I. Kant

Kritik der reinen Vernunft (1st Edition)

이윤진이카루스 2012. 1. 4. 08:17

The Project Gutenberg EBook of Kritik der reinen Vernunft (1st Edition)
by Immanuel Kant
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Title: Kritik der reinen Vernunft (1st Edition)
Author: Immanuel Kant
Release Date: August, 2004  [EBook #6342]
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Edition: 10
Language: German
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Kritik der reinen Vernunft
von
Immanuel Kant
Professor in Koenigsberg
(1781)
Inhalt
Zueignung
Vorrede
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
     I. Idee der Transzendental-Philosophie
        Von dem Unterschiede analytischer und synthetischer Urteile
    II. Einteilung der Transzendental-Philosophie
I. Transzendentale Elementarlehre
    Erster Teil. Die transzendentale Aesthetik
        1. Abschnitt. Von dem Raume
        2. Abschnitt. Von der Zeit
            Schluesse aus diesen Begriffen
            Erlaeuterung
            Allgemeine Anmerkungen zur transzendentalen Aesthetik
    Zweiter Teil. Die transzendentale Logik
        Einleitung. Idee einer transzendentalen Logik
              I. Von der Logik ueberhaupt
             II. Von der transzendentalen Logik
            III. Von der Einteilung der allgemeinen Logik in Analytik
                 und Dialektik
             IV. Von der Einteilung der transzendentalen Logik in die
                 transzendentale Analytik und Dialektik
    Erste Abteilung. Die transzendentale Analytik
        Erstes Buch. Die Analytik der Begriffe
            1. Hauptstueck. Von dem Leitfaden der Entdeckung aller
               reinen Verstandesbegriffe
                1. Abschnitt. Von dem logischen Verstandesgebrauche
                   ueberhaupt
                2. Abschnitt. Von der logischen Funktion des
                   Verstandes in Urteilen
                3. Abschnitt. Von den reinen Verstandesbegriffen oder
                   Kategorien
            2. Hauptstueck. Von der Deduktion der reinen
               Verstandesbegriffe
                1. Abschnitt. Von den Prinzipien einer
                   transzendentalen Deduktion ueberhaupt
                   Uebergang zur transzendentalen Deduktion der
                   Kategorien
                2. Abschnitt. Von den Gruenden a priori zur
                   Moeglichkeit der Erfahrung
                    1. Von der Synthesis der Apprehension in der
                       Anschauung
                    2. Von der Synthesis der Reproduktion in der
                       Einbildung
                    3. Von der Synthesis der Rekognition im Begriffe
                    4. Vorlaeufige Erklaerung der Moeglichkeit der
                       Kategorien, als Erkenntnissen a priori
                3. Abschnitt. Von dem Verhaeltnisse des Verstandes zu
                   Gegenstaenden ueberhaupt und der Moeglichkeit
                   dieses a priori zu erkennen
                   Summarische Vorstellung der Richtigkeit und
                   einzigen Moeglichkeit dieser Deduktion der reinen
                   Verstandesbegriffe
         Zweites Buch. Die Analytik der Grundsaetze
             Einleitung. Von der transzendentalen Urteilskraft
                ueberhaupt
             1. Hauptstueck. Von dem Schematismus der reinen
                Verstandesbegriffe
             2. Hauptstueck. System aller Grundsaetze des reinen
                Verstandes
                 1. Abschnitt. Von dem obersten Grundsatze aller
                    analytischen Urteile
                 2. Abschnitt. Von dem obersten Grundsatze aller
                    synthetischen Urteile
                 3. Abschnitt. Systematische Vorstellung aller
                    synthetischen Grundsaetze desselben
                     1. Axiome der Anschauung
                     2. Antizipationen der Wahrnehmung
                     3. Analogien der Erfahrung
                         A. Erste Analogie. Grundsatz der
                            Beharrlichkeit der Substanz
                         B. Zweite Analogie. Grundsatz der Zeitfolge
                            nach dem Gesetze der Kausalitaet
                         C. Dritte Analogie. Grundsatz des
                            Zugleichseins, nach dem Gesetze der
                            Wechselwirkung, oder Gemeinschaft
                     4. Die Postulate des empirischen Denkens
                        ueberhaupt
             3. Hauptstueck. Von dem Grunde der Unterscheidung aller
                Gegenstaende ueberhaupt in Phaenomena und Noumena
                Anhang. Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe
                Anmerkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe
    Zweite Abteilung. Die transzendentale Dialektik
        Einleitung
             I. Vom transzendentalen Schein
            II. Von der reinen Vernunft als dem Sitze des
                transzendentalen Scheins
                A. Von der Vernunft ueberhaupt
                B. Vom logischen Gebrauche der Vernunft
                C. Von dem reinen Gebrauche der Vernunft
        Erstes Buch. Von den Begriffen der reinen Vernunft
            1. Abschnitt. Von den Ideen ueberhaupt
            2. Abschnitt. Von den transzendentalen Ideen
            3. Abschnitt. System der transzendentalen Ideen
        Zweites Buch. Von den dialektischen Schluessen der reinen
        Vernunft
            1. Hauptstueck. Von den Paralogismen der reinen Vernunft
               Erster Paralogism der Substantialitaet
               Zweiter Paralogism der Simplizitaet
               Dritter Paralogism der Personalitaet
               Der vierte Paralogism der Idealitaet (des aeusseren
               Verhaeltnisses)
               Betrachtungen ueber die Summe der reinen Seelenlehre,
               zufolge diesen Paralogismen
            2. Hauptstueck. Die Antinomie der reinen Vernunft
                1. Abschnitt. System der kosmologischen Ideen
                2. Abschnitt. Antithetik der reinen Vernunft
                   Erster Widerstreit der transzendentalen Ideen
                   Zweiter Widerstreit der transzendentalen Ideen
                   Dritter Widerstreit der transzendentalen Ideen
                   Vierter Widerstreit der transzendentalen Ideen
                3. Abschnitt. Von dem Interesse der Vernunft bei
                   diesem ihrem Widerstreite
                4. Abschnitt. Von den transzendentalen Aufgaben der
                   reinen Vernunft, insofern sie schlechterdings
                   muessen aufgeloeset werden koennen
                5. Abschnitt. Skeptische Vorstellung der
                   kosmologischen Fragen durch alle vier
                   transzendentalen Ideen
                6. Abschnitt. Der transzendentale Idealism als der
                   Schluessel zu Aufloesung der kosmologischen
                   Dialektik
                7. Abschnitt. Kritische Entscheidung des
                   kosmologischen Streits der Vernunft mit sich selbst
                8. Abschnitt. Regulatives Prinzip der reinen Vernunft
                   in Ansehung der kosmologischen Ideen
                9. Abschnitt. Von dem empirischen Gebrauche des
                   regulativen Prinzips der Vernunft, in Ansehung
                   aller kosmologischen Ideen
                      I. Aufloesung der kosmologischen Idee von
                         der Totalitaet der Zusammensetzung der
                         Erscheinungen von einem Weltganzen
                     II. Aufloesung der kosmologischen Idee von der
                         Totalitaet der Teilung eines gegebenen Ganzen
                         in der Anschauung
                         Schlussanmerkung zur Aufloesung der
                         mathematisch-transzendentalen, und
                         Vorerinnerung zur Aufloesung der
                         dynamisch-transzendentalen Ideen
                    III. Aufloesung der kosmologischen Ideen von der
                         Totalitaet der Ableitung der Weltbegebenheit
                         aus ihren Ursachen
                         Moeglichkeit der Kausalitaet durch Freiheit,
                         in Vereinigung mit dem allgemeinen Gesetze
                         der Naturnotwendigkeit
                         Erlaeuterung der kosmologischen Idee einer
                         Freiheit in Verbindung mit der allgemeinen
                         Naturnotwendigkeit
                     IV. Aufloesung der kosmologischen Idee von
                         der Totalitaet der Abhaengigkeit der
                         Erscheinungen, ihrem Dasein nach ueberhaupt
                Schlussanmerkung zur ganzen Antinomie der reinen
                Vernunft
            3. Hauptstueck. Das Ideal der reinen Vernunft
                1. Abschnitt. Von dem Ideal ueberhaupt
                2. Abschnitt. Von dem transzendentalen Ideal
                   (Prototypon transscendentale)
                3. Abschnitt. Von den Beweisgruenden der spekulativen
                   Vernunft, auf das Dasein eines hoechsten Wesens zu
                   schliessen
                4. Abschnitt. Von der Unmoeglichkeit eines
                   ontologischen Beweises vom Dasein Gottes
                5. Abschnitt. Von der Unmoeglichkeit eines
                   kosmologischen Beweises vom Dasein Gottes
                   Entdeckung und Erklaerung des dialektischen Scheins
                   in allen transzendentalen Beweisen vom Dasein eines
                   notwendigen Wesens
                6. Abschnitt. Von der Unmoeglichkeit des
                   physikotheologischen Beweises
                7. Abschnitt. Kritik aller Theologie aus spekulativen
                   Prinzipien der Vernunft
       Anhang zur transzendentalen Dialektik
            Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft
            Von der Endabsicht der natuerlichen Dialektik der
            menschlichen Vernunft
II. Transzendentale Methodenlehre
    1. Hauptstueck. Die Disziplin der reinen Vernunft
        1. Abschnitt. Die Disziplin der reinen Vernunft im
           dogmatischen Gebrauche
        2. Abschnitt. Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung
           ihres polemischen Gebrauchs
           Von der Unmoeglichkeit einer skeptischen Befriedigung der
           mit sich selbst veruneinigten reinen Vernunft
        3. Abschnitt. Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung
           der Hypothesen
        4. Abschnitt. Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung
           ihrer Beweise
    2. Hauptstueck. Der Kanon der reinen Vernunft
        1. Abschnitt. Von dem letzten Zwecke des reinen Gebrauchs
           unserer Vernunft
        2. Abschnitt. Von dem Ideal des hoechsten Guts, als einem
           Bestimmungsgrunde des letzten Zwecks der reinen Vernunft
        3. Abschnitt. Vom Meinen, Wissen und Glauben
    3. Hauptstueck. Die Architektonik der reinen Vernunft
    4. Hauptstueck. Die Geschichte der reinen Vernunft
Sr. Exzellenz,
dem
Koenigl. Staatsminister
Freiherrn von Zedlitz
Gnaediger Herr!
Den Wachstum der Wissenschaften an seinem Teile befoerdern, heisst an
Ew. Exzellenz eigenem Interesse arbeiten; denn dieses ist mit jenen,
nicht bloss durch den erhabenen Posten eines Beschuetzers, sondern
durch das viel vertrautere eines Liebhabers und erleuchteten Kenners,
innigst verbunden. Deswegen bediene ich mich auch des einigen Mittels,
das gewissermassen in meinem Vermoegen ist, meine Dankbarkeit fuer das
gnaedige Zutrauen zu bezeigen, womit Ew. Exzellenz mich beehren, als
koennte ich zu dieser Absicht etwas beitragen.
Wen das spekulative Leben vergnuegt, dem ist, unter maessigen
Wuenschen, der Beifall eines aufgeklaerten, gueltigen Richters eine
kraeftige Aufmunterung zu Bemuehungen, deren Nutzen gross, obzwar
entfernt ist, und daher von gemeinen Augen gaenzlich verkannt wird.
Einem Solchen und Dessen gnaedigem Augenmerke widme ich nun diese
Schrift und, Seinem Schutze, alle uebrige Angelegenheit meiner
literarischen Bestimmung, und bin mit der tiefsten Verehrung
                               Ew. Exzellenz
                                             untertaenig gehorsamster
                                                               Diener
Koenigsberg
den 29sten Maerz 1781                                   Immanuel Kant
Vorrede
Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung
ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belaestigt wird, die sie
nicht abweisen kann; denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft
selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann; denn sie
uebersteigen alles Vermoegen der menschlichen Vernunft.
In diese Verlegenheit geraet sie ohne ihre Schuld. Sie faengt von
Grundsaetzen an, deren Gebrauch im Laufe der Erfahrung unvermeidlich
und zugleich durch diese hinreichend bewaehrt ist. Mit diesem steigt
sie (wie es auch ihre Natur mit sich bringt) immer hoeher, zu
entfernteren Bedingungen. Da sie aber gewahr wird, dass auf diese Art
ihr Geschaeft jederzeit unvollendet bleiben muesse, weil die Fragen
niemals aufhoeren, so sieht sie sich genoetigt, zu Grundsaetzen
ihre Zuflucht zu nehmen, die allen moeglichen Erfahrungsgebrauch
ueberschreiten und gleichwohl so unverdaechtig scheinen, dass auch die
gemeine Menschenvernunft damit im Einverstaendnisse steht. Dadurch
aber stuerzt sie sich in Dunkelheit und Widersprueche, aus welchen
sie zwar abnehmen kann, dass irgendwo verborgene Irrtuemer zum
Grunde liegen muessen, die sie aber nicht entdecken kann, weil die
Grundsaetze, deren die sich bedient, da sie ueber die Grenze aller
Erfahrung hinausgehen, keinen Probierstein der Erfahrung mehr
anerkennen. Der Kampfplatz dieser endlosen Streitigkeiten heisst nun
Metaphysik.
Es war eine Zeit, in welcher sie die Koenigin aller Wissenschaften
genannt wurde, und wenn man den Willen fuer die Tat nimmt, so
verdiente sie, wegen der vorzueglichen Wichtigkeit ihres Gegenstandes,
allerdings diesen Ehrennamen. Jetzt bringt es der Modeton des
Zeitalters so mit sich, ihre alle Verachtung zu beweisen und die
Matrone klagt, verstossen und verlassen, wie Hecuba: modo maxima
rerum, tot generis natisque potens - nunc trahor exul, inops - Ovid.
Metam.
Anfaenglich war ihre Herrschaft unter der Verwaltung der Dogmatiker,
despotisch. Allein, weil die Gesetzgebung noch die Spur der alten
Barbarei an sich hatte, so artete sie durch innere Kriege nach und
nach in voellige Anarchie aus und die Skeptiker, eine Art Nomaden, die
allen bestaendigen Anbau des Bodens verabscheuen, zertrennten von Zeit
zu Zeit die buergerliche Vereinigung. Da ihrer aber zum Glueck nur
wenige waren, so konnten sie nicht hindern, dass jene sie nicht immer
aufs neue, obgleich nach keinem unter sich einstimmigen Plane, wieder
anzubauen versuchten. In neueren Zeiten schien es zwar einmal, als
sollte allen diesen Streitigkeiten durch eine gewisse Physiologie des
menschlichen Verstandes (von dem beruehmten Locke) ein Ende gemacht
und die Rechtmaessigkeit jener Ansprueche voellig entschieden werden;
es fand sich aber, dass, obgleich die Geburt jener vorgegebenen
Koenigin aus dem Poebel der gemeinen Erfahrung abgeleitet wurde und
dadurch ihre Anmassung mit Recht haette verdaechtig werden muessen,
dennoch, weil diese Genealogie ihr in der Tat faelschlich angedichtet
war, sie ihre Ansprueche noch immer behauptete, wodurch alles wiederum
in den veralteten wurmstichigen Dogmatismus und daraus in die
Geringschaetzung verfiel, daraus man die Wissenschaft hatte ziehen
wollen. Jetzt, nachdem alle Wege (wie man sich ueberredet) vergeblich
versucht sind, herrscht Ueberdruss und gaenzlicher Indifferentismus,
die Mutter des Chaos und der Nacht, in Wissenschaften, aber doch
zugleich der Ursprung, wenigstens das Vorspiel einer nahen Umschaffung
und Aufklaerung derselben, wenn sie durch uebel angebrachten Fleiss
dunkel, verwirrt und unbrauchbar geworden.
Es ist naemlich umsonst, Gleichgueltigkeit in Ansehung solcher
Nachforschungen erkuensteln zu wollen, deren Gegenstand der
menschlichen Natur nicht gleichgueltig sein kann. Auch fallen jene
vorgeblichen Indifferentisten, so sehr sie sich auch durch die
Veraenderung der Schulsprache in einem populaeren Tone unkenntlich
zu machen gedenken, wofern sie nur ueberall etwas denken, in
metaphysische Behauptungen unvermeidlich zurueck, gegen die sie doch
so viel Verachtung vorgaben. Indessen ist diese Gleichgueltigkeit,
die sich mitten in dem Flor aller Wissenschaften ereignet und gerade
diejenigen trifft, auf deren Kenntnisse, wenn dergleichen zu haben
waeren, man unter allen am wenigsten Verzicht tun wuerde, doch ein
Phaenomen, das Aufmerksamkeit und Nachsinnen verdient. Sie ist
offenbar die Wirkung nicht des Leichtsinns, sondern der gereiften
Urteilskraft* des Zeitalters, welches sich nicht laenger durch
Scheinwissen hinhalten laesst und eine Aufforderung an die Vernunft,
das beschwerlichste aller ihrer Geschaefte, naemlich das der
Selbsterkenntnis aufs neue zu uebernehmen und einen Gerichtshof
einzusetzen, der sie bei ihren gerechten Anspruechen sichere, dagegen
aber alle grundlosen Anmassungen, nicht durch Machtsprueche, sondern
nach ihren ewigen und unwandelbaren Gesetzen, abfertigen koenne, und
dieser ist kein anderer als die Kritik der reinen Vernunft selbst.
* Man hoert hin und wieder Klagen ueber Seichtigkeit der Denkungsart
  unserer Zeit und den Verfall gruendlicher Wissenschaft. Allein ich
  sehe nicht, dass die, deren Grund gut gelegt ist, als Mathematik,
  Naturlehre usw. diesen Vorwurf im mindesten verdienen, sondern
  vielmehr den alten Ruhm der Gruendlichkeit behaupten, in der
  letzteren aber sogar uebertreffen. Eben derselbe Geist wuerde sich
  nun auch in anderen Arten von Erkenntnis wirksam beweisen, waere nur
  allererst fuer die Berichtigung ihrer Prinzipien gesorgt worden. In
  Ermanglung derselben sind Gleichgueltigkeit und Zweifel und endlich,
  strenge Kritik, vielmehr Beweise einer gruendlichen Denkungsart.
  Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der
  sich alles unterwerfen muss. Religion, durch ihre Heiligkeit,
  und Gesetzgebung durch ihre Majestaet, wollen sich gemeiniglich
  derselben entziehen. Aber alsdann erregen sie gerechten Verdacht
  wider sich und koennen auf unverstellte Achtung nicht Anspruch
  machen, die die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie
  und oeffentliche Pruefung hat aushalten koennen.
Ich verstehe aber hierunter nicht eine Kritik der Buecher und Systeme,
sondern die des Vernunftvermoegens ueberhaupt, in Ansehung aller
Erkenntnisse, zu denen sie, unabhaengig von aller Erfahrung, streben
mag, mithin die Entscheidung der Moeglichkeit oder Unmoeglichkeit
einer Metaphysik ueberhaupt und die Bestimmung sowohl der Quellen, als
des Umfanges und der Grenzen derselben, alles aber aus Prinzipien.
Diesen Weg, den einzigen, der uebrig gelassen war, bin ich nun
eingeschlagen und schmeichle mir, auf demselben die Abstellung
aller Irrungen angetroffen zu haben, die bisher die Vernunft im
erfahrungsfreien Gebrauche mit sich selbst entzweit hatten. Ich bin
ihren Fragen nicht dadurch etwa ausgewichen, dass ich mich mit dem
Unvermoegen der menschlichen Vernunft entschuldigte; sondern ich
habe sie nach Prinzipien vollstaendig spezifiziert und, nachdem ich
den Punkt des Missverstandes der Vernunft mit ihr selbst entdeckt
hatte, sie zu ihrer voelligen Befriedigung aufgeloest. Zwar ist die
Beantwortung jener Fragen gar nicht so ausgefallen, als dogmatisch
schwaermende Wissbegierde erwarten mochte; denn die koennte nicht
anders als durch Zauberkraefte, darauf ich mich nicht verstehe,
befriedigt werden. Allein, das war auch wohl nicht die Absicht der
Naturbestimmung unserer Vernunft; und die Pflicht der Philosophie war:
das Blendwerk, das aus Missdeutung entsprang, aufzuheben, sollte auch
noch soviel gepriesener und beliebter Wahn dabei zu nichte gehen. In
dieser Beschaeftigung habe ich Ausfuehrlichkeit mein grosses Augenmerk
sein lassen und ich erkuehne mich zu sagen, dass nicht eine einzige
metaphysische Aufgabe sein muesse, die hier nicht aufgeloest, oder zu
deren Aufloesung nicht wenigstens der Schluessel dargereicht worden.
In der Tat ist auch reine Vernunft eine so vollkommene Einheit: dass,
wenn das Prinzip derselben auch nur zu einer einzigen aller der
Fragen, die ihr durch ihre eigene Natur aufgegeben sind, unzureichend
waere, man dieses immerhin nur wegwerfen koennte, weil es alsdann auch
keiner der uebrigen mit voelliger Zuverlaessigkeit gewachsen sein
wuerde.
Ich glaube, indem ich dieses sage, in dem Gesichte des Lesers einen
mit Verachtung gemischten Unwillen ueber, dem Anscheine nach, so
ruhmredige und unbescheidene Ansprueche wahrzunehmen, und gleichwohl
sind sie ohne Vergleichung gemaessigter, als die, eines jeden
Verfassers des gemeinsten Programms, der darin etwa die einfache
Natur der Seele, oder die Notwendigkeit eines ersten Weltanfanges zu
beweisen vorgibt. Denn dieser macht sich anheischig, die menschliche
Erkenntnis ueber alle Grenzen moeglicher Erfahrung hinaus zu
erweitern, wovon ich demuetig gestehe: dass dieses mein Vermoegen
gaenzlich uebersteige, an dessen Statt ich es lediglich mit der
Vernunft selbst und ihrem reinen Denken zu tun habe, nach deren
ausfuehrlicher Kenntnis ich nicht weit um mich suchen darf, weil ich
sie in mir selbst antreffe und wovon mir auch schon die gemeine Logik
ein Beispiel gibt, dass sich alle ihre einfachen Handlungen voellig
und systematisch aufzaehlen lassen; nur dass hier die Frage
aufgeworfen wird, wieviel ich mit derselben, wenn mir aller Stoff und
Beistand der Erfahrung genommen wird, etwa auszurichten hoffen duerfe.
So viel von der Vollstaendigkeit in Erreichung eines jeden, und der
Ausfuehrlichkeit in Erreichung aller Zwecke zusammen, die nicht ein
beliebiger Vorsatz, sondern die Natur der Erkenntnis selbst uns
aufgibt, als der Materie unserer kritischen Untersuchung.
Noch sind Gewissheit und Deutlichkeit zwei Stuecke, die die Form
derselben betreffen, als wesentliche Forderungen anzusehen, die man an
den Verfasser, der sich an eine so schluepfrige Unternehmung wagt, mit
Recht tun kann.
Was nun die Gewissheit betrifft, so habe ich mir selbst das Urteil
gesprochen: dass es in dieser Art von Betrachtungen auf keine Weise
erlaubt sei, zu meinen und dass alles, was darin einer Hypothese nur
aehnlich sieht, verbotene Ware sei, die auch nicht fuer den geringsten
Preis feil stehen darf, sondern sobald sie entdeckt wird, beschlagen
werden muss. Denn das kuendigt eine jede Erkenntnis, die a priori
feststehen soll, selbst an, dass sie fuer schlechthin notwendig
gehalten werden will, und eine Bestimmung aller reinen Erkenntnisse a
priori noch vielmehr, die das Richtmass, mithin selbst das Beispiel
aller apodiktischen (philosophischen) Gewissheit sein soll. Ob ich nun
das, wozu ich mich anheischig mache in diesem Stuecke geleistet habe,
das bleibt gaenzlich dem Urteile des Lesers anheimgestellt, weil es
dem Verfasser nur geziemt, Gruende vorzulegen, nicht aber ueber die
Wirkung derselben bei seinen Richtern zu urteilen. Damit aber nicht
etwas unschuldigerweise an der Schwaechung derselben Ursache sei,
so mag es ihm wohl erlaubt sein, diejenigen Stellen, die zu einigem
Misstrauen Anlass geben koennten, ob sie gleich nur den Nebenzweck
angehen, selbst anzumerken, um den Einfluss, den auch nur die mindeste
Bedenklichkeit des Lesers in diesem Punkte auf sein Urteil, in
Ansehung des Hauptzwecks, haben moechte, beizeiten abzuhalten.
Ich kenne keine Untersuchungen, die zur Ergruendung des Vermoegens,
welches wir Verstand nennen, und zugleich zur Bestimmung der Regeln
und Grenzen seines Gebrauchs, wichtiger waeren, als die, welche ich
in dem zweiten Hauptstuecke der transszendentalen Analytik, unter dem
Titel der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, angestellt habe;
auch haben sie mir die meiste, aber, wie ich hoffe, nicht unvergoltene
Muehe, gekostet. Diese Betrachtung, die etwas tief angelegt ist, hat
aber zwei Seiten. Die eine bezieht sich auf die Gegenstaende des
reinen Verstandes, und soll die objektive Gueltigkeit seiner Begriffe
a priori dartun und begreiflich machen; eben darum ist sie auch
wesentlich zu meinen Zwecken gehoerig. Die andere geht darauf
aus, den reinen Verstand selbst, nach seiner Moeglichkeit und den
Erkenntniskraeften, auf denen er selbst beruht, mithin ihn in
subjektiver Beziehung zu betrachten und, obgleich diese Eroerterung in
Ansehung meiner Hauptzwecks von grosser Wichtigkeit ist, so gehoert
sie doch nicht wesentlich zu demselben; weil die Hauptfrage immer
bleibt, was und wie viel kann Verstand und Vernunft, frei von aller
Erfahrung, erkennen und nicht, wie ist das Vermoegen zu denken selbst
moeglich? Da das letztere gleichsam eine Aufsuchung der Ursache zu
einer gegebenen Wirkung ist, und insofern etwas einer Hypothese
Aehnliches an sich hat, (ob es gleich, wie ich bei anderer Gelegenheit
zeigen werde, sich in der Tat nicht so verhaelt), so scheint es, als
sei hier der Fall, da ich mir die Erlaubnis nehme, zu meinen, und
dem Leser also auch freistehen muesse, anders zu meinen. In Betracht
dessen muss ich dem Leser mit der Erinnerung zuvorkommen; dass, im
Fall meine subjektive Deduktion nicht die ganze Ueberzeugung, die
ich erwarte, bei ihm gewirkt haette, doch die objektive, um die es
mir hier vornehmlich zu tun ist, ihre ganze Staerke bekomme, wozu
allenfalls dasjenige, was Seite 92 bis 93 gesagt wird, allein
hinreichend, sein kann.
Was endlich die Deutlichkeit betrifft, so hat der Leser ein Recht,
zuerst die diskursive (logische) Deutlichkeit, durch Begriffe,
dann aber auch eine intuitive (aesthetische) Deutlichkeit, durch
Anschauungen, d.i. Beispiele oder andere Erlaeuterungen in concreto zu
fordern. Fuer die erste habe ich hinreichend gesorgt. Das betraf das
Wesen meines Vorhabens, war aber auch die zufaellige Ursache, dass ich
der zweiten, obzwar nicht so strengen, aber doch billigen Forderung
nicht habe Genuege leisten koennen. Ich bin fast bestaendig im
Fortgange meiner Arbeit unschluessig gewesen, wie ich es hiermit
halten sollte. Beispiele und Erlaeuterungen schienen mir immer noetig
und flossen daher auch wirklich im ersten Entwurfe an ihren Stellen
gehoerig ein. Ich sah aber die Groesse meiner Aufgabe und die Menge
der Gegenstaende, womit ich es zu tun haben wuerde, gar bald ein
und, da ich gewahr ward, dass diese ganz allein, im trockenen, bloss
scholastischen Vortrage, das Werk schon genug ausdehnen wuerden, so
fand ich es unratsam, es durch Beispiele und Erlaeuterungen, die
nur in populaerer Absicht notwendig sind, noch mehr anzuschwellen,
zumal diese Arbeit keineswegs dem populaeren Gebrauche angemessen
werden koennte und die eigentlichen Kenner der Wissenschaft diese
Erleichterung nicht so noetig haben, ob sie zwar jederzeit angenehm
ist, hier aber sogar etwas Zweckwidriges nach sich ziehen konnte. Abt
Terrasson sagt zwar: wenn man die Groesse eines Buchs nicht nach der
Zahl der Blaetter, sondern nach der Zeit misst, die man noetig hat,
es zu verstehen, so koenne man von manchem Buche sagen: dass es viel
kuerzer sein wuerde, wenn es nicht so kurz waere. Andererseits aber,
wenn man auf die Fasslichkeit eines weitlaeufigen, dennoch aber in
einem Prinzip zusammenhaengenden Ganzen spekulativer Erkenntnis seine
Absicht richtet, koennte man mit eben so gutem Rechte sagen: manches
Buch waere viel deutlicher geworden, wenn es nicht so gar deutlich
haette werden sollen. Denn die Huelfsmittel der Deutlichkeit fehlen
zwar in Teilen, zerstreuen aber oefters im Ganzen, indem sie den Leser
nicht schnell genug zur Ueberschauung des Ganzen gelangen lassen und
durch alle ihre hellen Farben gleichwohl die Artikulation, oder den
Gliederbau des Systems verkleben und unkenntlich machen, auf den es
doch, um ueber die Einheit und Tuechtigkeit desselben urteilen zu
koennen, am meisten ankommt.
Es kann, wie mich duenkt, dem Leser zu nicht geringer Anlockung
dienen, seine Bemuehung mit der des Verfassers, zu vereinigen, wenn er
die Aussicht hat, ein grosses und wichtiges Werk, nach dem vorgelegten
Entwurfe, ganz und doch dauerhaft zu vollfuehren. Nun ist Metaphysik,
nach den Begriffen, die wir hier davon geben werden, die einzige aller
Wissenschaften, die sich eine solche Vollendung und zwar in kurzer
Zeit, und mit nur weniger, aber vereinigter Bemuehung, versprechen
darf, so dass nichts fuer die Nachkommenschaft uebrig bleibt, als in
der didaktischen Manier alles nach ihren Absichten einzurichten, ohne
darum den Inhalt im mindesten vermehren zu koennen. Denn es ist nichts
als das Inventarium aller unserer Besitze durch reine Vernunft,
systematisch geordnet. Es kann uns hier nichts entgehen, weil, was
Vernunft gaenzlich aus sich selbst hervorbringt, sich nicht verstecken
kann, sondern selbst durch Vernunft ans Licht gebracht wird, sobald
man nur das gemeinschaftliche Prinzip desselben entdeckt hat. Die
vollkommene Einheit dieser Art Erkenntnisse, und zwar aus lauter
reinen Begriffen, ohne dass irgend etwas von Erfahrung, oder auch nur
besondere Anschauung, die zur bestimmten Erfahrung leiten sollte, auf
sie einigen Einfluss haben kann, sie zu erweitern und zu vermehren,
machen diese unbedingte Vollstaendigkeit nicht allein tunlich, sondern
auch notwendig. Tecum habita et noris, quam sit tibi curta supellex
1). Persius.
1. "Sieh dich in deiner eigenen Behausung um, und du wirst erkennen,
   wie einfach deine Ausstattung ist".
Ein solches System der reinen (spekulativen) Vernunft hoffe ich unter
dem Titel: Metaphysik der Natur, selbst zu liefern, welches, bei noch
nicht der Haelfte der Weitlaeufigkeit, dennoch ungleich reicheren
Inhalt haben soll, als hier die Kritik, die zuvoerderst die Qellen
und Bedingungen ihrer Moeglichkeit darlegen musste, und einen ganz
verwachsenen Boden zu reinigen und zu ebnen noetig hatte. Hier erwarte
ich an meinem Leser die Geduld und Unparteilichkeit eines Richters,
dort aber die Willfaehigkeit und den Beistand eines Mithelfers; denn,
so vollstaendig auch alle Prinzipien zu dem System in der Kritik
vorgetragen sind, so gehoert zur Ausfuehrlichkeit des Systems selbst
doch noch, dass es auch an keinen abgeleiteten Begriffen mangle, die
man a priori nicht in Ueberschlag bringen kann, sondern die nach
und nach aufgesucht werden muessen, imgleichen, da dort die ganze
Synthesis der Begriffe erschoepft wurde, so wird ueberdem hier
gefordert, dass eben dasselbe auch in Ansehung der Analysis geschehe,
welches alles leicht und mehr Unterhaltung als Arbeit ist.
Ich habe nur noch einiges in Ansehung des Drucks anzumerken. Da der
Anfang desselben etwas verspaetet war, so konnte ich nur etwa die
Haelfte der Aushaengebogen zu sehen bekommen, in denen ich zwar
einige, den Sinn aber nicht verwirrende Druckfehler antreffe, ausser
demjenigen, der S. 379, Zeile 4 von unten vorkommt, da spezifisch
anstatt skeptisch gelesen werden muss. Die Antinomie der reinen
Vernunft, von Seite 425 bis 461, ist so, nach Art einer Tafel,
angestellt, dass alles, was zur Thesis gehoert, auf der linken, was
aber zur Antithesis gehoert, auf der rechten Seite immer fortlaeuft,
welches ich darum so anordnete, damit Satz und Gegensatz desto
leichter miteinander verglichen werden koennte.
Inhalt
Einleitung
I. Transzendentale Elementarlehre
    Erster Teil. Transzendentale Aesthetik
        1. Abschnitt. Vom Raume
        2. Abschnitt. Von der Zeit
    Zweiter Teil. Transzendentale Logik
        1. Abteilung. Transzendentale Analytik in zwei Buechern
           und deren verschiedenen Hauptstuecken und Abschnitten
        2. Abteilung. Transzendentale Dialektik in zwei Buechern
           und deren verschiedenen Hauptstuecken und Abschnitten
II. Transzendentale Methodenlehre
    1. Hauptstueck. Die Disziplin der reinen Vernunft
    2. Hauptstueck. Der Kanon der reinen Vernunft.
    3. Hauptstueck. Die Architektonik der reinen Vernunft
    4. Hauptstueck. Die Geschichte der reinen Vernunft
Einleitung
I. Idee der Transzendental-Philosophie
Erfahrung ist ohne Zweifel das erste Produkt, welches unser Verstand
hervorbringt, indem er den rohen Stoff sinnlicher Empfindungen
bearbeitet. Sie ist eben dadurch die erste Belehrung und im Fortgange
so unerschoepflich an neuem Unterricht, dass das zusammengekettete
Leben aller kuenftigen Zeugungen an neuen Kenntnissen, die auf diesem
Boden gesammelt werden koennen, niemals Mangel haben wird. Gleichwohl
ist sie bei weitem nicht das einzige Feld, darin sich unser Verstand
einschraenken laesst. Sie sagt uns zwar, was da sei, aber nicht, dass
es notwendigerweise, so und nicht anders, sein muesse. Eben darum gibt
sie uns auch keine wahre Allgemeinheit, und die Vernunft, welche nach
dieser Art von Erkenntnissen so begierig ist, wird durch sie mehr
gereizt, als befriedigt. Solche allgemeine Erkenntnisse nun, die
zugleich den Charakter der innern Notwendigkeit haben, muessen, von
der Erfahrung unabhaengig, vor sich selbst klar und gewiss sein;
man nennt sie daher Erkenntnisse a priori: da im Gegenteil das, was
lediglich von der Erfahrung erborgt ist, wie man sich ausdrueckt, nur
a posteriori, oder empirisch erkannt wird.
Nun zeigt es sich, welches ueberaus merkwuerdig ist, dass selbst unter
unsere Erfahrungen sich Erkenntnisse mengen, die ihren Ursprung a
priori haben muessen und die vielleicht nur dazu dienen, um unsern
Vorstellungen der Sinne Zusammenhang zu verschaffen. Denn wenn man
aus den ersteren auch alles wegschafft, was den Sinnen angehoert,
so bleiben dennoch gewisse urspruengliche Begriffe und aus ihnen
erzeugte Urteile uebrig, die gaenzlich a priori, unabhaengig von der
Erfahrung entstanden sein muessen, weil sie machen, dass man von den
Gegenstaenden, die den Sinnen erscheinen, mehr sagen kann, wenigstens
es sagen zu koennen glaubt, als blosse Erfahrung lehren wuerde, und
dass Behauptungen wahre Allgemeinheit und strenge Notwendigkeit
enthalten, dergleichen die bloss empirische Erkenntnis nicht liefern
kann.
Was aber noch weit mehr sagen will ist dieses, dass gewisse
Erkenntnisse sogar das Feld aller moeglichen Erfahrungen verlassen,
und durch Begriffe, denen ueberall kein entsprechender Gegenstand in
der Erfahrung gegeben werden kann, den Umfang unserer Urteile ueber
alle Grenzen derselben zu erweitern den Anschein haben.
Und gerade in diesen letzteren Erkenntnissen, welche ueber die
Sinnenwelt hinausgehen, wo Erfahrung gar keinen Leitfaden noch
Berichtigung geben kann, liegen die Nachforschungen unserer Vernunft
die wir der Wichtigkeit nach fuer weit vorzueglicher, und ihre
Endabsicht fuer viel erhabener halten, als alles, was der Verstand im
Felde der Erscheinungen lernen kann, wobei wir, sogar auf die Gefahr
zu irren, eher alles wagen, als dass wir so angelegene Untersuchungen
aus irgendeinem Grunde der Bedenklichkeit, oder aus Geringschaetzung
und Gleichgueltigkeit aufgeben sollten.
Nun scheint es zwar natuerlich, dass, sobald man den Boden der
Erfahrung verlassen hat, man doch nicht mit Erkenntnissen, die man
besitzt, ohne zu wissen woher, und auf den Kredit der Grundsaetze,
deren Ursprung man nicht kennt, sofort ein Gebaeude errichten werde,
ohne der Grundlegung desselben durch sorgfaeltige Untersuchungen
vorher versichert zu sein, dass man also die Frage vorlaengst werde
aufgeworfen haben, wie denn der Verstand zu allen diesen Erkenntnissen
a priori kommen koenne, und welchen Umfang, Gueltigkeit und Wert
sie haben moegen. In der Tat ist auch nichts natuerlicher, wenn man
unter diesem Wort das versteht, was billiger- und vernuenftigerweise
geschehen sollte; versteht man aber darunter das, was
gewoehnlichermassen geschieht, so ist hinwiederum nichts natuerlicher
und begreiflicher, als dass diese Untersuchung lange Zeit unterbleiben
musste. Denn ein Teil dieser Erkenntnisse, die mathematischen, ist im
alten Besitze der Zuverlaessigkeit, und gibt dadurch eine guenstige
Erwartung auch fuer andere, ob diese gleich von ganz verschiedener
Natur sein moegen. Ueberdem, wenn man ueber den Kreis der Erfahrung
hinaus ist, so ist man sicher, durch Erfahrung nicht widersprochen zu
werden. Der Reiz, seine Erkenntnisse zu erweitern, ist so gross, dass
man nur durch einen klaren Widerspruch, auf den man stoesst, in seinem
Fortschritte aufgehalten werden kann. Dieser aber kann vermieden
werden, wenn man seine Erdichtungen behutsam macht, ohne dass sie
deswegen weniger Erdichtungen bleiben. Die Mathematik gibt uns ein
glaenzendes Beispiel, wie weit wir es unabhaengig von der Erfahrung
in der Erkenntnis a priori bringen koennen. Nun beschaeftigt sie sich
zwar mit Gegenstaenden und Erkenntnissen, bloss so weit als sich
solche in der Anschauung darstellen lassen. Aber dieser Umstand
wird leicht uebersehen, weil gedachte Anschauung selbst a priori
gegeben werden kann, mithin von einem blossen reinen Begriff kaum
unterschieden wird. Durch einen solchen Beweis von der Macht der
Vernunft aufgemuntert, sieht der Trieb zur Erweiterung keine Grenzen.
Die leichte Taube, indem sie im freien Fluge die Luft teilt, deren
Widerstand sie fuehlt, koennte die Vorstellung fassen, dass es ihr im
luftleeren Raum noch viel besser gelingen werde. Ebenso verliess Plato
die Sinnenwelt, weil sie dem Verstande so vielfaeltige Hindernisse
legt, und wagte sich jenseit derselben auf den Fluegeln der Ideen,
in den leeren Raum des reinen Verstandes. Er bemerkte nicht, dass er
durch seine Bemuehungen keinen Weg gewoenne, denn er hatte keinen
Widerhalt, gleichsam zur Unterlage, worauf er sich steifen, und woran
er seine Kraefte anwenden konnte, um den Verstand von der Stelle zu
bringen. Es ist aber ein gewoehnliches Schicksal der menschlichen
Vernunft in der Spekulation ihr Gebaeude so frueh, wie moeglich,
fertigzumachen, und hintennach allererst zu untersuchen, ob auch
der Grund dazu gut gelegt sei. Alsdann aber werden allerlei
Beschoenigungen herbeigesucht, um uns wegen dessen Tuechtigkeit
zu troesten, oder eine solche spaete und gefaehrliche Pruefung
abzuweisen. Was uns aber waehrend dem Bauen von aller Besorgnis und
Verdacht freihaelt, und mit scheinbarer Gruendlichkeit schmeichelt,
ist dieses. Ein grosser Teil, und vielleicht der groesste, von dem
Geschaefte unserer Vernunft besteht in Zergliederungen der Begriffe,
die wir schon von Gegenstaenden haben. Dieses liefert uns eine Menge
von Erkenntnissen, die, ob sie gleich nichts weiter als Aufklaerungen
oder Erlaeuterungen desjenigen sind, was in unsern Begriffen, (wiewohl
noch auf verworrene Art) schon gedacht worden, doch wenigstens der
Form nach neuen Einsichten gleich geschaetzt werden, wiewohl sie der
Materie oder dem Inhalte nach die Begriffe, die wir haben, nicht
erweitern, sondern nur auseinander setzen. Da dieses Verfahren nun
eine wirkliche Erkenntnis a priori gibt, die einen sichern und
nuetzlichen Fortgang hat, so erschleicht die Vernunft, ohne es selbst
zu merken, unter dieser Vorspiegelung Behauptungen von ganz anderer
Art, wo die Vernunft zu gegebenen Begriffen a priori ganz fremde
hinzutut, ohne dass man weiss, wie sie dazu gelangen und ohne sich
diese Frage auch nur in die Gedanken kommen zu lassen. Ich will daher
gleich anfangs von dem Unterschiede dieser zweifachen Erkenntnisart
handeln.
Von dem Unterschiede analytischer und synthetischer Urteile
In allen Urteilen, worinnen das Verhaeltnis eines Subjekts zum
Praedikat gedacht wird, (wenn ich nur die bejahenden erwaege: denn auf
die verneinenden ist die Anwendung leicht) ist dieses Verhaeltnis auf
zweierlei Art moeglich. Entweder das Praedikat B gehoert zum Subjekt A
als etwas, was in diesem Begriffe A (versteckterweise) enthalten ist;
oder B liegt ganz ausser dem Begriff A, ob es zwar mit demselben in
Verknuepfung steht. Im ersten Fall nenne ich das Urteil analytisch,
im andern synthetisch. Analytische Urteile (die bejahenden) sind also
diejenigen, in welchen die Verknuepfung des Praedikats mit dem Subjekt
durch Identitaet, diejenigen aber, in denen diese Verknuepfung
ohne Identitaet gedacht wird, sollen synthetische Urteile heissen.
Die ersteren koennte man auch Erlaeuterungs-, die anderen
Erweiterungs-Urteile heissen, weil jene durch das Praedikat nichts zum
Begriff des Subjekts hinzutun, sondern diesen nur durch Zergliederung
in seine Teilbegriffe zerfaellen, die in selbigen schon, (obschon
verworren) gedacht waren: dahingegen die letzteren zu dem Begriffe des
Subjekts ein Praedikat hinzutun, welches in jenem gar nicht gedacht
war, und durch keine Zergliederung desselben haette koennen
herausgezogen werden, z.B. wenn ich sage: alle Koerper sind
ausgedehnt, so ist dies ein analytisch Urteil. Denn ich darf nicht
aus dem Begriffe, den ich mit dem Wort Koerper verbinde, hinausgehen,
um die Ausdehnung als mit demselben verknuepft zu finden, sondern
jenen Begriff nur zergliedern, d.i. des Mannigfaltigen, welches ich
jederzeit in ihm denke, nur bewusst werden, um dieses Praedikat darin
anzutreffen; es ist also ein analytisches Urteil. Dagegen, wenn ich
sage: alle Koerper sind schwer, so ist das Praedikat etwas ganz
anderes, als das, was ich in dem blossen Begriff eines Koerpers
ueberhaupt denke. Die Hinzufuegung eines solchen Praedikats gibt also
ein synthetisch Urteil.
Nun ist hieraus klar: 1. dass durch analytische Urteile unsere
Erkenntnis gar nicht erweitert werde, sondern der Begriff, den ich
schon habe, auseinandergesetzt, und mir selbst verstaendlich gemacht
werde; 2. dass bei synthetischen Urteilen ich ausser dem Begriffe des
Subjekts noch etwas anderes (X) haben muesse, worauf sich der Verstand
stuetzt, um ein Praedikat, das in jenem Begriffe nicht liegt, doch als
dazu gehoerig zu erkennen.
Bei empirischen oder Erfahrungsurteilen hat es hiermit gar keine
Schwierigkeit. Denn dieses X ist die vollstaendige Erfahrung von dem
Gegenstande, den ich durch einen Begriff A denke, welcher nur einen
Teil dieser Erfahrung ausmacht. Denn ob ich schon in dem Begriff eines
Koerpers ueberhaupt das Praedikat der Schwere gar nicht einschliesse,
so bezeichnet er doch die vollstaendige Erfahrung durch einen Teil
derselben, zu welchem also ich noch andere Teile eben derselben
Erfahrung, als zu dem ersteren gehoerig, hinzufuegen kann. Ich kann
den Begriff des Koerpers vorher analytisch durch die Merkmale der
Ausdehnung, der Undurchdringlichkeit, der Gestalt usw., die alle in
diesem Begriff gedacht werden, erkennen. Nun erweitere ich aber meine
Erkenntnis, und, indem ich auf die Erfahrung zuruecksehe, von welcher
ich diesen Begriff des Koerpers abgezogen hatte, so finde ich mit
obigen Merkmalen auch die Schwere jederzeit verknuepft. Es ist also
die Erfahrung jenes X, was ausser dem Begriffe A liegt, und worauf
sich die Moeglichkeit der Synthesis des Praedikats der Schwere B mit
dem Begriffe A gruendet.
Aber bei synthetischen Urteilen a priori fehlt dieses Hilfsmittel ganz
und gar. Wenn ich ausser dem Begriffe A hinausgehen soll, um einen
andern B, als damit verbunden zu erkennen, was ist das, worauf ich
mich stuetze, und wodurch die Synthesis moeglich wird, da ich hier
den Vorteil nicht habe, mich im Felde der Erfahrung danach umzusehen?
Man nehme den Satz: Alles, was geschieht, hat seine Ursache. In dem
Begriff von etwas, das geschieht, denke ich zwar ein Dasein, vor
welchem eine Zeit vorhergeht usw. und daraus lassen sich analytische
Urteile ziehen. Aber der Begriff einer Ursache zeigt etwas von
dem, was geschieht, Verschiedenes an, und ist in dieser letzteren
Vorstellung gar nicht mit enthalten. Wie komme ich denn dazu, von dem,
was ueberhaupt geschieht, etwas davon ganz Verschiedenes zu sagen, und
den Begriff der Ursachen, obzwar in jenen nicht enthalten, dennoch,
als dazu gehoerig, zu erkennen. Was ist hier das X, worauf sich der
Verstand stuetzt, wenn er ausser dem Begriff von A ein demselben
fremdes Praedikat aufzufinden glaubt, das gleichwohl damit verknuepft
sei. Erfahrung kann es nicht sein, weil der angefuehrte Grundsatz
nicht allein mit groesserer Allgemeinheit, als die Erfahrung
verschaffen kann, sondern auch mit dem Ausdruck der Notwendigkeit,
mithin gaenzlich a priori und aus blossen Begriffen diese zweite
Vorstellungen zu der ersteren hinzufuegt. Nun beruht auf solchen
synthetischen d.i. Erweiterungs-Grundsaetzen die ganze Endabsicht
unserer spekulativen Erkenntnis a priori; denn die analytischen
sind zwar hoechst wichtig und noetig, aber nur um zu derjenigen
Deutlichkeit der Begriffe zu gelangen, die zu einer sicheren und
ausgebreiteten Synthesis, als zu einem wirklich neuen Anbau,
erforderlich ist.
Es liegt also hier ein gewisses Geheimnis verborgen*, dessen
Aufschluss allein den Fortschritt in dem grenzenlosen Felde der reinen
Verstandeserkenntnis sicher und zuverlaessig machen kann: naemlich
mit gehoeriger Allgemeinheit den Grund der Moeglichkeit synthetischer
Urteile a priori aufzudecken, die Bedingungen, die eine jede Art
derselben moeglich machen, einzusehen, und diese ganze Erkenntnis
(die ihre eigene Gattung ausmacht) in einem System nach ihren
urspruenglichen Quellen, Abteilungen, Umfang und Grenzen, nicht durch
einen fluechtigen Umkreis zu bezeichnen, sondern vollstaendig und zu
jedem Gebrauch hinreichend zu bestimmen. Soviel vorlaeufig von dem
Eigentuemlichen, was die synthetischen Urteile an sich haben.
* Waere es einem von den Alten eingefallen, auch nur diese Frage
  aufzuwerfen, so wuerde diese allein allen Systemen der reinen
  Vernunft bis auf unsere Zeit maechtig widerstanden haben, und haette
  so viele eitele Versuche erspart, die, ohne zu wissen, womit man
  eigentlich zu tun hat, blindlings unternommen worden.
Aus diesem allen ergibt sich nun die Idee einer besondern
Wissenschaft, die zur Kritik der reinen Vernunft dienen koenne.
Es heisst aber jede Erkenntnis rein, die mit nichts Fremdartigen
vermischt ist. Besonders aber wird eine Erkenntnis schlechthin rein
genannt, in die sich ueberhaupt keine Erfahrung oder Empfindung
einmischt, welche mithin voellig a priori moeglich ist. Nun ist
Vernunft das Vermoegen, welches die Prinzipien der Erkenntnis a priori
an die Hand gibt. Daher ist reine Vernunft diejenige, welche die
Prinzipien etwas schlechthin a priori zu erkennen, enthaelt. Ein
Organon der reinen Vernunft wuerde ein Inbegriff derjenigen Prinzipien
sein, nach denen alle reinen Erkenntnisse a priori koennen erworben
und wirklich zustande gebracht werden. Die ausfuehrliche Anwendung
eines solchen Organon wuerde ein System der reinen Vernunft
verschaffen. Da dieses aber sehr viel verlangt ist, und es noch dahin
steht, ob auch ueberhaupt eine solche Erweiterung unserer Erkenntnis,
und in welchen Faellen sie moeglich sei; so koennen wir eine
Wissenschaft der blossen Beurteilung der reinen Vernunft, ihrer
Quellen und Grenzen, als die Propaedeutik zum System der reinen
Vernunft ansehen. Eine solche wuerde nicht eine Doktrin, sondern nur
Kritik der reinen Vernunft heissen muessen, und ihr Nutzen wuerde
wirklich nur negativ sein, nicht zur Erweiterung, sondern nur zur
Laeuterung unserer Vernunft dienen, und sie von Irrtuemern frei
halten, welches schon sehr viel gewonnen ist. Ich nenne alle
Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenstaenden,
sondern mit unsern Begriffen a priori von Gegenstaenden
ueberhaupt beschaeftigt. Ein System solcher Begriffe wuerde
Transzendental-Philosophie heissen. Diese ist aber wiederum fuer
den Anfang zu viel. Denn weil eine solche Wissenschaft sowohl die
analytische Erkenntnis, als die synthetische a priori vollstaendig
enthalten muesste, so ist sie, insofern es unsere Absicht betrifft,
von zu weitem Umfange, indem wir die Analysis nur so weit treiben
duerfen, als sie unentbehrlich noetig ist, um die Prinzipien der
Synthesis a priori, als warum es uns nur zu tun ist, in ihrem ganzen
Umfange einzusehen. Diese Untersuchung, die wir eigentlich nicht
Doktrin, sondern nur transzendentale Kritik nennen koennen, weil
sie nicht die Erweiterung der Erkenntnisse selbst, sondern nur die
Berichtigung derselben zur Absicht hat, und den Probierstein des Werts
oder Unwerts aller Erkenntnisse a priori abgeben soll, ist das, womit
wir uns jetzt beschaeftigen. Eine solche Kritik ist demnach eine
Vorbereitung, wo moeglich, zu einem Organon, und, wenn dieses nicht
gelingen sollte, wenigstens zu einem Kanon derselben, nach welchen
allenfalls dereinst das vollstaendige System der Philosophie der
reinen Vernunft, es mag nun in Erweiterung oder blosser Begrenzung
ihrer Erkenntnis bestehen, sowohl analytisch, als synthetisch
dargestellt werden koennte. Denn dass dieses moeglich sei, ja dass
ein solches System von nicht gar grossem Umfange sein koenne, um zu
hoffen, es ganz zu vollenden, laesst sich schon zum voraus daraus
ermessen, dass hier nicht die Natur der Dinge, welche unerschoepflich
ist, sondern der Verstand, der ueber die Natur der Dinge urteilt, und
auch dieser wiederum nur in Ansehung seiner Erkenntnis a priori den
Gegenstand ausmacht, dessen Vorrat, weil wir ihn doch nicht auswaertig
suchen duerfen, uns nicht verborgen bleiben kann, und allem Vermuten
nach klein genug ist, um vollstaendig aufgenommen, nach seinem Werte
oder Unwerte beurteilt und unter richtige Schaetzung gebracht zu
werden.
II. Einteilung der Transzendental-Philosophie
Die Transzendental-Philosophie ist hier nur eine Idee, wozu die
Kritik der reinen Vernunft den ganzen Plan architektonisch, d.i.
aus Prinzipien entwerfen soll, mit voelliger Gewaehrleistung
der Vollstaendigkeit und Sicherheit aller Stuecke, die dieses
Gebaeude ausmacht. Dass diese Kritik nicht schon selbst
Transzendental-Philosophie heisst, beruht lediglich darauf, dass sie,
um ein vollstaendiges System zu sein, auch eine ausfuehrliche Analysis
der ganzen menschlichen Erkenntnis a priori enthalten muesste. Nun
muss zwar unsere Kritik allerdings auch eine vollstaendige Herzaehlung
aller Stammbegriffe, welche die gedachte reine Erkenntnis ausmachen,
vor Augen legen. Allein der ausfuehrlichen Analysis dieser Begriffe
selbst, wie auch der vollstaendigen Rezension der daraus abgeleiteten,
enthaelt sie sich billig, teils weil diese Zergliederung nicht
zweckmaessig waere, indem sie die Bedenklichkeit nicht hat, welche bei
der Synthesis angetroffen wird, um deren willen eigentlich die ganze
Kritik da ist, teils, weil es der Einheit des Planes zuwider waere,
sich mit der Verantwortung der Vollstaendigkeit einer solchen Analysis
und Ableitung zu befassen, deren man in Ansehung seiner Absicht doch
ueberhoben sein konnte. Diese Vollstaendigkeit der Zergliederung
sowohl, als der Ableitung aus den kuenftig zu liefernden Begriffen a
priori, ist indessen leicht zu ergaenzen, wenn sie nur allererst als
ausfuehrliche Prinzipien der Synthesis da sind, und ihnen in Ansehung
dieser wesentlichen Absicht nichts ermangelt.
Zur Kritik der reinen Vernunft gehoert demnach alles, was die
Transzendental-Philosophie ausmacht, und sie ist die vollstaendige
Idee der Transzendental-Philosophie, aber diese Wissenschaft noch
nicht selbst, weil sie in der Analysis nur so weit geht, als es zur
vollstaendigen Beurteilung der synthetischen Erkenntnis a priori
erforderlich ist.
Das vornehmste Augenmerk bei der Einteilung einer solchen Wissenschaft
ist: dass gar keine Begriffe hineinkommen muessen, die irgend etwas
Empirisches in sich enthalten, oder dass die Erkenntnis a priori
voellig rein sei. Daher, obzwar die obersten Grundsaetze der
Moralitaet, und die Grundbegriffe derselben, Erkenntnisse a priori
sind, so gehoeren sie doch nicht in die Transzendental-Philosophie,
weil die Begriffe der Lust und Unlust, der Begierden und
Neigungen, der Willkuer usw., die insgesamt empirischen Ursprunges
sind, dabei vorausgesetzt werden muessten. Daher ist die
Transzendental-Philosophie eine Weltweisheit der reinen bloss
spekulativen Vernunft. Denn alles Praktische, sofern es
Bewegungsgruende enthaelt, bezieht sich auf Gefuehle, welche zu
empirischen Erkenntnisquellen gehoeren.
Wenn man nun die Einteilung dieser Wissenschaft aus dem allgemeinen
Gesichtspunkte eines Systems ueberhaupt anstellen will, so muss die,
welche wir jetzt vortragen, erstlich eine Elementar-Lehre, zweitens
eine Methoden-Lehre der reinen Vernunft enthalten. Jeder dieser
Hauptteile wuerde seine Unterabteilung haben, deren Gruende sich
gleichwohl hier noch nicht vortragen lassen. Nur so viel scheint zur
Einleitung oder Vorerinnerung noetig zu sein, dass es zwei Staemme
der menschlichen Erkenntnis gebe, die vielleicht aus einer
gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel entspringen, naemlich,
Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Gegenstaende
gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden. Sofern nun die
Sinnlichkeit Vorstellungen a priori enthalten sollte, welche die
Bedingungen ausmachen, unter der uns Gegenstaende gegeben werden,
so wuerde sie zur Transzendental-Philosophie gehoeren. Die
transzendentale Sinnenlehre wuerde zum ersten Teile der
Elementarwissenschaft gehoeren muessen, weil die Bedingungen, worunter
allein die Gegenstaende der menschlichen Erkenntnis gegeben werden,
denjenigen vorgehen, unter welchen selbige gedacht werden.
Kritik der reinen Vernunft
I. Transzendentale Elementarlehre
Der transzendentalen Elementarlehre
Erster Teil
Die transzendentale Aesthetik
Auf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer eine Erkenntnis
auf Gegenstaende beziehen mag, es ist doch diejenige, wodurch sie sich
auf dieselbe unmittelbar bezieht, und worauf alles Denken als Mittel
abzweckt, die Anschauung. Diese findet aber nur statt, sofern uns
der Gegenstand gegeben wird; dieses aber ist wiederum nur dadurch
moeglich, dass er das Gemuet auf gewisse Weise affiziere. Die
Faehigkeit (Rezeptivitaet), Vorstellungen durch die Art, wie wir von
Gegenstaenden affiziert werden, zu bekommen, heisst Sinnlichkeit.
Vermittelst der Sinnlichkeit also werden uns Gegenstaende gegeben, und
sie allein liefert uns Anschauungen; durch den Verstand aber werden
sie gedacht, und von ihm entspringen Begriffe. Alles Denken aber
muss sich, es sei geradezu (direkte) oder im Umschweife (indirekte),
zuletzt auf Anschauungen, mithin, bei uns, auf Sinnlichkeit beziehen,
weil uns auf andere Weise kein Gegenstand gegeben werden kann.
Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfaehigkeit,
sofern wir von demselben affiziert werden, ist Empfindung. Diejenige
Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht,
heisst empirisch. Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen
Anschauung heisst Erscheinung.
In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung korrespondiert,
die Materie derselben, dasjenige aber, welches macht, dass das
Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhaeltnissen geordnet,
angeschaut wird, nenne ich die Form der Erscheinung. Da das, worinnen
sich die Empfindungen allein ordnen, und in gewisse Form gestellt
werden koennen, nicht selbst wiederum Empfindung sein kann, so ist
uns zwar die Materie aller Erscheinung nur a posteriori gegeben,
die Form derselben aber muss zu ihnen insgesamt im Gemuete a priori
bereitliegen und daher abgesondert von aller Empfindung koennen
betrachtet werden.
Ich nenne alle Vorstellungen rein (im transzendentalen Verstande), in
denen nichts, was zur Empfindung gehoert, angetroffen wird. Demnach
wird die reine Form sinnlicher Anschauungen ueberhaupt im Gemuete
a priori angetroffen werden, worinnen alles Mannigfaltige der
Erscheinungen in gewissen Verhaeltnissen angeschaut wird. Diese reine
Form der Sinnlichkeit wird auch selber reine Anschauung heissen. So,
wenn ich von der Vorstellung eines Koerpers das, was der Verstand
davon denkt, als Substanz, Kraft, Teilbarkeit usw., imgleichen, was
davon zur Empfindung gehoert, als Undurchdringlichkeit, Haerte, Farbe
usw. absondere, so bleibt mir aus dieser empirischen Anschauung noch
etwas uebrig, naemlich Ausdehnung und Gestalt. Diese gehoeren zur
reinen Anschauung, die a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenstand
der Sinne oder Empfindung, als eine blosse Form der Sinnlichkeit im
Gemuete stattfindet.
Eine Wissenschaft von allen Prinzipien der Sinnlichkeit a priori
nenne ich die transzendentale Aesthetik*. Es muss also eine solche
Wissenschaft geben, die den ersten Teil der transzendentalen
Elementarlehre ausmacht, im Gegensatz mit derjenigen, welche die
Prinzipien des reinen Denkens enthaelt, und transzendentale Logik
genannt wird.
* Die Deutschen sind die einzigen, welche sich jetzt des Worts
  Aesthetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andere Kritik
  des Geschmacks heissen. Es liegt hier eine verfehlte Hoffnung
  zum Grunde, die der vortreffliche Analyst Baumgarten fasste, die
  kritische Beurteilung des Schoenen unter Vernunftprinzipien zu
  bringen, und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben.
  Allein diese Bemuehung ist vergeblich. Denn gedachte Regeln oder
  Kriterien sind ihren Quellen nach bloss empirisch, und koennen
  also niemals zu Gesetzen a priori dienen, wonach sich unser
  Geschmacksurteil richten muesste, vielmehr macht das letztere
  den eigentlichen Probierstein der Richtigkeit der ersteren aus.
  Um deswillen ist es ratsam, diese Benennung wiederum eingehen
  zu lassen, und sie derjenigen Lehre aufzubehalten, die wahre
  Wissenschaft ist, wodurch man auch der Sprache und dem Sinne der
  Alten naeher treten wuerde, bei denen die Einteilung der Erkenntnis
  in aistheta kai noeta sehr beruehmt war.
In der transzendentalen Aesthetik also werden wir zuerst die
Sinnlichkeit isolieren, dadurch, dass wir alles absondern, was der
Verstand durch seine Begriffe dabei denkt, damit nichts als empirische
Anschauung uebrigbleibe. Zweitens werden wir von dieser noch alles,
was zur Empfindung gehoert, abtrennen, damit nichts als reine
Anschauung und die blosse Form der Erscheinungen uebrigbleibe, welches
das einzige ist, das die Sinnlichkeit a priori liefern kann. Bei
dieser Untersuchung wird sich finden, dass es zwei reine Formen
sinnlicher Anschauung, als Prinzipien der Erkenntnis a priori
gebe, naemlich Raum und Zeit, mit deren Erwaegung wir uns jetzt
beschaeftigen werden.
Der transzendentalen Aesthetik
Erster Abschnitt
Von dem Raume
Vermittelst des aeusseren Sinnes, (einer Eigenschaft unseres Gemuets),
stellen wir uns Gegenstaende als ausser uns, und diese insgesamt
im Raume vor. Darinnen ist ihre Gestalt, Groesse und Verhaeltnis
gegeneinander bestimmt, oder bestimmbar. Der innere Sinn, vermittelst
dessen das Gemuet sich selbst, oder seinen inneren Zustand anschaut,
gibt zwar keine Anschauung von der Seele selbst, als einem Objekt;
allein es ist doch eine bestimmte Form, unter der die Anschauung ihres
inneren Zustandes allein moeglich ist, so dass alles, was zu den
inneren Bestimmungen gehoert, in Verhaeltnissen der Zeit vorgestellt
wird. Aeusserlich kann die Zeit nicht angeschaut werden, so wenig
wie der Raum, als etwas in uns. Was sind nun Raum und Zeit? Sind
es wirkliche Wesen? Sind es zwar nur Bestimmungen, oder auch
Verhaeltnisse der Dinge, aber doch solche, welche ihnen auch an sich
zukommen wuerden, wenn sie auch nicht angeschaut wuerden, oder sind
sie solche, die nur an der Form der Anschauung allein haften, und
mithin an der subjektiven Beschaffenheit unseres Gemuets, ohne welche
diese Praedikate gar keinem Dinge beigelegt werden koennen? Um uns
hierueber zu belehren, wollen wir zuerst den Raum betrachten.
1. Der Raum ist kein empirischer Begriff, der von aeusseren
Erfahrungen abgezogen worden. Denn damit gewisse Empfindungen auf
etwas ausser mich bezogen werden, (d.i. auf etwas in einem anderen
Orte des Raumes, als darinnen ich mich befinde), imgleichen damit ich
sie als aussereinander, mithin nicht bloss verschieden, sondern als in
verschiedenen Orten vorstellen koenne, dazu muss die Vorstellung des
Raumes schon zum Grunde liegen. Demnach kann die Vorstellung des
Raumes nicht aus den Verhaeltnissen der aeusseren Erscheinung durch
Erfahrung erborgt sein, sondern diese aeussere Erfahrung ist selbst
nur durch gedachte Vorstellung allererst moeglich.
2. Der Raum ist eine notwendige Vorstellung a priori, die allen
aeusseren Anschauungen zum Grunde liegt. Man kann sich niemals eine
Vorstellung davon machen, dass kein Raum sei, ob man sich gleich ganz
wohl denken kann, dass keine Gegenstaende darin angetroffen werden.
Er wird also als die Bedingung der Moeglichkeit der Erscheinungen,
und nicht als eine von ihnen abhaengende Bestimmung angesehen,
und ist eine Vorstellung a priori, die notwendigerweise aeusseren
Erscheinungen zum Grunde liegt.
3. Auf diese Notwendigkeit a priori gruendet sich die apodiktische
Gewissheit aller geometrischen Grundsaetze, und die Moeglichkeit ihrer
Konstruktionen a priori. Waere naemlich diese Vorstellung des Raumes
ein a posteriori erworbener Begriff, der aus der allgemeinen aeusseren
Erfahrung geschoepft waere, so wuerden die ersten Grundsaetze der
mathematischen Bestimmung nichts als Wahrnehmungen sein. Sie haetten
also alle Zufaelligkeit der Wahrnehmung, und es waere eben nicht
notwendig, dass zwischen zwei Punkten nur eine gerade Linie sei,
sondern die Erfahrung wuerde es so jederzeit lehren. Was von der
Erfahrung entlehnt ist, hat auch nur komparative Allgemeinheit,
naemlich durch Induktion. Man wuerde also nur sagen koennen, so viel
zur Zeit noch bemerkt worden, ist kein Raum gefunden worden, der mehr
als drei Abmessungen haette.
4. Der Raum ist kein diskursiver oder, wie man sagt, allgemeiner
Begriff von Verhaeltnissen der Dinge ueberhaupt sondern eine reine
Anschauung. Denn erstlich kann man sich nur einen einigen Raum
vorstellen, und wenn man von vielen Raeumen redet, so versteht man
darunter nur Teile eines und desselben alleinigen Raumes. Diese Teile
koennen auch nicht vor dem einigen allbefassenden Raume gleichsam
als dessen Bestandteile (daraus seine Zusammensetzung moeglich sei)
vorhergehen, sondern nur in ihm gedacht werden. Er ist wesentlich
einig, das Mannigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff
von Raeumen ueberhaupt, beruht lediglich auf Einschraenkungen. Hieraus
folgt, dass in Ansehung seiner eine Anschauung a priori (die nicht
empirisch ist) allen Begriffen von denselben zum Grunde liege. So
werden auch alle geometrischen Grundsaetze, z.E. dass in einem
Triangel zwei Seiten zusammen groesser sind, als die dritte, niemals
aus allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel, sondern aus der
Anschauung und zwar a priori mit apodiktischer Gewissheit abgeleitet.
5. Der Raum wird als eine unendliche Groesse gegeben vorgestellt. Ein
allgemeiner Begriff vom Raum (der sowohl in dem Fusse, als einer Elle
gemein ist,) kann in Ansehung der Groesse nichts bestimmen. Waere es
nicht die Grenzenlosigkeit im Fortgange der Anschauung, so wuerde kein
Begriff von Verhaeltnissen ein Principium der Unendlichkeit derselben
bei sich fuehren.
        Schluesse aus obigen Begriffen
a) Der Raum stellt gar keine Eigenschaft irgend einiger Dinge an sich,
oder sie in ihrem Verhaeltnis aufeinander vor, d.i. keine Bestimmung
derselben, die an Gegenstaenden selbst haftete, und welche bliebe,
wenn man auch von allen subjektiven Bedingungen der Anschauung
abstrahierte. Denn weder absolute, noch relative Bestimmungen koennen
vor dem Dasein der Dinge, welchen sie zukommen, mithin nicht a priori
angeschaut werden.
b) Der Raum ist nichts anderes, als nur die Form aller Erscheinungen
aeusserer Sinne, d.i. die subjektive Bedingung der Sinnlichkeit,
unter der allein uns aeussere Anschauung moeglich ist. Weil nun die
Rezeptivitaet des Subjekts, von Gegenstaenden affiziert zu werden,
notwendigerweise vor allen Anschauungen dieser Objekte vorhergeht,
so laesst sich verstehen, wie die Form aller Erscheinungen vor
allen wirklichen Wahrnehmungen, mithin a priori im Gemuete gegeben
sein koenne, und wie sie als eine reine Anschauung, in der alle
Gegenstaende bestimmt werden muessen, Prinzipien der Verhaeltnisse
derselben vor aller Erfahrung enthalten koenne.
Wir koennen demnach nur aus dem Standpunkte eines Menschen, vom Raum,
von ausgedehnten Wesen usw. reden. Gehen wir von der subjektiven
Bedingung ab, unter welcher wir allein aeussere Anschauung bekommen
koennen, so wie wir naemlich von den Gegenstaenden affiziert werden
moegen, so bedeutet die Vorstellung vom Raume gar nichts. Dieses
Praedikat wird den Dingen nur insofern beigelegt, als sie uns
erscheinen, d.i. Gegenstaende der Sinnlichkeit sind. Die bestaendige
Form dieser Rezeptivitaet, welche wir Sinnlichkeit nennen, ist eine
notwendige Bedingung aller Verhaeltnisse, darinnen Gegenstaende als
ausser uns angeschaut werden, und, wenn man von diesen Gegenstaenden
abstrahiert, eine reine Anschauung, welche den Namen Raum fuehrt. Weil
wir die besonderen Bedingungen der Sinnlichkeit nicht zu Bedingungen
der Moeglichkeit der Sachen, sondern nur ihrer Erscheinungen machen
koennen, so koennen wir wohl sagen, dass der Raum alle Dinge befasse,
die uns aeusserlich erscheinen moegen, aber nicht alle Dinge an sich
selbst, sie moegen nun angeschaut werden oder nicht, oder auch von
welchem Subjekt man wolle. Denn wir koennen von den Anschauungen
anderer denkenden Wesen gar nicht urteilen, ob sie an die naemlichen
Bedingungen gebunden seien, welche unsere Anschauung einschraenken und
fuer uns allgemein gueltig sind. Wenn wir die Einschraenkung eines
Urteils zum Begriff des Subjekts hinzufuegen, so gilt das Urteil
alsdann unbedingt. Der Satz: Alle Dinge sind nebeneinander im Raum,
gilt nur unter der Einschraenkung, wenn diese Dinge als Gegenstaende
unserer sinnlichen Anschauung genommen werden. Fuege ich hier
die Bedingung zum Begriffe, und sage: Alle Dinge, als aeussere
Erscheinungen, sind nebeneinander im Raum, so gilt diese Regel
allgemein und ohne Einschraenkung. Unsere Eroerterungen lehren demnach
l die Realitaet (d.i. die objektive Gueltigkeit) des Raumes in
Ansehung alles dessen, was aeusserlich als Gegenstand uns vorkommen
kann, aber zugleich die Idealitaet des Raumes in Ansehung der Dinge,
wenn sie durch die Vernunft an sich selbst erwogen werden, d.i. ohne
Ruecksicht auf die Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit zu nehmen. Wir
behaupten also die empirische Realitaet des Raumes (in Ansehung aller
moeglichen aeusseren Erfahrung), ob zwar zugleich die transzendentale
Idealitaet desselben, d.i. dass er nichts sei, sobald wir die
Bedingung der Moeglichkeit aller Erfahrung weglassen, und ihn als
etwas, was den Dingen an sich selbst zum Grunde liegt, annehmen.
Es gibt aber auch ausser dem Raum keine andere subjektive und
auf etwas Aeusseres bezogene Vorstellung, die a priori objektiv
heissen koennte. Daher diese subjektive Bedingung aller aeusseren
Erscheinungen mit keiner anderen kann verglichen werden. Der
Wohlgeschmack eines Weines gehoert nicht zu den objektiven
Bestimmungen des Weines, mithin eines Objektes sogar als Erscheinung
betrachtet, sondern zu der besonderen Beschaffenheit des Sinnes an dem
Subjekte, was ihn geniesst. Die Farben sind nicht Beschaffenheiten
der Koerper, deren Anschauung sie anhaengen, sondern auch nur
Modifikationen des Sinnes des Gesichts, welches vom Lichte auf
gewisse Weise affiziert wird. Dagegen gehoert der Raum, als Bedingung
aeusserer Objekte, notwendigerweise zur Erscheinung oder Anschauung
derselben. Geschmack und Farben sind gar nicht notwendige Bedingungen,
unter welchen die Gegenstaende allein fuer uns Objekte der Sinne
werden koennen. Sie sind nur als zufaellig beigefuegte Wirkungen der
besondern Organisation mit der Erscheinung verbunden. Daher sind
sie auch keine Vorstellungen a priori, sondern auf Empfindung, der
Wohlgeschmack aber sogar auf Gefuehl (der Lust und Unlust) als einer
Wirkung der Empfindung gegruendet. Auch kann niemand a priori weder
eine Vorstellung einer Farbe, noch irgendeines Geschmacks haben: der
Raum aber betrifft nur die reine Form der Anschauung, schliesst also
gar keine Empfindung (nichts Empirisches) in sich, und alle Arten und
Bestimmungen des Raumes koennen und muessen sogar a priori vorgestellt
werden koennen, wenn Begriffe der Gestalten sowohl, als Verhaeltnisse
entstehen sollen. Durch denselben ist es allein moeglich, dass Dinge
fuer uns aeussere Gegenstaende sind.
Die Absicht dieser Anmerkung geht nur dahin: zu verhueten, dass
man die behauptete Idealitaet des Raumes nicht durch bei weitem
unzulaengliche Beispiele zu erlaeutern sich einfallen lasse,
da naemlich etwa Farben, Geschmack usw. mit Recht nicht als
Beschaffenheiten der Dinge, sondern bloss als Veraenderungen unseres
Subjekts, die sogar bei verschiedenen Menschen verschieden sein
koennen, betrachtet werden. Denn in diesem Falle gilt das, was
urspruenglich selbst nur Erscheinung ist, z.B. eine Rose, im
empirischen Verstande fuer ein Ding an sich selbst, welches doch jedem
Auge in Ansehung der Farbe anders erscheinen kann. Dagegen ist der
transzendentale Begriff der Erscheinungen im Raume eine kritische
Erinnerung, dass ueberhaupt nichts, was im Raume angeschaut wird, eine
Sache an sich, noch dass der Raum eine Form der Dinge sei, die ihnen
etwa an sich selbst eigen waere, sondern dass uns die Gegenstaende
an sich gar nicht bekannt sind, und, was wir aeussere Gegenstaende
nennen, nichts anderes als blosse Vorstellungen unserer Sinnlichkeit
sind, deren Form der Raum ist, deren wahres Korrelatum aber, d.i. das
Ding an sich selbst, dadurch gar nicht erkannt wird, noch erkannt
werden kann, nach welchem aber auch in der Erfahrung niemals gefragt
wird.
Der transzendentalen Aesthetik
Zweiter Abschnitt
Von der Zeit
1. Die Zeit ist kein empirischer Begriff, der irgend von
einer Erfahrung abgezogen worden. Denn das Zugleichsein oder
Aufeinanderfolgen wuerde selbst nicht in die Wahrnehmung kommen, wenn
die Vorstellung der Zeit nicht a priori zum Grunde laege. Nur unter
deren Voraussetzung kann man sich vorstellen, dass einiges zu
einer und derselben Zeit (zugleich) oder in verschiedenen Zeiten
(nacheinander) sei.
2. Die Zeit ist eine notwendige Vorstellung, die allen Anschauungen
zum Grunde liegt. Man kann in Ansehung der Erscheinungen ueberhaupt
die Zeit selbst nicht aufheben, ob man zwar ganz wohl die
Erscheinungen aus der Zeit wegnehmen kann. Die Zeit ist also a priori
gegeben. In ihr allein ist alle Wirklichkeit der Erscheinungen
moeglich. Diese koennen insgesamt wegfallen, aber sie selbst als die
allgemeine Bedingung ihrer Moeglichkeit, kann nicht aufgehoben werden.
3. Auf diese Notwendigkeit a priori gruendet sich auch die
Moeglichkeit apodiktischer Grundsaetze von den Verhaeltnissen
der Zeit, oder Axiomen von der Zeit ueberhaupt. Sie hat nur Eine
Dimension: verschiedene Zeiten sind nicht zugleich, sondern
nacheinander (so wie verschiedene Raeume nicht nacheinander, sondern
zugleich sind). Diese Grundsaetze koennen aus der Erfahrung nicht
gezogen werden, denn diese wuerde weder strenge Allgemeinheit, noch
apodiktische Gewissheit geben. Wir wuerden nur sagen koennen: so lehrt
es die gemeine Wahrnehmung; nicht aber: so muss es sich verhalten.
Diese Grundsaetze gelten als Regeln, unter denen ueberhaupt
Erfahrungen moeglich sind, und belehren uns vor derselben, und nicht
durch dieselbe.
4. Die Zeit ist kein diskursiver, oder, wie man ihn nennt, allgemeiner
Begriff, sondern eine reine Form der sinnlichen Anschauung.
Verschiedene Zeiten sind nur Teile eben derselben Zeit. Die
Vorstellung, die nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben
werden kann, ist aber Anschauung. Auch wuerde sich der Satz, dass
verschiedene Zeiten nicht zugleich sein koennen, aus einem allgemeinen
Begriff nicht herleiten lassen. Der Satz ist synthetisch, und kann aus
Begriffen allein nicht entspringen. Er ist also in der Anschauung und
Vorstellung der Zeit unmittelbar enthalten.
5. Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als dass alle
bestimmte Groesse der Zeit nur durch Einschraenkungen einer einigen
zum Grunde liegenden Zeit moeglich sei. Daher muss die urspruengliche
Vorstellung Zeit als uneingeschraenkt gegeben sein. Wovon aber
die Teile selbst, und jede Groesse eines Gegenstandes, nur durch
Einschraenkung bestimmt vorgestellt werden koennen, da muss die
ganze Vorstellung nicht durch Begriffe gegeben sein, (denn da gehen
die Teilvorstellungen vorher,) sondern es muss ihre unmittelbare
Anschauung zum Grunde liegen.
Schluesse aus diesen Begriffen
a) Die Zeit ist nicht etwas, was fuer sich selbst bestuende, oder den
Dingen als objektive Bestimmung anhinge, mithin uebrig bliebe, wenn
man von allen subjektiven Bedingungen der Anschauung derselben
abstrahiert; denn im ersten Fall wuerde sie etwas sein, was ohne
wirklichen Gegenstand dennoch wirklich waere. Was aber das zweite
betrifft, so koennte sie als eine den Dingen selbst anhaengende
Bestimmung oder Ordnung nicht vor den Gegenstaenden als ihre Bedingung
vorhergehen, und a priori durch synthetische Saetze erkannt und
angeschaut werden. Diese letztere findet dagegen sehr wohl statt,
wenn die Zeit nichts als die subjektive Bedingung ist, unter der alle
Anschauungen in uns stattfinden koennen. Denn da kann diese Form der
inneren Anschauung vor den Gegenstaenden, mithin a priori, vorgestellt
werden.
b) Die Zeit ist nichts anderes, als die Form des inneren Sinnes, d.i.
des Anschauens unserer selbst und unseres inneren Zustandes. Denn die
Zeit kann keine Bestimmung aeusserer Erscheinungen sein; sie gehoert
weder zu einer Gestalt, oder Lage usw., dagegen bestimmt sie das
Verhaeltnis der Vorstellungen in unserem inneren Zustande. Und, eben
weil diese innere Anschauung keine Gestalt gibt, suchen wir auch
diesen Mangel durch Analogien zu ersetzen, und stellen die Zeitfolge
durch eine ins Unendliche fortgehende Linie vor, in welcher das
Mannigfaltige eine Reihe ausmacht, die nur von einer Dimension
ist, und schliessen aus den Eigenschaften dieser Linie auf alle
Eigenschaften der Zeit, ausser dem einigen, dass die Teile der
ersteren zugleich, die der letzteren aber jederzeit nacheinander sind.
Hieraus erhellt auch, dass die Vorstellung der Zeit selbst Anschauung
sei, weil alle ihre Verhaeltnisse sich an einer aeusseren Anschauung
ausdruecken lassen.
c) Die Zeit ist die formale Bedingung a priori aller Erscheinungen
ueberhaupt. Der Raum, als die reine Form aller aeusseren Anschauung
ist als Bedingung a priori bloss auf aeussere Erscheinungen
eingeschraenkt. Dagegen, weil alle Vorstellungen, sie moegen nun
aeussere Dinge zum Gegenstande haben, oder nicht, doch an sich selbst,
als Bestimmungen des Gemuets, zum inneren Zustande gehoeren, dieser
innere Zustand aber, unter der formalen Bedingung der inneren
Anschauung, mithin der Zeit gehoert, so ist die Zeit eine Bedingung
a priori von aller Erscheinung ueberhaupt, und zwar die unmittelbare
Bedingung der inneren (unserer Seelen) und eben dadurch mittelbar
auch der aeusseren Erscheinungen. Wenn ich a priori sagen kann: alle
aeusseren Erscheinungen sind im Raume, und nach den Verhaeltnissen
des Raumes a priori bestimmt, so kann ich aus dem Prinzip des inneren
Sinnes ganz allgemein sagen: alle Erscheinungen ueberhaupt, d.i. alle
Gegenstaende der Sinne, sind in der Zeit, und stehen notwendigerweise
in Verhaeltnissen der Zeit.
Wenn wir von unserer Art, uns selbst innerlich anzuschauen, und
vermittelst dieser Anschauung auch alle aeusseren Anschauungen in
der Vorstellungskraft zu befassen, abstrahieren, und mithin die
Gegenstaende nehmen, so wie sie an sich selbst sein moegen, so ist die
Zeit nichts. Sie ist nur von objektiver Gueltigkeit in Ansehung der
Erscheinungen, weil dieses schon Dinge sind, die wir als Gegenstaende
unserer Sinne annehmen; aber sie ist nicht mehr objektiv, wenn
man von der Sinnlichkeit unserer Anschauung, mithin derjenigen
Vorstellungsart, welche uns eigentuemlich ist, abstrahiert, und von
Dingen ueberhaupt redet. Die Zeit ist also lediglich eine subjektive
Bedingung unserer (menschlichen) Anschauung, (welche jederzeit
sinnlich ist, d.i. sofern wir von Gegenstaenden affiziert werden,) und
an sich, ausser dem Subjekte, nichts. Nichtsdestoweniger ist sie in
Ansehung aller Erscheinungen, mithin auch aller Dinge, die uns in der
Erfahrung vorkommen koennen, notwendigerweise objektiv. Wir koennen
nicht sagen: alle Dinge sind in der Zeit, weil bei dem Begriff der
Dinge ueberhaupt von aller Art der Anschauung derselben abstrahiert
wird, diese aber die eigentliche Bedingung ist, unter der die Zeit in
die Vorstellung der Gegenstaende gehoert. Wird nun die Bedingung zum
Begriffe hinzugefuegt, und es heisst: alle Dinge, als Erscheinungen
(Gegenstaende der sinnlichen Anschauung), sind in der Zeit, so hat der
Grundsatz seine gute objektive Richtigkeit und Allgemeinheit a priori.
Unsere Behauptungen lehren demnach empirische Realitaet der Zeit,
d.i. objektive Gueltigkeit in Ansehung aller Gegenstaende, die jemals
unseren Sinnen gegeben werden moegen. Und da unsere Anschauung
jederzeit sinnlich ist, so kann uns in der Erfahrung niemals ein
Gegenstand gegeben werden, der nicht unter die Bedingung der Zeit
gehoerte. Dagegen bestreiten wir der Zeit allen Anspruch auf absolute
Realitaet, da sie naemlich, auch ohne auf die Form unserer sinnlichen
Anschauung Ruecksicht zu nehmen, schlechthin den Dingen als Bedingung
oder Eigenschaft anhinge. Solche Eigenschaften, die den Dingen an sich
zukommen, koennen uns durch die Sinne auch niemals gegeben werden.
Hierin besteht also die transzendentale Idealitaet der Zeit, nach
welcher sie, wenn man von den subjektiven Bedingungen der sinnlichen
Anschauung abstrahiert, gar nichts ist, und den Gegenstaenden an
sich selbst (ohne ihr Verhaeltnis auf unsere Anschauung,) weder
subsistierend noch inhaerierend beigezaehlt werden kann. Doch ist
diese Idealitaet, ebensowenig wie die des Raumes, mit den Subreptionen
der Empfindung in Vergleichung zu stellen, weil man doch dabei von der
Erscheinung selbst, der diese Praedikate inhaerieren, voraussetzt,
dass sie objektive Realitaet habe, die hier gaenzlich wegfaellt,
ausser, sofern sie bloss empirisch ist, d.i. den Gegenstand selbst
bloss als Erscheinung ansieht: wovon die obige Anmerkung des ersteren
Abschnitts nachzusehen ist.
Erlaeuterung
Wider diese Theorie, welche der Zeit empirische Realitaet zugesteht,
aber die absolute und transzendentale bestreitet, habe ich von
einsehenden Maennern einen Einwurf so einstimmig vernommen, dass ich
daraus abnehme, er muesse sich natuerlicherweise bei jedem Leser,
dem diese Betrachtungen ungewohnt sind, vorfinden. Er lautet so:
Veraenderungen sind wirklich (dies beweist der Wechsel unserer eigenen
Vorstellungen, wenn man gleich alle aeusseren Erscheinungen, samt
deren Veraenderungen, leugnen wollte). Nun sind Veraenderungen nur
in der Zeit moeglich, folglich ist die Zeit etwas Wirkliches. Die
Beantwortung hat keine Schwierigkeit. Ich gebe das ganze Argument zu.
Die Zeit ist allerdings etwas Wirkliches, naemlich die wirkliche Form
der inneren Anschauung. Sie hat also subjektive Realitaet in Ansehung
der inneren Erfahrung, d.i. ich habe wirklich die Vorstellung von der
Zeit und meiner Bestimmungen in ihr. Sie ist also wirklich nicht als
Objekt, sondern als die Vorstellungsart meiner selbst als Objekts
anzusehen. Wenn aber ich selbst, oder ein ander Wesen mich, ohne
diese Bedingung der Sinnlichkeit, anschauen koennte, so wuerden
eben dieselben Bestimmungen, die wir uns jetzt als Veraenderungen
vorstellen, eine Erkenntnis geben, in welcher die Vorstellung der
Zeit, mithin auch der Veraenderung, gar nicht vorkaeme. Es bleibt also
ihre empirische Realitaet als Bedingung aller unserer Erfahrungen.
Nur die absolute Realitaet kann ihr nach dem oben Angefuehrten nicht
zugestanden werden. Sie ist nichts, als die Form unserer inneren
Anschauung*. Wenn man von ihr die besondere Bedingung unserer
Sinnlichkeit wegnimmt, so verschwindet auch der Begriff der Zeit,
und sie haengt nicht an den Gegenstaenden selbst, sondern bloss am
Subjekte, welches sie anschaut.
* Ich kann zwar sagen: meine Vorstellungen folgen einander; aber das
  heisst nur, wir sind uns ihrer, als in einer Zeitfolge, d.i. nach
  der Form des inneren Sinnes, bewusst. Die Zeit ist darum nicht
  etwas an sich selbst, auch keine den Dingen objektiv anhaengende
  Bestimmung.
Die Ursache aber, weswegen dieser Einwurf so einstimmig gemacht wird,
und zwar von denen, die gleichwohl gegen die Lehre von der Idealitaet
des Raumes nichts Einleuchtendes einzuwenden wissen, ist diese. Die
absolute Realitaet des Raumes hofften sie nicht apodiktisch dartun zu
koennen, weil ihnen der Idealismus entgegensteht, nach welchem die
Wirklichkeit aeusserer Gegenstaende keines strengen Beweises faehig
ist: dagegen die des Gegenstandes unserer inneren Sinne (meiner selbst
und meines Zustandes) unmittelbar durchs Bewusstsein klar ist. Jene
konnten ein blosser Schein sein, dieser aber ist, ihrer Meinung nach,
unleugbar etwas Wirkliches. Sie bedachten aber nicht, dass beide,
ohne dass man ihre Wirklichkeit als Vorstellungen bestreiten darf,
gleichwohl nur zur Erscheinung gehoeren, welche jederzeit zwei
Seiten hat, die eine, da das Objekt an sich selbst betrachtet wird,
(unangesehen der Art, dasselbe anzuschauen, dessen Beschaffenheit aber
eben darum jederzeit problematisch bleibt,) die andere, da auf die
Form der Anschauung dieses Gegenstandes gesehen wird, welche nicht
in dem Gegenstande an sich selbst, sondern im Subjekte, dem derselbe
erscheint, gesucht werden muss, gleichwohl aber der Erscheinung dieses
Gegenstandes wirklich und notwendig zukommt.
Zeit und Raum sind demnach zwei Erkenntnisquellen, aus denen a priori
verschiedene synthetische Erkenntnisse geschoepft werden koennen, wie
vornehmlich die reine Mathematik in Ansehung der Erkenntnisse vom
Raume und dessen Verhaeltnissen ein glaenzendes Beispiel gibt. Sie
sind naemlich beide zusammengenommen reine Formen aller sinnlichen
Anschauung, und machen dadurch synthetische Saetze a priori moeglich.
Aber diese Erkenntnisquellen a priori bestimmen sich eben dadurch
(dass sie bloss Bedingungen der Sinnlichkeit sind) ihre Grenzen,
naemlich, dass sie bloss auf Gegenstaende gehen, sofern sie als
Erscheinungen betrachtet werden, nicht aber Dinge an sich selbst
darstellen. Jene allein sind das Feld ihrer Gueltigkeit, woraus, wenn
man hinausgeht, weiter kein objektiver Gebrauch derselben stattfindet.
Diese Realitaet des Raumes und der Zeit laesst uebrigens die
Sicherheit der Erfahrungserkenntnis unangetastet: denn wir sind
derselben ebenso gewiss, ob diese Formen den Dingen an sich selbst,
oder nur unserer Anschauung dieser Dinge notwendigerweise anhaengen.
Dagegen die, so die absolute Realitaet des Raumes und der Zeit
behaupten, sie moegen sie nun als subsistierend, oder nur inhaerierend
annehmen, mit den Prinzipien der Erfahrung selbst uneinig sein
muessen. Denn, entschliessen sie sich zum ersteren, (welches
gemeiniglich die Partei der mathematischen Naturforscher ist,) so
muessen sie zwei ewige und unendliche fuer sich bestehende Undinge
(Raum und Zeit) annehmen, welche da sind (ohne dass doch etwas
Wirkliches ist), nur um alles Wirkliche in sich zu befassen. Nehmen
sie die zweite Partei (von der einige metaphysische Naturlehrer sind),
und Raum und Zeit gelten ihnen als von der Erfahrung abstrahierte,
obzwar in der Absonderung verworren vorgestellte, Verhaeltnisse
der Erscheinungen (neben- oder nacheinander), so muessen sie den
mathematischen Lehren a priori in Ansehung wirklicher Dinge (z.E.
im Raume) ihre Gueltigkeit, wenigstens die apodiktische Gewissheit
streiten, indem diese a posteriori gar nicht stattfindet, und die
Begriffe a priori von Raum und Zeit, dieser Meinung nach, nur
Geschoepfe der Einbildungskraft sind, deren Quell wirklich in der
Erfahrung gesucht werden muss, aus deren abstrahierten Verhaeltnissen
die Einbildung etwas gemacht hat, was zwar das Allgemeine derselben
enthaelt, aber ohne die Restriktionen, welche die Natur mit denselben
verknuepft hat, nicht stattfinden kann. Die ersteren gewinnen so
viel, dass sie fuer die mathematischen Behauptungen sich das Feld der
Erscheinungen freimachen. Dagegen verwirren sie sich sehr durch eben
diese Bedingungen, wenn der Verstand ueber dieses Feld hinausgehen
will. Die zweiten gewinnen zwar in Ansehung des letzteren, naemlich,
dass die Vorstellungen von Raum und Zeit ihnen nicht in den Weg
kommen, wenn sie von Gegenstaenden nicht als Erscheinungen, sondern
bloss im Verhaeltnis auf den Verstand urteilen wollen; koennen aber
weder von der Moeglichkeit mathematischer Erkenntnisse a priori (indem
ihnen eine wahre und objektiv gueltige Anschauung a priori fehlt)
Grund angeben, noch die Erfahrungssaetze mit jenen Behauptungen in
notwendige Einstimmung bringen. In unserer Theorie, von der wahren
Beschaffenheit dieser zwei urspruenglichen Formen der Sinnlichkeit,
ist beiden Schwierigkeiten abgeholfen.
Dass schliesslich die transzendentale Aesthetik nicht mehr, als diese
zwei Elemente, naemlich Raum und Zeit, enthalten koenne, ist daraus
klar, weil alle anderen zur Sinnlichkeit gehoerigen Begriffe, selbst
der der Bewegung, welcher beide Stuecke vereinigt, etwas Empirisches
voraussetzen. Denn diese setzt die Wahrnehmung von etwas Beweglichem
voraus. Im Raum, an sich selbst betrachtet, ist aber nichts
Bewegliches: daher das Bewegliche etwas sein muss, was im Raume nur
durch Erfahrung gefunden wird, mithin ein empirisches Datum. Ebenso
kann die transzendentale Aesthetik nicht den Begriff der Veraenderung
unter ihre Data a priori zaehlen: denn die Zeit selbst veraendert
sich nicht, sondern etwas, das in der Zeit ist. Also wird dazu
die Wahrnehmung von irgendeinem Dasein, und der Sukzession seiner
Bestimmungen, mithin Erfahrung erfordert.
Allgemeine Anmerkungen zur transzendentalen Aesthetik
Zuerst wird es noetig sein, uns so deutlich, als moeglich, zu
erklaeren, was in Ansehung der Grundbeschaffenheit der sinnlichen
Erkenntnis ueberhaupt unsere Meinung sei, um aller Missdeutung
derselben vorzubeugen.
Wir haben also sagen wollen: dass alle unsere Anschauung nichts
als die Vorstellung von Erscheinung sei: dass die Dinge, die wir
anschauen, nicht das an sich selbst sind, wofuer wir sie anschauen,
noch ihre Verhaeltnisse so an sich selbst beschaffen sind, als sie
uns erscheinen, und dass, wenn wir unser Subjekt oder auch nur die
subjektive Beschaffenheit der Sinne ueberhaupt aufheben, alle die
Beschaffenheit, alle Verhaeltnisse der Objekte im Raum und Zeit, ja
selbst Raum und Zeit verschwinden wuerden, und als Erscheinungen nicht
an sich selbst, sondern nur in uns existieren koennen. Was es fuer
eine Bewandtnis mit den Gegenstaenden an sich und abgesondert von
aller dieser Rezeptivitaet unserer Sinnlichkeit haben moege, bleibt
uns gaenzlich unbekannt. Wir kennen nichts, als unsere Art, sie
wahrzunehmen, die uns eigentuemlich ist, die auch nicht notwendig
jedem Wesen, obzwar jedem Menschen, zukommen muss. Mit dieser haben
wir es lediglich zu tun. Raum und Zeit sind die reinen Formen
derselben, Empfindung ueberhaupt die Materie. Jene koennen wir
allein a priori, d.i. vor aller wirklichen Wahrnehmung erkennen, und
sie heisst darum reine Anschauung; diese aber ist das in unserem
Erkenntnis, was da macht, dass sie Erkenntnis a posteriori, d.i.
empirische Anschauung heisst. Jene haengen unserer Sinnlichkeit
schlechthin notwendig an, welcher Art auch unsere Empfindungen sein
moegen; diese koennen sehr verschieden sein. Wenn wir diese unsere
Anschauung auch zum hoechsten Grade der Deutlichkeit bringen koennten,
so wuerden wir dadurch der Beschaffenheit der Gegenstaende an sich
selbst nicht naeher kommen. Denn wir wuerden auf allen Fall doch nur
unsere Art der Anschauung, d.i. unsere Sinnlichkeit vollstaendig
erkennen, und diese immer nur unter den, dem Subjekt urspruenglich
anhaengenden Bedingungen, von Raum und Zeit; was die Gegenstaende
an sich selbst sein moegen, wuerde uns durch die aufgeklaerteste
Erkenntnis der Erscheinung derselben, die uns allein gegeben ist, doch
niemals bekannt werden.
Dass daher unsere ganze Sinnlichkeit nichts als die verworrene
Vorstellung der Dinge sei, welche lediglich das enthaelt, was ihnen
an sich selbst zukommt, aber nur unter einer Zusammenhaeufung von
Merkmalen und Teilvorstellungen, die wir nicht mit Bewusstsein
auseinander setzen, ist eine Verfaelschung des Begriffs von
Sinnlichkeit und von Erscheinung, welche die ganze Lehre derselben
unnuetz und leer macht. Der Unterschied einer undeutlichen von der
deutlichen Vorstellung ist bloss logisch, und betrifft nicht den
Inhalt. Ohne Zweifel enthaelt der Begriff von Recht, dessen sich der
gesunde Verstand bedient, ebendasselbe, was die subtilste Spekulation
aus ihm entwickeln kann, nur dass im gemeinen und praktischen
Gebrauche man sich dieser mannigfaltigen Vorstellungen in diesen
Gedanken nicht bewusst ist. Darum kann man nicht sagen, dass der
gemeine Begriff sinnlich sei, und eine blosse Erscheinung enthalte,
denn das Recht kann gar nicht erscheinen, sondern sein Begriff liegt
im Verstande, und stellt eine Beschaffenheit (die moralische) der
Handlungen vor, die ihnen an sich selbst zukommt. Dagegen enthaelt die
Vorstellung eines Koerpers in der Anschauung gar nichts, was einem
Gegenstande an sich selbst zukommen koennte, sondern bloss die
Erscheinung von etwas, und die Art, wie wir dadurch affiziert
werden, und diese Rezeptivitaet unserer Erkenntnisfaehigkeit heisst
Sinnlichkeit, und bleibt von der Erkenntnis des Gegenstandes an
sich selbst, ob man jene (die Erscheinung) gleich bis auf den Grund
durchschauen moechte, dennoch himmelweit unterschieden.
Die Leibniz-Wolfische Philosophie hat daher allen Untersuchungen ueber
die Natur und den Ursprung unserer Erkenntnisse einen ganz unrechten
Gesichtspunkt angewiesen, indem sie den Unterschied der Sinnlichkeit
vom Intellektuellen bloss als logisch betrachtete, da er offenbar
transzendental ist, und nicht bloss die Form der Deutlichkeit oder
Undeutlichkeit, sondern den Ursprung und den Inhalt derselben
betrifft, so dass wir durch die erstere die Beschaffenheit der Dinge
an sich selbst nicht bloss undeutlich, sondern gar nicht erkennen,
und, sobald wir unsere subjektive Beschaffenheit wegnehmen, das
vorgestellte Objekt mit den Eigenschaften, die ihm die sinnliche
Anschauung beilegte, ueberall nirgend anzutreffen ist, noch
angetroffen werden kann, indem eben diese subjektive Beschaffenheit
die Form desselben, als Erscheinung, bestimmt.
Wir unterscheiden sonst wohl unter Erscheinungen das, was
der Anschauung derselben wesentlich anhaengt, und fuer jeden
menschlichen Sinn ueberhaupt gilt, von demjenigen, was derselben
nur zufaelligerweise zukommt, indem es nicht auf die Beziehung der
Sinnlichkeit ueberhaupt, sondern nur auf eine besondere Stellung oder
Organisation dieses oder jenes Sinnes gueltig ist. Und da nennt man
die erstere Erkenntnis eine solche, die den Gegenstand an sich selbst
vorstellt, die zweite aber nur die Erscheinung desselben. Dieser
Unterschied ist aber nur empirisch. Bleibt man dabei stehen, (wie es
gemeiniglich geschieht,) und sieht jene empirische Anschauung nicht
wiederum (wie es geschehen sollte) als blosse Erscheinung an, so
dass darin gar nichts, was irgendeine Sache an sich selbst anginge,
anzutreffen ist, so ist unser transzendentale Unterschied verloren,
und wir glauben alsdann doch, Dinge an sich zu erkennen, ob wir
es gleich ueberall (in der Sinnenwelt) selbst bis zu der tiefsten
Erforschung ihrer Gegenstaende mit nichts, als Erscheinungen, zu tun
haben, So werden wir zwar den Regenbogen eine blosse Erscheinung bei
einem Sonnregen nennen, diesen Regen aber die Sache an sich selbst,
welches auch richtig ist, sofern wir den letzteren Begriff nur
physisch verstehen, als das, was in der allgemeinen Erfahrung, unter
allen verschiedenen Lagen zu den Sinnen, doch in der Anschauung so
und nicht anders bestimmt ist. Nehmen wir aber dieses Empirische
ueberhaupt, und fragen, ohne uns an die Einstimmung desselben mit
jedem Menschensinne zu kehren, ob auch dieses einen Gegenstand an
sich selbst (nicht die Regentropfen, denn die sind dann schon, als
Erscheinungen, empirische Objekte,) vorstelle, so ist die Frage von
der Beziehung der Vorstellung auf den Gegenstand transzendental, und
nicht allein diese Tropfen sind blosse Erscheinungen, sondern selbst
ihre runde Gestalt, ja sogar der Raum, in welchen sie fallen, sind
nichts an sich selbst, sondern blosse Modifikationen, oder Grundlagen
unserer sinnlichen Anschauung, das transzendentale Objekt aber bleibt
uns unbekannt.
Die zweite wichtige Angelegenheit unserer transzendentalen Aesthetik
ist, dass sie nicht bloss als scheinbare Hypothese einige Gunst
erwerbe, sondern so gewiss und ungezweifelt sei, als jemals von einer
Theorie gefordert werden kann, die zum Organon dienen soll. Um diese
Gewissheit voellig einleuchtend zu machen, wollen wir irgendeinen Fall
waehlen, woran dessen Gueltigkeit augenscheinlich werden.
Setzet demnach, Raum und Zeit seien an sich selbst objektiv und
Bedingungen der Moeglichkeit der Dinge an sich selbst, so zeigt sich
erstlich: dass von beiden a priori apodiktische und synthetische
Saetze in grosser Zahl vornehmlich vom Raum vorkommen, welchen wir
darum vorzueglich hier zum Beispiel untersuchen wollen. Da die Saetze
der Geometrie synthetisch a priori und mit apodiktischer Gewissheit
erkannt werden, so frage ich: woher nehmt ihr dergleichen Saetze, und
worauf stuetzt sich unser Verstand, um zu dergleichen schlechthin
notwendigen und allgemeingueltigen Wahrheiten zu gelangen? Es ist kein
anderer Weg, als durch Begriffe oder durch Anschauungen; beides aber,
als solche, die entweder a priori oder a posteriori gegeben sind. Die
letzteren, naemlich empirische Begriffe, imgleichen das, worauf sie
sich gruenden, die empirische Anschauung, koennen keinen synthetischen
Satz geben, als nur einen solchen, der auch bloss empirisch, d.i.
ein Erfahrungssatz ist, mithin niemals Notwendigkeit und absolute
Allgemeinheit enthalten kann, dergleichen doch das Charakteristische
aller Saetze der Geometrie ist. Was aber das erstere und einzige
Mittel sein wuerde, naemlich durch blosse Begriffe oder durch
Anschauungen a priori zu dergleichen Erkenntnissen zu gelangen, so ist
klar, dass aus blossen Begriffen gar keine synthetische Erkenntnis,
sondern lediglich analytische erlangt werden kann. Nehmet nur den
Satz: dass durch zwei gerade Linien sich gar kein Raum einschliessen
lasse, mithin keine Figur moeglich sei, und versucht ihn aus dem
Begriff von geraden Linien und der Zahl zwei abzuleiten; oder auch,
dass aus drei geraden Linien eine Figur moeglich sei, und versucht es
ebenso bloss aus diesen Begriffen. Alle eure Bemuehung ist vergeblich,
und ihr seht euch genoetigt, zur Anschauung eure Zuflucht zu nehmen,
wie es die Geometrie auch jederzeit tut. Ihr gebt euch also einen
Gegenstand in der Anschauung; von welcher Art aber ist diese, ist
es eine reine Anschauung a priori oder eine empirische? Waere das
letzte, so koennte niemals ein allgemeingueltiger, noch weniger ein
apodiktischer Satz daraus werden: denn Erfahrung kann dergleichen
niemals liefern. Ihr muesst also euren Gegenstand a priori in der
Anschauung geben, und auf diesen euren synthetischen Satz gruenden.
Laege nun in euch nicht ein Vermoegen, a priori anzuschauen; waere
diese subjektive Bedingung der Form nach nicht zugleich die allgemeine
Bedingung a priori, unter der allein das Objekt dieser (aeusseren)
Anschauung selbst moeglich ist; waere der Gegenstand (der Triangel)
etwas an sich selbst ohne Beziehung auf euer Subjekt: wie koenntet
ihr sagen, dass, was in euren subjektiven Bedingungen einen Triangel
zu konstruieren notwendig liegt, auch dem Triangel an sich selbst
notwendig zukommen muesse? denn ihr koenntet doch zu euren Begriffen
(von drei Linien) nichts neues (die Figur) hinzufuegen, welches darum
notwendig an dem Gegenstande angetroffen werden muesste, da dieser
vor eurer Erkenntnis und nicht durch dieselbe gegeben ist. Waere
also nicht der Raum (und so auch die Zeit) eine blosse Form eurer
Anschauung, welche Bedingungen a priori enthaelt, unter denen allein
Dinge fuer euch aeussere Gegenstaende sein koennen, die ohne diese
subjektiven Bedingungen an sich nichts sind, so koenntet ihr a priori
ganz und gar nichts ueber aeussere Objekte synthetisch ausmachen. Es
ist also ungezweifelt gewiss, und nicht bloss moeglich, oder auch
wahrscheinlich, dass Raum und Zeit, als die notwendigen Bedingungen
aller (aeusseren und inneren) Erfahrung, bloss subjektive Bedingungen
aller unserer Anschauung sind, im Verhaeltnis auf welche daher alle
Gegenstaende blosse Erscheinungen und nicht fuer sich in dieser Art
gegebene Dinge sind, von denen sich auch um deswillen, was die Form
derselben betrifft, vieles a priori sagen laesst, niemals aber das
Mindeste von dem Dinge an sich selbst, das diesen Erscheinungen zum
Grunde liegen mag.
Der transzendentalen Elementarlehre
Zweiter Teil
Die transzendentale Logik
Einleitung
Idee einer transzendentalen Logik
I. Von der Logik ueberhaupt
Unsere Erkenntnis entspringt aus zwei Grundquellen des Gemuets, deren
die erste ist, die Vorstellungen zu empfangen (die Rezeptivitaet der
Eindruecke), die zweite das Vermoegen, durch diese Vorstellungen einen
Gegenstand zu erkennen (Spontaneitaet der Begriffe); durch die erstere
wird uns ein Gegenstand gegeben, durch die zweite wird dieser im
Verhaeltnis auf jene Vorstellung (als blosse Bestimmung des Gemuets)
gedacht. Anschauung und Begriffe machen also die Elemente aller
unserer Erkenntnis aus, so dass weder Begriffe, ohne ihnen auf einige
Art korrespondierende Anschauung, noch Anschauung ohne Begriffe, ein
Erkenntnis abgeben kann. Beide sind entweder rein, oder empirisch.
Empirisch, wenn Empfindung (die die wirkliche Gegenwart des
Gegenstandes voraussetzt) darinnen enthalten ist: rein aber, wenn der
Vorstellung keine Empfindung beigemischt ist. Man kann die letztere
die Materie der sinnlichen Erkenntnis nennen. Daher enthaelt reine
Anschauung lediglich die Form, unter welcher etwas angeschaut wird,
und reiner Begriff allein die Form des Denkens eines Gegenstandes
ueberhaupt. Nur allein reine Anschauungen oder Begriffe sind a priori
moeglich, empirische nur a posteriori.
Wollen wir die Rezeptivitaet unseres Gemuets, Vorstellungen zu
empfangen, sofern es auf irgendeine Weise affiziert wird, Sinnlichkeit
nennen, so ist dagegen das Vermoegen, Vorstellungen selbst
hervorzubringen, oder die Spontaneitaet des Erkenntnisses, der
Verstand. Unsere Natur bringt es so mit sich, dass die Anschauung
niemals anders als sinnlich sein kann, d.i. nur die Art enthaelt, wie
wir von Gegenstaenden affiziert werden. Dagegen ist das Vermoegen, den
Gegenstand sinnlicher Anschauung zu denken, der Verstand. Keine dieser
Eigenschaften ist der anderen vorzuziehen. Ohne Sinnlichkeit wuerde
uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden.
Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.
Daher ist es ebenso notwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen,
(d.i. ihnen den Gegenstand in der Anschauung beizufuegen,) als seine
Anschauungen sich verstaendlich zu machen (d.i. sie unter Begriffe
zu bringen). Beide Vermoegen, oder Faehigkeiten, koennen auch ihre
Funktionen nicht vertauschen. Der Verstand vermag nichts anzuschauen,
und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, dass sie sich vereinigen,
kann Erkenntnis entspringen. Deswegen darf man aber doch nicht
ihren Anteil vermischen, sondern man hat grosse Ursache, jedes von
dem andern sorgfaeltig abzusondern, und zu unterscheiden. Daher
unterscheiden wir die Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit
ueberhaupt, d.i. Aesthetik, von der Wissenschaft der Verstandesregeln
ueberhaupt, d.i. der Logik.
Die Logik kann nun wiederum in zwiefacher Absicht unternommen
werden, entweder als Logik des allgemeinen, oder des besonderen
Verstandesgebrauchs. Die erste enthaelt die schlechthin notwendigen
Regeln des Denkens, ohne welche gar kein Gebrauch des Verstandes
stattfindet, und geht also auf diesen, unangesehen der Verschiedenheit
der Gegenstaende, auf welche er gerichtet sein mag. Die Logik des
besonderen Verstandesgebrauchs enthaelt die Regeln, ueber eine
gewisse Art von Gegenstaenden richtig zu denken. Jene kann man die
Elementarlogik nennen, diese aber das Organon dieser oder jener
Wissenschaft. Die letztere wird mehrenteils in den Schulen als
Propaedeutik der Wissenschaften vorangeschickt, ob sie zwar, nach dem
Gange der menschlichen Vernunft, das spaeteste ist, wozu sie allererst
gelangt, wenn die Wissenschaft schon lange fertig ist, und nur die
letzte Hand zu ihrer Berichtigung und Vollkommenheit bedarf. Denn man
muss die Gegenstaende schon in ziemlich hohem Grade kennen, wenn man
die Regel angeben will, wie sich eine Wissenschaft von ihnen zustande
bringen lasse.
Die allgemeine Logik ist nun entweder die reine, oder die angewandte
Logik. In der ersteren abstrahieren wir von allen empirischen
Bedingungen, unter denen unser Verstand ausgeuebt wird, z.B. vom
Einfluss der Sinne, vom Spiele der Einbildung, den Gesetzen des
Gedaechtnisses, der Macht der Gewohnheit, der Neigung usw., mithin
auch den Quellen der Vorurteile, ja gar ueberhaupt von allen Ursachen,
daraus uns gewisse Erkenntnisse entspringen, oder unterschoben werden
moegen, weil sie bloss den Verstand unter gewissen Umstaenden seiner
Anwendung betreffen, und, um diese zu kennen, Erfahrung erfordert
wird. Eine allgemeine, aber reine Logik, hat es also mit lauter
Prinzipien a priori zu tun, und ist ein Kanon des Verstandes und der
Vernunft, aber nur in Ansehung des Formalen ihres Gebrauchs, der
Inhalt mag sein, welcher er wolle, (empirisch oder transzendental).
Eine allgemeine Logik heisst aber alsdann angewandt, wenn sie auf die
Regeln des Gebrauchs des Verstandes unter den subjektiven empirischen
Bedingungen, die uns die Psychologie lehrt, gerichtet ist. Sie hat
also empirische Prinzipien, ob sie zwar insofern allgemein ist, dass
sie auf den Verstandesgebrauch ohne Unterschied der Gegenstaende geht.
Um deswillen ist sie auch weder ein Kanon des Verstandes ueberhaupt,
noch ein Organon besonderer Wissenschaften, sondern lediglich ein
Kathartikon des gemeinen Verstandes.
In der allgemeinen Logik muss also der Teil, der die reine
Vernunftlehre ausmachen soll, von demjenigen gaenzlich abgesondert
werden, welcher die angewandte (obzwar noch immer allgemeine) Logik
ausmacht. Der erstere ist eigentlich nur allein Wissenschaft, obzwar
kurz und trocken, und wie es die schulgerechte Darstellung einer
Elementarlehre des Verstandes erfordert. In dieser muessen also die
Logiker jederzeit zwei Regeln vor Augen haben.
1. Als allgemeine Logik abstrahiert sie von allem Inhalt der
Verstandeserkenntnis, und der Verschiedenheit ihrer Gegenstaende, und
hat mit nichts als der blossen Form des Denkens zu tun.
2. Als reine Logik hat sie keine empirischen Prinzipien, mithin
schoepft sie nichts (wie man sich bisweilen ueberredet hat) aus der
Psychologie, die also auf den Kanon des Verstandes gar keinen Einfluss
hat. Sie ist eine demonstrierte Doktrin, und alles muss in ihr voellig
a priori gewiss sein.
Was ich die angewandte Logik nenne, (wider die gemeine Bedeutung
dieses Wortes, nach der sie gewisse Exerzitien, dazu die reine Logik
die Regel gibt, enthalten soll,) so ist sie eine Vorstellung des
Verstandes und der Regeln seines notwendigen Gebrauchs in concreto,
naemlich unter den zufaelligen Bedingungen des Subjekts, die diesen
Gebrauch hindern oder befoerdern koennen, und die insgesamt nur
empirisch gegeben werden. Sie handelt von der Aufmerksamkeit, deren
Hindernis und Folgen, dem Ursprunge des Irrtums, dem Zustande des
Zweifels, des Skrupels, der Ueberzeugung usw. und zu ihr verhaelt
sich die allgemeine und reine Logik wie die reine Moral, welche bloss
die notwendigen sittlichen Gesetze eines freien Willens ueberhaupt
enthaelt, zu der eigentlichen Tugendlehre, welche diese Gesetze unter
den Hindernissen der Gefuehle, Neigungen und Leidenschaften, denen
die Menschen mehr oder weniger unterworfen sind, erwaegt, und welche
niemals eine wahre und demonstrierte Wissenschaft abgeben kann, weil
sie ebensowohl als jene angewandte Logik empirische und psychologische
Prinzipien bedarf.
II. Von der transzendentalen Logik
Die allgemeine Logik abstrahiert, wie wir gewiesen, von allem Inhalt
der Erkenntnis, d.i. von aller Beziehung derselben auf das Objekt, und
betrachtet nur die logische Form im Verhaeltnisse der Erkenntnisse
aufeinander, d.i. die Form des Denkens ueberhaupt. Weil es nun
aber sowohl reine, als empirische Anschauungen gibt, (wie die
transzendentale Aesthetik dartut,) so koennte auch wohl ein
Unterschied zwischen reinem und empirischem Denken der Gegenstaende
angetroffen werden. In diesem Falle wuerde es eine Logik geben, in
der man nicht von allem Inhalt der Erkenntnis abstrahierte; denn
diejenige, welche bloss die Regeln des reinen Denkens eines
Gegenstandes enthielte, wuerde alle diejenigen Erkenntnisse
ausschliessen, welche von empirischem Inhalte waeren. Sie wuerde auch
auf den Ursprung unserer Erkenntnisse von Gegenstaenden gehen, sofern
er nicht den Gegenstaenden zugeschrieben werden kann; da hingegen die
allgemeine Logik mit diesem Ursprunge der Erkenntnis nichts zu tun
hat, sondern die Vorstellungen, sie moegen uranfaenglich a priori in
uns selbst, oder nur empirisch gegeben sein, bloss nach den Gesetzen
betrachtet, nach welchen der Verstand sie im Verhaeltnis gegeneinander
braucht, wenn er denkt, und also nur von der Verstandesform handelt,
die den Vorstellungen verschafft werden kann, woher sie auch sonst
entsprungen sein moegen.
Und hier mache ich eine Anmerkung, die ihren Einfluss auf alle
nachfolgenden Betrachtungen erstreckt, und die man wohl vor Augen
haben muss, naemlich: dass nicht eine jede Erkenntnis a priori,
sondern nur die, dadurch wir erkennen, dass und wie gewisse
Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori
angewandt werden, oder moeglich sind, transzendental (d.i. die
Moeglichkeit der Erkenntnis oder der Gebrauch derselben a priori)
heissen muesse. Daher ist weder der Raum, noch irgendeine geometrische
Bestimmung desselben a priori eine transzendentale Vorstellung,
sondern nur die Erkenntnis, dass diese Vorstellungen gar nicht
empirischen Ursprungs sind, und die Moeglichkeit, wie sie sich
gleichwohl a priori auf Gegenstaende der Erfahrung beziehen koenne,
kann transzendental heissen. Imgleichen wuerde der Gebrauch des Raumes
von Gegenstaenden ueberhaupt auch transzendental sein: aber ist er
lediglich auf Gegenstaende der Sinne eingeschraenkt, so heisst er
empirisch. Der Unterschied des Transzendentalen und Empirischen
gehoert also nur zur Kritik der Erkenntnisse, und betrifft nicht die
Beziehung derselben auf ihren Gegenstand.
In der Erwartung also, dass es vielleicht Begriffe geben koenne, die
sich a priori auf Gegenstaende beziehen moegen, nicht als reine oder
sinnliche Anschauungen, sondern bloss als Handlungen des reinen
Denkens, die mithin Begriffe, aber weder empirischen noch
aesthetischen Ursprungs sind, so machen wir uns zum voraus
die Idee von einer Wissenschaft des reinen Verstandes und
Vernunfterkenntnisses, dadurch wir Gegenstaende voellig a priori
denken. Eine solche Wissenschaft, welche den Ursprung, den Umfang
und die objektive Gueltigkeit solcher Erkenntnisse bestimmte, wuerde
transzendentale Logik heissen muessen, weil sie es bloss mit den
Gesetzen des Verstandes und der Vernunft zu tun hat, aber lediglich,
sofern sie auf Gegenstaende a priori bezogen wird, und nicht,
wie die allgemeine Logik, auf die empirischen sowohl, als reinen
Vernunfterkenntnisse ohne Unterschied.
III. Von der Einteilung der allgemeinen Logik in Analytik und
     Dialektik
Die alte und beruehmte Frage, womit man die Logiker in die Enge zu
treiben vermeinte, und sie dahin zu bringen suchte, dass sie sich
entweder auf einer elenden Dialele mussten betreffen lassen, oder
ihre Unwissenheit, mithin die Eitelkeit ihrer ganzen Kunst bekennen
sollten, ist diese: Was ist Wahrheit? Die Namenerklaerung der
Wahrheit, dass sie naemlich die Uebereinstimmung der Erkenntnis mit
ihrem Gegenstande sei, wird hier geschenkt, und vorausgesetzt; man
verlangt aber zu wissen, welches das allgemeine und sichere Kriterium
der Wahrheit einer jeden Erkenntnis sei.
Es ist schon ein grosser und noetiger Beweis der Klugheit oder
Einsicht, zu wissen, was man vernuenftigerweise fragen solle. Denn,
wenn die Frage an sich ungereimt ist, und unnoetige Antworten
verlangt, so hat sie, ausser der Beschaemung dessen, der sie aufwirft,
bisweilen noch den Nachteil, den unbehutsamen Anhoerer derselben zu
ungereimten Antworten zu verleiten, und den belachenswerten Anblick zu
geben, dass einer (wie die Alten sagten) den Bock melkt, der andere
ein Sieb unterhaelt.
Wenn Wahrheit in der Uebereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem
Gegenstande besteht, so muss dadurch dieser Gegenstand von anderen
unterschieden werden; denn eine Erkenntnis ist falsch, wenn sie mit
dem Gegenstande, worauf sie bezogen wird, nicht uebereinstimmt, ob
sie gleich etwas enthaelt, was wohl von anderen Gegenstaenden gelten
koennte. Nun wuerde ein allgemeines Kriterium der Wahrheit dasjenige
sein, welches von allen Erkenntnissen, ohne Unterschied ihrer
Gegenstaende, gueltig waere. Es ist aber klar, dass, da man bei
demselben von allem Inhalt der Erkenntnis (Beziehung auf ihr Objekt)
abstrahiert, und Wahrheit gerade diesen Inhalt angeht, es ganz
unmoeglich und ungereimt sei, nach einem Merkmale der Wahrheit dieses
Inhalts der Erkenntnisse zu fragen, und dass also ein hinreichendes,
und doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmoeglich
angegeben werden koenne. Da wir oben schon den Inhalt einer Erkenntnis
die Materie derselben genannt haben, so wird man sagen muessen:
von der Wahrheit der Erkenntnis der Materie nach laesst sich
kein allgemeines Kennzeichen verlangen, weil es in sich selbst
widersprechend ist.
Was aber das Erkenntnis der blossen Form nach (mit Beiseitesetzung
alles Inhalts) betrifft, so ist ebenso klar: dass eine Logik, sofern
sie die allgemeinen und notwendigen Regeln des Verstandes vortraegt,
eben in diesen Regeln Kriterien der Wahrheit darlegen muesse. Denn,
was diesen widerspricht, ist falsch, weil der Verstand dabei seinen
allgemeinen Regeln des Denkens, mithin sich selbst widerstreitet.
Diese Kriterien aber betreffen nur die Form der Wahrheit, d.i.
des Denkens ueberhaupt, und sind sofern ganz richtig, aber nicht
hinreichend. Denn obgleich eine Erkenntnis der logischen Form voellig
gemaess sein moechte, d.i. sich selbst nicht widerspraeche, so kann
sie doch noch immer dem Gegenstande widersprechen. Also ist das bloss
logische Kriterium der Wahrheit, naemlich die Uebereinstimmung einer
Erkenntnis mit den allgemeinen und formalen Gesetzen des Verstandes
und der Vernunft zwar die conditio sine qua non, mithin die negative
Bedingung aller Wahrheit: weiter aber kann die Logik nicht gehen, und
den Irrtum, der nicht die Form, sondern den Inhalt trifft, kann die
Logik durch keinen Probierstein entdecken.
Die allgemeine Logik loest nun das ganze formale Geschaeft des
Verstandes und der Vernunft in seine Elemente auf, und stellt sie als
Prinzipien aller logischen Beurteilung unserer Erkenntnis dar. Dieser
Teil der Logik kann daher Analytik heissen, und ist eben darum der
wenigstens negative Probierstein der Wahrheit, indem man zuvoerderst
alle Erkenntnis, ihrer Form nach, an diesen Regeln pruefen und
schaetzen muss, ehe man sie selbst ihrem Inhalt nach untersucht, um
auszumachen, ob sie in Ansehung des Gegenstandes positive Wahrheit
enthalten. Weil aber die blosse Form des Erkenntnisses, so sehr sie
auch mit logischen Gesetzen uebereinstimmen mag, noch lange nicht
hinreicht, materielle (objektive) Wahrheit dem Erkenntnisse darum
auszumachen, so kann sich niemand bloss mit der Logik wagen, ueber
Gegenstaende zu urteilen, und irgend etwas zu behaupten, ohne von
ihnen vorher gegruendete Erkundigung ausser der Logik eingezogen zu
haben, um hernach bloss die Benutzung und die Verknuepfung derselben
in einem zusammenhaengenden Ganzen nach logischen Gesetzen zu
versuchen, noch besser aber, sie lediglich danach zu pruefen.
Gleichwohl liegt so etwas Verleitendes in dem Besitze einer so
scheinbaren Kunst, allen unseren Erkenntnissen die Form des Verstandes
zu geben, ob man gleich in Ansehung des Inhalts derselben noch sehr
leer und arm sein mag, dass jene allgemeine Logik, die bloss ein
Kanon zur Beurteilung ist, gleichsam wie ein Organon zur wirklichen
Hervorbringung wenigstens dem Blendwerk von objektiven Behauptungen
gebraucht, und mithin in der Tat dadurch gemissbraucht worden. Die
allgemeine Logik nun, als vermeintes Organon, heisst Dialektik.
So verschieden auch die Bedeutung ist, in der die Alten dieser
Benennung einer Wissenschaft oder Kunst sich bedienten, so kann man
doch aus dem wirklichen Gebrauche derselben sicher abnehmen, dass
sie bei ihnen nichts anderes war, als die Logik des Scheins. Eine
sophistische Kunst, seiner Unwissenheit, ja auch seinen vorsaetzlichen
Blendwerken den Anstrich der Wahrheit zu geben, dass man die Methode
der Gruendlichkeit, welche die Logik ueberhaupt vorschreibt,
nachahmte, und ihre Topik zu Beschoenigung jedes leeren Vorgebens
benutzte. Nun kann man es als eine sichere und brauchbare Warnung
anmerken: dass die allgemeine Logik, als Organon betrachtet, jederzeit
eine Logik des Scheins, d.i. dialektisch sei. Denn da sie uns gar
nichts ueber den Inhalt der Erkenntnis lehrt, sondern nur bloss die
formalen Bedingungen der Uebereinstimmung mit dem Verstande, welche
uebrigens in Ansehung der Gegenstaende gaenzlich gleichgueltig sind,
so muss die Zumutung, sich derselben als eines Werkzeugs (Organon)
zu gebrauchen, um seine Kenntnisse, wenigstens dem Vorgeben nach,
auszubreiten und zu erweitern, auf nichts als Geschwaetzigkeit
hinauslaufen, alles, was man will, mit einigem Schein zu behaupten,
oder auch nach Belieben anzufechten.
Eine solche Unterweisung ist der Wuerde der Philosophie auf keine
Weise gemaess. Um deswillen hat man diese Benennung der Dialektik
lieber, als eine Kritik des dialektischen Scheins, der Logik
beigezaehlt, und als eine solche wollen wir sie auch hier verstanden
wissen.
IV. Von der Einteilung der transz. Logik in die transzendentale
    Analytik und Dialektik
In einer transzendentalen Logik isolieren wir den Verstand, (so wie
oben in der transzendentalen Aesthetik die Sinnlichkeit) und heben
bloss den Teil des Denkens aus unserem Erkenntnisse heraus, der
lediglich seinen Ursprung in dem Verstande hat. Der Gebrauch dieser
reinen Erkenntnis aber beruht darauf, als ihrer Bedingung: dass uns
Gegenstaende in der Anschauung gegeben seien, worauf jene angewandt
werden koennen. Denn ohne Anschauung fehlt es aller unserer
Erkenntnis an Objekten, und sie bleibt alsdann voellig leer. Der
Teil der transscendentalen Logik also, der die Elemente der reinen
Verstandeserkenntnis vortraegt, und die Prinzipien, ohne welche
ueberall kein Gegenstand gedacht werden kann, ist die transzendentale
Analytik, und zugleich, eine Logik der Wahrheit. Denn ihr kann
keine Erkenntnis widersprechen, ohne dass sie zugleich allen Inhalt
verloere, d.i. alle Beziehung auf irgendein Objekt, mithin alle
Wahrheit. Weil es aber sehr anlockend und verleitend ist, sich dieser
reinen Verstandeserkenntnisse und Grundsaetze allein, und selbst ueber
die Grenzen der Erfahrung hinaus, zu bedienen, welche doch einzig und
allein uns die Materie (Objekte) an die Hand geben kann, worauf jene
reinen Verstandesbegriffe angewandt werden koennen: so geraet der
Verstand in Gefahr, durch leere Vernuenfteleien von den blossen
formalen Prinzipien des reinen Verstandes einen materialen Gebrauch zu
machen, und ueber Gegenstaende ohne Unterschied zu urteilen, die uns
doch nicht gegeben sind, ja vielleicht auf keinerlei Weise gegeben
werden koennen. Da sie also eigentlich nur ein Kanon der Beurteilung
des empirischen Gebrauchs sein sollte, so wird sie gemissbraucht,
wenn man sie als das Organon eines allgemeinen und unbeschraenkten
Gebrauchs gelten laesst, und sich mit dem reinen Verstande allein
wagt, synthetisch ueber Gegenstaende ueberhaupt zu urteilen,
zu behaupten, und zu entscheiden. Also wuerde der Gebrauch des
reinen Verstandes alsdann dialektisch sein. Der zweite Teil der
transzendentalen Logik muss also eine Kritik dieses dialektischen
Scheines sein, und heisst transzendentale Dialektik, nicht als eine
Kunst, dergleichen Schein dogmatisch zu erregen, (eine leider sehr
gangbare Kunst mannigfaltiger metaphysischer Gaukelwerke) sondern
als eine Kritik des Verstandes und der Vernunft in Ansehung ihres
hyperphysischen Gebrauchs, um den falschen Schein ihrer grundlosen
Anmassungen aufzudecken, und ihre Ansprueche auf Erfindung und
Erweiterung, die sie bloss durch transzendentale Grundsaetze zu
erreichen vermeint, zur blossen Beurteilung und Verwahrung des reinen
Verstandes vor sophistischem Blendwerke herabzusetzen.
Der transzendentalen Logik
Erste Abteilung
Die transzendentale Analytik
Diese Analytik ist die Zergliederung unseres gesamten Erkenntnisses
a priori in die Elemente der reinen Verstandeserkenntnis. Es kommt
hiebei auf folgende Stuecke an: 1. Dass die Begriffe reine und nicht
empirische Begriffe seien. 2. Dass sie nicht zur Anschauung und zur
Sinnlichkeit, sondern zum Denken und Verstande gehoeren. 3. Dass
sie Elementarbegriffe seien und von den abgeleiteten, oder daraus
zusammengesetzten, wohl unterschieden werden. 4. Dass ihre Tafel
vollstaendig sei, und sie das ganze Feld des reinen Verstandes
gaenzlich ausfuellen. Nun kann diese Vollstaendigkeit einer
Wissenschaft nicht auf den Ueberschlag, eines bloss durch Versuche
zustande gebrachten Aggregats, mit Zuverlaessigkeit angenommen
werden; daher ist sie nur vermittelst einer Idee des Ganzen der
Verstandeserkenntnis a priori und die daraus bestimmte Abteilung der
Begriffe, welche sie ausmachen, mithin nur durch ihren Zusammenhang in
einem System moeglich. Der reine Verstand sondert sich nicht allein
von allem Empirischen, sondern sogar von aller Sinnlichkeit voellig
aus. Er ist also eine fuer sich selbst bestaendige, sich selbst
genugsame, und durch keine aeusserlich hinzukommenden Zusaetze zu
vermehrende Einheit. Daher wird der Inbegriff seiner Erkenntnis ein
unter einer Idee zu befassendes und zu bestimmendes System ausmachen,
dessen Vollstaendigkeit und Artikulation zugleich einen Probierstein
der Richtigkeit und Echtheit aller hineinpassenden Erkenntnisstuecke
abgeben kann. Es besteht aber dieser ganze Teil der transzendentalen
Logik aus zwei Buechern, deren das eine die Begriffe, das andere die
Grundsaetze des reinen Verstandes enthaelt.
Der transzendentalen Analytik
Erstes Buch
Die Analytik der Begriffe
Ich verstehe unter der Analytik der Begriffe nicht die Analysis
derselben, oder das gewoehnliche Verfahren in philosophischen
Untersuchungen, Begriffe, die sich darbieten, ihrem Inhalte nach zu
zergliedern und zur Deutlichkeit zu bringen, sondern die noch wenig
versuchte Zergliederung des Verstandesvermoegens selbst, um die
Moeglichkeit der Begriffe a priori dadurch zu erforschen, dass
wir sie im Verstande allein, als ihrem Geburtsorte, aufsuchen und
dessen reinen Gebrauch ueberhaupt analysieren; denn dieses ist das
eigentuemliche Geschaeft einer Transzendental-Philosophie; das
uebrige ist die logische Behandlung der Begriffe in der Philosophie
ueberhaupt. Wir werden also die reinen Begriffe bis zu ihren ersten
Keimen und Anlagen im menschlichen Verstande verfolgen, in denen sie
vorbereitet liegen, bis sie endlich bei Gelegenheit der Erfahrung
entwickelt und durch ebendenselben Verstand, von den ihnen
anhaengenden empirischen Bedingungen befreit, in ihrer Lauterkeit
dargestellt werden.
Der Analytik der Begriffe
Erstes Hauptstueck
Von dem Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe
Wenn man ein Erkenntnisvermoegen ins Spiel setzt, so tun sich, nach
den mancherlei Anlaessen, verschiedene Begriffe hervor, die dieses
Vermoegen kennbar machen und sich in einem mehr oder weniger
ausfuehrlichen Aufsatz sammeln lassen, nachdem die Beobachtung
derselben laengere Zeit, oder mit groesserer Scharfsichtigkeit
angestellt worden. Wo diese Untersuchung werde vollendet sein, laesst
sich, nach diesem gleichsam mechanischen Verfahren, niemals mit
Sicherheit bestimmen. Auch entdecken sich die Begriffe, die man nur
so bei Gelegenheit auffindet, in keiner Ordnung und systematischen
Einheit, sondern werden zuletzt nur nach Aehnlichkeiten gepaart und
nach der Groesse ihres Inhalts, von den einfachen an, zu den mehr
zusammengesetzten, in Reihen gestellt, die nichts weniger als
systematisch, obgleich auf gewisse Weise methodisch zustande gebracht
werden.
Die Transzendental-Philosophie hat den Vorteil, aber auch die
Verbindlichkeit, ihre Begriffe nach einem Prinzip aufzusuchen; weil
sie aus dem Verstande, als absoluter Einheit, rein und unvermischt
entspringen, und daher selbst nach einem Begriffe, oder Idee, unter
sich zusammenhaengen muessen. Ein solcher Zusammenhang aber gibt eine
Regel an die Hand, nach welcher jedem reinen Verstandesbegriff seine
Stelle und allen insgesamt ihre Vollstaendigkeit a priori bestimmt
werden kann, welches alles sonst vom Belieben, oder von dem Zufall
abhaengen wuerde.
Des transzendentalen Leitfadens der Entdeckung aller reinen
Verstandesbegriffe
Erster Abschnitt
Von dem logischen Verstandesgebrauche ueberhaupt
Der Verstand wurde oben bloss negativ erklaert: durch ein
nichtsinnliches Erkenntnisvermoegen. Nun koennen wir, unabhaengig von
der Sinnlichkeit, keiner Anschauung teilhaftig werden. Also ist der
Verstand kein Vermoegen der Anschauung. Es gibt aber, ausser der
Anschauung, keine andere Art, zu erkennen, als durch Begriffe.
Also ist die Erkenntnis eines jeden, wenigstens des menschlichen,
Verstandes, eine Erkenntnis durch Begriffe, nicht intuitiv, sondern
diskursiv. Alle Anschauungen, als sinnlich, beruhen auf Affektionen,
die Begriffe also auf Funktionen. Ich verstehe aber unter Funktion
die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer
gemeinschaftlichen zu ordnen. Begriffe gruenden sich also auf der
Spontaneitaet des Denkens, wie sinnliche Anschauungen auf der
Rezeptivitaet der Eindruecke. Von diesen Begriffen kann nun der
Verstand keinen anderen Gebrauch machen, als dass er dadurch urteilt.
Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht, als bloss
die Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand
unmittelbar, sondern auf irgendeine andere Vorstellung von demselben
(sie sei Anschauung oder selbst schon Begriff) bezogen. Das Urteil
ist also die mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes, mithin die
Vorstellung einer Vorstellung desselben. In jedem Urteil ist ein
Begriff, der fuer viele gilt, und unter diesem Vielen auch eine
gegebene Vorstellung begreift, welche letztere denn auf den Gegenstand
unmittelbar bezogen wird. So bezieht sich z.B. in dem Urteile: alle
Koerper sind veraenderlich, der Begriff des Teilbaren auf verschiedene
andere Begriffe; unter diesen aber wird er hier besonders auf den
Begriff des Koerpers bezogen, dieser aber auf gewisse uns vorkommende
Erscheinungen. Also werden diese Gegenstaende durch den Begriff
der Teilbarkeit mittelbar vorgestellt. Alle Urteile sind demnach
Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen, da naemlich statt
einer unmittelbaren Vorstellung eine hoehere, die diese und mehrere
unter sich begreift, zur Erkenntnis des Gegenstandes gebraucht,
und viel moegliche Erkenntnisse dadurch in einer zusammengezogen
werden. Wir koennen aber alle Handlungen des Verstandes auf Urteile
zurueckfuehren, so dass der Verstand ueberhaupt als ein Vermoegen zu
urteilen vorgestellt werden kann. Denn er ist nach dem obigen ein
Vermoegen zu denken. Denken ist das Erkenntnis durch Begriffe.
Begriffe aber beziehen sich, als Praedikate moeglicher Urteile, auf
irgendeine Vorstellung von einem noch unbestimmten Gegenstande. So
bedeutet der Begriff des Koerpers etwas, z.B. Metall, was durch jenen
Begriff erkannt werden kann. Er ist also nur dadurch Begriff, dass
unter ihm andere Vorstellungen enthalten sind, vermittelst deren er
sich auf Gegenstaende beziehen kann. Er ist also das Praedikat zu
einem moeglichen Urteile, z.B. ein jedes Metall ist ein Koerper. Die
Funktionen des Verstandes koennen also insgesamt gefunden werden, wenn
man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollstaendig darstellen
kann. Dass dies aber sich ganz wohl bewerkstelligen lasse, wird der
folgende Abschnitt vor Augen stellen.
Des Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe
Zweiter Abschnitt
Von der logischen Funktion des Verstandes in Urteilen
Wenn wir von allem Inhalte eines Urteils ueberhaupt abstrahieren, und
nur auf die blosse Verstandesform darin achtgeben, so finden wir, dass
die Funktion des Denkens in demselben unter vier Titel gebracht werden
koenne, deren jeder drei Momente unter sich enthaelt. Sie koennen
fueglich in folgender Tafel vorgestellt werden.
                    1. Quantitaet der Urteile
                       Allgemeine
                       Besondere
                       Einzelne
        2. Qualitaet              3. Relation
           Bejahende                 Kategorische
           Verneinende               Hypothetische
           Unendliche                Disjunktive
                    4. Modalitaet
                       Problematische
                       Assertorische
                       Apodiktische
Da diese Einteilung in einigen, obgleich nicht wesentlichen Stuecken,
von der gewohnten Technik der Logiker abzuweichen scheint, so werden
folgende Verwahrungen wider den besorglichen Missverstand nicht
unnoetig sein.
1. Die Logiker sagen mit Recht, dass man beim Gebrauch der Urteile
in Vernunftschluessen die einzelnen Urteile gleich den allgemeinen
behandeln koenne. Denn eben darum, weil sie gar keinen Umfang haben,
kann das Praedikat derselben nicht bloss auf einiges dessen, was unter
dem Begriff des Subjekts enthalten ist, gezogen, von einigem aber
ausgenommen werden. Es gilt also von jenem Begriffe ohne Ausnahme,
gleich als wenn derselbe ein gemeingueltiger Begriff waere, der
einen Umfang haette, von dessen ganzer Bedeutung das Praedikat
gelte. Vergleichen wir dagegen ein einzelnes Urteil mit einem
gemeingueltigen, bloss als Erkenntnis, der Groesse nach, so verhaelt
sie sich zu diesem wie Einheit zur Unendlichkeit, und ist also an sich
selbst davon wesentlich unterschieden. Also, wenn ich ein einzelnes
Urteil (judicium singulare) nicht bloss nach seiner inneren
Gueltigkeit, sondern auch, als Erkenntnis ueberhaupt, nach der
Groesse, die es in Vergleichung mit anderen Erkenntnissen hat,
schaetze, so ist es allerdings von gemeingueltigen Urteilen (judicia
communia) unterschieden, und verdient in einer vollstaendigen Tafel
der Momente des Denkens ueberhaupt (obzwar freilich nicht in der bloss
auf den Gebrauch der Urteile untereinander eingeschraenkten Logik)
eine besondere Stelle.
2. Ebenso muessen in einer transzendentalen Logik unendliche Urteile
von bejahenden noch unterschieden werden, wenn sie gleich in der
allgemeinen Logik jenen mit Recht beigezaehlt sind und kein besonderes
Glied der Einteilung ausmachen. Diese naemlich abstrahiert von allem
Inhalt des Praedikats (ob es gleich verneinend ist) und sieht nur
darauf, ob dasselbe dem Subjekt beigelegt, oder ihm entgegengesetzt
werde. Jene aber betrachtet das Urteil auch nach dem Werte oder
Inhalt dieser logischen Bejahung vermittelst eines bloss verneinenden
Praedikats, und was diese in Ansehung des gesamten Erkenntnisses
fuer einen Gewinn verschafft. Haette ich von der Seele gesagt, sie
ist nicht sterblich, so haette ich durch ein verneinendes Urteil
wenigstens einen Irrtum abgehalten. Nun habe ich durch den Satz: die
Seele ist nicht sterblich, zwar der logischen Form nach wirklich
bejaht, indem ich die Seele in den unbeschraenkten Umfang der
nichtsterbenden Wesen setze. Weil nun von dem ganzen Umfange
moeglicher Wesen das Sterbliche einen Teil enthaelt, das
Nichtsterbliche aber den anderen, so ist durch meinen Satz nichts
anderes gesagt, als dass die Seele eine von der unendlichen Menge
Dinge sei, die uebrigbleiben, wenn ich das Sterbliche insgesamt
wegnehme. Dadurch aber wird nur die unendliche Sphaere alles
Moeglichen insoweit beschraenkt, dass das Sterbliche davon abgetrennt,
und in dem uebrigen Raum ihres Umfangs die Seele gesetzt wird. Dieser
Raum bleibt aber bei dieser Ausnahme noch immer unendlich, und koennen
noch mehrere Teile desselben weggenommen werden, ohne dass darum der
Begriff von der Seele im mindesten waechst, und bejahend bestimmt
wird. Diese unendlichen Urteile also in Ansehung des logischen
Umfanges sind wirklich bloss beschraenkend in Ansehung des Inhalts
der Erkenntnis ueberhaupt, und insofern muessen sie in der
transzendentalen Tafel aller Momente des Denkens in den Urteilen
nicht uebergangen werden, weil die hierbei ausgeuebte Funktion des
Verstandes vielleicht in dem Felde seiner reinen Erkenntnis a priori
wichtig sein kann.
3. Alle Verhaeltnisse des Denkens in Urteilen sind die a) des
Praedikats zum Subjekt, b) des Grundes zur Folge, c) der eingeteilten
Erkenntnis und der gesammelten Glieder der Einteilung untereinander.
In der ersteren Art der Urteile sind nur zwei Begriffe, in der
zweiten zwei Urteile, in der dritten mehrere Urteile im Verhaeltnis
gegeneinander betrachtet. Der hypothetische Satz: wenn eine
vollkommene Gerechtigkeit da ist, so wird der beharrlich Boese
bestraft, enthaelt eigentlich das Verhaeltnis zweier Saetze: Es ist
eine vollkommene Gerechtigkeit da, und der beharrlich Boese wird
bestraft. Ob beide dieser Saetze an sich wahr seien, bleibt hier
unausgemacht. Es ist nur die Konsequenz, die durch dieses Urteil
gedacht wird. Endlich enthaelt das disjunktive Urteil ein Verhaeltnis
zweier, oder mehrerer Saetze gegeneinander, aber nicht der Abfolge,
sondern der logischen Entgegensetzung, sofern die Sphaere des einen
die des anderen ausschliesst, aber doch zugleich der Gemeinschaft,
insofern sie zusammen die Sphaere der eigentlichen Erkenntnis
erfuellen, also ein Verhaeltnis der Teile der Sphaere eines
Erkenntnisses, da die Sphaere eines jeden Teils ein Ergaenzungsstueck
der Sphaere des anderen zu dem ganzen Inbegriff der eingeteilten
Erkenntnis ist, z.E. die Welt ist entweder durch einen blinden Zufall
da, oder durch innere Notwendigkeit, oder durch eine aeussere Ursache.
Jeder dieser Saetze nimmt einen Teil der Sphaere des moeglichen
Erkenntnisses ueber das Dasein einer Welt ueberhaupt ein, alle
zusammen die ganze Sphaere. Das Erkenntnis aus einer dieser Sphaeren
wegnehmen, heisst, sie in eine der uebrigen setzen, und dagegen sie in
eine Sphaere setzen, heisst, sie aus den uebrigen wegnehmen. Es ist
also in einem disjunktiven Urteile eine gewisse Gemeinschaft der
Erkenntnisse, die darin besteht, dass sie sich wechselseitig einander
ausschliessen, aber dadurch doch im Ganzen die wahre Erkenntnis
bestimmen, indem sie zusammengenommen den ganzen Inhalt einer einzigen
gegebenen Erkenntnis ausmachen. Und dieses ist es auch nur, was ich
des Folgenden wegen hiebei anzumerken noetig finde.
4. Die Modalitaet der Urteile ist eine ganz besondere Funktion
derselben, die das Unterscheidende an sich hat, dass sie nichts zum
Inhalte des Urteils beitraegt, (denn ausser Groesse, Qualitaet und
Verhaeltnis ist nichts mehr, was den Inhalt eines Urteils ausmachte,)
sondern nur den Wert der Copula in Beziehung auf das Denken ueberhaupt
angeht. Problematische Urteile sind solche, wo man das Bejahen oder
Verneinen als bloss moeglich (beliebig) annimmt. Assertorische, da es
als wirklich (wahr) betrachtet wird. Apodiktische, in denen man es als
notwendig ansieht*. So sind die beiden Urteile, deren Verhaeltnis das
hypothetische Urteil ausmacht, (antecedens und consequens), imgleichen
in deren Wechselwirkung das Disjunktive besteht, (Glieder der
Einteilung) insgesamt nur problematisch. In dem obigen Beispiel wird
der Satz: es ist eine vollkommene Gerechtigkeit da, nicht assertorisch
gesagt, sondern nur als ein beliebiges Urteil, wovon es moeglich
ist, dass jemand es annehme, gedacht, und nur die Konsequenz ist
assertorisch. Daher koennen solche Urteile auch offenbar falsch sein,
und doch, problematisch genommen, Bedingungen der Erkenntnis der
Wahrheit sein. So ist das Urteil: die Welt ist durch blinden Zufall
da, in dem disjunktiven Urteil nur von problematischer Bedeutung,
naemlich, dass jemand diesen Satz etwa auf eignen Augenblick annehmen
moege, und dient doch, (wie die Verzeichnung des falschen Weges, unter
der Zahl aller derer, die man nehmen kann,) den wahren zu finden. Der
problematische Satz ist also derjenige, der nur logische Moeglichkeit
(die nicht objektiv ist) ausdrueckt, d.i. eine freie Wahl einen
solchen Satz gelten zu lassen, eine bloss willkuerliche Aufnehmung
desselben in den Verstand. Der assertorische sagt von logischer
Wirklichkeit oder Wahrheit, wie etwa in einem hypothetischen
Vernunftschluss das Antecedens im Obersatze problematisch, im
Untersatze assertorisch vorkommt, und zeigt an, dass der Satz mit dem
Verstande nach dessen Gesetzen schon verbunden sei, der apodiktische
Satz denkt sich den assertorischen durch diese Gesetze des Verstandes
selbst bestimmt, und daher a priori behauptend, und drueckt auf solche
Weise logische Notwendigkeit aus. Weil nun hier alles sich gradweise
dem Verstande einverleibt, so dass man zuvor etwas problematisch
urteilt, darauf auch wohl es assertorisch als wahr annimmt, endlich
als unzertrennlich mit dem Verstande verbunden, d.i. als notwendig
und apodiktisch behauptet, so kann man diese drei Funktionen der
Modalitaet auch so viel Momente des Denkens ueberhaupt nennen.
* Gleich, als wenn das Denken im ersten Fall eine Funktion des
  Verstandes, im zweiten der Urteilskraft, im dritten der Vernunft
  waere. Eine Bemerkung, die erst in der Folge ihre Aufklaerung
  erwartet.
Des Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe
Dritter Abschnitt
Von den reinen Verstandesbegriffen oder Kategorien
Die allgemeine Logik abstrahiert, wie mehrmalen schon gesagt worden,
von allem Inhalt der Erkenntnis, und erwartet, dass ihr anderwaerts,
woher es auch sei, Vorstellungen gegeben werden, um diese zuerst in
Begriffe zu verwandeln, welches analytisch zugeht. Dagegen hat die
transzendentale Logik ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit a priori vor
sich liegen, welches die transzendentale Aesthetik ihr darbietet, um
zu den reinen Verstandesbegriffen einen Stoff zu geben, ohne den sie
ohne allen Inhalt, mithin voellig leer sein wuerde. Raum und Zeit
enthalten nun ein Mannigfaltiges der reinen Anschauung a priori,
gehoeren aber gleichwohl zu den Bedingungen der Rezeptivitaet unseres
Gemuets, unter denen es allein Vorstellungen von Gegenstaenden
empfangen kann, die mithin auch den Begriff derselben jederzeit
affizieren muessen. Allein die Spontaneitaet unseres Denkens erfordert
es, dass dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegangen,
aufgenommen, und verbunden werde, um daraus eine Erkenntnis zu machen.
Diese Handlung nenne ich Synthesis.
Ich verstehe aber unter Synthesis in der allgemeinsten Bedeutung
die Handlung, verschiedene Vorstellungen zueinander hinzuzutun, und
ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen. Eine solche
Synthesis ist rein, wenn das Mannigfaltige nicht empirisch, sondern a
priori gegeben ist (wie das im Raum und der Zeit). Vor aller Analysis
unserer Vorstellungen muessen diese zuvor gegeben sein, und es koennen
keine Begriffe dem Inhalte nach analytisch entspringen. Die Synthesis
eines Mannigfaltigen aber (es sei empirisch oder a priori gegeben),
bringt zuerst eine Erkenntnis hervor, die zwar anfaenglich noch
roh und verworren sein kann, und also der Analysis bedarf; allein
die Synthesis ist doch dasjenige, was eigentlich die Elemente zu
Erkenntnissen sammelt, und zu einem gewissen Inhalte vereinigt; sie
ist also das erste, worauf wir acht zu geben haben, wenn wir ueber den
ersten Ursprung unserer Erkenntnis urteilen wollen.
Die Synthesis ueberhaupt ist, wie wir kuenftig sehen werden, die
blosse Wirkung der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich
unentbehrlichen Funktion der Seele, ohne die wir ueberall gar keine
Erkenntnis haben wuerden, der wir uns aber selten nur einmal bewusst
sind. Allein, diese Synthesis auf Begriffe zu bringen, das ist eine
Funktion, die dem Verstande zukommt, und wodurch er uns allererst die
Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung verschafft.
Die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, gibt nun den reinen
Verstandesbegriff. Ich verstehe aber unter dieser Synthesis diejenige,
welche auf einem Grunde der synthetischen Einheit a priori beruht: so
ist unser Zaehlen (vornehmlich ist es in groesseren Zahlen merklicher)
eine Synthesis nach Begriffen, weil sie nach einem gemeinschaftlichen
Grunde der Einheit geschieht (z.E. der Dekadik). Unter diesem Begriffe
wird also die Einheit in der Synthesis des Mannigfaltigen notwendig.
Analytisch werden verschiedene Vorstellungen unter einen Begriff
gebracht, (ein Geschaeft, wovon die allgemeine Logik handelt). Aber
nicht die Vorstellungen, sondern die reine Synthesis der Vorstellungen
auf Begriffe zu bringen, lehrt die transz. Logik. Das erste, was uns
zum Behuf der Erkenntnis aller Gegenstaende a priori gegeben sein
muss, ist das Mannigfaltige der reinen Anschauung; die Synthesis
dieses Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft ist das zweite,
gibt aber noch keine Erkenntnis. Die Begriffe, welche dieser reinen
Synthesis Einheit geben, und lediglich in der Vorstellung dieser
notwendigen synthetischen Einheit bestehen, tun das dritte zum
Erkenntnisse eines vorkommenden Gegenstandes, und beruhen auf dem
Verstande.
Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem
Urteile Einheit gibt, die gibt auch der blossen Synthesis verschiedene
Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein
ausgedrueckt, der reine Verstandesbegriff heisst. Derselbe Verstand
also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in
Begriffen, vermittelst der analytischen Einheit, die logische
Form eines Urteils zustande brachte, bringt auch, vermittelst der
synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung ueberhaupt,
in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie
reine Verstandesbegriffe heissen, die a priori auf Objekte gehen,
welches die allgemeine Logik nicht leisten kann.
Auf solche Weise entspringen gerade so viel reine Verstandesbegriffe,
welche a priori auf Gegenstaende der Anschauung ueberhaupt gehen,
als es in der vorigen Tafel logische Funktionen in allen moeglichen
Urteilen gab: denn der Verstand ist durch gedachte Funktionen voellig
erschoepft, und sein Vermoegen dadurch gaenzlich ausgemessen. Wir
wollen diese Begriffe, nach dem Aristoteles Kategorien nennen, indem
unsere Absicht uranfaenglich mit der seinigen zwar einerlei ist, ob
sie sich gleich davon in der Ausfuehrung gar sehr entfernt.
                    Tafel der Kategorien
                    1. Der Quantitaet:
                       Einheit
                       Vielheit
                       Allheit.
        2. Der Qualitaet:       3. Der Relation:
           Realitaet               der Inhaerenz und Subsistenz
                                       (substantia et accidens)
           Negation                der Kausalitaet und Dependenz
                                       (Ursache und Wirkung)
           Limitation.             der Gemeinschaft (Wechselwirkung
                                       zwischen dem Handelnden und
                                       Leidenden).
                    4. Der Modalitaet:
                       Moeglichkeit - Unmoeglichkeit
                       Dasein - Nichtsein
                       Notwendigkeit - Zufaelligkeit.
Dieses ist nun die Verzeichnung aller urspruenglich reinen Begriffe
der Synthesis, die der Verstand a priori in sich enthaelt, und um
derentwillen er auch nur ein reiner Verstand ist; indem er durch sie
allein etwas bei dem Mannigfaltigen der Anschauung verstehen, d.i. ein
Objekt derselben denken kann. Diese Einteilung ist systematisch aus
einem gemeinschaftlichen Prinzip, naemlich dem Vermoegen zu urteilen,
(welches ebensoviel ist, als das Vermoegen zu denken,) erzeugt,
und nicht rhapsodistisch, aus einer auf gut Glueck unternommenen
Aufsuchung reiner Begriffe entstanden, deren Vollzaehligkeit man
niemals gewiss sein kann, da sie nur durch Induktion geschlossen wird,
ohne zu gedenken, dass man noch auf die letztere Art niemals einsieht,
warum denn gerade diese und nicht andere Begriffe dem reinen Verstande
beiwohnen. Es war ein eines scharfsinnigen Mannes wuerdiger Anschlag
des Aristoteles, diese Grundbegriffe aufzusuchen. Da er aber kein
Prinzipium hatte, so raffte er sie auf, wie sie ihm aufstiessen, und
trieb deren zuerst zehn auf, die er Kategorien (Praedikamente) nannte.
In der Folge glaubte er noch ihrer fuenfe aufgefunden zu haben, die er
unter dem Namen der Postpraedikamente hinzufuegte. Allein seine Tafel
blieb noch immer mangelhaft. Ausserdem finden sich auch einige modi
der reinen Sinnlichkeit darunter, (quando, ubi, situs, imgleichen
prius, simul,) auch ein empirischer, (motus) die in dieses
Stammregister des Verstandes gar nicht gehoeren, oder es sind auch
die abgeleiteten Begriffe mit unter die Urbegriffe gezaehlt, (actio,
passio,) und an einigen der letzteren fehlt es gaenzlich.
Um der letzteren willen ist also noch zu bemerken: dass die
Kategorien, als die wahren Stammbegriffe des reinen Verstandes,
auch ihre ebenso reinen abgeleiteten Begriffe haben, die in einem
vollstaendigen System der Transzendental-Philosophie keineswegs
uebergangen werden koennen, mit deren blosser Erwaehnung aber ich in
einem bloss kritischen Versuch zufrieden sein kann.
Es sei mir erlaubt, diese reinen, aber abgeleiteten Verstandesbegriffe
die Praedikabilien des reinen Verstandes (im Gegensatz der
Praedikamente) zu nennen. Wenn man die urspruenglichen und primitiven
Begriffe hat, so lassen sich die abgeleiteten und subalternen leicht
hinzufuegen, und der Stammbaum des reinen Verstandes voellig ausmalen.
Da es mir hier nicht um die Vollstaendigkeit des Systems, sondern
nur der Prinzipien zu einem System zu tun ist, so verspare ich diese
Ergaenzung auf eine andere Beschaeftigung. Man kann aber diese Absicht
ziemlich erreichen, wenn man die ontologischen Lehrbuecher zur Hand
nimmt, und z.B. der Kategorie der Kausalitaet die Praedikabilien
der Kraft, der Handlung, des Leidens; der der Gemeinschaft die der
Gegenwart, des Widerstandes; den Praedikamenten der Modalitaet
die des Entstehens, Vergehens, der Veraenderung usw. unterordnet.
Die Kategorien mit den modis der reinen Sinnlichkeit oder auch
untereinander verbunden, geben eine grosse Menge abgeleiteter Begriffe
a priori, die zu bemerken, und wo moeglich, bis zur Vollstaendigkeit
zu verzeichnen, eine nuetzliche und nicht unangenehme, hier aber
entbehrliche Bemuehung sein wuerde.
Der Definitionen dieser Kategorien ueberhebe ich mir in dieser
Abhandlung geflissentlich, ob ich gleich im Besitz derselben sein
moechte. Ich werde diese Begriffe in der Folge bis auf den Grad
zergliedern, welcher in Beziehung auf die Methodenlehre, die ich
bearbeite, hinreichend ist. In einem System der reinen Vernunft wuerde
man sie mit Recht von mir fordern koennen: aber hier wuerden sie nur
den Hauptpunkt der Untersuchung aus den Augen bringen, indem sie
Zweifel und Angriffe erregten, die man, ohne der wesentlichen Absicht
etwas zu entziehen, gar wohl auf eine andere Beschaeftigung verweisen
kann. Indessen leuchtet doch aus dem wenigen, was ich hievon
angefuehrt habe, deutlich hervor, dass ein vollstaendiges Woerterbuch
mit allen dazu erforderlichen Erklaerungen nicht allein moeglich,
sondern auch leicht sei zustande zu bringen. Die Faecher sind einmal
da; es ist nur noetig, sie auszufuellen, und eine systematische Topik,
wie die gegenwaertige, lasst nicht leicht die Stelle verfehlen, dahin
ein jeder Begriff eigentuemlich gehoert, und zugleich diejenige leicht
bemerken, die noch leer ist.
Der transzendentalen Analytik
Zweites Hauptstueck
Von der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe
Erster Abschnitt
Von den Prinzipien einer transz. Deduktion ueberhaupt
Die Rechtslehrer, wenn sie von Befugnissen und Anmassungen reden,
unterscheiden in einem Rechtshandel die Frage ueber das, was Rechtens
ist, (quid juris) von der, die die Tatsache angeht, (quid facti) und
indem sie von beiden Beweis fordern, so nennen sie den ersteren, der
die Befugnis, oder auch den Rechtsanspruch dartun soll, die Deduktion.
Wir bedienen uns einer Menge empirischer Begriffe ohne jemandes
Widerrede, und halten uns auch ohne Deduktion berechtigt, ihnen einen
Sinn und eingebildete Bedeutung zuzueignen, weil wir jederzeit die
Erfahrung bei Hand haben, ihre objektive Realitaet zu beweisen. Es
gibt indessen auch usurpierte Begriffe, wie etwa Glueck, Schicksal,
die zwar mit fast allgemeiner Nachsicht herumlaufen, aber doch
bisweilen durch die Frage: quid juris, in Anspruch genommen werden,
da man alsdann wegen der Deduktion derselben in nicht geringe
Verlegenheit geraet, indem man keinen deutlichen Rechtsgrund weder aus
der Erfahrung, noch der Vernunft anfuehren kann, dadurch die Befugnis
seines Gebrauchs deutlich wuerde.
Unter den mancherlei Begriffen aber, die das sehr vermischte Gewebe
der menschlichen Erkenntnis ausmachen, gibt es einige, die auch zum
reinen Gebrauch a priori (voellig unabhaengig von aller Erfahrung)
bestimmt sind, und dieser ihre Befugnis bedarf jederzeit einer
Deduktion; weil zu der Rechtmaessigkeit eines solchen Gebrauchs
Beweise aus der Erfahrung nicht hinreichend sind, man aber doch wissen
muss, wie diese Begriffe sich auf Objekte beziehen koennen, die sie
doch aus keiner Erfahrung hernehmen. Ich nenne daher die Erklaerung
der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstaende beziehen koennen,
die transz. Deduktion derselben, und unterscheide sie von der
empirischen Deduktion, welche die Art anzeigt, wie ein Begriff durch
Erfahrung und Reflexion ueber dieselbe erworben worden, und daher
nicht die Rechtmaessigkeit, sondern das Faktum betrifft, wodurch der
Besitz entsprungen.
Wir haben jetzt schon zweierlei Begriffe von ganz verschiedener Art,
die doch darin miteinander uebereinkommen, dass sie beiderseits
voellig a priori sich auf Gegenstaende beziehen, naemlich, die
Begriffe des Raumes und der Zeit, als Formen der Sinnlichkeit, und die
Kategorien, als Begriffe des Verstandes. Von ihnen eine empirische
Deduktion versuchen wollen, wuerde ganz vergebliche Arbeit sein; weil
eben darin das Unterscheidende ihrer Natur liegt, dass sie sich auf
ihre Gegenstaende beziehen, ohne etwas zu deren Vorstellung aus der
Erfahrung entlehnt zu haben. Wenn also eine Deduktion derselben noetig
ist, so wird sie jederzeit transzendental sein muessen.
Indessen kann man von diesen Begriffen, wie von allem Erkenntnis, wo
nicht das Prinzipium ihrer Moeglichkeit, doch die Gelegenheitsursachen
ihrer Erzeugung in der Erfahrung aufsuchen, wo alsdann die Eindruecke
der Sinne den ersten Anlass geben, die ganze Erkenntniskraft in
Ansehung ihrer zu eroeffnen, und Erfahrung zustande zu bringen, die
zwei sehr ungleichartige Elemente enthaelt, naemlich eine Materie
zur Erkenntnis aus den Sinnen und eine gewisse Form, sie zu ordnen,
aus dem inneren Quell des reinen Anschauens und Denkens, die, bei
Gelegenheit der ersteren, zuerst in Ausuebung gebracht werden,
und Begriffe hervorbringen. Ein solches Nachspueren der ersten
Bestrebungen unserer Erkenntniskraft, um von einzelnen Wahrnehmungen
zu allgemeinen Begriffen zu steigen, hat ohne Zweifel seinen grossen
Nutzen, und man hat es dem beruehmten Locke zu verdanken, dass er
dazu zuerst den Weg eroeffnet hat. Allein eine Deduktion der reinen
Begriffe a priori kommt dadurch niemals zustande, denn sie liegt ganz
und gar nicht auf diesem Wege, weil in Ansehung ihres kuenftigen
Gebrauchs, der von der Erfahrung gaenzlich unabhaengig sein soll,
sie einen ganz anderen Geburtsbrief, als den der Abstammung von
Erfahrungen, muessen aufzuzeigen haben. Diese versuchte physiologische
Ableitung, die eigentlich gar nicht Deduktion heissen kann, weil
sie eine quaestio facti betrifft, will ich daher die Erklaerung des
Besitzes einer reinen Erkenntnis nennen. Es ist also klar, dass von
diesen allein es eine transzendent. Deduktion und keineswegs eine
empirische geben koenne, und dass letztere, in Ansehung der reinen
Begriffe a priori, nichts als eitle Versuche sind, womit sich nur
derjenige beschaeftigen kann, welcher die ganz eigentuemliche Natur
dieser Erkenntnisse nicht begriffen hat.
Ob nun aber gleich die einzige Art einer moeglichen Deduktion der
reinen Erkenntnis a priori, naemlich die auf dem transzendentalen Wege
eingeraeumt wird, so erhellt dadurch doch eben nicht, dass sie so
unumgaenglich notwendig sei. Wir haben oben die Begriffe des Raumes
und der Zeit, vermittelst einer transzendentalen Deduktion zu ihren
Quellen verfolgt, und ihre objektive Gueltigkeit a priori erklaert und
bestimmt. Gleichwohl geht die Geometrie ihren sicheren Schritt durch
lauter Erkenntnisse a priori, ohne dass sie sich, wegen der reinen
und gesetzmaessigen Abkunft ihres Grundbegriffs vom Raume, von der
Philosophie einen Beglaubigungsschein erbitten darf. Allein der
Gebrauch dieses Begriffs geht in dieser Wissenschaft auch nur auf
die aeussere Sinnenwelt, von welcher der Raum die reine Form ihrer
Anschauung ist, in welcher also alle geometrische Erkenntnis, weil sie
sich auf Anschauung a priori gruendet, unmittelbare Evidenz hat, und
die Gegenstaende durch die Erkenntnis selbst, a priori (der Form nach)
in der Anschauung, gegeben werden. Dagegen faengt mit den reinen
Verstandesbegriffen die unumgaengliche Beduerfnis an, nicht allein von
ihnen selbst, sondern auch vom Raum die transzendentale Deduktion zu
suchen, weil, da sie von Gegenstaenden nicht durch Praedikate der
Anschauung und der Sinnlichkeit, sondern des reinen Denkens a
priori redet, sie sich auf Gegenstaende ohne alle Bedingungen der
Sinnlichkeit allgemein beziehen, und die, da sie nicht auf Erfahrung
gegruendet sind, auch in der Anschauung a priori kein Objekt vorzeigen
koennen, worauf sie vor aller Erfahrung ihre Synthesis gruendeten,
und daher nicht allein wegen der objektiven Gueltigkeit und Schranken
ihres Gebrauchs Verdacht erregen, sondern auch jenen Begriff des
Raumes zweideutig machen, dadurch, dass sie ihn ueber die Bedingungen
der sinnlichen Anschauung zu gebrauchen geneigt sind, weshalb auch
oben von ihm eine transzendent. Deduktion vonnoeten war. So muss denn
der Leser von der unumgaenglichen Notwendigkeit einer solchen transz.
Deduktion, ehe er einen einzigen Schritt im Felde der reinen Vernunft
getan hat, ueberzeugt werden; weil er sonst blind verfaehrt,
und, nachdem er mannigfaltig umhergeirrt hat, doch wieder zu der
Unwissenheit zurueckkehren muss, von der er ausgegangen war. Er
muss aber auch die unvermeidliche Schwierigkeit zum voraus deutlich
einsehen, damit er nicht ueber Dunkelheit klage, wo die Sache selbst
tief eingehuellt ist, oder ueber der Wegraeumung der Hindernisse
zu frueh verdrossen werden, weil es darauf ankommt, entweder alle
Ansprueche zu Einsichten der reinen Vernunft, als das beliebteste
Feld, naemlich dasjenige ueber die Grenzen aller moeglichen Erfahrung
hinaus, voellig aufzugeben, oder diese kritische Untersuchung zur
Vollkommenheit zu bringen.
Wir haben oben an den Begriffen des Raumes und der Zeit mit leichter
Muehe begreiflich machen koennen, wie diese als Erkenntnisse a priori
sich gleichwohl auf Gegenstaende notwendig beziehen muessen; und eine
synthetische Erkenntnis derselben, unabhaengig von aller Erfahrung,
moeglich machten. Denn da nur vermittelst solcher reinen Formen der
Sinnlichkeit uns ein Gegenstand erscheinen, d.i. ein Objekt der
empirischen Anschauung sein kann, so sind Raum und Zeit reine
Anschauungen, welche die Bedingung der Moeglichkeit der Gegenstaende
als Erscheinungen a priori enthalten, und die Synthesis in denselben
hat objektive Gueltigkeit.
Die Kategorien des Verstandes dagegen stellen uns gar nicht die
Bedingungen vor, unter denen Gegenstaende in der Anschauung gegeben
werden, mithin koennen uns allerdings Gegenstaende erscheinen, ohne
dass sie sich notwendig auf Funktionen des Verstandes beziehen
muessen, und dieser also die Bedingungen derselben a priori enthielte.
Daher zeigt sich hier eine Schwierigkeit, die wir im Felde der
Sinnlichkeit nicht antrafen, wie naemlich subjektive Bedingungen des
Denkens sollten objektive Gueltigkeit haben, d.i. Bedingungen der
Moeglichkeit aller Erkenntnis der Gegenstaende abgeben: denn ohne
Funktionen des Verstandes koennen allerdings Erscheinungen in der
Anschauung gegeben werden. Ich nehme z.B. den Begriff der Ursache,
welcher eine besondere Art der Synthesis bedeutet, da auf etwas A was
ganz verschiedenes B nach einer Regel gesetzt wird. Es ist a priori
nicht klar, warum Erscheinungen etwas dergleichen enthalten sollten,
(denn Erfahrungen kann man nicht zum Beweise anfuehren, weil die
objektive Gueltigkeit dieses Begriffs a priori muss dargetan werden
koennen,) und es ist daher a priori zweifelhaft, ob ein solcher
Begriff nicht etwa gar leer sei und ueberall unter den Erscheinungen
keinen Gegenstand antreffe. Denn dass Gegenstaende der sinnlichen
Anschauung den im Gemuet a priori liegenden formalen Bedingungen der
Sinnlichkeit gemaess sein muessen, ist daraus klar, weil sie sonst
nicht Gegenstaende fuer uns sein wuerden; dass sie aber auch ueberdem
den Bedingungen, deren der Verstand zur synthetischen Einsicht des
Denkens bedarf, gemaess sein muessen, davon ist die Schlussfolge nicht
so leicht einzusehen. Denn es koennten wohl allenfalls Erscheinungen
so beschaffen sein, dass der Verstand sie den Bedingungen seiner
Einheit gar nicht gemaess faende, und alles so in Verwirrung laege,
dass z.B. in der Reihenfolge der Erscheinungen sich nichts darboete,
was eine Regel der Synthesis an die Hand gaebe, und also dem Begriffe
der Ursache und Wirkung entspraeche, so dass dieser Begriff also
ganz leer, nichtig und ohne Bedeutung waere. Erscheinungen wuerden
nichtsdestoweniger unserer Anschauung Gegenstaende darbieten, denn die
Anschauung bedarf der Funktionen des Denkens auf keine Weise.
Gedaechte man sich von der Muehsamkeit dieser Untersuchungen dadurch
loszuwickeln, dass man sagte: Die Erfahrung boete unablaessig
Beispiele einer solchen Regelmaessigkeit der Erscheinungen dar, die
genugsam Anlass geben, den Begriff der Ursache davon abzusondern, und
dadurch zugleich die objektive Gueltigkeit eines solchen Begriffs zu
bewaehren, so bemerkt man nicht, dass auf diese Weise der Begriff der
Ursache gar nicht entspringen kann, sondern dass er entweder voellig
a priori im Verstande muesse gegruendet sein, oder als ein blosses
Hirngespinst gaenzlich aufgegeben werden muesse. Denn dieser Begriff
erfordert durchaus, dass etwas A von der Art sei, dass ein anderes B
daraus notwendig und nach einer schlechthin allgemeinen Regel folge.
Erscheinungen geben gar wohl Faelle an die Hand, aus denen eine Regel
moeglich ist, nach der etwas gewoehnlichermassen geschieht, aber
niemals, dass der Erfolg notwendig sei: daher der Synthesis der
Ursache und Wirkung auch eine Dignitaet anhaengt, die man gar nicht
empirisch ausdruecken kann, naemlich, dass die Wirkung nicht bloss zu
der Ursache hinzukomme, sondern durch dieselbe gesetzt sei, und aus
ihr erfolge. Die strenge Allgemeinheit der Regel ist auch gar keine
Eigenschaft empirischer Regeln, die durch Induktion keine andere
als komparative Allgemeinheit, d.i. ausgebreitete Brauchbarkeit
bekommen koennen. Nun wuerde sich aber der Gebrauch der reinen
Verstandesbegriffe gaenzlich aendern, wenn man sie nur als empirische
Produkte behandeln wollte.
Uebergang zur transz. Deduktion der Kategorien
Es sind nur zwei Faelle moeglich, unter denen synthetische
Vorstellung und ihre Gegenstaende zusammentreffen, sich aufeinander
notwendigerweise beziehen, und gleichsam einander begegnen koennen.
Entweder wenn der Gegenstand die Vorstellung, oder diese den
Gegenstand allein moeglich macht. Ist das erstere, so ist diese
Beziehung nur empirisch, und die Vorstellung ist niemals a priori
moeglich. Und dies ist der Fall mit Erscheinung, in Ansehung dessen,
was an ihnen zur Empfindung gehoert. Ist aber das zweite, weil
Vorstellung an sich selbst (denn von dessen Kausalitaet, vermittelst
des Willens, ist hier gar nicht die Rede,) ihren Gegenstand dem Dasein
nach nicht hervorbringt, so ist doch die Vorstellung in Ansehung des
Gegenstandes alsdann a priori bestimmend, wenn durch sie allein es
moeglich ist, etwas als einen Gegenstand zu erkennen. Es sind aber
zwei Bedingungen, unter denen allein die Erkenntnis eines Gegenstandes
moeglich ist, erstlich Anschauung, dadurch derselbe, aber nur als
Erscheinung, gegeben wird: zweitens Begriff, dadurch ein Gegenstand
gedacht wird, der dieser Anschauung entspricht. Es ist aber aus dem
obigen klar, dass die erste Bedingung, naemlich die, unter der allein
Gegenstaende angeschaut werden koennen, in der Tat den Objekten der
Form nach a priori im Gemuet zum Grunde liegen. Mit dieser formalen
Bedingung der Sinnlichkeit stimmen also alle Erscheinungen notwendig
ueberein, weil sie nur durch dieselbe erscheinen, d.i. empirisch
angeschaut und gegeben werden koennen. Nun fraegt es sich, ob nicht
auch Begriffe a priori vorausgehen, als Bedingungen, unter denen
allein etwas, wenngleich nicht angeschaut, dennoch als Gegenstand
ueberhaupt gedacht wird, denn alsdann ist alle empirische Erkenntnis
der Gegenstaende solchen Begriffen notwendigerweise gemaess, weil,
ohne deren Voraussetzung, nichts als Objekt der Erfahrung moeglich
ist. Nun enthaelt aber alle Erfahrung ausser der Anschauung der Sinne,
wodurch etwas gegeben wird, noch einen Begriff von einem Gegenstande,
der in der Anschauung gegeben wird, oder erscheint: demnach werden
Begriffe von Gegenstaenden ueberhaupt, als Bedingungen a priori aller
Erfahrungserkenntnis zum Grunde liegen: folglich wird die objektive
Gueltigkeit der Kategorien, als Begriffe a priori, darauf beruhen,
dass durch sie allein Erfahrung (der Form des Denkens nach) moeglich
sei. Denn alsdann beziehen sie sich notwendigerweise und a priori auf
Gegenstaende der Erfahrung, weil nur vermittelst ihrer ueberhaupt
irgendein Gegenstand der Erfahrung gedacht werden kann.
Die transz. Deduktion aller Begriffe a priori hat also ein Prinzipium,
worauf die ganze Nachforschung gerichtet werden muss, naemlich dieses:
dass sie als Bedingungen a priori der Moeglichkeit der Erfahrungen
erkannt werden muessen, (es sei der Anschauung, die in ihr angetroffen
wird, oder des Denkens). Begriffe, die den objektiven Grund der
Moeglichkeit der Erfahrung abgeben, sind eben darum notwendig. Die
Entwicklung der Erfahrung aber, worin sie angetroffen werden, ist
nicht ihre Deduktion, (sondern Illustration,) weil sie dabei doch
nur zufaellig sein wuerden. Ohne diese urspruengliche Beziehung auf
moegliche Erfahrung, in welcher alle Gegenstaende der Erkenntnis
vorkommen, wuerde die Beziehung derselben auf irgendein Objekt gar
nicht begriffen werden koennen.
