besteht daher wenig Hoffnung, daB dne gdiihls-
psychotogische Analyse die Wortbedeutungen auf ein geordnetes
System Gberschaubarer Elemente zu reduzieren vermSchte Doch
schlieBt dies nkrht aus, daB die Synonymik zur schSrferen Heraus-
arbdtung der Bedeutungsnuancen mit Vorteil der pathempirischen
Methode sich bedienen mochte Auch wir selbst suchen ja haufig den
Inhalt kosmotheoretisch bedeutsamer Begriffe durch Aufzeigung der
ihnen zugrunde liegenden generell-typischen Totalimpressionen zu
klaren. Aussichtsrdcher durfte sich die pathempirische Bearbdtung
der grammatischen Formen gestalten, da die logischen FormalgefQhle
=— ais logische Derivate — sich zu auch sonst bekannten OdQhlen
in Beziehung setzen und daher ohne vitiosen Zirkel bestimmen lassen.
Alle Casus, Modi, Konjunktionen, Satzarten usw. drQcken nk:hts
1) Ich sage ,,so sut wie vollifi;^, well es ja gerade moglich ist, dafi auch der
Einzelne neue wone bilden una nene Fiigungen anwenden, d. h. nene Totaltra-
pressionen und neue Fomialgefiihle in den gesellschaftlichen Qebrauch einfiihren
und sie dadorch zu generellen stempeln kann.
238 NOOLOOIE
anderes aus als gewisse logische Formalgefuhle. Wenn also eine
psychologische Grundlegung der S y n t a x Oberhaupt mdglich sdn
soil, so kann sie nur auf dem Wege gef uhlspsychologischer Analyse
geleistet werden. Und eigentlich sollte ja dies selbstverstandlich sein.
Denn eine solche Grundlegung hatte doch keine andere Aufgabe als
die, das SprachgefQhl zu wissenschaftlicher Klarheit und Bestimmt-
heit zu erheben. Nur mflBte eben darum diese Arbeit an einer leben-
den Sprache begonnen werden, und es durften sprachgeschicht-
licheGesichtspunkte nicht vorzeitig sich einmengen. Denn auch auf
diesem Gebiete ist die Analysis die unerlaBliche Voraussetzung fur
die Rekonstruktion der Genesis, und unmoglich wSre eine gefuhls-
psychologische Bearbeitung der Sprache, die nicht ein lebendiges Sprach-
gefQhl zu ihrem Gegenstande hatte.
5) Die Erste semasiologische Hauptfrage ist jetzt beantwortet: der
Aussageinhalt stellt sich dem BewuBtsein dar als ein g^Iiederter
Komplex von generell-typischen Totalimpressionen der Aussagegrund-
lage. Einige Erlauterungen mSgen hier zunachst das Vertrauen zu der
Zulanglichkeit dieser Antwort kraftigen. Wir gehen dabei aus von dem
Begriffe des Meinens oder Intendierens, der uns im vorigen
Paragraphen entgegentrat. Der Aussageinhalt, wissen wir jetzt, meint
die Aussagegrundlage, well er aus Gefuhlsmomenten besteht, die auch
in dem schlichten Erlebnis der Aussagegrundlage enthalten sind. Und
zwar meint er a lie moglichen Grundlagen der gegebenen Aussage,
weii die typische Totalimpression in jeder individuellen Totalimpres-
sion jeder einzelnen Aussagegrundlage enthalten ist Soil indes diese
Erklarung richtig sein, so muB das Meinen stets diese Bedeutung
haben : auch wo es sich nicht um eine Beziehung von Aussageelementen
handelt, muB „etwas meinen^ ohne es vorzustellen" stets bedeuten „die
Totalimpression dieses Etwas erleben". Allein so verhalt es sich wirk-
lich. Denken wir z. B. zuriick an den Fall des vergessenen Namens.
Wenn mir ein solcher „auf der Zunge liegt", so ist mir sein gefuhls-
m^Biger Eindruck gegeben. „Fallt" mir nun der vergessene Name „ein%
so findet nur jener ProzeB der Differenzierung statt, durch den nach
§ 15 uberhaupt die Qualitaten aus der Totalimpression hervorgehen:
eben dieses Beispiel hatten wir ja dort fur diese Differenzierung an-
gefuhrt. Nur weil jetzt der Name eingebettet ist in die schon fruher
gegebene und zugleich ihm zugehorige Totalimpression, weiB ich, daB
der Name, der mir einfiel, derselbe ist, den ich suchte — daB es
der gemeinte Name ist Ganz in derselben Weise nun, in der ich den
vergessenen Namen meinen kann, ohne ihn vorzustellen, kann ich
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 239
auch die Aussagegrundlage meinen^ ohne sie vorzustellen, wenn ich die
Aussage verstehe. Tritt nun etwa zu dem bloBen Verstandnis des
Wortes Bourn auch noch die Vorstellung eines bestimmten Baumes
hinzu, so weiB ich in ganz derselben Weise, daB dies einer der vor-
her bloB gemeinten GegenstSnde ist, in der ich auch der Identitat des
wiedererinnerten mit dem bisher nur gemeinten Namen mir bewuBt bin.
Der Begriff des Meinens spielt in der Lehre vom Aussageinhalt auch
noch eine andere Rolle. Das Suchen nach einem Worte findet nSmlich
nicht bloB dann statt, wenn dieses Wort vergessen wurde, sondem
auch dann, wenn es gilt, fur einen gegebenen Oedanken den passendsten
Ausdruck zu finden. Ich schrieb z. B. einmal den Satz, es muBten
gewisse Interessen gewahrt werden. Ehe ich jedoch das Wort ge-
wahrt f and y zogerte ich lange und habe mir die Phasen dieses
Schwankens folgendermaBen notiert: „Zunachst fiel mir das Wort be-
wahrt ein. Alsbald hatte ich das GefOhl, dieses Wort entspreche
nicht meiner Intention. Nach bewahrt kam das lateinische conser-
vatur, dann das griechische ocbCetat. Das letztere mit dem Oefiihle
der Befriedigung: der Sinn von ocoCetaL entsprach meiner wortlosen
Meinung. Dann kam deutsch honserviert — kurzes Schwanken —
noch einmal oc&Cetat — dann pl5tzlich und endgultig gewahrt^ Hier
ist es nun freilich ganz klar, daB meine ,,wortlose Meinung** nicht
in der Totalimpression des Wortklangs gewahrt bestand; hatte sie
ja sonst nicht durch ocbCetat „erfullt" werden konnen. Vielmehr war mir
im BewuBtsein gegeben der S i n n von gewahrtj d. h. die diesem Worte
entsprechende generell-typische Totalimpression, und als die Aussage-
laute gewahrt hinzutraten, wurde die mit diesen Aussagelauten asso-
ziierte generell-typische Totalimpression als identisch erkannt mit der
schon vorher gegebenen. Denn der Aussageinhalt meint nicht nur
die Aussagegrundlage, sondern auch die Aussagelaute: jene als seine
Verwirklichung, diese als seinen Ausdruck.
Wir haben hiemit zwei jener Stadien der Gedankenentwickelung, die
wir in § 46 kennen lemten, psychologisch bestimmt Die Aussage
mit potentiell determinierter Sprachform erweist sich als ein
gegliederter Komplex generell-typischer Totalimpressionen, der einen
bestimmten sprachlichen Ausdruck meint\ in der Aussage mit aktuell
determinierterSprachform haben sich mit jenemOefiihlskompiex
die Vorstellungen dieses Ausdrucks verknupft. Doch auch das dritte,
Oder im genetischen Sinne vielmehr das erste, der damals unter-
schiedenen Stadien entzieht sich nicht gan!^lich der psychologischen
BestimiTiung. Ich meine die Aussage mit undeterminierterSprach-
240 NCX)LOOIE
form, den ^ungegliederten Einfall''. Indem wir aus jener frOheren
ErOrterung das Wort ungegUedert wiederholen, haben wir diese Be-
stimmung eigentlich schon vollzogen. Der ^Einfall* ¥rird sich nfimlich
beschreiben lassen als ein u n g e g I i e d e r t e r Komplex generelUtyiMScher
Totalimpressionen. Wenn ich einem Mitunterredner, der eben dnen
Oedanken ausspricht, ins Wort falle^ urn ihm eine Einwendung zu
machen, so geht meiner Formulierung dieser Einwendung ein ganz
eigentumlicher BewuBtseinszustand voraus. In diesem Augenblicke;
in dem ich zu sprechen b^nne, ist der ganze Inhalt meiner Einwendung
in Ein OefQhl zusammengedrflngt Alles, was ich sagen werde, ist
keimartig in diesem GefQhl enthalten, entbehrt jedoch der EntfeHuflg.
Ich kOnnte noch nicht angeben, was ich sagen werde. Erst wihrend
ich spreche^ legt sich dieser Oedankenkeim in seine Teile ausdnander.
Ich glaube kaum, daB es mdglich wSre, eine erschOpfende psycho-
logische Analyse dieser blitzartig vorQbergehenden und wShrend ihrer
Dauer alle Aufmerksamkeit absorbierenden Zustinde zu geben. OewiS
fehlen in ihnen nicht alle logischen FormalgefQhIe. Denn wie nach
§ 27 Qberhaupt die Rdationsgefflhle dem BewuBtsdn von den R^
lationsgiiedem vorausgehen, so spricht z. B. auch hier das OefOhl des
Konzessiven skh frOher deutlich aus als der Inhalt des Konzessiv-
satzes: ich weiB, daB ich ein ZugestSndnis machen kann Oder muB,
ehe ich sagen kann, welches Zugestandnis dies sein winL Allein
ebenso gewiB fehlen in diesen ZustSnden'jene logischen Fomtalge-
fflhie, welche die grammatische Form der Aussage fundieren: es wire
in dieser Phase der Oedankenentwkkelung ganz unmOglich, zu sagen,
welcher B^ff in der b^nnenden Aussage Subjekt, und wdcher
Pridikat sein, ob ein Wort im Dativ oder im Akkusativ stehen werde
Das Fehlen dieser FormalgefQhIe genQgt jedoch, urn }ene mangdnde
Gliederung des ^Einfalls'', die uns beschSftigt, dnigermaBen b^^^
lich zu machen. Die logischen Tdle des Oedankens, die wShrend
der Aussage auseinandertrden, befinden sich vor der Auss^^ in
dnem Verhaltnisse des Indnander und stellen deshalb dne un-
geschiedene Einheit dar. Und dies ist der Punkt, auf den es um
hier ankommt: ich meine die Analogic zwischen der Besonderung des
Dinges in seine QualitSten und der Besonderung des Oedankens in
seine logischen Elemente. Denn daB der Aussagdnhalt dn g^iederter
Komplex generell-typischer Totalimpressionen ist, ist nicht die ganze
Wahrhdt. Sie wfirde zum Irrtum, wenn man diesen Komplex als dn
SuBerliches Verbundensdn dSchte. Es ist ihm vidmehr wesentlich,
daB die einzelnen generell-typischen Totalimpressionen und fogisdien
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 241
-ormalgefOhle, die ihn konstituieren, sich aussondem aus Einer Total-
mpression hOherer Ordnung, und daB sie in diese auch nach ihrer
\ussonderung dngebettet bleiben. Die Aussage ist E i n e Aussage, der
3edanke E i n Oedanke^ weil er zur Oanze belebt und durchdrungen wird
/on dem Einen vEinfall^ und nichts anderes ist als dessen Auseinander-
egang in seine logischen Elemente. Ich sage: in seine logischen
Elemente^ denn wie wir in § 46 gesehen haben, ist allerdings nur der
a^egiiederte Oedanke einer logischen Bearbeitung zuganglich. Deswegen
st jedoch jene psychologische Entwickelung nicht minder bedeutsam.
\uch an dnem kOrperlichen Ding sind ja nur die Differenzierungs-
srodukte des ersten Eindruckes, die Qualitaten, der physikalischen Be-
iibdtung fahig, und doch bilden diese nur darum Ein Ding, weil sie
Sner Totalimpression inharieren. In derselben Weise nun kann auch
lie Logik den Aussageinhalt nur bearbeiten, sofem er ein gegliederter
Complex generell-typischer Totalimpressionen ist; die Psych ologie
iber muB hinzufQgen, daB im subjektiven Denken des Individuums
lieser gegliederte Komplex aus einem ungegliederten Komplex, dem
JigefQhl des ^Einfalls'', sich entwickelt.
Wir haben betont, daB sich der Sinn einer Aussage im BewuBtsein
lur als ein Komplex von OefQhlen aufzeigen laBt, mithin auch un-
ibhangig ist von alien begleitenden V o r s t e 1 1 u n g e n. In der Tat ward
a in § 53. 3 darauf hingewiesen, daB es keineswegs zu jedem Ge-
ianken dne adequate Vorstellung gibt Trotzdem ist unleugbar, daB,
iv o es eine solche Vorstellung gibt, sie nicht nur sehr haufig das Denken
dnes Aussagdnhalts begleitet, sondem auch als zu diesem Denken
^esentlich gehOrig empfunden wird. Es ist deshalb ohne weiteres
nizugeben, daB den Vorstellungen eine eigentumliche Leistung fur das
Denken zukommt Diese Leistung besteht jedoch lediglich in der Er-
"egung der generell-typischen Totalimpressionen, Ich kann den
Sinn der Worte Rot oder Drei verstehen, auch ohne mir ein rotes
Dbjekt oder drei Objekte vorzustellen, indem ich bloB den gefQhls-
nSBigen Eindruck in mir reproduziere, den mir ein rotes Objekt oder
ird Objekte machen. Allein auf die sicherste, muheloseste und nach-
[laltigste Weise wird mir dieser Eindruck kaum vermittelt werden,
wvenn die Wahmehmung oder das Phantasma eines roten Objekts
nesp. dreier Objekte ihn wirklich in mir erregt und lebendig erhalt
Die Vorstellungen der Aussagegrundlage sind demnach ein zwar nicht
unentbehrliches, indes doch sehr wesentliches Hilfsmittel des logischen
Denkens. Allein trotzdem ist nicht nur ein Denken ohne Vorstdlungen
mSglich, sondem es wird auch die Gleichheit des Denkinhalts durch
Oomperz, WdtuudituanKslehre II 1 16
242 NOOLOQIE
die Verschiedenheit der Vorstdlungen gar nicht benihit Denn in der
Ldstung, gewisse EindnicksgefQhle zu erregen, kdnnen die ver-
schiedensten Vorstellungen zusammentreffen. Der E>oin von Pisa und
die Q. Symphonie, 3 Sterne und 3 Donnerschlage k5nnen — neben
verschiedenen — audi giddie Gefuhle auslosen und deshalb audi
gidche Gedanken unterstutzend und .erfullend' begleiten, wahrend
notwendig dne Verschiedenhdt der Gedanken sdbst resultieren mufite,
wenn die Gedanken nidits anderes wiren als die Vorstdlungen jener
G^^enstSnde.
Zum vollen Verst&ndnis dner Aussage gehdrt das Erid>en des ihr
entspredienden Komplexes von Bedeutungsgefuhlen. Ein soldies
Denken kann man dn intuitives nennen. Daneben gibt es jedoch
auch dn symbolisches Denken, von dessen zwd Hauptformen
sdion dnmal die Rede war (§ 53. 3 u. 5). Erstens namlich gibt es
ohne Zweifel dn Denken in bloBen Worten, das nicht von dem ak-
tudlen Eriebnis der entspredienden Bedeutungsgefuhle b^ldtet wird.
Dassdbe kann trotzdem dnen sadigemaBen Gebrauch der Aussage-
laute gewahrldsten, jedoch nur dann, wenn das aktudle Eriebnis der
Bedeutungsgefuhle suppliert wird durch das BewuBtsdn, daB es uns
im Falle des Bedarfs jederzdt ni6glich ist, diese Gefuhle zu erzeugen.
In diesem Falle, d h. dann, wenn der Ruckw^ von den Aussage-
lauten zu dem von ihnen ausgedruckten Sinn jederzeit beschritten
werden kann, ist der symbolische Gebrauch sprachlicher Ausdrucke
ebenso zulassig wie die analoge Verwendung von Spidmarken^
algebraischen Zdchen usf. Es gibt indes auch dn symbolisches
Denken, bd dem diese Voraussetzung nicht ohne weiteres erfullt
werden kann. Und zwar handdt es sich hier namentlich urn die
hoheren Zahlen. 1000 Objekte z. B. err^^en uns kdne Eindrucks-
gefuhle, die verschieden waren von den durch 909 Objekten err^en
Eindrucksgefuhlen. Dem Worte Tausend schdnt demnach nicht in
demsdben Sinne wie etwa dem Worte Zwei dne generdl-typische
Totalimpression zu entsprechen; und doch besitzen die B^^rnffe
Tausend und Zwd den gldchen Grad logischer Prazision. Scheitert
an diesem Faktum nicht unsere ganze Auffassung des Aussageinhalts?
Ich glaube nicht Denn auch hier kann das aktudle Erieben des Be-
griffsinhalts ersetzt werden durch das BewuBtsdn von dnem Verfahren,
das die Erzeugung desselben garantiert Um dies naher einzusehen,
ist es jedoch erforderlich, auBer den bdden bisher erwahnten noch
zwd andere Arten des symbolischen Denkens ins Auge zu fassen.
In dem Falle, in dem die Worte als ,Spidmarken* verwendet wurden^
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 243
war das aktuelle Erleben des Aussageinhalts jederzeit mdglich;
es unterblieb nur tatsachlich wahrend einer gewissen Zeitspanne und
wurde vertreten durch das Wissen urn die Realisierbarkeit jener M6g-
lichkeit. Denke ich dagegen an „den ersten Vers, auf den beim Auf-
schlagen der Heiligen Schrift mein Auge fallen wird", so ist es der-
zeit unmdglich, eine Totalimpression dieses Verses zu erleben;
dieselbe wird indes vertreten durch mein Wissen um das Verfahren,
welches diese Mdglichkeit unter gewissen Umstanden realisieren kann.
Ist mir endlich der Begriff „Rundes Viereck** gegeben, so ist das Er-
leben des entsprechenden Gefuhlskomplexes dauernd unrndglich,
well die Totalimpressionen Rund und Viereckig sich nicht in Einen
Komplex vereinigen lassen ; dieses Erlebnis wird jedoch suppliert durch
mein Wissen um das Verfahren, durch welches jener Gefuhlskomplex
realisiert werden kdnnte, wenn er uberhaupt mdglich ware. Er konnte
n3mlich realisiert werden eben durch die Vereinigung der Materialgefilhle
Rundnnd Viereckig m Einen Komplex, unter Mitwirkung solcher Formal-
gefuhle, durch welche Viereck als ein Gegenstand, Rund als eine Eigen-
schaft dieses Gegenstandes charakterisiert wird. Ganz so wie mit
dem B^ffe Rundes Viereck steht es aber nun auch mit dem Begriffe
Tausendy nur daB hier die Unmdglichkeit des Gefuhlskomplexes nicht
in der Unvertraglichkeit der Gefuhlsmomente, sondem in der SchwSche
unserer synthetischen Fahigkeiten ihren Grund hat. Ein Wesen, das
1000 Objekte ebenso zu uberschauen vermochte, wie wir 2 Objekte
zu Qberschauen vermogen, hatte das voile Verstandnis des Begriffes
Tausendy es kdnnte den Inhalt dieses. Begriffes intui tiv erfassen. Wir
haben ein solches intuitives Verst3ndnis nicht, sondem miissen uns
mit {einem symbolischen Verstandnis dieses Begriffsinhaltes be-
gnugen. Dieses symbolische VerstSndnis besteht in dem Wissen um
ein Verfahren, durch das wir zu jener Menge gelangen konnen, die
uns die Totalimpression Tausend zu liefem vermochte, wenn wir im-
stande waren, sie aufzufassen, und jenes Verfahren ist das fortgesetzte
Hinzufugen von Eins zu Eins. Nun erregen uns die Elemente dieses
Verfahrens, die Einheiten, in der Tat Totalimpressionen, und ebenso
die Methode des Verfahrens, das Hinzufugen; auch die Dauer dieser
Operationen ist durch die Stellung des Zeichens 1000 in dem arith-
metischen Zeichensystem eindeutig bestimmt. Infolgedessen handelt
es sich hier um ein wahres symbolisches Denken. Die Prazision des
B^ffsinhaltes Tausend wird dadurch nicht beriihrt, daB wir sub-
jektiv nicht imstande sind, das ihm entsprechende Bedeutungsgefuhl
zu erleben. Denn dieses aktuelle Erlebnis wird aych hier vertreten
16»
244 NOOLOGIE
durch unser Wissen urn das Verfahren, das uns zu jenem Gefuhle
hinfuhren muBte, wenn wir nur uberhaupt fahig waren, dasselbe zu
erieben. Einen Einwand gegen unsere Theorie kann jedoch dieser
Sachverhalt deshalb nicht begriinden, weil doch wirklich ein Wesen,
das 1000 Objekte als solche auffassen konnte, eine ganz andere und
viel unmittelbarere Einsicht in den Inhalt des Begriffes Tausend hatte,
als wir sie haben : es ware ein ganz cities Vorgeben, wollte jemand be-
haupten, wir batten von diesem Begriffe dasselbe voile VerstSndnis,
das wir etwa von dem Begriffe Zwei besitzen. Liegt somit hier ohne
Zweifel eineSchwache vor, so ist dies doch nicht eineSchwache unserer
Noologie, sondem vielmehr eine solche des menschlichen Verstandes.
Endlich habe ich hier noch zu erlautem, warum im Texte dieses
Paragraphen die Erklarung des Aussageinhalts als „eines g^liederten
Komplexes generell-typischer Totalimpressionen der Aussag^^rundlage''
nur als eine „im allgemeinen'' zutreffende bezeichnet wurde. Es soUten
dadurch einerseits die Individualbegriffe ausgenommen warden,
deren Inhalt sich ja dem BewuBtsein zwar als eine generelle, jedoch
nicht als eine typische Totalimpression darstellt, andererseits Gber-
haupt alle Begriffe, da es bei diesen in gewisser Hinsicht zweifel-
haft scheint, ob man von einer Oliederung der Totalimpression
sprechen darf. Freilich gibt es ohne Zweifel auch reich g^liederte
Begriffsinhalte (z. B. Ungewohnlich grofier Mensch)^ wenngleich natur-
lich auch diesen jene logischen Formalgefiihle fehlen, wdche der
Pradikation zugrunde li^en. Allein bei einem B^riffe vix^Mensch
z. B. sind die logischen Formalgefiihle jedenfalls schon sehr zusammen-
geschmolzen: nur jene, welche der Wortart und der Wortform on
unserem Falle der Wortart Substantiv und der Wortform Nominativ)
eigentumlich sind, lassen sich nachweisen. Doch auch dieser karge
Bestand scheint, wenigstens in unserer Sprache, noch reduziert zu
werden bei Begriffen wie z. B. Rot^ von deren sprachlichem Ausdruck
man kaum behaupten kann, daB er in einem bestimmten Kflsus stehe
Die bloBe Verbindung mit dem fur alle Adjektiva charakteristischen
Formalgefiihl macht indes die generell-typische Totalimpression wohl
kaum zu einer gegUederten. Man muBte deshalb, um ganz exakt zu
sein, eigentlich sagen, der Aussageinhalt stelle sich dem BewuBtsein
dar „als eine generelle und meist auch typische Totalimpression der
Aussagegrundlage, beziehungsweise als ein gegliederter Komplex solcher
Totalimpressionen".
6) Es bleibt uns noch iibrig, die Haltbarkeit dieser Definition dadurch
zu erharten, daB wir die ihr zugrunde li^ende Erklarung wenigstens
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 245
an Einem Beispiele etwas mehr ins einzelne ausfiihren. Und zwar
kehren wir zu diesem Behufe zuriick zu jenem Falle, an dem wir in
§ 48. 1 auch die Unhaltbarkeit der nominalistischen Erklarung vor-
greifend dargetan hatten. Es handelte sich urn den Satz: Fosse
ich diese zwei Einheiten und diese Eine Einheit zusammen, so erholte
ich drei Einheiten. Wir machten damals die Voraussetzung, dieser
Satz werde von einem franzosischeni4£^^//(^anlaBlich eines akustischen,
von einem englischen Visual anlaBlich eines optischen Eindruckes
ausgesprochen, und stellten die Frage, wie diese beiden Aussagen voll-
kommen gleiche logische Inhalte haben kdnnen, obwohl Aussagelaute,
Aussagegrundlagen und Aussagevorstellungen in beiden Fallen durch-
aus verschieden sind. Diese Frage konnen wir jetzt im allgemeinen
dahin beantworten, daS jene logischen Inhalte sich dem BewuBtsein
eben als gegliederte Komplexe von Bedeutungsgeftihlen darstellen,
somit als psychische Tatsachen, die von alien Sprach- und Sachvor-
stellungen vollkommen unabhangig sind. Um jedoch diese allgemeine
Antwort auch im einzelnen durchzufuhren , wollen wir nun jenen
Komplex von Bedeutungsgeftihlen einer eingehenden Analyse unter-
werfen, die sich freilich auch nicht vermessen kann, alle Feinheiten des
Sprachgefuhles auszuschopfen.
