Hans Driesch

Ordnungslehre, ein system des nichtmetaphysischen teiles der philosophie

이윤진이카루스 2015. 7. 4. 13:39

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http://www.archive.org/details/ordnungslehreeinOOdrieuoft 
HANS DRIESCH 
ORDNUNGSLEHRE 
EIN SYSTEM 
DES NICHTMETAPHYSISCHEN TEILES 
DER PHILOSOPHIE 
ZWEITES UND DRITTES TAUSEND / NEUE VERBESSERTE 
UND GROSSENTEILS UMGEARBEITETE AUFLAGE 
VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS IN JENA 1923 
AU6 271961. 
ALLE RECHTE. INSBESONDERE DAS DER ÜBER. 
SETZUNG VORBEHALTEN. COPYRIGHT 1923 
BEI EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA 
EINLEITUNG UND VORWORT 
ZUR ERSTEN AUFLAGE 
Wenn ein Werk sich »System des nichtmetaphysischen Teiles 
der Philosophie« nennt, so will es nicht die Möglichkeit 
einer Metaphysik leugnen, sondern künftige Metaphysik 
vorbereiten helfen. Dieses Werk will denn auch in der Tat den Weg 
für eine Metaphysik klar und frei machen, will einer Metaphysik ihre 
Arbeit erleichtern ; und zwar dadurch, daß es ihr wohl übersichtlich 
vorlegt, was sie selbst, als Metaphysik, nun ihrerseits zu verarbeiten hat. 
»Philosophieren« heißt sich seines Wissens bewußt werden; »Philo«» 
Sophie« also ist Wissen um das Wissen, die »Lehre vom Wissen«. Sie 
ist die Gesamtheit des Wissens um »Etwas«, als Einheit.Zu dem »Etwas«, 
um das gewußt wird, gehört aber für sie auch das Wissen. Was Wissen 
heißt, kann sie nicht angeben, es sei denn, daß sie sagte: Ich weiss, wenn 
ich bewußt bestimmtes Geordnetes mir gegenüber habe. Dieser Satz 
aber enthält nur in zerlegter Form dasselbe unmittelbare Eine, das eben 
das Wort wissen ausdrückt. 
Philosophie also ist die Lehre davon, daß jenes bewußte mirs«gegen* 
über Haben, jenes Erlebenvon bestimmtem Geordneten da sei und was 
es sei und bedeute. Ihre Einteilung aber wird bestimmt durch diese 
Definition : 
Zum allerersten ist Philosophie Selbstbesinnungslehre. Das Ich »be* 
sinnt« sich hier auf die letzten unzerlegbaren Weisen, in denen es be^ 
wüßt erlebt; um sie in ihrem bloßen Da* und Sosein will das Ich zu«» 
nächst wissen. Selbstbesinnungslehre kann nur aufzeigen; sie kann, 
wenn man es richtig verstehen will, nur beschreiben ; sie ist keine eigent* 
lieh gefügemäßige Lehre, es sei denn, sie verwerte gewisse ihrer Er* 
gebnisse rückbezüglich. Aber sie ist die letzte Grundlage aller Philos 
Sophie; zeigt sie doch allein, daß die anderen Hauptteile der Philo* 
Sophie dasein können. 
Zum zweiten ist Philosophie Ordnungslehre, das heißt Lehre von 
den Ordnungsformen dessen, was ich mir gegenüber habe. 
Endlich kann Philosophie vielleicht Erkenntnislehre sein; hier steht 
vor ihr die Frage: Wie kommt es, daß ich weiß, daß ich auch um mein 
Wissen weiß, und bedeutet etwa mein Wissen um das Gewußte und 
um mein Wissen noch anderes als daß es nur mein Wissen ist? 
Dieses Buch beschäftigt sich mit der Ordnungsiehre. 