Es sind aber drei urspruengliche Quellen, (Faehigkeiten oder Vermoegen
der Seele) die die Bedingungen der Moeglichkeit aller Erfahrung
enthalten, und selbst aus keinem anderen Vermoegen des Gemuets
abgeleitet werden koennen, naemlich, Sinn, Einbildungskraft, und
Apperzeption. Darauf gruendet sich l) die Synopsis des Mannigfaltigen
a priori durch den Sinn; 2) die Synthesis dieses Mannigfaltigen durch
die Einbildungskraft; endlich 3) die Einheit dieser Synthesis durch
urspruengliche Apperzeption. Alle diese Vermoegen haben, ausser dem
empirischen Gebrauche, noch einen transz., der lediglich auf die Form
geht, und a priori moeglich ist. Von diesem haben wir in Ansehung der
Sinne oben im ersten Teile geredet, die zwei anderen aber wollen wir
jetzt ihrer Natur nach einzusehen trachten.
Der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe
Zweiter Abschnitt
Von den Gruenden a priori zur Moeglichkeit der Erfahrung
Dass ein Begriff voellig a priori erzeugt werden, und sich auf einen
Gegenstand beziehen solle, obgleich er weder selbst in den Begriff
moeglicher Erfahrung gehoert, noch aus Elementen einer moeglichen
Erfahrung besteht, ist gaenzlich widersprechend und unmoeglich.
Denn er wuerde alsdann keinen Inhalt haben, darum, weil ihm keine
Anschauung korrespondierte, indem Anschauungen ueberhaupt, wodurch
uns Gegenstaende gegeben werden koennen, das Feld, oder den gesamten
Gegenstand moeglicher Erfahrung ausmachen. Ein Begriff a priori, der
sich nicht auf diese bezoege, wuerde nur die logische Form zu einem
Begriff, aber nicht der Begriff selbst sein, wodurch etwas gedacht
wuerde.
Wenn es also reine Begriffe a priori gibt, so koennen diese zwar
freilich nichts Empirisches enthalten: sie muessen aber gleichwohl
lauter Bedingungen a priori zu einer moeglichen Erfahrung sein, als
worauf allein ihre objektive Realitaet beruhen kann.
Will man daher wissen, wie reine Verstandesbegriffe moeglich seien, so
muss man untersuchen, welches die Bedingungen a priori seien, worauf
die Moeglichkeit der Erfahrung ankommt, und die ihr zum Grunde liegen,
wenn man gleich von allem Empirischen der Erscheinungen abstrahiert.
Ein Begriff, der diese formale und objektive Bedingung der
Erfahrung allgemein und zureichend ausdrueckt, wuerde ein reiner
Verstandesbegriff heissen. Habe ich einmal reine Verstandesbegriffe,
so kann ich auch wohl Gegenstaende erdenken, die vielleicht
unmoeglich, vielleicht zwar an sich moeglich, aber in keiner Erfahrung
gegeben werden koennen, indem in der Verknuepfung jener Begriffe
etwas weggelassen sein kann, was doch zur Bedingung einer moeglichen
Erfahrung notwendig gehoert, (Begriff eines Geistes) oder etwa reine
Verstandesbegriffe weiter ausgedehnt werden, als Erfahrung fassen kann
(Begriff von Gott). Die Elemente aber zu allen Erkenntnissen a priori
selbst zu willkuerlichen und ungereimten Erdichtungen koennen zwar
nicht von der Erfahrung entlehnt sein, (denn sonst waeren sie
nicht Erkenntnisse a priori) sie muessen aber jederzeit die reinen
Bedingungen a priori einer moeglichen Erfahrung und eines Gegenstandes
derselben enthalten, denn sonst wuerde nicht allein durch sie gar
nichts gedacht werden, sondern sie selber wuerden ohne Data auch nicht
einmal im Denken entstehen koennen.
Diese Begriffe nun, welche a priori das reine Denken bei jeder
Erfahrung enthalten, finden wir an den Kategorien, und es ist schon
eine hinreichende Deduktion derselben, und Rechtfertigung ihrer
objektiven Gueltigkeit, wenn wir beweisen koennen: dass vermittels
ihrer allein ein Gegenstand gedacht werden kann. Weil aber in
einem solchen Gedanken mehr als das einzige Vermoegen zu denken,
naemlich der Verstand beschaeftigt ist, und dieser selbst, als ein
Erkenntnisvermoegen, das sich auf Objekte beziehen soll, ebensowohl
einer Erlaeuterung, wegen der Moeglichkeit dieser Beziehung, bedarf:
so muessen wir die subjektiven Quellen, welche die Grundlage a
priori zu der Moeglichkeit der Erfahrung ausmachen, nicht nach ihrer
empirischen, sondern transzendentalen Beschaffenheit zuvor erwaegen.
Wenn eine jede einzelne Vorstellung der anderen ganz fremd, gleichsam
isoliert, und von dieser getrennt waere, so wuerde niemals so etwas,
als Erkenntnis ist, entspringen, welche ein Ganzes verglichener und
verknuepfter Vorstellungen ist. Wenn ich also dem Sinne deswegen,
weil er in seiner Anschauung Mannigfaltigkeit enthaelt, eine Synopsis
beilege, so korrespondiert dieser jederzeit eine Synthesis und die
Rezeptivitaet kann nur mit Spontaneitaet verbunden Erkenntnisse
moeglich machen. Diese ist nun der Grund einer dreifachen Synthesis,
die notwendigerweise in allem Erkenntnis vorkommt: naemlich, der
Apprehension der Vorstellungen, als Modifikationen des Gemuets in der
Anschauung, der Reproduktion derselben in der Einbildung und ihrer
Rekognition im Begriffe. Diese geben nun eine Leitung auf drei
subjektiven Erkenntnisquellen, welche selbst den Verstand und, durch
diesen, alle Erfahrung, als ein empirisches Produkt des Verstandes
moeglich machen.
        Vorlaeufige Erinnerung
Die Deduktion der Kategorien ist mit so viel Schwierigkeiten
verbunden, und noetigt, so tief in die ersten Gruende der Moeglichkeit
unserer Erkenntnis ueberhaupt einzudringen, dass ich, um die
Weitlaeufigkeit einer vollstaendigen Theorie zu vermeiden, und
dennoch, bei einer so notwendigen Untersuchung, nichts zu versaeumen,
es ratsamer gefunden habe, durch folgende vier Nummern den Leser mehr
vorzubereiten, als zu unterrichten; und im naechstfolgenden dritten
Abschnitte, die Eroerterung dieser Elemente des Verstandes allererst
systematisch vorzustellen. Um deswillen wird sich der Leser bis dahin
die Dunkelheit nicht abwendig machen lassen, die auf einem Wege, der
noch ganz unbetreten ist, anfaenglich unvermeidlich ist, sich aber,
wie ich hoffe, in gedachtem Abschnitte zur vollstaendigen Einsicht
aufklaeren soll.
1. Von der Synthesis der Apprehension in der Anschauung
Unsere Vorstellungen moegen entspringen, woher sie wollen, ob sie
durch den Einfluss aeusserer Dinge, oder durch innere Ursachen
gewirkt seien, sie moegen a priori, oder empirisch als Erscheinungen
entstanden sein; so gehoeren sie doch als Modifikationen des Gemuets
zum inneren Sinn, und als solche sind alle unsere Erkenntnisse zuletzt
doch der formalen Bedingung des inneren Sinnes, naemlich der Zeit
unterworfen, als in welcher sie insgesamt geordnet, verknuepft und
in Verhaeltnisse gebracht werden muessen. Dieses ist eine allgemeine
Anmerkung, die man bei dem Folgenden durchaus zum Grunde legen muss.
Jede Anschauung enthaelt ein Mannigfaltiges in sich, welches doch
nicht als ein solches vorgestellt werden wuerde, wenn das Gemuet nicht
die Zeit, in der Folge der Eindruecke aufeinander unterschiede: denn
als in einem Augenblick enthalten, kann jede Vorstellung niemals
etwas anderes, als absolute Einheit sein. Damit nun aus diesem
Mannigfaltigen Einheit der Anschauung werde, (wie etwa in der
Vorstellung des Raumes) so ist erstlich das Durchlaufen der
Mannigfaltigkeit und dann die Zusammennehmung desselben notwendig,
welche Handlung ich die Synthesis der Apprehension nenne, weil sie
geradezu auf die Anschauung gerichtet ist, die zwar ein Mannigfaltiges
darbietet, dieses aber als ein solches, und zwar in einer Vorstellung
enthalten, niemals ohne eine dabei vorkommende Synthesis bewirken
kann.
Diese Synthesis der Apprehension muss nun auch a priori, d.i. in
Ansehung der Vorstellungen, die nicht empirisch sind, ausgeuebt
werden. Denn ohne sie wuerden wir weder die Vorstellungen des Raumes,
noch der Zeit a priori haben koennen: da diese nur durch die Synthesis
des Mannigfaltigen, welches die Sinnlichkeit in ihrer urspruenglichen
Rezeptivitaet darbietet, erzeugt werden koennen. Also haben wir eine
reine Synthesis der Apprehension.
2. Von der Synthesis der Reproduktion in der Einbildung
Es ist zwar ein bloss empirisches Gesetz, nach welchem Vorstellungen,
die sich oft gefolgt oder begleitet haben, miteinander endlich
vergesellschaften, und dadurch in eine Verknuepfung setzen, nach
welcher, auch ohne die Gegenwart des Gegenstandes, eine dieser
Vorstellungen einen Uebergang des Gemuets zu der anderen, nach einer
bestaendigen Regel, hervorbringt. Dieses Gesetz der Reproduktion setzt
aber voraus: dass die Erscheinungen selbst wirklich einer solchen
Regel unterworfen seien, und dass in dem Mannigfaltigen ihrer
Vorstellungen eine, gewissen Regeln gemaesse, Begleitung, oder Folge
stattfinde; denn ohne das wuerde unsere empirische Einbildungskraft
niemals etwas ihrem Vermoegen Gemaesses zu tun bekommen, also, wie
ein totes und uns selbst unbekanntes Vermoegen im Innern des Gemuets
verborgen bleiben. Wuerde der Zinnober bald rot, bald schwarz, bald
leicht, bald schwer sein, ein Mensch bald in diese, bald in jene
tierische Gestalt veraendert werden, am laengsten Tage bald das Land
mit Fruechten, bald mit Eis und Schnee bedeckt sein, so koennte meine
empirische Einbildungskraft nicht einmal Gelegenheit bekommen, bei der
Vorstellung der roten Farbe den schweren Zinnober in die Gedanken zu
bekommen, oder wuerde ein gewisses Wort bald diesem, bald jenem Dinge
beigelegt, oder auch eben dasselbe Ding bald so bald anders benannt,
ohne dass hierin eine gewisse Regel, der die Erscheinungen schon
von selbst unterworfen sind, herrschte, so koennte keine empirische
Synthesis der Reproduktion stattfinden.
Es muss also etwas sein, was selbst diese Reproduktion der
Erscheinungen moeglich macht, dadurch, dass es der Grund a priori
einer notwendigen synthetischen Einheit derselben ist. Hierauf aber
kommt man bald, wenn man sich besinnt, dass Erscheinungen nicht Dinge
an sich selbst, sondern das blosse Spiel unserer Vorstellungen sind,
die am Ende auf Bestimmungen des inneren Sinnes auslaufen. Wenn
wir nun dartun koennen, dass selbst unsere reinsten Anschauungen a
priori keine Erkenntnis verschaffen, ausser, sofern sie eine solche
Verbindung des Mannigfaltigen enthalten, die eine durchgaengige
Synthesis der Reproduktion moeglich macht, so ist diese Synthesis der
Einbildungskraft auch vor aller Erfahrung auf Prinzipien a priori
gegruendet, und man muss eine reine transzendentale Synthesis
derselben annehmen, die selbst der Moeglichkeit aller Erfahrung, (als
welche die Reproduzibilitaet der Erscheinungen notwendig voraussetzt)
zum Grunde liege. Nun ist offenbar, dass, wenn ich eine Linie in
Gedanken ziehe, oder die Zeit von einem Mittag zum andern denken, oder
auch nur eine gewisse Zahl mir vorstellen will, ich erstlich notwendig
eine dieser mannigfaltigen Vorstellungen nach der anderen in Gedanken
fassen muesse. Wuerde ich aber die vorhergehende (die ersten Teile
der Linie, die vorhergehenden Teile der Zeit, oder die nacheinander
vorgestellten Einheiten) immer aus den Gedanken verlieren, und sie
nicht reproduzieren, indem ich zu den folgenden fortgehe, so wuerde
niemals eine ganze Vorstellung, und keiner aller vorgenannten
Gedanken, ja gar nicht einmal die reinsten und ersten
Grundvorstellungen von Raum und Zeit entspringen koennen.
Die Synthesis der Apprehension ist also mit der Synthesis
der Reproduktion unzertrennlich verbunden. Und da jene den
transzendentalen Grund der Moeglichkeit aller Erkenntnisse ueberhaupt
(nicht bloss der empirischen, sondern auch der reinen a priori)
ausmacht, so gehoert die reproduktive Synthesis der Einbildungskraft
zu den transzendentalen Handlungen des Gemuets und in Ruecksicht
auf dieselbe, wollen wir dieses Vermoegen auch das transzendentale
Vermoegen der Einbildungskraft nennen.
3. Von der Synthesis der Rekognition im Begriffe
Ohne Bewusstsein, dass das, was wir denken, eben dasselbe sei, was wir
einen Augenblick zuvor dachten, wuerde alle Reproduktion in der Reihe
der Vorstellungen vergeblich sein. Denn es waere eine neue Vorstellung
im jetzigen Zustande, die zu dem Aktus, wodurch sie nach und nach
hat erzeugt werden sollen, gar nicht gehoerte, und das Mannigfaltige
derselben wuerde immer kein Ganzes ausmachen, weil es der Einheit
ermangelte, die ihm nur das Bewusstsein verschaffen kann. Vergesse ich
im Zaehlen: dass die Einheiten, die mir jetzt vor Sinnen schweben,
nach und nach zueinander von mir hinzugetan worden sind, so wuerde ich
die Erzeugung der Menge, durch diese sukzessive Hinzutuung von Einem
zu Einem, mithin auch nicht die Zahl erkennen; denn dieser Begriff
besteht lediglich in dem Bewusstsein dieser Einheit der Synthesis.
Das Wort Begriff koennte uns schon von selbst zu dieser Bemerkung
Anleitung geben. Denn dieses eine Bewusstsein ist es, was das
Mannigfaltige, nach und nach Angeschaute, und dann auch Reproduzierte,
in eine Vorstellung vereinigt. Dieses Bewusstsein kann oft nur schwach
sein, so dass wir es nur in der Wirkung, nicht aber in dem Aktus
selbst, d.i. unmittelbar mit der Erzeugung der Vorstellung
verknuepfen: aber unerachtet dieser Unterschiede muss doch immer ein
Bewusstsein angetroffen werden, wenn ihm gleich die hervorstechende
Klarheit mangelt, und ohne dasselbe sind Begriffe, und mit ihnen
Erkenntnis von Gegenstaenden ganz unmoeglich.
Und hier ist es denn notwendig, sich darueber verstaendlich zu machen,
was man denn unter dem Ausdruck eines Gegenstandes der Vorstellungen
meine. Wir haben oben gesagt: dass Erscheinungen selbst nichts als
sinnliche Vorstellungen sind, die an sich, in eben derselben Art,
nicht als Gegenstaende (ausser der Vorstellungskraft) muessen
angesehen werden. Was versteht man denn, wenn man von einem der
Erkenntnis korrespondierenden, mithin auch davon unterschiedenen,
Gegenstand redet? Es ist leicht einzusehen, dass dieser Gegenstand
nur als etwas ueberhaupt = X muesse gedacht werden, weil wir ausser
unserer Erkenntnis doch nichts haben, welches wir dieser Erkenntnis
als korrespondierend gegenuebersetzen koennten.
Wir finden aber, dass unser Gedanke von der Beziehung aller Erkenntnis
auf ihren Gegenstand etwas von Notwendigkeit bei sich fuehre, da
naemlich dieser als dasjenige angesehen wird, was dawider ist, dass
unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl, oder beliebig, sondern a
priori auf gewisse Weise bestimmt seien, weil, indem sie sich auf
einen Gegenstand beziehen sollen, sie auch notwendigerweise in
Beziehung auf diesen untereinander uebereinstimmen, d.i. diejenige
Einheit haben muessen, welche den Begriff von einem Gegenstande
ausmacht.
Es ist aber klar, dass, da wir es nur mit dem Mannigfaltigen unserer
Vorstellungen zu tun haben, und jenes X, was ihnen korrespondiert
(der Gegenstand), weil er etwas von allen unsern Vorstellungen
Unterschiedenes sein soll, fuer uns nichts ist, die Einheit, welche
der Gegenstand notwendig macht, nichts anderes sein koenne, als die
normale Einheit des Bewusstseins in der Synthesis des Mannigfaltigen
der Vorstellungen. Alsdann sagen wir: wir erkennen den Gegenstand,
wenn wir in dem Mannigfaltigen der Anschauung synthetische Einheit
bewirkt haben. Diese ist aber unmoeglich, wenn die Anschauung nicht
durch eine solche Funktion der Synthesis nach einer Regel hat
hervorgebracht werden koennen, welche die Reproduktion des
Mannigfaltigen a priori notwendig und einen Begriff, in welchem dieses
sich vereinigt, moeglich macht. So denken wir uns einen Triangel als
Gegenstand, indem wir uns der Zusammensetzung von drei geraden Linien
nach einer Regel bewusst sind, nach welcher eine solche Anschauung
jederzeit dargestellt werden kann. Diese Einheit der Regel bestimmt
nun alles Mannigfaltige, und schraenkt es auf Bedingungen ein, welche
die Einheit der Apperzeption moeglich machen, und der Begriff dieser
Einheit ist die Vorstellung vom Gegenstande = X, den ich durch die
gedachten Praedikate eines Triangels denke.
Alles Erkenntnis erfordert einen Begriff, dieser mag nun so
unvollkommen, oder so dunkel sein, wie er wolle: dieser aber ist
seiner Form nach jederzeit etwas Allgemeines, und was zur Regel dient.
So dient der Begriff vom Koerper nach der Einheit des Mannigfaltigen,
welches durch ihn gedacht wird, unserer Erkenntnis aeusserer
Erscheinungen zur Regel. Eine Regel der Anschauungen kann er aber
nur dadurch sein: dass er bei gegebenen Erscheinungen die notwendige
Reproduktion des Mannigfaltigen derselben, mithin die synthetische
Einheit in ihrem Bewusstsein, vorstellt. So macht der Begriff des
Koerpers, bei der Wahrnehmung von etwas ausser uns, die Vorstellung
der Ausdehnung, und mit ihr die der Undurchdringlichkeit, der Gestalt
usw. notwendig.
Aller Notwendigkeit liegt jederzeit eine transzendentale Bedingung
zum Grunde. Also muss ein transzendentaler Grund der Einheit des
Bewusstseins, in der Synthesis des Mannigfaltigen aller unserer
Anschauungen, mithin auch, der Begriffe der Objekte ueberhaupt,
folglich auch aller Gegenstaende, der Erfahrung, angetroffen werden,
ohne welchen es unmoeglich waere, zu unseren Anschauungen irgendeinen
Gegenstand zu denken: denn dieser ist nichts mehr, als das Etwas,
davon der Begriff eine solche Notwendigkeit der Synthesis ausdrueckt.
Diese urspruengliche und transzendentale Bedingung ist nun keine
andere, als die transzendentale Apperzeption. Das Bewusstsein seiner
selbst, nach den Bestimmungen unseres Zustandes, bei der inneren
Wahrnehmung ist bloss empirisch, jederzeit wandelbar, es kann
kein stehendes oder bleibendes Selbst in diesem Flusse innerer
Erscheinungen geben, und wird gewoehnlich der innere Sinn genannt,
oder die empirische Apperzeption. Das was notwendig als numerisch
identisch vorgestellt werden soll, kann nicht als ein solches durch
empirische Data gedacht werden. Es muss eine Bedingung sein, die vor
aller Erfahrung vorhergeht, und diese selbst moeglich macht, welche
eine solche transzendentale Voraussetzung geltend machen soll.
Nun koennen keine Erkenntnisse in uns stattfinden, keine Verknuepfung
und Einheit derselben untereinander, ohne diejenige Einheit des
Bewusstseins, welche vor allen Datis der Anschauungen vorhergeht,
und, worauf in Beziehung, alle Vorstellung von Gegenstaenden allein
moeglich ist. Dieses reine urspruengliche, unwandelbare Bewusstsein
will ich nun die transzendentale Apperzeption nennen. Dass sie
diesen Namen verdiene, erhellt schon daraus: dass selbst die reinste
objektive Einheit, naemlich die der Begriffe a priori (Raum und Zeit)
nur durch Beziehung der Anschauungen auf sie moeglich sein. Die
numerische Einheit dieser Apperzeption liegt also a priori allen
Begriffen ebensowohl zum Grunde, als die Mannigfaltigkeit des Raumes
und der Zeit den Anschauungen der Sinnlichkeit.
Eben diese transzendentale Einheit der Apperzeption macht aber aus
allen moeglichen Erscheinungen, die immer in einer Erfahrung beisammen
sein koennen, einen Zusammenhang aller dieser Vorstellungen nach
Gesetzen. Denn diese Einheit des Bewusstseins waere unmoeglich,
wenn nicht das Gemuet in der Erkenntnis des Mannigfaltigen sich der
Identitaet der Funktion bewusst werden koennte, wodurch sie dasselbe
synthetisch in einer Erkenntnis verbindet. Also ist das urspruengliche
und notwendige Bewusstsein der Identitaet seiner selbst zugleich ein
Bewusstsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller
Erscheinungen nach Begriffen, d.i. nach Regeln, die sie nicht allein
notwendig reproduzibel machen, sondern dadurch auch ihrer Anschauung
einen Gegenstand bestimmen, d.i. den Begriff von etwas, darin sie
notwendig zusammenhaengen: denn das Gemuet konnte sich unmoeglich die
Identitaet seiner selbst in der Mannigfaltigkeit seiner Vorstellungen
und zwar a priori denken, wenn es nicht die Identitaet seiner Handlung
vor Augen haette, welche alle Synthesis der Apprehension (die
empirisch ist) einer transzendentalen Einheit unterwirft, und ihren
Zusammenhang nach Regeln a priori zuerst moeglich macht. Nunmehro
werden wir auch unsere Begriffe von einem Gegenstande ueberhaupt
richtiger bestimmen koennen. Alle Vorstellungen haben, als
Vorstellungen, ihren Gegenstand, und koennen selbst wiederum
Gegenstaende anderer Vorstellungen sein. Erscheinungen sind die
einzigen Gegenstaende, die uns unmittelbar gegeben werden koennen, und
das, was sich darin unmittelbar auf den Gegenstand bezieht, heisst
Anschauung. Nun sind aber diese Erscheinungen nicht Dinge an sich
selbst, sondern selbst nur Vorstellungen, die wiederum ihren
Gegenstand haben, der also von uns nicht mehr angeschaut werden kann,
und daher der nichtempirische, d.i. transzendentale Gegenstand = X
genannt werden mag.
Der reine Begriff von diesem transzendentalen Gegenstande, (der
wirklich bei allen unsern Erkenntnissen immer einerlei = X ist,) ist
das, was in allen unseren empirischen Begriffen ueberhaupt Beziehung
auf einen Gegenstand, d.i. objektive Realitaet verschaffen kann.
Dieser Begriff kann nun gar keine bestimmte Anschauung enthalten, und
wird also nichts anderes, als diejenige Einheit betreffen, die in
einem Mannigfaltigen der Erkenntnis angetroffen werden muss, sofern
es in Beziehung auf einen Gegenstand steht. Diese Beziehung aber ist
nichts anderes, als die notwendige Einheit des Bewusstseins, mithin
auch der Synthesis des Mannigfaltigen durch gemeinschaftliche Funktion
des Gemuets, es in einer Vorstellung zu verbinden. Da nun diese
Einheit als a priori notwendig angesehen werden muss, (weil die
Erkenntnis sonst ohne Gegenstand sein wuerde) so wird die Beziehung
auf einen transzendentalen Gegenstand d.i. die objektive Realitaet
unserer empirischen Erkenntnis, auf dem transzendentalen Gesetze
beruhen, dass alle Erscheinungen, sofern uns dadurch Gegenstaende
gegeben werden sollen, unter Regeln a priori der synthetischen
Einheit derselben stehen muessen, nach welchen ihr Verhaeltnis in der
empirischen Anschauung allein moeglich ist, d.i. dass sie ebensowohl
in der Erfahrung unter Bedingungen der notwendigen Einheit der
Apperzeption, als in der blossen Anschauung unter den formalen
Bedingungen des Raumes und der Zeit stehen muessen, ja dass durch jene
jede Erkenntnis allererst moeglich werde.
4. Vorlaeufige Erklaerung der Moeglichkeit der Kategorien, als
   Erkenntnissen a priori
Es ist nur eine Erfahrung, in welcher alle Wahrnehmungen als im
durchgaengigen und gesetzmaessigen Zusammenhange vorgestellt werden:
ebenso, wie nur ein Raum und Zeit ist, in welcher alle Formen
der Erscheinung und alles Verhaeltnis des Seins oder Nichtseins
stattfinden. Wenn man von verschiedenen Erfahrungen spricht, so sind
es nur so viel Wahrnehmungen, sofern solche zu einer und derselben
allgemeinen Erfahrung gehoeren. Die durchgaengige und synthetische
Einheit der Wahrnehmungen macht naemlich gerade die Form der Erfahrung
aus, und sie ist nichts anderes, als die synthetische Einheit der
Erscheinungen nach Begriffen.
Einheit der Synthesis nach empirischen Begriffen wuerde ganz zufaellig
sein und, gruendeten diese sich nicht auf einen transzendentalen
Grund der Einheit, so wuerde es moeglich sein, dass ein Gewuehle von
Erscheinungen unsere Seele anfuellte, ohne dass doch daraus jemals
Erfahrung werden koennte. Alsdann fiele aber auch alle Beziehung
der Erkenntnis auf Gegenstaende weg, weil ihr die Verknuepfung nach
allgemeinen und notwendigen Gesetzen mangelte, mithin wuerde sie zwar
gedankenlose Anschauung, aber niemals Erkenntnis, also fuer uns soviel
als gar nichts sein.
Die Bedingungen a priori einer moeglichen Erfahrung ueberhaupt sind
zugleich Bedingungen der Moeglichkeit der Gegenstaende der Erfahrung.
Nun behaupte ich: die eben angefuehrten Kategorien sind nichts
anderes, als die Bedingungen des Denkens in einer moeglichen
Erfahrung, sowie Raum und Zeit die Bedingungen der Anschauung zu
eben derselben enthalten. Also sind jene auch Grundbegriffe, Objekte
ueberhaupt zu den Erscheinungen zu denken, und haben also a priori
objektive Gueltigkeit; welches dasjenige war, was wir eigentlich
wissen wollten.
Die Moeglichkeit aber, ja sogar die Notwendigkeit dieser Kategorien
beruht auf der Beziehung, welche die gesamte Sinnlichkeit, und mit
ihr auch alle moeglichen Erscheinungen, auf die urspruengliche
Apperzeption haben, in welcher alles notwendig den Bedingungen der
durchgaengigen Einheit des Selbstbewusstseins gemaess sein, d.i.
unter allgemeinen Funktionen der Synthesis stehen muss, naemlich der
Synthesis nach Begriffen, als worin die Apperzeption allein ihre
durchgaengige und notwendige Identitaet a priori beweisen kann. So ist
der Begriff einer Ursache nichts anderes, als eine Synthesis (dessen,
was in der Zeitreihe folgt, mit anderen Erscheinungen,) nach
Begriffen, und ohne dergleichen Einheit, die ihre Regel a priori
hat, und die Erscheinungen sich unterwirft, wuerde durchgaengige
und allgemeine, mithin notwendige Einheit des Bewusstseins, in dem
Mannigfaltigen der Wahrnehmungen, nicht angetroffen werden. Diese
wuerden aber alsdann auch zu keiner Erfahrung gehoeren, folglich ohne
Objekt, und nichts als ein blinden Spiel der Vorstellungen, d.i.
weniger, als ein Traum sein.
Alle Versuche, jene reinen Verstandesbegriffe von der Erfahrung
abzuleiten, und ihnen einen bloss empirischen Ursprung zuzuschreiben,
sind also ganz eitel und vergeblich. Ich will davon nichts erwaehnen,
dass z.E. der Begriff einer Ursache den Zug von Notwendigkeit bei sich
fuehrt, welche gar keine Erfahrung geben kann, die uns zwar lehrt:
dass auf eine Erscheinung gewoehnlichermassen etwas anderes folge,
aber nicht, dass es notwendig darauf folgen muesse, noch dass a priori
und ganz allgemein daraus als einer Bedingung auf die Folge koenne
geschlossen werden. Aber jene empirische Regel der Assoziation, die
man doch durchgaengig annehmen muss, wenn man sagt: dass alles in
der Reihenfolge der Begebenheiten dermassen unter Regeln stehe, dass
niemals etwas geschieht, vor welchem nicht etwas vorhergehe, darauf es
jederzeit folge: dieses, als ein Gesetz der Natur, worauf beruht es,
frage ich? und wie ist selbst diese Assoziation moeglich? Der Grund
der Moeglichkeit der Assoziation des Mannigfaltigen, sofern es
im Objekte liegt, heisst die Affinitaet des Mannigfaltigen. Ich
frage also, wie macht ihr euch die durchgaengige Affinitaet der
Erscheinungen, (dadurch sie unter bestaendigen Gesetzen stehen, und
darunter gehoeren muessen,) begreiflich?
Nach meinen Grundsaetzen ist sie sehr wohl begreiflich. Alle
moeglichen Erscheinungen gehoeren, als Vorstellungen, zu dem
ganzen moeglichen Selbstbewusstsein. Von diesem aber, als einer
transzendentalen Vorstellung, ist die numerische Identitaet
unzertrennlich, und a priori gewiss, weil nichts in das Erkenntnis
kommen kann, ohne vermittels dieser urspruenglichen Apperzeption. Da
nun diese Identitaet notwendig in der Synthesis alles Mannigfaltigen
der Erscheinungen, sofern sie empirische Erkenntnis werden soll,
hineinkommen muss, so sind die Erscheinungen Bedingungen a priori
unterworfen, welchen ihre Synthesis (der Apprehension) durchgaengig
gemaess sein muss. Nun heisst aber die Vorstellung einer allgemeinen
Bedingung, nach welcher ein gewisses Mannigfaltige, (mithin auf
einerlei Art) gesetzt werden kann, eine Regel, und wenn es so gesetzt
werden muss, ein Gesetz. Also stehen alle Erscheinungen in einer
durchgaengigen Verknuepfung nach notwendigen Gesetzen, und mithin in
einer transzendentalen Affinitaet, woraus die empirische die blosse
Folge ist.
Dass die Natur sich nach unserem subjektiven Grunde der Apperzeption
richten, ja gar davon in Ansehung ihrer Gesetzmaessigkeit abhaengen
solle, lautet wohl sehr widersinnig und befremdlich. Bedenkt man aber,
dass diese Natur an sich nichts als ein Inbegriff von Erscheinungen,
mithin kein Ding an sich, sondern bloss eine Menge von Vorstellungen
des Gemuets sei, so wird man sich nicht wundern, sie bloss in
dem Radikalvermoegen aller unserer Erkenntnis, naemlich der
transzendentalen Apperzeption, in derjenigen Einheit zu sehen, um
derentwillen allein sie Objekt aller moeglichen Erfahrung, d.i. Natur
heissen kann; und dass wir auch eben darum diese Einheit a priori,
mithin auch als notwendig erkennen koennen, welches wir wohl muessten
unterwegs lassen, waere sie unabhaengig von den ersten Quellen unseres
Denkens an sich gegeben. Denn da wuesste ich nicht, wo wir die
synthetischen Saetze einer solchen allgemeinen Natureinheit hernehmen
sollten, weil man sie auf solchen Fall von den Gegenstaenden der Natur
selbst entlehnen muesste. Da dieses aber nur empirisch geschehen
koennte: so wuerde daraus keine andere, als bloss zufaellige Einheit
gezogen werden koennen, die aber bei weitem an den notwendigen
Zusammenhang nicht reicht, den man meint, wenn man Natur nennt.
Der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe
Dritter Abschnitt
Von dem Verhaeltnisse des Verstandes zu Gegenstaenden ueberhaupt und
der Moeglichkeit diese a priori zu erkennen
Was wir im vorigen Abschnitte abgesondert und einzeln vortrugen,
wollen wir jetzt vereinigt und im Zusammenhange vorstellen. Es sind
drei subjektive Erkenntnisquellen, worauf die Moeglichkeit einer
Erfahrung ueberhaupt, und Erkenntnis der Gegenstaende derselben
beruht: Sinn, Einbildungskraft und Apperzeption; jede derselben kann
als empirisch, naemlich in der Anwendung auf gegebene Erscheinungen
betrachtet werden, alle aber sind auch Elemente oder Grundlagen a
priori, welche selbst diesen empirischen Gebrauch moeglich machen.
Der Sinn stellt die Erscheinungen empirisch in der Wahrnehmung vor,
die Einbildungskraft in der Assoziation (und Reproduktion), die
Apperzeption in dem empirischen Bewusstsein der Identitaet dieser
reproduktiven Vorstellungen mit den Erscheinungen, dadurch sie gegeben
waren, mithin in der Rekognition.
Es liegt aber der saemtlichen Wahrnehmung die reine Anschauung (in
Ansehung ihrer als Vorstellungen die Form der inneren Anschauung,
die Zeit,) der Assoziation die reine Synthesis der Einbildungskraft,
und dein empirischen Bewusstsein die reine Apperzeption, d.i.
die durchgaengige Identitaet seiner selbst bei allen moeglichen
Vorstellungen, a priori zum Grunde.
Wollen wir nun den inneren Grund dieser Verknuepfung der Vorstellungen
bis auf denjenigen Punkt verfolgen, in welchem sie alle zusammenlaufen
muessen, um darin allererst Einheit der Erkenntnis zu einer moeglichen
Erfahrung zu bekommen, so muessen wir von der reinen Apperzeption
anfangen. Alle Anschauungen sind fuer uns nichts, und gehen uns nicht
im mindesten etwas an, wenn sie nicht ins Bewusstsein aufgenommen
werden koennen, sie moegen nun direkt oder indirekt darauf
einfliessen, und nur durch dieses allein ist Erkenntnis moeglich. Wir
sind uns a priori der durchgaengigen Identitaet unserer selbst in
Ansehung aller Vorstellungen, die zu unserem Erkenntnis jemals
gehoeren koennen, bewusst, als einer notwendigen Bedingung der
Moeglichkeit aller Vorstellungen, (weil diese in mir doch nur dadurch
etwas vorstellen, dass sie mit allem anderen zu einem Bewusstsein
gehoeren, mithin darin wenigstens muessen verknuepft werden koennen).
Dies Prinzip steht a priori fest, und kann das transzendentale Prinzip
der Einheit alles Mannigfaltigen unserer Vorstellungen (mithin auch
in der Anschauung), heissen. Nun ist die Einheit des Mannigfaltigen
in einem Subjekt synthetisch: also gibt die reine Apperzeption ein
Prinzipium der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in aller
moeglichen Anschauung an die Hand*.
* Man gebe auf diesen Satz wohl acht, der von grosser Wichtigkeit
  ist. Alle Vorstellungen haben eine notwendige Beziehung auf ein
  moegliches empirisches Bewusstsein: denn haetten sie dieses nicht,
  und waere es gaenzlich unmoeglich, sich ihrer bewusst zu werden;
  so wuerde das soviel sagen, sie existierten gar nicht. Alles
  empirische Bewusstsein hat aber eine notwendige Beziehung auf ein
  transzendentales (vor aller besondern Erfahrung vorhergehendes)
  Bewusstsein, naemlich das Bewusstsein meiner selbst, als die
  urspruengliche Apperzeption. Es ist also schlechthin notwendig,
  dass in meinem Erkenntnisse alles Bewusstsein zu einem Bewusstsein
  (meiner selbst) gehoere. Hier ist nun eine synthetische Einheit des
  Mannigfaltigen, (Bewusstseins) die a priori erkannt wird, und gerade
  so den Grund zu synthetischen Saetzen a priori, die das reine Denken
  betreffen, als Raum und Zeit zu solchen Saetzen, die die Form der
  blossen Anschauung angehen, abgibt. Der synthetische Satz: dass
  alles verschiedene empirische Bewusstsein in einem einigen
  Selbstbewusstsein verbunden sein muesse, ist der schlechthin erste
  und synthetische Grundsatz unseres Denkens ueberhaupt. Es ist aber
  nicht aus der Acht zu lassen, dass die blosse Vorstellung Ich in
  Beziehung auf alle anderen (deren kollektive Einheit sie moeglich
  macht) das transzendentale Bewusstsein sei. Diese Vorstellung mag
  nun klar (empirisches Bewusstsein) oder dunkel sein, daran liegt
  hier nichts, ja nicht einmal an der Wirklichkeit desselben; sondern
  die Moeglichkeit der logischen Form alles Erkenntnisses beruht
  notwendig auf dem Verhaeltnis zu dieser Apperzeption als einem
  Vermoegen.
Diese synthetische Einheit setzt aber eine Synthesis voraus, oder
schliesst sie ein, und soll jene a priori notwendig sein, so muss
letztere auch eine Synthesis a priori sein. Also bezieht sich die
transzendentale Einheit der Apperzeption auf die reine Synthesis der
Einbildungskraft, als eine Bedingung a priori der Moeglichkeit aller
Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer Erkenntnis. Es kann
aber nur die produktive Synthesis der Einbildungskraft a priori
stattfinden, denn die reproduktive beruht auf Bedingungen der
Erfahrung. Also ist das Prinzipium der notwendigen Einheit der reinen
(produktiven) Synthesis der Einbildungskraft vor der Apperzeption der
Grund der Moeglichkeit aller Erkenntnis, besonders der Erfahrung.
Nun nennen wir die Synthesis des Mannigfaltigen in der
Einbildungskraft transzendental, wenn ohne Unterschied der
Anschauungen sie auf nichts, als bloss auf die Verbindung des
Mannigfaltigen a priori geht, und die Einheit dieser Synthesis heisst
transzendental, wenn sie in Beziehung auf die urspruengliche Einheit
der Apperzeption, als a priori notwendig vorgestellt wird. Da diese
letztere nun der Moeglichkeit aller Erkenntnisse zum Grunde liegt, so
ist die transzendentale Einheit der Synthesis der Einbildungskraft
die reine Form aller moeglichen Erkenntnis, durch welche mithin alle
Gegenstaende moeglicher Erfahrung a priori vorgestellt werden muessen.
Die Einheit der Apperzeption in Beziehung auf die Synthesis der
Einbildungskraft ist der Verstand, und eben dieselbe Einheit,
beziehungsweise auf die transzendentale Synthesis der
Einbildungskraft, der reine Verstand. Also sind im Verstande reine
Erkenntnisse a priori, welche die notwendige Einheit der reinen
Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung aller moeglichen
Erscheinungen, enthalten. Dieses sind aber die Kategorien, d.i. reine
Verstandesbegriffe, folglich enthaelt die empirische Erkenntniskraft
des Menschen notwendig einen Verstand, der sich auf alle Gegenstaende
der Sinne, obgleich nur vermittelst der Anschauung, und der Synthesis
derselben durch Einbildungskraft bezieht, unter welchen also alle
Erscheinungen, als Data zu einer moeglichen Erfahrung stehen. Da nun
diese Beziehung der Erscheinungen auf moegliche Erfahrung ebenfalls
notwendig ist, (weil wir ohne diese gar keine Erkenntnis durch sie
bekommen wuerden, und sie uns mithin gar nichts angingen) so folgt,
dass der reine Verstand, vermittelst der Kategorien, ein formales und
synthetischen Prinzipium aller Erfahrungen sei, und die Erscheinungen
eine notwendige Beziehung auf den Verstand haben.
Jetzt wollen wir den notwendigen Zusammenhang des Verstandes mit den
Erscheinungen vermittelst der Kategorien dadurch vor Augen legen, dass
wir von unten auf, naemlich dem Empirischen anfangen. Das Erste, was
uns gegeben wird, ist Erscheinung, welche, wenn sie mit Bewusstsein
verbunden ist, Wahrnehmung heisst, (ohne das Verhaeltnis zu einem,
wenigstens moeglichen Bewusstsein, wuerde Erscheinung fuer uns niemals
ein Gegenstand der Erkenntnis werden koennen, und also fuer uns nichts
sein, und weil sie an sich selbst keine objektive Realitaet hat,
und nur im Erkenntnisse existiert, ueberall nichts sein). Weil aber
jede Erscheinung ein Mannigfaltiges enthaelt, mithin verschiedene
Wahrnehmungen im Gemuete an sich zerstreut und einzeln angetroffen
werden, so ist eine Verbindung derselben noetig, welche sie in dem
Sinne selbst nicht haben koennen. Es ist also in uns ein taetiges
Vermoegen der Synthesis dieses Mannigfaltigen, welches wir
Einbildungskraft nennen, und deren unmittelbar an den Wahrnehmungen
ausgeuebte Handlung ich Apprehension nenne*. Die Einbildungskraft soll
naemlich das Mannigfaltige der Anschauung in ein Bild bringen, vorher
muss sie also die Eindruecke in ihre Taetigkeit aufnehmen, d.i.
apprehendieren.
* Dass die Einbildungskraft ein notwendiges Ingredienz der Wahrnehmung
  selbst sei, daran hat wohl noch kein Psychologe gedacht. Das kommt
  daher, weil man dieses Vermoegen teils nur auf Reproduktionen
  einschraenkte, teils, weil man glaubte, die Sinne lieferten uns
  nicht allein Eindruecke, sondern setzten solche auch sogar zusammen,
  und braechten Bilder der Gegenstaende zuwege, wozu ohne Zweifel
  ausser der Empfaenglichkeit der Eindruecke, noch etwas mehr,
  naemlich eine Funktion der Synthesis derselben erfordert wird.
Es ist aber klar, dass selbst diese Apprehension des Mannigfaltigen
allein noch kein Bild und keinen Zusammenhang der Eindruecke
hervorbringen wuerde, wenn nicht ein subjektiver Grund da waere, eine
Wahrnehmung, von welcher das Gemuet zu einer anderen uebergegangen,
zu den nachfolgenden herueberzurufen, und so ganze Reihen derselben
darzustellen, d.i. ein reproduktives Vermoegen der Einbildungskraft,
welches denn auch nur empirisch ist.
Weil aber, wenn Vorstellungen, sowie sie zusammengeraten, einander
ohne Unterschied reproduzierten, wiederum kein bestimmter Zusammenhang
derselben, sondern bloss regellose Haufen derselben, mithin gar kein
Erkenntnis entspringen wuerde, so muss die Reproduktion derselben eine
Regel haben, nach welcher eine Vorstellung vielmehr mit dieser, als
einer anderen in der Einbildungskraft in Verbindung tritt. Diesen
subjektiven und empirischen Grund der Reproduktion nach Regeln nennt
man die Assoziation der Vorstellungen.
Wuerde nun aber diese Einheit der Assoziation nicht auch einen
objektiven Grund haben, so dass es unmoeglich waere, dass
Erscheinungen von der Einbildungskraft anders apprehendiert wuerden,
als unter der Bedingung einer moeglichen synthetischen Einheit dieser
Apprehension, so wuerde es auch etwas ganz Zufaelliges sein, dass sich
Erscheinungen in einen Zusammenhang der menschlichen Erkenntnisse
schickten. Denn, ob wir gleich das Vermoegen haetten, Wahrnehmungen zu
assoziieren, so bliebe es doch an sich ganz unbestimmt und zufaellig,
ob sie auch assoziabel waeren; und in dem Falle, dass sie es nicht
waeren, so wuerde eine Menge Wahrnehmungen, und auch wohl eine ganze
Sinnlichkeit moeglich sein, in welcher viel empirisches Bewusstsein in
meinem Gemuete anzutreffen waere, aber getrennt, und ohne dass es zu
einem Bewusstsein meiner selbst gehoerte, welches aber unmoeglich ist.
Denn nur dadurch, dass ich alle Wahrnehmungen zu einem Bewusstsein
(der urspruenglichen Apperzeption) zaehle, kann ich bei allen
Wahrnehmungen sagen: dass ich mir ihrer bewusst sei. Es muss also ein
objektiver, d.i. vor allen empirischen Gesetzen der Einbildungskraft
a priori einzusehender Grund sein, worauf die Moeglichkeit, ja sogar
die Notwendigkeit eines durch alle Erscheinungen sich erstreckenden
Gesetzes beruht, sie naemlich durchgaengig als solche Data der Sinne,
anzusehen, welche an sich assoziabel, und allgemeinen Regeln einer
durchgaengigen Verknuepfung in der Reproduktion unterworfen sind.
Diesen objektiven Grund aller Assoziation der Erscheinungen nenne ich
die Affinitaet derselben. Diesen koennen wir aber nirgends anders, als
in dem Grundsatze von der Einheit der Apperzeption, in Ansehung aller
Erkenntnisse, die mir angehoeren sollen, antreffen. Nach diesem
muessen durchaus alle Erscheinungen, so ins Gemuet kommen, oder
apprehendiert werden, dass sie zur Einheit der Apperzeption
zusammenstimmen, welches, ohne synthetische Einheit in ihrer
Verknuepfung, die mithin auch objektiv notwendig ist, unmoeglich sein
wuerde.
Die objektive Einheit alles (empirischen) Bewusstseins in einem
Bewusstsein (der urspruenglichen Apperzeption) ist also die notwendige
Bedingung sogar aller moeglichen Wahrnehmung, und die Affinitaet aller
Erscheinungen (nahe, oder entfernte) ist eine notwendige Folge einer
Synthesis in der Einbildungskraft, die a priori auf Regeln gegruendet
ist.
Die Einbildungskraft ist also auch ein Vermoegen einer Synthesis a
priori, weswegen wir ihr den Namen der produktiven Einbildungskraft
geben, und, sofern sie in Ansehung alles Mannigfaltigen der
Erscheinung nichts weiter, als die notwendige Einheit in der Synthesis
derselben zu ihrer Absicht hat, kann diese die transzendentale
Funktion der Einbildungskraft genannt werden. Es ist daher zwar
befremdlich, allein aus dem bisherigen doch einleuchtend, dass nur
vermittelst dieser transzendentalen Funktion der Einbildungskraft,
sogar die Affinitaet der Erscheinungen, mit ihr die Assoziation und
durch diese endlich die Reproduktion nach Gesetzen, folglich die
Erfahrung selbst moeglich werde: weil ohne sie gar keine Begriffe von
Gegenstaenden in eine Erfahrung zusammenfliessen wuerden.
Denn das stehende und bleibende Ich (der reinen Apperzeption) macht
das Korrelat um aller unserer Vorstellungen aus, sofern es bloss
moeglich ist, sich ihrer bewusst zu werden, und alles Bewusstsein
gehoert ebensowohl zu einer allbefassenden reinen Apperzeption, wie
alle sinnliche Anschauung als Vorstellung zu einer reinen inneren
Anschauung, naemlich der Zeit. Diese Apperzeption ist es nun, welche
zu der reinen Einbildungskraft hinzukommen muss, um ihre Funktion
intellektuell zu machen. Denn an sich selbst ist die Synthesis der
Einbildungskraft, obgleich a priori ausgeuebt, dennoch jederzeit
sinnlich, weil sie das Mannigfaltige nur so verbindet, wie es in der
Anschauung erscheint, z.B. die Gestalt eines Triangels. Durch das
Verhaeltnis des Mannigfaltigen aber zur Einheit der Apperzeption
werden Begriffe, welche dem Verstande angehoeren, aber nur vermittelst
der Einbildungskraft in Beziehung auf die sinnliche Anschauung
zustande kommen koennen.
Wir haben also eine reine Einbildungskraft, als ein Grundvermoegen der
menschlichen Seele, das aller Erkenntnis a priori zum Grunde liegt.
Vermittelst deren bringen wir das Mannigfaltige der Anschauung
einerseits, und mit der Bedingung der notwendigen Einheit der reinen
Apperzeption andererseits in Verbindung. Beide aeusserste Enden,
naemlich Sinnlichkeit und Verstand, muessen vermittelst dieser
transzendentalen Funktion der Einbildungskraft notwendig
zusammenhaengen; weil jene sonst zwar Erscheinungen, aber keine
Gegenstaende eines empirischen Erkenntnisses, mithin keine Erfahrung
geben wuerden. Die wirkliche Erfahrung, welche aus der Apprehension,
der Assoziation, (der Reproduktion,) endlich der Rekognition der
Erscheinungen besteht, enthaelt in der letzteren und hoechsten (der
bloss empirischen Elemente der Erfahrung) Begriffe, welche die
formale Einheit der Erfahrung, und mit ihr alle objektive Gueltigkeit
(Wahrheit) der empirischen Erkenntnis moeglich machen. Diese Gruende
der Rekognition des Mannigfaltigen, sofern sie bloss die Form einer
Erfahrung ueberhaupt angehen, sind nun jene Kategorien. Auf ihnen
gruendet sich also alle normale Einheit in der Synthesis der
Einbildungskraft, und vermittelst dieser auch alles empirischen
Gebrauchs derselben (in der Rekognition, Reproduktion, Assoziation,
Apprehension) bis herunter zu den Erscheinungen, weil diese, nur
vermittelst jener Elemente der Erkenntnis und ueberhaupt unserem
Bewusstsein, mithin um selbst angehoeren koennen.
Die Ordnung und Regelmaessigkeit also an den Erscheinungen, die wir
Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und wuerden sie auch nicht
darin finden koennen, haetten wir sie nicht, oder die Natur unseres
Gemuets urspruenglich hineingelegt. Denn diese Natureinheit soll
eine notwendige, d.i. a priori gewisse Einheit der Verknuepfung
der Erscheinungen sein. Wie sollten wir aber wohl a priori eine
synthetische Einheit auf die Bahn bringen koennen, waeren nicht in den
urspruenglichen Erkenntnisquellen unseres Gemuets subjektive Gruende
solcher Einheit a priori enthalten, und waeren diese subjektiven
Bedingungen nicht zugleich objektiv gueltig, indem sie die Gruende der
Moeglichkeit sind, ueberhaupt ein Objekt in der Erfahrung zu erkennen.
Wir haben den Verstand oben auf mancherlei Weise erklaert: durch eine
Spontaneitaet der Erkenntnis, (im Gegensatze der Rezeptivitaet der
Sinnlichkeit) durch ein Vermoegen zu denken, oder auch ein Vermoegen
der Begriffe, oder auch der Urteile, welche Erklaerungen, wenn man sie
bei Licht besieht, auf eins hinauslaufen. Jetzt koennen wir ihn als
das Vermoegen der Regeln charakterisieren. Dieses Kennzeichen ist
fruchtbarer und tritt dem Wesen desselben naeher. Sinnlichkeit
gibt uns Formen, (der Anschauung) der Verstand aber Regeln. Dieser
ist jederzeit geschaeftig, die Erscheinungen in der Absicht
durchzuspaehen, um an ihnen irgendeine Regel aufzufinden. Regeln,
sofern sie objektiv sind, (mithin der Erkenntnis des Gegenstandes
notwendig anhaengen) heissen Gesetze. Ob wir gleich durch Erfahrung
viel Gesetze lernen, so sind diese doch nur besondere Bestimmungen
noch hoeherer Gesetze, unter denen die hoechsten, (unter welchen
andere alle stehen) a priori aus dem Verstande selbst herkommen,
und nicht von der Erfahrung entlehnt sind, sondern vielmehr den
Erscheinungen ihre Gesetzmaessigkeit verschaffen, und eben dadurch
Erfahrung moeglich machen muessen. Es ist also der Verstand nicht
bloss ein Vermoegen, durch Vergleichung der Erscheinungen sich Regeln
zu machen: er ist selbst die Gesetzgebung fuer die Natur, d.i. ohne
Verstand wuerde es ueberall nicht Natur, d.i. synthetische Einheit des
Mannigfaltigen der Erscheinungen nach Regeln geben: denn Erscheinungen
koennen, als solche, nicht ausser uns stattfinden, sondern existieren
nur in unserer Sinnlichkeit. Diese aber, als Gegenstand der Erkenntnis
in einer Erfahrung, mit allem, was sie enthalten mag, ist nur in der
Einheit der Apperzeption moeglich. Die Einheit der Apperzeption aber
ist der transzendentale Grund der notwendigen Gesetzmaessigkeit
der Erscheinungen in einer Erfahrung. Eben dieselbe Einheit der
Apperzeption in Ansehung eines Mannigfaltigen von Vorstellungen (es
naemlich aus einer einzigen zu bestimmen) ist die Regel und das
Vermoegen dieser Regeln der Verstand. Alle Erscheinungen liegen also
als moegliche Erfahrungen ebenso a priori im Verstande und erhalten
ihre formale Moeglichkeit von ihm, wie sie als blosse Anschauungen
in der Sinnlichkeit liegen, und durch dieselbe der Form nach, allein
moeglich sind.
So uebertrieben, so widersinnig es also auch lautet, zu sagen: der
Verstand ist selbst der Quell der Gesetze der Natur, und mithin der
normalen Einheit der Natur, so richtig, und dem Gegenstande, naemlich
der Erfahrung angemessen ist gleichwohl eine solche Behauptung. Zwar
koennen empirische Gesetze, als solche, ihren Ursprung keineswegs
vom reinen Verstande herleiten, so wenig als die unermessliche
Mannigfaltigkeit der Erscheinungen aus der reinen Form der sinnlichen
Anschauung hinlaenglich begriffen werden kann. Aber alle empirischen
Gesetze sind nur besondere Bestimmungen der reinen Gesetze des
Verstandes, unter welchen und nach deren Norm jene allererst moeglich
sind, und die Erscheinungen eine gesetzliche Form annehmen, sowie auch
alle Erscheinungen, unerachtet der Verschiedenheit ihrer empirischen
Form, dennoch jederzeit den Bedingungen der reinen Form der
Sinnlichkeit gemaess sein muessen.
Der reine Verstand ist also in den Kategorien das Gesetz der
synthetischen Einheit aller Erscheinungen, und macht dadurch Erfahrung
ihrer Form nach allererst und urspruenglich moeglich. Mehr aber hatten
wir in der transz. Deduktion der Kategorien nicht zu leisten, als
dieses Verhaeltnis des Verstandes zur Sinnlichkeit, und vermittelst
derselben zu allen Gegenstaenden der Erfahrung, mithin die objektive
Gueltigkeit seiner reinen Begriffe a priori begreiflich zu machen, und
dadurch ihren Ursprung und Wahrheit festzusetzen.
Summarische Vorstellung der Richtigkeit und einzigen Moeglichkeit
dieser Deduktion der reinen Verstandesbegriffe
Waeren die Gegenstaende, womit unsere Erkenntnis zu tun hat, Dinge an
sich selbst, so wuerden wir von diesen gar keine Begriffe a priori
haben koennen. Denn woher sollten wir sie nehmen? Nehmen wir sie vom
Objekt (ohne hier noch einmal zu untersuchen, wie dieses uns bekannt
werden koennte) so waeren unsere Begriffe bloss empirisch, und keine
Begriffe a priori. Nehmen wir sie aus uns selbst, kann das, was
bloss in uns ist, die Beschaffenheit eines von unseren Vorstellungen
unterschiedenen Gegenstandes nicht bestimmen, d.i. ein Grund sein,
warum es ein Ding geben solle, dem so etwas, als wir in Gedanken
haben, zukomme, und nicht vielmehr alle diese Vorstellung leer sei.
Dagegen, wenn wir es ueberall nur mit Erscheinungen zu tun haben, so
ist es nicht allein moeglich, sondern auch notwendig, dass gewisse
Begriffe a priori vor der empirischen Erkenntnis der Gegenstaende
vorhergehen. Denn als Erscheinungen machen sie einen Gegenstand
aus, der bloss in uns ist, weil eine blosse Modifikation unserer
Sinnlichkeit ausser uns gar nicht angetroffen wird. Nun drueckt
selbst diese Vorstellung: dass alle diese Erscheinungen, mithin alle
Gegenstaende, womit wir uns beschaeftigen koennen, insgesamt in mir,
d.i. Bestimmungen meines identischen Selbst sind, eine durchgaengige
Einheit derselben in einer und derselben Apperzeption als notwendig
aus. In dieser Einheit des moeglichen Bewusstseins aber besteht
auch die Form aller Erkenntnis der Gegenstaende, (wodurch das
Mannigfaltige, als zu Einem Objekt gehoerig, gedacht wird). Also geht
die Art, wie das Mannigfaltige der sinnlichen Vorstellung (Anschauung)
zu einem Bewusstsein gehoert, vor aller Erkenntnis des Gegenstandes,
als die intellektuelle Form derselben, vorher, und macht selbst eine
formale Erkenntnis aller Gegenstaende a priori ueberhaupt aus, sofern
sie gedacht werden (Kategorien). Die Synthesis derselben durch die
reine Einbildungskraft, die Einheit aller Vorstellungen in Beziehung
auf die urspruengliche Apperzeption gehen aller empirischen Erkenntnis
vor. Reine Verstandesbegriffe sind also nur darum a priori moeglich,
ja gar, in Beziehung auf Erfahrung, notwendig, weil unser Erkenntnis
mit nichts, als Erscheinungen zu tun hat, deren Moeglichkeit in uns
selbst liegt, deren Verknuepfung und Einheit (in der Vorstellung
eines Gegenstandes) bloss in uns angetroffen wird, mithin vor aller
Erfahrung vorhergehen, und diese der Form nach auch allererst moeglich
machen muss. Und aus diesem Grunde, dem einzigmoeglichen unter allen,
ist dann auch unsere Deduktion der Kategorien gefuehrt worden.
Der transzendentalen Analytik
Zweites Buch
Die Analytik der Grundsaetze
Die allgemeine Logik ist ueber einem Grundrisse erbaut, der ganz genau
mit der Einteilung der oberen Erkenntnisvermoegen zusammentrifft.
Diese sind: Verstand, Urteilskraft und Vernunft. Jene Doktrin handelt
daher in ihrer Analytik von Begriffen, Urteilen und Schluessen, gerade
den Funktionen und der Ordnung jener Gemuetskraefte gemaess, die man
unter der weitlaeufigen Benennung des Verstandes ueberhaupt begreift.
Da gedachte bloss formale Logik von allem Inhalte der Erkenntnis (ob
sie rein und empirisch sei) abstrahiert, und sich bloss mit der Form
des Denkens (der diskursiven Erkenntnis) ueberhaupt beschaeftigt: so
kann sie in ihrem analytischen Teile auch den Kanon fuer die Vernunft
mitbefassen, deren Form ihre sichere Vorschrift hat, die, ohne die
besondere Natur der dabei gebrauchten Erkenntnis in Betracht zu
ziehen, a priori, durch blosse Zergliederung der Vernunfthandlungen in
ihre Momente, eingesehen werden kann.
Die transzendentale Logik, da sie auf einen bestimmten Inhalt,
naemlich bloss der reinen Erkenntnisse a priori, eingeschraenkt ist,
kann es ihr in dieser Einteilung nicht nachtun. Denn es zeigt sich:
dass der transzendentale Gebrauch der Vernunft gar nicht objektiv
gueltig sei, mithin nicht zur Logik der Wahrheit, d.i. der Analytik
gehoere, sondern, als eine Logik des Scheins, einen besonderen Teil
des scholastischen Lehrgebaeudes, unter dem Namen der transzendentalen
Dialektik, erfordere.
Verstand und Urteilskraft haben demnach ihren Kanon des objektiv
gueltigen, mithin wahren Gebrauchs, in der transzendentalen Logik, und
gehoeren also in ihren analytischen Teil. Allein Vernunft in ihren
Versuchen, ueber Gegenstaende a priori etwas auszumachen, und das
Erkenntnis ueber die Grenzen moeglicher Erfahrung zu erweitern, ist
ganz und gar dialektisch, und ihre Scheinbehauptungen schicken sich
durchaus nicht in einen Kanon, dergleichen doch die Analytik enthalten
soll.
Die Analytik der Grundsaetze wird demnach lediglich ein Kanon fuer die
Urteilskraft sein, der sie lehrt, die Verstandesbegriffe, welche die
Bedingung zu Regeln a priori enthalten, auf Erscheinungen anzuwenden.
Aus dieser Ursache werde ich, indem ich die eigentlichen Grundsaetze
des Verstandes zum Thema nehme, mich der Benennung einer Doktrin der
Urteilskraft bedienen, wodurch dieses Geschaeft genauer bezeichnet
wird.
Einleitung
Von der transzendentalen Urteilskraft ueberhaupt
Wenn der Verstand ueberhaupt als das Vermoegen der Regeln erklaert
wird, so ist Urteilskraft das Vermoegen unter Regeln zu subsumieren,
d.i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus
datae legis) stehe, oder nicht. Die allgemeine Logik enthaelt gar
keine Vorschriften fuer die Urteilskraft, und kann sie auch nicht
enthalten. Denn da sie von allem Inhalte der Erkenntnis abstrahiert,
so bleibt ihr nichts uebrig, als das Geschaeft, die blosse Form
der Erkenntnis in Begriffen, Urteilen und Schluessen analytisch
auseinander zu setzen, und dadurch formale Regeln alles
Verstandesgebrauchs zustande zu bringen. Wollte sie nun allgemein
zeigen, wie man unter diese Regeln subsumieren, d.i. unterscheiden
sollte, ob etwas darunter stehe oder nicht, so koennte dieses nicht
anders, als wieder durch eine Regel geschehen. Diese aber erfordert
eben darum, weil sie eine Regel ist, aufs neue eine Unterweisung
der Urteilskraft, und so zeigt sich, dass zwar der Verstand einer
Belehrung und Ausruestung durch Regeln faehig, Urteilskraft aber ein
besonderes Talent sei, welches gar nicht belehrt, sondern nur geuebt
sein will. Daher ist diese auch das Spezifische des sogenannten
Mutterwitzes, dessen Mangel keine Schule ersetzen kann; weil, ob diese
gleich einem eingeschraenkten Verstande Regeln vollauf, von fremder
Einsicht entlehnt, darreichen und gleichsam einpfropfen kann; so muss
doch das Vermoegen, sich ihrer richtig zu bedienen, dem Lehrlinge
selbst angehoeren, und keine Regel, die man ihm in dieser Absicht
vorschreiben moechte, ist, in Ermangelung einer solchen Naturgabe,
vor Missbrauch sicher*. Ein Arzt daher, ein Richter, oder ein
Staatskundiger, kann viel schoene pathologische, juristische oder
politische Regeln im Kopfe haben, in dem Grade, dass er selbst darin
ein gruendlicher Lehrer werden kann, und wird dennoch in der Anwendung
derselben leicht verstossen, entweder, weil es ihm an natuerlicher
Urteilskraft (obgleich nicht am Verstande) mangelt, und er zwar das
Allgemeine in abstracto einsehen, ob ein Fall in concreto darunter
gehoere, nicht unterscheiden kann, oder auch darum, weil er nicht
genug durch Beispiele und wirkliche Geschaefte zu diesem Urteile
abgerichtet worden. Dieses ist auch der einige und grosse Nutzen
der Beispiele: dass sie die Urteilskraft schaerfen. Denn was die
Richtigkeit und Praezision der Verstandeseinsicht betrifft, so tun sie
derselben vielmehr gemeiniglich einigen Abbruch, weil sie nur selten
die Bedingung der Regel adaequat erfuellen (als casus in terminis)
und ueberdem diejenige Anstrengung des Verstandes oftmals schwaechen,
Regeln im allgemeinen, und unabhaengig von den besonderen Umstaenden
der Erfahrung, nach ihrer Zulaenglichkeit, einzusehen, und sie daher
zuletzt mehr wie Formeln, als Grundsaetze, zu gebrauchen angewoehnen.
So sind Beispiele der Gaengelwagen der Urteilskraft, welchen
derjenige, dem es am natuerlichen Talent desselben mangelt, niemals
entbehren kann.
* Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit
  nennt, und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen. Ein
  stumpfer oder eingeschraenkter Kopf, dem es an nichts, als am
  gehoerigen Grade des Verstandes und eigenen Begriffen desselben
  mangelt, ist durch Erlernung sehr wohl, sogar bis zur Gelehrsamkeit,
  auszuruesten. Da es aber gemeiniglich alsdann auch an jenem (der
  secunda Petri) zu fehlen pflegt, so ist es nichts ungewoehnliches,
  sehr gelehrte Maenner anzutreffen, die, im Gebrauche ihrer
  Wissenschaft, jenen nie zu bessernden Mangel haeufig blicken lassen.
Ob nun aber gleich die allgemeine Logik der Urteilskraft keine
Vorschriften geben kann, so ist es doch mit der transzendentalen ganz
anders bewandt, sogar dass es scheint, die letztere habe es zu ihrem
eigentlichen Geschaefte, die Urteilskraft im Gebrauch des reinen
Verstandes, durch bestimmte Regeln zu berichtigen und zu sichern.
Denn, um dem Verstande im Felde reiner Erkenntnisse a priori
Erweiterung zu verschaffen, mithin als Doktrin scheint Philosophie gar
nicht noetig, oder vielmehr uebel angebracht zu sein, weil man nach
allen bisherigen Versuchen damit doch wenig oder gar kein Land
gewonnen hat, sondern als Kritik, um die Fehltritte der Urteilskraft
(lapsus judicii) im Gebrauch der wenigen reinen Verstandesbegriffe,
die wir haben, zu verhueten, dazu (obgleich der Nutzen alsdann nur
negativ ist) wird Philosophie mit ihrer ganzen Scharfsinnigkeit und
Pruefungskunst aufgeboten.
Es hat aber die Transzendental-Philosophie das Eigentuemliche: dass
sie ausser der Regel (oder vielmehr der allgemeinen Bedingung zu
Regeln), die in dem reinen Begriffe des Verstandes gegeben wird,
zugleich a priori den Fall anzeigen kann, worauf sie angewandt werden
sollen. Die Ursache von dem Vorzuge, den sie in diesem Stuecke vor
allen anderen belehrenden Wissenschaften hat, (ausser der Mathematik)
liegt eben darin: dass sie von Begriffen handelt, die sich auf ihre
Gegenstaende a priori beziehen sollen, mithin kann ihre objektive
Gueltigkeit nicht a posteriori dargetan werden; denn das wuerde jene
Dignitaet derselben ganz unberuehrt lassen, sondern sie muss zugleich
die Bedingungen, unter welchen Gegenstaende in Uebereinstimmung
mit jenen Begriffen gegeben werden koennen, in allgemeinen aber
hinreichenden Kennzeichen darlegen, widrigenfalls sie ohne
allen Inhalt, mithin blosse logische Formen und nicht reine
Verstandesbegriffe sein wuerden.
Diese transzendentale Doktrin der Urteilskraft wird nun zwei
Hauptstuecke enthalten: das erste, welches von der sinnlichen
Bedingung handelt, unter welcher reine Verstandesbegriffe allein
gebraucht werden koennen, d.i. von dem Schematismus des reinen
Verstandes; das zweite aber von denen synthetischen Urteilen, welche
aus reinen Verstandesbegriffen unter diesen Bedingungen a priori
herfliessen, und allen uebrigen Erkenntnissen a priori zum Grunde
liegen, d.i. von den Grundsaetzen des reinen Verstandes.
Der transzendentalen Doktrin der Urteilskraft
(oder Analytik der Grundsaetze)
Erstes Hauptstueck
Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe
In allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff muss die
Vorstellung des ersteren mit der letzteren gleichartig sein, d.i.
der Begriff muss dasjenige enthalten, was in dem darunter zu
subsumierenden Gegenstande vorgestellt wird, denn das bedeutet eben
der Ausdruck: ein Gegenstand sei unter einem Begriffe enthalten. So
hat der empirische Begriff eines Tellers mit dem reinen geometrischen
eines Zirkels Gleichartigkeit, indem die Rundung, die in dem ersteren
gedacht wird, sich im letzteren anschauen laesst.
Nun sind aber reine Verstandesbegriffe, in Vergleichung mit
empirischen (ja ueberhaupt sinnlichen) Anschauungen, ganz
ungleichartig, und koennen niemals in irgendeiner Anschauung
angetroffen werden. Wie ist nun die Subsumtion der letzteren unter die
erste, mithin die Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen moeglich,
da doch niemand sagen wird: diese, z.B. die Kausalitaet, koenne auch
durch Sinne angeschaut werden und sei in der Erscheinung enthalten?
Diese so natuerliche und erhebliche Frage ist nun eigentlich die
Ursache, welche eine transzendentale Doktrin der Urteilskraft
notwendig macht, um naemlich die Moeglichkeit zu zeigen, wie reine
Verstandesbegriffe auf Erscheinungen ueberhaupt angewandt werden
koennen. In allen anderen Wissenschaften, wo die Begriffe, durch
die der Gegenstand allgemein gedacht wird, von denen, die diesen in
concreto vorstellen, wie er gegeben wird, nicht so unterschieden und
heterogen sind, ist es unnoetig, wegen der Anwendung des ersteren auf
den letzten besondere Eroerterung zu geben.
Nun ist klar, dass es ein Drittes geben muesse, was einerseits mit der
Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen
muss, und die Anwendung der ersteren auf die letzte moeglich macht.
Diese vermittelnde Vorstellung muss rein (ohne alles Empirische) und
doch einerseits intellektuell, andererseits sinnlich sein. Eine solche
ist das transzendentale Schema.
Der Verstandesbegriff enthaelt reine synthetische Einheit des
Mannigfaltigen ueberhaupt. Die Zeit, als die formale Bedingung des
Mannigfaltigen des inneren Sinnes, mithin der Verknuepfung aller
Vorstellungen, enthaelt ein Mannigfaltiges a priori in der reinen
Anschauung. Nun ist eine transzendentale Zeitbestimmung mit der
Kategorie (die die Einheit derselben ausmacht) sofern gleichartig, als
sie allgemein ist und auf einer Regel a priori beruht. Sie ist aber
andererseits mit der Erscheinung sofern gleichartig, als die Zeit in
jeder empirischen Vorstellung des Mannigfaltigen enthalten ist. Daher
wird eine Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen moeglich sein,
vermittelst der transzendentalen Zeitbestimmung, welche, als das
Schema der Verstandesbegriffe, die Subsumtion der letzteren unter die
erste vermittelt.
Nach demjenigen, was in der Deduktion der Kategorien gezeigt worden,
wird hoffentlich niemand im Zweifel stehen, sich ueber die Frage
zu entschliessen: ob diese reinen Verstandesbegriffe von bloss
empirischem oder auch von transzendentalem Gebrauche sind, d.i. ob
sie lediglich, als Bedingungen einer moeglichen Erfahrung, sich a
priori auf Erscheinungen beziehen, oder ob sie, als Bedingungen der
Moeglichkeit der Dinge ueberhaupt, auf Gegenstaende an sich selbst
(ohne einige Restriktion auf unsere Sinnlichkeit) erstreckt werden
koennen. Denn da haben wir gesehen, dass Begriffe ganz unmoeglich
sind, noch irgend einige Bedeutung haben koennen, wo nicht, entweder
ihnen selbst, oder wenigstens den Elementen, daraus sie bestehen, ein
Gegenstand gegeben ist, mithin auf Dinge an sich (ohne Ruecksicht, ob
und wie sie uns gegeben werden moegen) gar nicht gehen koennen; dass
ferner die einzige Art, wie uns Gegenstaende gegeben werden, die
Modifikation unserer Sinnlichkeit sei; endlich, dass reine Begriffe
a priori, ausser der Funktion des Verstandes in der Kategorie, noch
formale Bedingungen der Sinnlichkeit (namentlich des inneren Sinnes) a
priori enthalten muessen, welche die allgemeine Bedingung enthalten,
unter der die Kategorie allein auf irgendeinen Gegenstand angewandt
werden kann. Wir wollen diese formale und reine Bedingung der
Sinnlichkeit, auf welche der Verstandesbegriff in seinem Gebrauch
restringiert ist, das Schema dieses Verstandesbegriffs, und das
Verfahren des Verstandes mit diesen Schematen den Schematismus des
reinen Verstandes nennen.
Das Schema ist an sich selbst jederzeit nur ein Produkt der
Einbildungskraft; aber indem die Synthesis der letzteren keine
einzelne Anschauung, sondern die Einheit in der Bestimmung der
Sinnlichkeit allein zur Absicht hat, so ist das Schema doch vom Bilde
zu unterscheiden. So, wenn ich fuenf Punkte hintereinander setze, . .
. . . ist dieses ein Bild von der Zahl fuenf. Dagegen, wenn ich eine
Zahl ueberhaupt nur denke, die nun fuenf oder hundert sein kann,
so ist dieses Denken mehr die Vorstellung einer Methode, einem
gewissen Begriffe gemaess eine Menge (z.E. tausend) in einem Bilde
vorzustellen, als dieses Bild selbst, welches ich im letzteren
Falle schwerlich wuerde uebersehen und mit dem Begriff vergleichen
koennen. Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der
Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, nenne ich
das Schema zu diesem Begriffe.
In der Tat liegen unseren reinen sinnlichen Begriffen nicht Bilder
der Gegenstaende, sondern Schemate zum Grunde. Dem Begriffe von einem
Triangel ueberhaupt wuerde gar kein Bild desselben jemals adaequat
sein. Denn es wuerde die Allgemeinheit des Begriffs nicht erreichen,
welche macht, dass dieser fuer alle, recht- oder schiefwinklige usw.
gilt, sondern immer nur auf einen Teil dieser Sphaere eingeschraenkt
sein. Das Schema des Triangels kann niemals anderswo als in
Gedanken existieren, und bedeutet eine Regel der Synthesis der
Einbildungskraft, in Ansehung reiner Gestalten im Raume. Noch viel
weniger erreicht ein Gegenstand der Erfahrung oder Bild desselben
jemals den empirischen Begriff, sondern dieser bezieht sich jederzeit
unmittelbar auf das Schema der Einbildungskraft, als eine Regel der
Bestimmung unserer Anschauung, gemaess einem gewissen allgemeinen
Begriffe. Der Begriff vorn Hunde bedeutet eine Regel, nach welcher
meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfuessigen Tieres
allgemein verzeichnen kann, ohne auf irgendeine einzige besondere
Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes
moegliche Bild, was ich in concreto darstellen kann, eingeschraenkt
zu sein. Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der
Erscheinungen und ihrer blossen Form, ist eine verborgene Kunst in den
Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur
schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen
werden. So viel koennen wir nur sagen: das Bild ist ein Produkt des
empirischen Vermoegens der produktiven Einbildungskraft, das Schema
sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Raume) ein Produkt und
gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch
und wonach die Bilder allererst moeglich werden, die aber mit dem
Begriffe nur immer vermittelst des Schema, welches sie bezeichnen,
verknuepft werden muessen, und an sich demselben nicht voellig
kongruieren. Dagegen ist das Schema eines reinen Verstandesbegriffs
etwas, was in gar kein Bild gebracht werden kann, sondern ist nur
die reine Synthesis, gemaess einer Regel der Einheit nach Begriffen
ueberhaupt, die die Kategorie ausdrueckt, und ist ein transzendentales
Produkt der Einbildungskraft, welches die Bestimmung des inneren
Sinnes ueberhaupt, nach Bedingungen ihrer Form, (der Zeit,) in
Ansehung aller Vorstellungen, betrifft, sofern diese der Einheit
der Apperzeption gemaess a priori in einem Begriff zusammenhaengen
sollten.
Ohne uns nun bei einer trockenen und langweiligen Zergliederung
dessen, was zu transzendentalen Schematen reiner Verstandesbegriffe
ueberhaupt erfordert wird, aufzuhalten, wollen wir sie lieber nach der
Ordnung der Kategorien und in Verknuepfung mit diesen darstellen.
Das reine Bild aller Groessen (quantorum) vor dem aeusseren Sinne,
ist der Raum; aller Gegenstaende der Sinne aber ueberhaupt, die Zeit.
Das reine Schema der Groesse aber (quantitatis), als eines Begriffs
des Verstandes, ist die Zahl, welche eine Vorstellung ist, die
die sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen)
zusammenbefasst. Also ist die Zahl nichts anderes, als die Einheit
der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung
ueberhaupt, dadurch, dass ich die Zeit selbst in der Apprehension der
Anschauung erzeuge.
Realitaet ist im reinen Verstandesbegriffe das, was einer Empfindung
ueberhaupt korrespondiert; dasjenige also, dessen Begriff an sich
selbst ein Sein (in der Zeit) anzeigt; Negation, dessen Begriff
ein Nichtsein (in der Zeit) vorstellt. Die Entgegensetzung beider
geschieht also in dem Unterschiede derselben Zeit, als einer
erfuellten, oder leeren Zeit. Da die Zeit nur die Form der Anschauung,
mithin der Gegenstaende, als Erscheinungen, ist, so ist das, was an
diesen der Empfindung entspricht, die transzendentale Materie aller
Gegenstaende, als Dinge an sich (die Sachheit, Realitaet). Nun hat
jede Empfindung einen Grad oder Groesse, wodurch sie dieselbe Zeit,
d.i. den inneren Sinn in Ansehung derselben Vorstellung eines
Gegenstandes, mehr oder weniger erfuellen kann, bis sie in Nichts (= O
= negatio) aufhoert. Daher ist ein Verhaeltnis und Zusammenhang oder
vielmehr ein Uebergang von Realitaet zur Negation, welcher jede
Realitaet als ein Quantum vorstellig macht, und das Schema einer
Realitaet, als der Quantitaet von Etwas, sofern es die Zeit erfuellt,
ist eben diese kontinuierliche und gleichfoermige Erzeugung derselben
in der Zeit, indem man von der Empfindung, die einen gewissen Grad
hat, in der Zeit bis zum Verschwinden derselben hinabgeht, oder von
der Negation zu der Groesse derselben allmaehlich aufsteigt.
Das Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit,
d.i. die Vorstellung desselben, als eines Substratum der empirischen
Zeitbestimmung ueberhaupt, welches also bleibt, indem alles andere
wechselt. (Die Zeit verlaeuft sich nicht, sondern in ihr verlaeuft
sich das Dasein des Wandelbaren. Der Zeit also, die selbst unwandelbar
und bleibend ist, korrespondiert in der Erscheinung das Unwandelbare
im Dasein, d.i. die Substanz, und bloss an ihr kann die Folge und das
Zugleichsein der Erscheinungen der Zeit nach bestimmt werden.)
Das Schema der Ursache und der Kausalitaet eines Dinges ueberhaupt ist
das Reale, worauf, wenn es nach Belieben gesetzt wird, jederzeit etwas
anderes folgt. Es besteht also in der Sukzession des Mannigfaltigen,
insofern sie einer Regel unterworfen ist.
Das Schema der Gemeinschaft (Wechselwirkung), oder der wechselseitigen
Kausalitaet der Substanzen in Ansehung ihrer Akzidenzen, ist das
Zugleichsein der Bestimmungen der Einen, mit denen der Anderen, nach
einer allgemeinen Regel.
Das Schema der Moeglichkeit ist die Zusammenstimmung der Synthesis
verschiedener Vorstellungen mit den Bedingungen der Zeit ueberhaupt
(z.B. da das Entgegengesetzte in einem Dinge nicht zugleich, sondern
nur nacheinander sein kann,) also die Bestimmung der Vorstellung eines
Dinges zu irgendeiner Zeit.
Das Schema der Wirklichkeit ist das Dasein in einer bestimmten Zeit.
Das Schema der Notwendigkeit das Dasein eines Gegenstandes zu aller
Zeit.
Man sieht nun aus allem diesem, dass das Schema einer jeden Kategorie,
als das der Groesse, die Erzeugung, (Synthesis) der Zeit selbst,
in der sukzessiven Apprehension eines Gegenstandes, das Schema
der Qualitaet die Synthesis der Empfindung (Wahrnehmung) mit der
Vorstellung der Zeit, oder die Erfuellung der Zeit, das der Relation
das Verhaeltnis der Wahrnehmungen untereinander zu aller Zeit
(d.i. nach einer Regel der Zeitbestimmung), endlich das Schema der
Modalitaet und ihrer Kategorien, die Zeit selbst, als das Korrelatum
der Bestimmung eines Gegenstandes, ob und wie er zur Zeit gehoere,
enthalte und vorstellig mache. Die Schemate sind daher nichts als
Zeitbestimmungen a priori nach Regeln, und diese gehen nach der
Ordnung der Kategorien, auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die
Zeitordnung, endlich den Zeitinbegriff in Ansehung aller moeglichen
Gegenstaende.
Hieraus erhellt nun, dass der Schematismus des Verstandes durch die
transzendentale Synthesis der Einbildungskraft auf nichts anderes, als
die Einheit alles Mannigfaltigen der Anschauung in dem inneren Sinne,
und so indirekt auf die Einheit der Apperzeption, als Funktion, welche
dem inneren Sinn (einer Rezeptivitaet) korrespondiert, hinauslaufe.
Also sind die Schemate der reinen Verstandesbegriffe die wahren und
einzigen Bedingungen, diesen eine Beziehung auf Objekte, mithin
Bedeutung zu verschaffen, und die Kategorien sind daher am Ende von
keinem anderen, als einem moeglichen empirischen Gebrauche, indem sie
bloss dazu dienen, durch Gruende einer a priori notwendigen Einheit
(wegen der notwendigen Vereinigung alles Bewusstseins in einer
urspruenglichen Apperzeption) Erscheinungen allgemeinen Regeln
der Synthesis zu unterwerfen, und sie dadurch zur durchgaengigen
Verknuepfung in einer Erfahrung schicklich zu machen.
In dem Ganzen aller moeglichen Erfahrung liegen aber alle unsere
Erkenntnisse, und in der allgemeinen Beziehung auf dieselbe besteht
die transzendentale Wahrheit, die vor aller empirischen vorhergeht,
und sie moeglich macht.
Es faellt aber doch auch in die Augen: dass, obgleich die Schemate der
Sinnlichkeit die Kategorien allererst realisieren, sie doch selbige
gleichwohl auch restringieren, d.i. auf Bedingungen einschraenken, die
ausser dem Verstande liegen (naemlich in der Sinnlichkeit). Daher ist
das Schema eigentlich nur das Phaenomenon, oder der sinnliche Begriff
eines Gegenstandes, in Uebereinstimmung mit der Kategorie. (Numerus
est quantitas phaenomenon, sensatio realitas phaenomenon, constans et
perdurabile rerum substantia phaenomenon - - aeternitas, necessitas,
phaenomena usw.) Wenn wir nun eine restringierende Bedingung
weglassen, so amplifizieren wir, wie es scheint, den vorher
eingeschraenkten Begriff; so sollten die Kategorien in ihrer reinen
Bedeutung, ohne alle Bedingungen der Sinnlichkeit, von Dingen
ueberhaupt gelten, wie sie sind, anstatt, dass ihre Schemate sie nur
vorstellen, wie sie erscheinen, jene also eine von allen Schematen
unabhaengige und viel weiter erstreckte Bedeutung haben. In der
Tat bleibt den reinen Verstandesbegriffen allerdings, auch nach
Absonderung aller sinnlichen Bedingung, eine, aber nur logische
Bedeutung der blossen Einheit der Vorstellungen, denen aber kein
Gegenstand, mithin auch keine Bedeutung gegeben wird, die einen
Begriff vom Objekt abgeben koennte. So wuerde z.B. Substanz, wenn man
die sinnliche Bestimmung der Beharrlichkeit wegliesse, nichts weiter
als ein Etwas bedeuten, das als Subjekt (ohne ein Praedikat von etwas
anderem zu sein) gedacht werden kann. Aus dieser Vorstellung kann
ich nun nichts machen, indem sie mir gar nicht anzeigt, welche
Bestimmungen das Ding hat, welches als ein solches erstes Subjekt
gelten soll. Also sind die Kategorien, ohne Schemate, nur Funktionen
des Verstandes zu Begriffen, stellen aber keinen Gegenstand vor.
Diese Bedeutung kommt ihnen von der Sinnlichkeit, die den Verstand
realisiert, indem sie ihn zugleich restringiert.
Der transzendentalen Doktrin der Urteilskraft
(oder Analytik der Grundsaetze)
Zweites Hauptstueck
System aller Grundsaetze des reinen Verstandes
Wir haben in dem vorigen Hauptstuecke die transzendentale Urteilskraft
nur nach den allgemeinen Bedingungen erwogen, unter denen sie allein
die reinen Verstandesbegriffe zu synthetischen Urteilen zu brauchen
befugt ist. Jetzt ist unser Geschaeft: die Urteile, die der Verstand
unter dieser kritischen Vorsicht wirklich a priori zustande bringt, in
systematischer Verbindung darzustellen, wozu uns ohne Zweifel unsere
Tafel der Kategorien die natuerliche und sichere Leitung geben muss.
Denn diese sind es eben, deren Beziehung auf moegliche Erfahrung
alle reine Verstandeserkenntnis a priori ausmachen muss, und
deren Verhaeltnis zur Sinnlichkeit ueberhaupt um deswillen alle
transzendentalen Grundsaetze des Verstandesgebrauchs vollstaendig und
in einem System darlegen wird.
Grundsaetze a priori fuehren diesen Namen nicht bloss deswegen, weil
sie die Gruende anderer Urteile in sich enthalten, sondern auch
weil sie selbst nicht in hoeheren und allgemeineren Erkenntnissen
gegruendet sind. Diese Eigenschaft ueberhebt sie doch nicht allemal
eines Beweises. Denn obgleich dieser nicht weiter objektiv gefuehrt
werden koennte, sondern vielmehr alle Erkenntnis seines Objekts zum
Grunde liegt, so hindert dies doch nicht, dass nicht ein Beweis,
aus den subjektiven Quellen der Moeglichkeit einer Erkenntnis des
Gegenstandes ueberhaupt, zu schaffen moeglich, ja auch noetig waere,
weil der Satz sonst gleichwohl den groessten Verdacht einer bloss
erschlichenen Behauptung auf sich haben wuerde.
Zweitens werden wir uns bloss auf diejenigen Grundsaetze, die sich
auf die Kategorien beziehen, einschraenken. Die Prinzipien der
transzendentalen Aesthetik, nach welchen Raum und Zeit die Bedingungen
der Moeglichkeit aller Dinge als Erscheinungen sind, imgleichen die
Restriktion dieser Grundsaetze: dass sie naemlich nicht auf Dinge
an sich selbst bezogen werden koennen, gehoeren also nicht in unser
abgestochenes Feld der Untersuchung. Ebenso machen die mathematischen
Grundsaetze keinen Teil dieses Systems aus, weil sie nur aus der
Anschauung, aber nicht aus dem reinen Verstandesbegriffe gezogen sind;
doch wird die Moeglichkeit derselben, weil sie gleichwohl synthetische
Urteile a priori sind, hier notwendig Platz finden, zwar nicht, um
ihre Richtigkeit und apodiktische Gewissheit zu beweisen, welches sie
gar nicht noetig haben, sondern nur die Moeglichkeit solcher evidenten
Erkenntnisse a priori begreiflich zu machen und zu deduzieren.
Wir werden aber auch von dem Grundsatze analytischer Urteile reden
muessen, und dieses zwar im Gegensatz mit der synthetischen, als
mit welchen wir uns eigentlich beschaeftigen, weil eben diese
Gegenstellung die Theorie der letzteren von allem Missverstande
befreit, und sie in ihrer eigentuemlichen Natur deutlich vor Augen
legt.
Das System der Grundsaetze des reinen Verstandes
Erster Abschnitt
Von dem obersten Grundsatze aller analytischen Urteile
Von welchem Inhalt auch unsere Erkenntnis sei, und wie sie sich auf
das Objekt beziehen mag, so ist doch die allgemeine, obzwar nur
negative Bedingung aller unserer Urteile ueberhaupt, dass sie sich
nicht selbst widersprechen; widrigenfalls diese Urteile an sich selbst
(auch ohne Ruecksicht aufs Objekt) nichts sind. Wenn aber auch gleich
in unserem Urteile kein Widerspruch ist, so kann es dem ungeachtet
doch Begriffe so verbinden, wie es der Gegenstand nicht mit sich
bringt, oder auch, ohne dass uns irgendein Grund weder a priori noch a
posteriori gegeben ist, welcher ein solches Urteil berechtigte, und so
kann ein Urteil bei allem dem, dass es von allem inneren Widerspruche
frei ist, doch entweder falsch oder grundlos sein.
Der Satz nun: Keinem Dinge kommt ein Praedikat zu, welches ihm
widerspricht, heisst der Satz des Widerspruchs, und ist ein
allgemeines, obzwar bloss negatives, Kriterium aller Wahrheit, gehoert
aber auch darum bloss in die Logik, weil er von Erkenntnissen, bloss
als Erkenntnissen ueberhaupt, unangesehen ihres Inhalts gilt, und
sagt: dass der Widerspruch sie gaenzlich vernichte und aufhebe.
Man kann aber doch von demselben auch einen positiven Gebrauch
machen, d.i. nicht bloss, um Falschheit und Irrtum (sofern er auf dem
Widerspruch beruht) zu verbannen, sondern auch Wahrheit zu erkennen.
Denn, wenn das Urteil analytisch ist, es mag nun verneinend oder
bejahend sein, so muss dessen Wahrheit jederzeit nach dem Satze des
Widerspruchs hinreichend koennen erkannt werden. Denn von dem, was in
der Erkenntnis des Objekts schon als Begriff liegt und gedacht wird,
wird das Widerspiel jederzeit richtig verneint, der Begriff selber
aber notwendig von ihm bejaht werden muessen, darum, weil das
Gegenteil desselben dem Objekte widersprechen wuerde.
Daher muessen wir auch den Satz des Widerspruchs als das allgemeine
und voellig hinreichende Prinzipium aller analytischen Erkenntnis
gelten lassen; aber weiter geht auch sein Ansehen und Brauchbarkeit
nicht, als eines hinreichenden Kriterium der Wahrheit. Denn dass
ihm gar keine Erkenntnis zuwider sein koenne, ohne sich selbst zu
vernichten, das macht diesen Satz wohl zur conditio sine qua non, aber
nicht zum Bestimmungsgrunde der Wahrheit unserer Erkenntnis. Da wir
es nun eigentlich nur mit dem synthetischen Teile unserer Erkenntnis
zu tun haben, so werden wir zwar jederzeit bedacht sein, diesem
unverletzlichen Grundsatz niemals zuwider zu handeln, von ihm aber,
in Ansehung der Wahrheit von dergleichen Art der Erkenntnis, niemals
einigen Aufschluss gewaertigen koennen.
Es ist aber doch eine Formel dieses beruehmten, obzwar von allem
Inhalt entbloessten und bloss formalen Grundsatzes, die eine Synthesis
enthaelt, welche aus Unvorsichtigkeit und ganz unnoetigerweise in ihr
gemischt worden. Sie heisst: es ist unmoeglich, dass etwas zugleich
sei und nicht sei. Ausser dem, dass hier die apodiktische Gewissheit
(durch das Wort unmoeglich) ueberfluessigerweise angehaengt worden,
die sich doch von selbst aus dem Satz muss verstehen lassen, so ist
der Satz durch die Bedingung der Zeit affiziert, und sagt gleichsam:
Ein Ding = A, welches etwas = B ist, kann nicht zu gleicher Zeit non B
sein; aber es kann gar wohl beides (B sowohl, als non B) nacheinander
sein. Z.B. ein Mensch, der jung ist, kann nicht zugleich alt sein;
ebenderselbe kann aber sehr wohl zu einer Zeit jung, zur anderen
nicht-jung, d.i. alt sein. Nun muss der Satz des Widerspruchs, als
ein bloss logischer Grundsatz, seine Aussprueche gar nicht auf die
Zeitverhaeltnisse einschraenken, daher ist eine solche Formel der
Absicht desselben ganz zuwider. Der Missverstand kommt bloss daher:
dass man ein Praedikat eines Dinges zuvoerderst von dem Begriff
desselben absondert, und nachher sein Gegenteil mit diesem Praedikate
verknuepft, welches niemals einen Widerspruch mit dem Subjekte,
sondern nur mit dessen Praedikate, welches mit jenem synthetisch
verbunden worden, abgibt, und zwar nur dann, wenn das erste und zweite
Praedikat zu gleicher Zeit gesetzt werden. Sage ich, ein Mensch, der
ungelehrt ist, ist nicht gelehrt, so muss die Bedingung: zugleich,
dabei stehen, denn der, so zu einer Zeit ungelehrt ist, kann zu einer
anderen gar wohl gelehrt sein. Sage ich aber, kein ungelehrter Mensch
ist gelehrt, so ist der Satz analytisch, weil das Merkmal (der
Ungelehrtheit) nunmehr den Begriff des Subjekts mit ausmacht, und
alsdann erhellt der verneinende Satz unmittelbar aus dem Satze des
Widerspruchs, ohne dass die Bedingung: zugleich, hinzukommen darf.
Dieses ist denn auch die Ursache, weswegen ich oben die Formel
desselben so veraendert habe, dass die Natur eines analytischen Satzes
dadurch deutlich ausgedrueckt wird.
Des Systems der Grundsaetze des reinen Verstandes
Zweiter Abschnitt
Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urteile
Die Erklaerung der Moeglichkeit synthetischer Urteile, ist eine
Aufgabe, mit der die allgemeine Logik gar nichts zu schaffen hat, die
auch sogar ihren Namen nicht einmal kennen darf. Sie ist aber in einer
transzendentalen Logik das wichtigste Geschaeft unter allen, und sogar
das einzige, wenn von der Moeglichkeit synthetischer Urteile a priori
die Rede ist, imgleichen den Bedingungen und dem Umfange ihrer
Gueltigkeit. Denn nach Vollendung desselben, kann sie ihrem Zwecke,
naemlich den Umfang und die Grenzen des reinen Verstandes zu
bestimmen, vollkommen ein Genuege tun.
Im analytischen Urteile bleibe ich bei dem gegebenen Begriffe, um
etwas von ihm auszumachen. Soll es bejahend sein, so lege ich diesem
Begriffe nur dasjenige bei, was in ihm schon gedacht war; soll es
verneinend sein, so schliesse ich nur das Gegenteil desselben von ihm
aus. In synthetischen Urteilen aber soll ich aus dem gegebenen Begriff
hinausgehen, um etwas ganz anderes, als in ihm gedacht war, mit
demselben im Verhaeltnis zu betrachten, welches daher niemals, weder
ein Verhaeltnis der Identitaet, noch des Widerspruchs ist, und
wobei dem Urteile an ihm selbst weder die Wahrheit, noch der Irrtum
angesehen werden kann.
Also zugegeben: dass man aus einem gegebenen Begriffe hinausgehen
muesse, um ihn mit einem anderen synthetisch zu vergleichen, so
ist ein Drittes noetig, worin allein die Synthesis zweier Begriffe
entstehen kann. Was ist nun aber dieses Dritte, als das Medium aller
synthetischen Urteile? Es ist nur ein Inbegriff, darin alle unsere
Vorstellungen enthalten sind, naemlich der innere Sinn, und die Form
desselben a priori, die Zeit. Die Synthesis der Vorstellungen beruht
auf der Einbildungskraft, die synthetische Einheit derselben aber (die
zum Urteile erforderlich ist) auf der Einheit der Apperzeption. Hierin
wird also die Moeglichkeit synthetischer Urteile, und da alle drei die
Quellen zu Vorstellungen a priori enthalten, auch die Moeglichkeit
reiner synthetischer Urteile zu suchen sein, ja sie werden sogar aus
diesen Gruenden notwendig sein, wenn eine Erkenntnis von Gegenstaenden
zustande kommen soll, die lediglich auf der Synthesis der
Vorstellungen beruht.
Wenn eine Erkenntnis objektive Realitaet haben, d.i. sich auf einen
Gegenstand beziehen, und in demselben Bedeutung und Sinn haben soll,
so muss der Gegenstand auf irgendeine Art gegeben werden koennen.
Ohne das sind die Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in
der Tat aber durch dieses Denken nichts erkannt, sondern bloss mit
Vorstellungen gespielt. Einen Gegenstand geben, wenn dieses nicht
wiederum nur mittelbar gemeint sein soll, sondern unmittelbar in der
Anschauung darstellen, ist nichts anderes, als dessen Vorstellung auf
Erfahrung (es sei wirkliche oder doch moegliche) beziehen. Selbst der
Raum und die Zeit, so rein diese Begriffe auch von allem Empirischen
sind, und so gewiss es auch ist, dass sie voellig a priori im Gemuete
vorgestellt werden, wuerden doch ohne objektive Gueltigkeit und
ohne Sinn und Bedeutung sein, wenn ihr notwendiger Gebrauch an den
Gegenstaenden der Erfahrung nicht gezeigt wuerde, ja ihre Vorstellung
ist ein blosses Schema, das sich immer auf die reproduktive
Einbildungskraft bezieht, welche die Gegenstaende der Erfahrung
herbeiruft, ohne die sie keine Bedeutung haben wuerden; und so ist es
mit allen Begriffen ohne Unterschied.
Die Moeglichkeit der Erfahrung ist also das, was allen unseren
Erkenntnissen a priori objektive Realitaet gibt. Nun beruht Erfahrung
auf der synthetischen Einheit der Erscheinungen, d.i. auf einer
Synthesis nach Begriffen vom Gegenstande der Erscheinungen ueberhaupt,
ohne welche sie nicht einmal Erkenntnis, sondern eine Rhapsodie von
Wahrnehmungen sein wuerde, die sich in keinem Kontext nach Regeln
eines durchgaengig verknuepften (moeglichen) Bewusstseins, mithin auch
nicht zur transzendentalen und notwendigen Einheit der Apperzeption,
zusammen schicken wuerden. Die Erfahrung hat also Prinzipien ihrer
Form a priori zum Grunde liegen, naemlich allgemeine Regeln der
Einheit in der Synthesis der Erscheinungen, deren objektive Realitaet,
als notwendige Bedingungen, jederzeit in der Erfahrung, ja sogar ihrer
Moeglichkeit gewiesen werden kann. Ausser dieser Beziehung aber sind
synthetische Saetze a priori gaenzlich unmoeglich, weil sie kein
Drittes, naemlich reinen Gegenstand haben, an dem die synthetische
Einheit ihrer Begriffe objektive Realitaet dartun koennte.
Ob wir daher gleich vom Raume ueberhaupt, oder den Gestalten, welche
die produktive Einbildungskraft in ihm verzeichnet, so vieles a priori
in synthetischen Urteilen erkennen, so, dass wir wirklich hierzu gar
keiner Erfahrung beduerfen; so wuerde doch dieses Erkenntnis gar
nichts, sondern die Beschaeftigung mit einem blossen Hirngespinst
sein, waere der Raum nicht, als Bedingung der Erscheinungen, welche
den Stoff zur aeusseren Erfahrung ausmachen, anzusehen; daher sich
jene reinen synthetischen Urteile, obzwar nur mittelbar, auf moegliche
Erfahrung oder vielmehr auf dieser ihre Moeglichkeit selbst beziehen,
und darauf allein die objektive Gueltigkeit ihrer Synthesis gruenden.
Da also Erfahrung, als empirische Synthesis, in ihrer Moeglichkeit die
einzige Erkenntnisart ist, welche aller anderen Synthesis Realitaet
gibt, so hat diese als Erkenntnis a priori auch nur dadurch Wahrheit,
(Einstimmung mit dem Objekt,) dass sie nichts weiter enthaelt, als was
zur synthetischen Einheit der Erfahrung ueberhaupt notwendig ist.
Das oberste Principium aller synthetischen Urteile ist also: ein jeder
Gegenstand steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen
Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer moeglichen
Erfahrung.
Auf solche Weise sind synthetische Urteile a priori moeglich, wenn wir
die formalen Bedingungen der Anschauung a priori, die Synthesis der
Einbildungskraft, und die notwendige Einheit derselben in einer
transzendentalen Apperzeption, auf ein moegliches Erfahrungserkenntnis
ueberhaupt beziehen, und sagen: die Bedingungen der Moeglichkeit der
Erfahrung ueberhaupt sind zugleich Bedingungen der Moeglichkeit der
Gegenstaende der Erfahrung, und haben darum objektive Gueltigkeit in
einem synthetischen Urteile a priori.
Des Systems der Grundsaetze des reinen Verstandes
Dritter Abschnitt
Systematische Vorstellung aller synthetischen Grundsaetze desselben
Dass ueberhaupt irgendwo Grundsaetze stattfinden, das ist lediglich
dem reinen Verstande zuzuschreiben, der nicht allein das Vermoegen
der Regeln ist, in Ansehung dessen, was geschieht, sondern selbst der
Quell der Grundsaetze, nach welchem alles (was uns nur als Gegenstand
vorkommen kann) notwendig unter Regeln steht, weil, ohne solche,
den Erscheinungen niemals Erkenntnis eines ihnen korrespondierenden
Gegenstandes zukommen koennte. Selbst Naturgesetze, wenn sie als
Grundgesetze des empirischen Verstandesgebrauchs betrachtet werden,
fuehren zugleich einen Ausdruck der Notwendigkeit, mithin wenigstens
die Vermutung einer Bestimmung aus Gruenden, die a priori und vor
aller Erfahrung gueltig sind, bei sich. Aber ohne Unterschied stehen
alle Gesetze der Natur unter hoeheren Grundsaetzen des Verstandes,
indem sie diese nur auf besondere Faelle der Erscheinung anwenden.
Diese allein geben also den Begriff, der die Bedingung und gleichsam
den Exponenten zu einer Regel ueberhaupt enthaelt, Erfahrung aber gibt
den Fall, der unter der Regel steht.
Dass man bloss empir Grundsaetze fuer Grundsaetze des reinen
Verstandes, oder auch umgekehrt ansehe, deshalb kann wohl eigentlich
keine Gefahr sein; denn die Notwendigkeit nach Begriffen, welche die
letztere auszeichnet, und deren Mangel in jedem empirischen Satze, so
allgemein er auch gelten mag, leicht wahrgenommen wird, kann diese
Verwechslung leicht verhueten. Es gibt aber reine Grundsaetze
a priori, die ich gleichwohl doch nicht dem reinen Verstande
eigentuemlich beimessen moechte, darum, weil sie nicht aus reinen
Begriffen, sondern aus reinen Anschauungen (obgleich vermittelst
des Verstandes) gezogen sind; Verstand ist aber das Vermoegen der
Begriffe. Die Mathematik hat dergleichen, aber ihre Anwendung auf
Erfahrung, mithin ihre objektive Gueltigkeit, ja die Moeglichkeit
solcher synthetischen Erkenntnis a priori (die Deduktion derselben)
beruht doch immer auf dem reinen Verstande.
Daher werde ich unter meine Grundsaetze die der Mathematik nicht
mitzaehlen, aber wohl diejenigen, worauf sich dieser ihre Moeglichkeit
und objektive Gueltigkeit a priori gruendet, und die mithin als
Principium dieser Grundsaetze anzusehen sind, und von Begriffen zur
Anschauung, nicht aber von der Anschauung zu Begriffen ausgehen.
In der Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf moegliche Erfahrung
ist der Gebrauch ihrer Synthesis entweder mathematisch, oder
dynamisch: denn sie geht teils bloss auf die Anschauung, teils auf
das Dasein einer Erscheinung ueberhaupt. Die Bedingungen a priori der
Anschauung sind aber in Ansehung einer moeglichen Erfahrung durchaus
notwendig, die des Daseins der Objekte einer moeglichen empirischen
Anschauung an sich nur zufaellig. Daher werden die Grundsaetze des
mathematischen Gebrauchs unbedingt notwendig d.i. apodiktisch lauten,
die aber des dynamischen Gebrauchs werden zwar auch den Charakter
einer Notwendigkeit a priori, aber nur unter der Bedingung des
empirischen Denkens in einer Erfahrung, mithin nur mittelbar und
indirekt bei sich fuehren, folglich diejenige unmittelbare Evidenz
nicht enthalten, (obzwar ihrer auf Erfahrung allgemein bezogenen
Gewissheit unbeschadet,) die jenen eigen ist. Doch dies wird sich beim
Schlusse dieses Systems von Grundsaetzen besser beurteilen lassen.
Die Tafel der Kategorien gibt uns die ganz natuerliche Anweisung zur
Tafel der Grundsaetze, weil diese doch nichts anderes, als Regeln des
objektiven Gebrauchs der ersteren sind. Alle Grundsaetze des reinen
Verstandes sind demnach
                    1. Axiome
                       der Anschauung
    2. Antizipationen               3. Analogien
       der Wahrnehmung                 der Erfahrung
                    4. Postulate
                       des empirischen Denkens ueberhaupt
Diese Benennungen habe ich mit Vorsicht gewaehlt, um die Unterschiede
in Ansehung der Evidenz und der Ausuebung dieser Grundsaetze nicht
unbemerkt zu lassen. Es wird sich aber bald zeigen: dass, was sowohl
die Evidenz, als die Bestimmung der Erscheinungen a priori, nach den
Kategorien der Groesse und der Qualitaet (wenn man lediglich auf die
Form der letzteren acht hat) betrifft, die Grundsaetze derselben sich
darin von den zwei uebrigen namhaft unterscheiden; indem jene einer
intuitiven, diese aber einer bloss diskursiven, obzwar beiderseits
einer voelligen Gewissheit faehig sind. Ich werde daher jene die
mathematischen, diese die dynamischen Grundsaetze nennen. Man wird
aber wohl bemerken: dass ich hier ebensowenig die Grundsaetze der
Mathematik in einem Falle, als die Grundsaetze der allgemeinen
(physischen) Dynamik im anderen, sondern nur die des reinen Verstandes
im Verhaeltnis auf den inneren Sinn (ohne Unterschied der darin
gegebenen Vorstellungen) vor Augen habe, dadurch denn jene insgesamt
ihre Moeglichkeit bekommen. Ich benenne sie also mehr in Betracht der
Anwendung, als um ihres Inhalts willen, und gehe nun zur Erwaegung
derselben in der naemlichen Ordnung, wie sie in der Tafel vorgestellt
werden.
1. Von den Axiomen der Anschauung
Grundsatz des reinen Verstandes: Alle Erscheinungen sind ihrer
Anschauung nach extensive Groessen.
Eine extensive Groesse nenne ich diejenige, in welcher die Vorstellung
der Teile die Vorstellung des Ganzen moeglich macht, (und also
notwendig vor dieser vorhergeht). Ich kann mir keine Linie, so klein
sie auch sei, vorstellen, ohne sie in Gedanken zu ziehen, d.i. von
einem Punkte alle Teile nach und nach zu erzeugen, und dadurch
allererst diese Anschauung zu verzeichnen. Ebenso ist es auch mit
jeder auch der kleinsten Zeit bewandt. Ich denke mir darin nur den
sukzessiven Fortgang von einem Augenblick zum anderen, wo durch alle
Zeitteile und deren Hinzutun endlich eine bestimmte Zeitgroesse
erzeugt wird. Da die blosse Anschauung an allen Erscheinungen entweder
der Raum, oder die Zeit ist, so ist jede Erscheinung als Anschauung
eine extensive Groesse, indem sie nur durch sukzessive Synthesis
(von Teil zu Teil) in der Apprehension erkannt werden kann. Alle
Erscheinungen werden demnach schon als Aggregate (Menge vorher
gegebener Teile) angeschaut, welches eben nicht der Fall bei jeder
Art Groessen, sondern nur derer ist, die uns extensiv als solche
vorgestellt und apprehendiert werden.
Auf diese sukzessive Synthesis der produktiven Einbildungskraft,
in der Erzeugung der Gestalten, gruendet sich die Mathematik der
Ausdehnung (Geometrie) mit ihren Axiomen, welche die Bedingungen der
sinnlichen Anschauung a priori ausdruecken, unter denen allein das
Schema eines reinen Begriffs der aeusseren Erscheinung zustande kommen
kann; z.E. zwischen zwei Punkten ist nur eine gerade Linie moeglich;
zwei gerade Linien schliessen keinen Raum ein usw. Dies sind die
Axiome, welche eigentlich nur Groessen (quanta) als solche betreffen.
Was aber die Groesse, (quantitas) d.i. die Antwort auf die Frage: wie
gross etwas sei? betrifft, so gibt es in Ansehung derselben, obgleich
verschiedene dieser Saetze synthetisch und unmittelbar gewiss
(indemonstrabilia) sind, dennoch im eigentlichen Verstande keine
Axiome. Denn dass gleiches zu gleichem hinzugetan, oder von diesem
abgezogen, ein gleiches gebe, sind analytische Saetze, indem ich mir
der Identitaet der einen Groessenerzeugung mit der anderen unmittelbar
bewusst bin; Axiome aber sollen synthetische Saetze a priori sein.
Dagegen sind die evidenten Saetze der Zahlverhaeltnis zwar allerdings
synthetisch, aber nicht allgemein, wie die der Geometrie, und eben
um deswillen auch nicht Axiome, sondern koennen Zahlformeln genannt
werden. Dass 7+5=12 sei, ist kein analytischer Satz. Denn ich denke
weder in der Vorstellung von 7, noch von 5, noch in der Vorstellung
von der Zusammensetzung beider die Zahl 12, (dass ich diese in der
Addition beider denken solle, davon ist hier nicht die Rede; denn
bei dem analytischen Satze ist nur die Frage, ob ich das Praedikat
wirklich in der Vorstellung des Subjekts denke). Ob er aber gleich
synthetisch ist, so ist er doch nur ein einzelner Satz. Sofern hier
bloss auf die Synthesis des Gleichartigen (der Einheiten) gesehen
wird, so kann die Synthesis hier nur auf eine einzige Art geschehen,
wiewohl der Gebrauch dieser Zahlen nachher allgemein ist. Wenn ich
sage: durch drei Linien, deren zwei zusammengenommen groesser sind,
als die dritte, laesst sich ein Triangel zeichnen; so habe ich hier
die blosse Funktion der produktiven Einbildungskraft, welche die
Linien groesser und kleiner ziehen, imgleichen nach allerlei
beliebigen Winkeln kann zusammenstossen lassen. Dagegen ist die Zahl 7
nur auf eine einzige Art moeglich, und auch die Zahl 12, die durch die
Synthesis der ersteren mit 5 erzeugt wird. Dergleichen Saetze muss man
also nicht Axiome, (denn sonst gaebe es deren unendliche,) sondern
Zahlformeln nennen.
Dieser transzendentale Grundsatz der Mathematik der Erscheinungen
gibt unserem Erkenntnis a priori grosse Erweiterung. Denn er ist es
allein, welcher die reine Mathematik in ihrer ganzen Praezision auf
Gegenstaende der Erfahrung anwendbar macht, welches ohne diesen
Grundsatz nicht so von selbst erhellen moechte, ja auch manchen
Widerspruch veranlasst hat. Erscheinungen sind keine Dinge an sich
selbst. Die empirische Anschauung ist nur durch die reine (des Raumes
und der Zeit) moeglich; was also die Geometrie von dieser sagt,
gilt auch ohne Widerrede von jener, und die Ausfluechte, als wenn
Gegenstaende der Sinne nicht den Regeln der Konstruktion im Raume
(z.E. der unendlichen Teilbarkeit der Linien oder Winkel) gemaess sein
duerfe, muss wegfallen. Denn dadurch spricht man dem Raume und mit ihm
zugleich aller Mathematik objektive Gueltigkeit ab, und weiss nicht
mehr, warum und wie weit sie auf Erscheinungen anzuwenden sei. Die
Synthesis der Raeume und Zeiten, als der wesentlichen Form aller
Anschauung, ist das, was zugleich die Apprehension der Erscheinung,
mithin jede aeussere Erfahrung, folglich auch alle Erkenntnis der
Gegenstaende derselben, moeglich macht, und was die Mathematik im
reinen Gebrauch von jener beweist, das gilt auch notwendig von dieser.
Alle Einwuerfe dawider sind nur Schikanen einer falsch belehrten
Vernunft, die irrigerweise die Gegenstaende der Sinne von der formalen
Bedingung unserer Sinnlichkeit loszumachen gedenkt, und sie, obgleich
sie bloss Erscheinungen sind, als Gegenstaende an sich selbst, dem
Verstande gegeben, vorstellt; in welchem Falle freilich von ihnen a
priori gar nichts, mithin auch nicht durch reine Begriffe vom Raume,
synthetisch erkannt werden koennte, und die Wissenschaft, die diese
bestimmt, naemlich die Geometrie, selbst nicht moeglich sein wuerde.
2. Die Antizipation der Wahrnehmung
Der Grundsatz, welcher alle Wahrnehmungen, als solche, antizipiert,
heisst so: In allen Erscheinungen hat die Empfindung, und das Reale,
welches ihr an dem Gegenstande entspricht, (realitas phaenomenon) eine
intensive Groesse d.i. einen Grad.
Man kann alle Erkenntnis, wodurch ich dasjenige, was zur empirischen
Erkenntnis gehoert, a priori erkennen und bestimmen kann, eine
Antizipation nennen, und ohne Zweifel ist das die Bedeutung, in
welcher Epikur seinen Ausdruck prolephis brauchte. Da aber an den
Erscheinungen etwas ist, was niemals a priori erkannt wird, und
welches daher auch den eigentlichen Unterschied des Empirischen von
dem Erkenntnis a priori ausmacht, naemlich die Empfindung (als Materie
der Wahrnehmung), so folgt, dass diese es eigentlich sei, was gar
nicht antizipiert werden kann. Dagegen wuerden wir die reinen
Bestimmungen im Raume und der Zeit, sowohl in Ansehung der Gestalt,
als Groesse, Antizipationen der Erscheinungen nennen koennen, weil sie
dasjenige a priori vorstellen, was immer a posteriori in der Erfahrung
gegeben werden mag. Gesetzt aber, es finde sich doch etwas, was sich
an jeder Empfindung, als Empfindung ueberhaupt, (ohne dass eine
besondere gegeben sein mag,) a priori erkennen laesst; so wuerde
dieses im ausnehmenden Verstande Antizipation genannt zu werden
verdienen, weil es befremdlich scheint, der Erfahrung in demjenigen
vorzugreifen, was gerade die Materie derselben angeht, die man nur aus
ihr schoepfen kann. Und so verhaelt es sich hier wirklich.
Die Apprehension, bloss vermittelst der Empfindung, erfuellt nur
einen Augenblick, (wenn ich naemlich nicht die Sukzession vieler
Empfindungen in Betracht ziehe). Als etwas in der Erscheinung, dessen
Apprehension keine sukzessive Synthesis ist, die von Teilen zur ganzen
Vorstellung fortgeht, hat sie also keine extensive Groesse; der
Mangel der Empfindung in demselben Augenblicke wuerde diesen als leer
vorstellen, mithin = O. Was nun in der empirischen Anschauung der
Empfindung korrespondiert, ist Realitaet (realitas phaenomenon); was
dem Mangel derselben entspricht, Negation = O. Nun ist aber jede
Empfindung einer Verringerung faehig, so dass sie abnehmen, und so
allmaehlich verschwinden kann. Daher ist zwischen Realitaet in der
Erscheinung und Negation ein kontinuierlicher Zusammenhang vieler
moeglichen Zwischenempfindungen, deren Unterschied voneinander immer
kleiner ist, als der Unterschied zwischen der gegebenen und dem Zero,
oder der gaenzlichen Negation, d.i.: das Reale in der Erscheinung
hat jederzeit eine Groesse, welche aber nicht in der Apprehension
angetroffen wird, indem diese vermittelst der blossen Empfindung
in einem Augenblicke und nicht durch sukzessive Synthesis vieler
Empfindungen geschieht, und also nicht von den Teilen zum Ganzen geht;
es hat also zwar eine Groesse, aber keine extensive.
Nun nenne ich diejenige Groesse, die nur als Einheit apprehendiert
wird, und in welcher die Vielheit nur durch Annaeherung zur Negation
= O vorgestellt werden kann, die intensive Groesse. Also hat jede
Realitaet in der Erscheinung intensive Groesse, d.i. einen Grad. Wenn
man diese Realitaet als Ursache (es sei der Empfindung oder anderer
Realitaet in der Erscheinung, z.B. einer Veraenderung,) betrachtet;
so nennt man den Grad der Realitaet als Ursache, ein Moment, z.B. das
Moment der Schwere, und zwar darum, weil der Grad nur die Groesse
bezeichnet, deren Apprehension nicht sukzessiv, sondern augenblicklich
ist. Dieses beruehre ich aber hier nur beilaeufig, denn mit der
Kausalitaet habe ich fuer jetzt noch nicht zu tun.
So hat demnach jede Empfindung, mithin auch jede Realitaet in der
Erscheinung, so klein sie auch sein mag, einen Grad, d.i. eine
intensive Groesse, die noch immer vermindert werden kann, und
zwischen Realitaet und Negation ist ein kontinuierlicher Zusammenhang
moeglicher Realitaeten, und moeglicher kleinerer Wahrnehmungen. Eine
jede Farbe, z. E. die rote, hat einen Grad, der, so klein er auch
sein mag, niemals der kleinste ist, und so ist es mit der Waerme, dem
Momente der Schwere usw. ueberall bewandt.
Die Eigenschaft der Groessen, nach welcher an ihnen kein Teil der
kleinstmoegliche (kein Teil einfach) ist, heisst die Kontinuitaet
derselben. Raum und Zeit sind quanta continua, weil kein Teil
derselben gegeben werden kann, ohne ihn zwischen Grenzen (Punkten und
Augenblicken) einzuschliessen, mithin nur so, dass dieser Teil selbst
wiederum ein Raum, oder eine Zeit ist. Der Raum besteht also nur aus
Raeumen, die Zeit aus Zeiten. Punkte und Augenblicke sind nur Grenzen,
d.i. blosse Stellen ihrer Einschraenkung; Stellen aber setzen
jederzeit jene Anschauungen, die sie beschraenken oder bestimmen
sollen, voraus, und aus blossen Stellen, als aus Bestandteilen, die
noch vor dem Raume oder der Zeit gegeben werden koennten, kann weder
Raum noch Zeit zusammengesetzt werden. Dergleichen Groessen kann
man auch fliessende nennen, weil die Synthesis (der produktiven
Einbildungskraft) in ihrer Erzeugung ein Fortgang in der Zeit ist,
deren Kontinuitaet man besonders durch den Ausdruck des Fliessens
(Verfliessens) zu bezeichnen pflegt.
Alle Erscheinungen ueberhaupt sind demnach kontinuierliche Groessen,
sowohl ihrer Anschauung nach, als extensive, oder der blossen
Wahrnehmung (Empfindung und mithin Realitaet) nach, als intensive
Groessen. Wenn die Synthesis des Mannigfaltigen der Erscheinung
unterbrochen ist, so ist dieses ein Aggregat von vielen Erscheinungen,
und nicht eigentlich Erscheinung als ein Quantum, welches nicht durch
die blosse Fortsetzung der produktiven Synthesis einer gewissen Art,
sondern durch Wiederholung einer immer aufhoerenden Synthesis erzeugt
wird. Wenn ich 13 Taler ein Geldquantum nenne, so benenne ich es
sofern richtig, als ich darunter den Gehalt von einer Mark fein Silber
verstehe; welche aber allerdings eine kontinuierliche Groesse ist, in
welcher kein Teil der kleinste ist, sondern jeder Teil ein Geldstueck
ausmachen koennte, welche immer Materie zu noch kleineren enthielte.
Wenn ich aber unter jener Benennung 13 runde Taler verstehe, als
so viel Muenzen, (ihr Silbergehalt mag sein, welcher er wolle,) so
benenne ich es unschicklich durch ein Quantum von Talern, sondern muss
es ein Aggregat, d.i. eine Zahl Geldstuecke, nennen. Da nun bei aller
Zahl doch Einheit zum Grunde liegen muss, so ist die Erscheinung als
Einheit ein Quantum, und als ein solches jederzeit ein Kontinuum.
Wenn nun alle Erscheinungen, sowohl extensiv, als intensiv betrachtet,
kontinuierliche Groessen sind, so wuerde der Satz: dass auch alle
Veraenderung (Uebergang eines Dinges aus einem Zustande in den
anderen) kontinuierlich sein, leicht und mit mathematischer Evidenz
hier bewiesen werden koennen, wenn nicht die Kausalitaet einer
Veraenderung ueberhaupt ganz ausserhalb den Grenzen einer
Transzendental-Philosophie laege, und empirische Prinzipien
voraussetzte. Denn dass eine Ursache moeglich sei, welche den Zustand
der Dinge veraendere, d.i. sie zum Gegenteil eines gewissen gegebenen
Zustandes bestimme, davon gibt uns der Verstand a priori gar keine
Eroeffnung, nicht bloss deswegen, weil er die Moeglichkeit davon
gar nicht einsieht, (denn diese Einsicht fehlt uns in mehreren
Erkenntnissen a priori,) sondern weil die Veraenderlichkeit
nur gewisse Bestimmungen der Erscheinungen trifft, welche die
Erfahrung allein lehren kann, indessen dass ihre Ursache in dem
Unveraenderlichen anzutreffen ist. Da wir aber hier nichts vor uns
haben, dessen wir uns bedienen koennen, als die reinen Grundbegriffe
aller moeglichen Erfahrung, unter welchen durchaus nichts Empirisches
sein muss; so koennen wir, ohne die Einheit des Systems zu verletzen,
der allgemeinen Naturwissenschaft, welche auf gewisse Grunderfahrungen
gebaut ist, nicht vorgreifen.
Gleichwohl mangelt es uns nicht an Beweistuemern des grossen
Einflusses, den dieser unser Grundsatz hat, Wahrnehmungen zu
antizipieren, und sogar deren Mangel sofern zu ergaenzen, dass er
allen falschen Schluessen, die daraus gezogen werden moechten, den
Riegel vorschiebt.
Wenn alle Realitaet in der Wahrnehmung einen Grad hat, zwischen dem
und der Negation eine unendliche Stufenfolge immer minderer Grade
stattfindet, und gleichwohl ein jeder Sinn einen bestimmten Grad der
Rezeptivitaet der Empfindungen haben muss; so ist keine Wahrnehmung,
mithin auch keine Erfahrung moeglich, die einen gaenzlichen Mangel
alles Realen in der Erscheinung, es sei unmittelbar oder mittelbar,
(durch welchen Umschweif im Schliessen als man immer wolle,) bewiese,
d.i. es kann aus der Erfahrung niemals ein Beweis vom leeren Raume
oder einer leeren Zeit gezogen werden. Denn der gaenzliche Mangel
des Realen in der sinnlichen Anschauung kann erstlich selbst nicht
wahrgenommen werden, zweitens kann er aus keiner einzigen Erscheinung
und dem Unterschiede des Grades ihrer Realitaet gefolgert, oder darf
auch zur Erklaerung derselben niemals angenommen werden. Denn wenn
auch die ganze Anschauung eines bestimmten Raumes oder Zeit durch und
durch real, d.i. kein Teil derselben leer ist; so muss es doch, weil
jede Realitaet ihren Grad hat, der, bei unveraenderter extensiver
Groesse der Erscheinung bis zum Nichts (dem leeren) durch unendliche
Stufen abnehmen kann, unendlich verschiedene Grade, mit welchen
Raum oder Zeit erfuellt sei, geben, und die intensive Groesse in
verschiedenen Erscheinungen kleiner oder groesser sein koennen,
obschon die extensive Groesse der Anschauung gleich ist.
Wir wollen ein Beispiel davon geben. Beinahe alle Naturlehrer, da sie
einen grossen Unterschied der Quantitaet der Materie von verschiedener
Art unter gleichem Volumen (teils durch das Moment der Schwere, oder
des Gewichts, teils durch das Moment des Widerstandes gegen andere
bewegter Materien) wahrnehmen, schliessen daraus einstimmig: dieses
Volumen (extensive Groesse der Erscheinung) muesse in allen Materien,
obzwar in verschiedenem Masse, leer sein. Wer haette aber von diesen
groesstenteils mathematischen und mechanischen Naturforschern sich
wohl jemals einfallen lassen, dass sie diesen ihren Schluss lediglich
auf eine metaphysische Voraussetzung, welche sie doch so sehr zu
vermeiden vorgeben, gruendeten? indem sie annehmen, dass das Reale im
Raume (ich mag es hier nicht Undurchdringlichkeit oder Gewicht nennen,
weil dieses empirische Begriffe sind), allerwaerts einerlei sei, und
sich nur der extensiven Groesse d.i. der Menge nach unterscheiden
koenne. Dieser Voraussetzung, dazu sie keinen Grund in der Erfahrung
haben konnten, und die also bloss metaphysisch ist, setze ich einen
transzendentalen Beweis entgegen, der zwar den Unterschied in der
Erfuellung der Raeume nicht erklaeren soll, aber doch die vermeinte
Notwendigkeit jener Voraussetzung, gedachten Unterschied nicht anders
wie durch anzunehmende leere Raeume, erklaeren zu koennen, voellig
aufhebt, und das Verdienst hat, den Verstand wenigstens in Freiheit zu
versetzen, sich diese Verschiedenheit auch auf andere Art zu denken,
wenn die Naturerklaerung hierzu irgendeine Hypothese notwendig
machen sollte. Denn da sehen wir, dass, obschon gleiche Raeume von
verschiedenen Materien vollkommen erfuellt sein moegen, so, dass in
keinem von beiden ein Punkt ist, in welchem nicht ihre Gegenwart
anzutreffen waere, so habe doch jedes Reale bei derselben Qualitaet
ihren Grad (des Widerstandes oder des Wiegens), welcher ohne
Verminderung der extensiven Groesse oder Menge ins Unendliche kleiner
sein kann, ehe sie in das Leere uebergeht, und verschwindet. So kann
eine Ausspannung, die einen Raum erfuellt, z.B. Waerme, und auf
gleiche Weise jede andere Realitaet (in der Erscheinung), ohne im
mindesten den kleinsten Teil dieses Raumes leer zu lassen, in ihren
Graden ins Unendliche abnehmen, und nichtsdestoweniger den Raum
mit diesen kleineren Graden ebensowohl erfuellen, als eine andere
Erscheinung mit groesseren. Meine Absicht ist hier keineswegs, zu
behaupten: dass dieses wirklich mit der Verschiedenheit der Materien,
ihrer spezifischen Schwere nach, so bewandt sei, sondern nur aus einem
Grundsatze des reinen Verstandes darzutun: dass die Natur unserer
Wahrnehmungen eine solche Erklaerungsart moeglich mache, und dass man
faelschlich das Reale der Erscheinung dem Grade nach als gleich, und
nur der Aggregation und deren extensiven Groesse nach als verschieden
annehme, und dieses sogar, vorgeblichermassen, durch einen Grundsatz
des Verstandes a priori behaupte.
Es hat gleichwohl diese Antizipation der Wahrnehmung etwas fuer
einen der transzendentalen gewohnten und dadurch behutsam gewordenen
Nachforscher, immer etwas Auffallendes an sich, und erregt darueber
einiges Bedenken, dass der Verstand einen dergleichen synthetischen
Satz, als der von dem Grad alles Realen in den Erscheinungen ist,
und mithin der Moeglichkeit des inneren Unterschiedes der Empfindung
selbst, wenn man von ihrer empirischen Qualitaet abstrahiert, und es
ist also noch eine der Aufloesung nicht unwuerdige Frage: wie der
Verstand hierin synthetisch ueber Erscheinungen a priori aussprechen,
und diese sogar in demjenigen, was eigentlich und bloss empirisch ist,
naemlich die Empfindung angeht, antizipieren koenne?
Die Qualitaet der Empfindung ist jederzeit bloss empirisch und kann a
priori gar nicht vorgestellt werden, (z.B. Farben, Geschmack usw.).
Aber das Reale, was den Empfindungen ueberhaupt korrespondiert, im
Gegensatz mit der Negation = O, stellt nur etwas vor, dessen Begriff
an sich ein Sein enthaelt, und bedeutet nichts als die Synthesis in
einem empirischen Bewusstsein ueberhaupt. In dem inneren Sinn naemlich
kann das empirische Bewusstsein von O bis zu jedem groesseren Grade
erhoeht werden, so dass eben dieselbe extensive Groesse der Anschauung
(z.B. erleuchtete Flaeche) so grosse Empfindung erregt, als ein
Aggregat von vielem anderen (minder erleuchteten) zusammen. Man
kann also von der extensiven Groesse der Erscheinung gaenzlich
abstrahieren, und sich doch an der blossen Empfindung in einem Moment
eine Synthesis der gleichfoermigen Steigerung von O bis zu dem
gegebenen empirischen Bewusstsein vorstellen. Alle Empfindungen werden
daher, als solche, zwar nur a priori gegeben, aber die Eigenschaft
derselben, dass sie einen Grad haben, kann a priori erkannt werden.
Es ist merkwuerdig, dass wir an Groessen ueberhaupt a priori nur eine
einzige Qualitaet, naemlich die Kontinuitaet, an aller Qualitaet
aber (dem Realen der Erscheinungen) nichts weiter a priori, als die
intensive Quantitaet derselben, naemlich dass sie einen Grad haben,
erkennen koennen, alles uebrige bleibt der Erfahrung ueberlassen.
3. Die Analogien der Erfahrung
Der allgemeine Grundsatz derselben ist: Alle Erscheinungen stehen,
ihrem Dasein nach, a priori unter Regeln der Bestimmung ihres
Verhaeltnisses untereinander in einer Zeit.
Die drei modi der Zeit sind Beharrlichkeit, Folge und Zugleichsein.
Daher werden drei Regeln aller Zeitverhaeltnisse der Erscheinungen,
wonach jeder ihr Dasein in Ansehung der Einheit aller Zeit bestimmt
werden kann, vor aller Erfahrung vorangehen, und diese allererst
moeglich machen.
Der allgemeine Grundsatz aller drei Analogien beruht auf der
notwendigen Einheit der Apperzeption, in Ansehung alles moeglichen
empirischen Bewusstseins, (der Wahrnehmung,) zu jeder Zeit, folglich,
da jene a priori zum Grunde liegt, auf der synthetischen Einheit
aller Erscheinungen nach ihrem Verhaeltnisse in der Zeit. Denn die
urspruengliche Apperzeption bezieht sich auf den inneren Sinn (den
Inbegriff aller Vorstellungen), und zwar a priori auf die Form
desselben, d.i. das Verhaeltnis des mannigfaltigen empirischen
Bewusstseins in der Zeit. In der urspruenglichen Apperzeption soll nun
alle dieses Mannigfaltige, seinen Zeitverhaeltnissen nach, vereinigt
werden; denn dieses sagt die transzendentale Einheit derselben a
priori, unter welcher alles steht, was zu meinem (d.i. meinem einigen)
Erkenntnisse gehoeren soll, mithin ein Gegenstand fuer mich werden
kann. Diese synthetische Einheit in dem Zeitverhaeltnisse aller
Wahrnehmungen, welche a priori bestimmt ist, ist also das Gesetz:
dass alle empirischen Zeitbestimmung unter Regeln der angeben
Zeitbestimmung stehen muessen, und die Analogien der Erfahrung, von
denen wir jetzt handeln wollen, muessen dergleichen Regeln sein.
Diese Grundsaetze haben das Besondere an sich, dass sie nicht die
Erscheinungen, und die Synthesis ihrer empirischen Anschauung, sondern
bloss das Dasein, und ihr Verhaeltnis untereinander in Ansehung
dieses ihres Daseins, erwaegen. Nun kann die Art, wie etwas in der
Erscheinung apprehendiert wird, a priori dergestalt bestimmt sein,
dass die Regel ihrer Synthesis zugleich diese Anschauung a priori
in jedem vorliegenden empirischen Beispiele geben, d.i. sie daraus
zustande bringen kann. Allein das Dasein der Erscheinungen kann a
priori nicht erkannt werden, und ob wir gleich auf diesem Wege dahin
gelangen koennten, auf irgendein Dasein zu schliessen, so wuerden
wir dieses doch nicht bestimmt erkennen, d.i. das, wodurch seine
empirische Anschauung sich von anderen unterschiede, antizipieren
koennen.
Die vorigen zwei Grundsaetze, welche ich die mathematischen nannte, in
Betracht dessen, dass sie die Mathematik auf Erscheinungen anzuwenden
berechtigten, gingen auf Erscheinungen ihrer blossen Moeglichkeit
nach, und lehrten, wie sie sowohl ihrer Anschauung, als dem Realen
ihrer Wahrnehmung nach, nach Regeln einer mathematischen Synthesis
erzeugt werden koennten; daher sowohl bei der einen, als bei der
anderen die Zahlgroessen, und, mit ihnen, die Bestimmung der
Erscheinung als Groesse, gebraucht werden koennen. So werde ich
z.B. den Grad der Empfindungen des Sonnenlichts aus etwa 200 000
Erleuchtungen durch den Mond zusammensetzen und a priori bestimmt
geben, d.i. konstruieren koennen. Daher koennen wir die ersteren
Grundsaetze konstitutive nennen.
Ganz anders muss es mit denen bewandt sein, die das Dasein der
Erscheinungen a priori unter Regeln bringen sollen. Denn, da dieses
sich nicht konstruieren laesst, so werden sie nur auf das Verhaeltnis
des Daseins gehen, und keine andere als bloss regulative Prinzipien
abgeben koennen. Da ist also weder an Axiome, noch an Antizipationen
zu denken, sondern, wenn uns eine Wahrnehmung in einem
Zeitverhaeltnisse gegen andere (obzwar unbestimmte) gegeben ist, so
wird a priori nicht gesagt werden koennen: welche andere und wie
grosse Wahrnehmung, sondern, wie sie dem Dasein nach, in diesem modo
der Zeit, mit jener notwendig verbunden sei. In der Philosophie
bedeuten Analogien etwas sehr Verschiedenes von demjenigen, was sie
in der Mathematik vorstellen. In dieser sind es Formeln, welche die
Gleichheit zweier Groessenverhaeltnisse aussagen, und jederzeit
konstitutiv, so, dass, wenn zwei Glieder der Proportion gegeben sind,
auch das dritte dadurch gegeben wird, d.i. konstruiert werden kann.
In der Philosophie aber ist die Analogie nicht die Gleichheit zweier
quantitativen, sondern qualitativen Verhaeltnisse, wo ich aus drei
gegebenen Gliedern nur das Verhaeltnis zu einem vierten, nicht aber
dieses vierte Glied selbst erkennen, und a priori geben kann, wohl
aber eine Regel habe, es in der Erfahrung zu suchen, und ein Merkmal,
es in derselben aufzufinden. Eine Analogie der Erfahrung wird also nur
eine Regel sein, nach welcher aus Wahrnehmungen Einheit der Erfahrung
(nicht wie Wahrnehmung selbst, als empirische Anschauung ueberhaupt)
entspringen soll, und als Grundsatz von den Gegenstaenden (der
Erscheinungen) nicht konstitutiv, sondern bloss regulativ gelten.
Ebendasselbe aber wird auch von den Postulaten des empirischen Denkens
ueberhaupt, welche die Synthesis der blossen Anschauung (der Form
der Erscheinung), der Wahrnehmung (der Materie derselben), und
der Erfahrung (des Verhaeltnisses dieser Wahrnehmungen) zusammen
betreffen, gelten, naemlich dass sie nur regulative Grundsaetze sind,
und sich von den mathematischen, die konstitutiv sind, zwar nicht in
der Gewissheit, welche in beiden a priori feststeht, aber doch in
der Art der Evidenz, d.i. dem Intuitiven derselben (mithin auch der
Demonstration) unterscheiden.
Was aber bei allen synthetischen Grundsaetzen erinnert ward, und hier
vorzueglich angemerkt werden muss, ist dieses: dass diese Analogien
nicht als Grundsaetze des transzendentalen, sondern bloss des
empirischen Verstandesgebrauchs, ihre alleinige Bedeutung und
Gueltigkeit halben, mithin auch nur als solche bewiesen werden
koennen, dass folglich die Erscheinungen nicht unter die Kategorien
schlechthin, sondern nur unter ihre Schemate subsumiert werden
muessen. Denn, waeren die Gegenstaende, auf welche diese Grundsaetze
bezogen werden sollen, Dinge an sich selbst, so waere es ganz
unmoeglich, etwas von ihnen a priori synthetisch zu erkennen. Nun
sind es nichts als Erscheinungen, deren vollstaendige Erkenntnis, auf
die alle Grundsaetze a priori zuletzt doch immer auslaufen muessen,
lediglich die moegliche Erfahrung ist, folglich koennen jene nichts,
als bloss die Bedingungen der Einheit des empirischen Erkenntnisses in
der Synthesis der Erscheinungen zum Ziele haben; diese aber wird nur
allein in dem Schema des reinen Verstandesbegriffs gedacht, von deren
Einheit, als einer Synthesis ueberhaupt, die Kategorie die durch keine
sinnliche Bedingung restringierte Funktion enthaelt. Wir werden also
durch diese Grundsaetze die Erscheinungen nur nach einer Analogie, mit
der logischen und allgemeinen Einheit der Begriffe, zusammenzusetzen
berechtigt werden, und daher uns in dem Grundsatze selbst zwar der
Kategorie bedienen, in der Ausfuehrung aber (der Anwendung auf
Erscheinungen) das Schema derselben, als den Schluessel ihres
Gebrauchs, an dessen Stelle, oder jener vielmehr, als restringierende
Bedingung, unter dem Namen einer Formel des ersteren, zur Seite
setzen.
A. Erste Analogie
Grundsatz der Beharrlichkeit
Alle Erscheinungen enthalten das Beharrliche (Substanz) als den
Gegenstand selbst, und das Wandelbare, als dessen blosse Bestimmung,
d.i. eine Art, wie der Gegenstand existiert.
        Beweis dieser ersten Analogie
Alle Erscheinungen sind in der Zeit. Diese kann auf zweifache Weise
das Verhaeltnis im Dasein derselben bestimmen, entweder sofern sie
nach einander oder zugleich sind. In Betracht der ersteren, wird
die Zeit, als Zeitreihe, in Ansehung der zweiten als Zeitumfang
betrachtet.
Unsere Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinung ist jederzeit
sukzessiv, und ist also immer wechselnd. Wir koennen also dadurch
allein niemals bestimmen, ob dieses Mannigfaltige, als Gegenstand der
Erfahrung, zugleich sei, oder nacheinander folge, wo an ihr nicht
etwas zum Grunde liegt, was jederzeit ist, d.i. etwas Bleibendes und
Beharrliches, von welchem aller Wechsel und Zugleichsein nichts, als
so viel Arten (modi der Zeit) sind, wie das Beharrliche existiert.
Nur in dem Beharrlichen sind also Zeitverhaeltnisse moeglich (denn
Simultaneitaet und Sukzession sind die einzigen Verhaeltnisse in
der Zeit), d.i. das Beharrliche ist das Substratum der empirischen
Vorstellung der Zeit selbst, an welchem alle Zeitbestimmung allein
moeglich ist. Die Beharrlichkeit drueckt ueberhaupt die Zeit, als das
bestaendige Korrelatum alles Daseins der Erscheinungen, alles Wechsels
und aller Begleitung, aus. Denn der Wechsel trifft die Zeit selbst
nicht, sondern nur die Erscheinungen in der Zeit, (so wie das
Zugleichsein nicht ein modus der Zeit selbst ist, als in welcher gar
keine Teile zugleich, sondern alle nacheinander sind). Wollte man der
Zeit selbst eine Folge nacheinander beilegen, so muesste man noch eine
andere Zeit denken, in welcher diese Folge moeglich waere. Durch das
Beharrliche allein bekommt das Dasein in verschiedenen Teilen der
Zeitreihe nacheinander eine Groesse, die man Dauer nennt. Denn in der
blossen Folge allein ist das Dasein immer verschwindend und anhebend,
und hat niemals die mindeste Groesse. Ohne dieses Beharrliche
ist also kein Zeitverhaeltnis. Nun kann die Zeit an sich selbst
nicht wahrgenommen werden; mithin ist dieses Beharrliche an den
Erscheinungen das Substratum aller Zeitbestimmung, folglich auch
die Bedingung der Moeglichkeit aller synthetischen Einheit der
Wahrnehmungen, d.i. der Erfahrung, und an diesem Beharrlichen kann
alles Dasein und aller Wechsel in der Zeit nur als ein modus der
Existenz dessen, was bleibt und beharrt, angesehen werden. Also ist in
allen Erscheinungen das Beharrliche der Gegenstand selbst, d.i. die
Substanz (phaenomenon), alles aber, was wechselt, oder wechseln kann,
gehoert nur zu der Art, wie diese Substanz oder Substanzen existieren,
mithin zu ihren Bestimmungen.
Ich finde, dass zu allen Zeiten nicht bloss der Philosoph, sondern
selbst der gemeine Verstand diese Beharrlichkeit, als ein Substratum
alles Wechsels der Erscheinungen, vorausgesetzt haben, und auch
jederzeit als ungezweifelt annehmen werden, nur dass der Philosoph
sich hierueber etwas bestimmter ausdrueckt, indem er sagt: bei allen
Veraenderungen in der Welt bleibt die Substanz, und nur die Akzidenzen
wechseln. Ich treffe aber von diesem so synthetischen Satze nirgends
auch nur den Versuch von einem Beweise, ja er steht auch nur selten,
wie es ihm doch gebuehrt, an der Spitze der reinen und voellig a
priori bestehenden Gesetze der Natur. In der Tat ist der Satz,
dass die Substanz beharrlich sei, tautologisch. Denn bloss diese
Beharrlichkeit ist der Grund, warum wir auf die Erscheinung die
Kategorie der Substanz anwenden, und man haette beweisen muessen,
dass in allen Erscheinungen etwas Beharrliches sei, an welchem das
Wandelbare nichts als Bestimmung seines Daseins ist. Da aber ein
solcher Beweis niemals dogmatisch, d.i. aus Begriffen, gefuehrt werden
kann, weil er einen synthetischen Satz a priori betrifft, und man
niemals daran dachte, dass dergleichen Saetze nur in Beziehung auf
moegliche Erfahrung gueltig sind, mithin auch nur durch eine Deduktion
der Moeglichkeit der letzteren bewiesen werden koennen; so ist kein
Wunder, wenn er zwar bei aller Erfahrung zum Grunde gelegt (weil man
dessen Beduerfnis bei der empirischen Erkenntnis fuehlt), niemals aber
bewiesen worden ist.
Ein Philosoph wurde gefragt: wieviel wiegt der Rauch? Er antwortete:
ziehe von dem Gewichte des verbrannten Holzes das Gewicht der
uebrigbleibenden Asche ab, so hast du das Gewicht des Rauchs. Er
setzte also als unwidersprechlich voraus: dass, selbst im Feuer, die
Materie (Substanz) nicht vergehe, sondern nur die Form derselben eine
Abaenderung erleide. Ebenso war der Satz: aus nichts wird nichts, nur
ein anderer Folgesatz aus dem Grundsatze der Beharrlichkeit, oder
vielmehr des immerwaehrenden Daseins des eigentlichen Subjekts an
den Erscheinungen. Denn, wenn dasjenige an der Erscheinung, was man
Substanz nennen will, das eigentliche Substratum aller Zeitbestimmung
sein soll, so muss sowohl alles Dasein in der vergangenen, als das
der kuenftigen Zeit, daran einzig und allein bestimmt werden koennen.
Daher koennen wir einer Erscheinung nur darum den Namen Substanz
geben, weil wir ihr Dasein zu aller Zeit voraussetzen, welches durch
das Wort Beharrlichkeit nicht einmal wohl ausgedrueckt wird, indem
dieses mehr auf kuenftige Zeit geht. Indessen ist die innere
Notwendigkeit zu beharren, doch unzertrennlich mit der Notwendigkeit,
immer gewesen zu sein, verbunden, und der Ausdruck mag also bleiben.
Gigni de nihilo nihil, in nihilum nil posse reverti, waren zwei
Saetze, welche die Alten unzertrennt verknuepften, und die man aus
Missverstand jetzt bisweilen trennt, weil man sich vorstellt, dass sie
Dinge an sich selbst angehen, und der erstere der Abhaengigkeit der
Welt von einer obersten Ursache (auch sogar ihrer Substanz nach)
entgegen sein duerfte; welche Besorgnis unnoetig ist, indem hier nur
von Erscheinungen im Felde der Erfahrung die Rede ist, deren Einheit
niemals moeglich sein wuerde, wenn wir neue Dinge (der Substanz nach)
wollten entstehen lassen. Denn alsdann fiele dasjenige weg, welches
die Einheit der Zeit allein vorstellen kann, naemlich die Identitaet
des Substratum, als woran aller Wechsel allein durchgaengige Einheit
hat. Diese Beharrlichkeit ist indes doch weiter nichts, als die Art,
uns das Dasein der Dinge (in der Erscheinung) vorzustellen.
Die Bestimmungen einer Substanz, die nichts anderes sind, als
besondere Arten derselben zu existieren, heissen Akzidenzen. Sie
sind jederzeit real, weil sie das Dasein der Substanz betreffen,
(Negationen sind nur Bestimmungen, die das Nichtsein von etwas an der
Substanz ausdruecken). Wenn man nun diesem Realen an der Substanz ein
besonderes Dasein beigelegt, (z.E. der Bewegung, als einem Akzidens
der Materie,) so nennt man dieses Dasein die Inhaerenz, zum
Unterschiede vom Dasein der Substanz, die man Subsistenz nennt.
Allein hieraus entspringen viel Missdeutungen, und es ist genauer und
richtiger geredet, wenn man das Akzidens nur durch die Art, wie das
Dasein einer Substanz positiv bestimmt ist, bezeichnet. Indessen ist
es doch, vermoege der Bedingungen des logischen Gebrauchs unseres
Verstandes, unvermeidlich, dasjenige, was im Dasein einer Substanz
wechseln kann, indessen, dass die Substanz bleibt, gleichsam
abzusondern, und in Verhaeltnis auf das eigentliche Beharrliche und
Radikale zu betrachten; daher denn auch diese Kategorie unter dem
Titel der Verhaeltnisse steht, mehr als die Bedingung derselben, als
dass sie selbst ein Verhaeltnis enthielte.
Auf dieser Beharrlichkeit gruendet sich nun auch die Berichtigung
des Begriffs von Veraenderung. Entstehen und Vergehen sind nicht
Veraenderungen desjenigen, was entsteht oder vergeht. Veraenderung ist
eine Art zu existieren, welche auf eine andere Art zu existieren eben
desselben Gegenstandes erfolgt. Daher ist alles, was sich veraendert,
bleibend, und nur sein Zustand wechselt. Da dieser Wechsel also nur
die Bestimmungen trifft, die aufhoeren oder auch anheben koennen,
so koennen wir, in einem etwas paradox scheinenden Ausdruck, sagen:
nur das Beharrliche (die Substanz) wird veraendert, das Wandelbare
erleidet keine Veraenderung, sondern einen Wechsel, da einige
Bestimmungen aufhoeren, und andere anheben.
Veraenderung kann daher nur an Substanzen wahrgenommen werden, und
das Entstehen oder Vergehen, schlechthin, ohne dass es bloss eine
Bestimmung des Beharrlichen betreffe, kann gar keine moegliche
Wahrnehmung sein, weil eben dieses Beharrliche die Vorstellung von
dem Uebergange aus dem Zustande in den anderen, und von Nichtsein zum
Sein, moeglich macht, die also nur als wechselnde Bestimmungen dessen,
was bleibt, empirisch erkannt werden koennen. Nehmet an, dass etwas
schlechthin anfange zu sein; so muesst ihr einen Zeitpunkt haben, in
dem es nicht war. Woran wollt ihr aber diesen heften, wenn nicht an
demjenigen, was schon da ist? Denn eine leere Zeit, die vorherginge,
ist kein Gegenstand der Wahrnehmung; knuepft ihr dieses Entstehen aber
an Dinge, die vorher waren, und bis zu dem, was entsteht, fortdauern,
so war das letztere nur eine Bestimmung des ersteren, als des
Beharrlichen. Ebenso ist es auch mit dem Vergehen: denn dieses setzt
die empirische Vorstellung einer Zeit voraus, da eine Erscheinung
nicht mehr ist.
Substanzen (in der Erscheinung) sind die Substrate aller
Zeitbestimmungen. Das Entstehen einiger, und das Vergehen anderer
derselben, wuerde selbst die einzige Bedingung der empirischen Einheit
der Zeit aufheben, und die Erscheinungen wuerden sich alsdann auf
zweierlei Zeit beziehen, in denen nebeneinander das Dasein verfloesse,
welches ungereimt ist. Denn es ist nur Eine Zeit, in welcher alle
verschiedenen Zeiten nicht zugleich, sondern nacheinander gesetzt
werden muessen.
So ist demnach die Beharrlichkeit eine notwendige Bedingung, unter
welcher allein Erscheinungen, als Dinge oder Gegenstaende, in einer
moeglichen Erfahrung bestimmbar sind. Was aber das empirische
Kriterium dieser notwendigen Beharrlichkeit und mit ihr der
Substantialitaet der Erscheinungen sei, davon wird uns die Folge
Gelegenheit geben, das Noetige anzumerken.
B. Zweite Analogie
Grundsatz der Erzeugung
Alles, was geschieht (anhebt zu sein) setzt etwas voraus, worauf es
nach einer Regel folgt.
Die Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinung ist jederzeit
sukzessiv. Die Vorstellungen der Teile folgen aufeinander. Ob sie sich
auch im Gegenstande folgen, ist ein zweiter Punkt der Reflexion, der
in der ersteren nicht enthalten ist. Nun kann man zwar alles, und
sogar jede Vorstellung, sofern man sich ihrer bewusst ist, Objekt
nennen; allein was dieses Wort bei Erscheinungen zu bedeuten habe,
nicht, insofern sie (als Vorstellungen) Objekte sind, sondern nur ein
Objekt bezeichnen, ist von tieferer Untersuchung. Sofern sie, nur als
Vorstellungen zugleich Gegenstaende des Bewusstseins sind, so sind
sie von der Apprehension, d.i. der Aufnahme in die Synthesis der
Einbildungskraft, gar nicht unterschieden, und man muss also sagen:
das Mannigfaltige der Erscheinungen wird im Gemuet jederzeit sukzessiv
erzeugt. Waeren Erscheinungen Dinge an sich selbst, so wuerde kein
Mensch aus der Sukzession der Vorstellungen von ihrem Mannigfaltigen
ermessen koennen, wie dieses in dem Objekt verbunden sei. Denn
wir haben es doch nur mit unseren Vorstellungen zu tun; wie Dinge
an sich selbst (ohne Ruecksicht auf Vorstellungen, dadurch sie
uns affizieren,) sein moegen, ist gaenzlich ausser unserer
Erkenntnissphaere. Ob nun gleich die Erscheinungen nicht Dinge an sich
selbst, und gleichwohl doch das einzige sind, was uns zur Erkenntnis
gegeben werden kann, so soll ich anzeigen, was dem Mannigfaltigen an
den Erscheinungen selbst fuer eine Verbindung in der Zeit zukomme,
indessen dass die Vorstellung desselben in der Apprehension jederzeit
sukzessiv ist. So ist z.E. die Apprehension des Mannigfaltigen in
der Erscheinung eines Hauses, das vor mir steht, sukzessiv. Nun ist
die Frage: ob das Mannigfaltige dieses Hauses selbst auch in sich
sukzessiv sei, welches freilich niemand zugeben wird. Nun ist
aber, sobald ich meine Begriffe von einem Gegenstande bis zur
transzendentalen Bedeutung steigere, das Haus gar kein Ding an sich
selbst, sondern nur eine Erscheinung, d.i. Vorstellung, dessen
transzendentaler Gegenstand unbekannt ist; was verstehe ich also unter
der Frage: wie das Mannigfaltige in der Erscheinung selbst (die doch
nichts an sich selbst ist) verbunden sein moege? Hier wird das, was in
der sukzessiven Apprehension liegt, als Vorstellung, die Erscheinung
aber, die mir gegeben ist, ohnerachtet sie nichts weiter als ein
Inbegriff dieser Vorstellungen ist, als der Gegenstand derselben
betrachtet, mit welchem mein Begriff, den ich aus den Vorstellungen
der Apprehension ziehe, zusammenstimmen soll. Man sieht bald, dass,
weil Uebereinstimmung der Erkenntnis mit dem Objekt Wahrheit ist,
hier nur nach den formalen Bedingungen der empirischen Wahrheit
gefragt werden kann, und Erscheinung, im Gegenverhaeltnis mit
den Vorstellungen der Apprehension, nur dadurch als das davon
unterschiedene Objekt derselben koenne vorgestellt werden, wenn sie
unter einer Regel steht, welche sie von jeder anderen Apprehension
unterscheidet, und eine Art der Verbindung des Mannigfaltigen
notwendig macht. Dasjenige an der Erscheinung, was die Bedingung
dieser notwendigen Regel der Apprehension enthaelt, ist das Objekt.
Nun lasst uns zu unserer Aufgabe fortgehen. Dass etwas geschehe,
d.i. etwas, oder ein Zustand werde, der vorher nicht war, kann nicht
empirisch wahrgenommen werden, wo nicht eine Erscheinung vorhergeht,
welche diesen Zustand nicht in sich enthaelt; denn eine Wirklichkeit,
die auf eine leere Zeit folge mithin ein Entstehen, vor dem kein
Zustand der Dinge vorhergeht, kann ebensowenig, als die leere Zeit
selbst apprehendiert werden. Jede Apprehension einer Begebenheit ist
also eine Wahrnehmung, welche auf eine andere folgt. Weil dieses aber
bei aller Synthesis der Apprehension so beschaffen ist, wie ich oben
an der Erscheinung eines Hauses gezeigt habe, so unterscheidet sie
sich dadurch noch nicht von anderen. Allein ich bemerke auch. dass,
wenn ich an einer Erscheinung, welche ein Geschehen enthaelt, den
vorhergehenden Zustand der Wahrnehmung A, den folgenden aber B nenne,
dass B auf A in der Apprehension nur folgen, die Wahrnehmung A aber
auf B nicht folgen, sondern nur vorhergehen kann. Ich sehe z.B.
ein Schiff den Strom hinabtreiben. Meine Wahrnehmung seiner Stelle
unterhalb, folgt auf die Wahrnehmung der Stelle desselben oberhalb dem
Laufe des Flusses, und es ist unmoeglich, dass in der Apprehension
dieser Erscheinung das Schiff zuerst unterhalb, nachher aber oberhalb
des Stromes wahrgenommen werden sollte. Die Ordnung in der Folge der
Wahrnehmungen in der Apprehension ist hier also bestimmt, und an
dieselbe ist die letztere gebunden. In dem vorigen Beispiele von einem
Hause konnten meine Wahrnehmungen in der Apprehension von der Spitze
desselben anfangen, und beim Boden endigen, aber auch von unten
anfangen, und oben endigen, imgleichen rechts oder links das
Mannigfaltige der empirischen Anschauung apprehendieren. In der Reihe
dieser Wahrnehmungen war also keine bestimmte Ordnung, welche es
notwendig machte, wenn ich in der Apprehension anfangen muesste, um
das Mannigfaltige empirisch zu verbinden. Diese Regel aber ist bei der
Wahrnehmung von dem, was geschieht, jederzeit anzutreffen, und sie
macht die Ordnung der einander folgenden Wahrnehmungen (in der
Apprehension dieser Erscheinung) notwendig.
Ich werde also, in unserem Fall, die subjektive Folge der Apprehension
von der objektiven Folge der Erscheinungen ableiten muessen, weil jene
sonst gaenzlich unbestimmt ist, und keine Erscheinung von der anderen
unterscheidet. Jene allein beweist nichts von der Verknuepfung des
Mannigfaltigen am Objekt, weil sie ganz beliebig ist. Diese also wird
in der Ordnung des Mannigfaltigen der Erscheinung bestehen, nach
welcher die Apprehension des einen (was geschieht) auf die des anderen
(das vorhergeht) nach einer Regel folgt. Nur dadurch kann ich von
der Erscheinung selbst, und nicht bloss von meiner Apprehension,
berechtigt sein zu sagen: dass in jener eine Folge anzutreffen sei,
welches so viel bedeutet, als dass ich die Apprehension nicht anders
anstellen koenne, als gerade in dieser Folge.
Nach einer solchen Regel also muss in dem, was ueberhaupt vor einer
Begebenheit vorhergeht, die Bedingung zu einer Regel liegen, nach
welcher jederzeit und notwendigerweise diese Begebenheit folgt;
umgekehrt aber kann ich nicht von der Begebenheit zurueckgehen, und
dasjenige bestimmen (durch Apprehension) was vorhergeht. Denn von dem
folgenden Zeitpunkt geht keine Erscheinung zu dem vorigen zurueck,
aber bezieht sich doch auf irgendeinen vorigen; von einer gegebenen
Zeit ist dagegen der Fortgang auf die bestimmte folgende notwendig.
Daher, weil es doch etwas ist, was folgt, so muss ich es notwendig auf
etwas anderes ueberhaupt beziehen, was vorhergeht, und worauf es nach
einer Regel, d.i. notwendigerweise, folgt, so dass die Begebenheit,
als das Bedingte, auf irgendeine Bedingung sichere Anweisung gibt,
diese aber die Begebenheit bestimmt.
Man setze, es gehe vor einer Begebenheit nichts vorher, worauf
dieselbe nach einer Regel folgen muesste, so waere alle Folge der
Wahrnehmung nur lediglich in der Apprehension, d.i. bloss subjektiv,
aber dadurch gar nicht objektiv bestimmt, welches eigentlich das
Vorhergehende, und welches das Nachfolgende der Wahrnehmungen sein
muesste. Wir wuerden auf solche Weise nur ein Spiel der Vorstellungen
haben, das sich auf gar kein Objekt bezoege, d.i. es wuerde
durch unsere Wahrnehmung eine Erscheinung von jeder anderen, dem
Zeitverhaeltnisse nach, gar nicht unterschieden werden; weil die
Sukzession im Apprehendieren allerwaerts einerlei, und also nichts in
der Erscheinung ist, was sie bestimmt, so dass dadurch eine gewisse
Folge als objektiv notwendig gemacht wird. Ich werde also nicht sagen:
dass in der Erscheinung zwei Zustaende aufeinander folgen; sondern
nur: dass eine Apprehension auf die andere folgt, welches bloss etwas
Subjektives ist, und kein Objekt bestimmt, mithin gar nicht vor
Erkenntnis irgendeines Gegenstandes (selbst nicht in der Erscheinung)
gelten kann.
Wenn wir also erfahren, dass etwas geschieht, so setzen wir dabei
jederzeit voraus, dass irgend etwas vorausgehe, worauf es nach einer
Regel folgt. Denn ohne dieses wuerde ich nicht von dem Objekt sagen,
dass es folge, weil die blosse Folge in meiner Apprehension, wenn sie
nicht durch eine Regel in Beziehung auf ein Vorhergehendes bestimmt
ist, keine Folge im Objekte berechtigt. Also geschieht es immer in
Ruecksicht auf eine Regel, nach welcher die Erscheinungen in ihrer
Folge, d.i. so wie sie geschehen, durch den vorigen Zustand bestimmt
sind, dass ich meine subjektive Synthesis (der Apprehension) objektiv
mache, und, nur lediglich unter dieser Voraussetzung allein, ist
selbst die Erfahrung von etwas, was geschieht, moeglich.
Zwar scheint es, als widerspreche dieses allen Bemerkungen, die man
jederzeit ueber den Gang unseres Verstandesgebrauchs gemacht hat, nach
welchen wir nur allererst durch die wahrgenommenen und verglichenen
uebereinstimmenden Folgen vieler Begebenheiten auf vorhergehende
Erscheinungen, eine Regel zu entdecken, geleitet worden, der gemaess
gewisse Begebenheiten auf gewisse Erscheinungen jederzeit folgen,
und dadurch zuerst veranlasst worden, uns den Begriff von Ursache zu
machen. Auf solchen Fuss wuerde dieser Begriff bloss empirisch sein,
und die Regel, die er verschafft, dass alles, was geschieht, eine
Ursache habe, wuerde ebenso zufaellig sein, als die Erfahrung selbst:
seine Allgemeinheit und Notwendigkeit waeren alsdann nur angedichtet,
und haetten keine wahre allgemeine Gueltigkeit, weil sie nicht a
priori, sondern nur auf Induktion gegruendet waeren. Es geht aber
hiemit so, wie mit anderen reinen Vorstellungen a priori, (z.B. Raum
und Zeit) die wir darum allein aus der Erfahrung als klare Begriffe
herausziehen koennen, weil wir sie in die Erfahrung gelegt hatten,
und diese daher durch jene allererst zustande brachten. Freilich
ist die logische Klarheit dieser Vorstellung, einer die Reihe der
Begebenheiten bestimmenden Regel, als eines Begriffs von Ursache, nur
alsdann moeglich, wenn wir davon in der Erfahrung Gebrauch gemacht
haben, aber eine Ruecksicht auf dieselbe, als Bedingung der
synthetischen Einheit der Erscheinungen in der Zeit, war doch der
Grund der Erfahrung selbst, und ging also a priori vor ihr vorher.
Es kommt also darauf an, im Beispiele zu zeigen, dass wir niemals
selbst in der Erfahrung die Folge (einer Begebenheit, da etwas
geschieht, was vorher nicht war) dem Objekt beilegen, und sie von der
subjektiven unserer Apprehension unterscheiden, als wenn eine Regel
zum Grunde liegt, die uns noetig, diese Ordnung der Wahrnehmungen
vielmehr als eine andere zu beobachten, ja dass diese Noetigung
es eigentlich sei, was die Vorstellung einer Sukzession im Objekt
allererst moeglich macht.
Wir haben Vorstellungen in uns, deren wir uns auch bewusst werden
koennen. Dieses Bewusstsein aber mag so weit erstreckt, und so genau
oder puenktlich sein, als man wolle, so bleiben es doch nur immer
Vorstellungen, d.i. innere Bestimmungen unseres Gemuets in diesem oder
jenem Zeitverhaeltnisse. Wie kommen wir nun dazu, dass wir diesen
Vorstellungen ein Objekt setzen, oder ueber ihre subjektive Realitaet,
als Modifikationen, ihnen noch, ich weiss nicht, was fuer eine,
objektive beilegen? Objektive Bedeutung kann nicht in der Beziehung
auf eine andere Vorstellung (von dem, was man vom Gegenstande nennen
wollte) bestehen, denn sonst erneuert sich die Frage: wie geht diese
Vorstellung wiederum aus sich selbst heraus, und bekommt objektive
Bedeutung noch ueber die subjektive, welche ihr, als Bestimmung des
Gemuetszustandes, eigen ist? Wenn wir untersuchen, was denn die
Beziehung auf einen Gegenstand unseren Vorstellungen fuer eine neue
Beschaffenheit gebe, und welches die Dignitaet sei, die sie dadurch
erhalten, so finden wir, dass sie nichts weiter tue, als die
Verbindung der Vorstellungen auf eine gewisse Art notwendig zu machen,
und sie einer Regel zu unterwerfen; dass umgekehrt nur dadurch, dass
eine gewisse Ordnung in dem Zeitverhaeltnisse unserer Vorstellungen
notwendig ist, ihnen objektive Bedeutung erteilt wird.
In der Synthesis der Erscheinungen folgt das Mannigfaltige der
Vorstellungen jederzeit nacheinander. Hiedurch wird nun gar kein
Objekt vorgestellt; weil durch diese Folge, die allen Apprehensionen
gemein ist, nichts vom anderen unterschieden wird. Sobald ich aber
wahrnehme, oder voraus annehme, dass in dieser Folge eine Beziehung
auf den vorhergehenden Zustand sei, aus welchem die Vorstellung nach
einer Regel folgt, so stellt sich etwas vor als Begebenheit, oder was
da geschieht, d.i. ich erkenne einen Gegenstand, den ich in der Zeit
auf eine gewisse bestimmte Stelle setzen muss, die ihm, nach dem
vorhergehenden Zustande, nicht anders erteilt werden kann. Wenn ich
also wahrnehme, dass etwas geschieht, so ist in dieser Vorstellung
erstlich enthalten: dass etwas vorhergehe, weil eben in Beziehung auf
dieses die Erscheinung ihre Zeitverhaeltnis bekommt, naemlich, nach
einer vorhergehenden Zeit, in der sie nicht war, zu existieren. Aber
ihre bestimmte Zeitstelle in diesem Verhaeltnisse kann sie nur dadurch
bekommen, dass im vorhergehenden Zustande etwas vorausgesetzt wird,
worauf es jederzeit, d.i. nach einer Regel, folgt: woraus sich denn
ergibt, dass ich erstlich nicht die Reihe umkehren, und das, was
geschieht, demjenigen voransetzen kann, worauf es folgt: zweitens
dass, wenn der Zustand, der vorhergeht, gesetzt wird, diese bestimmte
Begebenheit unausbleiblich und notwendig folge. Dadurch geschieht es:
dass eine Ordnung unter unseren Vorstellungen wird, in welcher das
Gegenwaertige (sofern es geworden) auf irgendeinen vorhergehenden
Zustand Anweisung gibt, als ein, obzwar noch unbestimmtes Korrelatum
dieser Ereignis, die gegeben ist, welches sich aber auf diese, als
seine Folge, bestimmend bezieht, und sie notwendig mit sich in der
Zeitreihe verknuepft.
Wenn es nun ein notwendiges Gesetz unserer Sinnlichkeit, mithin eine
formale Bedingung aller Wahrnehmungen ist: dass die vorige Zeit die
folgende notwendig bestimmt (indem ich zur folgenden nicht anders
gelangen kann, als durch die vorhergehende); so ist es auch ein
unentbehrliches Gesetz der empirischen Vorstellung der Zeitreihe, dass
die Erscheinungen der vergangenen Zeit jedes Dasein in der folgenden
bestimmen, und dass diese, als Begebenheiten, nicht stattfinden, als
sofern jene ihnen ihr Dasein in der Zeit bestimmen, d.i. nach einer
Regel festsetzen. Denn nur an den Erscheinungen koennen wir diese
Kontinuitaet im Zusammenhange der Zeiten empirisch erkennen.
Zu aller Erfahrung und deren Moeglichkeit gehoert Verstand, und
das erste, was er dazu tut, ist nicht: dass er die Vorstellung der
Gegenstaende deutlich macht, sondern dass er die Vorstellung eines
Gegenstandes ueberhaupt moeglich macht. Dieses geschieht nun dadurch,
dass er die Zeitordnung auf die Erscheinungen und deren Dasein
uebertraegt, indem er jeder derselben als Folge eine, in Ansehung der
vorhergehenden Erscheinungen, a priori bestimmte Stelle in der Zeit
zuerkennt, ohne welche sie nicht mit der Zeit selbst, die allen ihren
Teilen a priori ihre Stelle bestimmt, uebereinkommen wuerde. Diese
Bestimmung der Stelle kann nun nicht von dem Verhaeltnis der
Erscheinungen gegen die absolute Zeit entlehnt werden, (denn die ist
kein Gegenstand der Wahrnehmung,) sondern umgekehrt, die Erscheinungen
muessen einander ihre Stellen in der Zeit selbst bestimmen, und
dieselbe in der Zeitordnung notwendig machen, d.i. dasjenige, was da
folgt, oder geschieht, muss nach einer allgemeinen Regel auf das,
was im vorigen Zustande enthalten war, folgen, woraus eine Reihe der
Erscheinungen wird, die vermittelst des Verstandes eben dieselbige
Ordnung und stetigen Zusammenhang in der Reihe moeglicher
Wahrnehmungen hervorbringt, und notwendig macht, als sie in der Form
der inneren Anschauung, (der Zeit) darin alle Wahrnehmungen ihre
Stelle haben muessten, a priori angetroffen wird.
Dass also etwas geschieht, ist eine Wahrnehmung, die zu einer
moeglichen Erfahrung gehoert, die dadurch wirklich wird, wenn ich die
Erscheinung, ihrer Stelle nach, in der Zeit, als bestimmt, mithin
als ein Objekt ansehe, welches nach einer Regel im Zusammenhange der
Wahrnehmungen jederzeit gefunden werden kann. Diese Regel aber, etwas
der Zeitfolge nach zu bestimmen, ist: dass in dem, was vorhergeht, die
Bedingung anzutreffen sei, unter welcher die Begebenheit jederzeit
(d.i. notwendigerweise) folgt. Also ist der Satz vom zureichenden
Grunde der Grund moeglicher Erfahrung, naemlich der objektiven
Erkenntnis der Erscheinungen, in Ansehung des Verhaeltnisses
derselben, in Reihenfolge der Zeit.
Der Beweisgrund dieses Satzes aber beruht lediglich auf folgenden
Momenten. Zu aller empirischen Erkenntnis gehoert die Synthesis des
Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft, die jederzeit sukzessiv
ist; d.i. die Vorstellungen folgen in ihr jederzeit aufeinander. Die
Folge aber ist in der Einbildungskraft der Ordnung nach (was vorgehen
und was folgen muesse) gar nicht bestimmt, und die Reihe der einen
der folgenden Vorstellungen kann ebensowohl rueckwaerts als vorwaerts
genommen werden. Ist aber diese Synthesis eine Synthesis der
Apprehension (des Mannigfaltigen einer gegebenen Erscheinung), so ist
die Ordnung im Objekt bestimmt, oder, genauer zu reden, es ist darin
eine Ordnung der sukzessiven Synthesis, die ein Objekt bestimmt, nach
welcher etwas notwendig vorausgehen, und wenn dieses gesetzt ist,
das andere notwendig folgen muesse. Soll also meine Wahrnehmung die
Erkenntnis einer Begebenheit enthalten, da naemlich etwas wirklich
geschieht; so muss sie ein empirisches Urteil sein, in welchem man
sich denkt, dass die Folge bestimmt sei, d.i. dass sie eine andere
Erscheinung der Zeit nach voraussetze, worauf sie notwendig, oder nach
einer Regel folgt. Widrigenfalls, wenn ich das Vorhergehende setze,
und die Begebenheit folgte nicht darauf notwendig, so wuerde ich sie
nur fuer ein subjektives Spiel meiner Einbildungen halten muessen, und
stellte ich mir darunter doch etwas Objektives vor, sie einen blossen
Traum nennen. Also ist das Verhaeltnis der Erscheinungen (als
moeglicher Wahrnehmungen), nach welchem das Nachfolgende (was
geschieht) durch etwas Vorhergehendes seinem Dasein nach notwendig,
und nach einer Regel in der Zeit bestimmt ist, mithin das Verhaeltnis
der Ursache zur Wirkung die Bedingung der objektiven Gueltigkeit
unserer empirischen Urteile, in Ansehung der Reihe der Wahrnehmungen,
mithin der empirischen Wahrheit derselben, und also der Erfahrung.
Der Grundsatz des Kausalverhaeltnisses in der Folge der Erscheinungen
gilt daher auch vor allen Gegenstaenden der Erfahrung (unter den
Bedingungen der Sukzession), weil er selbst der Grund der Moeglichkeit
einer solchen Erfahrung ist.
Hier aeussert sich aber noch eine Bedenklichkeit, die gehoben werden
muss. Der Satz der Kausalverknuepfung unter den Erscheinungen ist in
unserer Formel auf die Reihenfolge derselben eingeschraenkt, da es
sich doch bei dem Gebrauch desselben findet, dass er auch auf ihre
Begleitung passe, und Ursache und Wirkung zugleich sein koenne. Es ist
z.B. Waerme im Zimmer, die nicht in freier Luft angetroffen wird. Ich
sehe mich nach der Ursache um, und finde einen geheizten Ofen. Nun ist
dieser, als Ursache, mit seiner Wirkung, der Stubenwaerme, zugleich;
also ist hier keine Reihenfolge, der Zeit nach, zwischen Ursache und
Wirkung, sondern sie sind zugleich, und das Gesetz gilt doch. Der
groesste Teil der wirkenden Ursache in der Natur ist mit ihren
Wirkungen zugleich, und die Zeitfolge der letzteren wird nur dadurch
veranlasst, dass die Ursache ihre ganze Wirkung nicht in einem
Augenblick verrichten kann. Aber in dem Augenblicke, da sie zuerst
entsteht, ist sie mit der Kausalitaet ihrer Ursache jederzeit
zugleich, weil, wenn jene einen Augenblick vorher aufgehoert haette zu
sein, diese gar nicht entstanden waere. Hier muss man wohl bemerken,
dass es auf die Ordnung der Zeit, und nicht auf den Ablauf derselben
angesehen sei; das Verhaeltnis bleibt, wenngleich keine Zeit verlaufen
ist. Die Zeit zwischen der Kausalitaet der Ursache, und deren
unmittelbaren Wirkung, kann verschwindend (sie also zugleich) sein,
aber das Verhaeltnis der einen zur anderen bleibt doch immer, der Zeit
nach, bestimmbar. Wenn ich eine Kugel, die auf einem ausgestopften
Kissen liegt, und ein Gruebchen darin drueckt, als Ursache betrachte,
so ist sie mit der Wirkung zugleich. Allein ich unterscheide doch
beide durch das Zeitverhaeltnis der dynamischen Verknuepfung beider.
Denn, wenn ich die Kugel auf das Kissen lege, so folgt auf die vorige
glatte Gestalt desselben das Gruebchen; hat aber das Kissen (ich weiss
nicht woher) ein Gruebchen, so folgt darauf nicht eine bleierne Kugel.
Demnach ist die Zeitfolge allerdings das einzige empirische Kriterium
der Wirkung, in Beziehung auf die Kausalitaet der Ursache, die
vorhergeht. Das Glas ist die Ursache von dem Steigen des Wassers
ueber seine Horizontalflaeche, obgleich beide Erscheinungen zugleich
sind. Denn sobald ich dieses aus einem groesseren Gefaess mit dem
Glase schoepfe, so erfolgt etwas, naemlich die Veraenderung des
Horizontalstandes, den es dort hatte, in einen konkaven, den es im
Glase annimmt.
Diese Kausalitaet fuehrt auf den Begriff der Handlung, diese auf den
Begriff der Kraft, und dadurch auf den Begriff der Substanz. Da ich
mein kritisches Vorhaben, welches lediglich auf die Quellen der
synthetischen Erkenntnis a priori geht, nicht mit Zergliederungen
bemengen will, die bloss die Erlaeuterung (nicht Erweiterung) der
Begriffe angehen, so ueberlasse ich die umstaendliche Eroerterung
derselben einem kuenftigen System der reinen Vernunft: wiewohl man
eine solche Analysis im reichen Masse, auch schon in den bisher
bekannten Lehrbuechern dieser Art, antrifft. Allein das empirische
Kriterium einer Substanz, sofern sie sich nicht durch die
Beharrlichkeit der Erscheinung, sondern besser und leichter durch
Handlung zu offenbaren scheint, kann ich nicht unberuehrt lassen.
Wo Handlung, mithin Taetigkeit und Kraft ist, da ist auch Substanz,
und in dieser allein muss der Sitz jener fruchtbaren Quelle der
Erscheinungen gesucht werden. Das ist ganz gut gesagt; aber, wenn man
sich darueber erklaeren soll, was man unter Substanz verstehe, und
dabei den fehlerhaften Zirkel vermeiden will, so ist es nicht so
leicht verantwortet. Wie will man aus der Behandlung sogleich auf
die Beharrlichkeit des Handelnden schliessen, welches doch ein
so wesentliches und eigentuemliches Kennzeichen der Substanz
(phaenomenon) ist? Allein, nach unserem vorigen hat die Aufloesung der
Frage doch keine solche Schwierigkeit, ob sie gleich nach der gemeinen
Art (bloss analytisch mit seinen Begriffen zu verfahren) ganz
unaufloeslich sein wuerde. Handlung bedeutet schon das Verhaeltnis des
Subjekts der Kausalitaet zur Wirkung. Weil nun alle Wirkung in dem
besteht, was da geschieht, mithin im Wandelbaren, was die Zeit der
Sukzession nach bezeichnet; so ist das letzte Subjekt desselben das
Beharrliche, als das Substratum alles Wechselnden, d.i. die Substanz.
Denn nach dem Grundsatze der Kausalitaet sind Handlungen immer der
erste Grund von allem Wechsel der Erscheinungen, und koennen also
nicht in einem Subjekt liegen, was selbst wechselt, weil sonst andere
Handlungen und ein anderes Subjekt, welches diesen Wechsel bestimmte,
erforderlich waeren. Kraft dessen beweist nun Handlung, als ein
hinreichendes empirisches Kriterium, die Substantialitaet, ohne dass
ich die Beharrlichkeit desselben durch verglichene Wahrnehmungen
allererst zu suchen noetig haette, welches auch auf diesem Wege mit
der Ausfuehrlichkeit nicht geschehen koennte, die zu der Groesse und
strengen Allgemeingueltigkeit des Begriffs erforderlich ist. Denn
dass das erste Subjekt der Kausalitaet alles Entstehens und Vergehens
selbst nicht (im Felde der Erscheinungen) entstehen und vergehen
koenne, ist ein sicherer Schluss, der auf empirische Notwendigkeit und
Beharrlichkeit im Dasein, mithin auf den Begriff einer Substanz als
Erscheinung auslaeuft.