Wir b^nnen diese Analyse mit der Erorterung der formalen
Gliederung der gegebenen Aussage. Dieselbe stellt sich vorerst dar
als eine konditionalePeriode:die Wortstellung und das so bringen
zum Ausdruck, daS sie aus zwei Satzen besteht, von denen der zweite
durch den ersten bedingt ist Und zwar handelt es sich hier nicht
um eine Bedingtheit des Gedankens, sondem um eine solche des
Sachverhalts. Dies bedeutet aber nach oben Oesagtem, daB der unsere
Aussage fundierende Oefiihlskomplex sich zunachst in zwei Oefuhls-
komplexe niedrigerer Ordnung gliedert, welche durch das logische
Formalgefiihl des Zwanges zueinander in Beziehung gesetzt
sind, indem dieses Oeffihl dem Sachverhalte des zweiten Satzes in Be-
ziehung auf den Sachverhalt des ersten Satzes eingelegt wird. Jeder
dieser Komplexe erweist sich nun wieder als der Inhalt eines Satzes,
dessen im Nominativ stehendes Subjekt mit seinem im Akkusativ
stehenden Objekt durch ein Zeitwort in der Aktivform verbunden ist.
Dies heiBt psychologisch : jeder dieser Komplexe gliedert sich weiter
in zwei Oefuhlsgruppen, die Subjekts- und die Objektsgruppe, und
jede dieser Gefiihlsgruppen enthalt logische Formalgefiihle von zweier-
lei Art. Durch die Formalgefuhle der Einen Art charakterisiert jede
dieser Gef uhlsgruppen ihre Aussagegrundlage als einen Gegenstand;
246 NOOLOGIE
ihnen entspricht die Wortart Substantivunu Diese Oefuhle wQrden
sich bei naherer Analyse als logische Derivate der fQr menschliche
Individuen charakteristischen Persdnlichkeitsgefuhle erweisen. Wir
wollen sie jedoch hier kurz als Gegenstandlichkeitsgefuhle
bezeichnen. Die FormalgefQhIe der anderen Art sind OefQhle der
Tatigkeit resp. des Leidens. Und zwar wird innerhalb jedes der
beiden Komplexe dem Gegenstande der Einen OefQhlsgruppe (dem
Subjekt) Aktivitit eingelegt, dem der anderen OefQhlsgruppe (dem Ob-
jekt) Passivitat Die bisher aufgezeigten OefQhle fundieren lediglich
das schematische Satzgerippe: „Wenn A dem B p tut *), so tut M dem
N q''. Doch auch die Elemente dieses Satzgerippes weisen in unserem
Falle noch eine recht verwickelte formale Struktur auf. Vor allem
gUedert sich B — das Objekt des Vordersatzes — in zwei Teilobjekte,
welche durch und verbunden sind. Das heiBt, ein noetisches
FormalgefQhl des Ueberganges zeigt an, daB die Auffassung
des leidenden O^enstandes der ersten OefQhlsgruppe vollzogen
werden soil als sukzessive Auffassung zweier Teilgegenstande. Das
Schema gewinnt jetzt dieOestalt: „Wenn A dem b, und b2 p tut, so
tut M dem N q". Allein die bi und bj — die Teilobjekte des Vorder-
satzes — sind selbst wieder mehrfach gegliedert. Die Sprachformen
diese zwei Einheiten und diese Eine Einheit verraten namlich, daB die
Teilobjekte zunachst Eine Eigenschaft, und daB die mit dieser
Eigenschaft behafteten Teilobjekte selbst wieder eine andere Eigen-
schaft haben. Diesem eine Eigenschaft haben entspricht nun psycho-
logisch das Enthaltensein eines Oefuhlsmomentes in einer Totalim-
pression. Dieses Enthaltensein fSllt im allgemeinen ins BewuBtsdn
als ein OefQhl des Unterscheidenkonnens, das wir Attri-
bution nennen wollen, und das logische Derivat dieses OefQhls ist
das logische FormalgefQhl, das durch die Wortart Adjektivum sich
ausdrQckt Eine solche Attribution charakterisiert indes auch N, das
Objekt des Nachsatzes. Und so wQrde denn unser Schema die Form
gewinnen: „Wenn A dem u-igen v-igen bi und dem w-igen x-igen
b2 p tut, so tut M dem y-igen N q." Doch vereinfacht sich dieses
Schema, da die Subjekte A und M, die Objekte bi, b2 und N sowie
die Eigenschaften u und w je untereinander identisch sind, zu folgen-
der Formel : „ Wenn A dem u-igen v-igen B und dem u-igen x-igen B
p tut, so tut A dem y-igen B q/ Diese Formel nun enthalt noch
gar nichts von den logischen MaterialgefQhlen des Aussageinhalts,
Durch die ungelenke Fujgung „A tut dem B p" muB ich hier den Oedanken
ausdriidken „A iibt an B die Tatigkeit p aus".
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 247
sondem drfickt lediglich jene Gliederung desselben aus, die auf die
logischen Formalgefflhle des Zwanges (Wenn — so)^ der O^enstand-
lichkeit (Substantive), der Tatigkeit und des Lddens (Nominativ —
aktives Verbum — Akkusativ), des Ueberganges (Und) und des Unter-
scheidenkSnnens (Adjektive) sich griindet
Bis hieher haben wir nur die semasiologische Form unserer Aus-
sage untersucht Wir gehen nun zu ihrer semasiologischen Materie
fiber. Es sind die generell-typischen Totalimpressionen zu ermitteln,
welche durch die aufgezeigten Formalgefiihle zu dnem g^liederten
Komplexe zusammengesdilossen werden, also die BedeutungsgefQhIe,
welche den B^ffsinhalten Ich, Erhalten, Dies, Eins, Einheit, Zwei^
Dreiy Zusammenfassen entsprechen. Das Wort Ich nun hat ver-
schiedene Bedeutungen (vgl. § 17. 2, 21. 12 und 3a 6). Hier aber
kommt es wohl nicht so sehr an auf die Abgrenzung der Idisphlre
gegen weitere Spharen als auf die Entg^ensetzung des Ich g^en das
Du: die TStigkeiten des Erhahens und Zusammenfassens sollen ge-
kennzeichnet werden als meine^ im Oegensatze zwfremden Tatigkeiten.
Dieser Oegensatz ist jedoch ein so fundamentaler, daB wohl auch
die eingehendste Analyse nur auf ein Paar korrelater, einfacher OefQhle
fflhrenmSchte; nur durch die OefO hie derEigenheit undFremd-
heit (ProprietSt und Altruitat) lassen sich die Inhalte der Be-
griffe Ich wnADu bestimmen (vgl. § 38. 4): das generell-typische Oe-
fuhl der Eigenheit ist jenes Oefuhlsmoment, das alle Menschen emp-
finden, so oft sie irgendeinen Gegenstand oder Zustand als zu ihnen
selbst und nicht etwa zu einem anderen Wesen gehSrig erieben. Die
psychologische Analyse des Begriffes Erhalten ist uns dadurch er-
leichtert, daB wir erst kiirzlich eine ahnliche Untersuchung fiir den
Begriff Empfangen durchgefQhrt haben. Denn Erhalten^ wie es hier
gebraucht wird, differiert in seiner Bedeutung g^en Empfangen nur
urn eine kleine Nuance — ane Nuance, welche in dem BewuBtsdn
davon besteht, daB das Erhalten als Wirkung dner vorbereitenden
eigenen Tatigkeit eintriti Dieses BewuBtsein kann indes naturlich auch
nur ein OefQhl sein, dessen nShere Bestimmung freilich nicht ganz
leicht sein mochte. Jedenfalls setzt sich das Erhalten der 3 Einhdten
zusammen aus einem OefQhl der Machtsteigerung (ich habe
jetzt die 3 Einheiten, die ich f ruber nicht hatte), aus einer Passivitat
(ich nehme mir die 3 Einheiten nicht, sondem sie werden m\x g^eben)^
und aus dem eben besprochenen gefiihlsmaBigen BewuBtsein davon,
daS ich das Empfangen der 3 Einheiten durch ein friiheres Zusam-
menfassen der 2 + 1 Einheiten vorberdtet habe. Auch flber rf&s haben
248 NOOLOGIE
wir vor kurzem (in § 54. 2) schon gesprochen und einOefflhI der
Unmittelbarkeit (Prasentation) fOr den wesentlichsten Bestand-
teil der Bedeutung dieses Wortes erkllit Denn diese zwei Einheiten
sage ich nur, wenn mir die zwei Einheiten unmittelbar sdbst g^eben
sind, und es weder notwendig noch mSglich ist, erst durch Vermitt-
lung irgendwelcher Veranstaltungen zu ihnen zu gelangen ; mflBte ich
mich umwenden, urn sie zu sehen, oder auch nur sie reproduzieren, um
sie vorzustdlen — kurz waren sie mir nicht selbst g^eben, so kdnnte
ich sie nur als jene zwei Einheiten bezeichnen; und dieser Unter-
schied zwischen den Oefuhlen der Unmittelbarkeit und Mittdbarkeit
(Presentation und Representation), so sagten wir schon damals,
ist dersdbe, der auch zwischen Du und Er, Wahmehmung und Phan-
tasma besteht Verbindet sich demnach in dem adjektivisch gebrauchten
Fiirwort diese die Prasentation mit der Attribution, so hdBt
dies, daB in der Totalimpression der fraglichen 2 Einhdten das Ge-
fiihlsmoment der Unmittelbarkeit unterschieden werden konne, — und
ich glaube nicht, daB es mdglich ist, die Bedeutung des Ausdruckes
„diese 2 Einheiten"" pr3ziser zu umschreiben. Die restlichen Be-
griffe unserer Aussage, die sich auf das Oebiet der Zahlen beziehen,
wollen wir im Zusammenhange behanddn. Wenn zwei Dinge mdne
Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen — sd es zugleich oder auch
unmittdbar nachdnander — , so eriebe ich ein OefflhI der Auf-
merksamkeit ss pal tung (Attentionsdispersion). Dieses Ge-
fiihl ist ganz dasselbe, ob ich nun meine Aufmerksamkdt an zwd
Dinge, zwei T5ne, zwei Oedanken usf. verteile. Es ist mithin, so
meinen wir, das Oeftihl, auf Orund dessen Qberhaupt Zwdheit aus-
gesagt wird, die generdl-typische Totalimpression, welche den Inhalt
des Begriffes Zwei darstdlt An eine reelle Spaltung der Aufmerksam-
keit ist dabei natiirlich nicht zu denken: jener Ausdruck ist dn bild-
licher und umschrdbt nur die eigenartige OefQhlsqualitat, auf Orund
deren wir eben von Zweiheit und daher auch von Spaltung reden.
Wir haben uns jedoch bisher einer Ungenauigkeit schuldig gemacht
Wir redeten so, als ob jedes Oefuhl der Aufmerksamkeitsspaltung ge-
rade die Aussage einer Zweiheit fundieren muBte. Allein auch
wenn drei oder mehrere Objekte uns beschaftigen, tritt dne Attentions-
dispersion ein. Die in all diesen Fallen von Mehrheit auftretenden Ge-
fiihle sind jedoch einander zwar ahnlich, aber nicht gleich. Offenbar
setzt sich namlich jedes dieser Gefuhle zusammen: einmal aus einem
ihnen alien gemeinsamen Oefiihlsmoment, und sodann aus einer nur
ihm allein eigentumlichen Nuance. Jenes gemeinsame Gefuhlsmoment,
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 249
fur sich genommen, fundiert den B^riff der Mehrheit; durch diese
Nuancen determiniert, macht es den Inhalt der Begriffe Zwei\
Drei usw. aus. Im Oegensatze zu all diesen Oefiihlen der Aufmerk-
samkeitsspaltung steht das Oefiihl der Aufmerksamkeitsge-
schlossenheit (Attentionskonzentration), das wir erleben,
wenn wir uns nur mit Einem Objekt — Einem Ding, Einer Farbe,
Einem Oedanken — beschaftigen. Dieses Oefuhl fundiert den Begriff
der Einheiti). Davon, daB wirklich nur dieser Unterschied der Oe-
fflhle — der Attentionsdispersion und der Attentionskonzentration —
die Einheit und die Mehrheit trennt, kann man sich am leichtesten
durch das schon in § 37. 1 erwahnte „ Experiment" uberzeugen. Einen
geknickten Zahnstocher kann ich ebensowohl als eine Einheit wie als
eine Zweiheit auffassen. Frage ich mich jedoch, wodurch sich diese
beiden Auffassungen voneinander unterschdden, so finde ich vorerst
keine andere Antwort als die, daB ich meine Aufmerksamkeit das eine
Mai auf den Zahnstocher als Oanzes, das andere Mai auf seine beiden
HSlften, jede fur sich genommen, richte. Frage ich mich indes weiter,
durch welche Tatsachen meines BewuBtseins ich denn von dieser ver-
schiedenen „Richtung meiner Aufmerksamkeit" weiB, so finde ich
endlich keine andere Antwort als die, daB ich eben das eine Mai eine
Attentionskonzentration, das andere Mai eine Attentionsdispersion er-
lebe. — Die Aufmerksamkeit ist einer sehr komplizierten Oliederung
fahig. Wenn mir die Objekte A, B und C gegeben sind, so kann
ich „ meine Aufmerksamkeit gleichmiiSig auf sie verteilen", d. h. es
konnen A, B und C gemeinsam durch Eine Nuance der Attentions-
dispersion charakterisiert sein. Dies wird dann jene Nuance sein, die
den B^jiff Drei fundiert, und auf Orund dieser Charakterisierung
werden wir die Objekte A, B und C als drei Objekte aussagen. Ich
kann jedoch auf dieselben Objekte A, B und C meine Aufmerksamkeit
auch so verteilen, daB sie sich mir darstellen als Eine Oruppe A B
und Ein Objekt C, demnach so, daB A und B durch eine Attentions-
dispersion in der Zweiheitsnuance, C durch eine Attentionskonzen-
tration charakterisiert ist — wobei dann natiirlich die Oruppe A B
und das Objekt C selbst wieder gemeinsam durch eine Attentions-
dispersion in der Zweiheitsnuance charakterisiert sein werden. Wir
sagen dann auf Orund dieser Charakterisierung die Objekte A, B und
C aus als „2 Mengen, Eine zu 2 Objekten, Eine zu 1 Objekt". Gehe
ich nun von dieser zweiten Auffassung zu der ersten fiber, so wird
Einheit und Ein unterscheiden sich voneinander natiirlich nur durch jene
Fornialgeftihle, die uberhaupt den Oegenstand von der entsprechenden Eigenschaft
trennen.
250 NOOLOGIE
die kompliziertere durch die einfachere ^Oliederung der Aufmerksan^
keif" ersetzt, indem aus „2 Oruppen zu 2 und 1* jetzt vEineGruppe
zu 3^ wird. Dieser Udbergang nun — und eb^so jeder analog!
Uebergang — wird b^leitet von einem eigentfimlichen OefQhl, dis
wirals Aufmerksamkeitszusammenfassungsgef ahl<Attefr
tionskomprehension) bezeichnen kdnnen, und dieses Oefiikl
fundierty wenn es als ein die Oruppen A, B und C charakterisierendes
RelationsgefQhl vorkommt, den arithmetischen Beziehung^begriff pta
wenn es sich dag^fen mit den OefQhlen der subjektiven TStigkeit v&
bindet, den B^ff Zusammenfassen — somit den letzten jener B^rifc
deren Analyse uns noch aufg^;eben war.
Wenn die vorstehende, kursorische und darum notwendigerwdst
weder erschdpfende noch exakte Analyse ihren Zweck erreicht hat, so
hat sie nicht nur die pathempirische Auffassung des AussagdnhaHs
an einem Beispiel illustriert, sondem auch die Vorzflge dieser Aui-
fassung vor der nominalistischen ins rechte Licht gesetzt Denn (bs
hat sie doch wohl klar gemacht, warum die inhaltliche Identhi
unserer beiden Aussagen von aller Verschiedenheit der engUschen und
franzosischen Worte sowie der optischen und akustischen Phantasmen I
gar nicht berOhrt wird : weil nSmlich die materialen OefGhle der Eigo-
heit, des Zusammenfassens, der Unmittelbarkeit, der Aufmerksam-
keits-Spaltung, Oeschlossenheit und Zusammenfassung sowie der
Machtsteigerung, und ebenso die formalen Oefiihie des Zwanges, der
Tatigkeit, des Leidens, der O^enstandlichkeit, des Unterscheideih
kdnnens, des Uebergangs usf. von der Eigenart der sie etwa begleiteih
den Sach- und Sprachvorstellungen vollkommen unabhangig sind
7) Den ersten mir bekannten Versuch, die Logik auf das Qeftihl zo
grunden, hat Comte am Ende seines Lebens untemommen i). Man findd
hier Satze, die durchaus den Geist der eben von uns entwidcdten Theorie
zu atmen scheinen, wie z. B. den : „Man hat die Zdchen und die Phantatt-
men als die Hilfsmittel der Gefuhle bei der Ausarbeitung der Gedanken an-
zusehen'S oder den anderen : ,,An die Spitze der logischen Faktoren sind die
Gefuhle zu stellen, welche — da sie sowohl die Quelle wie das Zid der
Gedanken sind — diese nach der Verwandtschaft der korrdaten Qemutsb^
w^;ungen zueinander in Beziehung setzen.** E>ennoch ist Comte voo
unserem Standpunkte welt entfemt, da er im Grunde doch nur behaupten
will, die Verknupfung der Vorstdlungen und Worte — das gew5hnlich so
genannte Denken — spiegle die Bedurhiisse des Gemutes wieder. Dicsc
der alten Lehre vom Primat des Willens nachgd>ildete Lehre vom
Primat des Gef uhls ist indes etwas vdllig anderes als eine psychologisdie
») Synthase subjective S. 27 ff.
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 251
Reduktion der spezifisdi logisdien Funktionen auf spezifisch logisdie Ge-
fuhle. Der G^^ensatz bdder Auffassungen tritt scharf hervor an der Frage
nach dem Verhaltnis der Gefiihie zu den korrelaten Vorstellungen. Unseres
Erachtens ist das logisch bedeutsame Gefiihl die Totalimpression der Aus-
sag^jundlage: das vorgestellte Objekt verhalt sich daher zu der logischen
Funktion wie der Reiz zur Reaktion, und das Denken ist ein Bearbeiten
der Reize im Hinblick auf die ihnen gegenuber mdgliche Stellungnahme.
Nach CoMTE entspricht ,,jeder Gemutsbew^^g . . das Phaniasma ihrer Be-
friedigung^y und das E>enken ware demnach ein Bearbeiten der Bediirfnisse
im Hinblick auf ihre mogliche Befriedigung. J. St. Mill i) war nahe daran,
diese Anr^^ung Comtes in einen fruchtbaren Gesichtspunkt zu verwandeln.
Denn wenn „jene Dinge, welche den Hunger zu stillen vermogen, in dem
Geist aller intelligenteren Tiere eine vollkommen deutliche Gruppe bilden'',
so scheint ja, wenigstens bei den Tieren, die B^ffsbildung von der Reak-
tionsweise beherrscht zu werden. Doch wirkt der SchluB des Satzes einiger-
maBen enttauschend : „ — nicht weniger, als wenn sie imstande wSren, das
Wort Nahning im gebrauchen oder zu verstehen". Dafi dieses Wort uberhaupt
nur einen Sinn hat, weil es die mit jener Reaktion verknupften Gefuhle
konnotiert, scheint demnach J. St. Mill nicht erkannt zu haben. Das hier
nur tastend gestreifte Prinzip ist dann in neuester Zeit von Mach^ und
MuNSTERBERQ 3) deutlich ausgesprochen worden, wie schon in § 53. 2 ge-
I^entlich erwahnt wurde. Jener laBt „jeder Abstraktion . . gemeinsame
reale psychische Elemente*' zugrunde li^en, die jedoch „er5t durch eine
besondere, bestimmte Tatigkeit ins BewuBtsein" treten, dieser faBt „die
Bedeutung des Wortes lediglich als eine motorische Einstellung*' auf.
^ie Art unserer Reaktion" macht „den eigentlichen Sinn des Wortes" aus,
und „das, was dabei ins BewuBtsein tritt, mag eine ganz luckenhafte
Spi^elung dieser entschddenden Vorgange sein. In gleicher Weise ist dann
die Abstraktion beherrscht durch die allgemeine typische Innervation,
und der B^jiff wird von derjenigen motorischen Einstellung beherrscht,
die der ganzen im B^[riff zusammengedachten Objektgruppe gemeinsam
zukommt**. Wir glauben die „gemeinsamen realen psychischen Elemente"
in den typischen Totalimpressionen nachgewiesen und zugleich gezeigt zu
haben, daJB dieselben nicht eine „ganz luckenhafte Spi^elung" der physio-
logischen Reaktionsvorgange darstellen, sondem eine sehr exakte und em-
pfindliche Umschreibung dersdben in der eigentumlichen Sprache des Gefuhls.
DaB das Logische psychologisch unter die Kat^orie des Gefuhls gehort —
dies hat Avenarius grundsatzlich sehr deutlich erkannt und dadurch zum
Ausdruck gd)racht, daB er die psychischen Grundlagen der spezifisch
logischen B^ffe als „dialektische Epicharaktere" bezeichnet und erortert *).
Speziell die semasiologischen Fragen scheinen ihn jedoch sehr wenig t)e-
schaftigt zu haben, und seine aphoristischen Bemerkungen Qber Begriff,
2) Warmelehre S. 419. s) Prinzipien S. 551 f. *) Kr. d. r. Erf.
n Exam. S. 385.
II, S. ^ S. 129 ff.
252 NOOLOOIE
Qattung und Art i) erheben wohl selbst nicht den Anspruch, ihren Q^^-
stand irgendwie zu erschopfen. Petzoldt hat diese Gesichtspunkte etwas
weiter durchgefuhrt und sich dadurch derjenigen Auffassung des Logischen,
die wir ffir die richtige halten, genaheit ,Jeder neu wahrgenommene
yBaum' — sagt er^) in der Terminologie von Avenarius — hat das
Charakteristische aller frfiher wahrgenommenen ,BaumeV' Der Be-
griff ist das alien Vorstellungen des Q%enst$mdes Qemeinsame, er ist
namlich „fur die Logik dn Charakter**. Wenn wir Worte verstehen, ohne
uns doch dabd irgendwdche G^enstande vorzustellen, so haften die
Charaktere an den Worten: „Nie kann ein bloBes Wort ffir einen Begriff
stehen, sondem nur ein Wort, das mit dem Charakter des B^ffes, dessen
Glieder es vertreten soil, bdegt ist** Freilich stellt Petzoldt zunachst die
sonderbare Behauptung auf, der B^ff sei ein Charakter nur fur die Logik,
fur die Psychologie dag^en „ein Bfindel von gleichartig diarakterisierten
Erinnerungsbildem oder Vorstellungen" — welches beides falsdi ist, da der
B^ffsinhalt gerade fur die Psychologie ein Gefuhl, fur die Logik hingegen
stets nur eine logische Bestimmung ist. Allein er widerruft dies spater selbst
durch die Bemerkung 3), es sei empfehlenswerter, unter einem Begriff nicht
„eine gewisse Vorstellungsfolge . . ^ sondem lieber das zu verstehen, was
wir im Bisherigen als einen begriff lichen Charakter bezdchnet
haben**. Erfreulicher als all diese Uebereinstimmungen ist mir indes das
schon einmal angerufene Zeugnis von Binets Kindem % die auf die Frage,
wie sich ihnen ihr von Vorstdlungen und Worten nicht begldtetes Denken
darstelle, unweigerlich zur Antwort gaben: „als Gefuhl" (sentiment)^ so daS
schlieBIich auch Binet selbst — wenn auch zdgemd und bedenklich —
gesteht: „Aus diesen Unterredungen mochte hervorzugehen scheinen, daB
das wortlose Denken als ein Gefuhl erld>t wird."