1 D r i e s c h , Ordnungslehre 1 
üblich ist eine andere Einteilung der Philosophie, nämlich diejenige 
in die angeblich gleichwertigen Teile der »Logik«, »Ethik« und »Ästhe:« 
tik«, zu denen gelegentlich noch »Metaphysik« und »Psychologie« ge«» 
seilt werden. Die sogenannte »Erkenntnistheorie« (»Epistemologie«) 
pflegt, als eine Art von Vorbereitung, teils bei der Logik, wenn man 
diese sehr weit faßt, teils bei der Metaphysik abgehandelt zu werden. 
L^nsereERKENNTNiSLEHRE entspricht der üblichen »Erkenntnistheorie« 
nur, insofern sie auf die »Metaphysik« bezogen wird, und dieser selbst. 
Wir sondern Erkenntnislehre sehr scharf von der Ordnungslehre, 
welche, der üblichen »Logik« und »Kategorienlehre« verwandt, nach 
unserer Meinung gar nichts mit echter Erkenntnis, das heißt mit dem 
Wissen um ein echtes »Wirkliches«, zu tun hat. Uns scheint vielmehr 
in der seit Kant beliebten Verquickung von Logik und Erkenntnis*» 
theorie die eine der Quellen des geringen Fortschreitens des eigentlich 
gesicherten Wissens in philosophischen Dingen zu liegen. Es gibt 
jedenfalls ein philosophisches Gebiet — man mag es »Logik« im 
weitesten Sinne nennen, wir nennen es eben Ordnungslehre — das 
die Frage nach eigentlicher »Erkenntnis« gar nicht berührt, das he^ 
stehen bliebe, selbst wenn es keine »Erkenntnis« gäbe und der Standst 
punkt des sogenannten »Solipsismus« endgültig wäre. Dieses Gebiet 
gilt es rein und vollständig zu entwickeln, was eben in diesem Werke 
versucht werden soll. 
Hat Wissen eine über das bloße Haben von bestimmtem Geordneten 
hinausgehende »Bedeutung«? Das ist die Frage der Erkenntnislehre, 
die von derFrage »Was eigentlich habe ich an bestimm tem Geordneten?« 
durchaus verschieden ist. Die letzte Frage redet, um im üblichen Ge«* 
leise zu bleiben, vom »Für^^mich«, die erste vielleicht vom »An^sich«, 
jedenfalls vom »Nicht*nurs'für^mich«.Beide Fragen sind in ihrer scharfen 
Geschiedenheit ganz klar. Die Erkenntnisfrage mag vielleicht dahin 
entschieden werden, daß man nie wissen könne, ob es Erkenntnis gäbe; 
gut, das wäre eine Lösung. Aber keine Lösung ist es, wenn man dem 
Begriff des Erkennens, der durchaus auf ein Nicht^nurs^für^mich geht, 
irgend eine andere Bedeutung, etwa die des Wissens um endgültiges 
Geordnetsein, um Richtigkeit, unterstellt, und dann die Lehre vom 
Ordnen »Erkenntnislehre« nennt, gleichzeitig wohl gar zum Ausdruck 
des Begriffs Richtigkeit das Wort »Wahrheit« verwendend. 
Die Frage, ob es Erkenntnis, das heißt, ob es im ganz strengen, nicht 
»anthropologischen«, Sinne »allgemeingültige« Urteile gebe, ist die 
allerschwierigste Frage der Philosophie. Sie muß gelöst sein, ehe ge* 
fragt wird : » Wie ist Erkenntnis möglich?« Eben diese Aufgabe, welche 
identisch ist mit der Aufgabe, aus dem »Solipsismus« herauszukommen, 
macht sich die heutige Philosophie meist leicht. Gewiß will keiner gern 
im Solipsismus darinbleiben;jedermöchte»Bedeutung«seinesWissens, 
möchte »Wahrheit«, nicht nur Richtigkeit. Aber dieses Streben darf 
doch nicht die Vorsicht im rechtmäßigen Denken trüben. Diese wird 
aber getrübt, wenn von Anfang an vorausgesetzt wird, daß es einen 
»Gegenstand der Erkenntnis«, daß es andere »Iche« als Ich selbst 
gebe S wenn ein »Selbstvertrauen der Vernunft« als Tor zur Metaphysik 
verkündet wird, oder wenn von einer »Garantie des BegriflFs Wahrheit 
in sich selbst« die Rede ist. Das alles und noch manches andere^ ist 
nicht »kritisch«, sondern dogmatisch, und eine Philosophie, welche 
einen sicheren Weg zu gehen wünscht, muß auf alle Fälle mit einer 
»solipsistischen« Stellungnahme beginnen, muß durch den Solipsismus 
ganz hindurchgehen, um ihn freilich, am Ende, vielleicht zu über^ 
winden. — 
Redeten wir bisher von der Erkenntnislehre als dem Gegenstück zu 
unserer Ordnungslehre und als mit der üblichen Metaphysik und den 
Vorbereitungen zu ihr gleichen Wesens, so reden wir nun von der 
Ordnungslehre selbst und in Sonderheit davon, wie sie sich zu den 
üblichen Teilen der Philosophie verhält. 