Wenn etwas geschieht, so ist das blosse Entstehen, ohne Ruecksicht
auf das, was da entsteht, schon an sich selbst ein Gegenstand der
Untersuchung. Der Uebergang aus dem Nichtsein eines Zustandes in
diesen Zustand, gesetzt, dass dieser auch keine Qualitaet in der
Erscheinung enthielte, ist schon allein noetig zu untersuchen. Dieses
Entstehen trifft, wie in der Nummer A gezeigt worden, nicht die
Substanz (denn die entsteht nicht), sondern ihren Zustand. Es ist
also bloss Veraenderung, und nicht Ursprung aus Nichts. Wenn dieser
Ursprung als Wirkung von einer fremden Ursache angesehen wird, so
heisst er Schoepfung, welche als Begebenheit unter den Erscheinungen
nicht zugelassen werden kann, indem ihre Moeglichkeit allein schon die
Einheit der Erfahrung aufheben wuerde, obzwar, wenn ich alle Dinge
nicht als Phaenomene, sondern als Dinge an sich betrachte, und als
Gegenstaende des blossen Verstandes, sie, obschon sie Substanzen sind,
dennoch wie abhaengig ihrem Dasein nach von fremder Ursache angesehen
werden koennen; welches aber alsdann ganz andere Wortbedeutungen nach
sich ziehen, und auf Erscheinungen, als moegliche Gegenstaende der
Erfahrung, nicht passen wuerde.
Wie nun ueberhaupt etwas veraendert werden koenne; wie es moeglich
ist, dass auf einen Zustand in einem Zeitpunkte ein entgegengesetzter
im anderen folgen koenne: davon haben wir a priori nicht den mindesten
Begriff. Hierzu wird die Kenntnis wirklicher Kraefte erfordert, welche
nur empirisch gegeben werden kann, z.B. der bewegenden Kraefte,
oder, welches einerlei ist, gewisser sukzessiver Erscheinungen, (als
Bewegungen) welche solche Kraefte anzeigen. Aber die Form einer jeden
Veraenderung, die Bedingung, unter welcher sie, als ein Entstehen
eines anderen Zustandes, allein vorgehen kann, (der Inhalt derselben,
d.i. der Zustand, der veraendert wird, mag sein, welcher er wolle),
mithin die Sukzession der Zustaende selbst (das Geschehene) kann doch
nach dem Gesetze der Kausalitaet und den Bedingungen der Zeit a priori
erwogen werden*.
* Man merke wohl: dass ich nicht von der Veraenderung gewisser
  Relationen ueberhaupt, sondern von Veraenderung des Zustandes rede.
  Daher, wenn ein Koerper sich gleichfoermig bewegt, so veraendert
  er seinen Zustand (der Bewegung) gar nicht; aber wohl, wenn seine
  Bewegung zu- und abnimmt.
Wenn eine Substanz aus einem Zustande a in einen anderen b uebergeht,
so ist der Zeitpunkt des zweiten vom Zeitpunkte des ersteren Zustandes
unterschieden, und folgt demselben. Ebenso ist auch der zweite Zustand
als Realitaet (in der Erscheinung) vom ersteren, darin diese nicht
war, wie b vom Zero unterschieden; d.i. wenn der Zustand b sich auch
von dem Zustande a nur der Groesse nach unterschiede, so ist die
Veraenderung ein Entstehen von b-a, welches im vorigen Zustande nicht
war, und in Ansehung dessen er = o ist.
Es fraegt sich also, wie ein Ding aus einem Zustande = a in einen
anderen = b uebergehe. Zwischen zwei Augenblicken ist immer eine Zeit,
und zwischen zwei Zustaenden in denselben immer ein Unterschied,
der eine Groesse hat, (denn alle Teile der Erscheinungen sind immer
wiederum Groessen). Also geschieht jeder Uebergang aus einem Zustande
in den anderen in einer Zeit, die zwischen zwei Augenblicken enthalten
ist, deren der erste den Zustand bestimmt, aus welchem das Ding
herausgeht, der zweite den, in welchen es gelangt. Beide also sind
Grenzen der Zeit einer Veraenderung, mithin des Zwischenzustandes
zwischen beiden Zustaenden, und gehoeren als solche mit zu der ganzen
Veraenderung. Nun hat jede Veraenderung eine Ursache, welche in der
ganzen Zeit, in welcher jene vorgeht, ihre Kausalitaet beweist. Also
bringt diese Ursache ihre Veraenderung nicht ploetzlich (auf einmal
oder in einem Augenblicke) hervor, sondern in einer Zeit, so, dass,
wie die Zeit vom Anfangsaugenblicke a bis zu ihrer Vollendung in b
waechst, auch die Groesse der Realitaet (b-a) durch alle kleineren
Grade, die zwischen dem ersten und letzten enthalten sind, erzeugt
wird. Alle Veraenderung ist also nur durch eine kontinuierliche
Handlung der Kausalitaet moeglich, welche, sofern sie gleichfoermig
ist, ein Moment heisst. Aus diesen Momenten besteht nicht die
Veraenderung, sondern wird dadurch erzeugt als ihre Wirkung.
Das ist nun das Gesetz der Kontinuitaet aller Veraenderung, dessen
Grund dieser ist: dass weder die Zeit, noch auch die Erscheinung in
der Zeit, aus Teilen besteht, die die kleinsten sind, und dass doch
der Zustand des Dinges bei seiner Veraenderung durch alle diese Teile,
als Elemente, zu seinem zweiten Zustande uebergehe. Es ist kein
Unterschied des Realen in der Erscheinung, so wie kein Unterschied
in der Groesse der Zeiten, der kleinste, und so erwaechst der neue
Zustand der Realitaet von dem ersten an, darin diese nicht war, durch
alle unendlichen Grade derselben, deren Unterschiede voneinander
insgesamt kleiner sind, als der zwischen o und a.
Welchen Nutzen dieser Satz in der Naturforschung haben moege, das geht
uns hier nichts an. Aber, wie ein solcher Satz, der unsere Erkenntnis
der Natur so zu erweitern scheint, voellig a priori moeglich sei,
das erfordert gar sehr unsere Pruefung, wenngleich der Augenschein
beweist, dass er wirklich und richtig sei, und man also der Frage,
wie er moeglich gewesen, ueberhoben zu sein glauben moechte. Denn es
gibt so mancherlei ungegruendete Anmassungen der Erweiterung unserer
Erkenntnis durch reine Vernunft: dass es zum allgemeinen Grundsatz
angenommen werden muss, deshalb durchaus misstrauisch zu sein, und
ohne Dokumente, die eine gruendliche Deduktion verschaffen koennen,
selbst auf den klarsten dogmatischen Beweis nichts dergleichen zu
glauben und anzunehmen.
Aller Zuwachs des empirischen Erkenntnisses, und jeder Fortschritt
der Wahrnehmung ist nichts, als eine Erweiterung der Bestimmung des
inneren Sinnes, d.i. ein Fortgang in der Zeit, die Gegenstaende moegen
sein, welche sie wollen, Erscheinungen, oder reine Anschauungen.
Dieser Fortgang in der Zeit bestimmt alles, und ist an sich selbst
durch nichts weiter bestimmt: d.i. die Teile desselben sind nur in
der Zeit, und durch die Synthesis derselben, sie aber nicht vor ihr
gegeben. Um deswillen ist ein jeder Uebergang in der Wahrnehmung zu
etwas, was in der Zeit folgt, eine Bestimmung der Zeit durch die
Erzeugung dieser Wahrnehmung, und da jene, immer und in allen ihren
Teilen, eine Groesse ist, die Erzeugung einer Wahrnehmung als einer
Groesse durch alle Grade, deren keiner der kleinste ist, von dem
Zero an, bis zu ihrem bestimmten Grad. Hieraus erhellt nun die
Moeglichkeit, ein Gesetz der Veraenderungen, ihrer Form nach, a priori
zu erkennen. Wir antizipieren nur unsere eigene Apprehension, deren
formale Bedingung, da sie uns vor aller gegebenen Erscheinung selbst
beiwohnt, allerdings a priori muss erkannt werden koennen.
So ist demnach, ebenso, wie die Zeit die sinnliche Bedingung a
priori von der Moeglichkeit eines kontinuierlichen Fortganges des
Existierenden zu dem Folgenden enthaelt, der Verstand, vermittelst
der Einheit der Apperzeption, die Bedingung a priori der Moeglichkeit
einer kontinuierlichen Bestimmung aller Stellen fuer die Erscheinungen
in dieser Zeit, durch die Reihe von Ursachen und Wirkungen, deren die
ersteren der letzteren ihr Dasein unausbleiblich nach sich ziehen, und
dadurch die empirische Erkenntnis der Zeitverhaeltnisse fuer jede Zeit
(allgemein) mithin objektiv gueltig machen.
C. Dritte Analogie
Grundsatz der Gemeinschaft
Alle Substanzen, sofern sie zugleich sind, stehen in durchgaengiger
Gemeinschaft, (d.i. Wechselwirkung untereinander).
        Beweis
Dinge sind zugleich, sofern sie in einer und derselben Zeit
existieren. Woran erkennt man aber: dass sie in einer und derselben
Zeit sind? Wenn die Ordnung in der Synthesis der Apprehension dieses
Mannigfaltigen gleichgueltig ist, d.i. von A durch B, C, D auf E, oder
auch umgekehrt von E zu A gehen kann. Denn, waere sie in der Zeit
nacheinander (in der Ordnung, die von A anhebt, und in E endigt),
so ist es unmoeglich, die Apprehension in der Wahrnehmung von E
anzuheben, und rueckwaerts zu A fortzugehen, weil A zur vergangenen
Zeit gehoert, und also kein Gegenstand der Apprehension mehr sein
kann.
Nehmet nun an: in einer Mannigfaltigkeit von Substanzen als
Erscheinungen waere jede derselben voellig isoliert, d.i. keine wirkte
in die andere, und empfaenge von dieser wechselseitig Einfluesse,
so sage ich: dass das Zugleichsein derselben kein Gegenstand einer
moeglichen Wahrnehmung sein wuerde, und dass das Dasein der einen,
durch keinen Weg der empirischen Synthesis, auf das Dasein der anderen
fuehren koennte. Denn, wenn ihr euch gedenkt, sie waeren durch einen
voellig leeren Raum getrennt, so wuerde die Wahrnehmung, die von
der einen zur anderen in der Zeit fortgeht, zwar dieser ihr Dasein,
vermittelst einer folgenden Wahrnehmung bestimmen, aber nicht
unterscheiden koennen, ob die Erscheinung objektiv auf die erstere
folge, oder mit jener vielmehr zugleich sei.
Es muss also noch ausser dem blossen Dasein etwas sein, wodurch A dem
B seine Stelle in der Zeit bestimmt, und umgekehrt auch wiederum B dem
A, weil nur unter dieser Bedingung gedachte Substanzen, als zugleich
existierend, empirisch vorgestellt werden koennen. Nun bestimmt nur
dasjenige dem anderen seine Stelle in der Zeit, was die Ursache von
ihm oder seinen Bestimmungen ist. Also muss jede Substanz (da sie
nur in Ansehung ihrer Bestimmungen Folge sein kann) die Kausalitaet
gewisser Bestimmungen in der anderen, und zugleich die Wirkungen von
der Kausalitaet der anderen in sich enthalten, d.i. sie muessen in
dynamischer Gemeinschaft (unmittelbar oder mittelbar) stehen, wenn
das Zugleichsein in irgendeiner moeglichen Erfahrung erkannt werden
soll. Nun ist aber alles dasjenige in Ansehung der Gegenstaende
der Erfahrung notwendig, ohne welches die Erfahrung von diesen
Gegenstaenden selbst unmoeglich sein wuerde. Also ist es allen
Substanzen in der Erscheinung, sofern sie zugleich sind, notwendig,
in durchgaengiger Gemeinschaft der Wechselwirkung untereinander zu
stehen.
Das Wort Gemeinschaft ist in unserer Sprache zweideutig, und kann
soviel als communio, aber auch als commercium bedeuten. Wir bedienen
uns hier desselben im letzteren Sinn, als einer dynamischen
Gemeinschaft, ohne welche selbst die lokale (communio spatii) niemals
empirisch erkannt werden koennte. Unseren Erfahrungen ist es leicht
anzumerken, dass nur die kontinuierlichen Einfluesse in allen Stellen
des Raumes unseren Sinn von einem Gegenstande zum anderen leiten
koennen, dass das Licht, welches zwischen unserem Auge und den
Weltkoerpern spielt, eine mittelbare Gemeinschaft zwischen uns und
diesen bewirken und dadurch das Zugleichsein der letzteren beweisen,
dass wir keinen Ort empirisch veraendern (diese Veraenderung
wahrnehmen) koennen, ohne dass uns allerwaerts Materie die Wahrnehmung
unserer Stelle moeglich mache, und diese nur vermittelst ihres
wechselseitigen Einflusses ihr Zugleichsein, und dadurch, bis zu den
entlegensten Gegenstaenden, die Koexistenz derselben (obzwar nur
mittelbar) dartun kann. Ohne Gemeinschaft ist jede Wahrnehmung (der
Erscheinung im Raume) von der anderen abgebrochen, und die Kette
empirischer Vorstellungen, d.i. Erfahrung, wuerde bei einem neuen
Objekt ganz von vorne anfangen, ohne dass die vorige damit im
geringsten zusammenhaenge, oder im Zeitverhaeltnisse stehen koennte.
Den leeren Raum will ich hierdurch gar nicht widerlegen; denn der mag
immer sein, wohin Wahrnehmungen gar nicht reichen, und also keine
empirische Erkenntnis des Zugleichseins stattfindet; er ist aber
alsdann fuer alle unsere moegliche Erfahrung gar kein Objekt.
Zur Erlaeuterung kann folgendes dienen. In unserem Gemuete muessen
alle Erscheinungen, als in einer moeglichen Erfahrung enthalten,
in Gemeinschaft (communio) der Apperzeption stehen, und sofern die
Gegenstaende als zugleich existierend verknuepft vorgestellt werden
sollen, so muessen sie ihre Stelle in einer Zeit wechselseitig
bestimmen, und dadurch ein Ganzes ausmachen. Soll diese subjektive
Gemeinschaft auf einem objektiven Grunde beruhen, oder auf
Erscheinungen als Substanzen bezogen werden, so muss die Wahrnehmung
der einen, als Grund, die Wahrnehmung der anderen, und so umgekehrt,
moeglich machen, damit die Sukzession, die jederzeit in den
Wahrnehmungen, als Apprehensionen ist, nicht den Objekten beigelegt
werde, sondern diese als zugleichexistierend vorgestellt werden
koennen. Dieses ist aber ein wechselseitiger Einfluss, d.i. eine
reale Gemeinschaft (commercium) der Substanzen, ohne welche also
das empirische Verhaeltnis des Zugleichseins nicht in der Erfahrung
stattfinden koennte. Durch dieses Commercium machen die Erscheinungen,
sofern sie aussereinander und doch in Verknuepfung stehen,
ein Zusammengesetztes aus (compositum reale), und dergleichen
Composita werden auf mancherlei Art moeglich. Die drei dynamischen
Verhaeltnisse, daraus alle uebrigen entspringen, sind daher das der
Inhaerenz, der Konsequenz und der Komposition.
                          *           *
                                *
Dies sind denn also die drei Analogien der Erfahrung. Sie sind nichts
anderes, als Grundsaetze der Bestimmung des Daseins der Erscheinungen
in der Zeit, nach allen drei modis derselben, dem Verhaeltnisse zu
der Zeit selbst, als einer Groesse (die Groesse des Daseins, d.i. die
Dauer), dem Verhaeltnisse in der Zeit, als einer Reihe (nacheinander),
endlich auch in ihr, als einem Inbegriff alles Daseins (zugleich).
Diese Einheit der Zeitbestimmung ist durch und durch dynamisch, d.i.
die Zeit wird nicht als dasjenige angesehen, worin die Erfahrung
unmittelbar jedem Dasein seine Stelle bestimmte, welches unmoeglich
ist, weil die absolute Zeit kein Gegenstand der Wahrnehmung ist, womit
Erscheinungen koennten zusammengehalten werden; sondern die Regel
des Verstandes, durch welche allein das Dasein der Erscheinungen
synthetische Einheit nach Zeitverhaeltnissen bekommen kann, bestimmt
jeder derselben ihre Stelle in der Zeit, mithin a priori, und gueltig
fuer alle und jede Zeit.
Unter Natur (im empirischen Verstande) verstehen wir den Zusammenhang
der Erscheinungen ihrem Dasein nach, nach notwendigen Regeln, d.i.
nach Gesetzen. Es sind also gewisse Gesetze, und zwar a priori, welche
allererst eine Natur moeglich machen; die empirischen koennen nur
vermittelst der Erfahrung, und zwar zufolge jener urspruenglichen
Gesetze, nach welchen selbst Erfahrung allererst moeglich wird,
stattfinden, und gefunden werden. Unsere Analogien stellen also
eigentlich die Natureinheit im Zusammenhange aller Erscheinungen unter
gewissen Exponenten dar, welche nichts anderes ausdruecken, als das
Verhaeltnis der Zeit (sofern sie alles Dasein in sich begreift)
zur Einheit der Apperzeption, die nur in der Synthesis nach Regeln
stattfinden kann. Zusammen sagen sie also: alle Erscheinungen liegen
in einer Natur, und muessen darin liegen, weil ohne diese Einheit a
priori keine Einheit der Erfahrung, mithin auch keine Bestimmung der
Gegenstaende in derselben moeglich waere.
Ueber die Beweisart aber, deren wir uns bei diesen transzendentalen
Naturgesetzen bedient haben, und die Eigentuemlichkeit derselben,
ist eine Anmerkung zu machen, die zugleich als Vorschrift fuer jeden
anderen Versuch, intellektuelle und zugleich synthetische Saetze
a priori zu beweisen, sehr wichtig sein muss. Haetten wir diese
Analogien dogmatisch, d.i. aus Begriffen, beweisen wollen: dass
naemlich alles, was existiert, nur in dem angetroffen werde, was
beharrlich ist, dass jede Begebenheit etwas im vorigen Zustande
voraussetze, worauf es nach einer Regel folgt, endlich in dem
Mannigfaltigen, das zugleich ist, die Zustaende in Beziehung
aufeinander nach einer Regel zugleich seien (in Gemeinschaft stehen),
so waere alle Bemuehung gaenzlich vergeblich gewesen. Denn man kann
von einem Gegenstande und dessen Dasein auf das Dasein des anderen,
oder seine Art zu existieren, durch blosse Begriffe dieser Dinge gar
nicht kommen, man mag dieselben zergliedern, wie man wolle. Was blieb
uns nun uebrig? Die Moeglichkeit der Erfahrung, als einer Erkenntnis,
darin uns alle Gegenstaende zuletzt muessen gegeben werden koennen,
wenn ihre Vorstellung fuer uns objektive Realitaet haben soll. In
diesem Dritten nun, dessen wesentliche Form in der synthetischen
Einheit der Apperzeption aller Erscheinungen besteht, fanden wir
Bedingungen a priori der durchgaengigen und notwendigen Zeitbestimmung
alles Daseins in der Erscheinung, ohne welche selbst die empirische
Zeitbestimmung unmoeglich sein wuerde, und fanden Regeln der
synthetischen Einheit a priori, vermittelst deren wir die Erfahrung
antizipieren konnten. In Ermanglung dieser Methode, und bei dem Wahne,
synthetische Saetze, welche der Erfahrungsgebrauch des Verstandes als
seine Prinzipien empfiehlt, dogmatisch beweisen zu wollen, ist es denn
geschehen, dass von dem Satze des zureichenden Grundes so oft, aber
immer vergeblich ein Beweis ist versucht worden. An die beiden
uebrigen Analogien hat niemand gedacht, ob man sich ihrer gleich immer
stillschweigend bediente*, weil der Leitfaden der Kategorien fehlte,
der allein jede Luecke des Verstandes, sowohl in Begriffen als
Grundsaetzen, entdecken und merklich machen kann.
* Die Einheit des Weltganzen, in welchem alle Erscheinungen verknuepft
  sein sollen, ist offenbar eine blosse Folgerung des insgeheim
  angenommenen Grundsatzes der Gemeinschaft aller Substanzen, die
  zugleich sind: denn, waeren sie isoliert, so wuerden sie nicht
  als Teile ein Ganzes ausmachen, und waere ihre Verknuepfung
  (Wechselwirkung des Mannigfaltigen) nicht schon um des Zugleichseins
  willen notwendig, so koennte man aus diesem, als einem bloss idealen
  Verhaeltnis, auf jene, als ein reales, nicht schliessen. Wiewohl wir
  an seinem Ort gezeigt haben: dass die Gemeinschaft eigentlich der
  Grund der Moeglichkeit einer empirischen Erkenntnis, der Koexistenz
  sei, und dass man also eigentlich nur aus dieser auf jene, als ihre
  Bedingung, zurueckschliesse.
4. Die Postulate des empirischen Denkens ueberhaupt
1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und
den Begriffen nach) uebereinkommt, ist moeglich.
2. Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung)
zusammenhaengt, ist wirklich.
3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen
der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig.
        Erlaeuterung
Die Kategorien der Modalitaet haben das Besondere an sich: dass sie
den Begriff, dem sie als Praedikate beigefuegt werden, als Bestimmung
des Objekts nicht im mindesten vermehren, sondern nur das Verhaeltnis
zum Erkenntnisvermoegen ausdruecken. Wenn der Begriff eines Dinges
schon ganz vollstaendig ist, so kann ich doch noch von diesem
Gegenstande fragen, ob er bloss moeglich, oder auch wirklich, oder,
wenn er das letztere ist, ob er gar auch notwendig sei? Hierdurch
werden keine Bestimmungen mehr im Objekte selbst gedacht, sondern
es fraegt sich nur, wie es sich (samt allen seinen Bestimmungen)
zum Verstande und dessen empirischen Gebrauche, zur empirischen
Urteilskraft, und zur Vernunft (in ihrer Anwendung auf Erfahrung)
verhalte?
Eben um deswillen sind auch die Grundsaetze der Modalitaet nichts
weiter, als Erklaerungen der Begriffe der Moeglichkeit, Wirklichkeit
und Notwendigkeit in ihrem empirischen Gebrauche, und hiermit zugleich
Restriktionen aller Kategorien auf den bloss empirischen Gebrauch,
ohne den transzendentalen zuzulassen und zu erlauben. Denn, wenn diese
nicht eine bloss logische Bedeutung haben, und die Form des Denkens
analytisch ausdruecken sollen, sondern Dinge und deren Moeglichkeit,
Wirklichkeit oder Notwendigkeit betreffen sollen, so muessen sie auf
die moegliche Erfahrung und deren synthetische Einheit gehen, in
welcher allein Gegenstaende der Erkenntnis gegeben werden.
Das Postulat der Moeglichkeit der Dinge fordert also, dass der Begriff
derselben mit den formalen Bedingungen einer Erfahrung ueberhaupt
zusammenstimme. Diese, naemlich die objektive Form der Erfahrung
ueberhaupt, enthaelt aber alle Synthesis, welche zur Erkenntnis der
Objekte erfordert wird. Ein Begriff, der eine Synthesis in sich fasst,
ist fuer leer zu halten, und bezieht sich auf keinen Gegenstand, wenn
diese Synthesis nicht zur Erfahrung gehoert, entweder als von ihr
erborgt, und dann heisst er ein empirischer Begriff, oder als eine
solche, auf der, als Bedingung a priori, Erfahrung ueberhaupt (die
Form derselben) beruht, und dann ist es ein reiner Begriff, der
dennoch zur Erfahrung gehoert, weil sein Objekt nur in dieser
angetroffen werden kann. Denn wo will man den Charakter der
Moeglichkeit eines Gegenstandes, der durch einen synthetischen Begriff
a priori gedacht worden, hernehmen, wenn es nicht von der Synthesis
geschieht, welche die Form der empirischen Erkenntnis der Objekte
ausmacht? Dass in einem solchen Begriffe kein Widerspruch enthalten
sein muesse, ist zwar eine notwendige logische Bedingung; aber zur
objektiven Realitaet des Begriffs, d.i. der Moeglichkeit eines solchen
Gegenstandes, als durch den Begriff gedacht wird, bei weitem nicht
genug. So ist in dem Begriffe einer Figur, die in zwei geraden Linien
eingeschlossen ist, kein Widerspruch, denn die Begriffe von zwei
geraden Linien und deren Zusammenstossung enthalten keine Verneinung
einer Figur; sondern die Unmoeglichkeit beruht nicht auf dem Begriffe
an sich selbst, sondern der Konstruktion desselben im Raume, d.i. den
Bedingungen des Raumes und der Bestimmung desselben, diese haben aber
wiederum ihre objektive Realitaet, d.i. sie gehen auf moegliche Dinge,
weil sie die Form der Erfahrung ueberhaupt a priori in sich enthalten.
Und nun wollen wir den ausgebreiteten Nutzen und Einfluss dieses
Postulats der Moeglichkeit vor Augen legen. Wenn ich mir ein Ding
vorstelle, das beharrlich ist, so, dass alles, was da wechselt, bloss
zu seinem Zustande gehoert, so kann ich niemals aus einem solchen
Begriffe allein erkennen, dass ein dergleichen Ding moeglich sei.
Oder, ich stelle mir etwas vor, welches so beschaffen sein soll, dass,
wenn es gesetzt wird, jederzeit und unausbleiblich etwas anderes
darauf erfolgt, so mag dieses allerdings ohne Widerspruch so gedacht
werden koennen; ob aber dergleichen Eigenschaft (als Kausalitaet) an
irgendeinem moeglichen Dinge angetroffen werde, kann dadurch nicht
geurteilt werden. Endlich kann ich mir verschiedene Dinge (Substanzen)
vorstellen, die so beschaffen sind, dass der Zustand des einen eine
Folge im Zustande des anderen nach sich zieht, und so wechselweise;
aber, ob dergleichen Verhaeltnis irgend Dingen zukommen koenne, kann
aus diesen Begriffen, welche eine bloss willkuerliche Synthesis
enthalten, gar nicht abgenommen werden. Nur daran also, dass diese
Begriffe die Verhaeltnisse der Wahrnehmungen in jeder Erfahrung a
priori ausdruecken, erkennt man ihre objektive Realitaet, d.i. ihre
transzendentale Wahrheit, und zwar freilich unabhaengig von der
Erfahrung, aber doch nicht unabhaengig von aller Beziehung auf die
Form einer Erfahrung ueberhaupt, und die synthetische Einheit, in der
allein Gegenstaende empirisch koennen erkannt werden.
Wenn man sich aber gar neue Begriffe von Substanzen, von Kraeften, von
Wechselwirkungen, aus dem Stoffe, den uns die Wahrnehmung darbietet,
machen wollte, ohne von der Erfahrung selbst das Beispiel ihrer
Verknuepfung zu entlehnen, so wuerde man in lauter Hirngespinste
geraten, deren Moeglichkeit ganz und gar kein Kennzeichen fuer sich
hat, weil man bei ihnen nicht Erfahrung zur Lehrerin annimmt, noch
diese Begriffe von ihr entlehnt. Dergleichen gedichtete Begriffe
koennen den Charakter ihrer Moeglichkeit nicht so, wie die Kategorien,
a priori, als Bedingungen, von denen alle Erfahrung abhaengt, sondern
nur a posteriori, als solche, die durch die Erfahrung selbst gegeben
werden, bekommen, und ihre Moeglichkeit muss entweder a posteriori
und empirisch, oder sie kann gar nicht erkannt werden. Eine Substanz,
welche beharrlich im Raume gegenwaertig waere, doch ohne ihn zu
erfuellen, (wie dasjenige Mittelding zwischen Materie und denkenden
Wesen, welches einige haben einfuehren wollen,) oder eine besondere
Grundkraft unseres Gemuets, das Kuenftige zum voraus anzuschauen
(nicht etwa bloss zu folgern), oder endlich ein Vermoegen desselben,
mit anderen Menschen in Gemeinschaft der Gedanken zu stehen (so
entfernt sie auch sein moegen), das sind Begriffe, deren Moeglichkeit
ganz grundlos ist, weil sie nicht auf Erfahrung und deren bekannte
Gesetze gegruendet werden kann, und ohne sie eine willkuerliche
Gedankenverbindung ist, die, ob sie zwar keinen Widerspruch enthaelt,
doch keinen Anspruch auf objektive Realitaet, mithin auf die
Moeglichkeit eines solchen Gegenstandes, als man sich hier denken
will, machen kann. Was Realitaet betrifft, so verbietet es sich wohl
von selbst, sich eine solche in concreto zu denken, ohne die Erfahrung
zu Hilfe zu nehmen, weil sie nur auf Empfindung, als Materie der
Erfahrung, gehen kann, und nicht die Form des Verhaeltnisses betrifft,
mit der man allenfalls in Erdichtungen spielen koennte.
Aber ich lasse alles vorbei, dessen Moeglichkeit nur aus der
Wirklichkeit in der Erfahrung kann abgenommen werden, und erwaege hier
nur die Moeglichkeit der Dinge durch Begriffe a priori, von denen
ich fortfahre zu behaupten, dass sie niemals aus solchen Begriffen
fuer sich allein, sondern jederzeit nur als formale und objektive
Bedingungen einer Erfahrung ueberhaupt stattfinden koennen.
Es hat zwar den Anschein, als wenn die Moeglichkeit eines Triangels
aus seinem Begriffe an sich selbst koenne erkannt werden (von der
Erfahrung ist er gewiss unabhaengig); denn in der Tat koennen wir ihm
gaenzlich a priori einen Gegenstand geben, d.i. ihn konstruieren. Weil
dieses aber nur die Form von einem Gegenstande ist, so wuerde er doch
immer nur ein Produkt der Einbildung bleiben, von dessen Gegenstand
die Moeglichkeit noch zweifelhaft bliebe, als wozu noch etwas
mehr erfordert wird, naemlich dass eine solche Figur unter lauter
Bedingungen, auf denen alle Gegenstaende der Erfahrung beruhen,
gedacht sei. Dass nun der Raum eine formale Bedingung a priori von
aeusseren Erfahrungen ist, dass eben dieselbe bildende Synthesis,
wodurch wir in der Einbildungskraft einen Triangel konstruieren, mit
derjenigen gaenzlich einerlei sei, welche wir in der Apprehension
einer Erscheinung ausueben, um uns davon einen Erfahrungsbegriff zu
machen, das ist es allein, was mit diesem Begriffe die Vorstellung
von der Moeglichkeit eines solchen Dinges verknuepft. Und so ist
die Moeglichkeit kontinuierlicher Groessen, ja sogar der Groessen
ueberhaupt, weil die Begriffe davon insgesamt synthetisch sind,
niemals aus den Begriffen selbst, sondern aus ihnen, als formalen
Bedingungen der Bestimmung der Gegenstaende in der Erfahrung
ueberhaupt allererst klar; und wo sollte man auch Gegenstaende suchen
wollen, die den Begriffen korrespondierten, waere es nicht in der
Erfahrung, durch die uns allein Gegenstaende gegeben werden? wiewohl
wir, ohne eben Erfahrung selbst voranzuschicken, bloss in Beziehung
auf die formalen Bedingungen, unter welchen in ihr ueberhaupt etwas
als Gegenstand bestimmt wird, mithin voellig a priori, aber doch nur
in Beziehung auf sie, und innerhalb ihren Grenzen, die Moeglichkeit
der Dinge erkennen und charakterisieren koennen.
Das Postulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert
Wahrnehmung, mithin Empfindung, deren man sich bewusst ist, zwar nicht
eben unmittelbar, von dem Gegenstande selbst, dessen Dasein erkannt
werden soll, aber doch Zusammenhang desselben mit irgendeiner
wirklichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung, welche alle
reale Verknuepfung in einer Erfahrung ueberhaupt darlegen.
In dem blossen Begriffe eines Dinges kann gar kein Charakter
seines Daseins angetroffen werden. Denn ob derselbe gleich noch so
vollstaendig sei, dass nicht das mindeste ermangle, um ein Ding mit
allen seinen inneren Bestimmungen zu denken, so hat das Dasein mit
allem diesen doch gar nichts zu tun, sondern nur mit der Frage: ob ein
solches Ding uns gegeben sei, so, dass die Wahrnehmung desselben vor
dem Begriffe allenfalls vorhergehen koenne. Denn, dass der Begriff vor
der Wahrnehmung vorhergeht, bedeutet dessen blosse Moeglichkeit; die
Wahrnehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergibt, ist der einzige
Charakter der Wirklichkeit. Man kann aber auch vor der Wahrnehmung des
Dinges, und also komparative a priori das Dasein desselben erkennen,
wenn es nur mit einigen Wahrnehmungen, nach den Grundsaetzen der
empirischen Verknuepfung derselben (den Analogien), zusammenhaengt.
Denn alsdann haengt doch das Dasein des Dinges mit unseren
Wahrnehmungen in einer moeglichen Erfahrung zusammen, und wir koennen
nach dem Leitfaden jener Analogien, von unserer wirklichen Wahrnehmung
zu dem Dinge in der Reihe moeglicher Wahrnehmungen gelangen.
So erkennen wir das Dasein einer alle Koerper durchdringenden
magnetischen Materie aus der Wahrnehmung des gezogenen Eisenfeiligs,
obzwar eine unmittelbare Wahrnehmung dieses Stoffs uns nach der
Beschaffenheit unserer Organe unmoeglich ist. Denn ueberhaupt
wuerden wir, nach Gesetzen der Sinnlichkeit und dem Kontext unserer
Wahrnehmungen, in einer Erfahrung auch auf die unmittelbare empirische
Anschauung derselben stossen, wenn unsere Sinne feiner waeren, deren
Grobheit die Form moeglicher Erfahrung ueberhaupt nichts angeht. Wo
also Wahrnehmung und deren Anhang nach empirischen Gesetzen hinreicht,
dahin reicht auch unsere Erkenntnis vom Dasein der Dinge. Fangen
wir nicht von Erfahrung an, oder gehen wir nicht nach Gesetzen des
empirischen Zusammenhanges der Erscheinungen fort, so machen wir
uns vergeblich Staat, das Dasein irgendeines Dinges erraten oder
erforschen zu wollen.
Was endlich das dritte Postulat betrifft, so geht es auf die materiale
Notwendigkeit im Dasein, und nicht die bloss formale und logische in
Verknuepfung der Begriffe. Da nun keine Existenz der Gegenstaende der
Sinne voellig a priori erkannt werden kann, aber doch komparative a
priori relativisch auf ein anderes schon gegebenes Dasein, gleichwohl
aber auch alsdann nur auf diejenige Existenz kommen kann, die irgendwo
in dem Zusammenhange der Erfahrung, davon die gegebene Wahrnehmung ein
Teil ist, enthalten sein muss: so kann die Notwendigkeit der Existenz,
niemals aus Begriffen, sondern jederzeit nur aus der Verknuepfung
mit demjenigen, was wahrgenommen wird, nach allgemeinen Gesetzen der
Erfahrung erkannt werden koennen. Da ist nun kein Dasein, was unter
der Bedingung anderer gegebener Erscheinungen, als notwendig erkannt
werden koennte, als das Dasein der Wirkungen aus gegebenen Ursachen
nach Gesetzen der Kausalitaet. Also ist es nicht das Dasein der
Dinge (Substanzen), sondern ihres Zustandes, wovon wir allein die
Notwendigkeit erkennen koennen, und zwar aus anderen Zustaenden,
die in der Wahrnehmung gegeben sind, nach empirischen Gesetzen der
Kausalitaet. Hieraus folgt: dass das Kriterium der Notwendigkeit
lediglich in dem Gesetze der moeglichen Erfahrung liege: dass alles,
was geschieht, durch ihre Ursache in der Erscheinung a priori bestimmt
sei. Daher erkennen wir nur die Notwendigkeit der Wirkungen in
der Natur, deren Ursachen uns gegeben sind, und das Merkmal der
Notwendigkeit im Dasein reicht nicht weiter, als das Feld moeglicher
Erfahrung, und selbst in diesem gilt es nicht von der Existenz der
Dinge, als Substanzen, weil diese niemals, als empirische Wirkungen,
oder etwas, das geschieht und entsteht, koennen angesehen werden. Die
Notwendigkeit betrifft also nur die Verhaeltnisse der Erscheinungen
nach dem dynamischen Gesetze der Kausalitaet, und die darauf sich
gruendende Moeglichkeit, aus irgendeinem gegebenen Dasein (einer
Ursache) a priori auf ein anderes Dasein (der Wirkung) zu schliessen.
Alles, was geschieht, ist hypothetisch notwendig; das ist ein
Grundsatz, welcher die Veraenderung in der Welt einem Gesetze
unterwirft, d.i. einer Regel des notwendigen Daseins, ohne welche gar
nicht einmal Natur stattfinden wuerde. Daher ist der Satz: nichts
geschieht durch ein blindes Ohngefaehr (in mundo non datur casus) ein
Naturgesetz a priori; imgleichen: keine Notwendigkeit in der Natur ist
blinde, sondern bedingte, mithin verstaendliche Notwendigkeit (non
datur fatum). Beide sind solche Gesetze, durch welche das Spiel der
Veraenderungen einer Natur der Dinge (als Erscheinungen) unterworfen
wird, oder, welches einerlei ist, der Einheit des Verstandes, in
welchem sie allein zu einer Erfahrung, als der synthetischen Einheit
der Erscheinungen, gehoeren koennen. Diese beiden Grundsaetze gehoeren
zu den dynamischen. Der erstere ist eigentlich eine Folge des
Grundsatzes von der Kausalitaet (unter den Analogien der Erfahrung).
Der zweite gehoert zu den Grundsaetzen der Modalitaet, welche zu
der Kausalbestimmung noch den Begriff der Notwendigkeit, die aber
unter einer Regel des Verstandes steht, hinzutut. Das Prinzip der
Kontinuitaet verbot in der Reihe der Erscheinungen (Veraenderungen)
allen Absprung (in mundo non datur saltus), aber auch in dem Inbegriff
aller empirischen Anschauungen im Raume alle Luecke oder Kluft
zwischen zwei Erscheinungen (non datur hiatus); denn so kann man den
Satz ausdruecken: das in die Erfahrung nichts hineinkommen kann, was
ein Vakuum bewiese, oder auch nur als einen Teil der empirischen
Synthesis zuliesse. Denn was das Leere betrifft, welches man sich
ausserhalb dem Felde moeglicher Erfahrung (der Welt) denken mag, so
gehoert dieses nicht vor die Gerichtsbarkeit des blossen Verstandes,
welcher nur ueber die Fragen entscheidet, die die Nutzung gegebener
Erscheinungen zur empirischen Erkenntnis betreffen, und ist eine
Aufgabe fuer die idealische Vernunft, die noch ueber die Sphaere einer
moeglichen Erfahrung hinausgeht, und von dem urteilen will, was diese
selbst umgibt und begrenzt, muss daher in der transszendentalen
Dialektik erwogen werden. Diese vier Saetze (in mundo non datur
hiatus, non datur saltus, non datur casus, non datur fatum) koennten
wir leicht, so wie alle Grundsaetze transzendentalen Ursprungs, nach
ihrer Ordnung, gemaess der Ordnung der Kategorien vorstellig machen,
und jedem seine Stelle beweisen, allein der schon geuebte Leser wird
dieses von selbst tun, oder den Leitfaden dazu leicht entdecken. Sie
vereinigen sich aber alle lediglich dahin, um in der empirischen
Synthesis nichts zuzulassen, was dem Verstande und dem
kontinuierlichen Zusammenhange aller Erscheinungen, d.i. der Einheit
seiner Begriffe, Abbruch oder Eintrag tun koennte. Denn er ist es
allein, worin die Einheit der Erfahrung, in der alle Wahrnehmungen
ihre Stelle haben muessen, moeglich wird.
Ob das Feld der Moeglichkeit groesser sei, als das Feld, was alles
Wirkliche enthaelt, dieses aber wiederum groesser, als die Menge
desjenigen, was notwendig ist, das sind artige Fragen, und zwar von
synthetischer Aufloesung, die aber auch nur der Gerichtsbarkeit der
Vernunft anheimfallen; denn sie wollen ungefaehr soviel sagen, als,
ob alle Dinge, als Erscheinungen, insgesamt in den Inbegriff und den
Kontext einer einzigen Erfahrung gehoeren, von der jede gegebene
Wahrnehmung ein Teil ist, der also mit keinen anderen Erscheinungen
koenne verbunden werden, oder ob meine Wahrnehmungen zu mehr wie einer
moeglichen Erfahrung (in ihrem allgemeinen Zusammenhange) gehoeren
koennen. Der Verstand gibt a priori der Erfahrung ueberhaupt nur die
Regel, nach den subjektiven und formalen Bedingungen, sowohl der
Sinnlichkeit als der Apperzeption, welche sie allein moeglich machen.
Andere Formen der Anschauung, (als Raum und Zeit,) imgleichen andere
Formen des Verstandes, (als die diskursive des Denkens, oder der
Erkenntnis durch Begriffe,) ob sie gleich moeglich waeren, koennen wir
uns doch auf keinerlei Weise erdenken und fasslich machen, aber, wenn
wir es auch koennten, so wuerden sie doch nicht zur Erfahrung, als dem
einzigen Erkenntnis gehoeren, worin uns Gegenstaende gegeben werden.
Ob andere Wahrnehmungen, als ueberhaupt, zu unserer gesamten
moeglichen Erfahrung gehoeren, und also ein ganz anderes Feld der
Materie noch stattfinden koenne, kann der Verstand nicht entscheiden,
er hat es nur mit der Synthesis dessen zu tun, was gegeben ist. Sonst
ist die Armseligkeit unserer gewoehnlichen Schluesse, wodurch wir ein
grosses Reich der Moeglichkeit herausbringen, davon alles Wirkliche
(aller Gegenstand der Erfahrung) nur ein kleiner Teil sei, sehr
in die Augen fallend. Alles Wirkliche ist moeglich; hieraus folgt
natuerlicherweise, nach den logischen Regeln der Umkehrung, der bloss
partikulare Satz: einiges Moegliche ist wirklich, welches denn soviel
zu bedeuten scheint, als: es ist vieles moeglich, was nicht wirklich
ist. Zwar hat es den Anschein, als koenne man auch geradezu die Zahl
des Moeglichen ueber die des Wirklichen dadurch hinaussetzen, weil zu
jener noch etwas hinzukommen muss, um diese auszumachen. Allein dieses
Hinzukommen zum Moeglichen kenne ich nicht. Denn was ueber dasselbe
noch zugesetzt werden sollte, waere unmoeglich. Es kann nur zu
meinem Verstande etwas ueber die Zusammenstimmung mit den formalen
Bedingungen der Erfahrung, naemlich die Verknuepfung mit irgendeiner
Wahrnehmung, hinzukommen; was aber mit dieser nach empirischen
Gesetzen verknuepft ist, ist wirklich, ob es gleich unmittelbar nicht
wahrgenommen wird. Dass aber im durchgaengigen Zusammenhange mit
dem, was mir in der Wahrnehmung gegeben ist, eine andere Reihe von
Erscheinungen, mithin mehr wie eine einzige alles befassende Erfahrung
moeglich sei, laesst sich aus dem, was gegeben ist, nicht schliessen,
und, ohne dass irgend etwas gegeben ist, noch viel weniger; weil ohne
Stoff sich ueberall nichts denken laesst. Was unter Bedingungen, die
selbst bloss moeglich sind, allein moeglich ist, ist es nicht in aller
Absicht. In dieser aber wird die Frage genommen, wenn man wissen will,
ob die Moeglichkeit der Dinge sich weiter erstrecke, als Erfahrung
reichen kann.
Ich habe dieser Fragen nur Erwaehnung getan, um keine Luecke in
demjenigen zu lassen, was, der gemeinen Meinung nach, zu den
Verstandesbegriffen gehoert. In der Tat ist aber die absolute
Moeglichkeit (die in aller Absicht gueltig ist) kein blosser
Verstandesbegriff, und kann auf keinerlei Weise von empirischem
Gebrauche sein, sondern er gehoert allein der Vernunft zu, die ueber
allen moeglichen empirischen Verstandesgebrauch hinausgeht. Daher
haben wir uns hierbei mit einer bloss kritischen Anmerkung begnuegen
muessen, uebrigens aber die Sache bis zum weiteren kuenftigen
Verfahren in der Dunkelheit gelassen.
Da ich eben diese vierte Nummer, und mit ihr zugleich das System
aller Grundsaetze des reinen Verstandes schliessen will, so muss ich
noch Grund angeben, warum ich die Prinzipien der Modalitaet gerade
Postulate genannt habe. Ich will diesen Ausdruck hier nicht in der
Bedeutung nehmen, welche ihm einige neuere philosophische Verfasser,
wider den Sinn der Mathematiker, denen er doch eigentlich angehoert,
gegeben haben, naemlich: dass Postulieren so viel heissen solle, als
einen Satz fuer unmittelbar gewiss, ohne Rechtfertigung, oder Beweis
ausgeben; denn, wenn wir das bei synthetischen Saetzen, so evident sie
auch sein moegen, einraeumen sollten, dass man sie ohne Deduktion,
auf das Ansehen ihres eigenen Ausspruchs, dem unbedingten Beifalle
aufheften duerfe, so ist alle Kritik des Verstandes verloren, und, da
es an dreisten Anmassungen nicht fehlt, deren sich auch der gemeine
Glaube, (der aber kein Kreditiv ist) nicht weigert; so wird unser
Verstand jedem Wahne offen stehen, ohne dass er seinen Beifall denen
Ausspruechen versagen kann, die, obgleich unrechtmaessig, doch in
eben demselben Tone der Zuversicht, als wirkliche Axiome eingelassen
zu werden verlangen. Wenn also zu dem Begriffe eines Dinges eine
Bestimmung a priori synthetisch hinzukommt, so muss von einem solchen
Satze, wo nicht ein Beweis, doch wenigstens eine Deduktion der
Rechtmaessigkeit seiner Behauptung unnachlaesslich hinzugefuegt
werden.
Die Grundsaetze der Modalitaet sind aber nicht objektiv synthetisch,
weil die Praedikate der Moeglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit
den Begriff, von dem sie gesagt werden, nicht im mindesten vermehren,
dadurch dass sie der Vorstellung des Gegenstandes noch etwas
hinzusetzten. Da sie aber gleichwohl doch immer synthetisch sind,
so sind sie es nur subjektiv, d.i. sie fuegen zu dem Begriffe eines
Dinges, (realen,) von dem sie sonst nichts sagen, die Erkenntniskraft
hinzu, worin er entspringt und seinen Sitz hat, so, dass, wenn er
bloss im Verstande mit den formalen Bedingungen der Erfahrung in
Verknuepfung ist, sein Gegenstand moeglich heisst; ist er mit der
Wahrnehmung (Empfindung, als Materie der Sinne) im Zusammenhange,
und durch dieselben vermittelst des Verstandes bestimmt, so ist das
Objekt wirklich; ist er durch den Zusammenhang der Wahrnehmungen
nach Begriffen bestimmt, so heisst der Gegenstand notwendig. Die
Grundsaetze der Modalitaet also sagen von einem Begriffe nichts
anderes, als die Handlung des Erkenntnisvermoegens, dadurch er erzeugt
wird. Nun heisst ein Postulat in der Mathematik der praktische Satz,
der nichts als die Synthesis enthaelt, wodurch wir einen Gegenstand
uns zuerst geben, und dessen Begriff erzeugen, z.B. mit einer
gegebenen Linie, aus einem gegebenen Punkt auf einer Ebene einen
Zirkel zu beschreiben, und ein dergleichen Satz kann darum nicht
bewiesen werden, weil das Verfahren, was er fordert, gerade das ist,
wodurch wir den Begriff von einer solchen Figur zuerst erzeugen. So
koennen wir demnach mit ebendemselben Rechte die Grundsaetze der
Modalitaet postulieren, weil sie ihren Begriff von Dingen ueberhaupt
nicht vermehren*, sondern nur die Art anzeigen, wie er ueberhaupt mit
der Erkenntniskraft verbunden wird.
* Durch die Wirklichkeit eines Dinges, setze ich freilich mehr, als
  die Moeglichkeit, aber nicht in dem Dinge; denn das kann niemals
  mehr in der Wirklichkeit enthalten, als was in dessen vollstaendiger
  Moeglichkeit enthalten war. Sondern da die Moeglichkeit bloss
  eine Position des Dinges in Beziehung auf den Verstand (dessen
  empirischen Gebrauch) war, so ist die Wirklichkeit zugleich eine
  Verknuepfung desselben mit der Wahrnehmung.
Der transzendentalen Doktrin der Urteilskraft
(Analytik der Grundsaetze)
Drittes Hauptstueck
Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstaende ueberhaupt in
Phaenomena und Noumena
Wir haben jetzt das Land des reinen Verstandes nicht allein
durchreist, und jeden Teil davon sorgfaeltig in Augenschein genommen,
sondern es auch durchmessen, und jedem Dinge auf demselben seine
Stelle bestimmt. Dieses Land aber ist eine Insel, und durch die Natur
selbst in unveraenderliche Grenzen eingeschlossen. Es ist das Land
der Wahrheit (ein reizender Name), umgeben von einem weiten und
stuermischen Ozeane, dem eigentlichen Sitze des Scheins, wo manche
Nebelbank, und manches bald wegschmelzende Eis neue Laender luegt,
und indem es den auf Entdeckungen herumschwaermenden Seefahrer
unaufhoerlich mit leeren Hoffnungen taeuscht, ihn in Abenteuer
verflicht, von denen er niemals ablassen und sie doch auch niemals zu
Ende bringen kann. Ehe wir uns aber auf dieses Meer wagen, um es nach
allen Breiten zu durchsuchen, und gewiss zu werden, ob etwas in ihnen
zu hoffen sei, so wird es nuetzlich sein, zuvor noch einen Blick auf
die Karte des Landes zu werfen, das wir eben verlassen wollen, und
erstlich zu fragen, ob wir mit dem, was es in sich enthaelt, nicht
allenfalls zufrieden sein koennten, oder auch aus Not zufrieden sein
muessen, wenn es sonst ueberall keinen Boden gibt, auf dem wir uns
anbauen koennten; zweitens, unter welchem Titel wir denn selbst dieses
Land besitzen, und uns wider alle feindseligen Ansprueche gesichert
halten koennen. Obschon wir diese Fragen in dem Lauf der Analytik
schon hinreichend beantwortet haben, so kann doch ein summarischer
Ueberschlag ihrer Aufloesungen die Ueberzeugung dadurch verstaerken,
dass er die Momente derselben in einem Punkt vereinigt.
Wir haben naemlich gesehen: dass alles, was der Verstand aus sich
selbst schoepft, ohne es von der Erfahrung zu borgen, das habe er
dennoch zu keinem anderen Behuf, als lediglich zum Erfahrungsgebrauch.
Die Grundsaetze des reinen Verstandes, sie moegen nun a priori
konstitutiv sein (wie die mathematischen), oder bloss regulativ
(wie die dynamischen), enthalten nichts als gleichsam nur das reine
Schema zur moeglichen Erfahrung; denn diese hat ihre Einheit nur von
der synthetischen Einheit, welche der Verstand der Synthesis der
Einbildungskraft in Beziehung auf die Apperzeption urspruenglich und
von selbst erteilt, und auf welche die Erscheinungen, als data zu
einem moeglichen Erkenntnisse, schon a priori in Beziehung und
Einstimmung stehen muessen. Ob nun aber gleich diese Verstandesregeln
nicht allein a priori wahr sind, sondern sogar der Quell aller
Wahrheit, d.i. der Uebereinstimmung unserer Erkenntnis mit Objekten,
dadurch, dass sie den Grund der Moeglichkeit der Erfahrung, als des
Inbegriffes aller Erkenntnis, darin uns Objekte gegeben werden moegen,
in sich enthalten, so scheint es uns doch nicht genug, sich bloss
dasjenige vortragen zu lassen, was wahr ist, sondern, was man zu
wissen begehrt. Wenn wir also durch diese kritische Untersuchung
nichts Mehreres lernen, als was wir im bloss empirischen Gebrauche
des Verstandes, auch ohne so subtile Nachforschung, von selbst wohl
wuerden ausgeuebt haben, so scheint es, sei der Vorteil, den man aus
ihr zieht, den Aufwand und die Zuruestung nicht wert. Nun kann man
zwar hierauf antworten: dass kein Vorwitz der Erweiterung unserer
Erkenntnis nachteiliger sei, als der, so den Nutzen jederzeit zum
voraus wissen will, ehe man sich auf Nachforschungen einlaesst, und
ehe man noch sich den mindesten Begriff von diesem Nutzen machen
koennte, wenn derselbe auch vor Augen gestellt wuerde. Allein es
gibt doch einen Vorteil, der auch dem schwierigsten und unlustigsten
Lehrlinge solcher transzendentalen Nachforschung begreiflich, und
zugleich angelegen gemacht werden kann, naemlich dieser: dass der
bloss mit seinem empirischen Gebrauche beschaeftigte Verstand, der
ueber die Quellen seiner eigenen Erkenntnis nicht nachsinnt, zwar sehr
gut fortkommen, eines aber gar nicht leisten koenne, naemlich, sich
selbst die Grenzen seines Gebrauchs zu bestimmen, und zu wissen, was
innerhalb oder ausserhalb seiner ganzen Sphaere liegen mag; denn dazu
werden eben die tiefen Untersuchungen erfordert, die wir angestellt
haben. Kann er aber nicht unterscheiden, ob gewisse Fragen in seinem
Horizonte liegen, oder nicht, so ist er niemals seiner Ansprueche
und seines Besitzes sicher, sondern darf sich nur auf vielfaeltige
beschaemende Zurechtweisungen Rechnung machen, wenn er die
Grenzen seines Gebiets (wie es unvermeidlich ist) unaufhoerlich
ueberschreitet, und sich in Wahn und Blendwerke verirrt.
Dass also der Verstand von allen seinen Grundsaetzen a priori, ja von
allen seinen Begriffen keinen anderen als empirischen, niemals aber
einen transzendentalen Gebrauch machen koenne, ist ein Satz, der,
wenn er mit Ueberzeugung erkannt werden kann, in wichtige Folgen
hinaussieht. Der transzendentale Gebrauch eines Begriffs in
irgendeinem Grundsatze ist dieser: dass er auf Dinge ueberhaupt und
an sich selbst, der empirische aber, wenn er bloss auf Erscheinungen,
d.i. Gegenstaende einer moeglichen Erfahrung, bezogen wird. Dass aber
ueberall nur der letztere stattfinden koenne, ersieht man daraus. Zu
jedem Begriff wird erstlich die logische Form eines Begriffs (des
Denkens) ueberhaupt, und dann zweitens auch die Moeglichkeit, ihm
einen Gegenstand zu geben, darauf er sich beziehe, erfordert. Ohne
diesen letzteren hat er keinen Sinn, und ist voellig leer an Inhalt,
ob er gleich noch immer die logische Funktion enthalten mag, aus
etwaigen datis einen Begriff zu machen. Nun kann der Gegenstand einem
Begriffe nicht anders gegeben werden, als in der Anschauung, und, wenn
eine reine Anschauung noch vor dem Gegenstande a priori moeglich ist,
so kann doch auch diese selbst ihren Gegenstand, mithin die objektive
Gueltigkeit, nur durch die empirische Anschauung bekommen, wovon sie
die blosse Form ist. Also beziehen sich alle Begriffe und mit ihnen
alle Grundsaetze, so sehr sie auch a priori moeglich sein moegen,
dennoch auf empirische Anschauungen, d.i. auf data zur moeglichen
Erfahrung. Ohne dieses haben sie gar keine objektive Gueltigkeit,
sondern sind ein blosses Spiel, es sei der Einbildungskraft, oder des
Verstandes, respektive mit ihren Vorstellungen. Man nehme nur die
Begriffe der Mathematik zum Beispiele, und zwar erstlich in ihren
reinen Anschauungen. Der Raum hat drei Abmessungen, zwischen zwei
Punkten kann nur eine gerade Linie sein, usw. Obgleich alle diese
Grundsaetze, und die Vorstellung des Gegenstandes, womit sich jene
Wissenschaft beschaeftigt, voellig a priori im Gemuet erzeugt werden,
so wuerden sie doch gar nichts bedeuten, koennten wir nicht immer an
Erscheinungen (empirischen Gegenstaenden) ihre Bedeutung darlegen.
Daher erfordert man auch, einen abgesonderten Begriff sinnlich zu
machen, d.i. das ihm korrespondierende Objekt in der Anschauung
darzulegen, weil, ohne dieses, der Begriff (wie man sagt) ohne Sinn,
d.i. ohne Bedeutung bleiben wuerde. Die Mathematik erfuellt diese
Forderung durch die Konstruktion der Gestalt, welche eine den Sinnen
gegenwaertige (obzwar a priori zustande gebrachte) Erscheinung ist.
Der Begriff der Groesse sucht in eben der Wissenschaft seine Haltung
und Sinn in der Zahl, diese aber an den Fingern, den Korallen des
Rechenbretts, oder den Strichen und Punkten, die vor Augen gestellt
werden. Der Begriff bleibt immer a priori erzeugt, samt den
synthetischen Grundsaetzen oder Formeln aus solchen Begriffen; aber
der Gebrauch derselben, und Beziehung auf angebliche Gegenstaende
kann am Ende doch nirgend, als in der Erfahrung gesucht werden, deren
Moeglichkeit (der Form nach) jene a priori enthalten.
Dass dieses aber auch der Fall mit allen Kategorien, und den daraus
gesponnenen Grundsaetzen sei, erhellt auch daraus: dass wir so gar
keine einzige derselben definieren, ohne uns sofort zu Bedingungen
der Sinnlichkeit, mithin der Form der Erscheinungen, herabzulassen,
als auf welche, als ihre einzigen Gegenstaende, sie folglich
eingeschraenkt sein muessen, weil, wenn man diese Bedingung wegnimmt,
alle Bedeutung, d.i. Beziehung aufs Objekt, wegfaellt, und man durch
kein Beispiel sich selbst fasslich machen kann, was unter dergleichen
Begriffe denn eigentlich fuer ein Ding gemeint sei. Oben bei
Darstellung der Tafel der Kategorien, ueberhoben wir uns der
Definitionen einer jeden derselben dadurch: dass unsere Absicht, die
lediglich auf den synthetischen Gebrauch derselben geht, sie nicht
noetig mache, und man sich mit unnoetigen Unternehmungen keiner
Verantwortung aussetzen muesse, deren man ueberhoben sein kann. Das
war keine Ausrede, sondern eine nicht unerhebliche Klugheitsregel,
sich nicht sofort ans definieren zu wagen, und Vollstaendigkeit
oder Praezision in der Bestimmung des Begriffs zu versuchen oder
vorzugeben, wenn man mit irgend einem oder anderen Merkmale desselben
auslangen kann, ohne eben dazu eine vollstaendige Herzaehlung aller
derselben, die den ganzen Begriff ausmachen, zu beduerfen. Jetzt
aber zeigt sich: dass der Grund dieser Vorsicht noch tiefer liege,
naemlich, dass wir sie nicht definieren konnten, wenn wir auch
wollten*, sondern, wenn man alle Bedingungen der Sinnlichkeit
wegschafft, die sie als Begriffe eines moeglichen empirischen
Gebrauchs auszeichnen, und sie fuer Begriffe von Dingen ueberhaupt
(mithin vom transzendentalen Gebrauch) nehmen, bei ihnen gar nichts
weiter zu tun sei, als die logische Funktion in Urteilen, als die
Bedingung der Moeglichkeit der Sachen selbst anzusehen, ohne doch
im mindesten anzeigen zu koennen, wo sie denn ihre Anwendung und
ihr Objekt, mithin wie sie im reinen Verstande ohne Sinnlichkeit
irgendeine Bedeutung und objektive Gueltigkeit haben koenne. Den
Begriff der Groesse ueberhaupt kann niemand erklaeren, als etwa so:
dass sie die Bestimmung eines Dinges sei, dadurch, wie vielmal Eines
in ihm gesetzt ist, gedacht werden kann. Allein dieses Wievielmal
gruendet sich auf die sukzessive Wiederholung, mithin auf die Zeit und
die Synthesis (des gleichartigen) in derselben. Realitaet kann man im
Gegensatze mit der Negation nur alsdann erklaeren, wenn man sich eine
Zeit (als den Inbegriff von allem Sein) gedenkt, die entweder womit
erfuellt, oder leer ist. Lasse ich die Beharrlichkeit (welche ein
Dasein zu aller Zeit ist) weg, so bleibt mir zum Begriffe der Substanz
nichts uebrig, als die logische Vorstellung vom Subjekt, welche ich
dadurch zu realisieren vermeine, dass ich mir Etwas vorstelle, welches
bloss als Subjekt (ohne wovon ein Praedikat zu sein) stattfinden kann.
Aber nicht allein, dass ich gar keine Bedingungen weiss, unter welchen
denn dieser logische Vorzug irgendeinem Dinge eigen sein werde: so
ist auch gar nichts weiter daraus zu machen, und nicht die mindeste
Folgerung zu ziehen, weil dadurch gar kein Objekts des Gebrauchs
dieses Begriffs bestimmt wird, und man also gar nicht weiss, ob dieser
ueberall irgend etwas bedeute. Vom Begriffe der Ursache wuerde ich
(wenn ich die Zeit weglasse, in der etwas auf etwas anderem nach einer
Regel folgt,) in der reinen Kategorie nichts weiter finden, als dass
es so etwas sei, woraus sich auf das Dasein eines anderen schliessen
laesst, und es wuerde dadurch nicht allein Ursache und Wirkung gar
nicht voneinander unterschieden werden koennen, sondern weil dieses
Schliessenkoennen doch bald Bedingungen erfordert, von denen ich
nichts weiss, so wuerde der Begriff gar keine Bestimmung haben, wie er
auf irgendein Objekt passe. Der vermeinte Grundsatz: alles Zufaellige
hat eine Ursache, tritt zwar ziemlich gravitaetisch auf, als habe er
seine eigene Wuerde in sich selbst. Allein, frage ich: was versteht
ihr unter Zufaellig? und ihr antwortet, dessen Nichtsein moeglich ist,
so moechte ich gern wissen, woran ihr diese Moeglichkeit des Nichtsein
erkennen wollt, wenn ihr euch nicht in der Reihe der Erscheinungen
eine Sukzession und in dieser ein Dasein, welches auf das Nichtsein
folgt, (oder umgekehrt,) mithin einen Wechsel vorstellt; denn, dass
das Nichtsein eines Dinges sich selbst nicht widerspreche, ist eine
lahme Berufung auf eine logische Bedingung, die zwar zum Begriffe
notwendig, aber zur realen Moeglichkeit bei weitem nicht hinreichend
ist; wie ich denn eine jede existierende Substanz in Gedanken aufheben
kann, ohne mir selbst zu widersprechen, daraus aber auf die objektive
Zufaelligkeit derselben in ihrem Dasein, d.i. die Moeglichkeit seines
Nichtseins an sich selbst, gar nicht schliessen kann. Was dem Begriff
der Gemeinschaft betrifft, so ist leicht zu ermessen: dass, da die
reinen Kategorien der Substanz sowohl, als Kausalitaet, keine das
Objekt bestimmende Erklaerung zulassen, die wechselseitige Kausalitaet
in der Beziehung der Substanzen aufeinander (commercium) ebensowenig
derselben faehig sei. Moeglichkeit, Dasein und Notwendigkeit hat noch
niemand anders als durch offenbare Tautologie erklaeren koennen, wenn
man ihre Definition lediglich aus dem reinen Verstande schoepfen
wollte. Denn das Blendwerk, die logische Moeglichkeit des Begriffs (da
er sich selbst nicht widerspricht) der transzendentalen Moeglichkeit
der Dinge (da dem Begriff ein Gegenstand korrespondiert) zu
unterschieben, kann nur Unversuchte hintergehen und zufrieden stellen.
* Ich verstehe hier die Realdefinition, welche nicht bloss dem Namen
  einer Sache andere und verstaendlichere Woerter unterlegt, sondern
  die, so ein klares Merkmal, daran der Gegenstand (definitum)
  jederzeit sicher erkannt werden kann und den erklaerten Begriff
  zur Anwendung brauchbar macht, in sich enthaelt Die Realerklaerung
  wuerde also diejenige sein, welche nicht bloss einen Begriff,
  sondern zugleich die objektive Realitaet desselben deutlich macht.
  Die mathematischen Erklaerungen, welche den Gegenstand dem Begriffe
  gemaess in der Anschauung darstellen, sind von der letzteren Art.
Es hat etwas Befremdliches und sogar Widersinniges an sich, dass ein
Begriff sein soll, dem doch eine Bedeutung zukommen muss, der aber
keiner Erklaerung faehig waere. Allein hier hat es mit den Kategorien
diese besondere Bewandtnis, dass sie nur vermittelst der allgemeinen
sinnlichen Bedingung eine bestimmte Bedeutung und Beziehung auf irgend
einen Gegenstand haben kennen, diese Bedingung aber aus der reinen
Kategorie weggelassen worden, da diese dann nichts, als die logische
Funktion enthalten kann, das Mannigfaltige unter einen Begriff zu
bringen. Aus dieser Funktion, d.i. der Form des Begriffs allein kann
aber gar nichts erkannt und unterschieden werden, welches Objekt
darunter gehoere, weil eben von der sinnlichen Bedingung, unter der
ueberhaupt Gegenstaende unter sie gehoeren koennen, abstrahiert
worden. Daher beduerfen die Kategorien, noch ueber den reinen
Verstandesbegriff, Bestimmungen ihrer Anwendung auf Sinnlichkeit
ueberhaupt (Schema) und sind ohne diese keine Begriffe, wodurch ein
Gegenstand erkannt, und von anderen unterschieden wuerde, sondern nur
viel Arten, einen Gegenstand zu moeglichen Anschauungen zu denken, und
ihm nach irgend einer Funktion des Verstandes seine Bedeutung (unter
noch erforderlichen Bedingungen) zu geben, d.i. ihn zu definieren:
selbst koennen sie also nicht definiert werden. Die logischen
Funktionen der Urteile ueberhaupt: Einheit und Vielheit, Bejahung
und Verneinung, Subjekt und Praedikat koennen, ohne einen Zirkel zu
begehen, nicht definiert werden, weil die Definition doch selbst ein
Urteil sein, und also diese Funktionen schon enthalten muesste. Die
reinen Kategorien sind aber nichts anderes, als Vorstellungen der
Dinge ueberhaupt, sofern das Mannigfaltige ihrer Anschauung durch eine
oder andere dieser logischen Funktionen gedacht werden muss: Groesse
ist die Bestimmung, welche nur durch ein Urteil, das Quantitaet hat,
(judicium commune) Realitaet diejenige, die nur durch ein bejahend
Urteil gedacht werden kann, Substanz, was, in Beziehung auf die
Anschauung, das letzte Subjekt aller anderen Bestimmungen sein muss.
Was das nun aber fuer Dinge sind, in Ansehung deren man sich dieser
Funktion vielmehr, als einer anderen bedienen muesse, bleibt hierbei
ganz unbestimmt: mithin haben die Kategorien ohne die Bedingung der
sinnlichen Anschauung, dazu sie die Synthesis enthalten, gar keine
Beziehung auf irgend ein bestimmtes Objekt, koennen also keines
definieren, und haben folglich an sich selbst keine Gueltigkeit
objektiver Begriffe.
Hierzu fliesst nun unwidersprechlich: dass die reinen
Verstandesbegriffe niemals von transzendentalem, sondern jederzeit nur
von empirischem Gebrauche sein koennen, und dass die Grundsaetze des
reinen Verstandes nur in Beziehung auf die allgemeinen Bedingungen
einer moeglichen Erfahrung, auf Gegenstaende der Sinne, niemals aber
auf Dinge ueberhaupt, (ohne Ruecksicht auf die Art zu nehmen, wie wir
sie anschauen moegen,) bezogen werden koennen.
Die transzendentale Analytik hat demnach dieses wichtige Resultat:
dass der Verstand a priori niemals mehr leisten koenne, als die
Form einer moeglichen Erfahrung ueberhaupt zu antizipieren, und, da
dasjenige, was nicht Erscheinung ist, kein Gegenstand der Erfahrung
sein kann, dass er die Schranken der Sinnlichkeit, innerhalb denen uns
allein Gegenstaende gegeben werden, niemals ueberschreiten koenne.
Seine Grundsaetze sind bloss Prinzipien der Exposition der
Erscheinungen, und der stolze Name einer ontologie, welche sich
anmasst, von Dingen ueberhaupt synthetische Erkenntnisse a priori
in einer systematischen Doktrin zu geben (z. E. den Grundsatz der
Kausalitaet) muss dem bescheidenen, einer blossen Analytik des reinen
Verstandes, Platz machen.
Das Denken ist die Handlung, gegebene Anschauung auf einen Gegenstand
zu beziehen. Ist die Art dieser Anschauung auf keinerlei Weise
gegeben, so ist der Gegenstand bloss transzendental, und der
Verstandesbegriff hat keinen anderen, als transzendentalen Gebrauch,
naemlich die Einheit des Denkens eines Mannigfaltigen ueberhaupt.
Durch eine reine Kategorie nun, in welcher von aller Bedingung der
sinnlichen Anschauung, als der einzigen, die uns moeglich ist,
abstrahiert wird, wird also kein Objekt bestimmt, sondern nur
das Denken eines Objekts ueberhaupt, nach verschiedenen modis,
ausgedrueckt. Nun gehoert zum Gebrauche eines Begriffs noch eine
Funktion der Urteilskraft, worauf ein Gegenstand unter ihm subsumiert
wird, mithin die wenigstens formale Bedingung, unter der etwas
in der Anschauung gegeben werden kann. Fehlt diese Bedingung der
Urteilskraft, (Schema) so faellt alle Subsumtion weg; denn es wird
nichts gegeben, was unter den Begriff subsumiert werden koenne. Der
bloss transzendentale Gebrauch also der Kategorien ist in der Tat gar
kein Gebrauch, und hat keinen bestimmten, oder auch nur, der Form
nach, bestimmbaren Gegenstand. Hieraus folgt, dass die reine Kategorie
auch zu keinem synthetischen Grundsatze a priori zulange, und dass die
Grundsaetze des reinen Verstandes nur von empirischem, niemals aber
von transzendentalem Gebrauche sind, ueber das Feld moeglicher
Erfahrung hinaus aber es ueberall keine synthetischen Grundsaetze a
priori geben koenne.
Es kann daher ratsam sein, sich also auszudruecken: die reinen
Kategorien, ohne formale Bedingungen der Sinnlichkeit, haben bloss
transzendentale Bedeutung, sind aber von keinem transzendentalen
Gebrauch, weil dieser an sich selbst unmoeglich ist, indem ihnen alle
Bedingungen irgendeines Gebrauchs (in Urteilen) abgehen, naemlich
die formalen Bedingungen der Subsumtion irgendeines angeblichen
Gegenstandes unter diese Begriffe. Da sie also (als bloss reine
Kategorien) nicht von empirischem Gebrauche sein sollen, und von
transzendentalem nicht sein koennen, so sind sie von gar keinem
Gebrauche, wenn man sie von aller Sinnlichkeit absondert, d.i. sie
koennen auf gar keinen angeblichen Gegenstand angewandt werden;
vielmehr sind sie bloss die reine Form des Verstandesgebrauchs in
Ansehung der Gegenstaende ueberhaupt und des Denkens, ohne doch durch
sie allein irgendein Objekt denken oder bestimmen zu koennen.
Erscheinungen, sofern sie als Gegenstaende nach der Einheit der
Kategorien gedacht werden, heissen Phaenomena. Wenn ich aber Dinge
annehme, die bloss Gegenstaende des Verstandes sind, und gleichwohl,
als solche, einer Anschauung, obgleich nicht der sinnlichen (als coram
intuitu intellectuali), gegeben werden koennen; so wuerden dergleichen
Dinge Noumena (Intelligibilia) heissen.
Nun sollte man denken, dass der durch die transz. Aesthetik
eingeschraenkte Begriff der Erscheinungen schon von selbst die
objektive Realitaet der Noumenorum an die Hand gebe, und die
Einteilung der Gegenstaende in Phaenomena und Noumena, mithin auch der
Welt, in eine Sinnen- und eine Verstandeswelt (mundus sensibilis et
intelligibilis) berechtige, und zwar so: dass der Unterschied hier
nicht bloss die logische Form der undeutlichen oder deutlichen
Erkenntnis eines und desselben Dinges, sondern die Verschiedenheit
treffe, wie sie unserer Erkenntnis urspruenglich gegeben werden
koennen, und nach welcher sie an sich selbst, der Gattung nach,
voneinander unterschieden sind. Denn wenn uns die Sinne etwas bloss
vorstellen, wie es erscheint, so muss dieses Etwas doch auch an sich
selbst ein Ding, und ein Gegenstand einer nicht sinnlichen Anschauung,
d.i. des Verstandes sein, d.i. es muss eine Erkenntnis moeglich
sein, darin keine Sinnlichkeit angetroffen wird, und welche allein
schlechthin objektive Realitaet hat, dadurch uns naemlich Gegenstaende
vorgestellt werden, wie sie sind, dahingegen im empirischen Gebrauche
unseres Verstandes Dinge nur erkannt werden, wie sie erscheinen. Also
wuerde es, ausser dem empirischen Gebrauch der Kategorien (welcher auf
sinnliche Bedingungen eingeschraenkt ist) noch einen reinen und doch
objektivgueltigen geben, und wir koennten nicht behaupten, was wir
bisher vorgegeben haben: dass unsere reinen Verstandeserkenntnisse
ueberall nichts weiter waeren, als Prinzipien der Exposition der
Erscheinung, die auch a priori nicht weiter, als auf die formale
Moeglichkeit der Erfahrung gingen, denn hier staende ein ganz anderes
Feld vor uns offen, gleichsam eine Welt im Geiste gedacht, (vielleicht
auch gar angeschaut) die nicht minder, ja noch weit edler unseren
reinen Verstand beschaeftigen konnte.
Alle unsere Vorstellungen werden in der Tat durch den Verstand
auf irgendein Objekt bezogen, und, da Erscheinungen nichts als
Vorstellungen sind, so bezieht sich der Verstand auf ein Etwas, als
den Gegenstand der sinnlichen Anschauung: aber dieses Etwas ist
insofern nur das transzendentale Objekt. Dieses bedeutet aber ein
Etwas = x, wovon wir gar nichts wissen, noch ueberhaupt (nach der
jetzigen Einrichtung unseres Verstandes) wissen koennen, sondern,
welcher nur als ein Correlatum der Einheit der Apperzeption zur
Einheit des Mannigfaltigen in der sinnlichen Anschauung dienen
kann, vermittelst deren der Verstand dasselbe in den Begriff eines
Gegenstandes vereinigt. Dieses transzendentale Objekt laesst sich gar
nicht von den sinnlichen Datis absondern, weil alsdann nichts uebrig
bleibt, wodurch es gedacht wuerde. Es ist also kein Gegenstand
der Erkenntnis an sich selbst, sondern nur die Vorstellung der
Erscheinungen, unter dem Begriffe eines Gegenstandes ueberhaupt, der
durch das Mannigfaltige derselben bestimmbar ist.
Eben um deswillen stellen nun auch die Kategorien kein besonderes, dem
Verstande allein gegebenes Objekt vor, sondern dienen nur dazu, das
transzendentale Objekt (den Begriff von etwas ueberhaupt) durch
das, was in der Sinnlichkeit gegeben wird, zu bestimmen, um dadurch
Erscheinungen unter Begriffen von Gegenstaenden empirisch zu erkennen.
Was aber die Ursache betrifft, weswegen man, durch das Substratum
der Sinnlichkeit noch nicht befriedigt, den Phaenomenis noch Noumena
zugegeben hat, die nur der reine Verstand denken kann, so beruht sie
lediglich darauf. Die Sinnlichkeit, und ihr Feld, naemlich das der
Erscheinungen, wird selbst durch den Verstand dahin eingeschraenkt:
dass sie nicht auf Dinge an sich selbst, sondern nur auf die Art
gehe, wie uns, vermoege unserer subjektiven Beschaffenheit, Dinge
erscheinen. Dies war das Resultat der ganzen transzendentalen
Aesthetik, und es folgt auch natuerlicherweise aus dem Begriffe einer
Erscheinung ueberhaupt: dass ihr etwas entsprechen muesse, was an
sich nicht Erscheinung ist, weil Erscheinung nichts fuer sich selbst,
und ausser unserer Vorstellungsart sein kann, mithin, wo nicht ein
bestaendiger Zirkel herauskommen soll, das Wort Erscheinung schon eine
Beziehung auf etwas anzeigt, dessen unmittelbare Vorstellung zwar
sinnlich ist, was aber an sich selbst, auch ohne diese Beschaffenheit
unserer Sinnlichkeit, (worauf sich die Form unserer Anschauung
gruendet), Etwas, d.i. ein von der Sinnlichkeit unabhaengiger
Gegenstand sein muss.
Hieraus entspringt nun der Begriff von einem Noumenon, der aber gar
nicht positiv, und eine bestimmte Erkenntnis von irgendeinem Dinge,
sondern nur das Denken von Etwas ueberhaupt bedeutet, bei welchem ich
von aller Form der sinnlichen Anschauung abstrahiere. Damit aber ein
Noumenon einen wahren, von allen Phaenomenen zu unterscheidenden
Gegenstand bedeute, so ist es nicht genug: dass ich meinen Gedanken
von allen Bedingungen sinnlicher Anschauung befreie, ich muss noch
ueberdem Grund dazu haben, eine andere Art der Anschauung, als diese
sinnliche ist, anzunehmen, unter der ein solcher Gegenstand gegeben
werden koenne; denn sonst ist mein Gedanke doch leer, obzwar ohne
Widerspruch. Wir haben zwar oben nicht beweisen koennen: dass die
sinnliche Anschauung die einzige moegliche Anschauung ueberhaupt,
sondern dass sie es nur fuer uns sei; wir konnten aber auch nicht
beweisen: dass noch eine andere Art der Anschauung moeglich sei, und,
obgleich unser Denken von jener Sinnlichkeit abstrahieren kann, so
bleibt doch die Frage, ob es alsdann nicht eine blosse Form eines
Begriffs sei, und ob bei dieser Abtrennung ueberhaupt ein Objekt
uebrigbleibe.
Das Objekt, worauf ich die Erscheinung ueberhaupt beziehe, ist der
transzendentale Gegenstand, d.i. der gaenzlich unbestimmte Gedanke von
Etwas ueberhaupt. Dieser kann nicht das Noumenon heissen; denn ich
weiss von ihm nicht, was er an sich selbst sei, und habe gar keinen
Begriff von ihm, als bloss von dem Gegenstande einer sinnlichen
Anschauung ueberhaupt, der also fuer alle Erscheinungen einerlei ist.
Ich kann ihn durch keine Kategorien denken; denn diese gilt von der
empirischen Anschauung, um sie unter einen Begriff vom Gegenstand
ueberhaupt zu bringen. Ein reiner Gebrauch der Kategorie ist zwar
moeglich, d.i. ohne Widerspruch, aber hat gar keine objektive
Gueltigkeit, weil sie auf keine Anschauung geht, die dadurch Einheit
des Objekts bekommen sollte; denn die Kategorie ist doch eine blosse
Funktion des Denkens, wodurch mir kein Gegenstand gegeben, sondern
nur, was in der Anschauung gegeben werden mag, gedacht wird.
Wenn ich alles Denken (durch Kategorien) aus einer empirischen
Erkenntnis wegnehme, so bleibt gar keine Erkenntnis irgendeines
Gegenstandes uebrig; denn durch blosse Anschauung wird gar nichts
gedacht, und, dass diese Affektion der Sinnlichkeit in mir ist, macht
gar keine Beziehung von dergleichen Vorstellung auf irgend ein Objekt
aus. Lasse ich aber hingegen alle Anschauung weg, so bleibt doch
noch die Form des Denkens, d.i. die Art, dem Mannigfaltigen einer
moeglichen Anschauung einen Gegenstand zu bestimmen. Daher erstrecken
sich die Kategorien sofern weiter, als die sinnliche Anschauung,
weil sie Objekte ueberhaupt denken, ohne noch auf die besondere Art
(der Sinnlichkeit) zu sehen, in der sie gegeben werden moegen. Sie
bestimmen aber dadurch nicht eine groessere Sphaere von Gegenstaenden,
weil, dass solche gegeben werden koennen, man nicht annehmen kann,
ohne dass man eine andere als sinnliche Art der Anschauung als
moeglich voraussetzt, wozu wir aber keineswegs berechtigt sind.
Ich nenne einen Begriff problematisch, der keinen Widerspruch
enthaelt, der auch als eine Begrenzung gegebener Begriffe mit anderen
Erkenntnissen zusammenhaengt, dessen objektive Realitaet aber auf
keine Weise erkannt werden kann. Der Begriff eines Noumenon, d.i.
eines Dinges, welches gar nicht als Gegenstand der Sinne, sondern
als ein Ding an sich selbst, (lediglich durch einen reinen Verstand)
gedacht werden soll, ist gar nicht widersprechend; denn man kann von
der Sinnlichkeit doch nicht behaupten, dass sie die einzige moegliche
Art der Anschauung sei. Ferner ist dieser Begriff notwendig, um
die sinnliche Anschauung nicht bis ueber die Dinge an sich selbst
auszudehnen, und also, um die objektive Gueltigkeit der sinnlichen
Erkenntnis einzuschraenken, (denn das uebrige, worauf jene nicht
reicht, heissen eben darum Noumena, damit man dadurch anzeige, jene
Erkenntnisse koennen ihr Gebiet nicht ueber alles, was der Verstand
denkt, erstrecken). Am Ende aber ist doch die Moeglichkeit solcher
Noumenorum gar nicht einzusehen, und der Umfang ausser der Sphaere der
Erscheinungen ist (fuer uns) leer, d.i. wir haben einen Verstand, der
sich problematisch weiter erstreckt, als jene, aber keine Anschauung,
ja auch nicht einmal den Begriff von einer moeglichen Anschauung,
wodurch uns ausser dem Felde der Sinnlichkeit Gegenstaende gegeben,
und der Verstand ueber dieselbe hinaus assertorisch gebraucht werden
koenne. Der Begriff eines Noumenon ist also bloss ein Grenzbegriff,
um die Anmassung der Sinnlichkeit einzuschraenken, und also nur
von negativem Gebrauche. Er ist aber gleichwohl nicht willkuerlich
erdichtet, sondern haengt mit der Einschraenkung der Sinnlichkeit
zusammen, ohne doch etwas Positives ausser dem Umfange derselben
setzen zu koennen.
Die Einteilung der Gegenstaende in Phaenomena und Noumena, und
der Welt in eine Sinnen- und Verstandeswelt, kann daher gar nicht
zugelassen werden, obgleich Begriffe allerdings die Einteilung in
sinnliche und intellektuelle zulassen; denn man kann den letzteren
keinen Gegenstand bestimmen, und sie also auch nicht fuer objektiv
gueltig ausgeben. Wenn man von den Sinnen abgeht, wie will man
begreiflich machen, dass unsere Kategorien (welche die einzigen
uebrigbleibenden Begriffe fuer Noumena sein wuerden) noch ueberall
etwas bedeuten, da zu ihrer Beziehung auf irgendeinen Gegenstand noch
etwas mehr, als bloss die Einheit des Denkens, naemlich ueberdem eine
moegliche Anschauung gegeben sein muss, darauf jene angewandt werden
koennen? Der Begriff eines Noumeni, bloss problematisch genommen,
bleibt demungeachtet nicht allein zulaessig, sondern, auch als ein
die Sinnlichkeit in Schranken setzender Begriff, unvermeidlich. Aber
alsdann ist das nicht ein besonderer intelligibler Gegenstand fuer
unseren Verstand, sondern ein Verstand, fuer den es gehoerte, ist
selbst ein Problema, naemlich, nicht diskursiv durch Kategorien,
sondern intuitiv in einer nichtsinnlichen Anschauung seinen Gegenstand
zu erkennen, als von welchem wir uns nicht die geringste Vorstellung
seiner Moeglichkeit machen koennen. Unser Verstand bekommt nun auf
diese Weise eine negative Erweiterung, d.i. er wird nicht durch die
Sinnlichkeit eingeschraenkt, sondern schraenkt vielmehr dieselbe
ein, dadurch, dass er Dinge an sich selbst (nicht als Erscheinungen
betrachtet) Noumena nennt. Aber er setzt sich auch sofort selbst
Grenzen, sie durch keine Kategorien zu erkennen, mithin sie nur unter
dem Namen eines unbekannten Etwas zu denken.
Ich finde indessen in den Schriften der Neueren einen ganz anderen
Gebrauch der Ausdruecke eines mundi sensibilis und intelligibilis,
der von dem Sinne der Alten ganz abweicht, und wobei es freilich
keine Schwierigkeit hat, aber auch nichts als leere Wortkraemerei
angetroffen wird. Nach demselben hat es einigen beliebt, den Inbegriff
der Erscheinungen, sofern er angeschaut wird, die Sinnenwelt, sofern
aber der Zusammenhang derselben nach allgemeinen Verstandesgesetzen
gedacht wird, die Verstandeswelt zu nennen. Die theoretische
Astronomie, welche die blosse Beobachtung des bestirnten Himmels
vortraegt, wuerde die erstere, die kontemplative dagegen (etwa
nach dem kopernikanischen Weltsystem, oder gar nach Newtons
Gravitationsgesetzen erklaert), die zweite, naemlich eine intelligible
Welt vorstellig machen. Aber eine solche Wortverdrehung ist eine
blosse sophistische Ausflucht, um einer beschwerlichen Frage
auszuweichen, dadurch, dass man ihren Sinn zu seiner Gemaechlichkeit
herabstimmt. In Ansehung der Erscheinungen laesst sich allerdings
Verstand und Vernunft brauchen; aber es fragt sich, ob diese auch
noch einigen Gebrauch haben, wenn der Gegenstand nicht Erscheinung
(Noumenon) ist, und in diesem Sinne nimmt man ihn, wenn er an sich
als bloss intelligibel, d.i. dem Verstande allein, und gar nicht den
Sinnen gegeben, gedacht wird. Es ist also die Frage: ob ausser jenem
empirischen Gebrauche des Verstandes (selbst in der Newtonischen
Vorstellung des Weltbaues) noch ein transzendentaler moeglich sei,
der, auf das Noumenon als einen Gegenstand gehe, welche Frage wir
verneinend beantwortet haben.
Wenn wir denn also sagen: die Sinne stellen uns die Gegenstaende
vor, wie sie erscheinen, der Verstand aber, wie sie sind, so ist
das letztere nicht in transzendentaler, sondern bloss empirischer
Bedeutung zu nehmen, naemlich wie sie als Gegenstaende der Erfahrung,
im durchgaengigen Zusammenhange der Erscheinungen, muessen vorgestellt
werden, und nicht nach dem, was sie, ausser der Beziehung auf
moegliche Erfahrung, und folglich auf Sinne ueberhaupt, mithin als
Gegenstaende des reinen Verstandes sein moegen. Denn dieses wird uns
immer unbekannt bleiben, sogar, dass es auch unbekannt bleibt, ob
eine solche transzendentale (ausserordentliche) Erkenntnis ueberall
moeglich sei, zum wenigsten als eine solche, die unter unseren
gewoehnlichen Kategorien steht. Verstand und Sinnlichkeit koennen bei
uns nur in Verbindung Gegenstaende bestimmen. Wenn wir sie trennen, so
haben wir Anschauungen ohne Begriffe, oder Begriffe ohne Anschauungen,
in beiden Faellen aber Vorstellungen, die wir auf keinen bestimmten
Gegenstand beziehen koennen.
Wenn jemand noch Bedenken traegt, auf alle diese Eroerterungen dem
bloss transzendentalen Gebrauche der Kategorien zu entsagen, so mache
er einen Versuch von ihnen in irgendeiner synthetischen Behauptung.
Denn eine analytische bringt den Verstand nicht weiter, und da er nur
mit dem beschaeftigt ist, was in dem Begriffe schon gedacht wird, so
laesst er es unausgemacht, ob dieser an sich selbst auf Gegenstaende
Beziehung habe, oder nur die Einheit des Denkens ueberhaupt bedeute,
(welche von der Art, wie ein Gegenstand gegeben werden mag, voellig
abstrahiert.) es ist ihm genug zu wissen, was in seinem Begriffe
liegt; worauf der Begriff selber gehen moege, ist ihm gleichgueltig.
Er versuche es demnach mit irgendeinem synthetischen und vermeintlich
transzendentalen Grundsatze, als: alles, was da ist, existiert als
Substanz, oder eine derselben anhaengende Bestimmung: alles Zufaellige
existiert als Wirkung eines anderen Dinges, naemlich seiner Ursache,
usw. Nun frage ich: woher will er diese synthetischen Saetze nehmen,
da die Begriffe nicht beziehungsweise auf moegliche Erfahrung, sondern
von Dingen an sich selbst (Noumena) gelten sollen? Wo ist hier das
Dritte, welches jederzeit zu einem synthetischen Satze erfordert
wird, um in demselben Begriffe, die gar keine logische (analytische)
Verwandtschaft haben, miteinander zu verknuepfen? Er wird seinen Satz
niemals beweisen, ja was noch mehr ist, sich nicht einmal wegen der
Moeglichkeit einer solchen reinen Behauptung rechtfertigen koennen,
ohne auf den empirischen Verstandesgebrauch Ruecksicht zu nehmen, und
dadurch dem reinen und sinnenfreien Urteile voellig zu entsagen. So
ist denn der Begriff reiner bloss intelligibler Gegenstaende gaenzlich
leer von allen Grundsaetzen ihrer Anwendung, weil man keine Art
ersinnen kann, wie sie gegeben werden sollten, und der problematische
Gedanke, der doch einen Platz fuer sie offen laesst, dient nur, wie
ein leerer Raum, die empirischen Grundsaetze einzuschraenken, ohne
doch irgendein anderes Objekt der Erkenntnis, ausser der Sphaere der
letzteren, in sich zu enthalten und aufzuweisen.
Anhang
Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe
durch die Verwechslung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem
transzendentalen
Die Ueberlegung (reflexio) hat es nicht mit den Gegenstaenden selbst
zu tun, um geradezu von ihnen Begriffe zu bekommen, sondern ist der
Zustand des Gemuets, in welchem wir uns zuerst dazu anschicken, um
die subjektiven Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen wir zu
Begriffen gelangen koennen. Sie ist das Bewusstsein des Verhaeltnisses
gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnisquellen,
durch welches allein ihr Verhaeltnis untereinander richtig bestimmt
werden kann. Die erste Frage vor aller weiteren Behandlung unserer
Vorstellung ist die: in welchem Erkenntnisvermoegen gehoeren sie
zusammen? Ist es der Verstand, oder sind es die Sinne, vor denen sie
verknuepft, oder verglichen werden? Manches Urteil wird aus Gewohnheit
angenommen, oder durch Neigung geknuepft; weil aber keine Ueberlegung
vorhergeht, oder wenigstens kritisch darauf folgt, so gilt es fuer ein
solches, das im Verstande seinen Ursprung erhalten hat. Nicht alle
Urteile beduerfen einer Untersuchung, d.i. einer Aufmerksamkeit auf
die Gruende der Wahrheit; denn, wenn sie unmittelbar gewiss sind: z.B.
zwischen zwei Punkten kann nur eine gerade Linie sein; so laesst sich
von ihnen kein noch naeheres Merkmal der Wahrheit, als das sie selbst
ausdruecken, anzeigen. Aber alle Urteile, ja alle Vergleichungen
beduerfen einer Ueberlegung, d.i. einer Unterscheidung der
Erkenntniskraft, wozu die gegebenen Begriffe gehoeren. Die Handlung,
dadurch ich die Vergleichung der Vorstellungen ueberhaupt mit der
Erkenntniskraft zusammenhalte, darin sie angestellt wird, und wodurch
ich unterscheide, ob sie als gehoerig zum reinen Verstande oder zur
sinnlichen Anschauung untereinander verglichen werden, nenne ich die
transzendentale Ueberlegung. Das Verhaeltnis aber, in welchem die
Begriffe in einem Gemuetszustande zueinander gehoeren koennen, sind
die der Einerleiheit und Verschiedenheit, der Einstimmung und des
Widerstreits, des Inneren und des Aeusseren, endlich des Bestimmbaren
und der Bestimmung (Materie und Form). Die richtige Bestimmung dieses
Verhaeltnisses beruht darauf, in welcher Erkenntniskraft sie subjektiv
zueinander gehoeren, ob in der Sinnlichkeit oder dem Verstande. Denn
der Unterschied der letzteren macht einen grossen Unterschied in der
Art, wie man sich die ersten denken solle.
Vor allen objektiven Urteilen vergleichen wir die Begriffe, um auf die
Einerleiheit (vieler Vorstellungen unter einem Begriffe) zum Behuf
der allgemeinen Urteile, oder der Verschiedenheit derselben, zur
Erzeugung besonderer, auf die Einstimmung, daraus bejahende, und
den Widerstreit, daraus verneinende Urteile werden koennen usw. Aus
diesem Grunde sollten wir, wie es scheint, die angefuehrten Begriffe
Vergleichungsbegriffe nennen (conceptus comparationis). Weil aber,
wenn es nicht auf die logische Form, sondern auf den Inhalt der
Begriffe ankommt, d.i. ob die Dinge selbst einerlei oder verschieden,
einstimmig oder im Widerstreit sind usw., die Dinge aber ein
zwiefaches Verhaeltnis zu unserer Erkenntniskraft, naemlich zur
Sinnlichkeit und zum Verstande haben koennen, auf diese Stelle aber,
darin sie gehoeren, die Art ankommt, wie sie zueinander gehoeren
sollen: so wird die transzendentale Reflexion, d.i. das Verhaeltnis
gegebener Vorstellungen zu einer oder der anderen Erkenntnisart, ihr
Verhaeltnis untereinander allein bestimmen koennen, und ob die Dinge
einerlei oder verschieden, einstimmig oder widerstreitend sind usw.,
wird nicht sofort aus den Begriffen selbst durch blosse Vergleichung
(comparatio), sondern allererst durch die Unterscheidung der
Erkenntnisart, wozu sie gehoeren, vermittelst einer transzendentalen
Ueberlegung (reflexio) ausgemacht werden koennen. Man koennte also
zwar sagen: dass die logische Reflexion eine blosse Komparation
sei, denn bei ihr wird von der Erkenntniskraft, wozu die gegebenen
Vorstellungen gehoeren, gaenzlich abstrahiert, und sie sind also so
fern ihrem Sitze nach, im Gemuete, als gleichartig zu behandeln, die
transzendentale Reflexion aber (welche auf die Gegenstaende selbst
geht) enthaelt den Grund der Moeglichkeit der objektiven Komparation
der Vorstellungen untereinander, und ist also von der letzteren gar
sehr verschieden, weil die Erkenntniskraft, dazu sie gehoeren, nicht
eben dieselbe ist. Diese transzendentale Ueberlegung ist eine Pflicht,
von der sich niemand lossagen kann, wenn er a priori etwas ueber Dinge
urteilen will. Wir wollen sie jetzt zur Hand nehmen, und werden daraus
fuer die Bestimmung des eigentlichen Geschaefts des Verstandes nicht
wenig Licht ziehen.
1. Einerleiheit und Verschiedenheit. Wenn uns ein Gegenstand
mehrmalen, jedesmal aber mit ebendenselben inneren Bestimmungen,
(qualitas et quantitas) dargestellt wird, so ist derselbe, wenn er
als Gegenstand des reinen Verstandes gilt, immer eben derselbe, und
nicht viel, sondern nur Ein Ding (numerica identitas); ist er aber
Erscheinung, so kommt es auf die Vergleichung der Begriffe gar nicht
an, sondern, so sehr auch in Ansehung derselben alles einerlei sein
mag, ist doch die Verschiedenheit der Oerter dieser Erscheinung zu
gleicher Zeit ein genugsamer Grund der numerischen Verschiedenheit des
Gegenstandes (der Sinne) selbst. So kann man bei zwei Tropfen Wasser
von aller inneren Verschiedenheit (der Qualitaet und Quantitaet)
voellig abstrahieren, und es ist genug, dass sie in verschiedenen
Oertern zugleich angeschaut werden, um sie numerisch verschieden zu
halten. Leibniz nahm die Erscheinungen als Dinge an sich selbst,
mithin fuer intelligibilia, d.i. Gegenstaende des reinen Verstandes,
(ob er gleich, wegen der Verworrenheit ihrer Vorstellungen, dieselben
mit dem Namen der Phaenomene belegte,) und da konnte sein Satz des
Nichtzuunterscheidenden (principium identitatis indiscernibilium)
allerdings nicht gestritten werden; da sie aber Gegenstaende der
Sinnlichkeit sind, und der Verstand in Ansehung ihrer nicht von
reinem, sondern bloss empirischen Gebrauche ist, so wird die Vielheit
und numerische Verschiedenheit schon durch den Raum selbst als die
Bedingung der aeusseren Erscheinungen angegeben. Denn ein Teil des
Raums, ob er zwar einem anderen voellig aehnlich und gleich sein mag,
ist doch ausser ihm, und eben dadurch ein vom ersteren verschiedener
Teil, der zu ihm hinzukommt, um einen groesseren Raum auszumachen, und
dieses muss daher von allem, was in den mancherlei Stellen des Raums
zugleich ist, gelten, so sehr es sich sonsten auch aehnlich und gleich
sein mag.
2. Einstimmung und Widerstreit. Wenn Realitaet nur durch den reinen
Verstand vorgestellt wird (realitas noumenon), so laesst sich zwischen
den Realitaeten kein Widerstreit denken, d.i. ein solches Verhaeltnis,
da sie in einem Subjekt verbunden einander ihre Folgen aufheben,
und 3-3=0 sei. Dagegen kann das Reale in der Erscheinung (realitas
phaenomenon) untereinander allerdings im Widerstreit sein, und vereint
in demselben Subjekt, eines die Folge des anderen ganz oder zum Teil
vernichten, wie zwei bewegende Kraefte in derselben geraden Linie,
sofern sie einen Punkt in entgegengesetzter Richtung entweder ziehen,
oder druecken, oder auch ein Vergnuegen, was dem Schmerze die Wage
haelt.
3. Das Innere und Aeussere. An einem Gegenstande des reinen Verstandes
ist nur dasjenige innerlich, welches gar keine Beziehung (dem Dasein
nach) auf irgend etwas von ihm Verschiedenes hat. Dagegen sind die
inneren Bestimmungen einer substantia phaenomenon im Raume nichts als
Verhaeltnisse, und sie selbst ganz und gar ein Inbegriff von lauter
Relationen. Die Substanz im Raume koennen wir nur durch Kraefte,
die in demselben wirksam sind, entweder andere dahin zu treiben
(Anziehung), oder vom Eindringen in ihn abzuhalten (Zurueckstossung
und Undurchdringlichkeit); andere Eigenschaften kennen wir nicht,
die den Begriff von der Substanz, die im Raum erscheint, und die wir
Materie nennen, ausmachen. Als Objekt des reinen Verstandes muss jede
Substanz dagegen innere Bestimmungen und Kraefte haben, die auf die
innere Realitaet gehen. Allein was kann ich mir fuer innere Akzidenzen
denken, als diejenigen, so mein innerer Sinn mir darbietet? naemlich
das entweder, was selbst ein Denken, oder mit diesem analogisch ist.
Daher machte Leibniz aus allen Substanzen, weil er sie sich als
Noumena vorstellte, selbst aus den Bestandteilen der Materie, nachdem
er ihnen alles, was aeussere Relation bedeuten mag, mithin auch die
Zusammensetzung, in Gedanken genommen hatte, einfache Subjekte mit
Vorstellungskraeften begabt, mit einem Worte, Monaden.
4. Materie und Form. Dieses sind zwei Begriffe, welche aller anderen
Reflexion zum Grunde gelegt werden, so sehr sind sie mit jedem
Gebrauch des Verstandes unzertrennlich verbunden. Der erstere bedeutet
das Bestimmbare ueberhaupt, der zweite dessen Bestimmung, (beides in
transzendentalem Verstande, da man von allem Unterschiede dessen, was
gegeben wird, und der Art, wie es bestimmt wird, abstrahiert). Die
Logiker nannten ehedem das Allgemeine die Materie, den spezifischen
Unterschied aber die Form. In jedem Urteile kann man die gegebenen
Begriffe logische Materie (zum Urteile), das Verhaeltnis derselben
(vermittelst der Copula) die Form des Urteils nennen. In jedem Wesen
sind die Bestandstuecke desselben (essentialia) die Materie; die Art,
wie sie in einem Dinge verknuepft sind, die wesentliche Form. Auch
wurde in Ansehung der Dinge ueberhaupt unbegrenzte Realitaet als die
Materie aller Moeglichkeit, Einschraenkung derselben aber (Negation)
als diejenige Form angesehen, wodurch sich ein Ding vom anderen nach
transzendentalen Begriffen unterscheidet. Der Verstand naemlich
verlangt zuerst, dass etwas gegeben sei, (wenigstens im Begriffe,)
um es auf gewisse Art bestimmen zu koennen. Daher geht im Begriffe
des reinen Verstandes die Materie der Form vor, und Leibniz
nahm um deswillen zuerst Dinge an (Monaden) und innerlich eine
Vorstellungskraft derselben, um danach das aeussere Verhaeltnis
derselben und die Gemeinschaft ihrer Zustaende (naemlich der
Vorstellungen) darauf zu gruenden. Daher waren Raum und Zeit, jener
nur durch das Verhaeltnis der Substanzen, diese durch die Verknuepfung
der Bestimmungen derselben untereinander, als Gruende und Folgen,
moeglich. So wuerde es auch in der Tat sein muessen, wenn der reine
Verstand unmittelbar auf Gegenstaende bezogen werden koennte, und
wenn Raum und Zeit Bestimmungen der Dinge an sich selbst waeren. Sind
es aber nur sinnliche Anschauungen, in denen wir alle Gegenstaende
lediglich als Erscheinungen bestimmen, so geht die Form der Anschauung
(als eine subjektive Beschaffenheit der Sinnlichkeit) vor aller
Materie (den Empfindungen), mithin Raum und Zeit vor allen
Erscheinungen und allen datis der Erfahrung vorher, und macht diese
vielmehr allererst moeglich. Der Intellektualphilosoph konnte es nicht
leiden: dass die Form vor den Dingen selbst vorhergehen, und dieser
ihre Moeglichkeit bestimmen sollte; eine ganz richtige Zensur, wenn
er annahm, dass wir die Dinge anschauen, wie sie sind, (obgleich mit
verworrener Vorstellung). Da aber die sinnliche Anschauung eine ganz
besondere subjektive Bedingung ist, welche aller Wahrnehmung a priori
zum Grunde liegt, und deren Form urspruenglich ist; so ist die Form
fuer sich allein gegeben, und, weit gefehlt, dass die Materie (oder
die Dinge selbst, welche erschienen) zum Grunde liegen sollten
(wie man nach blossen Begriffen urteilen muesste), so setzt die
Moeglichkeit derselben vielmehr eine formale Anschauung (Zeit und
Raum) als gegeben voraus.
Anmerkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe
Man erlaube mir, die Stelle, welche wir einem Begriffe entweder in der
Sinnlichkeit, oder im reinen Verstande erteilen, den transzendentalen
Ort zu nennen. Auf solche Weise waere die Beurteilung dieser Stelle,
die jedem Begriffe nach Verschiedenheit seines Gebrauchs zukommt, und
die Anweisung nach Regeln, diesen Ort allen Begriffen zu bestimmen,
die transzendentale Topik; eine Lehre, die vor Erschleichungen des
reinen Verstandes und daraus entspringenden Blendwerken gruendlich
bewahren wuerde, indem sie jederzeit unterschiede, welcher
Erkenntniskraft die Begriffe eigentlich angehoeren. Man kann einen
jeden Begriff, einen jeden Titel, darunter viele Erkenntnisse
gehoeren, einen logischen Ort nennen. Hierauf gruendet sich die
logische Topik des Aristoteles, deren sich Schullehrer und Redner
bedienen konnten, um unter gewissen Titeln des Denkens nachzusehen,
was sich am besten fuer seine vorliegende Materie schickte, und
darueber, mit einem Schein von Gruendlichkeit, zu vernuenfteln, oder
wortreich zu schwatzen.
Die transzendentale Topik enthaelt dagegen nicht mehr, als die
angefuehrten vier Titel aller Vergleichung und Unterscheidung, die
sich dadurch von Kategorien unterscheiden, dass durch jene nicht der
Gegenstand, nach demjenigen, was seinen Begriff ausmacht, (Groesse,
Realitaet,) sondern nur die Vergleichung der Vorstellungen, welche vor
dem Begriffe von Dingen vorhergeht, in aller ihrer Mannigfaltigkeit
dargestellt wird. Diese Vergleichung aber bedarf zuvoerderst
einer Ueberlegung, d.i. einer Bestimmung desjenigen Orts, wo die
Vorstellungen der Dinge, die verglichen werden, hingehoeren, ob sie
der reine Verstand denkt, oder die Sinnlichkeit in der Erscheinung
gibt.
Die Begriffe koennen logisch verglichen werden, ohne sich darum zu
bekuemmern, wohin ihre Objekte gehoeren, ob als Noumena fuer den
Verstand, oder als Phaenomena fuer die Sinnlichkeit. Wenn wir aber mit
diesen Begriffen zu den Gegenstaenden gehen wollen, so ist zuvoerderst
transzendentale Ueberlegung noetig, fuer welche Erkenntniskraft sie
Gegenstaende sein sollen, ob fuer den reinen Verstand, oder die
Sinnlichkeit. Ohne diese Ueberlegung mache ich einen sehr unsicheren
Gebrauch von diesen Begriffen, und es entspringen vermeinte
synthetische Grundsaetze, welche die kritische Vernunft nicht
anerkennen kann, und die sich lediglich auf einer transzendentalen
Amphibolie, d.i. einer Verwechslung des reinen Verstandesobjekts mit
der Erscheinung, gruenden.
In Ermanglung einer solchen transzendentalen Topik, und mithin durch
die Amphibolie der Reflexionsbegriffe hintergangen, errichtete der
beruehmte Leibniz ein intellektuelles System der Welt, oder glaubte
vielmehr der Dinge innere Beschaffenheit zu erkennen, indem er alle
Gegenstaende nur mit dem Verstande und den abgesonderten formalen
Begriffen seines Denkens verglich. Unsere Tafel der Reflexionsbegriffe
schafft uns den unerwarteten Vorteil, das Unterscheidende seines
Lehrbegriffs in allen seinen Teilen, und zugleich den leitenden Grund
dieser eigentuemlichen Denkungsart vor Augen zu legen, der auf nichts,
als einem Missverstande, beruhte. Er verglich alle Dinge bloss
durch Begriffe miteinander, und fand, wie natuerlich, keine anderen
Verschiedenheiten, als die, durch welche der Verstand seine reinen
Begriffe voneinander unterscheidet. Die Bedingungen der sinnlichen
Anschauung, die ihre eigenen Unterschiede bei sich fuehren, sah
er nicht fuer urspruenglich an; denn die Sinnlichkeit war ihm nur
eine verworrene Vorstellungsart, und kein besonderer Quell der
Vorstellungen; Erscheinung war ihm die Vorstellung des Dinges an sich
selbst, obgleich von der Erkenntnis durch den Verstand, der logischen
Form nach, unterschieden, da naemlich jene, bei ihrem gewoehnlichen
Mangel der Zergliederung, eine gewisse Vermischung von
Nebenvorstellungen in den Begriff des Dinges zieht, die der Verstand
davon abzusondern weiss. Mit einem Worte: Leibniz intellektuierte die
Erscheinungen, so wie Locke die Verstandesbegriffe nach einem System
der Noogonie (wenn es mir erlaubt ist, mich dieser Ausdruecke zu
bedienen,) insgesamt sensifiziert, d.i. fuer nichts, als empirische,
oder abgesonderte Reflexionsbegriffe ausgegeben hatte. Anstatt im
Verstande und der Sinnlichkeit zwei ganz verschiedene Quellen von
Vorstellungen zu suchen, die aber nur in Verknuepfung objektiv gueltig
von Dingen urteilen koennten, hielte sich ein jeder dieser grossen
Maenner nur an eine von beiden, die sich ihrer Meinung nach
unmittelbar auf Dinge an sich selbst bezoege, indessen dass die andere
nichts tat, als die Vorstellungen der ersteren zu verwirren oder zu
ordnen.
Leibniz verglich demnach die Gegenstaende der Sinne als Dinge
ueberhaupt bloss im Verstande untereinander. Erstlich, sofern sie von
diesem als einerlei oder verschieden geurteilt werden sollen. Da er
also lediglich ihre Begriffe, und nicht ihre Stelle in der Anschauung,
darin die Gegenstaende allein gegeben werden koennen, vor Augen hatte,
und den transzendentalen Ort dieser Begriffe (ob das Objekt unter
Erscheinungen, oder unter Dinge an sich selbst zu zaehlen sei,)
gaenzlich aus der acht liess, so konnte es nicht anders ausfallen, als
dass er seinen Grundsatz des Nichtzuunterscheidenden, der bloss von
Begriffen der Dinge ueberhaupt gilt, auch auf die Gegenstaende der
Sinne (mundus phaenomenon) ausdehnte, und der Naturerkenntnis dadurch
keine geringe Erweiterung verschafft zu haben glaubte. Freilich, wenn
ich einen Tropfen Wasser als ein Ding an sich selbst nach allen seinen
inneren Bestimmungen kenne, so kann ich keinen derselben von dem
anderen fuer verschieden gelten lassen, wenn der ganze Begriff
desselben mit ihm einerlei ist. Ist er aber Erscheinung im Raume, so
hat er seinen Ort nicht bloss im Verstande (unter Begriffen), sondern
in der sinnlichen aeusseren Anschauung (im Raume), und da sind die
physischen Oerter, in Ansehung der inneren Bestimmungen der Dinge,
ganz gleichgueltig, und ein Ort = b kann ein Ding, welches einem
anderen in dem Orte = a voellig aehnlich und gleich ist, ebensowohl
aufnehmen, als wenn es von diesem noch so sehr innerlich verschieden
waere. Die Verschiedenheit der Oerter macht die Vielheit und
Unterscheidung der Gegenstaende, als Erscheinungen, ohne weitere
Bedingungen, schon fuer sich nicht allein moeglich, sondern auch
notwendig. Also ist jenes scheinbare Gesetz kein Gesetz der Natur. Es
ist lediglich eine analytische Regel oder Vergleichung der Dinge durch
blosse Begriffe.
Zweitens, der Grundsatz: dass Realitaeten (als blosse Bejahungen)
einander niemals logisch widerstreiten, ist ein ganz wahrer Satz von
dem Verhaeltnisse der Begriffe, bedeutet aber, weder in Ansehung der
Natur, noch ueberall in Ansehung irgendeines Dinges an sich selbst,
(von diesem haben wir gar keinen Begriff,) das mindeste. Denn der
reale Widerstreit findet allerwaerts statt, wo A - B = 0 ist, d.i.
wo eine Realitaet mit der anderen, in einem Subjekt verbunden,
eine die Wirkung der anderen aufhebt, welches alle Hindernisse und
Gegenwirkungen in der Natur unaufhoerlich vor Augen legen, die
gleichwohl, da sie auf Kraeften beruhen, realitates phaenomena genannt
werden muessen. Die allgemeine Mechanik kann sogar die empirische
Bedingung dieses Widerstreits in einer Regel a priori angeben, indem
sie auf die Entgegensetzung der Richtungen sieht: eine Bedingung, von
welcher der transzendentale Begriff der Realitaet gar nichts weiss.
Obzwar Herr von Leibniz diesen Satz nicht eben mit dem Pomp eines
neuen Grundsatzes ankuendigte, so bediente er sich doch desselben zu
neuen Behauptungen, und seine Nachfolger trugen ihn ausdruecklich in
ihre Leibniz-Wolfianischen Lehrgebaeude ein. Nach diesem Grundsatze
sind z.E. alle Uebel nichts als Folgen von den Schranken der
Geschoepfe, d.i. Negationen, weil diese das einzige Widerstreitende
der Realitaet sind, (in dem blossen Begriffe eines Dinges ueberhaupt
ist es auch wirklich so, aber nicht in den Dingen als Erscheinungen).
Imgleichen finden die Anhaenger desselben es nicht allein moeglich,
sondern auch natuerlich, alle Realitaet, ohne irgendeinen besorglichen
Widerstreit, in einem Wesen zu vereinigen, weil sie keinen anderen,
als den des Widerspruchs (durch den der Begriff eines Dinges selbst
aufgehoben wird), nicht aber den des wechselseitigen Abbruchs kennen,
da ein Realgrund die Wirkung des anderen aufhebt, und dazu wir nur
in der Sinnlichkeit die Bedingungen antreffen, uns einen solchen
vorzustellen.
Drittens, die Leibnizische Monadologie hat gar keinen anderen Grund,
als dass dieser Philosoph den Unterschied des Inneren und Aeusseren
bloss im Verhaeltnis auf den Verstand vorstellte. Die Substanzen
ueberhaupt muessen etwas Inneres haben, was also von allen aeusseren
Verhaeltnissen, folglich auch der Zusammensetzung, frei ist. Das
Einfache ist also die Grundlage des Inneren der Dinge an sich selbst.
Das Innere aber ihres Zustandes kann auch nicht in Ort, Gestalt,
Beruehrung oder Bewegung, (welche Bestimmungen alle aeussere
Verhaeltnisse sind,) bestehen, und wir koennen daher den Substanzen
keinen anderen inneren Zustand, als denjenigen, wodurch wir
unseren Sinn selbst innerlich bestimmen, naemlich den Zustand der
Vorstellungen, beilegen. So wurden denn die Monaden fertig, welche den
Grundstoff des ganzen Universum ausmachen sollen, deren taetige Kraft
aber nur in Vorstellungen besteht, wodurch sie eigentlich bloss in
sich selbst wirksam sind.
Eben darum musste aber auch sein Principium der moeglichen
Gemeinschaft der Substanzen untereinander eine vorherbestimmte
Harmonie, und konnte kein physischer Einfluss sein. Denn weil alles
nur innerlich, d.i. mit seinen Vorstellungen beschaeftigt ist, so
konnte der Zustand der Vorstellungen der einen mit dem der anderen
Substanz in ganz und gar keiner wirksamen Verbindung stehen, sondern
es musste irgendeine dritte und in alle insgesamt einfliessende
Ursache ihre Zustaende einander korrespondierend machen, zwar nicht
eben durch gelegentlichen und in jedem einzelnen Falle besonders
angebrachten Beistand (systema assistentiae), sondern durch die
Einheit der Idee einer fuer alle gueltigen Ursache, in welcher sie
insgesamt ihr Dasein und Beharrlichkeit, mithin auch wechselseitige
Korrespondenz untereinander, nach allgemeinen Gesetzen bekommen
muessen.
Viertens, der beruehmte Lehrbegriff desselben von Zeit und Raum, darin
er diese Formen der Sinnlichkeit intellektuierte, war lediglich aus
eben derselben Taeuschung der transzendentalen Reflexion entsprungen.
Wenn ich mir durch den blossen Verstand aeussere Verhaeltnisse der
Dinge vorstellen will, so kann dieses nur vermittelst eines Begriffs
ihrer wechselseitigen Wirkung geschehen, und soll ich einen Zustand
ebendesselben Dinges mit einem anderen Zustande verknuepfen, so
kann dieses nur in der Ordnung der Gruende und Folgen geschehen. So
dachte sich also Leibniz den Raum als eine gewisse Ordnung in der
Gemeinschaft der Substanzen, und die Zeit als die dynamische Folge
ihrer Zustaende. Das Eigentuemliche aber, und von Dingen Unabhaengige,
was beide an sich zu haben scheinen, schrieb er der Verworrenheit
dieser Begriffe zu, welche machte, dass dasjenige, was eine blosse
Form dynamischer Verhaeltnisse ist, fuer eine eigene fuer sich
bestehende, und vor den Dingen selbst vorhergehende Anschauung
gehalten wird. Also waren Raum und Zeit die intelligible Form der
Verknuepfung der Dinge (Substanzen und ihrer Zustaende) an sich
selbst. Die Dinge aber waren intelligible Substanzen (substantiae
noumena). Gleichwohl wollte er diese Begriffe fuer Erscheinungen
geltend machen, weil er der Sinnlichkeit keine eigene Art der
Anschauung zugestand, sondern alle, selbst die empirische Vorstellung
der Gegenstaende, im Verstande suchte, und den Sinnen nichts als das
veraechtliche Geschaeft liess, die Vorstellungen des ersteren zu
verwirren und zu verunstalten.
Wenn wir aber auch von Dingen an sich selbst etwas durch den reinen
Verstand synthetisch sagen koennten, (welches gleichwohl unmoeglich
ist,) so wuerde dieses doch gar nicht auf Erscheinungen, welche nicht
Dinge an sich selbst vorstellen, gezogen werden koennen. Ich werde
also in diesem letzteren Falle in der transzendentalen Ueberlegung
meine Begriffe jederzeit nur unter den Bedingungen der Sinnlichkeit
vergleichen muessen, und so werden Raum und Zeit nicht Bestimmungen
der Dinge an sich, sondern der Erscheinungen sein; was die Dinge
an sich sein moegen, weiss ich nicht, und brauche es auch nicht zu
wissen, weil mir doch niemals ein Ding anders, als in der Erscheinung
vorkommen kann.
So verfahre ich auch mit den uebrigen Reflexionsbegriffen. Die Materie
ist substantia phaenomenon. Was ihr innerlich zukomme, suche ich in
allen Teilen des Raumes, den sie einnimmt, und in allen Wirkungen,
die sie ausuebt, und die freilich nur immer Erscheinungen aeusserer
Sinne sein koennen. Ich habe also zwar nichts Schlechthin-, sondern
lauter Komparativ-Innerliches, das selber wiederum aus aeusseren
Verhaeltnissen besteht. Allein, das schlechthin, dem reinen Verstande
nach, Innerliche der Materie ist auch eine blosse Grille; denn
diese ist ueberall kein Gegenstand fuer den reinen Verstand, das
transzendentale Objekt aber, welches der Grund dieser Erscheinung sein
mag, die wir Materie nennen, ist ein blosses Etwas, wovon wir nicht
einmal verstehen wuerden, was es sei, wenn es uns auch jemand sagen
koennte. Denn wir koennen nichts verstehen, als was ein unseren Worten
Korrespondierendes in der Anschauung mit sich fuehrt. Wenn die Klagen:
Wir sehen das Innere der Dinge gar nicht ein, so viel bedeuten sollen,
als, wir begreifen nicht durch den reinen Verstand, was die Dinge, die
uns erscheinen, an sich sein moegen; so sind sie ganz unbillig und
unvernuenftig; denn sie wollen, dass man ohne Sinne doch Dinge
erkennen, mithin anschauen koenne, folglich dass wir ein von dem
menschlichen nicht bloss dem Grade, sondern sogar der Anschauung und
Art nach, gaenzlich unterschiedenes Erkenntnisvermoegen haben, also
nicht Menschen, sondern Wesen sein sollen, von denen wir selbst
nicht angeben koennen, ob sie einmal moeglich, viel weniger, wie
sie beschaffen sind. Ins Innere der Natur dringt Beobachtung und
Zergliederung der Erscheinungen, und man kann nicht wissen, wie weit
dieses mit der Zeit gehen werde. Jene transzendentalen Fragen aber,
die ueber die Natur hinausgehen, wuerden wir bei allem dem doch
niemals beantworten koennen, wenn uns auch die ganze Natur aufgedeckt
waere, und es uns nicht einmal gegeben ist, unser eigenes Gemuet
mit einer anderen Anschauung, als der unseres inneren Sinnes, zu
beobachten. Denn in demselben liegt das Geheimnis des Ursprungs
unserer Sinnlichkeit. Ihre Beziehung auf ein Objekt, und was der
transzendentale Grund dieser Einheit sei, liegt ohne Zweifel zu tief
verborgen, als dass wir, die wir sogar uns selbst nur durch inneren
Sinn, mithin als Erscheinung, kennen, ein so unschickliches Werkzeug
unserer Nachforschung dazu brauchen koennten, etwas anderes, als immer
wiederum Erscheinungen, aufzufinden, deren nichtsinnliche Ursache wir
doch gern erforschen wollten.
Was diese Kritik der Schluesse, aus den blossen Handlungen der
Reflexion, ueberaus nuetzlich macht, ist: dass sie die Nichtigkeit
aller Schluesse ueber Gegenstaende, die man lediglich im Verstande
miteinander vergleicht, deutlich dartut, und dasjenige zugleich
bestaetigt, was wir hauptsaechlich eingeschaerft haben: dass, obgleich
Erscheinungen nicht als Dinge an sich selbst unter den Objekten des
reinen Verstandes mit begriffen sind, sie doch die einzigen sind, an
denen unsere Erkenntnis objektive Realitaet haben kann, naemlich, wo
den Begriffen Anschauung entspricht.
Wenn wir bloss logisch reflektieren, so vergleichen wir lediglich
unsere Begriffe untereinander im Verstande, ob beide eben dasselbe
enthalten, ob sie sich widersprechen oder nicht, ob etwas in dem
Begriffe innerlich enthalten sei, oder zu ihm hinzukomme, und welcher
von beiden gegeben, welcher aber nur als eine Art, den gegebenen
zu denken, gelten soll. Wende ich aber diese Begriffe auf einen
Gegenstand ueberhaupt (im transz. Verstande) an, ohne diesen weiter zu
bestimmen, ob er ein Gegenstand der sinnlichen oder intellektuellen
Anschauung sei, so zeigen sich sofort Einschraenkungen (nicht aus
diesem Begriffe hinauszugehen), welche allen empirischen Gebrauch
derselben verkehren, und eben dadurch beweisen, dass die Vorstellung
eines Gegenstandes, als Dinges ueberhaupt, nicht etwa bloss
unzureichend, sondern ohne sinnliche Bestimmung derselben, und,
unabhaengig von empirischer Bedingung, in sich selbst widerstreitend
sei, dass man also entweder von allem Gegenstande abstrahieren (in
der Logik), oder, wenn man einen annimmt, ihn unter Bedingungen der
sinnlichen Anschauung denken muesse, mithin das Intelligible eine ganz
sondere Anschauung, die wir nicht haben, erfordern wuerde, und in
Ermanglung derselben fuer uns nichts sei, dagegen aber auch die
Erscheinungen nicht Gegenstaende an sich selbst sein koennen. Denn,
wenn ich mir bloss Dinge ueberhaupt denke, so kann freilich die
Verschiedenheit der aeusseren Verhaeltnisse nicht eine Verschiedenheit
der Sachen selbst ausmachen, sondern setzt diese vielmehr voraus,
und, wenn der Begriff von dem Einen innerlich von dem des Andern gar
nicht unterschieden ist, so setze ich nur ein und dasselbe Ding in
verschiedene Verhaeltnisse. Ferner, durch Hinzukunft einer blossen
Bejahung (Realitaet) zur anderen, wird ja das Positive vermehrt, und
ihm nichts entzogen, oder aufgehoben; daher kann das Reale in Dingen
ueberhaupt einander nicht widerstreiten, usw.
                          *           *
                                *
Die Begriffe der Reflexion haben, wie wir gezeigt haben, durch eine
gewisse Missdeutung einen solchen Einfluss auf den Verstandesgebrauch,
dass sie sogar einen der scharfsichtigsten unter allen Philosophen
zu einem vermeinten System intellektueller Erkenntnis, welches seine
Gegenstaende ohne Dazukunft der Sinne zu bestimmen unternimmt, zu
verleiten imstande gewesen. Eben um deswillen ist die Entwicklung der
taeuschenden Ursache der Amphibolie dieser Begriffe, in Veranlassung
falscher Grundsaetze, von grossem Nutzen, die Grenzen des Verstandes
zuverlaessig zu bestimmen und zu sichern.
Man muss zwar sagen: was einem Begriff allgemein zukommt, oder
widerspricht, das kommt auch zu, oder widerspricht, allem Besonderen,
was unter jenem Begriff enthalten ist; (dictum de Omni et Nullo;) es
waere aber ungereimt, diesen logischen Grundsatz dahin zu veraendern,
dass er so lautete: was in einem allgemeinen Begriffe nicht enthalten
ist, das ist auch in den besonderen nicht enthalten, die unter
demselben stehen; denn diese sind eben darum besondere Begriffe, weil
sie mehr in sich enthalten, als im allgemeinen gedacht wird. Nun ist
doch wirklich auf diesen letzteren Grundsatz das ganze intellektuelle
System Leibnizens erbaut; es faellt also zugleich mit demselben, samt
aller aus ihm entspringenden Zweideutigkeit im Verstandesgebrauche.
Der Satz des Nichtzuunterscheidenden gruendete sich eigentlich auf der
Voraussetzung: dass, wenn in dem Begriffe von einem Dinge ueberhaupt
eine gewisse Unterscheidung nicht angetroffen wird, so sei sie auch
nicht in den Dingen selbst anzutreffen; folglich seien alle Dinge
voellig einerlei (numero eadem), die sich nicht schon in ihrem
Begriffe (der Qualitaet oder Quantitaet nach) voneinander
unterscheiden. Weil aber bei dem blossen Begriffe von irgendeinem
Dinge von manchen notwendigen Bedingungen einer Anschauung abstrahiert
worden, so wird, durch eine sonderbare Uebereilung, das, wovon
abstrahiert wird, dafuer genommen, dass es ueberall nicht anzutreffen
sei, und dem Dinge nichts eingeraeumt, als was in seinem Begriffe
enthalten ist.
Der Begriff von einem Kubikfusse Raum, ich mag mir diesen denken,
wo und wie oft ich wolle, ist an sich voellig einerlei. Allein
zwei Kubikfuesse sind im Raume dennoch bloss durch ihre Oerter
unterschieden (numero diversa); diese sind Bedingungen der Anschauung,
worin das Objekt dieses Begriffs gegeben wird, die nicht zum Begriffe,
aber doch zur ganzen Sinnlichkeit gehoeren. Gleichergestalt ist
in dem Begriffe von einem Dinge gar kein Widerstreit, wenn nichts
Verneinendes mit einem Bejahenden verbunden worden, und bloss
bejahende Begriffe koennen, in Verbindung, gar keine Aufhebung
bewirken. Allein in der sinnlichen Anschauung, darin Realitaet (z.B.
Bewegung) gegeben wird, finden sich Bedingungen (entgegengesetzte
Richtungen), von denen im Begriffe der Bewegung ueberhaupt abstrahiert
war, die einen Widerstreit, der freilich nicht logisch ist, naemlich
aus lauter Positivem ein Zero = 0 moeglich machen, und man konnte
nicht sagen: dass darum alle Realitaet untereinander Einstimmung sei,
weil unter ihren Begriffen kein Widerstreit angetroffen wird*. Nach
blossen Begriffen ist das Innere das Substratum aller Verhaeltnis
oder aeusseren Bestimmungen. Wenn ich also von allen Bedingungen der
Anschauung abstrahiere, und mich lediglich an den Begriff von einem
Dinge ueberhaupt halte, so kann ich von allem aeusseren Verhaeltnis
abstrahieren, und es muss dennoch ein Begriff von dem uebrigbleiben,
das gar kein Verhaeltnis, sondern bloss innere Bestimmungen bedeutet.
Da scheint es nun, es folge daraus: in jedem Dinge (Substanz) sei
etwas, was schlechthin innerlich ist, und allen aeusseren Bestimmungen
vorgeht, indem es sie allererst moeglich macht, mithin sei dieses
Substratum so etwas, das keine aeusseren Verhaeltnisse mehr in sich
enthaelt, folglich einfach: (denn die koerperlichen Dinge sind doch
immer nur Verhaeltnisse, wenigstens der Teile aussereinander;) und
weil wir keine schlechthin inneren Bestimmungen kennen, als die durch
unseren inneren Sinn, so sei dieses Substratum nicht allein einfach,
sondern auch (nach der Analogie mit unserem inneren Sinn) durch
Vorstellungen bestimmt, d.i. alle Dinge waeren eigentlich Monaden,
oder mit Vorstellungen begabte einfache Wesen. Dieses wuerde auch
alles seine Richtigkeit haben, gehoerte nicht etwa mehr, als der
Begriff von einem Dinge ueberhaupt, zu den Bedingungen, unter denen
allein uns Gegenstaende der aeusseren Anschauung gegeben werden
koennen, und von denen der reine Begriff abstrahiert. Denn da zeigt
sich, dass eine beharrliche Erscheinung im Raume (undurchdringliche
Ausdehnung) lauter Verhaeltnisse, und gar nichts schlechthin
Innerliches enthalten, und dennoch das erste Substratum aller
aeusseren Wahrnehmung sein koenne. Durch blosse Begriffe kann ich
freilich ohne etwas Innerem nichts Aeusseres denken, eben darum, weil
Verhaeltnisbegriffe doch schlechthin gegebene Dinge voraussetzen,
und ohne diese nicht moeglich sind. Aber, da in der Anschauung etwas
enthalten ist, was im blossen Begriffe von einem Dinge ueberhaupt gar
nicht liegt, und dieses das Substratum, welches durch blosse Begriffe
gar nicht erkannt werden wuerde, an die Hand gibt, naemlich, ein Raum,
der, mit allem, was er enthaelt, aus lauter formalen, oder auch realen
Verhaeltnissen besteht, so kann ich nicht sagen: weil, ohne ein
Schlechthininneres, kein Ding durch blosse Begriffe vorgestellt werden
kann, so sei auch in den Dingen selbst, die unter diesen Begriffen
enthalten sind, und ihrer Anschauung nichts Aeusseres, dem nicht etwas
Schlechthininnerliches zum Grunde laege. Denn, wenn wir von allen
Bedingungen der Anschauung abstrahiert haben, so bleibt uns freilich
im blossen Begriffe nichts uebrig, als das Innere ueberhaupt, und
das Verhaeltnis desselben untereinander, wodurch allein das Aeussere
moeglich ist. Diese Notwendigkeit aber, die sich allein auf
Abstraktion gruendet, findet nicht bei den Dingen statt, sofern sie
in der Anschauung mit solchen Bestimmungen gegeben werden, die blosse
Verhaeltnisse ausdruecken, ohne etwas Inneres zum Grunde zu haben,
darum, weil sie nicht Dinge an sich selbst, sondern lediglich
Erscheinungen sind. Was wir auch nur an der Materie kennen, sind
lauter Verhaeltnisse, (das, was wir innere Bestimmungen derselben
nennen, ist nur komparativ innerlich;) aber es sind darunter
selbstaendige und beharrliche, dadurch uns ein bestimmter Gegenstand
gegeben wird. Dass ich, wenn ich von diesen Verhaeltnissen
abstrahiere, gar nichts weiter zu denken habe, hebt den Begriff von
einem Dinge, als Erscheinung, nicht auf, auch nicht den Begriff von
einem Gegenstande in abstracto, wohl aber alle Moeglichkeit eines
solchen, der nach blossen Begriffen bestimmbar ist, d.i. eines
Noumenon. Freilich macht es stutzig, zu hoeren, dass ein Ding ganz und
gar aus Verhaeltnissen bestehen solle, aber ein solches Ding ist auch
blosse Erscheinung, und kann gar nicht durch reine Kategorien gedacht
werden; es besteht selbst in dem blossen Verhaeltnisse von Etwas
ueberhaupt zu den Sinnen. Ebenso kann man die Verhaeltnisse der Dinge
in abstracto, wenn man es mit blossen Begriffen anfaengt, wohl nicht
anders denken, als dass eines die Ursache von Bestimmungen in dem
anderen sei; denn das ist unser Verstandesbegriff von Verhaeltnissen
selbst. Allein, da wir alsdann von aller Anschauung abstrahieren,
so faellt eine ganze Art, wie das Mannigfaltige einander seinen Ort
bestimmen kann, naemlich die Form der Sinnlichkeit (der Raum), weg,
der doch vor aller empirischen Kausalitaet vorhergeht.
* Wollte man sich hier der gewoehnlichen Ausflucht bedienen: dass
  wenigstens realitates Noumena einander nicht entgegenwirken
  koennen, so muesste man doch ein Beispiel von dergleichen reiner
  und sinnenfreier Realitaet anfuehren, damit man verstaende, ob eine
  solche ueberhaupt etwas oder gar nichts vorstelle. Aber es kann kein
  Beispiel woher anders, als aus der Erfahrung genommen werden, die
  niemals mehr als Phaenomena darbietet, und so bedeutet dieser Satz
  nichts weiter, als dass der Begriff, der lauter Bejahungen enthaelt,
  nichts Verneinendes enthalte; ein Satz, an dem wir niemals
  gezweifelt haben.
Wenn wir unter bloss intelligiblen Gegenstaenden diejenigen Dinge
verstehen, die durch reine Kategorien, ohne alles Schema der
Sinnlichkeit, gedacht werden, so sind dergleichen unmoeglich. Denn die
Bedingung des objektiven Gebrauchs aller unserer Verstandesbegriffe
ist bloss die Art unserer sinnlichen Anschauung, wodurch uns
Gegenstaende gegeben werden, und, wenn wir von der letzteren
abstrahieren, so haben die ersteren gar keine Beziehung auf irgendein
Objekt. Ja, wenn man auch eine andere Art der Anschauung, als diese
unsere sinnliche ist, annehmen wollte, so wuerden doch unsere
Funktionen zu denken in Ansehung derselben von gar keiner Bedeutung
sein. Verstehen wir darunter nur Gegenstaende einer nichtsinnlichen
Anschauung, von denen unsere Kategorien zwar freilich nicht gelten,
und von denen wir also gar keine Erkenntnis (weder Anschauung, noch
Begriff) jemals haben koennen, so muessen Noumena in dieser bloss
negativen Bedeutung allerdings zugelassen werden: da sie denn nichts
anderes sagen, als: dass unsere Art der Anschauung nicht auf alle
Dinge, sondern bloss auf Gegenstaende unserer Sinne geht, folglich
ihre objektive Gueltigkeit begrenzt ist, und mithin fuer irgendeine
andere Art Anschauung, und also auch fuer Dinge als Objekte derselben,
Platz uebrigbleibt. Aber alsdann ist der Begriff eines Noumenon
problematisch, d.i. die Vorstellung eines Dinges, von dem wir weder
sagen koennen, dass es moeglich, noch dass es unmoeglich sei, indem
wir gar keine Art der Anschauung, als unsere sinnliche kennen, und
keine Art der Begriffe, als die Kategorien, keine von beiden aber
einem aussersinnlichen Gegenstande angemessen ist. Wir koennen daher
das Feld der Gegenstaende unseres Denkens ueber die Bedingungen
unserer Sinnlichkeit darum noch nicht positiv erweitern, und ausser
den Erscheinungen noch Gegenstaende des reinen Denkens, d.i. Noumena,
annehmen, weil jene keine anzugebende positive Bedeutung haben. Denn
man muss von den Kategorien eingestehen: dass sie allein noch nicht
zur Erkenntnis der Dinge an sich selbst zureichen, und ohne die data
der Sinnlichkeit bloss subjektive Formen der Verstandeseinheit, aber
ohne Gegenstand, sein wuerden. Das Denken ist zwar an sich kein
Produkt der Sinne, und sofern durch sie auch nicht eingeschraenkt,
aber darum nicht sofort von eigenem und reinem Gebrauche, ohne
Beitritt der Sinnlichkeit, weil es alsdann ohne Objekt ist. Man
kann auch das Noumenon nicht ein solches Objekt nennen; denn dieses
bedeutet eben den problematischen Begriff von einem Gegenstande cor
eine ganz andere Anschauung und einen ganz anderen Verstand, als der
unsrige, der mithin selbst ein Problem ist. Der Begriff des Noumenon
ist also nicht der Begriff von einem Objekt, sondern die unvermeidlich
mit der Einschraenkung unserer Sinnlichkeit zusammenhaengende Aufgabe,
ob es nicht von jener ihrer Anschauung ganz entbundene Gegenstaende
geben moege, welche Frage nur unbestimmt beantwortet werden kann,
naemlich: dass, weil die sinnliche Anschauung nicht auf alle Dinge
ohne Unterschied geht, fuer mehr und andere Gegenstaende Platz
uebrigbleibe, sie also nicht schlechthin abgeleugnet, in Ermanglung
eines bestimmten Begriffs aber (da keine Kategorie dazu tauglich ist)
auch nicht als Gegenstaende fuer unseren Verstand behauptet werden
koennen.
Der Verstand begrenzt demnach die Sinnlichkeit, ohne darum sein
eigenes Feld zu erweitern, und, indem er jene warnt, dass sie sich
nicht anmasse, auf Dinge an sich selbst zu gehen, sondern lediglich
auf Erscheinungen, so denkt er sich einen Gegenstand an sich selbst,
aber nur als transzendentales Objekt, das die Ursache der Erscheinung
(mithin selbst nicht Erscheinung) ist, und weder als Groesse, noch
als Realitaet, noch als Substanz usw. gedacht werden kann (weil
diese Begriffe immer sinnliche Formen erfordern, in denen sie einen
Gegenstand bestimmen;) wovon also voellig unbekannt ist, ob es in
uns, oder auch ausser uns anzutreffen sei, ob es mit der Sinnlichkeit
zugleich aufgehoben werden, oder wenn wir jene wegnehmen, noch
uebrigbleiben wuerde. Wollen wir dieses Objekt Noumenon nennen, darum,
weil die Vorstellung von ihm nicht sinnlich ist, so steht dieses
uns frei. Da wir aber keine von unseren Verstandesbegriffen darauf
anwenden koennen, so bleibt diese Vorstellung doch fuer uns leer, und
dient zu nichts, als die Grenzen unserer sinnlichen Erkenntnis zu
bezeichnen, und einen Raum uebrig zu lassen, den wir weder durch
moegliche Erfahrung, noch durch den reinen Verstand ausfuellen
koennen.
Die Kritik dieses reinen Verstandes erlaubt es also nicht, sich ein
neues Feld von Gegenstaenden, ausser denen, die ihm als Erscheinungen
vorkommen koennen, zu schaffen, und in intelligible Welten, sogar
nicht einmal in ihren Begriff, auszuschweifen. Der Fehler, welcher
hierzu auf die allerscheinbarste Art verleitet, und allerdings
entschuldigt, obgleich nicht gerechtfertigt werden kann, liegt
darin: dass der Gebrauch des Verstandes, wider seine Bestimmung,
transzendental gemacht, und die Gegenstaende, d.i. moegliche
Anschauungen, sich nach Begriffen, nicht aber Begriffe sich nach
moeglichen Anschauungen (als auf denen allein ihre objektive
Gueltigkeit beruht) richten muessen. Die Ursache hiervon aber ist
wiederum: dass die Apperzeption, und, mit ihr, das Denken vor aller
moeglichen bestimmten Anordnung der Vorstellungen vorhergeht. Wir
denken also Etwas ueberhaupt, und bestimmen es einerseits sinnlich,
allein unterscheiden doch den allgemeinen und in abstracto
vorgestellten Gegenstand von dieser Art ihn anzuschauen; da bleibt uns
nun eine Art, ihn bloss durch Denken zu bestimmen, uebrig, welche zwar
eine blosse logische Form ohne Inhalt ist, uns aber dennoch eine Art
zu sein scheint, wie das Objekt an sich existiere (Noumenon), ohne auf
die Anschauung zu sehen, welche auf unsere Sinne eingeschraenkt ist.
                          *           *
                                *
Ehe wir die transzendentale Analytik verlassen, muessen wir noch
etwas hinzufuegen, was, obgleich an sich von nicht sonderlicher
Erheblichkeit, dennoch zur Vollstaendigkeit des Systems erforderlich
scheinen duerfte. Der hoechste Begriff, von dem man eine
Transzendentalphilosophie anzufangen pflegt, ist gemeiniglich die
Einteilung in das Moegliche und Unmoegliche. Da aber alle Einteilung
einen eingeteilten Begriff voraussetzt, so muss noch ein hoeherer
angegeben werden, und dieser ist der Begriff von einem Gegenstande
ueberhaupt (problematisch genommen, und unausgemacht, ob er Etwas oder
Nichts sei). Weil die Kategorien die einzigen Begriffe sind, die sich
auf Gegenstaende ueberhaupt beziehen, so wird die Unterscheidung eines
Gegenstandes, ob er Etwas, oder Nichts sei, nach der Ordnung und
Anweisung der Kategorien fortgehen.
1. Den Begriffen von Allem, Vielem und Einem ist der, so alles
aufhebt, d.i. Keines, entgegengesetzt und so ist der Gegenstand eines
Begriffs, dem gar keine anzugebende Anschauung korrespondiert, =
Nichts, d.i. ein Begriff ohne Gegenstand, wie die Noumena, die nicht
unter die Moeglichkeiten gezaehlt werden koennen, obgleich auch darum
nicht fuer unmoeglich ausgegeben werden muessen, (ens rationis,) oder
wie etwa gewisse neue Grundkraefte, die man sich denkt, zwar ohne
Widerspruch, aber auch ohne Beispiel aus der Erfahrung gedacht worden,
und also nicht unter die Moeglichkeiten gezaehlt werden muessen.
2. Realitaet ist Etwas, Negation ist Nichts, naemlich, ein Begriff von
dem Mangel eines Gegenstandes, wie der Schatten, die Kaelte, (nihil
privativum).
3. Die blosse Form der Anschauung, ohne Substanz, ist an sich kein
Gegenstand, sondern die bloss formale Bedingung desselben (als
Erscheinung), wie der reine Raum, und die reine Zeit (ens
imaginarium), die zwar Etwas sind, als Formen anzuschauen, aber selbst
keine Gegenstaende sind, die angeschaut werden.
4. Der Gegenstand eines Begriffs, der sich selbst widerspricht, ist
Nichts, weil der Begriff Nichts ist, das Unmoegliche, wie etwa die
geradlinige Figur von zwei Seiten, (nihil negativum).
Die Tafel dieser Einteilung des Begriffs von Nichts (denn die dieser
gleichlaufende Einteilung des Etwas folgt von selber,) wuerde daher so
angelegt werden muessen:
                            Nichts,
                            als
                1. Leerer Begriff ohne Gegenstand,
                   ens rationis.
    2. Leerer Gegenstand        3. Leere Anschauung
       eines Begriffs,             ohne Gegenstand,
       nihil privativum.           ens imaginarium.
                4. Leerer Gegenstand ohne Begriff,
                   nihil negativum.
Man sieht, dass das Gedankending (n. 1.) von dem Undinge (n. 4.)
dadurch unterschieden werde, dass jenes nicht unter die Moeglichkeiten
gezaehlt werden darf, weil es bloss Erdichtung (obzwar nicht
widersprechende) ist, dieses aber der Moeglichkeit entgegengesetzt
ist, indem der Begriff sogar sich selbst aufhebt. Beide sind aber
leere Begriffe. Dagegen sind das nihil privativum (n. 2.) und ens
imaginarium (n. 3.) leere Data zu Begriffen. Wenn das Licht nicht
den Sinnen gegeben worden, so kann man sich auch keine Finsternis,
und, wenn nicht ausgedehnte Wesen wahrgenommen worden, keinen Raum
vorstellen. Die Negation sowohl, als die blosse Form der Anschauung,
sind, ohne ein Reales, keine Objekte.
Der transzendentalen Logik
Zweite Abteilung
Die transzendentale Dialektik
Einleitung
I. Vom transzendentalen Schein
Wir haben oben die Dialektik ueberhaupt eine Logik des
Scheins genannt. Das bedeutet nicht, sie sei eine Lehre der
Wahrscheinlichkeit; denn diese ist Wahrheit, aber durch unzureichende
Gruende erkannt, deren Erkenntnis also zwar mangelhaft, aber darum
doch nicht trueglich ist, und mithin von dem analytischen Teile der
Logik nicht getrennt werden muss. Noch weniger duerfen Erscheinung und
Schein fuer einerlei gehalten werden. Denn Wahrheit oder Schein sind
nicht im Gegenstande, sofern er angeschaut wird, sondern im Urteile
ueber denselben, sofern er gedacht wird. Man kann also zwar richtig
sagen: dass die Sinne nicht irren, aber nicht darum, weil sie
jederzeit richtig urteilen, sondern weil sie gar nicht urteilen.
Daher sind Wahrheit sowohl als Irrtum, mithin auch der Schein,
als die Verleitung zum letzteren, nur im Urteile, d.i. nur in dem
Verhaeltnisse des Gegenstandes zu unserem Verstande anzutreffen.
In einem Erkenntnis, das mit den Verstandesgesetzen durchgaengig
zusammenstimmt, ist kein Irrtum. In einer Vorstellung der Sinne ist
(weil sie gar kein Urteil enthaelt) auch kein Irrtum. Keine Kraft der
Natur kann aber von selbst von ihren eigenen Gesetzen abweichen. Daher
wuerden weder der Verstand fuer sich allein (ohne Einfluss einer
anderen Ursache), noch die Sinne fuer sich, irren; der erstere darum
nicht, weil, wenn er bloss nach seinen Gesetzen handelt, die Wirkung
(das Urteil) mit diesen Gesetzen notwendig uebereinstimmen muss. In
der Uebereinstimmung mit den Gesetzen des Verstandes besteht aber
das Formale aller Wahrheit. In den Sinnen ist gar kein Urteil,
weder ein wahres, noch falsches. Weil wir nun ausser diesen beiden
Erkenntnisquellen keine anderen haben, so folgt: dass der Irrtum nur
durch den unbemerkten Einfluss der Sinnlichkeit auf den Verstand
bewirkt werde, wodurch es geschieht, dass die subjektive Gruende des
Urteils mit den objektiven zusammenfliessen, und diese von ihrer
Bestimmung abweichend machen*, so wie ein bewegter Koerper zwar fuer
sich jederzeit die gerade Linie in derselben Richtung halten wuerde,
die aber, wenn eine andere Kraft nach einer anderen Richtung zugleich
auf ihn einfliesst, in krummlinige Bewegung ausschlaegt. Um die
eigentuemliche Handlung des Verstandes von der Kraft, die sich mit
einmengt, zu unterscheiden, wird es daher noetig sein, das irrige
Urteil als die Diagonale zwischen zwei Kraeften anzusehen, die das
Urteil nach zwei verschiedenen Richtungen bestimmen, die gleichsam
einen Winkel einschliessen, und jene zusammengesetzte Wirkung in die
einfache des Verstandes und der Sinnlichkeit aufzuloesen, welches in
reinen Urteilen a priori durch transzendentale Ueberlegung geschehen
muss, wodurch (wie schon angezeigt worden) jeder Vorstellung ihre
Stelle in der ihr angemessenen Erkenntniskraft angewiesen, mithin auch
der Einfluss der letzteren auf jene unterschieden wird.
* Die Sinnlichkeit, dem Verstande untergelegt, als das Objekt, worauf
  dieser seine Funktion anwendet, ist der Quell realer Erkenntnisse.
  Eben dieselbe aber, sofern sie auf die Verstandeshandlung selbst
  einfliesst, und ihn zum Urteilen bestimmt, ist der Grund des
  Irrtums.
Unser Geschaeft ist hier nicht, vom empirischen Scheine (z.B. dem
optischen) zu handeln, der sich bei dem empirischen Gebrauche
sonst richtiger Verstandesregeln vorfindet, und durch welchen die
Urteilskraft, durch den Einfluss der Einbildung verleitet wird,
sondern wir haben es mit dem transzendentalen Scheine allein zu tun,
der auf Grundsaetze einfliesst, deren Gebrauch nicht einmal auf
Erfahrung angelegt ist, als in welchem Falle wir doch wenigstens einen
Probierstein ihrer Richtigkeit haben wuerden, sondern der uns selbst,
wider alle Warnungen der Kritik, gaenzlich ueber den empirischen
Gebrauch der Kategorien wegfuehrt und uns mit dem Blendwerke
einer Erweiterung des reinen Verstandes hinhaelt. Wir wollen die
Grundsaetze, deren Anwendung sich ganz und gar in den Schranken
moeglicher Erfahrung haelt, immanente, diejenigen aber, welche diese
Grenzen ueberfliegen sollen, transzendente Grundsaetze nennen. Ich
verstehe aber unter diesen nicht den transzendentalen Gebrauch oder
Missbrauch der Kategorien, welcher ein blosser Fehler der nicht
gehoerig durch Kritik gezuegelten Urteilskraft ist, die auf die Grenze
des Bodens, worauf allein dem reinen Verstande sein Spiel erlaubt ist,
nicht genug achthat; sondern wirkliche Grundsaetze, die uns zumuten,
alle jene Grenzpfaehle niederzureissen und sich einen ganz neuen
Boden, der ueberall keine Demarkation erkennt, anzumassen. Daher
sind transzendental und transzendent nicht einerlei. Die Grundsaetze
des reinen Verstandes, die wir oben vortrugen, sollen bloss
von empirischem und nicht von transzendentalem, d.i. ueber die
Erfahrungsgrenze hinausreichendem Gebrauche sein. Ein Grundsatz aber,
der diese Schranken wegnimmt, ja gar gebietet, sie zu ueberschreiten,
heisst transzendent. Kann unsere Kritik dahin gelangen, den Schein
dieser angemassten Grundsaetze aufzudecken, so werden jene Grundsaetze
des bloss empirischen Gebrauchs, im Gegensatz mit den letzteren,
immanente Grundsaetze des reinen Verstandes genannt werden koennen.
Der logische Schein, der in der blossen Nachahmung der Vernunftform
besteht, (der Schein der Trugschluesse,) entspringt lediglich aus
einem Mangel der Achtsamkeit auf die logische Regel. Sobald daher
diese auf den vorliegenden Fall geschaerft wird, so verschwindet er
gaenzlich. Der transzendentale Schein dagegen hoert gleichwohl nicht
auf, ob man ihn schon aufgedeckt und seine Nichtigkeit durch die
transzendentale Kritik deutlich eingesehen hat. (Z.B. der Schein
in dem Satze: die Welt muss der Zeit nach einen Anfang haben.) Die
Ursache hiervon ist diese, dass in unserer Vernunft (subjektiv als ein
menschliches Erkenntnisvermoegen betrachtet) Grundregeln und Maximen
ihres Gebrauchs liegen, welche gaenzlich das Ansehen objektiver
Grundsaetze haben, und wodurch es geschieht, dass die subjektive
Notwendigkeit einer gewissen Verknuepfung unserer Begriffe, zugunsten
des Verstandes, fuer eine objektive Notwendigkeit, der Bestimmung der
Dinge an sich selbst, gehalten wird. Eine Illusion, die gar nicht zu
vermeiden ist, so wenig als wir es vermeiden koennen, dass uns das
Meer in der Mitte nicht hoeher scheine, wie an dem Ufer, weil wir jene
durch hoehere Lichtstrahlen als diese sehen, oder, noch mehr, so wenig
selbst der Astronom verhindern kann, dass ihm der Mond im Aufgange
nicht groesser scheine, ob er gleich durch diesen Schein nicht
betrogen wird.
Die transzendentale Dialektik wird also sich damit begnuegen, den
Schein transzendenter Urteile aufzudecken, und zugleich zu verhueten,
dass er nicht betruege; dass er aber auch (wie der logische Schein)
sogar verschwinde, und ein Schein zu sein aufhoere, das kann sie
niemals bewerkstelligen. Denn wir haben es mit einer natuerlichen
und unvermeidlichen Illusion zu tun, die selbst auf subjektiven
Grundsaetzen beruht, und sie als objektive unterschiebt, anstatt
dass die logische Dialektik in Aufloesung der Trugschluesse es nur
mit einem Fehler, in Befolgung der Grundsaetze, oder mit einem
gekuenstelten Scheine, in Nachahmung derselben, zu tun hat. Es
gibt also eine natuerliche und unvermeidliche Dialektik der reinen
Vernunft, nicht eine, in die sich etwa ein Stuemper, durch Mangel
an Kenntnissen, selbst verwickelt, oder die irgendein Sophist, um
vernuenftige Leute zu verwirren, kuenstlich ersonnen hat, sondern die
der menschlichen Vernunft unhintertreiblich anhaengt, und selbst,
nachdem wir ihr Blendwerk aufgedeckt haben, dennoch nicht aufhoeren
wird, ihr vorzugaukeln und sie unablaessig in augenblickliche
Verirrungen zu stossen, die jederzeit gehoben zu werden beduerfen.
II. Von der reinen Vernunft als dem Sitze des transzendentalen Scheins
A. Von der Vernunft ueberhaupt
Alle unsere Erkenntnis hebt von den Sinnen an, geht von da zum
Verstande, und endigt bei der Vernunft, ueber welche nichts Hoeheres
in uns angetroffen wird, den Stoff der Anschauung zu bearbeiten und
unter die hoechste Einheit des Denkens zu bringen. Da ich jetzt von
dieser obersten Erkenntniskraft eine Erklaerung geben soll, so finde
ich mich in einiger Verlegenheit. Es gibt von ihr, wie von dem
Verstande, einen bloss formalen, d.i. logischen Gebrauch, da die
Vernunft von allem Inhalte der Erkenntnis abstrahiert, aber auch einen
realen, da sie selbst den Ursprung gewisser Begriffe und Grundsaetze
enthaelt, die sie weder von den Sinnen, noch vom Verstande entlehnt.
Das erstere Vermoegen ist nun freilich vorlaengst von den Logikern
durch das Vermoegen mittelbar zu schliessen (zum Unterschiede von den
unmittelbaren Schluessen, consequentiis immediatis,) erklaert worden;
das zweite aber, welches selbst Begriffe erzeugt, wird dadurch noch
nicht eingesehen. Da nun hier eine Einteilung der Vernunft in ein
logisches und transzendentales Vermoegen vorkommt, so muss ein
hoeherer Begriff von dieser Erkenntnisquelle gesucht werden, welcher
beide Begriffe unter sich befasst, indessen wir nach der Analogie mit
den Verstandesbegriffen erwarten koennen, dass der logische Begriff
zugleich den Schluessel zum transzendentalen, und die Tafel der
Funktionen der ersteren zugleich die Stammleiter der Vernunftbegriffe
an die Hand geben werde.
Wir erklaerten, im ersteren Teile unserer transzendentalen Logik,
den Verstand durch das Vermoegen der Regeln; hier unterscheiden wir
die Vernunft von demselben dadurch, dass wir sie das Vermoegen der
Prinzipien nennen wollen.
Der Ausdruck eines Prinzips ist zweideutig, und bedeutet gemeiniglich
nur ein Erkenntnis, das als Prinzip gebraucht werden kann, ob es zwar
an sich selbst und seinem eigenen Ursprunge nach kein Prinzipium
ist. Ein jeder allgemeiner Satz, er mag auch sogar aus Erfahrung
(durch Induktion) hergenommen sein, kann zum Obersatz in einem
Vernunftschlusse dienen; er ist darum aber nicht selbst ein
Prinzipium. Die mathematischen Axiome (z.B. zwischen zwei Punkten kann
nur eine gerade Linie sein,) sind sogar allgemeine Erkenntnisse a
priori, und werden daher mit Recht, relativisch auf die Faelle, die
unter ihnen subsumiert werden koennen, Prinzipien genannt. Aber ich
kann darum doch nicht sagen, dass ich diese Eigenschaft der geraden
Linien ueberhaupt und an sich, aus Prinzipien erkenne, sondern nur in
der reinen Anschauung.
Ich wuerde daher Erkenntnis aus Prinzipien diejenige nennen, da ich
das Besondere im allgemeinen durch Begriffe erkenne. So ist denn ein
jeder Vernunftschluss eine Form der Ableitung einer Erkenntnis aus
einem Prinzip. Denn der Obersatz gibt jederzeit einen Begriff, der da
macht, dass alles, was unter der Bedingung desselben subsumiert wird,
aus ihm nach einem Prinzip erkannt wird. Da nun jede allgemeine
Erkenntnis zum Obersatze in einem Vernunftschlusse dienen kann, und
der Verstand dergleichen allgemeine Saetze a priori darbietet, so
koennen diese denn auch, in Ansehung ihres moeglichen Gebrauchs,
Prinzipien genannt werden.
Betrachten wir aber diese Grundsaetze des reinen Verstandes an
sich selbst ihrem Ursprunge nach, so sind sie nichts weniger als
Erkenntnisse aus Begriffen. Denn sie wuerden auch nicht einmal a
priori moeglich sein, wenn wir nicht die reine Anschauung, (in der
Mathematik,) oder Bedingungen einer moeglichen Erfahrung ueberhaupt
herbeizoegen. Dass alles, was geschieht, eine Ursache habe, kann gar
nicht aus dem Begriffe dessen, was ueberhaupt geschieht, geschlossen
werden; vielmehr zeigt der Grundsatz, wie man allererst von dem, was
geschieht, einen bestimmten Erfahrungsbegriff bekommen koenne.
Synthetische Erkenntnisse aus Begriffen kann der Verstand also
gar nicht verschaffen, und diese sind es eigentlich, welche ich
schlechthin Prinzipien nenne; indessen, dass alle allgemeinen Saetze
ueberhaupt komparative Prinzipien heissen koennen.
Es ist ein alter Wunsch, der, wer weiss wie spaet, vielleicht einmal
in Erfuellung gehen wird: dass man doch einmal, statt der endlosen
Mannigfaltigkeit buergerlicher Gesetze, ihre Prinzipien aufsuchen
moege; denn darin kann allein das Geheimnis bestehen, die
Gesetzgebung, wie man sagt, zu simplifizieren. Aber die Gesetze sind
hier auch nur Einschraenkungen unserer Freiheit auf Bedingungen, unter
denen sie durchgaengig mit sich selbst zusammenstimmt; mithin gehen
sie auf etwas, was gaenzlich unser eigen Werk ist, und wovon wir durch
jene Begriffe selbst die Ursache sein koennen. Wie aber Gegenstaende
an sich selbst, wie die Natur der Dinge unter Prinzipien stehe und
nach blossen Begriffen bestimmt werden solle, ist, wo nicht etwas
Unmoegliches, wenigstens doch sehr Widersinnisches in seiner
Forderung. Es mag aber hiermit bewandt sein, wie es wolle, (denn
darueber haben wir die Untersuchung noch vor uns,) so erhellt
wenigstens daraus: dass Erkenntnis aus Prinzipien (an sich selbst)
ganz etwas anderes sei, als blosse Verstandeserkenntnis, die zwar auch
anderen Erkenntnissen in der Form eines Prinzips vorgehen kann, an
sich selbst aber (sofern sie synthetisch ist) nicht auf blossem Denken
beruht, noch ein Allgemeines nach Begriffen in sich enthaelt.
Der Verstand mag ein Vermoegen der Einheit der Erscheinungen
vermittelst der Regeln sein, so ist die Vernunft das Vermoegen der
Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien. Sie geht also niemals
zunaechst auf Erfahrung, oder auf irgendeinen Gegenstand, sondern auf
den Verstand, um den mannigfaltigen Erkenntnissen desselben Einheit a
priori durch Begriffe zu geben, welche Vernunfteinheit heissen mag,
und von ganz anderer Art ist, als sie von dem Verstande geleistet
werden kann.
Das ist der allgemeine Begriff von dem Vernunftvermoegen, so weit
er, bei gaenzlichem Mangel an Beispielen (als die erst in der Folge
gegeben werden sollen), hat begreiflich gemacht werden koennen.
B. Vom logischen Gebrauche der Vernunft
Man macht einen Unterschied zwischen dem, was unmittelbar erkannt, und
dem, was nur geschlossen wird. Dass in einer Figur, die durch drei
gerade Linien begrenzt ist, drei Winkel sind, wird unmittelbar
erkannt; dass diese Winkel aber zusammen zwei rechten gleich sind, ist
nur geschlossen. Weil wir des Schliessens bestaendig beduerfen und es
dadurch endlich ganz gewohnt werden, so bemerken wir zuletzt diesen
Unterschied nicht mehr, und halten oft, wie bei dem sogenannten
Betruge der Sinne, etwas fuer unmittelbar wahrgenommen, was wir doch
nur geschlossen haben. Bei jedem Schlusse ist ein Satz, der zum Grunde
liegt, ein anderer, naemlich die Folgerung, die aus jenem gezogen
wird, und endlich die Schlussfolge (Konsequenz), nach welcher die
Wahrheit des letzteren unausbleiblich mit der Wahrheit des ersteren
verknuepft ist. Liegt das geschlossene Urteil schon so in dem ersten,
dass es ohne Vermittlung einer dritten Vorstellung daraus abgeleitet
werden kann, so heisst der Schluss unmittelbar (consequentia
immediata); ich moechte ihn lieber den Verstandesschluss nennen. Ist
aber, ausser der zum Grunde gelegten Erkenntnis, noch ein anderes
Urteil noetig, um die Folge zu bewirken, so heisst der Schluss ein
Vernunftschluss. In dem Satze: alle Menschen sind sterblich, liegen
schon die Saetze: einige Menschen sind sterblich, oder einige
Sterbliche sind Menschen, oder nichts, was unsterblich ist, ist ein
Mensch, und diese sind also unmittelbare Folgerungen aus dem ersteren.
Dagegen liegt der Satz: alle Gelehrten sind sterblich, nicht in dem
untergelegten Urteile (denn der Begriff der Gelehrten kommt in ihm
gar nicht vor), und er kann nur vermittelst eines Zwischenurteils aus
diesem gefolgert werden.
In jedem Vernunftsschlusse denke ich zuerst eine Regel (major) durch
den Verstand. Zweitens subsumiere ich ein Erkenntnis unter die
Bedingung der Regel (minor) vermittelst der Urteilskraft. Endlich
bestimme ich mein Erkenntnis durch das Praedikat der Regel
(conclusio), mithin a priori durch die Vernunft. Das Verhaeltnis
also, welches der Obersatz, als die Regel, zwischen einer Erkenntnis
und ihrer Bedingung vorstellt, macht die verschiedenen Arten der
Vernunftschluesse aus. Sie sind also gerade dreifach, so wie alle
Urteile ueberhaupt, sofern sie sich in der Art unterscheiden, wie sie
das Verhaeltnis des Erkenntnisses im Verstande ausdruecken, naemlich:
kategorische oder hypothetische oder disjunktive Vernunftschluesse.
Wenn, wie mehrenteils geschieht, die Konklusion als ein Urteil
aufgegeben worden, um zu sehen, ob es nicht aus schon gegebenen
Urteilen, durch die naemlich ein ganz anderer Gegenstand gedacht wird,
fliesse: so suche ich im Verstande die Assertion dieses Schlusssatzes
auf, ob sie sich nicht in demselben unter gewissen Bedingungen nach
einer allgemeinen Regel vorfinde. Finde ich nun eine solche Bedingung
und laesst sich das Objekt des Schlusssatzes unter der gegebenen
Bedingung subsumieren, so ist dieser aus der Regel, die auch fuer
andere Gegenstaende der Erkenntnis gilt, gefolgert. Man sieht daraus:
dass die Vernunft im Schliessen die grosse Mannigfaltigkeit der
Erkenntnis des Verstandes auf die kleinste Zahl der Prinzipien
(allgemeiner Bedingungen) zu bringen und dadurch die hoechste Einheit
derselben zu bewirken suche.
C. Von dem reinen Gebrauche der Vernunft
Kann man die Vernunft isolieren, und ist sie alsdann noch ein eigener
Quell von Begriffen und Urteilen, die lediglich aus ihr entspringen,
und dadurch sie sich auf Gegenstaende bezieht, oder ist sie ein bloss
subalternes Vermoegen, gegebenen Erkenntnissen eine gewisse Form zu
geben, welche logisch heisst, und wodurch die Verstandeserkenntnisse
nur einander und niedrige Regeln anderen hoeheren (deren Bedingung die
Bedingung der ersteren in ihrer Sphaere befasst) untergeordnet werden,
so viel sich durch die Vergleichung derselben will bewerkstelligen
lassen? Dies ist die Frage, mit der wir uns jetzt nur vorlaeufig
beschaeftigen. In der Tat ist Mannigfaltigkeit der Regeln und Einheit
der Prinzipien eine Forderung der Vernunft, um den Verstand mit sich
selbst in durchgaengigen Zusammenhang zu bringen, so wie der Verstand
das Mannigfaltige der Anschauung unter Begriffe und dadurch jene in
Verknuepfung bringt. Aber ein solcher Grundsatz schreibt den Objekten
kein Gesetz vor, und enthaelt nicht den Grund der Moeglichkeit, sie
als solche ueberhaupt zu erkennen und zu bestimmen, sondern ist
bloss ein subjektives Gesetz der Haushaltung mit dem Vorrate unseres
Verstandes, durch Vergleichung seiner Begriffe, den allgemeinen
Gebrauch derselben auf die kleinstmoegliche Zahl derselben zu bringen,
ohne dass man deswegen von den Gegenstaenden selbst eine solche
Einhelligkeit, die der Gemaechlichkeit und Ausbreitung unseres
Verstandes Vorschub tue, zu fordern, und jener Maxime zugleich
objektive Gueltigkeit zu geben, berechtigt waere. Mit einem Worte,
die Frage ist: ob Vernunft an sich d.i. die reine Vernunft a priori
synthetische Grundsaetze und Regeln enthalte, und worin diese
Prinzipien bestehen moegen?
Das formale und logische Verfahren derselben in Vernunftschluessen
gibt uns hierueber schon hinreichende Anleitung, auf welchem Grunde
das transzendentale Prinzipium derselben in der synthetischen
Erkenntnis durch reine Vernunft beruhen werde.
Erstlich geht der Vernunftschluss nicht auf Anschauungen, um dieselbe
unter Regeln zu bringen (wie der Verstand mit seinen Kategorien),
sondern auf Begriffe und Urteile. Wenn also reine Vernunft auch auf
Gegenstaende geht, so hat sie doch darauf und deren Anschauung keine
unmittelbare Beziehung, sondern nur auf den Verstand und dessen
Urteile, welche sich zunaechst an die Sinne und deren Anschauung
wenden, um diesen ihren Gegenstand zu bestimmen. Vernunfteinheit ist
also nicht Einheit einer moeglichen Erfahrung, sondern von dieser,
als der Verstandeseinheit, wesentlich unterschieden. Dass alles, was
geschieht, eine Ursache habe, ist gar kein durch Vernunft erkannter
und vorgeschriebener Grundsatz. Er macht die Einheit der Erfahrung
moeglich und entlehnt nichts von der Vernunft, welche, ohne diese
Beziehung auf moegliche Erfahrung, aus blossen Begriffen keine solche
synthetische Einheit haette gebieten koennen.
Zweitens sucht die Vernunft in ihrem logischen Gebrauche die
allgemeine Bedingung ihres Urteils (des Schlusssatzes), und der
Vernunftschluss ist selbst nichts anderes als ein Urteil, vermittelst
der Subsumtion seiner Bedingung unter eine allgemeine Regel
(Obersatz). Da nun diese Regel wiederum eben demselben Versuche der
Vernunft ausgesetzt ist, und dadurch die Bedingung der Bedingung
(vermittelst eines Prosyllogismus) gesucht werden muss, so lange es
angeht, so sieht man wohl, der eigentuemliche Grundsatz der Vernunft
ueberhaupt (im logischen Gebrauche) sei: zu dem bedingten Erkenntnisse
des Verstandes das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben
vollendet wird.
Diese logische Maxime kann aber nicht anders ein Prinzipium der reinen
Vernunft werden, als dadurch, dass man annimmt: wenn das Bedingte
gegeben ist, so sei auch die ganze Reihe einander untergeordneter
Bedingungen, die mithin selbst unbedingt ist, gegeben, (d.i. in dem
Gegenstande und seiner Verknuepfung enthalten).
Ein solcher Grundsatz der reinen Vernunft ist aber offenbar
synthetisch; denn das Bedingte bezieht sich analytisch zwar auf
irgendeine Bedingung, aber nicht aufs Unbedingte. Es muessen aus
demselben auch verschiedene synthetische Saetze entspringen, wovon
der reine Verstand nichts weiss, als der nur mit Gegenstaenden einer
moeglichen Erfahrung zu tun hat, deren Erkenntnis und Synthesis
jederzeit bedingt ist. Das Unbedingte aber, wenn es wirklich statthat,
kann besonders erwogen werden, nach allen den Bestimmungen, die es
von jedem Bedingten unterscheiden, und muss dadurch Stoff zu manchen
synthetischen Saetzen a priori geben.
Die aus diesem obersten Prinzip der reinen Vernunft entspringenden
Grundsaetze werden aber in Ansehung aller Erscheinungen transzendent
sein, d.i. es wird kein ihm adaequater empirischer Gebrauch von
demselben jemals gemacht werden koennen. Er wird sich also von allen
Grundsaetzen des Verstandes (deren Gebrauch voellig immanent ist,
indem sie nur die Moeglichkeit der Erfahrung zu ihrem Thema haben,)
gaenzlich unterscheiden. Ob nun jener Grundsatz: dass sich die Reihe
der Bedingungen (in der Synthesis der Erscheinungen, oder auch des
Denkens der Dinge ueberhaupt,) bis zum Unbedingten erstrecke, seine
objektive Richtigkeit habe, oder nicht; welche Folgerungen daraus
auf den empirischen Verstandesgebrauch fliessen, oder ob es vielmehr
ueberall keinen dergleichen objektivgueltigen Vernunftsatz gebe,
sondern eine bloss logische Vorschrift, sich im Aufsteigen zu immer
hoeheren Bedingungen, der Vollstaendigkeit derselben zu naehern
und dadurch die hoechste uns moegliche Vernunfteinheit in unsere
Erkenntnis zu bringen; ob, sage ich, dieses Beduerfnis der Vernunft
durch einen Missverstand fuer einen transzendentalen Grundsatz der
reinen Vernunft gehalten worden, der eine solche unbeschraenkte
Vollstaendigkeit uebereilterweise von der Reihe der Bedingungen in den
Gegenstaenden selbst postuliert; was aber auch in diesem Falle fuer
Missdeutungen und Verblendungen in die Vernunftschluesse, deren
Obersatz aus reiner Vernunft genommen worden, (und der vielleicht mehr
Petition als Postulat ist,) und die von der Erfahrung aufwaerts zu
ihren Bedingungen steigen, einschleichen moegen: das wird unser
Geschaeft in der transzendentalen Dialektik sein, welche wir jetzt aus
ihren Quellen, die tief in der menschlichen Vernunft verborgen sind,
entwickeln wollen. Wir werden sie in zwei Hauptstuecke teilen, deren
erstere von den transzendenten Begriffen der reinen Vernunft, der
zweite von transzendenten und dialektischen Vernunftsschluessen
derselben handeln soll.
Der transzendentalen Dialektik
Erstes Buch
Von den Begriffen der reinen Vernunft
Was es auch mit der Moeglichkeit der Begriffe aus reiner Vernunft fuer
eine Bewandtnis haben mag: so sind sie doch nicht bloss reflektierte,
sondern geschlossene Begriffe. Verstandesbegriffe werden auch a priori
vor der Erfahrung und zum Behuf derselben gedacht; aber sie enthalten
nichts weiter, als die Einheit der Reflexion ueber die Erscheinungen,
insofern sie notwendig zu einem moeglichen empirischen Bewusstsein
gehoeren sollen. Durch sie allein wird Erkenntnis und Bestimmung eines
Gegenstandes moeglich. Sie geben also zuerst Stoff zum Schliessen, und
vor ihnen gehen keine Begriffe a priori von Gegenstaenden vorher, aus
denen sie koennten geschlossen werden. Dagegen gruendet sich ihre
objektive Realitaet doch lediglich darauf: dass, weil sie die
intellektuelle Form aller Erfahrung ausmachen, ihre Anwendung
jederzeit in der Erfahrung muss gezeigt werden koennen.
Die Benennung eines Vernunftbegriffs aber zeigt schon vorlaeufig: dass
er sich nicht innerhalb der Erfahrung wolle beschraenken lassen, weil
er eine Erkenntnis betrifft, von der jede empirische nur ein Teil ist,
(vielleicht das Ganze der moeglichen Erfahrung oder ihrer empirischen
Synthesis,) bis dahin zwar keine wirkliche Erfahrung jemals voellig
zureicht, aber doch jederzeit dazu gehoerig ist. Vernunftbegriffe
dienen zum Begreifen, wie Verstandesbegriffe zum Verstehen (der
Wahrnehmungen). Wenn sie das Unbedingte enthalten, so betreffen sie
etwas, worunter alle Erfahrung gehoert, welches selbst aber niemals
ein Gegenstand der Erfahrung ist: etwas, worauf die Vernunft in ihren
Schluessen aus der Erfahrung fuehrt, und wornach sie den Grad ihres
empirischen Gebrauchs schaetzt und abmisst, niemals aber ein Glied
der empirischen Synthesis ausmacht. Haben dergleichen Begriffe
dessen ungeachtet, objektive Gueltigkeit, so koennen sie conceptus
ratiocinati (richtig geschlossene Begriffe) heissen; wo nicht, so sind
sie wenigstens durch einen Schein des Schliessens erschlichen, und
moegen conceptus ratiocinantes (vernuenftelnde Begriffe) genannt
werden. Da dieses aber allererst in dem Hauptstuecke von den
dialektischen Schluessen der reinen Vernunft ausgemacht werden kann,
so koennen wir darauf noch nicht Ruecksicht nehmen, sondern werden
vorlaeufig, so wie wir die reinen Verstandesbegriffe Kategorien
nannten, die Begriffe der reinen Vernunft mit einem neuen Namen
belegen und sie transzendentale Ideen nennen, diese Benennung aber
jetzt erlaeutern und rechtfertigen.
Des ersten Buchs der transzendentalen Dialektik
Erster Abschnitt
Von den Ideen ueberhaupt
Bei dem grossen Reichtum unserer Sprachen findet sich doch oft der
denkende Kopf wegen des Ausdrucks verlegen, der seinem Begriffe genau
anpasst, und in dessen Ermanglung er weder anderen, noch sogar sich
selbst recht verstaendlich werden kann. Neue Woerter zu schmieden, ist
eine Anmassung zum Gesetzgeben in Sprachen, die selten gelingt, und
ehe man zu diesem verzweifelten Mittel schreitet, ist es ratsam, sich
in einer toten und gelehrten Sprache umzusehen, ob sich daselbst nicht
dieser Begriff samt seinem angemessenen Ausdrucke vorfinde, und wenn
der alte Gebrauch desselben durch Unbehutsamkeit ihrer Urheber auch
etwas schwankend geworden waere, so ist es doch besser, die Bedeutung,
die ihm vorzueglich eigen war, zu befestigen, (sollte es auch
zweifelhaft bleiben, ob man damals genau ebendieselbe im Sinne gehabt
habe,) als sein Geschaeft nur dadurch zu verderben, dass man sich
unverstaendlich machte.
Um deswillen, wenn sich etwa zu einem gewissen Begriffe nur ein
einziges Wort vorfaende, das in schon eingefuehrter Bedeutung diesem
Begriffe genau anpasst, dessen Unterscheidung von anderen verwandten
Begriffen von grosser Wichtigkeit ist, so ist es ratsam, damit
nicht verschwenderisch umzugehen, oder es bloss zur Abwechslung,
synonymisch, statt anderer zu gebrauchen, sondern ihm seine
eigentuemliche Bedeutung sorgfaeltig aufzubehalten; weil es sonst
leichtlich geschieht, dass, nachdem der Ausdruck die Aufmerksamkeit
nicht besonders beschaeftigt, sondern sich unter dem Haufen anderer
von sehr abweichender Bedeutung verliert, auch der Gedanke verloren
gehe, den er allein haette aufbehalten koennen.
Plato bediente sich des Ausdrucks Idee so, dass man wohl sieht, er
habe darunter etwas verstanden, was nicht allein niemals von den
Sinnen entlehnt wird, sondern welches sogar die Begriffe des
Verstandes, mit denen sich Aristoteles beschaeftigte, weit
uebersteigt, indem in der Erfahrung niemals etwas damit Kongruierendes
angetroffen wird. Die Ideen sind bei ihm Urbilder der Dinge selbst,
und nicht bloss Schluessel zu moeglichen Erfahrungen, wie die
Kategorien. Nach seiner Meinung flossen sie aus der hoechsten Vernunft
aus, von da sie der menschlichen zuteil geworden, die sich aber jetzt
nicht mehr in ihrem urspruenglichen Zustande befindet, sondern mit
Muehe die alten, jetzt sehr verdunkelten, Ideen durch Erinnerung (die
Philosophie heisst) zurueckrufen muss. Ich will mich hier in keine
literarische Untersuchung einlassen, um den Sinn auszumachen, den der
erhabene Philosoph mit seinem Ausdrucke verband. Ich merke nur an,
dass es gar nichts Ungewoehnliches sei, sowohl im gemeinen Gespraeche,
als in Schriften, durch die Vergleichung der Gedanken, welche ein
Verfasser ueber seinen Gegenstand aeussert, ihn sogar besser zu
verstehen, als er sich selbst verstand, indem er seinen Begriff nicht
genugsam bestimmte, und dadurch bisweilen seiner eigenen Absicht
entgegen redete, oder auch dachte.