Was bei all diesen Auffassungen voUkommen fehlt, ist dn BewuBtsdn
von dem Unterschiede genereller und singularer Gefuhle, und damit
von der spezifischen Eigenart des logischen BewuBtseins. Nur der Q^[en-
satz des Typischen und Individuellen fessdt die Aufmerksamkdt,
denn nur das Verhaltnis des Allgemeinen zum Besondem gilt als erldarungs-
bedurftig; so stark ist noch heute der Druck des Universalienproblems.
DaB dag^en die begriffliche Bearbeitung der Tatsachen nicht eine persdn-
liche Stellungnahme des Einzelnen ausdruckt, sondem die gesellsdiaftlich
uberlieferte, in der Sprache fixierte Stellungnahme des „unbeteiligten Zu-
schauers", — davon mangelt jede Erkenntnis. Ja das Faktum des logischen
Verkehrs, und damit das uberindividuelle Wesen der logischen Werte, ihre
Unabhangigkeit von aller Mannigfaltigkeit und Zufalligkeit der denkenden
Individuen, wird uberhaupt nicht als Problem empfunden. Besonders deutiid)
ersieht man dies z. B. aus den Ausfuhrungen Ribots uber „Gefuhlsabstrak-
tion"5). Diesem Begriffe subsumiert namlich der franzosische Forscher nur
1) Ibid. S. 147 ff. 2) Einfuhrung S. 263 ff. 3) Ibid. S. 340. *) Intel!. S. 1071.
5) Psych, des sent. S. 184 f.
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 253
solche Gesamteindrucke, wie sie etwa der Einzelne von dem Besuche eines
Klosters, der Reise nach einem fremden Lande mitbringt Lediglich diese
singular-typischen Totalimpressionen heiBen ihm allgemeine
Oefuhle (sentiments giniraux). Es ist unter diesen Umstanden nur konsequent,
daB er diese ,^llgemeinen Gefuhle'' nicht dazu verwendet, das Wesen der
logischen Allgemeinheit zu erklaren. Aehnliches gilt von Wundt, der freilich
den entscheidenden Tatsachen eine ungleich groBere Aufmerksamkeit ge-
widmet hat Wie er uberhaupt (vgl. § 38. 14) unserer Ansicht von den
Gefuhlen sehr nahesteht, so kennt er auch den Fall, in dem das Gefuhl
vor der korrelaten Vorstellung vorhergeht, ja in bezug auf die Phaniasmen
halt er diesen Sachverhalt sogar fur den normalen und macht von ihm auch
zur Erklarung des Meinens vergessener Namen Qd>rauch i). Wie ihm femer
auch der B^ff logischer Oefuhle nicht fremd ist, den er allerdings nur
fluchtig bd der Erorterung alethologischer Fragen streift % so kennt er auch
ein Begriffsgefuhl, das er im allgemeinen als einen die Vorstellungen
b^leitenden „Gefuhlston" auffaBt, dem er jedoch bei den, durch Inter-
jektionen und abstrakte Partikeln ausgedriickten „unbestimmten Vorstellungen**
geradezu eine entscheidende Rolle zuerkennt^). Diese -Bemerkungen ent-
halten die fruchtbarsten Keime zu einer haltbaren semasiologischen Theorie;
allein — wie dies gerade diesem Denker so oft begegnet — ihre weitere
Entfaltung wird durch die uberwuchemde Fulle anderweitiger Qesichtspunkte
erstickt Und so hat denn Wundt schlieBlich doch nicht nur die fun-
damentale logische Bedeutung der Gefuhle verkannt, sondem auch deren
unerlaBliche Voraussetzung, die generelle Natur der logischen Gefuhle, mit
keinem Worte erwahnt
Endlich legt fur unsere Auffassung auch Husserl ein unwillkurliches,
indes eben deshalb um so wertvolleres Zeugnis ab, wenn er z. B. von der
„Allgemeinheit des Bedeutens** sagt, daB sie dem Namen „fuhlbar ein-
wohnt***), Oder ein anderes Mai ein den Begriff der Intention erlautemdes
Beispiel mit den Worten einleitet: „Wir fuhlen sozusagen, daB . . .**5).
Trotzdem halt Husserl, wie wir wissen, an seiner Theorie von den Be-
deutung verleihenden und erfullenden Akten fest und wendet sie z. B. auch
auf die Konjunktion Und an 6), — wobei denn freilich der Zirkel schwer
zu vermeiden ist, daB die Bedeutung des Wortes Und durch den Akt des
f//rrf-Meinens, und der Akt des t//w/-Meinens durch die Bedeutung des Wortes
Und bestimmt werden soil. Ebensowenig scheint mir die Erklarung von
Lipps 7) zu befriedigen, welcher das Wort Und „die Beziehung des Zusammen
eines Mehrfachen und apperzeptiv Herausgesonderten in einem einzigen
Apperzeptionsakt** ausdrucken laBt Denn die einheitliche Auffassung unter-
schiedener Einheiten kann zur Aussage sehr mannigfaltiger Relationen —
z. B. von Neben, Nach, Zwei — den AnlaB geben; nur wenn die suk-
1) Psycholog. III. S. llOff.; OrundriB S. 253f. 2) Psvcholog. Ill, S. 625. 3) Volker-
£sychologie I. 1, S. 563 u. sonst; vgl. auch Ibid. I. 1, S. 553 u. 556 f. *) Log.
rnterss. II, S. 185. ^) Ibid. II, S. 51Z ^) Ibid. II, S. 306 u. 631 f. ?) £. u. R. s. 36.
254 NOOLOQIE
zessive Auffassung dieser Einheiten, unter Absehen von der Eigenart ihrer
Beziehung, in unser BewuBtsein fallt, werden wir die betreffenden Gedanken
durch Und verbinden. In diesem Zusammenhange sei noch der interessante
Versuch von Leibniz i) erwahnt, alle Bedeutungen des englischen But {Aber^
Nur usf.) auf den Sinn von „Halt!'' zuriickzufuhren ; denn hierin li^ ein
deutlicher Hinweis auf die realdive Natur der noetischen FormalgefQhle Zu
unserer Analyse der Zahlb^jiffe mag man wdter die Bemerkung von
Berqson^ vergleichen: ,,Man konnte bdnahe sagen, daB von den Zahlen
des taglichen Gebrauches dne jede ihr gefiihlsmaBiges Aequivalent hat^
Was schlieBlidi die Gleichsetzung der materialen Bedeutungsgefuhle mit
Totalimpressionen betrifft, so hat sdion Herbart wiederholt geauBert, die
Worte bedeutden ursprunglich „Gesamteindrucke von viden ahnlichen
G^enstanden'', und erst aus soldien GesamteindrQcken gingen weiterhin
die Begriffe hervor^); und auch Lotze laBt „unsere gew5hnlidien Begriffe"
an ^einen ganz unanalysierten Gesamteindruck^ sich knupfen^).
Es bleibt uns jetzt nur noch iibrig, zu unserer Lehre von der Gliederung
des Aussageinhalts einige historische Parallden bdzubringen^ Dodi .
ist es nidit notwendig, bei den allgemeinen Versicherungen zu verweilen,
der Satz oder das Urteil setze sich aus Begriffen oder Vorstdlungen zu-
sammen: damit wird ja nur ein klar zutage li^ender und durch die Ver-
bindung der Worte zum Satz sogar sinnenfalliger Sachverhalt ausgesprochen.
Auch kame man nicht zu Ende, wollte man aufzahlen, wie oft diese An-
sicht wiederholt worden ist, seit zuerst Aristoteles ^) den Satz dne Ge-
dankenverbindung (oov^oic voT]{idTo>v) genannt hat Doch verdient vielldcht
jene, an eine miBverstandene Aristotelische Stelle^) anknupfende, ungewdhnlich
absurde Auffassung eine besondere Zuriickwdsung, die, besonders sdt
Locke 8), so oft zwar das affirmative Urteil als eine Verbindung, das
negative dagegen als eine Trennung von Vorstdlungen erklaren wollte,
— als ob in dem Satze „A ist nicht B" die Gedanken an A und an B nicht
ebenso, wenn auch auf andere Weise, zu einem Ganzen verbunden waren wie
in dem Satze „A ist B". Wichtiger ist es, die Einseitigkeit dieser ganzen Be-
trachtungsweise hervorzuheben, welche nur zu leicht zu der Ansicht verfuhrt
1) Nouv. Ess. III. 7. 5 (WW. V, S. 311 ff.). 2) Donnees immddiates S. 92. 3) Lehrb.
zur Psych. § 79, 181, 186 (WW. 11, S. 60 u. 127 f.); Psych, als Wiss. § 131 (WW. VI,
S. 225). *) Mikr. II, S. 290. *) Qrundsatzlich geleucmet wird m. E. die Oliederung
des Aussageinhalts, wenn St6hr (Log. S. 48) behauptet: „Der Satz einfachsten
Baues ist eine mehrfache Benennung desselben Phanomens." Nach dieser Auf-
fassung wurde z. B. der Satz „Dieser Vogel singt** gar nichts anderes zum Aus-
druck bringen, als daB die ausgesagte Tatsache sowohl als ein „Dieses" wie als
ein .,VogeP* wie auch als ein „Singen" bezeichnet werden kann. Etem gcgenuber
ist aaran festzuhalten, daB, wer jenen Satz ausspricht, zugleich auch das Singen als
eine Tatigkeit, und das Dies-Sein als eine Eigenschaft des Voxels hin-
6, p. 430a 27. ^ Metaph. IX. 10, p. 1051b 1. ^ Ess. IV. 5. 2 (WW. Il, S. 138!.).
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 255
— wenn sie nicht geradezu aus ihr entspringt — , es sei der in einem Satze
sich ausddickende Tatbestand ein iuBerliches Nd>eneinander mehrerer Be-
griffsinhalte. Wir wissen, daB im G^enteil durch die Satzaussage Ein ein-
heitiicher Gedanke, der „Einfall" oder „Eindrudc", in ein g^liedertes Oanze
mehrerer Teilgedanken sich auseinanderlegt, — wenngldch fiir die Logik
nur dieses Oanze und nicht jene ursprilngliche Einheit in Betracht kommt
Von diesem Gesichtspunkte aus verdienen jene Denker unsern Dank, welche,
der herrschenden Einseitigkdt durch eine entgegengesetzte Einseitigkeit ent-
gegentretend, die zerlegende Funktion des Urteils in den Vordergrund rOcken.
So hat schon unter den spateren Scholastikem Greqor von Rimini i) ge-
leugnet, daB bejahende und vemeinende Urtdle audi psychologisch (in in-
telledu) aus mehreren Teilbegriffen bestunden: nur sprachh'ch entspreche
ihrer einhdtlichen Bedeutung eine Verbindung mehrerer Worte; und diese
Ansicht hat sich audi Pierre d'Ailly^ wenigstens fur die kat^orischen
Urteile angedgnet In neuerer Zeit ist es dann vor allem Heqel^), der die
analytische Natur des U r t e i I s hervorhebt und dasselbe — eine etymologische
Spiderei benutzend — als „die urspriingliche Teilung des urspriinglidi
Einen'' oder als ,,die Diremption des Begriffs durch sich sdbst" bestimmt
Den herrschenden nominalistischen Anschauungen entsprechend, erscheint
dann bei neueren Autoren diese „Teilung^ oder ^Diremption^ namentlich als
die Zerl^;ung einer Gesamtvorstellung in Teilvorstellungen.
So sagt Waitz*), der sprachliche Ausdruck sei stets zur „Zergliederung*'
des uns „mit Einem Schlage g^ebenen'' . . ^sinnlidi anschaulichen Bildes*^
gendtigt Siqwart^) setzt wiederholt und eingehend ausdnander, wie etwa
dem Satze „Das SchloB brennf' die einheitliche Gesamtvorstdlung des
brennenden Schlosses, den Worten Schbfi und Brennen dag^en die kor-
rdaten Teilvorstdlungen entsprechen, und wie daher die Aussage voraussetze,
daB der Aussagende sdne Gesamtvorstellung analysiere. Ich selbst habe diese
Vorgange noch weiter ins einzdne beobachtet und beschrieben % Vor allem
jedoch hat Wundt diese Auffassung energisch vertrden. Immer wieder
bdont er den analytischen Charakter des Urteils t). „In unserem Denken",
sagt erS), ,^bt es . . vor allem zwei Momente, wo wir einen zusammenge-
setzten Gedanken ganz uberblicken: den Moment vor und den Moment
nach der Zerl^;ung dessdben. Dort steht er dunkler, hier klarer in
unserem BewuBtsdn. Wahrend des Ablaufes bleibt er uns zwar g^en-
wartig, doch tritt er hinter den gerade apperzipierten Elementen in die
Dunkdheit zuruck und bleibt nur stark genug, um das vereinigende Band zu
bilden, das den Zusammenhang lebendig erhalt" Er ddiniert das Urteil
^s dne Zerl^[ung eines Gedankens in sdne begrifflichen Bestandteile'^ ^
und erklart ein andermal den Satz als „den sprachlichen Ausdruck fur die
») Prantl IV, S. 12, Anm. 45. ^) Prantl IV, S. lllf., Anm. 467 und 468.
5) Log. (WW. V, S. 68); Enzykl. I. § 166 (WW. VI, S. 326 ff.). *) Anthropolog. I,
S. 27? 5) Log. 1, S. 25, 70f. u. 137 f. «) Psych.log. Orundtats. S. 42 ff. Psydio-
log. Ill, S. 574 f.; Orundrifi S. 310 f. <) Log. I, S. 54. «) Ibid. 1, S. 148.
256 NOOLOGIE
willkiirliche Gliederung einer Gesamtvorstellung in ihre, in logischen Be-
ziehungen zueinander gesetzten Bestandteile*' i).
Unserem Standpunkte scheint sich endlich noch mehr eine eigentumliche
Urtdlstheorie zu nahern, die einst von Schleiermacher angedeutet und
jtingst von Jerusalem nachdrucklich vertreten worden ist Ihren Qrundge-
danken druckt der letztgenannte Forscher folgendermaBen aus^): „Durch
das Urteil wird der ganze Vorstellungskomplex, der unzergliederte Vorgang,
dadurch geformt und g^liedert, daB^ das Subjdd ^s ein kraftbegabtes, ein-
heitiiches Wesen hingestellt wird, dessen g^enwartig sich vollziehende Kraft-
auBerung^ das Pradikat ist ,,Die Funktion des Urteilens ist somit nicht
sowohl ein Trennen und Verbinden, sie besteht vielmehr in der Gliederung
und Formung vorgestellter Inhalte.'' Ganz ebenso hatte Schleiermacher 3)
es als ein ,,Axiom'' hingestellt, „welches die Tatigkeit des Geistes im Denken
leitet, daB die ganze unbestimmte Mannigfaltigkeit musse zerteilt werden in
Dinge und Aktionen'': es „wird dadurch das Chaotische ausgeschlossen, das
wir in der Wirklichkeit immer schon hinter uns haben, jedoch nur indem
unser Axiom eben die Methode dazu isf'. Dieses „Beziehen der Aktionen
und Dinge aufeinander'' aber, fiigt er hinzu % „ist Urteil, nur unvoUkommenes,
insofem keine gebildeten B^jiffe dabei zum Grunde li^en^ Diese Theorie,
sage ich, scheint unserem Standpunkte besonders nahezustehen. Denn einen
Vorgang als KraftauBerung eines Kniftzentrums auffassen — dies hdBt
psychologisch, einem G^enstande Geftihle der Kraft, Tatigkeit usw. ein-
legen. Die fragliche Theorie sieht daher wenigstens implidte das Wesent-
liche der logischen Urteilsform in dem Vorkommen bestimmter logisdier
Formalgefuhle. Auch li^ es mir feme, das Berechtigte dieser Ansicht zu
verkennen. Doch sollte man, glaub' ich, uber diesem Vorzuge dersdben
zwei Unvollkommenheiten, an denen sie leidet, nicht tibersehen. Einerseiis
namlich kann doch gar nicht davon die Rede sein, als ob dieses Eine
endopathische Formalgefuhl der Tatigkeit die Gliederung auch nur irgend
Eines Tatbestandes zu ersch5pfen vermdchte. Schon weil das Hauptwort in
irgendeinem Kosus und NumeruSy das Zeitwort in einem Tempos^ einem
Modus, einer Person stehen muB, wird auch die Gliederung des dnfachsten
Satze^ nicht ohne die Heranziehung anderer logischer Formalgefuhle psycho-
logisch erklart werden konnen. Andererseits aber und vor allem kann ich
mich nicht davon uberzeugen, daB in der Tat alle Satze diese Art der
Gliederung aufweisen. Sie mag vorliegen, wo das Pradikat durdi ein Zeit-
wort, auch ein intransitives, ausgedruckt wird, also z. B. auch bd dem
Satze „Dieser Baum grunt*'. Sage ich dagegen „Dieser Baum ist grun", so
glaube ich den Sinn dieser Aussage sehr wohl zu .verstehen, ohne das
Grunsein als eine „KraftauBerung" des Baumes aufzufassen. In der Tat ware
auch nicht verstandlich, wodurch sich die beiden Satze „Dieser Baum grunt"
und „Dieser Baum ist grun'' ihrer Bedeutung nach unterscheiden sollten,
1) Volkerpsychologie I. 2, S. 245. 2) Urteilshinktion S. 82. 3) Dial. § 258, Vor-
lesung 1822. «) Ibid § 264.
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 257
wenn nicht detn zweiten auch jenes geringe Aktivitaismotnent tnangelte, das
der erste noch einschlieBt Vielmehr scheint mir die adjektivische PradilcUion
ebenso deuUich eine Eigenschaftdes Subjektes auszusagen wie die verbale
eine Tatigkeit Mit anderen Worten: die Gliederung des Aussageinhalf$
beruht zwar in dem Einen Fall auf detn logischen Formalgefuhl der Ak-
tivitSt, in dem andem dag^en auf dem logischen Formalgeftihl der
Attribution. Entsprechend den drei Arten der Vorstellungsverbindung,
die ich an anderem Orte unterschieden habei), wird man indes wohl auch
noch fdr die Satze mit substantivischem Pr&dikat — wie z. B. ^Dieser Baum
kt eine Linde*' — ein besonderee logisches Formalgeftihl anerkennen mfissen
und dattdbe vielletcht nlUier als ein logisches Derivat der Rekognition
(§ 21) bestimmen kdnnen. Wird nun hiedurch nicht die Einheit der sprach*
lichen Satzform und damit auch des logischen Pridikationsbegriffes aufge-
hoben? Keinesw^^s, nur darf dieser Begriff eben nicht ausschliefilich auf
das Formalgeffihl der Tatigkeit g^jundet werden. Er durfte vielmehr etwa
in folgender Weise zu bestimmen sdn. Der Bejahung und Verneinung
hegen Oefuhle der Anerkennung und Verwerfung dem bejahten oder ver-
neinten Sachverhalt gegenfiber zugrunde. Diese beiden Oefuhlsarten ent-
halten jedoch ein gemeinsames Gefuhlsmoment, das wir etwa als ein Oe-
fuhl der noetischen Stellungnahme bezeichnen kdnnen; denn es
jst immer vorhanden, wenn zu einem Sachverhalt — sei es bejahend, set es
vemeinend, oder auch in anderer Weise, z. B. wunschend oder befehlend,
annehmend oder fragend — Stellung genommen wird Dieses Gefuhl nun
scheint mir den logischen Begriff der Pradikation, und damit auch die
sprachliche Form des Satzes im weitesten Sinne, zu fundieren^. Verbindet
sich dieses logische Formalgefuhl der noetischen Stellungnahme mit dem
Formalgeffihl der Attribution oder mit dem der Rekognition, so wird diese
Oeffihlsverbindung durch das verbum substantivum, die C o p u 1 a , ausgedrfidd.
Verbindet es sich mit dem Formalgeffihl der Aktivitat oder Passivitit, so
dient zum Ausdrucke dieser Oeffihlsverbindung ein anderes Zeitwort im
Aktivum oder Passivum. Allen Urtdlen ist daher nur das Oeffihl der
noetischen Stellungnahme gemeinsam. Urteilen im weitesten Sinne hdBt eben^
zu einera Sachverhalt Stellung nehmen. Die Gliederung des beurteilten Sach-
verhalts in Dinge und Aktionen, Kraftzentren und Kraftaufierungen, ist Ein er
der wichtigsten Urteilsarten eigentfimlich. Allein daneben steht die Gliederung
desselben in Dinge und Eigenschaften, oder auch blo8 in Dinge. Jene erste
Oliederungsform kann deshalb keineswegs als die einzige angesehen
werden,
PsychJog. Orundtats. S. 54 ff. ^) Deshalb halte ich es auch fur falsch^ wenn
Stohr (Log. S. 62 ff.) den „Urteilsakf * auf eine bloBe „voriibergehende Begriffs-
bildung^ reduzieren will. Dies ware zulassig, wenn der Satz uns nur dazu anleiten
wollte, an einen bestimmten Sachverhalt zu den ken. Allein in Wahrheit will er
uns auch eine bestimmte Stellungnahme zu diesem Sachverhalt veraiitteln*
St6hr mochte das Ergebnis dieser Stellungnahme in den Inhalt des Sachverhaltes
selbst verlegen, indem er etwa die Behauptung ^k ist B'' aufldst in den Oe-
Oomperz, WdtenschaniiiiKslehre W 1 17
258 NOOLOOIE
§56
Sind die Vorstellungen derAussagelaute in einen g^liederten
Komplex generell-typischer Totalimpressionen, der sich dem Be-
wuBtsein als Aussageinhalt darstellt (§ 55), auf dieselbe Art ein-
gebettet, auf die auch die Qualitaten eines Dinges in dessen Total-
impression eingebettet sind, so fungieren die Aussagelaute als Aus-
druck fur den Aussageinhalt
In diesem Falle gelten uns dann Aussagen mit gleichem Aussage-
inhalt ebenso ohne Rucksicht auf die Mehrheit und den Wechsel der
Aussagelaute als einheitlich und beharrlich, wie uns auch Dinge
mit gleicher Substanz ohne Riicksicht auf die Mehrheit und den
Wechsel ihrer Qualitaten als einheitlich und beharrlich gelten. Die
Gegenstandlichkeit der Aussagen beruht demnach darauf, daB
mehrere und wechselnde Aussagelaute einem einheitlichen und beharr-
lichen Aussageinhah inharieren (§ 15. 9).
Hiemit haben wir die Zweite semasiologische Hauptfrage beant-
wortet.
ERLAUTERUNG
1) Wir wissen aus § 49. 1, daB die VerknQpfung zwischen Aussage-
inhalt und Aussagelauten durch Assoziation entsteht^ daB jedoch ihr
Wesen sich in einer bloBen Assoziation schon deshalb nicht erschdpfen
kann, well beide Glieder einen Komplex bilden, iiber dessen identisches
Beharren nicht die Gleichheit oder Verschiedenheit der Aussagelaute,
sondem nur die Gleichheit oder Verschiedenheit des Aussageinhalts
entscheidet ' Denn Aussagen mit gleichem Aussageinhalt, so hdrten
wir, gelten uns ohne Rucksicht auf die Verschiedenheit der Aussage-
laute als numerisch identisch, Aussagen mit ungleichem Aussageinhalt
gelten uns ohne Rucksicht auf die Gleichheit der Aussagelaute als
numerisch verschieden. Nun haben wir seither gesehen, daB zwar die
Aussagelaute vom BewuBtsein durch Vorstellungen, der Aussage-
inhalt dagegen durch einen Komplex von Gefiihlen erfaBt wird. Der
Verknupfung des Aussageinhalts mit den Aussagelauten entspricht daher
psychologisch eine Verknupfung von Gefuhlen mit Vorstellungen, somit
nach § 39 eine Art der Charakterisierung. Allein es gibt nur Eine
Art der Charakterisierung, bei der nicht die Gleichheit oder Verschieden-
heit der Vorstellung, sondem die Gleichheit oder Verschiedenheit des
Gefiihls uber die Identitat oder Nichtidentitat des aus Vorstellungen und
danken „A— B — jetzt — hier— wirklich" Bei dieser Auflosung wird jedoch das
psychologische Datum der Anerkennung, d. h. eines Qefuhles freunolicher An-
eignung, vernachlassigt.
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 259
Gefiihlen bestehenden Komplexes entscheidet, — namlich die In-
i harenz der Accidentien in der Substanz. Bei jeder anderen
i Art der Charakterisierung, mag dieselbe nun im Qbrigen Endopathie,
I Adjektion, Determination oder Konkomitanz sein, kann ein Wechsel
r des Oefiihls an dem Komplex wohl einen Wechsel der PrSdikate be-
E wirken, macht ihn jedoch nie zu „etwas anderem**. Ein Mensch z, B.
kann durch den Wechsel eingelegter Gefuhle aus einem heiteren ein
I trauriger, durch den Wechsel beigelegter GefQhle aus einem ehr-
j wiirdigen ein verachtlicher, durch den Wechsel determinierender Gefuhle
aus einem rechtsstehenden ein linksstehender, durch den Wechsel
konkomitierender Gefuhle aus einem beneideten ein bemitleideter
werden, — allein in alien diesen Fallen bleibt er „derselbe" Mensch.