Daß unsere Ordnungslehre einen solipsistischen, einen streng^imma* 
nenten« Ausgang haben muß, daß sie nur vom »ich erlebe denkend« 
und von nichts anderem ausgehen darf, ist für uns klar. Ohne diesen 
gleichsam methodischen Solipsismus — der da freilich nicht sagt »Alles 
IST nur als von mir Erlebtes«, wohl aber »Jedenfalls ist alles von mir 
Bedachte ein von mir Erlebtes« — ohne ihn wäre schon ihr Ausgang 
dogmatisch. 
Gewißlich: ich würde ein Denken, das andere Ursetzungen machte 
als mein Denken, gar nicht »Denken« nennen; in diesem Sinne redet 
^ Hier gerade pflegt die Philosophie heute meist schnell fertig zu sein. Es ist aber 
der »andere« Mensch nur als bewegter Naturkörper »erlebt«, und auch wenn zur 
Darstellung der Gesetzlichkeit seines Bewegtseins ein unmaterieller Naturfaktor 
ersonnen und in ihn verlegt wird, so isf das doch immer nur der von mir in seinem 
Sosein postulierte Naturfaktor. ^ Jede Form von dogmatischer Einführung des 
»AllgemeingültigkeitssBegriffs« wird implicite durch unsere Ordnungslehre ab* 
gelehnt, ganz gleichgültig, ob sie sich Lehre vom Bewußtsein überhaupt, vom übers 
persönlichen Ich, vom Reich der Geltungen, des Sinnes, der Wahrheit, vom Selbst? 
vertrauen der Vernunft oder wie sonst immer nennt. Damit lehnen wir natürlich 
nicht die echt ordnungsmäßigen Bestandteile ab, die in den genannten Lehren, mit 
sozusagen primärem Dogmatismus verquickt, enthalten sind. 
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die Ordnungslehre von dem Denken. Aber die Klasse »das Denken« 
hat — um in der Redeweise dieses Buches zu sprechen — eben nur eine 
Einzigkeit: mein Denken, wenn anders das Denken sich überhaupt 
dem von ihm ja erst zu schaffenden Begriffspaar Klasse*Einzigkeit 
unterstellen darf. 
Solipsistisch also ist der Ordnungslehre Ausgang, und solipsistisch 
wird auch ihre ganze Arbeit geleitet — bis sie selbst den Solipsismus 
verabschiedet und anderes fordert. Es wird sich zeigen, was alles auf 
einer undogmatisch »ssolipsistischen Basis geleistet werden kann und 
also auf ihr, d. h. ohne Heranziehen von Begriffen wie »Wahrheit«, 
»Allgemeingültigkeit«, »Erkennen« u. s. f., geleistet werden muß. 