Plato bemerkte sehr wohl, dass unsere Erkenntniskraft ein weit
hoeheres Beduerfnis fuehle, als bloss Erscheinungen nach synthetischer
Einheit buchstabieren, um sie als Erfahrung lesen zu koennen, und dass
unsere Vernunft natuerlicherweise sich zu Erkenntnissen aufschwinge,
die viel weiter gehen, als dass irgendein Gegenstand, den Erfahrung
geben kann, jemals mit ihnen kongruieren koenne, die aber
nichtsdestoweniger ihre Realitaet haben und keineswegs blosse
Hirngespinste sind.
Plato fand seine Ideen vorzueglich in allem was praktisch ist*, d.i.
auf Freiheit beruht, welche ihrerseits unter Erkenntnissen steht, die
ein eigentuemliches Produkt der Vernunft sind. Wer die Begriffe der
Tugend aus Erfahrung schoepfen wollte, wer das, was nur allenfalls als
Beispiel zur unvollkommenen Erlaeuterung dienen kann, als Muster zum
Erkenntnisquell machen wollte (wie wirklich viele getan haben), der
wuerde aus der Tugend ein nach Zeit und Umstaenden wandelbares, zu
keiner Regel brauchbares zweideutiges Unding machen. Dagegen wird ein
jeder inne, dass, wenn ihm jemand als Muster der Tugend vorgestellt
wird, er doch immer das wahre Original bloss in seinem eigenen Kopfe
habe, womit er dieses angebliche Muster vergleicht, und es bloss
darnach schaetzt. Dieses ist aber die Idee der Tugend, in Ansehung
deren alle moeglichen Gegenstaende der Erfahrung zwar als Beispiele,
(Beweise der Tunlichkeit desjenigen im gewissen Grade, was der Begriff
der Vernunft heischt,) aber nicht als Urbilder Dienste tun. Dass
niemals ein Mensch demjenigen adaequat handeln werde, was die reine
Idee der Tugend enthaelt, beweist gar nicht etwas Chimaerisches in
diesem Gedanken. Denn es ist gleichwohl alles Urteil, ueber den
moralischen Wert oder Unwert, nur vermittelst dieser Idee moeglich;
mithin liegt sie jeder Annaeherung zur moralischen Vollkommenheit
notwendig zum Grunde, soweit auch die ihrem Grade nach nicht zu
bestimmenden Hindernisse in der menschlichen Natur uns davon entfernt
halten moegen.
* Er dehnte seinen Begriff freilich auch auf spekulative Erkenntnisse
  aus, wenn sie nur rein und voellig a priori gegeben waren, sogar
  ueber die Mathematik, ob diese gleich ihren Gegenstand nirgend
  anders, als in der moeglichen Erfahrung hat. Hierin kann ich ihm nun
  nicht folgen, so wenig als in der mystischen Deduktion dieser Ideen,
  oder den Uebertreibungen, dadurch er sie gleichsam hypostasierte;
  wiewohl die hohe Sprache, deren er sich in diesem Felde bediente,
  einer milderen und der Natur der Dinge angemessenen Auslegung ganz
  wohl faehig ist.
Die platonische Republik ist, als ein vermeintlich auffallendes
Beispiel von ertraeumter Vollkommenheit, die nur im Gehirn des
muessigen Denkers ihren Sitz haben kann, zum Sprichwort geworden, und
Brucker findet es laecherlich, dass der Philosoph behauptete, niemals
wuerde ein Fuerst wohl regieren, wenn er nicht der Ideen teilhaftig
waere. Allein man wuerde besser tun, diesem Gedanken mehr nachzugehen,
und ihn (wo der vortreffliche Mann uns ohne Hilfe laesst) durch neue
Bemuehung in Licht zu stellen, als ihn, unter dem sehr elenden und
schaedlichen Vorwande der Untunlichkeit, als unnuetz beiseite zu
stellen. Eine Verfassung von der groessten menschlichen Freiheit nach
Gesetzen, welche machen, dass jedes Freiheit mit der anderen ihrer
zusammen bestehen kann, (nicht von der groessten Glueckseligkeit,
denn diese wird schon von selbst folgen;) ist doch wenigstens eine
notwendige Idee, die man nicht bloss im ersten Entwurfe einer
Staatsverfassung, sondern auch bei allen Gesetzen zum Grunde legen
muss, und wobei man anfaenglich von den gegenwaertigen Hindernissen
abstrahieren muss, die vielleicht nicht sowohl aus der menschlichen
Natur unvermeidlich entspringen moegen, als vielmehr aus der
Vernachlaessigung der echten Ideen bei der Gesetzgebung. Denn nichts
kann Schaedlicheres und eines Philosophen Unwuerdigeres gefunden
werden, als die poebelhafte Berufung auf vergeblich widerstreitende
Erfahrung, die doch gar nicht existieren wuerde, wenn jene Anstalten
zu rechter Zeit nach den Ideen getroffen wuerden, und an deren Statt
nicht rohe Begriffe, eben darum, weil sie aus Erfahrung geschoepft
worden, alle gute Absicht vereitelt haetten. Je uebereinstimmender die
Gesetzgebung und Regierung mit dieser Idee eingerichtet waeren, desto
seltener wuerden allerdings die Strafen werden, und da ist es denn
ganz vernuenftig, (wie Plato behauptet), dass bei einer vollkommenen
Anordnung derselben gar keine dergleichen noetig sein wuerden. Ob nun
gleich das letztere niemals zustande kommen mag, so ist die Idee doch
ganz richtig, welche dieses Maximum zum Urbilde aufstellt, um nach
demselben die gesetzliche Verfassung der Menschen der moeglich
groessten Vollkommenheit immer naeher zu bringen. Denn welches der
hoechste Grad sein mag, bei welchem die Menschheit stehenbleiben
muesse, und wie gross also die Kluft, die zwischen der Idee und ihrer
Ausfuehrung notwendig uebrigbleibt, sein moege, das kann und soll
niemand bestimmen, eben darum, weil es Freiheit ist, welche jede
angegebene Grenze uebersteigen kann.
Aber nicht bloss in demjenigen, wobei die menschliche Vernunft
wahrhafte Kausalitaet zeigt, und wo Ideen wirkende Ursachen (der
Handlungen und ihrer Gegenstaende) werden, naemlich in Sittlichen,
sondern auch in Ansehung der Natur selbst, sieht Plato mit Recht
deutliche Beweise ihres Ursprungs aus Ideen. Ein Gewaechs, ein Tier,
die regelmaessige Anordnung des Weltbaues (vermutlich also auch die
ganze Naturordnung) zeigen deutlich, dass sie nur nach Ideen moeglich
sind; dass zwar kein einzelnes Geschoepf, unter den einzelnen
Bedingungen seines Daseins, mit der Idee des Vollkommensten seiner Art
kongruiere (so wenig wie der Mensch mit der Idee der Menschheit, die
er sogar selbst als das Urbild seiner Handlungen in seiner Seele
traegt,) dass gleichwohl jene Ideen im hoechsten Verstande einzeln,
unveraenderlich, durchgaengig bestimmt, und die urspruenglichen
Ursachen der Dinge sind, und nur das Ganze ihrer Verbindung im Weltall
einzig und allein jener Idee voellig adaequat sei. Wenn man das
Uebertriebene des Ausdrucks absondert, so ist der Geistesschwung
des Philosophen, von der copeilichen Betrachtung des Physischen der
Weltordnung zu der architektonischen Verknuepfung derselben nach
Zwecken, d.i. nach Ideen, hinaufzusteigen, eine Bemuehung, die
Achtung und Nachfolge verdient, in Ansehung desjenigen aber, was
die Prinzipien der Sittlichkeit, der Gesetzgebung und der Religion
betrifft, wo die Ideen die Erfahrung selbst (des Guten) allererst
moeglich machen, obzwar niemals darin voellig ausgedrueckt werden
koennen, ein ganz eigentuemliches Verdienst, welches man nur darum
nicht erkennt, weil man es durch eben die empirischen Regeln
beurteilt, deren Gueltigkeit, als Prinzipien, eben durch sie hat
aufgehoben werden sollen. Denn in Betracht der Natur gibt uns
Erfahrung die Regel an die Hand und ist der Quell der Wahrheit; in
Ansehung der sittlichen Gesetze aber ist Erfahrung (leider!) die
Mutter des Scheins, und es ist hoechst verwerflich, die Gesetze ueber
das, was ich tun soll, von demjenigen herzunehmen, oder dadurch
einschraenken zu wollen, was getan wird.
Statt aller dieser Betrachtungen, deren gehoerige Ausfuehrung in der
Tat die eigentuemliche Wuerde der Philosophie ausmacht, beschaeftigen
wir uns jetzt mit einer nicht so glaenzenden, aber doch auch nicht
verdienstlosen Arbeit, naemlich: den Boden zu jenen majestaetischen
sittlichen Gebaeuden eben und baufest zu machen, in welchem sich
allerlei Maulwurfsgaenge einer vergeblich, aber mit guter Zuversicht,
auf Schaetze grabenden Vernunft vorfinden, und die jenes Bauwerk
unsicher machen. Der transzendentale Gebrauch der reinen Vernunft,
ihre Prinzipien und Ideen, sind es also, welche genau zu kennen uns
jetzt obliegt, um den Einfluss der reinen Vernunft und den Wert
derselben gehoerig bestimmen und schaetzen zu koennen. Doch, ehe ich
diese vorlaeufige Einleitung beiseite lege, ersuche ich diejenige,
denen Philosophie am Herzen liegt, (welches mehr gesagt ist, als
man gemeiniglich antrifft,) wenn sie sich durch dieses und das
Nachfolgende ueberzeugt finden sollten, den Ausdruck Idee seiner
urspruenglichen Bedeutung nach in Schutz zu nehmen, damit er nicht
fernerhin unter die uebrigen Ausdruecke, womit gewoehnlich allerlei
Vorstellungsarten in sorgloser Unordnung bezeichnet werden, gerate,
und die Wissenschaft dabei einbuesse. Fehlt es uns doch nicht an
Benennungen, die jeder Vorstellungsart gehoerig angemessen sind, ohne
dass wir noetig haben, in das Eigentum einer anderen einzugreifen.
Hier ist eine Stufenleiter derselben. Die Gattung ist Vorstellung
ueberhaupt (repraesentatio). Unter ihr steht die Vorstellung mit
Bewusstsein (perceptio). Eine Perception, die sich lediglich auf das
Subjekt, als die Modifikation seines Zustandes bezieht, ist Empfindung
(sensatio), eine objektive Perzeption ist Erkenntnis (cognitio). Diese
ist entweder Anschauung oder Begriff (intuitus vel conceptus). Jene
bezieht sich unmittelbar auf den Gegenstand und ist einzeln; dieser
mittelbar, vermittelst eines Merkmals, was mehreren Dingen gemein sein
kann. Der Begriff ist entweder ein empirischer oder reiner Begriff,
und der reine Begriff, sofern er lediglich im Verstande seinen
Ursprung hat (nicht im reinen Bilde der Sinnlichkeit) heisst Notio.
Ein Begriff aus Notionen, der die Moeglichkeit der Erfahrung
uebersteigt, ist die Idee, oder der Vernunftbegriff. Dem, der sich
einmal an diese Unterscheidung gewoehnt hat, muss es unertraeglich
fallen, die Vorstellung der roten Farbe Idee nennen zu hoeren. Sie ist
nicht einmal Notion (Verstandesbegriff) zu nennen.
Des ersten Buchs der transzendentalen Dialektik
Zweiter Abschnitt
Von den transzendentalen Ideen
Die transzendentale Analytik gab uns ein Beispiel, wie die blosse
logische Form unserer Erkenntnis den Ursprung von reinen Begriffen
a priori enthalten koenne, welche vor aller Erfahrung Gegenstaende
vorstellen, oder vielmehr die synthetische Einheit anzeigen, welche
allein eine empirische Erkenntnis von Gegenstaenden moeglich macht.
Die Form der Urteile (in einen Begriff von der Synthesis der
Anschauungen verwandelt) brachte Kategorien hervor, welche allen
Verstandesgebrauch in der Erfahrung leiten. Ebenso koennen wir
erwarten, dass die Form der Vernunftschluesse, wenn man sie auf die
synthetische Einheit der Anschauungen, nach Massgebung der Kategorien,
anwendet, den Ursprung besonderer Begriffe a priori enthalten werde,
welche wir reine Vernunftbegriffe, oder transzendentale Ideen nennen
koennen, und die den Verstandesgebrauch im Ganzen der getarnten
Erfahrung nach Prinzipien bestimmen werden.
Die Funktion der Vernunft bei ihren Schluessen bestand in der
Allgemeinheit der Erkenntnis nach Begriffen, und der Vernunftschluss
selbst ist ein Urteil, welches a priori in dem ganzen Umfange seiner
Bedingung bestimmt wird. Den Satz: Cajus ist sterblich, koennte ich
auch bloss durch den Verstand aus der Erfahrung schoepfen. Allein ich
suche einen Begriff, der die Bedingung enthaelt, unter welcher das
Praedikat (Assertion ueberhaupt) dieses Urteils gegeben wird (d.i.
hier, den Begriff des Menschen;) und nachdem ich unter diese
Bedingung, in ihrem ganzen Umfange genommen, (alle Menschen sind
sterblich) subsumiert habe; so bestimme ich darnach die Erkenntnis
meines Gegenstandes (Cajus ist sterblich).
Demnach restringieren wir in der Conclusion eines Vernunftschlusses
ein Praedikat auf einen gewissen Gegenstand, nachdem wir es vorher in
dem Obersatz in seinem ganzen Umfange unter einer gewissen Bedingung
gedacht haben. Diese vollendete Groesse des Umfanges, in Beziehung
auf eine solche Bedingung, heisst die Allgemeinheit (Universalitas).
Dieser entspricht in der Synthesis der Anschauungen die Allheit
(Universitas) oder Totalitaet der Bedingungen. Also ist der
transzendentale Vernunftbegriff kein anderer, als der von der
Totalitaet der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten. Da nun das
Unbedingte allein die Totalitaet der Bedingungen moeglich macht, und
umgekehrt die Totalitaet der Bedingungen jederzeit selbst unbedingt
ist; so kann ein reiner Vernunftbegriff ueberhaupt durch den Begriff
des Unbedingten, sofern er einen Grund der Synthesis des Bedingten
enthaelt, erklaert werden.
Soviel Arten des Verhaeltnisses es nun gibt, die der Verstand
vermittelst der Kategorien sich vorstellt, so vielerlei reine
Vernunftbegriffe wird es auch geben, und es wird also erstlich ein
Unbedingtes der kategorischen Synthesis in einem Subjekt, zweitens
der hypothetischen Synthesis der Glieder einer Reihe, drittens der
disjunktiven Synthesis der Teile in einem System zu suchen sein.
Es gibt naemlich ebensoviel Arten von Vernunftschluessen, deren jede
durch Prosyllogismen zum Unbedingten fortschreitet, die eine zum
Subjekt, welches selbst nicht mehr Praedikat ist, die andere zur
Voraussetzung, die nichts weiter voraussetzt, und die dritte zu
einem Aggregat der Glieder der Einteilung, zu welchen nichts weiter
erforderlich ist, um die Einteilung eines Begriffs zu vollenden. Daher
sind die reinen Vernunftbegriffe von der Totalitaet in der Synthesis
der Bedingungen wenigstens als Aufgaben, um die Einheit des
Verstandes, womoeglich, bis zum Unbedingten fortzusetzen, notwendig
und in der Natur der menschlichen Vernunft gegruendet, es mag
auch uebrigens diesen transzendentalen Begriffen an einem ihnen
angemessenen Gebrauch in concreto fehlen, und sie mithin keinen
anderen Nutzen haben, als den Verstand in die Richtung zu bringen,
darin sein Gebrauch, indem er aufs aeusserste erweitert, zugleich mit
sich selbst durchgehende einstimmig gemacht wird.
Indem wir aber hier von der Totalitaet der Bedingungen und dem
Unbedingten, als dem gemeinschaftlichen Titel aller Vernunftbegriffe
reden, so stossen wir wiederum auf einen Ausdruck, den wir nicht
entbehren und gleichwohl, nach einer ihm durch langen Missbrauch
anhaengenden Zweideutigkeit, nicht sicher brauchen koennen. Das
Wort absolut ist eines von den wenigen Woertern, die in ihrer
uranfaenglichen Bedeutung einem Begriffe angemessen worden, welchem
nach der Hand gar kein anderes Wort eben derselben Sprache genau
anpasst, und dessen Verlust, oder welches ebensoviel ist, sein
schwankender Gebrauch daher auch den Verlust des Begriffs selbst nach
sich ziehen muss, und zwar eines Begriffs, der, weil er die Vernunft
gar sehr beschaeftigt, ohne grossen Nachteil aller transzendentalen
Beurteilungen nicht entbehrt werden kann. Das Wort absolut wird jetzt
oefters gebraucht, um bloss anzuzeigen, dass etwas von einer Sache an
sich selbst betrachtet und also innerlich gelte. In dieser Bedeutung
wuerde absolutmoeglich das bedeuten, was an sich selbst (interne)
moeglich ist, welches in der Tat das wenigste ist, was man von einem
Gegenstande sagen kann. Dagegen wird es auch bisweilen gebraucht, um
anzuzeigen, dass etwas in aller Beziehung (uneingeschraenkt) gueltig
ist (z.B. die absolute Herrschaft,) und absolutmoeglich wuerde in
dieser Bedeutung dasjenige bedeuten, was in aller Absicht in aller
Beziehung moeglich ist, welches wiederum das meiste ist, was ich ueber
die Moeglichkeit eines Dinges sagen kann. Nun treffen zwar diese
Bedeutungen manchmal zusammen. So ist z.E., was innerlich unmoeglich
ist, auch in aller Beziehung, mithin absolut unmoeglich. Aber in den
meisten Faellen sind sie unendlich weit auseinander, und ich kann auf
keine Weise schliessen, dass, weil etwas an sich selbst moeglich ist,
es darum auch in aller Beziehung, mithin absolut, moeglich sei. Ja von
der absoluten Notwendigkeit werde ich in der Folge zeigen, dass sie
keineswegs in allen Faellen von der inneren abhaenge, und also mit
dieser nicht als gleichbedeutend angesehen werden muesse. Dessen
Gegenteil innerlich unmoeglich ist, dessen Gegenteil ist freilich auch
in aller Absicht unmoeglich, mithin ist es selbst absolut notwendig;
aber ich kann nicht umgekehrt schliessen, was absolut notwendig
ist, dessen Gegenteil ist innerlich unmoeglich, d.i. die absolute
Notwendigkeit der Dinge ist eine innere Notwendigkeit; denn diese
innere Notwendigkeit ist in gewissen Faellen ein ganz leerer Ausdruck,
mit welchem wir nicht den mindesten Begriff verbinden koennen; dagegen
der von der Notwendigkeit eines Dinges in aller Beziehung (auf alles
Moegliche) ganz besondere Bestimmungen bei sich fuehrt. Weil nun der
Verlust eines Begriffs von grosser Anwendung in der spekulativen
Weltweisheit dem Philosophen niemals gleichgueltig sein kann, so hoffe
ich, es werde ihm die Bestimmung und sorgfaeltige Aufbewahrung des
Ausdrucks, an dem der Begriff haengt, auch nicht gleichgueltig sein.
In dieser erweiterten Bedeutung werde ich mich dann des Wortes:
absolut, bedienen und es dem bloss komparativ oder in besonderer
Ruecksicht Gueltigen entgegensetzen; denn dieses letztere ist auf
Bedingungen restringiert, jenes aber gilt ohne Restriktion.
Nun geht der transzendentale Vernunftbegriff jederzeit nur auf die
absolute Totalitaet in der Synthesis der Bedingungen, und endigt
niemals, als bei den schlechthin, d.i. in jeder Beziehung,
Unbedingten. Denn die reine Vernunft ueberlaesst alles dem Verstande,
der sich zunaechst auf die Gegenstaende der Anschauung oder vielmehr
deren Synthesis in der Einbildungskraft bezieht. Jene behaelt sich
allein die absolute Totalitaet im Gebrauche der Verstandesbegriffe
vor, und sucht die synthetische Einheit, welche in der Kategorie
gedacht wird, bis zum Schlechthinunbedingten hinauszufuehren. Man kann
daher diese die Vernunfteinheit der Erscheinungen, so wie jene, welche
die Kategorie ausdrueckt, Verstandeseinheit nennen. So bezieht sich
demnach die Vernunft nur auf den Verstandesgebrauch, und zwar nicht
sofern dieser den Grund moeglicher Erfahrung enthaelt, (denn die
absolute Totalitaet der Bedingungen ist kein in einer Erfahrung
brauchbarer Begriff, weil keine Erfahrung unbedingt ist,) sondern um
ihm die Richtung auf eine gewisse Einheit vorzuschreiben, von der
der Verstand keinen Begriff hat, und die darauf hinausgeht, alle
Verstandeshandlungen, in Ansehung eines jeden Gegenstandes, in ein
absolutes Ganze zusammenzufassen. Daher ist der objektive Gebrauch der
reinen Vernunftbegriffe jederzeit transzendent, indessen dass der von
den reinen Verstandesbegriffen, seiner Natur nach, jederzeit immanent
sein muss, indem er sich bloss auf moegliche Erfahrung einschraenkt.
Ich verstehe unter der Idee einen notwendigen Vernunftbegriff, dem
kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann. Also
sind unsere jetzt erwogenen reinen Vernunftbegriffe transzendentale
Ideen. Sie sind Begriffe der reinen Vernunft; denn sie betrachten
alles Erfahrungserkenntnis als bestimmt durch eine absolute Totalitaet
der Bedingungen. Sie sind nicht willkuerlich erdichtet, sondern durch
die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, und beziehen sich daher
notwendigerweise auf den ganzen Verstandesgebrauch. Sie sind endlich
transzendent und uebersteigen die Grenze aller Erfahrung, in welcher
also niemals ein Gegenstand vorkommen kann, der der transzendentalen
Idee adaequat waere. Wenn man eine Idee nennt, so sagt man dem Objekt
nach (als von einem Gegenstande des reinen Verstandes) sehr viel,
dem Subjekte nach aber (d.i. in Ansehung seiner Wirklichkeit unter
empirischer Bedingung) eben darum sehr wenig, weil sie, als der
Begriff eines Maximum, in concreto niemals kongruent kann gegeben
werden. Weil nun das letztere im bloss spekulativen Gebrauch der
Vernunft eigentlich die ganze Absicht ist, und die Annaeherung zu
einem Begriffe, der aber in der Ausuebung doch niemals erreicht wird,
ebensoviel ist, als ob der Begriff ganz und gar verfehlt wuerde, so
heisst es von einem dergleichen Begriffe: er ist nur eine Idee. So
wuerde man sagen koennen: das absolute Ganze aller Erscheinungen ist
nur eine Idee, denn, da wir dergleichen niemals im Bilde entwerfen
koennen, so bleibt es ein Problem ohne alle Aufloesung. Dagegen, weil
es im praktischen Gebrauch des Verstandes ganz allein um die Ausuebung
nach Regeln zu tun ist, so kann die Idee der praktischen Vernunft
jederzeit wirklich, obzwar nur zum Teil, in concreto gegeben werden,
ja sie ist die unentbehrliche Bedingung jedes praktischen Gebrauchs
der Vernunft. Ihre Ausuebung ist jederzeit begrenzt und mangelhaft,
aber unter nicht bestimmbaren Grenzen, also jederzeit unter dem
Einflusse des Begriffs einer absoluten Vollstaendigkeit. Demnach ist
die praktische Idee jederzeit hoechst fruchtbar und in Ansehung der
wirklichen Handlungen unumgaenglich notwendig. In ihr hat die reine
Vernunft sogar Kausalitaet, das wirklich hervorzubringen, was ihr
Begriff enthaelt; daher kann man von der Weisheit nicht gleichsam
geringschaetzig sagen: sie ist nur eine Idee; sondern eben darum,
weil sie die Idee von der notwendigen Einheit aller moeglichen Zwecke
ist, so muss sie allem Praktischen als urspruengliche, zum wenigsten
einschraenkende, Bedingung zur Regel dienen.
Ob wir nun gleich von den transzendentalen Vernunftbegriffen sagen
muessen: sie sind nur Ideen, so werden wir sie doch keineswegs fuer
ueberfluessig und nichtig anzusehen haben. Denn, wenn schon dadurch
kein Objekt bestimmt werden kann, so koennen sie doch im Grunde
und unbemerkt dem Verstande zum Kanon seines ausgebreiteten und
einhelligen Gebrauchs dienen, dadurch er zwar keinen Gegenstand mehr
erkennt, als er nach seinen Begriffen erkennen wuerde, aber doch in
dieser Erkenntnis besser und weiter geleitet wird. Zu geschweigen,
dass sie vielleicht von den Naturbegriffen zu den praktischen einen
Uebergang moeglich machen, und den moralischen Ideen selbst auf solche
Art Haltung und Zusammenhang mit den spekulativen Erkenntnissen
der Vernunft verschaffen koennen. Ueber alles dieses muss man den
Aufschluss in dem Verfolg erwarten.
Unserer Absicht gemaess setzen wir aber hier die praktischen Ideen
beiseite, und betrachten daher die Vernunft nur im spekulativen, und
in diesem noch enger, naemlich nur im transzendentalen Gebrauch.
Hier muessen wir nun denselben Weg einschlagen, den wir oben bei der
Deduktion der Kategorien nahmen; naemlich, die logische Form der
Vernunfterkenntnis erwaegen, und sehen, ob nicht etwa die Vernunft
dadurch auch ein Quell von Begriffen werde, Objekte an sich selbst,
als synthetisch a priori bestimmt, in Ansehung einer oder der anderen
Funktion der Vernunft, anzusehen.
Vernunft, als Vermoegen einer gewissen logischen Form der Erkenntnis
betrachtet, ist das Vermoegen zu schliessen, d.i. mittelbar (durch die
Subsumtion der Bedingung eines moeglichen Urteils unter die Bedingung
eines gegebenen) zu urteilen. Das gegebene Urteil ist die allgemeine
Regel (Obersatz, Major). Die Subsumtion der Bedingung eines anderen
moeglichen Urteils unter die Bedingung der Regel ist der Untersatz
(Minor). Das wirkliche Urteil, welches die Assertion der Regel in dem
subsumierten Falle aussagt, ist der Schlusssatz (Conclusio). Die Regel
naemlich sagt etwas allgemein unter einer gewissen Bedingung. Nun
findet in einem vorkommenden Falle die Bedingung der Regel statt.
Also wird das, was unter jener Bedingung allgemein galt, auch in
dem vorkommenden Falle (der diese Bedingung bei sich fuehrt) als
gueltig angesehen. Man sieht leicht, dass die Vernunft durch
Verstandeshandlungen, welche eine Reihe von Bedingungen ausmachen, zu
einem Erkenntnisse gelange. Wenn ich zu dem Satze: alle Koerper sind
veraenderlich, nur dadurch gelangen dass ich von dem entfernteren
Erkenntnis (worin der Begriff des Koerpers noch nicht vorkommt,
der aber doch davon die Bedingung enthaelt,) anfange: alles
Zusammengesetzte ist veraenderlich; von diesem zu einem naeheren
gehe, der unter der Bedingung des ersteren steht: die Koerper sind
zusammengesetzt; und von diesem allererst zu einem dritten, der
nunmehr das entfernte Erkenntnis (veraenderlich) mit der vorliegenden
verknuepft: folglich sind die Koerper veraenderlich; so bin ich
durch eine Reihe von Bedingungen (Praemissen) zu einer Erkenntnis
(Conclusion) gelangt. Nun laesst sich eine jede Reihe, deren Exponent
(des kategorischen oder hypothetischen Urteils) gegeben ist,
fortsetzen; mithin fuehrt ebendieselbe Vernunfthandlung zur
ratiocinatio polysyllogistica, welches eine Reihe von Schluessen ist,
die entweder auf die Seite der Bedingungen (per prosyllogismos), oder
des Bedingten (per episyllogismos), in unbestimmte Weiten fortgesetzt
werden kann.
Man wird aber bald inne, dass die Kette, oder Reihe der
Prosyllogismen, d.i. der gefolgerten Erkenntnisse auf der Seite der
Gruende, oder der Bedingungen zu einem gegebenen Erkenntnis, mit
anderen Worten: die aufsteigende Reihe der Vernunftschluesse, sich
gegen das Vernunftvermoegen doch anders verhalten muesse, als die
absteigende Reihe, d.i. der Fortgang der Vernunft auf der Seite
des Bedingten durch Episyllogismen. Denn, da im ersteren Falle das
Erkenntnis (conclusio) nur als bedingt gegeben ist; so kann man
zu demselben vermittelst der Vernunft nicht anders gelangen, als
wenigstens unter der Voraussetzung, dass alle Glieder der Reihe auf
der Seite der Bedingungen gegeben sind, (Totalitaet in der Reihe der
Praemissen,) weil nur unter deren Voraussetzung das vorliegende Urteil
a priori moeglich ist; dagegen auf der Seite des Bedingten, oder der
Folgerungen, nur eine werdende und nicht schon ganz vorausgesetzte
oder gegebene Reihe, mithin nur ein potentialer Fortgang gedacht wird.
Daher, wenn eine Erkenntnis als bedingt angesehen wird, so ist die
Vernunft genoetigt, die Reihe der Bedingungen in aufsteigender Linie
als vollendet und ihrer Totalitaet nach gegeben anzusehen. Wenn aber
eben dieselbe Erkenntnis zugleich als Bedingung anderer Erkenntnisse
angesehen wird, die untereinander eine Reihe von Folgerungen in
absteigender Linie ausmachen, so kann die Vernunft ganz gleichgueltig
sein, wie weit dieser Fortgang sich a parte posteriori erstrecke, und
ob gar ueberall Totalitaet dieser Reihe moeglich sei; weil sie einer
dergleichen Reihe zu der vor ihr liegenden Konklusion nicht bedarf,
indem diese durch ihre Gruende a parte priori schon hinreichend
bestimmt und gesichert ist. Es mag nun sein, dass auf der Seite der
Bedingungen die Reihe der Praemissen ein Erstes habe, als oberste
Bedingung, oder nicht, und also a parte priori ohne Grenzen; so muss
sie doch Totalitaet der Bedingung enthalten, gesetzt, dass wir niemals
dahin gelangen koennten, sie zu fassen, und die ganze Reihe muss
unbedingt wahr sein, wenn das Bedingte, welches als eine daraus
entspringende Folgerung angesehen wird, als wahr gelten soll. Dieses
ist eine Forderung der Vernunft, die ihr Erkenntnis als a priori
bestimmt und als notwendig ankuendigt, entweder an sich selbst, und
dann bedarf es keiner Gruende, oder, wenn es abgeleitet ist, als ein
Glied einer Reihe von Gruenden, die selbst unbedingterweise wahr ist.
Des ersten Buchs der transzendentalen Dialektik
Dritter Abschnitt
System der transzendentalen Ideen
Wir haben es hier nicht mit einer logischen Dialektik zu tun, welche
von allem Inhalte der Erkenntnis abstrahiert, und lediglich den
falschen Schein in der Form der Vernunftschluesse aufdeckt, sondern
mit einer transzendentalen, welche, voellig a priori, den Ursprung
gewisser Erkenntnisse aus reiner Vernunft, und geschlossener Begriffe,
deren Gegenstand empirisch gar nicht gegeben werden kann, die
also gaenzlich ausser dem Vermoegen des reinen Verstandes liegen,
enthalten soll. Wir haben aus der natuerlichen Beziehung, die der
transzendentale Gebrauch unserer Erkenntnis, sowohl in Schluessen als
Urteilen, auf den logischen haben muss, abgenommen: dass es nur drei
Arten von dialektischen Schluessen geben werde, die sich auf die
dreierlei Schlussarten beziehen, durch welche Vernunft aus Prinzipien
zu Erkenntnissen gelangen kann, und dass in allem ihr Geschaeft sei,
von der bedingten Synthesis, an die der Verstand jederzeit gebunden
bleibt, zur unbedingten aufzusteigen, die er niemals erreichen kann.
Nun ist das Allgemeine aller Beziehung, die unsere Vorstellungen haben
koennen, 1. die Beziehung aufs Subjekt, 2. die Beziehung auf Objekte,
und zwar entweder erstlich als Erscheinungen, oder als Gegenstaende
des Denkens ueberhaupt. Wenn man diese Untereinteilung mit der oberen
verbindet, so ist alles Verhaeltnis der Vorstellungen, davon wir uns
entweder einen Begriff, oder Idee machen koennen, dreifach: 1. das
Verhaeltnis zum Subjekt, 2. zum Mannigfaltigen des Objekts in der
Erscheinung, 3. zu allen Dingen ueberhaupt.
Nun haben es alle reinen Begriffe ueberhaupt mit der synthetischen
Einheit der Vorstellungen, Begriffe der reinen Vernunft
(transszendentale Ideen) aber mit der unbedingten synthetischen
Einheit aller Bedingungen ueberhaupt zu tun. Folglich werden alle
transzendentalen Ideen sich unter drei Klassen bringen lassen, davon
die erste die absolute (unbedingte) Einheit des denkenden Subjekts,
die zweite die absolute Einheit der Reihe der Bedingungen der
Erscheinung, die dritte die absolute Einheit der Bedingung aller
Gegenstaende des Denkens ueberhaupt enthaelt.
Das denkende Subjekt ist der Gegenstand der Psychologie, der Inbegriff
aller Erscheinungen (die Welt) der Gegenstand der Kosmologie, und das
Ding, welches die oberste Bedingung der Moeglichkeit von allem, was
gedacht werden kann, enthaelt, (das Wesen aller Wesen) der Gegenstand
der Theologie. Also gibt die reine Vernunft die Idee zu einer
transzendentalen Seelenlehre (psychologia rationalis), zu einer
transzendentalen Weltwissenschaft (cosmologia rationalis), endlich
auch zu einer transzendentalen Gotteserkenntnis (Theologia
transzendentalis) an die Hand. Der blosse Entwurf sogar zu einer
sowohl als der anderen dieser Wissenschaften, schreibt sich gar
nicht von dem Verstande her, selbst wenn er gleich mit dem hoechsten
logischen Gebrauche der Vernunft, d.i. allen erdenklichen Schluessen,
verbunden waere, um von einem Gegenstande desselben (Erscheinung)
zu allen anderen bis in die entlegensten Glieder der empirischen
Synthesis fortzuschreiten, sondern ist lediglich ein reines und echtes
Produkt, oder Problem der reinen Vernunft.
Was unter diesen drei Titeln aller transzendentalen Ideen fuer modi
der reinen Vernunftbegriffe stehen, wird in dem folgenden Hauptstuecke
vollstaendig dargelegt werden. Sie laufen am Faden der Kategorien
fort. Denn die reine Vernunft bezieht sich niemals geradezu auf
Gegenstaende, sondern auf die Verstandesbegriffe von denselben. Ebenso
wird sich auch nur in der voelligen Ausfuehrung deutlich machen
lassen, wie die Vernunft lediglich durch den synthetischen
Gebrauch eben derselben Funktion, deren sie sich zum kategorischen
Vernunftschlusse bedient, notwendigerweise auf den Begriff
der absoluten Einheit des denkenden Subjekts kommen muesse,
wie das logische Verfahren in hypothetischen die Idee vom
Schlechthinunbedingten in einer Reihe gegebener Bedingungen, endlich
die blosse Form des disjunktiven Vernunftschlusses den hoechsten
Vernunftbegriff von einem Wesen aller Wesen notwendigerweise nach sich
ziehen muesse; ein Gedanke, der beim ersten Anblick aeusserst paradox
zu sein scheint.
Von diesen transzendentalen Ideen ist eigentlich keine objektive
Deduktion moeglich, so wie wir sie von den Kategorien liefern konnten.
Denn in der Tat haben sie keine Beziehung auf irgendein Objekt, was
ihnen kongruent gegeben werden koennte, eben darum, weil sie nur Ideen
sind. Aber eine subjektive Anleitung derselben aus der Natur unserer
Vernunft konnten wir unternehmen, und die ist im gegenwaertigen
Hauptstuecke auch geleistet worden.
Man sieht leicht, dass die reine Vernunft nichts anderes zur Absicht
habe, als die absolute Totalitaet der Synthesis auf der Seite der
Bedingungen, (es sei der Inhaerenz, oder der Dependenz, oder der
Konkurrenz,) und dass sie mit der absoluten Vollstaendigkeit von
seiten des Bedingten nichts zu schaffen habe. Denn nur allein jener
bedarf sie, um die ganze Reihe der Bedingungen vorauszusetzen, und sie
dadurch dem Verstande a priori zu geben. Ist aber eine vollstaendig
(und unbedingt) gegebene Bedingung einmal da, so bedarf es nicht mehr
eines Vernunftbegriffs in Ansehung der Fortsetzung der Reihe; denn der
Verstand tut jeden Schritt abwaerts, von der Bedingung zum Bedingten,
von selber. Auf solche Weise dienen die transzendentalen Ideen nur zum
Aufsteigen in der Reihe der Bedingungen, bis zum Unbedingten, d.i. zu
den Prinzipien. In Ansehung des Hinabgehens zum Bedingten aber, gibt
es zwar einen weit erstreckten logischen Gebrauch, den unsere Vernunft
von den Verstandesgesetzen macht, aber gar keinen transzendentalen,
und, wenn wir uns von der absoluten Totalitaet einer solchen Synthesis
(des progressus) eine Idee machen, z.B. von der ganzen Reihe aller
kuenftigen Weltveraenderungen, so ist dieses ein Gedankending (ens
rationis), welches nur willkuerlich gedacht, und nicht durch die
Vernunft notwendig vorausgesetzt wird. Denn zur Moeglichkeit des
Bedingten wird zwar die Totalitaet seiner Bedingungen, aber nicht
seiner Folgen, vorausgesetzt. Folglich ist ein solcher Begriff keine
transzendentale Idee, mit der wir es doch hier lediglich zu tun haben.
Zuletzt wird man auch gewahr, dass unter den transzendentalen Ideen
selbst ein gewisser Zusammenhang und Einheit hervorleuchte, und dass
die reine Vernunft, vermittelst ihrer, alle ihre Erkenntnisse in
ein System bringe. Von der Erkenntnis seiner selbst (der Seele) zur
Welterkenntnis, und, vermittelst dieser, zum Urwesen fortzugehen, ist
ein so natuerlicher Fortschritt, dass er dem logischen Fortgange der
Vernunft von den Praemissen zum Schlusssatze aehnlich scheint. Ob
nun hier wirklich eine Verwandtschaft von der Art, als zwischen dem
logischen und transzendentalen Verfahren, insgeheim zum Grunde liege,
ist auch eine von den Fragen, deren Beantwortung man in dem Verfolg
dieser Untersuchungen allererst erwarten muss. Wir haben vorlaeufig
unseren Zweck schon erreicht, da wir die transzendentalen Begriffe
der Vernunft, die sich sonst gewoehnlich in der Theorie der
Philosophen unter andere mischen, ohne dass diese sie einmal von
Verstandesbegriffen gehoerig unterscheiden, aus dieser zweideutigen
Lage haben herausziehen, ihren Ursprung, und dadurch zugleich ihre
bestimmte Zahl, ueber die es gar keine mehr geben kann, angeben und
sie in einem systematischen Zusammenhange haben vorstellen koennen,
wodurch ein besonderes Feld fuer die reine Vernunft abgesteckt und
eingeschraenkt wird.
Der transzendentalen Dialektik
Zweites Buch
Von den dialektischen Schluessen der reinen Vernunft
Man kann sagen, der Gegenstand einer blossen transzendentalen Idee
sei etwas, wovon man keinen Begriff hat, obgleich diese Idee ganz
notwendig in der Vernunft nach ihren urspruenglichen Gesetzen erzeugt
worden. Denn in der Tat ist auch von einem Gegenstande, der der
Forderung der Vernunft adaequat sein soll, kein Verstandesbegriff
moeglich, d.i. ein solcher, welcher in einer moeglichen Erfahrung
gezeigt und anschaulich gemacht werden kann. Besser wuerde man sich
doch und mit weniger Gefahr des Missverstaendnisses, ausdruecken, wenn
man sagte: dass wir vom Objekt, welches einer Idee korrespondiert,
keine Kenntnis, obzwar einen problematischen Begriff, haben koennen.
Nun beruht wenigstens die transzendentale (subjektive) Realitaet der
reinen Vernunftbegriffe darauf, dass wir durch einen notwendigen
Vernunftschluss auf solche Ideen gebracht werden. Also wird es
Vernunftschluesse geben, die keine empirischen Praemissen enthalten,
und vermittelst deren wir von etwas, das wir kennen, auf etwas
anderes schliessen, wovon wir doch keinen Begriff haben, und dem wir
gleichwohl, durch einen unvermeidlichen Schein, objektive Realitaet
geben. Dergleichen Schluesse sind in Ansehung ihres Resultats also
eher vernuenftelnde, als Vernunftschluesse zu nennen; wiewohl sie,
ihrer Veranlassung wegen, wohl den letzteren Namen fuehren koennen,
weil sie doch nicht erdichtet, oder zufaellig entstanden, sondern aus
der Natur der Vernunft entsprungen sind. Es sind Sophistikationen,
nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst, von denen
selbst der Weiseste unter allen Menschen sich nicht losmachen, und
vielleicht zwar nach vieler Bemuehung den Irrtum verhueten, den
Schein aber, der ihn unaufhoerlich zwackt und aefft, niemals voellig
loswerden kann.
Dieser dialektischen Vernunftschluesse gibt es also nur dreierlei
Arten, so vielfach, als die Ideen sind, auf die ihre Schlusssaetze
auslaufen. In dem Vernunftschlusse der ersten Klasse schliesse ich von
dem transzendentalen Begriffe des Subjekts, der nichts Mannigfaltiges
enthaelt, auf die absolute Einheit dieses Subjekts selber, von welchem
ich auf diese Weise gar keinen Begriff habe. Diesen dialektischen
Schluss werde ich den transzendentalen Paralogismus nennen. Die zweite
Klasse der vernuenftelnden Schluesse ist auf den transzendentalen
Begriff der absoluten Totalitaet, der Reihe der Bedingungen zu einer
gegebenen Erscheinung ueberhaupt, angelegt, und ich schliesse daraus,
dass ich von der unbedingten synthetischen Einheit der Reihe auf einer
Seite, jederzeit einen sich selbst widersprechenden Begriff habe, auf
die Richtigkeit der entgegenstehenden Einheit, wovon ich gleichwohl
auch keinen Begriff habe. Den Zustand der Vernunft bei diesen
dialektischen Schluessen, werde ich die Antinomie der reinen Vernunft
nennen. Endlich schliesse ich, nach der dritten Art vernuenftelnder
Schluesse, von der Totalitaet der Bedingungen, Gegenstaende
ueberhaupt, sofern sie mir gegeben werden koennen, zu denken, auf
die absolute synthetische Einheit aller Bedingungen der Moeglichkeit
der Dinge ueberhaupt, d.i. von Dingen, die ich nach ihrem blossen
transzendentalen Begriff nicht kenne, auf ein Wesen aller Wesen,
welches ich durch einen transzendenten Begriff noch weniger kenne, und
von dessen unbedingter Notwendigkeit ich mir keinen Begriff machen
kann. Diesen dialektischen Vernunftschluss werde ich das Ideal der
reinen Vernunft nennen.
Des zweiten Buchs der transzendentalen Dialektik
Erstes Hauptstueck
Von den Paralogismen der reinen Vernunft
Der logische Paralogismus besteht in der Falschheit eines
Vernunftschlusses der Form nach, sein Inhalt mag uebrigens sein,
welcher er wolle. Ein transzendentaler Paralogismus aber hat einen
transzendentalen Grund: der Form nach falsch zu schliessen. Auf
solche Weise wird ein dergleichen Fehlschluss in der Natur der
Menschenvernunft seinen Grund haben, und eine unvermeidliche, obzwar
nicht unaufloesliche, Illusion bei sich fuehren.
Jetzt kommen wir auf einen Begriff, der oben, in der allgemeinen Liste
der transzendentalen Begriffe, nicht verzeichnet worden, und dennoch
dazu gezaehlt werden muss, ohne doch darum jene Tafel im mindesten zu
veraendern und fuer mangelhaft zu erklaeren. Dieses ist der Begriff,
oder, wenn man lieber will, das Urteil: Ich denke. Man sieht aber
leicht, dass er das Vehikel aller Begriffe ueberhaupt, und mithin
auch der transzendentalen sei, und also unter diesen jederzeit mit
begriffen werde, und daher ebensowohl transzendental sei, aber keinen
besonderen Titel haben koenne, weil er nur dazu dient, alles Denken,
als zum Bewusstsein gehoerig, aufzufuehren. Indessen, so rein er auch
vom Empirischen (dem Eindrucke der Sinne) ist, so dient er doch dazu,
zweierlei Gegenstaende aus der Natur unserer Vorstellungskraft zu
unterscheiden. Ich, als denkend, bin ein Gegenstand des inneren
Sinnes, und heisse Seele. Dasjenige, was ein Gegenstand aeusserer
Sinne ist, heisst Koerper. Demnach bedeutet der Ausdruck: Ich, als
ein denkend Wesen, schon den Gegenstand der Psychologie, welche die
rationale Seelenlehre heissen kann, wenn ich von der Seele nichts
weiter zu wissen verlange, als was unabhaengig von aller Erfahrung
(welche mich naeher und in concreto bestimmt) aus diesem Begriffe Ich,
sofern er bei allem Denken vorkommt, geschlossen werden kann.
Die rationale Seelenlehre ist nun wirklich ein Unterfangen von dieser
Art; denn, wenn das mindeste Empirische meines Denkens, irgendeine
besondere Wahrnehmung meines inneren Zustandes, noch unter die
Erkenntnisgruende dieser Wissenschaft gemischt wuerde, so waere sie
nicht mehr rationale, sondern empirische Seelenlehre. Wir haben also
schon eine angebliche Wissenschaft vor uns, welche auf dem einzigen
Satze: Ich denke, erbaut worden, und deren Grund oder Ungrund wir
hier ganz schicklich, und der Natur einer Transzendentalphilosophie
gemaess, untersuchen koennen. Man darf sich daran nicht stossen,
dass ich doch an diesem Satze, der die Wahrnehmung seiner selbst
ausdrueckt, eine innere Erfahrung habe, und mithin die rationale
Seelenlehre, welche darauf erbaut wird, niemals rein, sondern zum
Teil auf ein empirisches Prinzipium gegruendet sei. Denn diese innere
Wahrnehmung ist nichts weiter, als die blosse Apperzeption: Ich denke;
welche sogar alle transzendentalen Begriffe moeglich macht, in welchen
es heisst: Ich denke die Substanz, die Ursache usw. Denn innere
Erfahrung ueberhaupt und deren Moeglichkeit, oder Wahrnehmung
ueberhaupt und deren Verhaeltnis zu anderer Wahrnehmung, ohne dass
irgendein besonderer Unterschied derselben und Bestimmung empirisch
gegeben ist, kann nicht als empirische Erkenntnis, sondern muss als
Erkenntnis des Empirischen ueberhaupt angesehen werden, und gehoert
zur Untersuchung der Moeglichkeit einer jeden Erfahrung, welche
allerdings transzendental ist. Das mindeste Objekt der Wahrnehmung
(z.B. nur Lust oder Unlust), welche zu der allgemeinen Vorstellung
des Selbstbewusstseins hinzukaeme, wuerde die rationale Psychologie
sogleich in eine empirische verwandeln.
Ich denke, ist also der alleinige Text der rationalen Psychologie, aus
welchem sie ihre ganze Weisheit auswickeln soll. Man sieht leicht,
dass dieser Gedanke, wenn er auf einen Gegenstand (mich selbst)
bezogen werden soll, nichts anderes, als transzendentale Praedikate
desselben, enthalten koenne; weil das mindeste empirische Praedikat
die rationale Reinigkeit und Unabhaengigkeit der Wissenschaft von
aller Erfahrung, verderben wuerde.
Wir werden aber hier bloss dem Leitfaden der Kategorien zu folgen
haben, nur, da hier zuerst ein Ding, Ich, als denkend Wesen,
gegeben worden, so werden wir zwar die obige Ordnung der Kategorien
untereinander, wie sie in ihrer Tafel vorgestellt ist, nicht
veraendern, aber doch hier von der Kategorie der Substanz anfangen,
dadurch ein Ding an sich selbst vorgestellt wird, und so ihrer Reihe
rueckwaerts nachgehen. Die Topik der rationalen Seelenlehre, woraus
alles uebrige, was sie nur enthalten mag, abgeleitet werden muss, ist
demnach folgende:
                    1. Die Seele ist Substanz.
    2. Ihrer Qualitaet nach      3. Den verschiedenen Zeiten nach,
       einfach.                     in welchen sie da ist,
                                    numerisch-identisch, d.i.
                                    Einheit (nicht Vielheit).
                    4. Im Verhaeltnisse
                       zu moeglichen Gegenstaenden im Raume*.
* Der Leser, der aus diesen Ausdruecken, in ihrer transzendentalen
  Abgezogenheit, nicht so leicht den psychologischen Sinn derselben,
  und warum das letztere Attribut der Seele zur Kategorie der Existenz
  gehoere, erraten wird, wird sie in dem Folgenden hinreichend
  erklaert und gerechtfertigt finden. Uebrigens habe ich wegen der
  lateinischen Ausdruecke, die statt der gleichbedeutenden deutschen,
  wider den Geschmack der guten Schreibart, eingeflossen sind, sowohl
  bei diesem Abschnitte, als auch in Ansehung des ganzen Werks, zur
  Entschuldigung anzufuehren: dass ich lieber etwas der Zierlichkeit
  der Sprache habe entziehen, als den Schulgebrauch durch die mindeste
  Unverstaendlichkeit erschweren wollen.
Aus diesen Elementen entspringen alle Begriffe der reinen Seelenlehre,
lediglich durch die Zusammensetzung, ohne im mindesten ein anderes
Prinzipium zu erkennen. Diese Substanz, bloss als Gegenstand des
inneren Sinnes, gibt den Begriff der Immaterialitaet; als einfache
Substanz, der Inkorruptibilitaet; die Identitaet derselben, als
intellektueller Substanz, gibt die Personalitaet; alle diese
drei Stuecke zusammen die Spiritualitaet; das Verhaeltnis zu den
Gegenstaenden im Raume gibt das Kommerzium mit Koerpern; mithin stellt
sie die denkende Substanz, als das Prinzipium des Lebens in der
Materie, d.i. sie als Seele (anima) und als den Grund der Animalitaet
vor; diese durch die Spiritualitaet eingeschraenkt, Immortalitaet.
Hierauf beziehen sich nun vier Paralogismen einer transzendentalen
Seelenlehre, welche faelschlich fuer eine Wissenschaft der reinen
Vernunft, von der Natur unseres denkenden Wesens gehalten wird. Zum
Grunde derselben koennen wir aber nichts anderes legen, als die
einfache und fuer sich selbst an Inhalt gaenzlich leere Vorstellung:
Ich; von der man nicht einmal sagen kann, dass sie ein Begriff sei,
sondern ein blosses Bewusstsein, das alle Begriffe begleitet. Durch
dieses Ich, oder Er, oder Es (das Ding), welches denkt, wird nun
nichts weiter, als ein transzendentales Subjekt der Gedanken
vorgestellt = x, welches nur durch die Gedanken, die seine Praedikate
sind, erkannt wird, und wovon wir, abgesondert, niemals den mindesten
Begriff haben koennen; um welches wir uns daher in einem bestaendigen
Zirkel herumdrehen, indem wir uns seiner Vorstellung jederzeit
schon bedienen muessen, um irgend etwas von ihm zu urteilen; eine
Unbequemlichkeit, die davon nicht zu trennen ist, weil das Bewusstsein
an sich nicht sowohl eine Vorstellung ist, die ein besonderes Objekt
unterscheidet, sondern eine Form derselben ueberhaupt, sofern sie
Erkenntnis genannt werden soll; denn von der allein kann ich sagen,
dass ich dadurch irgend etwas denke.
Es muss aber gleich anfangs befremdlich scheinen, dass die
Bedingung, unter der ich ueberhaupt denke, und die mithin bloss eine
Beschaffenheit meines Subjekts ist, zugleich fuer alles, was denkt,
gueltig sein solle, und dass wir auf einen empirisch scheinenden Satz
ein apodiktisches und allgemeines Urteil zu gruenden uns anmassen
koennen, naemlich: dass alles, was denkt, so beschaffen sei, als
der Ausspruch des Selbstbewusstseins es an mir aussagt. Die Ursache
aber hiervon liegt darin: dass wir den Dingen a priori alle die
Eigenschaften notwendig beilegen muessen, die die Bedingungen
ausmachen, unter welchen wir sie allein denken. Nun kann ich von einem
denkenden Wesen durch keine aeussere Erfahrung, sondern bloss durch
das Selbstbewusstsein die mindeste Vorstellung haben. Also sind
dergleichen Gegenstaende nichts weiter, als die Uebertragung dieses
meines Bewusstseins auf andere Dinge, welche nur dadurch als denkende
Wesen vorgestellt werden. Der Satz: Ich denke, wird aber hierbei nur
problematisch genommen; nicht sofern er eine Wahrnehmung von einem
Dasein enthalten mag, (das Cartesianische cogito, ergo sum,) sondern
seiner blossen Moeglichkeit nach, um zu sehen, welche Eigenschaften
aus diesem so einfachen Satze auf das Subjekt desselben (es mag
dergleichen nun existieren oder nicht) fliessen moegen.
Laege unserer reinen Vernunftserkenntnis von denkenden Wesen
ueberhaupt mehr, als das cogito zum Grunde; wuerden wir die
Beobachtungen, ueber das Spiel unserer Gedanken und die daraus zu
schoepfenden Naturgesetze des denkenden Selbst, auch zu Hilfe nehmen:
so wuerde eine empirische Psychologie entspringen, welche eine Art
der Physiologie des inneren Sinnes sein wuerde, und vielleicht die
Erscheinungen desselben zu erklaeren, niemals aber dazu dienen
koennte, solche Eigenschaften, die gar nicht zur moeglichen Erfahrung
gehoeren (als die des Einfachen), zu eroeffnen, noch von denkenden
Wesen ueberhaupt etwas, das ihre Natur betrifft, apodiktisch zu
lehren; sie waere also keine rationale Psychologie.
Da nun der Satz: Ich denke (problematisch genommen), die Form eines
jeden Verstandesurteils ueberhaupt enthaelt und alle Kategorien als
ihr Vehikel begleitet, so ist klar: dass die Schluesse aus demselben
einen bloss transzendentalen Gebrauch des Verstandes enthalten
koennen, welcher alle Beimischung der Erfahrung ausschlaegt, und an
dessen Fortgang wir, nach dem, was wir oben gezeigt haben, uns schon
zum voraus keinen vorteilhaften Begriff machen koennen. Wir wollen
ihn also durch alle Praedikamente der reinen Seelenlehre mit einem
kritischen Auge verfolgen.
Erster Paralogism der Substantialitaet
Dasjenige, dessen Vorstellung das absolute Subjekt unserer Urteile ist
und daher nicht als Bestimmung eines andern Dinges gebraucht werden
kann, ist Substanz.
Ich, als ein denkend Wesen, bin das absolute Subjekt aller meiner
moeglichen Urteile, und diese Vorstellung von mir selbst kann nicht
zum Praedikat irgendeines andern Dinges gebraucht werden.
Also bin ich, als denkend Wesen (Seele), Substanz.
        Kritik des ersten Paralogism der reinen Psychologie
Wir haben in dem analytischen Teile der transzendentalen Logik
gezeigt: dass reine Kategorien (und unter diesen auch die der
Substanz) an sich selbst gar keine objektive Bedeutung haben, wo ihnen
nicht eine Anschauung untergelegt ist, auf deren Mannigfaltiges sie,
als Funktionen der synthetischen Einheit, angewandt werden koennen.
Ohne das sind sie lediglich Funktionen eines Urteils ohne Inhalt. Von
jedem Dinge ueberhaupt kann ich sagen, es sei Substanz, sofern ich es
von blossen Praedikaten und Bestimmungen der Dinge unterscheide. Nun
ist in allem unserem Denken das Ich das Subjekt, dem Gedanken nur als
Bestimmungen inhaerieren, und dieses Ich kann nicht als die Bestimmung
eines andern Dinges gebraucht werden. Also muss jedermann Sich selbst
notwendigerweise als die Substanz, das Denken aber nur als Akzidenzen
seines Daseins und Bestimmungen seines Zustandes ansehen.
Was soll ich aber nun von diesem Begriffe einer Substanz fuer einen
Gebrauch machen. Dass ich, als ein denkend Wesen, fuer mich selbst
fortdaure, natuerlicherweise weder entstehe noch vergehe, das kann ich
daraus keineswegs schliessen und dazu allein kann mir doch der Begriff
der Substantialitaet meines denkenden Subjekts nutzen, ohne welches
ich ihn gar wohl entbehren koennte.
Es fehlt so viel, dass man diese Eigenschaften aus der blossen reinen
Kategorie einer Substanz schliessen koennte, dass wir vielmehr die
Beharrlichkeit eines gegebenen Gegenstandes aus der Erfahrung zum
Grunde legen muessen, wenn wir auf ihn den empirisch brauchbaren
Begriff von einer Substanz anwenden wollen. Nun haben wir aber bei
unserem Satze keine Erfahrung zum Grunde gelegt, sondern lediglich aus
dem Begriffe der Beziehung, den alles Denken, auf das Ich, als das
gemeinschaftliche Subjekt, hat, dem es inhaeriert, geschlossen. Wir
wuerden auch, wenn wir es gleich darauf anlegten, durch keine sichere
Beobachtung eine solche Beharrlichkeit dartun koennen. Denn das Ich
ist zwar in allen Gedanken, es ist aber mit dieser Vorstellung nicht
die mindeste Anschauung verbunden, die es von anderen Gegenstaenden
der Anschauung unterschiede. Man kann also zwar wahrnehmen, dass diese
Vorstellung bei allem Denken immer wiederum vorkommt, nicht aber, dass
es eine stehende und bleibende Anschauung sei, worin die Gedanken (als
wandelbar) wechselten.
Hieraus folgt: dass der erste Vernunftschluss der transzendentalen
Psychologie uns nur eine vermeintliche neue Einsicht aufhefte, indem
er das bestaendige logische Subjekt des Denkens, fuer die Erkenntnis
des realen Subjekts der Inhaerenz ausgibt, von welchem wir nicht die
mindeste Kenntnis haben, noch haben koennen, weil das Bewusstsein
das einzige ist, was alle Vorstellungen zu Gedanken macht, und worin
mithin alle unsere Wahrnehmungen, als dem transzendentalen Subjekte,
muessen angetroffen werden, und wir, ausser dieser logischen Bedeutung
des Ich, keine Kenntnis von dem Subjekte an sich selbst haben, was
diesem, so wie allen Gedanken, als Substratum zum Grunde liegt.
Indessen kann man den Satz: die Seele ist Substanz, gar wohl gelten
lassen, wenn man sich nur bescheidet: dass unser dieser Begriff nicht
im mindesten weiter fuehre, oder irgendeine von den gewoehnlichen
Folgerungen der vernuenftelnden Seelenlehre, als z.B. die
immerwaehrende Dauer derselben bei allen Veraenderungen und selbst dem
Tode des Menschen lehren koenne, dass er also nur eine Substanz in der
Idee, aber nicht in der Realitaet bezeichne.
Zweiter Paralogism der Simplizitaet
Dasjenige Ding, dessen Handlung niemals als die Konkurrenz vieler
handelnden Dinge angesehen werden kann, ist einfach.
Nun ist die Seele, oder das denkende Ich, ein solches: Also usw.
        Kritik des zweiten Paralogisms der transzendentalen
        Psychologie
Dies ist der Achilles aller dialektischen Schluesse der reinen
Seelenlehre, nicht etwa bloss ein sophistisches Spiel, welches ein
Dogmatiker erkuenstelt, um seinen Behauptungen einen fluechtigen
Schein zu geben, sondern ein Schluss, der sogar die schaerfste
Pruefung und die groesste Bedenklichkeit des Nachforschens auszuhalten
scheint. Hier ist er.
Eine jede zusammengesetzte Substanz ist ein Aggregat vieler, und
die Handlung eines Zusammengesetzten, oder das, was ihm, als einem
solchen, inhaeriert, ist ein Aggregat vieler Handlungen oder
Akzidenzen, welche unter der Menge der Substanzen verteilt sind.
Nun ist zwar eine Wirkung, die aus der Konkurrenz vieler handelnden
Substanzen entspringt, moeglich, wenn diese Wirkung bloss aeusserlich
ist (wie z.B. die Bewegung eines Koerpers die vereinigte Bewegung
aller seiner Teile ist). Allein mit Gedanken, als innerlich zu einem
denkenden Wesen gehoerigen Akzidenzen, ist es anders beschaffen.
Denn, setzt, das Zusammengesetzte daechte: so wuerde ein jeder Teil
desselben einen Teil des Gedankens, alle aber zusammengenommen
allererst den ganzen Gedanken enthalten. Nun ist dieses aber
widersprechend. Denn, weil die Vorstellungen, die unter verschiedenen
Wesen verteilt sind, (z.B. die einzelnen Woerter eines Verses) niemals
einen ganzen Gedanken (einen Vers) ausmachen: so kann der Gedanke
nicht einem Zusammengesetzten, als einem solchen, inhaerieren. Er
ist also nur in einer Substanz moeglich, die nicht ein Aggregat von
vielen, mithin schlechterdings einfach ist*.
* Es ist sehr leicht, diesem Beweise die gewoehnliche schulgerechte
  Abgemessenheit der Einkleidung zu geben. Allein, es ist zu meinem
  Zwecke schon hinreichend, den blossen Beweisgrund, allenfalls auf
  populaere Art, vor Augen zu legen.
Der sogenannte nervus probandi dieses Argumente liegt in dem Satze:
dass viele Vorstellungen in der absoluten Einheit des denkenden
Subjekts enthalten sein muessen, um einen Gedanken auszumachen. Diesen
Satz aber kann niemand aus Begriffen beweisen. Denn, wie wollte er es
wohl anfangen, um dies zu leisten? Der Satz: Ein Gedanke kann nur die
Wirkung der absoluten Einheit des denkenden Wesens sein, kann nicht
als analytisch behandelt werden. Denn die Einheit des Gedankens, der
aus vielen Vorstellungen besteht, ist kollektiv und kann sich, den
blossen Begriffen nach, ebensowohl auf die kollektive Einheit der
daran mitwirkenden Substanzen beziehen, (wie die Bewegung eines
Koerpers die zusammengesetzte Bewegung aller Teile desselben ist) als
auf die absolute Einheit des Subjekts. Nach der Regel der Identitaet
kann also die Notwendigkeit der Voraussetzung einer einfachen
Substanz, bei einem zusammengesetzten Gedanken, nicht eingesehen
werden. Dass aber ebenderselbe Satz synthetisch und voellig a priori
aus lauter Begriffen erkannt werden solle, das wird sich niemand zu
verantworten getrauen, der den Grund der Moeglichkeit synthetischer
Saetze a priori, so wie wir ihn oben dargestellt haben, einsieht.
Nun ist es aber auch unmoeglich, diese notwendige Einheit des
Subjekts, als die Bedingung der Moeglichkeit eines jeden Gedankens,
aus der Erfahrung abzuleiten. Denn diese gibt keine Notwendigkeit zu
erkennen, geschweige, dass der Begriff der absoluten Einheit weit
ueber ihre Sphaere ist. Woher nehmen wir denn diesen Satz, worauf sich
der ganze psychologische Vernunftschluss stuetzt?
Es ist offenbar: dass, wenn man sich ein denkend Wesen vorstellen
will, man sich selbst an seine Stelle setzen, und also dem Objekte,
welches man erwaegen wollte, sein eigenes Subjekt unterschieben
muesse, (welches in keiner anderen Art der Nachforschung der Fall ist)
und dass wir nur darum absolute Einheit des Subjekts zu einem Gedanken
erfordern, weil sonst nicht gesagt werden koennte: Ich denke (das
Mannigfaltige in einer Vorstellung). Denn obgleich das Ganze des
Gedankens geteilt und unter viele Subjekte verteilt werden koennte, so
kann doch das subjektive Ich nicht geteilt und verteilt werden, und
dieses setzen wir doch bei allem Denken voraus.
Also bleibt ebenso hier, wie in dem vorigen Paralogism, der formale
Satz der Apperzeption: Ich denke, der ganze Grund, auf welchen die
rationale Psychologie die Erweiterung ihrer Erkenntnisse wagt,
welcher Satz zwar freilich keine Erfahrung ist, sondern die Form der
Apperzeption, die jeder Erfahrung anhaengt und ihr vorgeht, gleichwohl
aber nur immer in Ansehung einer moeglichen Erkenntnis ueberhaupt,
als bloss subjektive Bedingung derselben, angesehen werden muss,
die wir mit Unrecht zur Bedingung der Moeglichkeit einer Erkenntnis
der Gegenstaende, naemlich zu einem Begriffe vom denkenden Wesen
ueberhaupt machen, weil wir dieses uns nicht vorstellen koennen, ohne
uns selbst mit der Formel unseres Bewusstseins an die Stelle jedes
anderen intelligenten Wesens zu setzen.
Aber die Einfachheit meiner selbst (als Seele) wird auch wirklich
nicht aus dem Satze: Ich denke, geschlossen, sondern der erstere liegt
schon in jedem Gedanken selbst. Der Satz: Ich bin einfach, muss als
ein unmittelbarer Ausdruck der Apperzeption angesehen werden, so wie
der vermeintliche kartesianische Schluss, cogito, ergo sum, in der Tat
tautologisch ist, indem das cogito (sum cogitans) die Wirklichkeit
unmittelbar aussagt. Ich bin einfach, bedeutet aber nichts mehr, als
dass diese Vorstellung: Ich, nicht die mindeste Mannigfaltigkeit in
sich lasse, und dass sie absolute (obzwar bloss logische) Einheit sei.
Also ist der so beruehmte psychologische Beweis lediglich auf der
unteilbaren Einheit einer Vorstellung, die nur das Verbum in Ansehung
einer Person dirigiert, gegruendet. Es ist aber offenbar: dass das
Subjekt der Inhaerenz durch das dem Gedanken angehaengte Ich nur
transzendental bezeichnet werde, ohne die mindeste Eigenschaft
desselben zu bemerken, oder ueberhaupt etwas von ihm zu kennen,
oder zu wissen. Es bedeutet ein Etwas ueberhaupt (transzendentales
Subjekt), dessen Vorstellung allerdings einfach sein muss, eben darum,
weil man gar nichts an ihm bestimmt, wie denn gewiss nichts einfacher
vorgestellt werden kann, als durch den Begriff von einem blossen
Etwas. Die Einfachheit aber der Vorstellung von einem Subjekt ist
darum nicht eine Erkenntnis von der Einfachheit des Subjekts selbst,
denn von dessen Eigenschaften wird gaenzlich abstrahiert, wenn es
lediglich durch den an Inhalt gaenzlich leeren Ausdruck Ich, (welchen
ich auf jedes denkende Subjekt anwenden kann), bezeichnet wird.
Soviel ist gewiss: dass ich mir durch das Ich jederzeit eine absolute,
aber logische Einheit des Subjekts (Einfachheit) gedenke, aber nicht,
dass ich dadurch die wirkliche Einfachheit meines Subjekts erkenne.
So wie der Satz: ich bin Substanz, nichts als die reine Kategorie
bedeutete, von der ich in concreto keinen Gebrauch (empirischen)
machen kann: so ist es mir auch erlaubt zu sagen: Ich bin eine
einfache Substanz, d.i. deren Vorstellung niemals eine Synthesis des
Mannigfaltigen enthaelt, aber dieser Begriff, oder auch dieser Satz,
lehrt uns nicht das mindeste in Ansehung meiner selbst als eines
Gegenstandes der Erfahrung, weil der Begriff der Substanz selbst nur
als Funktion der Synthesis, ohne unterlegte Anschauung, mithin ohne
Objekt gebraucht wird, und nur von der Bedingung unserer Erkenntnis,
aber nicht von irgendeinem anzugebenden Gegenstande gilt. Wir wollen
ueber die vermeintliche Brauchbarkeit dieses Satzes einen Versuch
anstellen.
Jedermann muss gestehen: dass die Behauptung von der einfachen Natur
der Seele nur sofern von einigem Werte sei, als ich dadurch dieses
Subjekt von aller Materie zu unterscheiden und sie folglich von der
Hinfaelligkeit ausnehmen kann, der diese jederzeit unterworfen ist.
Auf diesen Gebrauch ist obiger Satz auch ganz eigentlich angelegt,
daher er auch mehrerenteils so ausgedrueckt wird: die Seele ist nicht
koerperlich. Wenn ich nun zeigen kann: dass, ob man gleich diesem
Kardinalsatze der rationalen Seelenlehre, in der reinen Bedeutung
eines blossen Vernunftsurteils, (aus reinen Kategorien), alle
objektive Gueltigkeit einraeumt, (alles, was denkt, ist einfache
Substanz), dennoch nicht der mindeste Gebrauch von diesem Satze, in
Ansehung der Ungleichartigkeit, oder Verwandtschaft derselben mit der
Materie, gemacht werden koenne: so wird dieses ebensoviel sein, als ob
ich diese vermeintliche psychologische Einsicht in das Feld blosser
Ideen verwiesen haette, denen es an Realitaet des objektiven Gebrauchs
mangelt.
Wir haben in der transzendentalen Aesthetik unleugbar bewiesen: dass
Koerper blosse Erscheinungen unseres aeusseren Sinnes, und nicht Dinge
an sich selbst sind. Diesem gemaess koennen wir mit Recht sagen: dass
unser denkendes Subjekt nicht koerperlich sei, das heisst: dass, da
es als Gegenstand des inneren Sinnes von uns vorgestellt wird, es,
insofern als es denkt, kein Gegenstand aeusserer Sinne, d.i. keine
Erscheinung im Raume sein koenne. Dieses will nun so viel sagen: es
koennen uns niemals unter aeusseren Erscheinungen denkende Wesen, als
solche, vorkommen, oder, wir koennen ihre Gedanken, ihr Bewusstsein,
ihre Begierden usw. nicht aeusserlich anschauen; denn dieses gehoert
alles vor den inneren Sinn. In der Tat scheint dieses Argument auch
das natuerliche und populaere, worauf selbst der gemeinste Verstand
von jeher gefallen zu sein scheint, und dadurch schon sehr frueh
Seelen, als von den Koerpern ganz unterschiedene Wesen, zu betrachten
angefangen hat.
Ob nun aber gleich die Ausdehnung, die Undurchdringlichkeit,
Zusammenhang und Bewegung, kurz alles, was uns aeussere Sinne nur
liefern koennen, nicht Gedanken, Gefuehl, Neigung oder Entschliessung
sein, oder solche enthalten werden, als die ueberall keine
Gegenstaende aeusserer Anschauung sind, so konnte doch wohl dasjenige
Etwas, welches den aeusseren Erscheinungen zum Grunde liegt, was
unseren Sinn so affiziert, dass er die Vorstellungen von Raum,
Materie, Gestalt usw. bekommt, dieses Etwas, als Noumenon (oder
besser, als transzendentaler Gegenstand) betrachtet, koennte doch auch
zugleich das Subjekt der Gedanken sein, wiewohl wir durch die Art,
wie unser aeusserer Sinn dadurch affiziert wird, keine Anschauung
von Vorstellungen, Willen usw., sondern bloss vom Raum und dessen
Bestimmungen bekommen. Dieses Etwas aber ist nicht ausgedehnt, nicht
undurchdringlich, nicht zusammengesetzt, weil alle diese Praedikate
nur die Sinnlichkeit und deren Anschauung angehen, sofern wir von
dergleichen (uns uebrigens unbekannten) Objekten affiziert werden.
Diese Ausdruecke aber geben gar nicht zu erkennen, was fuer ein
Gegenstand es sei, sondern nur: dass ihm, als einem solchen, der ohne
Beziehung auf aeussere Sinne an sich selbst betrachtet wird, diese
Praedikate aeusserer Erscheinungen nicht beigelegt werden koennen.
Allein die Praedikate des innern Sinnes, Vorstellungen und Denken,
widersprechen ihm nicht. Demnach ist selbst durch die eingeraeumte
Einfachheit der Natur die menschliche Seele von der Materie, wenn man
sie (wie man soll) bloss als Erscheinung betrachtet, in Ansehung des
Substrati derselben gar nicht hinreichend unterschieden.
Waere Materie ein Ding an sich selbst, so wuerde sie als ein
zusammengesetztes Wesen von der Seele, als einem einfachen, sich ganz
und gar unterscheiden. Nun ist sie aber bloss aeussere Erscheinung,
deren Substratum durch gar keine anzugebende Praedikate erkannt wird;
mithin kann ich von diesem wohl annehmen, dass es an sich einfach
sei, ob es zwar in der Art, wie es unsere Sinne affiziert, in uns die
Anschauung des Ausgedehnten und mithin Zusammengesetzten hervorbringt,
und dass also der Substanz, der in Ansehung unseres aeusseren Sinnes
Ausdehnung zukommt, an sich selbst Gedanken beiwohnen, die durch ihren
eigenen inneren Sinn mit Bewusstsein vorgestellt werden koennen. Auf
solche Weise wuerde ebendasselbe, was in einer Beziehung koerperlich
heisst, in einer andere zugleich ein denkend Wesen sein, dessen
Gedanken wir zwar nicht, aber doch die Zeichen derselben in der
Erscheinung, anschauen koennen. Dadurch wuerde der Ausdruck wegfallen,
dass nur Seelen (als besondere Arten von Substanzen) denken; es
wuerde vielmehr wie gewoehnlich heissen, dass Menschen denken, d.i.
ebendasselbe, was, als aeussere Erscheinung, ausgedehnt ist, innerlich
(an sich selbst) ein Subjekt sei, was nicht zusammengesetzt, sondern
einfach ist und denkt.
Aber, ohne dergleichen Hypothesen zu erlauben, kann man allgemein
bemerken: dass, wenn ich unter Seele ein denkend Wesen an sich
verstehe, die Frage an sich schon unschicklich sei: ob sie naemlich
mit der Materie (die gar kein Ding an sich selbst, sondern nur eine
Art Vorstellungen in uns ist) von gleicher Art sei, oder nicht, denn
das versteht sich schon von selbst, dass ein Ding an sich selbst von
anderer Natur sei, als die Bestimmungen, die bloss seinen Zustand
ausmachen.
Vergleichen wir aber das denkende Ich nicht mit der Materie, sondern
mit dem Intelligiblen, welches der aeusseren Erscheinung, die wir
Materie nennen, zum Grunde liegt: so koennen wir, weil wir vom
letzteren gar nichts wissen, auch nicht sagen: dass die Seele sich von
diesem irgend worin innerlich unterscheide.
So ist demnach das einfache Bewusstsein keine Kenntnis der einfachen
Natur unseres Subjekts, insofern, als dieses dadurch von der Materie,
als einem zusammengesetzten Wesen, unterschieden werden soll.
Wenn dieser Begriff aber dazu nicht taugt, ihn in dem einzigen Falle,
da er brauchbar ist, naemlich in der Vergleichung meiner selbst
mit Gegenstaenden aeusserer Erfahrung, das Eigentuemliche und
Unterscheidende seiner Natur zu bestimmen, so mag man immer zu
wissen vorgeben: das denkende Ich, die Seele, (ein Name fuer den
transzendentalen Gegenstand des inneren Sinnes) sei einfach; dieser
Ausdruck hat deshalb doch gar keinen auf wirkliche Gegenstaende sich
erstreckenden Gebrauch und kann daher unsere Erkenntnis nicht im
mindesten erweitern.
So faellt demnach die ganze rationale Psychologie mit ihrer
Hauptstuetze, und wir koennen so wenig hier, wie sonst jemals, hoffen,
durch blosse Begriffe, (noch weniger aber durch die blosse subjektive
Form aller unserer Begriffe, das Bewusstsein,) ohne Beziehung auf
moegliche Erfahrung, Einsichten auszubreiten, zumalen, da selbst der
Fundamentalbegriff einer einfachen Natur von der Art ist, dass er
ueberall in keiner Erfahrung angetroffen werden kann, und es mithin
gar keinen Weg gibt, zu demselben, als einem objektivgueltigen
Begriffe, zu gelangen.
Dritter Paralogism der Personalitaet
Was sich der numerischen Identitaet seiner Selbst in verschiedenen
Zeiten bewusst ist, ist sofern eine Person:
Nun ist die Seele usw.
Also sie ist eine Person.
        Kritik des dritten Paralogisms der transzendentalen
        Psychologie
Wenn ich die numerische Identitaet eines aeusseren Gegenstandes durch
Erfahrung erkennen will, so werde ich auf das Beharrliche derjenigen
Erscheinung, worauf, als Subjekt, sich alles uebrige als Bestimmung
bezieht, achthaben und die Identitaet von jenem in der Zeit, da dieses
wechselt, bemerken. Nun aber bin ich ein Gegenstand des inneren
Sinnes und alle Zeit ist bloss die Form des inneren Sinnes. Folglich
beziehe ich alle und jede meiner sukzessiven Bestimmungen auf das
numerisch-identische Selbst, in aller Zeit, d.i. in der Form der
inneren Anschauung meiner selbst. Auf diesen Fuss muesste die
Persoenlichkeit der Seele nicht einmal als geschlossen, sondern als
ein voellig identischer Satz des Selbstbewusstseins in der Zeit
angesehen werden, und das ist auch die Ursache, weswegen er a priori
gilt. Denn er sagt wirklich nichts mehr, als in der ganzen Zeit, darin
ich mir meiner bewusst bin, bin ich mir dieser Zeit, als zur Einheit
meines Selbst gehoerig, bewusst, und es ist einerlei, ob ich sage:
diese ganze Zeit ist in Mir, als individueller Einheit, oder ich bin,
mit numerischer Identitaet, in aller dieser Zeit befindlich.
Die Identitaet der Person ist also in meinem eigenen Bewusstsein
unausbleiblich anzutreffen. Wenn ich mich aber aus dem Gesichtspunkte
eines andern (als Gegenstand seiner aeusseren Anschauung) betrachte,
so erwaegt dieser aeussere Beobachter mich allererst in der Zeit, denn
in der Apperzeption ist die Zeit eigentlich nur in mir vorgestellt.
Er wird also aus dem Ich, welches alle Vorstellungen zu aller Zeit
in meinem Bewusstsein, und zwar mit voelliger Identitaet, begleitet,
ob er es gleich einraeumt, doch noch nicht auf die objektive
Beharrlichkeit meiner selbst schliessen. Denn da alsdann die Zeit, in
welche der Beobachter mich setzt, nicht diejenige ist, die in meiner
eigenen, sondern die in seiner Sinnlichkeit angetroffen wird, so ist
die Identitaet, die mit meinem Bewusstsein notwendig verbunden ist,
nicht darum mit dem seinigen, d.i. mit der aeusseren Anschauung meines
Subjekts verbunden.
Es ist also die Identitaet des Bewusstseins Meiner selbst in
verschiedenen Zeiten nur eine normale Bedingung meiner Gedanken und
ihres Zusammenhanges, beweist aber gar nicht die numerische Identitaet
meines Subjekts, in welchem, ohnerachtet der logischen Identitaet des
Ich, doch ein solcher Wechsel vorgegangen sein kann, der es nicht
erlaubt, die Identitaet desselben beizubehalten; obzwar ihm immer noch
das gleichlautende Ich zuzuteilen, welches in jedem andern Zustande,
selbst der Umwandlung des Subjekts, doch immer den Gedanken des
vorhergehenden Subjekts aufbehalten und so auch dem folgenden
ueberliefern koennte*.
* Eine elastische Kugel, die auf eine gleiche in gerader Richtung
  stoesst, teilt dieser ihre ganze Bewegung, mithin ihren ganzen
  Zustand (wenn man bloss auf die Stellen im Raume sieht) mit. Nehmt
  nun, nach der Analogie mit dergleichen Koerpern, Substanzen an,
  deren die eine der andere Vorstellungen, samt deren Bewusstsein
  einfloesste, so wird sich eine ganze Reihe derselben denken lassen,
  deren die erste ihren Zustand, samt dessen Bewusstsein, der zweiten,
  diese ihren eigenen Zustand, samt dem der vorigen Substanz, der
  dritten und diese ebenso die Zustaende aller vorigen, samt ihrem
  eigenen und deren Bewusstsein, mitteilte. Die letzte Substanz wuerde
  also aller Zustaende der vor ihr veraenderten Substanzen sich als
  ihrer eigenen bewusst sein, weil jene zusamt dem Bewusstsein in
  sie uebertragen worden, und demunerachtet, wuerde sie doch nicht
  ebendieselbe Person in allen diesen Zustaenden gewesen sein.
Wenngleich der Satz einiger alten Schulen: dass alles fliessend und
nichts in der Welt beharrlich und bleibend sei, nicht stattfinden
kann, sobald man Substanzen annimmt, so ist er doch nicht durch die
Einheit des Selbstbewusstseins widerlegt. Denn wir selbst koennen
aus unserem Bewusstsein darueber nicht urteilen, ob wir als Seele
beharrlich sind, oder nicht, weil wir zu unserem identischen Selbst
nur dasjenige zaehlen, dessen wir uns bewusst sind, und so allerdings
notwendig urteilen muessen: dass wir in der ganzen Zeit, deren wir uns
bewusst sind, ebendieselbe sind. In dem Standpunkte eines Fremden aber
koennen wir dieses darum noch nicht fuer gueltig erklaeren, weil, da
wir an der Seele keine beharrliche Erscheinung antreffen, als nur die
Vorstellung Ich, welche sie alle begleitet und verknuepft, so koennen
wir niemals ausmachen, ob dieses Ich (ein blosser Gedanke) nicht
ebensowohl fliesse, als die uebrigen Gedanken, die dadurch aneinander
gekettet werden.
Es ist aber merkwuerdig, dass die Persoenlichkeit und deren
Voraussetzung, die Beharrlichkeit, mithin die Substanzialitaet der
Seele jetzt allererst bewiesen werden muss. Denn koennten wir diese
voraussetzen, so wuerde zwar daraus noch nicht die Fortdauer des
Bewusstseins, aber doch die Moeglichkeit eines fortwaehrenden
Bewusstseins in einem bleibenden Subjekt folgen, welches zu der
Persoenlichkeit schon hinreichend ist, die dadurch, dass ihre Wirkung
etwa eine Zeit hindurch unterbrochen wird, selbst nicht sofort
aufhoert. Aber diese Beharrlichkeit ist uns vor der numerischen
Identitaet unserer Selbst, die wir aus der identischen Apperzeption
folgern, durch nichts gegeben, sondern wird daraus allererst
gefolgert, (und auf diese muesste, wenn es recht zuginge, allererst
der Begriff der Substanz folgen, der allein empirisch brauchbar ist.)
Da nun diese Identitaet der Person aus der Identitaet des Ich, in dem
Bewusstsein aller Zeit, darin ich mich erkenne, keineswegs folgt: so
hat auch oben die Substanzialitaet der Seele darauf nicht gegruendet
werden koennen.
Indessen kann, so wie der Begriff der Substanz und des Einfachen,
ebenso auch der Begriff der Persoenlichkeit (sofern er bloss
transzendental ist, d.i. Einheit des Subjekts, das uns uebrigens
unbekannt ist, in dessen Bestimmungen aber eine durchgaengige
Verknuepfung durch Apperzeption ist) bleiben, und sofern ist dieser
Begriff auch zum praktischen Gebrauche noetig und hinreichend,
aber auf ihn, als Erweiterung unserer Selbsterkenntnis durch reine
Vernunft, welche uns eine ununterbrochene Fortdauer des Subjekts aus
dem blossen Begriffe des identischen Selbst vorspiegelt, koennen wir
nimmermehr Staat machen, da dieser Begriff sich immer um sich selbst
herumdreht, und uns in Ansehung keiner einzigen Frage, welche auf
synthetische Erkenntnis angelegt ist, weiterbringt. Was Materie fuer
ein Ding an sich selbst (transzendentales Objekt) sei, ist uns zwar
gaenzlich unbekannt; gleichwohl kann doch die Beharrlichkeit derselben
als Erscheinung, dieweil sie als etwas Aeusserliches vorgestellt
wird, beobachtet werden. Da ich aber, wenn ich das blosse Ich bei dem
Wechsel aller Vorstellungen beobachten will, kein ander Korrelatum
meiner Vergleichungen habe, als wiederum Mich selbst, mit den
allgemeinen Bedingungen meines Bewusstseins, so kann ich keine andere,
als tautologische Beantwortungen auf alle Fragen geben, indem ich
naemlich meinen Begriff und dessen Einheit den Eigenschaften, die mir
selbst als Objekt zukommen, unterschiebe, und das voraussetze, was man
zu wissen verlangte.
Der vierte Paralogism der Idealitaet
(des aeusseren Verhaeltnisses)
Dasjenige, auf dessen Dasein, nur als einer Ursache zu gegebenen
Wahrnehmungen, geschlossen werden kann, hat eine nur zweifelhafte
Existenz:
Nun sind alle aeusseren Erscheinungen von der Art: dass ihr Dasein
nicht unmittelbar wahrgenommen, sondern auf sie, als die Ursache
gegebener Wahrnehmungen, allein geschlossen werden kann:
Also ist das Dasein aller Gegenstaende aeusserer Sinne zweifelhaft.
Diese Ungewissheit nenne ich die Idealitaet aeusserer Erscheinungen
und die Lehre dieser Idealitaet heisst der Idealism, in Vergleichung
mit welchem die Behauptung einer moeglichen Gewissheit von
Gegenstaenden aeusserer Sinne, der Dualism genannt wird.
        Kritik des vierten Paralogisms der transzendentalen
        Psychologie
Zuerst wollen wir die Praemissen der Pruefung unterwerfen. Wir kennen
mit Recht behaupten, dass nur dasjenige, was in uns selbst ist,
unmittelbar wahrgenommen werden koenne, und dass meine eigene Existenz
allein der Gegenstand einer blossen Wahrnehmung sein koenne. Also
ist das Dasein eines wirklichen Gegenstandes ausser mir (wenn dieses
Wort in intellektueller Bedeutung genommen wird) niemals geradezu
in der Wahrnehmung gegeben, sondern kann nur zu dieser, welche eine
Modifikation des inneren Sinnes ist, als aeussere Ursache derselben
hinzugedacht und mithin geschlossen werden. Daher auch Cartesius
mit Recht alle Wahrnehmung in der engsten Bedeutung auf den Satz
einschraenkte: Ich (als ein denkend Wesen) bin. Es ist naemlich
klar: dass, da das Aeussere nicht in mir ist, ich es nicht in meiner
Apperzeption, mithin auch in keiner Wahrnehmung, welche eigentlich nur
die Bestimmung der Apperzeption ist, antreffen koenne.
Ich kann also aeussere Dinge eigentlich nicht wahrnehmen, sondern nur
aus meiner inneren Wahrnehmung auf ihr Dasein schliessen, indem ich
diese als die Wirkung ansehe, wozu etwas Aeusseres die naechste
Ursache ist. Nun ist aber der Schluss von einer gegebenen Wirkung auf
eine bestimmte Ursache jederzeit unsicher; weil die Wirkung aus mehr
all einer Ursache entsprungen sein kann. Demnach bleibt es in der
Beziehung der Wahrnehmung auf ihre Ursache jederzeit zweifelhaft:
ob diese innerlich, oder aeusserlich sei, ob also alle sogenannten
aeusseren Wahrnehmungen nicht ein blosses Spiel unseres inneren Sinnes
sind, oder ob sie sich auf aeussere wirkliche Gegenstaende, als
ihre Ursache beziehen. Wenigstens ist das Dasein der letzteren nur
geschlossen, und laeuft die Gefahr aller Schluesse, dahingegen
der Gegenstand des inneren Sinnes (Ich selbst mit allen meinen
Vorstellungen) unmittelbar wahrgenommen wird, und die Existenz
desselben gar keinen Zweifel leidet.
Unter einem Idealisten muss man also nicht denjenigen verstehen, der
das Dasein aeusserer Gegenstaende der Sinne leugnet, sondern der
nur nicht einraeumt: dass es durch unmittelbare Wahrnehmung erkannt
werde, daraus aber schliesst, dass wir ihrer Wirklichkeit durch alle
moegliche Erfahrung niemals voellig gewiss werden koennen.
Ehe ich nun unseren Paralogismus seinem trueglichen Scheine nach
darstelle, muss ich zuvor bemerken, dass man notwendig einen
zweifachen Idealism unterscheiden muesse, den transzendentalen und den
empirischen. Ich verstehe aber unter dem transzendentalen Idealism
aller Erscheinungen den Lehrbegriff, nach welchem wir sie insgesamt
als blosse Vorstellungen, und nicht als Dinge an sich selbst, ansehen,
und demgemaess Zeit und Raum nur sinnliche Formen unserer Anschauung,
nicht aber fuer sich gegebene Bestimmungen, oder Bedingungen der
Objekte, als Dinge an sich selbst sind. Diesem Idealism ist ein
transzendentaler Realism entgegengesetzt, der Zeit und Raum als etwas
an sich (unabhaengig von unserer Sinnlichkeit) Gegebenes ansieht.
Der transzendentale Realist stellt sich also aeussere Erscheinungen
(wenn man ihre Wirklichkeit einraeumt) als Dinge an sich selbst vor,
die unabhaengig von uns und unserer Sinnlichkeit existieren, also
auch nach reinen Verstandesbegriffen ausser uns waeren. Dieser
transzendentale Realist ist es eigentlich, welcher nachher den
empirischen Idealisten spielt, und nachdem er faelschlich von
Gegenstaenden der Sinne vorausgesetzt hat, dass, wenn sie aeussere
sein sollen, sie an sich selbst auch ohne Sinne ihre Existenz haben
muessten, in diesem Gesichtspunkte alle unsere Vorstellungen der Sinne
unzureichend findet, die Wirklichkeit derselben gewiss zu machen.
Der transzendentale Idealist kann hingegen ein empirischer Realist,
mithin, wie man ihn nennt, ein Dualist sein, d.i. die Existenz
der Materie einraeumen, ohne aus dem blossen Selbstbewusstsein
hinauszugehen, und etwas mehr, als die Gewissheit der Vorstellungen
in mir, mithin das cogito, ergo sum, anzunehmen. Denn weil er diese
Materie und sogar deren innere Moeglichkeit bloss fuer Erscheinung
gelten laesst, die, von unserer Sinnlichkeit abgetrennt, nichts ist:
so ist sie bei ihm nur eine Art Vorstellungen (Anschauung), welche
aeusserlich heissen, nicht, als ob sie sich auf an sich selbst
aeussere Gegenstaende bezoegen, sondern weil sie Wahrnehmungen auf den
Raum beziehen, in welchem alles aussereinander, er selbst der Raum
aber in uns ist.
Fuer diesen transzendentalen Idealism haben wir uns nun schon
im Anfange erklaert. Also faellt bei unserem Lehrbegriff alle
Bedenklichkeit weg, das Dasein der Materie ebenso auf das Zeugnis
unseres blossen Selbstbewusstseins anzunehmen und dadurch fuer
bewiesen zu erklaeren, wie das Dasein meiner selbst als eines
denkenden Wesens. Denn ich bin mir doch meiner Vorstellungen bewusst;
also existieren diese und ich selbst, der ich diese Vorstellungen
habe. Nun sind aber aeussere Gegenstaende (die Koerper) bloss
Erscheinungen, mithin auch nichts anderes, als eine Art meiner
Vorstellungen, deren Gegenstaende nur durch diese Vorstellungen
etwas sind, von ihnen abgesondert aber nichts sind. Also existieren
ebensowohl aeussere Dinge, als ich Selbst existiere, und zwar beide
auf das unmittelbare Zeugnis meines Selbstbewusstseins, nur mit dem
Unterschiede: dass die Vorstellung meiner Selbst, als des denkenden
Subjekts, bloss auf den innern, die Vorstellungen aber, welche
ausgedehnte Wesen bezeichnen, auch auf den aeusseren Sinn bezogen
werden. Ich habe in Absicht auf die Wirklichkeit aeusserer
Gegenstaende ebensowenig noetig zu schliessen, als in Ansehung
der Wirklichkeit des Gegenstandes meines inneren Sinnes, (meiner
Gedanken), denn sie sind beiderseitig nichts als Vorstellungen, deren
unmittelbare Wahrnehmung (Bewusstsein) zugleich ein genuegsamer Beweis
ihrer Wirklichkeit ist.
Also ist der transzendentale Idealist ein empirischer Realist und
gesteht der Materie, als Erscheinung, eine Wirklichkeit zu, die nicht
geschlossen werden darf, sondern unmittelbar wahrgenommen wird.
Dagegen kommt der transzendentale Realismus notwendig in Verlegenheit,
und sieht sich genoetigt, dem empirischen Idealismus Platz
einzuraeumen, weil er die Gegenstaende aeusserer Sinne fuer etwas
von den Sinnen selbst Unterschiedenes und blosse Erscheinungen fuer
selbstaendige Wesen ansieht, die sich ausser uns befinden; da denn
freilich, bei unserem besten Bewusstsein unserer Vorstellung von
diesen Dingen, noch lange nicht gewiss ist, dass, wenn die Vorstellung
existiert, auch der ihr korrespondierende Gegenstand existiere;
dahingegen in unserem System diese aeusseren Dinge, die Materie
naemlich, in allen ihren Gestalten und Veraenderungen, nichts
als blosse Erscheinungen, d.i. Vorstellungen in uns sind, deren
Wirklichkeit wir uns unmittelbar bewusst werden.
Da nun, soviel ich weiss, alle dem empirischen Idealismus anhaengenden
Psychologen transzendentale Realisten sind, so haben sie freilich ganz
konsequent verfahren, dem empirischen Idealism grosse Wichtigkeit
zuzugestehen, als einem von den Problemen, daraus die menschliche
Vernunft sich schwerlich zu helfen wisse. Denn in der Tat, wenn man
aeussere Erscheinungen als Vorstellungen ansieht, die von ihren
Gegenstaenden, als an sich ausser uns befindlichen Dingen, in uns
gewirkt werden, so ist nicht abzusehen, wie man dieser ihr Dasein
anders, als durch den Schluss von der Wirkung auf die Ursache,
erkennen koenne, bei welchem es immer zweifelhaft bleiben muss, ob die
letztere in uns, oder ausser uns sei. Nun kann man zwar einraeumen:
dass von unseren aeusseren Anschauungen etwas, was im transzendentalen
Verstande ausser uns sein mag, die Ursache sei, aber dieses ist
nicht der Gegenstand, den wir unter den Vorstellungen der Materie
und koerperlicher Dinge verstehen; denn diese sind lediglich
Erscheinungen, d.i. blosse Vorstellungsarten, die sich jederzeit
nur in uns befinden, und deren Wirklichkeit auf dem unmittelbaren
Bewusstsein ebenso, wie das Bewusstsein meiner eigenen Gedanken
beruht. Der transzendentale Gegenstand ist, sowohl in Ansehung der
inneren als aeusseren Anschauung, gleich unbekannt. Von ihm aber ist
auch nicht die Rede, sondern von dem empirischen, welcher alsdann ein
aeusserer heisst, wenn er im Raume, und ein innerer Gegenstand, wenn
er lediglich im Zeitverhaeltnisse vorgestellt wird, Raum aber und Zeit
sind beide nur in uns anzutreffen.
Weil indessen der Ausdruck: ausser uns, eine nicht zu vermeidende
Zweideutigkeit bei sich fuehrt, indem er bald etwas bedeutet, was als
Ding an sich selbst von uns unterschieden existiert, bald was bloss
zur aeusseren Erscheinung gehoert, so wollen wir, um diesen Begriff in
der letzteren Bedeutung, als in welcher eigentlich die psychologische
Frage, wegen der Realitaet unserer aeusseren Anschauung, genommen
wird, ausser Unsicherheit zu setzen, empirisch aeusserliche
Gegenstaende dadurch von denen, die so im transzendentalen Sinne
heissen moechten, unterscheiden, dass wir sie geradezu Dinge nennen,
die im Raume anzutreffen sind.
Raum und Zeit sind zwar Vorstellungen a priori, welche uns als Formen
unserer sinnlichen Anschauung beiwohnen, ehe noch ein wirklicher
Gegenstand unseren Sinn durch Empfindung bestimmt hat, um ihn unter
jenen sinnlichen Verhaeltnissen vorzustellen. Allein dieses Materielle
oder Reale, dieses Etwas, was im Raume angeschaut werden soll, setzt
notwendig Wahrnehmung voraus, und kann unabhaengig von dieser,
welche die Wirklichkeit von etwas im Raume anzeigt, durch keine
Einbildungskraft gedichtet und hervorgebracht werden. Empfindung
ist also dasjenige, was eine Wirklichkeit im Raume und der Zeit
bezeichnet, nachdem sie auf die eine, oder die andere Art der
sinnlichen Anschauung bezogen wird. Ist Empfindung einmal gegeben,
(welche, wenn sie auf einen Gegenstand ueberhaupt, ohne diesen zu
bestimmen, angewandt wird, Wahrnehmung heisst,) so kann durch die
Mannigfaltigkeit derselben mancher Gegenstand in der Einbildung
gedichtet werden, der ausser der Einbildung im Raume oder der Zeit
keine empirische Stelle hat. Dieses ist ungezweifelt gewiss, man mag
nun die Empfindungen, Lust und Schmerz, oder auch der aeusseren, als
Farben, Waerme usw. nehmen, so ist Wahrnehmung dasjenige, wodurch der
Stoff, um Gegenstaende der sinnlichen Anschauung zu denken, zuerst
gegeben werden muss. Diese Wahrnehmung stellt also, (damit wir diesmal
nur bei aeusseren Anschauungen bleiben) etwas Wirkliches im Raume vor.
Denn erstlich ist Wahrnehmung die Vorstellung einer Wirklichkeit,
so wie Raum die Vorstellung einer blossen Moeglichkeit des
Beisammenseins. Zweitens wird diese Wirklichkeit vor dem aeusseren
Sinn, d.i. im Raume vorgestellt. Drittens ist der Raum selbst nichts
anderes, als blosse Vorstellung, mithin kann in ihm nur das als
wirklich gelten, was in ihm vorgestellt* wird, und umgekehrt, was in
ihm gegeben, d.i. durch Wahrnehmung vorgestellt wird, ist in ihm auch
wirklich; denn waere es in ihm nicht wirklich, d.i. unmittelbar durch
empirische Anschauung gegeben, so koennte es auch nicht erdichtet
werden, weil man das Reale der Anschauungen gar nicht a priori
erdenken kann.
* Man muss diesen paradoxen, aber richtigen Satz wohl merken: dass im
  Raume nichts sei, als was in ihm vorgestellt wird. Denn der Raum ist
  selbst nichts anderes, als Vorstellung, folglich was in ihm ist,
  muss in der Vorstellung enthalten sein, und im Raume ist gar nichts,
  ausser, sofern es in ihm wirklich vorgestellt wird. Ein Satz, der
  allerdings befremdlich klingen muss: dass eine Sache nur in der
  Vorstellung von ihr existieren koenne, der aber hier das Anstoessige
  verliert, weil die Sachen, mit denen wir es zu tun haben, nicht
  Dinge an sich, sondern nur Erscheinungen, d.i. Vorstellungen sind.
Alle aeussere Wahrnehmung also beweist unmittelbar etwas Wirkliches im
Raume, oder ist vielmehr das Wirkliche selbst, und insofern ist also
der empirische Realismus ausser Zweifel, d.i. es korrespondiert
unseren aeusseren Anschauungen etwas Wirkliches im Raume. Freilich ist
der Raum selbst, mit allen seinen Erscheinungen, als Vorstellungen,
nur in mir, aber in diesem Raume ist doch gleichwohl das Reale, oder
der Stoff aller Gegenstaende aeusserer Anschauung, wirklich und
unabhaengig von aller Erdichtung gegeben, und es ist auch unmoeglich:
dass in diesem Raume irgend etwas ausser uns (im transzendentalen
Sinne) gegeben werden sollte, weil der Raum selbst ausser unserer
Sinnlichkeit nichts ist. Also kann der strengste Idealist nicht
verlangen, man solle beweisen: dass unserer Wahrnehmung der Gegenstand
ausser uns (in strikter Bedeutung) entspreche. Denn wenn es
dergleichen gaebe, so wuerde es doch nicht als ausser uns vorgestellt
und angeschaut werden koennen, weil dieses den Raum voraussetzt, und
die Wirklichkeit im Raume, als einer blossen Vorstellung, nichts
anderes als die Wahrnehmung selbst ist. Das Reale aeusserer
Erscheinungen ist also wirklich nur in der Wahrnehmung und kann auf
keine andere Weise wirklich sein.
Aus Wahrnehmungen kann nun, durch ein blosses Spiel der Einbildung,
oder auch vermittels der Erfahrung, Erkenntnis der Gegenstaende
erzeugt werden. Und da koennen allerdings truegliche Vorstellungen
entspringen, denen die Gegenstaende nicht entsprechen und wobei die
Taeuschung bald einem Blendwerke der Einbildung, (im Traume), bald
einem Fehltritte der Urteilskraft (beim sogenannten Betruge der Sinne)
beizumessen ist. Um nun hierin dem falschen Scheine zu entgehen,
verfaehrt man nach der Regel: Was mit einer Wahrnehmung nach
empirischen Gesetzen zusammenhaengt, ist wirklich. Allein diese
Taeuschung sowohl, als die Verwahrung wider dieselbe, trifft
ebensowohl den Idealismus als den Dualism, indem es dabei nur um
die Form der Erfahrung zu tun ist. Den empirischen Idealismus, als
eine falsche Bedenklichkeit wegen der objektiven Realitaet unserer
aeusseren Wahrnehmungen, zu widerlegen, ist schon hinreichend: dass
aeussere Wahrnehmung eine Wirklichkeit im Raume unmittelbar beweise,
welcher Raum, ob er zwar an sich nur blosse Form der Vorstellungen
ist, dennoch in Ansehung aller aeusseren Erscheinungen (die auch
nichts anderes als blosse Vorstellungen sind) objektive Realitaet hat;
imgleichen: dass ohne Wahrnehmung selbst die Erdichtung und der Traum
nicht moeglich sind, unsere aeusseren Sinne also, den datis nach,
woraus Erfahrung entspringen kann, ihre wirklichen korrespondierenden
Gegenstaende im Raume haben.
Der dogmatische Idealist wuerde derjenige sein, der das Dasein der
Materie leugnet, der skeptische, der sie bezweifelt, weil er sie fuer
unerweislich haelt. Der erstere kann es nur darum sein, weil er in der
Moeglichkeit einer Materie ueberhaupt Widersprueche zu finden glaubt,
und mit diesem haben wir es jetzt noch nicht zu tun. Der folgende
Abschnitt von dialektischen Schluessen, der die Vernunft in
ihrem inneren Streite in Ansehung der Begriffe, die sich von der
Moeglichkeit dessen, was in den Zusammenhang der Erfahrung gehoert,
vorstellt, wird auch dieser Schwierigkeit abhelfen. Der skeptische
Idealist aber, der bloss den Grund unserer Behauptung anficht
und unsere Ueberredung von dem Dasein der Materie, die wir auf
unmittelbare Wahrnehmung zu gruenden glauben, fuer unzureichend
erklaert, ist sofern ein Wohltaeter der menschlichen Vernunft, als er
uns noetigt, selbst bei dem kleinsten Schritte der gemeinen Erfahrung,
die Augen wohl aufzutun, und, was wir vielleicht nur erschleichen,
nicht sogleich als wohlerworben in unseren Besitz aufzunehmen. Der
Nutzen, den diese idealistischen Entwuerfe hier schaffen, faellt jetzt
klar in die Augen. Sie treiben uns mit Gewalt dahin, wenn wir uns
nicht in unseren gemeinsten Behauptungen verwickeln wollen, alle
Wahrnehmungen, sie moegen nun innere, oder aeussere heissen, bloss
als ein Bewusstsein dessen, was unserer Sinnlichkeit anhaengt und die
aeusseren Gegenstaende derselben nicht fuer Dinge an sich selbst,
sondern nur fuer Vorstellungen anzusehen, deren wir uns, wie jeder
anderen Vorstellung, unmittelbar bewusst werden koennen, die aber
darum aeussere heissen, weil sie demjenigen Sinne anhaengen, den wir
den aeusseren Sinn nennen, dessen Anschauung der Raum ist, der aber
doch selbst nichts anders, als eine innere Vorstellungsart ist, in
welcher sich gewisse Wahrnehmungen miteinander verknuepfen.
Wenn wir aeussere Gegenstaende fuer Dinge an sich gelten lassen, so
ist schlechthin unmoeglich zu begreifen, wie wir zur Erkenntnis ihrer
Wirklichkeit ausser uns kommen sollten, indem wir um bloss auf die
Vorstellung stuetzen, die in uns ist. Denn man kann doch ausser
sich nicht empfinden, sondern nur in sich selbst, und das ganze
Selbstbewusstsein liefert daher nichts, als lediglich unsere eigenen
Bestimmungen. Also noetigt uns der skeptische Idealism, die einzige
Zuflucht, die uns uebrig bleibt, naemlich zu der Idealitaet aller
Erscheinungen zu ergreifen, welche wir in der transzendentalen
Aesthetik unabhaengig von diesen Folgen, die wir damals nicht
voraussehen konnten, dargetan haben. Fragt man nun: ob denn diesem
zufolge der Dualism allein in der Seelenlehre stattfinde, so ist die
Antwort: Allerdings! aber nur im empirischen Verstande, d.i. in dem
Zusammenhange der Erfahrung ist wirklich Materie, als Substanz in der
Erscheinung, dem aeusseren Sinne, so wie das denkende Ich, gleichfalls
als Substanz in der Erscheinung, vor dem inneren Sinne gegeben und
nach den Regeln, welche diese Kategorie in den Zusammenhang unserer
aeusserer sowohl als innerer Wahrnehmungen zu einer Erfahrung
hineinbringt, muessen auch beiderseits Erscheinungen unter sich
verknuepft werden. Wollte man aber den Begriff des Dualismus, wie
es gewoehnlich geschieht, erweitern und ihn im transzendentalen
Verstande nehmen, so haetten weder er, noch der ihm entgegengesetzte
Pneumatismus einerseits, oder der Materialismus andererseits,
nicht den mindesten Grund, indem man alsbald die Bestimmung seiner
Begriffe verfehlte, und die Verschiedenheit der Vorstellungsart von
Gegenstaenden, die uns nach dem, was sie an sich sind, unbekannt
bleiben, fuer eine Verschiedenheit dieser Dinge selbst haelt. Ich,
durch den inneren Sinn in der Zeit vorgestellt, und Gegenstaende
im Raume, ausser mir, sind zwar skeptisch ganz unterschiedene
Erscheinungen, aber dadurch werden sie nicht als verschiedene
Dinge gedacht. Das transzendentale Objekt, welches den aeusseren
Erscheinungen, imgleichen das, was der inneren Anschauung zum Grunde
liegt, ist weder Materie, noch ein denkend Wesen an sich selbst,
sondern ein uns unbekannter Grund der Erscheinungen, die den
empirischen Begriff von der ersten sowohl als zweiten Art an die Hand
geben.
Wenn wir also, wie uns denn die gegenwaertige Kritik augenscheinlich
dazu noetigt, der oben festgesetzten Regel treu bleiben, unsere Fragen
nicht weiterzutreiben, als nur soweit moegliche Erfahrung uns das
Objekt derselben an die Hand geben kann: so werden wir es uns nicht
einmal einfallen lassen, ueber die Gegenstaende unserer Sinne nach
demjenigen, was sie an sich selbst, d.i. ohne alle Beziehung auf die
Sinne sein moegen, Erkundigung anzustellen Wenn aber der Psycholog
Erscheinungen fuer Dinge an sich selbst nimmt, so mag er als
Materialist einzig und allein Materie, oder als Spiritualist bloss
denkende Wesen (naemlich nach der Form unseres inneren Sinnes) oder
als Dualist beide, als fuer sich existierende Dinge, in seinen
Lehrbegriff aufnehmen, so ist er doch immer durch Missverstand
hingehalten ueber die Art zu vernuenfteln, wie dasjenige an sich
selbst existieren moege, was doch kein Ding an sich, sondern nur die
Erscheinung eines Dinges ueberhaupt ist.
Betrachtung ueber die Summe der reinen Seelenlehre, zufolge diesen
Paralogismen
Wenn wir die Seelenlehre, als die Physiologie der inneren Sinnes mit
der Koerperlehre, als einer Physiologie der Gegenstaende aeusserer
Sinne vergleichen: so finden wir, ausser dem, dass in beiden vieles
empirisch erkannt werden kann, doch diesen merkwuerdigen Unterschied,
dass in der letzteren Wissenschaft doch vieles a priori, aus dem
blossen Begriffe eines ausgedehnten undurchdringlichen Wesens, in der
ersteren aber, aus dem Begriffe eines denkenden Wesens, gar nichts
a priori synthetisch erkannt werden kann. Die Ursache ist diese.
Obgleich beides Erscheinungen sind, so hat doch die Erscheinung vor
dem aeusseren Sinne etwas Stehendes, oder Bleibendes, welches ein, den
wandelbaren Bestimmungen zum Grunde liegendes Substratum und mithin
einen synthetischen Begriff, naemlich den vom Raume und einer
Erscheinung in demselben, an die Hand gibt, anstatt dass die Zeit,
welche die einzige Form unserer inneren Anschauung ist, nichts
Bleibendes hat, mithin nur den Wechsel der Bestimmungen, nicht aber
den bestimmbaren Gegenstand zu erkennen gibt. Denn, in dem was
wir Seele nennen, ist alles im kontinuierlichen Flusse und nichts
Bleibendes, ausser etwa (wenn man es durchaus will) das darum so
einfache Ich, weil diese Vorstellung keinen Inhalt, mithin kein
Mannigfaltiges hat, weswegen sie auch scheint ein einfaches Objekt
vorzustellen, oder besser gesagt, zu bezeichnen. Dieses Ich muesste
eine Anschauung sein, welche, da sie beim Denken ueberhaupt (vor aller
Erfahrung) vorausgesetzt wuerde, als Anschauung a priori synthetische
Saetze lieferte, wenn es moeglich sein sollte, eine reine
Vernunfterkenntnis von der Natur eines denkenden Wesens ueberhaupt
zustande zu bringen. Allein dieses Ich ist sowenig Anschauung, als
Begriff von irgendeinem Gegenstande, sondern die blosse Form des
Bewusstseins, welches beiderlei Vorstellungen begleiten, und sie
dadurch zu Erkenntnissen erheben kann, sofern naemlich dazu noch
irgend etwas anderes in der Anschauung gegeben wird, welches zu einer
Vorstellung von einem Gegenstande Stoff darreicht. Also faellt die
ganze rationale Psychologie, als eine, alle Kraefte der menschlichen
Vernunft uebersteigende Wissenschaft, und es bleibt uns nichts uebrig,
als unsere Seele an dem Leitfaden der Erfahrung zu studieren und uns
in den Schranken der Fragen zu halten, die nicht weiter gehen, als
moegliche innere Erfahrung ihren Inhalt darlegen kann.
Ob sie nun aber gleich als erweiternde Erkenntnis keinen Nutzen hat,
sondern als solche aus lauter Paralogismen zusammengesetzt ist, so
kann man ihr doch, wenn es fuer nichts mehr, als eine kritische
Behandlung unserer dialektischer Schluesse, und zwar der gemeinen und
natuerlichen Vernunft gelten soll, einen wichtigen negativen Nutzen
nicht absprechen.
Wozu haben wir wohl eine bloss auf reine Vernunftprinzipien
gegruendete Seelenlehre noetig? Ohne Zweifel vorzueglich in der
Absicht, um unser denkendes Selbst wider die Gefahr des Materialismus
zu sichern. Dieses leistet aber der Vernunftbegriff von unserem
denkenden Selbst, den wir gegeben haben. Denn weit gefehlt, dass nach
demselben einige Furcht uebrig bliebe, dass, wenn man die Materie
wegnaehme, dadurch alles Denken und selbst die Existenz denkender
Wesen aufgehoben werden wuerde, so wird vielmehr klar gezeigt: dass,
wenn ich das denkende Subjekt wegnaehme, die ganze Koerperwelt
wegfallen muss, als die nichts ist, als die Erscheinung in der
Sinnlichkeit unseres Subjekts und eine Art Vorstellungen desselben.
Dadurch erkenne ich zwar freilich dieses denkende Selbst seinen
Eigenschaften nach nicht besser, noch kann ich seine Beharrlichkeit,
ja selbst nicht einmal die Unabhaengigkeit seiner Existenz, von dem
etwaigen transzendentalen Substratum aeusserer Erscheinungen einsehen,
denn dieses ist mir, ebensowohl als jenes, unbekannt. Weil es
aber gleichwohl moeglich ist, dass ich anderswoher, als aus bloss
spekulativen Gruenden Ursache hernaehme, eine selbstaendige und bei
allem moeglichen Wechsel meines Zustandes beharrliche Existenz meiner
denkenden Natur zu hoffen, so ist dadurch schon viel gewonnen, bei
dem freien Gestaendnis meiner eigenen Unwissenheit, dennoch die
dogmatischen Angriffe eines spekulativen Gegners abtreiben zu koennen,
und ihm zu zeigen: dass er niemals mehr von der Natur meines Subjekts
wissen koenne, um meinen Erwartungen die Moeglichkeit abzusprechen,
als ich, um mich an ihnen zu halten.
Auf diesen transzendentalen Schein unserer psychologischen Begriffe
gruenden sich dann noch drei dialektische Fragen, welche das
eigentliche Ziel der rationalen Psychologie ausmachen, und nirgends
anders, als durch obige Untersuchungen entschieden werden koennen:
naemlich 1) von der Moeglichkeit der Gemeinschaft der Seele mit einem
organischen Koerper, d.i. der Animalitaet und dem Zustande der Seele
im Leben des Menschen, 2) vom Anfange dieser Gemeinschaft, d.i.
der Seele in und vor der Geburt des Menschen, 3) dem Ende dieser
Gemeinschaft, d.i. der Seele im und nach dem Tode des Menschen (Frage
wegen der Unsterblichkeit).
Ich behaupte nun: dass alle Schwierigkeiten, die man bei diesen Fragen
vorzufinden glaubt, und mit denen, als dogmatischen Einwuerfen, man
sich das Ansehen einer tieferen Einsicht in die Natur der Dinge,
als der gemeine Verstand wohl haben kann, zu geben sucht, auf einem
blossen Blendwerke beruhe, nach welchem man das, was bloss in Gedanken
existiert, hypostasiert, und in ebenderselben Qualitaet, als einen
wirklichen Gegenstand ausserhalb dem denkenden Subjekte annimmt,
naemlich Ausdehnung, die nichts als Erscheinung ist, fuer eine, auch
ohne unsere Sinnlichkeit, subsistierende Eigenschaft aeusserer Dinge,
und Bewegung fuer deren Wirkung, welche auch ausser unseren Sinnen an
sich wirklich vorgeht, zu halten. Denn die Materie, deren Gemeinschaft
mit der Seele so grosses Bedenken erregt, ist nichts anderes als eine
blosse Form, oder eine gewisse Vorstellungsart eines unbekannten
Gegenstandes, durch diejenige Anschauung, welche man den aeusseren
Sinn nennt. Es mag also wohl etwas ausser uns sein, dem diese
Erscheinung, welche wir Materie nennen, korrespondiert; aber, in
derselben Qualitaet als Erscheinung ist es nicht ausser uns, sondern
lediglich als ein Gedanke in uns, wiewohl dieser Gedanke durch
genannten Sinn, es als ausser uns befindlich vorstellt. Materie
bedeutet also nicht eine von dem Gegenstande des inneren Sinnes
(Seele) so ganz unterschiedene und heterogene Art von Substanzen,
sondern nur die Ungleichartigkeit der Erscheinungen von Gegenstaenden
(die uns an sich selbst unbekannt sind), deren Vorstellungen wir
aeussere nennen, in Vergleichung mit denen, die wir zum inneren Sinne
zaehlen, ob sie gleich ebensowohl bloss zum denkenden Subjekte, ab
alle uebrigen Gedanken, gehoeren, nur dass sie dieses Taeuschende
an sich haben: dass, da sie Gegenstaende im Raume vorstellen, sich
gleichsam von der Seele abloesen und ausser ihr zu schweben scheinen,
da doch selbst der Raum, darin sie angeschaut werden, nichts als eine
Vorstellung ist, deren Gegenbild in derselben Qualitaet ausser der
Seele gar nicht angetroffen werden kann. Nun ist die Frage nicht mehr:
von der Gemeinschaft der Seele mit anderen bekannten und fremdartigen
Substanzen ausser um, sondern bloss von der Verknuepfung der
Vorstellungen des inneren Sinnes mit den Modifikationen unserer
aeusseren Sinnlichkeit, und wie diese untereinander nach bestaendigen
Gesetzen verknuepft sein moegen, so dass sie in einer Erfahrung
zusammenhaengen.
Solange wir innere und aeussere Erscheinungen, als blosse
Vorstellungen in der Erfahrung, miteinander zusammenhalten, so finden
wir nichts Widersinnisches und welches die Gemeinschaft beider Art
Sinne befremdlich machte. Sobald wir aber die aeusseren Erscheinungen
hypostasieren, sie nicht mehr als Vorstellungen, sondern in derselben
Qualitaet, wie sie in uns sind, auch als ausser uns fuer sich
bestehende Dinge, ihre Handlungen aber, die sie als Erscheinungen
gegeneinander im Verhaeltnis zeigen, auf unser denkendes Subjekts
beziehen, so haben wir einen Charakter der wirkenden Ursachen ausser
uns, der sich mit ihren Wirkungen in uns nicht zusammenreimen will,
weil jener sich bloss auf aeussere Sinne, diese aber auf den inneren
Sinn beziehen, welche, ob sie zwar in einem Subjekte vereinigt,
dennoch hoechst ungleichartig sind. Da haben wir denn keine anderen
aeussere Wirkungen, als Veraenderungen des Ortes, und keine Kraefte,
als bloss Bestrebungen, welche auf Verhaeltnisse im Raume, als ihre
Wirkungen, auslaufen. In uns aber sind die Wirkungen Gedanken,
unter denen kein Verhaeltnis des Ortes, Bewegung, Gestalt, oder
Raumesbestimmung ueberhaupt stattfindet, und wir verlieren den
Leitfaden der Ursachen gaenzlich an den Wirkungen, die sich davon in
dem inneren Sinne zeigen sollten. Aber wir sollten bedenken: dass
nicht die Koerper Gegenstaende an sich sind, die uns gegenwaertig
sind, sondern eine blosse Erscheinung, wer weiss, welches unbekannten
Gegenstandes, dass die Bewegung nicht die Wirkung dieser unbekannten
Ursache, sondern bloss die Erscheinung ihres Einflusses auf unsere
Sinne sei, dass folglich beide nicht etwas ausser uns, sondern bloss
Vorstellungen in uns sind, mithin dass nicht die Bewegung der Materie
in uns Vorstellungen wirke, sondern dass sie selbst (mithin auch die
Materie, die sich dadurch kennbar macht) blosse Vorstellung sei und
endlich die ganze selbstgemachte Schwierigkeit darauf hinauslaufe:
wie und durch welche Ursache die Vorstellungen unserer Sinnlichkeit
so untereinander in Verbindung stehen, dass diejenige, welche
wir aeussere Anschauungen nennen, nach empirischen Gesetzen, als
Gegenstaende ausser uns, vorgestellt werden koennen, welche Frage nun
ganz und gar nicht die vermeinte Schwierigkeit enthaelt, den Ursprung
der Vorstellungen von ausser uns befindlichen ganz fremdartigen
wirkenden Ursachen zu erklaeren, indem wir die Erscheinungen einer
unbekannten Ursache fuer die Ursache ausser uns nehmen, welches nichts
als Verwirrung veranlassen kann. In Urteilen, in denen eine durch
lange Gewohnheit eingewurzelte Missdeutung vorkommt, ist es
unmoeglich, die Berichtigung sofort zu derjenigen Fasslichkeit zu
bringen, welche in anderen Faellen gefordert werden kann, wo keine
dergleichen unvermeidliche Illusion den Begriff verwirrt. Daher
wird diese unsere Befreiung der Vernunft von sophistischen Theorien
schwerlich schon die Deutlichkeit haben, die ihr zur voelligen
Befriedigung noetig ist.
Ich glaube, diese auf folgende Weise befoerdern zu koennen.
Alle Einwuerfe koennen in dogmatische, kritische und skeptische
eingeteilt werden. Der dogmatische Einwurf ist, der wider einen Satz,
der kritische, der wider den Beweis eines Satzes gerichtet ist. Der
erstere bedarf einer Einsicht in die Beschaffenheit der Natur des
Gegenstandes, um das Gegenteil von demjenigen behaupten zu koennen,
was der Satz von diesem Gegenstande vorgibt, er ist daher selbst
dogmatisch und gibt vor, die Beschaffenheit, von der die Rede, ist,
besser zu kennen, als der Gegenteil. Der kritische Einwurf, weil er
den Satz in seinem Werte oder Unwerte unangetastet laesst, und nur den
Beweis anficht, bedarf gar nicht den Gegenstand besser zu kennen, oder
sich einer besseren Kenntnis desselben anzumassen; er zeigt nur, dass
die Behauptung grundlos, nicht, dass sie unrichtig sei. Der skeptische
stellt Satz und Gegensatz wechselseitig gegeneinander, als Einwuerfe
von gleicher Erheblichkeit, einen jeden derselben wechselweise
als Dogma und den anderen als dessen Einwurf, ist also auf zwei
entgegengesetzten Seiten dem Scheine nach dogmatisch, um alles Urteil
ueber den Gegenstand gaenzlich zu vernichten. Der dogmatische also
sowohl, als skeptische Einwurf, muessen beide so viel Einsicht ihres
Gegenstandes vorgeben, als noetig ist, etwas von ihm bejahend oder
verneinend zu behaupten. Der kritische ist allein von der Art, dass,
indem er bloss zeigt, man nehme zum Behuf seiner Behauptung etwas an,
was nichtig und bloss eingebildet ist, die Theorie stuerzt, dadurch,
dass sie ihr die angemasste Grundlage entzieht, ohne sonst etwas ueber
die Beschaffenheit des Gegenstandes ausmachen zu wollen.
Nun sind wir nach den gemeinen Begriffen unserer Vernunft in Ansehung
der Gemeinschaft, darin unser denkendes Subjekt mit den Dingen ausser
uns steht, dogmatisch und sehen diese als wahrhafte unabhaengig von
uns bestehende Gegenstaende an, nach einem gewissen transzendentalen
Dualism, der jene aeusseren Erscheinungen nicht als Vorstellungen zum
Subjekte zaehlt, sondern sie, so wie sinnliche Anschauung sie uns
liefert, ausser uns als Objekte versetzt und sie von dem denkenden
Subjekte gaenzlich abtrennt. Diese Subreption ist nun die Grundlage
aller Theorien ueber die Gemeinschaft zwischen Seele und Koerper,
und es wird niemals gefragt: ob denn diese objektive Realitaet der
Erscheinungen so ganz richtig sei, sondern diese wird als zugestanden
vorausgesetzt und nur ueber die Art vernuenftelt, wie sie erklaert und
begriffen werden muesse. Die gewoehnlichen drei hierueber erdachten
und wirklich einzig moeglichen Systeme sind die, des physischen
Einflusses, der vorher bestimmten Harmonie und der uebernatuerlichen
Assistenz.
Die zwei letzteren Erklaerungsarten der Gemeinschaft der Seele mit der
Materie sind auf Einwuerfe gegen die erstere, welche die Vorstellung
des gemeinen Verstandes ist, gegruendet, dass naemlich dasjenige,
was als Materie erscheint, durch seinen unmittelbaren Einfluss nicht
die Ursache von Vorstellungen, als einer ganz heterogenen Art von
Wirkungen, sein koenne. Sie koennen aber alsdann mit dem, was sie
unter dem Gegenstande aeusserer Sinne verstehen, nicht den Begriff
einer Materie verbinden, welche nichts als Erscheinung, mithin schon
an sich selbst blosse Vorstellung, die durch irgendwelche aeusseren
Gegenstaende gewirkt worden, denn sonst wuerden sie sagen; dass
die Vorstellungen aeusserer Gegenstaende (die Erscheinungen) nicht
aeussere Ursachen der Vorstellungen in unserem Gemuete sein koennen,
welches ein ganz sinnleerer Einwurf sein wuerde, weil es niemanden
einfallen wird, das, was er einmal als blosse Vorstellung anerkannt
hat, fuer eine aeussere Ursache zu halten. Sie muessen also nach
unseren Grundsaetzen ihre Theorie darauf richten: dass dasjenige, was
der wahre (transzendentale) Gegenstand unsrer aeusseren Sinne ist,
nicht die Ursache derjenigen Vorstellungen (Erscheinungen) sein
koenne, die wir unter dem Namen Materie verstehen. Da nun niemand mit
Grund vorgeben kann, etwas von der transzendentalen Ursache unserer
Vorstellungen aeusserer Sinne zu kennen, so ist ihre Behauptung ganz
grundlos. Wollten aber die vermeinten Verbesserer der Lehre vom
physischen Einflusse, nach der gemeinen Vorstellungsart eines
transzendentalen Dualism, die Materie, als solche, fuer ein Ding
an sich selbst (und nicht als blosse Erscheinung eines unbekannten
Dinges) ansehen und ihren Einwurf dahin richten, zu zeigen: dass ein
solcher aeusserer Gegenstand, welcher keine andere Kausalitaet als
die der Bewegungen an sich zeigt, nimmermehr die wirkende Ursache
von Vorstellungen sein koenne, sondern dass sich ein drittes Wesen
deshalb ins Mittel schlagen muesse, um, wo nicht Wechselwirkung, doch
wenigstens Korrespondenz und Harmonie zwischen beiden zu stiften: so
wuerden sie ihre Widerlegung davon anfangen, das proton pheydos des
physischen Einflusses in ihrem Dualismus anzunehmen, und also durch
ihren Einwurf nicht sowohl den natuerlichen Einfluss, sondern
ihre eigene dualistische Voraussetzung widerlegen. Denn alle
Schwierigkeiten, welche die Verbindung der denkenden Natur mit der
Materie treffen, entspringen ohne Ausnahme lediglich aus jener
erschlichenen dualistischen Vorstellung: dass Materie, als solche,
nicht Erscheinung, d.i. blosse Vorstellung des Gemuets, der ein
unbekannter Gegenstand entspricht, sondern der Gegenstand an
sich selbst sei, so wie er ausser uns und unabhaengig von aller
Sinnlichkeit existiert.
Es kann also wider den gemein angenommenen physischen Einfluss kein
dogmatischer Einwurf gemacht werden. Denn nimmt der Gegner an: dass
Materie und ihre Bewegung blosse Erscheinungen und also selbst nur
Vorstellungen seien, so kann er nur darin die Schwierigkeit setzen:
dass der unbekannte Gegenstand unserer Sinnlichkeit nicht die Ursache
der Vorstellungen in uns sein koenne, welches aber vorzugeben ihn
nicht das mindeste berechtigt, weil niemand von einem unbekannten
Gegenstande ausmachen kann, was er tun oder nicht tun koenne. Er muss
aber, nach unseren obigen Beweisen, diesen transzendentalen Idealism
notwendig einraeumen, wofern er nicht offenbar Vorstellungen
hypostasieren und sie, als wahre Dinge, ausser sich versetzen will.
Gleichwohl kann wider die gemeine Lehrmeinung des physischen
Einflusses ein gegruendeter kritischer Einwurf gemacht werden. Eine
solche vorgegebene Gemeinschaft zwischen zwei Arten von Substanzen,
der denkenden und der ausgedehnten, legt einen groben Dualism
zum Grunde und macht die letztere, die doch nichts als blosse
Vorstellungen des denkenden Subjekts sind, zu Dingen, die fuer sich
bestehen. Also kann der missverstandene physische Einfluss dadurch
voellig vereitelt werden, dass man den Beweisgrund desselben als
nichtig und erschlichen aufdeckt.
Die beruechtigte Frage, wegen der Gemeinschaft des Denkenden und
Ausgedehnten, wuerde also, wenn man alles Eingebildete absondert,
lediglich darauf hinauslaufen: wie in einem denkenden Subjekt
ueberhaupt, aeussere Anschauung, naemlich die des Raumes (einer
Erfuellung desselben Gestalt und Bewegung) moeglich sei. Auf diese
Frage aber ist es keinem Menschen moeglich, eine Antwort zu finden,
und man kann diese Luecke unseres Wissens niemals ausfuellen, sondern
nur dadurch bezeichnen, dass man die aeusseren Erscheinungen einem
transzendentalen Gegenstande zuschreibt, welcher die Ursache dieser
Art Vorstellungen ist, den wir aber gar nicht kennen, noch jemals
einigen Begriff von ihm bekommen werden. In allen Aufgaben, die im
Felde der Erfahrung vorkommen moegen, behandeln wir jene Erscheinungen
als Gegenstaende an sich selbst, ohne uns um den ersten Grund ihrer
Moeglichkeit (als Erscheinungen) zu bekuemmern. Gehen wir aber ueber
deren Grenze hinaus, so wird der Begriff eines transzendentalen
Gegenstandes notwendig.
Von diesen Erinnerungen, ueber die Gemeinschaft zwischen dem denkenden
und den ausgedehnten Wesen, ist die Entscheidung aller Streitigkeiten
oder Einwuerfe, welche den Zustand der denkenden Natur vor dieser
Gemeinschaft (dem Leben), oder nach aufgehobener solchen Gemeinschaft
(im Tode) betreffen, eine unmittelbare Folge. Die Meinung, dass das
denkende Subjekt vor aller Gemeinschaft mit Koerpern habe denken
koennen, wuerde sich so ausdruecken: dass vor dem Anfange dieser Art
der Sinnlichkeit, wodurch uns etwas im Raume erscheint, dieselben
transzendentalen Gegenstaende, welche im gegenwaertigen Zustande
als Koerper erscheinen, auf ganz andere Art haben angeschaut werden
koennen. Die Meinung aber, dass die Seele, nach Aufhebung aller
Gemeinschaft mit der koerperlichen Welt, noch fortfahren koenne zu
denken, wuerde sich in dieser Form ankuendigen: dass, wenn die Art
der Sinnlichkeit, wodurch uns transzendentale und fuer jetzt ganz
unbekannte Gegenstaende als materielle Welt erscheinen, aufhoeren
sollte: so sei darum noch nicht alle Anschauung derselben aufgehoben
und es sei ganz wohl moeglich, dass ebendieselben unbekannten
Gegenstaende fortfuehren, obzwar freilich nicht mehr in der Qualitaet
der Koerper, von dem denkenden Subjekt erkannt zu werden.
Nun kann zwar niemand den mindesten Grund zu einer solchen Behauptung
aus spekulativen Prinzipien anfuehren, ja nicht einmal die
Moeglichkeit davon dartun, sondern nur voraussetzen; aber ebensowenig
kann auch jemand irgendeinen gueltigen dogmatischen Einwurf
dagegen machen. Denn, wer er auch sei, so weiss er ebensowenig
von der absoluten und inneren Ursache aeusserer und koerperlicher
Erscheinungen, wie ich, oder jemand anders. Er kann also auch nicht
mit Grund vorgeben, zu wissen, worauf die Wirklichkeit der aeusseren
Erscheinungen im jetzigen Zustande (im Leben) beruhe, mithin auch
nicht: dass die Bedingung aller aeusseren Anschauung, oder auch das
denkende Subjekt selbst, nach demselben (im Tode) aufhoeren werde.
So ist denn also aller Streit ueber die Natur unseres denkenden Wesens
und der Verknuepfung desselben mit der Koerperwelt lediglich eine
Folge davon, dass man in Ansehung dessen, wovon man nichts weiss,
die Luecke durch Paralogismen der Vernunft ausfuellt, da man seine
Gedanken zu Sachen macht und sie hypostasiert, woraus eingebildete
Wissenschaft, sowohl in Ansehung dessen, der bejahend, als dessen,
der verneinend behauptet, entspringt, indem ein jeder entweder von
Gegenstaenden etwas zu wissen vermeint, davon kein Mensch einigen
Begriff hat, oder seine eigenen Vorstellungen zu Gegenstaenden
macht, und sich so in einem ewigen Zirkel von Zweideutigkeiten und
Widerspruechen herumdreht. Nichts, als die Nuechternheit einer
strengen, aber gerechten Kritik, kann von diesem dogmatischen
Blendwerke, der so viele durch eingebildete Glueckseligkeit, unter
Theorien und Systemen hinhaelt, befreien, und alle unsere spekulativen
Ansprueche bloss auf das Feld moeglicher Erfahrung einschraenken,
nicht etwa durch schalen Spott ueber so oft fehlgeschlagene
Versuche, oder fromme Seufzer ueber die Schranken unserer Vernunft,
sondern vermittels einer nach sicheren Grundsaetzen vollzogenen
Grenzbestimmung derselben, welche ihr nihil ulterius mit groesster
Zuverlaessigkeit an die herkulischen Saeulen heftet, die die Natur
selbst aufgestellt hat, um die Fahrt unserer Vernunft nur so weit, als
die stetig fortlaufenden Kuesten der Erfahrung reichen, fortzusetzen,
die wir nicht verlassen koennen, ohne uns auf einen uferlosen Ozean zu
wagen, der uns unter immer trueglichen Aussichten, am Ende noetigt,
alle beschwerliche und langwierige Bemuehung, als hoffnungslos
aufzugeben.
                          *           *
                                *
Wir sind noch eine deutliche und allgemeine Eroerterung des
transzendentalen und doch natuerlichen Scheins in den Paralogismen der
reinen Vernunft, imgleichen die Rechtfertigung der systematischen und
der Tafel der Kategorien parallel laufenden Anordnungen derselben,
bisher schuldig geblieben. Wir haetten sie im Anfange dieses
Abschnittes nicht uebernehmen koennen, ohne in Gefahr der Dunkelheit
zu geraten, oder uns unschicklicherweise selbst vorzugreifen. Jetzt
wollen wir diese Obliegenheit zu erfuellen suchen.
Man kann allen Schein darin setzen. dass die subjektive Bedingung des
Denkens fuer die Erkenntnis des Objekts gehalten wird. Ferner haben
wir in der Einleitung in die transzendentale Dialektik gezeigt: dass
reine Vernunft sich lediglich mit der Totalitaet der Synthesis der
Bedingungen, zu einem gegebenen Bedingten, beschaeftige. Da nun der
dialektische Schein der reinen Vernunft kein empirischer Schein sein
kann, der sich beim bestimmten empirischen Erkenntnisse vorfindet: so
wird er das Allgemeine der Bedingungen des Denkens betreffen, und es
wird nur drei Faelle des dialektischen Gebrauches der reinen Vernunft
geben:
    1. Die Synthesis der Bedingungen eines Gedankens ueberhaupt.
    2. Die Synthesis der Bedingungen des empirischen Denkens.
    3. Die Synthesis der Bedingungen des reinen Denkens.
In allen diesen dreien Faellen beschaeftigt sich die reine Vernunft
bloss mit der absoluten Totalitaet dieser Synthesis, d.i. mit
derjenigen Bedingung, die selbst unbedingt ist. Auf diese Einteilung
gruendet sich auch der dreifache transzendentale Schein, der zu drei
Abschnitten der Dialektik Anlass gibt, und zu ebensoviel scheinbaren
Wissenschaften aus reiner Vernunft, der transzendentalen Psychologie,
Kosmologie und Theologie, die Idee an die Hand gibt. Wir haben es hier
nur mit der ersteren zu tun.
Weil wir beim Denken ueberhaupt von aller Beziehung des Gedankens
auf irgendein Objekt (es sei der Sinne oder des reinen Verstandes)
abstrahieren: so ist die Synthesis der Bedingungen eines Gedankens
ueberhaupt (no. 1) gar nicht objektiv, sondern bloss eine Synthesis
des Gedankens mit dem Subjekt, die aber faelschlich fuer eine
synthetische Vorstellung eines Objekts gehalten wird.
Es folgt aber auch hieraus: dass der dialektische Schluss auf die
Bedingungen alles Denkens ueberhaupt, die selbst unbedingt ist, nicht
einen Fehler im Inhalte begehe, (denn er abstrahiert von allem Inhalte
oder Objekte) sondern, dass er allein in der Form fehle und Paralogism
genannt werden muesse.
Weil ferner die einzige Bedingung, die alles Denken begleitet, das
Ich, in dem allgemeinen Satze Ich denke, ist, so hat die Vernunft es
mit dieser Bedingung, sofern sie selbst unbedingt ist, zu tun. Sie ist
aber nur die formale Bedingung, naemlich die logische Einheit eines
jeden Gedankens, bei dem ich von allem Gegenstande abstrahiere, und
wird gleichwohl als ein Gegenstand, den ich denke, naemlich: Ich
selbst und die unbedingte Einheit desselben vorgestellt.
Wenn mir jemand ueberhaupt die Frage aufwuerfe: von welcher
Beschaffenheit ist ein Ding, welches denkt? so weiss ich darauf a
priori nicht das mindeste zu antworten, weil die Antwort synthetisch
sein soll (denn eine analytische erklaert vielleicht wohl das Denken,
aber gibt keine erweiterte Erkenntnis von demjenigen, worauf dieses
Denken seiner Moeglichkeit nach beruht). Zu jeder synthetischen
Aufloesung aber wird Anschauung erfordert, die in der so allgemeinen
Aufgabe gaenzlich weggelassen worden. Ebenso kann niemand die Frage
in ihrer Allgemeinheit beantworten: was wohl das fuer ein Ding sein
muesse, welches beweglich ist? Denn die undurchdringliche Ausdehnung
(Materie) ist alsdann nicht gegeben. Ob ich nun zwar allgemein auf
jene Frage keine Antwort weiss: so scheint es mir doch, dass ich
sie im einzelnen Falle, in dem Satze, der das Selbstbewusstsein
ausdrueckt: Ich denke, geben koenne. Denn dieses Ich ist das erste
Subjekt, d.i. Substanz, es ist einfach usw. Dieses muessten aber
alsdann lauter Erfahrungssaetze sein, die gleichwohl ohne eine
allgemeine Regel, welche die Bedingungen der Moeglichkeit zu denken
ueberhaupt und a priori aussagte, keine dergleichen Praedikate (welche
nicht empirisch sind) enthalten koennte. Auf solche Weise wird mir
meine anfaenglich so scheinbare Einsicht, ueber der Natur eines
denkenden Wesens, und zwar aus lauter Begriffen zu urteilen,
verdaechtig, ob ich gleich den Fehler derselben noch nicht entdeckt
habe.
Allein, das weitere Nachforschen hinter den Ursprung dieser Attribute,
die ich Mir, als einem denkenden Wesen ueberhaupt, beilege, kann
diesen Fehler aufdecken. Sie sind nichts mehr als reine Kategorien,
wodurch ich niemals einen bestimmten Gegenstand, sondern nur die
Einheit der Vorstellungen, um einen Gegenstand derselben zu bestimmen,
denke. Ohne eine zum Grunde liegende Anschauung kann die Kategorie
allein mir keinen Begriff von einem Gegenstande verschaffen, denn
nur durch Anschauung wird der Gegenstand gegeben, der hernach der
Kategorie gemaess gedacht wird. Wenn ich ein Ding fuer eine Substanz
in der Erscheinung erklaere, so muessen mir vorher Praedikate seiner
Anschauung gegeben sein, an denen ich das Beharrliche vom Wandelbaren
und das Substratum (Ding selbst) von demjenigen, was ihm bloss
anhaengt, unterscheide. Wenn ich ein Ding einfach in der Erscheinung
nenne, so verstehe ich darunter, dass die Anschauung desselben zwar
ein Teil der Erscheinung sei, selbst aber nicht geteilt werden koenne
usw. Ist aber etwas nur fuer einfach im Begriffe und nicht in der
Erscheinung erkannt, so habe ich dadurch wirklich gar keine Erkenntnis
von dem Gegenstande, sondern nur von meinem Begriffe, den ich mir von
etwas ueberhaupt mache, dass keiner eigentlichen Anschauung faehig
ist. Ich sage nur, dass ich etwas ganz einfach denke, weil ich
wirklich nichts weiter, als bloss, dass es etwas sei, zu sagen weiss.
Nun ist die blosse Apperzeption (Ich) Substanz im Begriffe, einfach im
Begriffe usw. und so haben alle jene psychologischen Lehrsaetze ihre
unstreitige Richtigkeit. Gleichwohl wird dadurch doch dasjenige
keineswegs von der Seele erkannt, was man eigentlich wissen will, denn
alle diese Praedikate gelten gar nicht von der Anschauung, und koennen
daher auch keine Folgen haben, die auf Gegenstaende der Erfahrung
angewandt wuerden, mithin sind sie voellig leer. Denn jener Begriff
der Substanz lehrt mich nicht: dass die Seele fuer sich selbst
fortdaure, nicht, dass sie von den aeusseren Anschauungen ein Teil
sei, der selbst nicht mehr geteilt werden koenne, und der also durch
keine Veraenderungen der Natur entstehen, oder vergehen koenne; lauter
Eigenschaften, die mir die Seele im Zusammenhange der Erfahrung
kennbar machen, und, in Ansehung ihres Ursprungs und kuenftigen
Zustandes, Eroeffnung geben koennten. Wenn ich nun aber durch blosse
Kategorie sage: die Seele ist eine einfache Substanz, so ist klar,
dass, da der nackte Verstandesbegriff von Substanz nichts weiter
enthaelt, als dass ein Ding, als Subjekt an sich, ohne wiederum
Praedikat von einem andern zu sein, vorgestellt werden solle, daraus
nichts von Beharrlichkeit folge, und das Attribut des Einfachen diese
Beharrlichkeit gewiss nicht hinzusetzen koenne, mithin man dadurch
ueber das, was die Seele bei den Weltveraenderungen treffen koenne,
nicht im mindesten unterrichtet werde. Wuerde man uns sagen koennen,
sie ist ein einfacher Teil der Materie, wuerden wir von dieser,
aus dem, was Erfahrung von ihr lehrt, die Beharrlichkeit und, mit
der einfachen Natur zusammen, die Unzerstoerlichkeit derselben
ableiten koennen. Davon sagt uns aber der Begriff des Ich, in dem
psychologischen Grundsatze (Ich denke), nicht ein Wort.
Dass aber das Wesen, welches in uns denkt, durch reine Kategorien,
und zwar diejenigen, welche die absolute Einheit unter jedem Titel
derselben ausdruecken, sich selbst zu erkennen vermeine, ruehrt daher.
Die Apperzeption ist selbst der Grund der Moeglichkeit der Kategorien,
welche ihrerseits nichts anderes vorstellen, als die Synthesis des
Mannigfaltigen der Anschauung, sofern dasselbe in der Apperzeption
Einheit hat. Daher ist das Selbstbewusstsein ueberhaupt die
Vorstellung desjenigen, was die Bedingung aller Einheit, und doch
selbst unbedingt ist. Man kann daher von dem denkenden Ich (Seele),
das sich als Substanz, einfach, numerisch identisch in aller Zeit,
und das Korrelatum alles Daseins, aus welchem alles andere Dasein
geschlossen werden muss, sagen: dass es nicht sowohl sich selbst
durch die Kategorien, sondern die Kategorien, und durch sie alle
Gegenstaende, in der absoluten Einheit der Apperzeption, mithin
durch sich selbst erkennt. Nun ist zwar sehr einleuchtend: dass ich
dasjenige, was ich voraussetzen muss, um ueberhaupt ein Objekt zu
erkennen, nicht selbst als Objekt erkennen koenne, und dass das
bestimmende Selbst, (das Denken) von dem bestimmbaren Selbst (dem
denkenden Subjekt), wie Erkenntnis vom Gegenstande unterschieden
sei. Gleichwohl ist nichts natuerlicher und verfuehrerischer, als
der Schein, die Einheit in der Synthesis der Gedanken fuer eine
wahrgenommene Einheit im Subjekte dieser Gedanken zu halten.
Man koennte ihn die Subreption des hypostasierten Bewusstseins
(apperceptiones substantiatae) nennen.
Wenn man den Paralogism in den dialektischen Vernunftschluessen der
rationalen Seelenlehre, sofern sie gleichwohl richtige Praemissen
haben, logisch betiteln will: so kann er fuer ein sophisma figurae
dictionis gelten, in welchem der Obersatz von der Kategorie, in
Ansehung ihrer Bedingung, einen bloss transzendentalen Gebrauch, der
Untersatz aber und der Schlusssatz in Ansehung der Seele, die unter
diese Bedingung subsumiert worden, von ebender Kategorie einen
empirischen Gebrauch macht. So ist z.B. der Begriff der Substanz
in dem Paralogismus der Simplizitaet ein rein intellektueller
Begriff, der ohne Bedingungen der sinnlichen Anschauung bloss von
transzendentalen, d.i. von gar keinem Gebrauch ist. Im Untersatze aber
ist ebenderselbe Begriff auf den Gegenstand aller inneren Erfahrung
angewandt, ohne doch die Bedingung seiner Anwendung in concreto,
naemlich die Beharrlichkeit desselben, voraus festzusetzen und zum
Grunde zu legen, und daher ein empirischer, obzwar hier unzulaessiger
Gebrauch davon gemacht worden.
Um endlich den systematischen Zusammenhang aller dieser dialektischen
Behauptungen, in einer vernuenftelnden Seelenlehre, in einem
Zusammenhange der reinen Vernunft, mithin die Vollstaendigkeit
derselben, zu zeigen, so merke man: dass die Apperzeption durch alle
Klassen der Kategorien, aber nur auf diejenigen Verstandesbegriffe
durchgefuehrt werde, welche in jeder derselben den uebrigen zum
Grunde der Einheit in einer moeglichen Wahrnehmung liegen, folglich:
Subsistenz, Realitaet, Einheit (nicht Vielheit) und Existenz, nur dass
die Vernunft sie hier alle als Bedingungen der Moeglichkeit eines
denkenden Wesens, die selbst unbedingt sind, vorstellt. Also erkennt
die Seele an sich selbst
                1. Die unbedingte Einheit des Verhaeltnisses
                   d.i.
                   sich selbst, nicht als inhaerierend, sondern
                   subsistierend
    2. Die unbedingte Einheit       3. Die unbedingte Einheit
       der Qualitaet                   bei der Vielheit in der Zeit,
       d.i.                            d.i.
       nicht als reales Ganze,         nicht in verschiedenen Zeiten
       sondern                         numerisch verschieden, sondern
       einfach*                        als Eines und eben dasselbe
                                       Subjekt
                4. Die unbedingte Einheit dem Daseins im Raume,
                   d.i.
                   nicht als das Bewusstsein mehrerer Dinge ausser
                   ihr, sondern
                   nur des Daseins ihrer selbst,
                   anderer Dinge aber, bloss
                   als ihrer Vorstellungen.
* Wie das Einfache hier wiederum der Kategorie der Realitaet
  entspreche, kann ich jetzt noch nicht zeigen, sondern wird
  im folgenden Hauptstuecke, bei Gelegenheit eines andern
  Vernunftgebrauchs ebendesselben Begriffs, gewiesen werden.
Vernunft ist das Vermoegen der Prinzipien. Die Behauptungen der reinen
Psychologie enthalten nicht empirische Praedikte von der Seele,
sondern solche, die, wenn sie stattfinden, den Gegenstand an sich
selbst unabhaengig von der Erfahrung, mithin durch blosse Vernunft
bestimmen sollen. Sie muessten also billig auf Prinzipien und
allgemeine Begriffe von denkenden Naturen ueberhaupt gegruendet sein.
An dessen Statt findet sich: dass die einzelne Vorstellung, Ich bin,
sie insgesamt regiert, welche eben darum, weil sie die reine Formel
aller meiner Erfahrung (unbestimmt) ausdrueckt, sich wie ein
allgemeiner Satz, der fuer alle denkenden Wesen gelte, ankuendigt,
und, da er gleichwohl in aller Absicht einzeln ist, den Schein einer
absoluten Einheit der Bedingungen des Denkens ueberhaupt bei sich
fuehrt, und dadurch sich weiter ausbreitet, als moegliche Erfahrung
reichen koennte.
Der transzendentalen Dialektik
Zweites Buch
Zweites Hauptstueck
Die Antinomie der reinen Vernunft
Wir haben in der Einleitung zu diesem Teile unseres Werks gezeigt,
dass aller transzendentale Schein der reinen Vernunft auf
dialektischen Schluessen beruhe, deren Schema die Logik in den drei
formalen Arten der Vernunftschluesse ueberhaupt an die Hand gibt, so
wie etwa die Kategorien ihr logisches Schema in den vier Funktionen
aller Urteile antreffen. Die erste Art dieser vernuenftelnden
Schluesse ging auf die unbedingte Einheit der subjektiven Bedingungen
aller Vorstellungen ueberhaupt (des Subjekts oder der Seele), in
Korrespondenz mit den kategorischen Vernunftschluessen, deren
Obersatz, als Prinzip, die Beziehung eines Praedikats auf ein Subjekt
aussagt. Die zweite Art des dialektischen Arguments wird also, nach
der Analogie mit hypothetischen Vernunftschluessen, die unbedingte
Einheit der objektiven Bedingungen in der Erscheinung zu ihrem
Inhalte machen, so wie die dritte Art, die im folgenden Hauptstuecke
vorkommen wird, die unbedingte Einheit der objektiven Bedingungen der
Moeglichkeit der Gegenstaende ueberhaupt zum Thema hat.
Es ist aber merkwuerdig, dass der transzendentale Paralogismus einen
bloss einseitigen Schein, in Ansehung der Idee von dem Subjekte
unseres Denkens, bewirkte, und zur Behauptung des Gegenteils sich
nicht der mindeste Schein aus Vernunftbegriffen vorfinden will. Der
Vorteil ist gaenzlich auf der Seite des Pneumatismus, obgleich dieser
den Erbfehler nicht verleugnen kann, bei allem ihm guenstigen Schein
in der Feuerprobe der Kritik sich in lauter Dunst aufzuloesen.
Ganz anders faellt es aus, wenn wir die Vernunft auf die objektive
Synthesis der Erscheinungen anwenden, wo sie ihr Prinzipium der
unbedingten Einheit zwar mit vielem Scheine geltend zu machen denkt,
sich aber bald in solche Widersprueche verwickelt, dass sie genoetigt
wird, in kosmologischer Absicht, von ihrer Forderung abzustehen.
Hier zeigt sich naemlich ein neues Phaenomen der menschlichen
Vernunft, naemlich: eine ganz natuerliche Antithetik, auf die keiner
zu gruebeln und kuenstlich Schlingen zu legen braucht, sondern in
welche die Vernunft von selbst und zwar unvermeidlich geraet, und
dadurch zwar vor den Schlummer einer eingebildeten Ueberzeugung, den
ein bloss einseitiger Schein hervorbringt, verwahrt, aber zugleich
in Versuchung gebracht wird, sich entweder einer skeptischen
Hoffnungslosigkeit zu ueberlassen, oder einen dogmatischen Trotz
anzunehmen und den Kopf steif auf gewisse Behauptungen zu setzen, ohne
den Gruenden des Gegenteils Gehoer und Gerechtigkeit widerfahren zu
lassen. Beides ist der Tod einer gesunden Philosophie, wiewohl jener
allenfalls noch die Euthanasie der reinen Vernunft genannt werden
koennte.
Ehe wir die Auftritte des Zwiespalts und der Zerruettungen sehen
lassen, welche dieser Widerstreit der Gesetze (Antinomie) der reinen
Vernunft veranlasst, wollen wir gewisse Eroerterungen geben, welche
die Methode erlaeutern und rechtfertigen koennen, deren wir uns
in Behandlung unseres Gegenstandes bedienen. Ich nenne alle
transzendentalen Ideen, sofern sie die absolute Totalitaet in der
Synthesis der Erscheinungen betreffen, Weltbegriffe, teils wegen eben
dieser unbedingten Totalitaet, worauf auch der Begriff des Weltganzen
beruht, der selbst nur eine Idee ist, teils weil sie lediglich auf die
Synthesis der Erscheinungen, mithin die empirische, gehen, da hingegen
die absolute Totalitaet, in der Synthesis der Bedingungen aller
moeglichen Dinge ueberhaupt, ein Ideal der reinen Vernunft veranlassen
wird, welches von dem Weltbegriffe gaenzlich unterschieden ist, ob es
gleich darauf in Beziehung steht. Daher, so wie die Paralogismen der
reinen Vernunft den Grund zu einer dialektischen Psychologie legten,
so wird die Antinomie der reinen Vernunft die transzendentalen
Grundsaetze einer vermeinten reinen (rationalen) Kosmologie vor Augen
stellen, nicht, um sie gueltig zu finden und sich zuzueignen, sondern,
wie es auch schon die Benennung von einem Widerstreit der Vernunft
anzeigt, um sie als eine Idee, die sich mit Erscheinungen nicht
vereinbaren laesst, in ihrem blendenden aber falschen Scheine
darzustellen.
Der Antinomie der reinen Vernunft
Erster Abschnitt
System der kosmologischen Ideen
Um nun diese Ideen nach einem Prinzip mit systematischer Praezision
aufzaehlen zu koennen, muessen wir erstlich bemerken, dass nur der
Verstand es sei, aus welchem reine und transzendentale Begriffe
entspringen koennen, dass die Vernunft eigentlich gar keinen Begriff
erzeuge, sondern allenfalls nur den Verstandesbegriff, von den
unvermeidlichen Einschraenkungen einer moeglichen Erfahrung, frei
mache, und ihn also ueber die Grenzen des Empirischen, doch aber
in Verknuepfung mit demselben zu erweitern suche. Dieses geschieht
dadurch, dass sie zu einem gegebenen Bedingten auf der Seite der
Bedingungen (unter denen der Verstand alle Erscheinungen der
synthetischen Einheit unterwirft) absolute Totalitaet fordert,
und dadurch die Kategorie zur transzendentalen Idee macht, um der
empirischen Synthesis, durch die Fortsetzung derselben bis zum
Unbedingten, (welches niemals in der Erfahrung, sondern nur in der
Idee angetroffen wird,) absolute Vollstaendigkeit zu geben. Die
Vernunft fordert dieses nach dem Grundsatze: wenn das Bedingte
gegeben ist, so ist auch die ganze Summe der Bedingungen, mithin das
schlechthin Unbedingte gegeben, wodurch jenes allein moeglich war.
Also werden erstlich die transzendentalen Ideen eigentlich nichts, als
bis zum Unbedingten erweiterte Kategorien sein, und jene werden sich
in eine Tafel bringen lassen, die nach den Titeln der letzteren
angeordnet ist. Zweitens aber werden doch auch nicht alle Kategorien
dazu taugen, sondern nur diejenige, in welchen die Synthesis eine
Reihe ausmacht, und zwar der einander untergeordneten (nicht
beigeordneten) Bedingungen zu einem Bedingten. Die absolute Totalitaet
wird von der Vernunft nur sofern gefordert, als sie die aufsteigende
Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten angeht, mithin
nicht, wenn von der absteigenden Linie der Folgen, noch auch von dem
Aggregat koordinierter Bedingungen zu diesen Folgen, die Rede ist.
Denn Bedingungen sind in Ansehung des gegebenen Bedingten schon
vorausgesetzt und mit diesem auch als gegeben anzusehen, anstatt dass,
da die Folgen ihre Bedingungen nicht moeglich machen, sondern vielmehr
voraussetzen, man im Fortgange zu den Folgen (oder im Absteigen von
der gegebenen Bedingung zu dem Bedingten) unbekuemmert sein kann, ob
die Reihe aufhoere oder nicht, und ueberhaupt die Frage, wegen ihrer
Totalitaet, gar keine Voraussetzung der Vernunft ist.
So denkt man sich notwendig eine bis auf den gegebenen Augenblick
voellig abgelaufene Zeit, auch als gegeben, (wenngleich nicht durch
uns bestimmbar). Was aber die kuenftige betrifft, da sie die Bedingung
nicht ist, zu der Gegenwart zu gelangen, so ist es, um diese zu
begreifen, ganz gleichgueltig, wie wir es mit der kuenftigen Zeit
halten wollen, ob man sie irgendwo aufhoeren, oder ins Unendliche
laufen lassen will. Es sei die Reihe m, n, o, worin n als bedingt in
Ansehung m, aber zugleich als Bedingung von o gegeben ist, die Reihe
gehe aufwaerts von dem bedingten n zu m (l, k, i, etc.), imgleichen
abwaerts von der Bedingung n zum bedingten o (p, q, r, etc.), so muss
ich die erstere Reihe voraussetzen, um n als gegeben anzusehen, und n
ist nach der Vernunft (der Totalitaet der Bedingungen) nur vermittelst
jener Reihe moeglich, seine Moeglichkeit beruht aber nicht auf der
folgenden Reihe o, p, q, r, die daher auch nicht als gegeben, sondern
nur als dabilis angesehen werden koenne.
Ich will die Synthesis einer Reihe auf der Seite der Bedingungen, also
von derjenigen an, welche die naechste zur gegebenen Erscheinung ist,
und so zu den entfernteren Bedingungen, die regressive, diejenige
aber, die auf der Seite des Bedingten, von der naechsten Folge zu den
entfernteren fortgeht, die progressive Synthesis nennen. Die erstere
geht in antecedentia, die zweite in consequentia. Die kosmologischen
Ideen also beschaeftigen sich mit der Totalitaet der regressiven
Synthesis, und gehen in antecedentia, nicht in consequentia. Wenn
dieses letztere geschieht, so ist es ein willkuerliches und nicht
notwendiges Problem der reinen Vernunft, weil wir zur vollstaendigen
Begreiflichkeit dessen, was in der Erscheinung gegeben ist, wohl der
Gruende, nicht aber der Folgen beduerfen.
Um nun nach der Tafel der Kategorien die Tafel der Ideen einzurichten,
so nehmen wir zuerst die zwei urspruenglichen quanta aller unserer
Anschauung, Zeit und Raum. Die Zeit ist an sich selbst eine Reihe
(und die formale Bedingung aller Reihen), und daher sind in ihr, in
Ansehung einer gegebenen Gegenwart, die antecedentia als Bedingungen
(das Vergangene) von den consequentibus (dem Kuenftigen) a priori zu
unterscheiden. Folglich geht die transzendentale Idee, der absoluten
Totalitaet der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten, nur
auf alle vergangene Zeit. Es wird nach der Idee der Vernunft die ganze
verlaufene Zeit als Bedingung des gegebenen Augenblicks notwendig als
gegeben gedacht. Was aber den Raum betrifft, so ist in ihm an sich
selbst kein Unterschied des Progressus vom Regressus, weil er ein
Aggregat, aber keine Reihe ausmacht, indem seine Teile insgesamt
zugleich sind. Den gegenwaertigen Zeitpunkt konnte ich in Ansehung
der vergangenen Zeit nur als bedingt, niemals aber als Bedingung
derselben, ansehen, weil dieser Augenblick nur durch die verflossene
Zeit (oder vielmehr durch das Verfliessen der vorhergehenden Zeit)
allererst entspringt. Aber da die Teile des Raumes einander nicht
untergeordnet, sondern beigeordnet sind, so ist ein Teil nicht die
Bedingung der Moeglichkeit des anderen, und er macht nicht, so wie
die Zeit, an sich selbst eine Reihe aus. Allein die Synthesis der
mannigfaltigen Teile des Raumes, wodurch wir ihn apprehendieren, ist
doch successiv, geschieht also in der Zeit und enthaelt eine Reihe.
Und da in dieser Reihe der aggregierten Raeume (z.B. der Fuesse in
einer Rute) von einem gegebenen an, die weiter hinzugedachten immer
die Bedingung von der Grenze der vorigen sind, so ist das Messen eines
Raumes auch als eine Synthesis einer Reihe der Bedingungen zu einem
gegebenen Bedingten anzusehen, nur dass die Seite der Bedingungen, von
der Seite, nach welcher das Bedingte hin liegt, an sich selbst nicht
unterschieden ist, folglich regressus und progressus im Raume einerlei
zu sein scheint. Weil indessen ein Teil des Raumes nicht durch den
anderen gegeben, sondern nur begrenzt wird, so muessen wir jeden
begrenzten Raum insofern auch als bedingt ansehen, der einen anderen
Raum als die Bedingung seiner Grenze voraussetzt, und so fortan.
In Ansehung der Begrenzung ist also der Fortgang im Raume auch ein
Regressus, und die transzendentale Idee der absoluten Totalitaet der
Synthesis in der Reihe der Bedingungen trifft auch den Raum, und ich
kann ebensowohl nach der absoluten Totalitaet der Erscheinung im
Raume, als der in der verflossenen Zeit, fragen. Ob aber ueberall
darauf auch eine Antwort moeglich sei, wird sich kuenftig bestimmen
lassen.
Zweitens, so ist die Realitaet im Raume, d.i. die Materie, ein
Bedingtes, dessen innere Bedingungen seine Teile, und die Teile der
Teile die entfernten Bedingungen sind, so dass hier eine regressive
Synthesis stattfindet, deren absolute Totalitaet die Vernunft fordert,
welche nicht anders als durch eine vollendete Teilung, dadurch die
Realitaet der Materie entweder in Nichts oder doch in das, was nicht
mehr Materie ist, naemlich das Einfache, verschwindet, stattfinden
kann. Folglich ist hier auch eine Reihe von Bedingungen und ein
Fortschritt zum Unbedingten.
Drittens, was die Kategorien des realen Verhaeltnisses unter den
Erscheinungen anlangt, so schickt sich die Kategorie der Substanz
mit ihren Akzidenzen nicht zu einer transzendentalen Idee; d.i.
die Vernunft hat keinen Grund, in Ansehung ihrer, regressiv auf
Bedingungen zu gehen. Denn Akzidenzen sind (sofern sie einer einigen
Substanz inhaerieren) einander koordiniert, und machen keine Reihe
aus. In Ansehung der Substanz aber sind sie derselben eigentlich nicht
subordiniert, sondern die Art zu existieren der Substanz selber. Was
hierbei noch scheinen koennte eine Idee der transzendentalen Vernunft
zu sein, waere der Begriff von Substantiale. Allein, da dieses nichts
anderes bedeutet, als den Begriff vom Gegenstande ueberhaupt, welcher
subsistiert, sofern man an ihm bloss das transzendentale Subjekt ohne
alle Praedikate denkt, hier aber nur die Rede vom Unbedingten in der
Reihe der Erscheinungen ist, so ist klar, dass das Substantiale kein
Glied in derselben ausmachen koenne. Eben dasselbe gilt auch von
Substanzen in Gemeinschaft, welche blosse Aggregate sind, und keinen
Exponenten einer Reihe haben, indem sie nicht einander als Bedingungen
ihrer Moeglichkeit subordiniert sind, welches man wohl von den Raeumen
sagen konnte, deren Grenze niemals an sich, sondern immer durch einen
anderen Raum bestimmt war. Es bleibt also nur die Kategorie der
Kausalitaet uebrig, welche eine Reihe der Ursachen zu einer gegebenen
Wirkung darbietet, in welcher man von der letzteren, als dem
Bedingten, zu jenen, als Bedingungen, aufsteigen und der Vernunftfrage
antworten kann.
Viertens, die Begriffe des Moeglichen, Wirklichen und Notwendigen
fuehren auf keine Reihe, ausser nur, sofern das Zufaellige im Dasein
jederzeit als bedingt angesehen werden muss, und nach der Regel des
Verstandes auf eine Bedingung weist, darunter es notwendig ist, diese
auf eine hoehere Bedingung zu weisen bis die Vernunft nur in der
Totalitaet diese Reihe die unbedingte Notwendigkeit antrifft.
Es sind demnach nicht mehr, als vier kosmologische Ideen, nach den
vier Titeln der Kategorien, wenn man diejenigen aushebt, welche eine
Reihe in der Synthesis des Mannigfaltigen notwendig bei sich fuehren.
                1. Die absolute Vollstaendigkeit
                   der Zusammensetzung
                   des gegebenen Ganzen aller Erscheinungen
    2. Die absolute Vollstaendigkeit  3. Die absolute Vollstaendigkeit
       der Teilung                       der Entstehung
       eines gegebenen Ganzen            einer Erscheinung
       in der Erscheinung
                4. Die absolute Vollstaendigkeit
                   der Abhaengigkeit des Daseins
                   des Veraenderlichen in der Erscheinung
Zuerst ist hierbei anzumerken, dass die Idee der absoluten Totalitaet
nichts anderes, als die Exposition der Erscheinungen, betreffe,
mithin nicht den reinen Verstandesbegriff von einen Ganzen der Dinge
ueberhaupt. Es werden hier also Erscheinungen als gegeben betrachtet,
und die Vernunft fordert die absolute Vollstaendigkeit der Bedingungen
ihrer Moeglichkeit, sofern diese eine Reihe ausmachen, mithin eine
schlechthin (d.i. in aller Absicht) vollstaendige Synthesis, wodurch
die Erscheinung nach Verstandesgesetzen exponiert werden koenne.
Zweitens ist es eigentlich nur das Unbedingte, was die Vernunft, in
dieser, reihenweise, und zwar reggressiv, fortgesetzten Synthesis der
Bedingungen, sucht, gleichsam die Vollstaendigkeit in der Reihe der
Praemissen, die zusammen weiter keine andere voraussetzen. Dieses
Unbedingte ist nun jederzeit in der absoluten Totalitaet der Reihe,
wenn man sie sich in der Einbildung vorstellt, enthalten. Allein diese
schlechthin vollendete Synthesis ist wiederum nur eine Idee; denn
man kann, wenigstens zum voraus, nicht wissen, ob eine solche bei
Erscheinungen auch moeglich sei. Wenn man sich alles durch blosse
reine Verstandesbegriffe, ohne Bedingungen der sinnlichen Anschauung,
vorstellt, so kann man geradezu sagen: dass zu einem gegebenen
Bedingten auch die ganze Reihe einander subordinierter Bedingungen
gegeben sei; denn jenes ist allein durch diese gegeben. Allein
bei Erscheinungen ist eine besondere Einschraenkung der Art, wie
Bedingungen gegeben werden, anzutreffen, naemlich durch die sukzessive
Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung, die im Regressus
vollstaendig sein soll. Ob diese Vollstaendigkeit nun sinnlich
moeglich sei, ist noch ein Problem. Allein die Idee dieser
Vollstaendigkeit liegt doch in der Vernunft, unangesehen der
Moeglichkeit, oder Unmoeglichkeit, ihr adaequat empirische Begriffe
zu verknuepfen. Also, da in der absoluten Totalitaet der regressiven
Synthesis des Mannigfaltigen in der Erscheinung (nach Anleitung der
Kategorien, die sie als eine Reihe von Bedingungen zu einem gegebenen
Bedingten vorstellen,) das Unbedingte notwendig enthalten ist, man
mag auch unausgemacht lassen, ob und wie diese Totalitaet zustande
zu bringen sei: so nimmt die Vernunft hier den Weg, von der Idee der
Totalitaet auszugehen, ob sie gleich eigentlich das Unbedingte, es sei
der ganzen Reihe, oder eines Teils derselben, zur Endabsicht hat.
Dieses Unbedingte kann man sich nun gedenken, entweder als bloss in
der ganzen Reihe bestehend, in der also alle Glieder ohne Ausnahme
bedingt und nur das Ganze derselben schlechthin unbedingt waere, und
dann heisst der Regressus unendlich; oder das absolut Unbedingte
ist nur ein Teil der Reihe, dem die uebrigen Glieder derselben
untergeordnet sind, er selbst aber unter keiner anderen Bedingung
steht.* In dem ersteren Falle ist die Reihe a parte priori ohne
Grenzen (ohne Anfang), d.i. unendlich, und gleichwohl ganz gegeben,
der Regressus in ihr aber ist niemals vollendet, und kann nur
potentialiter unendlich genannt werden. Im zweiten Falle gibt es
ein Erstes der Reihe, welches in Ansehung der verflossenen Zeit der
Weltanfang, in Ansehung des Raums die Weltgrenze, in Ansehung der
Teile, eines in seinen Grenzen gegebenen Ganzen, das Einfache, in
Ansehung der Ursachen die absolute Selbsttaetigkeit (Freiheit),
in Ansehung des Daseins veraenderlicher Dinge die absolute
Naturnotwendigkeit heisst.
* Das absolute Ganze der Reihe von Bedingungen zu einem gegebenen
  Bedingten ist jederzeit unbedingt; weil ausser ihr keine Bedingungen
  mehr sind, in Ansehung deren es bedingt sein koennte. Allein dieses
  absolute Ganze einer solchen Reihe ist nur eine Idee, oder vielmehr
  ein problematischer Begriff, dessen Moeglichkeit untersucht werden
  muss, und zwar in Beziehung auf die Art, wie das Unbedingte, als die
  eigentliche transzendentale Idee, worauf es ankommt, darin enthalten
  sein mag.
Wir haben zwei Ausdruecke: Welt und Natur, welche bisweilen ineinander
laufen. Das erste bedeutet das mathematische Ganze aller Erscheinungen
und die Totalitaet ihrer Synthesis, im Grossen sowohl als im Kleinen,
d.i. sowohl in dem Fortschritt derselben durch Zusammensetzung, als
durch Teilung. Eben dieselbe Welt wird aber Natur* genannt, sofern sie
als ein dynamisches Ganze betrachtet wird, und man nicht auf die
Aggregation im Raume oder der Zeit, um sie als eine Groesse zustande
zu bringen, sondern auf die Einheit im Dasein der Erscheinungen sieht.
Da heisst nun die Bedingung von dem, was geschieht, die Ursache,
und die unbedingte Kausalitaet der Ursache in der Erscheinung
die Freiheit, die bedingte dagegen heisst im engeren Verstande
Naturursache. Das Bedingte im Dasein ueberhaupt heisst zufaellig,
und das Unbedingte notwendig. Die unbedingte Notwendigkeit der
Erscheinungen kann Naturnotwendigkeit heissen.
* Natur, adjektive (formaliter) genommen, bedeutet den Zusammenhang
  der Bestimmungen eines Dinges nach einem inneren Prinzip der
  Kausalitaet. Dagegen versteht man unter Natur, substantive
  (materialiter), den Inbegriff der Erscheinungen, sofern diese
  vermoege eines inneren Prinzips der Kausalitaet durchgaengig
  zusammenhaengen. Im ersteren Verstande spricht man von der Natur der
  fluessigen Materie, des Feuers etc., und bedient sich dieses Worts
  adjective; dagegen wenn man von den Dingen der Natur redet, so hat
  man ein bestehendes Ganzes in Gedanken.
Die Ideen, mit denen wir uns jetzt beschaeftigen, habe ich oben
kosmologische Ideen genannt, teils darum, weil unter Welt der
Inbegriff aller Erscheinungen verstanden wird, und unsere Ideen auch
nur auf das Unbedingte unter den Erscheinungen gerichtet sind, teils
auch, weil das Wort Welt, im transzendentalen Verstande, die absolute
Totalitaet des Inbegriffs existierender Dinge bedeutet, und wir
auf die Vollstaendigkeit der Synthesis (wiewohl nur eigentlich im
Regressus zu den Bedingungen) allein unser Augenmerk richten. In
Betracht dessen, dass ueberdem diese Ideen insgesamt transzendent
sind, und, ob sie zwar das Objekt, naemlich Erscheinungen, der Art
nach nicht ueberschreiten, sondern es lediglich mit der Sinnenwelt
(nicht mit Noumenis) zu tun haben, dennoch die Synthesis bis auf einen
Grad, der alle moegliche Erfahrung uebersteigt, treiben, so kann
man sie insgesamt meiner Meinung nach ganz schicklich Weltbegriffe
nennen. In Ansehung des Unterschiedes des Mathematisch- und des
Dynamischunbedingten, worauf der Regressus abzielt, wuerde ich
doch die zwei Erstere in engerer Bedeutung Weltbegriffe (der Welt
im Grossen und Kleinen), die zwei uebrigen aber transzendente
Naturbegriffe nennen. Diese Unterscheidung ist vorjetzt noch nicht
von sonderlicher Erheblichkeit, sie kann aber im Fortgange wichtiger
werden.
Der Antinomie der reinen Vernunft
Zweiter Abschnitt
Antithetik der reinen Vernunft
Wenn Thetik ein jeder Inbegriff dogmatischer Lehren ist, so verstehe
ich unter Antithetik nicht dogmatische Behauptungen des Gegenteils,
sondern den Widerstreit der dem Scheine nach dogmatischen
Erkenntnisse, (thesin cum antithesi), ohne dass man einer vor der
anderen einen vorzueglichen Anspruch auf Beifall beilegt. Die
Antithetik beschaeftigt sich also gar nicht mit einseitigen
Behauptungen, sondern betrachtet allgemeine Erkenntnisse der Vernunft
nur nach dem Widerstreite derselben untereinander und den Ursachen
desselben. Die transzendentale Antithetik ist eine Untersuchung ueber
die Antinomie der reinen Vernunft, die Ursachen und das Resultat
derselben. Wenn wir unsere Vernunft nicht bloss, zum Gebrauch der
Verstandesgrundsaetze, auf Gegenstaende der Erfahrung verwenden,
sondern jene ueber die Grenze der letzteren hinaus auszudehnen wagen,
so entspringen vernuenftelnde Lehrsaetze, die in der Erfahrung weder
Bestaetigung hoffen, noch Widerlegung fuerchten duerfen, und deren
jeder nicht allein an sich selbst ohne Widerspruch ist, sondern sogar
in der Natur der Vernunft Bedingungen seiner Notwendigkeit antrifft,
nur dass ungluecklicherweise der Gegensatz ebenso gueltige und
notwendige Gruende der Behauptung auf seiner Seite hat.
Die Fragen, welche bei einer solchen Dialektik der reinen Vernunft
sich natuerlich darbieten, sind also: 1. Bei welchen Saetzen denn
eigentlich die reine Vernunft einer Antinomie unausbleiblich
unterworfen sei. 2. Auf welchen Ursachen diese Antinomie beruhe. 3. Ob
und auf welche Art dennoch der Vernunft unter diesem Widerspruch ein
Weg zur Gewissheit offen bleibe.
Ein dialektischer Lehrsatz der reinen Vernunft muss demnach dieses,
ihn von allen sophistischen Saetzen unterscheidendes, an sich haben,
dass er nicht eine willkuerliche Frage betrifft, die man nur in
gewisser beliebiger Absicht aufwirft, sondern eine solche, auf die
jede menschliche Vernunft in ihrem Fortgange notwendig stossen muss;
und zweitens, dass er, mit seinem Gegensatze, nicht bloss einen
gekuenstelten Schein, der, wenn man ihn einsieht, sogleich
verschwindet, sondern einen natuerlichen und unvermeidlichen
Schein bei sich fuehre, der selbst, wenn man nicht mehr durch ihn
hintergangen wird, noch immer taeuscht, obschon nicht betruegt, und
also zwar unschaedlich gemacht, aber niemals vertilgt werden kann.
Eine solche dialektische Lehre wird sich nicht auf die
Verstandeseinheit in Erfahrungsbegriffen, sondern auf die
Vernunfteinheit in blossen Ideen beziehen, deren Bedingungen, da sie
erstlich, als Synthesis nach Regeln. dem Verstande, und doch zugleich,
als absolute Einheit derselben, der Vernunft kongruieren soll, wenn
sie der Vernunfteinheit adaequat ist, fuer den Verstand zu gross, und,
wenn sie dem Verstande angemessen, fuer die Vernunft zu klein sein
wird; woraus denn ein Widerstreit entspringen muss, der nicht
vermieden werden kann, man mag es anfangen, wie man will.
Diese vernuenftelnden Behauptungen eroeffnen also einen dialektischen
Kampfplatz, wo jeder Teil die Oberhand behaelt, der die Erlaubnis
hat, den Angriff zu tun, und derjenige gewiss unterliegt, der bloss
verteidigungsweise zu fuehren genoetigt ist. Daher auch ruestige
Ritter, sie moegen sich fuer die gute oder schlimme Sache verbuergen,
sicher sind, den Siegeskranz davon zu tragen, wenn sie nur dafuer
sorgen, dass sie den letzten Angriff zu tun das Vorrecht haben, und
nicht verbunden sind, einen neuen Anfall des Gegners auszuhalten. Man
kann sich leicht vorstellen, dass dieser Tummelplatz von jeher oft
genug betreten worden, dass viele Siege von beiden Seiten erfochten,
fuer den letzteren aber, der die Sache entschied, jederzeit so gesorgt
worden sei, dass der Verfechter der guten Sache den Platz allein
behielte, dadurch, dass seinem Gegner verboten wurde, fernerhin Waffen
in die Haende zu nehmen. Als unparteiische Kampfrichter muessen wir es
ganz beiseite setzen, ob es die gute oder die schlimme Sache sei, um
welche die Streitenden fechten, und sie ihre Sache erst unter sich
ausmachen lassen. Vielleicht dass, nachdem sie einander mehr ermuedet
als geschadet haben, sie die Nichtigkeit ihres Streithandels von
selbst einsehen und als gute Freunde auseinander gehen.