Dagegen wird bei dem in § 49. 1 erwahnten „Auffassungswechsel**
die Schlange zu einer „gleich aussehenden"* Baumwurzel, der Berg zu
einem „gleich aussehenden** Kopf. Wodurch? Dadurch, daB die
gleichen Gesichtsbilder, die vor dem Auffassungswechsel in die Total-
impression einer Schlange resp. eines Berges eingebettet waren, sich
bei dem Auffassungswechsel in die Totalimpression einer Baumwurzel
resp. eines Kopfes einbetten, somit dadurch, daB die gleichen Qualitaten,
die vorher Einer Substanz inhSrierten, jetzt zu Accidentien einer anderen
Substanz werden. Werden daher, wie wir in § 49. 1 zeigten, auch
Breit und Bright, Tor und Tor, Hofmann und Hofmann, Konigsberg
und Konigsberg erlebt — nicht als je Eine Aussage mit verschiedenen
PradikateUy sondem als je zwei verschiedene Aussagen, die nur »gleich
klingen'', so muB auch die Charakterisierung der Aussagelautvor-
stellungen durch die Bedeutungsgeftihle derselben Charakterisierungs-
art angehoren: die Vorstellungen der Aussagelaute mussen in den
gegliederten Komplex generell-typischer Totalimpressionen, der fur das
BewuBtsein den Aussageinhalt darstellt, auf dieselbe Art eingebettet
sein wie die Qualitaten eines Dinges in dessen Totalimpression, —
die Beziehung des Ausdrucks zwischen Aussagelauten und Aussage-
inhalt muB sich als Inhdrenz auffassen lassen.
Soil nun diese Vormeinung sich bestatigen, der Komplex der Be-
deutungsgeftihle als Substanz der Aussage sich erweisen, so muB es
nach § 15 auch moglich jsein, zu zeigen, daB die Aussagelaute aus
diesem Komplex sich differenzieren, jedoch auch nach dieser Differen-
zierung noch in ihn eingebettet bleiben und eben hiedurch zu Einer
Aussage geeinigt werden. Allein all dies ist — zunachst bei der
Wortaussage — ganz offenbar wirklich der Fall. Die einzelnen Laute
des Wortes differenzieren sich aus dem Bedeutungsgefiihl; denn ich
260 NCX)LOGIE
muB wissen, was ich sagen will, eh' ich es ausspreche. Sie bidben
aber auch nach dieser Foimulierung des Gedankens noch in diesen
dngebettet; denn alle Tdle des Wortes fungieren in glekher Weise
als Ausdruck seines Sinnes. Die Ausdrucksfunktion des Wortes be-
ruht ja darauf, daB alle seine einzeinen Laute von der Einen Wort-
bedeutung durchdrungen, d h. in den Einen Komplex von Bedeutungs-
gefuhlen dngebettet sind. Nur diese Durchdringung und Einbettung
schlieBt die Laute zur Einhdt Eines Wortes zusammen. Denn im
Flusse der Rede folgt inn^iialb dnes Satzes Laut auf Laut, Silbe auf
Silbe, und lediglidi die dnhdtliche Wortbedeutung bfit dne bestimmte
Oruppe von Lauten und SiVben zu Einem Worte zusammen. Genau
so mithin, wie das Weifi, das Hart, das SuB usw. des Zuckers sidi
aus dem Gesamteindrucksgefiihl aussondem, irotzdem aber in das-
sdbe dngebettet bidben und erst durdi diese gemdnsame Einbettung
zu Einem Dinge werden, so 1^ skh audi etwa das Eine noetische
Formalgduhl des Nadidrudcs ausdnander in die Silben Ins-be-sonr
de-re^ alle diese 5 Silben bidben jedodi glddimUBig dngebettet in
jenes Gefuhl, und nur wdl sie derart in dasselbe dngebettet sind,
bilden die angefiihrten 5 Silben zusammen das Eine Wort Insbe-
sondere.
Man konnte mdnen, bdm Hdren dnes Wortes Viegt die Sadie
anders^ da hier dodi die Vorstdlungen der Aussagelaute dem Be-
deutungsgeffihl vorausgingen. Allein in Wahrheit findet hier nur dne
Ueberdedamg; ganz ahnlich der in § 27. 1 besprodienen, statt Wenn
ich den Anfang dnes Wortes hore, ohne noch sein Ende zu kennen,
so geht fidUch der Aussagdaut dem Bedeutungsgduhl voran. Ailein
dieser Wortanfang ist nun eben noch gar kdne Aussage, vidmehr dn
bloBer Wortkiang. Erst wenn mir der Sinn des Wortes ^aufplatzt^,
klddet er sich nochmals in die Vorstellung des ganzen Worts: ich
konnte ja die geh5rte Rede gar nicht in die Worte, aus denen sie
besteht, zerlegen, wenn nicht jedes dnzdne Wort nach Erfassung
seiner Bedeutung nochmals als dne simultane Totalitit mdnem Be-
wufitsdn gegeben ware. Nur durch Verwechslung dieses »Wort-Er-
lebnisses nach dem Verstandnis'' mit dem bloBen ^Wortklangs-Erlebnis
vor dem Verstandnis'' entsteht also hier der Schdn dner umgekehrten
Rdhenfolge.
Doch auch bei iangeren Aussagen, bd Satzen, Bewdsoi, Fragen usw^
finden dieselben Verh^tnisse statt Die Satzbedeutung geht im Sprechen-
den wenigstens als ungegliederter Ein^ vor dem BewuBtsdn von
den einzeinen Worten vorher und 1^ sich in diese auseinander. Und
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 261
audi der Hdrende muB erst die einheitliche Satzbedeutung erfassen,
ehe er den Satz als Ganzes verstandnisvoU in sich aufnehmen kana
Allein auch nachdem der ungegliederte Einfatl sich in einen gegliederten
Komplex von Bedeutungsgefuhten differenziert hat, denen zahlreiche
dnzdne Worte entsprechen, bleiben diese doch alle in die Eine Satz-
bedeutung eingebettet Denn jener gegliederte Komplex ist nicht ein
bloBes Biindel auBerlich aneinandergeleimter Oeffihlsmomente, die Satz-
bedeutung ist durchaus nicht die mechanische Summe der einzelnen
Wortbedeutungen. Die Phrase ^A und B** z. B. druckt nicht ein
Nebeneinander der Wortbedeutungen von A, Und und B aus, sondem
die Verbindung der Wortbedeutungen von A und B durch das dem
Und entsprechende Uebergangsgefuhl. Wie bei dieser kleinen Phrase
steht es aber bei jedem noch so langen Satze* Obwohl jedem Worte
ein besonderes Moment der Satzbedeutung entspricht, so besteht in
der lebendigen Rede die Beziehung des Ausdrucks doch nicht zwischen
jenen einzelnen Worten und diesen eiqzelnen Momenten, sondem
erst die Summe aller Worte, der Satz als Ganzes, drQckt den Komplex
aller Bedeutungsgefiihle, die Eine Satzbedeutung, aus. Soil demnach
ein Satz wirklich verstanden werden, so muB er, wie er nur die ver-
schiedenen Momente der Einen Satzbedeutung auseidanderl^ auch
stets von dieser Einen Satzbedeutung durchdrungen, in sie eingebettet
bleiben, und nur diese gemeinsame Einbettung einigt die zahlreichen
Worte zu Einem Ganzen und schlieBt sie zu der Einheit Eines Satzes
zusammen. Auch bei den kompliziertesten Aussagen erweist sich somit
die Ausdrucksbeziehung als Inharenz: die Vofstellungen der Aus-
sagelaute mussen als die Accidentien, der gegliederte Komplex
der Bedeutungsgefuhle muB als dieSubstanz der Aussage begriffen
werden.
2) Ist die Aussage ein Komplex von Aussagelauten, welche Einem
Aussageinhalt inharieren, so muB sie trotz der Mehrheit und dem
Wechsel der Aussagelaute als einheitlich und beharrlich eriebt
werden, solange ihr Inhalt sich nicht andert. Diese Konsequenz, die
sich aus unseren bisherigen Feststellungen von selbst ergibt, fallt zu-
sammen mit jener Gegenst3ndlichkeit der Aussage, die wir in
§ 4Q als Faktum erkannten, und deren Erkiarung durch unsere Zweite
semasiologische Hauptfrage gefordert wurde. Wenn also der pytha-
goreische Lehrsatz als ein und derselbe gilt, von wem immer, wann
immer und in welcher Sprache immer er gedacht oder ausgesprochen
werde, so hat dies seinen Grund lediglich darin, daB es stets der
gleiche Komplex von Bedeutungsgefiihlen ist, in den die wechselnden
262 NOOLOOIE
Aussagelautvorstellungen eingebettet sind Die nogtische Oegen-
standlichkeit der Aussage und die physische Gegenstand-
lichkeit des Dinges beruhen auf dner ganz gleichen psychischen
Struktur. Hier inharieren sinnlich wahmehmbare Qualitaten dner
singular-individuellen Totalimpression, dort Aussagdaute dnem g^
gliederten Komplex generell-typischer Totalimpressionen. In bddei
F^len bedingt die Einheit und Beharrlidikeit der Substanz audi de
Einheit und Beharrlichkeit des Gegenstandes, ohne Riidcsicht auf die
Mehrheit und den Wechsel der Acddentien. Die O^enstandlichicdt
der Aussagen steht daher in der Tat auf Einer Linie mit der G^^en-
standlichkeit der Dinge, so daB es irgendweldier Annahmen flber die
Hypostasierung der ersteren „nach Analogie" der letzteren nicht
mehr bedarf. Denn es hat sich gezeigt, daB die „Vei^^enstand-
iichung'* in beiden Fallen auf Grund gleidier Bedingungen dntriti
Dann werden jedoch auch in ontologischer Hinsicht diese bdden
^Hypostasierungen" gleich ^u beurteilen sdn. Mit anderen Worten:
die Frage nach der Realitat der ^Ideen** ist auf die Frage nach der
Realitat der „AuBenwelt** reduziert
3) Mehr zu leisten waren wir durch unsere Fragestdlung nidit verbundo.
Denn wie wir stets betonten, haben wir nur die empirische Realitat
der noetischen G^enstande behauptet und zu erkliren untemommen. Diese
nun ist erhartet, nachdem wir im BewuBtsein samtliche Elemente der
Aussage und uberdies deren g^enstandliche Struktur aufgezeigt haben. Die
etwaige transcendentaleRealitatdernoetisdien Q^enstande hingegcn
bleibt in der Noologie vollig in suspenso. Nadi den gewdhnlichen An-
nahmen entsprechen den subjektiven Vorstdlungen von den Aussagelauten
objektive Aussagelaute; nach diesen Annahmen wird daher auch dem sub-
jektiven BewuBtsein vom Aussageinhalt dn objektiver Aussageinhalt ent-
sprechen. Die Aussagelautvorstellungen und die Aussagdnhaltsgefuhle
wurden dann zusammen den subjektiven Qedanken, die Aussagdaute
sdbst und der Aussageinhalt selbst dag^en den objektivenQedanken
konstituieren. Um nun fur diese, erst in der ontologie endgiiltig zu b^
urteilende Auffassung Raum zu lassen, bedienen wir uns hier durchw^ der
vorsichtigen Wendung, der g^liederte Komplex generdl-fypischer Total-
impressionen stelle sich dem BewuBtsein als Aussageinhalt dar; diese
Feststellung dessen, was der Aussageinhalt „fur uns'' ist, laBt die Frage often,
ob er nicht „an sich" etwas anderes sei oder wenigstens durch andere B^
griffe gedacht werden musse.
Aussagen und Dinge konnen mit gleichem Rechte den Anspruch erheben,
als seiend anerkannt zu werden. Allein dieses ihr Sdn ist doch gewiB von
sehr verschiedener Art — von ebenso verschiedener Art wie ihre Substanzen,
Materie und Bedeutung. Auch wissen wir ja, daB dem Physisdien
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 263
singular-individuelle, dem Noetischen generdl-iypische Totalimpressionen zu-
grunde liegen. Indes, wenn dieser Qegensatz hinreichen mag, die Bedeutung
als ein Qedankliches und Allgemeines gegen die Materie als ein Anschau-
liches und Besonderes abzugrenzen, so fullt er doch gewiB nicht den ganzen
Abgrund aus, der zwischen einem Qedanken und einem K5rper klafft
Urn diesen auszumessen, wird man vielmehr offenbar nicht nur die Mo-
dal i tat , sondem auch die Qua li tit der Totalimpressionen berQcksichtigen
mussen. In gewisser Hinsicht namlich ist meine Reaktion gegen einen Qe-
danken eine ganz andere als meine Reaktion gegen einen Kdrper. Jenen
kann ich z. B. bezweifeln, aber nicht betasten, diesen betasten, aber nicht
bezweifeln. Es werden daher sicherlich auch allem BewuBisein von Logischem
als solchem, und ebeiiso allem BewuBtsein von Physischem als solchem
gewisse GeJfiihlsmomente gemeinsam sein. Diese ^^Igemein-logischen'' und
^Igemein-physischen'' Qefuhlsmomeute werden dann einerseiis einander
ahneln, andererseits gegeneinander differieren. Sofem sie einander ahnlich
sind, werden sie beide zu den in § 35. 4 erwahnten Objektivitats-
gefuhlen gehoren, und so wird sich die Tatsache erldaren, daB wir Qe-
danken und K5rper beide als objektiv erleben. Sofem sie voneinander
verschieden sind, werden sie getrennte Arten von Objektivitaisgefiihien dar-
stellen, und dies wird die andere Tatsache b^jeiflich machen, daB wir
dennoch Qedanken und Kdrpem verschiedene Seinsweisen zuschreiben.
Diese hier im knappsten UmriB skizzierten und erst in der ontologie weiter
zu verfolgenden Perspektiven mogen schon an dieser Stelle den Verdacht
verscheuchen, als ware die pathempirische Methode auBerstande, auch jenen
Unterschieden des Logischen und des Physischen gerecht zu werden, die
liber den Qegensatz singular-individueller und generell-iypischer Qefiihle
hinausgreifen, und als wurde diese Methode das Intelligible und das Sensible
in eine verschwommene Einheit bloBer Objektivitat zusammenflieBen lassen.
Auch noch zwei andere Qedanken, deren nahere Ausfuhrung besser
spateren Untersuchungen vorbehalten bleibt, seien hier wenigstens angedeutet
Wir haben zu erklaren versucht, worin die gegenstandliche Auffassung der
Aussagen bestehi Allein neben der gegenstandlichen gibt es auch eine zu-
standliche Auffassung der Aussagen, neben den objektiven gibt es subjektive
Qedanken. Fur das naive BewuBtsein des logisch denkenden Menschen
stellt die Aussage einen objektiven Verband logischer Bestimmungen und
physischer Aussagelaute dar, fur das kritische BewuBisein des psychologisch
denkenden Menschen eine subjektive Verbindung psychischer Bedeutungs-
gefuhle und psychischer Aussagelautvorstellungen, — gerade so wie auch
ein Ding fur das naive BewuBisein des Physikers als ein objektiver Verband
einer physischen Substanz und physischer Qualitaten, fur das kritische Be-
wuBtsein des Psychologen als eine subjektive Verbindung psychischer Ein-
drucksgefuhle und psychischer Qualitatsvorstellungen erscheini Wir glauben
nun, daB im ersten Falle wie im zweiten die objektive Auffassung genetisch
der subjektiven vorhergeht: wie das BewuBtsein von Dingen, also von
264 NOOLOOIE
Wahrnehtnungsobjekten, fruher auftritt als dn BewuBtsein von Wahmehmungs-
akten^ do tritt audi das BewuBtsein von Bedeutungen^ also von Denkobjdcten,
fruher auf als ein BewuBtsein von Denkakten. Den naiven Mensdien inter-
easiert an einer Wahmehmung zunSchsl ihr Qegenstand, an einem Oedanken
zunSchst sein Inhalt; erst der kritische Philosoph beachtet an jener auch das
Wabmehmen jenes Gegensiandes, an diesem auch das Denken jenes InhaliSw
Und wir giauben nun weiter, daB in beiden FiUIen die subjektive Auffassung
aus der objektiven durch jene Funktion der Reflexion entsteht, die wir in
§ 35. 4 vorlllufig charakterisiert haben. Indent der Mensch auf Dinge und Aus-
sagen reflektiertj glaubt er, sich daruber ,yklar zu werden''^ daB ihm ^eigentlich''
gar nicht objektive Dinge und Aussagen^ sondem ^^bloB'' subjektive Wahr*
ndimungen und Oedanken g%d>en sind. Allein in Wahrheit bedeutet dieses
^ich-klar-werden'' nicht bloB einen Wechsel in der Interpretion Eines un-
veranderlicben Sachverhaltes, sondem vielmdir die Ersetzung Eines Sachver-
haltes durch einen andem. Denn offenbar hat sich das BewuBtsein ver-
anderti wenn es in Einem Augenblick dn BewuBtsdn von objektiven
Dingen und Aussagen war, in einem zweiten Augenblick aber zu einem
BewuBtsein von subjektiven Denk- und Wahmehmungserlebnissen gewordcn
ist, und dne nfihere Analyse wurde diesen Wechsd der BewuBtsdnsart un*
schwer als dne Abldsung der oben erwahnten Objektivitatsgefuhle
durch SubjektivitatsgefQhle bestimmen kSnnen. Da wir nun nadi
§ 35. 4 unter Objektivit^ und Subjektivitit letztlich gar nichts anderes v er-
st eh en als die Charakterisierung dnes Erlebniskomplexes durch Objektivitats-
oder Subjektivitatsgefuhle, so wird auch die ontologie schlieBlich die Frage
nach der Objektivitat oder Subjektivitat, Realitat oder Idealitit der noetischen
Oegenstande nicht mit einem runden Ja oder Ndn beantworten kSnnen,
sondem sie wird vielmehr folgendermaBen urteilen miissen. Fiir den naiven,
logisch denkenden Menschen gibt es wirklich objektive, reale noetische
Q^enstande; ffir den kritischen, psychologisch denkenden Menschen gibt
es solche objektive, reale noetische Oegenstande wirklich nicht Denn Ob-
jektivitat und Subjektivitat, Realitdt und Idealitat kSnnen sinnvoll nur von
Komplexen ausgesagt werden, je nachdem diese Komplexe ObjektivitSts- oder
Subjektivitatsgefuhle enthalten und je nachdem sie deshalb Komplexe von
der Art dnes objektiven Verbandes oder von der Art dner subjektiven Ver-
bindung sind. Die Elemente dieser Komplexe aber sind an sich weder
objektiv noch subjektiv, weder real noch ideal, sondem hdBen nur so, je
nachdem sie einem objektiven Verbande oder einer subjektiven Verbindung
angehdren. Nun vermag die Rfflexion Komplexe der ersten Art, also objektive
Verbande, in Komplexe der zwdten Art, also in subjektive Verbindungen,
zu verwandeln, daher auch insbesondere objektive Denkobjekte in subjektive
Denkakte. Allein bdde Arten von Komplexen bestehen aus densdben
Elementen. Diese Elemente hdBen als Elemente dnes Denkobjekts Aus-
sagdaute und logische Bestimmungen ; als Elemente dnes Denkalds heiBen
sie Aussagdautvorstdlungen und Bedeutungsgefuhle. An sich sdbst dagegen
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 265
sind diese Elemente weder objektiv noch subjektiv, weder real noch ideal,
an sich selbst sind sie weder physische Laute und logische Bestimmungen
noch psychische Vorstdlungen und Geffihle, an sich selbst gehdren sie
weder der physischen und logischen noch der psychischen Sphare an,
sondem an sich selbst sind sie schlechthin, ohne jede Mdglichkeit einer
naheren Bestimmung, Elemente der Erfahrung. Zu diesen, an sich selbst
gegen alle ontologischen Kategorien indifferenten Erfahrungselementen ge-
horen naturlich auch die Objektivitats- und SubjektivitaisgefQhle, sofem sie
an sich selbst betrachtet werden. AUein in jene Elementen-Komplexe, wdche
nach dem Prinzip der Inh&renz gebildet sind, gehen auch Objektivitatsge-
fuhle, in alle anderen gehen Subjektivitatsgefuhle ein, und dann heiBen jene
ersteren Komplexe objektiv, und zwar physisch oder logisch, diese letzteren
subjektiv oder psychisch. Ja sie heiBen nicht nur so, sondem sind auch
das, was sie heiBen: jene Pradikate k5nnen von ihnen nicht nur ausgesagt
werden, sie kommen ihnen auch — in ihrem einzig verstandlichen Sinne
— wirklich zu, nur daB durch die Reflexion aus objektiven Gedanken sub-
jektive Denkerlebnisse, und durch eine Umkehrung dieses Voi^gangs aus
subjektiven Denkerlebnissen objektive Gedanken werden konnen. FaBt nuui
daher die B^ffe transcendenteder Realitat und Idealitat so, daB dieselben
einen Uebergang in die entg^engesetzte Seinswdse ausschlieBen , dann
kann den noetischen — wie ubrigens auch den materiellen — Oegenstanden
weder transcendentale Realitat noch transcendentale Idealitat zugesprodien
werden. Die Behauptung, ein G^enstand, sei es nun dne Aussage oder
dn Ding, sei an sich sdbst real oder ideal, wire dann ebenso falsch, als
es die Behauptung ware, der Schnee, der jetzt zu dner Kugd geballt, im
nachsten Augenblicke aber zu einem Wiirfel geknetet werden kann, sd an
sich sdbst kugdfdrmig oder wiirfdfdnnig. In dem soeben gekennzeich-
neten Sinne ist auch die Denk- und Wahmehmungserfahrung ontologisch
amorph.
Wir haben in diesem Paragraphen das Wesen der g^enst^ndlichen
Aussage-Auffassung zu ermittdn gesucht Es kann indes auch die Frage
aufgeworfen werden, unter welchen Bedingungen diese Auffassung ein-
tritt Auf Eine solche Bedingung nun sd hier noch kurz hingewiesen. Es
besteht namlich offenbar ein Zusammenhang zwischen der empirischen
G^enstdndlichkeit der Aussagen und der sozialen Natur des Logischen. In
der Alethologie und in der ontologie werden wir sehen, daB sich dieser
Zusammenhang zwischen Objektivitat und sozialen Gemeinsamkeit ganz all-
gemdn nachweisen ISBi Wir halten diejenigen Vorstellungsobjekte, die uns
mit den mdsten anderen Menschen gemdnsam sind, fur objektive Dinge^
diejenigen dagegen, die wir — in Phantasien, TrSumen, Halluzinationen —
nur fur unsere Person erleben, bloB fur subjektive Erscheinungen. Ebenso
nennen wir solche Satze, Gegenstande, Handlungen objektiv wahr, objektiv
schon, objektiv gut, die nicht nur uns, sondem auch den mdsten anderen
Menschen als wahr, schon und gut erscheinen. Sofem wir uns dag^en
266 NOOLOOIE
bewuBt sind, daB ein Satz, ein Qegenstand, eine Handlung nur uns selbst
als wahr, schdn, gut erscheint, sagen wir nur: wir sind von diesem Satze
iiberzeugt, dieser Qegenstand geflllt uns, wir billigen diese Handlung. Wir
werden auf Qrund dieser Tatsachen den Satz vertreten „Das einer Qruppe
relativ gemeinsame Subjektive wird von den einzelnen Individuen dieser
Oruppe als absolut objektiv erlebt", und ffir densdben die Rolle eines
psychosozialen Orundgesetzes in Anspruch nehmen durfen. Diesem
Gesetze nun laBt sich aucb die Qegenstandlichkeit der Aussagen ohne
weiteres unterordnen. Denn der Objektivitat des B^ffes ^Mensch'^y des
pythagoreischen Lehrsatzes und des ontologischen Beweises entspricht auf
der Seite des Subjektiven die Tatsache, daB alle oder fast alle denkenden
Individuen mit dem Wortlaute dieser Aussagen gleiche subjektive Bedeutungs-
erlebnisse verbinden, und diese Tatsache wieder erklart sich daraus, daB ja
diese Bedeutungserlebnisse generelle QefQhle, d. h. sozial gemeinsame Reak-
tionserscheinungen sind. Von diesem Qesichispunkte aus betrachtet, stdlt
sich dann die objektive Auffassung der Aussagen als Korrelat der ursprung-
lich undifferenzierten, hordenmaBig gemeinsamen Denkweise des Menschen
dar, wahrend ihre reflektierende Subjektivierung der allmahlichen Differen-
zierung des Denkens, der Ausbildung singularer, d. i. nur Einer Person eigen-
tumlicher B^ffe, Ueberzeugungen, Erwagungen usf. enisprichi Dies ist nun
freilich nicht so zu verstehen, als bestunde das Wesen der gegenstandlichen
Auffassung eines Denkobjektes in der Gleichheit der ihm in verschiedenen
Individuen entsprechenden subjektiven Denkakte ; denn fur das BewuBtsein des
einzelnen Individuums ist die Objektivitat einer Aussage mit der Inharenz der
Aussagelaute im Aussageinhalt unmittelbar gegeben, ohne daB es an die Denk-
erlebnisse anderer Individuen auch nur zu denken brauchte. Und jene Ent-
sprechung ist auch nicht so zu versehen, als ware die soziale Gemeinsamkeit
der Denkakte die Ursache der „Hypostasierung" des Denkobjekts;
denn diese Auffassung wurde einen einseitig psychologischen Standpunkt
voraussetzen, fur den die subjektiven Denkakte etwas Fruheres, Wahreres,
Realeres, Berechtigteres waren als die objektiven Denkobjekte. Ihr konnte
ja sofort eine ebenso einseitig logische Beirachtungsweise entg^entreten mit
der Behauptung, es sei vielmehr die Objektivitat der Oedanken die Ursache
fur die soziale Gemeinsamkeit der Denkerlebnisse. Von beiden Einseitig-
keiten wird sich die Noologie gleichweit entfemt halten mussen. Wohl aber
darf sie fesistellen, daB zwischen der Objektivitat der B^ffe, Satze und
Beweise einerseits, der sozialen Uebereinstimmung des B^jeifens, Urteilens
und Beweisens andererseiis eine gesetzmaBige Korrelation besteht, und daB
deshalb die Reflexion die objektiven Gedanken nicht bloB in subjektive
Denkfunktionen Eines Individuums, sondem vielmehr in spezifisch gleiche
Denkfunktionen zahlreicher Individuen verwandelt Der logischen Identitat
des Denkinhalis entspricht die psychologische Gleichheit der diesen Denk-
inhalt „erfassenden" Denkfunktionen zahlreicher denkender Individuen.