Die Ordnungslehre will sein, was »Logik«, »Ethik« und »Ästhetik« 
zusammengenommen sind, wenn man die Logik von der »Erkenntnis* 
theorie« als von einem ihr durchaus fremden Bestandteil reinigt. Sie zer«* 
fällt aber nicht etwa ihrerseits in drei koordinierte, der üblichen Logik, 
Ethik und Ästhetik entsprechende Teile, sondern sie ist, wenn man so 
will, eine »Logik«, in deren System »Ethik« und »Ästhetik« an ganz 
bestimmten Orten eingegliedert sind, ebenso wie sich diesem System 
etwa die Lehre von den Grundsätzen der Geometrie an ganz bestimmtem 
Orte eingliedert. Natürlich hat sie es dann, wieder ganz wie bei der 
Geometrie, nur mit den allerobersten Sätzen der Ethik zu tun, denn 
Ethik im einzelnen ist ein Sondergebiet des Wissens, ganz ebenso wie 
Geometrie — wenn man sie nicht lieber ein Gebiet des Nichtwissens 
nennen will. 
Wir sehen keine Veranlassung, den Worten »Verstand« und » Ver* 
nunft« wesentlich verschiedene Bedeutungen zu geben. Halten wir das 
fest, und definieren wir das Denken als Ordnen, dieses aber als der 
»Vernunft« Ausdruck, so ist unsere Ordnungslehre Vernunftlehre -- 
als solche möchte sie dann freilich sehr wohl »Logik« heißen. Wenn 
wir sie anders nennen, so hat das, von gleich zu erwähnenden allgemein 
termino^logischen Gründen abgesehen, auch noch den besonderen 
Grund, daß heutzutage das Wort »Logik« entweder zu eng, nämlich 
nur als die Sonderwissenschaft der Definitions«» und Schlußlehre, oder 
aber, wie schon angedeutet, zu weit, nämlich Erkenntnistheorie ein* 
schließend, gefaßt wird. Wir aber wollen durch unsere Benennung 
keine uns fremden Gedanken wachrufen. 
Man hat Logik, Ethik und Ästhetik als »normative« Lehren be* 
zeichnet, als Lehren von dem, was sein so//, im Gegensatz zu dem, was 
ist; als Lehren von dem, was Denken richtig, Handeln gut. Fühlen 
schön macht. Als normative Lehren sollen Logik, Ethik und Ästhetik 
namentlich im Gegensatz stehen zur Psychologie als der Lehre vom 
»Seelenleben«, wie es ist. Die wirklichen Seelenvorgänge, so heißt es, 
umfassen zwar auch die richtigen und guten, aber daneben die un* 
richtigen und bösen ; Logik und Ethik untersuchen eben die »formalen« 
Bedingungen von Richtig«« und Gut* Sein. 
Wir stehen einer solchen Auffassung — wohlverstanden, nur dann, 
wenn sie von Richtigkeit, nicht, wenn sie von »Wahrheit« redet — 
durchaus nicht ablehnend gegenüber; aber sie genügt uns weder zur 
vollständigen Kennzeichnung unserer Ordnungslehre noch, was damit 
zusammenhängt, zur klaren Darlegung ihres Verhältnisses zur »Psys« 
chologie«. 
Diejenigen, die da lehren, daß die »Logik« — um uns auf sie, der 
wir ja »Ethik« und »Ästhetik« an bestimmten Stellen eingliedern, hier 
zu beschränken — eine »normative« Wissenschaft sei, verkündigen, 
wie gesagt, selbst, daß Psychologie vom richtigen und vom falschen 
Denken handle; also jedenfalls auch vom »richtigen«. Und wie denn 
findet man, was »richtiges« Denken verbürge, welchen »formalen« Be«« 
dingungen richtiges Denken genügen müsse? Doch wohl durch Selbst** 
BESINNUNG auf ein gewisses unmittelbares Richtigkeitswissen, besser 
gesagt, durch Selbstbesinnung auf gewisse Besonderheiten des Eigene 
Erlebnisverlaufs, unter denen ein Wissen um Endgültigkeit auftritt. 
Anders kann man doch offenbar die »formalen« Bedingungen des 
Richtigseins gar nicht finden; auch der Rekurs etwa auf bestehende 
Wissenschaften oder auf die Aussagen »Anderer« verwendet doch 
immer das selbstbesinnliche Eigenwissen um endgültiges Geordnetsein 
als Beurteilungsmaßstab für das so Erfahrene. 