Diese Methode, einem Streite der Behauptungen zuzusehen, oder vielmehr
ihn selbst zu veranlassen, nicht, um endlich zum Vorteile des einen
oder des anderen Teils zu entscheiden, sondern, um zu untersuchen, ob
der Gegenstand desselben nicht vielleicht ein blosses Blendwerk sei,
wonach jeder vergeblich hascht, und bei welchem er nichts gewinnen
kann, wenn ihm gleich gar nicht widerstanden wuerde, dieses Verfahren,
sage ich, kann man die skeptische Methode nennen. Sie ist vom
Skeptizismus gaenzlich unterschieden, einem Grundsatze einer
kunstmaessigen und szientifischen Unwissenheit, welcher die Grundlagen
aller Erkenntnis untergraebt, um, wo moeglich, ueberall keine
Zuverlaessigkeit und Sicherheit derselben uebrigzulassen. Denn die
skeptische Methode geht auf Gewissheit, dadurch, dass sie in einem
solchen, auf beiden Seiten redlich gemeinten und mit Verstande
gefuehrten Streite, den Punkt des Missverstaendnisses zu entdecken
sucht, um, wie weise Gesetzgeber tun, aus der Verlegenheit der Richter
bei Rechtshaendeln fuer sich selbst Belehrung, von dem Mangelhaften
und nicht genau Bestimmten in ihren Gesetzen, zu ziehen. Die
Antinomie, die sich in der Anwendung der Gesetze offenbart, ist bei
unserer eingeschraenkten Weisheit der beste Pruefungsversuch der
Nomothetik, um der Vernunft, die in abstrakter Spekulation ihre
Fehltritte nicht leicht gewahr wird, dadurch auf die Momente in
Bestimmung ihrer Grundsaetze aufmerksam zu machen.
Diese skeptische Methode ist aber nur der Transzendentalphilosophie
allein wesentlich eigen, und kann allenfalls in jedem anderen Felde
der Untersuchungen, nur in diesem nicht, entbehrt werden. In der
Mathematik wuerde ihr Gebrauch ungereimt sein; weil sich in ihr
keine falschen Behauptungen verbergen und unsichtbar machen koennen,
indem die Beweise jederzeit an dem Faden der reinen Anschauung, und
zwar durch jederzeit evidente Synthesis fortgehen muessen. In der
Experimentalphilosophie kann wohl ein Zweifel des Aufschubs nuetzlich
sein, allein es ist doch wenigstens kein Missverstand moeglich, der
nicht leicht gehoben werden koennte, und in der Erfahrung muessen doch
endlich die letzten Mittel der Entscheidung des Zwistes liegen, sie
moegen nun frueh oder spaet aufgefunden werden. Die Moral kann ihre
Grundsaetze insgesamt auch in concreto, zusamt den praktischen
Folgen, wenigstens in moeglichen Erfahrungen geben und dadurch
den Missverstand der Abstraktion vermeiden. Dagegen sind die
transzendentalen Behauptungen, welche selbst ueber das Feld aller
moeglichen Erfahrungen hinaus sich erweiternde Einsichten anmassen,
weder in dem Falle, dass ihre abstrakte Synthesis in irgendeiner
Anschauung a priori koennte gegeben, noch so beschaffen, dass der
Missverstand vermittelst irgendeiner Erfahrung entdeckt werden
koennte. Die transzendentale Vernunft also verstattet keinen anderen
Probierstein, als den Versuch der Vereinigung ihrer Behauptungen unter
sich selbst, und mithin zuvor des freien und ungehinderten Wettstreits
derselben untereinander, und diesen wollen wir anjetzt anstellen.*
* Die Antinomien folgen einander nach der Ordnung der oben
  angefuehrten transzendentalen Ideen.
Die Antinomie der reinen Vernunft
Erster Widerstreit der transzendentalen Ideen
        Thesis
Die Welt hat einen Anfang in der Zeit, und ist dem Raum nach auch in
Grenzen eingeschlossen.
        Beweis
Denn, man nehme an, die Welt habe der Zeit nach keinen Anfang: so ist
bis zu jedem gegebenen Zeitpunkte eine Ewigkeit abgelaufen, und mithin
eine unendliche Reihe aufeinander folgenden Zustaende der Dinge in der
Welt verflossen. Nun besteht aber eben darin die Unendlichkeit einer
Reihe, dass sie durch sukzessive Synthesis niemals vollendet sein
kann. Also ist eine unendliche verflossene Weltreihe unmoeglich,
mithin ein Anfang der Welt eine notwendige Bedingung ihres Daseins;
welches zuerst zu beweisen war.
In Ansehung des zweiten nehme man wiederum das Gegenteil an: so wird
die Welt ein unendliches gegebenes Ganze von zugleich existierenden
Dingen sein. Nun koennen wir die Groesse eines Quanti, welches nicht
innerhalb gewissen Grenzen jeder Anschauung gegeben wird,* auf keine
andere Art, als nur durch die Synthesis der Teile, und die Totalitaet
eines solchen Quanti nur durch die vollendete Synthesis, oder durch
wiederholte Hinzusetzung der Einheit zu sich selbst, gedenken.**
Demnach, um sich die Welt, die alle Raeume erfuellt, als ein Ganzes zu
denken, muesste die sukzessive Synthesis der Teile einer unendlichen
Welt als vollendet angesehen, d.i., eine unendliche Zeit muesste,
in der Durchzaehlung aller koexistierenden Dinge, als abgelaufen
angesehen werden; welches unmoeglich ist. Demnach kann ein unendliches
Aggregat wirklicher Dinge, nicht als ein gegebenes Ganze, mithin auch
nicht als zugleich gegeben, angesehen werden. Eine Welt ist folglich,
der Ausdehnung im Raume nach, nicht unendlich, sondern in ihren
Grenzen eingeschlossen, welches das zweite war.
* Wir koennen ein unbestimmtes Quantum als ein Ganzes anschauen, wenn
  es in Grenzen eingeschlossen ist, ohne die Totalitaet desselben
  durch Messung, d.i. die sukzessive Synthesis seiner Teile,
  konstruieren zu duerfen. Denn die Grenzen bestimmen schon die
  Vollstaendigkeit, indem sie alles Mehrere abschneiden.
** Der Begriff der Totalitaet ist in diesem Falle nichts anderes, als
   die Vorstellung der vollendeten Synthesis, seiner Teile, weil, da
   wir nicht von der Anschauung des Ganzen (als welche in diesem Falle
   unmoeglich ist) den Begriff abziehen koennen, wir diesen nur durch
   die Synthesis der Teile, bis zur Vollendung des Unendlichen,
   wenigstens in der Idee fassen koennen.
        Antithesis
Die Welt hat keinen Anfang, und keine Grenzen im Raume, sondern ist,
sowohl in Ansehung der Zeit, als des Raumes, unendlich.
        Beweis
Denn man setze: sie habe einen Anfang. Da der Anfang ein Dasein ist,
wovor eine Zeit vorhergeht, darin das Ding nicht ist, so muss eine
Zeit vorhergegangen sein, darin die Welt nicht war, d.i. eine leere
Zeit. Nun ist aber in einer leeren Zeit kein Entstehen irgend eines
Dinges moeglich; weil kein Teil einer solchen Zeit vor einem anderen
irgendeine unterscheidende Bedingung des Daseins, vor die des
Nichtseins, an sich hat (man mag annehmen, dass sie von sich selbst,
oder durch eine andere Ursache entstehe). Also kann zwar in der Welt
manche Reihe der Dinge anfangen, die Welt selber aber kann keinen
Anfang haben, und ist also in Ansehung der vergangenen Zeit unendlich.
Was das zweite betrifft, so nehme man zuvoerderst das Gegenteil an,
dass naemlich die Welt dem Raume nach endlich und begrenzt ist; so
befindet sie sich in einem leeren Raum, der nicht begrenzt ist. Es
wuerde also nicht allein ein Verhaeltnis der Dinge im Raum, sondern
auch der Dinge zum Raume angetroffen werden. Da nun die Welt ein
absolutes Ganze ist, ausser welchem kein Gegenstand der Anschauung,
und mithin kein Korrelatum der Welt, angetroffen wird, womit dieselbe
im Verhaeltnis stehe, so wuerde das Verhaeltnis der Welt zum leeren
Raum ein Verhaeltnis derselben zu keinem Gegenstande sein. Ein
dergleichen Verhaeltnis aber, mithin auch die Begrenzung der Welt
durch den leeren Raum, ist nichts; also ist die Welt, dem Raume
nach, gar nicht begrenzt, d.i. sie ist in Ansehung der Ausdehnung
unendlich.*
* Der Raum ist bloss die Form der aeusseren Anschauung (formale
  Anschauung), aber kein wirklicher Gegenstand, der aeusserlich
  angeschaut werden kann. Der Raum, vor allen Dingen, die ihn
  bestimmen (erfuellen oder begrenzen), oder die vielmehr eine seiner
  Form gemaesse empirische Anschauung geben, ist, unter dem Namen
  des absoluten Raumes, nichts anderes, als die blosse Moeglichkeit
  aeusserer Erscheinungen, sofern sie entweder an sich existieren,
  oder zu gegebenen Erscheinungen noch hinzukommen koennen.
  Die empirische Anschauung ist also nicht zusammengesetzt aus
  Erscheinungen und dem Raume (der Wahrnehmung und der leeren
  Anschauung). Eines ist nicht des anderen Korrelatum der Synthesis,
  sondern nur in einer und derselben empirischen Anschauung verbunden,
  als Materie und Form derselben. Will man eine dieser zwei Stuecke
  ausser der anderen setzen (Raum ausserhalb allen Erscheinungen),
  so entstehen daraus allerlei leere Bestimmungen der aeusseren
  Anschauung, die doch nicht moegliche Wahrnehmungen sind. Z.B.
  Bewegung oder Ruhe der Welt im unendlichen leeren Raum, eine
  Bestimmung des Verhaeltnisses beider untereinander, welche niemals
  wahrgenommen werden kann, und also auch das Praedikat eines blossen
  Gedankendinges ist.
        Anmerkung zur ersten Antinomie
        I. zur Thesis
Ich habe bei diesen einander widerstreitenden Argumenten nicht
Blendwerke gesucht, um etwa (wie man sagt) einen Advokatenbeweis
zu fuehren, welcher sich der Unbehutsamkeit des Gegners zu seinem
Vorteile bedient, und seine Berufung auf ein missverstanden Gesetz
gerne gelten laesst, um seine eigenen unrechtmaessigen Ansprueche auf
die Widerlegung desselben zu bauen. Jeder dieser Beweise ist aus der
Sache Natur gezogen und der Vorteil beiseite gesetzt worden, den uns
die Fehlschluesse der Dogmatiker von beiden Teilen geben koennten.
Ich haette die Thesis auch dadurch dem Scheine nach beweisen koennen,
dass ich von der Unendlichkeit einer gegebenen Groesse, nach der
Gewohnheit der Dogmatiker, einen fehlerhaften Begriff vorangeschickt
haette. Unendlich ist eine Groesse, ueber die keine groessere (d.i.
ueber die darin enthaltene Menge einer gegebenen Einheit) moeglich
ist. Nun ist keine Menge die groesste, weil noch immer eine oder
mehrere Einheiten hinzugetan werden koennen. Also ist eine unendliche
gegebene Groesse, mithin auch eine (der verflossenen Reihe sowohl,
als der Ausdehnung nach) unendliche Welt unmoeglich: sie ist also
beiderseitig begrenzt. So haette ich meinen Beweis fuehren koennen:
allein dieser Begriff stimmt nicht mit dem, was man unter einem
unendlichen Ganzen versteht. Es wird dadurch nicht vorgestellt, wie
gross es sei, mithin ist sein Begriff auch nicht der Begriff eines
Maximum, sondern es wird dadurch nur sein Verhaeltnis zu einer
beliebig anzunehmenden Einheit, in Ansehung deren dasselbe groesser
ist als alle Zahl, gedacht. Nachdem die Einheit nun groesser oder
kleiner angenommen wird, wuerde das Unendliche groesser oder kleiner
sein; allein die Unendlichkeit, da sie bloss in dem Verhaeltnisse
zu dieser gegebenen Einheit besteht, wuerde immer dieselbe bleiben,
obgleich freilich die absolute Groesse des Ganzen dadurch gar nicht
erkannt wuerde, davon auch hier nicht die Rede ist.
Der wahre (transzendentale) Begriff der Unendlichkeit ist: dass die
sukzessive Synthesis der Einheit in Durchmessung eines Quantum niemals
vollendet sein kann.* Hieraus folgt ganz sicher, dass eine Ewigkeit
wirklicher aufeinanderfolgenden Zustaende bis zu einem gegebenen (dem
gegenwaertigen) Zeitpunkte nicht verflossen sein kann, die Welt also
einen Anfang haben muesse.
* Dieses enthaelt dadurch eine Menge (von gegebener Einheit), die
  groesser ist als alle Zahl, welches der mathematische Begriff des
  Unendlichen ist.
In Ansehung des zweiten Teils der Thesis faellt die Schwierigkeit,
von einer unendlichen und doch abgelaufenen Reihe zwar weg; denn das
Mannigfaltige einer der Ausdehnung nach unendlichen Welt ist zugleich
gegeben. Allein, um die Totalitaet einer solchen Menge zu denken, da
wir uns nicht auf Grenzen berufen koennen, welche diese Totalitaet von
selbst in der Anschauung ausmachen, muessen wir von unserem Begriffe
Rechenschaft geben, der in solchem Falle nicht vom Ganzen zu der
bestimmten Menge der Teile gehen kann, sondern die Moeglichkeit eines
Ganzen durch die sukzessive Synthesis der Teile dartun muss. Da diese
Synthesis nun eine nie zu vollendende Reihe ausmachen muesste; so
kann man sich nicht vor ihr, und mithin auch nicht durch sie, eine
Totalitaet denken. Denn der Begriff der Totalitaet selbst ist in
diesem Falle die Vorstellung einer vollendeten Synthesis der Teile,
und diese Vollendung, mithin auch der Begriff derselben, ist
unmoeglich.
        II. Anmerkung zur Antithesis
Der Beweis fuer die Unendlichkeit der gegebenen Weltreihe und des
Weltinbegriffs beruht darauf: dass im entgegengesetzten Falle eine
leere Zeit, imgleichen ein leerer Raum, die Weltgrenze ausmachen
muesste. Nun ist mir nicht unbekannt, dass wider diese Konsequenz
Ausfluechte gesucht werden, indem man vorgibt: es sei eine Grenze der
Welt, der Zeit und dem Raume nach, ganz wohl moeglich, ohne dass man
eben eine absolute Zeit vor der Welt Anfang, oder einen absoluten,
ausser der wirklichen Welt ausgebreiteten Raum annehmen duerfe;
welches unmoeglich ist. Ich bin mit dem letzteren Teile dieser Meinung
der Philosophen aus der Leibnitzischen Schule ganz wohl zufrieden. Der
Raum ist bloss die Form der aeusseren Anschauung, aber kein wirklicher
Gegenstand, der aeusserlich angeschaut werden kann, und kein
Korrelatum der Erscheinungen, sondern die Form der Erscheinungen
selbst. Der Raum also kann absolut (fuer sich allein) nicht als etwas
Bestimmendes in dem Dasein der Dinge vorkommen, weil er gar kein
Gegenstand ist, sondern nur die Form moeglicher Gegenstaende. Dinge
also, als Erscheinungen, bestimmen wohl den Raum, d.i. unter allen
moeglichen Praedikaten desselben (Groesse und Verhaeltnis) machen sie
es, dass diese oder jene zur Wirklichkeit gehoeren; aber umgekehrt
kann der Raum, als etwas, welches fuer sich besteht, die Wirklichkeit
der Dinge in Ansehung der Groesse oder Gestalt nicht bestimmen,
weil er an sich selbst nichts Wirkliches ist. Es kann also wohl ein
Raum (er sei voll oder leer)* durch Erscheinungen begrenzt,
Erscheinungen aber koennen nicht durch einen leeren Raum ausser
denselben begrenzt werden. Eben dieses gilt auch von der Zeit. Alles
dieses nun zugegeben, so ist gleichwohl unstreitig, dass man diese
zwei Undinge, den leeren Raum ausser und die leere Zeit vor der Welt,
durchaus annehmen muesse, wenn man eine Weltgrenze, es sei dem Raume
oder der Zeit nach, annimmt.
* Man bemerkt leicht, dass hierdurch gesagt werden wolle: der
  leere Raum, sofern er durch Erscheinungen begrenzt wird, mithin
  derjenige innerhalb der Welt, widerspreche wenigstens nicht den
  transzendentalen Prinzipien, und koennen also in Ansehung dieser
  eingeraeumt (obgleich darum seine Moeglichkeit nicht sofort
  behauptet werden).
Denn was den Ausweg betrifft, durch den man der Konsequenz
auszuweichen sucht, nach welcher wir sagen: dass, wenn die Welt (der
Zeit und dem Raum nach) Grenzen hat, das unendliche Leere das Dasein
wirklicher Dinge ihrer Groesse nach bestimmen muesse, so besteht er
insgeheim nur darin: dass man statt einer Sinnenwelt sich, wer weiss
welche, intelligible Welt gedenkt, und, statt des ersten Anfanges,
(ein Dasein, vor welchem eine Zeit des Nichtseins vorhergeht) sich
ueberhaupt ein Dasein denkt, welches keine andere Bedingung in der
Welt voraussetzt, statt der Grenze der Ausdehnung, Schranken des
Weltganzen denkt, und dadurch der Zeit und dem Raume aus dem Wege
geht. Es ist hier aber nur von dem mundus phaenomenon die Rede,
und von dessen Groesse, bei dem man von gedachten Bedingungen der
Sinnlichkeit keineswegs abstrahieren kann, ohne das Wesen desselben
aufzuheben. Die Sinnenwelt, wenn sie begrenzt ist, liegt notwendig
in dem unendlichen Leeren. Will man dieses, und mithin den Raum
ueberhaupt als Bedingung der Moeglichkeit der Erscheinungen a priori
weglassen, so faellt die ganze Sinnenwelt weg. In unserer Aufgabe ist
uns diese allein gegeben. Der mundus intelligibilis ist nichts als der
allgemeine Begriff einer Welt ueberhaupt, in welchem man von allen
Bedingungen der Anschauung derselben abstrahiert, und in Ansehung
dessen folglich gar kein synthetischer Satz, weder bejahend, noch
verneinend moeglich ist.
Der Antinomie der reinen Vernunft
Zweiter Widerstreit der transzendentalen Ideen
        Thesis
Eine jede zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht aus einfachen
Teilen, und es existiert ueberall nichts als das Einfache, oder das,
was aus diesem zusammengesetzt ist.
        Beweis
Denn, nehmet an, die zusammengesetzten Substanzen bestaenden nicht
aus einfachen Teilen; so wuerde wenn alle Zusammensetzung in Gedanken
aufgehoben wuerde, kein zusammengesetzter Teil, und (da es keine
einfachen Teile gibt) auch kein einfacher, mithin gar nichts
uebrigbleiben, folglich keine Substanz sein gegeben worden. Entweder
also laesst sich unmoeglich alle Zusammensetzung in Gedanken aufheben,
oder es muss nach deren Aufhebung etwas ohne alle Zusammensetzung
Bestehendes, d.i. das Einfache, uebrigbleiben. Im ersteren Falle aber
wuerde das Zusammengesetzte wiederum nicht aus Substanzen bestehen
(weil bei diesen die Zusammensetzung nur eine zufaellige Relation der
Substanzen ist, ohne welche diese, als fuer sich beharrliche Wesen,
bestehen muessen). Da nun dieser Fall der Voraussetzung widerspricht,
so bleibt nur der zweite uebrig: dass naemlich das substantielle
Zusammengesetzte in der Welt aus einfachen Teilen bestehe.
Hieraus folgt unmittelbar, dass die Dinge der Welt insgesamt einfache
Wesen sind, dass die Zusammensetzung nur ein aeusserer Zustand
derselben sei, und dass, wenn wir die Elementarsubstanzen gleich
niemals voellig aus diesem Zustande der Verbindung setzen und
isolieren koennen, doch die Vernunft sie als die ersten Subjekte aller
Komposition, und mithin, vor derselben, als einfache Wesen denken
muesse.
        Antithesis
Kein zusammengesetztes Ding in der Welt besteht aus einfachen Teilen,
und es existiert ueberall nichts Einfaches in derselben.
        Beweis
Setzet: ein zusammengesetztes Ding (als Substanz) bestehe aus
einfachen Teilen. Weil alles aeussere Verhaeltnis, mithin auch alle
Zusammensetzung aus Substanzen, nur im Raume moeglich ist: so muss,
aus so viel Teilen das Zusammengesetzte besteht, aus ebensoviel Teilen
auch der Raum bestehen, den es einnimmt. Nun besteht der Raum nicht
aus einfachen Teilen, sondern aus Raeumen. Also muss jeder Teil des
Zusammengesetzten einen Raum einnehmen. Die schlechthin ersten Teile
aber alles Zusammengesetzten sind einfach. Also nimmt das Einfache
einen Raum ein. Da nun alles Reale, was einen Raum einnimmt, ein
ausserhalb einander befindliches Mannigfaltige in sich fasst, mithin
zusammengesetzt ist, und zwar als ein reales Zusammengesetzte, nicht
aus Akzidenzen, (denn die koennen nicht ohne Substanz aussereinander
sein,) mithin aus Substanzen; so wuerde das Einfache ein
substantielles Zusammengesetzte sein, welches sich widerspricht.
Der zweite Satz der Antithesis, dass in der Welt gar nichts Einfaches
existiere, soll hier nur so viel bedeuten, als: Es koenne das Dasein
des schlechthin Einfachen aus keiner Erfahrung oder Wahrnehmung, weder
aeusseren, noch inneren, dargetan werden, und das schlechthin Einfache
sei also eine blosse Idee, deren objektive Realitaet niemals in
irgend einer moeglichen Erfahrung kann dargetan werden, mithin in der
Exposition der Erscheinungen ohne alle Anwendung und Gegenstand. Denn
wir wollen annehmen, es liesse sich fuer diese transzendentale Idee
ein Gegenstand der Erfahrung finden: so muesste die empirische
Anschauung irgendeines Gegenstandes als eine solche erkannt werden,
welche schlechthin kein Mannigfaltiges ausserhalb einander, und zur
Einheit verbunden, enthaelt. Da nun von dem Nichtbewusstsein eines
Mannigfaltigen auf die gaenzliche Unmoeglichkeit ein solches in
irgendeiner Anschauung des selben Objekts, kein Schluss gilt, dieses
letztere aber zur absoluten Simplizitaet durchaus noetig ist, so
folgt, dass diese aus keiner Wahrnehmung, welche sie auch sei, koenne
geschlossen werden. Da also etwas als ein schlechthin einfaches Objekt
niemals in irgend einer moeglichen Erfahrung kann gegeben werden,
die Sinnenwelt aber als der Inbegriff aller moeglichen Erfahrungen
angesehen werden muss: so ist ueberall in ihr nichts Einfaches
gegeben.
Dieser zweite Satz der Antithesis geht viel weiter als der erste, der
das Einfache nur von der Anschauung des Zusammengesetzten verbannt,
da hingegen dieser es aus der ganzen Natur wegschafft; daher er auch
nicht aus dem Begriffe eines gegebenen Gegenstandes der aeusseren
Anschauung (des Zusammengesetzten), sondern aus dem Verhaeltnis
desselben zu einer moeglichen Erfahrung ueberhaupt hat bewiesen werden
koennen.
        Anmerkung zur zweiten Antinomie
        I. zur Thesis
Wenn ich von einem Ganzen rede, welches notwendig aus einfachen Teilen
besteht, so verstehe ich darunter nur ein substantielles Ganze als
das eigentliche Kompositum, d.i. diejenige zufaellige Einheit des
Mannigfaltigen, welches abgesondert (wenigstens in Gedanken) gegeben,
in eine wechselseitige Verbindung gesetzt wird, und dadurch Eines
ausmacht. Den Raum sollte man eigentlich nicht Kompositium, sondern
Totum nennen, weil die Teile desselben nur im Ganzen und nicht
das Ganze durch die Teile moeglich ist. Er wuerde allenfalls ein
compositum ideale, aber nicht reale heissen koennen. Doch dieses ist
nur Subtilitaet. Da der Raum kein Zusammengesetztes aus Substanzen
(nicht einmal aus realen Akzidenzen) ist, so muss, wenn ich alle
Zusammensetzung in ihm aufhebe, nichts, auch nicht einmal der Punkt
uebrigbleiben; denn dieser ist nur als die Grenze eines Raumes,
(mithin eines Zusammengesetzten) moeglich. Raum und Zeit bestehen
also nicht aus einfachen Teilen. Was nur zum Zustande einer Substanz
gehoert, ob es gleich eine Groesse hat (z.B. die Veraenderung),
besteht auch nicht aus dem Einfachen, d.i. ein gewisser Grad der
Veraenderung entsteht nicht durch einen Anwachs vieler einfachen
Veraenderungen. Unser Schluss vom Zusammengesetzten auf das Einfache
gilt nur von fuer sich selbst bestehenden Dingen. Akzidenzen aber des
Zustandes, bestehen nicht fuer sich selbst. Man kann also den Beweis
fuer die Notwendigkeit des Einfachen, als dem Bestandteile alles
substantiellen Zusammengesetzten, und dadurch ueberhaupt seine Sache
leichtlich dadurch verderben, wenn man ihn zu weit ausdehnt und ihn
fuer alles Zusammengesetzte ohne Unterschied geltend machen will, wie
es wirklich mehrmalen schon geschehen ist.
Ich rede uebrigens hier nur von dem Einfachen, sofern es notwendig
im Zusammengesetzten gegeben ist, indem dieses darin, als in seine
Bestandteile, aufgeloest werden kann. Die eigentliche Bedeutung des
Wortes Monas (nach Leibnitzens Gebrauch) sollte wohl nur auf das
Einfache gehen, welches unmittelbar als einfache Substanz gegeben
ist (z.B. im Selbstbewusstsein) und nicht als Element des
Zusammengesetzten, welches man besser den Atomus nennen koennte. Und
da ich nur in Ansehung des Zusammengesetzten die einfachen Substanzen,
als deren Elemente, beweisen will, so koennte ich die Antithese der
zweiten Antinomie die transzendentale Atomistik nennen. Weil aber
dieses Wort schon vorlaengst zur Bezeichnung einer besonderen
Erklaerungsart koerperlicher Erscheinungen (molecularum) gebraucht
worden, und also empirische Begriffe voraussetzt, so mag er der
dialektische Grundsatz der Monadologie heissen.
        II. Anmerkung zur Antithesis
Wider diesen Satz einer unendlichen Teilung der Materie, dessen
Beweisgrund bloss mathematisch ist, werden von den Monadisten
Einwuerfe vorgebracht, welche sich dadurch schon verdaechtig machen,
dass sie die klarsten mathematischen Beweise nicht fuer Einsichten
in die Beschaffenheit des Raumes, sofern er in der Tat die formale
Bedingung der Moeglichkeit aller Materie ist, wollen gelten lassen,
sondern sie nur als Schluesse aus abstrakten aber willkuerlichen
Begriffen ansehen, die auf wirkliche Dinge nicht bezogen werden
koennten. Gleich als wenn es auch nur moeglich waere, eine andere Art
der Anschauung zu erdenken, als die in der urspruenglichen Anschauung
des Raumes gegeben wird, und die Bestimmungen desselben a priori nicht
zugleich alles dasjenige betraefen, was dadurch allein moeglich ist,
dass es diesen Raum erfuellt. Wenn man ihnen Gehoer gibt, so muesste
man, ausser dem mathematischen Punkte, der einfach, aber kein Teil,
sondern bloss die Grenze eines Raumes ist, sich noch physische Punkte
denken, die zwar auch einfach sind, aber den Vorzug haben, als Teile
des Raumes, durch ihre blosse Aggregation denselben zu erfuellen. Ohne
nun hier die gemeinen und klaren Widerlegungen dieser Ungereimtheit,
die man in Menge antrifft, zu wiederholen, wie es denn gaenzlich
umsonst ist, durch bloss diskursive Begriffe die Evidenz der
Mathematik weg vernuenfteln zu wollen, so bemerke ich nur, dass,
wenn die Philosophie hier mit der Mathematik schikaniert, es
darum geschehe, weil sie vergisst, dass es in dieser Frage nur um
Erscheinungen und deren Bedingung zu tun sei. Hier ist es aber nicht
genug, zum reinen Verstandesbegriffe des Zusammengesetzten den Begriff
des Einfachen, sondern zur Anschauung des Zusammengesetzten (der
Materie) die Anschauung des Einfachen zu finden, und dieses ist nach
Gesetzen der Sinnlichkeit, mithin auch bei Gegenstaenden der Sinne,
gaenzlich unmoeglich. Es mag also von einem Ganzen aus Substanzen,
welches bloss durch den reinen Verstand gedacht wird, immer gelten,
dass wir vor aller Zusammensetzung desselben das Einfache haben
muessen; so gilt dieses doch nicht vom totum substantiale phaenomenon,
welches, als empirische Anschauung im Raume, die notwendige
Eigenschaft bei sich fuehrt, dass kein Teil desselben einfach ist,
darum, weil kein Teil des Raumes einfach ist. Indessen sind die
Monadisten fein genug gewesen, dieser Schwierigkeit dadurch ausweichen
zu wollen, dass sie nicht den Raum als eine Bedingung der Moeglichkeit
der Gegenstaende aeusserer Anschauung (Koerper), sondern diese,
und das dynamische Verhaeltnis der Substanzen ueberhaupt, als die
Bedingung der Moeglichkeit des Raumes voraussetzen. Nun haben wir von
Koerpern nur als Erscheinungen einen Begriff, als solche aber setzen
sie den Raum als die Bedingung der Moeglichkeit aller aeusseren
Erscheinung notwendig voraus, und die Ausflucht ist also vergeblich,
wie sie denn auch oben in der transzendentalen Aesthetik hinreichend
ist abgeschnitten worden. Waeren sie Dinge an sich selbst, so wuerde
der Beweis der Monadisten allerdings gelten.
Die zweite dialektische Behauptung hat das Besondere an sich, dass
sie eine dogmatische Behauptung wider sich hat, die unter allen
vernuenftelnden die einzige ist, welche sich unternimmt, an einem
Gegenstande der Erfahrung die Wirklichkeit dessen, was wir oben
bloss zu transzendentalen Ideen rechneten, naemlich die absolute
Simplizitaet der Substanz, augenscheinlich zu beweisen: naemlich
dass der Gegenstand des inneren Sinnes, das Ich, was da denkt,
eine schlechthin einfache Substanz sei. Ohne mich hierauf jetzt
einzulassen, (da es oben ausfuehrlicher erwogen ist,) so bemerke
ich nur: dass wenn etwas bloss als Gegenstand gedacht wird, ohne
irgendeine synthetische Bestimmung seiner Anschauung hinzuzusetzen,
(wie denn dieses durch die ganz nackte Vorstellung: Ich, geschieht,)
so koenne freilich nichts Mannigfaltiges und keine Zusammensetzung
in einer solchen Vorstellung wahrgenommen werden. Da ueberdem die
Praedikate, wodurch ich diesen Gegenstand denke, bloss Anschauungen
des inneren Sinnes sind, so kann darin auch nichts vorkommen, welches
ein Mannigfaltiges ausserhalb einander, mithin reale Zusammensetzung
bewiese. Es bringt also nur das Selbstbewusstsein es so mit sich,
dass, weil das Subjekt, welches denkt, zugleich sein eigen Objekt ist,
es sich selber nicht teilen kann (obgleich die ihm inhaerierenden
Bestimmungen); denn in Ansehung seiner selbst ist jeder Gegenstand
absolute Einheit. Nichtsdestoweniger, wenn dieses Subjekt aeusserlich,
als ein Gegenstand der Anschauung, betrachtet wird, so wuerde es doch
wohl Zusammensetzung in der Erscheinung an sich zeigen. So muss es
aber jederzeit betrachtet werden, wenn man wissen will, ob in ihm ein
Mannigfaltiges ausserhalb einander sei, oder nicht.
Der Antinomie der reinen Vernunft
Dritter Widerstreit der transzendentalen Ideen
        Thesis
Die Kausalitaet nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus
welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden
koennen.
        Beweis
Man nehme an, es gebe keine andere Kausalitaet, als nach Gesetzen der
Natur; so setzt alles, was geschieht, einen vorigen Zustand voraus,
auf den es unausbleiblich nach einer Regel folgt. Nun muss aber der
vorige Zustand selbst etwas sein, was geschehen ist (in der Zeit
geworden, da es vorher nicht war), weil, wenn es jederzeit gewesen
waere, seine Folge auch nicht allererst entstanden, sondern immer
gewesen sein wuerde. Also ist die Kausalitaet der Ursache, durch
welche etwas geschieht, selbst etwas Geschehenes, welches nach
dem Gesetz der Natur wiederum einen vorigen Zustand und dessen
Kausalitaet, dieser aber eben so einen noch aelteren voraussetzt usw.
Wenn also alles nach blossen Gesetzen der Natur geschieht, so gibt es
jederzeit nur einen subalternen, niemals aber einen ersten Anfang, und
also ueberhaupt keine Vollstaendigkeit der Reihe auf der Seite der
voneinander abstammenden Ursachen. Nun besteht aber eben darin das
Gesetz der Natur: dass ohne hinreichend a priori bestimmte Ursache
nichts geschehe. Also widerspricht der Satz, als wenn alle Kausalitaet
nur nach Naturgesetzen moeglich sei, sich selbst in seiner
unbeschraenkten Allgemeinheit, und diese kann also nicht als die
einzige angenommen werden.
Diesem nach muss eine Kausalitaet angenommen werden, durch welche
etwas geschieht, ohne dass die Ursache davon noch weiter, durch eine
andere vorhergehende Ursache, nach notwendigen Gesetzen bestimmt
sei, d.i. eine absolute Spontaneitaet der Ursachen, eine Reihe von
Erscheinungen, die nach Naturgesetzen laeuft, von selbst anzufangen,
mithin transzendentale Freiheit, ohne welche selbst im Laufe der Natur
die Reihenfolge der Erscheinungen auf der Seite der Ursachen niemals
vollstaendig ist.
        Antithesis
Es ist noch eine Kausalitaet durch Freiheit zur Erklaerung derselben
anzunehmen notwendig. Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt
geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur.
        Beweis
Setzet: es gehe eine Freiheit im transzendentalen Verstande, als eine
besondere Art von Kausalitaet, nach welcher die Begebenheiten der Welt
erfolgen koennten, naemlich ein Vermoegen, einen Zustand, mithin auch
eine Reihe von Folgen desselben, schlechthin anzufangen; so wird nicht
allein eine Reihe durch diese Spontaneitaet, sondern die Bestimmung
dieser Spontaneitaet selbst zur Hervorbringung der Reihe, d.i. die
Kausalitaet, wird schlechthin anfangen, so dass nichts vorhergeht,
wodurch diese geschehende Handlung nach bestaendigen Gesetzen bestimmt
sei. Es setzt aber ein jeder Anfang zu handeln einen Zustand der noch
nicht handelnden Ursache voraus, und ein dynamisch erster Anfang der
Handlung einen Zustand, der mit dem vorhergehenden eben derselben
Ursache gar keinen Zusammenhang der Kausalitaet hat, d.i. auf keine
Weise daraus erfolgt. Also ist die transzendentale Freiheit dem
Kausalgesetze entgegen, und eine solche Verbindung der sukzessiven
Zustaende wirkender Ursachen, nach welcher keine Einheit der Erfahrung
moeglich ist, die also auch in keiner Erfahrung angetroffen wird,
mithin ein leeres Gedankending.
Wir haben also nichts als Natur, in welcher wir den Zusammenhang
und Ordnung der Weltbegebenheiten suchen muessen. Die Freiheit
(Unabhaengigkeit) von den Gesetzen der Natur, ist zwar eine Befreiung
vom Zwange, aber auch vom Leitfaden aller Regeln. Denn man kann nicht
sagen, dass, anstatt der Gesetze der Natur, Gesetze der Freiheit
in die Kausalitaet des Weltlaufs eintreten, weil, wenn diese nach
Gesetzen bestimmt waere, so waere sie nicht Freiheit, sondern selbst
nichts anderes als Natur. Natur also und transzendentale Freiheit
unterscheiden sich wie Gesetzmaessigkeit und Gesetzlosigkeit,
davon jene zwar den Verstand mit der Schwierigkeit belaestigt, die
Abstammung der Begebenheiten in der Reihe der Ursachen immer hoeher
hinauf zu suchen, weil die Kausalitaet an ihnen jederzeit bedingt ist,
aber zur Schadloshaltung durchgaengige und gesetzmaessige Einheit der
Erfahrung verspricht, dahingegen das Blendwerk von Freiheit zwar dem
forschenden Verstande in der Kette der Ursachen Ruhe verheisst, indem
sie ihn zu einer unbedingten Kausalitaet fuehrt, die von selbst zu
handeln anhebt, die aber, da sie selbst blind ist, den Leitfaden der
Regeln abreisst, an welchem allein eine durchgaengig zusammenhaengende
Erfahrung moeglich ist.
        Anmerkung zur dritten Antinomie
        I. zur Thesis
Die transzendentale Idee der Freiheit macht zwar bei weitem nicht
den ganzen Inhalt des psychologischen Begriffs dieses Namens aus,
welcher grossenteils empirisch ist, sondern nur den der absoluten
Spontaneitaet der Handlung, als den eigentlichen Grund der
Imputabilitaet derselben; ist aber dennoch der eigentliche Stein
des Anstosses fuer die Philosophie, welche unueberwindliche
Schwierigkeiten findet, dergleichen Art von unbedingter Kausalitaet
einzuraeumen. Dasjenige also in der Frage ueber die Freiheit des
Willens, was die spekulative Vernunft von jeher in so grosse
Verlegenheit gesetzt hat, ist eigentlich nur transzendental, und geht
lediglich darauf, ob ein Vermoegen angenommen werden muesse, eine
Reihe von sukzessiven Dingen oder Zustaenden von selbst anzufangen.
Wie ein solches moeglich sei, ist nicht ebenso notwendig beantworten
zu koennen, da wir uns ebensowohl bei der Kausalitaet nach
Naturgesetzen damit begnuegen muessen, a priori zu erkennen, dass eine
solche vorausgesetzt werden muesse, ob wir gleich die Moeglichkeit,
wie durch ein gewisses Dasein das Dasein eines anderen gesetzt werde,
auf keine Weise begreifen, und uns desfalls lediglich an die Erfahrung
halten muessen. Nun haben wir diese Notwendigkeit eines ersten Anfangs
einer Reihe von Erscheinungen aus Freiheit, zwar nur eigentlich
insofern dargetan, als zur Begreiflichkeit eines Ursprungs der Welt
erforderlich ist, indessen dass man alle nachfolgenden Zustaende fuer
eine Abfolge nach blossen Naturgesetzen nehmen kann. Weil aber dadurch
doch einmal das Vermoegen, eine Reihe in der Zeit ganz von selbst
anzufangen, bewiesen (obzwar nicht eingesehen) ist, so ist es uns
nunmehr auch erlaubt, mitten im Laufe der Welt verschiedene Reihen,
der Kausalitaet nach, von selbst anfangen zu lassen, und den
Substanzen derselben ein Vermoegen beizulegen, aus Freiheit zu
handeln. Man lasse sich aber hierbei nicht durch einen Missverstand
aufhalten: dass, da naemlich eine sukzessive Reihe in der Welt nur
einen komparativ ersten Anfang haben kann, indem doch immer ein
Zustand der Dinge in der Welt vorhergeht, etwa kein absolut erster
Anfang der Reihen waehrend dem Weltlaufe moeglich sei. Denn wir reden
hier nicht vom absolutersten Anfange der Zeit nach, sondern der
Kausalitaet nach. Wenn ich jetzt (zum Beispiel) voellig frei, und ohne
den notwendig bestimmenden Einfluss der Naturursachen, von meinem
Stuhle aufstehe, so faengt in dieser Begebenheit, samt deren
natuerlichen Folgen ins Unendliche, eine neue Reihe schlechthin an,
obgleich der Zeit nach diese Begebenheit nur die Fortsetzung einer
vorhergehenden Reihe ist. Denn diese Entschliessung und Tat liegt gar
nicht in der Abfolge blosser Naturwirkungen, und ist nicht eine blosse
Fortsetzung derselben, sondern die bestimmenden Naturursachen hoeren
oberhalb derselben, in Ansehung dieser Ereignis, ganz auf, die zwar
auf jene folgt, aber daraus nicht erfolgt, und daher zwar nicht der
Zeit nach, aber doch in Ansehung der Kausalitaet, ein schlechthin
erster Anfang einer Reihe von Erscheinungen genannt werden muss.
Die Bestaetigung von der Beduerfnis der Vernunft, in der Reihe der
Naturursachen sich auf einen ersten Anfang aus Freiheit zu berufen,
leuchtet daran sehr klar in die Augen: dass (die epikurische Schule
ausgenommen) alle Philosophen des Altertums sich gedrungen sahen, zur
Erklaerung der Weltbewegungen einen ersten Beweger anzunehmen, d.i.
eine freihandelnde Ursache, welche diese Reihe von Zustaenden zuerst
und von selbst anfing. Denn aus blosser Natur unterfangen sie sich
nicht, einen ersten Anfang begreiflich zu machen.
        II. Anmerkung zur Antithesis
Der Verteidiger der Allvermoegenheit der Natur (transzendentale
Physiokratie), im Widerspiel mit der Lehre von der Freiheit, wuerde
seinen Satz, gegen die vernuenftelnden Schluesse der letzteren, auf
folgende Art behaupten. Wenn ihr kein mathematisch Erstes der Zeit
nach in der Welt annehmt, so habt ihr auch nicht noetig, ein dynamisch
Erstes der Kausalitaet nach zu suchen. Wer hat euch geheissen, einen
schlechthin ersten Zustand der Welt, und mithin einen absoluten Anfang
der nach und nach ablaufenden Reihe der Erscheinungen, zu erdenken,
und, damit ihr eurer Einbildung einen Ruhepunkt verschaffen moeget,
der unumschraenkten Natur Grenzen zu setzen? Da die Substanzen in der
Welt jederzeit gewesen sind, wenigstens die Einheit der Erfahrung eine
solche Voraussetzung notwendig macht, so hat es keine Schwierigkeit,
auch anzunehmen, dass der Wechsel ihrer Zustaende, d.i. eine Reihe
ihrer Veraenderungen, jederzeit gewesen sei, und mithin kein erster
Anfang, weder mathematisch, noch dynamisch, gesucht werden duerfe. Die
Moeglichkeit einer solchen unendlichen Abstammung, ohne ein erstes
Glied, in Ansehung dessen alles uebrige bloss nachfolgend ist, laesst
sich, seiner Moeglichkeit nach, nicht begreiflich machen. Aber wenn
ihr diese Naturraetsel darum wegwerfen wollt, so werdet ihr euch
genoetigt sehen, viel synthetische Grundbeschaffenheiten zu verwerfen,
(Grundkraefte) die ihr ebensowenig begreifen koennt, und selbst die
Moeglichkeit einer Veraenderung ueberhaupt muss euch anstoessig
werden. Denn, wenn ihr nicht durch Erfahrung faendet, dass sie
wirklich ist, so wuerdet ihr niemals a priori ersinnen koennen, wie
eine solche unaufhoerliche Folge von Sein und Nichtsein moeglich sei.
Wenn auch indessen allenfalls ein transzendentales Vermoegen der
Freiheit nachgegeben wird, um die Weltveraenderungen anzufangen, so
wuerde dieses Vermoegen doch wenigstens nur ausserhalb der Welt sein
muessen, (wiewohl es immer eine kuehne Anmassung bleibt, ausserhalb
dem Inbegriffe aller moeglichen Anschauungen, noch einen Gegenstand
anzunehmen, der in keiner moeglichen Wahrnehmung gegeben werden kann).
Allein, in der Welt selbst, den Substanzen ein solches Vermoegen
beizumessen, kann nimmermehr erlaubt sein, weil alsdann der
Zusammenhang nach allgemeinen Gesetzen sich einander notwendig
bestimmender Erscheinungen, den man Natur nennt, und mit ihm
das Merkmal empirischer Wahrheit, welches Erfahrung vom Traum
unterscheidet, groesstenteils verschwinden wuerde. Denn es laesst sich
neben einem solchen gesetzlosen Vermoegen der Freiheit, kaum mehr
Natur denken; weil die Gesetze der letzteren durch die Einfluesse der
ersteren unaufhoerlich abgeaendert, und das Spiel der Erscheinungen,
welches nach der blossen Natur regelmaessig und gleichfoermig sein
wuerde, dadurch verwirrt und unzusammenhaengend gemacht wird.
Der Antinomie der reinen Vernunft
Vierter Widerstreit der transzendentalen Ideen
        Thesis
Zu der Welt gehoert etwas, das, entweder als ihr Teil, oder ihre
Ursache, ein schlechthin notwendig Wesen ist.
        Beweis
Die Sinnenwelt, als das Ganze aller Erscheinungen, enthaelt zugleich
eine Reihe von Veraenderungen. Denn, ohne diese, wuerde selbst die
Vorstellung der Zeitreihe, als einer Bedingung der Moeglichkeit der
Sinnenwelt, uns nicht gegeben sein*. Eine jede Veraenderung aber steht
unter ihrer Bedingung, die der Zeit nach vorhergeht, und unter welcher
sie notwendig ist. Nun setzt ein jedes Bedingte, das gegeben ist, in
Ansehung seiner Existenz, eine vollstaendige Reihe von Bedingungen bis
zum Schlechthinunbedingten voraus, welches allein absolutnotwendig
ist. Also muss etwas Absolutnotwendiges existieren, wenn eine
Veraenderung als seine Folge existiert. Dieses Notwendige aber gehoert
selber zur Sinnenwelt. Denn setzet, es sei ausser derselben, so wuerde
von ihm die Reihe der Weltveraenderungen ihren Anfang ableiten, ohne
dass doch diese notwendige Ursache selbst zur Sinnenwelt gehoerte. Nun
ist dieses unmoeglich. Denn, da der Anfang einer Zeitreihe nur durch
dasjenige, was der Zeit nach vorhergeht, bestimmt werden kann: so
muss die oberste Bedingung des Anfangs einer Reihe von Veraenderungen
in der Zeit existieren, da diese noch nicht war, (denn der Anfang
ist ein Dasein, vor welchem eine Zeit vorhergeht, darin das Ding,
welches anfaengt, noch nicht war). Also gehoert die Kausalitaet der
notwendigen Ursache der Veraenderungen, mithin auch die Ursache
selbst, zu der Zeit, mithin zur Erscheinung (an welcher die
Zeit allein als deren Form moeglich ist), folglich kann sie von
der Sinnenwelt, als dem Inbegriff aller Erscheinungen, nicht
abgesondert gedacht werden. Also ist in der Welt selbst etwas
Schlechthinnotwendiges enthalten (es mag nun dieses die ganze
Weltreihe selbst, oder ein Teil derselben sein).
* Die Zeit geht zwar als formale Bedingung der Moeglichkeit der
  Veraenderungen vor dieser objektiv vorher, allein subjektiv, und in
  der Wirklichkeit des Bewusstseins, ist, diese Vorstellung doch nur,
  so wie jede andere, durch Veranlassung der Wahrnehmungen gegeben.
        Antithesis
Es existiert ueberall kein schlechthin notwendiges Wesen, weder in der
Welt, noch ausser der Welt, als ihre Ursache.
        Beweis
Setzet: die Welt selber, oder in ihr, sei ein notwendiges Wesen, so
wuerde in der Reihe ihrer Veraenderungen, entweder ein Anfang sein,
der unbedingtnotwendig, mithin ohne Ursache waere, welches dem
dynamischen Gesetze der Bestimmung aller Erscheinungen in der Zeit
widerstreitet; oder die Reihe selbst waere ohne allen Anfang, und,
obgleich in allen ihren Teilen zufaellig und bedingt, im Ganzen
dennoch schlechthinnotwendig und unbedingt, welches sich selbst
widerspricht, weil das Dasein einer Menge nicht notwendig sein kann,
wenn kein einziger Teil derselben ein an sich notwendiges Dasein
besitzt.
Setzet dagegen: es gebe eine schlechthin notwendige Weltursache ausser
der Welt, so wuerde dieselbe als das oberste Glied in der Reihe der
Ursachen der Weltveraenderungen, das Dasein der letzteren und ihre
Reihe zuerst anfangen*. Nun muesste sie aber alsdann auch anfangen zu
handeln, und ihre Kausalitaet wuerde in die Zeit, eben darum aber in
den Inbegriff der Erscheinungen, d.i. in die Welt gehoeren, folglich
sie selbst, die Ursache, nicht ausser der Welt sein, welches der
Voraussetzung widerspricht. Also ist weder in der Welt, noch
ausser derselben (aber mit ihr in Kausalverbindung) irgendein
schlechthinnotwendiges Wesen.
* Das Wort: Anfangen, wird in zwiefacher Bedeutung genommen. Die erste
  ist aktiv, da die Ursache eine Reihe von Zustaenden als ihre Wirkung
  anfaengt (infit.). Die zweite passiv, da die Kausalitaet in der
  Ursache selbst anhebt (fit.). Ich schliesse hier aus der ersteren
  auf die letzte.
        Anmerkung zur vierten Antinomie
        I. zur Thesis
Um das Dasein eines notwendigen Wesens zu beweisen, liegt mir hier ob,
kein anderes als kosmologisches Argument zu brauchen, welches naemlich
von dem Bedingten in der Erscheinung zum Unbedingten im Begriffe
aufsteigt, indem man dieses als die notwendige Bedingung der absoluten
Totalitaet der Reihe ansieht. Den Beweis, aus der blossen Idee eines
obersten aller Wesen ueberhaupt, zu versuchen, gehoert zu einem
anderen Prinzip der Vernunft, und ein solcher wird daher besonders
vorkommen muessen.
Der reine kosmologische Beweis kann nun das Dasein eines notwendigen
Wesens nicht anders dartun, als dass er es zugleich unausgemacht
lasse, ob dasselbe die Welt selbst, oder ein von ihr unterschiedenes
Ding sei. Denn, um das letztere auszumitteln, dazu werden Grundsaetze
erfordert, die nicht mehr kosmologisch sind, und nicht in der Reihe
der Erscheinungen fortgehen, sondern Begriffe von zufaelligen Wesen
ueberhaupt, (sofern sie bloss als Gegenstaende des Verstandes erwogen
werden,) und ein Prinzip, solche mit einem notwendigen Wesen, durch
blosse Begriffe, zu verknuepfen, welches alles vor eine transzendente
Philosophie gehoert, fuer welche hier noch nicht der Platz ist.
Wenn man aber einmal den Beweis kosmologisch anfaengt, indem man
die Reihe von Erscheinungen, und den Regressus in derselben nach
empirischen Gesetzen der Kausalitaet, zum Grunde legt: so kann man
nachher davon nicht abspringen und auf etwas uebergehen, was gar nicht
in die Reihe als ein Glied gehoert. Denn in eben derselben Bedeutung
muss etwas als Bedingung angesehen werden, in welcher die Relation des
Bedingten zu seiner Bedingung in der Reihe genommen wurde, die auf
diese hoechste Bedingung in kontinuirlichem Fortschritte fuehren
sollte. Ist nun dieses Verhaeltnis sinnlich und gehoert zum moeglichen
empirischen Verstandesgebrauch, so kann die oberste Bedingung oder
Ursache nur nach Gesetzen der Sinnlichkeit, mithin nur als zur
Zeitreihe gehoerig den Regressus beschliessen, und das notwendige
Wesen muss als das oberste Glied der Weltreihe angesehen werden.
Gleichwohl hat man sich die Freiheit genommen, einen solchen Absprung
(metabasis eis allo genos) zu tun. Man schloss naemlich aus den
Veraenderungen in der Welt auf die empirische Zufaelligkeit, d.i. die
Abhaengigkeit derselben von empirisch bestimmenden Ursachen, und bekam
eine aufsteigende Reihe empirischer Bedingungen, welches auch ganz
recht war. Da man aber hierin keinen ersten Anfang und kein oberstes
Glied finden konnte, so ging man ploetzlich vom empirischen Begriff
der Zufaelligkeit ab und nahm die reine Kategorie, welche alsdann eine
bloss intelligible Reihe veranlasste, deren Vollstaendigkeit auf dem
Dasein einer schlechthin notwendigen Ursache beruhte, die nunmehr,
da sie an keine sinnliche Bedingungen gebunden war, auch von der
Zeitbedingung, ihre Kausalitaet selbst anzufangen, befreit wurde.
Dieses Verfahren ist aber ganz widerrechtlich, wie man aus Folgenden
schliessen kann.
Zufaellig, im reinen Sinne der Kategorie, ist das, dessen
kontradiktorisches Gegenteil moeglich ist. Nun kann man aus der
empirischen Zufaelligkeit auf jene intelligible gar nicht schliessen.
Was veraendert wird, dessen Gegenteil (seines Zustandes) ist zu einer
anderen Zeit wirklich, mithin auch moeglich; mithin ist dieses nicht
das kontradiktorische Gegenteil des vorigen Zustandes, wozu erfordert
wird, dass in derselben Zeit, da der vorige Zustand war, an die
Stelle desselben sein Gegenteil haette sein koennen, welches aus der
Veraenderung gar nicht geschlossen werden kann. Ein Koerper, der
in Bewegung war = A, kommt in Ruhe = non A. Daraus nun, dass ein
entgegengesetzter Zustand vom Zustande A auf diesen folgt, kann gar
nicht geschlossen werden, dass das kontradiktorische Gegenteil von A
moeglich, mithin A zufaellig sei; denn dazu wuerde erfordert werden,
dass in derselben Zeit, da die Bewegung war, anstatt derselben die
Ruhe habe sein koennen. Nun wissen wir nichts weiter, als dass die
Ruhe in der folgenden Zeit wirklich, mithin auch moeglich war.
Bewegung aber zu einer Zeit, und Ruhe zu einer anderen Zeit, sind
einander nicht kontradiktorisch entgegengesetzt. Also beweist die
Sukzession entgegengesetzter Bestimmungen, d.i. die Veraenderung,
keineswegs die Zufaelligkeit nach Begriffen des reinen Verstandes, und
kann also auch nicht auf das Dasein eines notwendigen Wesens, nach
reinen Verstandesbegriffen, fuehren. Die Veraenderung beweist nur die
empirische Zufaelligkeit, d.i. dass der neue Zustand fuer sich selbst,
ohne eine Ursache, die zur vorigen Zeit gehoert, gar nicht haette
stattfinden koennen, zufolge dem Gesetze der Kausalitaet. Diese
Ursache, und wenn sie auch als schlechthin notwendig angenommen wird,
muss auf diese Art doch in der Zeit angetroffen werden, und zur Reihe
der Erscheinungen gehoeren.
        II. Anmerkung zur Antithesis
Wenn man, beim Aufsteigen in der Reihe der Erscheinungen, wider das
Dasein einer schlechthin notwendigen obersten Ursache, Schwierigkeiten
anzutreffen vermeint, so muessen sich diese auch nicht auf blosse
Begriffe vom notwendigen Dasein eines Dinges ueberhaupt gruenden, und
mithin nicht ontologisch sein, sondern sich aus der Kausalverbindung
mit einer Reihe von Erscheinungen, um zu derselben eine Bedingung
anzunehmen, die selbst unbedingt ist, hervorfinden, folglich
kosmologisch und nach empirischen Gesetzen gefolgert sein. Es muss
sich naemlich zeigen, dass das Aufsteigen in der Reihe der Ursachen
(in der Sinnenwelt) niemals bei einer empirischunbedingten Bedingung
endigen koenne, und dass das kosmologische Argument aus der
Zufaelligkeit der Weltzustaende, laut ihren Veraenderungen, wider die
Annehmung einer ersten und die Reihe schlechthin zuerst anhebenden
Ursache ausfalle.
Es zeigt sich aber in dieser Antinomie ein seltsamer Kontrast: dass
naemlich aus eben demselben Beweisgrunde, woraus in der Thesis das
Dasein eines Urwesens geschlossen wurde, in der Antithesis das
Nichtsein desselben, und zwar mit derselben Schaerfe. geschlossen
wird. Erst hiess es: es ist ein notwendiges Wesen, weil die ganze
vergangene Zeit die Reihe aller Bedingungen und hiermit also auch das
Unbedingte (Notwendige) in sich fasst. Nun heisst es: es ist kein
notwendiges Wesen, eben darum, weil die ganze verflossene Zeit die
Reihe aller Bedingungen (die mithin insgesamt wiederum bedingt sind)
in sich fasst. Die Ursache hiervon ist diese. Das erste Argument sieht
nur auf die absolute Totalitaet der Reihe der Bedingungen, deren eine
die andere in der Zeit bestimmt, und bekommt dadurch ein Unbedingtes
und Notwendiges. Das zweite zieht dagegen die Zufaelligkeit alles
dessen, was in der Zeitreihe bestimmt ist, in Betrachtung, (weil vor
jedem eine Zeit vorhergeht, darin die Bedingung selbst wiederum als
bedingt bestimmt sein muss,) wodurch denn alles Unbedingte, und
alle absolute Notwendigkeit, gaenzlich wegfaellt. Indessen ist die
Schlussart in beiden, selbst der gemeinen Menschenvernunft ganz
angemessen, welche mehrmalen in den Fall geraet, sich mit sich selbst
zu entzweien, nachdem sie ihren Gegenstand aus zwei verschiedenen
Standpunkten erwaegt. Herr von Mairan hielt den Streit zweier
beruehmter Astronomen, der aus einer aehnlichen Schwierigkeit ueber
die Wahl des Standpunktes entsprang, fuer ein genugsam merkwuerdiges
Phaenomen, um darueber eine besondere Abhandlung abzufassen. Der
eine schloss naemlich so: der Mond dreht sich um seine Achse, darum,
weil er der Erde bestaendig dieselbe Seite zukehrt; der andere: der
Mond dreht sich nicht um seine Achse, eben darum, weil er der Erde
bestaendig dieselbe Seite zukehrt. Beide Schluesse waren richtig;
je nachdem man den Standpunkt nahm, aus dem man die Mondbewegung
beobachten wollte.
Der Antinomie der reinen Vernunft
Dritter Abschnitt
Von dem Interesse der Vernunft bei diesem ihrem Widerstreite
Da haben wir nun das ganze dialektische Spiel der kosmologischen
Ideen, die es gar nicht verstatten, dass ihnen ein kongruierender
Gegenstand in irgendeiner moeglichen Erfahrung gegeben werde, ja
nicht einmal, dass die Vernunft sie einstimmig mit allgemeinen
Erfahrungsgesetzen denke, die gleichwohl doch nicht willkuerlich
erdacht sind, sondern auf welche die Vernunft im kontinuierlichen
Fortgange der empirischen Synthesis notwendig gefuehrt wird, wenn sie
das, was nach Regeln der Erfahrung jederzeit nur bedingt bestimmt
werden kann, von aller Bedingung befreien und in seiner unbedingten
Totalitaet fassen will. Diese vernuenftelnden Behauptungen sind so
viele Versuche, vier natuerliche und unvermeidliche Probleme der
Vernunft aufzuloesen, deren es also nur gerade so viel, nicht
mehr, auch nicht weniger, geben kann, weil es nicht mehr Reihen
synthetischer Voraussetzungen gibt, welche die empirische Synthesis a
priori begrenzen.
Wir haben die glaenzenden Anmassungen der ihr Gebiet ueber alle
Grenzen der Erfahrung erweiternden Vernunft nur in trockenen Formeln,
welche bloss den Grund ihrer rechtlichen Ansprueche enthalten,
vorgestellt, und, wie es einer Transzendentalphilosophie geziemt,
diese von allem Empirischen entkleidet, obgleich die ganze Pracht der
Vernunftbehauptungen nur in Verbindung mit demselben hervorleuchten
kann. In dieser Anwendung aber, und der fortschreitenden Erweiterung
des Vernunftgebrauchs, indem sie von dem Felde der Erfahrungen anhebt,
und sich bis zu diesen erhabenen Ideen allmaehlich hinaufschwingt,
zeigt die Philosophie eine Wuerde, welche, wenn sie ihre Anmassungen
nur behaupten koennte, den Wert aller anderen menschlichen
Wissenschaft weit unter sich lassen wuerde, indem sie die Grundlage zu
unseren groessesten Erwartungen und Aussichten auf die letzten Zwecke,
in welchen alle Vernunftbemuehungen sich endlich vereinigen muessen,
verheisst. Die Fragen: ob die Welt einen Anfang und irgendeine Grenze
ihrer Ausdehnung im Raume habe, ob es irgendwo und vielleicht in
meinem denkenden Selbst eine unteilbare und unzerstoerliche Einheit,
oder nichts als das Teilbare und Vergaengliche gebe, ob ich in meinen
Handlungen frei, oder, wie andere Wesen, an dem Faden der Natur und
des Schicksals geleitet sei, ob es endlich eine oberste Weltursache
gebe, oder die Naturdinge und deren Ordnung den letzten Gegenstand
ausmachen, bei dem wir in allen unseren Betrachtungen stehenbleiben
muessen: das sind Fragen, um deren Aufloesung der Mathematiker gerne
seine ganze Wissenschaft dahingaebe; denn diese kann ihm doch in
Ansehung der hoechsten und angelegentsten Zwecke der Menschheit keine
Befriedigung verschaffen. Selbst die eigentliche Wuerde der Mathematik
(diesem Stolze der menschlichen Vernunft) beruht darauf, dass, da sie
der Vernunft die Leitung gibt, die Natur im Grossen sowohl als im
Kleinen in ihrer Ordnung und Regelmaessigkeit, imgleichen in der
bewunderungswuerdigen Einheit der sie bewegenden Kraefte, weit
ueber alle Erwartung der auf gemeine Erfahrung bauenden Philosophie
einzusehen, sie dadurch selbst zu dem ueber alle Erfahrung erweiterten
Gebrauch der Vernunft, Anlass und Aufmunterung gibt, imgleichen die
damit beschaeftigte Weltweisheit mit den vortrefflichsten Materialien
versorgt, ihre Nachforschung, so viel deren Beschaffenheit es erlaubt,
durch angemessene Anschauungen zu unterstuetzen.
Ungluecklicherweise fuer die Spekulation (vielleicht aber zum Glueck
fuer die praktische Bestimmung des Menschen) sieht sich die Vernunft,
mitten unter ihren groessesten Erwartungen, in einem Gedraenge von
Gruenden und Gegengruenden so befangen, dass, da es sowohl ihrer
Ehre, als auch sogar ihrer Sicherheit wegen nicht tunlich ist, sich
zurueckzuziehen, und diesem Zwist als einem blossen Spielgefechte
gleichgueltig zuzusehen, noch weniger schlechthin Friede zu gebieten,
weil der Gegenstand des Streits sehr interessiert, ihr nichts weiter
uebrigbleibt, als ueber den Ursprung dieser Veruneinigung der Vernunft
mit sich selbst nachzusinnen, ob nicht etwa ein blosser Missverstand
daran schuld sei, nach dessen Eroerterung zwar beiderseits stolze
Ansprueche vielleicht wegfallen, aber dafuer ein dauerhaft ruhiges
Regiment der Vernunft ueber Verstand und Sinne seinen Anfang nehmen
wuerde.
Wir wollen vorjetzt diese gruendliche Eroerterung noch etwas
aussetzen, und zuvor in Erwaegung ziehen: auf welche Seite wir uns
wohl am liebsten schlagen moechten, wenn wir etwa genoetigt wuerden,
Partei zu nehmen. Da wir in diesem Falle, nicht den logischen
Probierstein der Wahrheit, sondern bloss unser Interesse befragen,
so wird eine solche Untersuchung, ob sie gleich in Ansehung des
strittigen Rechts beider Teile nichts ausmacht, dennoch den Nutzen
haben, es begreiflich zu machen, warum die Teilnehmer an diesem
Streite sich lieber auf die eine Seite, als auf die andere geschlagen
haben, ohne dass eben eine vorzuegliche Einsicht des Gegenstandes
daran Ursache gewesen, angleichen noch andere Nebendinge zu erklaeren,
z.B. die zelotische Hitze des einen und die kalte Behauptung des
anderen Teils, warum sie gerne der einen Partei freudigen Beifall
zujauchzen, und wider die andere zum voraus, unversoehnlich
eingenommen sind.
Es ist aber etwas, das bei dieser vorlaeufigen Beurteilung
den Gesichtspunkt bestimmt, aus dem sie allein mit gehoeriger
Gruendlichkeit angestellt werden kann, und dieses ist die Vergleichung
der Prinzipien, von denen beide Teile ausgehen. Man bemerkt unter den
Behauptungen der Antithesis, eine vollkommene Gleichfoermigkeit der
Denkungsart und voellige Einheit der Maxime, naemlich ein Prinzipium
des reinen Empirismus, nicht allein in Erklaerung der Erscheinungen in
der Welt, sondern auch in Aufloesung der transzendentalen Ideen, vom
Weltall selbst. Dagegen legen die Behauptungen der Thesis, ausser der
empirischen Erklaerungsart innerhalb der Reihe der Erscheinungen,
noch intellektuelle Anfaenge zum Grunde, und die Maxime ist
sofern nicht einfach. Ich will sie aber, von ihrem wesentlichen
Unterscheidungsmerkmal, den Dogmatism der reinen Vernunft nennen.
Auf der Seite also des Dogmatismus, in Bestimmung der kosmologischen
Vernunftideen, oder der Thesis, zeigt sich
Zuerst ein gewisses praktisches Interesse, woran jeder wohlgesinnte,
wenn er sich auf seinen wahren Vorteil versteht, herzlich teilnimmt.
Dass die Welt einen Anfang habe, dass mein denkendes Selbst einfacher
und daher unverweslicher Natur, dass dieses zugleich in seinen
willkuerlichen Handlungen frei und ueber den Naturzwang erhoben
sei, und dass endlich die ganze Ordnung der Dinge, welche die Welt
ausmachen, von einem Urwesen abstamme, von welchem alles seine Einheit
und zweckmaessige Verknuepfung entlehnt, das sind so viel Grundsteine
der Moral und Religion. Die Antithesis raubt uns alle diese Stuetzen,
oder scheint wenigstens sie uns zu rauben.
Zweitens aeussert sich auch ein spekulatives Interesse der Vernunft
auf dieser Seite. Denn, wenn man die transzendentalen Ideen auf solche
Art annimmt und gebraucht, so kann man voellig a priori die ganze
Kette der Bedingungen fassen, und die Ableitung des Bedingten
begreifen, indem man vom Unbedingten anfaengt, welches die Antithesis
nicht leistet, die dadurch sich sehr uebel empfiehlt, dass sie auf
die Frage, wegen der Bedingungen ihrer Synthesis, keine Antwort geben
kann, die nicht ohne Ende immer weiter zu fragen uebrig liesse. Nach
ihr muss man von einem gegebenen Anfange zu einem noch hoeheren
aufsteigen, jeder Teil fuehrt auf einen noch kleineren Teil, jede
Begebenheit hat immer noch eine andere Begebenheit als Ursache ueber
sich, und die Bedingungen des Daseins ueberhaupt stuetzen sich immer
wiederum auf andere, ohne jemals in einem selbstaendigen Dinge als
Urwesen unbedingte Haltung und Stuetze zu bekommen.
Drittens hat diese Seite auch den Vorzug der Popularitaet, der gewiss
nicht den kleinsten Teil seiner Empfehlung ausmacht. Der gemeine
Verstand findet in den Ideen des unbedingten Anfangs aller Synthesis
nicht die mindeste Schwierigkeit, da er ohnedem mehr gewohnt ist, zu
den Folgen abwaerts zu gehen, als zu den Gruenden hinaufzusteigen, und
hat in den Begriffen des absolut Ersten (ueber dessen Moeglichkeit er
nicht gruebelt) eine Gemaechlichkeit und zugleich einen festen Punkt,
um die Leitschnur seiner Schritte daran zu knuepfen, da er hingegen an
dem rastlosen Aufsteigen vom Bedingten zur Bedingung, jederzeit mit
einem Fusse in der Luft, gar keinen Wohlgefallen finden kann.
Auf der Seite des Empirismus in Bestimmung der kosmologischen Ideen,
oder der Antithesis, findet sich erstlich kein solches praktisches
Interesse aus reinen Prinzipien der Vernunft, als Moral und Religion
bei sich fuehren. Vielmehr scheint der blosse Empirism beiden
alle Kraft und Einfluss zu benehmen. Wenn es kein von der Welt
unterschiedenes Urwesen gibt, wenn die Welt ohne Anfang und also
auch ohne Urheber, unser Wille nicht frei und die Seele von gleicher
Teilbarkeit und Verweslichkeit mit der Materie ist, so verlieren auch
die moralischen Ideen und Grundsaetze alle Gueltigkeit, und fallen
mit den transzendentalen Ideen, welche ihre theoretische Stuetze
ausmachten.
Dagegen bietet aber der Empirism dem spekulativen Interesse der
Vernunft Vorteile an, die sehr anlockend sind und diejenigen weit
uebertreffen, die der dogmatische Lehrer der Vernunftideen versprechen
mag. Nach jenem ist der Verstand jederzeit auf seinem eigentuemlichen
Boden, naemlich dem Felde von lauter moeglichen Erfahrungen, deren
Gesetzen er nachspueren, und vermittelst derselben er seine sichere
und fassliche Erkenntnis ohne Ende erweitern kann. Hier kann und
soll er den Gegenstand, sowohl an sich selbst, als in seinen
Verhaeltnissen, der Anschauung darstellen, oder doch in Begriffen,
deren Bild in gegebenen aehnlichen Anschauungen klar und deutlich
vorgelegt werden kann. Nicht allein, dass er nicht noetig hat, diese
Kette der Naturordnung zu verlassen, um sich an Ideen zu haengen,
deren Gegenstaende er nicht kennt, weil sie als Gedankendinge niemals
gegeben werden koennen; sondern es ist ihm nicht einmal erlaubt, sein
Geschaeft zu verlassen, und unter dem Vorwande, es sei nunmehr zu
Ende gebracht, in das Gebiet der idealisierenden Vernunft und zu
transzendenten Begriffe ueberzugehen, wo er nicht weiter noetig hat zu
beobachten und den Naturgesetzen gemaess zu forschen, sondern nur zu
denken und zu dichten, sicher, dass er nicht durch Tatsachen der Natur
widerlegt werden koenne, weil er an ihr Zeugnis eben nicht gebunden
ist, sondern sie vorbeigehen, oder sie sogar selbst einem hoeheren
Ansehen, naemlich dem der reinen Vernunft, unterordnen darf.
Der Empirist wird es daher niemals erlauben, irgendeine Epoche der
Natur fuer die schlechthin erste anzunehmen, oder irgendeine Grenze
seiner Aussicht in den Umfang derselben als die aeusserste anzusehen,
noch von den Gegenstaenden der Natur, die er durch Beobachtung und
Mathematik aufloesen und in der Anschauung synthetisch bestimmen
kann, (dem Ausgedehnten,) zu denen ueberzugehen, die weder Sinn, noch
Einbildungskraft jemals in concreto darstellen kann (dem Einfachen);
noch einraeumen, dass man selbst in der Natur ein Vermoegen,
unabhaengig von Gesetzen der Natur zu wirken, (Freiheit,) zum Grunde
lege, und dadurch dem Verstande sein Geschaeft schmaelere, an
dem Leitfaden notwendiger Regeln dem Entstehen der Erscheinungen
nachzuspueren; noch endlich zugeben, dass man irgend wozu die Ursache
ausserhalb der Natur suche, (Urwesen,) weil wir nichts weiter, als
diese kennen, indem sie es allein ist, welche uns Gegenstaende
darbietet, und von ihren Gesetzen unterrichten kann.
Zwar, wenn der empirische Philosoph mit seiner Antithese keine andere
Absicht hat, als, den Vorwitz und die Vermessenheit der ihre wahre
Bestimmung verkennenden Vernunft niederzuschlagen, welche mit Einsicht
und Wissen gross tut, da wo eigentlich Einsicht und Wissen aufhoeren,
und das, was man in Ansehung des praktischen Interesse gelten laesst,
fuer eine Befoerderung des spekulativen Interesse ausgeben will, um,
wo es ihrer Gemaechlichkeit zutraeglich ist, den Faden physischer
Untersuchungen abzureissen, und mit einem Vorgeben von Erweiterung der
Erkenntnis, ihn an transzendentale Ideen zu knuepfen, durch die man
eigentlich nur erkennt, dass man nichts wisse; wenn, sage ich, der
Empirist sich hiermit begnuegte, so wuerde sein Grundsatz eine Maxime
der Maessigung in Anspruechen, der Bescheidenheit in Behauptungen und
zugleich der groessest moeglichen Erweiterung unseres Verstandes,
durch den eigentlich uns vorgesetzten Lehrer, naemlich die
Erfahrung, sein. Denn, in solchem Falle, wuerden uns intellektuelle
Voraussetzungen und Glaube, zum Behuf unserer praktischen
Angelegenheit, nicht genommen werden; nur koennte man sie nicht
unter dem Titel und dem Pompe von Wissenschaft und Vernunfteinsicht
auftreten lassen, weil das eigentliche spekulative Wissen ueberall
keinen anderen Gegenstand, als den der Erfahrung treffen kann, und,
wenn man ihre Grenze ueberschreitet, die Synthesis, welche neue und
von jener unabhaengige Erkenntnisse versucht, kein Substratum der
Anschauung hat, an welchem sie ausgeuebt werden koennte.
So aber, wenn der Empirismus in Ansehung der Ideen (wie es mehrenteils
geschieht) selbst dogmatisch wird und dasjenige dreist verneint, was
ueber der Sphaere seiner anschauenden Erkenntnisse ist, so faellt
er selbst in den Fehler der Unbescheidenheit, der hier um desto
tadelhafter ist, weil dadurch dem praktischen Interesse der Vernunft
ein unersetzlicher Nachteil verursacht wird.
Dies ist der Gegensatz des Epikureisms* gegen den Platonisms.
* Es ist indessen noch die Frage, ob Epikur diese Grundsaetze als
  objektive Behauptungen jemals vorgetragen habe. Wenn sie etwa weiter
  nichts als Maximen des spekulativen Gebrauchs der Vernunft waren,
  so zeigte er daran einen echteren philosophischen Geist, als
  irgendeiner der Weltweisen des Altertums: dass man in Erklaerung
  der Erscheinungen so zu Werke gehen muesse, als ob das Feld der
  Untersuchung durch keine Grenze oder Anfang der Welt abgeschnitten
  sei; den Stoff der Welt so annehmen, wie er sein muss, wenn wir
  von ihm durch Erfahrung belehrt werden wollen; dass keine andere
  Erzeugung der Begebenheiten, als wie sie durch unveraenderliche
  Naturgesetze bestimmt werden, und endlich keine von der Welt
  unterschiedene Ursache muesse gebraucht werden; sind noch jetzt
  sehr richtige, aber wenig beobachtete Grundsaetze, die spekulative
  Philosophie zu erweitern, so wie auch die Prinzipien der Moral,
  unabhaengig von fremden Hilfsquellen auszufinden, ohne dass darum
  derjenige, welcher verlangt, jene dogmatischen Saetze, so lange als
  wir mit der blossen Spekulation beschaeftigt sind, zu ignorieren,
  darum beschuldigt werden darf, er wolle sie leugnen.
Ein jeder von beiden sagt mehr, als er weiss, doch so, dass der
erstere das Wissen, obzwar zum Nachteile des Praktischen, aufmuntert
und befoerdert, der zweite zwar zum Praktischen vortreffliche
Prinzipien an die Hand gibt, aber eben dadurch in Ansehung alles
dessen, worin uns allein ein spekulatives Wissen vergoennt ist, der
Vernunft erlaubt, idealischen Erklaerungen der Naturerscheinungen
nachzuhaengen und darueber die physische Nachforschung zu
verabsaeumen.
Was endlich das dritte Moment, worauf bei der vorlaeufigen Wahl
zwischen beiden strittigen Teilen gesehen werden kann, anlangt: so
ist es ueberaus befremdlich, dass der Empirismus aller Popularitaet
gaenzlich zuwider ist, ob man gleich glauben sollte, der gemeine
Verstand werde einen Entwurf begierig aufnehmen, der ihn durch nichts
als Erfahrungserkenntnisse und deren vernunftmaessigen Zusammenhang zu
befriedigen verspricht, anstatt dass die transzendentale Dogmatik ihn
noetigt, zu Begriffen hinaufzusteigen, welche die Einsicht und das
Vernunftvermoegen der im Denken geuebtesten Koepfe weit uebersteigen.
Aber eben dieses ist sein Bewegungsgrund. Denn er befindet sich
alsdann in einem Zustande, in welchem sich auch der Gelehrteste
ueber ihn nichts herausnehmen kann. Wenn er wenig oder nichts davon
versteht, so kann sich doch auch niemand ruehmen, viel mehr davon
zu verstehen, und, ob er gleich hierueber nicht so schulgerecht
als andere sprechen kann, so kann er doch darueber unendlich mehr
vernuenfteln, weil er unter lauter Ideen herumwandelt, ueber die man
eben darum am beredtsten ist, weil man davon nichts weiss; anstatt,
dass er ueber der Nachforschung der Natur ganz verstummen und seine
Unwissenheit gestehen muesste. Gemaechlichkeit und Eitelkeit also
sind schon eine starke Empfehlung dieser Grundsaetze. Ueberdem, ob
es gleich einem Philosophen sehr schwer wird, etwas als Grundsatz
anzunehmen, ohne deshalb sich selbst Rechenschaft geben zu koennen,
noch weniger Begriffe, deren objektive Realitaet nicht eingesehen
werden kann, einzufuehren: so ist doch dem gemeinen Verstande nichts
gewoehnlicher. Er will etwas haben, womit er zuversichtlich anfangen
koenne. Die Schwierigkeit, eine solche Voraussetzung selbst zu
begreifen, beunruhigt ihn nicht, weil sie ihm, (der nicht weiss, was
Begreifen heisst,) niemals in den Sinn kommt, und er haelt das fuer
bekannt, was ihm durch oefteren Gebrauch gelaeufig ist. Zuletzt aber
verschwindet alles spekulative Interesse bei ihm vor dem Praktischen,
und er bildet sich ein, das einzusehen und zu wissen, was anzunehmen,
oder zu glauben, ihn seine Besorgnisse oder Hoffnungen antreiben. So
ist der Empirismus der transzendental-idealisierenden Vernunft aller
Popularitaet gaenzlich beraubt, und, so viel Nachteiliges wider die
obersten praktischen Grundsaetze sie auch enthalten mag, so ist
doch gar nicht zu besorgen, dass sie die Grenzen der Schule
jemals ueberschreiten und im gemeinen Wesen ein nur einigermassen
betraechtliches Ansehen und einige Gunst bei der grossen Menge
erwerben werde.
Die menschliche Vernunft ist ihrer Natur nach architektonisch, d.i.
sie betrachtet alle Erkenntnisse als gehoerig zu einem moeglichen
System, und verstattet daher auch nur solche Prinzipien, die eine
vorhabende Erkenntnis wenigstens nicht unfaehig machen, in irgendeinem
System mit anderen zusammen zu stehen. Die Saetze der Antithesis
sind aber von der Art, dass sie die Vollendung eines Gebaeudes von
Erkenntnissen gaenzlich unmoeglich machen. Nach ihnen gibt es ueber
einen Zustand der Welt immer einen noch aelteren, in jedem Teile immer
noch andere, wiederum teilbare, vor jeder Begebenheit eine andere, die
wiederum ebensowohl anderweitig erzeugt war, und im Dasein ueberhaupt
alles immer nur bedingt, ohne irgendein unbedingtes und erstes Dasein
anzuerkennen. Da also die Antithesis nirgend ein Erstes einraeumt, und
keinen Anfang, der schlechthin zum Grunde des Baues dienen koennte,
so ist ein vollstaendiges Gebaeude der Erkenntnis, bei dergleichen
Voraussetzungen, gaenzlich unmoeglich. Daher fuehrt das
architektonische Interesse der Vernunft (welches nicht empirische,
sondern reine Vernunfteinheit a priori fordert,) eine natuerliche
Empfehlung fuer die Behauptungen der Thesis bei sich.
Koennte sich aber ein Mensch von allem Interesse lossagen, und die
Behauptungen der Vernunft, gleichgueltig gegen alle Folgen, bloss
nach dem Gehalte ihrer Gruende in Betrachtung ziehen: so wuerde ein
solcher, gesetzt, dass er keinen Ausweg wuesste, anders aus dem
Gedraenge zu kommen, als dass er sich zu einer oder anderen der
strittigen Lehren bekennte, in einem unaufhoerlich schwankenden
Zustande sein. Heute wuerde es ihm ueberzeugend vorkommen, der
menschliche Wille sei frei; morgen, wenn er die unaufloesliche
Naturkette in Betrachtung zoege, wuerde er dafuer halten, die Freiheit
sei nichts als Selbsttaeuschung, und alles sei bloss Natur. Wenn es
nun aber zum Tun und Handeln kaeme, so wuerde dieses Spiel der bloss
spekulativen Vernunft, wie Schattenbilder eines Traums, verschwinden,
und er wuerde seine Prinzipien bloss nach dem praktischen Interesse
waehlen. Weil es aber doch einem nachdenkenden und forschenden Wesen
anstaendig ist, gewisse Zeiten lediglich der Pruefung seiner eigenen
Vernunft zu widmen, hierbei aber alle Parteilichkeit gaenzlich
auszuziehen, und so seine Bemerkungen anderen zur Beurteilung
oeffentlich mitzuteilen; so kann es niemanden verargt, noch weniger
verwehrt werden, die Saetze und Gegensaetze, so wie sie sich, durch
keine Drohung geschreckt, vor Geschworenen von seinem eigenen Stande
(naemlich dem Stande schwacher Menschen) verteidigen koennen,
auftreten zu lassen.
Der Antinomie der reinen Vernunft
Vierter Abschnitt
Von den Transzendentalen Aufgaben der reinen Vernunft, insofern sie
schlechterdings muessen aufgeloest werden koennen
Alle Aufgaben aufloesen und alle Fragen beantworten zu wollen,
wuerde eine unverschaemte Grosssprecherei und ein so ausschweifender
Eigenduenkel sein, dass man dadurch sich sofort um alles Zutrauen
bringen muesste. Gleichwohl gibt es Wissenschaften, deren Natur es so
mit sich bringt, dass eine jede darin vorkommende Frage, aus dem, was
man weiss, schlechthin beantwortlich sein muss, weil die Antwort aus
denselben Quellen entspringen muss, daraus die Frage entspringt,
und wo es keineswegs erlaubt ist, unvermeidliche Unwissenheit
vorzuschuetzen, sondern die Aufloesung gefordert werden kann. Was in
allen moeglichen Faellen Recht oder Unrecht sei, muss man der Regel
nach wissen koennen, weil es unsere Verbindlichkeit betrifft, und
wir zu dem, was wir nicht wissen koennen, auch keine Verbindlichkeit
haben. In der Erklaerung der Erscheinungen der Natur muss uns indessen
vieles ungewiss und manche Frage unaufloeslich bleiben, weil das, was
wir von der Natur wissen, zu dem, was wir erklaeren sollen, bei weitem
nicht in allen Faellen zureichend ist. Es fragt sich nun: ob in der
Transzendentalphilosophie irgendeine Frage, die ein der Vernunft
vorgelegtes Objekt betrifft, durch eben diese reine Vernunft
unbeantwortlich sei, und ob man sich ihrer entscheidenden Beantwortung
dadurch mit Recht entziehen koenne, dass man es als schlechthin
ungewiss (aus allem dem, was wir erkennen koennen) demjenigen
beizaehlt, wovon wir zwar so viel Begriff haben, um eine Frage
aufzuwerfen, es uns aber gaenzlich an Mitteln oder am Vermoegen fehlt,
sie jemals zu beantworten.
Ich behaupte nun, dass die Transzendentalphilosophie unter allem
spekulativen Erkenntnis dieses Eigentuemliche habe: dass gar keine
Frage, welche einen der reinen Vernunft gegebenen Gegenstand betrifft,
fuer eben dieselbe menschliche Vernunft unaufloeslich sei, und
dass kein Vorschuetzen einer unvermeidlichen Unwissenheit und
unergruendlicher Tiefe der Aufgabe von der Verbindlichkeit frei
sprechen koenne, sie gruendlich und vollstaendig zu beantworten; weil
eben derselbe Begriff, der uns in den Stand setzt zu fragen, durchaus
uns auch tuechtig machen muss, auf diese Frage zu antworten, indem der
Gegenstand ausser dem Begriffe gar nicht angetroffen wird (wie bei
Recht und Unrecht).
Es sind aber in der Transzendentalphilosophie keine anderen, als
nur die kosmologischen Fragen, in Ansehung deren man mit Recht eine
genugtuende Antwort, die die Beschaffenheit des Gegenstandes betrifft,
fordern kann, ohne dass dem Philosophen erlaubt ist, sich derselben
dadurch zu entziehen, dass er undurchdringliche Dunkelheit
vorschuetzt, und diese Fragen koennen nur kosmologische Ideen
betreffen. Denn der Gegenstand muss empirisch gegeben sein, und die
Frage geht nur auf die Angemessenheit desselben mit einer Idee. Ist
der Gegenstand transzendental und also selbst unbekannt, z.B. ob das
Etwas, dessen Erscheinung (in uns selbst) das Denken ist, (Seele,) ein
an sich einfaches Wesen sei, ob es eine Ursache aller Dinge insgesamt
gebe, die schlechthin notwendig ist, usw., so sollen wir zu unserer
Idee einen Gegenstand suchen, von welchem wir gestehen koennen, dass
er uns unbekannt, aber deswegen doch nicht unmoeglich sei.* Die
kosmologischen Ideen haben allein das Eigentuemliche an sich, dass sie
ihren Gegenstand und die zu dessen Begriff erforderliche empirische
Synthesis als gegeben voraussetzen koennen, und die Frage, die aus
ihnen entspringt, betrifft nur den Fortgang dieser Synthesis, sofern
er absolute Totalitaet enthalten soll, welche letztere nichts
Empirisches mehr ist, indem sie in keiner Erfahrung gegeben werden
kann. Da nun hier lediglich von einem Dinge als Gegenstande einer
moeglichen Erfahrung und nicht als einer Sache an sich selbst die
Rede ist, so kann die Beantwortung der transzendenten kosmologischen
Frage, ausser der Idee sonst nirgend liegen, denn sie betrifft keinen
Gegenstand an sich selbst; und in Ansehung der moeglichen Erfahrung
so wird nicht nach demjenigen gefragt, was in concreto in irgendeiner
Erfahrung gegeben werden kann, sondern was in der Idee liegt, der sich
die empirische Synthesis bloss naehern soll: also muss sie aus der
Idee allein aufgeloest werden koennen; denn diese ist ein blosses
Geschoepf der Vernunft, welche also die Verantwortung nicht von sich
abweisen und auf den unbekannten Gegenstand schieben kann.
* Man kann zwar auf die Frage, was ein transzendentaler Gegenstand
  fuer eine Beschaffenheit habe, keine Antwort geben, naemlich was er
  sei, aber wohl, dass die Frage selbst nichts sei, darum, weil kein
  Gegenstand derselben gegeben worden. Daher sind alle Fragen der
  transzendentalen Seelenlehre auch beantwortlich und wirklich
  beantwortet; denn sie betreffen das transz. Subjekt aller inneren
  Erscheinungen, welches selbst nicht Erscheinung ist und also nicht
  als Gegenstand gegeben ist, und worauf keine der Kategorien (auf
  welche doch eigentlich die Frage gestellt ist) Bedingungen ihrer
  Anwendung antreffen. Also ist hier der Fall, da der gemeine Ausdruck
  gilt, dass keine Antwort auch eine Antwort sei, naemlich dass eine
  Frage nach der Beschaffenheit desjenigen Etwas, was durch kein
  bestimmtes Praedikat gedacht werden kann, weil es gaenzlich ausser
  der Sphaere der Gegenstaende gesetzt wird, die uns gegeben werden
  koennen, gaenzlich nichtig und leer sei.
Es ist nicht so ausserordentlich, als es anfangs scheint: dass eine
Wissenschaft in Ansehung aller in ihren Inbegriff gehoerigen Fragen
(quaestiones domesticae) lauter gewisse Aufloesungen fordern und
erwarten koenne, ob sie gleich zur Zeit noch vielleicht nicht
gefunden sind. Ausser der Transzendentalphilosophie gibt es noch zwei
reine Vernunftwissenschaften, eine bloss spekulativen, die andere
praktischen Inhalts: reine Mathematik, und reine Moral. Hat man wohl
jemals gehoert: dass, gleichsam wegen einer notwendigen Unwissenheit
der Bedingungen, es fuer ungewiss sei ausgegeben worden, welches
Verhaeltnis der Durchmesser zum Kreise ganz genau in Rational- oder
Irrationalzahlen habe? Da es durch erstere gar nicht kongruent gegeben
werden kann, durch die zweite aber noch nicht gefunden ist, so
urteilte man, dass wenigstens die Unmoeglichkeit solcher Aufloesung
mit Gewissheit erkannt werden koenne, und Lambert gab einen Beweis
davon. In den allgemeinen Prinzipien der Sitten kann nichts Ungewisses
sein, weil die Saetze entweder ganz und gar nichtig und sinnleer sind,
oder bloss aus unseren Vernunftbegriffen fliessen muessen. Dagegen
gibt es in der Naturkunde eine Unendlichkeit von Vermutungen, in
Ansehung deren niemals Gewissheit erwartet werden kann, weil die
Naturerscheinungen Gegenstaende sind, die uns unabhaengig von unseren
Begriffen gegeben werden, zu denen also der Schluessel nicht in uns
und unserem reinen Denken, sondern ausser uns liegt, und eben darum
in vielen Faellen nicht aufgefunden, mithin kein sicherer Aufschluss
erwartet werden kann. Ich rechne die Fragen der transzendentalen
Analytik, welche die Deduktion unserer reinen Erkenntnis betreffen,
nicht hierher, weil wir jetzt nur von der Gewissheit der Urteile in
Ansehung der Gegenstaende und nicht in Ansehung des Ursprungs unserer
Begriffe selbst handeln.
Wir werden also der Verbindlichkeit einer wenigstens kritischen
Aufloesung der vorgelegten Vernunftfragen dadurch nicht ausweichen
koennen, dass wir ueber die engen Schranken unserer Vernunft Klagen
erheben, und mit dem Scheine einer demutsvollen Selbsterkenntnis
bekennen, es sei ueber unsere Vernunft, auszumachen, ob die Welt
von Ewigkeit her sei, oder einen Anfang habe; ob der Weltraum ins
Unendliche mit Wesen erfuellt, oder innerhalb gewisser Grenzen
eingeschlossen sei; ob irgend in der Welt etwas einfach sei, oder ob
alles ins Unendliche geteilt werden muesse; ob es eine Erzeugung und
Hervorbringung aus Freiheit gebe, oder ob alles an der Kette der
Naturordnung haenge; endlich ob es irgendein gaenzlich unbedingt und
an sich notwendiges Wesen gebe, oder ob alles seinem Dasein nach
bedingt und mithin aeusserlich abhaengend und an sich zufaellig sei.
Denn alle diese Fragen betreffen einen Gegenstand, der nirgend anders
als in unseren Gedanken gegeben werden kann, naemlich die schlechthin
unbedingte Totalitaet der Synthesis der Erscheinungen. Wenn wir
darueber aus unseren eigenen Begriffen nichts Gewisses sagen und
ausmachen koennen, so duerfen wir nicht die Schuld auf die Sache
schieben, die sich uns verbirgt; denn es kann uns dergleichen Sache
(weil sie ausser unserer Idee nirgends angetroffen wird) gar nicht
gegeben werden, sondern wir muessen die Ursache in unserer Idee selbst
suchen, welche ein Problem ist, das keine Aufloesung verstattet, und
wovon wir doch hartnaeckig annehmen, als entspreche ihr ein wirklicher
Gegenstand. Eine deutliche Darlegung der Dialektik, die in unserem
Begriffe selbst liegt, wuerde uns bald zur voelligen Gewissheit
bringen, von dem, was wir in Ansehung einer solchen Frage zu urteilen
haben.
Man kann euerem Vorwande der Ungewissheit in Ansehung dieser Probleme
zuerst diese Frage entgegensetzen, die ihr wenigstens deutlich
beantworten muesst: Woher kommen euch die Ideen, deren Aufloesung euch
hier in solche Schwierigkeit verwickelt? Sind es etwa Erscheinungen,
deren Erklaerung ihr beduerft, und wovon ihr, zufolge dieser Ideen,
nur die Prinzipien, oder die Regel ihrer Exposition zu suchen habt?
Nehmet an, die Natur sei ganz vor euch aufgedeckt; euren Sinnen, und
dem Bewusstsein alles dessen, was eurer Anschauung vorgelegt ist, sei
nichts verborgen: so werdet ihr doch durch keine einzige Erfahrung den
Gegenstand eurer Ideen in concreto erkennen koennen, (denn es wird,
ausser dieser vollstaendigen Anschauung, noch eine vollendete
Synthesis und das Bewusstsein ihrer absoluten Totalitaet erfordert,
welches durch gar kein empirisches Erkenntnis moeglich ist,) mithin
kann eure Frage keineswegs zur Erklaerung von irgendeiner vorkommenden
Erscheinung notwendig und also gleichsam durch den Gegenstand selbst
aufgegeben sein. Denn der Gegenstand kann euch niemals vorkommen, weil
er durch keine moegliche Erfahrung gegeben werden kann. Ihr bleibt
mit allen moeglichen Wahrnehmungen immer unter Bedingungen, es sei im
Raume, oder in der Zeit, befangen, und kommt an nichts Unbedingtes,
um auszumachen, ob dieses Unbedingte in einem absoluten Anfange der
Synthesis, oder einer absoluten Totalitaet der Reihe, ohne allen
Anfang, zu setzen sei. Das All aber in empirischer Bedeutung ist
jederzeit nur komparativ. Das absolute All der Groesse (das Weltall),
der Teilung, der Abstammung, der Bedingung des Daseins ueberhaupt, mit
allen Fragen, ob es durch endliche, oder ins Unendliche fortzusetzende
Synthesis zustande zu bringen sei, geht keine moegliche Erfahrung
etwas an. Ihr wuerdet z.B. die Erscheinungen eines Koerpers nicht
im mindesten besser, oder auch nur anders erklaeren koennen, ob ihr
annehmet, er bestehe aus einfachen, oder durchgehends immer aus
zusammengesetzten Teilen; denn es kann euch keine einfache Erscheinung
und ebensowenig auch eine unendliche Zusammensetzung jemals vorkommen.
Die Erscheinungen verlangen nur erklaert zu werden, so weit ihre
Erklaerungsbedingungen in der Wahrnehmung gegeben sind, alles aber,
was jemals an ihnen gegeben werden mag, in einem absoluten Ganzen
zusammengenommen, ist selbst eine Wahrnehmung. Dieses All aber ist es
eigentlich, dessen Erklaerung in den transzendentalen Vernunftaufgaben
gefordert wird.
Da also selbst die Aufloesung dieser Aufgaben niemals in der Erfahrung
vorkommen kann, so koennt ihr nicht sagen, dass es ungewiss sei, was
hierueber dem Gegenstande beizulegen sei. Denn euer Gegenstand ist
bloss in eurem Gehirne, und kann ausser demselben gar nicht gegeben
werden; daher ihr nur dafuer zu sorgen habt, mit euch selbst einig
zu werden, und die Amphibolie zu verhueten, die eure Idee zu einer
vermeintlichen Vorstellung eines empirisch Gegebenen, und also auch
nach Erfahrungsgesetzen zu erkennenden Objekts macht. Die dogmatische
Aufloesung ist also nicht etwa ungewiss, sondern unmoeglich. Die
kritische aber, welche voellig gewiss sein kann, betrachtet die Frage
gar nicht objektiv, sondern nach dem Fundamente der Erkenntnis, worauf
sie gegruendet ist.
Der Antinomie der reinen Vernunft
Fuenfter Abschnitt
Skeptische Vorstellung der kosmologischen Fragen durch alle vier
transzendentalen Ideen
Wir wuerden von der Forderung gern abstehen, unsere Fragen dogmatisch
beantwortet zu sehen, wenn wir schon zum voraus begriffen: die Antwort
moechte ausfallen, wie sie wollte, so wuerde sie unsere Unwissenheit
nur noch vermehren, und uns aus einer Unbegreiflichkeit in eine
andere, aus einer Dunkelheit in eine noch groessere und vielleicht
gar in Widersprueche stuerzen. Wenn unsere Frage bloss auf Bejahung
oder Verneinung gestellt ist, so ist es klueglich gehandelt, die
vermutlichen Gruende der Beantwortung vorderhand dahingestellt sein zu
lassen, und zuvoerderst in Erwaegung zu ziehen, was man denn gewinnen
wuerde, wenn die Antwort auf die eine, und was, wenn sie auf der
Gegenseite ausfiele. Trifft es sich nun, dass in beiden Faellen lauter
Sinnleeres (Nonsens) herauskommt, so haben wir eine gegruendete
Aufforderung, unsere Frage selbst kritisch zu untersuchen, und zu
sehen: ob sie nicht selbst auf einer grundlosen Voraussetzung beruhe,
und mit einer Idee spiele, die ihre Falschheit besser in der Anwendung
und durch ihre Folgen, als in der abgesonderten Vorstellung verraet.
Das ist der grosse Nutzen, den die skeptische Art hat, die Fragen zu
behandeln, welche reine Vernunft an reine Vernunft tut, und wodurch
man eines grossen dogmatischen Wustes mit wenig Aufwand ueberhoben
sein kann, um an dessen Statt eine nuechterne Kritik zu setzen, die,
als ein wahres Katarktikon den Wahn, zusamt seinem Gefolge, der
Vielwisserei, gluecklich abfuehren wird.
Wenn ich demnach von einer kosmologischen Idee zum voraus einsehen
koennte, dass, auf welche Seite des Unbedingten der regressiven
Synthesis der Erscheinungen sie sich auch schluege, so wuerde sie doch
fuer einen jeden Verstandesbegriff entweder zu gross oder zu klein
sein; so wuerde ich begreifen, dass, da jene doch es nur mit einem
Gegenstande der Erfahrung zu tun hat, welche einem moeglichen
Verstandesbegriffe angemessen sein soll, sie ganz leer und ohne
Bedeutung sein muesse, weil ihr der Gegenstand nicht anpasst, ich mag
ihn derselben bequemen, wie ich will. Und dieses ist wirklich der Fall
mit allen Weltbegriffen, welche auch eben um deswillen, die Vernunft,
so lange sie ihnen anhaengt, in eine unvermeidliche Antinomie
verwickeln. Denn nehmt
Erstlich an: die Welt habe keinen Anfang, so ist sie fuer euren
Begriff zu gross; denn dieser, welcher in einem sukzessiven Regressus
besteht, kann die ganze verflossene Ewigkeit niemals erreichen.
Setzet: sie habe einen Anfang, so ist sie wiederum fuer euren
Verstandesbegriff in dem notwendigen empirischen Regressus zu
klein. Denn, weil der Anfang noch immer eine Zeit, die vorhergeht,
voraussetzt, so ist er noch nicht unbedingt, und das Gesetz des
empirischen Gebrauchs des Verstandes legt es euch auf, noch nach einer
hoeheren Zeitbedingung zu fragen, und die Welt ist also offenbar fuer
dieses Gesetz zu klein.
Ebenso ist es mit der doppelten Beantwortung der Frage, wegen der
Weltgroesse, dem Raum nach, bewandt. Denn, ist sie unendlich und
unbegrenzt, so ist sie fuer allen moeglichen empirischen Begriff zu
gross. Ist sie endlich und begrenzt, so fragt ihr mit Recht noch:
was bestimmt diese Grenze? Der leere Raum ist nicht ein fuer sich
bestehendes Korrelatum der Dinge, und kann keine Bedingung sein,
bei der ihr stehenbleiben koennt, noch viel weniger eine empirische
Bedingung, die einen Teil einer moeglichen Erfahrung ausmachte. (Denn
wer kann eine Erfahrung vom Schlechthinleeren haben?) Zur absoluten
Totalitaet aber der empirischen Synthesis wird jederzeit erfordert,
dass das Unbedingte ein Erfahrungsbegriff sei. Also ist eine begrenzte
Welt fuer euren Begriff zu klein.
Zweitens, besteht jede Erscheinung im Raume (Materie) aus unendlich
viel Teilen, so ist der Regressus der Teilung fuer euren Begriff
jederzeit zu gross; und soll die Teilung des Raumes irgend bei einem
Gliede derselben (dem Einfachen) aufhoeren, so ist er fuer die Idee
des Unbedingten zu klein. Denn dieses Glied laesst noch immer einen
Regressus zu mehreren in ihm enthaltenen Teilen uebrig.
Drittens, nehmt ihr an: in allem, was in der Welt geschieht, sei
nichts, als Erfolg nach Gesetzen der Natur, so ist die Kausalitaet
der Ursache immer wiederum etwas, das geschieht, und euren Regressus
zu noch hoeherer Ursache, mithin die Verlaengerung der Reihe von
Bedingungen a parte priori ohne Aufhoeren notwendig macht. Die blosse
wirkende Natur ist also fuer allen euren Begriff, in der Synthesis der
Weltbegebenheiten, zu gross.
Waehlt ihr, hin und wieder, von selbst gewirkte Begebenheiten,
mithin Erzeugung aus Freiheit: so verfolgt euch das Warum nach einem
unvermeidlichen Naturgesetze, und noetigt euch, ueber diesen Punkt
nach dem Kausalgesetze der Erfahrung hinauszugehen, und ihr findet,
dass dergleichen Totalitaet der Verknuepfung fuer euren notwendigen
empirischen Begriff zu klein ist.
Viertens. Wenn ihr ein schlechthin notwendiges Wesen (es sei die Welt
selbst, oder etwas in der Welt, oder die Weltursache) annehmt; so
setzt ihr es in eine, von dem gegebenen Zeitpunkt unendlich entfernte
Zeit; weil es sonst von einem anderen und aelteren Dasein abhaengend
sein wuerde. Alsdann ist aber diese Existenz fuer euren empirischen
Begriff unzugaenglich und zu gross, als dass ihr jemals durch
irgendeinen fortgesetzten Regressus dazu gelangen koenntet.
Ist aber, eurer Meinung nach, alles was zur Welt (es sei als Bedingt
oder als Bedingung) gehoert, zufaellig: so ist jede euch gegebene
Existenz fuer euren Begriff zu klein. Denn sie noetigt euch, euch noch
immer nach einer anderen Existenz umzusehen, von der sie abhaengig
ist.
Wir haben in allen diesen Faellen gesagt, dass die Weltidee fuer den
empirischen Regressus, mithin jeden moeglichen Verstandesbegriff,
entweder zu gross, oder auch fuer denselben zu klein sei. Warum haben
wir uns nicht umgekehrt ausgedrueckt, und gesagt: dass im ersteren
Falle der empirische Begriff fuer die Idee jederzeit zu klein, im
zweiten aber zu gross sei, und mithin gleichsam die Schuld auf dem
empirischen Regressus hafte; anstatt, dass wir die kosmologische Idee
anklagten, dass sie im Zuviel oder Zuwenig von ihrem Zwecke, naemlich
der moeglichen Erfahrung, abwich? Der Grund war dieser. Moegliche
Erfahrung ist das, was unseren Begriffen allein Realitaet geben kann;
ohne das ist aller Begriff nur Idee, ohne Wahrheit und Beziehung auf
einen Gegenstand. Daher war der moegliche empirische Begriff das
Richtmass, wonach die Idee beurteilt werden musste, ob sie blosse Idee
und Gedankending sei, oder in der Welt ihren Gegenstand antreffe.
Denn man sagt nur von demjenigen, dass es verhaeltnisweise auf etwas
anderes zu gross oder zu klein sei, was nur um dieses letzteren willen
angenommen wird, und darnach eingerichtet sein muss. Zu dem Spielwerke
der alten dialektischen Schulen gehoerte auch diese Frage: wenn eine
Kugel nicht durch ein Loch geht, was soll man sagen: Ist die Kugel zu
gross, oder das Loch zu klein? In diesem Falle ist es gleichgueltig,
wie ihr euch ausdruecken wollt; denn ihr wisst nicht, welches von
beiden um des anderen willen da ist. Dagegen werdet ihr nicht sagen:
der Mann ist fuer sein Kleid zu lang, sondern das Kleid ist fuer den
Mann zu kurz.
Wir sind also wenigstens auf den gegruendeten Verdacht gebracht. dass
die kosmologischen Ideen, und mit ihnen alle untereinander in Streit
gesetzten vernuenftelnden Behauptungen, vielleicht einen leeren und
bloss eingebildeten Begriff, von der Art, wie uns der Gegenstand
dieser Ideen gegeben wird, zum Grunde liegen haben, und dieser
Verdacht kann uns schon auf die rechte Spur fuehren, das Blendwerk zu
entdecken, was uns so lange irregefuehrt hat.
Der Antinomie der reinen Vernunft
Sechster Abschnitt
Der transzendentale Idealism als der Schluessel zu Aufloesung der
kosmologischen Dialektik
Wir haben in der transzendentalen Aesthetik hinreichend bewiesen:
dass alles, was im Raume oder der Zeit angeschaut wird, mithin alle
Gegenstaende einer uns moeglichen Erfahrung, nichts als Erscheinungen,
d.i. blosse Vorstellungen sind, die, so wie sie vorgestellt werden,
als ausgedehnte Wesen, oder Reihen von Veraenderungen, ausser
unseren Gedanken keine an sich gegruendete Existenz haben. Diesen
Lehrbegriff nenne ich den transzendentalen Idealism. Der Realist in
transzendentaler Bedeutung macht aus diesen Modifikationen unserer
Sinnlichkeit an sich subsistierende Dinge, und daher blosse
Vorstellungen zu Sachen an sich selbst.
Man wuerde uns Unrecht tun, wenn man uns den schon laengst so
verschrienen empirischen Idealismus zumuten wollte, der, indem er die
eigene Wirklichkeit des Raumes annimmt, das Dasein der ausgedehnten
Wesen in denselben leugnet, wenigstens zweifelhaft findet, und
zwischen Traum und Wahrheit in diesem Stuecke keinen genugsam
erweislichen Unterschied einraeumt. Was die Erscheinungen des inneren
Sinnes in der Zeit betrifft, an denen, als wirklichen Dingen, findet
er keine Schwierigkeit; ja er behauptet sogar, dass diese innere
Erfahrung das wirkliche Dasein ihres Objekts (an sich selbst), (mit
aller dieser Zeitbestimmung,) einzig und allein hinreichend beweise.
Unser transzendentaler Idealism erlaubt es dagegen: dass die
Gegenstaende aeusserer Anschauung, ebenso wie sie im Raume angeschaut
werden, auch wirklich sind, und in der Zeit alle Veraenderungen, so
wie sie der innere Sinn vorstellt. Denn, da der Raum schon eine Form
derjenigen Anschauung ist, die wir die aeussere nennen, und, ohne
Gegenstaende in demselben, es gar keine empirische Vorstellung geben
wuerde: so koennen und muessen wir darin ausgedehnte Wesen als
wirklich annehmen, und ebenso ist es auch mit der Zeit. Jener Raum
selber aber, samt dieser Zeit, und, zugleich mit beiden, alle
Erscheinungen, sind doch an sich selbst keine Dinge, sondern nichts
als Vorstellungen, und koennen gar nicht ausser unserem Gemuet
existieren, und selbst ist die innere und sinnliche Anschauung unseres
Gemuets, (als Gegenstandes des Bewusstseins,) dessen Bestimmung durch
die Sukzession verschiedener Zustaende in der Zeit vorgestellt wird,
auch nicht das eigentliche Selbst, so wie es an sich existiert, oder
das transzendentale Subjekt, sondern nur eine Erscheinung, die der
Sinnlichkeit dieses uns unbekannten Wesens gegeben worden. Das Dasein
dieser inneren Erscheinung, als eines so an sich existierenden Dinges,
kann nicht eingeraeumt werden, weil ihre Bedingung die Zeit ist,
welche keine Bestimmung irgendeines Dinges an sich selbst sein kann.
In dem Raume aber und der Zeit ist die empirische Wahrheit der
Erscheinungen genugsam gesichert, und von der Verwandtschaft mit dem
Traume hinreichend unterschieden, wenn beide nach empirischen Gesetzen
in einer Erfahrung richtig und durchgaengig zusammenhaengen.
Es sind demnach die Gegenstaende der Erfahrung niemals an sich selbst,
sondern nur in der Erfahrung gegeben, und existieren ausser derselben
gar nicht. Dass es Einwohner im Monde geben koenne, ob sie gleich kein
Mensch jemals wahrgenommen hat, muss allerdings eingeraeumt werden,
aber es bedeutet nur so viel: dass wir in dem moeglichen Fortschritt
der Erfahrung auf sie treffen koennten; denn alles ist wirklich, was
mit einer Wahrnehmung nach Gesetzen des empirischen Fortgangs in einem
Kontext steht. Sie sind also alsdann wirklich, wenn sie mit meinem
wirklichen Bewusstsein in einem empirischen Zusammenhange stehen, ob
sie gleich darum nicht an sich, d.i. ausser diesem Fortschritt der
Erfahrung, wirklich sind.
Uns ist wirklich nichts gegeben, als die Wahrnehmung und der
empirische Fortschritt von dieser zu anderen moeglichen Wahrnehmungen.
Denn an sich selbst sind die Erscheinungen, als blosse Vorstellungen,
nur in der Wahrnehmung wirklich, die in der Tat nichts anderes ist,
als die Wirklichkeit einer empirischen Vorstellung, d.i. Erscheinung.
Vor der Wahrnehmung eine Erscheinung ein wirkliches Ding nennen,
bedeutet entweder, dass wir im Fortgange der Erfahrung auf eine solche
Wahrnehmung treffen muessen, oder es hat gar keine Bedeutung. Denn,
dass sie an sich selbst, ohne Beziehung auf unsere Sinne und moegliche
Erfahrung existiere, koennte allerdings gesagt werden, wenn von einem
Dinge an sich selbst die Rede waere. Es ist aber bloss von einer
Erscheinung im Raume und der Zeit, die beides keine Bestimmungen der
Dinge an sich selbst, sondern nur unserer Sinnlichkeit sind, die Rede;
daher das, was in ihnen ist, (Erscheinungen) nicht an sich Etwas,
sondern blosse Vorstellungen sind, die, wenn sie nicht in uns (in der
Wahrnehmung) gegeben sind, ueberall nirgend angetroffen werden.
Das sinnliche Anschauungsvermoegen ist eigentlich nur eine
Rezeptivitaet, auf gewisse Weise mit Vorstellungen affiziert zu
werden, deren Verhaeltnis zueinander eine reine Anschauung des Raumes
und der Zeit ist, (lauter Formen unserer Sinnlichkeit,) und welche,
sofern sie in diesem Verhaeltnisse (dem Raume und der Zeit) nach
Gesetzen der Einheit der Erfahrung verknuepft und bestimmbar sind,
Gegenstaende heissen. Die nichtsinnliche Ursache dieser Vorstellungen
ist uns gaenzlich unbekannt, und diese koennen wir daher nicht als
Objekt anschauen; denn dergleichen Gegenstand wuerde weder im Raume,
noch der Zeit (als blossen Bedingungen der sinnlichen Vorstellung)
vorgestellt werden muessen, ohne welche Bedingungen wir uns gar keine
Anschauung denken koennen. Indessen koennen wir die bloss intelligible
Ursache der Erscheinungen ueberhaupt, das transzendentale Objekt
nennen, bloss, damit wir etwas haben, was der Sinnlichkeit als einer
Rezeptivitaet korrespondiert. Diesem transzendentalen Objekt koennen
wir allen Umfang und Zusammenhang unserer moeglichen Wahrnehmungen
zuschreiben, und sagen: dass es vor aller Erfahrung an sich selbst
gegeben sei. Die Erscheinungen aber sind, ihm gemaess, nicht an sich,
sondern nur in dieser Erfahrung gegeben, weil sie blosse Vorstellungen
sind, die nur als Wahrnehmungen einen wirklichen Gegenstand bedeuten,
wenn naemlich diese Wahrnehmung mit allen anderen nach den Regeln der
Erfahrungseinheit zusammenhaengt. So kann man sagen: die wirklichen
Dinge der vergangenen Zeit sind in dem transzendentalen Gegenstande
der Erfahrung gegeben; sie sind aber fuer mich nur Gegenstaende und in
der vergangenen Zeit wirklich, sofern als ich mir vorstelle, dass eine
regressive Reihe moeglicher Wahrnehmungen, (es sei am Leitfaden der
Geschichte, oder an den Fusstapfen der Ursachen und Wirkungen,)
nach empirischen Gesetzen, mit einem Worte, der Weltlauf auf eine
verflossene Zeitreihe als Bedingung der gegenwaertigen Zeit fuehrt,
welche alsdann doch nur in dem Zusammenhange einer moeglichen
Erfahrung und nicht an sich selbst als wirklich vorgestellt wird, so,
dass alle von undenklicher Zeit her vor meinem Dasein verflossenen
Begebenheiten doch nichts anderes bedeuten, als die Moeglichkeit
der Verlaengerung der Kette der Erfahrung, von der gegenwaertigen
Wahrnehmung an, aufwaerts zu den Bedingungen, welche diese der Zeit
nach bestimmen.
Wenn ich mir demnach alle existierenden Gegenstaende der Sinne in
aller Zeit und allen Raeumen insgesamt vorstelle: so setze ich solche
nicht vor der Erfahrung in beide hinein, sondern diese Vorstellung ist
nichts anderes, als der Gedanke von einer moeglichen Erfahrung, in
ihrer absoluten Vollstaendigkeit. In ihr allein sind jene Gegenstaende
(welche nichts als blosse Vorstellungen sind) gegeben. Dass man aber
sagt, sie existieren vor aller meiner Erfahrung, bedeutet nur, dass
sie in dem Teile der Erfahrung, zu welchem ich, von der Wahrnehmung
anhebend, allererst fortschreiten muss, anzutreffen sind. Die Ursache
der empirischen Bedingungen dieses Fortschritts, mithin auf welche
Glieder, oder auch, wie weit ich auf dergleichen im Regressus treffen
koenne, ist transzendental und mir daher notwendig unbekannt. Aber
um diese ist es auch nicht zu tun, sondern nur um die Regel des
Fortschritts der Erfahrung, in der mir die Gegenstaende, naemlich
Erscheinungen, gegeben werden. Es ist auch im Ausgange ganz einerlei,
ob ich sage, ich koenne im empirischen Fortgange im Raume auf Sterne
treffen, die hundertmal weiter entfernt sind, als die aeussersten,
die ich sehe: oder ob ich sage, es sind vielleicht deren im Weltraume
anzutreffen, wenn sie gleich niemals ein Mensch wahrgenommen hat, oder
wahrnehmen wird; denn, wenn sie gleich als Dinge an sich selbst, ohne
Beziehung auf moegliche Erfahrung, ueberhaupt gegeben waeren, so sind
sie doch fuer mich nichts, mithin keine Gegenstaende, als sofern
sie in der Reihe des empirischen Regressus enthalten sind. Nur
in anderweitiger Beziehung, wenn eben diese Erscheinungen zur
kosmologischen Idee von einem absoluten Ganzen gebraucht werden
sollen, und, wenn es also um eine Frage zu tun ist, die ueber die
Grenzen moeglicher Erfahrung hinausgeht, ist die Unterscheidung
derart, wie man die Wirklichkeit gedachter Gegenstaende der Sinne
nimmt, von Erheblichkeit, um einem trueglichen Wahne vorzubeugen,
welcher aus der Missdeutung unserer eigenen Erfahrungsbegriffe
unvermeidlich entspringen muss.
Der Antinomie der reinen Vernunft
Siebenter Abschnitt
Kritische Entscheidung des kosmologischen Streits der Vernunft mit
sich selbst
Die ganze Antinomie der reinen Vernunft beruht auf dem dialektischen
Argumente: Wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die ganze Reihe
aller Bedingungen desselben gegeben: nun sind uns Gegenstaende der
Sinne als bedingt gegeben, folglich usw. Durch diesen Vernunftschluss,
dessen Obersatz so natuerlich und einleuchtend scheint, werden
nun, nach Verschiedenheit der Bedingungen (in der Synthesis der
Erscheinungen), sofern sie eine Reihe ausmachen, ebensoviel
kosmologische Ideen eingefuehrt, welche die absolute Totalitaet dieser
Reihen postulieren und eben dadurch die Vernunft unvermeidlich in
Widerstreit mit sich selbst versetzen. Ehe wir aber das Truegliche
dieses vernuenftelnden Arguments aufdecken, muessen wir uns durch
Berichtigung und Bestimmung gewisser darin vorkommender Begriffe dazu
instand setzen.
Zuerst ist folgender Satz klar und ungezweifelt gewiss: dass, wenn
das Bedingte gegeben ist, uns eben dadurch ein Regressus in der Reihe
aller Bedingungen zu demselben aufgegeben sei; denn dieses bringt
schon der Begriff des Bedingten so mit sich, dass dadurch etwas
auf eine Bedingung, und, wenn diese wiederum bedingt ist, auf eine
entferntere Bedingung, und so durch alle Glieder der Reihe bezogen
wird. Dieser Satz ist also analytisch und erhebt sich ueber alle
Furcht vor eine transzendentale Kritik. Er ist ein logisches Postulat
der Vernunft: diejenige Verknuepfung eines Begriffs mit seinen
Bedingungen durch den Verstand zu verfolgen und soweit als moeglich
fortzusetzen, die schon dem Begriffe selbst anhaengt.
Ferner: wenn das Bedingte sowohl, als seine Bedingung, Dinge an sich
selbst sind, so ist, wenn das Erstere gegeben worden, nicht bloss
der Regressus zu dem Zweiten aufgegeben, sondern dieses ist dadurch
wirklich schon mit gegeben, und, weil dieses von allen Gliedern der
Reihe gilt, so ist die vollstaendige Reihe der Bedingungen, mithin
auch das Unbedingte dadurch zugleich gegeben, oder vielmehr
vorausgesetzt, dass das Bedingte, welches nur durch jene Reihe
moeglich war, gegeben ist. Hier ist die Synthesis des Bedingten mit
seiner Bedingung eine Synthesis des blossen Verstandes, welcher die
Dinge vorstellt, wie sie sind, ohne darauf zu achten, ob, und wie
wir zur Kenntnis derselben gelangen koennen. Dagegen wenn ich es mit
Erscheinungen zu tun habe, die, als blosse Vorstellungen, gar nicht
gegeben sind, wenn ich nicht zu ihrer Kenntnis (d.i. zu ihnen selbst,
denn sie sind nichts, als empirische Kenntnisse,) gelangen so kann ich
nicht in eben der Bedeutung sagen: wenn das Bedingte gegeben ist, so
sind auch alle Bedingungen (als Erscheinungen) zu demselben gegeben,
und kann mithin auf die absolute Totalitaet der Reihe derselben
keineswegs schliessen. Denn die Erscheinungen sind, in der
Apprehension, selber nichts anderes, als eine empirische Synthesis (im
Raume und der Zeit) und sind also nur in dieser gegeben. Nun folgt es
gar nicht, dass, wenn das Bedingte (in der Erscheinung) gegeben ist,
auch die Synthesis, die seine empirische Bedingung ausmacht, dadurch
mitgegeben und vorausgesetzt sei, sondern diese findet allererst im
Regressus, und niemals ohne denselben, statt. Aber das kann man wohl
in einem solchen Falle sagen, dass ein Regressus zu den Bedingungen,
d.i. eine fortgesetzte empirische Synthesis auf dieser Seite geboten
oder aufgegeben sei, und dass es nicht an Bedingungen fehlen koenne,
die durch diesen Regressus gegeben werden.
Hieraus erhellt, dass der Obersatz des kosmologischen
Vernunftschlusses das Bedingte in transzendentaler Bedeutung einer
reinen Kategorie, der Untersatz aber in empirischer Bedeutung eines
auf blosse Erscheinungen angewandten Verstandesbegriffs nehmen,
folglich derjenige dialektische Betrug darin angetroffen werde, den
man Sophisma figurae dictionis nennt. Dieser Betrug ist aber nicht
erkuenstelt, sondern eine ganz natuerliche Taeuschung der gemeinen
Vernunft. Denn durch dieselbe setzen wir (im Obersatze) die
Bedingungen und ihre Reihe, gleichsam unbesehen, voraus, wenn
etwas als bedingt gegeben ist, weil dieses nichts anderes, als die
logische Forderung ist, vollstaendige Praemissen zu einem gegebenen
Schlusssatze anzunehmen, und da ist in der Verknuepfung des Bedingten
mit seiner Bedingung keine Zeitordnung anzutreffen; sie werden an
sich, als zugleich gegeben, vorausgesetzt. Ferner ist es ebenso
natuerlich (im Untersatze) Erscheinungen als Dinge an sich und
ebensowohl dem blossen Verstande gegebene Gegenstaende anzusehen, wie
es im Obersatze geschah, da ich von allen Bedingungen der Anschauung,
unter denen allein Gegenstaende gegeben werden koennen, abstrahierte.
Nun hatten wir aber hierbei einen merkwuerdigen Unterschied zwischen
den Begriffen uebersehen. Die Synthesis des Bedingten mit seiner
Bedingung und die ganze Reihe der letzteren (im Obersatze) fuehrte
gar nichts von Einschraenkung durch die Zeit und keinen Begriff der
Sukzession bei sich. Dagegen ist die empirische Synthesis und die
Reihe der Bedingungen in der Erscheinung (die im Untersatze subsumiert
wird,) notwendig sukzessiv und nur in der Zeit nacheinander gegeben;
folglich konnte ich die absolute Totalitaet der Synthesis und
der dadurch vorgestellten Reihe hier nicht ebensowohl, als dort
voraussetzen, weil dort alle Glieder der Reihe an sich (ohne
Zeitbedingung) gegeben sind, hier aber nur durch den sukzessiven
Regressus moeglich sind, der nur dadurch gegeben ist, dass man ihn
wirklich vollfuehrt.
Nach der Ueberweisung eines solchen Fehltritts, des gemeinschaftlich
zum Grunde (der kosmologischen Behauptungen) gelegten Arguments,
koennen beide streitenden Teile mit Recht, als solche, die ihre
Forderung auf keinen gruendlichen Titel gruenden, abgewiesen werden.
Dadurch aber ist ihr Zwist noch nicht insofern geendigt, dass sie
ueberfuehrt worden waeren, sie, oder einer von beiden, haette in der
Sache selbst, die er behauptet, (im Schlusssatze) Unrecht, wenn er sie
gleich nicht auf tuechtige Beweisgruende zu bauen wusste. Es scheint
doch nichts klarer, als dass von zweien, deren der eine behauptet: die
Welt hat einen Anfang, der andere: die Welt hat keinen Anfang, sondern
sie ist von Ewigkeit her, doch einer Recht haben muesse. Ist aber
dieses, so ist es, weil die Klarheit auf beiden Seiten gleich ist,
doch unmoeglich, jemals auszumitteln, auf welcher Seite das Recht sei,
und der Streit dauert nach wie vor, wenn die Parteien gleich bei dem
Gerichtshofe der Vernunft zur Ruhe verwiesen worden. Es bleibt also
kein Mittel uebrig, den Streit gruendlich und zur Zufriedenheit beider
Teile zu endigen, als dass, da sie einander doch so schoen widerlegen
koennen, endlich ueberfuehrt werden, dass sie um nichts streiten,
und ein gewisser transzendentaler Schein ihnen da eine Wirklichkeit
vorgemalt habe, wo keine anzutreffen ist.
Diesen Weg der Beilegung eines nicht abzuurteilenden Streits wollen
wir jetzt einschlagen.
                          *           *
                                *
Der eleatische Zeno, ein subtiler Dialektiker, ist schon vom Plato als
ein mutwilliger Sophist darueber sehr getadelt worden, dass er, um
seine Kunst zu zeigen, einerlei Satz durch scheinbare Argumente
zu beweisen und bald darauf durch andere ebenso starke wieder
umzustuerzen suchte. Er behauptete, Gott (vermutlich war es bei ihm
nichts als die Welt) sei weder endlich, noch unendlich, er sei weder
in Bewegung, noch in Ruhe, sei keinem anderen Dinge weder aehnlich,
noch unaehnlich. Es schien denen, die ihn hierueber beurteilten, er
habe zwei einander widersprechende Saetze gaenzlich ableugnen wollen,
welches ungereimt ist. Allein ich finde nicht, dass ihm dieses mit
Recht zur Last gelegt werden koenne. Den ersteren dieser Saetze werde
ich bald naeher beleuchten. Was die uebrigen betrifft, wenn er unter
dem Worte: Gott, das Universum verstand, so musste er allerdings
sagen: dass dieses weder in seinem Orte beharrlich gegenwaertig (in
Ruhe) sei, noch denselben veraendere (sich bewege), weil alle Oerter
nur im Univers, dieses selbst also in keinem Orte ist. Wenn das
Weltall alles, was existiert, in sich fasst, so ist es auch sofern
keinem anderen Dinge, weder aehnlich noch unaehnlich, weil es ausser
ihm kein anderes Ding gibt, mit dem es koennte verglichen werden. Wenn
zwei einander entgegengesetzte Urteile eine unstatthafte Bedingung
voraussetzen, so fallen sie, unerachtet ihres Widerstreits (der
gleichwohl kein eigentlicher Widerspruch ist), alle beide weg, weil
die Bedingung wegfaellt, unter der allein jeder dieser Saetze gelten
sollte.
Wenn jemand sagte, ein jeder Koerper riecht entweder gut, oder er
riecht nicht gut, so findet ein Drittes statt, naemlich, dass er gar
nicht rieche, (ausdufte) und so koennen beide widerstreitenden Saetze
falsch sein. Sage ich, er ist entweder wohlriechend, oder er ist
nicht wohlriechend: (vel suaveolens vel non suaveolens) so sind beide
Urteile einander kontradiktorisch entgegengesetzt und nur der erste
ist falsch, sein kontradiktorisches Gegenteil aber, naemlich einige
Koerper sind nicht wohlriechend, befasst auch die Koerper in sich, die
gar nicht riechen. In der vorigen Entgegenstellung (per disparata)
blieb die zufaellige Bedingung des Begriffs der Koerper (der Geruch)
noch bei dem widerstreitenden Urteile, und wurde durch dieses
also nicht mit aufgehoben, daher war das letztere nicht das
kontradiktorische Gegenteil des ersteren.
Sage ich demnach: die Welt ist dem Raume nach entweder unendlich, oder
sie ist nicht unendlich (non est infinitus), so muss, wenn der erstere
Satz falsch ist, sein kontradiktorisches Gegenteil: die Welt ist nicht
unendlich, wahr sein. Dadurch wuerde ich nur eine unendliche Welt
aufheben, ohne eine andere, naemlich die endliche, zu setzen.
Hiesse es aber: die Welt ist entweder unendlich, oder endlich
(nichtunendlich,) so koennten beide falsch sein. Denn ich sehe alsdann
die Welt, als an sich selbst, ihrer Groesse nach bestimmt an, indem
ich in dem Gegensatz nicht bloss die Unendlichkeit aufhebe, und,
mit ihr, vielleicht ihre ganze abgesonderte Existenz, sondern eine
Bestimmung zur Welt, als einem an sich selbst wirklichen Dinge,
hinzusetzen welches ebensowohl falsch sein kann, wenn naemlich die
Welt gar nicht als ein Ding an sich, mithin auch nicht ihrer Groesse
nach, weder als unendlich, noch als endlich gegeben sein sollte. Man
erlaube mir, dass ich dergleichen Entgegensetzung die dialektische,
die des Widerspruchs aber die analytische Opposition nennen darf.
Also koennen von zwei dialektisch einander entgegengesetzten Urteilen
alle beide falsch sein, darum, weil eines dem anderen nicht bloss
widerspricht, sondern etwas mehr sagt, als zum Widerspruche
erforderlich ist.
Wenn man die zwei Saetze: die Welt ist der Groesse nach unendlich, die
Welt ist ihrer Groesse nach endlich, als einander kontradiktorisch
entgegengesetzte ansieht, so nimmt man an, dass die Welt (die ganze
Reihe der Erscheinungen) ein Ding an sich selbst sei. Denn sie bleibt,
ich mag den unendlichen oder endlichen Regressus in der Reihe ihrer
Erscheinungen aufheben. Nehme ich aber diese Voraussetzung, oder
diesen transzendentalen Schein weg, und leugne, dass sie ein Ding an
sich selbst sei, so verwandelt sich der kontradiktorische Widerstreit
beider Behauptungen in einen bloss dialektischen, und die Welt, weil
sie gar nicht an sich (unabhaengig von der regressiven Reihe meiner
Vorstellungen) existiert, so existiert sie weder als ein an sich
unendliches, noch als ein an sich endliches Ganze. Sie ist nur im
empirischen Regressus der Reihe der Erscheinungen und fuer sich selbst
gar nicht anzutreffen. Daher, wenn diese jederzeit bedingt ist, so
ist sie niemals ganz gegeben, und die Welt ist also kein unbedingtes
Ganze, existiert also auch nicht als ein solches, weder mit
unendlicher, noch endlicher Groesse.
Was hier von der ersten kosmologischen Idee, naemlich der absoluten
Totalitaet der Groesse in der Erscheinung gesagt worden, gilt auch von
allen uebrigen. Die Reihe der Bedingungen ist nur in der regressiven
Synthesis selbst, nicht aber an sich in der Erscheinung, als einem
eigenen, vor allem Regressus gegebenen Dinge, anzutreffen. Daher
werde ich auch sagen muessen: die Menge der Teile in einer gegebenen
Erscheinung ist an sich weder endlich, noch unendlich, weil
Erscheinung nichts an sich selbst Existierendes ist, und die Teile
allererst durch den Regressus der dekomponierenden Synthesis, und in
demselben, gegeben werden, welcher Regressus niemals schlechthin ganz,
weder als endlich, noch als unendlich gegeben ist. Eben das gilt von
der Reihe der uebereinander geordneten Ursachen, oder der bedingten
bis zur unbedingt notwendigen Existenz, welche niemals weder an sich
ihrer Totalitaet nach als endlich, noch als unendlich angesehen
werden kann, weil sie als Reihe subordinierter Vorstellungen nur im
dynamischen Regressus besteht, vor demselben aber, und als fuer sich
bestehende Reihe von Dingen, an sich selbst gar nicht existieren kann.
So wird demnach die Antinomie der reinen Vernunft bei ihren
kosmologischen Ideen gehoben, dadurch, dass gezeigt wird, sie sei
bloss dialektisch und ein Widerstreit eines Scheins, der daher
entspringt, dass man die Idee der absoluten Totalitaet, welche nur
als eine Bedingung der Dinge an sich selbst gilt, auf Erscheinungen
angewandt hat, die nur in der Vorstellung, und, wenn sie eine Reihe
ausmachen, im sukzessiven Regressus, sonst aber gar nicht existieren.
Man kann aber auch umgekehrt aus dieser Antinomie einen wahren, zwar
nicht dogmatischen, aber doch so kritischen und doktrinalen Nutzen
ziehen: naemlich die transzendentale Idealitaet der Erscheinungen
dadurch indirekt zu beweisen, wenn jemand etwa an dem direkten Beweise
in der transzendentalen Aesthetik nicht genug haette. Der Beweis
wuerde in diesem Dilemma bestehen. Wenn die Welt ein an sich
existierendes Ganzes ist: so ist sie entweder endlich, oder unendlich.
Nun ist das erstere sowohl als das zweite falsch (laut den oben
angefuehrten Beweisen der Antithesis, einer-, und der Thesis
andererseits). Also ist es auch falsch, dass die Welt (der Inbegriff
aller Erscheinungen) ein an sich existierendes Ganzes sei. Woraus denn
folgt, dass Erscheinungen ueberhaupt ausser unseren Vorstellungen
nichts sind, welches wir eben durch die transzendentale Idealitaet
derselben sagen wollten.
Diese Anmerkung ist von Wichtigkeit. Man sieht daraus, dass die obigen
Beweise der vierfachen Antinomie nicht Blendwerke, sondern gruendlich
waren, unter der Voraussetzung naemlich, dass Erscheinungen oder eine
Sinnenwelt, die sie insgesamt in sich begreift, Dinge an sich selbst
waeren. Der Widerstreit der daraus gezogenen Saetze entdeckt aber,
dass in der Voraussetzung eine Falschheit liege, und bringt uns
dadurch zu einer Entdeckung der wahren Beschaffenheit der Dinge,
als Gegenstaende der Sinne. Die transzendentale Dialektik tut also
keineswegs dem Skeptizism einigen Vorschub, wohl aber der skeptischen
Methode, welche an ihr ein Beispiel ihres grossen Nutzens aufweisen
kann, wenn man die Argumente der Vernunft in ihrer groessten Freiheit
gegeneinander auftreten laesst, die, ob sie gleich zuletzt nicht
dasjenige, was man suchte, dennoch jederzeit etwas Nuetzliches und zur
Berichtigung unserer Urteile Dienliches, liefern werden.
Der Antinomie der reinen Vernunft
Achter Abschnitt
Regulatives Prinzip der reinen Vernunft in Ansehung der kosmologischen
Ideen
Da durch den kosmologischen Grundsatz der Totalitaet kein Maximum der
Reihe von Bedingungen in einer Sinnenwelt, als einem Dinge an sich
selbst, gegeben wird, sondern bloss im Regressus derselben aufgegeben
werden kann, so behaelt der gedachte Grundsatz der reinen Vernunft,
in seiner dergestalt berichtigten Bedeutung, annoch seine gute
Gueltigkeit, zwar nicht als Axiom, die Totalitaet im Objekt als
wirklich zu denken, sondern als ein Problem fuer den Verstand, also
fuer das Subjekt, um, der Vollstaendigkeit in der Idee gemaess, den
Regressus in der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten
anzustellen und fortzusetzen. Denn in der Sinnlichkeit, d.i. im
Raume und der Zeit, ist jede Bedingung, zu der wir in der Exposition
gegebener Erscheinungen gelangen koennen, wiederum bedingt; weil
diese keine Gegenstaende an sich selbst sind, an denen allenfalls das
Schlechthinunbedingte stattfinden koennte, sondern bloss empirische
Vorstellungen, die jederzeit in der Anschauung ihre Bedingung finden
muessen, welche sie dem Raume oder der Zeit nach bestimmt. Der
Grundsatz der Vernunft also ist eigentlich nur eine Regel, welche in
der Reihe der Bedingungen gegebener Erscheinungen einen Regressus
gebietet, dem es niemals erlaubt ist, bei einem Schlechthinunbedingten
stehen zu bleiben. Er ist also kein Prinzipium der Moeglichkeit der
Erfahrung und der empirischen Erkenntnis der Gegenstaende der Sinne,
mithin kein Grundsatz des Verstandes; denn jede Erfahrung ist in ihren
Grenzen (der gegebenen Anschauung gemaess) eingeschlossen, auch kein
konstitutives Prinzip der Vernunft, den Begriff der Sinnenwelt ueber
alle moegliche Erfahrung zu erweitern, sondern ein Grundsatz der
groesstmoeglichen Fortsetzung und Erweiterung der Erfahrung, nach
welchem keine empirische Grenze fuer absolute Grenze gelten muss, also
ein Prinzipium der Vernunft, welches, als Regel, postuliert, was von
uns im Regressus geschehen soll, und nicht antizipiert, was im Objekte
vor allem Regressus an sich gegeben ist. Daher nenne ich es ein
regulatives Prinzip der Vernunft, da hingegen der Grundsatz der
absoluten Totalitaet der Reihe der Bedingungen, als im Objekte
(den Erscheinungen) an sich selbst gegeben, ein konstitutives
kosmologisches Prinzip sein wuerde, dessen Nichtigkeit ich eben durch
diese Unterscheidung habe anzeigen und dadurch verhindern wollen, dass
man nicht, wie sonst unvermeidlich geschieht, (durch transzendentale
Subreption,) einer Idee, welche bloss zur Regel dient, objektive
Realitaet beimesse.
Um nun den Sinn dieser Regel der reinen Vernunft gehoerig zu
bestimmen, so ist zuvoerderst zu bemerken, dass sie nicht sagen
koenne, was das Objekt sei, sondern wie der empirische Regressus
anzustellen sei, um zu dem vollstaendigen Begriffe des Objekts
zu gelangen. Denn, faende das erstere statt, so wuerde sie ein
konstitutives Prinzipium sein, dergleichen aus reiner Vernunft niemals
moeglich ist. Man kann also damit keineswegs die Absicht haben, zu
sagen, die Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten sei an
sich endlich, oder unendlich; denn dadurch wuerde eine blosse Idee
der absoluten Totalitaet, die lediglich in ihr selbst geschaffen ist,
einen Gegenstand denken, der in keiner Erfahrung gegeben werden kann,
indem einer Reihe von Erscheinungen eine von der empirischen Synthesis
unabhaengige objektive Realitaet erteilt wuerde. Die Vernunftidee wird
also nur der regressiven Synthesis in der Reihe der Bedingungen eine
Regel vorschreiben, nach welcher sie vom Bedingten, vermittelst aller
einander untergeordneten Bedingungen, zum Unbedingten fortgeht,
obgleich dieses niemals erreicht wird. Denn das Schlechthinunbedingte
wird in der Erfahrung gar nicht angetroffen.
Zu diesem Ende ist nun erstlich die Synthesis einer Reihe, sofern
sie niemals vollstaendig ist, genau zu bestimmen. Man bedient
sich in dieser Absicht gewoehnlich zweier Ausdruecke, die darin
etwas unterscheiden sollen, ohne dass man doch den Grund dieser
Unterscheidung recht anzugeben weiss. Die Mathematiker sprechen
lediglich von einem progressus in infinitum. Die Forscher der Begriffe
(Philosophen) wollen an dessen Statt nur den Ausdruck von einem
progressus in indefinitum gelten lassen. Ohne mich bei der Pruefung
der Bedenklichkeit, die diesen eine solche Unterscheidung angeraten
hat, und dem guten oder fruchtlosen Gebrauch derselben aufzuhalten,
will ich diese Begriffe in Beziehung auf meine Absicht genau zu
bestimmen suchen.
Von einer geraden Linie kann man mit Recht sagen, sie koenne ins
Unendliche verlaengert werden, und hier wuerde die Unterscheidung
des Unendlichen und des unbestimmbar weiten Fortgangs (progressus in
indefinitum) eine leere Subtilitaet sein. Denn, obgleich, wenn es
heisst: ziehet eine Linie fort, es freilich richtiger lautet, wenn man
hinzusetzt, in indefinitum, als wenn es heisst, in infinitum; weil das
erstere nicht mehr bedeutet, als: verlaengert sie, so weit ihr wollt,
das zweite aber: ihr sollt niemals aufhoeren sie zu verlaengern,
(welches hierbei eben nicht die Absicht ist,) so ist doch, wenn nur
vom koennen die Rede ist, der erstere Ausdruck ganz richtig; denn
ihr koennt sie ins Unendliche immer groesser machen. Und so verhaelt
es sich auch in allen Faellen, wo man nur vom Progressus, d.i. dem
Fortgange von der Bedingung zum Bedingten, spricht; dieser moegliche
Fortgang geht in der Reihe der Erscheinungen ins Unendliche. Von einem
Elternpaar koennt ihr in absteigender Linie der Zeugung ohne Ende
fortgehen und euch auch ganz wohl denken, dass sie wirklich in der
Welt so fortgehe. Denn hier bedarf die Vernunft niemals absolute
Totalitaet der Reihe, weil sie solche nicht als Bedingung und wie
gegeben (datum) vorausgesetzt, sondern nur als was Bedingtes, das nur
angeblich (dabile) ist, und ohne Ende hinzugesetzt wird.
Ganz anders ist es mit der Aufgabe bewandt: wie weit sich der
Regressus, der von dem gegebenen Bedingten zu den Bedingungen in einer
Reihe aufsteigt, erstrecke, ob ich sagen koenne: es sei ein Rueckgang
ins Unendliche, oder nur ein unbestimmbar weit (in indefinitum)
sich erstreckender Rueckgang, und ob ich also von den jetztlebenden
Menschen, in der Reihe ihrer Voreltern, ins Unendliche aufwaerts
steigen koenne, oder ob nur gesagt werden koenne: dass, so weit ich
auch zurueckgegangen bin, niemals ein empirischer Grund angetroffen
werde, die Reihe irgendwo fuer begrenzt zu halten, so dass ich
berechtigt und zugleich verbunden bin, zu jedem der Urvaeter
noch fernerhin seinen Vorfahren aufzusuchen, obgleich eben nicht
vorauszusetzen.
Ich sage demnach: wenn das Ganze in der empirischen Anschauung gegeben
worden, so geht der Regressus in der Reihe seiner inneren Bedingungen
ins Unendliche. Ist aber nur ein Glied der Reihe gegeben, von welchem
der Regressus zur absoluten Totalitaet allererst fortgehen soll: so
findet nur ein Rueckgang in unbestimmte Weise (in indefinitum) statt.
So muss von der Teilung einer zwischen ihren Grenzen gegebenen Materie
(eines Koerpers) gesagt werden: sie gehe ins Unendliche. Denn diese
Materie ist ganz, folglich mit allen ihren moeglichen Teilen, in der
empirischen Anschauung gegeben. Da nun die Bedingung dieses Ganzen
sein Teil, und die Bedingung dieses Teils der Teil vom Teile usw. ist,
und in diesem Regressus der Dekomposition niemals ein unbedingtes
(unteilbares) Glied dieser Reihe von Bedingungen angetroffen wird,
so ist nicht allein nirgend ein empirischer Grund, in der Teilung
aufzuhoeren, sondern die ferneren Glieder der fortzusetzenden Teilung
sind selbst vor dieser weitergehenden Teilung empirisch gegeben, d.i.
die Teilung geht ins Unendliche. Dagegen ist die Reihe der Voreltern
zu einem gegebenen Menschen in keiner moeglichen Erfahrung, in ihrer
absoluten Totalitaet, gegeben, der Regressus aber geht doch von jedem
Gliede dieser Zeugung zu einem hoeheren, so, dass keine empirische
Grenze anzutreffen ist, die ein Glied, als schlechthin unbedingt,
darstellte. Da aber gleichwohl auch die Glieder, die hierzu die
Bedingung abgeben koennten, nicht in der empirischen Anschauung des
Ganzen schon vor dem Regressus liegen: so geht dieser nicht ins
Unendliche (der Teilung des Gegebenen), sondern in unbestimmbare
Weite, der Aufsuchung mehrerer Glieder zu den gegebenen, die wiederum
jederzeit nur bedingt gegeben sind.
In keinem von beiden Faellen, sowohl dem regressus in infinitum, als
dem in indefinitum, wird die Reihe der Bedingungen als unendlich im
Objekt gegeben angesehen. Es sind nicht Dinge, die an sich selbst,
sondern nur Erscheinungen, die, als Bedingungen voneinander, nur im
Regressus selbst gegeben werden. Also ist die Frage nicht mehr: wie
gross diese Reihe der Bedingungen an sich selbst sei, ob endlich oder
unendlich, denn sie ist nichts an sich selbst, sondern: wie wir den
empirischen Regressus anstellen, und wie weit wir ihn fortsetzen
sollen. Und da ist denn ein namhafter Unterschied in Ansehung der
Regel dieses Fortschritts. Wenn das Ganze empirisch gegeben worden,
so ist es moeglich, ins Unendliche in der Reihe seiner inneren
Bedingungen zurueckzugehen. Ist jenes aber nicht gegeben, sondern soll
durch empirischen Regressus allererst gegeben werden, so kann ich nur
sagen: es ist ins Unendliche moeglich, zu noch hoeheren Bedingungen
der Reihe fortzugehen. Im ersteren Falle konnte ich sagen: es sind
immer mehr Glieder da, und empirisch gegeben, als ich durch den
Regressus (der Dekomposition) erreiche; im zweiten aber: ich kann im
Regressus noch immer weiter gehen, weil kein Glied als schlechthin
unbedingt empirisch gegeben ist, und also noch immer ein hoeheres
Glied als moeglich und mithin die Nachfrage nach demselben als
notwendig zulaesst. Dort war es notwendig, mehr Glieder der Reihe
anzutreffen, hier aber ist es immer notwendig, nach mehreren zu
fragen, weil keine Erfahrung absolut begrenzt. Denn ihr habt entweder
keine Wahrnehmung, die euren empirischen Regressus schlechthin
begrenzt, und dann muesst ihr euren Regressus nicht fuer vollendet
halten, oder habt eine solche eure Reihe begrenzende Wahrnehmung, so
kann diese nicht ein Teil eurer zurueckgelegten Reihe sein, (weil das,
was begrenzt, von dem, was dadurch begrenzt wird, unterschieden sein
muss,) und ihr muesst also euren Regressus auch zu dieser Bedingung
weiter fortsetzen, und so fortan.
Der folgende Abschnitt wird diese Bemerkungen durch ihre Anwendung in
ihr gehoeriges Licht setzen.
Der Antinomie der reinen Vernunft
Neunter Abschnitt
Von dem empirischen Gebrauche des regulativen Prinzips der Vernunft,
in Ansehung aller kosmologischen Ideen
Da es, wie wir mehrmalen gezeigt haben, keinen transzendentalen
Gebrauch so wenig von reinen Verstandes- als Vernunftbegriffen
gibt, da die absolute Totalitaet der Reihen der Bedingungen in
der Sinnenwelt sich lediglich auf einen transzendentalen Gebrauch
der Vernunft fusst, welche diese unbedingte Vollstaendigkeit von
demjenigen fordert, was sie als Ding an sich selbst voraussetzt; da
die Sinnenwelt aber dergleichen nicht enthaelt, so kann die Rede
niemals mehr von der absoluten Groesse der Reihen in derselben sein,
ob sie begrenzt, oder an sich unbegrenzt sein moegen, sondern nur, wie
weit wir im empirischen Regressus, bei Zurueckfuehrung der Erfahrung
auf ihre Bedingungen, zurueckgehen sollen, um nach der Regel der
Vernunft bei keiner anderen, als dem Gegenstande angemessenen
Beantwortung der Fragen derselben stehenzubleiben.
Es ist also nur die Gueltigkeit des Vernunftprinzips, als einer Regel
der Fortsetzung und Groesse einer moeglichen Erfahrung, die uns allein
uebrig bleibt, nachdem seine Ungueltigkeit, als eines konstitutiven
Grundsatzes der Erscheinungen an sich selbst, hinlaenglich dargetan
worden. Auch wird, wenn wir jene ungezweifelt vor Augen legen koennen,
der Streit der Vernunft mit sich selbst voellig geendigt, indem
nicht allein durch kritische Aufloesung der Schein, der sie mit sich
entzweite, aufgehoben worden, sondern an dessen Statt der Sinn, in
welchem sie mit sich selbst zusammenstimmt und dessen Missdeutung
allein den Streit veranlasste, aufgeschlossen, und ein sonst
dialektischer Grundsatz in einen doktrinalen verwandelt wird.
In der Tat, wenn dieser, seiner subjektiven Bedeutung nach,
den groesstmoeglichen Verstandesgebrauch in der Erfahrung den
Gegenstaenden derselben angemessen zu bestimmen, bewaehrt werden kann:
so ist es gerade ebensoviel, als ob er wie ein Axiom (welches aus
reiner Vernunft unmoeglich ist) die Gegenstaende an sich selbst a
priori bestimmte; denn auch dieses koennte in Ansehung der Objekte
der Erfahrung keinen groesseren Einfluss auf die Erweiterung und
Berichtigung unserer Erkenntnis haben, als dass es sich in dem
ausgebreitetsten Erfahrungsgebrauche unseres Verstandes taetig
bewiese.
I. Aufloesung der kosmologischen Idee
von der Totalitaet der Zusammensetzung der Erscheinungen von einem
Weltganzen
Sowohl hier, als bei den uebrigen kosmologischen Fragen, ist der Grund
des regulativen Prinzips der Vernunft der Satz: dass im empirischen
Regressus keine Erfahrung von einer absoluten Grenze, mithin von
keiner Bedingung, als einer solchen, die empirisch schlechthin
unbedingt sei, angetroffen werden koenne. Der Grund davon aber ist:
dass eine dergleichen Erfahrung eine Begrenzung der Erscheinungen
durch Nichts, oder das Leere, darauf der fortgefuehrte Regressus
vermittelst einer Wahrnehmung stossen koennte, in sich enthalten
muesste, welches unmoeglich ist.
Dieser Satz nun, der ebensoviel sagt, als: dass ich im empirischen
Regressus jederzeit nur zu einer Bedingung gelange, die selbst
wiederum als empirisch bedingt angesehen werden muss, enthaelt die
Regel in terminis: dass, so weit ich auch damit in der aufsteigenden
Reihe gekommen sein moege, ich jederzeit nach einem hoeheren Gliede
der Reihe fragen muesse, es mag mir dieses nun durch Erfahrung bekannt
werden, oder nicht.
Nun ist zur Aufloesung der ersten kosmologischen Aufgabe nichts weiter
noetig, als noch auszumachen: ob in dem Regressus zu der unbedingten
Groesse des Weltganzen (der Zeit und dem Raume nach) dieses niemals
begrenzte Aufsteigen ein Rueckgang ins Unendliche heissen koenne, oder
nur ein unbestimmbar fortgesetzter Regressus (in indefinitum).
Die blosse allgemeine Vorstellung der Reihe aller vergangenen
Weltzustaende, imgleichen der Dinge, welche im Weltraume zugleich
sind, ist selbst nichts anderes, als ein moeglicher empirischer
Regressus, den ich mir, obzwar noch unbestimmt, denke, und wodurch
der Begriff einer solchen Reihe von Bedingungen zu der gegebenen
Wahrnehmung allein entstehen kann*. Nun habe ich das Weltganze
jederzeit nur im Begriffe, keineswegs aber (als Ganzes) in der
Anschauung. Also kann ich nicht von seiner Groesse auf die Groesse des
Regressus schliessen, und diese jener gemaess bestimmen, sondern ich
muss mir allererst einen Begriff von der Weltgroesse durch die Groesse
des empirischen Regressus machen. Von diesem aber weiss ich niemals
etwas mehr, als dass ich von jedem gegebenen Gliede der Reihe von
Bedingungen immer noch zu einem hoeheren (entfernteren) Gliede
empirisch fortgehen muesse. Also ist dadurch die Groesse des Ganzen
der Erscheinungen gar nicht schlechthin bestimmt, mithin kann man auch
nicht sagen, dass dieser Regressus ins Unendliche gehe, weil dieses
die Glieder, dahin der Regressus noch nicht gelangt ist, antizipieren
und ihre Menge so gross vorstellen wuerde, dass keine empirische
Synthesis dazu gelangen kann, folglich die Weltgroesse vor dem
Regressus (wenn gleich nur negativ) bestimmen wuerde, welches
unmoeglich ist. Denn diese ist mir durch keine Anschauung (ihrer
Totalitaet nach) mithin auch ihre Groesse vor dem Regressus gar nicht
gegeben. Demnach koennen wir von der Weltgroesse an sich gar nichts
sagen, auch nicht einmal, dass in ihr ein regressus in infinitum
stattfinde, sondern muessen nur nach der Regel, die den empirischen
Regressus in ihr bestimmt, den Begriff von ihrer Groesse suchen. Diese
Regel aber sagt nichts mehr, als dass, so weit wir auch in der Reihe
der empirischen Bedingungen gekommen sein moegen, wir nirgend eine
absolute Grenze annehmen sollen, sondern jede Erscheinung, als
bedingt, einer anderen, als ihrer Bedingung, unterordnen, zu
dieser also ferner fortschreiten muessen, welches der regressus in
indefinitum ist, der, weil er keine Groesse im Objekt bestimmt, von
dem in infinitum deutlich genug zu unterscheiden ist.
* Diese Weltreihe kann also auch weder groesser, noch kleiner sein,
  als der moegliche empirische Regressus, auf dem allein ihr Begriff
  beruht. Und da dieser kein bestimmtes Unendliche, ebensowenig aber
  auch ein bestimmtendliches (schlechthin Begrenztes) geben kann:
  so ist daraus klar, dass wir die Weltgroesse weder als endlich,
  noch unendlich annehmen koennen, weil der Regressus (dadurch jene
  vorgestellt wird) keines von beiden zulaesst.
Ich kann demnach nicht sagen: die Welt ist der vergangenen Zeit,
oder dem Raume nach unendlich. Denn dergleichen Begriff von Groesse,
als einer gegebenen Unendlichkeit, ist empirisch, mithin auch in
Ansehung der Welt, als eines Gegenstandes der Sinne, schlechterdings
unmoeglich. Ich werde auch nicht sagen: der Regressus von einer
gegebenen Wahrnehmung an, zu allen dem, was diese im Raume sowohl, als
der vergangenen Zeit, in einer Reihe begrenzt, geht ins Unendliche;
denn dieses setzt die unendliche Weltgroesse voraus; auch nicht:
sie ist endlich; denn die absolute Grenze ist gleichfalls empirisch
unmoeglich. Demnach werde ich nichts von dem ganzen Gegenstande der
Erfahrung (der Sinnenwelt), sondern nur von der Regel, nach welcher
Erfahrung ihrem Gegenstande angemessen, angestellt und fortgesetzt
werden soll, sagen koennen.
Auf die kosmologische Frage also, wegen der Weltgroesse, ist die erste
und negative Antwort: die Welt hat keinen ersten Anfang der Zeit und
keine aeusserste Grenze dem Raume nach.
Denn im entgegengesetzten Falle wuerde sie durch die leere Zeit
einer-, und durch den leeren Raum andererseits begrenzt sein. Da sie
nun, als Erscheinung, keines von beiden an sich selbst sein kann, denn
Erscheinung ist kein Ding an sich selbst, so muesste eine Wahrnehmung
der Begrenzung durch schlechthin leere Zeit, oder leeren Raum,
moeglich sein, durch welche diese Weltenden in einer moeglichen
Erfahrung gegeben waeren. Eine solche Erfahrung aber, als voellig
leer an Inhalt, ist unmoeglich. Also ist eine absolute Weltgrenze
empirisch, mithin auch schlechterdings unmoeglich*.
* Man wird bemerken: dass der Beweis hier auf ganz andere Art gefuehrt
  worden, als der dogmatische, oben in der Antithesis der ersten
  Antinomie. Daselbst hatten wir die Sinnenwelt, nach der gemeinen und
  dogmatischen Vorstellungsart, fuer ein Ding, was an sich selbst, vor
  allem Regressus, seiner Totalitaet nach gegeben war, gelten lassen,
  und hatten ihr, wenn sie nicht alle Zeit und alle Raeume einnaehme,
  ueberhaupt irgendeine bestimmte Stelle in beiden abgesprochen. Daher
  war die Folgerung auch anders, als hier, naemlich es wurde auf die
  wirkliche Unendlichkeit derselben geschlossen.
Hieraus folgt denn zugleich die bejahende Antwort: der Regressus in
der Reihe der Welterscheinungen, als eine Bestimmung der Weltgroesse,
geht in indefinitum, welches ebenso viel sagt, als: die Sinnenwelt hat
keine absolute Groesse, sondern der empirische Regressus (wodurch sie
auf der Seite ihrer Bedingungen allein gegeben werden kann) hat seine
Regel, naemlich von einem jeden Gliede der Reihe, als einem Bedingten,
jederzeit zu einem noch entfernteren (es sei durch eigene Erfahrung,
oder den Leitfaden der Geschichte, oder die Kette der Wirkungen
und ihrer Ursachen,) fortzuschreiten, und sich der Erweiterung
des moeglichen empirischen Gebrauchs seines Verstandes nirgend zu
ueberheben, welches denn auch das eigentliche und einzige Geschaeft
der Vernunft bei ihren Prinzipien ist.
Ein bestimmter empirischer Regressus, der in einer gewissen Art
von Erscheinungen ohne Aufhoeren fortginge, wird hierdurch nicht
vorgeschrieben, z.B. dass man von einem lebenden Menschen immer in
einer Reihe von Voreltern aufwaerts steigen muesse, ohne ein erstes
Paar zu erwarten, oder in der Reihe der Weltkoerper, ohne eine
aeusserste Sonne zuzulassen; sondern es wird nur der Fortschritt von
Erscheinungen zu Erscheinungen geboten, sollten diese auch keine
wirkliche Wahrnehmung (wenn sie dem Grade nach fuer unser Bewusstsein
zu schwach ist, um Erfahrung zu werden) abgeben, weil sie dem
ungeachtet doch zur moeglichen Erfahrung gehoeren.
Aller Anfang ist in der Zeit, und alle Grenze des Ausgedehnten im
Raume. Raum und Zeit aber sind nur in der Sinnenwelt. Mithin sind nur
Erscheinungen in der Welt bedingterweise, die Welt aber selbst weder
bedingt, noch auf unbedingte Art begrenzt.
Eben um deswillen, und da die Welt niemals ganz, und selbst die Reihe
der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten nicht, als Weltreihe,
ganz gegeben werden kann, ist der Begriff von der Weltgroesse nur
durch den Regressus, und nicht vor demselben in einer kollektiven
Anschauung, gegeben. Jener besteht aber immer nur im Bestimmen der
Groesse, und gibt also keinen bestimmten Begriff, als auch keinen
Begriff von einer Groesse, die in Ansehung eines gewissen Masses
unendlich waere, geht also nicht ins Unendliche (gleichsam gegebene),
sondern in unbestimmte Weite, um eine Groesse (der Erfahrung) zu
geben, die allererst durch diesen Regressus wirklich wird.
II. Aufloesung der kosmologischen Idee
von der Totalitaet der Teilung eines gegebenen Ganzen in der
Anschauung
Wenn ich ein Ganzes, das in der Anschauung gegeben ist, teile, so gehe
ich von einem Bedingten zu den Bedingungen seiner Moeglichkeit. Die
Teilung der Teile (subdivisio oder decompositio) ist ein Regressus in
der Reihe dieser Bedingungen. Die absolute Totalitaet dieser Reihe
wuerde nur alsdann gegeben sein, wenn der Regressus bis zu einfachen
Teilen gelangen koennte. Sind aber alle Teile in einer kontinuierlich
fortgehenden Dekomposition immer wiederum teilbar, so geht die
Teilung, d.i. der Regressus, von dem Bedingten zu seinen Bedingungen
in infinitum; weil die Bedingungen (die Teile) in dem Bedingten selbst
enthalten sind, und, da dieses in einer zwischen seinen Grenzen
eingeschlossenen Anschauung ganz gegeben ist, insgesamt auch mit
gegeben sind. Der Regressus darf also nicht bloss ein Rueckgang in
indefinitum genannt werden, wie es die vorige kosmologische Idee
allein erlaubte, da ich vom Bedingten zu seinen Bedingungen, die,
ausser demselben, mithin nicht dadurch zugleich mit so gegeben waren,
sondern die im empirischen Regressus allererst hinzukamen, fortgehen
sollte. Diesem ungeachtet ist es doch keineswegs erlaubt, von einem
solchen Ganzen, das ins Unendliche teilbar ist, zu sagen: es bestehe
aus unendlich viel Teilen. Denn obgleich alle Teile in der Anschauung
des Ganzen enthalten sind, so ist doch darin nicht die ganze Teilung
enthalten, welche nur in der fortgehenden Dekomposition, oder dem
Regressus selbst besteht, der die Reihe allererst wirklich macht. Da
dieser Regressus nun unendlich ist, so sind zwar alle Glieder (Teile),
zu denen er gelangt, in dem gegebenen Ganzen als Aggregate enthalten,
aber nicht die ganze Reihe der Teilung, welche sukzessivunendlich
und niemals ganz ist, folglich keine unendliche Menge, und keine
Zusammennehmung derselben in einem Ganzen darstellen kann.
Diese allgemeine Erinnerung laesst sich zuerst sehr leicht auf den
Raum anwenden. Ein jeder in seinen Grenzen angeschauter Raum ist ein
solches Ganzes, dessen Teile bei aller Dekomposition immer wiederum
Raeume sind, und ist daher ins Unendliche teilbar.
Hieraus folgt auch ganz natuerlich die weite Anwendung, auf eine in
ihren Grenzen eingeschlossene aeussere Erscheinung (Koerper). Die
Teilbarkeit desselben gruendet sich auf die Teilbarkeit des Raumes,
der die Moeglichkeit des Koerpers, als eines ausgedehnten Ganzen,
ausmacht. Dieser ist also ins Unendliche teilbar, ohne doch darum aus
unendlich viel Teilen zu bestehen.
Es scheint zwar: dass, da ein Koerper als Substanz im Raume
vorgestellt werden muss, er, was das Gesetz der Teilbarkeit des Raumes
betrifft, hierin von diesem unterschieden sein werde: denn man kann es
allenfalls wohl zugeben: dass die Dekomposition im letzteren niemals
alle Zusammensetzung wegschaffen koenne, indem alsdann sogar aller
Raum, der sonst nichts Selbststaendiges hat, aufhoeren wuerde (welches
unmoeglich ist); allein dass, wenn alle Zusammensetzung der Materie in
Gedanken aufgehoben wuerde, gar nichts uebrigbleiben solle, scheint
sich nicht mit dem Begriffe einer Substanz vereinigen zu lassen, die
eigentlich das Subjekt aller Zusammensetzung sein sollte, und in ihren
Elementen uebrigbleiben muesste, wenngleich die Verknuepfung derselben
im Raume, dadurch sie einen Koerper ausmachen, aufgehoben waere.
Allein mit dem, was in der Erscheinung Substanz heisst, ist es nicht
so bewandt, als man es wohl von einem Dinge an sich selbst durch
reinen Verstandesbegriff denken wuerde. Jenes ist nicht absolutes
Subjekt, sondern beharrliches Bild der Sinnlichkeit und nichts als
Anschauung, in der ueberall nichts Unbedingtes angetroffen wird.
Ob nun aber gleich diese Regel des Fortschritts ins Unendliche bei
der Subdivision einer Erscheinung, als einer blossen Erfuellung des
Raumes, ohne allen Zweifel stattfindet: so kann sie doch nicht gelten,
wenn wir sie auch auf die Menge der auf gewisse Weise in dem gegebenen
Ganzen schon abgesonderten Teile, dadurch diese ein quantum discretum
ausmachen, erstrecken wollen. Annehmen, dass in jedem gegliederten
(organisierten) Ganzen ein jeder Teil wiederum gegliedert sei, und
dass man auf solche Art, bei Zerlegung der Teile ins Unendliche,
immer neue Kunstteile antreffe, mit einem Worte, dass das Ganze ins
Unendliche gegliedert sei, will sich gar nicht denken lassen, obzwar
wohl, dass die Teile der Materie, bei ihrer Dekomposition ins
Unendliche, gegliedert werden koennten. Denn die Unendlichkeit der
Teilung einer gegebenen Erscheinung im Raume gruendet sich allein
darauf, dass durch diese bloss die Teilbarkeit, d.i. eine an sich
schlechthin unbestimmte Menge von Teilen gegeben ist, die Teile selbst
aber nur durch die Subdivision gegeben und bestimmt werden, kurz, dass
das Ganze nicht an sich selbst schon eingeteilt ist. Daher die Teilung
eine Menge in demselben bestimmen kann, die so weit geht, als man im
Regressus der Teilung fortschreiten will. Dagegen wird bei einem ins
Unendliche gegliederten organischen Koerper das Ganze eben durch
diesen Begriff schon als eingeteilt vorgestellt, und eine an sich
selbst bestimmte, aber unendliche Menge der Teile, vor allem Regressus
der Teilung, in ihm angetroffen, wodurch man sich selbst widerspricht;
indem diese unendliche Entwicklung als eine niemals zu vollendende
Reihe (unendlich), und gleichwohl doch in einer Zusammennehmung als
vollendet, angesehen wird. Die unendliche Teilung bezeichnet nur
die Erscheinung als quantum continuum und ist von der Erfuellung
des Raumes unzertrennlich; weil eben in derselben der Grund der
unendlichen Teilbarkeit liegt. Sobald aber etwas als quantum discretum
angenommen wird: so ist die Menge der Einheiten darin bestimmt; daher
auch jederzeit einer Zahl gleich. Wie weit also die Organisierung
in einem gegliederten Koerper gehen moege, kann nur die Erfahrung
ausmachen, und wenn sie gleich mit Gewissheit zu keinem unorganischen
Teile gelangte, so muessen solche doch wenigstens in der moeglichen
Erfahrung liegen. Aber wie weit sich die transzendentale Teilung einer
Erscheinung ueberhaupt erstrecke, ist gar keine Sache der Erfahrung,
sondern ein Prinzipium der Vernunft, den empirischen Regressus, in der
Dekomposition des Ausgedehnten, der Natur dieser Erscheinung gemaess,
niemals fuer schlechthin vollendet zu halten.
Schlussanmerkung
zur Aufloesung der mathematisch-transzendentalen, und Vorerinnerung
zur Aufloesung der dynamisch-transzendentalen Ideen
Als wir die Antinomie der reinen Vernunft durch alle transzendentalen
Ideen in einer Tafel vorstellten, da wir den Grund dieses Widerstreits
und das einzige Mittel, ihn zu heben, anzeigten, welches darin
bestand, dass beide entgegengesetzte Behauptungen fuer falsch erklaert
wurden: so haben wir allenthalben die Bedingungen, als zu ihrem
Bedingten nach Verhaeltnissen des Raumes und der Zeit gehoerig,
vorgestellt, welches die gewoehnliche Voraussetzung des gemeinen
Menschenverstandes ist, worauf denn auch jener Widerstreit gaenzlich
beruhte. In dieser Ruecksicht waren auch alle dialektischen
Vorstellungen der Totalitaet, in der Reihe der Bedingungen zu einem
gegebenen Bedingten, durch und durch von gleicher Art. Es war immer
eine Reihe, in welcher die Bedingung mit dem Bedingten, als Glieder
derselben, verknuepft und dadurch gleichartig waren, da denn der
Regressus niemals vollendet gedacht, oder, wenn dieses geschehen
sollte, ein an sich bedingtes Glied faelschlich als ein erstes, mithin
als unbedingt angenommen werden muesste. Es wuerde also zwar nicht
allerwaerts das Objekt, d.i. das Bedingte, aber doch die Reihe der
Bedingungen zu demselben, bloss ihrer Groesse nach erwogen, und da
bestand die Schwierigkeit, die durch keinen Vergleich, sondern durch
gaenzliche Abschneidung des Knotens allein gehoben werden konnte,
darin, dass die Vernunft es dem Verstande entweder zu lang oder zu
kurz machte, so, dass dieser ihrer Idee niemals gleich kommen konnte.
Wir haben aber hierbei einen wesentlichen Unterschied uebersehen, der
unter den Objekten d.i. den Verstandesbegriffen herrscht, welche die
Vernunft zu Ideen zu erheben trachtet, da naemlich, nach unserer
obigen Tafel der Kategorien, zwei derselben mathematische, die zwei
uebrigen aber eine dynamische Synthesis der Erscheinungen bedeuten.
Bis hierher konnte dieses auch gar wohl geschehen, indem, so wie wir
in der allgemeinen Vorstellung aller transzendentalen Ideen immer nur
unter Bedingungen in der Erscheinung blieben, eben so auch in den zwei
mathematischtranszendentalen keinen anderen Gegenstand, als den in der
Erscheinung hatten. Jetzt aber, da wir zu dynamischen Begriffen des
Verstandes, sofern sie der Vernunftidee anpassen sollen, fortgehen,
wird jene Unterscheidung wichtig, und eroeffnet uns eine ganz neue
Aussicht in Ansehung des Streithandels, darin die Vernunft verflochten
ist, und welcher, da er vorher, als auf beiderseitige falsche
Voraussetzungen gebaut, abgewiesen worden, jetzt, da vielleicht in
der dynamischen Antinomie eine solche Voraussetzung stattfindet, die
mit der Praetension der Vernunft zusammen bestehen kann, aus diesem
Gesichtspunkte, und, da der Richter den Mangel der Rechtsgruende, die
man beiderseits verkannt hatte, ergaenzt, zu beider Teile Genugtuung
verglichen werden kann, welches sich bei dem Streite in der
mathematischen Antinomie nicht tun liess.
Die Reihen der Bedingungen sind freilich insofern alle gleichartig,
als man lediglich auf die Erstreckung derselben sieht: ob sie der
Idee angemessen sind, oder ob diese fuer jene zu gross, oder zu klein
seien. Allein der Verstandesbegriff, der diesen Ideen zum Grunde
liegt, enthaelt entweder lediglich eine Synthesis des Gleichartigen,
(welches bei jeder Groesse, in der Zusammensetzung sowohl als Teilung
derselben, vorausgesetzt wird,) oder auch des Ungleichartigen, welches
in der dynamischen Synthesis, der Kausalverbindung sowohl, als der des
Notwendigen mit dem Zufaelligen, wenigstens zugelassen werden kann.
Daher kommt es, dass in der mathematischen Verknuepfung der Reihen der
Erscheinungen keine andere als sinnliche Bedingung hineinkommen kann,
d.i. eine solche, die selbst ein Teil der Reihe ist; da hingegen die
dynamische Reihe sinnlicher Bedingungen doch noch eine ungleichartige
Bedingung zulaesst, die nicht ein Teil der Reihe, sondern, als bloss
intelligibel, ausser der Reihe liegt, wodurch denn der Vernunft ein
Genuege getan und das Unbedingte den Erscheinungen vorgesetzt wird,
ohne die Reihe der letzteren, als jederzeit bedingt, dadurch zu
verwirren und, den Verstandesgrundsaetzen zuwider, abzubrechen.
Dadurch nun, dass die dynamischen Ideen eine Bedingung der
Erscheinungen ausser der Reihe derselben, d.i. eine solche, die selbst
nicht Erscheinung ist, zulassen, geschieht etwas, was von dem Erfolg
der Antinomie gaenzlich unterschieden ist. Diese naemlich verursachte,
dass beide dialektischen Gegenbehauptungen fuer falsch erklaert werden
mussten. Dagegen das Durchgaengigbedingte der dynamischen Reihen,
welches von ihnen als Erscheinungen unzertrennlich ist, mit der zwar
empirischunbedingten, aber auch nichtsinnlichen Bedingung verknuepft,
dem Verstande einerseits und der Vernunft andererseits* Genuege
leisten, und, indem die dialektischen Argumente, welche unbedingte
Totalitaet in blossen Erscheinungen auf eine oder andere Art suchten,
wegfallen, dagegen die Vernunftsaetze, in der auf solche Weise
berichtigten Bedeutung, alle beide wahr sein koennen; welches bei
den kosmologischen Ideen, die bloss mathematischunbedingte Einheit
betreffen, niemals stattfinden kann, weil bei ihnen keine Bedingung
der Reihe der Erscheinungen angetroffen wird, als die auch selbst
Erscheinung ist und als solche mit ein Glied der Reihe ausmacht.
* Denn der Verstand erlaubt unter Erscheinungen keine Bedingung, die
  selbst empirisch unbedingt waere. Liesse sich aber eine intelligible
  Bedingung, die also nicht in die Reihe der Erscheinungen, als
  ein Glied, mit gehoerte, zu einem Bedingten (in der Erscheinung)
  gedenken, ohne doch dadurch die Reihe empirischer Bedingungen im
  mindesten zu unterbrechen: so koennte eine solche als empirisch
  unbedingt zugelassen werden, so dass dadurch dem empirischen
  kontinuierlichen Regressus nirgend Abbruch geschaehe.
III. Aufloesung der kosmologischen Ideen
von der Totalitaet der Ableitung der Weltbegebenheiten aus ihren
Ursachen
Man kann sich nur zweierlei Kausalitaet in Ansehung dessen, was
geschieht, denken, entweder nach der Natur, oder aus Freiheit. Die
erste ist die Verknuepfung eines Zustandes mit einem vorigen in
der Sinnenwelt, worauf jener nach einer Regel folgt. Da nun die
Kausalitaet der Erscheinungen auf Zeitbedingungen beruht, und der
vorige Zustand, wenn er jederzeit gewesen waere, auch keine Wirkung,
die allererst in der Zeit entspringt, hervorgebracht haette: so ist
die Kausalitaet der Ursache dessen, was geschieht, oder entsteht, auch
entstanden, und bedarf nach dem Verstandesgrundsatze selbst wiederum
eine Ursache.
Dagegen verstehe ich unter Freiheit, im kosmologischen Verstande, das
Vermoegen, einen Zustand von selbst anzufangen, deren Kausalitaet
also nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer anderen Ursache
steht, welche sie der Zeit nach bestimmte. Die Freiheit ist in dieser
Bedeutung eine reine transzendentale Idee, die erstlich nichts von
der Erfahrung Entlehntes enthaelt, zweitens deren Gegenstand auch in
keiner Erfahrung bestimmt gegeben werden kann, weil es ein allgemeines
Gesetz, selbst der Moeglichkeit aller Erfahrung, ist, dass alles, was
geschieht, eine Ursache, mithin auch die Kausalitaet der Ursache, die
selbst geschehen, oder entstanden, wiederum eine Ursache haben muesse;
wodurch denn das ganze Feld der Erfahrung, so weit es sich erstrecken
mag, in einen Inbegriff blosser Natur verwandelt wird. Da aber
auf solche Weise keine absolute Totalitaet der Bedingungen im
Kausalverhaeltnisse herauszubekommen ist, so schafft sich die Vernunft
die Idee von einer Spontaneitaet, die von selbst anheben koenne zu
handeln, ohne dass eine andere Ursache vorangeschickt werden duerfe,
sie wiederum nach dem Gesetze der Kausalverknuepfung zur Handlung zu
bestimmen.
Es ist ueberaus merkwuerdig, dass auf diese transzendentale Idee der
Freiheit sich der praktische Begriff derselben gruende, und jene in
dieser das eigentliche Moment der Schwierigkeiten ausmache, welche die
Frage ueber ihre Moeglichkeit von jeher umgeben haben. Die Freiheit
im praktischen Verstande ist die Unabhaengigkeit der Willkuer von
der Noetigung durch Antriebe der Sinnlichkeit. Denn eine Willkuer
ist sinnlich, sofern sie pathologisch (durch Bewegursachen der
Sinnlichkeit) affiziert ist; sie heisst tierisch (arbitrium brutum),
wenn sie pathologisch necessitiert werden kann. Die menschliche
Willkuer ist zwar ein arbitrium sensitivum, aber nicht brutum, sondern
liberum, weil Sinnlichkeit ihre Handlung nicht notwendig macht,
sondern dem Menschen ein Vermoegen beiwohnt, sich, unabhaengig von der
Noetigung durch sinnliche Antriebe, von selbst zu bestimmen.
Man sieht leicht, dass, wenn alle Kausalitaet in der Sinnenwelt bloss
Natur waere, so wuerde jede Begebenheit durch eine andere in der
Zeit nach notwendigen Gesetzen bestimmt sein, und mithin, da die
Erscheinungen, sofern sie die Willkuer bestimmen, jede Handlung als
ihren natuerlichen Erfolg notwendig machen muessten, so wuerde die
Aufhebung der transzendentalen Freiheit zugleich alle praktische
Freiheit vertilgen. Denn diese setzt voraus, dass, obgleich etwas
nicht geschehen ist, es doch habe geschehen sollen, und seine Ursache
in der Erscheinung also nicht so bestimmend war, dass nicht in unserer
Willkuer eine Kausalitaet liege, unabhaengig von jenen Naturursachen
und selbst wider ihre Gewalt und Einfluss etwas hervorzubringen, was
in der Zeitordnung nach empirischen Gesetzen bestimmt ist, mithin eine
Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen.
Es geschieht also hier, was ueberhaupt indem Widerstreit einer sich
ueber die Grenzen moeglicher Erfahrung hinauswagenden Vernunft
angetroffen wird, dass die Aufgabe eigentlich nicht physiologisch,
sondern transzendental ist. Daher die Frage von der Moeglichkeit der
Freiheit die Psychologie zwar anficht, aber, da sie auf dialektischen
Argumenten der bloss reinen Vernunft beruht, samt ihrer Aufloesung
lediglich die Transzendentalphilosophie beschaeftigen muss. Um nun
diese, welche eine befriedigende Antwort hierueber nicht ablehnen
kann, dazu in Stand zu setzen, muss ich zuvoerderst ihr Verfahren bei
dieser Aufgabe durch eine Bemerkung naeher zu bestimmen suchen.