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 267
§57
Erkennt ein denkendes Wesen, in dem eine Aussagegrundlage
eine singular-individuelleTotalimpression hervomift, unter
den diese Totalimpression konstituierenden Gefuhlsmomenten solche
gerierell-typische Totalimpressionen wieder, welche —
durch logische Formalgefuhle zu einem gegliederten Komplex
verbunden — sich dem BewuBtsein als Aussageinhalt darstellen,
so hat es jene Aussagegrundlage durch diesen Aussageinhalt auf-
gefaBt
Nun beruht die Unterscheidung intelligibler Teile Qberhaupt
daraufy daB auf die Inhalte gleicher Vorstellungenmit verschiedenen
Gefuhlen reagiert werden kann. Nach der soeben gegebenen Er-
klarung aber ist es darum mdglich, gleiche Aussagegrundlagen durch
verschiedene Aussageinhalte aufzufassen, weil in den durch gleiche
Aussagegrundlagen hervorgerufenen singular -individuellen Totalim-
pressionen verschiedene generell-typische Totalimpressionen wieder-
erkannt, und diese wiederum durch verschiedene logische Formalge-
fuhle miteinander zu verschiedenen Komplexen verbunden werden
konnen. . Es ist daher verstandlich, weshalb den verschiedenen Aus-
sageinhalten, durch welche gleiche Aussagegrundlagen sich auffassen
lassen, an diesen Aussagegrundlagen nicht reelle, sondem nur in-
telligible Teile entsprechen.
Wenn eine Aussagegrundlage durch einen Aussageinhalt aufgefaBt
wird, so sind die Vorstellungen von jener Aussagegrundlage in den
gegliederten Komplex generell-typischer Totalimpressionen, der diesen
Aussageinhalt psychisch reprasentiert, in derselben Weise eingebettet
wie die Qualitaten eines Dinges in dessen Totalimpression. Infolge-
dessen gelten uns dann ausgesagte Sach verbal te mit gleichem
Aussageinhalt ebenso ohne Rucksicht auf die Mehrheit und den
Wechsel der Aussagegrundlagen als einheitlich und beharrlich,
wie uns auch Dinge mit gleicher Substanz ohne Rucksicht auf die
Mehrheit und den Wechsel ihrer Qualitaten als einheitlich und be-
harrlich gelten. Die Gegenstandlichkeit der ausgesagten
Sachverhalte beruht demnach darauf, daB mehrere und wechselnde
Aussagegrundlagen einem einheitlichen und beharrlichen Aussageinhalt
inhSrieren.
Hiemit haben wir die Dritte semasiologische Hauptfrage beant-
wortet.
268 NOOLOOIE
ERLAUTERUNG
1) Nach den Ergd)nissen des § 55 ist die generdl-tyiHSche fai der
singulSr-individuelien Totatimpression enthalten. Daraus ergibt sich
unmittelbar^ daB dieAuffassung der Aussag^rundlage durch den
Aussagetnhalt in der Heraushebung der ersteren aus der letzteren be-
steht, — nur daB diese Heraushebung dann freilich noch einer Er-
ganzung durch das Hinzutreten logischer Formalgefuhle bediirfen wird
So fasse ich etwa den Dom von Pisa als Kunstwerk au^ indem idi
in dem personlichen Eindrucke, den dieses Einzelding mir macht, jene
alien menschlichen Kunstwerken gemeinsamen GefOhle des Oebllens
wiedererkenne, welche den B^riff Kunstwerk fundieren, und indem
ich dann diese Gefiihle mit dem FormalgefQhl der O^enstandlichkdt
verbinde. Ebenso fasse ich die Tatsache des Vogelflugs auf durdi
den Satz „Dieser Vogel fliegt**, indem ich in dem persdnlichen Ein-
druck, den dieser Eine Vorgang mir macht, die den Begriffen Diesa,
Vogel, Fliegen zugrunde liegenden generell-typischen Totalimpressionen
erkenne und dieselben durch die der syntaktischen Form des ange-
fuhrten Satzes entsprechenden logischen Formalgeffihle (Behauptung;
Gegenstandlichkeit, Tatigkeit usw.) erganze.
Dabei zeigt sich aufs neue: die singuiar-individuelle Totalimpression,
das hochstpersSnliche Erlebnis des absolut Einzelnen^ kann keine
Aussage fundieren. Soil es in logische Werte umgesetzt, soil die
vAnschauung"" durch ^B^ffe"" erfaBt werden, so muB jenes Erlebnis
einer doppelten Bearbeitung sich unterwerfen : es gilt, im individuellefl
Eindruck den typischen, d h. im Besonderen das Allgemeine, und ini
singularen Eindruck den generellen, d h. im Persdnlichen das Soziaie
aufzuzeigen. Eben in dieser Umsetzung des nur flir Eine Person
gultigen Eindrucks von Einem Objekt in den ffir eine ganze Oruppe
giiltigen Eindruck von einer ganzen Art besteht die logische Auf-
fassung der Fakten. Dies ihr einheitliches Wesen aber stdlt sich
verschieden dar, je nachdem es sich um die gleiche Auffassung ver-
schiedener Tatsachen oder um die verschiedene Auffassung gleicher
Tatsachen handelt
Die gleiche Auffassung verschiedener Tatsachen ist die Abstrak-
t i o n. Sie erweist sich jetzt als das Wiedererkennen dersdben generdl-
typischen Gefiihlsmomente in verschiedenen singular -individuellen
Totalimpressionen. Ich abstrahiere z. B. den Begriff des Kunstwerks
vom Dom von Pisa und von der Neunten Symphonic, indem ich in
meinen personlichen Eindriicken von diesen beiden GegenstSnden
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 260
dieselben Gefuhle des Gefallens erkenne. Das Ratsel, wie denn Vor-
stdlungen ganz verschiedener Sinnesgebiete unier Einen Begriff fallen
^ kfinnen, Idst sich jetzt auf sehr einfache Art : es konnen eben mit ganz
oivcrschiedenen Vorstellungen ganz gleiche Oefflhle sich ver-
•llcnflpfen. Erinnem wir uns nun, daB die Vorstellungen die BewuBt-
ii seinskorrelate unseres Rezipierens, die Gefuhle diejenigen unseres
iReagierens sind, so erkennen wir auch die biologischen Grund-
■ lagen dieses Verhaltnisses. Wir konnen eben auf verschiedene Reize
■ in derselben Weise reagieren. AUes dasjenige aber, worauf wir in
■ gleicher Weise reagieren, ordnen wir Einem Begriffe unter. Abstraktion
I ist die Zusammenordnung verschiedenartiger sensorischer Eindrucke
■ im Hinblick auf unsere gieichartige motorische Resddion.
b Umgekehrt ist die verschiedene Auffassung glekher Tatsachen die
i Unterschddung intelligibler Teile. Diese erweist sich jetzt als
i das Wiedererkennen verschiedener generell-typischer Oefflhlsmomente
I in denselben singular-individuellen Totalimpressionen. So unterscheide
I ich z. B. dn bestimmtes Grlin als Farbe und als Grun, indem ich in
k meinem personlichen Eindrucke von einem bestimmten Griin einersdts
I jene Gefuhlsmomente erkenne, die alien Farben, andererseits jene^ die
allem Grunen eigentumlicb sind. Auch das Ratsd, wie denn dne ein-
i fache Empfindung unter mehrere Begriffe fallen kdnne, lost sich daher:
r es konnen sich eben auch mit ganz gidchen Vorstellungen ganz ver-
i schiedene Gefuhle verknupfen. Und auch dieses Ergebnis hat sdne
; biologjsche Seite Wir kdnnen nimlich auch auf gteiche Rdze in ver-
I schiedener Wdse reagieren. Alles dasjenige nun, worauf wir in ver-
schiedener Weise reagieren, unterscheiden wir als verschiedenen Be-
griffen untergeordnet. Der Dom von Pisa ist ein Kunstwerk, sofem
er uns gefSIlt, ein KSrper, sofem er uns Widerstand leistet. Die Unter-
schddung intelligibler Teile ist daher die Trennung gldchartiger
sensorischer Eindrucke im Hinblick auf unsere verschiedenartige mo-
torische Reaktion.
2) Das Vorstehende laBt sich etwas wdter ausfuhren, wenn man einen
kurzen Seitenblick auf das Gebiet des Genetischen nicht scheut Und
vielleicht durfen wir eine solche Abschweifung auch damit vor uns selbst
entschuldigen, daB sie uns zugleich Gel^enheit bietet, eine fruher gegebene,
dnseitig-scbematische Darstellung zu korrigieren. In § 55. 2 namlich haben
wir auseinandergesetzt, wie beira Sprechenlemen aus den individuellen
typische, aus den singularen generelle Totalioipressionen sich entwickeln.
Ohne Zweifd ist dies nun wirklich die Hauptrichtung der Entwickdung da,
wo dem Einzdnen die gesdlschaftlich gangbaren Denkformen uberlidert
werden. Handelt es sich dagegen um die Entstehung dieser Denkformen
270 NOOLOOIE
selbst, und auch urn die analoge Entwickelung beitn Einzelnen, soweit sie
sich nicht unter dem Drucke der Tradition vollzieht, so muB nadi dem eben
Gesagten eine ganz entg^engesetzte Entwickelungsrichtung vorausgesdzt
werden. Denn gewiB ist auf fruheren Stufen der Entwickelung das praktische
Interesse an der motorischen Reaktion im Verhaltnis zu dem theoretischen
Interesse an der sensorischen Perzeption nicht von geringerer, sondem von
gr5Berer Bedeutung. Man darf sogar wohl annehmen, daB ursprQnglich
dasjenige, was nicht verschiedene Reaktionen erfordert, auch nicht unter-
schieden wird: die Verallgemeinerung hat zu ihrer Vorstufe die Ver-
wechslung. Je unentwickdter der Organismus ist, je beschrankter dem-
nach seine Reaktionsmoglichkeiten, desto weniger Kat^:orien kennt er, desto
mehr verwechselt er, desto allgemeineren B^ffen entsprechen daher auch
seine psychischen Zustande. Wir werden z. B. mit der Annahme schwerlicb
fehlgehen, daB das BewuBtsein von Out und Schlecht — ein Paar psychi-
scher Zustande also, die heute sehr allgemeinen B^jiffen entsprechen —
zu dem alleraltesten seelischen Bestande der lebenden Wesen gehort Die
Genesis nimmt somit nicht von individuellen, sondem von typischen Total-
impressionen ihren Ausgang und verlauft nicht als Abstrahierung des All-
gemeinen, sondem als Differenziemng des Besonderen. Indem namlich
die Reaktionsmoglichkeiten sich vervielfachen, wird es notwendig, auf zwd
Eindrucke, die in Einer Hinsicht eine gleiche Reaktion erfordera, in
anderer Hinsicht doch auch verschieden zu reagieren. Beide werden
deshalb jetzt unterschieden, indem zu den gleichen auch verschiedene Ge-
fuhlsmomente treten. Im Gegensatze zu diesen individuellen Momenten des
Eindrucks erscheinen dann jene als iypische, und, durch die feinere Aus-
einanderhaltung modifiziert, stellt sich die ursprungliche Verwechslung jetzt
als Verallgemeinemng dar. Etwas Aehnliches wie fur das Verhaltnis des
Typischen zum Individuellen gilt indes auch fur das des Generellen zum
Singularen. Denn je geringer die Hdhe der Entwickelung, desto geringer
auch die Differenziemng der einzelnen Individuen, desto entschiedener
mithin auch das Vorherrschen sozial gemeinsamer psychischer Zustande.
Die primitiven Eindrucke muB man sich daher wohl als solche denken,
welche uns als in hohem Grade generell erscheinen wurden. Das Faktum
des logischen Verkehrs hat in der Horde oder gar im Rudel weit geringere
Widerstande zu uberwinden als in der kultivierten Gesellschaft, denn die iiber-
individuelle Geltung des Logischen hat zu ihrer Vorstufe die unindividuelle
Herrschaft des Instinkts. Erst indem die Einzelnen dieser Herrschaft ent-
wachsen, mehr und mehr zu differenzierten Individualitaten sich heranbilden,
gesellen sich zu den sozial gemeinsamen auch personlich eigentumliche
Gefuhlsmomente. Jene erscheinen dann im Gegensatze zu diesen als generdl,
und der ursprungliche Mangel an persdnlicher Eigenart stellt sich jetzt als
logische Ud^erwindung derselben dar. Zusammenfassend aber darf man
zwar von einer Enistehung der generdl-tjrpischen aus den singular-indivi-
dudlen Totalimpressionen sprechen, sowdt es sich um die Einbildung der
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 271
uberlieferten Denkformen in das BewuBtsein des Einzelnen und urn die Ein-
gliederung eines neuen Individuums in eine bestehende Gruppe von Denk-
genossen handelt; soweit dag^en die spontane Enistehung des logischen
Denkens und allgemeiner B^ffe in Frage steht, muB die Aussonderung
der singular-individuellen aus den generell-typischen Totalimpressionen als
die regelmaBige Art der Entwickdung gelten.
3) Die allgemeinen Voraussetzungen unseres Auflosungsversuches mogen
hier noch einmal mit klassischen Worten wiederholt werden: die Tatsache
kann nicht ausgesagt werden, ein Gedanke muB sie auffassen ; da sie jedoch
durch sehr verschiedene Gedanken aufgefaBt werden kann, so besitzt sie an
sich selbst tiberhaupt keinen bestimmten logischen Wert Jenes hat Heqel i)
trefflich formuliert: ,,Als ein AUgemeines sprechen wir audi das Sinnliche
a u s'< ; es ist „gar nicht mdghch, daB wir ein sinnliches Sein, das wir
meinen, je sagen konnen .... Zeigen mussen wir es uns lassen".
Dieses Schleiermacher 2) nicht minder scharf: Es ist klar, „daB diesdbe
organische Affektion auf ganz verschiedene B^ffe fiihrt zu verschiedenen
Zeiten. Die Wahmehmung eines Smaragd wird mir einmal ein Schema
eines bestimmten Grun, dann einer bestimmten Kristallisation, endlich eines
bestimmten Gesteins".
Auch unser Auflosungsversuch selbst ist nicht origindl, soweit seine
biologischen Prinzipien in Betracht kommen. Wir mussen hier aus dem
schon in § 53. 2 Angdiihrten einiges wiederholen. MACHsagts): „Worauf
in gleicher Weise reagiert wird, das fallt unter Einen Begriff. So
vielerlei Reaktionen, so viderlei B^^ffe .... Den ,Generalien* kommt
keine physikalische Realitat zu, wohl aber eine physiologische: die
physiologischen Reaktionen sind von geringerer Mannigfaltigkeit als die
physikalischen Reize." Fast gleichzeitig habe ich sdbst fur die Abstraktion
denselben Grundgedanken entwickdt*): „Unterschieden wird auf jeder Stufe
der Organisation das, was in uns verschiedene Gduhle erregt und ver-
schiedene Reaktionen auslost .... Unter Einem Worte wurden alle jene
Einzdvorstellungen zusammengefaBt, welche zur Zeit der Sprachentstehung
gleiche Reaktionen hervorzurufen geeignet waren." Ebenso erklart jetzt
MOnsterberqs): Es ist „die Abstraktion beherrscht durch die allgemeine
typische Innervation, und der Begriff wird von derjenigen motorischen Einstd-
lung beherrscht, die der ganzen im Begriffe zusammengedachten Objektgruppe
gemeinsam zukommt .... Erst durch das Erlemen der gdrennten Reaktion
lemen wir, die Dinge zu zerl^en ; nur durch die Einiibung einheitlicher
Reaktion lemen wir, das Gesonderte zusammenzufassen und psychisch zu
verbinden". Diese Darl^^ngen bedurfen unseres Erachtens nur einer
doppdten Erganzung. Wie zunachst die Abstraktion bedingt ist durch die
gleiche Reaktion auf Verschiedenes, so die Unterscheidung intelligibler Teile
durch die verschiedene Reaktion auf Gleiches. Unsere physiologischen
») Phanomenolog. A. I (WW. 11, S. 76 ff.). 2) Dial. § 175. 3) Warmelehrc
S. 416 ff. *) Psych-log. Qrundtats. S. 26; vgl. S. 97 ff. *) Prinzipien S. 552 f.
272 NOOLOOIE
Reaktionen sind daher im Orunde nicht von geringerer, sondem nur von
anderer Mannigfaltigkdt al8 die physikalischen Rdze. Insofon diese
Diskrepanz sich auBert in gleichen Reaktionen auf veischiedene Reize, tassen
wir viele Einzdheiten durch Einen B^ff auf, d. h. wir abstrahieren ; in-
sofem sidi dag^:en diesdbe Diskrepanz iuBert in veradiiedenen Reaktionen
auf gleiche Reize, fassen wir Eine Einzelhdt durdi viele B^ffe auf, d. h.
wir untersdidden an ihr intdligible Tdle. Weiter aber stdlen sidi die
Reaktionen dem BewuBisein als Oeffihle dar, und wir, die wir an dne
psydiologisdie Methode gebunden sind, kdnnen deshalb den AussagdnhaH
nicht erkUiren als die dner Oruppe von Subjekten und dner Qruppe von
Objekten gemdnsame Reaktion, sondem mussen ihn bestimmen als dn
generdles und typisdies Oesamteindrudcsgeffihl.
Was endlich die genetisdie Prioritat des Allgemeinen vor dem Besonderen
angeht, so ist audi diese langst erkannt worden. Sclion Aristoteles^
sagt, die Erkenntnis sdireite vom Allgemdnen zum Besonderen fort (hi
t&v xa^Xoi) Ifcl zdi oca^dxoGta). Denn das Allgemdne sd ein aus viden
Tdlen bestehendes Oanzes; das Oanze aber sd der Wahmehmung in
hdherem Orade zuganglich. So sd audi der B^jiff des Krdses friiher als
seine Definition. Und audi die Kinder nennten ursprQnglidi alle Mdnner
Vdter und alle Weiber MUtter^ und unterschieden erst spftter die einzdnen
Individuen^. Nocli wdter ist Wilhelm von Occam 3) g^;angen, der den
B^^riff geradezu als das verworrene Denken des Einzdnen bezddinet Er
sagt: „Das Einzdding veranlaBt den Versfeuid sowohl dazu, es verworren
{confuse), als dazu, es deutlidi (disHnde) zu denken. Verworren nenne idi
denjenigen Gedanken, durch welchen der Verstand Ein Dtng vom anderen
nicht unterschddet, und in dieser Weise veranlaBt Sokrates den Verstand,
(bloB) dnen Menschen (fiberhaupt) zu denken, . . . wobd er Sokrates von
Plato nicht unterscheidd . . . Er veranlaBt aber den Verstand auch, ihn auf
nicht verworrene Weise zu denken, und dann sage ich, daB dieser Sokrates
dn Mensch ist.'' Oanz ahnlich mdnt Lessinq^): „In alien FSllen . ^ wo
das Aehnliche sofort in die Sinne f^lt, das Un§hnliche aber so Idcht nfdit
in die Sinne fiUlt, entstehen allgemdne B^ffe, ehe wir noch den Vorsatz
haben, dergleichen durch die Absonderung zu bilden. Und daB daher
dieser ihre Zeichen in der Sprache ebenso fruh werden gewesen sdn ab
die Zdchen der einzdnen Dinge, die in ihnen zusammentreffen, ist wohl
ganz naturlich. Ja friiher; Bourn ist sicherlich alteren Ursprungs als Eiche,
Tonne, Unde.'' So hat auch Oeioer^) den „Qrund« fur die Entstehung
der Allgemdnb^jiffe in dem „Nichtbemerken der Untersdiiede des Aehn-
lichen'' gefunden, und ebenso hat Spencer <>) betont, daB in der Wissensdiaft die
Phys. I. 1, p. 184a 23 ff.; vgL auch Anal, postt II. 19, p. 100a 16 ff. f) Die
letzte Bemerkunc; schlieBt jeden Zweifel daran aus. daB das „Fruher^ hier in der
Tat im genetiscnen Sinne zu verstehen ist ^ Frantl III, S. 356, Anm. 806.
^) Zusatze zu den Philosophischen Aufsatzen von K. W. Jerusalem (WW. X, S. 8).
«) Sprache u. Veraunft II, S. 247. •) First Prindplcs 11. 13. 113 (S. 376 ff.).
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 273
allgemeineren B^ffe den spezielleren vorausgehen, z. B. der B^ff Kriech-
tier den B^ffen Insekt und Spinne. Avenarius i) hat an viden Bdspiden
diese „Prioritat des Allgemeinen'' infolge mangelh^er Beachtung der Unter-
schiede nachgewiesen, und jtingst hat audi Corneuus^ fur diese Ansidit
sich erklart
4) Aus der Aussag^^rundlage und dem sie auffassenden Aussage-
inhalt besteht nach § 47 ein Komplex: der ausgesagteSachver-
halt Nach den bisherigen Ergebnissen unserer Untersudiung muB
nun dieser Komplex fur das BewuBtsdn dargestellt werden durch dne
Verbindung zwischen den Vorstdlungen der Aussag^^rundlage und
der den Aussageinhalt psychisch reprisentierenden, gegliederten Oruppe
logischer Oefiihle. Es entsteht daher die Frage nach der Art dieser
Verbindung; denn von ihr wird die Struktur des Sachverhaltes ab-
hangen. Es laBt sich jedoch leicht zeigen, daB die Art der Verbindung
zwischen den Aussagegrundlagevorstellungen und den Aussageinhalts-
gefuhlen dieselbe sein muB wie die Art der Verbindung zwischen den
Aussagelautvorstellungen und den AussageinhaltsgefQhlen, somit audi
die Struktur des Sachverhaltes dieselbe wie die Struktur der Aussage.