Es ist nun nicht einzusehen, inwiefern eine Selbstbesinnung auf die 
Eigen^Erlebtheit, so weit diese ein Wissen um formale Bedingungen des 
Richtigen,desEndgültig*GeordnetenamErlebtenergibt,etwas durchaus 
anderes sein sollte als eine Selbstbesinnung, welche etwa dieUr:«Erlebnis!* 
weisen »Lust« und »Unlust« kennen lehrt. Das Wissen um Richtigkeit 
und ihre Bedingungen ist auch Wissen um eine Urs«Erlebnisweise. 
Wenn man also jedes Wissensstreben, welches »Selbstbesinnung« 
als sein Mittel verwendet, »Psychologie« oder »psychologisch fundiert« 
nennt, dann hat auch die Ordnungslehre, die »Logik«, eine psycho«» 
logische Basis — dann ruht überhaupt alles auf Psychologie oder ist 
selbst Psychologie, was über das naive Reden von Dingen und der«» 
gleichen hinausgeht. 
Freilich ist nun doch unseres Erachtens Ordnungslehre oder Logik 
etwas anderes als »Psychologie« in einer gewissen engeren Bedeutung 
dieses Wortes, und diese ist ja wohl die üblichere. Wir selbst haben 
daher im Eingange diejenige Lehre,auf der Ordnungslehre oder »Logik« 
in ihren Ausgängen unseres Erachtens allerdings ruht, als Selbstbesin^ 
NUNGSLEHRE, nicht aber etwa als »Psycho«4ogie, als »Seelenlehre« be^s 
zeichnet. 
Wenn nämlich »Psychologie« ausdrücklich als Lehre von den »Ge* 
setzen« des Ablaufs des vor das Ich Tretenden, sich vor es Stellenden 
— der »Vorstellungen« also im weitesten Sinne des Wortes — gefaßt 
wird, dann ist in der Tat Logik nicht Psychologie, sondern Vor«« 
Psychologie. Sie schafft ja erst den Begriff »Gesetz«, ja den Begriff 
»Ablauf«, und erst recht etwa den Begriff »Seele«. Psychologie in dem 
soeben geschilderten engen Sinne ist in der Tat ihrer Grundform, 
ihren Grundsetzungen nach der Logik Ergebnis ; besser sagen wir: die 
Logik schafft die Voraussetzungen der Psychologie als einer Sonder»» 
Wissenschaft. 
Aber Selbstbesinnung ist und bleibt der Ursprung von aZ/em Wissen 
überhaupt, auch vom Wissen um Ordnung, das heißt von der Ord«« 
nungslehre^ 
Ordnungslehre, »Logik«, ist also der Selbstbesinnung Ergebnis, in«« 
sofern diese sich selbst ordnet, insofern sie dem Strome der Erlebtheit 
gleichsam hier und dort ein »halt« zuruft; allemal dann nämlich, wenn 
sie einen Ordnungsanteil in ihm fand. Den will Ordnungslehre fest* 
halten, der soll gelten für alle weitere Erlebtheit. Solche Ordnungs* 
anteile festzuhalten ist leicht für die Urbestandteile aller vom Ich ge«» 
* Psychologie als Selbstbesinnung überhaupt also kommt vor der Ordnungslehre 
(Logik), macht sie möglich ; Ordnungslehre andererseits macht Psychologie als Ge* 
setzeswissenschaft möglich. Wir mögen von Psychologie »erster« und »zweiter« Art 
reden. Untersuchungen über die Möglichkeit und das Wesen der Logik, auch die 
von HussERL, RiCKERT, Lask u. a. gepflogenen, sind also, trotz allem, »psychologisch« 
erster Art, soweit sie nicht der Ordnungslehre selbst angehören, eigentlich »er* 
kenntnis«5theoretisch sind sie gar nicht Ja, fast alles, was sich in unserer Zeit für 
»Erkenntnistheorie« ausgegeben hat, ist teils Selbstbesinnungslehre, teils Ordnungs^ 
lehre gewesen; nur die Lehren von Hartmann, Bergson, Bradley, Külpe, Ladd, 
Liebmann, Riehl, Royce, Windelband, Wundt und einigen anderen sich meist in 
irgendeinem Sinne »Realisten« nennenden Denkern bilden hier — nach sehr ver» 
schiedenartigen Seiten hin gelegene — Ausnahmen ; aber auch bei ihnen ist ein 
guter Teil dessen, was Erkenntnistheorie genannt wird, in unserer Sprechweise 
Selbstbesinnung auf das Wesen des (geordneten) Erfahrungswissens oder geradezu 
Ordnungslehre. 