Wenn Erscheinungen Dinge an sich selbst waeren, mithin Raum und
Zeit Formen des Daseins der Dinge an sich selbst: so wuerden die
Bedingungen mit dem Bedingten jederzeit als Glieder zu einer und
derselben Reihe gehoeren, und daraus auch in gegenwaertigem Falle die
Antinomie entspringen, die allen transzendentalen Ideen gemein ist,
dass diese Reihe unvermeidlich fuer den Verstand zu gross, oder zu
klein ausfallen muesste. Die dynamischen Vernunftbegriffe aber, mit
denen wir uns in dieser und der folgenden Nummer beschaeftigen, haben
dieses besondere: dass, da sie es nicht mit einem Gegenstande, als
Groesse betrachtet, sondern nur mit seinem Dasein zu tun haben, man
auch von der Groesse der Reihe der Bedingungen abstrahieren kann, und
es bei ihnen bloss auf das dynamische Verhaeltnis der Bedingung zum
Bedingten ankommt, so, dass wir in der Frage ueber Natur und Freiheit
schon die Schwierigkeit antreffen, ob Freiheit ueberall nur moeglich
sei, und ob, wenn sie es ist, sie mit der Allgemeinheit des
Naturgesetzes der Kausalitaet zusammen bestehen koenne; mithin ob es
ein richtigdisjunktiver Satz sei, dass eine jede Wirkung in der Welt
entweder aus Natur, oder aus Freiheit entspringen muesse, oder ob
nicht vielmehr beides in verschiedener Beziehung bei einer und
derselben Begebenheit zugleich stattfinden koenne. Die Richtigkeit
jenes Grundsatzes, von dem durchgaengigen Zusammenhange aller
Begebenheiten der Sinnenwelt, nach unwandelbaren Naturgesetzen, steht
schon als ein Grundsatz der transzendentalen Analytik fest und leidet
keinen Abbruch. Es ist also nur die Frage: ob demungeachtet in
Ansehung eben derselben Wirkung, die nach der Natur bestimmt ist, auch
Freiheit stattfinden koenne, oder diese durch jene unverletzliche
Regel voellig ausgeschlossen sei. Und hier zeigt die zwar gemeine,
aber betruegliche Voraussetzung der absoluten Realitaet der
Erscheinungen, sogleich ihren nachteiligen Einfluss, die Vernunft
zu verwirren. Denn, sind Erscheinungen Dinge an sich selbst, so ist
Freiheit nicht zu retten. Alsdann ist Natur die vollstaendige und
an sich hinreichend bestimmende Ursache jeder Begebenheit, und die
Bedingung derselben ist jederzeit nur in der Reihe der Erscheinungen
enthalten, die, samt ihrer Wirkung, unter jedem Naturgesetze notwendig
sind. Wenn dagegen Erscheinungen fuer nichts mehr gelten, als sie
in der Tat sind, naemlich nicht fuer Dinge an sich, sondern blosse
Vorstellungen, die nach empirischen Gesetzen zusammenhaengen, so
muessen sie selbst noch Gruende haben, die nicht Erscheinungen
sind. Eine solche intelligible Ursache aber wird in Ansehung ihrer
Kausalitaet nicht durch Erscheinungen bestimmt, obzwar ihre Wirkungen
erscheinen, und so durch andere Erscheinungen bestimmt werden koennen.
Sie ist also samt ihrer Kausalitaet ausser der Reihe; dagegen ihre
Wirkungen in der Reihe der empirischen Bedingungen angetroffen werden.
Die Wirkung kann also in Ansehung ihrer intelligiblen Ursache als
frei, und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus
denselben nach der Notwendigkeit der Natur, angesehen werden; eine
Unterscheidung, die, wenn sie im Allgemeinen und ganz abstrakt
vorgetragen wird, aeusserst subtil und dunkel erscheinen muss, die
sich aber in der Anwendung aufklaeren wird. Hier habe ich nur die
Anmerkung machen wollen: dass, da der durchgaengige Zusammenhang aller
Erscheinungen, in einem Kontext der Natur, ein unnachlassliches Gesetz
ist, dieses alle Freiheit notwendig umstuerzen muesste, wenn man der
Realitaet der Erscheinungen hartnaeckig anhaengen wollte. Daher auch
diejenigen, welche hierin der gemeinen Meinung folgen, niemals dahin
haben gelangen koennen, Natur und Freiheit miteinander zu vereinigen.
Moeglichkeit der Kausalitaet durch Freiheit,
in Vereinigung mit dem allgemeinen Gesetze der Naturnotwendigkeit
Ich nenne dasjenige an einem Gegenstande der Sinne, was selbst nicht
Erscheinung ist, intelligibel. Wenn demnach dasjenige, was in der
Sinnenwelt als Erscheinung angesehen werden muss, an sich selbst auch
ein Vermoegen hat, welches kein Gegenstand der sinnlichen Anschauung
ist, wodurch es aber doch die Ursache von Erscheinungen sein kann: so
kann man die Kausalitaet dieses Wesens auf zwei Seiten betrachten, als
intelligibel nach ihrer Handlung, als eines Dinges an sich selbst,
und als sensibel, nach den Wirkungen derselben, als einer Erscheinung
in der Sinnenwelt. Wir wuerden uns demnach von dem Vermoegen
eines solchen Subjekts einen empirischen, imgleichen auch einen
intellektuellen Begriff seiner Kausalitaet machen, welche bei einer
und derselben Wirkung zusammen stattfinden. Eine solche doppelte
Seite, das Vermoegen eines Gegenstandes der Sinne sich zu denken,
widerspricht keinem von den Begriffen, die wir uns von Erscheinungen
und von einer moeglichen Erfahrung zu machen haben. Denn, da diesen,
weil sie an sich keine Dinge sind, ein transzendentaler Gegenstand
zum Grunde liegen muss, der sie als blosse Vorstellungen bestimmt, so
hindert nichts, dass wir diesem transzendentalen Gegenstande, ausser
der Eigenschaft, dadurch er erscheint, nicht auch eine Kausalitaet
beilegen sollten, die nicht Erscheinung ist, obgleich ihre Wirkung
dennoch in der Erscheinung angetroffen wird. Es muss aber eine
jede wirkende Ursache einen Charakter haben, d.i. ein Gesetz ihrer
Kausalitaet, ohne welches sie gar nicht Ursache sein wuerde. Und
da wuerden wir an einem Subjekte der Sinnenwelt erstlich einen
empirischen Charakter haben, wodurch seine Handlungen, als
Erscheinungen, durch und durch mit anderen Erscheinungen nach
bestaendigen Naturgesetzen im Zusammenhange staenden, und von ihnen,
als ihren Bedingungen, abgeleitet werden koennten, und also, mit
diesen in Verbindung, Glieder einer einzigen Reihe der Naturordnung
ausmachten. Zweitens wuerde man ihm noch einen intelligiblen Charakter
einraeumen muessen, dadurch es zwar die Ursache jener Handlungen
als Erscheinungen ist, der aber selbst unter keinen Bedingungen der
Sinnlichkeit steht, und selbst nicht Erscheinung ist. Man koennte auch
den ersteren den Charakter eines solchen Dinges in der Erscheinung,
den zweiten den Charakter des Dinges an sich selbst nennen.
Dieses handelnde Subjekt wuerde nun, nach seinem intelligiblen
Charakter, unter keinen Zeitbedingungen stehen, denn die Zeit ist nur
die Bedingung der Erscheinungen, nicht aber der Dinge an sich selbst.
In ihm wuerde keine Handlung entstehen, oder vergehen, mithin wuerde
es auch nicht dem Gesetze aller Zeitbestimmung, alles Veraenderlichen,
unterworfen sein: dass alles, was geschieht, in den Erscheinungen
(des vorigen Zustandes) seine Ursache antreffe. Mit einem Worte, die
Kausalitaet desselben, sofern sie intellektuell ist, staende gar nicht
in der Reihe empirischer Bedingungen, welche die Begebenheit in der
Sinnenwelt notwendig machen. Dieser intelligible Charakter koennte
zwar niemals unmittelbar gekannt werden, weil wir nichts wahrnehmen
koennen, als sofern es erscheint, aber er wuerde doch den empirischen
Charakter gemaess gedacht werden muessen, so wie wir ueberhaupt einen
transzendentalen Gegenstand den Erscheinungen in Gedanken zum Grunde
legen muessen, ob wir zwar von ihm, was er an sich selbst sei, nichts
wissen.
Nach seinem empirischen Charakter wuerde also dieses Subjekt, als
Erscheinung, allen Gesetzen der Bestimmung nach, der Kausalverbindung
unterworfen sein, und es waere sofern nichts, als ein Teil der
Sinnenwelt, dessen Wirkungen, so wie jede andere Erscheinung, aus
der Natur unausbleiblich abflossen. So wie aeussere Erscheinungen in
dasselbe einfloessen, wie sein empirischer Charakter, d.i. das Gesetz
seiner Kausalitaet, durch Erfahrung erkannt waere, muessten sich
alle seine Handlungen nach Naturgesetzen erklaeren lassen, und alle
Requisite zu einer vollkommenen und notwendigen Bestimmung derselben
muessten in einer moeglichen Erfahrung angetroffen werden.
Nach dem intelligiblen Charakter desselben aber (ob wir zwar davon
nichts als bloss den allgemeinen Begriff desselben haben koennen)
wuerde dasselbe Subjekt dennoch von allem Einflusse der Sinnlichkeit
und Bestimmung durch Erscheinungen freigesprochen werden muessen,
und, da in ihm, sofern es Noumenon ist, nichts geschieht, keine
Veraenderung, welche dynamische Zeitbestimmung erheischt, mithin keine
Verknuepfung mit Erscheinungen als Ursachen angetroffen wird, so
wuerde dieses taetige Wesen, so fern in seinen Handlungen von aller
Naturnotwendigkeit, als die lediglich in der Sinnenwelt angetroffen
wird, unabhaengig und frei sein. Man wuerde von ihm ganz richtig
sagen, dass es seine Wirkungen in der Sinnenwelt von selbst anfange,
ohne dass die Handlung in ihm selbst anfaengt; und dieses wuerde
gueltig sein, ohne dass die Wirkungen in der Sinnenwelt darum von
selbst anfangen duerfen, weil sie in derselben jederzeit durch
empirische Bedingungen in der vorigen Zeit, aber doch nur vermittelst
des empirischen Charakters (der bloss die Erscheinung des
intelligiblen ist), vorher bestimmt sein und nur als eine Fortsetzung
der Reihe der Naturursachen moeglich sind. So wuerde denn Freiheit und
Natur, jedes in seiner vollstaendigen Bedeutung, bei eben denselben
Handlungen, nachdem man sie mit ihrer intelligiblen oder sensiblen
Ursache vergleicht, zugleich und ohne allen Widerstreit angetroffen
werden.
Erlaeuterung
der kosmologischen Idee einer Freiheit in Verbindung mit der
allgemeinen Naturnotwendigkeit
Ich habe gut gefunden, zuerst den Schattenriss der Aufloesung unseres
transzendentalen Problems zu entwerfen, damit man den Gang der
Vernunft in Aufloesung desselben dadurch besser uebersehen moege.
Jetzt wollen wir die Momente ihrer Entscheidung, auf die es eigentlich
ankommt, auseinander setzen, und jedes besonders in Erwaegung ziehen.
Das Naturgesetz, dass alles, was geschieht, eine Ursache habe, dass
die Kausalitaet dieser Ursache, d.i. die Handlung, da sie in der Zeit
vorhergeht und in Betracht einer Wirkung, die da entstanden, selbst
nicht immer gewesen sein kann, sondern geschehen sein muss, auch ihre
Ursache unter den Erscheinungen habe, dadurch sie bestimmt wird, und
dass folglich alle Begebenheiten in einer Naturordnung empirisch
bestimmt sind; dieses Gesetz, durch welches Erscheinungen allererst
eine Natur ausmachen und Gegenstaende einer Erfahrung abgeben koennen,
ist ein Verstandesgesetz, von welchem es unter keinem Vorwande erlaubt
ist abzugehen, oder irgend eine Erscheinung davon auszunehmen; weil
man sie sonst ausserhalb aller moeglichen Erfahrung setzen, dadurch
aber von allen Gegenstaenden moeglicher Erfahrung unterscheiden und
sie zum blossen Gedankendinge und einem Hirngespinst machen wuerde.
Ob es aber gleich hierbei lediglich nach einer Kette von Ursachen
aussieht, die im Regressus zu ihren Bedingungen gar keine absolute
Totalitaet verstattet, so haelt uns diese Bedenklichkeit doch gar
nicht auf; denn sie ist schon in der allgemeinen Beurteilung der
Antinomie der Vernunft, wenn sie in der Reihe der Erscheinungen aufs
Unbedingte ausgeht, gehoben worden. Wenn wir der Taeuschung des
transzendentalen Realismus nachgeben wollen: so bleibt weder Natur,
noch Freiheit uebrig. Hier ist nur die Frage: ob, wenn man in der
ganzen Reihe aller Begebenheiten lauter Naturnotwendigkeit anerkennt,
es doch moeglich sei, eben dieselbe, die einerseits blosse
Naturwirkung ist, doch andererseits als Wirkung aus Freiheit
anzusehen, oder ob zwischen diesen zwei Arten von Kausalitaet ein
gerader Widerspruch angetroffen werde.
Unter den Ursachen in der Erscheinung kann sicherlich nichts sein,
welches eine Reihe schlechthin und von selbst anfangen koennte. Jede
Handlung, als Erscheinung, sofern sie eine Begebenheit hervorbringt,
ist selbst Begebenheit, oder Ereignis, welche einen anderen Zustand
voraussetzt, darin die Ursache angetroffen werde, und so ist alles,
was geschieht, nur eine Fortsetzung der Reihe, und kein Anfang, der
sich von selbst zutruege, in derselben moeglich. Also sind alle
Handlungen der Naturursachen in der Zeitfolge selbst wiederum
Wirkungen, die ihre Ursachen ebensowohl in der Zeitreihe voraussetzen.
Eine urspruengliche Handlung, wodurch etwas geschieht, was vorher
nicht war, ist von der Kausalverknuepfung der Erscheinungen nicht zu
erwarten.
Ist es denn aber auch notwendig, dass, wenn die Wirkungen
Erscheinungen sind, die Kausalitaet ihrer Ursache, die (naemlich
Ursache) selbst auch Erscheinung ist, lediglich empirisch sein muesse?
und ist es nicht vielmehr moeglich, dass, obgleich zu jeder Wirkung
in der Erscheinung eine Verknuepfung mit ihrer Ursache, nach Gesetzen
der empirischen Kausalitaet, allerdings erfordert wird, dennoch
diese empirische Kausalitaet selbst, ohne ihren Zusammenhang mit den
Naturursachen im mindestens zu unterbrechen, doch einer Wirkung einer
nichtempirischen, sondern intelligiblen Kausalitaet sein koenne? d.i.
einer, in Ansehung der Erscheinungen, urspruenglichen Handlung einer
Ursache, die also insofern nicht Erscheinung, sondern diesem Vermoegen
nach intelligibel ist, ob sie gleich uebrigens gaenzlich, als ein
Glied der Naturkette, mit zu der Sinnenwelt gezaehlt werden muss.
Wir beduerfen des Satzes der Kausalitaet der Erscheinungen
untereinander, um von Naturbegebenheiten Naturbedingungen, d.i.
Ursachen in der Erscheinung, zu suchen und angeben zu koennen. Wenn
dieses eingeraeumt und durch keine Ausnahme geschwaecht wird, so
hat der Verstand, der bei seinem empirischen Gebrauche in allen
Ereignissen nichts als Natur sieht, und dazu auch berechtigt ist,
alles, was er fordern kann, und die physischen Erklaerungen gehen
ihren ungehinderten Gang fort. Nun tut ihm das nicht den mindesten
Abbruch, gesetzt dass es uebrigens auch bloss erdichtet sein sollte,
wenn man annimmt, dass unter den Naturursachen es auch welche gebe,
die ein Vermoegen haben, welches nur intelligibel ist, indem die
Bestimmung desselben zur Handlung niemals auf empirischen Bedingungen,
sondern auf blossen Gruenden des Verstandes beruht, so doch, dass die
Handlung in der Erscheinung von dieser Ursache allen Gesetzen der
empirischen Kausalitaet gemaess sei. Denn auf diese Art wuerde
das handelnde Subjekt, als causa phaenomenon, mit der Natur in
unzertrennter Abhaengigkeit aller ihrer Handlungen verkettet sein, und
nur das phaenomenon, dieses Subjekts (mit aller Kausalitaet desselben
in der Erscheinung) wuerde gewisse Bedingungen enthalten, die, wenn
man von dem empirischen Gegenstande zu dem transzendentalen aufsteigen
will, als bloss intelligibel muessten angesehen werden. Denn wenn wir
nur in dem, was unter den Erscheinungen die Ursache sein mag, der
Naturregel folgen: so koennen wir darueber unbekuemmert sein, was in
dem transzendentalen Subjekt, welches uns empirisch unbekannt ist,
fuer ein Grund von diesen Erscheinungen und deren Zusammenhange
gedacht werde. Dieser intelligible Grund ficht gar nicht die
empirischen Fragen an, sondern betrifft etwa bloss das Denken im
reinen Verstande und, obgleich die Wirkungen dieses Denkens und
Handelns des reinen Verstandes in den Erscheinungen angetroffen
werden, so muessen diese doch nichts desto minder aus ihrer Ursache in
der Erscheinung nach Naturgesetzen vollkommen erklaert werden koennen,
indem man den bloss empirischen Charakter derselben, als den obersten
Erklaerungsgrund, befolgt, und den intelligiblen Charakter, der
die transzendentale Ursache von jenem ist, gaenzlich als unbekannt
vorbeigeht, ausser sofern er nur durch den empirischen als das
sinnliche Zeichen desselben angegeben wird. Lasst uns dieses auf
Erfahrung anwenden. Der Mensch ist eine von den Erscheinungen
der Sinnenwelt, und insofern auch eine der Naturursachen, deren
Kausalitaet unter empirischen Gesetzen stehen muss. Als eine solche
muss er demnach auch einen empirischen Charakter haben, so wie
alle anderen Naturdinge. Wir bemerken denselben durch Kraefte und
Vermoegen, die es in seinen Wirkungen aeussert. Bei der leblosen,
oder bloss tierischbelebten Natur, finden wir keinen Grund, irgendein
Vermoegen uns anders als bloss sinnlich bedingt zu denken. Allein der
Mensch, der die ganze Natur sonst lediglich nur durch Sinne kennt,
erkennt sich selbst auch durch blosse Apperzeption, und zwar in
Handlungen und inneren Bestimmungen, die er gar nicht zum Eindrucke
der Sinne zaehlen kann, und ist sich selbst freilich einesteils
Phaenomen, anderenteils aber, naemlich in Ansehung gewisser Vermoegen,
ein bloss intelligibler Gegenstand, weil die Handlung desselben gar
nicht zur Rezeptivitaet der Sinnlichkeit gezaehlt werden kann. Wir
nennen diese Vermoegen Verstand und Vernunft, vornehmlich wird
die letztere ganz eigentlich und vorzueglicherweise von allen
empirischbedingten Kraeften unterschieden, da sie ihre Gegenstaende
bloss nach Ideen erwaegt und den Verstand darnach bestimmt, der dann
von seinen (zwar auch reinen) Begriffen einen empirischen Gebrauch
macht.
Dass diese Vernunft nun Kausalitaet habe, wenigstens wir uns eine
dergleichen an ihr vorstellen, ist aus den Imperativen klar, welche
wir in allem Praktischen den ausuebenden Kraeften als Regeln aufgeben.
Das Sollen drueckt eine Art von Notwendigkeit und Verknuepfung mit
Gruenden aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkommt. Der
Verstand kann von dieser nur erkennen, was da ist, oder gewesen ist,
oder sein wird. Es ist unmoeglich, dass etwas darin anders sein soll,
als es in allen diesen Zeitverhaeltnissen in der Tat ist, ja das
Sollen, wenn man bloss den Lauf der Natur vor Augen hat, hat ganz und
gar keine Bedeutung. Wir koennen gar nicht fragen: was in der Natur
geschehen soll; ebensowenig, als: was fuer Eigenschaften ein Zirkel
haben soll, sondern, was darin geschieht, oder welche Eigenschaften
der letztere hat.
Dieses Sollen nun drueckt eine moegliche Handlung aus, davon der Grund
nichts anderes, als ein blosser Begriff ist; da hingegen von einer
blossen Naturhandlung der Grund jederzeit eine Erscheinung sein muss.
Nun muss die Handlung allerdings unter Naturbedingungen moeglich sein,
wenn auf sie das Sollen gerichtet ist; aber diese Naturbedingungen
betreffen nicht die Bestimmung der Willkuer selbst, sondern nur die
Wirkung und den Erfolg derselben in der Erscheinung. Es moegen noch so
viel Naturgruende sein, die mich zum Wollen antreiben, noch so viel
sinnliche Anreize, so koennen sie nicht das Sollen hervorbringen,
sondern nur ein noch lange nicht notwendiges, sondern jederzeit
bedingtes Wollen, dem dagegen das Sollen, das die Vernunft ausspricht,
Mass und Ziel, ja Verbot und Ansehen entgegen setzt. Es mag ein
Gegenstand der blossen Sinnlichkeit (das Angenehme) oder auch der
reinen Vernunft (das Gute) sein: so gibt die Vernunft nicht demjenigen
Grunde, der empirisch gegeben ist, nach, und folgt nicht der Ordnung
der Dinge, so wie sie sich in der Erscheinung darstellen, sondern
macht sich mit voelliger Spontaneitaet eine eigene Ordnung nach Ideen,
in die sie die empirischen Bedingungen hinein passt, und nach denen
sie sogar Handlungen fuer notwendig erklaert, die doch nicht geschehen
sind und vielleicht nicht geschehen werden, von allen aber gleichwohl
voraussetzt, dass die Vernunft in Beziehung auf sie Kausalitaet haben
koenne; denn, ohne das, wuerde sie nicht von ihren Ideen Wirkungen in
der Erfahrung erwarten.
Nun lasst uns hierbei stehenbleiben und es wenigstens als moeglich
annehmen: die Vernunft habe wirklich Kausalitaet in Ansehung der
Erscheinungen: so muss sie, so sehr sie auch Vernunft ist, dennoch
einen empirischen Charakter von sich zeigen, weil jede Ursache eine
Regel voraussetzt, darnach gewisse Erscheinungen als Wirkungen folgen,
und jede Regel eine Gleichfoermigkeit der Wirkungen erfordert, die
den Begriff der Ursache (als eines Vermoegens) gruendet, welchen wir,
sofern er aus blossen Erscheinungen erhellen muss, seinen empirischen
Charakter heissen koennen, der bestaendig ist, indessen die Wirkungen,
nach Verschiedenheit der begleitenden und zum Teil einschraenkenden
Bedingungen, in veraenderlichen Gestalten erscheinen.
So hat denn jeder Mensch einen empirischen Charakter seiner Willkuer,
welcher nichts anderes ist, als eine gewisse Kausalitaet seiner
Vernunft, sofern diese an ihren Wirkungen in der Erscheinung eine
Regel zeigt, darnach man die Vernunftgruende und die Handlungen
derselben nach ihrer Art und ihren Graden abnehmen, und die
subjektiven Prinzipien seiner Willkuer beurteilen kann. Weil dieser
empirische Charakter selbst aus den Erscheinungen als Wirkung und aus
der Regel derselben, welche Erfahrung an die Hand gibt, gezogen werden
muss: so sind alle Handlungen des Menschen in der Erscheinung aus
seinem empirischen Charakter und den mitwirkenden anderen Ursachen
nach der Ordnung der Natur bestimmt, und wenn wir alle Erscheinungen
seiner Willkuer bis auf den Grund erforschen koennten, so wuerde es
keine einzige menschliche Handlung geben, die wir nicht mit Gewissheit
vorhersagen und aus ihren vorhergehenden Bedingungen als notwendig
erkennen koennten. In Ansehung dieses empirischen Charakters gibt
es also keine Freiheit, und nach diesem koennen wir doch allein den
Menschen betrachten, wenn wir lediglich beobachten, und, wie es in der
Anthropologie geschieht, von seinen Handlungen die bewegenden Ursachen
physiologisch erforschen wollen.
Wenn wir aber eben dieselben Handlungen in Beziehung auf die Vernunft
erwaegen, und zwar nicht die spekulative, um jene ihrem Ursprunge nach
zu erklaeren, sondern ganz allein, sofern Vernunft die Ursache ist,
sie selbst zu erzeugen; mit einem Worte, vergleichen wir sie mit
dieser in praktischer Absicht, so finden wir eine ganz andere Regel
und Ordnung, als die Naturordnung ist. Denn da sollte vielleicht alles
das nicht geschehen sein, was doch nach dem Naturlaufe geschehen ist,
und nach seinen empirischen Gruenden unausbleiblich geschehen musste.
Bisweilen aber finden wir, oder glauben wenigstens zu finden, dass die
Ideen der Vernunft wirklich Kausalitaet in Ansehung der Handlungen
des Menschen, als Erscheinungen, bewiesen haben, und dass sie darum
geschehen sind, nicht weil sie durch empirische Ursachen, nein,
sondern weil sie durch Gruende der Vernunft bestimmt waren.
Gesetzt nun, man koennte sagen: die Vernunft habe Kausalitaet in
Ansehung der Erscheinung; koennte da wohl die Handlung derselben frei
heissen, da sie im empirischen Charakter derselben (der Sinnesart)
ganz genau bestimmt und notwendig ist? Dieser ist wiederum im
intelligiblen Charakter (der Denkungsart) bestimmt. Die letztere
kennen wir aber nicht, sondern bezeichnen sie durch Erscheinungen,
welche eigentlich nur die Sinnesart (empirischen Charakter)
unmittelbar zu erkennen geben*. Die Handlung nun, sofern sie der
Denkungsart, als ihrer Ursache, beizumessen ist, erfolgt dennoch
daraus gar nicht nach empirischen Gesetzen, d.i. so, dass die
Bedingungen der reinen Vernunft, sondern nur so, dass deren Wirkungen
in der Erscheinung des inneren Sinnes vorhergehen. Die reine Vernunft,
als ein bloss intelligibles Vermoegen, ist der Zeitform, und mithin
auch den Bedingungen der Zeitfolge, nicht unterworfen. Die Kausalitaet
der Vernunft im intelligiblen Charakter entsteht nicht, oder hebt
nicht etwa zu einer gewissen Zeit an, um eine Wirkung hervorzubringen.
Denn sonst wuerde sie selbst dem Naturgesetz der Erscheinungen, sofern
es Kausalreihen der Zeit nach bestimmt, unterworfen sein, und die
Kausalitaet waere alsdann Natur, und nicht Freiheit. Also werden wir
sagen koennen: wenn Vernunft Kausalitaet in Ansehung der Erscheinungen
haben kann; so ist sie ein Vermoegen, durch welches die sinnliche
Bedingung einer empirischen Reihe von Wirkungen zuerst anfaengt. Denn
die Bedingung, die in der Vernunft liegt, ist nicht sinnlich, und
faengt also selbst nicht an. Demnach findet alsdann dasjenige statt,
was wir in allen empirischen Reihen vermissten: dass die Bedingung
einer sukzessiven Reihe von Begebenheiten selbst empirischunbedingt
sein konnte. Denn hier ist die Bedingung ausser der Reihe der
Erscheinungen (im Intelligiblen) und mithin keiner sinnlichen
Bedingung und keiner Zeitbestimmung durch vorbeigehende Ursache
unterworfen.
* Die eigentliche Moralitaet der Handlungen (Verdienst und Schuld)
  bleibt uns daher, selbst die unseres eigenen Verhaltens, gaenzlich
  verborgen. Unsere Zurechnungen koennen nur auf den empirischen
  Charakter bezogen werden. Wie viel aber davon reine Wirkung der
  Freiheit, wie viel der blossen Natur und dem unverschuldeten Fehler
  des Temperaments, oder dessen gluecklicher Beschaffenheit (merito
  fortunae) zuzuschreiben sei, kann niemand ergruenden, und daher auch
  nicht nach voelliger Gerechtigkeit richten.
Gleichwohl gehoert doch eben dieselbe Ursache in einer anderen
Beziehung auch zur Reihe der Erscheinungen. Der Mensch ist selbst
Erscheinung. Seine Willkuer hat einen empirischen Charakter, der die
(empirische) Ursache aller seiner Handlungen ist. Es ist keine der
Bedingungen, die den Menschen diesem Charakter gemaess bestimmen,
welche nicht in der Reihe der Naturwirkungen enthalten waere
und dem Gesetze derselben gehorchte, nach welchem gar keine
empirischunbedingte Kausalitaet von dem, was in der Zeit geschieht,
angetroffen wird. Daher kann keine gegebene Handlung (weil sie nur als
Erscheinung wahrgenommen werden kann) schlechthin von selbst anfangen.
Aber von der Vernunft kann man nicht sagen, dass vor demjenigen
Zustande, darin sie die Willkuer bestimmt, ein anderer vorhergehe,
darin dieser Zustand selbst bestimmt wird. Denn da Vernunft selbst
keine Erscheinung und gar keinen Bedingungen der Sinnlichkeit
unterworfen ist, so findet in ihr, selbst in Betreff ihrer
Kausalitaet, keine Zeitfolge statt, und auf sie kann also das
dynamische Gesetz der Natur, was die Zeitfolge nach Regeln bestimmt,
nicht angewandt werden.
Die Vernunft ist also die beharrliche Bedingung aller willkuerlichen
Handlungen, unter denen der Mensch erscheint. Jede derselben ist im
empirischen Charakter des Menschen vorher bestimmt, ehe noch als sie
geschieht. In Ansehung des intelligiblen Charakters, wovon jener nur
das sinnliche Schema ist, gilt kein Vorher, oder Nachher, und jede
Handlung, unangesehen des Zeitverhaeltnisses, darin sie mit anderen
Erscheinungen steht, ist die unmittelbare Wirkung des intelligiblen
Charakters der reinen Vernunft, welche mithin frei handelt, ohne in
der Kette der Naturursachen, durch aeussere oder innere, aber der Zeit
nach vorhergehende Gruende, dynamisch bestimmt zu sein, und diese
ihre Freiheit kann man nicht allein negativ als Unabhaengigkeit
von empirischen Bedingungen ansehen, (denn dadurch wuerde das
Vernunftvermoegen aufhoeren, eine Ursache der Erscheinungen zu sein,)
sondern auch positiv durch ein Vermoegen bezeichnen, eine Reihe von
Begebenheiten von selbst anzufangen, so, dass in ihr selbst nichts
anfaengt, sondern sie, als unbedingte Bedingung jeder willkuerlichen
Handlung, ueber sich keine der Zeit nach vorhergehende Bedingungen
verstattet, indessen dass doch ihre Wirkung in der Reihe der
Erscheinungen anfaengt, aber darin niemals einen schlechthin ersten
Anfang ausmachen kann.
Um das regulative Prinzip der Vernunft durch ein Beispiel aus dem
empirischen Gebrauche desselben zu erlaeutern, nicht um es zu
bestaetigen (denn dergleichen Beweise sind zu transzendentalen
Behauptungen untauglich), so nehme man eine willkuerliche Handlung, z.
E. eine boshafte Luege, durch die ein Mensch eine gewisse Verwirrung
in die Gesellschaft gebracht hat, und die man zuerst ihren
Bewegursachen nach, woraus sie entstanden, untersucht, und darauf
beurteilt, wie sie samt ihren Folgen ihm zugerechnet werden koennen.
In der ersten Absicht geht man seinen empirischen Charakter bis zu
den Quellen desselben durch, die man in der schlechten Erziehung,
uebler Gesellschaft, zum Teil auch in der Boesartigkeit eines fuer
Beschaemung unempfindlichen Naturells, aufsucht, zum Teil auf
den Leichtsinn und Unbesonnenheit schiebt; wobei man denn die
veranlassenden Gelegenheitsursachen nicht aus der Acht laesst. In
allem diesem verfaehrt man, wie ueberhaupt in Untersuchung der Reihe
bestimmender Ursachen zu einer gegebenen Naturwirkung. Ob man nun
gleich die Handlung dadurch bestimmt zu sein glaubt: so tadelt
man nichtsdestoweniger den Taeter, und zwar nicht wegen seines
ungluecklichen Naturells, nicht wegen der auf ihn einfliessenden
Umstaende, ja sogar nicht wegen seines vorher gefuehrten
Lebenswandels, denn man setzt voraus, man koenne es gaenzlich beiseite
setzen, wie dieser beschaffen gewesen, und die verflossene Reihe von
Bedingungen als ungeschehen, diese Tat aber als gaenzlich unbedingt in
Ansehung des vorigen Zustandes ansehen, als ob der Taeter damit eine
Reihe von Folgen ganz von selbst anhebe. Dieser Tadel gruendet sich
auf ein Gesetz der Vernunft, wobei man diese als eine Ursache ansieht,
welche das Verhalten des Menschen, unangesehen aller genannten
empirischen Bedingungen, anders habe bestimmen koennen und sollen.
Und zwar sieht man die Kausalitaet der Vernunft nicht etwa bloss wie
Konkurrenz, sondern an sich selbst als vollstaendig an, wenngleich
die sinnlichen Triebfedern gar nicht dafuer, sondern wohl gar dawider
waeren; die Handlung wird seinem intelligiblen Charakter beigemessen,
er hat jetzt, in dem Augenblicke, da er luegt, gaenzlich Schuld;
mithin war die Vernunft, unerachtet aller empirischen Bedingungen
der Tat, voellig frei, und ihrer Unterlassung ist diese gaenzlich
beizumessen.
Man sieht diesem zurechnenden Urteil es leicht an, dass man dabei
in Gedanken habe, die Vernunft werde durch alle jene Sinnlichkeit
gar nicht affiziert, sie veraendere sich nicht (wenngleich ihre
Erscheinungen, naemlich die Art, wie sie sich in ihren Wirkungen
zeigt, veraendern,) in ihr gehe kein Zustand vorher, der den folgenden
bestimme, mithin sie gehoere gar nicht in die Reihe der sinnlichen
Bedingungen, welche die Erscheinungen nach Naturgesetzen notwendig
machen. Sie, die Vernunft, ist allen Handlungen des Menschen in allen
Zeitumstaenden gegenwaertig und einerlei, selbst aber ist sie nicht
in der Zeit, und geraet etwa in einen neuen Zustand, darin sie vorher
nicht war; sie ist bestimmend, aber nicht bestimmbar in Ansehung
desselben. Daher kann man nicht fragen: warum hat sich nicht die
Vernunft anders bestimmt? sondern nur: warum hat sie die Erscheinungen
durch ihre Kausalitaet nicht anders bestimmt? Darauf aber ist keine
Antwort moeglich. Denn ein anderer intelligibler Charakter wuerde
einen anderen empirischen gegeben haben, und wenn wir sagen, dass
unerachtet seines ganzen, bis dahin gefuehrten, Lebenswandels, der
Taeter die Luege doch haette unterlassen koennen, so bedeutet dieses
nur, dass sie unmittelbar unter der Macht der Vernunft stehe, und die
Vernunft in ihrer Kausalitaet keinen Bedingungen der Erscheinung und
des Zeitlaufs unterworfen ist, der Unterschied der Zeit auch, zwar
einen Hauptunterschied der Erscheinungen respektive gegeneinander, da
diese aber keine Sachen, mithin auch nicht Ursachen an sich selbst
sind, keinen Unterschied der Handlung in Beziehung auf die Vernunft
machen koenne.
Wir koennen also mit der Beurteilung freier Handlungen, in Ansehung
ihrer Kausalitaet, nur bis an die intelligible Ursache, aber nicht
ueber dieselbe hinaus kommen; wir koennen erkennen, dass sie frei,
d.i. von der Sinnlichkeit unabhaengig bestimmt, und, auf solche Art,
die sinnlichunbedingte Bedingung der Erscheinungen sein koenne.
Warum aber der intelligible Charakter gerade diese Erscheinungen und
diesen empirischen Charakter unter vorliegenden Umstaenden gebe,
das ueberschreitet so weit alles Vermoegen unserer Vernunft es zu
beantworten, ja alle Befugnis derselben nur zu fragen, als ob man
fruege: woher der transzendentale Gegenstand unserer aeusseren
sinnlichen Anschauung gerade nur Anschauung im Raume und nicht
irgendeine andere gibt. Allein die Aufgabe, die wir aufzuloesen
hatten, verbindet uns hierzu gar nicht, denn sie war nur diese: ob
Freiheit der Naturnotwendigkeit in einer und derselben Handlung
widerstreite, und dieses haben wir hinreichend beantwortet, da wir
zeigten, dass, da bei jener eine Beziehung auf eine ganz andere Art
von Bedingungen moeglich ist, als bei dieser, das Gesetz der letzteren
die erstere nicht affiziere, mithin beide voneinander unabhaengig und
durcheinander ungestoert stattfinden koennen.
                          *           *
                                *
Man muss wohl bemerken: dass wir hierdurch nicht die Wirklichkeit
der Freiheit, als eines der Vermoegen, welche die Ursache von den
Erscheinungen unserer Sinnenwelt enthalten, haben dartun wollen Denn,
ausser dass dieses gar keine transzendentale Betrachtung, die bloss
mit Begriffen zu tun hat, gewesen sein wuerde, so koennte es auch
nicht gelingen, indem wir aus der Erfahrung niemals auf etwas, was gar
nicht nach Erfahrungsgesetzen gedacht werden muss, schliessen koennen.
Ferner haben wir auch gar nicht einmal die Moeglichkeit der Freiheit
beweisen wollen; denn dieses waere auch nicht gelungen, weil wir
ueberhaupt von keinem Realgrunde und keiner Kausalitaet, aus blossen
Begriffen a priori, die Moeglichkeit erkennen koennen. Die Freiheit
wird hier nur als transzendentale Idee behandelt, wodurch die
Vernunft die Reihe der Bedingungen in der Erscheinung durch das
Sinnlichunbedingte schlechthin anzuheben denkt, dabei sich aber in
eine Antinomie mit ihren eigenen Gesetzen, welche sie dem empirischen
Gebrauche des Verstandes vorschreibt, verwickelt. Dass nun diese
Antinomie auf einem blossen Scheine beruhe, und, dass Natur der
Kausalitaet aus Freiheit wenigstens nicht widerstreite, das war das
einzige, was wir leisten konnten, und woran es uns auch einzig und
allein gelegen war.
IV. Aufloesung der kosmologischen Idee
von der Totalitaet der Abhaengigkeit der Erscheinungen, ihrem Dasein
nach ueberhaupt
In der vorigen Nummer betrachteten wir die Veraenderungen der
Sinnenwelt in ihrer dynamischen Reihe, da eine jede unter einer
anderen, als ihrer Ursache, steht. Jetzt dient uns diese Reihe der
Zustaende nur zur Leitung, um zu einem Dasein zu gelangen, das die
hoechste Bedingung alles Veraenderlichen sein koenne, naemlich dem
notwendigen Wesen. Es ist hier nicht um die unbedingte Kausalitaet,
sondern die unbedingte Existenz der Substanz selbst zu tun. Also ist
die Reihe, welche wir vor uns haben, eigentlich nur die von Begriffen,
und nicht von Anschauungen, insofern die eine die Bedingung der
anderen ist.
Man sieht aber leicht: dass, da alles in dem Inbegriffe der
Erscheinungen veraenderlich, mithin im Dasein bedingt ist, es ueberall
in der Reihe des abhaengigen Daseins kein unbedingtes Glied geben
koenne, dessen Existenz schlechthin notwendig waere, und dass also,
wenn Erscheinungen Dinge an sich selbst waeren, eben darum aber ihre
Bedingung mit dem Bedingten jederzeit zu einer und derselben Reihe
der Anschauungen gehoerte, ein notwendiges Wesen, als Bedingung des
Daseins der Erscheinungen der Sinnenwelt, niemals stattfinden koennte.
Es hat aber der dynamische Regressus dieses Eigentuemliche und
Unterscheidende von dem mathematischen an sich: dass, da dieser es
eigentlich nur mit der Zusammensetzung der Teile zu einem Ganzen,
oder der Zerfaellung eines Ganzen in seine Teile, zu tun hat, die
Bedingungen dieser Reihe immer als Teile derselben, mithin als
gleichartig, folglich als Erscheinungen angesehen werden muessen,
anstatt dass in jenem Regressus, da es nicht um die Moeglichkeit eines
unbedingten Ganzen aus gegebenen Teilen, oder eines unbedingten Teils
zu einem gegebenen Ganzen, sondern um die Ableitung eines Zustandes
von seiner Ursache, oder des zufaelligen Daseins der Substanz selbst
von der notwendigen zu tun ist, die Bedingung nicht eben notwendig mit
dem Bedingten eine empirische Reihe ausmachen duerfe.
Also bleibt uns, bei der vor uns liegenden scheinbaren Antinomie, noch
ein Ausweg offen, da naemlich alle beide einander widerstreitenden
Saetze in verschiedener Beziehung zugleich wahr sein koennen, so, dass
alle Dinge der Sinnenwelt durchaus zufaellig sind, mithin auch immer
nur empirischbedingte Existenz haben, gleichwohl von der ganzen Reihe,
auch eine nichtempirische Bedingung, d.i. ein unbedingtnotwendiges
Wesen stattfinde. Denn dieses wuerde, als intelligible Bedingung, gar
nicht zur Reihe als ein Glied derselben (nicht einmal als das oberste
Glied) gehoeren, und auch kein Glied der Reihe empirischunbedingt
machen, sondern die ganze Sinnenwelt in ihrem durch alle Glieder
gehenden empirischbedingten Dasein lassen. Darin wuerde sich also
diese Art, ein unbedingtes Dasein den Erscheinungen zum Grunde zu
legen, von der empirischunbedingten Kausalitaet (der Freiheit), im
vorigen Artikel, unterscheiden, dass bei der Freiheit das Ding selbst,
als Ursache (Substantia phaenomenon), dennoch in die Reihe der
Bedingungen gehoerte, und nur seine Kausalitaet als intelligibel
gedacht wurde, hier aber das notwendige Wesen ganz ausser der Reihe
der Sinnenwelt (als ens extramundanum) und bloss intelligibel gedacht
werden muesste, wodurch allein es verhuetet werden kann, dass es
nicht selbst dem Gesetze der Zufaelligkeit und Abhaengigkeit aller
Erscheinungen unterworfen werde.
Das regulative Prinzip der Vernunft ist also in Ansehung dieser
unserer Aufgabe: dass alles in der Sinnenwelt empirischbedingte
Existenz habe, und dass es ueberall in ihr in Ansehung keiner
Eigenschaft eine unbedingte Notwendigkeit gebe: dass kein Glied der
Reihe von Bedingungen sei, davon man nicht immer die empirische
Bedingung in einer moeglichen Erfahrung erwarten, und, soweit man
kann, suchen muesse, und nichts uns berechtige, irgendein Dasein von
einer Bedingung ausserhalb der empirischen Reihe abzuleiten, oder
auch es als in der Reihe selbst fuer schlechterdings unabhaengig und
selbstaendig zu halten, gleichwohl aber dadurch gar nicht in Abrede zu
ziehen, dass nicht die ganze Reihe in irgendeinem intelligiblen Wesen
(welches darum von aller empirischen Bedingung frei ist, und vielmehr
den Grund der Moeglichkeit aller dieser Erscheinungen enthaelt,)
gegruendet sein koenne.
Es ist aber hierbei gar nicht die Meinung, das unbedingtnotwendige
Dasein eines Wesens zu beweisen, oder auch nur die Moeglichkeit einer
bloss intelligiblen Bedingung der Existenz der Erscheinungen der
Sinnenwelt hierauf zu gruenden, sondern nur eben so, wie wir die
Vernunft einschraenken, dass sie nicht den Faden der empirischen
Bedingungen verlasse, und sich in transzendente und keiner Darstellung
in concreto faehige Erklaerungsgruende verlaufe, also auch,
andererseits, das Gesetz des bloss empirischen Verstandesgebrauchs
dahin einzuschraenken, dass es nicht ueber die Moeglichkeit der Dinge
ueberhaupt entscheide, und das Intelligible, ob es gleich von uns zur
Erklaerung der Erscheinungen nicht zu gebrauchen ist, darum nicht
fuer unmoeglich erklaere. Es wird also dadurch nur gezeigt, dass
die durchgaengige Zufaelligkeit aller Naturdinge und aller ihrer
(empirischen) Bedingungen, ganz wohl mit der willkuerlichen
Voraussetzung einer notwendigen, obzwar bloss intelligiblen Bedingung
zusammen bestehen koenne, also kein wahrer Widerspruch zwischen
diesen Behauptungen anzutreffen sei, mithin sie beiderseits wahr
sein koennen. Es mag immer ein solches schlechthinnotwendiges
Verstandeswesen an sich unmoeglich sein, so kann dieses doch aus der
allgemeinen Zufaelligkeit und Abhaengigkeit alles dessen, was zur
Sinnenwelt gehoert, imgleichen aus dem Prinzip, bei keinem einzigen
Gliede derselben, sofern es zufaellig ist, aufzuhoeren und sich auf
eine Ursache ausser der Welt zu berufen, keineswegs geschlossen
werden. Die Vernunft geht ihren Gang im empirischen und ihren
besonderen Gang im transzendentalen Gebrauche.
Die Sinnenwelt enthaelt nichts als Erscheinungen, diese aber sind
blosse Vorstellungen, die immer wiederum sinnlich bedingt sind, und,
da wir hier niemals Dinge an sich selbst zu unseren Gegenstaenden
haben, so ist nicht zu verwundern, dass wir niemals berechtigt sind,
von einem Gliede der empirischen Reihen, welches es auch sei, einen
Sprung ausser dem Zusammenhange der Sinnlichkeit zu tun, gleich als
wenn es Dinge an sich selbst waeren, die ausser ihrem transzendentalen
Grunde existierten, und die man verlassen koennte, um die Ursache
ihres Daseins ausser ihnen zu suchen; welches bei zufaelligen
Dingen allerdings endlich geschehen muesste, aber nicht bei blossen
Vorstellungen von Dingen, deren Zufaelligkeit selbst nur Phaenomen
ist, und auf keinen anderen Regressus, als denjenigen, der die
Phaenomena bestimmt, d.i. der empirisch ist, fuehren kann. Sich aber
einen intelligiblen Grund der Erscheinungen, d.i. der Sinnenwelt, und
denselben befreit von der Zufaelligkeit der letzteren, denken, ist
weder dem uneingeschraenkten empirischen Regressus in der Reihe
der Erscheinungen, noch der durchgaengigen Zufaelligkeit derselben
entgegen. Das ist aber auch das Einzige, was wir zur Hebung der
scheinbaren Antinomie zu leisten hatten, und was sich nur auf diese
Weise tun liess. Denn, ist die jedesmalige Bedingung zu jedem
Bedingten (dem Dasein nach) sinnlich, und eben darum zur Reihe
gehoerig, so ist sie selbst wiederum bedingt (wie die Antithesis
der vierten Antinomie es aufweist). Es musste also entweder ein
Widerstreit mit der Vernunft, die das Unbedingte fordert, bleiben,
oder dieses ausser der Reihe in dem Intelligiblen gesetzt werden,
dessen Notwendigkeit keine empirische Bedingung erfordert, noch
verstattet, und also, respektive auf Erscheinungen, unbedingt
notwendig ist.
Der empirische Gebrauch der Vernunft (in Ansehung der Bedingungen des
Daseins in der Sinnenwelt) wird durch die Einraeumung eines bloss
intelligiblen Wesens nicht affiziert, sondern geht nach dem Prinzip
der durchgaengigen Zufaelligkeit, von empirischen Bedingungen
zu hoeheren, die immer ebensowohl empirisch sind. Ebensowenig
schliesst aber auch dieser regulative Grundsatz die Annehmung einer
intelligiblen Ursache, die nicht in der Reihe ist, aus, wenn es um
den reinen Gebrauch der Vernunft (in Ansehung der Zwecke) zu tun ist.
Denn da bedeutet jene nur den fuer uns bloss transzendentalen und
unbekannten Grund der Moeglichkeit der sinnlichen Reihe ueberhaupt,
dessen, von allen Bedingungen der letzteren unabhaengiges und in
Ansehung dieser unbedingtnotwendiges, Dasein der unbegrenzten
Zufaelligkeit der ersteren, und darum auch dem nirgend geendigten
Regressus in der Reihe empirischer Bedingungen, gar nicht entgegen
ist.
Schlussanmerkung
zur ganzen Antinomie der reinen Vernunft
Solange wir mit unseren Vernunftbegriffen bloss die Totalitaet der
Bedingungen in der Sinnenwelt, und was in Ansehung ihrer der Vernunft
zu Diensten geschehen kann, zum Gegenstande haben: so sind unsere
Ideen zwar transzendental, aber doch kosmologisch. Sobald wir aber
das Unbedingte (um das es doch eigentlich zu tun ist) in demjenigen
setzen, was ganz ausserhalb der Sinnenwelt, mithin ausser aller
moeglichen Erfahrung ist, so werden die Ideen transzendent; sie dienen
nicht bloss zur Vollendung des empirischen Vernunftgebrauchs (der
immer eine nie auszufuehrende, aber dennoch zu befolgende Idee
bleibt), sondern sie trennen sich davon gaenzlich, und machen sich
selbst Gegenstaende, deren Stoff nicht aus Erfahrung genommen, deren
objektive Realitaet auch nicht auf der Vollendung der empirischen
Reihe, sondern auf reinen Begriffen a priori beruht. Dergleichen
transzendente Ideen haben einen bloss intelligiblen Gegenstand,
welchen als ein transzendentales Objekt, von dem man uebrigens nichts
weiss, zuzulassen, es allerdings erlaubt ist, wozu aber, um es als ein
durch seine unterscheidenden und inneren Praedikate bestimmbares Ding
zu denken, wir weder Gruende der Moeglichkeit (als unabhaengig von
allen Erfahrungsbegriffen), noch die mindeste Rechtfertigung, einen
solchen Gegenstand anzunehmen, auf unserer Seite haben, und welches
daher ein blosses Gedankending ist. Gleichwohl dringt uns, unter allen
kosmologischen Ideen, diejenige, so die vierte Antinomie veranlasste,
diesen Schritt zu wagen. Denn das in sich selbst ganz und gar nicht
gegruendete, sondern stets bedingte, Dasein der Erscheinungen fordert
uns auf: uns nach etwas von allen Erscheinungen Unterschiedenem,
mithin einem intelligiblen Gegenstande umzusehen, bei welchem diese
Zufaelligkeit aufhoere. Weil aber, wenn wir uns einmal die Erlaubnis
genommen haben, ausser dem Feld der gesamten Sinnlichkeit eine fuer
sich bestehende Wirklichkeit anzunehmen, Erscheinungen nur als
zufaellige Vorstellungsarten intelligibler Gegenstaende, von solchen
Wesen, die selbst Intelligenzen sind, anzusehen: so bleibt uns nichts
anderes uebrig als die Analogie, nach der wir die Erfahrungsbegriffe
nutzen, um uns von intelligiblen Dingen, von denen wir an sich nicht
die mindeste Kenntnis haben, doch irgend einigen Begriff zu machen.
Weil wir das Zufaellige nicht anders als durch Erfahrung kennenlernen,
hier aber von Dingen, die gar nicht Gegenstaende der Erfahrung sein
sollen, die Rede ist, so werden wir ihre Kenntnis aus dem, was an sich
notwendig ist, aus reinen Begriffen von Dingen ueberhaupt, ableiten
muessen. Daher noetigt uns der erste Schritt, den wir ausser der
Sinnenwelt tun, unsere neuen Kenntnisse von der Untersuchung des
schlechthinnotwendigen Wesens anzufangen, und von den Begriffen
desselben die Begriffe von allen Dingen, sofern sie bloss intelligibel
sind, abzuleiten, und diesen Versuch wollen wir in dem folgenden
Hauptstuecke anstellen.
Des zweiten Buchs der transzendentalen Dialektik
Drittes Hauptstueck
Das Ideal der reinen Vernunft
Erster Abschnitt
Von dem Ideal ueberhaupt
Wir haben oben gesehen, dass durch reine Verstandesbegriffe, ohne
alle Bedingungen der Sinnlichkeit, gar keine Gegenstaende koennen
vorgestellt werden, weil die Bedingungen der objektiven Realitaet
derselben fehlen, und nichts, als die blosse Form des Denkens, in
ihnen angetroffen wird. Gleichwohl koennen sie in concreto dargestellt
werden, wenn man sie auf Erscheinungen anwendet; denn an ihnen haben
sie eigentlich den Stoff zum Erfahrungsbegriffe, der nichts als ein
Verstandesbegriff in concreto ist. Ideen aber sind noch weiter von
der objektiven Realitaet entfernt, als Kategorien; denn es kann keine
Erscheinung gefunden werden, an der sie sich in concreto vorstellen
liessen. Sie enthalten eine gewisse Vollstaendigkeit, zu welcher
keine moegliche empirische Erkenntnis zulangt, und die Vernunft
hat dabei nur eine systematische Einheit im Sinne, welcher sie die
empirischmoegliche Einheit zu naehern sucht, ohne sie jemals voellig
zu erreichen.
Aber noch weiter, als die Idee, scheint dasjenige von der objektiven
Realitaet entfernt zu sein, was ich das Ideal nenne, und worunter ich
die Idee, nicht bloss in concreto, sondern in individuo, d.i. als ein
einzelnes, durch die Idee allein bestimmbares, oder gar bestimmtes
Ding, verstehe.
Die Menschheit in ihrer ganzen Vollkommenheit, enthaelt nicht allein
die Erweiterung aller zu dieser Natur gehoerigen wesentlichen
Eigenschaften, welche unseren Begriff von derselben ausmachen, bis zur
vollstaendigen Kongruenz mit ihren Zwecken, welches unsere Idee der
vollkommenen Menschheit sein wuerde, sondern auch alles, was ausser
diesem Begriffe zu der durchgaengigen Bestimmung der Idee gehoert;
denn von allen entgegengesetzten Praedikaten kann sich doch nur ein
einziges zu der Idee des vollkommensten Menschen schicken. Was uns
ein Ideal ist, war dem Plato eine Idee des goettlichen Verstandes,
ein einzelner Gegenstand in der reinen Anschauung desselben, das
Vollkommenste einer jeden Art moeglicher Wesen und der Urgrund aller
Nachbilder in der Erscheinung.
Ohne uns aber so weit zu versteigen, muessen wir gestehen, dass die
menschliche Vernunft nicht allein Ideen, sondern auch Ideale enthalte,
die zwar nicht, wie die platonischen, schoepferische, aber doch
praktische Kraft (als regulative Prinzipien) haben, und der
Moeglichkeit der Vollkommenheit gewisser Handlungen zum Grunde liegen.
Moralische Begriffe sind nicht gaenzlich reine Vernunftbegriffe,
weil ihnen etwas Empirisches (Lust oder Unlust) zum Grunde liegt.
Gleichwohl koennen sie in Ansehung des Prinzips, wodurch die Vernunft
der an sich gesetzlosen Freiheit Schranken setzt, (also wenn man
bloss auf ihre Form acht hat,) gar wohl zum Beispiele reiner
Vernunftbegriffe dienen. Tugend, und, mit ihr, menschliche Weisheit in
ihrer ganzen Reinigkeit, sind Ideen. Aber der Weise (des Stoikers) ist
ein Ideal, d.i. ein Mensch, der bloss in Gedanken existiert, der aber
mit der Idee der Weisheit voellig kongruiert. So wie die Idee die
Regel gibt, so dient das Ideal in solchem Falle zum Urbilde, der
durchgaengigen Bestimmung des Nachbildes, und wir haben kein anderes
Richtmass unserer Handlungen, als das Verhalten dieses goettlichen
Menschen in uns, womit wir uns vergleichen, beurteilen, und dadurch
uns bessern, obgleich es niemals erreichen koennen. Diese Ideale,
ob man ihnen gleich nicht objektive Realitaet (Existenz) zugestehen
moechte, sind doch um deswillen nicht fuer Hirngespinste anzusehen,
sondern geben ein unentbehrliches Richtmass der Vernunft ab, die des
Begriffs von dem, was in seiner Art ganz vollstaendig ist, bedarf,
um danach den Grad und die Maengel des Unvollstaendigen zu schaetzen
und abzumessen. Das Ideal aber in einem Beispiele, d.i. in der
Erscheinung, realisieren wollen, wie etwa den Weisen in einem Roman,
ist untunlich, und hat ueberdem etwas Widersinnisches und wenig
Erbauliches an sich, indem die natuerlichen Schranken, welche der
Vollstaendigkeit in der Idee kontinuierlich Abbruch tun, alle Illusion
in solchem Versuche unmoeglich und dadurch das Gute, das in der Idee
liegt, selbst verdaechtig und einer blossen Erdichtung aehnlich
machen.
So ist es mit dem Ideale der Vernunft bewandt, welches jederzeit auf
bestimmten Begriffen beruhen und zur Regel und Urbilde, es sei der
Befolgung, oder Beurteilung, dienen muss. Ganz anders verhaelt es sich
mit denen Geschoepfen der Einbildungskraft, darueber sich niemand
erklaeren und einen verstaendlichen Begriff geben kann, gleichsam
Monogrammen, die nur einzelne, obzwar nach keiner angeblichen Regel
bestimmte Zuege sind, welche mehr eine im Mittel verschiedener
Erfahrungen gleichsam schwebende Zeichnung, als ein bestimmtes Bild
ausmachen, dergleichen Maler und Physiognomen in ihrem Kopfe zu
haben vorgeben, und die ein nicht mitzuteilendes Schattenbild ihrer
Produkte oder auch Beurteilungen sein sollen. Sie koennen, obzwar nur
uneigentlich, Ideale der Sinnlichkeit genannt werden, weil sie das
nicht erreichbare Muster moeglicher empirischer Anschauungen sein
sollen, und gleichwohl keine der Erklaerung und Pruefung faehige Regel
abgeben.
Die Absicht der Vernunft mit ihrem Ideale ist dagegen die
durchgaengige Bestimmung nach Regeln a priori; daher sie sich einen
Gegenstand denkt, der nach Prinzipien durchgaengig bestimmbar sein
soll, obgleich dazu die hinreichenden Bedingungen in der Erfahrung
mangeln und der Begriff selbst also transzendent ist.
Des dritten Hauptstuecks
Zweiter Abschnitt
Von dem transzendentalen Ideal
(Prototypon transzendentale)
Ein jeder Begriff ist in Ansehung dessen, was in ihm selbst
nicht enthalten ist, unbestimmt, und steht unter dem Grundsatze
der Bestimmbarkeit; dass nur eines, von jeden zween einander
kontradiktorischentgegengesetzten Praedikaten, ihm zukommen koenne,
welcher auf dem Satze des Widerspruchs beruht, und daher ein
bloss logisches Prinzip ist, das von allem Inhalte der Erkenntnis
abstrahiert, und nichts, als die logische Form derselben vor Augen
hat.
Ein jedes Ding aber, seiner Moeglichkeit nach, steht noch unter dem
Grundsatze der durchgaengigen Bestimmung, nach welchem ihm von allen
moeglichen Praedikaten der Dinge, sofern sie mit ihren Gegenteilen
verglichen werden, eines zukommen muss. Dieses beruht nicht bloss auf
dem Satze des Widerspruchs; denn es betrachtet, ausser dem Verhaeltnis
zweier einander widerstreitenden Praedikate, jedes Ding noch im
Verhaeltnis auf die gesamte Moeglichkeit, als den Inbegriff aller
Praedikate der Dinge ueberhaupt, und, indem es solche als Bedingung
a priori voraussetzt, so stellt es ein jedes Ding so vor, wie es von
dem Anteil, den es an jener gesamten Moeglichkeit hat, seine eigene
Moeglichkeit ableite.* Das Prinzipium der durchgaengigen Bestimmung
betrifft also den Inhalt, und nicht bloss die logische Form. Es ist
der Grundsatz der Synthesis aller Praedikate, die den vollstaendigen
Begriff von einem Dinge machen sollen, und nicht bloss der
analytischen Vorstellung, durch eines zweier entgegengesetzten
Praedikate, und enthaelt eine transzendentale Voraussetzung, naemlich
die der Materie zu aller Moeglichkeit, welche a priori die Data zur
besonderen Moeglichkeit jedes Dinges enthalten soll.
* Es wird also durch diesen Grundsatz jedes Ding auf ein
  gemeinschaftliches Korrelatum, naemlich die gesamte Moeglichkeit,
  bezogen, welche, wenn sie (d.i. der Stoff zu allen moeglichen
  Praedikaten) in der Idee eines einzigen Dinges angetroffen wuerde,
  eine Affinitaet alles Moeglichen durch die Identitaet des Grundes
  der durchgaengigen Bestimmung desselben beweisen wuerde. Die
  Bestimmbarkeit eines jeden Begriffs ist der Allgemeinheit
  (Universalitas) des Grundsatzes der Ausschliessung eines Mittleren
  zwischen zwei entgegengesetzten Praedikaten, die Bestimmung aber
  eines Dinges der Allheit (Universitas) oder dem Inbegriffe aller
  moeglichen Praedikate untergeordnet.
Der Satz: alles Existierende ist durchgaengig bestimmt, bedeutet nicht
allein, dass von jedem Paare einander entgegengesetzten gegebenen,
sondern auch von allen moeglichen Praedikaten ihm immer eines zukomme;
es werden durch diesen Satz nicht bloss Praedikate untereinander
logisch, sondern das Ding selbst, mit dem Inbegriff aller moeglichen
Praedikate, transzendental verglichen. Er will so viel sagen, als: um
ein Ding vollstaendig zu erkennen, muss man alles Moegliche erkennen,
und es dadurch, es sei bejahend oder verneinend, bestimmen. Die
durchgaengige Bestimmung ist folglich ein Begriff, den wir niemals in
concreto seiner Totalitaet nach darstellen koennen, und gruendet sich
also auf einer Idee, welche lediglich in der Vernunft ihren Sitz
hat, die dem Verstande die Regel seines vollstaendigen Gebrauchs
vorschreibt.
Ob nun zwar diese Idee von dem Inbegriffe aller Moeglichkeit, sofern
er als Bedingung der durchgaengigen Bestimmung eines jeden Dinges zum
Grunde liegt, in Ansehung der Praedikate, die denselben ausmachen
moegen, selbst noch unbestimmt ist, und wir dadurch nichts weiter als
einen Inbegriff aller moeglichen Praedikate ueberhaupt denken, so
finden wir doch bei naeherer Untersuchung, dass diese Idee, als
Urbegriff, eine Menge von Praedikaten ausstosse, die als abgeleitet
durch andere schon gegeben sind, oder nebeneinander nicht stehen
koennen, und dass sie sich bis zu einem durchgaengig a priori
bestimmten Begriffe laeutere, und dadurch der Begriff von einem
einzelnen Gegenstande werde, der durch die blosse Idee durchgaengig
bestimmt ist, mithin ein Ideal der reinen Vernunft genannt werden
muss.
Wenn wir alle moeglichen Praedikate nicht bloss logisch, sondern
transzendental, d.i. nach ihrem Inhalte, der an ihnen a priori gedacht
werden kann, erwaegen, so finden wir, dass durch einige derselben
ein Sein, durch andere ein blosses Nichtsein vorgestellt wird. Die
logische Verneinung, die lediglich durch das Woertchen: Nicht,
angezeigt wird, haengt eigentlich niemals einem Begriffe, sondern nur
dem Verhaeltnisse desselben zu einem anderen im Urteile an, und kann
also dazu bei weitem nicht hinreichend sein, einen Begriff in Ansehung
seines Inhaltes zu bezeichnen. Der Ausdruck: Nichtsterblich, kann
gar nicht zu erkennen geben, dass dadurch ein blosses Nichtsein am
Gegenstande vorgestellt werde, sondern laesst allen Inhalt unberuehrt.
Eine transzendentale Verneinung bedeutet dagegen das Nichtsein an
sich selbst, dem die transzendentale Bejahung entgegengesetzt wird,
welche ein Etwas ist, dessen Begriff an sich selbst schon ein Sein
ausdrueckt, und daher Realitaet (Sachheit) genannt wird, weil durch
sie allein, und so weit sie reicht, Gegenstaende Etwas (Dinge) sind,
die entgegenstehende Negation hingegen einen blossen Mangel bedeutet,
und, wo diese allein gedacht wird, die Aufhebung alles Dinges
vorgestellt wird.
Nun kann sich niemand eine Verneinung bestimmt denken, ohne dass
er die entgegengesetzte Bejahung zum Grunde liegen habe. Der
Blindgeborene kann sich nicht die mindeste Vorstellung von Finsternis
machen, weil er keine vom Lichte hat; der Wilde nicht von der Armut,
weil er den Wohlstand nicht kennt.* Der Unwissende hat keinen Begriff
von seiner Unwissenheit, weil er keinen von der Wissenschaft hat, usw.
Es sind also auch alle Begriffe der Negationen abgeleitet, und die
Realitaeten enthalten die Data und sozusagen die Materie, oder den
transzendentalen Inhalt, zu der Moeglichkeit und durchgaengigen
Bestimmung aller Dinge.
* Die Beobachtungen und Berechnungen der Sternkundigen haben uns viel
  Bewunderungswuerdiges gelehrt, aber das Wichtigste ist wohl, dass
  sie uns den Abgrund der Unwissenheit aufgedeckt haben, den die
  menschliche Vernunft, ohne diese Kenntnisse, sich niemals so
  gross haette vorstellen koennen, und worueber das Nachdenken eine
  grosse Veraenderung in der Bestimmung der Endabsichten unseres
  Vernunftgebrauchs hervorbringen muss.
Wenn also der durchgaengigen Bestimmung in unserer Vernunft ein
transzendentales Substratum zum Grunde gelegt wird, welches gleichsam
den ganzen Vorrat des Stoffes, daher alle moeglichen Praedikate der
Dinge genommen werden koennen, enthaelt, so ist dieses Substratum
nichts anderes, als die Idee von einem All der Realitaet (omnitudo
realitatis). Alle wahren Verneinungen sind alsdann nichts als
Schranken, welches sie nicht genannt werden koennten, wenn nicht das
Unbeschraenkte (das All) zum Grunde laege.
Es ist aber auch durch diesen Allbesitz der Realitaet der Begriff
eines Dinges an sich selbst, als durchgaengig bestimmt, vorgestellt,
und der Begriff eines entis realissimi ist der Begriff eines einzelnen
Wesens, weil von allen moeglichen entgegengesetzten Praedikaten eines,
naemlich das, was zum Sein schlechthin gehoert, in seiner Bestimmung
angetroffen wird. Also ist es ein transzendentales Ideal, welches der
durchgaengigen Bestimmung, die notwendig bei allem, was existiert,
angetroffen wird, zum Grunde liegt, und die oberste und vollstaendige
materiale Bedingung seiner Moeglichkeit ausmacht, auf welcher alles
Denken der Gegenstaende ueberhaupt ihrem Inhalte nach zurueckgefuehrt
werden muss. Es ist aber auch das einzige eigentliche Ideal, dessen
die menschliche Vernunft faehig ist; weil nur in diesem einzigen Falle
ein an sich allgemeiner Begriff von einem Dinge durch sich selbst
durchgaengig bestimmt, und als die Vorstellung von einem Individuum
erkannt wird.
Die logische Bestimmung eines Begriffs durch die Vernunft beruht auf
einem disjunktiven Vernunftschlusse, in welchem der Obersatz eine
logische Einteilung (die Teilung der Sphaere eines allgemeinen
Begriffs) enthaelt, der Untersatz diese Sphaere bis auf einen Teil
einschraenkt und der Schlusssatz den Begriff durch diesen bestimmt.
Der allgemeine Begriff einer Realitaet ueberhaupt kann a priori nicht
eingeteilt werden, weil man ohne Erfahrung keine bestimmten Arten von
Realitaet kennt, die unter jener Gattung enthalten waeren. Also ist
der transzendentale Obersatz der durchgaengigen Bestimmung aller Dinge
nichts anderes, als die Vorstellung des Inbegriffs aller Realitaet,
nicht bloss ein Begriff, der alle Praedikate ihrem transzendentalen
Inhalte nach unter sich, sondern der sie in sich begreift, und
die durchgaengige Bestimmung eines jeden Dinges beruht auf der
Einschraenkung dieses All der Realitaet, indem Einiges derselben dem
Dinge beigelegt, das uebrige aber ausgeschlossen wird, welches mit dem
Entweder - Oder des disjunktiven Obersatzes und der Bestimmung des
Gegenstandes, durch eins der Glieder dieser Teilung im Untersatze,
uebereinkommt. Demnach ist der Gebrauch der Vernunft, durch den sie
das transzendentale Ideal zum Grunde ihrer Bestimmung aller moeglichen
Dinge legt, demjenigen analogisch, nach welchem sie in disjunktiven
Vernunftschluessen verfaehrt; welches der Satz war, den ich oben zum
Grunde der systematischen Einteilung aller transzendentalen Ideen
legte, nach welchem sie den drei Arten von Vernunftschluessen parallel
und korrespondierend erzeugt werden.
Es versteht sich von selbst, dass die Vernunft zu dieser ihrer
Absicht, naemlich sich lediglich die notwendige durchgaengige
Bestimmung der Dinge vorzustellen, nicht die Existenz eines solchen
Wesens, das dem Ideale gemaess ist, sondern nur die Idee desselben
voraussetze, um von einer unbedingten Totalitaet der durchgaengigen
Bestimmung die bedingte, d.i. die des Eingeschraenkten abzuleiten.
Das Ideal ist ihr also das Urbild (Prototypon) aller Dinge, welche
insgesamt, als mangelhafte Kopien (ectypa), den Stoff zu ihrer
Moeglichkeit daher nehmen, und indem sie demselben mehr oder weniger
nahekommen, dennoch jederzeit unendlich weit daran fehlen, es zu
erreichen.
So wird denn alle Moeglichkeit der Dinge (der Synthesis des
Mannigfaltigen ihrem Inhalte nach) als abgeleitet, und nur allein die
desjenigen, was alle Realitaet in sich schliesst, als urspruenglich
angesehen. Denn alle Verneinungen (welche doch die einzigen Praedikate
sind, wodurch sich alles andere vom realsten Wesen unterscheiden
laesst,) sind blosse Einschraenkungen einer groesseren und endlich
der hoechsten Realitaet, mithin setzen sie diese voraus, und sind dem
Inhalte nach von ihr bloss abgeleitet. Alle Mannigfaltigkeit der Dinge
ist nur eine eben so vielfaeltige Art, den Begriff der hoechsten
Realitaet, der ihr gemeinschaftliches Substratum ist, einzuschraenken,
so wie alle Figuren nur als verschiedene Arten, den unendlichen
Raum einzuschraenken, moeglich sind. Daher wird der bloss in der
Vernunft befindliche Gegenstand ihres Ideals auch das Urwesen (ens
originarium), sofern es keines ueber sich hat, das hoechste Wesen (ens
summum), und, sofern alles, als bedingt, unter ihm steht, das Wesen
aller Wesen (ens entium) genannt. Alles dieses aber bedeutet nicht das
objektive Verhaeltnis eines wirklichen Gegenstandes zu anderen Dingen,
sondern der Idee zu Begriffen, und laesst uns wegen der Existenz eines
Wesens von so ausnehmendem Vorzuge in voelliger Unwissenheit.
Weil man auch nicht sagen kann, dass ein Urwesen aus viel abgeleiteten
Wesen bestehe, indem ein jedes derselben jenes voraussetzt, mithin es
nicht ausmachen kann, so wird das Ideal des Urwesens auch als einfach
gedacht werden muessen.
Die Ableitung aller anderen Moeglichkeit von diesem Urwesen wird
daher, genau zu reden, auch nicht als eine Einschraenkung seiner
hoechsten Realitaet und gleichsam als eine Teilung derselben angesehen
werden koennen; denn alsdann wuerde das Urwesen als ein blosses
Aggregat von abgeleiteten Wesen angesehen werden, welches nach dem
vorigen unmoeglich ist, ob wir es gleich anfaenglich im ersten rohen
Schattenrisse so vorstellten. Vielmehr wuerde der Moeglichkeit aller
Dinge die hoechste Realitaet als ein Grund und nichts als Inbegriff
zum Grunde liegen, und die Mannigfaltigkeit der ersteren nicht auf
der Einschraenkung des Urwesens selbst, sondern seiner vollstaendigen
Folge beruhen, zu welcher denn auch unsere ganze Sinnlichkeit, samt
aller Realitaet in der Erscheinung, gehoeren wuerde, die zu der Idee
des hoechsten Wesens, als ein Ingredienz, nicht gehoeren kann.
Wenn wir nun dieser unserer Idee, indem wir sie hypostasieren, so
ferner nachgehen, so werden wir das Urwesen durch den blossen Begriff
der hoechsten Realitaet als ein einiges, einfaches, allgenugsames,
ewiges usw., mit einem Worte, es in seiner unbedingten
Vollstaendigkeit durch alle Praedikamente bestimmen koennen. Der
Begriff eines solchen Wesens ist der von Gott, in transzendentalem
Verstande gedacht, und so ist das Ideal der reinen Vernunft der
Gegenstand einer transzendentalen Theologie, so wie ich es auch oben
angefuehrt habe.
Indessen wuerde dieser Gebrauch der transzendentalen Idee doch schon
die Grenzen ihrer Bestimmung und Zulaessigkeit ueberschreiten. Denn
die Vernunft legte sie nur, als den Begriff von aller Realitaet, der
durchgaengigen Bestimmung der Dinge ueberhaupt zum Grunde, ohne zu
verlangen, dass alle diese Realitaet objektiv gegeben sei und selbst
ein Ding ausmache. Dieses letztere ist eine blosse Erdichtung, durch
welche wir das Mannigfaltige unserer Idee in einem Ideale, als einem
besonderen Wesen, zusammenfassen und realisieren, wozu wir keine
Befugnis haben, sogar nicht einmal die Moeglichkeit einer solchen
Hypothese geradezu anzunehmen, wie denn auch alle Folgerungen, die
aus einem solchen Ideale abfliessen, die durchgaengige Bestimmung
der Dinge ueberhaupt, als zu deren Behuf die Idee allein noetig war,
nichts angehen, und darauf nicht den mindesten Einfluss haben.
Es ist nicht genug, das Verfahren unserer Vernunft und ihre Dialektik
zu beschreiben, man muss auch die Quellen derselben zu entdecken
suchen, um diesen Schein selbst, wie ein Phaenomen des Verstandes,
erklaeren zu koennen; denn das Ideal, wovon wir reden, ist auf einer
natuerlichen und nicht bloss willkuerlichen Idee gegruendet. Daher
frage ich: wie kommt die Vernunft dazu, alle Moeglichkeit der Dinge
als abgeleitet von einer einzigen, die zum Grunde liegt, naemlich der
der hoechsten Realitaet, anzusehen, und diese sodann, als in einem
besonderen Urwesen enthalten vorauszusetzen?
Die Antwort bietet sich aus den Verhandlungen der transzendentalen
Analytik von selbst dar. Die Moeglichkeit der Gegenstaende der Sinne
ist ein Verhaeltnis derselben zu unserem Denken, worin etwas (naemlich
die empirische Form) a priori gedacht werden kann, dasjenige aber,
was die Materie ausmacht, die Realitaet in der Erscheinung, (was der
Empfindung entspricht) gegeben sein muss, ohne welches es auch gar
nicht gedacht und mithin seine Moeglichkeit nicht vorgestellt werden
koennte. Nun kann ein Gegenstand der Sinne nur durchgaengig bestimmt
werden, wenn er mit allen Praedikaten der Erscheinung verglichen und
durch dieselbe bejahend oder verneinend vorgestellt wird. Weil aber
darin dasjenige, was das Ding selbst (in der Erscheinung) ausmacht,
naemlich das Reale, gegeben sein muss, ohne welches es auch gar
nicht gedacht werden koennte; dasjenige aber, worin das Reale aller
Erscheinungen gegeben ist, die einige allbefassende Erfahrung ist:
so muss die Materie zur Moeglichkeit aller Gegenstaende der Sinne,
als in einem Inbegriffe gegeben, vorausgesetzt werden, auf dessen
Einschraenkung allein alle Moeglichkeit empirischer Gegenstaende, ihr
Unterschied voneinander und ihre durchgaengige Bestimmung, beruhen
kann. Nun koennen uns in der Tat keine anderen Gegenstaende, als die
der Sinne, und nirgends als in dem Kontext einer moeglichen Erfahrung
gegeben werden, folglich ist nichts fuer uns ein Gegenstand, wenn es
nicht den Inbegriff aller empirischen Realitaet als Bedingung seiner
Moeglichkeit voraussetzt. Nach einer natuerlichen Illusion sehen wir
nun das fuer einen Grundsatz an, der von allen Dingen ueberhaupt
gelten muesse, welcher eigentlich nur von denen gilt, die als
Gegenstaende unserer Sinne gegeben werden. Folglich werden wir das
empirische Prinzip unserer Begriffe der Moeglichkeit der Dinge, als
Erscheinungen, durch Weglassung dieser Einschraenkung, fuer ein
transzendentales Prinzip der Moeglichkeit der Dinge ueberhaupt halten.
Dass wir aber hernach diese Idee vom Inbegriffe aller Realitaet
hypostasieren, kommt daher: weil wir die distributive Einheit des
Erfahrungsgebrauchs des Verstandes in die kollektive Einheit eines
Erfahrungsganzen dialektisch verwandeln, und an diesem Ganzen der
Erscheinung uns ein einzelnes Ding denken, was alle empirische
Realitaet in sich enthaelt, welches dann, vermittelst der schon
gedachten transzendentalen Subreption, mit dem Begriffe eines Dinges
verwechselt wird, was an der Spitze der Moeglichkeit aller Dinge
steht, zu deren durchgaengiger Bestimmung es die realen Bedingungen
hergibt.*
* Dieses Ideal des allerrealsten Wesens wird also, ob es zwar eine
  blosse Vorstellung ist, zuerst realisiert, d.i. zum Objekt gemacht,
  darauf hypostasiert, endlich, durch einen natuerlichen Fortschritt
  der Vernunft zur Vollendung der Einheit, sogar personifiziert, wie
  wir bald anfuehren werden; weil die regulative Einheit der Erfahrung
  nicht auf den Erscheinungen selbst (der Sinnlichkeit allein),
  sondern auf der Verknuepfung ihres Mannigfaltigen durch den Verstand
  (in einer Apperzeption) beruht, mithin die Einheit der hoechsten
  Realitaet und die durchgaengige Bestimmbarkeit (Moeglichkeit) aller
  Dinge in einem hoechsten Verstande, mithin in einer Intelligenz zu
  liegen scheint.
Des dritten Hauptstuecks
Dritter Abschnitt
Von den Beweisgruenden der spekulativen Vernunft, auf das Dasein eines
hoechsten Wesens zu schliessen
Ungeachtet dieser dringenden Beduerfnis der Vernunft, etwas
vorauszusetzen, was dem Verstande zu der durchgaengigen Bestimmung
seiner Begriffe vollstaendig zum Grunde liegen koenne, so bemerkt sie
doch das Idealische und bloss Gedichtete einer solchen Voraussetzung
viel zu leicht, als dass sie dadurch allein ueberredet werden sollte,
ein blosses Selbstgeschoepf ihres Denkens sofort fuer ein wirkliches
Wesen anzunehmen, wenn sie nicht wodurch anders gedrungen wuerde,
irgendwo ihren Ruhestand, in dem Regressus vom Bedingten, das gegeben
ist, zum Unbedingten, zu suchen, das zwar an sich und seinem blossen
Begriff noch nicht als wirklich gegeben ist, welches aber allein die
Reihe der zu ihren Gruenden hinausgefuehrten Bedingungen vollenden
kann. Dieses ist nun der natuerliche Gang, den jede menschliche
Vernunft, selbst die gemeinste, nimmt, obgleich nicht eine jede in
demselben aushaelt. Sie faengt nicht von Begriffen, sondern von der
gemeinen Erfahrung an, und legt also etwas Existierendes zum Grunde.
Dieser Boden aber sinkt, wenn er nicht auf dem unbeweglichen Felsen
des Absolutnotwendigen ruht. Dieser selber aber schwebt ohne Stuetze,
wenn noch ausser und unter ihm leerer Raum ist, und er nicht selbst
alles erfuellt und dadurch keinen Platz zum Warum mehr uebrig laesst,
d.i. der Realitaet nach unendlich ist.
Wenn etwas, was es auch sei, existiert, so muss auch eingeraeumt
werden, dass irgend etwas notwendigerweise existiere. Denn das
Zufaellige existiert nur unter der Bedingung eines anderen, als seiner
Ursache, und von dieser gilt der Schluss fernerhin, bis zu einer
Ursache, die nicht zufaellig und eben darum ohne Bedingung
notwendigerweise da ist. Das ist das Argument, worauf die Vernunft
ihren Fortschritt zum Urwesen gruendet.
Nun sieht sich die Vernunft nach dem Begriffe eines Wesens um, das
sich zu einem solchen Vorzuge der Existenz, als die unbedingte
Notwendigkeit, schicke, nicht sowohl, um alsdann von dem Begriffe
desselben a priori auf sein Dasein zu schliessen, (denn, getraute sie
sich dieses, so duerfte sie ueberhaupt nur unter blossen Begriffen
forschen, und haette nicht noetig, ein gegebenes Dasein zum Grunde
zu legen,) sondern nur um unter allen Begriffen moeglicher Dinge
denjenigen zu finden, der nichts der absoluten Notwendigkeit
Widerstreitendes in sich hat. Denn, dass doch irgend etwas schlechthin
notwendig existieren muesse, haelt sie nach dem ersteren Schlusse
schon fuer ausgemacht. Wenn sie nun alles wegschaffen kann, was sich
mit dieser Notwendigkeit nicht vertraegt, ausser einem; so ist dieses
das schlechthin notwendige Wesen, man mag nun die Notwendigkeit
desselben begreifen, d.i. aus seinem Begriffe allein ableiten koennen,
oder nicht.
Nun scheint dasjenige, dessen Begriff zu allem Warum das Darum in sich
enthaelt, das in keinem Stuecke und in keiner Absicht defekt ist,
welches allerwaerts als Bedingung hinreicht, eben darum das zur
absoluten Notwendigkeit schickliche Wesen zu sein, weil es, bei dem
Selbstbesitz aller Bedingungen zu allem Moeglichen, selbst keiner
Bedingung bedarf, ja derselben nicht einmal faehig ist, folglich,
wenigstens in einem Stuecke, dem Begriffe der unbedingten
Notwendigkeit ein Genuege tut, darin es kein anderer Begriff ihm
gleichtun kann, der, weil er mangelhaft und der Ergaenzung beduerftig
ist, kein solches Merkmal der Unabhaengigkeit von allen ferneren
Bedingungen an sich zeigt. Es ist wahr, dass hieraus noch nicht sicher
gefolgert werden koenne, dass, was nicht die hoechste und in aller
Absicht vollstaendige Bedingung in sich enthaelt, darum selbst seiner
Existenz nach bedingt sein muesse; aber es hat denn doch das einzige
Merkzeichen des unbedingten Daseins nicht an sich, dessen die Vernunft
maechtig ist, um durch einen Begriff a priori irgendein Wesen als
unbedingt zu erkennen.
Der Begriff eines Wesens von der hoechsten Realitaet wuerde sich also
unter allen Begriffen moeglicher Dinge zu dem Begriffe eines unbedingt
notwendigen Wesens am besten schicken, und, wenn er diesem auch
nicht voellig genugtut, so haben wir doch keine Wahl, sondern sehen
uns genoetigt, uns an ihn zu halten, weil wir die Existenz eines
notwendigen Wesens nicht in den Wind schlagen duerfen; geben wir sie
aber zu, doch in dem ganzen Felde der Moeglichkeit nichts finden
koennen, was auf einen solchen Vorzug im Dasein einen gegruendeteren
Anspruch machen koennte.
So ist also der natuerliche Gang der menschlichen Vernunft beschaffen.
Zuerst ueberzeugt sie sich vom Dasein irgendeines notwendigen Wesens.
In diesem erkennt sie eine unbedingte Existenz. Nun sucht sie den
Begriff des Unabhaengigen von aller Bedingung, und findet ihn in dem,
was selbst die zureichende Bedingung zu allem anderen ist, d.i. in
demjenigen, was alle Realitaet enthaelt. Das All aber ohne Schranken
ist absolute Einheit, und fuehrt den Begriff eines einigen, naemlich
des hoechsten Wesens bei sich, und so schliesst sie, dass das hoechste
Wesen, als Urgrund aller Dinge, schlechthin notwendigerweise da sei.
Diesem Begriffe kann eine gewisse Gruendlichkeit nicht gestritten
werden, wenn von Entschliessungen die Rede ist, naemlich, wenn einmal
das Dasein irgendeines notwendigen Wesens zugegeben wird und man darin
uebereinkommt, dass man seine Partei ergreifen muesse, worin man
dasselbe setzen wolle; denn alsdann kann man nicht schicklicher
waehlen, oder man hat vielmehr keine Wahl, sondern ist genoetigt, der
absoluten Einheit der vollstaendigen Realitaet, als dem Urquelle der
Moeglichkeit, seine Stimme zu geben. Wenn uns aber nichts treibt,
uns zu entschliessen, und wir lieber diese ganze Sache dahingestellt
sein liessen, bis wir durch das volle Gewicht der Beweisgruende zum
Beifalle gezwungen wuerden, d.i. wenn es bloss um Beurteilung zu tun
ist, wie viel wir von dieser Aufgabe wissen, und was wir uns nur zu
wissen schmeicheln; dann erscheint obiger Schluss bei weitem nicht
in so vorteilhafter Gestalt, und bedarf Gunst, um den Mangel seiner
Rechtsansprueche zu ersetzen.
Denn, wenn wir alles so gut sein lassen, wie es hier vor uns liegt,
dass naemlich erstlich von irgendeiner gegebenen Existenz (allenfalls
auch bloss meiner eigenen) ein richtiger Schluss auf die Existenz
eines unbedingt notwendigen Wesens stattfinde, zweitens, dass ich ein
Wesen, welches alle Realitaet, mithin auch alle Bedingung enthaelt,
als schlechthin unbedingt ansehen muesse, folglich der Begriff des
Dinges, welches sich zur absoluten Notwendigkeit schickt, hierdurch
gefunden sei: so kann daraus doch gar nicht geschlossen werden, dass
der Begriff eines eingeschraenkten Wesens, das nicht die hoechste
Realitaet hat, darum der absoluten Notwendigkeit widerspreche. Denn,
ob ich gleich in seinem Begriffe nicht das Unbedingte antreffe, was
das All der Bedingungen schon bei sich fuehrt, so kann daraus doch
gar nicht gefolgert werden, dass sein Dasein eben darum bedingt
sein muesse; so wie ich in einem hypothetischen Vernunftschlusse
nicht sagen kann: wo eine gewisse Bedingung (naemlich hier der
Vollstaendigkeit nach Begriffen) nicht ist, da ist auch das Bedingte
nicht. Es wird uns vielmehr unbenommen bleiben, alle uebrigen
eingeschraenkten Wesen ebensowohl fuer unbedingt notwendig gelten zu
lassen, ob wir gleich ihre Notwendigkeit aus dem allgemeinen Begriffe,
den wir von ihnen haben, nicht schliessen koennen. Auf diese Weise
aber haette dieses Argument uns nicht den mindesten Begriff von
Eigenschaften eines notwendigen Wesens verschafft, und ueberall gar
nichts geleistet.
Gleichwohl bleibt diesem Argumente eine gewisse Wichtigkeit, und
ein Ansehen, das ihm, wegen dieser objektiven Unzulaenglichkeit,
noch nicht sofort genommen werden kann. Denn setzet, es gebe
Verbindlichkeiten, die in der Idee der Vernunft ganz richtig, aber
ohne alle Realitaet in Anwendung auf uns selbst, d.i. ohne Triebfedern
sein wuerden, wo nicht ein hoechstes Wesen vorausgesetzt wuerde, das
den praktischen Gesetzen Wirkung und Nachdruck geben koennte: so
wuerden wir auch eine Verbindlichkeit haben, den Begriffen zu folgen,
die, wenn sie gleich nicht objektiv zulaenglich sein moechten, doch
nach dem Masse unserer Vernunft ueberwiegend sind, und in Vergleichung
mit denen wir doch nichts Besseres und Ueberfuehrenderes erkennen. Die
Pflicht zu waehlen, wuerde hier die Unschliessigkeit der Spekulation
durch einen praktischen Zusatz aus dem Gleichgewichte bringen, ja die
Vernunft wuerde bei ihr selbst, als dem nachsehendsten Richter, keine
Rechtfertigung finden, wenn sie unter dringenden Bewegursachen, obzwar
nur mangelhafter Einsicht, diesen Gruenden ihres Urteils, ueber die
wir doch wenigstens keine besseren kennen, nicht gefolgt waere.
Dieses Argument, ob es gleich in der Tat transzendental ist, indem es
auf der inneren Unzulaenglichkeit des Zufaelligen beruht, ist doch
so einfaeltig und natuerlich, dass es dem gemeinsten Menschensinne
angemessen ist, sobald dieser nur einmal darauf gefuehrt wird. Man
sieht Dinge sich veraendern, entstehen und vergehen; sie muessen also,
oder wenigstens ihr Zustand, eine Ursache haben. Von jeder Ursache
aber, die jemals in der Erfahrung gegeben werden mag, laesst sich eben
dieses wiederum fragen. Wohin sollen wir nun die oberste Kausalitaet
billiger verlegen, als dahin, wo auch die hoechste Kausalitaet
ist, d.i. in dasjenige Wesen, was zu der moeglichen Wirkung die
Zulaenglichkeit in sich selbst urspruenglich enthaelt, dessen Begriff
auch durch den einzigen Zug einer allbefassenden Vollkommenheit sehr
leicht zustande kommt. Diese hoechste Ursache halten wir dann fuer
schlechthin notwendig, weil wir es schlechterdings notwendig finden,
bis zu ihr hinaufzusteigen, und keinen Grund, ueber sie noch weiter
hinauszugehen. Daher sehen wir bei allen Voelkern durch ihre blindeste
Vielgoetterei doch einige Funken des Monotheismus durchschimmern, wozu
nicht Nachdenken und tiefe Spekulation, sondern nur ein nach und nach
verstaendlich gewordener natuerlicher Gang des gemeinen Verstandes
gefuehrt hat.
        Es sind nur drei Beweisarten vom Dasein Gottes aus
        spekulativer Vernunft moeglich.
Alle Wege, die man in dieser Absicht einschlagen mag, fangen entweder
von der bestimmten Erfahrung und der dadurch erkannten besonderen
Beschaffenheit unserer Sinnenwelt an, und steigen von ihr nach
Gesetzen der Kausalitaet bis zur hoechsten Ursache ausser der Welt
hinauf: oder sie legen nur unbestimmte Erfahrung, d.i. irgendein
Dasein, empirisch zum Grunde, oder sie abstrahieren endlich von aller
Erfahrung, und schliessen gaenzlich a priori aus blossen Begriffen
auf das Dasein einer hoechsten Ursache. Der erste Beweis ist der
physikotheologische, der zweite der kosmologische, der dritte der
ontologische Beweis. Mehr gibt es ihrer nicht, und mehr kann es auch
nicht geben.
Ich werde dartun: dass die Vernunft, auf dem einen Wege (dem
empirischen) so wenig, als auf dem anderen (dem transzendentalen),
etwas ausrichte, und dass sie vergeblich ihre Fluegel ausspanne, um
ueber die Sinnenwelt durch die blosse Macht der Spekulation hinaus zu
kommen. Was aber die Ordnung betrifft, in welcher diese Beweisarten
der Pruefung vorgelegt werden muessen, so wird sie gerade die
umgekehrte von derjenigen sein, welche die sich nach und nach
erweiternde Vernunft nimmt, und in der wir sie auch zuerst gestellt
haben. Denn es wird sich zeigen: dass, obgleich Erfahrung den ersten
Anlass dazu gibt, dennoch bloss der transzendentale Begriff die
Vernunft in dieser ihrer Bestrebung leite und in allen solchen
Versuchen das Ziel ausstecke, das sie sich vorgesetzt hat. Ich werde
also von der Pruefung des transzendentalen Beweises anfangen, und
nachher sehen, was der Zusatz des Empirischen zur Vergroesserung
seiner Beweiskraft tun koenne.
Des dritten Hauptstuecks
Vierter Abschnitt
Von der Unmoeglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes
Man sieht aus dem bisherigen leicht: dass der Begriff eines absolut
notwendigen Wesens ein reiner Vernunftbegriff, d.i. eine blosse Idee
sei, deren objektive Realitaet dadurch, dass die Vernunft ihrer
bedarf, noch lange nicht bewiesen ist, welche auch nur auf eine
gewisse obzwar unerreichbare Vollstaendigkeit Anweisung gibt, und
eigentlich mehr dazu dient, den Verstand zu begrenzen, als ihn
auf neue Gegenstaende zu erweitern. Es findet sich hier nun das
Befremdliche und Widersinnische, dass der Schluss von einem gegebenen
Dasein ueberhaupt auf irgendein schlechthin notwendiges Dasein,
dringend und richtig zu sein scheint, und wir gleichwohl alle
Bedingungen des Verstandes, sich einen Begriff von einer solchen
Notwendigkeit zu machen, gaenzlich wider uns haben.
Man hat zu aller Zeit von dem absolut notwendigen Wesen geredet, und
sich nicht sowohl Muehe gegeben, zu verstehen, ob und wie man sich ein
Ding von dieser Art auch nur denken koenne, als vielmehr dessen Dasein
zu beweisen. Nun ist zwar eine Namenerklaerung von diesem Begriffe
ganz leicht, dass es naemlich so etwas sei, dessen Nichtsein
unmoeglich ist; aber man wird hierdurch um nichts klueger, in Ansehung
der Bedingungen, die es unmoeglich machen, das Nichtsein eines Dinges
als schlechterdings undenklich anzusehen, und die eigentlich dasjenige
sind, was man wissen will, naemlich, ob wir uns durch diesen Begriff
ueberall etwas denken, oder nicht. Denn alle Bedingungen, die
der Verstand jederzeit bedarf, um etwas als notwendig anzusehen,
vermittelst des Worts: Unbedingt, wegwerfen, macht mir noch lange
nicht verstaendlich, ob ich alsdann durch einen Begriff eines
Unbedingtnotwendigen noch etwas, oder vielleicht gar nichts denke.
Noch mehr: diesen auf das blosse Geratewohl gewagten und endlich
ganz gelaeufig gewordenen Begriff hat man noch dazu durch eine Menge
Beispiele zu erklaeren geglaubt, so, dass alle weitere Nachfrage wegen
seiner Verstaendlichkeit ganz unnoetig erschienen. Ein jeder Satz der
Geometrie, z.B. dass ein Triangel drei Winkel habe, ist schlechthin
notwendig, und so redete man von einem Gegenstande, der ganz
ausserhalb der Sphaere unseres Verstandes liegt, als ob man ganz wohl
verstaende, was man mit dem Begriffe von ihm sagen wolle.
Alle vorgegebenen Beispiele sind ohne Ausnahme nur von Urteilen,
aber nicht von Dingen und deren Dasein hergenommen. Die unbedingte
Notwendigkeit der Urteile aber ist nicht eine absolute Notwendigkeit
der Sachen. Denn die absolute Notwendigkeit des Urteils ist nur eine
bedingte Notwendigkeit der Sache, oder des Praedikats im Urteile. Der
vorige Satz sagte nicht, dass drei Winkel schlechterdings notwendig
sind, sondern, unter der Bedingung, dass ein Triangel da ist, (gegeben
ist) sind auch drei Winkel (in ihm) notwendigerweise da. Gleichwohl
hat diese logische Notwendigkeit eine so grosse Macht ihrer Illusion
bewiesen, dass, indem man sich einen Begriff a priori von einem Dinge
gemacht hatte, der so gestellt war, dass man seiner Meinung nach
das Dasein mit in seinen Umfang begriff, man daraus glaubte sicher
schliessen zu koennen, dass, weil dem Objekt dieses Begriffs das
Dasein notwendig zukommt, d.i. unter der Bedingung, dass ich dieses
Ding als gegeben (existierend) setze, auch sein Dasein notwendig (nach
der Regel der Identitaet) gesetzt werde, und dieses Wesen daher selbst
schlechterdings notwendig sei, weil sein Dasein in einem nach Belieben
angenommenen Begriffe und unter der Bedingung, dass ich den Gegenstand
desselben setze, mitgedacht wird.
Wenn ich das Praedikat in einem identischen Urteile aufhebe und
behalte das Subjekt, so entspringt ein Widerspruch, und daher sage
ich: jenes kommt diesem notwendigerweise zu. Hebe ich aber das Subjekt
zusamt dem Praedikate auf, so entspringt kein Widerspruch; denn
es ist nichts mehr, welchem widersprochen werden koennte. Einen
Triangel setzen und doch die drei Winkel desselben aufheben, ist
widersprechend; aber den Triangel samt seinen drei Winkeln aufheben,
ist kein Widerspruch. Gerade ebenso ist es mit dem Begriffe eines
absolut notwendigen Wesens bewandt. Wenn ihr das Dasein desselben
aufhebt, so hebt ihr das Ding selbst mit allen seinen Praedikaten auf;
wo soll alsdann der Widerspruch herkommen? Aeusserlich ist nichts, dem
widersprochen wuerde, denn das Ding soll nicht aeusserlich notwendig
sein; innerlich auch nichts, denn ihr habt, durch Aufhebung des Dinges
selbst, alles Innere zugleich aufgehoben. Gott ist allmaechtig; das
ist ein notwendiges Urteil. Die Allmacht kann nicht aufgehoben werden,
wenn ihr eine Gottheit, d.i. ein unendlich Wesen, setzt, mit dessen
Begriff jener identisch ist. Wenn ihr aber sagt: Gott ist nicht, so
ist weder die Allmacht, noch irgendein anderes seiner Praedikate
gegeben; denn sie sind alle zusamt dem Subjekte aufgehoben, und es
zeigt sich in diesem Gedanken nicht der mindeste Widerspruch.
Ihr habt also gesehen, dass, wenn ich das Praedikat eines Urteils
zusamt dem Subjekte aufhebe, niemals ein innerer Widerspruch
entspringen koenne, das Praedikat mag auch sein, welches es wolle.
Nun bleibt euch keine Ausflucht uebrig, als, ihr muesst sagen: es
gibt Subjekte, die gar nicht aufgehoben werden koennen, die also
bleiben muessen. Das wuerde aber ebensoviel sagen, als: es gibt
schlechterdings notwendige Subjekte; eine Voraussetzung, an deren
Richtigkeit ich eben gezweifelt habe, und deren Moeglichkeit ihr mir
zeigen wolltet. Denn ich kann mir nicht den geringsten Begriff von
einem Dinge machen, welches, wenn es mit allen seinen Praedikaten
aufgehoben wuerde, einen Widerspruch zurueck liesse, und ohne den
Widerspruch habe ich, durch blosse reine Begriffe a priori, kein
Merkmal der Unmoeglichkeit.
Wider alle diese allgemeinen Schluesse (deren sich kein Mensch weigern
kann) fordert ihr mich durch einen Fall auf, den ihr, als einen Beweis
durch die Tat, aufstellt: dass es doch einen und zwar nur diesen Einen
Begriff gebe, da das Nichtsein oder das Aufheben seines Gegenstandes
in sich selbst widersprechend sei, und dieses ist der Begriff des
allerrealsten Wesens. Es hat, sagt ihr, alle Realitaet, und ihr seid
berechtigt, ein solches Wesen als moeglich anzunehmen, (welches ich
vorjetzt einwillige, obgleich der sich nicht widersprechende Begriff
noch lange nicht die Moeglichkeit des Gegenstandes beweist)*. Nun ist
unter aller Realitaet auch das Dasein mitbegriffen: Also liegt das
Dasein in dem Begriffe von einem Moeglichen. Wird dieses Ding nun
aufgehoben, so wird die innere Moeglichkeit des Dinges aufgehoben,
welches widersprechend ist.
* Der Begriff ist allemal moeglich, wenn er sich nicht widerspricht.
  Das ist das logische Merkmal der Moeglichkeit, und dadurch wird
  sein Gegenstand vom nihil negativum unterschieden. Allein er kann
  nichtsdestoweniger ein leerer Begriff sein, wenn die objektive
  Realitaet der Synthesis, dadurch der Begriff erzeugt wird, nicht
  besonders dargetan wird; welches aber jederzeit, wie oben gezeigt
  worden, auf Prinzipien moeglicher Erfahrung und nicht auf dem
  Grundsatze der Analysis (dem Satze des Widerspruchs) beruht. Das
  ist eine Warnung, von der Moeglichkeit der Begriffe (logische) nicht
  sofort auf die Moeglichkeit der Dinge (reale) zu schliessen.
Ich antworte: Ihr habt schon einen Widerspruch begangen, wenn ihr in
den Begriff eines Dinges, welches ihr lediglich seiner Moeglichkeit
nach denken wolltet, es sei unter welchem versteckten Namen, schon den
Begriff seiner Existenz hinein brachtet. Raeumt man euch dieses ein,
so habt ihr dem Scheine nach gewonnen Spiel, in der Tat aber nichts
gesagt; denn ihr habt eine blosse Tautologie begangen. Ich frage euch,
ist der Satz: dieses oder jenes Ding (welches ich euch als moeglich
einraeume, es mag sein, welches es wolle,) existiert, ist, sage ich,
dieser Satz ein analytischer oder synthetischer Satz? Wenn er das
erstere ist, so tut ihr durch das Dasein des Dinges zu euerem Gedanken
von dem Dinge nichts hinzu, aber alsdann muesste entweder der Gedanke,
der in euch ist, das Ding selber sein, oder ihr habt ein Dasein, als
zur Moeglichkeit gehoerig, vorausgesetzt, und alsdann das Dasein dem
Vorgeben nach aus der inneren Moeglichkeit geschlossen, welches nichts
als eine elende Tautologie ist. Das Wort: Realitaet, welches im
Begriffe des Dinges anders klingt, als Existenz im Begriffe des
Praedikats, macht es nicht aus. Denn, wenn ihr auch alles Setzen
(unbestimmt was ihr setzt) Realitaet nennt, so habt ihr das Ding schon
mit allen seinen Praedikaten im Begriffe des Subjekts gesetzt und als
wirklich angenommen, und im Praedikate wiederholt ihr es nur. Gesteht
ihr dagegen, wie es billigermassen jeder Vernuenftige gestehen muss,
dass ein jeder Existenzialsatz synthetisch sei, wie wollt ihr dann
behaupten, dass das Praedikat der Existenz sich ohne Widerspruch nicht
aufheben lasse? da dieser Vorzug nur den analytischen, als deren
Charakter eben darauf beruht, eigentuemlich zukommt.
Ich wuerde zwar hoffen, diese grueblerische Argutation, ohne allen
Umschweif, durch eine genaue Bestimmung des Begriffs der Existenz
zunichte zu machen, wenn ich nicht gefunden haette, dass die Illusion,
in Verwechslung eines logischen Praedikats mit einem realen, (d.i.
der Bestimmung eines Dinges,) beinahe alle Belehrung ausschlage.
Zum logischen Praedikate kann alles dienen, was man will, sogar das
Subjekt kann von sich selbst praediziert werden; denn die Logik
abstrahiert von allem Inhalte. Aber die Bestimmung ist ein
Praedikat, welches ueber den Begriff des Subjekts hinzukommt und ihn
vergroessert. Sie muss also nicht in ihm schon enthalten sein.
Sein ist offenbar kein reales Praedikat, d.i. ein Begriff von irgend
etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen koenne. Es ist
bloss die Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich
selbst. Im logischen Gebrauche ist es lediglich die Copula eines
Urteils. Der Satz: Gott ist allmaechtig, enthaelt zwei Begriffe, die
ihre Objekte haben: Gott und Allmacht; das Woertchen: ist, ist nicht
noch ein Praedikat obenein, sondern nur das, was das Praedikat
beziehungsweise aufs Subjekt setzt. Nehme ich nun das Subjekt (Gott)
mit allen seinen Praedikaten (worunter auch die Allmacht gehoert)
zusammen, und sage: Gott ist, oder es ist ein Gott, so setze ich kein
neues Praedikat zum Begriffe von Gott, sondern nur das Subjekt an
sich selbst mit allen seinen Praedikaten, und zwar den Gegenstand in
Beziehung auf meinen Begriff. Beide muessen genau einerlei enthalten,
und es kann daher zu dem Begriffe, der bloss die Moeglichkeit
ausdrueckt, darum, dass ich dessen Gegenstand als schlechthin gegeben
(durch den Ausdruck: er ist) denke, nichts weiter hinzukommen. Und so
enthaelt das Wirkliche nichts mehr als das bloss Moegliche. Hundert
wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert
moegliche. Denn, da diese den Begriff, jene aber den Gegenstand und
dessen Position an sich selbst bedeuten, so wuerde, im Fall dieser
mehr enthielte als jener, mein Begriff nicht den ganzen Gegenstand
ausdruecken, und also auch nicht der angemessene Begriff von ihm sein.
Aber in meinem Vermoegenszustande ist mehr bei hundert wirklichen
Talern, als bei dem blossen Begriffe derselben, (d. i. ihrer
Moeglichkeit). Denn der Gegenstand ist bei der Wirklichkeit nicht
bloss in meinem Begriffe analytisch enthalten, sondern kommt zu meinem
Begriffe (der eine Bestimmung meines Zustandes ist) synthetisch hinzu,
ohne dass durch dieses Sein ausserhalb meinem Begriffe diese gedachten
hundert Taler selbst im mindesten vermehrt werden.
Wenn ich also ein Ding, durch welche und wie viel Praedikate ich will,
(selbst in der durchgaengigen Bestimmung) denke, so kommt dadurch,
dass ich noch hinzusetze, dieses Ding ist, nicht das mindeste zu dem
Dinge hinzu. Denn sonst wuerde nicht eben dasselbe, sondern mehr
existieren, als ich im Begriffe gedacht hatte, und ich koennte nicht
sagen, dass gerade der Gegenstand meines Begriffs existiere. Denke ich
mir auch sogar in einem Dinge alle Realitaet ausser einer, so kommt
dadurch, dass ich sage, ein solches mangelhaftes Ding existiert,
die fehlende Realitaet nicht hinzu, sondern es existiert gerade mit
demselben Mangel behaftet, als ich es gedacht habe, sonst wuerde etwas
anderes, als ich dachte, existieren. Denke ich mir nun ein Wesen als
die hoechste Realitaet (ohne Mangel), so bleibt noch immer die Frage,
ob es existiere, oder nicht. Denn, obgleich an meinem Begriffe, von
dem moeglichen realen Inhalte eines Dinges ueberhaupt, nichts fehlt,
so fehlt doch noch etwas an dem Verhaeltnisse zu meinem ganzen
Zustande des Denkens, naemlich dass die Erkenntnis jenes Objekts auch
a posteriori moeglich sei. Und hier zeigt sich auch die Ursache der
hierbei obwaltenden Schwierigkeit. Waere von einem Gegenstande der
Sinne die Rede, so wuerde ich die Existenz des Dinges mit dem blossen
Begriffe des Dinges nicht verwechseln koennen. Denn durch den Begriff
wird der Gegenstand nur mit den allgemeinen Bedingungen einer
moeglichen empirischen Erkenntnis ueberhaupt als einstimmig, durch
die Existenz aber als in dem Kontext der gesamten Erfahrung enthalten
gedacht; da denn durch die Verknuepfung mit dem Inhalte der gesamten
Erfahrung der Begriff vom Gegenstande nicht im mindesten vermehrt
wird, unser Denken aber durch denselben eine moegliche Wahrnehmung
mehr bekommt. Wollen wir dagegen die Existenz durch die reine
Kategorie allein denken, so ist kein Wunder, dass wir kein Merkmal
angeben koennen, sie von der blossen Moeglichkeit zu unterscheiden.
Unser Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wie
viel er wolle, so muessen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die
Existenz zu erteilen. Bei Gegenstaenden der Sinne geschieht dieses
durch den Zusammenhang mit irgendeiner meiner Wahrnehmungen nach
empirischen Gesetzen; aber fuer Objekte des reinen Denkens in ganz und
gar kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen, weil es gaenzlich a priori
erkannt werden muesste, unser Bewusstsein aller Existenz aber (es sei
durch Wahrnehmung unmittelbar, oder durch Schluesse, die etwas mit
der Wahrnehmung verknuepfen,) gehoert ganz und gar zur Einheit der
Erfahrung, und eine Existenz ausser diesem Felde kann zwar nicht
schlechterdings fuer unmoeglich erklaert werden, sie ist aber eine
Voraussetzung, die wir durch nichts rechtfertigen koennen.
Der Begriff eines hoechsten Wesens ist eine in mancher Absicht sehr
nuetzliche Idee; sie ist aber eben darum, weil sie bloss Idee ist,
ganz unfaehig, um vermittelst ihrer allein unsere Erkenntnis in
Ansehung dessen, was existiert, zu erweitern. Sie vermag nicht einmal
so viel, dass sie uns in Ansehung der Moeglichkeit eines Mehreren
belehrte. Das analytische Merkmal der Moeglichkeit, das darin besteht,
dass blosse Positionen (Realitaeten) keinen Widerspruch erzeugen, kann
ihm zwar nicht gestritten werden; weil aber die Verknuepfung aller
realen Eigenschaften in einem Dinge eine Synthesis ist, ueber deren
Moeglichkeit wir a priori nicht urteilen koennen, weil uns die
Realitaeten spezifisch nicht gegeben sind, und, wenn dieses auch
geschaehe, ueberall gar kein Urteil darin stattfindet, weil das
Merkmal der Moeglichkeit synthetischer Erkenntnisse immer nur in der
Erfahrung gesucht werden muss, zu welcher aber der Gegenstand einer
Idee nicht gehoeren kann; so hat der beruehmte Leibniz bei weitem
das nicht geleistet, wessen er sich schmeichelte, naemlich eines so
erhabenen idealischen Wesens Moeglichkeit a priori einsehen zu wollen.
Es ist also an dem so beruehmten ontologischen (Cartesianischen)
Beweise, vom Dasein eines hoechsten Wesens, aus Begriffen, alle Muehe
und Arbeit verloren, und ein Mensch moechte wohl ebensowenig aus
blossen Ideen an Einsichten reicher werden, als ein Kaufmann
an Vermoegen, wenn er, um seinen Zustand zu verbessern, seinem
Kassenbestande einige Nullen anhaengen wollte.
Des dritten Hauptstuecks
Fuenfter Abschnitt
Von der Unmoeglichkeit eines kosmologischen Beweises vom Dasein Gottes
Es war etwas ganz Unnatuerliches und eine blosse Neuerung des
Schulwitzes, aus einer ganz willkuerlich entworfenen Idee das Dasein
des ihr entsprechenden Gegenstandes selbst ausklauben zu wollen. In
der Tat wuerde man es nie auf diesem Wege versucht haben, waere nicht
die Beduerfnis unserer Vernunft, zur Existenz ueberhaupt irgend
etwas Notwendiges (bei dem man im Aufsteigen stehenbleiben koenne)
anzunehmen, vorhergegangen, und waere nicht die Vernunft, da diese
Notwendigkeit unbedingt und a priori gewiss sein muss, gezwungen
worden, einen Begriff zu suchen, der, wo moeglich, einer solchen
Forderung ein Genuege taete, und ein Dasein voellig a priori zu
erkennen gebe. Diesen glaubte man nun in der Idee eines allerrealsten
Wesens zu finden und so wurde diese nur zur bestimmteren Kenntnis
desjenigen, wovon man schon anderweitig ueberzeugt oder ueberredet
war, es muesse existieren, naemlich des notwendigen Wesens, gebraucht.
Indes verhehlte man diesen natuerlichen Gang der Vernunft, und,
anstatt bei diesem Begriffe zu endigen, versuchte man von ihm
anzufangen, um die Notwendigkeit des Daseins aus ihm abzuleiten, die
er doch nur zu ergaenzen bestimmt war. Hieraus entsprang nun der
verunglueckte ontologische Beweis, der weder fuer den natuerlichen
und gesunden Verstand, noch fuer die schulgerechte Pruefung etwas
Genugtuendes bei sich fuehrt.
Der kosmologische Beweis, den wir jetzt untersuchen wollen, behaelt
die Verknuepfung der absoluten Notwendigkeit mit der hoechsten
Realitaet bei, aber anstatt, wie der vorige, von der hoechsten
Realitaet auf die Notwendigkeit im Dasein zu schliessen, schliesst
er vielmehr von der zum voraus gegebenen unbedingten Notwendigkeit
irgendeines Wesens, auf dessen unbegrenzte Realitaet, und bringt
sofern alles wenigstens in das Geleis einer, ich weiss nicht ob
vernuenftigen, oder vernuenftelnden, wenigstens natuerlichen
Schlussart, welche nicht allein fuer den gemeinen, sondern auch den
spekulativen Verstand die meiste Ueberredung bei sich fuehrt; wie sie
denn auch sichtbarlich zu allen Beweisen der natuerlichen Theologie
die ersten Grundlinien zieht, denen man jederzeit nachgegangen ist und
ferner nachgehen wird, man mag sie nun durch noch so viel Laubwerk
und Schnoerkel verzieren und verstecken, als man immer will. Diesen
Beweis, den Leibniz auch den a contingentia mundi nannte, wollen wir
jetzt vor Augen stellen und der Pruefung unterwerfen.
Er lautet also: Wenn etwas existiert, so muss auch ein schlechterdings
notwendiges Wesen existieren. Nun existiere, zum mindesten, ich
selbst: also existiert ein absolut notwendiges Wesen. Der Untersatz
enthaelt eine Erfahrung, der Obersatz die Schlussfolge aus einer
Erfahrung ueberhaupt auf das Dasein des Notwendigen.* Also hebt der
Beweis eigentlich von der Erfahrung an, mithin ist er nicht gaenzlich
a priori gefuehrt, oder ontologisch, und weil der Gegenstand aller
moeglichen Erfahrung Welt heisst, so wird er darum der kosmologische
Beweis genannt. Da er auch von aller besonderen Eigenschaft der
Gegenstaende der Erfahrung, dadurch sich diese Welt von jeder
moeglichen unterscheiden mag, abstrahiert: so wird er schon in seiner
Benennung auch vom physikotheologischen Beweise unterschieden, welcher
Beobachtungen der besonderen Beschaffenheit dieser unserer Sinnenwelt
zu Beweisgruenden braucht.
* Diese Schlussfolge ist zu bekannt, als das es noetig waere, sie
  hier weitlaeufig vorzutragen. Sie beruht auf dem vermeintlich
  transzendentalen Naturgesetz der Kausalitaet: dass alles Zufaellige
  seine Ursache habe, die, wenn sie wiederum zufaellig ist, ebensowohl
  eine Ursache haben muss, bis die Reihe der einander untergeordneten
  Ursachen sich bei einer schlechthin notwendigen Ursache endigen
  muss, ohne welche sie keine Vollstaendigkeit haben wuerde.
Nun schliesst der Beweis weiter: das notwendige Wesen kann nur auf
eine einzige Art, d.i. in Ansehung aller moeglichen entgegengesetzten
Praedikate nur durch eines derselben, bestimmt werden, folglich muss
es durch seinen Begriff durchgaengig bestimmt sein. Nun ist nur ein
einziger Begriff von einem Dinge moeglich, der dasselbe a priori
durchgaengig bestimmt, naemlich der des entis realissimi: Also ist der
Begriff des allerrealsten Wesens der einzige, dadurch ein notwendiges
Wesen gedacht werden kann, d.i. es existiert ein hoechstes Wesen
notwendigerweise.
In diesem kosmologischen Argumente kommen so viel vernuenftelnde
Grundsaetze zusammen, dass die spekulative Vernunft hier alle
ihre dialektische Kunst aufgeboten zu haben scheint, um den
groesstmoeglichen transzendentalen Schein zustande zu bringen. Wir
wollen ihre Pruefung indessen eine Weile beiseite setzen, um nur eine
List derselben offenbar zu machen, mit welcher sie ein altes Argument
in verkleideter Gestalt fuer ein neues aufstellt und sich auf zweier
Zeugen Einstimmung beruft, naemlich einem reinen Vernunftzeugen und
einem anderen von empirischer Beglaubigung, da es doch nur der erstere
allein ist, welcher bloss seinen Anzug und Stimme veraendert, um fuer
einen zweiten gehalten zu werden. Um seinen Grund recht sicher zu
legen, fusst sich dieser Beweis auf Erfahrung und gibt sich dadurch
das Ansehen, als sei er vom ontologischen Beweise unterschieden, der
auf lauter reine Begriffe a priori sein ganzes Vertrauen setzt. Dieser
Erfahrung aber bedient sich der kosmologische Beweis nur, um einen
einzigen Schritt zu tun, naemlich zum Dasein eines notwendigen Wesens
ueberhaupt. Was dieses fuer Eigenschaften habe, kann der empirische
Beweisgrund nicht lehren, sondern da nimmt die Vernunft gaenzlich von
ihm Abschied und forscht hinter lauter Begriffen: was naemlich ein
absolut notwendiges Wesen ueberhaupt fuer Eigenschaften haben muesse,
(d.i. welches unter allen moeglichen Dingen die erforderlichen
Bedingungen (requisita) zu einer absoluten Notwendigkeit in sich
enthalte. Nun glaubt sie im Begriffe eines allerrealsten Wesens einzig
und allein diese Requisite anzutreffen, und schliesst sodann: das
ist das schlechterdings notwendige Wesen. Es ist aber klar, dass
man hierbei voraussetzt, der Begriff eines Wesens von der hoechsten
Realitaet tue dem Begriffe der absoluten Notwendigkeit im Dasein
voellig genug, d.i. es lasse sich aus jener auf diese schliessen; ein
Satz, den das ontologische Argument behauptete, welches man also im
kosmologischen Beweise annimmt und zum Grunde legt, da man es doch
hatte vermeiden wollen. Denn die absolute Notwendigkeit ist ein Dasein
aus blossen Begriffen. Sage ich nun: der Begriff des entis realissimi
ist ein solcher Begriff, und zwar der einzige, der zu dem notwendigen
Dasein passend und ihm adaequat ist; so muss ich auch einraeumen, dass
aus ihm das letztere geschlossen werden koenne. Es ist also eigentlich
nur der ontologische Beweis aus lauter Begriffen, der in dem
sogenannten kosmologischen alle Beweiskraft enthaelt, und die
angebliche Erfahrung ist ganz muessig, vielleicht, um uns nur auf den
Begriff der absoluten Notwendigkeit zu fuehren, nicht aber um diese
an irgendeinem bestimmten Dinge darzutun. Denn sobald wir dieses zur
Absicht haben, muessen wir sofort alle Erfahrung verlassen, und unter
reinen Begriffen suchen, welcher von ihnen wohl die Bedingungen der
Moeglichkeit eines absolut notwendigen Wesens enthalte. Ist aber auf
solche Weise nur die Moeglichkeit eines solchen Wesens eingesehen,
so ist auch sein Dasein dargetan; denn es heisst so viel, als: unter
allem Moeglichen ist Eines, das absolute Notwendigkeit bei sich
fuehrt, d.i. dieses Wesen existiert schlechterdings notwendig.
Alle Blendwerke im Schliessen entdecken sich am leichtesten, wenn
man sie auf schulgerechte Art vor Augen stellt. Hier ist eine solche
Darstellung.
Wenn der Satz richtig ist: ein jedes schlechthin notwendiges Wesen ist
zugleich das allerrealste Wesen; (als welches der nervus probandi des
kosmologischen Beweises ist;) so muss er sich, wie alle bejahenden
Urteile, wenigstens per accidens umkehren lassen; also: einige
allerrealste Wesen sind zugleich schlechthin notwendige Wesen. Nun
ist aber ein ens realissimum von einem anderen in keinem Stuecke
unterschieden, und, was also von einigen unter diesem Begriffe
enthaltenen gilt, das gilt auch von allen. Mithin werde ich (in diesem
Falle) auch schlechthin umkehren koennen, d.i. ein jedes allerrealste
Wesen ist ein notwendiges Wesen. Weil nun dieser Satz bloss aus seinen
Begriffen a priori bestimmt ist: so muss der blosse Begriff des
realsten Wesens auch die absolute Notwendigkeit desselben bei sich
fuehren; welches eben der ontologische Beweis behauptete, und der
kosmologische nicht anerkennen wollte, gleichwohl aber seinen
Schluessen, obzwar versteckter Weise, unterlegte.
So ist denn der zweite Weg, den die spekulative Vernunft nimmt, um das
Dasein des hoechsten Wesens zu beweisen, nicht allein mit dem ersten
gleich trueglich, sondern hat noch dieses Tadelhafte an sich, dass er
eine ignoratio elenchi begeht, indem er uns verheisst, einen neuen
Fusssteig zu fuehren, aber, nach einem kleinen Umschweif, uns wiederum
auf den alten zurueckbringt, den wir seinetwegen verlassen hatten.
Ich habe kurz vorher gesagt, dass in diesem kosmologischen Argumente
sich ein ganzes Nest von dialektischen Anmassungen verborgen halte,
welches die transzendentale Kritik leicht entdecken und zerstoeren
kann. Ich will sie jetzt nur anfuehren und es dem schon geuebten Leser
ueberlassen, den trueglichen Grundsaetzen weiter nachzuforschen und
sie aufzuheben.
Da befindet sich denn z.B. 1. der transzendentale Grundsatz, vom
Zufaelligen auf eine Ursache zu schliessen, welcher nur in der
Sinnenwelt von Bedeutung ist, ausserhalb derselben aber auch nicht
einmal einen Sinn hat. Denn der bloss intellektuelle Begriff
des Zufaelligen kann gar keinen synthetischen Satz, wie den der
Kausalitaet, hervorbringen, und der Grundsatz der letzteren hat gar
keine Bedeutung und kein Merkmal seines Gebrauchs, als nur in der
Sinnenwelt; hier aber sollte er gerade dazu dienen, um ueber die
Sinnenwelt hinaus zu kommen. 2. Der Schluss, von der Unmoeglichkeit
einer unendlichen Reihe uebereinander gegebenen Ursachen in der
Sinnenwelt auf eine erste Ursache zu schliessen, wozu uns die
Prinzipien des Vernunftgebrauchs selbst in der Erfahrung nicht
berechtigen, vielweniger diesen Grundsatz ueber dieselbe (wohin diese
Kette gar nicht verlaengert werden kann) ausdehnen koennen. 3. Die
falsche Selbstbefriedigung der Vernunft, in Ansehung der Vollendung
dieser Reihe, dadurch, dass man endlich alle Bedingung, ohne welche
doch kein Begriff einer Notwendigkeit stattfinden kann, wegschafft,
und, da man alsdann nichts weiter begreifen kann, dieses fuer eine
Vollendung seines Begriffs annimmt. 4. Die Verwechslung der logischen
Moeglichkeit eines Begriffs von aller vereinigten Realitaet (ohne
inneren Widerspruch) mit der transzendentalen, welche ein Prinzipium
der Tunlichkeit einer solchen Synthesis bedarf, das aber wiederum nur
auf das Feld moeglicher Erfahrungen gehen kann, usw.
Das Kunststueck des kosmologischen Beweises zielt bloss darauf ab, um
dem Beweise des Daseins eines notwendigen Wesens a priori durch blosse
Begriffe auszuweichen, der ontologisch gefuehrt werden muesste,
wozu wir uns aber gaenzlich unvermoegend fuehlen. In dieser Absicht
schliessen wir aus einem zum Grunde gelegten wirklichen Dasein (einer
Erfahrung ueberhaupt), so gut es sich will tun lassen, auf irgendeine
schlechterdings notwendige Bedingung desselben. Wir haben alsdann
dieser ihre Moeglichkeit nicht noetig zu erklaeren. Denn, wenn
bewiesen ist, dass sie da sei, so ist die Frage wegen ihrer
Moeglichkeit ganz unnoetig. Wollen wir nun dieses notwendige Wesen
nach seiner Beschaffenheit naeher bestimmen, so suchen wir nicht
dasjenige, was hinreichend ist, aus seinem Begriffe die Notwendigkeit
des Daseins zu begreifen; denn, koennten wir dieses, so haetten wir
keine empirische Voraussetzung noetig; nein, wir suchen nur die
negative Bedingung, (conditio sine qua non,) ohne welche ein Wesen
nicht absolut notwendig sein wuerde. Nun wuerde das in aller anderen
Art von Schluessen, aus einer gegebenen Folge auf ihren Grund, wohl
angehen; es trifft sich aber hier ungluecklicherweise, dass die
Bedingung, die man zur absoluten Notwendigkeit fordert, nur in einem
einzigen Wesen angetroffen werden kann, welches daher in seinem
Begriffe alles, was zur absoluten Notwendigkeit erforderlich ist,
enthalten muesste, und also einen Schluss a priori auf dieselbe
moeglich macht; d.i. ich muesste auch umgekehrt schliessen koennen:
welchem Dinge dieser Begriff (der hoechsten Realitaet) zukommt, das
ist schlechterdings notwendig, und, kann ich so nicht schliessen,
(wie ich denn dieses gestehen muss, wenn ich den ontologischen Beweis
vermeiden will,) so bin ich auch auf meinem neuen Wege verunglueckt
und befinde mich wiederum da, von wo ich ausging. Der Begriff des
hoechsten Wesens tut wohl allen Fragen a priori ein Genuege, die wegen
der inneren Bestimmungen eines Dinges koennen aufgeworfen werden, und
ist darum auch ein Ideal ohne Gleichen, weil der allgemeine Begriff
dasselbe zugleich als ein Individuum unter allen moeglichen Dingen
auszeichnet. Er tut aber der Frage wegen seines eigenen Daseins gar
kein Genuege, als warum es doch eigentlich nur zu tun war, und man
konnte auf die Erkundigung dessen, der das Dasein eines notwendigen
Wesens annahm, und nur wissen wollte, welches denn unter allen Dingen
dafuer angesehen werden muesse, nicht antworten: Dies hier ist das
notwendige Wesen.
Es mag wohl erlaubt sein, das Dasein eines Wesens von der hoechsten
Zulaenglichkeit, als Ursache zu allen moeglichen Wirkungen,
anzunehmen, um der Vernunft die Einheit der Erklaerungsgruende, welche
sie sucht, zu erleichtern. Allein, sich so viel herauszunehmen, dass
man sogar sage: ein solches Wesen existiert notwendig, ist nicht mehr
die bescheidene Aeusserung einer erlaubten Hypothese, sondern die
dreiste Anmassung einer apodiktischen Gewissheit; denn, was man
als schlechthin notwendig zu erkennen vorgibt, davon muss auch die
Erkenntnis absolute Notwendigkeit bei sich fuehren.
Die ganze Aufgabe des transzendentalen Ideals kommt darauf an:
entweder zu der absoluten Notwendigkeit einen Begriff, oder zu dem
Begriffe von irgendeinem Dinge die absolute Notwendigkeit desselben zu
finden. Kann man das eine, so muss man auch das andere koennen; denn
als schlechthin notwendig erkennt die Vernunft nur dasjenige, was aus
seinem Begriffe notwendig ist. Aber beides uebersteigt gaenzlich alle
aeussersten Bestrebungen, unseren Verstand ueber diesen Punkt zu
befriedigen, aber auch alle Versuche, ihn wegen dieses seines
Unvermoegens zu beruhigen.
Die unbedingte Notwendigkeit, die wir, als den letzten Traeger aller
Dinge, so unentbehrlich beduerfen, ist der wahre Abgrund fuer die
menschliche Vernunft. Selbst die Ewigkeit, so schauderhaft erhaben sie
auch ein Haller schildern mag, macht lange den schwindligen Eindruck
nicht auf das Gemuet; denn sie misst nur die Dauer der Dinge, aber
traegt sie nicht. Man kann sich des Gedanken nicht erwehren, man kann
ihn aber auch nicht ertragen: dass ein Wesen, welches wir uns auch
als das hoechste unter allen moeglichen vorstellen, gleichsam zu sich
selbst sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, ausser mir ist nichts,
ohne das, was bloss durch meinen Willen etwas ist; aber woher bin ich
denn? Hier sinkt alles unter uns, und die groesste Vollkommenheit,
wie die kleinste, schwebt ohne Haltung bloss vor der spekulativen
Vernunft, der es nichts kostet, die eine so wie die andere ohne die
mindeste Hindernis verschwinden zu lassen.
Viele Kraefte der Natur, die ihr Dasein durch gewisse Wirkungen
aeussern, bleiben fuer uns unerforschlich; denn wir koennen ihnen
durch Beobachtung nicht weit genug nachspueren. Das den Erscheinungen
zum Grunde liegende transzendentale Objekt, und mit demselben der
Grund, warum unsere Sinnlichkeit diese vielmehr als andere oberste
Bedingungen habe, sind und bleiben fuer uns unerforschlich, obzwar die
Sache selbst uebrigens gegeben, aber nur nicht eingesehen ist. Ein
Ideal der reinen Vernunft kann aber nicht unerforschlich heissen, weil
es weiter keine Beglaubigung seiner Realitaet aufzuweisen hat, als
die Beduerfnis der Vernunft, vermittelst desselben alle synthetische
Einheit zu vollenden. Da es also nicht einmal als denkbarer Gegenstand
gegeben ist, so ist es auch nicht als ein solcher unerforschlich;
vielmehr muss er, als blosse Idee, in der Natur der Vernunft seinen
Sitz und seine Aufloesung finden, und also erforscht werden koennen;
denn eben darin besteht Vernunft, dass wir von allen unseren
Begriffen, Meinungen und Behauptungen, es sei aus objektiven,
oder, wenn sie ein blosser Schein sind, aus subjektiven Gruenden
Rechenschaft geben koennen.
Entdeckung und Erklaerung des dialektischen Scheins in allen
transzendentalen Beweisen vom Dasein eines notwendigen Wesens.
Beide bisher gefuehrten Beweise waren transzendental, d.i. unabhaengig
von empirischen Prinzipien versucht. Denn, obgleich der kosmologische
eine Erfahrung ueberhaupt zum Grunde legt, so ist er doch nicht
aus irgendeiner besonderen Beschaffenheit derselben, sondern aus
reinen Vernunftprinzipien, in Beziehung auf eine durchs empirische
Bewusstsein ueberhaupt gegebene Existenz, gefuehrt und verlaesst
sogar diese Anleitung, um sich auf lauter reine Begriffe zu stuetzen.
Was ist nun in diesen transzendentalen Beweisen die Ursache des
dialektischen, aber natuerlichen Scheins, welcher die Begriffe der
Notwendigkeit und hoechsten Realitaet verknuepft, und dasjenige, was
doch nur Idee sein kann, realisiert und hypostasiert? Was ist die
Ursache der Unvermeidlichkeit, etwas als an sich notwendig unter den
existierenden Dingen anzunehmen, und doch zugleich vor dem Dasein
eines solchen Wesens als einem Abgrunde zurueckzubeben, und wie faengt
man es an, dass sich die Vernunft hierueber selbst verstehe, und aus
dem schwankenden Zustande eines schuechternen, und immer wiederum
zurueckgenommenen Beifalls, zur ruhigen Einsicht gelange?
Es ist etwas ueberaus Merkwuerdiges, dass, wenn man voraussetzt,
etwas existiere, man der Folgerung nicht Umgang haben kann, dass auch
irgend etwas notwendigerweise existiere. Auf diesem ganz natuerlichen
(obzwar darum noch nicht sicheren) Schlusse beruhte das kosmologische
Argument. Dagegen mag ich einen Begriff von einem Dinge annehmen,
welchen ich will, so finde ich, dass sein Dasein niemals von mir als
schlechterdings notwendig vorgestellt werden koenne, und dass mich
nichts hindere, es mag existieren was da wolle, das Nichtsein
desselben zu denken, mithin ich zwar zu dem Existierenden ueberhaupt
etwas Notwendiges annehmen muesse, kein einziges Ding aber selbst als
an sich notwendig denken koenne. Das heisst: ich kann das Zurueckgehen
zu den Bedingungen des Existierens niemals vollenden, ohne ein
notwendig Wesen anzunehmen, ich kann aber von demselben niemals
anfangen.
Wenn ich zu existierenden Dingen ueberhaupt etwas Notwendiges
denken muss, kein Ding aber an sich selbst als notwendig zu denken
befugt bin, so folgt daraus unvermeidlich, dass Notwendigkeit und
Zufaelligkeit nicht die Dinge selbst angehen und treffen muesse, weil
sonst ein Widerspruch vorgehen wuerde; mithin keiner dieser beiden
Grundsaetze objektiv sei, sondern sie allenfalls nur subjektive
Prinzipien der Vernunft sein koennen, naemlich einerseits zu allem,
was als existierend gegeben ist, etwas zu suchen, das notwendig ist,
d.i. niemals anderswo als bei einer a priori vollendeten Erklaerung
aufzuhoeren, andererseits aber auch diese Vollendung niemals zu
hoffen, d.i. nichts Empirisches als unbedingt anzunehmen, und sich
dadurch fernerer Ableitung zu ueberheben. In solcher Bedeutung koennen
beide Grundsaetze als bloss heuristisch und regulativ, die nichts als
das formale Interesse der Vernunft besorgen, ganz wohl beieinander
bestehen. Denn der eine sagt, ihr sollt so ueber die Natur
philosophieren, als ob es zu allem, was zur Existenz gehoert, einen
notwendigen ersten Grund gebe, lediglich um systematische Einheit in
eure Erkenntnis zu bringen, indem ihr einer solchen Idee, naemlich
einem eingebildeten obersten Grunde, nachgeht: der andere aber warnt
euch, keine einzige Bestimmung, die die Existenz der Dinge betrifft,
fuer einen solchen obersten Grund, d.i. als absolut notwendig
anzunehmen, sondern euch noch immer den Weg zur ferneren Ableitung
offen zu erhalten, und sie daher jederzeit noch als bedingt zu
behandeln. Wenn aber vor uns alles, was an den Dingen wahrgenommen
wird, als bedingt notwendig betrachtet werden muss: so kann auch kein
Ding (das empirisch gegeben sein mag) als absolut notwendig angesehen
werden.
Es folgt aber hieraus, dass ihr das absolut Notwendige ausserhalb
der Welt annehmen muesst; weil es nur zu einem Prinzip der
groesstmoeglichen Einheit der Erscheinungen, als deren oberster Grund,
dienen soll, und ihr in der Welt niemals dahin gelangen koennt, weil
die zweite Regel euch gebietet, alle empirischen Ursachen der Einheit
jederzeit als abgeleitet anzusehen.
Die Philosophen des Altertums sahen alle Form der Natur als zufaellig,
die Materie aber, nach dem Urteile der gemeinen Vernunft, als
urspruenglich und notwendig an. Wuerden sie aber die Materie nicht
als Substratum der Erscheinungen respektive sondern an sich selbst
ihrem Dasein nach betrachtet haben, so waere die Idee der absoluten
Notwendigkeit sogleich verschwunden. Denn es ist nichts, was die
Vernunft an dieses Dasein schlechthin bindet, sondern sie kann
solches, jederzeit und ohne Widerstreit, in Gedanken aufheben; in
Gedanken aber lag auch allein die absolute Notwendigkeit. Es musste
also bei dieser Ueberredung ein gewisses regulatives Prinzip zum
Grunde liegen. In der Tat ist auch Ausdehnung und Undurchdringlichkeit
(die zusammen den Begriff von Materie ausmachen) das oberste
empirische Prinzipium der Einheit der Erscheinungen, und hat, sofern
als es empirisch unbedingt ist, eine Eigenschaft des regulativen
Prinzips an sich. Gleichwohl, da jede Bestimmung der Materie, welche
das Reale derselben ausmacht, mithin auch die Undurchdringlichkeit,
eine Wirkung (Handlung) ist, die ihre Ursache haben muss, und daher
immer noch abgeleitet ist, so schickt sich die Materie doch nicht zur
Idee eines notwendigen Wesens, als eines Prinzips aller abgeleiteten
Einheit; weil jede ihrer realen Eigenschaften, als abgeleitet, nur
bedingt notwendig ist, und also an sich aufgehoben werden kann,
hiermit aber das ganze Dasein der Materie aufgehoben werden wuerde,
wenn dieses aber nicht geschaehe, wir den hoechsten Grund der Einheit
empirisch erreicht haben wuerden, welches durch das zweite regulative
Prinzip verboten wird, so folgt: dass die Materie, und ueberhaupt, was
zur Welt gehoerig ist, zu der Idee eines notwendigen Urwesens, als
eines blossen Prinzips der groessten empirischen Einheit, nicht
schicklich sei, sondern dass es ausserhalb der Welt gesetzt werden
muesse, da wir denn die Erscheinungen der Welt und ihr Dasein immer
getrost von anderen ableiten koennen, als ob es kein notwendig Wesen
gaebe, und dennoch zu der Vollstaendigkeit der Ableitung unaufhoerlich
streben koennen, als ob ein solches, als ein oberster Grund,
vorausgesetzt waere.
Das Ideal des hoechsten Wesens ist nach diesen Betrachtungen nichts
anderes, als ein regulatives Prinzip der Vernunft, alle Verbindung in
der Welt so anzusehen, als ob sie aus einer allgenugsamen notwendigen
Ursache entspraenge, um darauf die Regel einer systematischen und nach
allgemeinen Gesetzen notwendigen Einheit in der Erklaerung derselben
zu gruenden, und ist nicht eine Behauptung einer an sich notwendigen
Existenz. Es ist aber zugleich unvermeidlich, sich, vermittelst einer
transzendentalen Subreption, dieses formale Prinzip als konstitutiv
vorzustellen, und sich diese Einheit hypostatisch zu denken. Denn,
so wie der Raum, weil er alle Gestalten, die lediglich verschiedene
Einschraenkungen desselben sind, urspruenglich moeglich macht, ob er
gleich nur ein Prinzipium der Sinnlichkeit, ist dennoch eben darum
fuer ein schlechterdings notwendiges fuer sich bestehendes Etwas und
einen a priori an sich selbst gegebenen Gegenstand gehalten wird, so
geht es auch ganz natuerlich zu, dass, da die systematische Einheit
der Natur auf keinerlei Weise zum Prinzip des empirischen Gebrauchs
unserer Vernunft aufgestellt werden kann, als sofern wir die Idee
eines allerrealsten Wesens, als der obersten Ursache, zum Grunde
legen, diese Idee dadurch als ein wirklicher Gegenstand, und
dieser wiederum, weil er die oberste Bedingung ist, als notwendig
vorgestellt, mithin ein regulatives Prinzip in ein konstitutives
verwandelt werde; welche Unterschiebung sich dadurch offenbart, dass,
wenn ich nun dieses oberste Wesen, welches respektiv auf die Welt
schlechthin (unbedingt) notwendig war, als Ding fuer sich betrachte,
diese Notwendigkeit keines Begriffs faehig ist, und also nur
als formale Bedingung des Denkens, nicht aber als materiale und
hypostatische Bedingung des Daseins, in meiner Vernunft anzutreffen
gewesen sein muesse.
Des dritten Hauptstuecks
Sechster Abschnitt
Von der Unmoeglichkeit des physikotheologischen Beweises
Wenn denn weder der Begriff von Dingen ueberhaupt, noch die Erfahrung
von irgendeinem Dasein ueberhaupt, das, was gefordert wird, leisten
kann, so bleibt noch ein Mittel uebrig, zu versuchen, ob nicht eine
bestimmte Erfahrung, mithin die der Dinge der gegenwaertigen Welt,
ihre Beschaffenheit und Anordnung, einen Beweisgrund abgebe,
der uns sicher zur Ueberzeugung von dem Dasein eines hoechsten
Wesens verhelfen koenne. Einen solchen Beweis wuerden wir den
physikotheologischen nennen. Sollte dieser auch unmoeglich sein: so
ist ueberall kein genugtuender Beweis aus bloss spekulativer Vernunft
fuer das Dasein eines Wesens, welches unserer transzendentalen Idee
entspraeche, moeglich.
Man wird nach allen obigen Bemerkungen bald einsehen, dass der
Bescheid auf diese Nachfrage ganz leicht und buendig erwartet werden
koenne. Denn, wie kann jemals Erfahrung gegeben werden, die einer Idee
angemessen sein sollte? Darin besteht eben das Eigentuemliche der
letzteren, dass ihr niemals irgendeine Erfahrung kongruieren koenne.
Die transzendentale Idee von einem notwendigen allgenugsamen Urwesen
ist so ueberschwenglich gross, so hoch ueber alles Empirische, das
jederzeit bedingt ist, erhaben, dass man teils niemals Stoff genug in
der Erfahrung auftreiben kann, um einen solchen Begriff zu fuellen,
teils immer unter dem Bedingten herumtappt, und stets vergeblich
nach dem Unbedingten, wovon uns kein Gesetz irgendeiner empirischen
Synthesis ein Beispiel oder dazu die mindeste Leitung gibt, suchen
werden.
Wuerde das hoechste Wesen in dieser Kette der Bedingungen stehen, so
wuerde es selbst ein Glied der Reihe derselben sein, und, ebenso,
wie die niederen Glieder, denen es vorgesetzt ist, noch fernere
Untersuchung wegen seines noch hoeheren Grundes erfordern. Will man
es dagegen von dieser Kette trennen, und, als ein bloss intelligibles
Wesen, nicht in der Reihe der Naturursachen mitbegreifen: welche
Bruecke kann die Vernunft alsdann wohl schlagen, um zu demselben zu
gelangen? Da alle Gesetze des Ueberganges von Wirkungen zu Ursachen,
ja alle Synthesis und Erweiterung unserer Erkenntnis ueberhaupt auf
nichts anderes, als moegliche Erfahrung, mithin bloss auf Gegenstaende
der Sinnenwelt gestellt sind und nur in Ansehung ihrer eine Bedeutung
haben koennen.
Die gegenwaertige Weit eroeffnet uns einen so unermesslichen
Schauplatz von Mannigfaltigkeit, Ordnung, Zweckmaessigkeit und
Schoenheit, man mag diese nun in der Unendlichkeit des Raumes, oder
in der unbegrenzten Teilung desselben verfolgen, dass selbst nach
den Kenntnissen, welche unser schwache Verstand davon hat erwerben
koennen, alle Sprache, ueber so viele und unabsehlich grosse Wunder,
ihren Nachdruck, alle Zahlen ihre Kraft zu messen, und Selbst unsere
Gedanken alle Begrenzung vermissen, so, dass sich unser Urteil vom
Ganzen in ein sprachloses, aber desto beredteres Erstaunen aufloesen
muss. Allerwaerts sehen wir eine Kette der Wirkungen und Ursachen, von
Zwecken und den Mitteln, Regelmaessigkeit im Entstehen oder Vergehen,
und, indem nichts von selbst in den Zustand getreten ist, darin es
sich befindet, so weist er immer weiter hin nach einem anderen Dinge,
als seiner Ursache, welche gerade eben dieselbe weitere Nachfrage
notwendig macht, so, dass auf solche Weise das ganze All im Abgrunde
des Nichts versinken muesste, naehme man nicht etwas an, das
ausserhalb diesem unendlichen Zufaelligen, fuer sich selbst
urspruenglich und unabhaengig bestehend, dasselbe hielte, und als die
Ursache seines Ursprungs ihm zugleich seine Fortdauer sicherte. Diese
hoechste Ursache (in Ansehung aller Dinge der Welt) wie gross soll man
sie sich denken? Die Welt kennen wir nicht ihrem ganzen Inhalte nach,
noch weniger wissen wir ihre Groesse durch die Vergleichung mit allem,
was moeglich ist, zu schaetzen. Was hindert uns aber, dass, da wir
einmal in Absicht auf Kausalitaet ein aeusserstes und oberstes Wesen
beduerfen, es nicht zugleich dem Grade der Vollkommenheit nach ueber
alles andere Moegliche setzen sollten? welches wir leicht, obzwar
freilich nur durch den zarten Umriss eines abstrakten Begriffs,
bewerkstelligen koennen, wenn wir uns in ihm, als einer einigen
Substanz, alle moegliche Vollkommenheit vereinigt vorstellen; welcher
Begriff der Forderung unserer Vernunft in der Ersparung der Prinzipien
guenstig, in sich selbst keinen Widerspruechen unterworfen und selbst
der Erweiterung des Vernunftgebrauchs mitten in der Erfahrung, durch
die Leitung, welche eine solche Idee auf Ordnung und Zweckmaessigkeit
gibt, zutraeglich, nirgend aber einer Erfahrung auf entschiedene Art
zuwider ist.
Dieser Beweis verdient jederzeit mit Achtung genannt zu werden. Er ist
der aelteste, klarste und der gemeinen Menschenvernunft am meisten
angemessene. Er belebt das Studium der Natur, so wie er selbst von
diesem sein Dasein hat und dadurch immer neue Kraft bekommt. Er bringt
Zwecke und Absichten dahin, wo sie unsere Beobachtung nicht von selbst
entdeckt haette, und erweitert unsere Naturkenntnisse durch den
Leitfaden einer besonderen Einheit, deren Prinzip ausser der Natur
ist. Diese Kenntnisse wirken aber wieder auf ihre Ursache, naemlich
die veranlassende Idee, zurueck, und vermehren den Glauben an einen
hoechsten Urheber bis zu einer unwiderstehlichen Ueberzeugung.
Es wuerde daher nicht allein trostlos, sondern auch ganz umsonst sein,
dem Ansehen dieses Beweises etwas entziehen zu wollen. Die Vernunft,
die durch so maechtige und unter ihren Haenden immer wachsende, obzwar
nur empirische Beweisgruende, unablaessig gehoben wird, kann durch
keine Zweifel subtiler abgezogener Spekulation so niedergedrueckt
werden, dass sie nicht aus jeder grueblerischen Unentschlossenheit,
gleich als aus einem Traume, durch einen Blick, den sie auf die Wunder
der Natur und der Majestaet des Weltbaues wirft, gerissen werden
sollte, um sich von Groesse zu Groesse bis zur allerhoechsten, vom
Bedingten zur Bedingung, bis zum obersten und unbedingten Urheber zu
erheben.
Ob wir aber gleich wider die Vernunftmaessigkeit und Nuetzlichkeit
dieses Verfahrens nichts einzuwenden, sondern es vielmehr zu empfehlen
und aufzumuntern haben, so koennen wir darum doch die Ansprueche nicht
billigen, welche diese Beweisart auf apodiktische Gewissheit und
auf einen gar keiner Gunst oder fremden Unterstuetzung beduerftigen
Beifall machen moechte, und es kann der guten Sache keineswegs
schaden, die dogmatische Sprache eines hohnsprechenden Vernuenftlers
auf den Ton der Maessigung und Bescheidenheit, eines zur Beruhigung
hinreichenden, obgleich eben nicht unbedingte Unterwerfung
gebietenden Glaubens, herabzustimmen. Ich behaupte demnach, dass der
physikotheologische Beweis das Dasein eines hoechsten Wesens niemals
allein dartun koenne, sondern es jederzeit dem ontologischen (welchem
er nur zur Introduktion dient) ueberlassen muesse, diesen Mangel zu
ergaenzen, mithin dieser immer noch den einzig moeglichen Beweisgrund
(wofern ueberall nur ein spekulativer Beweis stattfindet) enthalte,
den keine menschliche Vernunft vorbeigehen kann.
Die Hauptmomente des gedachten physischtheologischen Beweises sind
folgende: 1. In der Welt finden sich allerwaerts deutliche Zeichen
einer Anordnung nach bestimmter Absicht, mit grosser Weisheit
ausgefuehrt, und in einem Ganzen von unbeschreiblicher
Mannigfaltigkeit des Inhalts sowohl, als auch unbegrenzter Groesse des
Umfangs. 2. Den Dingen der Welt ist diese zweckmaessige Anordnung ganz
fremd, und haengt ihnen nur zufaellig an, d.i. die Natur verschiedener
Dinge konnte von selbst, durch so vielerlei sich vereinigende Mittel,
zu bestimmten Endabsichten nicht zusammenstimmen, waeren sie nicht
durch ein anordnendes vernuenftiges Prinzip, nach zum Grunde liegenden
Ideen, dazu ganz eigentlich gewaehlt und angelegt worden. 3. Es
existiert also eine erhabene und weise Ursache (oder mehrere),
die nicht bloss, als blindwirkende allvermoegende Natur, durch
Fruchtbarkeit, sondern, als Intelligenz, durch Freiheit die Ursache
der Welt sein muss. 4. Die Einheit derselben laesst sich aus der
Einheit der wechselseitigen Beziehung der Teile der Welt, als
Glieder von einem kuenstlichen Bauwerk, an demjenigen, wohin unsere
Beobachtung reicht, mit Gewissheit, weiterhin aber, nach allen
Grundsaetzen der Analogie, mit Wahrscheinlichkeit schliessen.
Ohne hier mit der natuerlichen Vernunft ueber ihren Schluss zu
schikanieren, da sie aus der Analogie einiger Naturprodukte mit
demjenigen, was menschliche Kunst hervorbringt, wenn sie der Natur
Gewalt tut, und sie noetigt, nicht nach ihren Zwecken zu verfahren,
sondern sich in die unsrigen zu schmiegen, (der Aehnlichkeit derselben
mit Haeusern, Schiffen, Uhren,) schliesst, es werde eben eine solche
Kausalitaet, naemlich Verstand und Wille, bei ihr zum Grunde liegen,
wenn sie die innere Moeglichkeit der freiwirkenden Natur (die alle
Kunst und vielleicht selbst sogar die Vernunft zuerst moeglich macht),
noch von einer anderen, obgleich uebermenschlichen Kunst ableitet,
welche Schlussart vielleicht die schaerfste transz. Kritik nicht
aushalten duerfte; muss man doch gestehen, dass, wenn wir einmal eine
Ursache nennen sollen, wir hier nicht sicherer, als nach der Analogie
mit dergleichen zweckmaessigen Erzeugungen, die die einzigen sind,
wovon uns die Ursachen und Wirkungsart voellig bekannt sind, verfahren
koennen. Die Vernunft wuerde es bei sich selbst nicht verantworten
koennen, wenn sie von der Kausalitaet, die sie kennt, zu dunkeln und
unerweislichen Erklaerungsgruenden, die sie nicht kennt, uebergehen
wollte.
Nach diesem Schlusse muesste die Zweckmaessigkeit und Wohlgereimtheit
so vieler Naturanstalten bloss die Zufaelligkeit der Form, aber nicht
der Materie, d.i. der Substanz in der Welt beweisen; denn zu dem
letzteren wuerde noch erfordert werden, dass bewiesen werden koennte,
die Dinge der Welt waeren an sich selbst zu dergleichen Ordnung und
Einstimmung, nach allgemeinen Gesetzen, untauglich, wenn sie nicht,
selbst ihrer Substanz nach, das Produkt einer hoechsten Weisheit
waeren; wozu aber ganz andere Beweisgruende, als die von der Analogie
mit menschlicher Kunst, erfordert werden wuerden. Der Beweis koennte
also hoechstens einen Weltbaumeister, der durch die Tauglichkeit des
Stoffs, den er bearbeitet, immer sehr eingeschraenkt waere, aber
nicht einen Weltschoepfer, dessen Idee alles unterworfen ist, dartun,
welches zu der grossen Absicht, die man vor Augen hat, naemlich ein
allgenugsames Urwesen zu beweisen, bei weitem nicht hinreichend ist.
Wollten wir die Zufaelligkeit der Materie selbst beweisen, so muessten
wir zu einem transzendentalen Argumente unsere Zuflucht nehmen,
welches aber hier eben hat vermieden werden sollen.
Der Schluss geht also von der in der Welt so durchgaengig
beobachtenden Ordnung und Zweckmaessigkeit, als einer durchaus
zufaelligen Einrichtung, auf das Dasein einer ihr proportionierten
Ursache. Der Begriff dieser Ursache aber muss uns etwas ganz
Bestimmtes von ihr zu erkennen geben, und er kann also kein anderer
sein, als der von einem Wesen, das alle Macht, Weisheit usw., mit
einem Worte alle Vollkommenheit, als ein allgenugsames Wesen,
besitzt. Denn die Praedikate von sehr grosser, von erstaunlicher, von
unermesslicher Macht und Trefflichkeit geben gar keinen bestimmten
Begriff, und sagen eigentlich nicht, was das Ding an sich selbst
sei, sondern sind nur Verhaeltnisvorstellungen von der Groesse des
Gegenstandes, den der Beobachter (der Welt) mit sich selbst und seiner
Fassungskraft vergleicht, und die gleich hochpreisend ausfallen,
man mag den Gegenstand vergroessern, oder das beobachtende Subjekt
in Verhaeltnis auf ihn kleiner machen. Wo es auf Groesse (der
Vollkommenheit) eines Dinges ueberhaupt ankommt, da gibt es keinen
bestimmten Begriff als der, so die ganze moegliche Vollkommenheit
begreift, und nur das All (omnitudo) der Realitaet ist im Begriffe
durchgaengig bestimmt.
Nun will ich nicht hoffen, dass sich jemand unterwinden sollte, das
Verhaeltnis der von ihm beobachteten Weltgroesse (nach Umfang sowohl
als Inhalt) zur Allmacht, der Weltordnung zur hoechsten Weisheit, der
Welteinheit zur absoluten Einheit des Urhebers usw. einzusehen. Also
kann die Physikotheologie keinen bestimmten Begriff von der obersten
Weltursache geben, und daher zu einem Prinzip der Theologie, welche
wiederum die Grundlage der Religion ausmachen soll nicht hinreichend
sein.
Der Schritt zu der absoluten Totalitaet ist durch den empirischen
Weg ganz und gar unmoeglich. Nun tut man ihn doch aber im
physischtheologischen Beweise. Welches Mittels bedient man sich also
wohl, ueber eine so weite Kluft zu kommen?
Nachdem man bis zur Bewunderung der Groesse der Weisheit, der Macht
usw. des Welturhebers gelangt ist, und nicht weiter kommen kann,
so verlaesst man auf einmal dieses durch empirische Beweisgruende
gefuehrte Argument, und geht zu der gleich anfangs aus der Ordnung
und Zweckmaessigkeit der Welt geschlossenen Zufaelligkeit derselben.
Von dieser Zufaelligkeit allein geht man nun, lediglich durch
transzendentale Begriffe, zum Dasein eines schlechthin Notwendigen,
und von dem Begriffe der absoluten Notwendigkeit der ersten
Ursache auf den durchgaengig bestimmten oder bestimmenden Begriff
desselben, naemlich einer allbefassenden Realitaet. Also blieb der
physischtheologische Beweis in seiner Unternehmung stecken, sprang in
dieser Verlegenheit ploetzlich zu dem kosmologischen Beweise ueber,
und da dieser nur ein versteckter ontologischer Beweis ist, so
vollfuehrte er seine Absicht wirklich bloss durch reine Vernunft, ob
er gleich anfaenglich alle Verwandtschaft mit dieser abgeleugnet und
alles auf einleuchtende Beweise aus Erfahrung ausgesetzt hatte.
Die Physikotheologen haben also gar nicht Ursache, gegen die
transzendentale Beweisart so sproede zu tun, und auf sie mit dem
Eigenduenkel hellsehender Naturkenner, als auf das Spinnengewebe
finsterer Gruebler, herabzusehen. Denn, wenn sie sich nur selbst
pruefen wollten, so wuerden sie finden, dass, nachdem sie eine gute
Strecke auf dem Boden der Natur und Erfahrung fortgegangen sind, und
sich gleichwohl immer noch eben so weit von dem Gegenstande sehen,
der ihrer Vernunft entgegen scheint, sie ploetzlich diesen Boden
verlassen, und ins Reich blosser Moeglichkeiten uebergehen, wo sie
auf den Fluegeln der Ideen demjenigen nahe zu kommen hoffen, was
sich aller ihrer empirischen Nachsuchung entzogen hatte. Nachdem sie
endlich durch einen so maechtigen Sprung festen Fuss gefasst zu haben
vermeinen, so verbreiten sie den nunmehr bestimmten Begriff (in dessen
Besitz sie, ohne zu wissen wie, gekommen sind,) ueber das ganze Feld
der Schoepfung, und erlaeutern das Ideal, welches lediglich ein
Produkt der reinen Vernunft war, obzwar kuemmerlich genug, und weit
unter der Wuerde seines Gegenstandes, durch Erfahrung, ohne doch
gestehen zu wollen, dass sie zu dieser Kenntnis oder Voraussetzung
durch einen anderen Fusssteig, als den der Erfahrung, gelangt sind.
So liegt demnach dem physikotheologischen Beweise der kosmologische,
diesem aber der ontologische Beweis, vom Dasein eines einigen Urwesens
als hoechsten Wesens, zum Grunde, und da ausser diesen dreien
Wegen keiner mehr der spekulativen Vernunft offen ist, so ist der
ontologische Beweis, aus lauter reinen Vernunftbegriffen, der einzige
moegliche, wenn ueberall nur ein Beweis von einem so weit ueber allen
empirischen Verstandesgebrauch erhabenen Satze moeglich ist.
Des dritten Hauptstuecks
Siebenter Abschnitt
Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft
Wenn ich unter Theologie die Erkenntnis des Urwesens verstehe, so ist
sie entweder die aus blosser Vernunft (theologia rationalis) oder
aus Offenbarung (revelata). Die erstere denkt sich nun ihren
Gegenstand entweder bloss durch reine Vernunft, vermittelst lauter
transzendentaler Begriffe, (ens originarium, realissimum, ens entium,)
und heisst die transzendentale Theologie, oder durch einen Begriff,
den sie aus der Natur (unserer Seele) entlehnt, als die hoechste
Intelligenz, und muesste die natuerliche Theologie heissen. Der, so
allein eine transzendentale Theologie einraeumt, wird Deist, der, so
auch eine natuerliche Theologie annimmt, Theist genannt. Der erstere
gibt zu, dass wir allenfalls das Dasein eines Urwesens durch
blosse Vernunft erkennen koennen, aber unser Begriff von ihm bloss
transzendental sei, naemlich nur als von einem Wesen, das alle
Realitaet hat, die man aber nicht naeher bestimmen kann. Der zweite
behauptet, die Vernunft sei imstande, den Gegenstand nach der Analogie
mit der Natur naeher zu bestimmen, naemlich als ein Wesen, das
durch Verstand und Freiheit den Urgrund aller anderen Dinge in
sich enthalte. Jener stellt sich also unter demselben bloss eine
Weltursache, (ob durch die Notwendigkeit seiner Natur, oder durch
Freiheit, bleibt unentschieden,) dieser einen Welturheber vor.
Die transzendentale Theologie ist entweder diejenige, welche das
Dasein des Urwesens von einer Erfahrung ueberhaupt (ohne ueber die
Welt, wozu sie gehoert, etwas naeher zu bestimmen,) abzuleiten
gedenkt, und heisst Kosmotheologie, oder glaubt durch blosse Begriffe,
ohne Beihilfe der mindesten Erfahrung, sein Dasein zu erkennen, und
wird ontotheologie genannt.
Die natuerliche Theologie schliesst auf die Eigenschaften und das
Dasein eines Welturhebers, aus der Beschaffenheit, der Ordnung und
Einheit, die in dieser Welt angetroffen wird, in welcher zweierlei
Kausalitaet und deren Regel angenommen werden muss, naemlich Natur und
Freiheit. Daher steigt sie von dieser Welt zur hoechsten Intelligenz
auf, entweder als dem Prinzip aller natuerlichen, oder aller
sittlichen Ordnung und Vollkommenheit. Im ersteren Falle heisst sie
Physikotheologie, im letzten Moraltheologie.*
* Nicht theologische Moral; denn die enthaelt sittliche Gesetze,
  welche das Dasein eines hoechsten Weltregierers voraussetzen, da
  hingegen die Moraltheologie eine Ueberzeugung vom Dasein eines
  hoechsten Wesens ist, welche auf sittliche Gesetze gruendet ist.
Da man unter dem Begriffe von Gott nicht etwa bloss eine blindwirkende
ewige Natur, als die Wurzel der Dinge, sondern ein hoechstes Wesen,
das durch Verstand und Freiheit der Urheber der Dinge sein soll,
zu verstehen gewohnt ist, und auch dieser Begriff allein uns
interessiert, so koennte man, nach der Strenge, dem Deisten allen
Glauben an Gott absprechen, und ihm lediglich die Behauptung eines
Urwesens, oder obersten Ursache, uebrig lassen. Indessen, da niemand
darum, weil er etwas sich nicht zu behaupten getraut, beschuldigt
werden darf, er wolle es gar leugnen, so ist es gelinder und billiger,
zu sagen: der Deist glaube einen Gott, der Theist aber einen
lebendigen Gott (summam intelligentiam). Jetzt wollen wir die
Moeglichen Quellen aller dieser Versuche der Vernunft aufsuchen.
Ich begnuege mich hier, die theoretische Erkenntnis durch eine solche
zu erklaeren, wodurch ich erkenne, was da ist, die praktische aber,
dadurch ich mir vorstelle, was da sein soll. Diesem nach ist der
theoretische Gebrauch der Vernunft derjenige, durch den ich a priori
(als notwendig) erkenne, dass etwas sei; der praktische aber, durch
den a priori erkannt wird, was geschehen solle. Wenn nun entweder,
dass etwas sei, oder geschehen solle, ungezweifelt gewiss, aber
doch nur bedingt ist: so kann doch entweder eine gewisse bestimmte
Bedingung dazu schlechthin notwendig sein, oder sie kann nur als
beliebig und zufaellig vorausgesetzt werden. Im ersteren Falle wird
die Bedingung postuliert (per thesin), im zweiten supponiert (per
hypothesin). Da es praktische Gesetze gibt, die schlechthin notwendig
sind (die moralischen), so muss, wenn diese irgendein Dasein, als
die Bedingung der Moeglichkeit ihrer verbindenden Kraft, notwendig
voraussetzen, dieses Dasein postuliert werden, darum, weil das
Bedingte, von welchem der Schluss auf diese bestimmte Bedingung geht,
selbst a priori als schlechterdings notwendig erkannt wird. Wir werden
kuenftig von den moralischen Gesetzen zeigen, dass sie das Dasein
eines hoechsten Wesens nicht bloss voraussetzen, sondern auch, da sie
in anderweitiger Betrachtung schlechterdings notwendig sind, es mit
Recht, aber freilich nur praktisch, postulieren; jetzt setzen wir
diese Schlussart noch beiseite.
Da, wenn bloss von dem, was da ist, (nicht, was sein soll,) die
Rede ist, das Bedingte, welches uns in der Erfahrung gegeben wird,
jederzeit auch als zufaellig gedacht wird, so kann die zu ihm
gehoerige Bedingung daraus nicht als schlechthin notwendig erkannt
werden, sondern dient nur als eine respektiv notwendige, oder vielmehr
noetige, an sich selbst aber und a priori willkuerliche Voraussetzung
zum Vernunfterkenntnis des Bedingten. Soll also die absolute
Notwendigkeit eines Dinges im theoretischen Erkenntnis erkannt werden,
so koennte dieses allein aus Begriffen a priori geschehen, niemals
aber als einer Ursache, in Beziehung auf ein Dasein, das durch
Erfahrung gegeben ist.
Eine theoretische Erkenntnis ist spekulativ, wenn sie auf einen
Gegenstand, oder solche Begriffe von einem Gegenstande, geht,
zu welchem man in keiner Erfahrung gelangen kann. Sie wird der
Naturerkenntnis entgegengesetzt, welche auf keine anderen Gegenstaende
oder Praedikate derselben geht, als die in einer moeglichen Erfahrung
gegeben werden koennen.
Der Grundsatz, von dem, was geschieht, (dem empirisch Zufaelligen,)
als Wirkung, auf eine Ursache zu schliessen, ist ein Prinzip der
Naturerkenntnis, aber nicht der spekulativen. Denn, wenn man von
ihm, als einem Grundsatze, der die Bedingung moeglicher Erfahrung
ueberhaupt enthaelt, abstrahiert, und, indem man alles Empirische
weglaesst, ihn vom Zufaelligen ueberhaupt aussagen will, so bleibt
nicht die mindeste Rechtfertigung eines solchen synthetischen Satzes
uebrig, um daraus zu ersehen, wie ich von etwas, was da ist, zu etwas
davon ganz Verschiedenem (genannt Ursache) uebergehen koenne; ja
der Begriff einer Ursache verliert ebenso, wie des Zufaelligen, in
solchem bloss spekulativen Gebrauche, alle Bedeutung, deren objektive
Realitaet sich in concreto begreiflich machen lasse.
Wenn man nun vom Dasein der Dinge in der Welt auf ihre Ursache
schliesst, so gehoert dieses nicht zum natuerlichen, sondern zum
spekulativen Vernunftgebrauch; weil jener nicht die Dinge selbst
(Substanzen), sondern nur das, was geschieht, also ihre Zustaende, als
empirisch zufaellig, auf irgendeine Ursache bezieht; dass die Substanz
selbst (die Materie) dem Dasein nach zufaellig sei, wuerde ein bloss
spekulatives Vernunfterkenntnis sein muessen. Wenn aber auch nur von
der Form der Welt, der Art ihrer Verbindung und dem Wechsel derselben
die Rede waere, ich wollte aber daraus auf eine Ursache schliessen,
die von der Welt gaenzlich unterschieden ist; so wuerde dieses
wiederum ein Urteil der bloss spekulativen Vernunft sein, weil der
Gegenstand hier gar kein Objekt einer moeglichen Erfahrung ist. Aber
alsdann wuerde der Grundsatz der Kausalitaet, der nur innerhalb dem
Felde der Erfahrungen gilt, und ausser demselben ohne Gebrauch, ja
selbst ohne Bedeutung ist, von seiner Bestimmung gaenzlich abgebracht.
Ich behaupte nun, dass alle Versuche eines bloss spekulativen
Gebrauchs der Vernunft in Ansehung der Theologie gaenzlich fruchtlos
und ihrer inneren Beschaffenheit nach null und nichtig sind; dass aber
die Prinzipien ihres Naturgebrauchs ganz und gar auf keine Theologie
fuehren, folglich, wenn man nicht moralische Gesetze zum Grunde legt,
oder zum Leitfaden braucht, es ueberall keine Theologie der Vernunft
geben koenne. Denn alle synthetischen Grundsaetze des Verstandes sind
von immanentem Gebrauch; zu der Erkenntnis eines hoechsten Wesens
aber wird ein transzendenter Gebrauch derselben erfordert, wozu unser
Verstand gar nicht ausgeruestet ist. Soll das empirisch gueltige
Gesetz der Kausalitaet zu dem Urwesen fuehren, so muesste dieses in
die Kette der Gegenstaende der Erfahrung mitgehoeren; alsdann waere
es aber, wie alle Erscheinungen, selbst wiederum bedingt. Erlaubte
man aber auch den Sprung ueber die Grenze der Erfahrung hinaus,
vermittelst des dynamischen Gesetzes der Beziehung der Wirkungen auf
ihre Ursachen; welchen Begriff kann uns dieses Verfahren verschaffen?
Bei weitem keinen Begriff von einem hoechsten Wesen, weil uns
Erfahrung niemals die groesste aller moeglichen Wirkungen (als welche
das Zeugnis von ihrer Ursache ablegen soll) darreicht. Soll es
uns erlaubt sein, bloss, um in unserer Vernunft nichts Leeres
uebrigzulassen, diesen Mangel der voelligen Bestimmung durch eine
blosse Idee der hoechsten Vollkommenheit und urspruenglichen
Notwendigkeit auszufuellen: so kann dieses zwar aus Gunst eingeraeumt,
aber nicht aus dem Rechte eines unwiderstehlichen Beweises gefordert
werden. Der physischtheologische Beweis koennte also vielleicht wohl
anderen Beweisen (wenn solche zu haben sind) Nachdruck geben, indem er
Spekulation mit Anschauung verknuepft: fuer sich selbst aber bereitet
er mehr den Verstand zur theologischen Erkenntnis vor, und gibt ihm
dazu eine gerade und natuerliche Richtung, als dass er allein das
Geschaeft vollenden koennte.
Man sieht also hieraus wohl, dass transzendentale Fragen nur
transzendentale Antworten, d.i. aus lauter Begriffen a priori ohne die
mindeste empirische Beimischung, erlauben. Die Frage ist hier aber
offenbar synthetisch und verlangt eine Erweiterung unserer Erkenntnis
ueber alle Grenzen der Erfahrung hinaus, naemlich zu dem Dasein
eines Wesens, was unserer blossen Idee entsprechen soll, der niemals
irgendeine Erfahrung gleichkommen kann. Nun ist, nach unseren obigen
Beweisen, alle synthetische Erkenntnis a priori nur dadurch moeglich,
dass sie die formalen Bedingungen einer moeglichen Erfahrung
ausdrueckt, und alle Grundsaetze sind also nur von immanenter
Gueltigkeit, d.i. sie beziehen sich lediglich auf Gegenstaende
empirischer Erkenntnis, oder Erscheinungen. Also wird auch durch
transzendentales Verfahren in Absicht auf die Theologie einer bloss
spekulativen Vernunft nichts ausgerichtet.
Wollte man aber lieber alle obigen Beweise der Analytik in Zweifel
ziehen, als sich die Ueberredung von dem Gewichte der so lange
gebrauchten Beweisgruende rauben lassen; so kann man sich doch nicht
weigern, der Aufforderung ein Genuege zu tun, wenn ich verlange, man
solle sich wenigstens darueber rechtfertigen, wie und vermittelst
welcher Erleuchtung man sich denn getraue, alle moegliche Erfahrung
durch die Macht blosser Ideen zu ueberfliegen. Mit neuen Beweisen,
oder ausgebesserter Arbeit alter Beweise, wuerde ich bitten mich zu
verschonen. Denn, ob man zwar hierin eben nicht viel zu waehlen hat,
indem endlich doch alle bloss spekulativen Beweise auf einen einzigen,
naemlich den ontologischen, hinauslaufen, und ich also eben nicht
fuerchten darf, sonderlich durch die Fruchtbarkeit der dogmatischen
Verfechter jener sinnenfreien Vernunft belaestigt zu werden; obgleich
ich ueberdem auch, ohne mich darum sehr streitbar zu duenken, die
Ausforderung nicht ausschlagen will, in jedem Versuche dieser Art den
Fehlschluss aufzudecken, und dadurch seine Anmassung zu vereiteln: so
wird daher doch die Hoffnung besseren Gluecks bei denen, welche einmal
dogmatischer Ueberredungen gewohnt sind, niemals voellig aufgehoben,
und ich halte mich daher an der einzigen billigen Forderung, dass man
sich allgemein und aus der Natur des menschlichen Verstandes, samt
allen uebrigen Erkenntnisquellen, darueber rechtfertige, wie man es
anfangen wolle, sein Erkenntnis ganz und gar a priori zu erweitern,
und bis dahin zu erstrecken, wo keine moegliche Erfahrung und mithin
kein Mittel hinreicht, irgendeinem von uns selbst ausgedachten
Begriffe seine objektive Realitaet zu versichern. Wie der Verstand
auch zu diesem Begriffe gelangt sein mag, so kann doch das Dasein des
Gegenstandes desselben nicht analytisch in demselben gefunden werden,
weil eben darin die Erkenntnis der Existenz des Objekts besteht, dass
dieses ausser dem Gedanken an sich selbst gesetzt ist. Es ist aber
gaenzlich unmoeglich, aus einem Begriffe von selbst hinauszugehen,
und, ohne dass man der empirischen Verknuepfung folgt, (wodurch aber
jederzeit nur Erscheinungen gegeben werden,) zu Entdeckung neuer
Gegenstaende und ueberschwenglicher Wesen zu gelangen.
Ob aber gleich die Vernunft in ihrem bloss spekulativen Gebrauche zu
dieser so grossen Absicht bei weitem nicht zulaenglich ist, naemlich
zum Dasein eines obersten Wesens zu gelangen; so hat sie doch darin
sehr grossen Nutzen, die Erkenntnis desselben, im Fall sie anders
woher geschoepft werden koennte, zu berichtigen, mit sich selbst und
jeder intelligiblen Absicht einstimmig zu machen, und von allem,
was dem Begriffe eines Urwesens zuwider sein moechte, und aller
Beimischung empirischer Einschraenkungen zu reinigen.
Die transzendentale Theologie bleibt demnach, aller ihrer
Unzulaenglichkeit ungeachtet, dennoch von wichtigem negativen
Gebrauche, und ist eine bestaendige Zensur unserer Vernunft, wenn
sie bloss mit reinen Ideen zu tun hat, die eben darum kein anderes,
als transzendentales Richtmass zulassen. Denn, wenn einmal, in
anderweitiger, vielleicht praktischer Beziehung, die Voraussetzung
eines hoechsten und allgenugsamen Wesens, als oberster Intelligenz,
ihre Gueltigkeit ohne Widerrede behauptete: so waere es von der
groessten Wichtigkeit, diesen Begriff auf seiner transzendentalen
Seite, als den Begriff eines notwendigen und allerrealsten Wesens,
genau zu bestimmen, und, was der hoechsten Realitaet zuwider ist, was
zur blossen Erscheinung (dem Anthropomorphismus im weiteren Verstande)
gehoert, wegzuschaffen, und zugleich alle entgegengesetzten
Behauptungen, sie moegen nun atheistisch, oder deistisch, oder
anthropomorphistisch sein, aus dem Wege zu raeumen; welches in einer
solchen kritischen Behandlung sehr leicht ist, indem dieselben
Gruende, durch welche das Unvermoegen der menschlichen Vernunft, in
Ansehung der Behauptung des Daseins eines dergleichen Wesens, vor
Augen gelegt wird, notwendig auch zureichen, um die Untauglichkeit
einer jeden Gegenbehauptung zu beweisen. Denn, wo will jemand durch
reine Spekulation der Vernunft die Einsicht hernehmen, dass es kein
hoechstes Wesen, als Urgrund von Allem, gebe, oder dass ihm keine
von den Eigenschaften zukomme, welche wir, ihren Folgen nach, als
analogisch mit den dynamischen Realitaeten eines denkenden Wesens,
uns vorstellen, oder dass sie, in dem letzteren Falle, auch allen
Einschraenkungen unterworfen sein muessten, welche die Sinnlichkeit
den Intelligenzen, die wir durch Erfahrung kennen, unvermeidlich
auferlegt.
Das hoechste Wesen bleibt also fuer den bloss spekulativen Gebrauch
der Vernunft ein blosses, aber doch fehlerfreies Ideal, ein Begriff,
welcher die ganze menschliche Erkenntnis schliesst und kroent, dessen
objektive Realitaet auf diesem Wege zwar nicht bewiesen, aber auch
nicht widerlegt werden kann, und, wenn es eine Moraltheologie
geben sollte, die diesen Mangel ergaenzen kann, so beweist alsdann
die vorher nur problematische transzendentale Theologie ihre
Unentbehrlichkeit, durch Bestimmung ihres Begriffs und unaufhoerliche
Zensur einer durch Sinnlichkeit oft genug getaeuschten und mit ihren
eigenen Ideen nicht immer einstimmigen Vernunft. Die Notwendigkeit,
die Unendlichkeit, die Einheit, das Dasein ausser der Welt (nicht als
Weltseele), die Ewigkeit, ohne Bedingungen der Zeit, die Allgegenwart,
ohne Bedingungen des Raumes, die Allmacht usw. sind lauter
transzendentale Praedikate, und daher kann der gereinigte Begriff
derselben, den eine jede Theologie so sehr noetig hat, bloss aus der
transzendentalen gezogen werden.
Anhang
zur transzendentalen Dialektik
Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft
Der Ausgang aller dialektischen Versuche der reinen Vernunft
bestaetigt nicht allein, was wir schon in der transzendentalen
Analytik bewiesen, naemlich dass alle unsere Schluesse, die uns ueber
das Feld moeglicher Erfahrung hinausfuehren wollen, trueglich und
grundlos seien; sondern er lehrt uns zugleich dieses Besondere: dass
die menschliche Vernunft dabei einen natuerlichen Hang habe, diese
Grenze zu ueberschreiten, dass transzendentale Ideen ihr ebenso
natuerlich seien, als dem Verstande die Kategorien, obgleich mit
dem Unterschiede, dass, so wie die letzteren zur Wahrheit, d.i.
der Uebereinstimmung unserer Begriffe mit dem Objekte fuehren, die
ersteren einen blossen, aber unwiderstehlichen Schein bewirken, dessen
Taeuschung man kaum durch die schaerfste Kritik abhalten kann.
Alles, was in der Natur unserer Kraefte gegruendet ist, muss
zweckmaessig und mit dem richtigen Gebrauche derselben einstimmig
sein, wenn wir nur einen gewissen Missverstand verhueten und die
eigentliche Richtung derselben ausfindig machen koennen. Also werden
die transzendentalen Ideen allem Vermuten nach ihren guten und
folglich immanenten Gebrauch haben, obgleich, wenn ihre Bedeutung
verkannt und sie fuer Begriffe von wirklichen Dingen genommen werden,
sie transzendent in der Anwendung und eben darum trueglich sein
koennen. Denn nicht die Idee an sich selbst, sondern bloss ihr
Gebrauch kann, entweder in Ansehung der gesamten moeglichen Erfahrung
ueberfliegend (transzendent), oder einheimisch (immanent) sein,
nachdem man sie entweder geradezu auf einen ihr vermeintlich
entsprechenden Gegenstand, oder nur auf den Verstandesgebrauch
ueberhaupt, in Ansehung der Gegenstaende, mit welchen er zu tun hat,
richtet, und alle Fehler der Subreption sind jederzeit einem Mangel
der Urteilskraft, niemals aber dem Verstande oder der Vernunft
zuzuschreiben.