DaB namlich die Verkntipfung der Aussagdaute mit dem Aussage-
inhalt alslnharenz, die Struktur der Aussage als diednes Oegen-
standes b^ffen werden musse, dies Idteten wir in § 56. 1 aus
der Tatsache ab, daB uber die IdentitSt oder Nichtidentitlit zweier Aus-
sagen ohne Rucksicht auf die Verschiedenheit oder Oleichheit der
Aussagdaute die Oleichheit oder Verschiedenhdt des Aussagdnhalts
entschdde. Alldn ganz dasselbe gilt nun audi von der Identitat oder
Nichtidentitat zwder Sachverhalte. Wenn ich dieselbe Tatsache das
eine Mai auffasse als „das Fliegen eines Vogds"*, das andere Mai als
^die Bewegung eines Korpers", so handelt es sich — nach dem ge-
wohnlichen Denk- und Sprachgebrauche zu urteilen — in bdden
Fallen nicht etwa um Einen Sachverhalt, der nur zwd verschiedene
Pradikate besaBe, sondem es handdt sich um zwd Sachverhalte, die
nur ngldch aussehen*". Fasse ich anderersdts dnmal die Tatsache
eines flattemden Sperlings, ein andermal die Tatsache eines kreisenden
Adlers auf als ,,das Fli^en eines Vogels"*, so liegen hier nicht etwa
zwei Sachverhalte vor, die nur ein gemdnsames Pridikat hatten,
sondem es liegt Ein Sachverhalt vor, der sich nur in zwd verschiedenen
Tatsachen realisiert Auch bei der Verknupfung der Aussagdnhalts-
geftihle mit den Aussagegrundlagevorstdlungen entscheidet demnach
fiber die IdentitUt oder Nichtidentitlit des Komplexes ohne RQcksicht
») Kr. d. r. Erf. II, S. 269!. ^ Psycholog. S. 42 If.
Oomperz, WeltmscfaanunsBlehre U 1 It
274 NOOLOOIE
auf die Verschiedenheit oder Gleichheit der Vorstellungen die Oleich-
heit Oder Verschiedenheit der OefQhle. Nun haben wir in § 56. 1
gezeigty daB von alien Arten der Charakterisierung nur die Inharenz
der Accidentienin einer S u b s t a n z diese Eigentiimlichkeit aufweist.
Folglich besitzt auch der Sachverhalt eine gegenstHndliche Struktur,
indem die Aussag^^rundlage dem Aussageinhalt inh&riert
Es geht aus dem Oesagten hervor, daB bei dem Uebergange von
der sinnlich-anschauenden zu der b^^fflich-denkenden Erfassung einer
Tatsache sich noch etwas anderes vollzieht, als daB bloB generell-
typische OefQhlsmomente aus einem singular-individuellen Eindruck
durch die Aufmerksamkeit herausgehoben und durch logische Formal-
gefQhle miteinander verbunden wQrden. Jene Heraushebung bedingt
nimlich zugleich eine Modifikation der Substanz. Beim ^schlichten''
Erlebnis einer Tatsache sind die Vorstellungen von dieser Tatsache in
ihre singular-individuelle Totalimpression eingebettet, d. h. in die Ge-
samtheit der von ihr in dem Erlebenden hervorgerufenen Gefuhle.
Fasse ich dagegen dieselbe Tatsache durch einen Oedanken auf, so
fallen fQr die Dauer dieser Auffassung die von der Aufmerksamkeit
vemachlassigten, rein singularen und individuellen Momente jenes Oe-
fuhlseindrucks aus dem Komplex heraus, und die Vorstellungen von
der betreffenden Tatsache sind jetzt bloB in jene generellen und
typischen Momente des Oeflihiseindrucks eingebettet, die fur das Be-
wuBtsein den auffassenden Oedanken darstellen. So sind z. B., wenn
ich den Dom von Pisa als Kunstwerk auffasse, fur die Dauer dieser
Auffassung die Vorstellungen jenes Oebaudes bloB in jene Gefuhle
des Oefallens eingebettet, welche den B^^ff des Kunstwerks fundieren.
Und wenn ich die Tatsache eines Vogelfluges auffasse als den Sach-
verhalt „das Fliegen dieses Vogels^, so inhSriert fur die Dauer dieser
Auffassung meine Wahmehmung jener Tatsache bloB jenem gegliederten
Komplex generell-typischer Totalimpressionen, der fur das BewuBtsein
den Tatbestand „ Dieser Vogel fliqgt** reprasentiert Der ausgesagte
Sachverhalt unterscheidet sich somit von der Aussagegrundlage da-
durch, daB diese einer singulMr-individuellen Totalimpression, jener
einem gegliederten Komplex generell-typischer Totalimpressionen
inhariert.
5) Wir wissen, daB Oegenstande mit gleicher Substanz ohne Rfick-
sicht auf die Mehrheit und den Wechsel ihrer Acddentien stets als
einheitlich und beharrlich, d. h. als identisch erlebt werden. Nun kdnnen
zwei verschiedene Tatsachen niemals eine gleiche Substanz haben.
Denn zwischen den Vorstellungen und den OefQhlen, die eine Tat-
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 275
sache hervomift, besteht eine feste Korrelation. Zwei Tatsachen, die
„verschieden aussehen'^, konnen niemals auf ein Subjekt den ^gleichen
Eindruck" machen. Infolgedessen bleiben denn auch Tatsachen slets
etwas rein Individuelles ; niemals kdnnen zwei verschiedene Tatsachen
nur zwei Erscheinungsformen Eines Oegenstandes darstellen. Ein
Europaer und ein Neger z. B., oder das Flattem eines Sperlings und
das Kreisen eines Adlers, machen, da sie verschieden aussehen, auch
stets einen verschiedenen Eindruck. Deshalb bleiben ein Europaer
und ein Neger stets zwei verschiedene menschliche Individuen, das
Flattem eines Sperlings und das Kreisen eines Adlers stets zwei ver-
schiedene individuelle Tatsachen.
Oanz anders verhalt es sich mit dem Sachverhalt Auch wenn
mehrere Tatsachen ^verschieden aussehen"*, kdnnen doch die von
ihnen hervorgerufenen Oefuhle gleiche generell-typische Momente ent-
halten. Da nun diese Momente die Substanz, jenes ^Aussehen^ die
Accidentien des Sachverhaltes darstellt, so kann es mehrere Sachver-
halte geben, die zwar verschiedene Accidentien, jedoch gleiche Sub-
stanzen haben. Dann werden aber diese Sachverhalte uns nur als
verschiedene Erscheinungsformen Eines Sachverhaltes gelten. Solche
als einheitlich und beharrlich erlebte Sachverhalte nun sind die typi-
schen OegenstSnde.
Alle Menschen z. B., mogen sie nun Europaer oder Neger, Manner
Oder Weiber, Kinder oder Oreise sein, rufen in luns neb en ver-
schiedenen, singular-individuellen Oefuhlsmomenten auch jene gleiche,
generell-typische Totalimpression hervor, die den B^^ff Mensch fundiert
Sofeme wir nun alle jene menschlichen Individuen durch den Begriffs-
inhalt Mensch auffassen, inharieren die verschiedenen Vorstellungen
von alien jenen Menschen dem gleichen Komplex generell-typischer
Totalimpressionen, namlich jenem, der fflr das BewuBtsein den B^^ffs-
inhalt Mensch reprasentiert. Jedes einzelne, in solcher Weise aufge-
faBte menschliche Individuum ist eine Sache. Allein da alle diese
Sachen sich voneinander nur durch ihre Accidentien unterscheiden,
dagegen eine vollkommen gleiche Substanz aufweisen, so werden sie
sich uns, wenn wir hierauf reflektieren, auch nur als verschiedene Er-
scheinungsformen Eines O^enstandes darstellen. Dieser Oegenstand
aber ist der Typus „Der Mensch".
Ebenso wie mit den Sachen steht es jedoch auch mit den ScuAver-
halten im engeren Sinne (§ 47. 6). Jedes rechtwinklige Dreieck,
uber dessen 3 Seiten Quadrate errichtet sind, ist, sofem es jenem
Komplex generell-typischer Totalimpressionen inhariert, der fur das
18»
276 NOOLOOIE
BewuBtsein den logischen Inhalt des pythagoreischen Lehrsatzes ^
darstellt, ein Sachverhalt Da indes all diese Sachverhalte sicb
voneinander nur durch ihre Accidentien unterscheiden, dagegen dne
vollkommen gleiche Substanz besitzen, so werden wir auch sie nur ;
als verschiedene Erscheinungsformen Eines G^[enstandes auffassen. i
Dieser O^enstand aber ist der typische Sachverhalt ^Das |
Oleichsein des Quadrats der Hypotenuse und der Summe der Quadrate j
der Katheten".
6) DaB wir auch den typischen G^enstinden nur eine empirische
Realitat zuschreiben, brauchen wir kaum ausdrficklich zu wieder-
holen. Unsere Fragestellung ging ja auch nur davon aus, dafi wir in
der Erfahrung Oebilde vorfinden, die dnen typischen Chaiakter
zdgen und denselben Anspruch auf Anerkennung ihrer Objektivitat
erheben wir die physischen und noetischen Gegenstinde. Die Frage
nach der transcendentalen Berechtigung dieses Anspruches kann
nur in der ontologie erSrtert werden. Hier war nur die empirische,
d. h. psychologische Grundlage desselben nachzuweisen und insbe-
sondere zu zeigen, daB die typischen G^enstSnde dnen soldien
Anspruch mit nicht geringerem Rechte als die physischen und noStischen
G^enstinde erheben i). Demselben Zwecke mdgen noch folgende
Bemerkungen dienen.
Die physischen G^enstSnde sind dem BewuBtsein g^eben als
Komplexe, in wdchen sinnlich wahmehmbare Qualitaten einer singular-
individuellen Totalimpression inhSrieren. Dabd hebt der dem Dinge
wesentliche Wechsel der Qualitaten die auf die Einhdt der Substanz
sich grundende Einheit des Dinges nicht auf. Es ist natfiriich un-
mdglich, einen Berg zugleich als nahe, weiBe Riesenmasse und als
femes, blaues Punktchen, einen Menschen zugleich als blonden
Knaben und als wdBhaarigen Greis zu sehen. Trotzdem gelten uns
Berg und Mensch als je Ein Ding. Dieses identische Ding wird
daher gewiB nicht als seiches von uns wahrgenommen; alldn
trotzdem wird es von uns als Ein physischer Gegenstand eriebt
Die noetischen Gegenstande sind dem BewuBtsein g^eben als
Komplexe, in welchen sinnlich wahmehmbare Aussagelaute dner ge-
gliederten, generell-typischen Totalimpression inharieren. Auch hiebd
hebt der der Aussage wesentliche Wechsel der Aussagdaute die auf
die Einheit des Aussagdnhalts gegrundete Einhdt der Aus sage nidit
Audi das Ergebnis der ontologischen Erdrterung; wird deshalb fur die typischen
Qegenstande dasselbe sein mussen wie fur die physischen und noetischen Obiekte.
Alles. was wir fiber die letzteren in § 56. 3 vorgreitend bemerkten, wiitl daher auch
auf die ersteren analoge Anwendung finden.
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 277
auf. Auch den pythagoreischen Lehrsatz kann man naturlich nicht
zugleich als einen griechischen und als einen deutschen Satz hdren.
Trotzdem gilt uns dieser Satz als E i n e Aussage. Diese identische Aus-
sage wird daher gewiB gleichfalls nicht als solche wahrgenommen;
allein trotzdem wird sie von uns als Ein noetischer G^enstand erlebt
So sind nun auch die typischen Gegenstande dem BewuBtsein ge-
geben als Komplexe, in denen sinnlich wahmehmbare Tatsachen einer
gegliederten, generell-typischen Totalimpression inharieren. Doch auch
hier hebt der dem Typus wesentliche Wechsel der Tatsachen die auf
die Einheit des Aussageinhalts gegrQndete Einheit des Typus nicht
auf. Auch den Typus „Der Mensch'^ kann man naturlich nicht zu-
gleich als einen Europ3er und als einen Neger, als Wdb und als
Mann, als Kind und als Greis sehen. Trotzdem gilt uns „Der Mensch*
als Ein Typus. Dieser identische Typus wird daher allerdings auch
nicht als solcher wahrgenommen; allein trotzdem wird auch er
von uns als Ein typischer Gegenstand erlebt
Ueber das eigentQmliche VerhlUtnis von physischen, noetischen und
typischen Gegenstanden, und speziell von Individuen, Begriffen
und Typen, ist hier noch eine andere Bemerkung erforderlich. Wir
sahen in § 50. 5, da6 der Typus sowohl vom Begriff wie vom In-
dividuum scharf getrennt werden muB, jedoch zugleich auch, daB der
Typus sowohl zum B^ff wie zum Individuum in einem strengen
Korrelationsverhaltnis steht Denn jedemMerkmal des Typus „Der
Mensch'^ entspricht einerseits eine logische Bestimmung des Be-
griff es „Mensch", andererseits eine Eigenschaft der einzelnen
menschlichen Individuen. Auf Grund unserer Untersuchungen kdnnen
wir jetzt das Wesen dieses Verhaltnisses zwanglos erklSren. FQr das
BewuBtsein ist der Typus ein Komplex von Aussagegrundlagen, die
einer gegliederten, generell-typischen Totalimpression inhirieren; der
Begriff ist ein Komplex von Aussagelauten, die derselben generell-
typischen Totalimpression inharieren ; der Inbegriff der Individuen ist ein
Komplex von Aussagegrundlagen, deren jede einer singular-individuellen
Totalimpression inhariert, und zwar einer solchen, in welcher die er-
wahnte generell-typische Totalimpression als Moment enthalten ist. So-
mit unterscheidet sich der Typus vom Begriff durch eine Verschieden-
heit der Accidentien i), vom Inbegriff der Individuen durch eine partielle
Man konnte einwenden, nach unserer eigenen Ansicht hebe doch die bloBe
Verschiedenheit der Acddentien bei Gleichheit der Substanz die Identitat nicht auL
Das Berechtigte und das Unberechtigte dieser Einwendung wird im nachsten
Paragraphen Tdar hervortreten. Einstweilen mag die Unterscheidung von Typus
und Begriff als eine vorlaufige betrachtet werden.
278 NOOLOOIE
Verschiedenheit der Substanz. Allein der ersten Verschiedenhdt steht
eine totale, der zweiten wenigstens eine partielle Oldchhdt der Sub-
stanz entgegen. Denn die Substanz des Typus ist mit der des BegnSs ,
identisch, in der der Individuen aber als Teil enthalten. Infolgedessen ;
muB auch jedes Oeflihlsmonient, das in dieser Substanz enthaltai ist, ;
mithin jede emotionelle Komponente des B^^ffsinhalts, sich sowohl ;
in Beziehung auf den B^ff wie in Beziehung auf den Typus wie
auch in Beziehung auf das Individuum aussagen lasseiu Jedes solche ',
Oeflihlsmoment der generell-typischen Totalimpression bestimmt nSm- ;
lich am Begriff eine logische Bestimmung, am Typus dn Morkmal, an
den Individuen eine Eigenschaft Alle drei Arten von Aussagen ^
werden demnach ,,auf Grund^ identischer OefQhlsmomente ausgesagl,
wenn sie auch ^Hbev'' verschiedene OegenstSnde etwas aussagai,
n&mlich an physischen, typischen und noStischen 0^[enstanden ver- ,
schiedene Arten von Pradikaten bestimmen. Dutch diese Formd ^
scheint uns sowohl die Verschiedenheit als auch die Korrdation auf-
geklart, die zwischen diesen 3 Arten von Gegenstinden besteht
§58
Wenn ein Gegenstand eine solche Struktur besitzt, daB seine
Accidentien nicht der ihnen normalerweise zugehdrigen Sub-
stanz, sondem vielmehr der Substanz dnes anderen O^^enstandes
inharieren, so besteht zwischen jenem ersten und diesem zweiten
G^enstande die Relation des Bedeutens, Vertretens oder Re-
prasentierens.
Nun ist nach § 57 der gegliederte Komplex generell-typischer
Totalimpressionen, der fQr das BewuBtsdn den Aussage-
inhalt darstellt, die Substanz des ausgesagten Sachverhaltes.
Nach § 56 aber besitzt die Aussage eine solche Strulctur, daB ihre
Accidentien, die Aussagelaute, eben diesem Komplex genereD-
typischer Totalimpressionen inharieren. Infolgedessen besteht zwischen
der Aussage und dem ausgesagten Sachverhalt wirklich die Relation
des Bedeutens, Vertretens oder Reprasentierens.
Hiemit haben wir die Vierte semasiologische Hauptfrage beani-
wortet.
erlAuterunq
1) Nach § 56 beruht die Gegenstandlichkeit der Aussage darauf,
daB die Aussagelaute jenem gegliederten Komplex generell-typischer
Totalimpressionen inharieren, der fflr das BewuBtsein den Aussag^
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNQSPROBLEMS 279
inhalt darstellt; nach §57 beruht die Oegenstandlichkeit des ausge-
sagten Sachverhaltes darauf, daB eben demselben Komplex die
Aussagegrundlage inharieit Aussage und Sachverhalt, noStische und
typische Oegenst3nde besitzen somit die gleiche Substanz: es ist
derselbe Komplex logischer Oefuhle, der den Worten ihren Sinn und
den Tatsachen ihre Auffassung verleiht, und der dadurch jene zur
Einheit Einer Aussage, diese zur Einheit Eines Sachverhaltes zusam-
menfaBt Alldn die Verbindung der Accidentien mit der Substanz ist
in beiden Fallen eine verschiedenartige. Denn wenn auch nach § 56
die generell-typischen Totalimpressionen als Substanz der Aussage--
lautefungierenkdnnen, sosind sie doch nach § 55 an sich selbst
Totalimpressionen der Aussagegrundlage. Jene GefQhle des Gefallens
z. B., welche den Begriffsinhalt Kunstwerk fur das BewuBtsein dar-
stellen, werden durch den Dom von Pisa oder die 9. Sinfonie wirklich
in mir hervorgeruf en ; sie gehSren dag^en keinesw^s zu dem Oe-
samteindruck, den der Lautkomplex Kunstwerk als solqher in mir er-
regt. Jene Korrelation nSmlich, die zwischen den einzelnen Gefiihls-
momenten einer Totalimpression und den aus ihr sich besondemden
Qualitatsvorstellungen besteht, findet zwar statt zwischen den generell-
typischen Totalimpressionen und den Vorstellungen der Aussagegrund-
lage, keineswegs dagegen zwischen jenen Totalimpressionen und den
Vorstellungen der Aussagelaute. Die ersteren bleiben daher auch stets
die eigentlicheriy ihr normalerweise zugehorigen Accidentien der gemein-
samen Substanz, diese bleibt die Substanz des Sachverhaltes, und
zwar auch dann, wenn ihr die Aussagelaute inharieren. Es genflgt
deshalb nicht, das VerhSltnis von Aussage und Sachverhalt durch die
Formel zu kennzeichnen, beide besSBen eine gemeinsame Substanz,
denn diese Formel wurde die primSre Beziehung der generell-typischen
Totalimpression zur Aussagegrundlage vemachlissigen und ein ein-
seitiges Verhaitnis als ein wechselseitiges hinstellen. Man muB viel-
mehr sagen: wenn die Aussagelaute als Ausdruck des Aussageinhalts
fungieren, so inharieren sie der Substanz der durch eben diesen Aus-
sageinhalt aufgefaBten Aussagegrundlage, — oder kOrzer: die Aus-
sage kommt zustande, wenn die Aussagelaute der Substanz
des Sachverhalts inharieren.
Diese Formel drflckt die zentrale EigentQmlichkeit der zwischen Aus-
sage und Sachverhalt, nogtischen und typischen Gegenst3nden ob-
waltenden Beziehung aus. Aus derselben lassen sich indes auch noch
andere, kaum minder charakteristische Besonderheiten dieses Verhalt-
nisses ableiten. ZunSchst wissen wir, daB zwei GegenstSnde mit
280 NOOLOOIE
gleicher Substanz ungeachtet der Verschiedenhdt ihrer Acddentien ak
identisch eriebt werden. Die Aussage ist daher der Sachverhalt und
zwarderselbeSachverhalt, der auch in anderer Wdse eriebt werden
kann. H5re ich z. B. mit Verstlndnis das Wort Kunstwerkj so denke
ich dabei — nicht etwa an das Wort Kunstwerk^ sondem vidmehr
an „ein Kunstwerk"*, d. h. an eine durdi jenes Wort ausgesagte Sac he
Indem idi den B^;riff Mensch erfosse, ist mir — nicht bloB der Be-
griff Mensch gegeben, sondem audi der Typus «Der Mensch*.
Jene Sache, dieser Typus, sie sind ja dasjenige, was in den bdden
Aussagen ausgesagt wird, was mit ihnen gemeint ist Wflrden sie
mdnem Denken nicht g^d>en, so kdnnte ich den Namen Kunstwerk,
den B^ff Mensch nicht verstehen. Ebenso bd Satzen. Verstehe idi
den Satz » Dieser Vogel fliegt**, so denke ich dabei — nicht an den
Satz „ Dieser Vogel fliegt^ sondem an den Vorgang ,,das Fli^gen
dieses Vogels^^i d. h. an den in jenem Satze ausgesagten, von ihm^
meinten Sachverhalt Erfasse ich den Sinn des pythagordschen
LehrsatzeSi so ist mir — nicht bloB dieser Satz g^;^>en, sondem
auch der typische Sachverhalt ^dasOldchsdn des Quadrates der
Hypotenuse und der Summe der Quadrate der Katheten*. Und wohl-
gemerkt, diese Sachen und Typen, individudlen und typischen Sadh
verhalte sind dies el ben, die mir auch ohne jede Aussage g^[eben
sdn kdnnen, wenn ich die betreffenden Tatsachen durch die ent-
sprechenden Aussageinhalte auffasse. Die Aussage h§tte ja gar kdne
reelle Bedeutung, w3re nicht demjenigen, der sie verstdit, in und
mit ihr auch derselbe Sachverhalt g^d>en, der ebensowohl auch an*
schaulich erfaBt werden kann. FQr denjenigen also^ der die Aussage
verstehty ist sie zugleich der ausgesagte Sachverhalt, und zwar der-
selbe Sachverhalt, den er auch anschaulich vorzustdlen vemiagi).
Freilich, trotz alledem macht es einen groBen Unterschied, ob do
Sachverhalt bloB ausgesagt, oder ob er anschaulich voi^gestdlt wird
Allerdings kann dieser Unterschied dem Oesagten zufolge nicht das
Objekt des Erlebnisses betreffen, — wohl aber die Weise desEr*
lebens. Besteht nSmlich das Wesen der Aussage darin, daB in ihr
den generell-typischen Totalimpressionen statt der ihn^i normaler-
weise zugehorigen Aussagegmndlage vielmehr die Aussagelaute m-
1) Fur den eifrigen Leser eines Romanes ist das Buch und die in ihm wieder
gegebene Rede des Erzahlers nur wie ein durchsichtiges QIas, durch das er (fit
erzahlten Vorgange schaut und verfolgt. Seinem Oeiste ist nur das Erzihite eegco-
wartig; die Erzanlung als solche fallt gar nicht in sein BewuBtsdn. So vdUig ist
fiir ihn die Erzahlung das Erzahlte. wie es sich indes mit dem eifrigen RomaD-
lesen verhalt, so vernalt es sich mit jedem intensiven und vollen Venwidnis einer
Rede.
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 281
harieren, so muB doch auch dieser Umstand irgendwie ins BewuBtsein
fallen. Denn ob die einer Substanz inharierenden Accidentien zu
dieser Substanz normalerweise gehdren, ob zwischen den ersteren und
der letzteren jene Korrelation besteht, die zwischen den Qualitaten
dnes Dinges und seiner Substanz stattzufinden pflegt, ob also ein
g^ebener Oegenstand eine normale oder eine abnorme Struktur be-
sitzty dies muB in dem Eindruck, den dieser Oegenstand auf mich
macht, gleichfalls irgendwie zum Ausdruck kommen. Damit ist schon
gesagt, daB ein anderes Oefuhl den Oegenstand charakterisieren
wird, je nachdem der Substanz ih re Accidentien inharieren oder solche,
welche normalerweise einer anderen Substanz zu inhirieren pflegen.