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wollten Ordnung; es wird schwierig, wenn Erlebtheit in ihre Sonde* 
rungen verfolgt wird. Erlebtheit, oder doch wenigstens, wie sich zeigen 
wird, ein gewisser Ausschnitt aus ihr, steht eben dem Ich gegenüber, 
als ob da etwas Selbständiges wäre, etwas, das nur mit gewissen ganz 
bestimmten Setzungen geordnet werden kann. Es ist, als schreibe Er* 
lebtheit, der gelten Sollendes befohlen ward, nun ihrerseits wieder dem 
ordnenden Ich ein Sollen, nämlich ein »Gelten sollende Setzungen 
setzen sollen« vor; dies zweite Sollen, nicht das eigentlich logisch Erste, 
ist das »Sollen«, von dem Rickert und Lipps in unseren Tagen — in 
verschiedenem Sinne — geredet haben. Es ist, sage ich, als ob Erlebtes 
in einem Teil ein Selbständiges wäre, nämlich als Natur* und als Eigen* 
erlebtheit. Das Ich mag nun freilich dieses als ob gleichsam gegenständ* 
lieh vor sich hinstellen; das ist praktisch und gestattet kurzen Aus* 
druck. Aber es muß sich, so lange es Ordnungslehre treibt, stets des 
»als ob« bewußt bleiben und darf nie etwa sagen »die Wahrheit ist 
zeitlos ohne Rücksicht auf ihr Anerkanntwerden«. So darf das Ich, das 
ORDNUNGslehre treiben will, nicht einmal dann sagen, wenn es, besser, 
für »Wahrheit« Richtigkeit setzt. Es darf nur sagen : »Meine Ordnungs* 
Setzungen sollen für meine Erlebtheit gelten, gewisse meiner Setzungen 
aber andererseits sind an der Hand eines gleichsam gegenständlichen 
Richtigkeitsbestimmers erstanden.« — 
Die Forderung ist der Ordnungslehre Urleistung: Die Forderung 
der Gültigkeit des als Ordnungsanteil Festgehaltenen. Es wird sich 
zeigen, wie sehr der fordernde Charakter der Ordnungslehre alle ihre 
Sondergebiete durchdringt. Denken heißt geradezu: fordernd ordnen 
auf Grund eines Vorwissens um Ordnung. Die Forderungslehre eben 
ist es, welche an Stelle einer »reinen« Logik, oder wie man will, zu 
treten hat. Mit einer angeblichen echten »Allgemeingültigkeit« aber 
hat es Ordnungslehre gar nicht zu tun; erst Erkenntnislehre könnte 
diese vielleicht aufstellen und so aus Richtigkeit »Wahrheit« machen. 
Im Forderungscharakter unserer Ordnungslehre liegt nun aber auch 
ein Zugeständnis an jene, welche die Logik als »normatives« Wissen 
bezeichnen, wenn sie nur nicht den Selbstbesinnungsursprung der 
Logik leugnen, und wenn sie nur nicht eine echt^absolute, das heißt 
wirklich ich^abgelöste Allgemeingültigkeit der logischen Normen von 
Anfang an behaupten wollen. Letztere Behauptung hat im Rahmen 
»reiner« Logik, als welche eben nur Ordnungslehre ist, wirklich keinen 
Platz : Ich ordne in für mich gültiger Form — von anderem ist gar nicht 
die Rede. Aber ich ordne doch eben, ich halte fordernd dieses als 
Ordnungsanteil fest, jenes nicht. Das kann man wohl ein »Normieren« 
nennen; man mag es auch ein »Anerkennen«, »Bejahen«, nämlich von 
Ordnungsmäßigem, nennen, wenn man sich nur klar darüber bleibt, 
daß zu diesem Bejahen nicht ein »Verneinen« als Gegenstück gehört, 
wie denn überhaupt das Nein der Ordnungslehre fremd ist und in die 
Psychologie im engeren Sinne des Wortes gehört. 