Die Vernunft bezieht sich niemals geradezu auf einen Gegenstand,
sondern lediglich auf den Verstand, und vermittelst desselben auf
ihren eigenen empirischen Gebrauch, schafft also keine Begriffe (von
Objekten), sondern ordnet sie nur, und gibt ihnen diejenige Einheit,
welche sie in ihrer groesstmoeglichen Ausbreitung haben koennen,
d.i. in Beziehung auf die Totalitaet der Reihen, als auf welche der
Verstand gar nicht sieht, sondern nur auf diejenige Verknuepfung,
dadurch allerwaerts Reihen der Bedingungen nach Begriffen zustande
kommen. Die Vernunft hat also eigentlich nur den Verstand und dessen
zweckmaessige Anstellung zum Gegenstande, und, wie dieser das
Mannigfaltige im Objekt durch Begriffe vereinigt, so vereinigt jene
ihrerseits das Mannigfaltige der Begriffe durch Ideen, indem sie eine
gewisse kollektive Einheit zum Ziele der Verstandeshandlungen setzt,
welche sonst nur mit der distributiven Einheit beschaeftigt sind.
Ich behaupte demnach: die transzendentalen Ideen sind niemals
von konstitutivem Gebrauche, so, dass dadurch Begriffe gewisser
Gegenstaende gegeben wuerden, und in dem Falle, dass man sie so
versteht, so sind es bloss vernuenftelnde (dialektische) Begriffe.
Dagegen aber haben sie einen vortrefflichen und unentbehrlich
notwendigen regulativen Gebrauch, naemlich den Verstand zu einem
gewissen Ziele zu richten, in Aussicht auf welches die Richtungslinien
aller seiner Regeln in einen Punkt zusammenlaufen, der, ob er zwar nur
eine Idee (focus imaginarius), d.i. ein Punkt ist, aus welchem die
Verstandesbegriffe wirklich nicht ausgehen, indem er ganz ausserhalb
den Grenzen moeglicher Erfahrung liegt, dennoch dazu dient, ihnen
die groesste Einheit neben der groessten Ausbreitung zu verschaffen.
Nun entspringt uns zwar hieraus die Taeuschung, als wenn diese
Richtungslinien von einem Gegenstande selbst, der ausser dem Felde
empirisch moeglicher Erkenntnis laege, ausgeschlossen waeren (so wie
die Objekte hinter der Spiegelflaeche gesehen werden), allein diese
Illusion (welche man doch hindern kann, dass sie nicht betruegt,) ist
gleichwohl unentbehrlich notwendig, wenn wir ausser den Gegenstaenden,
die uns vor Augen sind, auch diejenigen zugleich sehen wollen, die
weit davon uns im Ruecken liegen, d.i. wenn wir, in unserem Falle,
den Verstand ueber jede gegebene Erfahrung (dem Teile der gesamten
moeglichen Erfahrung) hinaus, mithin auch zur groesstmoeglichen und
aeussersten Erweiterung abrichten wollen.
Uebersehen wir unsere Verstandeserkenntnisse in ihrem ganzen Umfange,
so finden wir, dass dasjenige, was Vernunft ganz eigentuemlich
darueber verfuegt und zustande zu bringen sucht, das Systematische der
Erkenntnis sei, d.i. der Zusammenhang derselben aus einem Prinzip.
Diese Vernunfteinheit setzt jederzeit eine Idee voraus, naemlich die
von der Form eines Ganzen der Erkenntnis, welches von der bestimmten
Erkenntnis der Teile vorhergeht und die Bedingungen enthaelt, jedem
Teile seine Stelle und Verhaeltnis zu den uebrigen a priori zu
bestimmen. Diese Idee postuliert demnach vollstaendige Einheit der
Verstandeserkenntnis, wodurch diese nicht bloss ein zufaelliges
Aggregat, sondern ein nach notwendigen Gesetzen zusammenhaengendes
System wird. Man kann eigentlich nicht sagen, dass diese Idee ein
Begriff vom Objekte sei, sondern von der durchgaengigen Einheit dieser
Begriffe, sofern dieselbe dem Verstande zur Regel dient. Dergleichen
Vernunftbegriffe werden nicht aus der Natur geschoepft, vielmehr
befragen wir die Natur nach diesen Ideen, und halten unsere Erkenntnis
fuer mangelhaft, solange sie denselben nicht adaequat ist. Man
gesteht: dass sich schwerlich reine Erde, reines Wasser, reine Luft
usw. finde. Gleichwohl hat man die Begriffe davon doch noetig (die
also, was die voellige Reinigkeit betrifft, nur in der Vernunft ihren
Ursprung haben), um den Anteil, den jede dieser Naturursachen an
der Erscheinung hat, gehoerig zu bestimmen, und so bringt man alle
Materien auf die Erden (gleichsam die blosse Last), Salze und
brennliche Wesen (als die Kraft), endlich auf Wasser und Luft als
Vehikeln (gleichsam Maschinen, vermittelst deren die vorigen wirken),
um nach der Idee eines Mechanismus die chemischen Wirkungen der
Materien untereinander zu erklaeren. Denn, wiewohl man sich nicht
wirklich so ausdrueckt, so ist doch ein solcher Einfluss der Vernunft
auf die Einteilungen der Naturforscher sehr leicht zu entdecken.
Wenn die Vernunft ein Vermoegen ist, das Besondere aus dem Allgemeinen
abzuleiten, so ist entweder das Allgemeine schon an sich gewiss und
gegeben, und alsdann erfordert es nur Urteilskraft zur Subsumtion, und
das Besondere wird dadurch notwendig bestimmt. Dieses will ich den
apodiktischen Gebrauch der Vernunft nennen. Oder das Allgemeine wird
nur problematisch angenommen, und ist eine blosse Idee, das Besondere
ist gewiss, aber die Allgemeinheit der Regel zu dieser Folge ist noch
ein Problem; so werden mehrere besondere Faelle, die insgesamt gewiss
sind, an der Regel versucht, ob sie daraus fliessen, und in diesem
Falle, wenn es den Anschein hat, dass alle anzugebenden besonderen
Faelle daraus abfolgen, wird auf die Allgemeinheit der Regel, aus
dieser aber nachher auf alle Faelle, die auch an sich nicht gegeben
sind, geschlossen. Diesen will ich den hypothetischen Gebrauch der
Vernunft nennen.
Der hypothetische Gebrauch der Vernunft aus zum Grunde gelegten Ideen,
als problematischer Begriffe, ist eigentlich nicht konstitutiv,
naemlich nicht so beschaffen, dass dadurch, wenn man nach aller
Strenge urteilen will, die Wahrheit der allgemeinen Regel, die als
Hypothese angenommen worden, folge; denn wie will man alle moeglichen
Folgen wissen, die, indem sie aus demselben angenommenen Grundsatze
folgen, seine Allgemeinheit beweisen, sondern er ist nur regulativ,
um dadurch, soweit als es moeglich ist, Einheit in die besonderen
Erkenntnisse zu bringen, und die Regel dadurch der Allgemeinheit zu
naehern.
Der hypothetische Vernunftgebrauch geht also auf die systematische
Einheit der Verstandeserkenntnisse, diese aber ist der Probierstein
der Wahrheit der Regeln. Umgekehrt ist die systematische Einheit (als
blosse Idee) lediglich nur projektierte Einheit, die man an sich nicht
als gegeben, sondern nur als Problem ansehen muss; welche aber dazu
dient, zu dem Mannigfaltigen und besonderen Verstandesgebrauche ein
Prinzipium zu finden, und diesen dadurch auch ueber die Faelle, die
nicht gegeben sind, zu leiten und zusammenhaengend zu machen.
Man sieht aber hieraus nur, dass die systematische oder
Vernunfteinheit der mannigfaltigen Verstandeserkenntnis ein logisches
Prinzip sei, um, da wo der Verstand allein nicht zu Regeln hinlangt,
ihm durch Ideen fortzuhelfen, und zugleich der Verschiedenheit seiner
Regeln Einhelligkeit unter einem Prinzip (systematische) und dadurch
Zusammenhang zu verschaffen, soweit als es sich tun laesst. Ob aber
die Beschaffenheit der Gegenstaende, oder die Natur des Verstandes,
der sie als solche erkennt, an sich zur systematischen Einheit
bestimmt sei, und ob man diese a priori, auch ohne Ruecksicht auf
ein solches Interesse der Vernunft in gewisser Maasse postulieren,
und also sagen koenne: alle moeglichen Verstandeserkenntnisse
(darunter die empirischen) haben Vernunfteinheit, und stehen
unter gemeinschaftlichen Prinzipien, woraus sie, unerachtet
ihrer Verschiedenheit, abgeleitet werden koennen; das wuerde
ein transzendentaler Grundsatz der Vernunft sein, welcher die
systematische Einheit nicht bloss subjektiv- und logisch-, als
Methode, sondern objektiv notwendig machen wuerde.
Wir wollen dieses durch einen Fall des Vernunftgebrauchs erlaeutern.
Unter die verschiedenen Arten von Einheit nach Begriffen des
Verstandes gehoert auch die der Kausalitaet einer Substanz, welche
Kraft genannt wird. Die verschiedenen Erscheinungen eben derselben
Substanz zeigen beim ersten Anblicke soviel Ungleichartigkeit,
dass man daher anfaenglich beinahe so vielerlei Kraefte derselben
annehmen muss, als Wirkungen sich hervortun, wie in dem menschlichen
Gemuete die Empfindung, Bewusstsein, Einbildung, Erinnerung, Witz,
Unterscheidungskraft, Lust, Begierde usw. Anfaenglich gebietet eine
logische Maxime, diese anscheinende Verschiedenheit soviel als
moeglich dadurch zu verringern, dass man durch Vergleichung die
versteckte Identitaet entdecke, und nachsehe, ob nicht Einbildung,
mit Bewusstsein verbunden, Erinnerung, Witz, Unterscheidungskraft,
vielleicht gar Verstand und Vernunft sei. Die Idee einer Grundkraft,
von welcher aber die Logik gar nicht ausmittelt, ob es dergleichen
gebe, ist wenigstens das Problem einer systematischen Vorstellung der
Mannigfaltigkeit von Kraeften. Das logische Vernunftprinzip erfordert
diese Einheit soweit als moeglich zustande zu bringen, und je mehr
die Erscheinungen der einen und anderen Kraft unter sich identisch
gefunden werden, desto wahrscheinlicher wird es, dass sie nichts, als
verschiedene Aeusserungen einer und derselben Kraft seien, welche
(komparativ) ihre Grundkraft heissen kann. Ebenso verfaehrt man mit
den uebrigen.
Die komparativen Grundkraefte muessen wiederum untereinander
verglichen werden, um sie dadurch, dass man ihre Einhelligkeit
entdeckt, einer einzigen radikalen, d.i. absoluten Grundkraft nahe
zu bringen. Diese Vernunfteinheit aber ist bloss hypothetisch. Man
behauptet nicht, dass eine solche in der Tat angetroffen werden
muesse, sondern, dass man sie zugunsten der Vernunft, naemlich zu
Errichtung gewisser Prinzipien, fuer die mancherlei Regeln, die die
Erfahrung an die Hand geben mag, suchen, und, wo es sich tun laesst,
auf solche Weise systematische Einheit ins Erkenntnis bringen muesse.
Es zeigt sich aber, wenn man auf den transzendentalen Gebrauch des
Verstandes achthat, dass diese Idee einer Grundkraft ueberhaupt, nicht
bloss als Problem zum hypothetischen Gebrauche bestimmt sei, sondern
objektive Realitaet vorgebe, dadurch die systematische Einheit der
mancherlei Kraefte einer Substanz postuliert und ein apodiktisches
Vernunftprinzip errichtet wird. Denn, ohne dass wir einmal die
Einhelligkeit der mancherlei Kraefte versucht haben, ja selbst wenn
es uns nach allen Versuchen misslingt, sie zu entdecken, setzen wir
doch voraus: es werde eine solche anzutreffen sein, und dieses nicht
allein, wie in dem angefuehrten Falle, wegen der Einheit der Substanz,
sondern, wo so gar viele, obzwar in gewissem Grade gleichartige,
angetroffen werden, wie an der Materie ueberhaupt, setzt die Vernunft
systematische Einheit mannigfaltiger Kraefte voraus, da besondere
Naturgesetze unter allgemeineren stehen, und die Ersparung der
Prinzipien nicht bloss ein oekonomischer Grundsatz der Vernunft,
sondern inneres Gesetz der Natur wird.
In der Tat ist auch nicht abzusehen, wie ein logisches Prinzip
der Vernunfteinheit der Regeln stattfinden koenne, wenn nicht ein
transzendentales vorausgesetzt wuerde, durch welches eine solche
systematische Einheit, als den Objekten selbst anhaengend, a priori
als notwendig angenommen wird. Denn mit welcher Befugnis kann die
Vernunft im logischen Gebrauche verlangen, die Mannigfaltigkeit
der Kraefte, welche uns die Natur zu erkennen gibt, als eine bloss
versteckte Einheit zu behandeln, und sie aus irgendeiner Grundkraft,
soviel an ihr ist, abzuleiten, wenn es ihr freistaende zuzugeben, dass
es ebensowohl moeglich sei, alle Kraefte waeren ungleichartig, und die
systematische Einheit ihrer Ableitung der Natur nicht gemaess? denn
alsdann wuerde sie gerade wider ihre Bestimmung verfahren, indem
sie sich eine Idee zum Ziele setzte, die der Natureinrichtung ganz
widerspraeche. Auch kann man nicht sagen, sie habe zuvor von der
zufaelligen Beschaffenheit der Natur diese Einheit nach Prinzipien der
Vernunft abgenommen. Denn das Gesetz der Vernunft, sie zu suchen, ist
notwendig, weil wir ohne dasselbe gar keine Vernunft, ohne diese aber
keinen zusammenhaengenden Verstandesgebrauch, und in dessen Ermanglung
kein zureichendes Merkmal empirischer Wahrheit haben wuerden, und wir
also in Ansehung des letzteren die systematische Einheit der Natur
durchaus als objektiv gueltig und notwendig voraussetzen muessen.
Wir finden diese transzendentale Voraussetzung auch auf eine
bewundernswuerdige Weise in den Grundsaetzen der Philosophen
versteckt, wiewohl sie solche darin nicht immer erkannt, oder sich
selbst gestanden haben. Dass alle Mannigfaltigkeiten einzelner Dinge
die Identitaet der Art nicht ausschliessen; dass die mancherlei Arten
nur als verschiedentliche Bestimmungen von wenigen Gattungen, diese
aber von noch hoeheren Geschlechtern usw. behandelt werden muessen;
dass also eine gewisse systematische Einheit aller moeglichen
empirischen Begriffe, sofern sie von hoeheren und allgemeineren
abgeleitet werden koennen, gesucht werden muesse; ist eine Schulregel
oder logisches Prinzip, ohne welches kein Gebrauch der Vernunft
stattfaende, weil wir nur sofern vom Allgemeinen aufs Besondere
schliessen koennen, als allgemeine Eigenschaften der Dinge zum Grunde
gelegt werden, unter denen die besonderen stehen.
Dass aber auch in der Natur eine solche Einhelligkeit angetroffen
werde, setzen die Philosophen in der bekannten Schulregel voraus: dass
man die Anfaenge (Prinzipien) nicht ohne Not vervielfaeltigen muesse
(entia praeter necessitatem non esse multiplicanda). Dadurch wird
gesagt: dass die Natur der Dinge selbst zur Vernunfteinheit Stoff
darbiete, und die anscheinende unendliche Verschiedenheit duerfe uns
nicht abhalten, hinter ihr Einheit der Grundeigenschaften zu vermuten,
von welchen die Mannigfaltigkeit nur durch mehrere Bestimmung
abgeleitet werden kann. Dieser Einheit, ob sie gleich eine blosse Idee
ist, ist man zu allen Zeiten so eifrig nachgegangen, dass man eher
Ursache gefunden, die Begierde nach ihr zu maessigen, als sie
aufzumuntern. Es war schon viel, dass die Scheidekuenstler alle
Salze auf zwei Hauptgattungen, saure und laugenhafte, zurueckfuehren
konnten, sie versuchen sogar auch diesen Unterschied bloss als eine
Varietaet oder verschiedene Aeusserung eines und desselben Grundstoffs
anzusehen. Die mancherlei Arten von Erden (den Stoff der Steine und
sogar der Metalle) hat man nach und nach auf drei, endlich auf zwei,
zu bringen gesucht; allein damit noch nicht zufrieden, koennen sie
sich des Gedankens nicht entschlagen, hinter diesen Varietaeten
dennoch eine einzige Gattung, ja wohl gar zu diesen und den Salzen
ein gemeinschaftliches Prinzip zu vermuten. Man moechte vielleicht
glauben, dieses sei ein bloss oekonomischer Handgriff der Vernunft,
um sich soviel als moeglich Muehe zu ersparen, und ein hypothetischer
Versuch, der, wenn er gelingt, dem vorausgesetzten Erklaerungsgrunde
eben durch diese Einheit Wahrscheinlichkeit gibt. Allein eine solche
selbstsuechtige Absicht ist sehr leicht von der Idee zu unterscheiden,
nach welcher jedermann voraussetzt, diese Vernunfteinheit sei der
Natur selbst angemessen, und dass die Vernunft hier nicht bettle,
sondern gebiete, obgleich ohne die Grenzen dieser Einheit bestimmen zu
koennen.
Waere unter den Erscheinungen, die sich uns darbieten, eine so grosse
Verschiedenheit, ich will nicht sagen der Form (denn darin moegen
sie einander aehnlich sein), sondern dem Inhalte, d.i. der
Mannigfaltigkeit existierender Wesen nach, dass auch der
allerschaerfste menschliche Verstand durch Vergleichung der einen mit
der anderen nicht die mindeste Aehnlichkeit ausfindig machen koennte
(ein Fall, der sich wohl denken laesst), so wuerde das logische Gesetz
der Gattungen ganz und gar nicht stattfinden, und es wuerde selbst
kein Begriff von Gattung, oder irgendein allgemeiner Begriff, ja
sogar kein Verstand stattfinden, als der es lediglich mit solchen
zu tun hat. Das logische Prinzip der Gattungen setzt also ein
transzendentales voraus, wenn es auf Natur (darunter ich hier nur
Gegenstaende, die uns gegeben werden, verstehe,) angewandt werden
soll. Nach demselben wird in dem Mannigfaltigen einer moeglichen
Erfahrung notwendig Gleichartigkeit vorausgesetzt (ob wir gleich ihren
Grad a priori nicht bestimmen koennen), weil ohne dieselbe keine
empirischen Begriffe, mithin keine Erfahrung moeglich waere.
Dem logischen Prinzip der Gattungen, welches Identitaet postuliert,
steht ein anderes, naemlich das der Arten entgegen, welches
Mannigfaltigkeit und Verschiedenheiten der Dinge, unerachtet ihrer
Uebereinstimmung unter derselben Gattung, bedarf, und es dem
Verstande zur Vorschrift macht, auf diese nicht weniger als auf jene
aufmerksam zu sein. Dieser Grundsatz (der Scharfsinnigkeit, oder des
Unterscheidungsvermoegens) schraenkt den Leichtsinn des ersteren (des
Witzes) sehr ein, und die Vernunft zeigt hier ein doppeltes, einander
widerstreitendes Interesse, einerseits das Interesse des Umfanges (der
Allgemeinheit) in Ansehung der Gattungen, andererseits des Inhalts
(der Bestimmtheit), in Absicht auf die Mannigfaltigkeit der Arten,
weil der Verstand im ersteren Falle zwar viel unter seinen Begriffen,
im zweiten aber desto mehr in denselben denkt. Auch aeussert sich
dieses an der sehr verschiedenen Denkungsart der Naturforscher, deren
einige (die vorzueglich spekulativ sind), der Ungleichartigkeit
gleichsam feind, immer auf die Einheit der Gattung hinaussehen, die
anderen (vorzueglich empirische Koepfe) die Natur unaufhoerlich in so
viel Mannigfaltigkeit zu spalten suchen, dass man beinahe die Hoffnung
aufgeben muesste, ihre Erscheinungen nach allgemeinen Prinzipien zu
beurteilen.
Dieser letzteren Denkungsart liegt offenbar auch ein logisches
Prinzip zum Grunde, welches die systematische Vollstaendigkeit aller
Erkenntnisse zur Absicht hat, wenn ich, von der Gattung anhebend, zu
dem Mannigfaltigen, das darunter enthalten sein mag, herabsteige, und
auf solche Weise dem System Ausbreitung, wie im ersteren Falle, da
ich zur Gattung aufsteige, Einfalt zu verschaffen suche. Denn aus der
Sphaere des Begriffs, der eine Gattung bezeichnet, ist ebensowenig,
wie aus dem Raume, den Materie einnehmen kann, zu ersehen, wie weit
die Teilung derselben gehen koenne. Daher jede Gattung verschiedene
Arten, diese aber verschiedene Unterarten erfordert, und, da keine der
letzteren stattfindet, die nicht immer wiederum eine Sphaere (Umfang
als conceptus communis) haette, so verlangt die Vernunft in ihrer
ganzen Erweiterung, dass keine Art als die unterste an sich selbst
angesehen werde, weil, da sie doch immer ein Begriff ist, der nur das,
was verschiedenen Dingen gemein ist, in sich enthaelt, dieser nicht
durchgaengig bestimmt, mithin auch nicht zunaechst auf ein Individuum
bezogen sein koenne, folglich jederzeit andere Begriffe, d.i.
Unterarten, unter sich enthalten muesse. Dieses Gesetz der
Spezifikation koennte so ausgedrueckt werden: entium varietates non
temere esse minuendas.
Man sieht aber leicht, dass auch dieses logische Gesetz ohne Sinn und
Anwendung sein wuerde, laege nicht ein transzendentales Gesetz der
Spezifikation zum Grunde, welches zwar freilich nicht von den Dingen,
die unsere Gegenstaende werden koennen, eine wirkliche Unendlichkeit
in Ansehung der Verschiedenheiten fordert; denn dazu gibt das logische
Prinzip, als welches lediglich die Unbestimmtheit der logischen
Sphaere in Ansehung der moeglichen Einteilung behauptet, keinen
Anlass; aber dennoch dem Verstande auferlegt, unter jeder Art, die
uns vorkommt, Unterarten, und zu jeder Verschiedenheit kleinere
Verschiedenheiten zu suchen. Denn, wuerde es keine niederen Begriffe
geben, so gaebe es auch keine hoeheren. Nun erkennt der Verstand alles
nur durch Begriffe: folglich, soweit er in der Einteilung reicht,
niemals durch blosse Anschauung, sondern immer wiederum durch niedere
Begriffe. Die Erkenntnis der Erscheinungen in ihrer durchgaengigen
Bestimmung (welche nur durch Verstand moeglich ist) fordert eine
unaufhoerlich fortzusetzende Spezifikation seiner Begriffe, und einen
Fortgang zu immer noch bleibenden Verschiedenheiten, wovon in dem
Begriffe der Art, und noch mehr dem der Gattung, abstrahiert worden.
Auch kann dieses Gesetz der Spezifikation nicht von der Erfahrung
entlehnt sein; denn diese kann keine so weitgehende Eroeffnungen
geben. Die empirische Spezifikation bleibt in der Unterscheidung
des Mannigfaltigen bald stehen, wenn sie nicht durch das schon
vorhergehende transzendentale Gesetz der Spezifikation, als einem
Prinzip der Vernunft, geleitet worden, solche zu suchen, und sie noch
immer zu vermuten, wenn sie sich gleich nicht den Sinnen offenbart.
Dass absorbierende Erden nach verschiedener Art (Kalk- und muriatische
Erden) sind, bedurfte zur Entdeckung eine zuvorkommende Regel
der Vernunft, welche dem Verstande es zur Aufgabe machte, die
Verschiedenheit zu suchen, indem sie die Natur so reichhaltig
voraussetzte, sie zu vermuten. Denn wir haben ebensowohl nur unter
Voraussetzung der Verschiedenheiten in der Natur Verstand, als unter
der Bedingung, dass ihre Objekte Gleichartigkeit an sich haben,
weil eben die Mannigfaltigkeit desjenigen, was unter einem Begriffe
zusammengefasst werden kann, den Gebrauch dieses Begriffs, und die
Beschaeftigung des Verstandes ausmacht.
Die Vernunft bereitet also dem Verstande sein Feld, 1. durch ein
Prinzip der Gleichartigkeit des Mannigfaltigen unter hoeheren
Gattungen, 2. durch einen Grundsatz der Varietaet des Gleichartigen
unter niederen Arten; und um die systematische Einheit zu vollenden,
fuegt sie 3. noch ein Gesetz der Affinitaet aller Begriffe hinzu,
welches einen kontinuierlichen Uebergang von einer jeden Art zu jeder
anderen durch stufenartiges Wachstum der Verschiedenheit gebietet. Wir
koennen sie die Prinzipien der Homogenitaet, der Spezifikation und der
Kontinuitaet der Formen nennen. Das letztere entspringt dadurch, dass
man die zwei ersteren vereinigt, nachdem man, sowohl im Aufsteigen
zu hoeheren Gattungen, als im Herabsteigen zu niederen Arten, den
systematischen Zusammenhang in der Idee vollendet hat; denn alsdann
sind alle Mannigfaltigkeiten untereinander verwandt, weil sie
insgesamt durch alle Grade der erweiterten Bestimmung von einer
einzigen obersten Gattung abstammen.
Man kann sich die systematische Einheit unter den drei logischen
Prinzipien auf folgende Art sinnlich machen. Man kann einen jeden
Begriff als einen Punkt ansehen, der, als der Standpunkt eines
Zuschauers, seinen Horizont hat, d.i. eine Menge von Dingen, die
aus demselben koennen vorgestellt und gleichsam ueberschaut werden.
Innerhalb diesem Horizonte muss eine Menge von Punkten ins Unendliche
angegeben werden koennen, deren jeder wiederum seinen engeren
Gesichtskreis hat; d.i. jede Art enthaelt Unterarten, nach dem Prinzip
der Spezifikation, und der logische Horizont besteht nur aus kleineren
Horizonten (Unterarten), nicht aber aus Punkten, die keinen Umfang
haben (Individuen). Aber zu verschiedenen Horizonten, d.i. Gattungen,
die aus ebensoviel Begriffen bestimmt werden, laesst sich ein
gemeinschaftlicher Horizont, daraus man sie insgesamt als aus einem
Mittelpunkte ueberschaut, gezogen denken, welcher die hoehere Gattung
ist, bis endlich die hoechste Gattung der allgemeine und wahre
Horizont ist, der aus dem Standpunkte des hoechsten Begriffs bestimmt
wird, und alle Mannigfaltigkeit, als Gattungen, Arten und Unterarten,
unter sich befasst.
Zu diesem hoechsten Standpunkte fuehrt mich das Gesetz der
Homogenitaet, zu allen niedrigen und deren groessten Varietaet das
Gesetz der Spezifikation. Da aber auf solche Weise in dem ganzen
Umfange aller moeglichen Begriffe nichts Leeres ist, und ausser
demselben nichts angetroffen werden kann, so entspringt aus der
Voraussetzung jenes allgemeinen Gesichtskreises und der durchgaengigen
Einteilung desselben der Grundsatz: non datur vacuum formarum, d.i.
es gibt nicht verschiedene urspruengliche und erste Gattungen, die
gleichsam isoliert und voneinander (durch einen leeren Zwischenraum)
getrennt waeren, sondern alle mannigfaltigen Gattungen sind nur
Abteilungen einer einzigen obersten und allgemeinen Gattung; und aus
diesem Grundsatze dessen unmittelbare Folge: datur continuum formarum,
d.i. alle Verschiedenheiten der Arten grenzen aneinander und erlauben
keinen Uebergang zueinander durch einen Sprung, sondern nur durch
alle kleineren Grade des Unterschiedes, dadurch man von einer zu der
anderen gelangen kann; mit einem Worte, es gibt keine Arten oder
Unterarten, die einander (im Begriffe der Vernunft) die naechsten
waeren, sondern es sind noch immer Zwischenarten moeglich, deren
Unterschied von der ersten und zweiten kleiner ist, als dieser ihr
Unterschied voneinander.
Das erste Gesetz also verhuetet die Ausschweifung in die
Mannigfaltigkeit verschiedener urspruenglichen Gattungen, und
empfiehlt die Gleichartigkeit; das zweite schraenkt dagegen diese
Neigung zur Einhelligkeit wiederum ein, und gebietet Unterscheidung
der Unterarten, bevor man sich mit seinem allgemeinen Begriffe zu den
Individuen wende. Das dritte vereinigt jene beiden, indem sie bei
der hoechsten Mannigfaltigkeit dennoch die Gleichartigkeit durch den
stufenartigen Uebergang von einer Spezies zur anderen vorschreibt,
welches eine Art von Verwandtschaft der verschiedenen Zweige anzeigt,
insofern sie insgesamt aus einem Stamme entsprossen sind.
Dieses logische Gesetz des continui specierum (formarum logicarum)
setzt aber ein transzendentales voraus (lex continui in natura), ohne
welches der Gebrauch des Verstandes durch jene Vorschrift nur irre
geleitet werden wuerde, indem sie vielleicht einen der Natur gerade
entgegengesetzten Weg nehmen wuerde. Es muss also dieses Gesetz auf
reinen transzendentalen und nicht empirischen Gruenden beruhen. Denn
in dem letzteren Falle wuerde es spaeter kommen als die Systeme; es
hat aber eigentlich das Systematische der Naturerkenntnis zuerst
hervorgebracht. Es sind hinter diesen Gesetzen auch nicht etwa
Absichten auf eine mit ihnen, als blossen Versuchen, anzustellende
Probe verborgen, obwohl freilich dieser Zusammenhang, wo er zutrifft,
einen maechtigen Grund abgibt, die hypothetisch ausgedachte Einheit
fuer gegruendet zu halten, und sie also auch in dieser Absicht ihren
Nutzen haben, sondern man sieht es ihnen deutlich an, dass sie die
Sparsamkeit der Grundursachen, die Mannigfaltigkeit der Wirkungen,
und eine daherruehrende Verwandtschaft der Glieder der Natur an sich
selbst fuer vernunftmaessig und der Natur angemessen urteilen, und
diese Grundsaetze also direkt und nicht bloss als Handgriffe der
Methode ihre Empfehlung bei sich fuehren.
Man sieht aber leicht, dass diese Kontinuitaet der Formen eine blosse
Idee sei, der ein kongruierender Gegenstand in der Erfahrung gar nicht
aufgewiesen werden kann, nicht allein um deswillen, weil die Spezies
in der Natur wirklich abgeteilt sind, und daher an sich ein quantum
discretum ausmachen muessen, und, wenn der stufenartige Fortgang in
der Verwandtschaft derselben kontinuierlich waere, sie auch eine wahre
Unendlichkeit der Zwischenglieder, die innerhalb zweier gegebener
Arten laegen, enthalten muesste, welches unmoeglich ist: sondern auch,
weil wir von diesem Gesetz gar keinen bestimmten empirischen Gebrauch
machen koennen, indem dadurch nicht das geringste Merkmal der
Affinitaet angezeigt wird, nach welchem und wie weit wir die Gradfolge
ihrer Verschiedenheit zu suchen, sondern nichts weiter, als eine
allgemeine Anzeige, dass wir sie zu suchen haben.
Wenn wir die jetzt angefuehrten Prinzipien ihrer Ordnung nach
versetzen, um sie dem Erfahrungsgebrauch gemaess zu stellen, so
wuerden die Prinzipien der systematischen Einheit etwa so stehen:
Mannigfaltigkeit, Verwandtschaft und Einheit, jede derselben aber als
Ideen im hoechsten Grade ihrer Vollstaendigkeit genommen. Die Vernunft
setzt die Verstandeserkenntnisse voraus, die zunaechst auf Erfahrung
angewandt werden, und sucht ihre Einheit nach Ideen, die viel
weiter geht, als Erfahrung reichen kann. Die Verwandtschaft des
Mannigfaltigen, unbeschadet seiner Verschiedenheit, unter einem
Prinzip der Einheit, betrifft nicht bloss die Dinge, sondern weit mehr
noch die blossen Eigenschaften und Kraefte der Dinge. Daher, wenn
uns z.B. durch eine (noch nicht voellig berichtigte) Erfahrung der
Lauf der Planeten als kreisfoermig gegeben ist, und wir finden
Verschiedenheiten, so vermuten wir sie in demjenigen, was den Zirkel
nach einem bestaendigen Gesetze durch alle unendlichen Zwischengrade,
zu einer dieser abweichenden Umlaeufe abaendern kann, d.i. die
Bewegungen der Planeten, die nicht Zirkel sind, werden etwa dessen
Eigenschaften mehr oder weniger nahe kommen, und fallen auf die
Ellipse. Die Kometen zeigen eine noch groessere Verschiedenheit ihrer
Bahnen, da sie (soweit Beobachtung reicht) nicht einmal im Kreise
zurueckkehren; allein wir raten auf einen parabolischen Lauf, der doch
mit der Ellipsis verwandt ist, und, wenn die lange Achse der letzteren
sehr weit gestreckt ist, in allen unseren Beobachtungen von ihr
nicht unterschieden werden kann. So kommen wir, nach Anleitung jener
Prinzipien, auf Einheit der Gattungen dieser Bahnen in ihrer Gestalt,
dadurch aber weiter auf Einheit der Ursache aller Gesetze ihrer
Bewegung (die Gravitation), von da wir nachher unsere Eroberungen
ausdehnen, und auch alle Varietaeten und scheinbare Abweichungen von
jenen Regeln aus demselben Prinzip zu erklaeren suchen, endlich gar
mehr hinzufuegen, als Erfahrung jemals bestaetigen kann, naemlich, uns
nach den Regeln der Verwandtschaft selbst hyperbolische Kometenbahnen
zu denken, in welcher diese Koerper ganz und gar unsere Sonnenwelt
verlassen, und, indem sie von Sonne zu Sonne gehen, die entfernteren
Teile eines fuer uns unbegrenzten Weltsystems, das durch eine und
dieselbe bewegende Kraft zusammenhaengt, in ihrem Laufe vereinigen.
Was bei diesen Prinzipien merkwuerdig ist, und uns auch allein
beschaeftigt, ist dieses: dass sie transzendental zu sein scheinen,
und, ob sie gleich blosse Ideen zur Befolgung des empirischen
Gebrauchs der Vernunft enthalten, denen der letztere nur gleichsam
asymptotisch, d.i. bloss annaehernd folgen kann, ohne sie jemals
zu erreichen, sie gleichwohl, als synthetische Saetze a priori,
objektive, aber unbestimmte Gueltigkeit haben, und zur Regel
moeglicher Erfahrung dienen, auch wirklich in Bearbeitung derselben,
als heuristische Grundsaetze, mit gutem Gluecke gebraucht werden,
ohne dass man doch eine transzendentale Deduktion derselben zustande
bringen kann, welches, wie oben bewiesen worden, in Ansehung der Ideen
jederzeit unmoeglich ist.
Wir haben in der transzendentalen Analytik unter den Grundsaetzen
des Verstandes die dynamischen, als bloss regulativen Prinzipien der
Anschauung, von den mathematischen, die in Ansehung der letzteren
konstitutiv sind, unterschieden. Diesem ungeachtet sind gedachte
dynamische Gesetze allerdings konstitutiv in Ansehung der Erfahrung,
indem sie die Begriffe, ohne welche keine Erfahrung stattfindet, a
priori moeglich machen. Prinzipien der reinen Vernunft koennen dagegen
nicht einmal in Ansehung der empirischen Begriffe konstitutiv sein,
weil ihnen kein korrespondierendes Schema der Sinnlichkeit gegeben
werden kann, und sie also keinen Gegenstand in konkreto haben koennen.
Wenn ich nun von einem solchen empirischen Gebrauch derselben, als
konstitutiver Grundsaetze, abgehe, wie will ich ihnen dennoch einen
regulativen Gebrauch, und mit demselben einige objektive Gueltigkeit
sichern, und was kann derselbe fuer Bedeutung haben?
Der Verstand macht fuer die Vernunft ebenso einen so Gegenstand aus,
als die Sinnlichkeit fuer den Verstand. Die Einheit aller moeglichen
empirischen Verstandeshandlungen systematisch zu machen, ist ein
Geschaeft der Vernunft, sowie der Verstand das Mannigfaltige der
Erscheinungen durch Begriffe verknuepft und unter empirische Gesetze
bringt. Die Verstandeshandlungen aber, ohne Schemate der Sinnlichkeit,
sind unbestimmt: ebenso ist die Vernunfteinheit auch in Ansehung der
Bedingungen, unter denen, und des Grades, wie weit, der Verstand seine
Begriffe systematisch verbinden soll, an sich selbst unbestimmt.
Allein, obgleich fuer die durchgaengige systematische Einheit aller
Verstandesbegriffe kein Schema in der Anschauung ausfindig gemacht
werden kann, so kann und muss doch ein Analogon eines solchen Schema
gegeben werden, welches die Idee des Maximum der Abteilung und der
Vereinigung der Verstandeserkenntnis in einem Prinzip ist. Denn das
Groesseste und absolut Vollstaendige laesst sich bestimmt gedenken,
weil alle restringierenden Bedingungen, welche unbestimmte
Mannigfaltigkeit geben, weggelassen werden. Also ist die Idee der
Vernunft ein Analogon von einem Schema der Sinnlichkeit, aber mit dem
Unterschiede, dass die Anwendung der Verstandesbegriffe auf das Schema
der Vernunft nicht ebenso eine Erkenntnis des Gegenstandes selbst ist
(wie bei der Anwendung der Kategorien auf ihre sinnlichen Schemate),
sondern nur eine Regel oder Prinzip der systematischen Einheit alles
Verstandesgebrauchs. Da nun jeder Grundsatz, der dem Verstande
durchgaengige Einheit seines Gebrauchs a priori festsetzt, auch,
obzwar nur indirekt, von dem Gegenstande der Erfahrung gilt: so werden
die Grundsaetze der reinen Vernunft auch in Ansehung dieses letzteren
objektive Realitaet haben, allein nicht um etwas an ihnen zu
bestimmen, sondern nur um das Verfahren anzuzeigen, nach welchem der
empirische und bestimmte Erfahrungsgebrauch des Verstandes mit sich
selbst durchgaengig zusammenstimmend werden kann, dadurch, dass er
mit dem Prinzip der durchgaengigen Einheit, soviel als moeglich, in
Zusammenhang gebracht, und davon abgeleitet wird.
Ich nenne alle subjektiven Grundsaetze, die nicht von der
Beschaffenheit des Objekts, sondern dem Interesse der Vernunft, in
Ansehung einer gewissen moeglichen Vollkommenheit der Erkenntnis
dieses Objekts, hergenommen sind, Maximen der Vernunft. So gibt es
Maximen der spekulativen Vernunft, die lediglich auf dem spekulativen
Interesse derselben beruhen, ob es zwar scheinen mag, sie waeren
objektive Prinzipien.
Wenn bloss regulative Grundsaetze als konstitutiv betrachtet werden,
so koennen sie als objektive Prinzipien widerstreitend sein;
betrachtet man sie aber bloss als Maximen, so ist kein wahrer
Widerstreit, sondern bloss ein verschiedenes Interesse der Vernunft,
welches die Trennung der Denkungsart verursacht. In der Tat hat die
Vernunft nur ein einiges Interesse und der Streit ihrer Maximen
ist nur eine Verschiedenheit und wechselseitige Einschraenkung der
Methoden, diesem Interesse ein Genuege zu tun.
Auf solche Weise vermag bei diesem Vernuenftler mehr das Interesse der
Mannigfaltigkeit (nach dem Prinzip der Spezifikation), bei jenem aber
das Interesse der Einheit (nach dem Prinzip der Aggregation). Ein
jeder derselben glaubt sein Urteil aus der Einsicht des Objekts
zu haben, und gruendet es doch lediglich auf der groesseren oder
kleineren Anhaenglichkeit an einen von beiden Grundsaetzen,
deren keine auf objektiven Gruenden beruht, sondern nur auf dem
Vernunftinteresse, und die daher besser Maximen als Prinzipien genannt
werden koennten. Wenn ich einsehende Maenner miteinander wegen der
Charakteristik der Menschen, der Tiere oder Pflanzen, ja selbst der
Koerper des Mineralreichs im Streite sehe, da die einen z.B. besondere
und in der Abstammung gegruendete Volkscharaktere, oder auch
entschiedene und erbliche Unterschiede der Familien, Rassen usw.
annehmen, andere dagegen ihren Sinn darauf setzen, dass die Natur in
diesem Stuecke ganz und gar einerlei Anlagen gemacht habe, und aller
Unterschied nur auf aeusseren Zufaelligkeiten beruhe, so darf ich
nur die Beschaffenheit des Gegenstandes in Betrachtung ziehen, um zu
begreifen, dass er fuer beide viel zu tief verborgen liege, als dass
sie aus Einsicht in die Natur des Objekts sprechen koennten. Es ist
nichts anderes, als das zwiefache Interesse der Vernunft, davon dieser
Teil das eine, jener das andere zu Herzen nimmt, oder auch affektiert,
mithin die Verschiedenheit der Maximen der Naturmannigfaltigkeit, oder
der Natureinheit, welche sich gar wohl vereinigen lassen, aber solange
sie fuer objektive Einsichten gehalten werden, nicht allein Streit,
sondern auch Hindernisse veranlassen, welche die Wahrheit lange
aufhalten, bis ein Mittel gefunden wird, das strittige Interesse zu
vereinigen, und die Vernunft hierueber zufrieden zu stellen.
Ebenso ist es mit der Behauptung oder Anfechtung des so berufenen, von
Leibniz in Gang gebrachten und durch Bonnet trefflich aufgestutzten
Gesetzes der kontinuierlichen Stufenleiter der Geschoepfe bewandt,
welche nichts als eine Befolgung des auf dem Interesse der Vernunft
beruhenden Grundsatzes der Affinitaet ist; denn Beobachtung und
Einsicht in die Einrichtung der Natur konnte es gar nicht als
objektive Behauptung an die Hand geben. Die Sprossen einer solchen
Leiter, so wie sie uns Erfahrung angeben kann, stehen viel zu weit
auseinander, und unsere vermeintlich kleinen Unterschiede sind
gemeiniglich in der Natur selbst so weite Kluefte, dass auf solche
Beobachtungen (vornehmlich bei einer grossen Mannigfaltigkeit von
Dingen, da es immer leicht sein muss, gewisse Aehnlichkeiten und
Annaeherungen zu finden,) als Absichten der Natur gar nichts zu
rechnen ist. Dagegen ist die Methode, nach einem solchen Prinzip
Ordnung in der Natur aufzusuchen, und die Maxime, eine solche,
obzwar unbestimmt, wo, oder wie weit, in einer Natur ueberhaupt als
gegruendet anzusehen, allerdings ein rechtmaessiges und treffliches
regulatives Prinzip der Vernunft; welches aber, als ein solches, viel
weiter geht, als dass Erfahrung oder Beobachtung ihr gleichkommen
koennte, doch ohne etwas zu bestimmen, sondern ihr nur zur
systematischen Einheit den Weg vorzuzeichnen.
Von der Endabsicht der natuerlichen Dialektik der menschlichen
Vernunft
Die Ideen der reinen Vernunft koennen nimmermehr an sich selbst
dialektisch sein, sondern ihr blosser Missbrauch muss es allein
machen, dass uns von ihnen ein trueglicher Schein entspringt; denn
sie sind uns durch die Natur unserer Vernunft aufgegeben, und dieser
oberste Gerichtshof aller Rechte und Ansprueche unserer Spekulation
kann unmoeglich selbst urspruengliche Taeuschungen und Blendwerke
enthalten. Vermutlich werden sie also ihre gute und zweckmaessige
Bestimmung in der Naturanlage unserer Vernunft haben. Der Poebel der
Vernuenftler schreit aber, wie gewoehnlich, ueber Ungereimtheit und
Widersprueche, und schmaeht auf die Regierung, in deren innerste
Plaene er nicht zu dringen vermag, deren wohltaetigen Einfluessen er
auch selbst seine Erhaltung und sogar die Kultur verdanken sollte, die
ihn in den Stand setzt, sie zu tadeln und zu verurteilen.
Man kann sich eines Begriffs a priori mit keiner Sicherheit bedienen,
ohne seine transzendentale Deduktion zustande gebracht zu haben. Die
Ideen der reinen Vernunft verstatten zwar keine Deduktion von der Art,
als die Kategorien; sollen sie aber im mindesten einige, wenn auch
nur unbestimmte, objektive Gueltigkeit haben, und nicht bloss leere
Gedankendinge (entia rationis ratiocinantis) vorstellen, so muss
durchaus eine Deduktion derselben moeglich sein, gesetzt, dass sie
auch von derjenigen weit abwichen die man mit den Kategorien vornehmen
kann. Das ist die Vollendung des kritischen Geschaeftes der reinen
Vernunft, und dieses wollen wir jetzt uebernehmen.
Es ist ein grosser Unterschied, ob etwas meiner Vernunft als ein
Gegenstand schlechthin, oder nur als ein Gegenstand in der Idee
gegeben wird. In dem ersteren Falle gehen meine Begriffe dahin, den
Gegenstand zu bestimmen; im zweiten ist es wirklich nur ein Schema,
dem direkt kein Gegenstand, auch nicht einmal hypothetisch zugegeben
wird, sondern welches nur dazu dient, um andere Gegenstaende,
vermittelst der Beziehung auf diese Idee, nach ihrer systematischen
Einheit, mithin indirekt uns vorzustellen. So sage ich, der Begriff
einer hoechsten Intelligenz ist eine blosse Idee, d.i. seine objektive
Realitaet soll nicht darin bestehen, dass er sich geradezu auf einen
Gegenstand bezieht (denn in solcher Bedeutung wuerden wir seine
objektive Gueltigkeit nicht rechtfertigen koennen), sondern er ist nur
ein nach Bedingungen der groessten Vernunfteinheit geordnetes Schema,
von dem Begriffe eines Dinges ueberhaupt, welches nur dazu dient, um
die groesste systematische Einheit im empirischen Gebrauche unserer
Vernunft zu erhalten, indem man den Gegenstand der Erfahrung gleichsam
von dem eingebildeten Gegenstande dieser Idee, als seinem Grunde, oder
Ursache, ableitet. Alsdann heisst es z.B. die Dinge der Welt muessen
so betrachtet werden, als ob sie von einer hoechsten Intelligenz ihr
Dasein haetten. Auf solche Weise ist die Idee eigentlich nur ein
heuristischer und nicht ostensiver Begriff, und zeigt an, nicht wie
ein Gegenstand beschaffen ist, sondern wie wir, unter der Leitung
desselben, die Beschaffenheit und Verknuepfung der Gegenstaende der
Erfahrung ueberhaupt suchen sollen. Wenn man nun zeigen kann, dass,
obgleich die dreierlei transzendentalen Ideen (die psychologische,
kosmologische, und theologische) direkt auf keinen ihnen
korrespondierenden Gegenstand und dessen Bestimmung bezogen werden,
dennoch alle Regeln des empirischen Gebrauchs der Vernunft unter
Voraussetzung eines solchen Gegenstandes in der Idee auf systematische
Einheit fuehren und die Erfahrungserkenntnis jederzeit erweitern,
niemals aber derselben zuwider sein koennen: so ist es eine notwendige
Maxime der Vernunft, nach dergleichen Ideen zu verfahren. Und dieses
ist die transzendentale Deduktion aller Ideen der spekulativen
Vernunft, nicht als konstitutiver Prinzipien der Erweiterung unserer
Erkenntnis ueber mehr Gegenstaende, als Erfahrung geben kann,
sondern als regulativer Prinzipien der systematischen Einheit des
Mannigfaltigen der empirischen Erkenntnis ueberhaupt, welche dadurch
in ihren eigenen Grenzen mehr angebaut und berichtigt wird, als es
ohne solche Ideen durch den blossen Gebrauch der Verstandesgrundsaetze
geschehen koennte.
Ich will dieses deutlicher machen. Wir wollen den genannten Ideen als
Prinzipien zufolge erstlich (in der Psychologie) alle Erscheinungen,
Handlungen und Empfaenglichkeit unseres Gemuets an dem Leitfaden
der inneren Erfahrung so verknuepfen, als ob dasselbe eine einfache
Substanz waere, die, mit persoenlicher Identitaet, beharrlich
(wenigstens im Leben) existiert, indessen dass ihre Zustaende, zu
welcher die des Koerpers nur als aeussere Bedingungen gehoeren,
kontinuierlich wechseln. Wir muessen zweitens (in der Kosmologie) die
Bedingungen, der inneren sowohl als der aeusseren Naturerscheinungen,
in einer solchen nirgend zu vollendenden Untersuchung verfolgen, als
ob dieselbe an sich unendlich und ohne ein erstes oder oberstes Glied
sei, obgleich wir darum, ausserhalb aller Erscheinungen, die bloss
intelligiblen ersten Gruende derselben nicht leugnen, aber sie doch
niemals in den Zusammenhang der Naturerklaerungen bringen duerfen,
weil wir sie gar nicht kennen. Endlich und drittens muessen wir (in
Ansehung der Theologie) alles, was nur immer in den Zusammenhang der
moeglichen Erfahrung gehoeren mag, so betrachten, als ob diese eine
absolute, aber durch und durch abhaengige und immer noch innerhalb der
Sinnenwelt bedingte Einheit ausmache, doch aber zugleich, als ob der
Inbegriff aller Erscheinungen (die Sinnenwelt selbst) einen einzigen
obersten und allgenugsamen Grund ausser ihrem Umfange habe, naemlich
eine gleichsam selbststaendige, urspruengliche und schoepferische
Vernunft, in Beziehung auf welche wir allen empirischen Gebrauch
unserer Vernunft in seiner groessten Erweiterung so richten, als ob
die Gegenstaende selbst aus jenem Urbilde aller Vernunft entsprungen
waeren, das heisst: nicht von einer einfachen denkenden Substanz
die inneren Erscheinungen der Seele, sondern nach der Idee eines
einfachen Wesens jene voneinander ableiten; nicht von einer hoechsten
Intelligenz die Weltordnung und systematische Einheit derselben
ableiten, sondern von der Idee einer hoechstweisen Ursache die Regel
hernehmen, nach welcher die Vernunft bei der Verknuepfung der Ursachen
und Wirkungen in der Welt zu ihrer eigenen Befriedigung am besten zu
brauchen sei.
Nun ist nicht das mindeste, was uns hindert, diese Ideen auch als
objektiv und hypostatisch anzunehmen, ausser allein die kosmologische,
wo die Vernunft auf eine Antinomie stoesst, wenn sie solche zustande
bringen will (die psychologische und theologische enthalten
dergleichen gar nicht). Denn ein Widerspruch ist in ihnen nicht, wie
sollte uns daher jemand ihre objektive Realitaet streiten koennen, da
er von ihrer Moeglichkeit ebensowenig weiss, um sie zu verneinen, als
wir, um sie zu bejahen. Gleichwohl ist's, um etwas anzunehmen, noch
nicht genug, dass kein positives Hindernis dawider ist, und es kann
uns nicht erlaubt sein, Gedankenwesen, welche alle unsere Begriffe
uebersteigen, obgleich keinem widersprechen, auf den blossen Kredit
der ihr Geschaeft gern vollendenden spekulativen Vernunft, als
wirkliche und bestimmte Gegenstaende einzufuehren. Also sollen sie an
sich selbst nicht angenommen werden, sondern nur ihre Realitaet, als
eines Schema des regulativen Prinzips der systematischen Einheit
aller Naturerkenntnis, gelten, mithin sollen sie nur als Analoga von
wirklichen Dingen, aber nicht als solche an sich selbst zum Grunde
gelegt werden. Wir heben von dem Gegenstande der Idee die Bedingungen
auf, welche unseren Verstandesbegriff einschraenken, die aber es
auch allein moeglich machen, dass wir von irgendeinem Dinge einen
bestimmten Begriff haben koennen. Und nun denken wir uns ein Etwas,
wovon wir, was es an sich selbst sei, gar keinen Begriff haben, aber
wovon wir uns doch ein Verhaeltnis zu dem Inbegriffe der Erscheinungen
denken, das demjenigen analogisch ist, welches die Erscheinungen
untereinander haben.
Wenn wir demnach solche idealische Wesen annehmen, so erweitern wir
eigentlich nicht unsere Erkenntnis ueber die Objekte moeglicher
Erfahrung, sondern nur die empirische Einheit der letzteren, durch
die systematische Einheit, wozu uns die Idee das Schema gibt, welche
mithin nicht als konstitutives, sondern bloss als regulatives Prinzip
gilt. Denn, dass wir ein der Idee korrespondierendes Ding, ein Etwas,
oder wirkliches Wesen setzen, dadurch ist nicht gesagt, wir wollten
unsere Erkenntnis der Dinge mit transzendenten Begriffen erweitern;
denn dieses Wesen wird nur in der Idee und nicht an sich selbst zum
Grunde gelegt, mithin nur um die systematische Einheit auszudruecken,
die uns zur Richtschnur des empirischen Gebrauchs der Vernunft dienen
soll, ohne doch etwas darueber auszumachen, was der Grund dieser
Einheit, oder die innere Eigenschaft eines solchen Wesens sei, auf
welchem, als Ursache, sie beruhe.
So ist der transzendentale und einzige bestimmte Begriff, den uns die
bloss spekulative Vernunft von Gott gibt, im genauesten Verstande
deistisch, d.i. die Vernunft gibt nicht einmal die objektive
Gueltigkeit eines solchen Begriffs, sondern nur die Idee von Etwas
an die Hand, worauf alle empirische Realitaet ihre hoechste und
notwendige Einheit gruendet, und welches wir uns nicht anders,
als nach der Analogie einer wirklichen Substanz, welche nach
Vernunftgesetzen die Ursache aller Dinge sei, denken koennen, wofern
wir es ja unternehmen, es ueberall als einen besonderen Gegenstand
zu denken, und nicht lieber, mit der blossen Idee des regulativen
Prinzips der Vernunft zufrieden, die Vollendung aller Bedingungen des
Denkens, als ueberschwenglich fuer den menschlichen Verstand, beiseite
setzen wollen, welches aber mit der Absicht einer vollkommenen
systematischen Einheit in unserem Erkenntnis, der wenigstens die
Vernunft keine Schranken setzt, nicht zusammen bestehen kann.
Daher geschieht's nun, dass, wenn ich ein goettliches Wesen annehme,
ich zwar weder von der inneren Moeglichkeit seiner hoechsten
Vollkommenheit, noch der Notwendigkeit seines Daseins, den mindesten
Begriff habe, aber alsdann doch allen anderen Fragen, die das
Zufaellige betreffen, ein Genuege tun kann, und der Vernunft die
vollkommenste Befriedigung in Ansehung der nachzuforschenden groessten
Einheit in ihrem empirischen Gebrauche, aber nicht in Ansehung dieser
Voraussetzung selbst, verschaffen kann; welches beweist, dass ihr
spekulatives Interesse und nicht ihre Einsicht sie berechtige, von
einem Punkte, der so weit ueber ihrer Sphaere liegt, auszugehen, um
daraus ihre Gegenstaende in einem vollstaendigen Ganzen zu betrachten.
Hier zeigt sich nun ein Unterschied der Denkungsart, bei einer und
derselben Voraussetzung, der ziemlich subtil, aber gleichwohl in
der Transzendentalphilosophie von grosser Wichtigkeit ist. Ich
kann genugsamen Grund haben, etwas relativ anzunehmen (suppositio
relativa), ohne doch befugt zu sein, es schlechthin anzunehmen
(suppositio absoluta). Diese Unterscheidung trifft zu, wenn es
bloss um ein regulatives Prinzip zu tun ist, wovon wir zwar die
Notwendigkeit an sich selbst, aber nicht den Quell derselben erkennen,
und dazu wir einen obersten Grund bloss in der Absicht annehmen, um
desto bestimmter die Allgemeinheit des Prinzips zu denken, als z.B.
wenn ich mir ein Wesen als existierend denke, das einer blossen und
zwar transzendentalen Idee korrespondiert. Denn, da kann ich das
Dasein dieses Dinges niemals an sich selbst annehmen, weil keine
Begriffe, dadurch ich mir irgend einen Gegenstand bestimmt denken
kann, dazu gelangen, und die Bedingungen der objektiven Gueltigkeit
meiner Begriffe durch die Idee selbst ausgeschlossen sind. Die
Begriffe der Realitaet, der Substanz, der Kausalitaet, selbst die
der Notwendigkeit im Dasein, haben, ausser dem Gebrauche, da sie die
empirische Erkenntnis eines Gegenstandes moeglich machen, gar keine
Bedeutung, die irgendein Objekt bestimmte. Sie koennen also zwar zu
Erklaerung der Moeglichkeit der Dinge in der Sinnenwelt, aber nicht
der Moeglichkeit eines Weltganzen selbst gebraucht werden, weil dieser
Erklaerungsgrund ausserhalb der Welt und mithin kein Gegenstand einer
moeglichen Erfahrung sein muesste. Nun kann ich gleichwohl ein solches
unbegreifliches Wesen, den Gegenstand einer blossen Idee, relativ auf
die Sinnenwelt, obgleich nicht an sich selbst, annehmen. Denn, wenn
dem groesstmoeglichen empirischen Gebrauche meiner Vernunft eine Idee
(der systematisch vollstaendigen Einheit, von der ich bald bestimmter
reden werde) zum Grunde liegt, die an sich selbst niemals adaequat
in der Erfahrung kann dargestellt werden, ob sie gleich, um
die empirische Einheit dem hoechstmoeglichen Grade zu naehern,
unumgaenglich notwendig ist, so werde ich nicht allein befugt, sondern
auch genoetigt sein, diese Idee zu realisieren, d.i. ihr einen
wirklichen Gegenstand zu setzen, aber nur als ein Etwas ueberhaupt,
das ich an sich selbst gar nicht kenne, und dem ich nur, als einem
Grunde jener systematischen Einheit, in Beziehung auf diese letztere
solche Eigenschaft gebe, als den Verstandesbegriffen im empirischen
Gebrauche analogisch sind. Ich werde mir also nach der Analogie der
Realitaeten in der Welt der Substanzen, der Kausalitaet und der
Notwendigkeit, ein Wesen denken, das alles dieses in der hoechsten
Vollkommenheit besitzt, und, indem diese Idee bloss auf meiner
Vernunft beruht, dieses Wesen als selbststaendige Vernunft, was durch
Ideen der groessten Harmonie und Einheit, Ursache vom Weltganzen
ist, denken koennen, so dass ich alle, die Idee einschraenkenden,
Bedingungen weglasse, lediglich um, unter dem Schutze eines solchen
Urgrundes, systematische Einheit des Mannigfaltigen im Weltganzen,
und, vermittelst derselben, den groesstmoeglichen empirischen
Vernunftgebrauch moeglich zu machen, indem ich alle Verbindungen so
ansehe, als ob sie Anordnungen einer hoechsten Vernunft waeren, von
der die unsrige ein schwaches Nachbild ist. Ich denke mir alsdann
dieses hoechste Wesen durch lauter Begriffe, die eigentlich nur in der
Sinnenwelt ihre Anwendung haben; da ich aber auch jene transzendentale
Voraussetzung zu keinem anderen als relativen Gebrauch habe, naemlich,
dass sie das Substratum der groesstmoeglichen Erfahrungseinheit
abgeben solle, so darf ich ein Wesen, das ich von der Welt
unterscheide, ganz wohl durch Eigenschaften denken, die lediglich zur
Sinnenwelt gehoeren. Denn ich verlange keineswegs, und bin auch nicht
befugt es zu verlangen, diesen Gegenstand meiner Idee, nach dem, was
er an sich sein mag, zu erkennen; denn dazu habe ich keine Begriffe,
und selbst die Begriffe von Realitaet, Substanz, Kausalitaet, ja sogar
der Notwendigkeit im Dasein, verlieren alle Bedeutung, und sind leere
Titel zu Begriffen, ohne allen Inhalt, wenn ich mich ausser dem Felde
der Sinne damit hinauswage. Ich denke mir nur die Relation eines mir
an sich ganz unbekannten Wesens zur groessten systematischen Einheit
des Weltganzen, lediglich um es zum Schema des regulativen Prinzips
des groesstmoeglichen empirischen Gebrauchs meiner Vernunft zu machen.
Werfen wir unseren Blick nun auf den transzendentalen Gegenstand
unserer Idee, so sehen wir, dass wir seine Wirklichkeit nach den
Begriffen von Realitaet, Substanz, Kausalitaet usw. an sich selbst
nicht voraussetzen koennen, weil diese Begriffe auf etwas, das von der
Sinnenwelt ganz unterschieden ist, nicht die mindeste Anwendung haben.
Also ist die Supposition der Vernunft von einem hoechsten Wesen, als
oberster Ursache, bloss relativ, zum Behuf der systematischen Einheit
der Sinnenwelt gedacht, und ein blosses Etwas in der Idee, wovon wir,
was es an sich sei, keinen Begriff haben. Hierdurch erklaert sich
auch, woher wir zwar in Beziehung auf das, was existierend den Sinnen
gegeben ist, der Idee eines an sich notwendigen Urwesens beduerfen,
niemals aber von diesem und seiner absoluten Notwendigkeit den
mindesten Begriff haben koennen.
Nunmehr koennen wir das Resultat der ganzen transzendentalen Dialektik
deutlich vor Augen stellen, und die Endabsicht der Ideen der reinen
Vernunft, die nur durch Missverstand und Unbehutsamkeit dialektisch
werden, genau bestimmen. Die reine Vernunft ist in der Tat mit
nichts als sich selbst beschaeftigt, und kann auch kein anderes
Geschaeft haben, weil ihr nicht die Gegenstaende zur Einheit des
Erfahrungsbegriffs, sondern die Verstandeserkenntnisse zur Einheit des
Vernunftbegriffs, d.i. des Zusammenhanges in einem Prinzip gegeben
werden. Die Vernunfteinheit ist die Einheit des Systems, und diese
systematische Einheit dient der Vernunft nicht objektiv zu einem
Grundsatze, um sie ueber die Gegenstaende, sondern subjektiv als
Maxime, um sie ueber alles moegliche empirische Erkenntnis der
Gegenstaende zu verbreiten. Gleichwohl befoerdert der systematische
Zusammenhang, den die Vernunft dem empirischen Verstandesgebrauche
geben kann, nicht allein dessen Ausbreitung, sondern bewaehrt auch
zugleich die Richtigkeit desselben, und das Prinzipium einer solchen
systematischen Einheit ist auch objektiv, aber auf unbestimmte Art
(principium vagum), nicht als konstitutives Prinzip, um etwas in
Ansehung seines direkten Gegenstandes zu bestimmen, sondern um, als
bloss regulativer Grundsatz und Maxime, den empirischen Gebrauch der
Vernunft durch Eroeffnung neuer Wege, die der Verstand nicht kennt,
ins Unendliche (Unbestimmte) zu befoerdern und zu befestigen, ohne
dabei jemals den Gesetzen des empirischen Gebrauchs im mindesten
zuwider zu sein.
Die Vernunft kann aber diese systematische Einheit nicht anders
denken, als dass sie ihrer Idee zugleich einen Gegenstand gibt, der
aber durch keine Erfahrung gegeben werden kann; denn Erfahrung gibt
niemals ein Beispiel vollkommener systematischer Einheit. Dieses
Vernunftwesen (ens rationis ratiocinatae) ist nun zwar eine blosse
Idee, und wird also nicht schlechthin und an sich selbst als etwas
Wirkliches angenommen, sondern nur problematisch zum Grunde gelegt
(weil wir es durch keine Verstandesbegriffe erreichen koennen), um
alle Verknuepfung der Dinge der Sinnenwelt so anzusehen, als ob sie
in diesem Vernunftwesen ihren Grund haetten, lediglich aber in der
Absicht, um darauf die systematische Einheit zu gruenden, die der
Vernunft unentbehrlich, der empirischen Verstandeserkenntnis aber auf
alle Weise befoerderlich und ihr gleichwohl niemals hinderlich sein
kann.
Man verkennt sogleich die Bedeutung dieser Idee, wenn man sie fuer die
Behauptung, oder auch nur die Voraussetzung einer wirklichen Sache
haelt, welcher man den Grund der systematischen Weltverfassung
zuzuschreiben gedaechte; vielmehr laesst man es gaenzlich
unausgemacht, was der unseren Begriffen sich entziehende Grund
derselben an sich fuer Beschaffenheit habe, und setzt sich nur eine
Idee zum Gesichtspunkte, aus welchem einzig und allein man jene,
der Vernunft so wesentliche und dem Verstande so heilsame, Einheit
verbreiten kann; mit einem Worte: dieses transzendentale Ding ist
bloss das Schema jenes regulativen Prinzips, wodurch die Vernunft,
so viel an ihr ist, systematische Einheit ueber alle Erfahrung
verbreitet. Das erste Objekt einer solchen Idee bin ich selbst, bloss
als denkende Natur (Seele) betrachtet. Will ich die Eigenschaften, mit
denen ein denkendes Wesen an sich existiert, aufsuchen, so muss ich
die Erfahrung befragen, und selbst von allen Kategorien kann ich keine
auf diesen Gegenstand anwenden, als insofern das Schema derselben
in der sinnlichen Anschauung gegeben ist. Hiermit gelange ich aber
niemals zu einer systematischen Einheit aller Erscheinungen des
inneren Sinnes. Statt des Erfahrungsbegriffs also (von dem, was die
Seele wirklich ist), der uns nicht weit fuehren kann, nimmt die
Vernunft den Begriff der empirischen Einheit alles Denkens, und macht
dadurch, dass sie diese Einheit unbedingt und urspruenglich denkt, aus
demselben einen Vernunftbegriff (Idee) von einer einfachen Substanz,
die an sich selbst unwandelbar (persoenlich identisch), mit anderen
wirklichen Dingen ausser ihr in Gemeinschaft stehe; mit einem Worte:
von einer einfachen selbstaendigen Intelligenz. Hierbei aber hat sie
nichts anderes vor Augen, als Prinzipien der systematischen Einheit in
Erklaerung der Erscheinungen der Seele, naemlich: alle Bestimmungen,
als in einem einigen Subjekte, alle Kraefte, so viel moeglich, als
abgeleitet von einer einigen Grundkraft, allen Wechsel, als gehoerig
zu den Zustaenden eines und desselben beharrlichen Wesens zu
betrachten, und alle Erscheinungen im Raume, als von den Handlungen
des Denkens ganz unterschieden vorzustellen. Jene Einfachheit der
Substanz usw. sollte nur das Schema zu diesem regulativen Prinzip
sein, und wird nicht vorausgesetzt, als sei sie der wirkliche Grund
der Seeleneigenschaften. Denn diese koennen auch auf ganz anderen
Gruenden beruhen, die wir gar nicht kennen, wie wir denn die Seele
auch durch diese angenommenen Praedikate eigentlich nicht an sich
selbst erkennen koennten, wenn wir sie gleich von ihr schlechthin
wollten gelten lassen, indem sie eine blosse Idee ausmachen, die
in concreto gar nicht vorgestellt werden kann. Aus einer solchen
psychologischen Idee kann nun nichts anderes als Vorteil entspringen,
wenn man sich nur huetet, sie fuer etwas mehr als blosse Idee, d.i.
bloss relativisch auf den systematischen Vernunftsgebrauch in Ansehung
der Erscheinungen unserer Seele, gelten zu lassen. Denn da mengen sich
keine empirischen Gesetze koerperlicher Erscheinungen, die ganz von
anderer Art sind, in die Erklaerungen dessen, was bloss vor den
inneren Sinn gehoert; da werden keine windigen Hypothesen, von
Erzeugung, Zerstoerung und Palingenesie der Seelen usw. zugelassen;
also wird die Betrachtung dieses Gegenstandes des inneren Sinnes ganz
rein und unvermengt mit ungleichartigen Eigenschaften angestellt,
ueberdem die Vernunftuntersuchung darauf gerichtet, die
Erklaerungsgruende in diesem Subjekte, so weit es moeglich ist, auf
ein einziges Prinzip hinaus zu fuehren, welches alles durch ein
solches Schema, als ob es ein wirkliches Wesen waere, am besten,
ja sogar einzig und allein, bewirkt wird. Die psychologische Idee
kann auch nichts anderes als das Schema eines regulativen Begriffs
bedeuten. Denn, wollte ich auch nur fragen, ob die Seele nicht an sich
geistiger Natur sei, so haette diese Frage gar keinen Sinn. Denn durch
einen solchen Begriff nehme ich nicht bloss die koerperliche Natur,
sondern ueberhaupt alle Natur weg, d.i. alle Praedikate irgendeiner
moeglichen Erfahrung, mithin alle Bedingungen, zu einem solchen
Begriffe einen Gegenstand zu denken, als welches doch einzig und
allein es macht, dass man sagt, er habe einen Sinn.
Die zweite regulative Idee der bloss spekulativen Vernunft ist der
Weltbegriff ueberhaupt. Denn Natur ist eigentlich nur das einzige
gegebene Objekt, in Ansehung dessen die Vernunft regulative Prinzipien
bedarf. Diese Natur ist zwiefach, entweder die denkende, oder die
koerperliche Natur. Allein zu der letzteren, um sie ihrer inneren
Moeglichkeit nach zu denken, d.i. die Anwendung der Kategorien auf
dieselbe zu bestimmen, beduerfen wir keiner Idee, d.i. einer die
Erfahrung uebersteigenden Vorstellung; es ist auch keine in Ansehung
derselben moeglich, weil wir darin bloss durch sinnliche Anschauung
geleitet werden, und nicht wie in dem psychologischen Grundbegriffe
(Ich), welcher eine gewisse Form des Denkens, naemlich die Einheit
desselben, a priori enthaelt. Also bleibt uns fuer die reine Vernunft
nichts uebrig, als Natur ueberhaupt, und die Vollstaendigkeit der
Bedingungen in derselben nach irgendeinem Prinzip. Die absolute
Totalitaet der Reihen dieser Bedingungen, in der Ableitung ihrer
Glieder, ist eine Idee, die zwar im empirischen Gebrauche der Vernunft
niemals voellig zustande kommen kann, aber doch zur Regel dient, wie
wir in Ansehung derselben verfahren sollen, naemlich in der Erklaerung
gegebener Erscheinungen (im Zurueckgehen oder Aufsteigen) so, als ob
die Reihe an sich unendlich waere, d.i. in indefinitum, aber wo die
Vernunft selbst als bestimmende Ursache betrachtet wird (in der
Freiheit), also bei praktischen Prinzipien, als ob wir nicht ein
Objekt der Sinne, sondern des reinen Verstandes vor uns haetten, wo
die Bedingungen nicht mehr in der Reihe der Erscheinungen, sondern
ausser derselben gesetzt werden koennen, und die Reihe der Zustaende
angesehen werden kann, als ob sie schlechthin (durch eine intelligible
Ursache) angefangen wuerde; welches alles beweist, dass die
kosmologischen Ideen nichts als regulative Prinzipien, und weit davon
entfernt sind, gleichsam konstitutiv, eine wirkliche Totalitaet
solcher Reihen zu setzen. Das uebrige kann man an seinem Orte unter
der Antinomie der reinen Vernunft suchen.
Die dritte Idee der reinen Vernunft, welche eine bloss relative
Supposition eines Wesens enthaelt, als der einigen und allgenugsamen
Ursache aller kosmologischen Reihen, ist der Vernunftbegriff von Gott.
Den Gegenstand dieser Idee, haben wir nicht den mindesten Grund,
schlechthin anzunehmen (an sich zu supponieren); denn was kann uns
wohl dazu vermoegen, oder auch nur berechtigen, ein Wesen von der
hoechsten Vollkommenheit, und als seiner Natur nach schlechthin
notwendig, aus dessen blossem Begriffe an sich selbst zu glauben, oder
zu behaupten, waere es nicht die Welt, in Beziehung auf welche diese
Supposition allein notwendig sein kann; und da zeigt es sich klar,
dass die Idee desselben, so wie alle spekulativen Ideen, nichts weiter
sagen wolle, als dass die Vernunft gebiete, alle Verknuepfung der Welt
nach Prinzipien einer systematischen Einheit zu betrachten, mithin als
ob sie insgesamt aus einem einzigen allbefassenden Wesen, als oberster
und allgenugsamer Ursache, entsprungen waeren. Hieraus ist klar,
dass die Vernunft hierbei nichts als ihre eigene formale Regel in
Erweiterung ihres empirischen Gebrauchs zur Absicht haben koenne,
niemals aber eine Erweiterung ueber alle Grenzen des empirischen
Gebrauchs, folglich unter dieser Idee kein konstitutives Prinzip ihres
auf moegliche Erfahrung gerichteten Gebrauchs verborgen liege.
Diese hoechste formale Einheit, welche allein auf Vernunftbegriffen
beruht, ist die zweckmaessige Einheit der Dinge, und das spekulative
Interesse der Vernunft macht es notwendig, alle Anordnung in der Welt
so anzusehen, als ob sie aus der Absicht einer allerhoechsten Vernunft
entsprossen waere. Ein solches Prinzip eroeffnet naemlich unserer auf
das Feld der Erfahrungen angewandten Vernunft ganz neue Aussichten,
nach teleologischen Gesetzen die Dinge der Welt zu verknuepfen, und
dadurch zu der groessten systematischen Einheit derselben zu gelangen.
Die Voraussetzung einer obersten Intelligenz, als der alleinigen
Ursache des Weltganzen, aber freilich bloss in der Idee, kann also
jederzeit der Vernunft nutzen und dabei doch niemals schaden. Denn,
wenn wir in Ansehung der Figur der Erde (der runden, doch etwas
abgeplatteten)*, der Gebirge und Meere usw. lauter weise Absichten
eines Urhebers zum voraus annehmen, so koennen wir auf diesem Wege
eine Menge von Entdeckungen machen. Bleiben wir nur bei dieser
Voraussetzung, als einem bloss regulativen Prinzip, so kann selbst der
Irrtum uns nicht schaden. Denn es kann allenfalls daraus nichts weiter
folgen, als dass, wo wir einen teleologischen Zusammenhang (nexus
finalis) erwarteten, ein bloss mechanischer oder physischer (nexus
effectivus) angetroffen werde, wodurch wir, in einem solchen Falle,
nur eine Einheit mehr vermissen, aber nicht die Vernunfteinheit in
ihrem empirischen Gebrauche verderben. Aber sogar dieser Querstrich
kann das Gesetz selbst in allgemeiner und teleologischer Absicht
ueberhaupt nicht treffen. Denn, obzwar ein Zergliederer eines Irrtums
ueberfuehrt werden kann, wenn er irgend ein Gliedmass eines tierischen
Koerpers auf einen Zweck bezieht, von welchem man deutlich zeigen
kann, dass er daraus nicht erfolge: so ist es doch gaenzlich
unmoeglich, in einem Falle zu beweisen, dass eine Natureinrichtung,
es mag sein welche da wolle, ganz und gar keinen Zweck habe. Daher
erweitert auch die Physiologie (der Aerzte) ihre sehr eingeschraenkte
empirische Kenntnis von den Zwecken des Gliederbaues eines organischen
Koerpers durch einen Grundsatz, welchen bloss reine Vernunft
eingab, so weit, dass man darin ganz dreist und zugleich mit aller
Verstaendigen Einstimmung annimmt, es habe alles an dem Tiere seinen
Nutzen und gute Absicht; welche Voraussetzung, wenn sie konstitutiv
sein sollte, viel weiter geht, als uns bisherige Beobachtung
berechtigen kann; woraus denn zu ersehen ist, dass sie nichts als ein
regulatives Prinzip der Vernunft sei, um zur hoechsten systematischen
Einheit, vermittelst der Idee der zweckmaessigen Kausalitaet der
obersten Weltursache, und, als ob diese, als hoechste Intelligenz,
nach der weisesten Absicht die Ursache von allem sei, zu gelangen.
* Der Vorteil, den eine kugelichte Erdgestalt schafft, ist bekannt
  genug; aber wenige wissen, dass ihre Abplattung, als eines
  Sphaeroids, es allein verhindert, dass nicht die Hervorragungen
  des festen Landes, oder auch kleinerer, vielleicht durch Erdbeben
  aufgeworfener Berge, die Achse der Erde kontinuierlich und in nicht
  eben langer Zeit ansehnlich verruecke, waere nicht die Aufschwellung
  der Erde unter der Linie ein so gewaltiger Berg, den der Schwung
  jedes anderen Berges niemals merklich aus seiner Lage in Ansehung
  der Achse bringen kann. Und doch erklaert man diese weise Anstalt
  ohne Bedenken aus dem Gleichgewicht der ehemals fluessigen Erdmasse.
Gehen wir aber von dieser Restriktion der Idee auf den bloss
regulativen Gebrauch ab, so wird die Vernunft auf so mancherlei Weise
irregefuehrt, indem sie alsdann den Boden der Erfahrung, der doch die
Merkzeichen ihres Ganges enthalten muss, verlaesst, und sich ueber
denselben zu dem Unbegreiflichen und Unerforschlichen hinwagt, ueber
dessen Hoehe sie notwendig schwindlicht wird, weil sie sich aus dem
Standpunkte desselben von allem mit der Erfahrung stimmigen Gebrauch
gaenzlich abgeschnitten sieht.
Der erste Fehler, der daraus entspringt, dass man die Idee eines
hoechsten Wesens nicht bloss regulativ, sondern (welches der Natur
einer Idee zuwider ist) konstitutiv braucht, ist die faule Vernunft
(ignava ratio)*. Man kann jeden Grundsatz so nennen, welcher macht,
dass man seine Naturuntersuchung, wo es auch sei, fuer schlechthin
vollendet ansieht, und die Vernunft sich also zur Ruhe begibt, als
ob sie ihr Geschaeft voellig ausgerichtet habe. Daher selbst die
psychologische Idee, wenn sie als ein konstitutives Prinzip fuer die
Erklaerung der Erscheinungen unserer Seele, und hernach gar, zur
Erweiterung unserer Erkenntnis dieses Subjekts, noch ueber alle
Erfahrung hinaus (ihren Zustand nach dem Tode) gebraucht wird, es
der Vernunft zwar sehr bequem macht, aber auch allen Naturgebrauch
derselben nach der Leitung der Erfahrungen ganz verdirbt und zugrunde
richtet. So erklaert der dogmatische Spiritualist die durch allen
Wechsel der Zustaende unveraendert bestehende Einheit der Person aus
der Einheit der denkenden Substanz, die er in dem Ich unmittelbar
wahrzunehmen glaubt, das Interesse, was wir an Dingen nehmen, die sich
allererst nach unserem Tode zutragen sollen, aus dem Bewusstsein der
immateriellen Natur unseres denkenden Subjekts usw. und ueberhebt
sich aller Naturuntersuchung der Ursache dieser unserer inneren
Erscheinungen aus physischen Erklaerungsgruenden, indem er gleichsam
durch den Machtspruch einer transzendenten Vernunft die immanenten
Erkenntnisquellen der Erfahrung, zum Behuf seiner Gemaechlichkeit,
aber mit Einbusse aller Einsicht, vorbeigeht. Noch deutlicher faellt
diese nachteilige Folge bei dem Dogmatismus unserer Idee von einer
hoechsten Intelligenz und dem darauf faelschlich gegruendeten
theologischen System der Natur (Physikotheologie) in die Augen. Denn
da dienen alle sich in der Natur zeigenden, oft nur von uns selbst
dazu gemachten Zwecke dazu, es uns in der Erforschung der Ursachen
recht bequem zu machen, naemlich, anstatt sie in den allgemeinen
Gesetzen des Mechanismus der Materie zu suchen, sich geradezu auf den
unerforschlichen Ratschluss der hoechsten Weisheit zu berufen, und
die Vernunftbemuehung alsdann fuer vollendet anzusehen, wenn man sich
ihres Gebrauchs ueberhebt, der doch nirgend einen Leitfaden findet,
als wo ihn uns die Ordnung der Natur und die Reihe der Veraenderungen,
nach ihren inneren und allgemeineren Gesetzen, an die Hand gibt.
Dieser Fehler kann vermieden werden, wenn wir nicht bloss einige
Naturstuecke, als z.B. die Verteilung des festen Landes, das Bauwerk
desselben, und die Beschaffenheit und Lage der Gebirge, oder wohl
gar nur die Organisation im Gewaechs- und Tierreiche aus dem
Gesichtspunkte der Zwecke betrachten, sondern diese systematische
Einheit der Natur, in Beziehung auf die Idee einer hoechsten
Intelligenz, ganz allgemein machen. Denn alsdann legen wir eine
Zweckmaessigkeit nach allgemeinen Gesetzen der Natur zum Grunde,
von denen keine besondere Einrichtung ausgenommen, sondern nur mehr
oder weniger kenntlich fuer uns ausgezeichnet worden, und haben ein
regulatives Prinzip der systematischen Einheit einer teleologischen
Verknuepfung, die wir aber nicht zum voraus bestimmen, sondern nur
in Erwartung derselben die physischmechanische Verknuepfung nach
allgemeinen Gesetzen verfolgen duerfen. Denn so allein kann das
Prinzip der zweckmaessigen Einheit den Vernunftgebrauch in Ansehung
der Erfahrung jederzeit erweitern, ohne ihm in irgendeinem Falle
Abbruch zu tun.
* So nannten die alten Dialektiker einen Trugschluss, der so lautete:
  Wenn es dein Schicksal mit sich bringt, du sollst von dieser
  Krankheit genesen, so wird es geschehen, du magst einen Arzt
  brauchen, oder nicht. Cicero sagt, dass diese Art zu schliessen
  ihren Namen daher habe, dass, wenn man ihr folgt, gar kein Gebrauch
  der Vernunft im Leben uebrig bleibe. Dieses ist die Ursache, warum
  ich das sophistische Argument der reinen Vernunft mit demselben
  Namen belege.
Der zweite Fehler, der aus der Missdeutung des gedachten Prinzips der
systematischen Einheit entspringt, ist der der verkehrten Vernunft
(perversa ratio, ysteron proteron rationis). Die Idee der
systematischen Einheit sollte nur dazu dienen, um als regulatives
Prinzip sie in der Verbindung der Dinge nach allgemeinen Naturgesetzen
zu suchen, und, soweit sich etwas davon auf dem empirischen Wege
antreffen laesst, um so viel auch zu glauben, dass man sich der
Vollstaendigkeit ihres Gebrauchs genaehert habe, ob man sie freilich
niemals erreichen wird. Anstatt dessen kehrt man die Sache um,
und faengt davon an, dass man die Wirklichkeit eines Prinzips der
zweckmaessigen Einheit als hypostatisch zum Grunde legt, den Begriff
einer solchen hoechsten Intelligenz, weil er an sich gaenzlich
unerforschlich ist, anthropomorphistisch bestimmt, und dann der Natur
Zwecke, gewaltsam und diktatorisch, aufdringt, anstatt sie, wie
billig, auf dem Wege der physischen Nachforschung zu suchen, so
dass nicht allein Teleologie, die bloss dazu dienen sollte, um die
Natureinheit nach allgemeinen Gesetzen zu ergaenzen, nun vielmehr
dahin wirkt, sie aufzuheben, sondern die Vernunft sich noch dazu
selbst um ihren Zweck bringt, naemlich das Dasein einer solchen
intelligenten obersten Ursache, nach diesem, aus der Natur zu
beweisen. Denn, wenn man nicht die hoechste Zweckmaessigkeit in der
Natur a priori, d.i. als zum Wesen derselben gehoerig, voraussetzen
kann, wie will man denn angewiesen sein, sie zu suchen und auf der
Stufenleiter derselben sich der hoechsten Vollkommenheit eines
Urhebers, als einer schlechterdings notwendigen, mithin a priori
erkennbaren Vollkommenheit, zu naehern? Das regulative Prinzip
verlangt, die systematische Einheit als Natureinheit, welche nicht
bloss empirisch erkannt, sondern a priori, obzwar noch unbestimmt,
vorausgesetzt wird, schlechterdings, mithin als aus dem Wesen der
Dinge folgend, vorauszusetzen. Lege ich aber zuvor ein hoechstes
ordnendes Wesen zum Grunde, so wird die Natureinheit in der Tat
aufgehoben. Denn sie ist der Natur der Dinge ganz fremd und zufaellig,
und kann auch nicht aus allgemeinen Gesetzen derselben erkannt werden.
Daher entspringt ein fehlerhafter Zirkel im Beweisen, da man das
voraussetzt, was eigentlich hat bewiesen werden sollen.
Das regulative Prinzip der systematischen Einheit der Natur fuer
ein konstitutives zu nehmen, und, was nur in der Idee zum Grunde
des einhelligen Gebrauchs der Vernunft gelegt wird, als Ursache
hypostatisch voraussetzen, heisst nur die Vernunft verwirren.
Die Naturforschung geht ihren Gang ganz allein an der Kette der
Naturursachen nach allgemeinen Gesetzen derselben, zwar nach der
Idee eines Urhebers, aber nicht um die Zweckmaessigkeit, der sie
allerwaerts nachgeht, von demselben abzuleiten, sondern sein Dasein
aus dieser Zweckmaessigkeit, die in den Wesen der Naturdinge gesucht
wird, womoeglich auch in den Wesen aller Dinge ueberhaupt, mithin als
schlechthin notwendig zu erkennen. Das Letztere mag nun gelingen oder
nicht, so bleibt die Idee immer richtig, und ebensowohl auch deren
Gebrauch, wenn er auf die Bedingungen eines bloss regulativen Prinzips
restringiert worden.
Vollstaendige zweckmaessige Einheit ist Vollkommenheit (schlechthin
betrachtet). Wenn wir diese nicht in dem Wesen der Dinge, welche den
ganzen Gegenstand der Erfahrung, d.i. aller unserer objektiv gueltigen
Erkenntnis, ausmachen, mithin in allgemeinen und notwendigen
Naturgesetzen finden; wie wollen wir daraus gerade auf die Idee einer
hoechsten und schlechthin notwendigen Vollkommenheit eines Urwesens
schliessen, welches der Ursprung aller Kausalitaet ist? Die groesste
systematische, folglich auch die zweckmaessige Einheit ist die Schule
und selbst die Grundlage der Moeglichkeit des groessten Gebrauchs der
Menschenvernunft. Die Idee derselben ist also mit dem Wesen unserer
Vernunft unzertrennlich verbunden. Eben dieselbe Idee ist also
fuer uns gesetzgebend, und so ist es sehr natuerlich, eine ihr
korrespondierende gesetzgebende Vernunft (intellectus archetypus)
anzunehmen, von der alle systematische Einheit der Natur, als dem
Gegenstande unserer Vernunft, abzuleiten sei.
Wir haben bei Gelegenheit der Antinomie der reinen Vernunft gesagt:
dass alle Fragen, welche die reine Vernunft aufwirft, schlechterdings
beantwortlich sein muessen, und dass die Entschuldigung mit den
Schranken unserer Erkenntnis, die in vielen Naturfragen ebenso
unvermeidlich als billig ist, hier nicht gestattet werden koenne, weil
uns hier nicht von der Natur der Dinge, sondern allein durch die Natur
der Vernunft und lediglich ueber ihre innere Einrichtung, die Fragen
vorgelegt werden. Jetzt koennen wir diese dem ersten Anscheine nach
kuehne Behauptung in Ansehung der zwei Fragen, wobei die reine
Vernunft ihr groesstes Interesse hat, bestaetigen, und dadurch unsere
Betrachtung ueber die Dialektik derselben zur gaenzlichen Vollendung
bringen.
Fraegt man denn also (in Absicht auf eine transzendentale Theologie)*
erstlich: ob es etwas von der Welt Unterschiedenes gebe, was den Grund
der Weltordnung und ihres Zusammenhanges nach allgemeinen Gesetzen
enthalte, so ist die Antwort: ohne Zweifel. Denn die Welt ist eine
Summe von Erscheinungen, es muss also irgendein transzendentaler,
d.i. bloss dem reinen Verstande denkbarer Grund derselben sein. Ist
zweitens die Frage: ob dieses Wesen Substanz, von der groessten
Realitaet, notwendig usw. sei; so antworte ich: dass diese Frage gar
keine Bedeutung habe. Denn alle Kategorien, durch welche ich mir einen
Begriff von einem solchen Gegenstande zu machen versuche, sind von
keinem anderen als empirischen Gebrauche, und haben gar keinen
Sinn, wenn sie nicht auf Objekte moeglicher Erfahrung, d.i. auf die
Sinnenwelt angewandt werden. Ausser diesem Felde sind sie bloss
Titel zu Begriffen, die man einraeumen, dadurch man aber auch
nichts verstehen kann. Ist endlich drittens die Frage: ob wir nicht
wenigstens dieses von der Welt unterschiedene Wesen nach einer
Analogie mit den Gegenstaenden der Erfahrung denken duerfen? so ist
die Antwort: allerdings, aber nur als Gegenstand in der Idee und
nicht in der Realitaet, naemlich nur, sofern er ein uns unbekanntes
Substratum der systematischen Einheit, Ordnung und Zweckmaessigkeit
der Welteinrichtung ist, welche sich die Vernunft zum regulativen
Prinzip ihrer Naturforschung machen muss. Noch mehr, wir koennen in
dieser Idee gewisse Anthropomorphismen, die dem gedachten regulativen
Prinzip befoerderlich sind, ungescheut und ungetadelt erlauben. Denn
es ist immer nur eine Idee, die gar nicht direkt auf ein von der
Welt unterschiedenes Wesen, sondern auf das regulative Prinzip der
systematischen Einheit der Welt, aber nur vermittelst eines Schema
derselben, naemlich einer obersten Intelligenz, die nach weisen
Absichten Urheber derselben sei, bezogen wird. Was dieser Urgrund
der Welteinheit an sich selbst sei, hat dadurch nicht gedacht werden
sollen, sondern wie wir ihn, oder vielmehr seine Idee, relativ auf den
systematischen Gebrauch der Vernunft in Ansehung der Dinge der Welt,
brauchen sollen.
* Dasjenige, was ich schon vorher von der psychologischen Idee und
  deren eigentlichen Bestimmung, als Prinzips zum bloss regulativen
  Vernunftgebrauch, gesagt habe, ueberhebt mich der Weitlaeufigkeit,
  die transzendentale Illusion, nach der jene systematische Einheit
  aller Mannigfaltigkeit des inneren Sinnes hypostatisch vorgestellt
  wird, noch besonders zu eroertern. Das Verfahren hierbei ist
  demjenigen sehr aehnlich, welches die Kritik in Ansehung des
  theologischen Ideals beobachtet.
Auf solche Weise aber koennen wir doch (wird man fortfahren zu fragen)
einen einigen weisen und allgewaltigen Welturheber annehmen? Ohne
allen Zweifel; und nicht allein dies, sondern wir muessen einen
solchen voraussetzen. Aber alsdann erweitern wir doch unsere
Erkenntnis ueber das Feld moeglicher Erfahrung? Keineswegs. Denn wir
haben nur ein Etwas vorausgesetzt, wovon wir gar keinen Begriff haben,
was es an sich selbst sei (einen bloss transzendentalen Gegenstand),
aber, in Beziehung auf die systematische und zweckmaessige Ordnung
des Weltbaues, welche wir, wenn wir die Natur studieren, voraussetzen
muessen, haben wir jenes uns unbekannte Wesen nur nach der Analogie
mit einer Intelligenz (ein empirischer Begriff) gedacht, d.i. es in
Ansehung der Zwecke und der Vollkommenheit, die sich auf demselben
gruenden, gerade mit denen Eigenschaften begabt, die nach den
Bedingungen unserer Vernunft den Grund einer solchen systematischen
Einheit enthalten koennen. Diese Idee ist also respektiv auf den
Weltgebrauch unserer Vernunft ganz gegruendet. Wollten wir ihr aber
schlechthin objektive Gueltigkeit erteilen, so wuerden wir vergessen,
dass es lediglich ein Wesen in der Idee sei, das wir denken, und,
indem wir alsdann von einem durch die Weltbetrachtung gar nicht
bestimmbaren Grunde anfingen, wuerden wir dadurch ausserstand gesetzt,
dieses Prinzip dem empirischen Vernunftgebrauch angemessen anzuwenden.
Aber (wird man ferner fragen) auf solche Weise kann ich doch von
dem Begriffe und der Voraussetzung eines hoechsten Wesens in der
vernuenftigen Weltbetrachtung Gebrauch machen? Ja, dazu war auch
eigentlich diese Idee von der Vernunft zum Grunde gelegt. Allein darf
ich nun zweckaehnliche Anordnungen als Absichten ansehen, indem ich
sie vom goettlichen Willen, obzwar vermittelst besonderer dazu in der
Welt darauf gestellten Anlagen, ableite? Ja, das koennt ihr auch tun,
aber so, dass es euch gleich viel gelten muss, ob jemand sage, die
goettliche Weisheit hat alles so zu seinen obersten Zwecken geordnet,
oder die Idee der hoechsten Weisheit ist ein Regulativ in der
Nachforschung der Natur und ein Prinzip der systematischen und
zweckmaessigen Einheit derselben nach allgemeinen Naturgesetzen, auch
selbst da, wo wir jene nicht gewahr werden, d.i. es muss euch da,
wo ihr sie wahrnehmt, voellig einerlei sein, zu sagen: Gott hat es
weislich so gewollt, oder die Natur hat es also weislich geordnet.
Denn die groesste systematische und zweckmaessige Einheit, welche eure
Vernunft aller Naturforschung als regulatives Prinzip zum Grunde zu
legen verlangte, war eben das, was euch berechtigte, die Idee einer
hoechsten Intelligenz als ein Schema des regulativen Prinzips
zum Grunde zu legen, und, so viel ihr nun, nach demselben,
Zweckmaessigkeit in der Welt antrefft, so viel habt ihr Bestaetigung
der Rechtmaessigkeit eurer Idee; da aber gedachtes Prinzip nichts
anderes zur Absicht hatte, als notwendige und groesstmoegliche
Natureinheit zu suchen, so werden wir diese zwar, so weit als wir sie
erreichen, der Idee eines hoechsten Wesens zu danken haben, koennen
aber die allgemeinen Gesetze der Natur, als in Absicht auf welche die
Idee nur zum Grunde gelegt wurde, ohne mit uns selbst in Widerspruch
zu geraten, nicht vorbeigehen, um diese Zweckmaessigkeit der Natur als
zufaellig und hyperphysisch ihrem Ursprunge nach anzusehen, weil wir
nicht berechtigt waren, ein Wesen ueber die Natur von den gedachten
Eigenschaften anzunehmen, sondern nur die Idee desselben zum Grunde zu
legen, um nach der Analogie einer Kausalbestimmung der Erscheinungen
als systematisch untereinander verknuepft anzusehen.
Eben daher sind wir auch berechtigt, die Weltursache in der Idee nicht
allein nach einem subtileren Anthropomorphismus (ohne welchen sich
gar nichts von ihm denken lassen wuerde), naemlich als ein Wesen,
was Verstand, Wohlgefallen und Missfallen, imgleichen eine demselben
gemaesse Begierde und Willen hat usw. zu denken, sondern demselben
unendliche Vollkommenheit beizulegen, die also diejenige weit
uebersteigt, dazu wir durch empirische Kenntnis der Weltordnung
berechtigt sein koennen. Denn das regulative Gesetz der systematischen
Einheit will, dass wir die Natur so studieren sollen, als ob
allenthalben ins Unendliche systematische und zweckmaessige Einheit,
bei der groesstmoeglichen Mannigfaltigkeit, angetroffen wuerde. Denn,
wiewohl wir nur wenig von dieser Weltvollkommenheit ausspaehen,
oder erreichen werden, so gehoert es doch zur Gesetzgebung unserer
Vernunft, sie allerwaerts zu suchen und zu vermuten, und es muss uns
jederzeit vorteilhaft sein, niemals aber kann es nachteilig werden,
nach diesem Prinzip die Naturbetrachtung anzustellen. Es ist aber,
unter dieser Vorstellung, der zum Grunde gelegten Idee eines hoechsten
Urhebers, auch klar: dass ich nicht das Dasein und die Kenntnis eines
solchen Wesens, sondern nur die Idee desselben zum Grunde lege, und
also eigentlich nichts von diesem Wesen, sondern bloss von der Idee
desselben, d.i. von der Natur der Dinge der Welt, nach einer solchen
Idee, ableite. Auch scheint ein gewisses, obzwar unentwickeltes
Bewusstsein, des echten Gebrauchs dieses unseren Vernunftbegriffs,
die bescheidene und billige Sprache der Philosophen aller Zeiten
veranlasst zu haben, da sie von der Weisheit und Vorsorge der Natur,
und der goettlichen Weisheit, als gleichbedeutenden Ausdruecken reden,
ja den ersteren Ausdruck, so lange es um bloss spekulative Vernunft zu
tun ist, vorziehen, weil er die Anmassung einer groesseren Behauptung,
als die ist, wozu wir befugt sind, zurueckhaelt, und zugleich die
Vernunft auf ihr eigentuemliches Feld, die Natur, zurueckweist.
So enthaelt die reine Vernunft, die uns anfangs nichts Geringeres,
als Erweiterung der Kenntnisse ueber alle Grenzen der Erfahrung,
zu versprechen schiene, wenn wir sie recht verstehen, nichts als
regulative Prinzipien, die zwar groessere Einheit gebieten, als der
empirische Verstandesgebrauch erreichen kann, aber eben dadurch, dass
sie das Ziel der Annaeherung desselben so weit hinausruecken, die
Zusammenstimmung desselben mit sich selbst durch systematische Einheit
zum hoechsten Grade bringen, wenn man sie aber missversteht, und
sie fuer konstitutive Prinzipien transzendenter Erkenntnisse haelt,
durch einen zwar glaenzenden, aber trueglichen Schein, Ueberredung
und eingebildetes Wissen, hiermit aber ewige Widersprueche und
Streitigkeiten hervorbringen.
                          *           *
                                *
So faengt denn alle menschliche Erkenntnis mit Anschauungen an, geht
von da zu Begriffen, und endigt mit Ideen. Ob sie zwar in Ansehung
aller dreien Elemente Erkenntnisquellen a priori hat, die beim ersten
Anblicke die Grenzen aller Erfahrung zu verschmaehen scheinen,
so ueberzeugt doch eine vollendete Kritik, dass alle Vernunft im
spekulativen Gebrauche mit diesen Elementen niemals ueber das Feld
moeglicher Erfahrung hinauskommen koenne, und dass die eigentliche
Bestimmung dieses obersten Erkenntnisvermoegens sei, sich aller
Methoden und der Grundsaetze derselben nur zu bedienen, um der Natur
nach allen moeglichen Prinzipien der Einheit, worunter die der Zwecke
die vornehmste ist, bis in ihr Innerstes nachzugehen, niemals aber
ihre Grenze zu ueberfliegen, ausserhalb welcher fuer uns nichts
als leerer Raum ist. Zwar hat uns die kritische Untersuchung aller
Saetze, welche unsere Erkenntnis ueber die wirkliche Erfahrung hinaus
erweitern koennen, in der transzendentalen Analytik hinreichend
ueberzeugt, dass sie niemals zu etwas mehr, als einer moeglichen
Erfahrung leiten koennen, und, wenn man nicht selbst gegen die
klarsten oder abstrakten und allgemeinen Lehrsaetze misstrauisch
waere, wenn nicht reizende und scheinbare Aussichten uns lockten, den
Zwang der ersteren abzuwerfen, so haetten wir allerdings der muehsamen
Abhoerung aller dialektischen Zeugen, die eine transzendente Vernunft
zum Behuf ihrer Anmassungen auftreten laesst, ueberhoben sein koennen;
denn wir wussten es schon zum voraus mit voelliger Gewissheit, dass
alles Vorgeben derselben zwar vielleicht ehrlich gemeint, aber
schlechterdings nichtig sein muesse, weil es eine Kundschaft betraf,
die kein Mensch jemals bekommen kann. Allein, weil doch des Redens
kein Ende wird, wenn man nicht hinter die wahre Ursache des Scheins
kommt, wodurch selbst der Vernuenftigste hintergangen werden kann,
und die Aufloesung aller unserer transzendenten Erkenntnis in ihre
Elemente (als ein Studium unserer inneren Natur) an sich selbst keinen
geringen Wert hat, dem Philosophen aber sogar Pflicht ist, so war
es nicht allein noetig, diese ganze, obzwar eitle Bearbeitung der
spekulativen Vernunft bis zu ihren ersten Quellen ausfuehrlich
nachzusuchen, sondern, da der dialektische Schein hier nicht allein
dem Urteile nach taeuschend, sondern auch dem Interesse nach, das man
hier am Urteile nimmt, anlockend, und jederzeit natuerlich ist, und so
in alle Zukunft bleiben wird, so war es ratsam, gleichsam die Akten
dieses Prozesses ausfuehrlich abzufassen, und sie im Archive der
menschlichen Vernunft, zur Verhuetung kuenftiger Irrungen aehnlicher
Art, niederzulegen.
II. Transzendentale Methodenlehre
Wenn ich den Inbegriff aller Erkenntnis der reinen und spekulativen
Vernunft wie ein Gebaeude ansehe, dazu wir wenigstens die Idee in
uns haben, so kann ich sagen, wir haben in der transzendentalen
Elementarlehre den Bauzeug ueberschlagen und bestimmt, zu welchem
Gebaeude, von welcher Hoehe und Festigkeit er zulange. Freilich fand
es sich, dass, ob wir zwar einen Turm im Sinne hatten, der bis an den
Himmel reichen sollte, der Vorrat der Materialien doch nur zu einem
Wohnhause zureichte, welches zu unseren Geschaeften auf der Ebene der
Erfahrung gerade geraeumig und hoch genug war, sie zu uebersehen; dass
aber jene kuehne Unternehmung aus Mangel an Stoff fehlschlagen musste,
ohne einmal auf die Sprachverwirrung zu rechnen, welche die Arbeiter
ueber den Plan unvermeidlich entzweien, und sie in alle Welt
zerstreuen musste, um sich, ein jeder nach seinem Entwurfe, besonders
anzubauen. Jetzt ist es uns nicht sowohl um die Materialien, als
vielmehr um den Plan zu tun, und, indem wir gewarnt sind, es nicht
auf einen beliebigen blinden Entwurf, der vielleicht unser ganzes
Vermoegen uebersteigen koennte, zu wagen, gleichwohl doch von der
Errichtung eines festen Wohnsitzes nicht wohl abstehen koennen, den
Anschlag zu einem Gebaeude in Verhaeltnis auf den Vorrat, der uns
gegeben und zugleich unserem Beduerfnis angemessen ist, zu machen.
Ich verstehe also unter der transzendentalen Methodenlehre die
Bestimmung der formalen Bedingungen eines vollstaendigen Systems der
reinen Vernunft. Wir werden es in dieser Absicht mit einer Disziplin,
einem Kanon, einer Architektonik, endlich einer Geschichte der reinen
Vernunft zu tun haben, und dasjenige in transzendentaler Absicht
leisten, was, unter dem Namen einer praktischen Logik, in Ansehung
des Gebrauchs des Verstandes ueberhaupt in den Schulen gesucht, aber
schlecht geleistet wird; weil, da die allgemeine Logik auf keine
besondere Art der Verstandeserkenntnis (z.B. nicht auf die reine),
auch nicht auf gewisse Gegenstaende eingeschraenkt ist, sie, ohne
Kenntnisse aus anderen Wissenschaften zu borgen, nichts mehr tun kann,
als Titel zu moeglichen Methoden und technische Ausdruecke, deren
man sich in Ansehung des Systematischen in allerlei Wissenschaften
bedient, vorzutragen, die den Lehrling zum voraus mit Namen bekannt
machen, deren Bedeutung und Gebrauch er kuenftig allererst soll
kennenlernen.
Der transzendentalen Methodenlehre
Erstes Hauptstueck
Die Disziplin der reinen Vernunft
Die negativen Urteile, die es nicht bloss der logischen Form,
sondern auch dem Inhalte nach sind, stehen bei der Wissbegierde der
Menschen in keiner sonderlichen Achtung, man sieht sie wohl gar als
neidische Feinde unseres unablaessig zur Erweiterung strebenden
Erkenntnistriebes an, und es bedarf beinahe einer Apologie, um ihnen
nur Duldung, und noch mehr, um ihnen Gunst und Hochschaetzung zu
verschaffen.
Man kann zwar logisch alle Saetze, die man will, negativ ausdruecken,
in Ansehung des Inhalts aber unserer Erkenntnis ueberhaupt, ob
sie durch ein Urteil erweitert, oder beschraenkt wird, haben die
verneinenden das eigentuemliche Geschaeft, lediglich den Irrtum
abzuhalten. Daher auch negative Saetze, welche eine falsche Erkenntnis
abhalten sollen, wo doch niemals ein Irrtum moeglich ist, zwar sehr
wahr, aber doch leer, d.i. ihrem Zwecke gar nicht angemessen, und eben
darum oft laecherlich sind. Wie der Satz jenes Schulredners: dass
Alexander ohne Kriegsheer keine Laender haette erobern koennen.
Wo aber die Schranken unserer moeglichen Erkenntnis sehr enge, der
Anreiz zum Urteilen gross, der Schein, der sich darbietet, sehr
betrueglich, und der Nachteil aus dem Irrtum erheblich ist, da hat
das Negative der Unterweisung, welches bloss dazu dient, um uns vor
Irrtuemer zu verwahren, noch mehr Wichtigkeit, als manche positive
Belehrung, dadurch unser Erkenntnis Zuwachs bekommen koennte. Man
nennt den Zwang, wodurch der bestaendige Hang, von gewissen Regeln
abzuweichen, eingeschraenkt, und endlich vertilgt wird, die Disziplin.
Sie ist von der Kultur unterschieden, welche bloss eine Fertigkeit
verschaffen soll, ohne eine andere, schon vorhandene, dagegen
aufzuheben. Zu der Bildung eines Talents, welches schon vor sich
selbst einen Antrieb zur Aeusserung hat, wird also die Disziplin
einen negativen*, die Kultur aber und Doktrin einen positiven Beitrag
leisten.
* Ich weiss wohl, dass man in der Schulsprache den Namen der Disziplin
  mit dem der Unterweisung gleichgeltend zu brauchen pflegt. Allein,
  es gibt dagegen so viele andere Faelle, da der erstere Ausdruck, als
  Zucht, von dem zweiten, als Belehrung, sorgfaeltig unterschieden
  wird, und die Natur der Dinge erheischt es auch selbst, fuer diesen
  Unterschied die einzigen schicklichen Ausdruecke aufzubewahren, dass
  ich wuensche, man moege niemals erlauben, jenes Wort in anderer als
  negativer Bedeutung zu brauchen.
Dass das Temperament, imgleichen dass Talente, die sich gern eine
freie und uneingeschraenkte Bewegung erlauben, (als Einbildungskraft
und Witz,) in mancher Absicht einer Disziplin beduerfen, wird
jedermann leicht zugeben. Dass aber die Vernunft, der es eigentlich
obliegt, allen anderen Bestrebungen ihre Disziplin vorzuschreiben,
selbst noch eine solche noetig habe, das mag allerdings befremdlich
scheinen, und in der Tat ist sie auch einer solchen Demuetigung
eben darum bisher entgangen, weil, bei der Feierlichkeit und dem
gruendlichen Anstande, womit sie auftritt, niemand auf den Verdacht
eines leichtsinnigen Spiels, mit Einbildungen statt Begriffen, und
Worten statt Sachen, leichtlich geraten konnte.
Es bedarf keiner Kritik der Vernunft im empirischen Gebrauche, weil
ihre Grundsaetze am Probierstein der Erfahrung einer kontinuierlichen
Pruefung unterworfen werden; imgleichen auch nicht in der Mathematik,
wo ihre Begriffe an der reinen Anschauung sofort in concreto
dargestellt werden muessen, und jedes Ungegruendete und Willkuerliche
dadurch alsbald offenbar wird. Wo aber weder empirische noch reine
Anschauung die Vernunft in einem sichtbaren Geleise halten, naemlich
in ihrem transzendentalen Gebrauche, nach blossen Begriffen, da bedarf
sie so gar sehr einer Disziplin, die ihren Hang zur Erweiterung,
ueber die engen Grenzen moeglicher Erfahrung, baendige, und sie von
Ausschweifung und Irrtum abhalte, dass auch die ganze Philosophie
der reinen Vernunft bloss mit diesem negativen Nutzen zu tun hat.
Einzelnen Verirrungen kann durch Zensur und den Ursachen derselben
durch Kritik abgeholfen werden. Wo aber, wie in der reinen Vernunft,
ein ganzes System von Taeuschungen und Blendwerken angetroffen wird,
die unter sich wohl verbunden und unter gemeinschaftlichen Prinzipien
vereinigt sind, da scheint eine ganz eigene und zwar negative
Gesetzgebung erforderlich zu sein, welche unter dem Namen einer
Disziplin aus der Natur der Vernunft und der Gegenstaende ihres
reinen Gebrauchs gleichsam ein System der Vorsicht und Selbstpruefung
errichte, vor welchem kein falscher vernuenftelnder Schein bestehen
kann, sondern sich sofort, unerachtet aller Gruende seiner
Beschoenigung, verraten muss.
Es ist aber wohl zu merken: dass ich in diesem zweiten Hauptteile der
transzendentalen Kritik die Disziplin der reinen Vernunft nicht auf
den Inhalt, sondern bloss auf die Methode der Erkenntnis aus reiner
Vernunft richte. Das erstere ist schon in der Elementarlehre
geschehen. Es hat aber der Vernunftgebrauch so viel Aehnliches, auf
welchen Gegenstand er auch angewandt werden mag, und ist doch, sofern
er transzendental sein soll, zugleich von allem anderen so wesentlich
unterschieden, dass, ohne die warnende Negativlehre einer besonders
darauf gestellten Disziplin, die Irrtuemer nicht zu verhueten sind,
die aus einer unschicklichen Befolgung solcher Methoden, die zwar
sonst der Vernunft, aber nur nicht hier wohl anpassen, notwendig
entspringen muessen.
Des ersten Hauptstuecks
Erster Abschnitt
Die Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche
Die Mathematik gibt das glaenzendste Beispiel, einer sich, ohne
Beihilfe der Erfahrung, von selbst gluecklich erweiternden reinen
Vernunft. Beispiele sind ansteckend, vornehmlich fuer dasselbe
Vermoegen, welches sich natuerlicherweise schmeichelt, eben dasselbe
Glueck in anderen Faellen zu haben, welches ihm in einem Falle zuteil
worden. Daher hofft reine Vernunft im transzendentalen Gebrauche sich
ebenso gluecklich und gruendlich erweitern zu koennen, als es ihr im
mathematischen gelungen ist, wenn sie vornehmlich dieselbe Methode
dort anwendet, die hier von so augenscheinlichem Nutzen gewesen
ist. Es liegt uns also viel daran, zu wissen: ob die Methode, zur
apodiktischen Gewissheit zu gelangen, die man in der letzteren
Wissenschaft mathematisch nennt, mit derjenigen einerlei sei, womit
man eben dieselbe Gewissheit in der Philosophie sucht, und die
daselbst dogmatisch genannt werden muesste.
Die philosophische Erkenntnis ist die Vernunfterkenntnis aus
Begriffen, die mathematische aus der Konstruktion der Begriffe.
Einen Begriff aber konstruieren, heisst: die ihm korrespondierende
Anschauung a priori darstellen. Zur Konstruktion eines Begriffs wird
also eine nicht empirische Anschauung erfordert, die folglich, als
Anschauung, ein einzelnes Objekt ist, aber nichtsdestoweniger, als
die Konstruktion eines Begriffs (einer allgemeinen Vorstellung),
Allgemeingueltigkeit fuer alle moeglichen Anschauungen, die unter
denselben Begriff gehoeren, in der Vorstellung ausdruecken muss.
So konstruiere ich einen Triangel, indem ich den diesem Begriffe
entsprechenden Gegenstand, entweder durch blosse Einbildung, in der
reinen, oder nach derselben auch auf dem Papier, in der empirischen
Anschauung, beidemal aber voellig a priori, ohne das Muster dazu
aus irgendeiner Erfahrung geborgt zu haben, darstelle. Die einzelne
hingezeichnete Figur ist empirisch, und dient gleichwohl den Begriff,
unbeschadet seiner Allgemeinheit, auszudruecken, weil bei dieser
empirischen Anschauung immer nur auf die Handlung der Konstruktion des
Begriffs, welchem viele Bestimmungen, z.E. der Groesse, der Seiten
und der Winkel, ganz gleichgueltig sind, gesehen, und also von diesen
Verschiedenheiten, die den Begriff des Triangels nicht veraendern,
abstrahiert wird.
Die philosophische Erkenntnis betrachtet also das Besondere nur im
Allgemeinen, die mathematische das Allgemeine im Besonderen, ja gar im
Einzelnen, gleichwohl doch a priori und vermittelst der Vernunft, so
dass, wie dieses Einzelne unter gewissen allgemeinen Bedingungen der
Konstruktion bestimmt ist, ebenso der Gegenstand des Begriffs, dem
dieses Einzelne nur als sein Schema korrespondiert, allgemein bestimmt
gedacht werden muss.
In dieser Form besteht also der wesentliche Unterschied dieser beiden
Arten der Vernunfterkenntnis, und beruht nicht auf dem Unterschied
ihrer Materie, oder Gegenstaende. Diejenigen, welche Philosophie von
Mathematik dadurch zu unterscheiden vermeinten, dass sie von jener
sagten, sie habe bloss die Qualitaet, diese aber nur die Quantitaet
zum Objekt, haben die Wirkung fuer die Ursache genommen. Die Form der
mathematischen Erkenntnis ist die Ursache, dass diese lediglich auf
Quanta gehen kann. Denn nur der Begriff von Groessen laesst sich
konstruieren, d.i. a priori in der Anschauung darlegen, Qualitaeten
aber lassen sich in keiner anderen als empirischen Anschauung
darstellen. Daher kann eine Vernunfterkenntnis derselben nur durch
Begriffe moeglich sein. So kann niemand eine dem Begriff der Realitaet
korrespondierende Anschauung anders woher, als aus der Erfahrung
nehmen, niemals aber a priori aus sich selbst und vor dem empirischen
Bewusstsein derselben teilhaftig werden. Die konische Gestalt wird man
ohne alle empirische Beihilfe, bloss nach dem Begriffe, anschauend
machen koennen, aber die Farbe dieses Kegels wird in einer oder
anderer Erfahrung zuvor gegeben sein muessen. Den Begriff einer
Ursache ueberhaupt kann ich auf keine Weise in der Anschauung
darstellen, als an einem Beispiele, das mir Erfahrung an die Hand
gibt, usw. Uebrigens handelt die Philosophie ebensowohl von Groessen,
als die Mathematik, z.B. von der Totalitaet, der Unendlichkeit usw.
Die Mathematik beschaeftigt sich auch mit dem Unterschiede der Linien
und Flaechen, als Raeumen, von verschiedener Qualitaet, mit der
Kontinuitaet der Ausdehnung, als einer Qualitaet derselben. Aber,
obgleich sie in solchen Faellen einen gemeinschaftlichen Gegenstand
haben, so ist die Art, ihn durch die Vernunft zu behandeln, doch ganz
anders in der philosophischen, als mathematischen Betrachtung. Jene
haelt sich bloss an allgemeinen Begriffen, diese kann mit dem blossen
Begriffe nichts ausrichten, sondern eilt sogleich zur Anschauung,
in welcher sie den Begriff in concreto betrachtet, aber doch nicht
empirisch, sondern bloss in einer solchen, die sie a priori darstellt,
d.i. konstruiert hat, und in welcher dasjenige, was aus den
allgemeinen Bedingungen der Konstruktion folgt, auch von dem Objekte
des konstruierten Begriffs allgemein gelten muss.
Man gebe einem Philosophen den Begriff eines Triangels, und lasse
ihn nach seiner Art ausfindig machen, wie sich wohl die Summe seiner
Winkel zum rechten verhalten moege. Er hat nun nichts als den Begriff
von einer Figur, die in drei geraden Linien eingeschlossen ist, und
an ihr den Begriff von ebensoviel Winkeln. Nun mag er diesem Begriffe
nachdenken, so lange er will, er wird nichts Neues herausbringen.
Er kann den Begriff der geraden Linie, oder eines Winkels, oder der
Zahl drei zergliedern und deutlich machen, aber nicht auf andere
Eigenschaften kommen, die in diesen Begriffen gar nicht liegen. Allein
der Geometer nehme diese Frage vor. Er faengt sofort davon an, einen
Triangel zu konstruieren. Weil er weiss, dass zwei rechte Winkel
zusammen gerade so viel austragen, als alle beruehrenden Winkel, die
aus einem Punkte auf einer geraden Linie gezogen werden koennen,
zusammen, so verlaengert er eine Seite seines Triangels, und bekommt
zwei beruehrende Winkel, die zweien rechten zusammen gleich sind. Nun
teilt er den aeusseren von diesen Winkeln, indem er eine Linie mit der
gegenueberstehenden Seite des Triangels parallel zieht, und sieht,
dass hier ein aeusserer beruehrender Winkel entspringe, der einem
inneren gleich ist, usw. Er gelangt auf solche Weise durch eine
Kette von Schluessen, immer von der Anschauung geleitet, zur voellig
einleuchtenden und zugleich allgemeinen Aufloesung der Frage.
Die Mathematik aber konstruiert nicht bloss Groessen (quanta), wie
in der Geometrie, sondern auch die blosse Groesse (quantitatem),
wie in der Buchstabenrechnung, wobei sie von der Beschaffenheit des
Gegenstandes, der nach einem solchen Groessenbegriff gedacht werden
soll, gaenzlich abstrahiert. Sie waehlt sich alsdann eine gewisse
Bezeichnung aller Konstruktionen von Groessen ueberhaupt (Zahlen, als
der Addition, Subtraktion usw.), Ausziehung der Wurzel, und, nachdem
sie den allgemeinen Begriff der Groessen nach den verschiedenen
Verhaeltnissen derselben auch bezeichnet hat, so stellt sie alle
Behandlung, die durch die Groesse erzeugt und veraendert wird, nach
gewissen allgemeinen Regeln in der Anschauung dar; wo eine Groesse
durch die andere dividiert werden soll, setzt sie beider ihre
Charaktere nach der bezeichnenden Form der Division zusammen usw., und
gelangt also vermittelst einer symbolischen Konstruktion ebensogut,
wie die Geometrie nach einer ostensiven oder geometrischen (der
Gegenstaende selbst) dahin, wohin die diskursive Erkenntnis
vermittelst blosser Begriffe niemals gelangen koennte.
Was mag die Ursache dieser so verschiedenen Lage sein, darin sich zwei
Vernunftkuenstler befinden, deren der eine seinen Weg nach Begriffen,
der andere nach Anschauungen nimmt, die er a priori den Begriffen
gemaess darstellt. Nach den oben vorgetragenen transzendentalen
Grundlehren ist diese Ursache klar. Es kommt hier nicht auf
analytische Saetze an, die durch blosse Zergliederung der Begriffe
erzeugt werden koennen, (hierin wuerde der Philosoph ohne Zweifel den
Vorteil ueber seinen Nebenbuhler haben,) sondern auf synthetische, und
zwar solche, die a priori sollen erkannt werden. Denn ich soll nicht
auf dasjenige sehen, was ich in meinem Begriffe vom Triangel wirklich
denke, (dieses ist nichts weiter, als die blosse Definition,) vielmehr
soll ich ueber ihn zu Eigenschaften, die in diesem Begriffe nicht
liegen, aber doch zu ihm gehoeren, hinausgehen. Nun ist dieses nicht
anders moeglich, als dass ich meinen Gegenstand nach den Bedingungen,
entweder der empirischen Anschauung, oder der reinen Anschauung
bestimme. Das erstere wuerde nur einen empirischen Satz (durch Messen
seiner Winkel), der keine Allgemeinheit, noch weniger Notwendigkeit
enthielte, abgeben, und von dergleichen ist gar nicht die Rede.
Das zweite Verfahren aber ist die mathematische und zwar hier die
geometrische Konstruktion, vermittelst deren ich in einer reinen
Anschauung, ebenso wie in der empirischen, das Mannigfaltige, was
zu dem Schema eines Triangels ueberhaupt, mithin zu seinem Begriffe
gehoert, hinzusetzen wodurch allerdings allgemeine synthetische Saetze
konstruiert werden muessen.
Ich wuerde also umsonst ueber den Triangel philosophieren, d.i.
diskursiv nachdenken, ohne dadurch im mindesten weiter zu kommen, als
auf die blosse Definition, von der ich aber billig anfangen muesste.
Es gibt zwar eine transzendentale Synthesis aus lauter Begriffen, die
wiederum allein dem Philosophen gelingt, die aber niemals mehr als ein
Ding ueberhaupt betrifft, unter welchen Bedingungen dessen Wahrnehmung
zur moeglichen Erfahrung gehoeren koenne. Aber in den mathematischen
Aufgaben ist hiervon und ueberhaupt von der Existenz gar nicht die
Frage, sondern von den Eigenschaften der Gegenstaende an sich selbst,
lediglich sofern diese mit dem Begriffe derselben verbunden sind.
Wir haben in dem angefuehrten Beispiele nur deutlich zu machen
gesucht, welcher grosse Unterschied zwischen dem diskursiven
Vernunftgebrauch nach Begriffen und dem intuitiven durch die
Konstruktion der Begriffe anzutreffen sei. Nun fraegts sich
natuerlicherweise, was die Ursache sei, die einen solchen zwiefachen
Vernunftgebrauch notwendig macht, und an welchen Bedingungen man
erkennen koenne, ob nur der erste, oder auch der zweite stattfinde.
Alle unsere Erkenntnis bezieht sich doch zuletzt auf moegliche
Anschauungen: denn durch diese allein wird ein Gegenstand gegeben. Nun
enthaelt ein Begriff a priori (ein nicht empirischer Begriff) entweder
schon eine reine Anschauung in sich, und alsdann kann er konstruiert
werden; oder nichts als die Synthesis moeglicher Anschauungen, die a
priori nicht gegeben sind, und alsdann kann man wohl zwar durch ihn
synthetisch und a priori urteilen, aber nur diskursiv, nach Begriffen,
niemals aber intuitiv durch die Konstruktion des Begriffes.
Nun ist von aller Anschauung keine a priori gegeben, als die blosse
Form der Erscheinungen, Raum und Zeit, und ein Begriff von diesen, als
Quantis, laesst sich entweder zugleich mit der Qualitaet derselben
(ihre Gestalt), oder auch bloss ihre Quantitaet (die blosse Synthesis
des gleichartig Mannigfaltigen) durch Zahl a priori in der Anschauung
darstellen, d.i. konstruieren. Die Materie aber der Erscheinungen,
wodurch uns Dinge im Raume und der Zeit gegeben werden, kann nur in
der Wahrnehmung, mithin a posteriori vorgestellt werden. Der einzige
Begriff, der a priori diesen empirischen Gehalt der Erscheinungen
vorstellt, ist der Begriff des Dinges ueberhaupt, und die synthetische
Erkenntnis von demselben a priori kann nichts weiter, als die blosse
Regel der Synthesis desjenigen, was die Wahrnehmung a posteriori geben
mag, niemals aber die Anschauung des realen Gegenstandes a priori
liefern, weil diese notwendig empirisch sein muss.
Synthetische Saetze, die auf Dinge ueberhaupt, deren Anschauung sich
a priori gar nicht geben laesst, gehen, sind transzendental. Demnach
lassen sich transzendentale Saetze niemals durch Konstruktion der
Begriffe, sondern nur nach Begriffen a priori geben. Sie enthalten
bloss die Regel, nach der eine gewisse synthetische Einheit
desjenigen, was nicht a priori anschaulich vorgestellt werden kann,
(der Wahrnehmungen,) empirisch gesucht werden soll. Sie koennen
aber keinen einzigen ihrer Begriffe a priori in irgendeinem Falle
darstellen, sondern tun dieses nur a posteriori, vermittelst der
Erfahrung, die nach jenen synthetischen Grundsaetzen allererst
moeglich wird.
Wenn man von einem Begriffe synthetisch urteilen soll, so muss man
aus diesem Begriffe hinausgehen, und zwar zur Anschauung, in welcher
er gegeben ist. Denn, bliebe man bei dem stehen, was im Begriffe
enthalten ist, so waere das Urteil bloss analytisch, und eine
Erklaerung des Gedanken, nach demjenigen, was wirklich in
ihm enthalten ist. Ich kann aber von dem Begriffe zu der ihm
korrespondierenden reinen oder empirischen Anschauung gehen, um ihn in
derselben in concreto zu erwaegen, und, was dem Gegenstande desselben
zukommt, a priori oder a posteriori zu erkennen. Das erstere ist die
rationale und mathematische Erkenntnis durch die Konstruktion des
Begriffs, das zweite die blosse empirische (mechanische) Erkenntnis,
die niemals notwendige und apodiktische Saetze geben kann. So koennte
ich meinen empirischen Begriff vom Golde zergliedern, ohne dadurch
etwas weiter zu gewinnen, als alles, was ich bei diesem Worte wirklich
denke, herzaehlen zu koennen, wodurch in meinem Erkenntnis zwar eine
logische Verbesserung vorgeht, aber keine Vermehrung oder Zusatz
erworben wird. Ich nehme aber die Materie, welche unter diesem Namen
vorkommt, und stelle mit ihr Wahrnehmungen an, welche mir verschiedene
synthetische, aber empirische Saetze an die Hand geben werden. Den
mathematischen Begriff eines Triangels wuerde ich konstruieren, d.i. a
priori in der Anschauung geben, und auf diesem Wege eine synthetische,
aber rationale Erkenntnis bekommen. Aber, wenn mir der transzendentale
Begriff einer Realitaet, Substanz, Kraft usw. gegeben ist, so
bezeichnet er weder eine empirische, noch reine Anschauung, sondern
lediglich die Synthesis der empirischen Anschauungen (die also a
priori nicht gegeben werden koennen), und es kann also aus ihm,
weil die Synthesis nicht a priori zu der Anschauung, die ihm
korrespondiert, hinausgehen kann, auch kein bestimmender synthetischer
Satz, sondern nur ein Grundsatz der Synthesis* moeglicher empirischer
Anschauungen entspringen. Also ist ein transzendentaler Satz ein
synthetisches Vernunfterkenntnis nach blossen Begriffen, und mithin
diskursiv, indem dadurch alle synthetische Einheit der empirischen
Erkenntnis allererst moeglich, keine Anschauung aber dadurch a priori
gegeben wird.
* Vermittelst des Begriffs der Ursache gehe ich wirklich aus dem
  empirischen Begriffe von einer Begebenheit (da etwas geschieht)
  heraus, aber nicht zu der Anschauung, die den Begriff der Ursache in
  concreto darstellt, sondern zu den Zeitbedingungen ueberhaupt, die
  in der Erfahrung dem Begriffe der Ursache gemaess gefunden werden
  moechten. Ich verfahre also bloss nach Begriffen, und kann nicht
  durch Konstruktion der Begriffe verfahren, weil der Begriff
  eine Regel der Synthesis der Wahrnehmungen ist, die keine reine
  Anschauungen sind, und sich also a priori nicht geben lassen.
So gibt es denn einen doppelten Vernunftgebrauch, der, unerachtet der
Allgemeinheit der Erkenntnis und ihrer Erzeugung a priori, welche sie
gemein haben, dennoch im Fortgange sehr verschieden ist, und zwar
darum, weil in der Erscheinung, als wodurch uns alle Gegenstaende
gegeben werden, zwei Stuecke sind: die Form der Anschauung (Raum und
Zeit), die voellig a priori erkannt und bestimmt werden kann, und die
Materie (das Physische), oder der Gehalt, welcher ein Etwas bedeutet,
das im Raume und der Zeit angetroffen wird, mithin ein Dasein enthaelt
und der Empfindung korrespondiert. In Ansehung des letzteren, welches
niemals anders auf bestimmte Art, als empirisch gegeben werden kann,
koennen wir nichts a priori haben, als unbestimmte Begriffe der
Synthesis moeglicher Empfindungen, sofern sie zur Einheit der
Apperzeption (in einer moeglichen Erfahrung) gehoeren. In Ansehung
der ersteren koennen wir unsere Begriffe in der Anschauung a priori
bestimmen, indem wir uns im Raume und der Zeit die Gegenstaende selbst
durch gleichfoermige Synthesis schaffen, indem wir sie bloss als
Quanta betrachten. Jener heisst der Vernunftgebrauch nach Begriffen,
indem wir nichts weiter tun koennen, als Erscheinungen dem realen
Inhalte nach unter Begriffe zu bringen, welche darauf nicht anders als
empirisch, d.i. a posteriori, (aber jenen Begriffen als Regeln einer
empirischen Synthesis gemaess,) koennen bestimmt werden; dieser ist
der Vernunftgebrauch durch Konstruktion der Begriffe, indem diese, da
sie schon auf eine Anschauung a priori gehen, auch eben darum a priori
und ohne alle empirische data in der reinen Anschauung bestimmt
gegeben werden koennen. Alles, was da ist (ein Ding im Raum oder der
Zeit), zu erwaegen, ob und wiefern es ein Quantum ist oder nicht, dass
ein Dasein in demselben oder Mangel vorgestellt werden muesse, wie
fern dieses Etwas (welches Raum oder Zeit erfuellt) ein erstes
Substratum, oder blosse Bestimmung sei, eine Beziehung seines Daseins
auf etwas anderes, als Ursache oder Wirkung, habe, und endlich
isoliert oder in wechselseitiger Abhaengigkeit mit anderen in Ansehung
des Daseins stehe, die Moeglichkeit dieses Daseins, die Wirklichkeit
und Notwendigkeit, oder die Gegenteile derselben zu erwaegen:
dieses alles gehoert zum Vernunfterkenntnis aus Begriffen, welches
philosophisch genannt wird. Aber im Raume eine Anschauung a priori
zu bestimmen (Gestalt), die Zeit zu teilen (Dauer), oder bloss das
Allgemeine der Synthesis von einem und demselben in der Zeit und
dem Raume, und die daraus entspringende Groesse einer Anschauung
ueberhaupt (Zahl) zu erkennen, das ist ein Vernunftgeschaeft durch
Konstruktion der Begriffe, und heisst mathematisch.
Das grosse Glueck, welches die Vernunft vermittelst der Mathematik
macht, bringt ganz natuerlicherweise die Vermutung zuwege, dass es,
wo nicht ihr selbst, doch ihrer Methode, auch ausser dem Felde der
Groessen gelingen werde, indem sie alle ihre Begriffe auf Anschauungen
bringt, die sie a priori geben kann, und wodurch sie, so zu reden,
Meister ueber die Natur wird; da hingegen reine Philosophie mit
diskursiven Begriffen a priori in der Natur herumpfuscht, ohne die
Realitaet derselben a priori anschauend und eben dadurch beglaubigt
machen zu koennen. Auch scheint es den Meistern in dieser Kunst an
dieser Zuversicht zu sich selbst und dem gemeinen Wesen an grossen
Erwartungen von ihrer Geschicklichkeit, wenn sie sich einmal hiermit
befassen sollten, gar nicht zu fehlen. Denn da sie kaum jemals ueber
ihre Mathematik philosophiert haben, (ein schweres Geschaeft!) so
kommt ihnen der spezifische Unterschied des einen Vernunftgebrauchs
von dem anderen gar nicht in Sinn und Gedanken. Gangbare und empirisch
gebrauchte Regeln, die sie von der gemeinen Vernunft borgen, gelten
ihnen dann statt Axiomen. Wo ihnen die Begriffe von Raum und
Zeit, womit sie sich (als den einzigen urspruenglichen Quantis)
beschaeftigen, herkommen moegen, daran ist ihnen gar nichts gelegen,
und ebenso scheint es ihnen unnuetz zu sein, den Ursprung reiner
Verstandesbegriffe, und hiermit auch den Umfang ihrer Gueltigkeit zu
erforschen, sondern nur sich ihrer zu bedienen. In allem diesem tun
sie ganz recht, wenn sie nur ihre angewiesene Grenze, naemlich die der
Natur nicht ueberschreiten. So aber geraten sie unvermerkt, von dem
Felde der Sinnlichkeit, auf den unsicheren Boden reiner und selbst
transzendentaler Begriffe, wo der Grund (instabilis tellus, innabilis
unda) ihnen weder zu stehen, noch zu schwimmen erlaubt, und sich nur
fluechtige Schritte tun lassen, von denen die Zeit nicht die mindeste
Spur aufbehaelt, da hingegen ihr Gang in der Mathematik eine
Heeresstrasse macht, welche noch die spaeteste Nachkommenschaft mit
Zuversicht betreten kann.
Da wir es uns zur Pflicht gemacht haben, die Grenzen der reinen
Vernunft im transzendentalen Gebrauche genau und mit Gewissheit zu
bestimmen, diese Art der Bestrebung aber das Besondere an sich hat,
unerachtet der nachdruecklichsten und klarsten Warnungen, sich noch
immer durch Hoffnung hinhalten zu lassen, ehe man den Anschlag
gaenzlich aufgibt, ueber Grenzen der Erfahrungen hinaus in die
reizenden Gegenden des Intellektuellen zu gelangen: so ist es
notwendig, noch gleichsam den letzten Anker einer phantasiereichen
Hoffnung wegzunehmen, und zu zeigen, dass die Befolgung der
mathematischen Methode in dieser Art Erkenntnis nicht den mindesten
Vorteil schaffen koenne, es muesste denn der sein, die Bloessen ihrer
selbst desto deutlicher aufzudecken, dass Messkunst und Philosophie
zwei ganz verschiedene Dinge seien, ob sie sich zwar in der
Naturwissenschaft einander die Hand bieten, mithin das Verfahren des
einen niemals von dem anderen nachgeahmt werden koenne.
Die Gruendlichkeit der Mathematik beruht auf Definitionen, Axiomen,
Demonstrationen. Ich werde mich damit begnuegen, zu zeigen: dass
keines dieser Stuecke in dem Sinne, darin sie der Mathematiker nimmt,
von der Philosophie koenne geleistet, noch nachgeahmt werden. Dass
der Messkuenstler, nach seiner Methode, in der Philosophie nichts als
Kartengebaeude zustande bringe, der Philosoph nach der seinigen in dem
Anteil der Mathematik nur ein Geschwaetz erregen koenne, wiewohl eben
darin Philosophie besteht, seine Grenzen zu kennen, und selbst der
Mathematiker, wenn das Talent desselben nicht etwa schon von der Natur
begrenzt und auf sein Fach eingeschraenkt ist, die Warnungen der
Philosophie nicht ausschlagen, noch sich ueber sie wegsetzen kann.
1. Von den Definitionen. Definieren soll, wie es der Ausdruck selbst
gibt, eigentlich nur so viel bedeuten, als, den ausfuehrlichen Begriff
eines Dinges innerhalb seiner Grenzen urspruenglich darstellen*.
Nach einer solchen Forderung kann ein empirischer Begriff gar nicht
definiert, sondern nur expliziert werden. Denn, da wir an ihm nur
einige Merkmale von einer gewissen Art Gegenstaende der Sinne haben,
so ist es niemals sicher, ob man unter dem Worte, der denselben
Gegenstand bezeichnet, nicht einmal mehr, das andere Mal weniger
Merkmale desselben denke. So kann der eine im Begriffe vom Golde sich
ausser dem Gewichte, der Farbe, der Zaehigkeit, noch die Eigenschaft,
dass es nicht rostet, denken, der andere davon vielleicht nichts
wissen. Man bedient sich gewisser Merkmale nur so lange, als sie zum
Unterscheiden hinreichend sind; neue Bemerkungen dagegen nehmen welche
weg und setzen einige hinzu, der Begriff steht also niemals zwischen
sicheren Grenzen. Und wozu sollte es auch dienen, einen solchen
Begriff zu definieren, da, wenn z.B. von dem Wasser und dessen
Eigenschaften die Rede ist, man sich bei dem nicht aufhalten wird, was
man bei dem Worte Wasser denkt, sondern zu Versuchen schreitet, und
das Wort, mit den wenigen Merkmalen, die ihm anhaengen, nur eine
Bezeichnung und nicht einen Begriff der Sache ausmachen soll, mithin
die angebliche Definition nichts anderes als Wortbestimmung ist.
Zweitens kann auch, genau zu reden, kein a priori gegebener Begriff
definiert werden, z.B. Substanz, Ursache, Recht, Billigkeit usw. Denn
ich kann niemals sicher sein, dass die deutliche Vorstellung eines
(noch verworren) gegebenen Begriffs ausfuehrlich entwickelt worden,
als wenn ich weiss, dass dieselbe dem Gegenstande adaequat sei.
Da der Begriff desselben aber, so wie er gegeben ist, viel dunkle
Vorstellungen enthalten kann, die wir in der Zergliederung uebergehen,
ob wir sie zwar in der Anwendung jederzeit brauchen: so ist die
Ausfuehrlichkeit der Zergliederung meines Begriffs immer zweifelhaft,
und kann nur durch vielfaeltig zutreffende Beispiele vermutlich,
niemals aber apodiktisch gewiss gemacht werden. Anstatt des Ausdrucks:
Definition, wuerde ich lieber den der Exposition brauchen, der immer
noch behutsam bleibt, und bei dem der Kritiker sie auf einen gewissen
Grad gelten lassen und doch wegen der Ausfuehrlichkeit noch Bedenken
tragen kann. Da also weder empirisch, noch a priori gegebene Begriffe
definiert werden koennen, so bleiben keine anderen als willkuerlich
gedachte uebrig, an denen man dieses Kunststueck versuchen kann.
Meinen Begriff kann ich in solchem Falle jederzeit definieren; denn
ich muss doch wissen, was ich habe denken wollen, da ich ihn selbst
vorsetzlich gemacht habe, und er mir weder durch die Natur des
Verstandes, noch durch die Erfahrung gegeben worden, aber ich kann
nicht sagen, dass ich dadurch einen wahren Gegenstand definiert habe.
Denn, wenn der Begriff auf empirischen Bedingungen beruht, z.B. eine
Schiffsuhr, so wird der Gegenstand und dessen Moeglichkeit durch
diesen willkuerlichen Begriff noch nicht gegeben; ich weiss daraus
nicht einmal, ob er ueberall einen Gegenstand habe, und meine
Erklaerung kann besser eine Deklaration (meines Projekts) als
Definition eines Gegenstandes heissen. Also blieben keine anderen
Begriffe uebrig, die zum Definieren taugen, als solche, die eine
willkuerliche Synthesis enthalten, welche a priori konstruiert
werden kann, mithin hat nur die Mathematik Definitionen. Denn, den
Gegenstand, den sie denkt, stellt sie auch a priori in der Anschauung
dar, und dieser kann sicher nicht mehr noch weniger enthalten, als der
Begriff, weil durch die Erklaerung der Begriff von dem Gegenstande
urspruenglich, d.i. ohne die Erklaerung irgend wovon abzuleiten,
gegeben wurde. Die deutsche Sprache hat fuer die Ausdruecke der
Exposition, Explikation, Deklaration und Definition nichts mehr, als
das eine Wort: Erklaerung, und daher muessen wir schon von der Strenge
der Forderung, da wir naemlich den philosophischen Erklaerungen den
Ehrennamen der Definition verweigerten, etwas ablassen, und wollen
diese ganze Anmerkung darauf einschraenken, dass philosophische
Definitionen nur als Expositionen gegebener, mathematische aber als
Konstruktionen urspruenglich gemachter Begriffe, jene nur analytisch
durch Zergliederung (deren Vollstaendigkeit nicht apodiktisch gewiss
ist), diese synthetisch zustande gebracht werden, und also den Begriff
selbst machen, dagegen die ersteren ihn nur erklaeren. Hieraus folgt:
* Ausfuehrlichkeit bedeutet die Klarheit und Zulaenglichkeit der
  Merkmale; Grenzen die Praezision, dass deren nicht mehr sind, als
  zum ausfuehrlichen Begriffe gehoeren; urspruenglich aber, dass diese
  Grenzbestimmung nicht irgend woher abgeleitet sei und also noch
  eines Beweises beduerfe, welches die vermeintliche Erklaerung
  unfaehig machen wuerde, an der Spitze aller Urteile ueber einen
  Gegenstand zu stehen.
a) dass man es in der Philosophie der Mathematik nicht so nachtun
muesse, die Definition voranzuschicken, als nur etwa zum blossen
Versuche. Denn, da sie Zergliederungen gegebener Begriffe sind, so
gehen diese Begriffe, obzwar nur noch verworren, voran, und die
unvollstaendige Exposition geht vor der vollstaendigen, so, dass
wir aus einigen Merkmalen, die wir aus einer noch unvollendeten
Zergliederung gezogen haben, manches vorher schliessen koennen,
ehe wir zur vollstaendigen Exposition, d.i. der Definition gelangt
sind; mit einem Worte, dass in der Philosophie die Definition, als
abgemessene Deutlichkeit, das Werk eher schliesse, als anfangen
muesse*. Dagegen haben wir in der Mathematik gar keinen Begriff vor
der Definition, als durch welche der Begriff allererst gegeben wird,
sie muss also und kann auch jederzeit davon anfangen.
* Die Philosophie wimmelt von fehlerhaften Definitionen, vornehmlich
  solchen, die zwar wirklich Elemente zur Definition, aber noch nicht
  vollstaendig enthalten. Wuerde man nun eher gar nichts mit einem
  Begriffe anfangen koennen, als bis man ihn definiert haette, so
  wuerde es gar schlecht mit allem Philosophieren stehen. Da aber, so
  weit die Elemente (der Zergliederung) reichen, immer ein guter und
  sicherer Gebrauch davon zu machen ist, so koennen auch mangelhafte
  Definitionen, d.i. Saetze, die eigentlich noch nicht Definitionen,
  aber uebrigens wahr und also Annaeherungen zu ihnen sind, sehr
  nuetzlich gebraucht werden. In der Mathematik gehoert die
  Definition ad esse, in der Philosophie ad melius esse. Es ist
  schoen, aber oft sehr schwer, dazu zu gelangen. Noch suchen die
  Juristen eine Definition zu ihrem Begriffe von Recht.
b) Mathematische Definitionen koennen niemals irren. Denn, weil der
Begriff durch die Definition zuerst gegeben wird, so enthaelt er
gerade nur das, was die Definition durch ihn gedacht haben will. Aber,
obgleich dem Inhalte nach nichts Unrichtiges darin vorkommen kann, so
kann doch bisweilen, obzwar nur selten, in der Form (der Einkleidung)
gefehlt werden, naemlich in Ansehung der Praezision. So hat die
gemeine Erklaerung der Kreislinie, dass sie eine krumme Linie sei,
deren alle Punkte von einem einigen (dem Mittelpunkte) gleich weit
abstehen, den Fehler, dass die Bestimmung krumm unnoetiger Weise
eingeflossen ist. Denn es muss einen besonderen Lehrsatz geben, der
aus der Definition gefolgert wird und leicht bewiesen werden kann:
dass eine jede Linie, deren alle Punkte von einem einigen gleich
weit abstehen, krumm (kein Teil von ihr gerade) sei. Analytische
Definitionen koennen dagegen auf vielfaeltige Art irren, entweder
indem sie Merkmale hineinbringen, die wirklich nicht im Begriffe
lagen, oder an der Ausfuehrlichkeit ermangeln, die das Wesentliche
einer Definition ausmacht, weil man der Vollstaendigkeit seiner
Zergliederung nicht so voellig gewiss sein kann. Um deswillen laesst
sich die Methode der Mathematik im Definieren in der Philosophie nicht
nachahmen.
2. Von den Axiomen. Diese sind synthetische Grundsaetze a priori,
sofern sie unmittelbar gewiss sind. Nun laesst sich nicht ein Begriff
mit dem anderen synthetisch und doch unmittelbar verbinden, weil,
damit wir ueber einen Begriff hinausgehen koennen, ein drittes
vermittelnde Erkenntnis noetig ist. Da nun Philosophie bloss die
Vernunfterkenntnis nach Begriffen ist, so wird in ihr kein Grundsatz
anzutreffen sein, der den Namen eines Axioms verdiene. Die Mathematik
dagegen ist der Axiomen faehig, weil sie vermittelst der Konstruktion
der Begriffe in der Anschauung des Gegenstandes die Praedikate
desselben a priori und unmittelbar verknuepfen kann, z.B. dass drei
Punkte jederzeit in einer Ebene liegen. Dagegen kann ein synthetischer
Grundsatz bloss aus Begriffen niemals unmittelbar gewiss sein; z.B.
der Satz: alles, was geschieht, hat seine Ursache, da ich mich
nach einem dritten herumgehen muss, naemlich der Bedingung der
Zeitbestimmung in einer Erfahrung, und nicht direkt unmittelbar
aus den Begriffen allein einen solchen Grundsatz erkennen konnte.
Diskursive Grundsaetze sind also ganz etwas anderes als intuitive,
d.i. Axiomen. Jene erfordern jederzeit noch eine Deduktion, deren
die letzteren ganz und gar entbehren koennen, und, da diese eben um
desselben Grundes wegen evident sind, welches die philosophischen
Grundsaetze, bei aller ihrer Gewissheit, doch niemals vorgeben
koennen, so fehlt unendlich viel daran, dass irgendein synthetischer
Satz der reinen und transzendentalen Vernunft so augenscheinlich
sei (wie man sich trotzig auszudruecken pflegt), als der Satz: dass
zweimal zwei vier geben. Ich habe zwar in der Analytik, bei der Tafel
der Grundsaetze des reinen Verstandes, auch gewisser Axiomen der
Anschauung gedacht; allein der daselbst angefuehrte Grundsatz war
selbst kein Axiom, sondern diente nur dazu, das Prinzipium der
Moeglichkeit der Axiomen ueberhaupt anzugeben, und selbst nur ein
Grundsatz aus Begriffen. Denn sogar die Moeglichkeit der Mathematik
muss in der Transzendentalphilosophie gezeigt werden. Die Philosophie
hat also keine Axiomen und darf niemals ihre Grundsaetze a priori so
schlechthin gebieten, sondern muss sich dazu bequemen, ihre Befugnis
wegen derselben durch gruendliche Deduktion zu rechtfertigen.
3. Von den Demonstrationen. Nur ein apodiktischer Beweis, sofern er
intuitiv ist, kann Demonstration heissen. Erfahrung lehrt uns wohl,
was da sei, aber nicht, dass es gar nicht anders sein koenne.
Daher koennen empirische Beweisgruende keinen apodiktischen Beweis
verschaffen. Aus Begriffen a priori (im diskursiven Erkenntnisse) kann
aber niemals anschauende Gewissheit d.i. Evidenz entspringen, so sehr
auch sonst das Urteil apodiktisch gewiss sein mag. Nur die Mathematik
enthaelt also Demonstrationen, weil sie nicht aus Begriffen, sondern
der Konstruktion derselben, d.i. der Anschauung, die den Begriffen
entsprechend a priori gegeben werden kann, ihr Erkenntnis ableitet.
Selbst das Verfahren der Algeber mit ihren Gleichungen, aus denen sie
durch Reduktion die Wahrheit zusamt dem Beweise hervorbringt, ist
zwar keine geometrische, aber doch charakteristische Konstruktion,
in welcher man an den Zeichen die Begriffe, vornehmlich von dem
Verhaeltnisse der Groessen, in der Anschauung darlegt, und, ohne
einmal auf das Heuristische zu sehen, alle Schluesse vor Fehlern
dadurch sichert, dass jeder derselben vor Augen gestellt wird. Da
hingegen das philosophische Erkenntnis dieses Vorteils entbehren
muss, indem es das Allgemeine jederzeit in abstracto (durch Begriffe)
betrachten muss, indessen dass Mathematik das Allgemeine in concreto
(in der einzelnen Anschauung) und doch durch reine Vorstellung a
priori erwaegen kann, wobei jeder Fehltritt sichtbar wird. Ich moechte
die ersteren daher lieber akroamatische (diskursive) Beweise nennen,
weil sie sich nur durch lauter Worte (den Gegenstand in Gedanken)
fuehren lassen, als Demonstrationen, welche, wie der Ausdruck es schon
anzeigt, in der Anschauung des Gegenstandes fortgehen.
Aus allem diesem folgt nun, dass es sich fuer die Natur der
Philosophie gar nicht schicke, vornehmlich im Felde der reinen
Vernunft, mit einem dogmatischen Gange zu strotzen und sich mit den
Titeln und Baendern der Mathematik auszuschmuecken, in deren Orden sie
doch nicht gehoert, ob sie zwar auf schwesterliche Vereinigung mit
derselben zu hoffen alle Ursache hat. Jene sind eitle Anmassungen, die
niemals gelingen koennen, vielmehr ihre Absicht rueckgaengig machen
muessen, die Blendwerke einer ihre Grenzen verkennenden Vernunft
zu entdecken, und, vermittelst hinreichender Aufklaerung unserer
Begriffe, den Eigenduenkel der Spekulation auf das bescheidene, aber
gruendliche Selbsterkenntnis zurueckzufuehren. Die Vernunft wird also
in ihren transzendentalen Versuchen nicht so zuversichtlich vor sich
hinsehen koennen, gleich als wenn der Weg, den sie zurueckgelegt hat,
so ganz gerade zum Ziele fuehre, und auf ihre zum Grunde gelegten
Praemissen nicht so mutig rechnen koennen, dass es nicht noetig waere,
oefters zurueck zu sehen und achtzuhaben, ob sich nicht etwa im
Fortgange der Schluesse Fehler entdecken, die in den Prinzipien
uebersehen worden, und es noetig machen, sie entweder mehr zu
bestimmen, oder ganz abzuaendern.
Ich teile alle apodiktischen Saetze (sie moegen nun erweislich oder
auch unmittelbar gewiss sein) in Dogmata und Mathemata ein. Ein
direkt synthetischer Satz aus Begriffen ist ein Dogma; dagegen ein
dergleichen Satz durch Konstruktion der Begriffe, ist ein Mathema.
Analytische Urteile lehren uns eigentlich nichts mehr vom Gegenstande,
als was der Begriff, den wir von ihm haben, schon in sich enthaelt,
weil sie die Erkenntnis ueber den Begriff des Subjekts nicht
erweitern, sondern diesen nur erlaeutern. Sie koennen daher
nicht fueglich Dogmen heissen (welches Wort man vielleicht durch
Lehrsprueche uebersetzen koennte). Aber unter den gedachten zwei
Arten synthetischer Saetze a priori koennen, nach dem gewoehnlichen
Redegebrauch, nur die zum philosophischen Erkenntnisse gehoerigen
diesen Namen fuehren, und man wuerde schwerlich die Saetze der
Rechenkunst, oder Geometrie, Dogmata nennen. Also bestaetigt dieser
Gebrauch die Erklaerung, die wir gaben, dass nur Urteile aus
Begriffen, und nicht die aus der Konstruktion der Begriffe, dogmatisch
heissen koennen.
Nun enthaelt die ganze reine Vernunft in ihrem bloss spekulativen
Gebrauche nicht ein einziges direkt synthetisches Urteil aus
Begriffen. Denn durch Ideen ist sie, wie wir gezeigt haben, gar keiner
synthetischen Urteile, die objektive Gueltigkeit haetten, faehig;
durch Verstandesbegriffe aber errichtet sie zwar sichere Grundsaetze,
aber gar nicht direkt aus Begriffen, sondern immer nur indirekt
durch Beziehung dieser Begriffe auf etwas ganz Zufaelliges, naemlich
moegliche Erfahrung; da sie denn, wenn diese (etwas als Gegenstand
moeglicher Erfahrungen) vorausgesetzt wird, allerdings apodiktisch
gewiss sind, an sich selbst aber (direkt) a priori gar nicht einmal
erkannt werden koennen. So kann niemand den Satz: alles, was
geschieht, hat seine Ursache, aus diesen gegebenen Begriffen allein
gruendlich einsehen. Daher ist er kein Dogma, ob er gleich in einem
anderen Gesichtspunkte, naemlich dem einzigen Felde seines moeglichen
Gebrauchs, d.i. der Erfahrung, ganz wohl und apodiktisch bewiesen
werden kann. Er heisst aber Grundsatz und nicht Lehrsatz, ob er gleich
bewiesen werden muss, darum, weil er die besondere Eigenschaft hat,
dass er seinen Beweisgrund, naemlich Erfahrung, selbst zuerst moeglich
macht, und bei dieser immer vorausgesetzt werden muss.
Gibt es nun im spekulativen Gebrauche der reinen Vernunft auch dem
Inhalte nach gar keine Dogmate, so ist alle dogmatische Methode, sie
mag nun dem Mathematiker abgeborgt sein, oder eine eigentuemliche
Manier werden sollen, fuer sich unschicklich. Denn sie verbirgt
nur die Fehler und Irrtuemer, und taeuscht die Philosophie, deren
eigentliche Absicht ist, alle Schritte der Vernunft in ihrem klarsten
Lichte sehen zu lassen. Gleichwohl kann die Methode immer systematisch
sein. Denn unsere Vernunft (subjektiv) ist selbst ein System, aber in
ihrem reinen Gebrauche, vermittelst blosser Begriffe, nur ein System
der Nachforschung nach Grundsaetzen der Einheit, zu welcher Erfahrung
allein den Stoff hergeben kann. Von der eigentuemlichen Methode einer
Transzendentalphilosophie laesst sich aber hier nichts sagen, da wir
es nur mit einer Kritik unserer Vermoegensumstaende zu tun haben, ob
wir ueberall bauen, und wie hoch wir wohl unser Gebaeude, aus dem
Stoffe, den wir haben, (den reinen Begriffen a priori,) auffuehren
koennen.
Des ersten Hauptstuecks
Zweiter Abschnitt
Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung ihres polemischen
Gebrauchs
Die Vernunft muss sich in allen ihren Unternehmungen der Kritik
unterwerfen, und kann der Freiheit derselben durch kein Verbot Abbruch
tun, ohne sich selbst zu schaden und einen ihr nachteiligen Verdacht
auf sich zu ziehen. Da ist nun nichts so wichtig, in Ansehung des
Nutzens, nichts so heilig, dass sich dieser pruefenden und musternden
Durchsuchung, die kein Ansehen der Person kennt, entziehen duerfte.
Auf dieser Freiheit beruht sogar die Existenz der Vernunft, die kein
diktatorisches Ansehen hat, sondern deren Ausspruch jederzeit nichts
als die Einstimmung freier Buerger ist, deren jeglicher seine
Bedenklichkeiten, ja sogar sein veto, ohne Zurueckhalten muss aeussern
koennen.
Ob nun aber gleich die Vernunft sich der Kritik niemals verweigern
kann, so hat sie doch nicht jederzeit Ursache, sie zu scheuen. Aber
die reine Vernunft in ihrem dogmatischen (nicht mathematischen)
Gebrauche ist sich nicht so sehr der genauesten Beobachtung ihrer
obersten Gesetze bewusst, dass sie nicht mit Bloedigkeit, ja mit
gaenzlicher Ablegung alles angemassten dogmatischen Ansehens, vor dem
kritischen Auge einer hoeheren und richterlichen Vernunft erscheinen
muesste.
Ganz anders ist es bewandt, wenn sie es nicht mit der Zensur des
Richters, sondern den Anspruechen ihres Mitbuergers zu tun hat,
und sich dagegen bloss verteidigen soll. Denn, da diese ebensowohl
dogmatisch sein wollen, obzwar im Verneinen, als jene im Bejahen:
so findet eine Rechtfertigung kat' anthropon statt, die wider alle
Beeintraechtigung sichert, und einen titulierten Besitz verschafft,
der keine fremden Anmassungen scheuen darf, ob er gleich selbst kat'
aledeian nicht hinreichend bewiesen werden kann.
Unter dem polemischen Gebrauche der reinen Vernunft verstehe ich nun
die Verteidigung ihrer Saetze gegen die dogmatischen Verneinungen
derselben. Hier kommt es nun nicht darauf an, ob ihre Behauptungen
nicht vielleicht auch falsch sein moechten, sondern nur, dass niemand
das Gegenteil jemals mit apodiktischer Gewissheit (ja auch nur mit
groesserem Scheine) behaupten koenne. Denn wir sind alsdann doch
nicht bittweise in unserem Besitz, wenn wir einen, obzwar nicht
hinreichenden, Titel derselben vor uns haben, und es voellig gewiss
ist, dass niemand die Unrechtmaessigkeit dieses Besitzes jemals
beweisen koenne.
Es ist etwas Bekuemmerndes und Niederschlagendes, dass es ueberhaupt
eine Antithetik der reinen Vernunft geben, und diese, die doch den
obersten Gerichtshof ueber alle Streitigkeiten vorstellt, mit sich
selbst in Streit geraten soll. Zwar hatten wir oben eine solche
scheinbare Antithetik derselben vor uns; aber es zeigte sich, dass
sie auf einem Missverstande beruhte, da man naemlich, dem gemeinen
Vorurteile gemaess, Erscheinungen fuer Sachen an sich selbst nahm, und
dann eine absolute Vollstaendigkeit ihrer Synthesis, auf eine oder
andere Art (die aber auf beiderlei Art gleich unmoeglich war),
verlangte, welches aber von Erscheinungen gar nicht erwartet werden
kann. Es war also damals kein wirklicher Widerspruch der Vernunft mit
ihr selbst bei den Saetzen: die Reihe an sich gegebener Erscheinungen
hat einen absolut ersten Anfang, und: diese Reihe ist schlechthin und
an sich selbst ohne allen Anfang; denn beide Saetze bestehen gar wohl
zusammen, weil Erscheinungen nach ihrem Dasein (als Erscheinungen)
an sich selbst gar nichts d.i. etwas Widersprechendes sind, und also
deren Voraussetzung natuerlicherweise widersprechende Folgerungen nach
sich ziehen muss.
Ein solcher Missverstand kann aber nicht vorgewandt und dadurch der
Streit der Vernunft beigelegt werden, wenn etwa theistisch behauptet
wuerde: es ist ein hoechstes Wesen, und dagegen atheistisch: es
ist kein hoechstes Wesen; oder, in der Psychologie: alles, was da
denkt, ist von absoluter beharrlicher Einheit und also von aller
vergaenglichen materiellen Einheit unterschieden, welchem ein anderer
entgegengesetzte: die Seele ist nicht immaterielle Einheit und kann
von der Vergaenglichkeit nicht ausgenommen werden. Denn der Gegenstand
der Frage ist hier von allem Fremdartigen, das seiner Natur
widerspricht, frei, und der Verstand hat es nur mit Sachen an sich
selbst und nicht mit Erscheinungen zu tun. Es wuerde also hier
freilich ein wahrer Widerstreit anzutreffen sein, wenn nur die reine
Vernunft auf der verneinenden Seite etwas zu sagen haette, was
dem Grunde einer Behauptung nahe kaeme; denn was die Kritik der
Beweisgruende des dogmatisch Bejahenden betrifft, die kann man ihm
sehr wohl einraeumen, ohne darum diese Saetze aufzugeben, die doch
wenigstens das Interesse der Vernunft fuer sich haben, darauf sich der
Gegner gar nicht berufen kann.
Ich bin zwar nicht der Meinung, welche vortreffliche und nachdenkende
Maenner (z.B. Sulzer) so oft geaeussert haben, da sie die Schwaeche
der bisherigen Beweise fuehlten: dass man hoffen koenne, man werde
dereinst noch evidente Demonstrationen der zwei Kardinalsaetze unserer
reinen Vernunft: es ist ein Gott, es ist ein kuenftiges Leben,
erfinden. Vielmehr bin ich gewiss, dass dieses niemals geschehen
werde. Denn, wo will die Vernunft den Grund zu solchen synthetischen
Behauptungen, die sich nicht auf Gegenstaende der Erfahrung und deren
innerer Moeglichkeit beziehen, hernehmen? Aber es ist auch apodiktisch
gewiss, dass niemals irgendein Mensch auftreten werde, der das
Gegenteil mit dem mindesten Scheine, geschweige dogmatisch behaupten
koenne. Denn, weil er dieses doch bloss durch reine Vernunft dartun
koennte, so muesste er es unternehmen, zu beweisen: dass ein hoechstes
Wesen, dass das in uns denkende Subjekt, als reine Intelligenz,
unmoeglich sei. Wo will er aber die Kenntnisse hernehmen, die ihn,
von Dingen ueber alle moegliche Erfahrung hinaus so synthetisch zu
urteilen, berechtigten. Wir koennen also darueber ganz unbekuemmert
sein, dass uns jemand das Gegenteil einstens beweisen werde; dass wir
darum eben nicht noetig haben, auf schulgerechte Beweise zu sinnen,
sondern immerhin diejenigen Saetze annehmen koennen, welche mit dem
spekulativen Interesse unserer Vernunft im empirischen Gebrauch ganz
wohl zusammenhaengen, und ueberdem es mit dem praktischen Interesse zu
vereinigen die einzigen Mittel sind. Fuer den Gegner (der hier nicht
bloss als Kritiker betrachtet werden muss,) haben wir unser non liquet
in Bereitschaft, welches ihn unfehlbar verwirren muss, indessen dass
wir die Retorsion desselben auf uns nicht weigern, indem wir die
subjektive Maxime der Vernunft bestaendig im Rueckhalte haben, die
dem Gegner notwendig fehlt, und unter deren Schutz wir alle seine
Luftstreiche mit Ruhe und Gleichgueltigkeit ansehen koennen.
Auf solche Weise gibt es eigentlich gar keine Antithetik der reinen
Vernunft. Denn der einzige Kampfplatz fuer sie wuerde auf dem Felde
der reinen Theologie und Psychologie zu suchen sein; dieser Boden aber
traegt keinen Kaempfer in seiner ganzen Ruestung, und mit Waffen,
die zu fuerchten waeren. Er kann nur mit Spott oder Grosssprecherei
auftreten, welches als ein Kinderspiel belacht werden kann. Das ist
eine troestende Bemerkung, die der Vernunft wieder Mut gibt; denn,
worauf wollte sie sich sonst verlassen, wenn sie, die allein alle
Irrungen abzutun berufen ist, in sich selbst zerruettet waere, ohne
Frieden und ruhigen Besitz hoffen zu koennen?
Alles, was die Natur selbst anordnet, ist zu irgendeiner Absicht gut.
Selbst Gifte dienen dazu, andere Gifte, welche sich in unseren eigenen
Saeften erzeugen, zu ueberwaeltigen, und duerfen daher in einer
vollstaendigen Sammlung von Heilmitteln (Offizin) nicht fehlen. Die
Einwuerfe, wider die Ueberredungen und den Eigenduenkel unserer bloss
spekulativen Vernunft, sind selbst durch die Natur dieser Vernunft
aufgegeben, und muessen also ihre gute Bestimmung und Absicht haben,
die man nicht in den Wind schlagen muss. Wozu hat uns die Vorsehung
manche Gegenstaende, ob sie gleich mit unserem hoechsten Interesse
zusammenhaengen, so hoch gestellt, dass uns fast nur vergoennt ist,
sie in einer undeutlichen und von uns selbst bezweifelten Wahrnehmung
anzutreffen, dadurch ausspaehende Blicke mehr gereizt, als befriedigt
werden, ob es nuetzlich sei, in Ansehung solcher Aussichten dreiste
Bestimmungen zu wagen, ist wenigstens zweifelhaft, vielleicht gar
schaedlich. Allemal aber und ohne allen Zweifel ist es nuetzlich, die
forschende sowohl, als pruefende Vernunft in voellige Freiheit zu
versetzen, damit sie ungehindert ihr eigen Interesse besorgen koenne,
welches ebensowohl dadurch befoerdert wird, dadurch, dass sie ihren
Einsichten Schranken setzt, als dass sie solche erweitert, und welches
allemal leidet, wenn sich fremde Haende einmengen, um sie wider ihren
natuerlichen Gang nach erzwungenen Absichten zu lenken.
Lasset demnach euren Gegner nur Vernunft sagen, und bekaempfst ihn
bloss mit Waffen der Vernunft. Uebrigens seid wegen der guten Sache
(des praktischen Interesses) ausser Sorgen, denn die kommt in bloss
spekulativem Streite niemals mit ins Spiel. Der Streit entdeckt
alsdann nichts, als eine gewisse Antinomie der Vernunft, die, da sie
auf ihrer Natur beruht, notwendig angehoert und geprueft werden muss.
Er kultiviert dieselbe durch Betrachtung ihres Gegenstandes auf
zweien Seiten, und berichtigt ihr Urteil dadurch, dass er solches
einschraenkt. Das, was hierbei streitig wird, ist nicht die Sache,
sondern der Ton. Denn es bleibt euch noch genug uebrig, um die vor der
schaerfsten Vernunft gerechtfertigte Sprache eines festen Glaubens zu
sprechen, wenn ihr gleich die des Wissens habt aufgeben muessen.
Wenn man den kaltbluetigen, zum Gleichgewichte des Urteils eigentlich
geschaffenen David Hume fragen sollte: was bewog euch, durch muehsam
ergruebelte Bedenklichkeiten, die fuer den Menschen so troestliche und
nuetzliche Ueberredung, dass ihre Vernunfteinsicht zur Behauptung und
dem bestimmten Begriff eines hoechsten Wesens zulange, zu untergraben?
so wuerde er antworten: nichts, als die Absicht, die Vernunft in ihrer
Selbsterkenntnis weiter zu bringen, und zugleich ein gewisser Unwille
ueber den Zwang, den man der Vernunft antun will, indem man mit ihr
gross tut, und sie zugleich hindert, ein freimuetiges Gestaendnis
ihrer Schwaechen abzulegen, die ihr bei der Pruefung ihrer Selbst
offenbar werden. Fragt ihr dagegen den, den Grundsaetzen des
empirischen Vernunftgebrauchs allein ergebenen, und aller
transzendenten Spekulation abgeneigten Priestley, was er fuer
Bewegungsgruende gehabt habe, unserer Seele Freiheit und
Unsterblichkeit (die Hoffnung des kuenftigen Lebens ist bei ihm
nur die Erwartung eines Wunders der Wiedererweckung), zwei solche
Grundpfeiler aller Religion niederzureissen, er, der selbst ein
frommer und eifriger Lehrer der Religion ist; so wuerde er nichts
anderes antworten koennen, als: das Interesse der Vernunft, welche
dadurch verliert, dass man gewisse Gegenstaende den Gesetzen der
materiellen Natur, den einzigen, die wir genau kennen und bestimmen
koennen, entziehen will. Es wuerde unbillig scheinen, den letzteren,
der seine paradoxe Behauptung mit der Religionsabsicht zu vereinigen
weiss, zu verschreien, und einem wohldenkenden Manne wehe zu tun, weil
er sich nicht zurechtfinden kann, sobald er sich aus dem Felde der
Naturlehre verloren hatte. Aber diese Gunst muss dem nicht minder gut
gesinnten und seinem sittlichen Charakter nach untadelhaften Hume so
wohl zustatten kommen, der seine abgezogene Spekulation darum nicht
verlassen kann, weil er mit Recht dafuer haelt, dass ihr Gegenstand
ganz ausserhalb den Grenzen der Naturwissenschaft im Felde reiner
Ideen liege.
Was ist nun hierbei zu tun, vornehmlich in Ansehung der Gefahr, die
daraus dem gemeinen Besten zu drohen scheint? Nichts ist natuerlicher,
nichts billiger, als die Entschliessung, die ihr deshalb zu nehmen
habt. Lasst diese Leute nur machen; wenn sie Talent, wenn sie tiefe
und neue Nachforschung, mit einem Worte, wenn sie nur Vernunft zeigen,
so gewinnt jederzeit die Vernunft. Wenn ihr andere Mittel ergreift,
als die einer zwanglosen Vernunft, wenn ihr ueber Hochverrat schreiet,
das gemeine Wesen, das sich auf so subtile Bearbeitungen gar nicht
versteht, gleichsam als zum Feuerloeschen zusammenruft, so macht
ihr euch laecherlich. Denn es ist die Rede gar nicht davon, was dem
gemeinen Besten hierunter vorteilhaft, oder nachteilig sei, sondern
nur, wie weit die Vernunft es wohl in ihrer von allem Interesse
abstrahierenden Spekulation bringen koenne, und ob man auf diese
ueberhaupt etwas rechnen, oder sie lieber gegen das Praktische gar
aufgeben muesse. Anstatt also mit dem Schwerte drein zu schlagen,
so sehet vielmehr von dem sicheren Sitze der Kritik diesem Streite
geruhig zu, der fuer die Kaempfenden muehsam, fuer euch unterhaltend,
und bei einem gewiss unblutigen Ausgange, fuer eure Einsichten
erspriesslich ausfallen muss. Denn es ist sehr was Ungereimtes,
von der Vernunft Aufklaerung zu erwarten, und ihr doch vorher
vorzuschreiben, auf welche Seite sie notwendig ausfallen muesse.
Ueberdem wird Vernunft schon von selbst durch Vernunft so wohl
gebaendigt und in Schranken gehalten, dass ihr gar nicht noetig habt,
Scharwachen aufzubieten, um demjenigen Teile, dessen besorgliche
Obermacht euch gefaehrlich scheint, buergerlichen Widerstand
entgegenzusetzen. In dieser Dialektik gibt's keinen Sieg, ueber den
ihr besorgt zu sein Ursache haettet.
Auch bedarf die Vernunft gar sehr eines solchen Streits, und es waere
zu wuenschen, dass er eher und mit uneingeschraenkter oeffentlicher
Erlaubnis waere gefuehrt worden. Denn um desto frueher waere eine
reife Kritik zustande gekommen, bei deren Erscheinung alle diese
Streithaendel von selbst wegfallen muessen, indem die Streitenden ihre
Verblendung und Vorurteile, welche sie veruneinigt haben, einsehen
lernen.
Es gibt eine gewisse Unlauterkeit in der menschlichen Natur, die
am Ende doch, wie alles, was von der Natur kommt, eine Anlage zu
guten Zwecken enthalten muss, naemlich eine Neigung, seine wahren
Gesinnungen zu verhehlen, und gewisse angenommene, die man fuer gut
und ruehmlich haelt, zur Schau zu tragen. Ganz gewiss haben die
Menschen durch diesen Hang, sowohl sich zu verhehlen, als auch einen
ihnen vorteilhaften Schein anzunehmen, sich nicht bloss zivilisiert,
sondern nach und nach, in gewisser Masse, moralisiert, weil keiner
durch die Schminke der Anstaendigkeit, Ehrbarkeit und Sittsamkeit
durchdringen konnte, also an vermeintlich echten Beispielen des
Guten, die er um sich sah, eine Schule der Besserung fuer sich selbst
fand. Allein diese Anlage, sich besser zu stellen, als man ist, und
Gesinnungen zu aeussern, die man nicht hat, dient nur gleichsam
provisorisch dazu, um den Menschen aus der Rohigkeit zu bringen, und
ihn zuerst wenigstens die Manier des Guten, das er kennt, annehmen zu
lassen; denn nachher, wenn die echten Grundsaetze einmal entwickelt
und in die Denkungsart uebergegangen sind, so muss jene Falschheit
nach und nach kraeftig bekaempft werden, weil sie sonst das Herz
verdirbt, und gute Gesinnungen unter dem Wucherkraute des schoenen
Scheins nicht aufkommen laesst.
Es tut mir leid, eben dieselbe Unlauterkeit, Verstellung und Heuchelei
sogar in den Aeusserungen der spekulativen Denkungsart wahrzunehmen,
worin doch Menschen, das Gestaendnis ihrer Gedanken billigermassen
offen und unverhohlen zu entdecken, weit weniger Hindernisse und gar
keinen Vorteil haben. Denn was kann den Einsichten nachteiliger sein,
als sogar blosse Gedanken verfaelscht einander mitzuteilen, Zweifel,
die wir wider unsere eigenen Behauptungen fuehlen, zu verhehlen, oder
Beweisgruenden, die uns selbst nicht genugtun, einen Anstrich von
Evidenz zu geben? So lange indessen bloss die Privateitelkeit diese
geheimen Raenke anstiftet (welches in spekulativen Urteilen, die
kein besonderes Interesse haben und nicht leicht einer apodiktischen
Gewissheit faehig sind, gemeiniglich der Fall ist), so widersteht
denn doch die Eitelkeit anderer mit oeffentlicher Genehmigung, und
die Sachen kommen zuletzt dahin, wo die lauterste Gesinnung und
Aufrichtigkeit, obgleich weit frueher, sie gebracht haben wuerde. Wo
aber das gemeine Wesen dafuer haelt, dass spitzfindige Vernuenftler
mit nichts minderem umgehen, als die Grundfeste der oeffentlichen
Wohlfahrt wankend zu machen, da scheint es nicht allein der Klugheit
gemaess, sondern auch erlaubt und wohl gar ruehmlich, der guten Sache
eher durch Scheingruende zu Hilfe zu kommen, als den vermeintlichen
Gegnern derselben auch nur den Vorteil zu lassen, unseren Ton zur
Maessigung einer bloss praktischen Ueberzeugung herabzustimmen,
und uns zu noetigen, den Mangel der spekulativen und apodiktischen
Gewissheit zu gestehen. Indessen sollte ich denken, dass sich mit der
Absicht, eine gute Sache zu behaupten, in der Welt wohl nichts uebler,
als Hinterlist, Verstellung und Betrug vereinigen lasse. Dass es in
der Abwiegung der Vernunftgruende, einer blossen Spekulation alles
ehrlich zugehen muesse, ist wohl das wenigste, was man fordern kann.
Koennte man aber auch nur auf dieses Wenige sicher rechnen, so waere
der Streit der spekulativen Vernunft ueber die wichtigen Fragen von
Gott, der Unsterblichkeit (der Seele) und der Freiheit, entweder
laengst entschieden, oder wuerde sehr bald zu Ende gebracht werden.
So steht oefters die Lauterkeit der Gesinnung im umgekehrten
Verhaeltnisse der Gutartigkeit der Sache selbst, und diese hat
vielleicht mehr aufrichtige und redliche Gegner, als Verteidiger.
Ich setze also Leser voraus, die keine gerechte Sache mit Unrecht
verteidigt wissen wollen. In Ansehung deren ist es nun entschieden,
dass, nach unseren Grundsaetzen der Kritik, wenn man nicht auf
dasjenige sieht, was geschieht, sondern was billig geschehen sollte,
es eigentlich gar keine Polemik der reinen Vernunft geben muesse.
Denn wie koennen zwei Personen einen Streit ueber eine Sache fuehren,
deren Realitaet keiner von beiden in einer wirklichen, oder auch nur
moeglichen Erfahrung darstellen kann, ueber deren Idee er allein
bruetet, um aus ihr etwas mehr als Idee, naemlich die Wirklichkeit
des Gegenstandes selbst, herauszubringen? Durch welches Mittel wollen
sie aus dem Streite herauskommen, da keiner von beiden seine Sache
geradezu begreiflich und gewiss machen, sondern nur die seines Gegners
angreifen und widerlegen kann? Denn dieses ist das Schicksal aller
Behauptungen der reinen Vernunft: dass, da sie ueber die Bedingungen
aller moeglichen Erfahrung hinausgehen, ausserhalb welchen kein
Dokument der Wahrheit irgendwo angetroffen wird, sich aber gleichwohl
der Verstandesgesetze, die bloss zum empirischen Gebrauche bestimmt
sind, ohne die sich aber kein Schritt im synthetischen Denken tun
laesst, bedienen muessen, sie dem Gegner jederzeit Bloessen geben und
sich gegenseitig die Bloesse ihres Gegners zunutze machen koennen.
Man kann die Kritik der reinen Vernunft als den wahren Gerichtshof
fuer alle Streitigkeiten derselben ansehen; denn sie ist in die
letzteren, als welche auf Objekte unmittelbar gehen, nicht mit
verwickelt, sondern ist dazu gesetzt, die Rechtsame der Vernunft
ueberhaupt nach den Grundsaetzen ihrer ersten Institution zu bestimmen
und zu beurteilen.
Ohne dieselbe ist die Vernunft gleichsam im Stande der Natur, und
kann ihre Behauptungen und Ansprueche nicht anders geltend machen,
oder sichern, als durch Krieg. Die Kritik dagegen, welche alle
Entscheidungen aus den Grundregeln ihrer eigenen Einsetzung hernimmt,
deren Ansehen keiner bezweifeln kann, verschafft uns die Ruhe eines
gesetzlichen Zustandes, in welchem wir unsere Streitigkeit nicht
anders fuehren sollen, als durch Prozess. Was die Haendel in dem
ersten Zustande endigt, ist ein Sieg, dessen sich beide Teile ruehmen,
auf den mehrenteils ein nur unsicherer Friede folgt, den die Obrigkeit
stiftet, welche sich ins Mittel legt, im zweiten aber die Sentenz,
die, weil sie hier die Quelle der Streitigkeiten selbst trifft,
einen ewigen Frieden gewaehren muss. Auch noetigen die endlosen
Streitigkeiten einer bloss dogmatischen Vernunft, endlich in
irgendeiner Kritik dieser Vernunft selbst, und einer Gesetzgebung, die
sich auf sie gruendet, Ruhe zu suchen; so wie Hobbes behauptet: der
Stand der Natur sei ein Stand des Unrechts und der Gewalttaetigkeit,
und man muesse ihn notwendig verlassen, um sich dem gesetzlichen
Zwange zu unterwerfen, der allein unsere Freiheit dahin einschraenkt,
dass sie mit jedes anderen Freiheit und eben dadurch mit dem gemeinen
Besten zusammen bestehen koenne.