Und zwar werden wir im ersteren Falle, d. h. in dem Falle, wo nicht
nur die Substanz des Oegenstandes erlebt wird, sondem auch seine
Accidentien, aussagen, es sei uns der Oegenstand unmittelbar,
oder auch, er sei uns selbst gegeben. Im letzteren Falle dag^en,
d. i. in dem Falle, in dem nur die Substanz, jedoch nicht auch die
Accidentien des Oegenstandes erlebt werden, werden wir aussagen,
es sei uns nicht derO^enstand selbst, oder auch, er sei uns nur
mittelbar gegeben. DieOefuhle der Mittelbarkeit und Un-
mittelbarkeit (Representation und Presentation) nun sind
uns schon in § 54. 2 und § 55. 6 als diejenigen begegnet, welche die
Verschiedenheit des Jenes vom Dieses^ des Er vom DUy des Phan-
tasierten vom Wahrgenommenen fundieren. Auch wird man sich,
glaub' ich, leicht davon Qberzeugen, daB wirklich das Verhaltnis des
bloB in der Aussage gemeinten zu dem in anschaulicher Fulle vor-
ges tell ten O^enstande der Relation zwischen jenen anderen Be-
griffspaaren vdllig analog ist Die Objekte, die wir als jeneSj als er^
als phantasiert aussagen, sind ja gleichfalls stets identisch mit
solchen, welche wir als dieses^ als du^ als wahrgenommen auszusprechen
pflegen. Allein solange sie in jener ersteren Weise erlebt werden, sind
sie eben als bloB mittelbar oder nicht selbst gegebene charak-
terisiert, wahrend sie sof ort zuunmittelbar oder selbst gegebenen
werden, wenn es moglich ist, sie als dieses, als du, als wahrgenommen
auszusagen. In der Tat wQrde es der Sprachgebrauch auch gestatten,
das Jenes ein hloR gemeintes Dieses, das Er tin bloB gemeintes Du, das
Phantasierte ein bloB gemeintes Wahrgenommenes zu nennen. In der-
selben Weise nun, wie das Jenes als ein hloQ gemeintes Dieses, das Er
als ein bloB gemeintes Da, das Phantasierte als ein bloB gemeintes
Wahrgenommenes, ist auch die A u s s a g e als ein bloB gemeinter S a c h -
verhaltdurch ein Oefuhl der Mittelbarkeit (Representation)
282 NOOLOOIE
charakterisieri Wir durfen deshalb sagen: wie das*Wesen der Aus-
sage darin besteht, daB in ihr die Aussagelaute der Substanz des Sach-
verhaltes inhSrieren, und wie diese Gleichheit der Substanz sich darin
auBert, daB die Aussage fiirden, der sieversteht, der Sachverhalt ist,
und zwar derselbe Sachverhalt, der auch anschauHch vorgestellt
werden kann, so f3Ilt nun das Fehlen der normalen Korrelation zwischen
den Aussagelauten als Accidentien und der generdl-typischen Total-
impression als Substanz ins BewuBtsein als eine den Sachverhalt
charakterisierende Representation, auf Orund deren wir aussagen,
es sei uns auch in der verstandenen Aussage doch nicht der Sach-
verhalt selbst gegeben.
Dies ist die eigentQmliche Beziehung zwischen Aussage und Sach-
verhalt, wenn die Aussage verstanden wird: sie ist dann, sagten
wir, fur den, der sie versteht, der Sachverhalt; zwar nicht der Sach-
verhalt „ selbst "", aber doch „ derselbe'' Sachverhalt, der auch anschaulich
vorgestellt werden kann. Indes, die Aussage wird nicht immer ver-
standen. Denn ich kann die Worte nicht nur auffassen als den Aus-
druck eines bestimmten Sinnes, sondem auch als einen bloBen Schall,
eine Oruppe von Lauten i). Wie unterscheidet sich nun die in dieser
letzteren Weise aufgefaBte Aussage von derselben Aussage als Aus-
druck eines Sinnes? Soviel ist klar: in bezug auf die sinnlich
vorstellbaren Qualitaten besteht zwischen beiden Auffassungen ein
Unterschied nicht. Die Aussagelaute als Schall klingen um kdne
Nuance anders denn die Aussagelaute als Ausdruck. Was dag^en
in beiden Fallen verschieden ist, ist zun3chst offenbar die Totalim-
pression, in welche die sinnlich vorstellbaren Qualit&ten eingebettet
sind, die Substanz, der die Aussagelaute inhSrieren. Als Ausdruck,
dies wissen wir, inharieren sie der generdl-typischen Totalimpression
der Aussagegrundlage, mithin der Substanz des Sachverhalts. Als
Schall dagegen — wem kdnnten sie da anders inharieren als ihrer
Substanz, d. h. jenem OesamteindrucksgefQhl, das eben einem Schall,
einer Oruppe von Lauten, normalerweise zugehdrt und korrelat ist?
Der erste Unterschied zwischen der Aussage als Ausdruck und der
Aussage als Schall besteht demnach darin^ daB die Aussagelaute im
ersten Fall der Substanz des Sachverhaltes, im zweiten ihrer eigenen
Substanz inharieren. Dadurch ist jedoch auch noch ein zweiter
Unterschied bedingt. Da nSmlich jeder Oegenstand, dessen Acddentien
zu seiner Substanz normalerweise gehoren, durch Presentation, jeder,
bei dem dieses Verhaltnis nicht stattfindet, durch ReprSsentation
1) Vgl. SwOBODA, Studien S. 42.
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 283
charakterisiert ist, so wird auch die Aussage zwar als Ausdruck re-
prasentativ erlebt — denn sie ist nicht der Sachverhalt „selbst** —,
als Schall dagegen prasentativ, denn sie ist allerdings der Schall
»selbst". Der Uebergang von jener Auffassung zu dieser stellt sich
demnach einerseits dar als Trans substantiation, indem die-
selben Accidentien erst Einer, dann einer anderen Substanz inhS-
rieren, andererseits als Abldsung der Reprasentation durch die
Presentation. Zusammenfassend muB deshalb dieser Auffassungs-
wechsel beschrieben werden als der Uebergang des reprdsentativ er-
Jebten Sachverhaltes in die prOsentativ erlebten Aussagelaute,
Wann kommt nun dieser Uebergang zustande? Dem naiven BewuBt-
sein stellt er sich jedenfalls so dar, daB ich mir ,,daruber klar werde^
die Aussage sei doch ,,eigentlich'' gar nicht der Sachverhalt, sondem
vielmehr ein „bloBer^ Schall. Das kosmotheoretisch geschulte Denken
dagegen erkennt sofort, daB ich mir durch die eben skizzierte Ueber-
legung keinesw^s fiber einen schon bestehenden Tatbestand ,,klar
geworden" bin, sondem vielmehr einen n eu en Tatbestand geschaff en
habe. Denn vor dieser Ueberlegung war ja ein ganz anderes Erlebnis
gegeben als nach derselben. Vorher inharierten die Aussagelaute der
Substanz des Sachverhaltes und waren reprasentativ charakterisiert;
nachher inharierten sie ihrer Substanz und waren prasentativ charak-
terisiert. Ueberlegungen dieses Typus nun sind uns schon 6fter vor-
gekommen und wurden damals von uns als Reflexion bezeichnet
(vgl § 21. 17, § 27. 1 u. 3, § 35. 4, § 56. 3). Insbesondere sahen wir
in § 21. Q und 3Q. 5, wie die Reflexion endopathische Oeffihle in
idiopathische, determinierende in konkomitierende ver-
wandelt Auch hier meint das naive BewuBtsein, es werde sich nur
^daruber klar", daB das von mir einem anderen Wesen eingelegte
Oefuhl doch „eigentlich" gar nicht ein Oeffihl dieses Wesens, sondem
^bloB"" mein eigenes Oeffihl sei. Auch hier sieht dagegen das ge-
schultere Denken, daB diese Ueberiegung nicht einen schon vor-
handenen Tatbestand beschreibt, vielmehr einen neuen Tatbestand
herstellt. Denn auch hier war ja das Eriebnis vor der Ueberiegung
ein anderes als nachher: das Oeffihl wurde vorher als Oeffihl eines
anderen Wesens, nachher bloB als das meinige eriebt Wir dfirfen
deshalb wohl auch den Uebergang von der Auffassung der Aussage
als Ausdruck zu der Auffassung der Aussage als Schall einen ProzeB
der Reflexion nennen und feststellen, daB die Reflexion den re-
prasentativ charakterisierten Sachverhalt in prasentativ charakterisierte
Aussagelaute verwandelt, daB somit — um einen schon in § 21. 1
284 NOOLOOIE
eingefuhrten Sprachgebrauch wieder aufzunehmen — prireflektiv
der Sachverhalty aber nicht er ^selbst*", postreflektiv dag^en nur
die Aussagelaute, diese aber ^selbst"*, erlebt werden.
Fassen wir dasjenige, was wir fiber die Beziehung der Aussage
zum Sachverhalt ermittelt haben, zusammen. Die Aussage laBt sidi
auffassen als bloBer Komplex von Aussagelauten, und sie laBt sich
auffassen als Sachverhalt Im zweiten Falle ist sie fflr denjenigen,
der sie so auffaBt, der Sachverhalt Zwar nicht der Sachverhalt «selbst',
aber doch ^derselbe^ Sachverhalt, der auch „selbst^ oder ,,in* anderen
Aussagen erfahren werden Icann. Und jetzt erinnem wir uns an ein
doppeltes. Erstens daran, da6 die eigentumliche Beziehung zwischen
Aussage und Sachverhalt nach § 47 Bedeutung hdBt Zweitens
daran, daB uns in § 51. 3 genau dieselben Punkte, die soeben fur diese
Bedeutungsrelation zwischen Aussage und Sachverhalt als charak-
teristisch sich herausstdlten, auch als kennzeichnend erschienen fur
die Beziehung des Vertretens (Repr3sentierens) zwischen deni
Vertretenden (der ReprSsentante) und dem Vertretenen
(dem ReprSsentat). Demnach haben wir die in § 51 au^geworfenen
Fragen bereits beantwortet Denn wir haben einersdts gezdgt, in-
wiefem die Bedeutungsrelation zwischen Aussage und Sachverhalt
nur ein Sonderfall der allgemeinen Vertretungsrdation zwischen dner
Reprasentante und einem Reprasentat ist, und wir haben andererseits
das Wesen dieser allgemdnen Vertretungsrdation psychologisch be-
stimmt
2) Fragen wir uns nun, wie diese Vertretungsbeziehung zustande
kommt, so diirfen wir unsere Antwort unter Heranziehung dner dn-
fachen Symbolik entwickdn. Es sei das ReprSsentat dn O^enstand,
dessen Accidentien m n o p der Substanz S inhSrieren. Ist uns nun
dieser Gegenstand anschaulich gegeben, so daB die Acddentien m n op
ihrer Substanz S inharieren, so ist dieser ganze Komplex durch da^
Unmittelbarkeitsgefuhl tc charakterisiert, nach dem folgenden Schema!:
Im n
S
o p
Wir erleben jettt das Reprasentat „selbst". Andererseits sd die Re-
prasentante ein Gegenstand, dessen Accidentien abed der Substanz I
inharieren. Ist uns nun auch dieser Gegenstand anschaulich g^[eben,
so daB die Accidentien abed ihrer Substanz £ inharieren, so ist
auch dieser ganze Komplex durch das UnmittelbarkdtsgefQhl « charak-
terisiert, nach dem folgenden Schema 11:
*>
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 285
ra b
U d
Wir erleben jetzt die Reprasentante „selbst**. Nun mdgen irgend-
welche Umstande eintreten, die mich veranlassen, mich g^en die
ReprSsentante so zu verhalten, wie ich mich sonst nur gegen das Re-
prasentat zu verhalten pflege. Dann wird diesem Wechsd meiner
Reaktion auch ein Wechsd der Totalimpression entsprechen. Die
Accidentien a b c d der Reprisentante werden jetzt nicht mehr ihrer
Substanz I, sondem vielmehr der Substanz S des Reprisentats in-
harieren. Der Umstand jedoch, daB der so entstehende Komplex aus
einer Substanz und aus Accidentien besteht, die normalerweise nicht
zueinander gehdren, wird zur Folge haben, daB dieser ganze Komplex
durch ein Mittdbarkeitsgefiihl p charakterisiert sdn wird. Das heiBt,
es wird aus Reprasentante und Reprisentat dn Mischgebilde entstehen,
zu dem die Reprasentante die Acddentien abed, das ReprSsentat
die Substanz S beisteuem wird, und der so entstehende Komplex
wird, eben als Mischgebilde, nicht mehr durch ic, sondem durch p
charakterisiert sein, nach folgendem Schema III:
fa b
Da nun die Identitat eines O^enstandes durch seine Substanz, sdn
^Sdhstg^ebensdn"* aber durch das charakterisierende Oeflihl be-
stimmt wird, so erlebe ich jetzt das Reprasentat, und zwar „dassdbe'
Reprasentat, das ich auch anschaulich — wie in Schema I — erieben
kann, allein nicht das ReprSsentat ^selbst"*, sondem nur das durch die
Reprasentante vertretene Repnlsentat Schema III symbolisiert demnach
die Reprasentante, sofem sie das Reprasentat vertritt, reprdsentiert oder
bedeutet Reflektiere ich endlich auf diesen Komplex, werde ich mir
also „daraber klar"*, daB die Reprasentante doch ^eigentlich'' nicht das
Reprasentat sei, sondern eben nur die Reprasentante, so tritt an die
Stelle von Schema III wiedemm Schema II:
fa b
[c d
Ich eriebe jetzt wieder die Reprasentante »selbst**, — ihre Vertretungs-
hinktion aber ist damit vemichtet
Diese Darstdlung scheint recht abstrakt Wir konkretisieren sie,
indem wir von ihr auf die dnzdnen Arten des Reprisentierens die
■i:
^
286 NOOLOOIE
Anwendung machen. Wodurch unterscheidet sich . der Botschafter
als Vertreter des Monarchen vom Botschafter als Privatperson? Primar
offenbar dadurch, daB ich bei meinem Verhalten gegen ihn im ersten
Falle auf ein Oegenverhalten des Monarchen, im zweiten nur auf ein
O^enverhalten eines Privatmannes gefaBt bin. Daraus folgt jedoch
weiter, daB auch meine Reaktion g^en den Botschafter das eine Mai
meine spezifische Reaktion gegen einen Monarchen, das andere Mai
bloB meine Reaktion g^en einen Privatmann ist Und hieraus ergibt
sich endlich, daB meine Vorstellungen von dem Botschafter in jenem
Falle eingebettet sind in einen Oesamteindruck, wie ich ihn einem
Monarchen, in diesem Falle dagegen in einen Oesamteindruck, wie
ich ihn einem Privatmanne g^enOber zu ftihlen pflege. In jenem
ersten Falle inharieren demnach die Accidentien des Botschafters der
Substanz des Monarchen: er ist jetzt fur mich der Monarch, nur
freilich nicht der Monarch „selbst", vielmehr bloB ein vertretener
Monarch. Von dieser Auffassung kann ich dann zu der zweiten uber-
gehen durch Reflexion, d. h. indem ich mir „daruber klar werde^, daB
doch der Botschafter „eigentlich" gar nicht der Monarch ist, sondem
eben „bloB" ein Botschafter — eine Leistung der „Aufklarung", durch
die es mir dann etwa gelingen kann, den feierlichen Aufzug des Bot-
schafters aus einem „bedeutungsvollen" in einen „sinnlosen** Vorgang
zu verwandeln. Ebenso steht es mit Kronung und Taufe. Es hangt
allein von den OefQhlen ab, die ich diesen Handlungen entgegen-
bringe — d. h. von den Totalimpressionen, denen ihre Accidentien
inharieren — , ob ich in ihnen die symbolisierte Machtverieihung und
SQndentilgung oder die wahrgenommene Kopfbelastung und Korper-
benetzung erblicke. Und ich kann dann von jener zu dieser Auf-
fassung iibergehen durch „Reflexion^, d. i. durch die Erkenntnis, daB
es sich bei jenen Handlungen „eigentlich" bloB um korperiiche Vor-
gauge handelt. In dem Falle des Altarsakramentes hat die kathoh'sche
Theologie selbst unsere Erklarung vorweggenommen, — nur freilich
sie zugleich auch metaphysisch ausgedeutet Denn bei der „ Wand-
lung" findet auch nach unserer Erklarung eine wahre Trans sub-
stantiation statt Dieselben sinnlich wahmehmbaren Accidentien,
die bisher der Substanz von Brot und Wein inharierten, d. h. die ein-
gebettet waren in jene Oefiihle, die wir derartigen Nahrungsmitteln
von geringem Wert entgegenzubringen pflegen, — diese selben
Accidentien inharieren fortan der Substanz von Leib und Blut des
Herm, d. h. sie sind jetzt eingebettet in solche Oefuhle, wie wir sie
dem Kostbarsten, Verehrungswurdigsten usw. widmen. Die Leistung
BEARBEITUNO DES BEDEUTUNOSPROBLEMS 287
der Reflexion aber, die sich daruber „klar wird'', daB doch die Hostie
„eigentlich^ gar nicht der Leib des Herm, sondem ^bloB'' ein Stuck
Brot ist, — steht auf den BISttem der Dogmengeschichte verzeichnet
DaB auch die Trauerkleidung einen „Sinn** hat, solange ihre Wahr-
nehmung dem Qefiihl der Trauer inhariert, jedoch sofort in ein »be-
deutungsloses"" Stuck Tuch sich verwandelt, sobald wir uns daruber
„klar werden"", daB sie ^eigentlich"" nichts anderes ist, bedarf keines
besonderen Nachweises. Dasselbe Schauspiel bietet sich uns jedoch
auf dem Oebiete der Kunst. Der Schauspieler ist Julius Caesar,
solange wir ihm die fiir diesen charakteristischen Oefiihle entg^en-
bringen; er wird zu Herm N. N^ sobald die fur diesen charak-
teristischen Oefuhle an ihre Stelle treten. Diese AeuBerung der Re-
flexion ist als die Zerstorung der dramatischen Illusion be-
kannt Ebenso ist die Photographic die photographierte Person, das
Landschaftsbild die abgebildete Landschaft, solange ihre sinnlich wahr-
nehmbaren Qualitaten eingebettet sind in die einer Person, einer Land-
schaft entsprechenden OesamteindrucksgefQhIe; werden diese abgelost
von anderen Oefiihlen, so verwandelt sich die Landschaft in eine mit
Farben bekleckste Leinwand, die Photographic in ein hell und dunkel
geflecktes Papier i). Wann „bedeutet** endlich der Stock dem Knaben
ein Pferd? Offenbar so lange, als er sich ihm g^enuber wie einem
Pferde g^eniiber benimmt, es zwischen die Beine nimmt, antreibt usf.
Ebensolange namlich inharieren die Qualitaten des Stockes der Total-
impression eines Pferdes. LaBt ihn jetzt sich „ daruber klar werden %
daB der fragliche O^enstand doch „eigentlich** gar kein Pferd sei,
vielmehr „blo6** ein Stock, so ist dem Stock seine „Bedeutung** ge-
nommen, — der Knabe ist „aufgeklart* 2).
Ich erwahne hier noch vorgreifend Einen weiteren Fall des Re-
prSsentierens : die Beziehung des Phantasmas zu seinem Oegen-
stande. Wenn ich mir in meinem Zimmer das Universitatsgebaude
„vorstelle", so ist mir prareflektiv ohne Zweifel eben das Universitats-
gebaude g^eben ; zwar nicht dieses Oebaude „selbst", allein dennoch
„dasselbe** Oebaude, das ich auch wahmehmen kann. Ware dem
nicht so, so wurde ich ja nicht aussagen, daB ich mir „das Universitats-
*) Naturlich splelen unter den „einer Landschaft oder einer Person entsprechen-
den Gesaniteindrucksg[efuhlen'' jene Organempfindungen eine groBe Rolle, welche
die Korperbewegiing m der Tiefendimension oegleiten. An ihre Stelle treten dann
nach der yReflexion" Organempfindungen, wie sie fur unser motorisches Verhalten
bloBen fHachen gegenuber charakteristisch sind.
^) Die vorstehenden Oedanken habe ich etwas popularer ausgefuhrt, und nament-
lich zur Erklarung einiger allgemeinster Ziiee in der Entwickelungsgeschichte der
Kunst verwertet, m der Abhandlung uber „Naturalistische Kunsf '.
>
288 NOOLOOIE
gebaude" vorstelle. So li^ nun die Sache, solange mein Phantasma
der Totalimpression des Universitatsgebaudes inhariert, — zu welcher
Totalimpression natQrlich auch das BewuBtsein davon gehort, daB ich
es mit einem objektiven Oegenstande, einem kdrperlichen Ding zu tun
habe. Reflektiere ich dag^en auf dieses Erlebnis, so werde ich mir
„darQber klar'', daB mein Phantasma ja ^eigentlich"" gar nicht das
Universitatsgebaude, sondem eben „bIoB** ein Phantasma ist. Jetzt
inhariert somit dieses Phantasma seiner Totalimpression, zu der
natiirlich auch das BewuBtsein davon gehdrt, daB ich es nur mit einem
subjektiven Zustand, einem psychischen Eriebnis zu tun habe. Dieses
Phantasma aber ist mir jetzt ^selbst** gegeben. Aus dem phantasierten
O^enstande wird daher durch die Reflexion ein (innerlich) wahrge-
nommenes Phantasma. In der Tat wird sich uns in der ontologie die
Entwickelung des Idealismus aus dem Realismus als ein Vor-
gang darstellen, der mit der „Einsicht^ in die Sinnlosigkeit aller Sym-
bole, mit der ^Aufklarung" des Knaben flber seinen Stock, mit der
Zerstorung der „dramatischen Illusion'' auf Einer Stufe steht. Hier
jedoch ist es uns um etwas anderes zu tun. Viele namlich werden
sich nur ungem dazu entschlieBen, die Beziehung des Reprasen-
tierens und das Qefiihl der Representation als letzte, keiner
weiteren Erklarung zugangliche Tatsachen anzuerkennen. Das Verhalt-
nis der Stellvertretung, werden sie sagen, kann doch nicht ein
biologisch primares sein. Allein implicite ward nun dieses Bedenken
bereits von uns entkrSftet Denn wenn das Verhlltnis der Stellver-
tretung auch zwischen jedem Phantasma und seinem G^enstande be-
steht, dann ist es zum mindesten ebenso alt und ebenso fundamental
wie die Tatsache der Erin nerung, und das heiBt wohl: ebenso alt
und fundamental wie bewuBtes psychisches Leben uberhaupt.
Oanz in derselben Weise nun, in welcher der Botschafter den
Monarchen, die KrSnung die Machtverleihung, der Schauspieler den
Dargestellten, das Bild das Abgebildete, der Stock das Pferd, das
Phantasma den Oegenstand bedeutet, bedeutet auch die Aussage den
ausgesagten Sachverhalt Solange die Aussagelaute als Ausdruck eines
Sinnes fungieren, solange sie mithin der Substanz des Sachverhaltes
inharieren, ist fur denjenigen, der sie versteht, die Aussage der Sach-
verhalt — freilich nicht der Sachverhalt „selbst", sondem nur der in
der Aussage ausgesagte Sachverhalt Reflektiere ich dagegen auf die
Aussage, werde ich mir also „daruber klar", daB doch die Aussage-
laute ^eigentlich** nicht der Sachverhalt sind, sondem vielmehr
bloBe Wortklange, dann inharieren die Aussagelaute ihrer eigenen
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 280
Substanz: sie sind jetzt fur mich bloBe Wortklange, und zwar diese
Wortkiange .selbst''. Die Bedeutung der Aussage aber ist hiemit
vernichtet
§59
Die in den §§ 55—58 entwickelte AuflSsung des Bedeutungsproblems
wind verifiziert durch den Nachweis, daB sie die berechtigten
Momente der realistischen, nominalistischen und ratio-
nal is tisc hen Ldsungsversuche in sich vereinigt, ohne gleich diesen
Versuchen in den metaphysischen, ideologischen oder kri-
tizistischen Grundwiderspruch sich zu verstricken.
ERLAUTERUNO
1) Vergleichen wir die Ergebnisse, zu denen uns die Bearbeitung
der semasiologischen Fragen gefuhrt hat, zunSchst mit den realis ti-
sc hen Versuchen, diese Fragen.zu beantworten, so werden jene der
bo'echtigten Grundtendenz dieser Versuche gewiB gerecht Denn die
.Trennung** des Logischen von allem Physischen und Psychischen
ISBt sich gar nicht entschiedener betonen, als wir dies getan haben:
nach unserer Auffassung werden die B^riffe, SStze, Beweise usw^
wenigstens solange auf sie nicht reflektiert wird, ebenso unmittelbar
als noStische wie die K6rper als physische GegenstSnde er-
lebt, und diese noStischen Oegenstande unterscheiden sich auch in
ganz derselben Weise von dem Vorstellen der Aussagelaute und dem
Fuhlen des Aussageinhalts, in der sich auch die physischen Gegenstinde
von dem Vorstellen ihrer Qualitaten und dem Fuhlen ihrer Substanz
unterscheiden. Es kommt eben u. E. Gegenstandlichkeit wie
Zustandlichkeit nicht den Elementen, sondem nur den Komplexen
zu (vgl. §56.3): dieselben Erfahrungsbestandteile, die wir im Zusam-
menhange eines BewuBtseins Vorstellungen und G e f li h 1 e nennen,
fungieren an den Gegenstinden als Accidentien und Substanzen,
und speziell an denAussagen als Aussagelaute und Aussage-
inhalte. Durch Reflexion freilich kann der Gegenstand in eine
Oruppe von Vorstellungen und Gefuhlen aufgeldst werden, und auf
diesem postreflektiven Standpunkte steht notwendig die P s y c h o -
logie, fiir die deshalb alles Den ken als eine bloBe Mannigfaltigkeit
subjektiver Denkakte sich darstellt. Allein mit derselben Notwendig-
keit steht die Logik auf dem prSreflektiven Standpunkt; fflr sie
bilden daher Vorstellung und Oefuhl den noetischen Gegenstand,
und das Gedachte erscheint ihr als eine Vielheit solcher G^en-
Oomperz, WelUnschauungslehre II 1 19
290 NOOLOGIE
stande. Durch diese Bemerkungen haben wir der Frage nach der
transcendentalen Realitat der noetischen Oegenstande vorge-
griffen, die wir verneinen ; ihre em pi rische Realitat behaupten wir
gewiB nicht minder kraftig als der Realismus. Oenauer: dieser be-
hauptet gar nicht eine solche empirische Realitat der noetischen
Oegenstande, sondem gibt sie preis, um ihr transcendentales Oegen-
bild dafur einzutauschen. Denn die ^Idee"" soUte ja nicht unmittelbar
erfahren werden. Eben an diesem seinem auBerempirischen Charakter
aber ging der Realismus zugrunde. Unsere Auffassung entgeht
diesem Schicksal, indem sie auf jenes Schattenbild verzichtet. Sie laBt
die noetischen O^enstande als solche unmittelbar erfahren werden,
so daB gewiB niemand fragen kann, woher wir von ihnen wissen.
Nur mussen wir dafur auf die Behauptung verzichten, die noetischen
Oegenstande existierten als solche auch dann, wenn sie nicht erfahren
werden. Unsere Meinung geht vielmehr nurdahin: wann immer Aus-
sagen nach ihrem logischen Oehalte gedacht werden, werden sie als
einheitlich und beharrlich (ewig) gedacht, ohne Rucksicht auf die Mehr-
heit und den Wechsel der sprachlichen Ausdrucke, in denen, der
Zeitpunkte, zu denen, und der Individuen, von denen diese Aussagen
gemacht werden; nur in solcher Weise gedacht, sind sie befahigt, in
logischen Beziehungen zueinander zu stehen und deshalb auch den
Gegenstand logischer Bearbeitung zu bilden.
Was die einzelnen realistischen Lehren angeht, kdnnen wir uns
kiirzer fassen. Mit dem auBerempirischen Charakter des Aussagein-
halts schwindet auch die Notwendigkeit, ihn agnostisch zu denken.
Allein wir werden nicht in Versuchung kommen, das logischeBe-
wuBtsein — so kann man ja mit dem monadologischen Realis-
mus die logischen Bedeutungsgefuhle ganz wohl bezeichnen — auch
fur ein gottliches auszugeben. Eher durften wir dasselbe ein ge-
sellschaftliches nennen. Denn wie wir sahen, kommen jene
generellen Oefuhle, welche die spezifischen Trager des Logischen
sind, dadurch zustande, daB das denkende Individuum aus dem Chaos
seines personlichen BewuBtseins diejenigen Elemente heraushebt, die
ihm mit alien anderen Oliedem einer Denkgenossenschaft gemeinsam
sind.
Indem wir femer die typischen Oegenstande und insbesondere die
Typen als Bestandteile der Erfahrung aufzeigten, glauben wir die Lehre
von der Realitat derUniversalien zugleich rehabilitiert und in eine
erfahrungsmaBige Form gebracht zu haben. Und da wir die noetischen
Oegenstande neben die typischen stellen, rechtfertigen wir grund-
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 291
satzlich die substantielle Spielart des Realismus. Doch vermdgen
wir zugleich auch seinen attributiven Erscheinungsf ormen gerecht
zu werden. DaB namlich die Essenz in der Substanz enthalten
sei, erkennen wir jetzt als eine vollkommen richtige Behauptung. Die
generell-typische steht ja zu der singular-individuellen
Totalimpression wirklich in diesem Verh^tnis, jene aber ist nach § 55
identisch mit der Essenz, diese nach § 15 mit der Substanz. Freilich,
dieses Enthaltensein ist kein Zusammenfallen. Ein Oegenstand lieBe
sich ja nicht durch mehrere B^riffsinhalte auffassen, wenn in Einer
singular-individuellen nicht mehrere generell-typische Totalimpressionen
enthalten waren. Sieht man indes nicht auf den Gegenstand an sich,
sondem auf den Oegenstand, sofem er durch einen bestimmten Be-
griff aufgefaBt wird, mithin auf den O^enstand als SachCj dann kann
man Essenz und Substanz allerdings gleichsetzen oder auch der Sache
und dem Begriff „dieselbe Form** zuteilen. Denn Aussage und Sach-
verhalt inharieren ja wirklich derselben Substanz.
2) Wenden wir uns nun zum Nominalismus, so zeigt sich, daB
wir auch diesen zum groBen Teile rehabilitiert haben. Dies gilt zu-
nachst fur seine Qrundtendenz, die Forderung eines empirischen
Aussageinhalts. In der Tat haben wir dieser Forderung im weitesten
MaBe Oenuge geleistet, denn die generell-typischen Totalimpressionen
und logischen Formalgefiihle sind ja von uns als Daten der Er-
fahrung nachgewiesen worden. Doch unsere Uebereinstimmung,
zunachst mit dem konzeptualistischen und gemaBigten No-
minalismus, geht noch weiter. Freilich, mit allgemeinenVorstel-
lungen setzen wir den Aussageinhalt nicht mehr gleich, und lassen
ihn auch nicht mehr durch die Aufmerksamkeit aus individuellen
Vorstellungen herausheben. Allein daB das Allgemeine in ty-
pischen BewuBtseinstatsachen erfaBt wird, und daB diese typi-
schen BewuBtseinstatsachen aus individuellen BewuBtseinstatsachen
durch die Aufmerksamkeit herausgehoben werden, — diese An-
nahmen sind uns mit den genannten Formen des Nominalismus gemein.
Nurersetzen wir die allgemeinen Vorstellungen durch typische Oe-
fiihle, die individuellen Vorstellungen durch individuelle Qe-
f u h 1 e. Unsere Ansicht kann daher mit Recht auch eine konzeptua-
1 i s t i s c h e heiBen, denn die typischen Totalimpressionen sind psychische
Funktionen, welche ausschlieBlich der Aufgabe dienen, das Allgemeine
zu erfassen. Da jedoch die typischen Totalimpressionen in den indi-
viduellen enthalten sind, so wahren wir auch jenen Zusammenhang
zwischen Aussageinhalt und Aussagegrundlage, auf den der gemaBigte
19»
2g2 NCX)LOOIE
Nominalismus sich zu seinen Ounsten berufen konnte ; denn auch wir
vermSgen zu erklaren, weshalb nicht jede beliebige Aussagegrundlage
durch jeden beliebigen Aussageinhalt aufgefaBt werden kann. AUein
wir entgehen all jenen Fahrlichkeiten, denen sich der Nominalismus
aussetzte durch die Behauptung, der Aussageinhalt sei eineVorstel-
lung Oder ein Teil einer Vorstellung. Wir sehen uns nicht vor die
aussichtslose Aufgabe gestellt, zu erklaren, wie denn an einer einfachen
Empfindung noch verschiedene Momente sich unterscheiden lassen.
Denn wir erklaren die Abstraktion und die Unterscheidung in-
telligibler Telle eben durch den Nachweis, daB mit verschie-
denen Vorstellungen gleiche Oefuhle, mit Einer Emp-
findung mehrere OefQhle verkniipft sein kdnnen. Wirbrauchen
endlich auch nicht vorzugeben, daB wir uns bei Worten wie Zusam-
menfassen oder Trotzdem etwas vorzustellen vermogen, da es uns
ja feststeht, daB der Sinn der Worte Oberhaupt nicht in Vorstellungen,
sondem vielmehr in Oefuhlen zu suchen ist
Doch auch dem extremen Nominalismus vermogen wir ge-
recht zu werden. Dieser vertrat eine ganz auBerliche Auffassung der
Worte, der zufolge sie uberhaupt keinen Sinn haben und nichts be-
deuten^ sondem nur Zeichen fur Qruppen ahnlicher Qegenstande sind.
Diese Auffassung nun hat sich uns alseineunter einergewissen
Voraussetzung durchaus zutreffende erwiesen, unter der Voraus-
setzung nimlich, daB auf die Aussage reflektiert wurde. Post-
reflektiVj dies sahen wir ja, sind die Aussagen wirklich nichts anderes
als bloBe Lautfolgen {flatus vocis), die gar nichts uber jene Merkmale
anzeigen, um derentwillen die Tatsachen zu Gruppen vereinigt
und durch gemeinsame Namen bezeichnet werden. Wir diirfen des-
halb auch sagen: wie der Real ism us eine ganz angemessene Be-
schreibung der Aussagen in ihrem prareflektiven Zustande darstellt,
so erweist sich der extreme Nominalismus als eine ebenso ange-
messene Beschreibung derselben in ihrem postreflektiven Zustand.
3) Fassen wir endlich den Rationalism us ins Auge, so fehlt es
uns gewiB auch mit dieser Ansicht nicht an Beruhrungspunkten. Ja
seine fundamental Position kdnnen wir uns ohne weiteres aneignen :
die logischen Funktionen sind von den sinnlichen Vorstellungen
durchaus verschieden und gehoren im Oegensatze zu diesen der
reaktiven Erfahrung an. Auch die Unterscheidung intellek-
tuellerOperationen und intellektuellerProdukte vermogen
wir in gewissem Sinne zu rechtfertigen : den letzteren entsprechen die
generell-typischen Totalimpressionen, den ersteren ent-
BEARBEITUNG DES BEDEUTUNGSPROBLEMS 293
spricht das Wiedererkennen dieser Totalimpressionen in den sin-
gular- individuellen Oesamtseindrucksgefuhlen. „Eine Anschauung
unter einen Begriff bringen^ heiBt deshalb in unserer Sprache: „in
einer singular-individuellen Totalimpression eine generell-typische er-
kennen". Denn nicht derVorstellungs charakter, sondem die s i n -
gulare Natur der mit den Vorstellungen verbundenen OefQhIe
macht das Wesen der Anschauung im Oegensatze zum Den ken
aus, und in diesem Sinne ist der Begriff gewiB etwas Unanschauliches,
obwohl er nicht als eine unanschauliche Vorstellung erklart werden
darf. Dagegen entgehen wir jenem Dilemma, das den Rationalismus
dazu zwang, entweder auf eine psychologische Bestimmung der
spezifisch logischen Akte zu verzichten, ja dieselben sogar ins Un-
bewuBte zu verlegen, oder sie aus ihrer naturlichen Verwandtschaft
mit den Anschauungen herauszureiBen. Denn die generell-typischen
Totalimpressionen sind psychologisch vollkommen bestimmt und
hangen dennoch mit den singular-individuellen Totalimpressionen aufs
innigste zusammen ; sie sind ja nichts anderes als in diesen enthaltene
Gefuhlsmomente. Wir vermogen daher auch ohne weiteres zu er-
klaren, wie ein Qegenstand gemeint oder intendiert werden kann,
ohne doch vorgestellt zu werden : indem namlich seine Totalimpression,
und speziell seine generell-typische Totalimpression, ohne eine ent-
sprechende, erfullende Vorstellung erlebt wird.
Es zeigt sich somit, daB unsere Auflosung des Bedeutungsproblems
durchweg jener Verifikation fahig ist, deren allgemeines Schema
wir in § 8 entworfen haben. Sie „hebt" synthetisch die berechtigten
Momente aller ihr vorangehenden Losungsversuche in sich „auf", ohne
doch deren Mangel an sich zu tragen.
VERZEICHNIS
DER IN DIESEM HALBBANDE ANOEFOHRTEN WERKE UND
DER FOR IHRE TITEL OEBRAUCHTEN ABKORZUNQEN
P. Abaelardi Opera, ed. Cousin. Paris 1849. (Abk. Opp.)
Derselbe, Ouvrages in^dits, ed. Cousin (Collection de documents in^its
sur I'histoire de la France, 2. Serie, Band 4). Paris 1836. {Abk.
Ouvr. in&I.)
Alexander v. Aprodisias, Praeter Commentaria scripta minora, ed.
Bruns. (Suppl. Aristotel. II. 1)
R. Ameseder, s. A. Meinong.
Ammonius Hermiae, In Porphyrii Isagogen, ed. Busse. (Comm. in
Aristotelem Qraeca IV. 3)
Aristotelis Opera, ed. Acad. R^. Borussica.
J. V. Arnim, Stoicorum Veterum Fragmenta. (Abk. Amim I, II, III)
R. Avenarius, Kritik der reinen Erhhrung. (Abk. Kr. d. r. Erf.)
H. Bergson, Essai sur les donndes imm6diates de la conscience. 3. Auf-
lage. Paris 1901. (Abk. Donn6es imm&liates)
G. Berkeley, Works, ed. Eraser. Oxford 1901. (Abk. WW.)
A. Binet, L'dtude expdrimentale de I'intelligence. Paris 1903. (Abk.
Intdl.)
Kr. Birch- Reichenwald Aars, Zur psychologisdien Analyse der
Wdt Projektionsphilosophie. Leipzig 1900. (Abk. Psycholog. Anal.)
Boethius, De interpretatione, ed. Meiser.
B. Bolzano, Wissenschaftslehre. Sulzbach 1837. (Abk. Wiss. L.)
H. Cohen, System der Philosophic. I. Teil: Logik der reinen Erkenntnis.
(Abk. Log.)
A. Comte, Synth^ subjective^ ou syst^e universel des conceptions propres
k V&ai normal de I'homme. (Abk. Synthtee subjective)
H. Cornelius, Psychologic als Erfahrungswissenschaft. (Abk. Psycholog.)
R. Cudworth, Systema intdlectuale, latine vertit L J. Moshemius. (Abk.
Systema Intdlectuale)
Dante Allighieri, La vita nuova, II convito, II canzoniere. Milano 1890.
(Abk. Op. min.)
R Descartes, Oeuvres, ed. Jules Simon. Paris 1850. (Abk. Oeuvres)
Derselbe, Principia philosophiae. (Abk. Princ phil.)
P. Deussen, Die Sutra's des Vedanta, oder die ^^raka-Mimansa des
Bidarayana nebst dem vollstandigen Kommentare des Qmkara. Aus
dem Sanskrit ubersetzt. Leipzig 1887. (Abk. Deussen, Sutra's)
J. Duns Scoti Opera omnia. Lugduni 1638. (Abk. Opp.)
Chr. V. Ehrenfels, Ueber Gestaltqualitaten, Viertdjahrsschrift f(ir wissen-
schafUiche Philosophic, Band 14, S. 249 ff. (Abk. Gest Qual.)
Epikur, s. H. Usener
L Geiger, Ursprung und Entwickdung der menschlichen Sprache und
Vemunft. StuttgSi 1868—72. (Abk. Sprache und Vemunft)
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Psycholog.)
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D e r s e 1 b e , Ueber einige psychologische Voraussetzungen der naturalistischen
Kunst. Beilage zur Miinchner Allgemeinen Zeitung vom 14. und
15. Juli 1905. (Abk. Naturalistische Kunst)
SirW. Hamilton, Lectures on metaphysics and Logic, ed. Mansel u.
Veitsch. London 1865. (Abk. Ledures)
G. W. Fr. Hegel, Werke. Vollstandige Ausgabe durch einen Verein von
Freunden des Verewigten. (Abk. WW.)
J. Fr. Herbart, Samtliche Werke, herausg^eben von Hartenstein. (Abk.
WW.)
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A. Hofler, Logik, unter Mitwirkung von A. Meinong. Philosophische
Propadeutik I. (Abk. Logik)
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D. Hume, Treatise of Human Nature, ed. Green and Grose. (Abk.
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E. Martinak, Psychologische Untersuchungen zur Bedeutungslehre. Leip-
zig 1901. (Abk. Psychol. Unterss.)
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A. Meinong, Hume-Studien 11. Wien 1882.
Derselbe, Ueber Annahtnen. Leipzig 1902. (Abk. Annahmen)
Derselbe, Ueber die Stellung der Gegenstandstheorie im System der Wis-
senschsrften. Leipzig 1907. (Abk. Q^[enstandstheorie)
A. Meinong, R. Ameseder, E. Mally, Untersuchungen zur Qegen-
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zig 1904. (Abk. Grazer Untersuchungen)
Migne, Patrologia Latina.
J. Mill, Analysis of the phenomena of the human mind. A new edition
with notes illustrative and critical by A. Bain, O. Findlater and G. Qrote.
Edited with additional notes by J. St Mill. London 1869. (Abk
Anal.)
J. St Mill. A System of Logic, ratiocinative and inductive. 5. Auflage.
London 1862. (Abk. Log.)
Derselbe, An Examination of Sir William Hamiltons Philosophy and of
the principal philosophical questions discussed in his writings. 3. Auf-
lage. London 1867. (Abk. Exam.)
Fr. Max Muller, Das Denken im Lichte der Sprache. Uebersetzt von
E. Schneider. Leipzig 1888. (Abk. Denken i. L d. Sprache)
M. Paligy, Die Logik auf dem Scheidew^e. Berlin 1903. (Abk. Log.)
J. Petzoldt, Einleitung in die Philosophic der reinen Erfahning. Leipzig
1900—04. (Abk. Einfuhrung)
Plat on is Dialogi, ed. Wohlrab.
Plotini Enneades, ed. Volkmann. (Abk. Enn.)
Porphyrii Isagoge, ed. Brandis. (Aristotelis Opera, ed. Acad. R^. Boruss.,
Band IV)
Porphyrii Isagoge et in Aristotelis Cat^^orias Commentarium, ed. Busse.
(Commentaria in Aristotelem Graeca IV. 1)
C Prantl, Geschichte der Logik im Abendlande. Leipzig 1855—70. (Abk.
Pranti I, II, III, IV)
Th. Ribot, La Psychologic des sentiments. Paris 1899. (Abk. Psych, des
Sent)
Derselbe, L' evolution des id^es g^n^rales. (Abk. Id. g6n.)
H. Rickert, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen B^riffeblldung. Eine
logische Einleitung in die historischen Wissenschaften. (Abk. Orenzen)
G. J. Romanes, The origin of human faculty. (Abk. Origin of hum. fac)
J. Royce, The religious aspect of philosophy. A critique of the bases
of conduct and of faith. Boston 1900. Zuerst 1885 erschienen. (Abk.
Religious Aspect)
Derselbe, The spirit of modem philosophy. An Essay in the form of
lectures. Boston 1900. (Abk. Modem philosophy)
F. W. J. V. Schelling, Samfliche Werke. Stuttgart und Augsbuiig 1856.
(Abk. WW.)
Fr. Schleiermacher, Dialekti'k. (Samtiiche Werke, 3. Abteilung, 4. Band,
2. Teil.) Beriin 1830. (Abk. Dial.)
A. Schopenhauer, Samtiiche Werke, herausg^eben von Ed. Orisebach.
(Abk. WW.)
Seneca, Opera, ed. Haase.
ANGCFOWTE WERKE UND t)EREN ABKURZUNOEN 297
Chr. Sigwart, Logik. 2. Auflage. Freiburg i. Br. 1889. (Abk. Log.)
Ad. Smith, The theory of moral sentiments. 11. AuTlage Londoki 1812.
<Abk. Moral Sentiment^
H. Spencer, First Principles. London 1862.
B. Spinoza, Opera quae supersunt omnia, ed. Bruder.
Ch. H. Stein thai, Einleitung iii die Psychologic und Sprachwissenschaft.
(Abri6 der Sprachwissenschaft I.) 2. Auflage. Berlin 1881. (Abk.
Eitileitg. in d. Psych.)
A. Stdhr, Leitfaden der Logik in psychologisierender Darstdlung. Leipzig
und Wien 1905. (Abk. Log.)
H. Swoboda, Studien zur Gmndlegung der Psychologie. Leipzig und
Wien 1905. (Abk. Studien)
H. Taine, De Tintelligence. Paris 1870.
Thomas v. Aquino, Summa Theologiae. Turin 1888. (Abk. Summ.
Theol.)
H. Usener, Epicurea. Leipzig 1882. (Abk. Usener)
Th. Waitz, Anthropologic der Naturvolker. Leipzig 1859. (Abk. Anthro-
polog.)
Chr. Wolff, ontologie.
W. Wundt, Logik. Fine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis
und der Melhoden wissenschaftlicher Forschung. 1. Bartd. 3. Auflage.
Shittgart 1906. (Abk. Log. I)
Derselbe, Grundzflge der physiologischen Psychologie 5. Auflage.
Leipzig 1903. (Abk. Psycholog.)
Derselbe, GrundriB der Psychologic. 2. Auflage. Leipzig 1897. (Abk.
GrundriB)
Derselbe, Volkerpsychologie. Leipzig 1900—06.
OEDRUCKT IN DER FROMMANNSCHEN BUCHdRUCKERei IN JENA
EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA
HEINRICH GOMPERZ, WELTANSCHAUUNGSLEHRE
Ein Versuch, die Hauptprobleme der allgemeinen theoretischen Phllo-
sophiegeschichtlich zu entwickein und sachlich zu bearbeiten. I. Bd.
Methodologie. Br. Mk. 13.—, in Halbfrz. geb. Mk. 15.—
Inhalt: Die Aufgabe der Weltanschauungslehre. Der Substanzbegriff. Der
Identitatsbegriff. Der Relationsbegriff. Der Formbegriff. Die dialektische Methode.
Die pathempirische Methode. Die Einteilung der Weltanschauungslehre.
Jahrbuch der Oorresgesellschaft (Dr. C. Gutberlet): ,,Mit spekulativer
Kraft, Scharfsinn in der Kritik, und einer seltenen Vertrautheit mit der philo-
sophischen Literatur bestrebt sich der Verfasser fiber die herrschende empiristische,
positivistische Richtung in der Philosophie hinwegzukommen und die Metaphysik
zu einer allgemeinen Weltanschauungslehre zu erweitem."
HEINRICH GOMPERZ, DIE LEBENSAUFFASSUNG
DER GRIECHISCHEN PHILOSOPHEN UND DAS
IDEAL DER INNEREN FREIHEIT. Mit Anhang: Zum Ver-
standnis der Mystiker. Br. Mk. 8.—, in Halbperg. geb. Mk. 10.—
Inhalt: Das Ideal der inneren Freiheit, Die Lebensauffassung der Oriechen.
Vorsokratiker. Sokrates. Die Kyniker. Die Kyrenaiker. Platon. Die Stoa. Epikur
und die Skepsis. Verfall und Ausgang der philosophischen Ethik der Oriechen.
Monatsschrift fur die Kirchliche Praxis (Otto Baumgarten): Eines
der fesselndsten , personlichsten Bucher, daraus besonders wir in christlicher
Lebensluft Aufgewachsenen lemen konnen, wie edle und starke Oeister ausser-
halb derselben frei atmen, ist Heinrich Oomperz' Vortragsreihe : die Lebens-
auffassung der griechischen Philosophen. Indem er sie alle unter dem Oesichts-
punkt des Ideals der inneren Freiheit betrachtet, gewinnt er einen ungemein
innerlichen Aufriss der antiken Philosophie, deren einzelne Vertreter doch nicht
zu blossen zufalligen Tragem der Entwickelung jenes Prinzips werden, da sie
stark individuell charakterisiert und durch eine Fulle treffendster Beweisstellen in
vorzuglicher Uebersetzung nahe gebracht werden.
HEINRICH GOMPERZ, DAS PROBLEM DER WILLENS-
FREIHEIT. Br. Mk. 4.— geb. Mk. 5.50
DieWartburg: Ein eigenartiges, nicht uninteressantes Buch, in dem der Verfasser
der Form nach den Determinismus und den Indeterminismus bekampft, eine
„dritte Theorie" empfiehlt, nach der die Willensentscheidung weder ein bloB
mogliches, noch ein notwendiges Ergebnis der vorhandenen Reize sind, sondem es
sich dabei um bloBe Wahrscheinlichkeit handelt. Oomperz steht dem eigentJichen
Kausalitatsgesetze ablehnend gegeniiber und bestreitet auch, dafi auf dem Qebiete
des Seelenlebens durchgangig OesetzmaBigkeit herrsche. Der Sache nach stimmt
er im wesentlichen mit dem modemen (relativen) Indeterminismus uberein , der
auf Folgerichtigkeit verzichtet
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