Zu dieser Freiheit gehoert denn auch die, seine Gedanken, seine
Zweifel, die man sich nicht selbst aufloesen kann, oeffentlich zur
Beurteilung auszustellen, ohne darueber fuer einen unruhigen und
gefaehrlichen Buerger verschrieen zu werden. Dies liegt schon
in dem urspruenglichen Rechte der menschlichen Vernunft, welche
keinen anderen Richter erkennt, als selbst wiederum die allgemeine
Menschenvernunft, worin ein jeder seine Stimme hat; und, da von dieser
alle Besserung, deren unser Zustand faehig ist, herkommen muss, so ist
ein solches Recht heilig, und darf nicht geschmaelert werden. Auch ist
es sehr unweise, gewisse gewagte Behauptungen oder vermessene Angriffe
auf die, welche schon die Beistimmung des groessten und besten
Teils des gemeinen Wesens auf ihrer Seite haben, fuer gefaehrlich
auszuschreien: denn das heisst, ihnen eine Wichtigkeit geben, die sie
gar nicht haben sollten. Wenn ich hoere, dass ein nicht gemeiner Kopf
die Freiheit des menschlichen Willens, die Hoffnung eines kuenftigen
Lebens, und das Dasein Gottes wegdemonstriert haben solle, so bin ich
begierig, das Buch zu lesen, denn ich erwarte von seinem Talent, dass
er meine Einsichten weiter bringen werde. Das weiss ich schon zum
voraus voellig gewiss, dass er nichts von allem diesem wird geleistet
haben, nicht darum, weil ich etwa schon im Besitze unbezwinglicher
Beweise dieser wichtigen Saetze zu sein glaubte, sondern weil mich
die transzendentale Kritik, die mir den ganzen Vorrat unserer reinen
Vernunft aufdeckte, voellig ueberzeugt hat, dass, so wie sie zu
bejahenden Behauptungen in diesem Felde ganz unzulaenglich ist,
so wenig und noch weniger werde sie wissen, um ueber diese Fragen
etwas verneinend behaupten zu koennen. Denn, wo will der angebliche
Freigeist seine Kenntnis hernehmen, dass es z.B. kein hoechstes Wesen
gebe? Dieser Satz liegt ausserhalb dem Felde moeglicher Erfahrung,
und darum auch ausser den Grenzen aller menschlichen Einsicht. Den
dogmatischen Verteidiger der guten Sache gegen diesen Feind wuerde
ich gar nicht lesen, weil ich zum voraus weiss, dass er nur darum die
Scheingruende des anderen angreifen werde, um seinen eigenen Eingang
zu verschaffen, ueberdem ein alltaegiger Schein doch nicht so viel
Stoff zu neuen Bemerkungen gibt, als ein befremdlicher und sinnreich
ausgedachter. Hingegen wuerde der nach seiner Art auch dogmatische
Religionsgegner, meiner Kritik gewuenschte Beschaeftigung und
Anlass zu mehrerer Berichtigung ihrer Grundsaetze geben, ohne dass
seinetwegen im mindesten etwas zu befuerchten waere.
Aber die Jugend, welche dem akademischen Unterrichte anvertraut ist,
soll doch wenigstens vor dergleichen Schriften gewarnt, und von der
fruehen Kenntnis so gefaehrlicher Saetze abgehalten werden, ehe ihre
Urteilskraft gereift, oder vielmehr die Lehre, welche man in ihnen
gruenden will, fest gewurzelt ist, um aller Ueberredung zum Gegenteil,
woher sie auch kommen moege, kraeftig zu widerstehen?
Muesste es bei dem dogmatischen Verfahren in Sachen der reinen
Vernunft bleiben, und die Abfertigung der Gegner eigentlich polemisch,
d.i. so beschaffen sein, dass man sich ins Gefecht einliesse, und mit
Beweisgruenden zu entgegengesetzten Behauptungen bewaffnete, so waere
freilich nichts ratsamer vor der Hand, aber zugleich nichts eitler und
fruchtloser auf die Dauer, als die Vernunft der Jugend eine Zeitlang
unter Vormundschaft zu setzen, und wenigstens so lange vor Verfuehrung
zu bewahren. Wenn aber in der Folge entweder Neugierde, oder der
Modeton des Zeitalters ihr dergleichen Schriften in die Haende
spielen: wird alsdann jene jugendliche Ueberredung noch Stich halten?
Derjenige, der nichts als dogmatische Waffen mitbringt, um den
Angriffen seines Gegners zu widerstehen, und die verborgene Dialektik,
die nicht minder in seinem eigenen Busen, als in dem des Gegenteils
liegt, nicht zu entwickeln weiss, sieht Scheingruende, die den Vorzug
der Neuigkeit haben, gegen Scheingruende, welche dergleichen nicht
mehr haben, sondern vielmehr den Verdacht einer missbrauchten
Leichtglaeubigkeit der Jugend erregen, auftreten. Er glaubt nicht
besser zeigen zu koennen, dass er der Kinderzucht entwachsen sei,
als wenn er sich ueber jene wohlgemeinten Warnungen wegsetzt, und,
dogmatisch gewohnt, trinkt er das Gift, das seine Grundsaetze
dogmatisch verdirbt, in langen Zuegen in sich.
Gerade das Gegenteil von dem, was man hier anraet, muss in der
akademischen Unterweisung geschehen, aber freilich nur unter der
Voraussetzung eines gruendlichen Unterrichts in der Kritik der reinen
Vernunft. Denn, um die Prinzipien derselben so frueh als moeglich
in Ausuebung zu bringen, und ihre Zulaenglichkeit bei dem groessten
dialektischen Scheine zu zeigen, ist es durchaus noetig, die fuer den
Dogmatiker so furchtbaren Angriffe wider seine, obzwar noch schwache,
aber durch Kritik aufgeklaerte Vernunft zu richten, und ihn den
Versuch machen zu lassen, die grundlosen Behauptungen des Gegners
Stueck fuer Stueck an jenen Grundsaetzen zu pruefen. Es kann ihm gar
nicht schwer werden, sie in lauter Dunst aufzuloesen, und so fuehlt
er fruehzeitig seine eigene Kraft, sich wider dergleichen schaedliche
Blendwerke, die fuer ihn zuletzt allen Schein verlieren muessen,
voellig zu sichern. Ob nun zwar eben dieselben Streiche, die das
Gebaeude des Feindes niederschlagen, auch seinem eigenen spekulativen
Bauwerke, wenn er etwa dergleichen zu errichten gedaechte, ebenso
verderblich sein muessen: so ist er darueber doch gaenzlich
unbekuemmert, indem er es gar nicht bedarf, darinnen zu wohnen,
sondern noch eine Aussicht in das praktische Feld vor sich hat,
wo er mit Grund einen festeren Boden hoffen kann, um darauf sein
vernuenftiges und heilsames System zu errichten.
So gibts demnach keine eigentliche Polemik im Felde der reinen
Vernunft. Beide Teile sind Luftfechter, die sich mit ihrem Schatten
herumbalgen, denn sie gehen ueber die Natur hinaus, wo fuer ihre
dogmatischen Griffe nichts vorhanden ist, was sich fassen und halten
liesse. Sie haben gut kaempfen; die Schatten, die sie zerhauen,
wachsen, wie die Helden in Walhalla, in einem Augenblicke wiederum
zusammen, um sich aufs neue in unblutigen Kaempfen belustigen zu
koennen.
Es gibt aber auch keinen zulaessigen skeptischen Gebrauch der reinen
Vernunft, welchen man den Grundsatz der Neutralitaet bei allen ihren
Streitigkeiten nennen koennte. Die Vernunft wider sich selbst zu
verhetzen, ihr auf beiden Seiten Waffen zu reichen, und alsdann ihrem
hitzigsten Gefechte ruhig und spoettisch zuzusehen, sieht aus einem
dogmatischen Gesichtspunkte nicht wohl aus, sondern hat das Ansehen
einer schadenfrohen und haemischen Gemuetsart an sich. Wenn man
indessen die unbezwingliche Verblendung und das Grosstun der
Vernuenftler, die sich durch keine Kritik will maessigen
lassen, ansieht, so ist doch wirklich kein anderer Rat, als der
Grosssprecherei auf einer Seite, eine andere, welche auf eben
dieselben Rechte fusst, entgegen zu setzen, damit die Vernunft durch
den Widerstand eines Feindes wenigstens nur stutzig gemacht werde, um
in ihre Anmassungen einigen Zweifel zu setzen, und der Kritik Gehoer
zu geben. Allein es bei diesen Zweifeln gaenzlich bewenden zu lassen,
und es darauf auszusetzen, die Ueberzeugung und das Gestaendnis seiner
Unwissenheit, nicht bloss als ein Heilmittel wider den dogmatischen
Eigenduenkel, sondern zugleich als die Art, den Streit der Vernunft
mit sich selbst zu beendigen, empfehlen zu wollen, ist ein ganz
vergeblicher Anschlag, und kann keineswegs dazu tauglich sein, der
Vernunft einen Ruhestand zu verschaffen, sondern ist hoechstens nur
ein Mittel, sie aus ihrem suessen dogmatischen Traume zu erwecken, um
ihren Zustand in sorgfaeltigere Pruefung zu ziehen. Da indessen diese
skeptische Manier, sich aus einem verdriesslichen Handel der Vernunft
zu ziehen, gleichsam der kurze Weg zu sein scheint, zu einer
beharrlichen philosophischen Ruhe zu gelangen, wenigstens die
Heeresstrasse, welche diejenigen gern einschlagen, die sich in
einer spoettischen Verachtung aller Nachforschungen dieser Art ein
philosophisches Ansehen zu geben meinen, so finde ich es noetig, diese
Denkungsart in ihrem eigentuemlichen Lichte darzustellen.
Von der Unmoeglichkeit einer skeptischen Befriedigung der mit sich
selbst veruneinigten reinen Vernunft
Das Bewusstsein meiner Unwissenheit, (wenn diese nicht zugleich als
notwendig erkannt wird,) statt dass sie meine Untersuchungen endigen
sollte, ist vielmehr die eigentliche Ursache, sie zu erwecken. Alle
Unwissenheit ist entweder die der Sachen, oder der Bestimmung und
Grenzen meiner Erkenntnis. Wenn die Unwissenheit nun zufaellig ist, so
muss sie mich antreiben, im ersteren Falle den Sachen (Gegenstaenden)
dogmatisch, im zweiten den Grenzen meiner moeglichen Erkenntnis
kritisch nachzuforschen. Dass aber meine Unwissenheit schlechthin
notwendig sei, und mich daher von aller weiteren Nachforschung
freispreche, laesst sich nicht empirisch, aus Beobachtung, sondern
allein kritisch, durch Ergruendung der ersten Quellen unserer
Erkenntnis ausmachen. Also kann die Grenzbestimmung unserer Vernunft
nur nach Gruenden a priori geschehen; die Einschraenkung derselben
aber, welche eine obgleich nur unbestimmte Erkenntnis einer nie
voellig zu hebenden Unwissenheit ist, kann auch a posteriori, durch
das, was uns bei allem Wissen immer noch zu wissen uebrigbleibt,
erkannt werden. Jene durch Kritik der Vernunft selbst allein moegliche
Erkenntnis seiner Unwissenheit ist also Wissenschaft, diese ist nichts
als Wahrnehmung, von der man nicht sagen kann, wie weit der Schluss
aus selbiger reichen moege. Wenn ich mir die Erdflaeche (dem
sinnlichen Scheine gemaess) als einen Teller vorstelle, so kann ich
nicht wissen, wie weit sie sich erstrecke. Aber das lehrt mich die
Erfahrung: dass, wohin ich nur komme, ich immer einen Raum um mich
sehe, dahin ich weiter fortgehen koennte; mithin erkenne ich Schranken
meiner jedesmal wirklichen Erdkunde, aber nicht die Grenzen aller
moeglichen Erdbeschreibung. Bin ich aber doch so weit gekommen, zu
wissen, dass die Erde eine Kugel und ihre Flaeche eine Kugelflaeche
sei, so kann ich auch aus einem kleinen Teil derselben, z.B. der
Groesse eines Grades, den Durchmesser, und, durch diesen, die voellige
Begrenzung der Erde, d.i. ihre Oberflaeche, bestimmt und nach
Prinzipien a priori erkennen; und ob ich gleich in Ansehung der
Gegenstaende, die diese Flaeche enthalten mag, unwissend bin, so bin
ich es doch nicht in Ansehung des Umfanges, der sie enthaelt, der
Groesse und Schranken derselben.
Der Inbegriff aller moeglichen Gegenstaende fuer unsere Erkenntnis
scheint uns eine ebene Flaeche zu sein, die ihren scheinbaren Horizont
hat, naemlich das, was den ganzen Umfang derselben befasst und von
uns der Vernunftbegriff der unbedingten Totalitaet genannt worden.
Empirisch denselben zu erreichen, ist unmoeglich, und nach einem
gewissen Prinzip ihn a priori zu bestimmen, dazu sind alle Versuche
vergeblich gewesen. Indessen gehen doch alle Fragen unserer reinen
Vernunft auf das, was ausserhalb diesem Horizonte, oder allenfalls
auch in seiner Grenzlinie liegen moege.
Der beruehmte David Hume war einer dieser Geographen der menschlichen
Vernunft, welcher jene Fragen insgesamt dadurch hinreichend
abgefertigt zu haben vermeinte, dass er sie ausserhalb den Horizont
derselben verwies, den er doch nicht bestimmen konnte. Er hielt sich
vornehmlich bei dem Grundsatze der Kausalitaet auf, und bemerkte
von ihm ganz richtig, dass man seine Wahrheit (ja nicht einmal die
objektive Gueltigkeit des Begriffs einer wirkenden Ursache ueberhaupt)
auf gar keine Einsicht, d.i. Erkenntnis a priori, fusse, dass daher
auch nicht im mindesten die Notwendigkeit dieses Gesetzes, sondern
eine blosse allgemeine Brauchbarkeit desselben in dem Laufe der
Erfahrung und eine daher entspringende subjektive Notwendigkeit, die
er Gewohnheit nennt, sein ganzes Ansehen ausmache. Aus dem Unvermoegen
unserer Vernunft nun, von diesem Grundsatze einen ueber alle Erfahrung
hinausgehenden Gebrauch zu machen, schloss er die Nichtigkeit
aller Anmassungen der Vernunft ueberhaupt ueber das Empirische
hinauszugehen.
Man kann ein Verfahren dieser Art, die Fakta der Vernunft der Pruefung
und nach Befinden dem Tadel zu unterwerfen, die Zensur der Vernunft
nennen. Es ist ausser Zweifel, dass diese Zensur unausbleiblich auf
Zweifel gegen allen transzendenten Gebrauch der Grundsaetze fuehre.
Allein dies ist nur der zweite Schritt, der noch lange nicht das Werk
vollendet. Der erste Schritt in Sachen der reinen Vernunft, der das
Kindesalter derselben auszeichnet ist dogmatisch. Der obengenannte
zweite Schritt ist skeptisch, und zeigt von Vorsichtigkeit der durch
Erfahrung gewitzigten Urteilskraft. Nun ist aber noch ein dritter
Schritt noetig, der nur der gereiften und maennlichen Urteilskraft,
welche feste und ihrer Allgemeinheit nach bewaehrte Maximen zum Grunde
hat; naemlich, nicht die Fakta der Vernunft, sondern die Vernunft
selbst, nach ihrem ganzen Vermoegen und Tauglichkeit zu reinen
Erkenntnissen a priori, der Schaetzung zu unterwerfen; welches nicht
die Zensur, sondern Kritik der Vernunft ist, wodurch nicht bloss
Schranken, sondern die bestimmten Grenzen derselben, nicht bloss
Unwissenheit an einem oder anderen Teil, sondern in Ansehung aller
moeglichen Fragen von einer gewissen Art, und zwar nicht etwa
nur vermutet, sondern aus Prinzipien bewiesen wird. So ist der
Skeptizismus ein Ruheplatz fuer die menschliche Vernunft, da sie sich
ueber ihre dogmatische Wanderung besinnen und den Entwurf von der
Gegend machen kann, wo sie sich befindet, um ihren Weg fernerhin mit
mehrerer Sicherheit waehlen zu koennen, aber nicht ein Wohnplatz zum
bestaendigen Aufenthalte; denn dieser kann nur in einer voelligen
Gewissheit angetroffen werden, es sei nun der Erkenntnis der
Gegenstaende selbst, oder der Grenzen, innerhalb denen alle unsere
Erkenntnis von Gegenstaenden eingeschlossen ist.
Unsere Vernunft ist nicht etwa eine unbestimmbar weit ausgebreitete
Ebene, deren Schranken man nur so ueberhaupt erkennt, sondern muss
vielmehr mit einer Sphaere verglichen werden, deren Halbmesser
sich aus der Kruemmung des Bogens auf ihrer Oberflaeche (der Natur
synthetischer Saetze a priori) finden, daraus aber auch der Inhalt und
die Begrenzung derselben mit Sicherheit angeben laesst. Ausser dieser
Sphaere (Feld der Erfahrung) ist nichts von ihr Objekt, ja selbst
Fragen ueber dergleichen vermeintliche Gegenstaende betreffen
nur subjektive Prinzipien einer durchgaengigen Bestimmung der
Verhaeltnisse, welche unter den Verstandesbegriffen innerhalb dieser
Sphaere vorkommen koennen.
Wir sind wirklich im Besitz synthetischer Erkenntnis a priori, wie
dieses die Verstandesgrundsaetze, welche die Erfahrung antizipieren,
dartun. Kann jemand nun die Moeglichkeit derselben sich gar nicht
begreiflich machen, so mag er zwar anfangs zweifeln, ob sie uns auch
wirklich a priori beiwohnen; er kann dieses aber noch nicht fuer eine
Unmoeglichkeit derselben, durch blosse Kraefte des Verstandes, und
alle Schritte, die die Vernunft nach der Richtschnur derselben tut,
fuer nichtig ausgeben. Er kann nur sagen: wenn wir ihren Ursprung und
Echtheit einsaehen, so wuerden wir den Umfang und die Grenzen unserer
Vernunft bestimmen koennen; ehe aber dieses geschehen ist, sind alle
Behauptungen der letzten blindlings gewagt. Und auf solche Weise waere
ein durchgaengiger Zweifel an alle dogmatischen Philosophie, die ohne
Kritik der Vernunft selbst ihren Gang geht, ganz wohl gegruendet;
allein darum koennte doch der Vernunft nicht ein solcher Fortgang,
wenn er durch bessere Grundlegung vorbereitet und gesichert wuerde,
gaenzlich abgesprochen werden. Denn, einmal liegen alle Begriffe, ja
alle Fragen, welche uns die reine Vernunft vorlegt, nicht etwa in der
Erfahrung, sondern selbst wiederum nur in der Vernunft, und muessen
daher koennen aufgeloest und ihrer Gueltigkeit oder Nichtigkeit nach
begriffen werden. Wir sind auch nicht berechtigt, diese Aufgaben, als
laege ihre Aufloesung wirklich in der Natur der Dinge, doch unter
dem Vorwande unseres Unvermoegens abzuweisen, und uns ihrer weiteren
Nachforschung zu weigern, da die Vernunft in ihrem Schosse allein
diese Ideen selbst erzeugt hat, von deren Gueltigkeit oder
dialektischen Scheine sie also Rechenschaft zu geben gehalten ist.
Alles skeptische Polemisieren ist eigentlich nur wider den Dogmatiker
gekehrt, der, ohne ein Misstrauen auf seine urspruenglichen objektiven
Prinzipien zu setzen, d.i. ohne Kritik, gravitaetisch seinen Gang
fortsetzt, bloss um ihm das Konzept zu verruecken und ihn zur
Selbsterkenntnis zu bringen. An sich macht sie in Ansehung dessen,
was wir wissen und was wir dagegen nicht wissen koennen, ganz und gar
nichts aus. Alle fehlgeschlagenen dogmatischen Versuche der Vernunft
sind Fakta, die der Zensur zu unterwerfen immer nuetzlich ist. Dieses
aber kann nichts ueber die Erwartungen der Vernunft entscheiden, einen
besseren Erfolg ihrer kuenftigen Bemuehungen zu hoffen und darauf
Ansprueche zu machen; die blosse Zensur kann also die Streitigkeit
ueber die Rechtsame der menschlichen Vernunft niemals zu Ende bringen.
Da Hume vielleicht der geistreichste unter allen Skeptikern, und ohne
Widerrede der vorzueglichste in Ansehung des Einflusses ist, den
das skeptische Verfahren auf die Erweckung einer gruendlichen
Vernunftpruefung haben kann, so verlohnt es wohl der Muehe, den
Gang seiner Schluesse und die Verirrungen eines einsehenden und
schaetzbaren Mannes, die doch auf der Spur der Wahrheit angefangen
haben, so weit es zu meiner Absicht schicklich ist, vorstellig zu
machen.
Hume hatte es vielleicht in Gedanken, wiewohl er es niemals voellig
entwickelte, dass wir in Urteilen von gewisser Art, ueber unseren
Begriff vom Gegenstande hinausgehen. Ich habe diese Art von Urteilen
synthetisch genannt. Wie ich aus meinem Begriffe, den ich bis dahin
habe, vermittelst der Erfahrung hinausgehen koenne, ist keiner
Bedenklichkeit unterworfen. Erfahrung ist selbst eine solche Synthesis
der Wahrnehmungen, welche meinen Begriff, den ich vermittelst einer
Wahrnehmung habe, durch andere hinzukommende vermehrt. Allein wir
glauben auch a priori aus unserem Begriffe hinausgehen und unsere
Erkenntnis erweitern zu koennen. Dieses versuchen wir entweder durch
den reinen Verstand, in Ansehung desjenigen, was wenigstens ein Objekt
der Erfahrung sein kann, oder sogar durch reine Vernunft, in Ansehung
solcher Eigenschaften der Dinge, oder auch wohl des Daseins solcher
Gegenstaende, die in der Erfahrung niemals vorkommen koennen. Unser
Skeptiker unterschied diese beiden Arten der Urteile nicht, wie er
es doch haette tun sollen, und hielt geradezu diese Vermehrung der
Begriffe aus sich selbst, und, sozusagen, die Selbstgebaerung unseres
Verstandes (samt der Vernunft), ohne durch Erfahrung geschwaengert zu
sein, fuer unmoeglich, mithin alle vermeintlichen Prinzipien derselben
a priori fuer eingebildet, und fand, dass sie nichts als eine aus
Erfahrung und deren Gesetzen entspringende Gewohnheit, mithin bloss
empirische d.i. an sich zufaellige Regeln sind, denen wir eine
vermeinte Notwendigkeit und Allgemeinheit beimessen. Er bezog sich
aber zu Behauptung dieses befremdlichen Satzes auf den allgemein
anerkannten Grundsatz von dem Verhaeltnis der Ursache zur Wirkung.
Denn da uns kein Verstandesvermoegen von dem Begriffe eines Dinges
zu dem Dasein von etwas anderem, was dadurch allgemein und notwendig
gegeben sei, fuehren kann: so glaubte er daraus folgern zu koennen,
dass wir ohne Erfahrung nichts haben, was unseren Begriff vermehren
und uns zu einem solchen a priori sich selbst erweiternden Urteile
berechtigen koennte. Dass das Sonnenlicht, welches das Wachs
beleuchtet, es zugleich schmelze, indessen es den Ton haertet, koenne
kein Verstand aus Begriffen, die wir vorher von diesen Dingen hatten,
erraten, viel weniger gesetzmaessig schliessen, und nur Erfahrung
koenne uns ein solches Gesetz lehren. Dagegen haben wir in der
transzendentalen Logik gesehen: dass, ob wir zwar niemals unmittelbar
ueber den Inhalt des Begriffs, der uns gegeben ist, hinausgehen
koennen, wir doch voellig a priori, aber in Beziehung auf ein drittes,
naemlich moegliche Erfahrung, also doch a priori, das Gesetz der
Verknuepfung mit anderen Dingen erkennen koennen. Wenn also vorher
fest gewesenes Wachs schmilzt, so kann ich a priori erkennen, dass
etwas vorausgegangen sein muesse, (z.B. Sonnenwaerme,) worauf dieses
nach einem bestaendigen Gesetze gefolgt ist, ob ich zwar, ohne
Erfahrung, aus der Wirkung weder die Ursache noch aus der Ursache, die
Wirkung, a priori und ohne Belehrung der Erfahrung bestimmt erkennen
koennte. Er schloss also faelschlich aus der Zufaelligkeit unserer
Bestimmung nach dem Gesetze, auf die Zufaelligkeit des Gesetzes
selbst, und das Herausgehen aus dem Begriffe eines Dinges auf
moegliche Erfahrung (welche a priori geschieht und die objektive
Realitaet desselben ausmacht,) verwechselte er mit der Synthesis der
Gegenstaende wirklicher Erfahrung, welche freilich jederzeit empirisch
ist; dadurch machte er aber aus einem Prinzip der Affinitaet, welches
im Verstande seinen Sitz hat, und notwendige Verknuepfung aussagt,
eine Regel der Assoziation, die bloss in der nachbildenden
Einbildungskraft angetroffen wird, und nur zufaellige, gar nicht
objektive Verbindungen darstellen kann.
Die skeptischen Verirrungen aber dieses sonst aeusserst scharfsinnigen
Mannes entsprangen vornehmlich aus einem Mangel, den er doch mit
allen Dogmatikern gemein hatte naemlich, dass er nicht alle Arten
der Synthesis des Verstandes a priori systematisch uebersah. Denn
da wuerde er, ohne der uebrigen hier Erwaehnung zu tun, z.B. den
Grundsatz der Beharrlichkeit als einen solchen gefunden haben, der
ebensowohl, als der der Kausalitaet, die Erfahrung antizipiert.
Dadurch wuerde er auch dem a priori sich erweiternden Verstande und
der reinen Vernunft bestimmte Grenzen haben vorzeichnen koennen. Da er
aber unseren Verstand nur einschraenkt, ohne ihn zu begrenzen, und,
zwar ein allgemeines Misstrauen, aber keine bestimmte Kenntnis der uns
unvermeidlichen Unwissenheit zustande bringt, da er einige Grundsaetze
des Verstandes unter Zensur bringt, ohne diesen Verstand in Ansehung
seines ganzen Vermoegens auf die Probierwage der Kritik zu bringen,
und, indem er ihm dasjenige abspricht, was er wirklich nicht leisten
kann, weiter geht, und ihm alles Vermoegen, sich a priori zu
erweitern, streitet, unerachtet er dieses ganze Vermoegen nicht
zur Schaetzung gezogen; so widerfaehrt ihm das, was jederzeit den
Skeptizismus niederschlaegt, naemlich, dass er selbst bezweifelt wird,
indem seine Einwuerfe nur auf Faktis, welche zufaellig sind, nicht
aber auf Prinzipien beruhen, die eine notwendige Entsagung auf das
Recht dogmatischer Behauptungen bewirken koennten.
Da er auch zwischen den gegruendeten Anspruechen des Verstandes
und den dialektischen Anmassungen der Vernunft, wider welche doch
hauptsaechlich seine Angriffe gerichtet sind, keinen Unterschied
kennt: so fuehlt die Vernunft, deren ganz eigentuemlicher Schwung
hierbei nicht im mindesten gestoert, sondern nur gehindert worden,
den Raum zu ihrer Ausbreitung nicht verschlossen, und kann von
ihren Versuchen, unerachtet sie hier oder da gezwackt wird, niemals
gaenzlich abgebracht werden. Denn wider Angriffe ruestet man sich zur
Gegenwehr, und setzt noch um desto steifer seinen Kopf darauf, um
seine Forderungen durchzusetzen. Ein voelliger Ueberschlag aber seines
ganzen Vermoegens und die daraus entspringende Ueberzeugung der
Gewissheit eines kleinen Besitzes, bei der Eitelkeit hoeherer
Ansprueche, hebt allen Streit auf, und bewegt, sich in einem
eingeschraenkten, aber unstrittigen Eigentume friedfertig zu
begnuegen.
Wider den unkritischen Dogmatiker, der die Sphaere seines Verstandes
nicht gemessen, mithin die Grenzen seiner moeglichen Erkenntnis nicht
nach Prinzipien bestimmt hat, der also nicht schon zum voraus weiss,
wie viel er kann, sondern es durch blosse Versuche ausfindig zu machen
denkt, sind diese skeptischen Angriffe nicht allein gefaehrlich,
sondern ihm sogar verderblich. Denn, wenn er auf einer einzigen
Behauptung betroffen wird, die er nicht rechtfertigen, deren Schein er
aber auch nicht aus Prinzipien entwickeln kann, so faellt der Verdacht
auf alle, so ueberredend sie auch sonst immer sein moegen.
Und so ist der Skeptiker der Zuchtmeister des dogmatischen
Vernuenftlers auf eine gesunde Kritik des Verstandes und der Vernunft
selbst. Wenn er dahin gelangt ist, so hat er weiter keine Anfechtung
zu fuerchten; denn er unterscheidet alsdann seinen Besitz von dem, was
gaenzlich ausserhalb demselben liegt, worauf er keine Ansprueche macht
und darueber auch nicht in Streitigkeiten verwickelt werden kann.
So ist das skeptische Verfahren zwar an sich selbst fuer die
Vernunftfragen nicht befriedigend, aber doch voruebend, um ihre
Vorsichtigkeit zu erwecken und auf gruendliche Mittel zu weisen, die
sie in ihren rechtmaessigen Besitzen sichern koennen.
Des ersten Hauptstuecks
Dritter Abschnitt
Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung der Hypothesen
Weil wir denn durch Kritik unserer Vernunft endlich so viel wissen,
dass wir in ihrem reinen und spekulativen Gebrauche in der Tat gar
nichts wissen koennen; sollte sie nicht ein desto weiteres Feld zu
Hypothesen eroeffnen, da es wenigstens vergoennt ist, zu dichten und
zu meinen, wenngleich nicht zu behaupten?
Wo nicht etwa Einbildungskraft schwaermen, sondern, unter der strengen
Aufsicht der Vernunft, dichten soll, so muss immer vorher etwas
voellig gewiss und nicht erdichtet, oder blosse Meinung sein, und das
ist die Moeglichkeit des Gegenstandes selbst. Alsdann ist es wohl
erlaubt, wegen der Wirklichkeit desselben, zur Meinung seine Zuflucht
zu nehmen, die aber, um nicht grundlos zu sein, mit dem, was wirklich
gegeben und folglich gewiss ist, als Erklaerungsgrund in Verknuepfung
gebracht werden muss, und alsdann Hypothese heisst.
Da wir uns nun von der Moeglichkeit der dynamischen Verknuepfung a
priori nicht den mindesten Begriff machen koennen, und die Kategorie
des reinen Verstandes nicht dazu dient, dergleichen zu erdenken,
sondern nur, wo sie in der Erfahrung angetroffen wird, zu verstehen:
so koennen wir nicht einen einzigen Gegenstand, nach einer neuen
und empirisch nicht anzugebenden Beschaffenheit, diesen Kategorien
gemaess, urspruenglich aussinnen und sie einer erlaubten Hypothese zum
Grunde legen; denn dieses hiesse, der Vernunft leere Hirngespinste,
statt der Begriffe von Sachen, unterzulegen. So ist es nicht erlaubt,
sich irgend neue urspruengliche Kraefte zu erdenken, z.B. einen
Verstand, der vermoegend sei, seinen Gegenstand ohne Sinne
anzuschauen, oder eine Anziehungskraft ohne alle Beruehrung, oder
eine neue Art Substanzen, z.B. die ohne Undurchdringlichkeit im Raume
gegenwaertig waere, folglich auch keine Gemeinschaft der Substanzen,
die von aller derjenigen unterschieden ist, welche Erfahrung an die
Hand gibt: keine Gegenwart anders, als im Raume; keine Dauer, als
bloss in der Zeit. Mit einem Worte: es ist unserer Vernunft nur
moeglich, die Bedingungen moeglicher Erfahrung als Bedingungen der
Moeglichkeit der Sachen zu brauchen; keineswegs aber, ganz unabhaengig
von diesen, sich selbst welche gleichsam zu schaffen, weil dergleichen
Begriffe, obzwar ohne Widerspruch, dennoch auch ohne Gegenstand sein
wuerden.
Die Vernunftbegriffe sind, wie gesagt, blosse Ideen, und haben
freilich keinen Gegenstand in irgendeiner Erfahrung, aber bezeichnen
darum doch nicht gedichtete und zugleich dabei fuer moeglich
angenommene Gegenstaende. Sie sind bloss problematisch gedacht, um, in
Beziehung auf sie (als heuristische Fiktionen), regulative Prinzipien
des systematischen Verstandesgebrauchs im Felde der Erfahrung zu
gruenden. Geht man davon ab, so sind es blosse Gedankendinge, deren
Moeglichkeit nicht erweislich ist, und die daher auch nicht der
Erklaerung wirklicher Erscheinungen durch eine Hypothese zum Grunde
gelegt werden koennen. Die Seele sich als einfach denken, ist ganz
wohl erlaubt, um, nach dieser Idee, eine vollstaendige und notwendige
Einheit aller Gemuetskraefte, ob man sie gleich nicht in concreto
einsehen kann, zum Prinzip unserer Beurteilung ihrer inneren
Erscheinungen zu legen. Aber die Seele als einfache Substanz
anzunehmen (ein transzendenter Begriff), waere ein Satz, der nicht
allein unerweislich, (wie es mehrere physische Hypothesen sind,)
sondern auch ganz willkuerlich und blindlings gewagt sein wuerde, weil
das Einfache in ganz und gar keiner Erfahrung vorkommen kann, und,
wenn man unter Substanz hier das beharrliche Objekt der sinnlichen
Anschauung versteht, die Moeglichkeit einer einfachen Erscheinung
gar nicht einzusehen ist. Bloss intelligible Wesen, oder bloss
intelligible Eigenschaften der Dinge der Sinnenwelt, lassen sich mit
keiner gegruendeten Befugnis der Vernunft als Meinung annehmen, obzwar
(weil man von ihrer Moeglichkeit oder Unmoeglichkeit keine Begriffe
hat) auch durch keine vermeinte bessere Einsicht dogmatisch ableugnen.
Zur Erklaerung gegebener Erscheinungen koennen keine anderen Dinge
und Erklaerungsgruende, als die, so nach schon bekannten Gesetzen
der Erscheinungen mit den gegebenen in Verknuepfung gesetzt worden,
angefuehrt werden. Eine transzendentale Hypothese, bei der eine blosse
Idee der Vernunft zur Erklaerung der Naturdinge gebraucht wuerde,
wuerde daher gar keine Erklaerung sein, indem das, was man aus
bekannten empirischen Prinzipien nicht hinreichend versteht, durch
etwas erklaert werden wuerde, davon man gar nichts versteht.
Auch wuerde das Prinzip einer solchen Hypothese eigentlich nur
zur Befriedigung der Vernunft und nicht zur Befoerderung des
Verstandesgebrauchs in Ansehung der Gegenstaende dienen. Ordnung und
Zweckmaessigkeit in der Natur muss wiederum aus Naturgruenden und nach
Naturgesetzen erklaert werden, und hier sind selbst die wildesten
Hypothesen, wenn sie nur physisch sind, ertraeglicher, als eine
hyperphysische, d.i. die Berufung auf einen goettlichen Urheber, den
man zu diesem Behuf voraussetzt. Denn das waere ein Prinzip der faulen
Vernunft (ignava ratio), alle Ursachen, deren objektive Realitaet,
wenigstens der Moeglichkeit nach, man noch durch fortgesetzte
Erfahrung kann kennenlernen, auf einmal vorbeizugehen, um sich in
einer blossen Idee, die der Vernunft sehr bequem ist, zu ruhen. Was
aber die absolute Totalitaet des Erklaerungsgrundes in der Reihe
derselben betrifft, so kann das kein Hindernis in Ansehung der
Weltobjekte machen, weil, da diese nichts als Erscheinungen sind,
an ihnen niemals etwas Vollendetes in der Synthesis der Reihen von
Bedingungen gehofft werden kann.
Transzendentale Hypothesen des spekulativen Gebrauchs der Vernunft,
und eine Freiheit, zu Ersetzung des Mangels an physischen
Erklaerungsgruenden, sich allenfalls hyperphysischer zu bedienen, kann
gar nicht gestattet werden, teils weil die Vernunft dadurch gar nicht
weiter gebracht wird, sondern vielmehr den ganzen Fortgang ihres
Gebrauchs abschneidet, teils weil diese Lizenz sie zuletzt um alle
Fruechte der Bearbeitung ihres eigentuemlichen Bodens, naemlich der
Erfahrung, bringen muesste. Denn, wenn uns die Naturerklaerung hier
oder da schwer wird, so haben wir bestaendig einen transzendenten
Erklaerungsgrund bei der Hand, der uns jener Untersuchung ueberhebt,
und unsere Nachforschung schliesst nicht durch Einsicht, sondern durch
gaenzliche Unbegreiflichkeit eines Prinzips, welches so schon zum
voraus ausgedacht war, dass es den Begriff des absolut Ersten
enthalten musste.
Das zweite erforderliche Stueck zur Annehmungswuerdigkeit einer
Hypothese ist die Zulaenglichkeit derselben, um daraus a priori die
Folgen, welche gegeben sind, zu bestimmen. Wenn man zu diesem Zwecke
hilfleistende Hypothesen herbeizurufen genoetigt ist, so geben sie
den Verdacht einer blossen Erdichtung, weil jede derselben an sich
dieselbe Rechtfertigung bedarf, welche der zum Grunde gelegte Gedanke
noetig hatte, und daher keinen tuechtigen Zeugen abgeben kann. Wenn,
unter Voraussetzung einer unbeschraenkt vollkommenen Ursache, zwar an
Erklaerungsgruenden aller Zweckmaessigkeit, Ordnung und Groesse, die
sich in der Welt finden, kein Mangel ist, so bedarf jene doch, bei
den, wenigstens nach unseren Begriffen, sich zeigenden Abweichungen
und Uebeln, noch neuer Hypothesen, um gegen diese, als Einwuerfe,
gerettet zu werden. Wenn die einfache Selbstaendigkeit der
menschlichen Seele, die zum Grunde ihrer Erscheinungen gelegt worden,
durch die Schwierigkeiten ihrer, den Abaenderungen einer Materie (dem
Wachstum und Abnahme) aehnlichen Phaenomene angefochten wird, so
muessen neue Hypothesen zu Hilfe gerufen werden, die zwar nicht ohne
Schein, aber doch ohne alle Beglaubigung sind, ausser derjenigen,
welche ihnen die zum Hauptgrunde angenommene Meinung gibt, der sie
gleichwohl das Wort reden sollen.
Wenn die hier zum Beispiele angefuehrten Vernunftbehauptungen
(unkoerperliche Einheit der Seele und Dasein eines hoechsten Wesens)
nicht als Hypothesen, sondern a priori bewiesene Dogmate gelten
sollen, so ist alsdann von ihnen gar nicht die Rede. In solchem Falle
aber sehe man sich ja vor, dass der Beweis die apodiktische Gewissheit
einer Demonstration habe. Denn die Wirklichkeit solcher Ideen bloss
wahrscheinlich machen zu wollen, ist ein ungereimter Vorsatz, ebenso,
als wenn man einen Satz der Geometrie bloss wahrscheinlich zu beweisen
gedaechte. Die von aller Erfahrung abgesonderte Vernunft kann alles
nur a priori und als notwendig oder gar nicht erkennen; daher ist ihr
Urteil niemals Meinung, sondern entweder Enthaltung von allem Urteile,
oder apodiktische Gewissheit. Meinungen und wahrscheinliche Urteile
von dem, was Dingen zukommt, koennen nur als Erklaerungsgruende
dessen, was wirklich gegeben ist, oder Folgen nach empirischen
Gesetzen von dem, was als wirklich zum Grunde liegt, mithin nur in der
Reihe der Gegenstaende der Erfahrung vorkommen. Ausser diesem Felde
ist meinen so viel, als mit Gedanken spielen, es muesste denn sein,
dass man von einem unsicheren Wege des Urteils bloss die Meinung
haette, vielleicht auf ihm die Wahrheit zu finden.
Ob aber gleich bei bloss spekulativen Fragen der reinen Vernunft keine
Hypothesen stattfinden, um Saetze darauf zu gruenden, so sind sie
dennoch ganz zulaessig, um sie allenfalls nur zu verteidigen, d.i.
zwar nicht im dogmatischen, aber doch im polemischen Gebrauche.
Ich verstehe aber unter Verteidigung nicht die Vermehrung der
Beweisgruende seiner Behauptung, sondern die blosse Vereitlung der
Scheineinsichten des Gegners, welche unserem behaupteten Satze Abbruch
tun sollen. Nun haben aber alle synthetischen Saetze aus reiner
Vernunft das Eigentuemliche an sich: dass, wenn der, welcher die
Realitaet gewisser Ideen behauptet, gleich niemals so viel weiss, um
diesen seinen Satz gewiss zu machen, auf der anderen Seite der Gegner
ebensowenig wissen kann, um das Widerspiel zu behaupten. Diese
Gleichheit des Loses der menschlichen Vernunft, beguenstigt nun zwar
im spekulativen Erkenntnisse keinen von beiden, und da ist auch der
rechte Kampfplatz nimmer beizulegender Fehden. Es wird sich aber in
der Folge zeigen, dass doch, in Ansehung des praktischen Gebrauchs,
die Vernunft ein Recht habe, etwas anzunehmen, was sie auf keine Weise
im Felde der blossen Spekulation, ohne hinreichende Beweisgruende,
vorauszusetzen befugt waere; weil alle solche Voraussetzungen der
Vollkommenheit der Spekulation Abbruch tun, um welche sich aber das
praktische Interesse gar nicht bekuemmert. Dort ist sie also im
Besitze, dessen Rechtmaessigkeit sie nicht beweisen darf, und wovon
sie in der Tat den Beweis auch nicht fuehren koennte. Der Gegner soll
also beweisen. Da dieser aber ebensowenig etwas von dem bezweifelten
Gegenstande weiss, um dessen Nichtsein darzutun, als der erstere, der
dessen Wirklichkeit behauptet: so zeigt sich hier ein Vorteil auf der
Seite desjenigen, der etwas als praktisch notwendige Voraussetzung
behauptet (melior est conditio possidentis). Es steht ihm naemlich
frei, sich gleichsam aus Notwehr eben derselben Mittel fuer seine gute
Sache, als der Gegner wider dieselbe, d.i. der Hypothesen zu bedienen,
die gar nicht dazu dienen sollen, um den Beweis derselben zu
verstaerken, sondern nur zu zeigen, dass der Gegner viel zu wenig von
dem Gegenstande des Streites verstehe, als dass er sich eines Vorteils
der spekulativen Einsicht in Ansehung unserer schmeicheln koenne.
Hypothesen sind also im Felde der reinen Vernunft nur als Kriegswaffen
erlaubt, nicht um darauf ein Recht zu gruenden, sondern nur es zu
verteidigen. Den Gegner aber muessen wir hier jederzeit in uns selbst
suchen. Denn spekulative Vernunft in ihrem transzendentalen Gebrauche
ist an sich dialektisch. Die Einwuerfe, die zu fuerchten sein
moechten, liegen in uns selbst. Wir muessen sie, gleich alten, aber
niemals verjaehrenden Anspruechen, hervorsuchen, um einen ewigen
Frieden auf deren Vernichtigung zu gruenden. Aeussere Ruhe ist
nur scheinbar. Der Keim der Anfechtungen, der in der Natur der
Menschenvernunft liegt, muss ausgerottet werden; wie koennen wir ihn
aber ausrotten, wenn wir ihm nicht Freiheit, ja selbst Nahrung geben,
Kraut auszuschiessen, um sich dadurch zu entdecken, und es nachher
mit der Wurzel zu vertilgen? Sinnet demnach selbst auf Einwuerfe, auf
die noch kein Gegner gefallen ist, und leihet ihm sogar Waffen, oder
raeumet ihm den guenstigsten Platz ein, den er sich nur wuenschen
kann. Es ist hierbei gar nichts zu fuerchten, wohl aber zu hoffen,
naemlich, dass ihr euch einen in alle Zukunft niemals mehr
anzufechtenden Besitz verschaffen werdet.
Zu euerer vollstaendigen Ruestung gehoeren nun auch die Hypothesen
der reinen Vernunft, welche, obzwar nur bleierne Waffen (weil sie
durch kein Erfahrungsgesetz gestaehlt sind), dennoch immer so viel
vermoegen, als die, deren sich irgendein Gegner wider euch bedienen
mag. Wenn euch also, wider die (in irgendeiner anderen nicht
spekulativen Ruecksicht) angenommene immaterielle und keiner
koerperlichen Umwandlung unterworfene Natur der Seele, die
Schwierigkeit aufstoesst, dass gleichwohl die Erfahrung sowohl
die Erhebung, als Zerruettung unserer Geisteskraefte bloss als
verschiedene Modifikation unserer Organen zu beweisen scheine; so
koennt ihr die Kraft dieses Beweises dadurch schwaechen, dass ihr
annehmt, unser Koerper sei nichts, als die Fundamentalerscheinung,
worauf, als Bedingung, sich in dem jetzigen Zustande (im Leben) das
ganze Vermoegen der Sinnlichkeit und hiermit alles Denken bezieht. Die
Trennung vom Koerper sei das Ende dieses sinnlichen Gebrauchs eurer
Erkenntniskraft und der Anfang des intellektuellen. Der Koerper waere
also nicht die Ursache des Denkens, sondern eine bloss restringierende
Bedingung desselben, mithin zwar als Befoerderung des sinnlichen
und animalischen, aber desto mehr auch als Hindernis des reinen und
spirituellen Lebens anzusehen, und die Abhaengigkeit des ersteren von
der koerperlichen Beschaffenheit bewiese nichts fuer die Abhaengigkeit
des ganzen Lebens von dem Zustande unserer Organen. Ihr koennt aber
noch weiter gehen, und wohl gar neue, entweder nicht aufgeworfene,
oder nicht weit genug getriebene Zweifel ausfindig machen.
Die Zufaelligkeit der Zeugungen, die bei Menschen, sowie beim
vernunftslosen Geschoepfe, von der Gelegenheit, ueberdem aber auch oft
vom Unterhalte, von der Regierung, deren Launen und Einfaellen, oft
sogar vom Laster abhaengt, macht eine grosse Schwierigkeit wider
die Meinung der auf Ewigkeiten sich erstreckenden Fortdauer eines
Geschoepfs, dessen Leben unter so unerheblichen und unserer Freiheit
so ganz und gar ueberlassenen Umstaenden zuerst angefangen hat. Was
die Fortdauer der ganzen Gattung (hier auf Erden) betrifft, so hat
diese Schwierigkeit in Ansehung derselben wenig auf sich, weil
der Zufall im Einzelnen nichtsdestoweniger einer Regel im Ganzen
unterworfen ist; aber in Ansehung eines jeden Individuum eine so
maechtige Wirkung von so geringfuegigen Ursachen zu erwarten, scheint
allerdings bedenklich. Hiewider koennt ihr aber eine transzendentale
Hypothese aufbieten: dass alles Leben eigentlich nur intelligibel sei,
den Zeitveraenderungen gar nicht unterworfen, und weder durch Geburt
angefangen habe, noch durch den Tod geendigt werde. Dass dieses Leben
nichts als eine blosse Erscheinung, d.i. eine sinnliche Vorstellung
von dem reinen geistigen Leben, und die ganze Sinnenwelt ein blosses
Bild sei, welches unserer jetzigen Erkenntnisart vorschwebt, und, wie
ein Traum, an sich keine objektive Realitaet habe: dass, wenn wir die
Sachen und uns selbst anschauen sollen, wie sie sind, wir uns in einer
Welt geistiger Naturen sehen wuerden, mit welcher unsere einzig wahre
Gemeinschaft weder durch Geburt angefangen habe, noch durch den
Leibestod (als blosse Erscheinungen) aufhoeren werde, usw.
Ob wir nun gleich von allem diesem, was wir hier wider den Angriff
hypothetisch vorschuetzen, nicht das Mindeste wissen, noch im Ernste
behaupten, sondern alles nicht einmal Vernunftidee, sondern bloss zur
Gegenwehr ausgedachter Begriff ist, so verfahren wir doch hierbei
ganz vernunftmaessig, indem wir dem Gegner, welcher alle Moeglichkeit
erschoepft zu haben meint, indem er den Mangel ihrer empirischen
Bedingungen fuer einen Beweis der gaenzlichen Unmoeglichkeit des von
uns Geglaubten faelschlich ausgibt, nur zeigen: dass er ebensowenig
durch blosse Erfahrungsgesetze das ganze Feld moeglicher Dinge an
sich selbst umspannen, als wir ausserhalb der Erfahrung fuer unsere
Vernunft irgend etwas auf gegruendete Art erwerben koennen. Der
solche hypothetische Gegenmittel wider die Anmassungen des dreist
verneinenden Gegners verkehrt, muss nicht dafuer gehalten werden,
als wolle er sie sich als seine wahren Meinungen eigen machen. Er
verlaesst sie, sobald er den dogmatischen Eigenduenkel des Gegners
abgefertigt hat. Denn so bescheiden und gemaessigt es auch anzusehen
ist, wenn jemand sich in Ansehung fremder Behauptungen bloss weigernd
und verneinend verhaelt, so ist doch jederzeit, sobald er diese seine
Einwuerfe als Beweise des Gegenteils geltend machen will, der Anspruch
nicht weniger stolz und eingebildet, als ob er die bejahende Partei
und deren Behauptung ergriffen haette.
Man sieht also hieraus, dass im spekulativen Gebrauche der Vernunft
Hypothesen keine Gueltigkeit als Meinungen an sich selbst, sondern nur
relativ auf entgegengesetzte transzendente Anmassungen haben. Denn die
Ausdehnung der Prinzipien moeglicher Erfahrung auf die Moeglichkeit
der Dinge ueberhaupt ist ebensowohl transzendent, als die Behauptung
der objektiven Realitaet solcher Begriffe, welche ihre Gegenstaende
nirgends als ausserhalb der Grenze aller moeglichen Erfahrung finden
koennen. Was reine Vernunft assertorisch urteilt, muss (wie alles, was
Vernunft erkennt,) notwendig sein, oder es ist gar nichts. Demnach
enthaelt sie in der Tat gar keine Meinungen. Die gedachten Hypothesen
aber sind nur problematische Urteile, die wenigstens nicht widerlegt,
obgleich freilich durch nichts bewiesen werden koennen, und sind also
keine Privatmeinungen, koennen aber doch nicht fueglich (selbst zur
inneren Beruhigung) gegen sich regende Skrupel entbehrt werden. In
dieser Qualitaet aber muss man sie erhalten, und ja sorgfaeltig
verhueten, dass sie nicht gleich als an sich selbst beglaubigt, und
von einiger absoluten Gueltigkeit, auftreten, und die Vernunft unter
Erdichtungen und Blendwerken ersaeufen.
Des ersten Hauptstuecks
Vierter Abschnitt
Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung ihrer Beweise
Die Beweise transzendentaler und synthetischer Saetze haben das
Eigentuemliche, unter allen Beweisen einer synthetischen Erkenntnis
a priori, an sich, dass die Vernunft bei jenen vermittelst seiner
Begriffe sich nicht geradezu an den Gegenstand wenden darf, sondern
zuvor die objektive Gueltigkeit der Begriffe und die Moeglichkeit der
Synthesis derselben a priori dartun muss. Dieses ist nicht etwa bloss
eine noetige Regel der Behutsamkeit, sondern betrifft das Wesen und
die Moeglichkeit der Beweise selbst. Wenn ich ueber den Begriff von
einem Gegenstande a priori hinausgehen soll, so ist dieses, ohne einen
besonderen und ausserhalb diesem Begriffe befindlichen Leitfaden,
unmoeglich. In der Mathematik ist es die Anschauung a priori, die
meine Synthesis leitet, und da koennen alle Schluesse unmittelbar an
der reinen Anschauung gefuehrt werden. Im transzendentalen Erkenntnis,
so lange es bloss mit Begriffen des Verstandes zu tun hat, ist diese
Richtschnur die moegliche Erfahrung. Der Beweis zeigt naemlich nicht,
dass der gegebene Begriff (z.B. von dem, was geschieht,) geradezu auf
einen anderen Begriff (dem einer Ursache) fuehre; denn dergleichen
Uebergang waere ein Sprung, der sich gar nicht verantworten liesse;
sondern er zeigt, dass die Erfahrung selbst, mithin das Objekt der
Erfahrung, ohne eine solche Verknuepfung unmoeglich waere. Also musste
der Beweis zugleich die Moeglichkeit anzeigen, synthetisch und a
priori zu einer gewissen Erkenntnis von Dingen zu gelangen, die in
dem Begriffe von ihnen nicht enthalten war. Ohne diese Aufmerksamkeit
laufen die Beweise wie Wasser, welche ihre Ufer durchbrechen, wild
und querfeldein, dahin, wo der Hang der verborgenen Assoziation sie
zufaelligerweise herleitet. Der Schein der Ueberzeugung, welcher auf
subjektiven Ursachen der Assoziation beruht, und fuer die Einsicht
einer natuerlichen Affinitaet gehalten wird, kann der Bedenklichkeit
gar nicht die Wage halten, die sich billigermassen ueber dergleichen
gewagte Schritte einfinden muss. Daher sind auch alle Versuche, den
Satz des zureichenden Grundes zu beweisen, nach dem allgemeinen
Gestaendnisse der Kenner, vergeblich gewesen, und ehe die
transzendentale Kritik auftrat, hat man lieber, da man diesen
Grundsatz doch nicht verlassen konnte, sich trotzig auf den gesunden
Menschenverstand berufen, (eine Zuflucht, die jederzeit beweist, dass
die Sache der Vernunft verzweifelt ist,) als neue dogmatische Beweise
versuchen wollen.
Ist aber der Satz, ueber den ein Beweis gefuehrt werden soll, eine
Behauptung der reinen Vernunft, und will ich sogar vermittelst blosser
Ideen ueber meine Erfahrungsbegriffe hinausgehen, so muesste derselbe
noch vielmehr die Rechtfertigung eines solchen Schrittes der Synthesis
(wenn er anders moeglich waere) als eine notwendige Bedingung
seiner Beweiskraft in sich enthalten. So scheinbar daher auch der
vermeintliche Beweis der einfachen Natur unserer denkenden Substanz
aus der Einheit der Apperzeption sein mag, so steht ihm doch
die Bedenklichkeit unabweislich entgegen: dass, da die absolute
Einfachheit doch kein Begriff ist, der unmittelbar auf eine
Wahrnehmung bezogen werden kann, sondern als Idee bloss geschlossen
werden muss, gar nicht einzusehen ist, wie mich das blosse
Bewusstsein, welches in allem Denken enthalten ist, oder wenigstens
sein kann, ob es zwar sofern eine einfache Vorstellung ist, zu dem
Bewusstsein und der Kenntnis eines Dinges ueberfuehren solle, in
welchem das Denken allein enthalten sein kann. Denn, wenn ich mir die
Kraft meines Koerpers in Bewegung vorstelle, so ist er sofern fuer
mich absolute Einheit, und meine Vorstellung von ihm ist einfach;
daher kann ich diese auch durch die Bewegung eines Punkts ausdruecken,
weil sein Volumen hierbei nichts tut, und, ohne Verminderung der
Kraft, so klein, wie man will, und also auch als in einem Punkt
befindlich gedacht werden kann. Hieraus werde ich aber doch nicht
schliessen: dass, wenn mir nichts, wie die bewegende Kraft eines
Koerpers, gegeben ist, der Koerper als einfache Substanz gedacht
werden koenne, darum, weil seine Vorstellung von aller Groesse des
Raumesinhalts abstrahiert und also einfach ist. Hierdurch nun,
dass das Einfache in der Abstraktion vom Einfachen im Objekt ganz
unterschieden ist, und dass das Ich, welches im ersteren Verstande
gar keine Mannigfaltigkeit in sich fasst, im zweiten, da es die Seele
selbst bedeutet, ein sehr komplexen Begriff sein kann, naemlich sehr
vieles unter sich zu enthalten und zu bezeichnen, entdecke ich einen
Paralogismus. Allein, um diesen vorher zu ahnden, (denn ohne eine
solche vorlaeufige Vermutung wuerde man gar keinen Verdacht gegen den
Beweis fassen,) ist durchaus noetig, ein immerwaehrendes Kriterium der
Moeglichkeit solcher synthetischen Saetze die mehr beweisen sollen,
als Erfahrung geben kann, bei Hand zu haben, welches darin besteht:
dass der Beweis nicht geradezu auf das verlangte Praedikat, sondern
nur vermittelst eines Prinzips der Moeglichkeit, unseren gegebenen
Begriff a priori bis zu Ideen zu erweitern, und diese zu realisieren,
gefuehrt werde. Wenn diese Behutsamkeit immer gebraucht wird, wenn
man, ehe der Beweis noch versucht wird, zuvor weislich bei sich zu
Rate geht, wie und mit welchem Grunde der Hoffnung man wohl eine
solche Erweiterung durch reine Vernunft erwarten koenne, und woher
man, in dergleichen Falle, diese Einsichten, die nicht aus Begriffen
entwickelt, und auch nicht in Beziehung auf moegliche Erfahrung
antizipiert werden koennen, denn hernehmen wolle: so kann man sich
viel schwere und dennoch fruchtlose Bemuehungen ersparen, indem
man der Vernunft nichts zumutet, was offenbar ueber ihr Vermoegen
geht, oder vielmehr sie, die, bei Anwandlungen ihrer spekulativen
Erweiterungssucht, sich nicht gerne einschraenken laesst, der
Disziplin der Enthaltsamkeit unterwirft.
Die erste Regel ist also diese: keine transzendentalen Beweise zu
versuchen, ohne zuvor ueberlegt und sich desfalls gerechtfertigt zu
haben, woher man die Grundsaetze nehmen wolle, auf welche man sie zu
errichten gedenkt, und mit welchem Rechte man von ihnen den guten
Erfolg der Schluesse erwarten koenne. Sind es Grundsaetze des
Verstandes (z.B. der Kausalitaet), so ist es umsonst, vermittelst
ihrer zu Ideen der reinen Vernunft zu gelangen; denn jene gelten nur
fuer Gegenstaende moeglicher Erfahrung. Sollen es Grundsaetze aus
reiner Vernunft sein, so ist wiederum alle Muehe umsonst. Denn die
Vernunft hat deren zwar, aber als objektive Grundsaetze sind sie
insgesamt dialektisch, und koennen allenfalls nur wie regulative
Prinzipien des systematisch zusammenhaengenden Erfahrungsgebrauchs
gueltig sein. Sind aber dergleichen angebliche Beweise schon
vorhanden: so setzet der trueglichen Ueberzeugung das non liquet eurer
gereiften Urteilskraft entgegen, und, ob ihr gleich das Blendwerk
derselben noch nicht durchdringen koennt, so habt ihr doch voelliges
Recht, die Deduktion der darin gebrauchten Grundsaetze zu verlangen,
welche, wenn sie aus blosser Vernunft entsprungen sein sollen, euch
niemals geschafft werden kann. Und so habt ihr nicht einmal noetig,
euch mit der Entwicklung und Widerlegung eines jeden grundlosen
Scheins zu befassen, sondern koennt alle an Kunstgriffen
unerschoepfliche Dialektik am Gerichtshofe einer kritischen Vernunft,
welche Gesetze verlangt, in ganzen Haufen auf einmal abweisen.
Die zweite Eigentuemlichkeit transzendentaler Beweise ist diese: dass
zu jedem transzendentalen Satze nur ein einziger Beweis gefunden
werden koenne. Soll ich nicht aus Begriffen, sondern aus der
Anschauung, die einem Begriffe korrespondiert, es sei nun eine reine
Anschauung, wie in der Mathematik, oder empirische, wie in der
Naturwissenschaft, schliessen: so gibt mir die zum Grunde gelegte
Anschauung mannigfaltigen Stoff zu synthetischen Saetzen, welchen ich
auf mehr wie eine Art verknuepfen, und, indem ich von mehr wie einem
Punkte ausgehen darf, durch verschiedene Wege zu demselben Satze
gelangen kann.
Nun geht aber ein jeder transzendentaler Satz bloss von Einem Begriffe
aus, und sagt die synthetische Bedingung der Moeglichkeit des
Gegenstandes nach diesem Begriffe. Der Beweisgrund kann also nur ein
einziger sein, weil ausser diesem Begriffe nichts weiter ist, wodurch
der Gegenstand bestimmt werden koennte, der Beweis also nichts weiter,
als die Bestimmung eines Gegenstandes ueberhaupt nach diesem Begriffe,
der auch nur ein einziger ist, enthalten kann. Wir hatten z.B. in der
transzendentalen Analytik den Grundsatz: alles, was geschieht, hat
eine Ursache, aus der einzigen Bedingung der objektiven Moeglichkeit
eines Begriffs, von dem, was ueberhaupt geschieht, gezogen: dass die
Bestimmung einer Begebenheit in der Zeit, mithin diese (Begebenheit)
als zur Erfahrung gehoerig, ohne unter einer solchen dynamischen Regel
zu stehen, unmoeglich waere. Dieses ist nun auch der einzig moegliche
Beweisgrund; denn dadurch nur, dass dem Begriffe vermittelst des
Gesetzes der Kausalitaet ein Gegenstand bestimmt wird, hat die
vorgestellte Begebenheit objektive Gueltigkeit, d.i. Wahrheit. Man
hat zwar noch andere Beweise von diesem Grundsatze z.B. aus der
Zufaelligkeit versucht; allein, wenn dieser beim Lichten betrachtet
wird, so kann man kein Kennzeichen der Zufaelligkeit auffinden,
als das Geschehen, d.i. das Dasein, vor welchem ein Nichtsein des
Gegenstandes vorhergeht, und kommt also immer wiederum auf den
naemlichen Beweisgrund zurueck. Wenn der Satz bewiesen werden soll:
alles, was denkt, ist einfach; so haelt man sich nicht bei dem
Mannigfaltigen des Denkens auf, sondern beharrt bloss bei dem Begriffe
des Ich, welcher einfach ist und worauf alles Denken bezogen wird.
Ebenso ist es mit dem transzendentalen Beweise vom Dasein Gottes
bewandt, welcher lediglich auf der Reziprokabilitaet der Begriffe vom
realsten und notwendigen Wesen beruht, und nirgends anders gesucht
werden kann.
Durch diese warnende Anmerkung wird die Kritik der
Vernunftbehauptungen sehr ins Kleine gebracht. Wo Vernunft ihr
Geschaeft durch blosse Begriffe treibt, da ist nur ein einziger Beweis
moeglich, wenn ueberall nur irgendeiner moeglich ist. Daher, wenn man
schon den Dogmatiker mit zehn Beweisen auftreten sieht, da kann man
sicher glauben, dass er gar keinen habe. Denn, haette er einen, der
(wie es in Sachen der reinen Vernunft sein muss) apodiktisch bewiese,
wozu beduerfte er der uebrigen? Seine Absicht ist nur, wie die von
jenem Parlamentsadvokaten: das eine Argument ist fuer diesen, das
andere fuer jenen, naemlich, um sich die Schwaeche seiner Richter
zunutze zu machen, die, ohne sich tief einzulassen, und, um von dem
Geschaeft bald loszukommen, das Erstebeste, was ihnen eben auffaellt,
ergreifen und darnach entscheiden.
Die dritte eigentuemliche Regel der reinen Vernunft, wenn sie in
Ansehung transzendentaler Beweise einer Disziplin unterworfen wird,
ist: dass ihre Beweise niemals apagogisch, sondern jederzeit ostensiv
sein muessen. Der direkte oder ostensive Beweis ist in aller Art der
Erkenntnis derjenige, welcher mit der Ueberzeugung von der Wahrheit,
zugleich Einsicht in die Quellen derselben verbindet; der apagogische
dagegen kann zwar Gewissheit, aber nicht Begrifflichkeit der Wahrheit
in Ansehung des Zusammenhanges mit den Gruenden ihrer Moeglichkeit
hervorbringen. Daher sind die letzteren mehr eine Nothilfe, als ein
Verfahren, welches allen Absichten der Vernunft ein Genuege tut. Doch
haben diese einen Vorzug der Evidenz vor den direkten Beweisen, darin:
dass der Widerspruch allemal mehr Klarheit in der Vorstellung bei sich
fuehrt, als die beste Verknuepfung, und sich dadurch dem Anschaulichen
einer Demonstration mehr naehert.
Die eigentliche Ursache des Gebrauchs apagogischer Beweise in
verschiedenen Wissenschaften ist wohl diese. Wenn die Gruende, von
denen eine gewisse Erkenntnis abgeleitet werden soll, zu mannigfaltig
oder zu tief verborgen liegen: so versucht man, ob sie nicht durch die
Folgen zu erreichen sei. Nun waere der modus ponens, auf die Wahrheit
einer Erkenntnis aus der Wahrheit ihrer Folgen zu schliessen, nur
alsdann erlaubt, wenn alle moeglichen Folgen daraus wahr sind; denn
alsdann ist zu diesem nur ein einziger Grund moeglich, der also auch
der wahre ist. Dieses Verfahren aber ist untunlich, weil es ueber
unsere Kraefte geht, alle moeglichen Folgen von irgendeinem
angenommenen Satze einzusehen; doch bedient man sich dieser Art zu
schliessen, obzwar freilich mit einer gewissen Nachsicht, wenn es
darum zu tun ist, um etwas bloss als Hypothese zu beweisen, indem man
den Schluss nach der Analogie einraeumt: dass, wenn so viele Folgen,
als man nur immer versucht hat, mit einem angenommenen Grunde wohl
zusammenstimmen, alle uebrigen moeglichen auch darauf einstimmen
werden. Um deswillen kann durch diesen Weg niemals eine Hypothese
in demonstrierte Wahrheit verwandelt werden. Der modus tollens der
Vernunftschluesse, die von den Folgen auf die Gruende schliessen,
beweist nicht allein ganz strenge, sondern auch ueberaus leicht. Denn,
wenn auch nur eine einzige falsche Folge aus einem Satze gezogen
werden kann, so ist dieser Satz falsch. Anstatt nun die ganze Reihe
der Gruende in einem ostensiven Beweise durchzulaufen, die auf die
Wahrheit einer Erkenntnis, vermittelst der vollstaendigen Einsicht
in ihre Moeglichkeit, fuehren kann, darf man nur unter den aus dem
Gegenteil derselben fliessenden Folgen eine einzige falsch finden, so
ist dieses Gegenteil auch falsch, mithin die Erkenntnis, welche man zu
beweisen hatte, wahr.
Die apagogische Beweisart kann aber nur in den Wissenschaften erlaubt
sein, wo es unmoeglich ist, das Subjektive unserer Vorstellungen dem
Objektiven, naemlich der Erkenntnis desjenigen, was am Gegenstande
ist, unterzuschieben. Wo dieses letztere aber herrschend ist, da muss
es sich haeufig zutragen, dass das Gegenteil eines gewissen Satzes
entweder bloss den subjektiven Bedingungen des Denkens widerspricht,
aber nicht dem Gegenstande, oder dass beide Saetze nur unter einer
subjektiven Bedingung, die, faelschlich fuer objektiv gehalten,
einander widersprechen, und da die Bedingung falsch ist, alle beide
falsch sein koennen, ohne dass von der Falschheit des einen auf die
Wahrheit des anderen geschlossen werden kann.
In der Mathematik ist diese Subreption unmoeglich; daher haben sie
daselbst auch ihren eigentlichen Platz. In der Naturwissenschaft, weil
sich daselbst alles auf empirische Anschauungen gruendet, kann jene
Erschleichung durch viel verglichene Beobachtungen zwar so mehrenteils
verhuetet werden; aber diese Beweisart ist daselbst doch mehrenteils
unerheblich. Aber die transzendentalen Versuche der reinen Vernunft
werden insgesamt innerhalb dem eigentlichen Medium des dialektischen
Scheins angestellt, d.i. des Subjektiven, welches sich der Vernunft in
ihren Praemissen als objektiv anbietet, oder gar aufdraengt. Hier nun
kann es, was synthetische Saetze betrifft, gar nicht erlaubt werden,
seine Behauptungen dadurch zu rechtfertigen, dass man das Gegenteil
widerlegt. Denn, entweder diese Widerlegung ist nichts anderes, als
die blosse Vorstellung des Widerstreits der entgegengesetzten Meinung,
mit den subjektiven Bedingungen der Begreiflichkeit durch unsere
Vernunft, welches gar nichts dazu tut, um die Sache selbst darum zu
verwerfen, (sowie z.B. die unbedingte Notwendigkeit im Dasein eines
Wesens schlechterdings von uns nicht begriffen werden kann, und sich
daher subjektiv jedem spekulativen Beweise eines notwendigen obersten
Wesens mit Recht, der Moeglichkeit eines solchen Urwesens aber an sich
selbst mit Unrecht widersetzt,) oder beide, sowohl der behauptende,
als der verneinende Teil, legen, durch den transzendentalen Schein
betrogen, einen unmoeglichen Begriff vom Gegenstande zum Grunde, und
da gilt die Regel: non entis nulla sunt praedicata, d.i. sowohl was
man bejahend, als was man verneinend von dem Gegenstande behauptete,
ist beides unrichtig, und man kann nicht apagogisch durch die
Widerlegung des Gegenteils zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. So
wie zum Beispiel, wenn vorausgesetzt wird, dass die Sinnenwelt an sich
selbst ihrer Totalitaet nach gegeben sei, so ist es falsch, dass sie
entweder unendlich dem Raume nach, oder endlich und begrenzt sein
muesse, darum weil beides falsch ist. Denn Erscheinungen (als blosse
Vorstellungen), die doch an sich selbst (als Objekte) gegeben waeren,
sind etwas Unmoegliches, und die Unendlichkeit dieses eingebildeten
Ganzen wuerde zwar unbedingt sein, widerspraeche aber (weil alles an
Erscheinungen bedingt ist) der unbedingten Groessenbestimmung, die
doch im Begriffe vorausgesetzt wird.
Die apagogische Beweisart ist auch das eigentliche Blendwerk, womit
die Bewunderer der Gruendlichkeit unserer dogmatischen Vernuenftler
jederzeit hingehalten worden: sie ist gleichsam der Champion, der
die Ehre und das unstreitige Recht seiner genommenen Partei dadurch
beweisen will, dass er sich mit jedermann zu raufen anheischig macht,
der es bezweifeln wollte, obgleich durch solche Grosssprecherei
nichts in der Sache, sondern nur der respektiven Staerke der Gegner
ausgemacht wird, und zwar auch nur auf der Seite desjenigen, der sich
angreifend verhaelt. Die Zuschauer, indem sie sehen, dass ein jeder in
seiner Reihe bald Sieger ist, bald unterliegt, nehmen oftmals daraus
Anlass, das Objekt des Streites selbst skeptisch zu bezweifeln. Aber
sie haben nicht Ursache dazu, und es ist genug, ihnen zuzurufen: non
defensoribus istis tempus eget. Ein jeder muss seine Sache vermittelst
eines durch transzendentale Deduktion der Beweisgruende gefuehrten
rechtlichen Beweises, d.i. direkt, fuehren, damit man sehe, was seine
Vernunftansprueche fuer sich selbst anzufuehren haben. Denn, fusset
sich sein Gegner auf subjektive Gruende, so ist er freilich leicht zu
widerlegen, aber ohne Vorteil fuer den Dogmatiker, der gemeiniglich
ebenso den subjektiven Ursachen des Urteils anhaengt, und
gleichergestalt von seinem Gegner in die Enge getrieben werden kann.
Verfahren aber beide Teile bloss direkt, so werden sie entweder
die Schwierigkeit, ja Unmoeglichkeit, den Titel ihrer Behauptungen
auszufinden, von selbst bemerken, und sich zuletzt nur auf Verjaehrung
berufen koennen, oder die Kritik wird den dogmatischen Schein leicht
entdecken, und die reine Vernunft noetigen, ihre zu hoch getriebenen
Anmassungen im spekulativen Gebrauch aufzugeben, und sich innerhalb
die Grenzen ihres eigentuemlichen Bodens, naemlich praktischer
Grundsaetze, zurueckzuziehen.
Der transzendentalen Methodenlehre
Zweites Hauptstueck
Der Kanon der reinen Vernunft
Es ist demuetigend fuer die menschliche Vernunft, dass sie in ihrem
reinen Gebrauche nichts ausrichtet, und sogar noch einer Disziplin
bedarf, um ihre Ausschweifungen zu baendigen, und die Blendwerke, die
ihr daher kommen, zu verhueten. Allein andererseits erhebt es sie
wiederum und gibt ihr ein Zutrauen zu sich selbst, dass sie diese
Disziplin selbst ausueben kann und muss, ohne eine andere Zensur
ueber sich zu gestatten, imgleichen dass die Grenzen, die sie
ihrem spekulativen Gebrauche zu setzen genoetigt ist, zugleich die
vernuenftelnden Anmassungen jeden Gegners einschraenken, und mithin
alles, was ihr noch von ihren vorher uebertriebenen Forderungen
uebrigbleiben moechte, gegen alle Angriffe sicherstellen koenne. Der
groesste und vielleicht einzige Nutzen aller Philosophie der reinen
Vernunft ist also wohl nur negativ; da sie naemlich nicht, als
Organon, zur Erweiterung, sondern, als Disziplin, zur Grenzbestimmung
dient, und, anstatt Wahrheit zu entdecken, nur das stille Verdienst
hat, Irrtuemer zu verhueten.
Indessen muss es doch irgendwo einen Quell von positiven Erkenntnissen
geben, welche ins Gebiet der reinen Vernunft gehoeren, und die
vielleicht nur durch Missverstand zu Irrtuemern Anlass geben, in der
Tat aber das Ziel der Beeiferung der Vernunft ausmachen. Denn welcher
Ursache sollte sonst wohl die nicht zu daempfende Begierde, durchaus
ueber die Grenze der Erfahrung hinaus irgendwo festen Fuss zu fassen,
zuzuschreiben sein? Sie ahndet Gegenstaende, die ein grosses Interesse
fuer sie bei sich fuehren. Sie tritt den Weg der blossen Spekulation
an, um sich ihnen zu naehern; aber diese fliehen vor sie. Vermutlich
wird auf dem einzigen Wege, der ihr noch uebrig ist, naemlich dem des
praktischen Gebrauchs, besseres Glueck fuer sie zu hoffen sein.
Ich verstehe unter einem Kanon den Inbegriff der Grundsaetze a priori
des richtigen Gebrauchs gewisser Erkenntnisvermoegen ueberhaupt. So
ist die allgemeine Logik in ihrem analytischen Teile ein Kanon fuer
Verstand und Vernunft ueberhaupt, aber nur der Form nach, denn sie
abstrahiert von allem Inhalte. So war die transzendentale Analytik der
Kanon des reinen Verstandes; denn der ist allein wahrer synthetischer
Erkenntnisse a priori faehig. Wo aber kein richtiger Gebrauch einer
Erkenntniskraft moeglich ist, da gibt es keinen Kanon. Nun ist alle
synthetische Erkenntnis der reinen Vernunft in ihrem spekulativen
Gebrauche, nach allen bisher gefuehrten Beweisen, gaenzlich
unmoeglich. Also gibt es gar keinen Kanon des spekulativen Gebrauchs
derselben (denn dieser ist durch und durch dialektisch), sondern alle
transzendentale Logik ist in dieser Absicht nichts als Disziplin.
Folglich, wenn es ueberall einen richtigen Gebrauch der reinen
Vernunft gibt, in welchem Fall es auch einen Kanon derselben geben
muss, so wird dieser nicht den spekulativen, sondern den praktischen
Vernunftgebrauch betreffen, den wir also jetzt untersuchen wollen.
Des Kanons der reinen Vernunft
Erster Abschnitt
Von dem letzten Zwecke des reinen Gebrauchs unserer Vernunft
Die Vernunft wird durch einen Hang ihrer Natur getrieben, ueber den
Erfahrungsgebrauch hinauszugehen, sich in einem reinen Gebrauche und
vermittelst blosser Ideen zu den aeussersten Grenzen aller Erkenntnis
hinaus zu wagen, und nur allererst in der Vollendung ihres Kreises, in
einem fuer sich bestehenden systematischen Ganzen, Ruhe zu finden. Ist
nun diese Bestrebung bloss auf ihr spekulatives, oder vielmehr einzig
und allein auf ihr praktisches Interesse gegruendet?
Ich will das Glueck, welches die reine Vernunft in spekulativer
Absicht macht, jetzt beiseite setzen, und frage nur nach den Aufgaben,
deren Aufloesung ihren letzten Zweck ausmacht, sie mag diesen nun
erreichen oder nicht, und in Ansehung dessen alle anderen bloss den
Wert der Mittel haben. Diese hoechsten Zwecke werden, nach der Natur
der Vernunft, wiederum Einheit haben muessen, um dasjenige Interesse
der Menschheit, welches keinem hoeheren untergeordnet ist, vereinigt
zu befoerdern.
Die Endabsicht, worauf die Spekulation der Vernunft im
transzendentalen Gebrauche zuletzt hinauslaeuft, betrifft drei
Gegenstaende: die Freiheit des Willens, die Unsterblichkeit der
Seele, und das Dasein Gottes. In Ansehung aller drei ist bloss das
spekulative Interesse der Vernunft nur sehr gering, und in Absicht auf
dasselbe wuerde wohl schwerlich eine ermuedende, mit unaufhoerlichen
Hindernissen ringende Arbeit transz. Nachforschung uebernommen
werden, weil man von allen Entdeckungen, die hierueber zu machen sein
moechten, doch keinen Gebrauch machen kann, der in concreto, d.i. in
der Naturforschung, seinen Nutzen bewiese. Der Wille mag auch frei
sein, so kann dieses doch nur die intelligible Ursache unseres Wollens
angehen. Denn, was die Phaenomene der Aeusserungen desselben, d.i.
die Handlungen betrifft, so muessen wir, nach einer unverletzlichen
Grundmaxime, ohne welche wir keine Vernunft im empirischen Gebrauche
ausueben koennen, sie niemals anders als alle uebrigen Erscheinungen
der Natur, naemlich nach unwandelbaren Gesetzen derselben, erklaeren.
Es mag zweitens auch die geistige Natur der Seele (und mit derselben
ihre Unsterblichkeit) eingesehen werden koennen, so kann darauf
doch, weder in Ansehung der Erscheinungen dieses Lebens, als einen
Erklaerungsgrund, noch auf die besondere Beschaffenheit des kuenftigen
Zustandes Rechnung gemacht werden, weil unser Begriff einer
unkoerperlichen Natur bloss negativ ist, und unsere Erkenntnis nicht
im mindesten erweitert, noch einigen tauglichen Stoff zu Folgerungen
darbietet, als etwa zu solchen, die nur fuer Erdichtungen gelten
koennen, die aber von der Philosophie nicht gestattet werden. Wenn
auch drittens das Dasein einer hoechsten Intelligenz bewiesen
waere: so wuerden wir uns zwar daraus das Zweckmaessige in der
Welteinrichtung und Ordnung in allgemeinen begreiflich machen,
keineswegs aber befugt sein, irgendeine besondere Anstalt und Ordnung
daraus abzuleiten, oder, wo sie nicht wahrgenommen wird, darauf
kuehnlich zu schliessen, indem es eine notwendige Regel des
spekulativen Gebrauchs der Vernunft ist, Naturursachen nicht
vorbeizugehen, und das, wovon wir uns durch Erfahrung belehren
koennen, aufzugeben, um etwas, was wir kennen, von demjenigen
abzuleiten, was alle unsere Kenntnis gaenzlich uebersteigt. Mit
einem Worte, diese drei Saetze bleiben fuer die spekulative Vernunft
jederzeit transzendent, und haben gar keinen immanenten, d.i. fuer
Gegenstaende der Erfahrung zulaessigen, mithin fuer uns auf einige Art
nuetzlichen Gebrauch, sondern sind an sich betrachtet ganz muessige
und dabei noch aeussert schwere Anstrengungen unserer Vernunft.
Wenn demnach diese drei Kardinalsaetze uns zum Wissen gar nicht noetig
sind, und uns gleichwohl durch unsere Vernunft dringend empfohlen
werden; so wird ihre Wichtigkeit wohl eigentlich nur das Praktische
angehen muessen.
Praktisch ist alles, was durch Freiheit moeglich ist. Wenn die
Bedingungen der Ausuebung unserer freien Willkuer aber empirisch sind,
so kann die Vernunft dabei keinen anderen als regulativen Gebrauch
haben, und nur die Einheit empirischer Gesetze zu bewirken dienen,
wie z.B. in der Lehre der Klugheit die Vereinigung aller Zwecke,
die uns von unseren Neigungen aufgegeben sind, in den einigen, die
Glueckseligkeit, und die Zusammenstimmung der Mittel, um dazu zu
gelangen, das ganze Geschaeft der Vernunft ausmacht, die um deswillen
keine anderen als pragmatische Gesetze des freien Verhaltens, zu
Erreichung der uns von den Sinnen empfohlenen Zwecke, und also keine
reinen Gesetze, voellig a priori bestimmt, liefern kann. Dagegen
wuerden reine praktische Gesetze, deren Zweck durch die Vernunft
voellig a priori gegeben ist, und die nicht empirisch bedingt, sondern
schlechthin gebieten, Produkte der reinen Vernunft sein. Dergleichen
aber sind die moralischen Gesetze, mithin gehoeren diese allein zum
praktischen Gebrauche der reinen Vernunft, und erlauben einen Kanon.
Die ganze Zuruestung also der Vernunft, in der Bearbeitung, die
man reine Philosophie nennen kann, ist in der Tat nur auf die drei
gedachten Probleme gerichtet. Diese selber aber haben wiederum ihre
entferntere Absicht, naemlich, was zu tun sei, wenn der Wille frei,
wenn ein Gott und eine kuenftige Welt ist. Da dieses nun unser
Verhalten in Beziehung auf den hoechsten Zweck betrifft, so ist
die letzte Absicht der weislich uns versorgenden Natur, bei der
Einrichtung unserer Vernunft, eigentlich nur aufs Moralische gestellt.
Es ist aber Behutsamkeit noetig, um, da wir unser Augenmerk auf einen
Gegenstand werfen, der der transzendentalen Philosophie fremd* ist,
nicht in Episoden auszuschweifen und die Einheit des Systems zu
verletzen, andererseits auch, um, indem man von seinem neuen Stoffe
zu wenig sagt, es an Deutlichkeit oder Ueberzeugung nicht fehlen zu
lassen. Ich hoffe beides dadurch zu leisten, dass ich mich so nahe
als moeglich am Transzendentalen halte und das, was etwa hierbei
psychologisch, d.h. empirisch sein moechte, gaenzlich beiseite setze.
* Alle praktischen Begriffe gehen auf Gegenstaende des Wohlgefallens,
  oder Missfallens, d.i. der Lust oder Unlust, mithin, wenigstens
  indirekt, auf Gegenstaende unseres Gefuehls. Da dieses aber keine
  Vorstellungskraft der Dinge ist, sondern ausser der gesamten
  Erkenntniskraft liegt, so gehoeren die Elemente unserer Urteile,
  sofern sie sich auf Lust oder Unlust beziehen, mithin der
  praktischen, nicht in den Inbegriff der Transzendentalphilosophie,
  welche lediglich mit reinen Erkenntnissen a priori zu tun hat.
Und da ist denn zuerst anzumerken, dass ich mich vorjetzt des Begriffs
der Freiheit nur im praktischen Verstande bedienen werde, und den in
transzendentaler Bedeutung, welcher nicht als ein Erklaerungsgrund der
Erscheinungen empirisch vorausgesetzt werden kann, sondern selbst ein
Problem fuer die Vernunft ist, hier, als oben abgetan, beiseite setze.
Eine Willkuer naemlich ist bloss tierisch (arbitrium brutum), die
nicht anders als durch sinnliche Antriebe, d.i. pathologisch bestimmt
werden kann. Diejenige aber, welche unabhaengig von sinnlichen
Antrieben, mithin durch Bewegursachen, welche nur von der Vernunft
vorgestellt werden, bestimmt werden kann, heisst die freie Willkuer
(arbitrium liberum), und alles, was mit dieser, es sei als Grund oder
Folge, zusammenhaengt, wird Praktisch genannt. Die praktische Freiheit
kann durch Erfahrung bewiesen werden. Denn, nicht bloss das, was
reizt, d.i. die Sinne unmittelbar affiziert, bestimmt die menschliche
Willkuer, sondern wir haben ein Vermoegen, durch Vorstellungen von
dem, was selbst auf entfernete Art nuetzlich oder schaedlich ist, die
Eindruecke auf unser sinnliches Begehrungsvermoegen zu ueberwinden;
diese Ueberlegungen aber von dem, was in Ansehung unseres ganzen
Zustandes begehrungswert, d.i. gut und nuetzlich ist, beruhen auf
der Vernunft. Diese gibt daher auch Gesetze, welche Imperative, d.i.
objektive Gesetze der Freiheit sind, und welche sagen, was geschehen
soll, ob es gleich vielleicht nie geschieht, und sich darin von
Naturgesetzen, die nur von dem handeln, was geschieht, unterscheiden,
weshalb sie auch praktische Gesetze genannt werden.
Ob aber die Vernunft selbst in diesen Handlungen, dadurch sie Gesetze
vorschreibt, nicht wiederum durch anderweitige Einfluesse bestimmt
sei, und das, was in Absicht auf sinnliche Antriebe Freiheit heisst,
in Ansehung hoeherer und entfernetern wirkender Ursachen nicht
wiederum Natur sein moege, das geht uns im Praktischen, da wir nur die
Vernunft um die Vorschrift des Verhaltens zunaechst befragen, nichts
an, sondern ist eine bloss spekulative Frage, die wir, so lange als
unsere Absicht aufs Tun oder Lassen gerichtet ist, beiseite setzen
koennen. Wir erkennen also die praktische Freiheit durch Erfahrung,
als eine von den Naturursachen, naemlich eine Kausalitaet der Vernunft
in Bestimmung des Willens, indessen dass die transzendentale Freiheit
eine Unabhaengigkeit dieser Vernunft selbst (in Ansehung ihrer
Kausalitaet, eine Reihe von Erscheinungen anzufangen,) von allen
bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt fordert, und sofern dem
Naturgesetze, mithin aller moeglichen Erfahrung, zuwider zu sein
scheint, und also ein Problem bleibt. Allein vor die Vernunft im
praktischen Gebrauche gehoert dieses Problem nicht, also haben wir es
in einem Kanon der reinen Vernunft nur mit zwei Fragen zu tun, die
das praktische Interesse der reinen Vernunft angehen, und in Ansehung
deren ein Kanon ihres Gebrauchs moeglich sein muss, naemlich: ist ein
Gott? ist ein kuenftiges Leben? Die Frage wegen der transzendentalen
Freiheit betrifft bloss das spekulative Wissen, welche wir als ganz
gleichgueltig beiseite setzen koennen, wenn es um das Praktische zu
tun ist, und worueber in der Antinomie der reinen Vernunft schon
hinreichende Eroerterung zu finden ist.
Des Kanons der reinen Vernunft
Zweiter Abschnitt
Von dem Ideal des hoechsten Guts, als einem Bestimmungsgrunde des
letzten Zwecks der reinen Vernunft
Die Vernunft fuehrte uns in ihrem spekulativen Gebrauche durch das
Feld der Erfahrungen, und, weil daselbst fuer sie niemals voellige
Befriedigung anzutreffen ist, von da zu spekulativen Ideen, die uns
aber am Ende wiederum auf Erfahrung zurueckfuehrten, und also ihre
Absicht auf eine zwar nuetzliche, aber unserer Erwartung gar nicht
gemaesse Art erfuellten. Nun bleibt uns noch ein Versuch uebrig: ob
naemlich auch reine Vernunft im praktischen Gebrauche anzutreffen sei,
ob sie in demselben zu den Ideen fuehre, welche die hoechsten Zwecke
der reinen Vernunft, die wir eben angefuehrt haben, erreichen, und
diese also aus dem Gesichtspunkte ihres praktischen Interesses nicht
dasjenige gewaehren koenne, was sie uns in Ansehung des spekulativen
ganz und gar abschlaegt.
Alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl, als das
praktische) vereinigt sich in folgenden drei Fragen:
        1. Was kann ich wissen?
        2. Was soll ich tun?
        3. Was darf ich hoffen?
Die erste Frage ist bloss spekulativ. Wir haben (wie ich mir
schmeichle) alle moeglichen Beantwortungen derselben erschoepft
und endlich diejenige gefunden, mit welcher sich die Vernunft zwar
befriedigen muss, und, wenn sie nicht aufs Praktische sieht, auch
Ursache hat zufrieden zu sein; sind aber von den zwei grossen
Zwecken, worauf diese ganze Bestrebung der reinen Vernunft eigentlich
gerichtet war, ebenso weit entfernt geblieben, als ob wir uns aus
Gemaechlichkeit dieser Arbeit gleich anfangs verweigert haetten. Wenn
es also um Wissen zu tun ist, so ist wenigstens so viel sicher und
ausgemacht, dass uns dieses, in Ansehung jener zwei Aufgaben, niemals
zuteil werden koenne.
Die zweite Frage ist bloss praktisch. Sie kann als eine solche
zwar der reinen Vernunft angehoeren, ist aber alsdann doch nicht
transzendental, sondern moralisch, mithin kann sie unsere Kritik an
sich selbst nicht beschaeftigen.
Die dritte Frage, naemlich: wenn ich nun tue, was ich soll, was darf
ich alsdann hoffen? ist praktisch und theoretisch zugleich, so,
dass das Praktische nur als ein Leitfaden zur Beantwortung der
theoretischen, und, wenn diese hoch geht, spekulativen Frage fuehrt.
Denn alles Hoffen geht auf Glueckseligkeit, und ist in Absicht auf das
Praktische und das Sittengesetz eben dasselbe, was das Wissen und das
Naturgesetz in Ansehung der theoretischen Erkenntnis der Dinge ist.
Jenes laeuft zuletzt auf den Schluss hinaus, dass etwas sei (was den
letzten moeglichen Zweck bestimmt), weil etwas geschehen soll; dieses,
dass etwas sei (was als oberste Ursache wirkt), weil etwas geschieht.
Glueckseligkeit ist die Befriedigung aller unserer Neigungen, (sowohl
extensive, der Mannigfaltigkeit der selben, als intensive, dem Grade,
als auch protensive, der Dauer nach). Das praktische Gesetz aus
dem Bewegungsgrunde der Glueckseligkeit nenne ich pragmatisch
(Klugheitsregel); dasjenige aber, wofern ein solches ist, das zum
Bewegungsgrunde nichts anderes hat, als die Wuerdigkeit, gluecklich zu
sein, moralisch (Sittengesetz). Das erstere raet, was zu tun sei, wenn
wir der Glueckseligkeit wollen teilhaftig, das zweite gebietet, wie
wir uns verhalten sollen, um nur der Glueckseligkeit wuerdig zu
werden. Das erstere gruendet sich auf empirische Prinzipien; denn
anders, wie vermittelst der Erfahrung, kann ich weder wissen, welche
Neigungen da sind, die befriedigt werden wollen, noch welches die
Naturursachen sind, die ihre Befriedigung bewirken koennen. Das zweite
abstrahiert von Neigungen, und Naturmitteln sie zu befriedigen, und
betrachtet nur die Freiheit eines vernuenftigen Wesens ueberhaupt, und
die notwendigen Bedingungen, unter denen sie allein mit der Austeilung
der Glueckseligkeit nach Prinzipien zusammenstimmt, und kann also
wenigstens auf blossen Ideen der reinen Vernunft beruhen und a priori
erkannt werden.
Ich nehme an, dass es wirklich reine moralische Gesetze gebe, die
voellig a priori (ohne Ruecksicht auf empirische Bewegungsgruende,
d.i. Glueckseligkeit,) das Tun und Lassen, d.i. den Gebrauch der
Freiheit eines vernuenftigen Wesens ueberhaupt, bestimmen, und
dass diese Gesetze schlechterdings (nicht bloss hypothetisch unter
Voraussetzung anderer empirischen Zwecke) gebieten, und also in aller
Absicht notwendig sind. Diesen Satz kann ich mit Recht voraussetzen,
nicht allein, indem ich mich auf die Beweise der aufgeklaertesten
Moralisten, sondern auf das sittliche Urteil eines jeden Menschen
berufe, wenn er sich ein dergleichen Gesetz deutlich denken will.
Die reine Vernunft enthaelt also, zwar nicht in ihrem spekulativen,
aber doch in einem gewissen praktischen, naemlich dem moralischen
Gebrauche, Prinzipien der Moeglichkeit der Erfahrung, naemlich solcher
Handlungen, die den sittlichen Vorschriften gemaess in der Geschichte
des Menschen anzutreffen sein koennten. Denn, da sie gebietet, dass
solche geschehen sollen, so muessen sie auch geschehen koennen, und
es muss also eine besondere Art von systematischer Einheit, naemlich
die moralische, moeglich sein, indessen dass die systematische
Natureinheit nach spekulativen Prinzipien der Vernunft nicht bewiesen
werden konnte, weil die Vernunft zwar in Ansehung der Freiheit
ueberhaupt, aber nicht in Ansehung der gesamten Natur Kausalitaet hat,
und moralische Vernunftprinzipien zwar freie Handlungen, aber nicht
Naturgesetze hervorbringen koennen. Demnach haben die Prinzipien der
reinen Vernunft in ihrem praktischen, namentlich aber, dem moralischen
Gebrauche, objektive Realitaet.
Ich nenne die Welt, sofern sie allen sittlichen Gesetzen gemaess
waere, (wie sie es denn, nach der Freiheit der vernuenftigen Wesen,
sein kann, und, nach den notwendigen Gesetzen der Sittlichkeit, sein
soll,) eine moralische Welt. Diese wird sofern bloss als intelligible
Welt gedacht, weil darin von allen Bedingungen (Zwecken) und selbst
von allen Hindernissen der Moralitaet in derselben (Schwaeche oder
Unlauterkeit der menschlichen Natur) abstrahiert wird. Sofern ist
sie also eine blosse, aber doch praktische Idee, die wirklich ihren
Einfluss auf die Sinnenwelt haben kann und soll, um sie dieser Idee so
viel als moeglich gemaess zu machen. Die Idee einer moralischen Welt
hat daher objektive Realitaet, nicht als wenn sie auf einen Gegenstand
einer intelligiblen Anschauung ginge (dergleichen wir uns gar nicht
denken koennen), sondern auf die Sinnenwelt, aber als einen Gegenstand
der reinen Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche, und ein corpus
mysticum der vernuenftigen Wesen in ihr, sofern deren freie Willkuer
unter moralischen Gesetzen sowohl mit sich selbst, als mit jedes
anderen Freiheit durchgaengige systematische Einheit an sich hat.
Das war die Beantwortung der ersten von den zwei Fragen der reinen
Vernunft, die das praktische Interesse betrafen: Tue das, wodurch du
wuerdig wirst, gluecklich zu sein. Die zweite fraegt nun: wie, wenn
ich mich nun so verhalte, dass ich der Glueckseligkeit nicht unwuerdig
sei, darf ich auch hoffen, ihrer dadurch teilhaftig werden zu koennen?
Es kommt bei der Beantwortung derselben darauf an, ob die Prinzipien
der reinen Vernunft, welche a priori das Gesetz vorschreiben, auch
diese Hoffnung notwendigerweise damit verknuepfen.
Ich sage demnach: dass ebensowohl, als die moralischen Prinzipien nach
der Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche notwendig sind, ebenso
notwendig sei es auch nach der Vernunft, in ihrem theoretischen
anzunehmen, dass jedermann die Glueckseligkeit in demselben Masse zu
hoffen Ursache habe, als er sich derselben in seinem Verhalten wuerdig
gemacht hat, und dass also das System der Sittlichkeit mit dem der
Glueckseligkeit unzertrennlich, aber nur in der Idee der reinen
Vernunft verbunden sei.
Nun laesst sich in einer intelligiblen, d.i. der moralischen Welt,
in deren Begriff wir von allen Hindernissen der Sittlichkeit (der
Neigungen,) abstrahieren, ein solches System der mit der Moralitaet
verbundenen proportionierten Glueckseligkeit auch als notwendig
denken, weil die durch sittliche Gesetze teils bewegte, teils
restringierte Freiheit, selbst die Ursache der allgemeinen
Glueckseligkeit, die vernuenftigen Wesen also selbst, unter der
Leitung solcher Prinzipien, Urheber ihrer eigenen und zugleich anderer
dauerhafter Wohlfahrt sein wuerden. Aber dieses System der sich
selbst lohnenden Moralitaet ist nur eine Idee, deren Ausfuehrung auf
der Bedingung beruht, dass jedermann tue, was er soll, d.i. alle
Handlungen vernuenftiger Wesen so geschehen, als ob sie aus einem
obersten Willen, der alle Privatwillkuer in sich, oder unter sich
befasst, entspraengen. Da aber die Verbindlichkeit aus dem moralischen
Gesetze fuer jedes besonderen Gebrauch der Freiheit gueltig bleibt,
wenngleich andere diesem Gesetze sich nicht gemaess verhielten, so
ist weder aus der Natur der Dinge der Welt, noch der Kausalitaet der
Handlungen selbst und ihrem Verhaeltnisse zur Sittlichkeit bestimmt,
wie sich ihre Folgen zur Glueckseligkeit verhalten werden, und die
angefuehrte notwendige Verknuepfung der Hoffnung, gluecklich zu sein,
mit dem unablaessigen Bestreben, sich der Glueckseligkeit wuerdig zu
machen, kann durch die Vernunft nicht erkannt werden, wenn man bloss
Natur zum Grunde legt, sondern darf nur gehofft werden, wenn eine
hoechste Vernunft, die nach moralischen Gesetzen gebietet, zugleich
als Ursache der Natur zum Grunde gelegt wird.
Ich nenne die Idee einer solchen Intelligenz, in welcher der moralisch
vollkommenste Wille, mit der hoechsten Seligkeit verbunden, die
Ursache aller Glueckseligkeit in der Welt ist, sofern sie mit der
Sittlichkeit (als der Wuerdigkeit gluecklich zu sein) in genauem
Verhaeltnisse steht, das Ideal des hoechsten Guts. Also kann die reine
Vernunft nur in dem Ideal des hoechsten urspruenglichen Guts den Grund
der praktisch notwendigen Verknuepfung beider Elemente des hoechsten
abgeleiteten Gutes, naemlich einer intelligiblen d.i. moralischen
Welt, antreffen. Da wir uns nun notwendigerweise durch die Vernunft,
als zu einer solchen Welt gehoerig, vorstellen muessen, obgleich die
Sinne uns nichts als eine Welt von Erscheinungen darstellen, so werden
wir jene als eine Folge unseres Verhaltens in der Sinnenwelt, da uns
diese eine solche Verknuepfung nicht darbietet, als eine fuer uns
kuenftige Welt annehmen muessen. Gott also und ein kuenftiges Leben,
sind zwei von der Verbindlichkeit, die uns reine Vernunft auferlegt,
nach Prinzipien eben derselben Vernunft nicht zu trennende
Voraussetzungen.
Die Sittlichkeit an sich selbst macht ein System aus, aber nicht die
Glueckseligkeit, ausser, sofern sie der Moralitaet genau angemessen
ausgeteilt ist. Dieses aber ist nur moeglich in der intelligiblen
Welt, unter einem weisen Urheber und Regierer. Einen solchen, samt
dem Leben in einer solchen Welt, die wir als eine kuenftige ansehen
muessen, sieht sich die Vernunft genoetigt anzunehmen, oder die
moralischen Gesetze als leere Hirngespinste anzusehen, weil der
notwendige Erfolg derselben, den dieselbe Vernunft mit ihnen
verknuepft, ohne jene Voraussetzung wegfallen muesste. Daher auch
jedermann die moralischen Gesetze als Gebote ansieht, welches sie aber
nicht sein koennten, wenn sie nicht a priori angemessene Folgen mit
ihrer Regel verknuepften, und also Verheissungen und Drohungen bei
sich fuehrten. Dieses koennen sie aber auch nicht tun, wo sie nicht in
einem notwendigen Wesen, als dem hoechsten Gut liegen, welches eine
solche zweckmaessige Einheit allein moeglich machen kann.
Leibnitz nannte die Welt, sofern man darin nur auf die vernuenftigen
Wesen und ihren Zusammenhang nach moralischen Gesetzen unter der
Regierung des hoechsten Guts achthat, das Reich der Gnaden, und
unterschied es vom Reiche der Natur, da sie zwar unter moralischen
Gesetzen stehen, aber keine anderen Erfolge ihres Verhaltens erwarten,
als nach dem Laufe der Natur unserer Sinnenwelt. Sich also im Reiche
der Gnaden zu sehen, wo alle Glueckseligkeit auf uns wartet, ausser
sofern wir unseren Anteil an derselben durch die Unwuerdigkeit,
gluecklich zu sein, nicht selbst einschraenken, ist eine praktisch
notwendige Idee der Vernunft.
Praktische Gesetze, sofern sie zugleich subjektive Gruende der
Handlungen, d.i. subjektive Grundsaetze werden, heissen Maximen.
Die Beurteilung der Sittlichkeit, ihrer Reinigkeit und Folgen nach,
geschieht nach Ideen, die Befolgung ihrer Gesetze nach Maximen.
Es ist notwendig, dass unser ganzer Lebenswandel sittlichen Maximen
untergeordnet werde; es ist aber zugleich unmoeglich, dass dieses
geschehe, wenn die Vernunft nicht mit dem moralischen Gesetze, welches
eine blosse Idee ist, eine wirkende Ursache verknuepft, welche dem
Verhalten nach demselben einen unseren hoechsten Zwecken genau
entsprechenden Ausgang, es sei in diesem, oder einem anderen Leben,
bestimmt. Ohne also einen Gott und eine fuer uns jetzt nicht
sichtbare, aber gehoffte Welt, sind die herrlichen Ideen der
Sittlichkeit zwar Gegenstaende des Beifalls und der Bewunderung, aber
nicht Triebfedern des Vorsatzes und der Ausuebung, weil sie nicht den
ganzen Zweck, der einem jeden vernuenftigen Wesen natuerlich und durch
eben dieselbe reine Vernunft a priori bestimmt und notwendig ist,
erfuellen.
Glueckseligkeit allein ist fuer unsere Vernunft bei weitem nicht das
vollstaendige Gut. Sie billigt solche nicht (so sehr als auch Neigung
dieselbe wuenschen mag), wofern sie nicht mit der Wuerdigkeit,
gluecklich zu sein, d.i. dem sittlichen Wohlverhalten, vereinigt ist.
Sittlichkeit allein, und, mit ihr, die blosse Wuerdigkeit, gluecklich
zu sein, ist aber auch noch lange nicht das vollstaendige Gut. Um
dieses zu vollenden, muss der, so sich als der Glueckseligkeit nicht
unwert verhalten hatte, hoffen koennen, ihrer teilhaftig zu werden.
Selbst die von aller Privatabsicht freie Vernunft, wenn sie, ohne
dabei ein eigenes Interesse in Betracht zu ziehen, sich in die Stelle
eines Wesens setzte, das alle Glueckseligkeit anderen auszuteilen
haette, kann nicht anders urteilen; denn in der praktischen Idee sind
beide Stuecke wesentlich verbunden, obzwar so, dass die moralische
Gesinnung, als Bedingung, den Anteil an Glueckseligkeit, und nicht
umgekehrt die Aussicht auf Glueckseligkeit die moralische Gesinnung
zuerst moeglich mache. Denn im letzteren Falle waere sie nicht
moralisch und also auch nicht der ganzen Glueckseligkeit wuerdig, die
vor der Vernunft keine andere Einschraenkung erkennt, als die, welche
von unserem eigenen unsittlichen Verhalten herruehrt.
Glueckseligkeit also, in dem genauen Ebenmasse mit der Sittlichkeit
der vernuenftigen Wesen, dadurch sie derselben wuerdig sind, macht
allein das hoechste Gut einer Welt aus, darin wir uns nach den
Vorschriften der reinen aber praktischen Vernunft durchaus versetzen
muessen, und welche freilich nur eine intelligible Welt ist, da die
Sinnenwelt uns von der Natur der Dinge dergleichen systematische
Einheit der Zwecke nicht verheisst, deren Realitaet auch auf nichts
anders gegruendet werden kann, als auf die Voraussetzung eines
hoechsten urspruenglichen Guts, da selbstaendige Vernunft, mit
aller Zulaenglichkeit einer obersten Ursache ausgeruestet, nach der
vollkommensten Zweckmaessigkeit die allgemeine, obgleich in der
Sinnenwelt uns sehr verborgene Ordnung der Dinge gruendet, erhaelt und
vollfuehrt.
Diese Moraltheologie hat nun den eigentuemlichen Vorzug vor der
spekulativen, dass sie unausbleiblich auf den Begriff eines einigen,
allervollkommensten und vernuenftigen Urwesens fuehrt, worauf uns
spekulative Theologie nicht einmal aus objektiven Gruenden hinweist,
geschweige uns davon ueberzeugen konnte. Denn, wir finden weder in
der transzendentalen, noch natuerlichen Theologie, so weit uns auch
Vernunft darin fuehren mag, einigen bedeutenden Grund, nur ein einiges
Wesen anzunehmen, welches wir allen Naturursachen vorsetzen, und
von dem wir zugleich diese in allen Stuecken abhaengend zu machen
hinreichende Ursache haetten. Dagegen, wenn wir aus dem Gesichtspunkte
der sittlichen Einheit, als einem notwendigen Weltgesetze, die Ursache
erwaegen, die diesem allein den angemessenen Effekt, mithin auch fuer
uns verbindende Kraft geben kann, so muss es ein einiger oberster
Wille sein, der alle diese Gesetze in sich befasst. Denn, wie wollten
wir unter verschiedenen Willen vollkommene Einheit der Zwecke finden?
Dieser Wille muss allgewaltig sein, damit die ganze Natur und
deren Beziehung auf Sittlichkeit in der Welt ihm unterworfen
sei; allwissend, damit er das Innerste der Gesinnungen und deren
moralischen Wert erkenne; allgegenwaertig, damit er unmittelbar allem
Beduerfnisse, welche das hoechste Weltbeste erfordert, nahe sei; ewig,
damit in keiner Zeit diese Uebereinstimmung der Natur und Freiheit
ermangle, usw.
Aber diese systematische Einheit der Zwecke in dieser Welt der
Intelligenzen, welche, obzwar, als blosse Natur, nur Sinnenwelt, als
ein System der Freiheit aber, intelligible, d.i. moralische Welt
(regnum gratiae) genannt werden kann, fuehrt unausbleiblich auch
auf die zweckmaessige Einheit aller Dinge, die dieses grosse Ganze
ausmachen, nach allgemeinen Naturgesetzen, so wie die erstere nach
allgemeinen und notwendigen Sittengesetzen, und vereinigt die
praktische Vernunft mit der spekulativen. Die Welt muss als aus
einer Idee entsprungen vorgestellt werden, wenn sie mit demjenigen
Vernunftgebrauch, ohne welchen wir uns selbst der Vernunft unwuerdig
halten wuerden, naemlich dem moralischen, als welcher durchaus auf der
Idee des hoechsten Guts beruht, zusammenstimmen soll. Dadurch bekommt
alle Naturforschung eine Richtung nach der Form eines Systems der
Zwecke, und wird in ihrer hoechsten Ausbreitung Physikotheologie.
Diese aber, da sie doch von sittlicher Ordnung, als einer in dem Wesen
der Freiheit gegruendeten und nicht durch aeussere Gebote zufaellig
gestifteten Einheit, anhob, bringt die Zweckmaessigkeit der Natur
auf Gruende, die a priori mit der inneren Moeglichkeit der Dinge
unzertrennlich verknuepft sein muessen, und dadurch auf eine
transzendentale Theologie, die sich das Ideal der hoechsten
ontologischen Vollkommenheit zu einem Prinzip der systematischen
Einheit nimmt, welches nach allgemeinen und notwendigen Naturgesetzen
alle Dinge verknuepft, weil sie alle in der absoluten Notwendigkeit
eines einigen Urwesens ihren Ursprung haben.
Was koennen wir fuer einen Gebrauch von unserem Verstande machen,
selbst in Ansehung der Erfahrung, wenn wir uns nicht Zwecke vorsetzen?
Die hoechsten Zwecke aber sind die der Moralitaet, und diese kann uns
nur reine Vernunft zu erkennen geben. Mit diesen nun versehen, und an
dem Leitfaden derselben, koennen wir von der Kenntnis der Natur selbst
keinen zweckmaessigen Gebrauch in Ansehung der Erkenntnis machen, wo
die Natur nicht selbst zweckmaessige Einheit hingelegt hat; denn ohne
diese haetten wir sogar selbst keine Vernunft, weil wir keine Schule
fuer dieselbe haben wuerden, und keine Kultur durch Gegenstaende,
welche den Stoff zu solchen Begriffen darboeten. Jene zweckmaessige
Einheit ist aber notwendig, und in dem Wesen der Willkuer selbst
gegruendet, diese also, welche die Bedingung der Anwendung derselben
in concreto enthaelt, muss es auch sein, und so wuerde die
transzendentale Steigerung unserer Vernunfterkenntnis nicht
die Ursache, sondern bloss die Wirkung von der praktischen
Zweckmaessigkeit sein, die uns die reine Vernunft auferlegt.
Wir finden daher auch in der Geschichte der menschlichen Vernunft:
dass, ehe die moralischen Begriffe genugsam gereinigt, bestimmt, und
die systematische Einheit der Zwecke nach denselben und zwar aus
notwendigen Prinzipien eingesehen waren, die Kenntnis der Natur und
selbst ein ansehnlicher Grad der Kultur der Vernunft in manchen
anderen Wissenschaften, teils nur rohe und umherschweifende Begriffe
von der Gottheit hervorbringen konnte, teils eine zu bewundernde
Gleichgueltigkeit ueberhaupt in Ansehung dieser Frage uebrig liess.
Eine groessere Bearbeitung sittlicher Ideen, die durch das aeusserst
reine Sittengesetz unserer Religion notwendig gemacht wurde, schaerfte
die Vernunft auf den Gegenstand, durch das Interesse, das sie an
demselben zu nehmen noetigte, und, ohne dass weder erweiterte
Naturerkenntnisse, noch richtige und zuverlaessige transzendentale
Einsichten (dergleichen zu aller Zeit gemangelt haben), dazu
beitrugen, brachten sie einen Begriff vom goettlichen Wesen zustande,
den wir jetzt fuer den richtigen halten, nicht weil uns spekulative
Vernunft von dessen Richtigkeit ueberzeugt, sondern weil er mit den
moralischen Vernunftprinzipien vollkommen zusammenstimmt. Und so hat
am Ende doch immer nur reine Vernunft, aber nur in ihrem praktischen
Gebrauche, das Verdienst, ein Erkenntnis, das die blosse Spekulation
nur waehnen, aber nicht geltend machen kann, an unser hoechstes
Interesse zu knuepfen, und dadurch zwar nicht zu einem demonstrierten
Dogma, aber doch zu einer schlechterdings notwendigen Voraussetzung
bei ihren wesentlichsten Zwecken zu machen.
Wenn aber praktische Vernunft nun diesen hohen Punkt erreicht hat,
naemlich den Begriff eines einigen Urwesens, als des hoechsten Guts,
so darf sie sich gar nicht unterwinden, gleich als haette sie sich
ueber alle empirischen Bedingungen seiner Anwendung erhoben, und zur
unmittelbaren Kenntnis neuer Gegenstaende emporgeschwungen, um von
diesem Begriffe auszugehen, und die moralischen Gesetze selbst von
ihm abzuleiten. Denn diese waren es eben, deren innere praktische
Notwendigkeit uns zu der Voraussetzung einer selbstaendigen Ursache,
oder eines weisen Weltregierers fuehrte, um jenen Gesetzen Effekt
zu geben, und daher koennen wir sie nicht nach diesem wiederum als
zufaellig und vom blossen Willen abgeleitet ansehen, insonderheit von
einem solchen Willen, von dem wir gar keinen Begriff haben wuerden,
wenn wir ihn nicht jenen Gesetzen gemaess gebildet haetten. Wir
werden, soweit praktische Vernunft uns zu fuehren das Recht hat,
Handlungen nicht darum fuer verbindlich halten, weil sie Gebote Gottes
sind, sondern sie als goettliche Gebote ansehen darum, weil wir
dazu innerlich verbindlich sind. Wir werden die Freiheit, unter der
zweckmaessigen Einheit nach Prinzipien der Vernunft, studieren, und
nur sofern glauben dem goettlichen Willen gemaess zu sein, als wir das
Sittengesetz, welches uns die Vernunft aus der Natur der Handlungen
selbst lehrt, heilig halten, ihm dadurch allein zu dienen glauben,
dass wir das Weltbeste an uns und an anderen befoerdern. Die
Moraltheologie ist also nur von immanentem Gebrauche, naemlich unsere
Bestimmung hier in der Welt zu erfuellen, indem wir in das System
aller Zwecke passen, und nicht schwaermerisch oder wohl gar frevelhaft
den Leitfaden einer moralisch gesetzgebenden Vernunft im guten
Lebenswandel zu verlassen, um ihn unmittelbar an die Idee des
hoechsten Wesens zu knuepfen, welches einen transzendenten Gebrauch
geben wuerde, aber ebenso, wie der der blossen Spekulation, die
letzten Zwecke der Vernunft verkehren und vereiteln muss.
Des Kanons der reinen Vernunft
Dritter Abschnitt
Vom Meinen, Wissen und Glauben
Das Fuerwahrhalten ist eine Begebenheit in unserem Verstande, die auf
objektiven Gruenden beruhen mag, aber auch subjektive Ursachen im
Gemuete dessen, der da urteilt, erfordert. Wenn es fuer jedermann
gueltig ist, sofern er nur Vernunft hat, so ist der Grund desselben
objektiv hinreichend, und das Fuerwahrhalten heisst alsdann
Ueberzeugung. Hat es nur in der besonderer Beschaffenheit des Subjekts
seinen Grund, so wird es Ueberredung genannt.
Ueberredung ist ein blosser Schein, weil der Grund des Urteils,
welcher lediglich im Subjekte liegt, fuer objektiv gehalten wird.
Daher hat ein solches Urteil auch nur Privatgueltigkeit, und das
Fuerwahrhalten laesst sich nicht mitteilen. Wahrheit aber beruht auf
der Uebereinstimmung mit dem Objekte, in Ansehung dessen folglich die
Urteile eines jeden Verstandes einstimmig sein muessen (consentientia
uni tertio, consentiunt inter se). Der Probierstein des
Fuerwahrhaltens, ob es Ueberzeugung oder blosse Ueberredung sei, ist
also, aeusserlich, die Moeglichkeit, dasselbe mitzuteilen und das
Fuerwahrhalten fuer jedes Menschen Vernunft gueltig zu befinden; denn
alsdann ist wenigstens eine Vermutung, der Grund der Einstimmung aller
Urteile, unerachtet der Verschiedenheit der Subjekte untereinander,
werde auf dem gemeinschaftlichen Grunde, naemlich dem Objekte,
beruhen, mit welchem sie daher alle zusammenstimmen und dadurch die
Wahrheit des Urteils beweisen werden.
Ueberredung demnach kann von der Ueberzeugung subjektiv zwar nicht
unterschieden werden, wenn das Subjekt das Fuerwahrhalten, bloss als
Erscheinung seines eigenen Gemuets, vor Augen hat; der Versuch aber,
den man mit den Gruenden desselben, die fuer uns gueltig sind, an
anderer Verstand macht, ob sie auf fremde Vernunft eben dieselbe
Wirkung tun, als auf die unsrige, ist doch ein, obzwar nur
subjektives, Mittel, zwar nicht Ueberzeugung zu bewirken, aber doch
die blosse Privatgueltigkeit des Urteils, d.i. etwas in ihm, was
blosse Ueberredung ist, zu entdecken.
Kann man ueberdem die subjektiven Ursachen des Urteils, welche wir
fuer objektive Gruende desselben nehmen, entwickeln, und mithin das
truegliche Fuerwahrhalten als eine Begebenheit in unserem Gemuete
erklaeren, ohne dazu die Beschaffenheit des Objekts noetig zu
haben, so entbloessen wir den Schein und werden dadurch nicht mehr
hintergangen, obgleich immer noch in gewissem Grade versucht, wenn die
subjektive Ursache des Scheins unserer Natur anhaengt.
Ich kann nichts behaupten, d.i. als ein fuer jedermann notwendig
gueltiges Urteil aussprechen, als was Ueberzeugung wirkt. Ueberredung
kann ich fuer mich behalten, wenn ich mich dabei wohlbefinde, kann sie
aber und soll sie ausser mir nicht geltend machen wollen.
Das Fuerwahrhalten, oder die subjektive Gueltigkeit des Urteils, in
Beziehung auf die Ueberzeugung (welche zugleich objektiv gilt), hat
folgende drei Stufen: Meinen, Glauben und Wissen. Meinen ist ein
mit Bewusstsein sowohl subjektiv, als objektiv unzureichendes
Fuerwahrhalten. Ist das letztere nur subjektiv zureichend und wird
zugleich fuer objektiv unzureichend gehalten, so heisst es Glauben.
Endlich heisst das sowohl subjektiv als objektiv zureichende
Fuerwahrhalten das Wissen. Die subjektive Zulaenglichkeit heisst
Ueberzeugung (fuer mich selbst), die objektive, Gewissheit (fuer
jedermann). Ich werde mich bei der Erlaeuterung so fasslicher Begriffe
nicht aufhalten.
Ich darf mich niemals unterwinden, zu meinen, ohne wenigstens etwas
zu wissen, vermittelst dessen das an sich bloss problematische Urteil
eine Verknuepfung mit Wahrheit bekommt, die, ob sie gleich nicht
vollstaendig, doch mehr als willkuerliche Erdichtung ist. Das Gesetz
einer solchen Verknuepfung muss ueberdem gewiss sein. Denn, wenn ich
in Ansehung dessen auch nichts als Meinung habe, so ist alles nur
Spiel der Einbildung, ohne die mindeste Beziehung auf Wahrheit. In
Urteilen aus reiner Vernunft ist es gar nicht erlaubt, zu meinen.
Denn, weil sie nicht auf Erfahrungsgruende gestuetzt werden,
sondern alles a priori erkannt werden soll, wo alles notwendig
ist, so erfordert das Prinzip der Verknuepfung Allgemeinheit und
Notwendigkeit, mithin voellige Gewissheit, widrigenfalls gar keine
Leitung auf Wahrheit angetroffen wird. Daher ist es ungereimt, in
der reinen Mathematik zu meinen; man muss wissen, oder sich alles
Urteilens enthalten. Ebenso ist es mit den Grundsaetzen der
Sittlichkeit bewandt, da man nicht auf blosse Meinung, dass etwas
erlaubt sei, eine Handlung wagen darf, sondern dieses wissen muss.
Im transzendentalen Gebrauche der Vernunft ist dagegen Meinen freilich
zu wenig, aber Wissen auch zu viel. In bloss spekulativer Absicht
koennen wir also hier gar nicht urteilen; weil subjektive Gruende
des Fuerwahrhaltens, wie die, so das Glauben bewirken koennen, bei
spekulativen Fragen keinen Beifall verdienen, da sie sich frei von
aller empirischen Beihilfe nicht halten, noch in gleichem Masse
anderen mitteilen lassen.
Es kann aber ueberall bloss in praktischer Beziehung das theoretisch
unzureichende Fuerwahrhalten Glauben genannt werden. Diese praktische
Absicht ist nun entweder die der Geschicklichkeit, oder der
Sittlichkeit, die erste zu beliebigen und zufaelligen, die zweite aber
zu schlechthin notwendigen Zwecken.
Wenn einmal ein Zweck vorgesetzt ist, so sind die Bedingungen der
Erreichung desselben hypothetisch notwendig. Diese Notwendigkeit ist
subjektiv, aber doch nur komparativ zureichend, wenn ich gar keine
anderen Bedingungen weiss, unter denen der Zweck zu erreichen waere;
aber sie ist schlechthin und fuer jedermann zureichend, wenn ich
gewiss weiss, dass niemand andere Bedingungen kennen koenne, die
auf den vorgesetzten Zweck fuehren. Im ersten Falle ist meine
Voraussetzung und das Fuerwahrhalten gewisser Bedingungen ein bloss
zufaelliger, im zweiten Falle aber ein notwendiger Glaube. Der Arzt
muss bei einem Kranken, der in Gefahr ist, etwas tun, kennt aber die
Krankheit nicht. Er sieht auf die Erscheinungen, und urteilt, weil er
nichts Besseres weiss, es sei die Schwindsucht. Sein Glaube ist selbst
in seinem eigenen Urteile bloss zufaellig, ein anderer moechte es
vielleicht besser treffen. Ich nenne dergleichen zufaelligen Glauben,
der aber dem wirklichen Gebrauche der Mittel zu gewissen Handlungen
zum Grunde liegt, den pragmatischen Glauben.
Der gewoehnliche Probierstein: ob etwas blosse Ueberredung, oder
wenigstens subjektive Ueberzeugung, d.i. festes Glauben sei, was
jemand behauptet, ist das Wetten. Oefters spricht jemand seine Saetze
mit so zuversichtlichem und unlenkbarem Trotze aus, dass er alle
Besorgnis des Irrtums gaenzlich abgelegt zu haben scheint. Eine Wette
macht ihn stutzig. Bisweilen zeigt sich, dass er zwar Ueberredung
genug, die auf einen Dukaten an Wert geschaetzt werden kann, aber
nicht auf zehn, besitze. Denn den ersten wagt er noch wohl, aber bei
zehn wird er allererst inne, was er vorher nicht bemerkte, dass es
naemlich doch wohl moeglich sei, er habe sich geirrt. Wenn man sich
in Gedanken vorstellt, man solle worauf das Glueck des ganzen Lebens
verwetten, so schwindet unser triumphierendes Urteil gar sehr, wir
werden ueberaus schuechtern und entdecken so allererst, dass unser
Glaube so weit nicht zulange. So hat der pragmatische Glaube nur einen
Grad, der nach Verschiedenheit des Interesses, das dabei im Spiele
ist, gross oder auch klein sein kann.
Weil aber, ob wir gleich in Beziehung auf ein Objekt gar nichts
unternehmen koennen, also das Fuerwahrhalten bloss theoretisch ist,
wir doch in vielen Faellen eine Unternehmung in Gedanken fassen und
uns einbilden koennen, zu welcher wir hinreichende Gruende zu haben
vermeinen, wenn es ein Mittel gaebe, die Gewissheit der Sache
auszumachen, so gibt es in bloss theoretischen Urteilen ein Analogon
von praktischen, auf deren Fuerwahrhaltung das Wort Glauben passt, und
den wir den doktrinalen Glauben nennen koennen. Wenn es moeglich waere
durch irgendeine Erfahrung auszumachen, so moechte ich wohl alles das
Meinige darauf verwetten, dass es wenigstens in irgendeinem von den
Planeten, die wir sehen, Einwohner gebe. Daher sage ich, ist es nicht
bloss Meinung, sondern ein starker Glaube (auf dessen Richtigkeit ich
schon viele Vorteile des Lebens wagen wuerde), dass es auch Bewohner
anderer Welten gebe.
Nun muessen wir gestehen, dass die Lehre vom Dasein Gottes zum
doktrinalen Glauben gehoere. Denn, ob ich gleich in Ansehung der
theoretischen Weltkenntnis nichts zu verfuegen habe, was diesen
Gedanken, als Bedingung meiner Erklaerungen der Erscheinungen der
Welt, notwendig voraussetze, sondern vielmehr verbunden bin, meiner
Vernunft mich so zu bedienen, als ob alles bloss Natur sei; so ist
doch die zweckmaessige Einheit eine so grosse Bedingung der Anwendung
der Vernunft auf Natur, dass ich, da mir ueberdem Erfahrung reichlich
davon Beispiele darbietet, sie gar nicht vorbeigehen kann. Zu dieser
Einheit aber kenne ich keine andere Bedingung, die sie mir zum
Leitfaden der Naturforschung machte, als wenn ich voraussetze, dass
eine hoechste Intelligenz alles nach den weisesten Zwecken so geordnet
habe. Folglich ist es eine Bedingung einer zwar zufaelligen, aber
doch nicht unerheblichen Absicht, naemlich, um eine Leitung in
der Nachforschung der Natur zu haben, einen weisen Welturheber
vorauszusetzen. Der Ausgang meiner Versuche bestaetigt auch so oft die
Brauchbarkeit dieser Voraussetzung, und nichts kann auf entscheidende
Art dawider angefuehrt werden; dass ich viel zu wenig sage, wenn ich
mein Fuerwahrhalten bloss ein Meinen nennen wollte, sondern es kann
selbst in diesem theoretischen Verhaeltnisse gesagt werden, dass
ich festiglich einen Gott glaube; aber alsdann ist dieser Glaube
in strenger Bedeutung dennoch nicht praktisch, sondern muss ein
doktrinaler Glaube genannt werden, den die Theologie der Natur
(Physikotheologie) notwendig allerwaerts bewirken muss. In Ansehung
eben derselben Weisheit, in Ruecksicht auf die vortreffliche
Ausstattung der menschlichen Natur und die derselben so schlecht
angemessene Kuerze des Lebens, kann ebensowohl genugsamer Grund zu
einem doktrinalen Glauben des kuenftigen Lebens der menschlichen Seele
angetroffen werden.
Der Ausdruck des Glaubens ist in solchen Faellen ein Ausdruck
der Bescheidenheit in objektiver Absicht, aber doch zugleich
der Festigkeit des Zutrauens in subjektiver. Wenn ich das bloss
theoretische Fuerwahrhalten hier auch nur Hypothese nennen wollte,
die ich anzunehmen berechtigt waere, so wuerde ich mich dadurch schon
anheischig machen, mehr, von der Beschaffenheit einer Weltursache und
einer anderen Welt, Begriff zu haben, als ich wirklich aufzeigen kann;
denn was ich auch nur als Hypothese annehme, davon muss ich wenigstens
seinen Eigenschaften nach so viel kennen, dass ich nicht seinen
Begriff, sondern nur sein Dasein erdichten darf. Das Wort Glauben aber
geht nur auf die Leitung, die mir eine Idee gibt, und den subjektiven
Einfluss auf die Befoerderung meiner Vernunfthandlungen, die mich an
derselben festhaelt, ob ich gleich von ihr nicht imstande bin, in
spekulativer Absicht Rechenschaft zu geben.
Aber der bloss doktrinale Glaube hat etwas Wankendes in sich; man wird
oft durch Schwierigkeiten, die sich in der Spekulation vorfinden, aus
demselben gesetzt, ob man zwar unausbleiblich dazu immer wiederum
zurueckkehrt.
Ganz anders ist es mit dem moralischen Glauben bewandt. Denn da ist es
schlechterdings notwendig, dass etwas geschehen muss, naemlich, dass
ich dem sittlichen Gesetze in allen Stuecken Folge leiste. Der Zweck
ist hier unumgaenglich festgestellt, und es ist nur eine einzige
Bedingung nach aller meiner Einsicht moeglich, unter welcher dieser
Zweck mit allen gesamten Zwecken zusammenhaengt, und dadurch
praktische Gueltigkeit habe, naemlich, dass ein Gott und eine
kuenftige Welt sei: ich weiss auch ganz gewiss, dass niemand andere
Bedingungen kenne, die auf dieselbe Einheit der Zwecke unter dem
moralischen Gesetze fuehre. Da aber also die sittliche Vorschrift
zugleich meine Maxime ist (wie denn die Vernunft gebietet, dass sie
es sein soll), so werde ich unausbleiblich ein Dasein Gottes und ein
kuenftiges Leben glauben, und ich bin sicher, dass diesen Glauben
nichts wankend machen koennte, weil dadurch meine sittlichen
Grundsaetze selbst umgestuerzt werden wuerden, denen ich nicht
entsagen kann, ohne in meinen eigenen Augen verabscheuungswuerdig zu
sein.
Auf solche Weise bleibt uns, nach Vereitlung aller ehrsuechtigen
Absichten einer ueber die Grenzen aller Erfahrung hinaus
herumschweifenden Vernunft, noch genug uebrig, dass wir damit in
praktischer Absicht zufrieden zu sein Ursache haben. Zwar wird
freilich sich niemand ruehmen koennen: er wisse, dass ein Gott und
dass ein kuenftig Leben sei; denn, wenn er das weiss, so ist er gerade
der Mann, den ich laengst gesucht habe. Alles Wissen (wenn es einen
Gegenstand der blossen Vernunft betrifft) kann man mitteilen, und ich
wuerde also auch hoffen koennen, durch seine Belehrung mein Wissen
in so bewunderungswuerdigem Masse ausgedehnt zu sehen. Nein, die
Ueberzeugung ist nicht logische, sondern moralische Gewissheit, und,
da sie auf subjektiven Gruenden (der moralischen Gesinnung) beruht, so
muss ich nicht einmal sagen: es ist moralisch gewiss, dass ein Gott
sei usw., sondern, ich bin moralisch gewiss usw. Das heisst: der
Glaube an einen Gott und eine andere Welt ist mit meiner moralischen
Gesinnung so verwebt, dass, so wenig ich Gefahr laufe, die erstere
einzubuessen, ebensowenig besorge ich, dass mir der zweite jemals
entrissen werden koenne.
Das einzige Bedenkliche, das sich hierbei findet, ist, dass sich
dieser Vernunftglaube auf die Voraussetzung moralischer Gesinnungen
gruendet. Gehen wir davon ab, und nehmen einen, der in Ansehung
sittlicher Gesetze gaenzlich gleichgueltig waere, so wird die Frage,
welche die Vernunft aufwirft, bloss eine Aufgabe fuer die Spekulation,
und kann alsdann zwar noch mit starken Gruenden aus der Analogie, aber
nicht mit solchen, denen sich die hartnaeckigste Zweifelsucht ergeben
muesste, unterstuetzt werden*. Es ist aber kein Mensch bei diesen
Fragen frei von allem Interesse. Denn, ob er gleich von dem
moralischen, durch den Mangel guter Gesinnungen, getrennt sein
moechte: so bleibt doch auch in diesem Falle genug uebrig, um zu
machen, dass er ein goettliches Dasein und eine Zukunft fuerchte.
Denn hierzu wird nicht mehr erfordert, als dass er wenigstens keine
Gewissheit vorschuetzen koenne, dass kein solches Wesen und kein
kuenftig Leben anzutreffen sei, wozu, weil es durch blosse Vernunft,
mithin apodiktisch bewiesen werden muesste, er die Unmoeglichkeit von
beiden darzutun haben wuerde, welches gewiss kein vernuenftiger Mensch
uebernehmen kann. Das wuerde ein negativer Glaube sein, der zwar nicht
Moralitaet und gute Gesinnungen, aber doch das Analogon derselben
bewirken, naemlich den Ausbruch der boesen maechtig zurueckhalten
koennte.
* Das menschliche Gemuet nimmt (so wie ich glaube, dass es bei jedem
  vernuenftigen Wesen notwendig geschieht) ein natuerliches Interesse
  an der Moralitaet, ob es gleich nicht ungeteilt und praktisch
  ueberwiegend ist. Befestigt und vergroessert dieses Interesse, und
  ihr werdet die Vernunft sehr gelehrig und selbst aufgeklaerter
  finden, um mit dem praktischen auch das spekulative Interesse
  zu vereinigen. Sorget ihr aber nicht dafuer, dass ihr vorher,
  wenigstens auf dem halben Wege, gute Menschen macht, so werdet ihr
  auch niemals aus ihnen aufrichtigglaeubige Menschen machen!
Ist das aber alles, wird man sagen, was reine Vernunft ausrichtet,
indem sie ueber die Grenzen der Erfahrung hinaus Aussichten eroeffnet?
nichts mehr, als zwei Glaubensartikel? so viel haette auch wohl der
gemeine Verstand, ohne darueber den Philosophen zu Rate zu ziehen,
ausrichten koennen!
Ich will hier nicht das Verdienst ruehmen, das Philosophie durch die
muehsame Bestrebung ihrer Kritik um die menschliche Vernunft habe;
gesetzt, es sollte auch beim Ausgange bloss negativ befunden werden;
denn davon wird in dem folgenden Abschnitte noch etwas vorkommen. Aber
verlangt ihr denn, dass ein Erkenntnis, welches alle Menschen angeht,
den gemeinen Verstand uebersteigen, und euch nur von Philosophen
entdeckt werden solle? Eben das, was ihr tadelt, ist die beste
Bestaetigung von der Richtigkeit der bisherigen Behauptungen, da es
das, was man anfangs nicht vorhersehen konnte, entdeckt, naemlich,
dass die Natur, in dem, was Menschen ohne Unterschied angelegen ist,
keiner parteiischen Austeilung ihrer Gaben zu beschuldigen sei, und
die hoechste Philosophie in Ansehung der wesentlichen Zwecke der
menschlichen Natur es nicht weiter bringen koenne, als die Leitung,
welche sie auch dem gemeinsten Verstande hat angedeihen lassen.
Der transzendentalen Methodenlehre
Drittes Hauptstueck
Die Architektonik der reinen Vernunft
Ich verstehe unter einer Architektonik die Kunst der Systeme. Weil die
systematische Einheit dasjenige ist, was gemeine Erkenntnis allererst
zur Wissenschaft, d.i. aus einem blossen Aggregat derselben ein
System macht, so ist Architektonik die Lehre des scientifischen in
unserer Erkenntnis ueberhaupt, und sie gehoert also notwendig zur
Methodenlehre.
Unter der Regierung der Vernunft duerfen unsere Erkenntnisse
ueberhaupt keine Rhapsodie, sondern sie muessen ein System ausmachen,
in welchem sie allein die wesentlichen Zwecke derselben unterstuetzen
und befoerdern koennen. Ich verstehe aber unter einem Systeme die
Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee. Diese ist
der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, sofern durch denselben
der Umfang des Mannigfaltigen sowohl, als die Stelle der Teile
untereinander, a priori bestimmt wird. Der szientifische
Vernunftbegriff enthaelt also den Zweck und die Form des Ganzen, das
mit demselben kongruiert. Die Einheit des Zwecks, worauf sich alle
Teile und in der Idee desselben auch untereinander beziehen, macht,
dass ein jeder Teil bei der Kenntnis der uebrigen vermisst werden
kann, und keine zufaellige Hinzusetzung, oder unbestimmte Groesse
der Vollkommenheit, die nicht ihre a priori bestimmten Grenzen
habe, stattfindet. Das Ganze ist also gegliedert (articulatio) und
nicht gehaeuft (coacervatio); es kann zwar innerlich (per intus
susceptionem), aber nicht aeusserlich (per appositionem) wachsen,
wie ein tierischer Koerper, dessen Wachstum kein Glied hinzusetzt,
sondern, ohne Veraenderung der Proportion, ein jedes zu seinen Zwecken
staerker und tuechtiger macht.
Die Idee bedarf zur Ausfuehrung ein Schema, d.i. eine a priori aus dem
Prinzip des Zwecks bestimmte wesentliche Mannigfaltigkeit und Ordnung
der Teile. Das Schema, welches nicht nach einer Idee, d.i. aus dem
Hauptzwecke der Vernunft, sondern empirisch, nach zufaellig sich
darbietenden Absichten (deren Menge man nicht voraus wissen kann),
entworfen wird, gibt technische, dasjenige aber, was nur zufolge einer
Idee entspringt (wo die Vernunft die Zwecke a priori aufgibt, und
nicht empirisch erwartet), gruendet architektonische Einheit. Nicht
technisch, wegen der Aehnlichkeit des Mannigfaltigen, oder des
zufaelligen Gebrauchs der Erkenntnis in concreto zu allerlei
beliebigen aeusseren Zwecken, sondern architektonisch, um der
Verwandtschaft willen und der Ableitung von einem einigen obersten und
inneren Zwecke, der das Ganze allererst moeglich macht, kann dasjenige
entspringen, was wir Wissenschaft nennen, dessen Schema den Umriss
(monogramma) und die Einteilung des Ganzen in Glieder, der Idee
gemaess, d.i. a priori enthalten, und dieses von allen anderen sicher
und nach Prinzipien unterscheiden muss.
Niemand versucht es, eine Wissenschaft zustande zu bringen, ohne dass
ihm eine Idee zum Grunde liege. Allein, in der Ausarbeitung derselben
entspricht das Schema, ja sogar die Definition, die er gleich zu
Anfang von seiner Wissenschaft gibt, sehr selten seiner Idee; denn
diese liegt, wie ein Keim, in der Vernunft, in welchem alle Teile noch
sehr eingewickelt und kaum der mikroskopischen Beobachtung kennbar,
verborgen liegen. Um deswillen muss man Wissenschaften, weil sie doch
alle aus dem Gesichtspunkte eines gewissen allgemeinen Interesses
ausgedacht werden, nicht nach der Beschreibung, die der Urheber
derselben davon gibt, sondern nach der Idee, welche man aus der
natuerlichen Einheit der Teile, die er zusammengebracht hat, in der
Vernunft selbst gegruendet findet, erklaeren und bestimmen. Denn da
wird sich finden, dass der Urheber und oft noch seine spaetesten
Nachfolger um eine Idee herumirren, die sie sich selbst nicht haben
deutlich machen und daher den eigentuemlichen Inhalt, die Artikulation
(systematische Einheit) und Grenzen der Wissenschaft nicht bestimmen
koennen.
Es ist schlimm, dass nur allererst, nachdem wir lange Zeit, nach
Anweisung einer in uns versteckt liegenden Idee, rhapsodistisch viele
dahin sich beziehenden Erkenntnisse, als Bauzeug, gesammelt, ja gar
lange Zeiten hindurch sie technisch zusammengesetzt haben, es uns dann
allererst moeglich ist, die Idee in hellerem Lichte zu erblicken, und
ein Ganzes nach den Zwecken der Vernunft architektonisch zu entwerfen.
Die Systeme scheinen, wie Gewuerme, durch eine generatio equivoca,
aus dem blossen Zusammenfluss von aufgesammelten Begriffen, anfangs
verstuemmelt, mit der Zeit vollstaendig, gebildet worden zu sein, ob
sie gleich alle insgesamt ihr Schema, als den urspruenglichen Keim, in
der sich bloss auswickelnden Vernunft hatten, und darum, nicht allein
ein jedes fuer sich nach einer Idee gegliedert, sondern noch dazu
alle untereinander in einem System menschlicher Erkenntnis wiederum
als Glieder eines Ganzen zweckmaessig vereinigt sind, und eine
Architektonik alles menschlichen Wissens erlauben, die jetziger Zeit,
da schon so viel Stoff gesammelt ist, oder aus Ruinen eingefallener
alter Gebaeude genommen werden kann, nicht allein moeglich, sondern
nicht einmal sogar schwer sein wuerde. Wir begnuegen uns hier mit der
Vollendung unseres Geschaeftes, naemlich, lediglich die Architektonik
aller Erkenntnis aus reiner Vernunft zu entwerfen, und fangen nur von
dem Punkte an, wo sich die allgemeine Wurzel unserer Erkenntniskraft
teilt und zwei Staemme auswirft, deren einer Vernunft ist. Ich
verstehe hier aber unter Vernunft das ganze obere Erkenntnisvermoegen,
und setze also das Rationale dem Empirischen entgegen.
Wenn ich von allem Inhalte der Erkenntnis, objektiv betrachtet,
abstrahiere, so ist alles Erkenntnis, subjektiv, entweder historisch
oder rational. Die historische Erkenntnis ist cognitio ex datis,
die rationale aber cognitio ex principiis. Eine Erkenntnis mag
urspruenglich gegeben sein, woher sie wolle, so ist sie doch bei dem,
der sie besitzt, historisch, wenn er nur in dem Grade und so viel
erkennt, als ihm anderwaerts gegeben worden, es mag dieses ihm nun
durch unmittelbare Erfahrung oder Erzaehlung, oder auch Belehrung
(allgemeiner Erkenntnisse) gegeben sein. Daher hat der, welcher ein
System der Philosophie, z.B. das Wolfische, eigentlich gelernt hat,
ob er gleich alle Grundsaetze, Erklaerungen und Beweise, zusamt der
Einteilung des ganzen Lehrgebaeudes, im Kopfe haette, und alles an
den Fingern abzaehlen koennte, doch keine andere als vollstaendige
historische Erkenntnis der Wolfischen Philosophie; er weiss und
urteilt nur so viel, als ihm gegeben war. Streitet ihm eine
Definition, so weiss er nicht, wo er eine andere hernehmen soll. Er
bildete sich nach fremder Vernunft, aber das nachbildende Vermoegen
ist nicht das erzeugende, d.i. das Erkenntnis entsprang bei ihm
nicht aus Vernunft, und, ob es gleich, objektiv, allerdings ein
Vernunfterkenntnis war, so ist es doch, subjektiv, bloss historisch.
Er hat gut gefasst und behalten, d.i. gelernt, und ist ein Gipsabdruck
von einem lebenden Menschen. Vernunfterkenntnisse, die es objektiv
sind, (d.i. zu anfangs nur aus der eigenen Vernunft des Menschen
entspringen koennen,) duerfen nur dann allein auch subjektiv diesen
Namen fuehren, wenn sie aus allgemeinen Quellen der Vernunft, woraus
auch die Kritik, ja selbst die Verwerfung des Gelernten entspringen
kann, d.i. aus Prinzipien geschoepft worden.
Alle Vernunfterkenntnis ist nun entweder die aus Begriffen, oder aus
der Konstruktion der Begriffe; die erstere heisst philosophisch, die
zweite mathematisch. Von dem inneren Unterschiede beider habe ich
schon im ersten Hauptstuecke gehandelt. Ein Erkenntnis demnach kann
objektiv philosophisch sein, und ist doch subjektiv historisch, wie
bei den meisten Lehrlingen, und bei allen, die ueber die Schule
niemals hinausgehen und zeitlebens Lehrlinge bleiben. Es ist aber doch
sonderbar, dass das mathematische Erkenntnis, so wie man es erlernt
hat, doch auch subjektiv fuer Vernunfterkenntnis gelten kann, und ein
solcher Unterschied bei ihr nicht so, wie bei dem philosophischen
stattfindet. Die Ursache ist, weil die Erkenntnisquellen, aus
denen der Lehrer allein schoepfen kann, nirgend anders als in den
wesentlichen und echten Prinzipien der Vernunft liegen, und mithin von
dem Lehrlinge nirgend anders hergenommen, noch etwa gestritten werden
koennen, und dieses zwar darum, weil der Gebrauch der Vernunft hier
nur in concreto, obzwar dennoch a priori, naemlich an der reinen,
und eben deswegen fehlerfreien, Anschauung geschieht, und alle
Taeuschung und Irrtum ausschliesst. Man kann also unter allen
Vernunftwissenschaften (a priori) nur allein Mathematik, niemals
aber Philosophie (es sei denn historisch), sondern, was die Vernunft
betrifft, hoechstens nur philosophieren lernen.
Das System aller philosophischen Erkenntnis ist nun Philosophie. Man
muss sie objektiv nehmen, wenn man darunter das Urbild der Beurteilung
aller Versuche zu philosophieren versteht, welche jede subjektive
Philosophie zu beurteilen dienen soll, deren Gebaeude oft so
mannigfaltig und so veraenderlich ist. Auf diese Weise ist Philosophie
eine blosse Idee von einer moeglichen Wissenschaft, die nirgend in
concreto gegeben ist, welcher man sich aber auf mancherlei Wegen zu
naehern sucht, so lange, bis der einzige, sehr durch Sinnlichkeit
verwachsene Fusssteig entdeckt wird, und das bisher verfehlte
Nachbild, so weit als es Menschen vergoennt ist, dem Urbilde gleich zu
machen gelingt. Bis dahin kann man keine Philosophie lernen; denn, wo
ist sie, wer hat sie im Besitze, und woran laesst sie sich erkennen?
Man kann nur philosophieren lernen, d.i. das Talent der Vernunft in
der Befolgung ihrer allgemeinen Prinzipien an gewissen vorhandenen
Versuchen ueben, doch immer mit Vorbehalt des Rechts der Vernunft,
jene selbst in ihren Quellen zu untersuchen und zu bestaetigen, oder
zu verwerfen.
Bis dahin ist aber der Begriff von Philosophie nur ein Schulbegriff,
naemlich von einem System der Erkenntnis, die nur als Wissenschaft
gesucht wird, ohne etwas mehr als die systematische Einheit dieses
Wissens, mithin die logische Vollkommenheit der Erkenntnis zum Zwecke
zu haben. Es gibt aber noch einen Weltbegriff (conceptus cosmicus),
der dieser Benennung jederzeit zum Grunde gelegen hat, vornehmlich
wenn man ihn gleichsam personifizierte und in dem Ideal des
Philosophen sich als ein Urbild vorstellte. In dieser Absicht ist
Philosophie die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf
die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft (teleologia rationis
humanae), und der Philosoph ist nicht ein Vernunftkuenstler, sondern
der Gesetzgeber der menschlichen Vernunft. In solcher Bedeutung waere
es sehr ruhmredig, sich selbst einen Philosophen zu nennen, und sich
anzumassen, dem Urbilde, das nur in der Idee liegt, gleichgekommen zu
sein.
Der Mathematiker, der Naturkuendiger, der Logiker sind, so
vortrefflich die ersteren auch ueberhaupt im Vernunfterkenntnisse,
die zweiten besonders im philosophischen Erkenntnisse Fortgang haben
moegen, doch nur Vernunftkuenstler. Es gibt noch einen Lehrer im
Ideal, der alle diese ansetzt, sie als Werkzeuge nutzt, um die
wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft zu befoerdern. Diesen
allein muessten wir den Philosoph nennen; aber, da er selbst doch
nirgend, die Idee aber seiner Gesetzgebung allenthalben in jeder
Menschenvernunft angetroffen wird, so wollen wir uns lediglich an der
letzteren halten, und naeher bestimmen, was Philosophie, nach diesem
Weltbegriffe*, fuer systematische Einheit aus dem Standpunkte der
Zwecke vorschreibe.
* Weltbegriff heisst hier derjenige, der das betrifft, was jedermann
  notwendig interessiert; mithin bestimme ich die Absicht einer
  Wissenschaft nach Schulbegriffen, wenn sie nur als eine von den
  Geschicklichkeiten zu gewissen beliebigen Zwecken angesehen wird.
Wesentliche Zwecke sind darum noch nicht die hoechsten, deren (bei
vollkommener systematischer Einheit der Vernunft) nur ein einziger
sein kann. Daher sind sie entweder der Endzweck, oder subalterne
Zwecke, die zu jenem als Mittel notwendig gehoeren. Der erstere
ist kein anderer, als die ganze Bestimmung des Menschen, und die
Philosophie ueber dieselbe heisst Moral. Um dieses Vorzugs willen, den
die Moralphilosophie vor aller anderen Vernunftbewerbung hat, verstand
man auch bei den Alten unter dem Namen des Philosophen jederzeit
zugleich und vorzueglich den Moralist, und selbst macht der aeussere
Schein der Selbstbeherrschung durch Vernunft, dass man jemanden
noch jetzt, bei seinem eingeschraenkten Wissen, nach einer gewissen
Analogie, Philosoph nennt.
Die Gesetzgebung der menschlichen Vernunft (Philosophie) hat nun
zwei Gegenstaende, Natur und Freiheit, und enthaelt also sowohl das
Naturgesetz, als auch das Sittengesetz, anfangs in zwei besonderen,
zuletzt aber in einem einzigen philosophischen System. Die Philosophie
der Natur geht auf alles, was da ist; die der Sitten, nur auf das, was
da sein soll.
Alle Philosophie aber ist entweder Erkenntnis aus reiner Vernunft,
oder Vernunfterkenntnis aus empirischen Prinzipien. Die erstere heisst
reine, die zweite empirische Philosophie.
Die Philosophie der reinen Vernunft ist nun entweder Propaedeutik
(Voruebung), welche das Vermoegen der Vernunft in Ansehung aller
reinen Erkenntnis a priori untersucht, und heisst Kritik, oder
zweitens das System der reinen Vernunft (Wissenschaft), die ganze
(wahre sowohl als scheinbare) philosophische Erkenntnis aus reiner
Vernunft im systematischen Zusammenhange, und heisst Metaphysik;
wiewohl dieser Name auch der ganzen reinen Philosophie mit Inbegriff
der Kritik gegeben werden kann, um, sowohl die Untersuchung alles
dessen, was jemals a priori erkannt werden kann, als auch die
Darstellung desjenigen, was ein System reiner philosophischer
Erkenntnisse dieser Art ausmacht, von allein empirischen aber,
imgleichen dem mathematischen Vernunftgebrauche unterschieden ist,
zusammen zu fassen.
Die Metaphysik teilt sich in die des spekulativen und praktischen
Gebrauchs der reinen Vernunft, und ist also entweder Metaphysik
der Natur, oder Metaphysik der Sitten. Jene enthaelt alle reinen
Vernunftprinzipien aus blossen Begriffen (mithin mit Ausschliessung
der Mathematik) von dem theoretischen Erkenntnisse aller Dinge; diese
die Prinzipien, welche das Tun und Lassen a priori bestimmen und
notwendig machen. Nun ist die Moralitaet die einzige Gesetzmaessigkeit
der Handlungen, die voellig a priori aus Prinzipien abgeleitet werden
kann. Daher ist die Metaphysik der Sitten eigentlich die reine Moral,
in welcher keine Anthropologie (keine empirische Bedingung) zum Grunde
gelegt wird. Die Metaphysik der spekulativen Vernunft ist nun das,
was man im engeren Verstande Metaphysik zu nennen pflegt; sofern
aber reine Sittenlehre doch gleichwohl zu dem besonderen Stamme
menschlicher und zwar philosophischer Erkenntnis aus reiner Vernunft
gehoert, so wollen wir ihr jene Benennung erhalten, obgleich wir sie,
als zu unserem Zwecke jetzt nicht gehoerig, hier beiseite setzen.
Es ist von der aeussersten Erheblichkeit, Erkenntnisse, die ihrer
Gattung und Ursprunge nach von anderen unterschieden sind, zu
isolieren, und sorgfaeltig zu verhueten, dass sie nicht mit anderen,
mit welchen sie im Gebrauche gewoehnlich verbunden sind, in ein
Gemisch zusammenfliessen. Was Chemiker beim Scheiden der Materien, was
Mathematiker in ihrer reinen Groessenlehre tun, das liegt noch weit
mehr dem Philosophen ob, damit er den Anteil, den eine besondere Art
der Erkenntnis am herumschweifenden Verstandesgebrauch hat, ihren
eigenen Wert und Einfluss sicher bestimmen koenne. Daher hat die
menschliche Vernunft seitdem, dass sie gedacht, oder vielmehr
nachgedacht hat, niemals einer Metaphysik entbehren, aber gleichwohl
sie nicht, genugsam gelaeutert von allem Fremdartigen, darstellen
koennen. Die Idee einer solchen Wissenschaft ist ebenso alt, als
spekulative Menschenvernunft; und welche Vernunft spekuliert nicht,
es mag nun auf scholastische, oder populaere Art geschehen? Man muss
indessen gestehen, dass die Unterscheidung der zwei Elemente unserer
Erkenntnis, deren die einen voellig a priori in unserer Gewalt sind,
die anderen nur a posteriori aus der Erfahrung genommen werden
koennen, selbst bei Denkern von Gewerbe, nur sehr undeutlich blieb,
und daher niemals die Grenzbestimmung einer besonderen Art von
Erkenntnis, mithin nicht die echte Idee einer Wissenschaft, die so
lange und so sehr die menschliche Vernunft beschaeftigt hat, zustande
bringen konnte. Wenn man sagte: Metaphysik ist die Wissenschaft von
den ersten Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, so bemerkte man
dadurch nicht eine ganz besondere Art, sondern nur einen Rang in
Ansehung der Allgemeinheit, dadurch sie also vom Empirischen nicht
kenntlich unterschieden werden konnte; denn auch unter empirischen
Prinzipien sind einige allgemeiner, und darum hoeher als andere, und,
in der Reihe einer solchen Unterordnung, (da man das, was voellig
a priori, von dem, was nur a posteriori erkannt wird, nicht
unterscheidet,) wo soll man den Abschnitt machen, der den ersten Teil
und die obersten Glieder von dem letzten und den untergeordneten
unterschiede? Was wuerde man dazu sagen, wenn die Zeitrechnung die
Epochen der Welt nur so bezeichnen koennte, dass sie sie in die
ersten Jahrhunderte und in die darauffolgenden einteilte? Gehoert das
fuenfte, das zehnte usw. Jahrhundert auch zu den ersten? wuerde man
fragen; ebenso frage ich: gehoert der Begriff des Ausgedehnten zur
Metaphysik? ihr antwortet, ja! ei, aber auch der des Koerpers? ja!
und der des fluessigen Koerpers? ihr werdet stutzig, denn, wenn es
so weiterfortgeht, so wird alles in die Metaphysik gehoeren. Hieraus
sieht man, dass der blosse Grad der Unterordnung (das Besondere unter
dem Allgemeinen) keine Grenzen einer Wissenschaft bestimmen koenne,
sondern in unserem Falle die gaenzliche Ungleichartigkeit und
Verschiedenheit des Ursprungs. Was aber die Grundidee der Metaphysik
noch auf einer anderen Seite verdunkelte, war, dass sie als Erkenntnis
a priori mit der Mathematik eine gewisse Gleichartigkeit zeigt, die
zwar, was den Ursprung a priori betrifft, sie einander verwandt, was
aber die Erkenntnisart aus Begriffen bei jener, in Vergleichung mit
der Art, bloss durch Konstruktion der Begriffe a priori zu urteilen,
bei dieser, mithin den Unterschied einer philosophischen Erkenntnis
von der mathematischen anlangt; so zeigt sich eine so entschiedene
Ungleichartigkeit, die man zwar jederzeit gleichsam fuehlte, niemals
aber auf deutliche Kriterien bringen konnte. Dadurch ist es nun
geschehen, dass, da Philosophen selbst in der Entwicklung der Idee
ihrer Wissenschaften fehlten, die Bearbeitung derselben keinen
bestimmten Zweck und keine sichere Richtschnur haben konnte, und sie,
bei einem so willkuerlich gemachten Entwurfe, unwissend in dem Wege,
den sie zu nehmen haetten, und jederzeit unter sich streitig, ueber
die Entdeckungen, die ein jeder auf dem seinigen gemacht haben wollte,
ihre Wissenschaft zuerst bei anderen und endlich sogar bei sich selbst
in Verachtung brachten.
Alle reine Erkenntnis a priori macht also, vermoege dem besonderen
Erkenntnisvermoegen, darin es allein seinen Sitz haben kann, eine
besondere Einheit aus, und Metaphysik ist diejenige Philosophie,
welche jene Erkenntnis in dieser systematischen Einheit darstellen
soll. Der spekulative Teil derselben, der sich diesen Namen
vorzueglich zugeeignet hat, naemlich die, welche wir Metaphysik der
Natur nennen, und alles, sofern es ist, (nicht das, was sein soll,)
aus Begriffen a priori erwaegt, wird nun auf folgende Art eingeteilt.
Die im engeren Verstande so genannte Metaphysik besteht aus der
Transzendentalphilosophie und der Physiologie der reinen Vernunft.
Die erstere betrachtet nur den Verstand, und Vernunft selbst in einem
System aller Begriffe und Grundsaetze, die sich auf Gegenstaende
ueberhaupt beziehen, ohne Objekte anzunehmen, die gegeben waeren
(Ontologia); die zweite betrachtet Natur, d.i. den Inbegriff gegebener
Gegenstaende, (sie moegen nun den Sinnen, oder, wenn man will, einer
anderen Art von Anschauung gegeben sein,) und ist also Physiologie
(obgleich nur rationalis). Nun ist aber der Gebrauch der Vernunft
in dieser rationalen Naturbetrachtung entweder physisch, oder
hyperphysisch, oder besser, entweder immanent oder transzendent.
Der erstere geht auf die Natur, so weit als ihre Erkenntnis in
der Erfahrung (in concreto) kann angewandt werden, der zweite auf
diejenige Verknuepfung der Gegenstaende der Erfahrung, welche alle
Erfahrung uebersteigt. Diese transzendente Physiologie hat daher
entweder eine innere Verknuepfung, oder aeussere, die aber beide
ueber moegliche Erfahrung hinausgehen, zu ihrem Gegenstande; jene
ist die Physiologie der gesamten Natur, d.i. die transzendentale
Welterkenntnis, diese des Zusammenhanges der gesamten Natur mit einem
Wesen ueber der Natur, d.i. die transzendentale Gotteserkenntnis.
Die immanente Physiologie betrachtet dagegen Natur als den Inbegriff
aller Gegenstaende der Sinne, mithin so wie sie uns gegeben ist, aber
nur nach Bedingungen a priori, unter denen sie uns ueberhaupt gegeben
werden kann. Es sind aber nur zweierlei Gegenstaende derselben. 1. Die
der aeusseren Sinne, mithin der Inbegriff derselben, die koerperliche
Natur. 2. Der Gegenstand des inneren Sinnes, die Seele, und, nach
den Grundbegriffen derselben ueberhaupt, die denkende Natur. Die
Metaphysik der koerperlichen Natur heisst Physik, aber, weil sie nur
die Prinzipien ihrer Erkenntnis a priori enthalten soll, rationale
Physik. Die Metaphysik der denkenden Natur heisst Psychologie und aus
der eben angefuehrten Ursache ist hier nur die rationale Erkenntnis
derselben zu verstehen.
Demnach besteht das ganze System der Metaphysik aus vier Hauptteilen.
1. Der ontologie. 2. Der rationalen Physiologie. 3. Der rationalen
Kosmologie. 4. Der rationalen Theologie. Der zweite Teil, naemlich die
Naturlehre der reinen Vernunft, enthaelt zwei Abteilungen, die physica
rationalis* und psychologia rationalis.
* Man denke ja nicht, dass ich hierunter dasjenige verstehe, was man
  gemeiniglich physica generalis nennt, und mehr Mathematik, als
  Philosophie der Natur ist. Denn die Metaphysik der Natur sondert
  sich gaenzlich von der Mathematik ab, hat auch bei weitem nicht so
  viel erweiternde Einsichten anzubieten, als diese, ist aber doch
  sehr wichtig, in Ansehung der Kritik des auf die Natur anzuwendenden
  reinen Verstandeserkenntnisses ueberhaupt; in Ermanglung deren
  selbst Mathematiker, indem sie gewissen gemeinen, in der Tat doch
  metaphysischen Begriffen anhaengen, die Naturlehre unvermerkt
  mit Hypothesen belaestigt haben, welche bei einer Kritik dieser
  Prinzipien verschwinden, ohne dadurch doch dem Gebrauche der
  Mathematik in diesem Felde (der ganz unentbehrlich ist) im mindesten
  Abbruch zu tun.
Die urspruengliche Idee einer Philosophie der reinen Vernunft schreibt
diese Abteilung selbst vor; sie ist also architektonisch, ihren
wesentlichen Zwecken gemaess, und nicht bloss technisch, nach
zufaellig wahrgenommenen Verwandtschaften und gleichsam auf gut Glueck
angestellt, eben darum aber auch unwandelbar und legislatorisch. Es
finden sich aber hierbei einige Punkte, die Bedenklichkeit erregen,
und die Ueberzeugung von der Gesetzmaessigkeit derselben schwaechen
koennten.
Zuerst, wie kann ich eine Erkenntnis a priori, mithin Metaphysik, von
Gegenstaenden erwarten, sofern sie unseren Sinnen, mithin a posteriori
gegeben sind? und, wie ist es moeglich, nach Prinzipien a priori, die
Natur der Dinge zu erkennen und zu einer rationalen Physiologie zu
gelangen? Die Antwort ist: wir nehmen aus der Erfahrung nichts weiter,
als was noetig ist, uns ein Objekt, teils des aeusseren, teils des
inneren Sinnes zu geben. Jenes geschieht durch den blossen Begriff
Materie (undurchdringliche leblose Ausdehnung), dieses durch
den Begriff eines denkenden Wesens (in der empirischen inneren
Vorstellung: Ich denke). Uebrigens muessten wir in der ganzen
Metaphysik dieser Gegenstaende, uns aller empirischen Prinzipien
gaenzlich enthalten, die ueber den Begriff noch irgendeine Erfahrung
hinzusetzen moechten, um etwas ueber diese Gegenstaende daraus zu
urteilen.
Zweitens: wo bleibt denn die empirische Psychologie, welche von jeher
ihren Platz in der Metaphysik behauptet hat, und von welcher man in
unseren Zeiten so gar grosse Dinge zur Aufklaerung derselben erwartet
hat, nachdem man die Hoffnung aufgab, etwas Taugliches a priori
auszurichten? Ich antworte: sie kommt dahin, wo die eigentliche
(empirische) Naturlehre hingestellt werden muss, naemlich auf die
Seite der angewandten Philosophie, zu welcher die reine Philosophie
die Prinzipien a priori enthaelt, die also mit jener zwar verbunden,
aber nicht vermischt werden muss. Also muss empirische Psychologie aus
der Metaphysik gaenzlich verbannt sein, und ist schon durch die Idee
derselben davon gaenzlich ausgeschlossen. Gleichwohl wird man ihr
nach dem Schulgebrauch doch noch immer (obzwar nur als Episode) ein
Plaetzchen darin verstatten muessen, und zwar aus oekonomischen
Bewegursachen, weil sie noch nicht so reich ist, dass sie allein
ein Studium ausmachen, und doch zu wichtig, als dass man sie ganz
ausstossen, oder anderwaerts anheften sollte, wo sie noch weniger
Verwandtschaft als in der Metaphysik antreffen duerfte. Es ist also
bloss ein so lange aufgenommener Fremdling, dem man auf einige
Zeit einen Aufenthalt vergoennt, bis er in einer ausfuehrlichen
Anthropologie (dem Pendant zu der empirischen Naturlehre) seine eigene
Behausung wird beziehen koennen.
Das ist also die allgemeine Idee der Metaphysik, welche, da man ihr
anfaenglich mehr zumutete, als billigerweise verlangt werden kann, und
sich eine zeitlang mit angenehmen Erwartungen ergoetzte, zuletzt in
allgemeine Verachtung gefallen ist, da man sich in seiner Hoffnung
betrogen fand. Aus dem ganzen Verlauf unserer Kritik wird man sich
hinlaenglich ueberzeugt haben: dass, wenngleich Metaphysik nicht die
Grundfeste der Religion sein kann, so muesse sie doch jederzeit als
die Schutzwehr derselben stehenbleiben, und dass die menschliche
Vernunft, welche schon durch die Richtung ihrer Natur dialektisch
ist, einer solchen Wissenschaft niemals entbehren koennte, die sie
zuegelt, und, durch ein szientifisches und voellig einleuchtendes
Selbsterkenntnis, die Verwuestungen abhaelt, welche eine gesetzlose
spekulative Vernunft sonst ganz unfehlbar, in Moral sowohl als
Religion, anrichten wuerde. Man kann also sicher sein, so sproede,
oder geringschaetzend auch diejenigen tun, die eine Wissenschaft nicht
nach ihrer Natur, sondern allein aus ihren zufaelligen Wirkungen zu
beurteilen wissen, man werde jederzeit zu ihr, wie zu einer mit uns
entzweiten Geliebten zurueckkehren, weil die Vernunft, da es hier
wesentliche Zwecke betrifft, rastlos, entweder auf gruendliche
Einsicht oder Zerstoerung schon vorhandener guter Einsichten arbeiten
muss.
Metaphysik also, sowohl der Natur, als der Sitten, vornehmlich die
Kritik der sich auf eigenen Fluegeln wagenden Vernunft, welche
voruebend (propaedeutisch) vorhergeht, machen eigentlich allein
dasjenige aus, was wir im echten Verstande Philosophie nennen koennen.
Diese bezieht alles auf Weisheit, aber durch den Weg der Wissenschaft,
den einzigen, der, wenn er einmal gebahnt ist, niemals verwaechst, und
keine Verirrungen verstattet. Mathematik, Naturwissenschaft, selbst
die empirische Kenntnis des Menschen, haben einen hohen Wert
als Mittel, groesstenteils zu zufaelligen, am Ende aber doch zu
notwendigen und wesentlichen Zwecken der Menschheit, aber alsdann nur
durch Vermittlung einer Vernunfterkenntnis aus blossen Begriffen, die,
man mag sie benennen, wie man will, eigentlich nichts als Metaphysik
ist.
Eben deswegen ist Metaphysik auch die Vollendung aller Kultur der
menschlichen Vernunft, die unentbehrlich ist, wenn man gleich ihren
Einfluss, als Wissenschaft, auf gewisse bestimmte Zwecke bei Seite
setzt. Denn sie betrachtet die Vernunft nach ihren Elementen und
obersten Maximen, die selbst der Moeglichkeit einiger Wissenschaften,
und dem Gebrauche aller, zum Grunde liegen muessen. Dass sie, als
blosse Spekulation, mehr dazu dient, Irrtuemer abzuhalten, als
Erkenntnis zu erweitern, tut ihrem Werte keinen Abbruch, sondern
gibt ihr vielmehr Wuerde und Ansehen durch das Zensoramt, welches
die allgemeine Ordnung und Eintracht, ja den Wohlstand des
wissenschaftlichen gemeinen Wesens sichert, und dessen mutige und
fruchtbare Bearbeitungen abhaelt, sich nicht von dem Hauptzwecke, der
allgemeinen Glueckseligkeit, zu entfernen.
Der transzendentalen Methodenlehre
Viertes Hauptstueck
Die Geschichte der reinen Vernunft
Dieser Titel steht nur hier, um eine Stelle zu bezeichnen, die im
System uebrigbleibt, und kuenftig ausgefuellt werden muss. Ich
begnuege mich, aus einem bloss transzendentalen Gesichtspunkte,
naemlich der Natur der reinen Vernunft, einen fluechtigen Blick auf
das Ganze der bisherigen Bearbeitungen derselben zu werfen, welches
freilich meinem Auge zwar Gebaeude, aber nur in Ruinen vorstellt.
Es ist merkwuerdig genug, ob es gleich natuerlicherweise nicht anders
zugehen konnte, dass die Menschen im Kindesalter der Philosophie davon
anfingen, wo wir jetzt lieber endigen moechten, naemlich, zuerst die
Erkenntnis Gottes, und Hoffnung oder wohl gar die Beschaffenheit
einer anderen Welt zu studieren. Was auch die alten Gebraeuche, die
noch von dem rohen Zustande der Voelker uebrig waren, fuer grobe
Religionsbegriffe eingefuehrt haben mochten, so hinderte dieses doch
nicht den aufgeklaerteren Teil, sich freien Nachforschungen ueber
diesen Gegenstand zu widmen, und man sah leicht ein, dass es keine
gruendliche und zuverlaessigere Art geben koenne, der unsichtbaren
Macht, die die Welt regiert, zu gefallen, um wenigstens in einer
anderen Welt gluecklich zu sein, als den guten Lebenswandel. Daher
waren Theologie und Moral die zwei Triebfedern, oder besser,
Beziehungspunkte zu allen abgezogenen Vernunftforschungen, denen
man sich nachher jederzeit gewidmet hat. Die erstere war indessen
eigentlich das, was die bloss spekulative Vernunft nach und nach in
das Geschaeft zog, welches in der Folge unter dem Namen der Metaphysik
so beruehmt geworden.
Ich will jetzt die Zeiten nicht unterscheiden, auf welche diese oder
jene Veraenderung der Metaphysik traf, sondern nur die Verschiedenheit
der Idee, welche die hauptsaechlichsten Revolutionen veranlasste, in
einem fluechtigen Abrisse darstellen. Und da finde ich eine dreifache
Absicht, in welcher die namhaftesten Veraenderungen auf dieser Buehne
des Streits gestiftet worden.
1. In Ansehung des Gegenstandes aller unserer Vernunfterkenntnisse,
waren einige bloss Sensual-, andere bloss Intellektualphilosophen.
Epikur kann der vornehmste Philosoph der Sinnlichkeit, Plato des
Intellektuellen genannt werden. Dieser Unterschied der Schulen
aber, so subtil er auch ist, hatte schon in den fruehesten Zeiten
angefangen, und hat sich lange ununterbrochen erhalten. Die von der
ersteren behaupteten, in den Gegenstaenden der Sinne sei allein
Wirklichkeit, alles uebrige sei Einbildung; die von der zweiten sagten
dagegen: in den Sinnen ist nichts als Schein, nur der Verstand erkennt
das Wahre. Darum stritten aber die ersteren den Verstandesbegriffen
doch eben nicht Realitaet ab, sie war aber bei ihnen nur logisch, bei
den anderen aber mystisch. Jene raeumten intellektuelle Begriffe ein,
aber nahmen bloss sensible Gegenstaende an. Diese verlangten, dass die
wahren Gegenstaende bloss intelligibel waeren, und behaupteten eine
Anschauung durch den von keinen Sinnen begleiteten und ihrer Meinung
nach nur verwirrten reinen Verstand.
2. In Ansehung des Ursprungs reiner Vernunfterkenntnisse, ob sie aus
der Erfahrung abgeleitet, oder, unabhaengig von ihr, in der Vernunft
ihre Quelle haben. Aristoteles kann als das Haupt der Empiristen,
Plato aber der Noologisten angesehen werden. Locke, der in neueren
Zeiten dem ersteren, und Leibnitz, der dem letzteren (obzwar in einer
genugsamen Entfernung von dessen mystischem Systeme) folgte, haben
es gleichwohl in diesem Streite noch zu keiner Entscheidung bringen
koennen. Wenigstens verfuhr Epikur seinerseits viel konsequenter nach
seinem Sensualsystem (denn er ging mit seinen Schluessen niemals
ueber die Grenze der Erfahrung hinaus), als Aristoteles und Locke,
(vornehmlich aber der letztere,) der, nachdem er alle Begriffe und
Grundsaetze von der Erfahrung abgeleitet hatte, soweit im Gebrauche
derselben geht, dass er behauptet, man koenne das Dasein Gottes und
die Unsterblichkeit der Seele (obzwar beide Gegenstaende ganz ausser
den Grenzen moeglicher Erfahrung liegen) ebenso evident beweisen, als
irgendeinen mathematischen Lehrsatz.
3. In Ansehung der Methode. Wenn man etwas Methode nennen soll,
so muss es ein Verfahren nach Grundsaetzen sein. Nun kann man die
jetzt in diesem Fache der Naturforschung herrschende Methode in die
naturalistische und szientifische einteilen. Der Naturalist der reinen
Vernunft nimmt es sich zum Grundsatze: dass durch gemeine Vernunft
ohne Wissenschaft (welche er die gesunde Vernunft nennt) sich in
Ansehung der erhabensten Fragen, die die Aufgabe der Metaphysik
ausmachen, mehr ausrichten lasse, als durch Spekulation. Er behauptet
also, dass man die Groesse und Weite des Mondes sicherer nach dem
Augenmasse, als durch mathematische Umschweife bestimmen koenne. Es
ist blosse Misologie, auf Grundsaetze gebracht, und, welches das
ungereimteste ist, die Vernachlaessigung aller kuenstlichen Mittel,
als eine eigene Methode angeruehmt, seine Erkenntnis zu erweitern.
Denn was die Naturalisten aus Mangel mehrer Einsicht betrifft, so kann
man ihnen mit Grunde nichts zur Last legen. Sie folgen der gemeinen
Vernunft, ohne sich ihrer Unwissenheit als einer Methode zu ruehmen,
die das Geheimnis enthalten solle, die Wahrheit aus Demokrits tiefem
Brunnen herauszuholen. Quod sapio, satis est mihi; non ego curo, esse
quod Arcesilas aerumnosique Solones, Pers. ist ihr Wahlspruch, bei
dem sie vergnuegt und beifallswuerdig leben koennen, ohne sich um die
Wissenschaft zu bekuemmern, noch deren Geschaeft zu verwirren.
Was nun die Beobachter einer szientifischen Methode betrifft, so
haben sie hier die Wahl, entweder dogmatisch oder skeptisch, in allen
Faellen aber doch die Verbindlichkeit systematisch zu verfahren. Wenn
ich hier in Ansehung der ersteren den beruehmten Wolf, bei der zweiten
David Hume nenne, so kann ich die uebrigen, meiner jetzigen Absicht
nach, ungenannt lassen. Der kritische Weg ist allein noch offen. Wenn
der Leser diesen in meiner Gesellschaft durchzuwandern Gefaelligkeit
und Geduld gehabt hat, so mag er jetzt urteilen, ob nicht, wenn es
ihm beliebt, das Seinige dazu beizutragen, um diesen Fusssteig zur
Heeresstrasse zu machen, dasjenige, was viele Jahrhunderte nicht
leisten konnten, noch vor Ablauf des gegenwaertigen erreicht
werden moege: naemlich, die menschliche Vernunft in dem, was ihre
Wissbegierde jederzeit, bisher aber vergeblich, beschaeftigt hat, zur
voelligen Befriedigung zu bringen.
*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, KRITIK DER REINEN VERNUNFT (1ST EDITION) ***
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Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7ikc111.txt
VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7ikc110a.txt
Project Gutenberg eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US
unless a copyright notice is included.  Thus, we usually do not
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
We are now trying to release all our eBooks one year in advance
of the official release dates, leaving time for better editing.
Please be encouraged to tell us about any error or corrections,
even years after the official publication date.
Please note neither this listing nor its contents are final til
midnight of the last day of the month of any such announcement.
The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at
Midnight, Central Time, of the last day of the stated month.  A
preliminary version may often be posted for suggestion, comment
and editing by those who wish to do so.
Most people start at our Web sites at:
http://gutenberg.net or
http://promo.net/pg
These Web sites include award-winning information about Project
Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new
eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!).
Those of you who want to download any eBook before announcement
can get to them as follows, and just download by date.  This is
also a good way to get them instantly upon announcement, as the
indexes our cataloguers produce obviously take a while after an
announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter.
http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext04 or
ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext04
Or /etext03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90
Just search by the first five letters of the filename you want,
as it appears in our Newsletters.
Information about Project Gutenberg (one page)
We produce about two million dollars for each hour we work.  The
time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours
to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
searched and analyzed, the copyright letters written, etc.   Our
projected audience is one hundred million readers.  If the value
per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
files per month:  1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+
We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002
If they reach just 1-2% of the world's population then the total
will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks!
This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
which is only about 4% of the present number of computer users.
Here is the briefest record of our progress (* means estimated):
eBooks Year Month
    1  1971 July
   10  1991 January
  100  1994 January
 1000  1997 August
 1500  1998 October
 2000  1999 December
 2500  2000 December
 3000  2001 November
 4000  2001 October/November
 6000  2002 December*
 9000  2003 November*
10000  2004 January*
The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created
to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium.
We need your donations more than ever!
As of February, 2002, contributions are being solicited from people
and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut,
Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois,
Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts,
Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New
Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio,
Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South
Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West
Virginia, Wisconsin, and Wyoming.
We have filed in all 50 states now, but these are the only ones
that have responded.
As the requirements for other states are met, additions to this list
will be made and fund raising will begin in the additional states.
Please feel free to ask to check the status of your state.
In answer to various questions we have received on this:
We are constantly working on finishing the paperwork to legally
request donations in all 50 states.  If your state is not listed and
you would like to know if we have added it since the list you have,
just ask.
While we cannot solicit donations from people in states where we are
not yet registered, we know of no prohibition against accepting
donations from donors in these states who approach us with an offer to
donate.
International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about
how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made
deductible, and don't have the staff to handle it even if there are
ways.
Donations by check or money order may be sent to:
Project Gutenberg Literary Archive Foundation
PMB 113
1739 University Ave.
Oxford, MS 38655-4109
Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment
method other than by check or money order.
The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by
the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN
[Employee Identification Number] 64-622154.  Donations are
tax-deductible to the maximum extent permitted by law.  As fund-raising
requirements for other states are met, additions to this list will be
made and fund-raising will begin in the additional states.
We need your donations more than ever!
You can get up to date donation information online at:
http://www.gutenberg.net/donation.html
***
If you can't reach Project Gutenberg,
you can always email directly to:
Michael S. Hart <hart@pobox.com>
Prof. Hart will answer or forward your message.
We would prefer to send you information by email.
**The Legal Small Print**
(Three Pages)
***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START***
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They tell us you might sue us if there is something wrong with
your copy of this eBook, even if you got it for free from
someone other than us, and even if what's wrong is not our
fault. So, among other things, this "Small Print!" statement
disclaims most of our liability to you. It also tells you how
you may distribute copies of this eBook if you want to.
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eBook, you indicate that you understand, agree to and accept
this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive
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     if you wish, distribute this eBook in machine readable
     binary, compressed, mark-up, or proprietary form,
     including any form resulting from conversion by word
     processing or hypertext software, but only so long as
     *EITHER*:
     [*]  The eBook, when displayed, is clearly readable, and
          does *not* contain characters other than those
          intended by the author of the work, although tilde
          (~), asterisk (*) and underline (_) characters may
          be used to convey punctuation intended by the
          author, and additional characters may be used to
          indicate hypertext links; OR
     [*]  The eBook may be readily converted by the reader at
          no expense into plain ASCII, EBCDIC or equivalent
          form by the program that displays the eBook (as is
          the case, for instance, with most word processors);
          OR
     [*]  You provide, or agree to also provide on request at
          no additional cost, fee or expense, a copy of the
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          or other equivalent proprietary form).
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