In Kürze also: Selbstbesinnung des Ich steht an alles Wissens An# 
fang; als Sonderergebnis erschaJßFt sie die Ordnungslehre, nämlich 
als Ergebnis der Besinnung auf das Wissen des Ich um Endgültigkeits:» 
zeichen; erst im Laufe der Ordnungslehre werden die Voraussetzungen 
der »Psychologie« als Sonderwissenschaft erschaffen. 
Soviel an dieser einleitenden Stelle zum Streit um den sogenannten 
Psychologismus ; er wird durch den Nachweis erledigt, daß eine von 
vornherein richtig verstandene ORDNUNGslehre einerseits keine eigent« 
liehe Psychologie ist, andererseits aber auch keine Erkenntnislehre sein, 
also mit »Allgemeingültigkeit«, mit »Wahrheit« nichts zu tun haben 
will. Zwischen angeblich von vornherein allgemeingültiger (»reiner«) 
Logik und dem Psychologismus gibt es ein drittes : Die Endgültigkeitss 
lehre auf dem Grunde eines methodischen Solipsismus. 
Es ist sehr zu bedauern und, neben der falschen Verschmelzung von 
Logik und Erkenntnistheorie, unseres Erachtens das zweite Hemmnis 
des philosophischen Fortschritts in unserer Zeit,^ daß der Streit um 
den Psychologismus — zumal in Deutschland — die Wissenserforscher 
in zwei Lager zerspalten hat, die sich kaum mehr verstehen. Im Sich:* 
besinnen auf den Begriff der Selbstbesinnung, um es paradox klingend 
aber zutreffend auszudrücken, könnten sie sich, so meinen wir, finden. 
Geht doch einerseits die von den »reinen« Philosophen meist so stark 
mißachtete »experimentelle Psychologie«, namentlich seit der Jahr* 
hundertwende, auf nichts so sehr aus wie auf klare Lenkung der Selbst* 
besinnung, und sind doch andererseits, wie wir schon sagten, die Be* 
strebungen der reinen Logiker gerade in unseren Tagen viel weniger 
logischer als selbstbesinnlicher Art. Beide, »Psychologen« und »Lo* 
giker«, sind also nicht das, als was sie sich bei enger Bedeutung der 
* Deshalb ein Hemmnis, weil dadurch eine Verständigung über die Frage, was 
eigentlich Denken als Erlebnis sei, nahezu unmöglich gemacht wird. Ein drittes, 
im Werke selbst zur Erörterung kommendes Hemmnis philosophischen Weiter* 
schreitens, weit gefahrlicher als die beiden schon hier genannten, ist die noch immer 
in weiten Kreisen herrschende Überschätzung der Naturwissenschaft in ihrer mathe* 
matischen Form, wobei natürlich das Wort »mathematisch« im üblichen engen Sinne 
verstanden ist. 
8 
Worte bezeichnen. Wird dieses seltsame Verhältnis erst allgemein klar 
erkannt, dann, meine ich, muß es zur Verständigung führen. — 
Der Ausgang für dieses Werk war das Bestreben, die sogenannten 
»Kategorien« als letzte angeblich einfache Begriffe aufzulösen, und 
zwar aufzulösen in Bestandteile der sogenannten »formalen« Logik. 
Die Lehre vom Werden, bezogen auf die allgemeine »formale« Logik 
— welche in der Tat alles andere als »formal« ist — das ist, mit anderen 
Worten, der Grundstock dieses Werkes. Lehren wie die von der Zahl 
und vom Räumlichen sollten ursprünglich nur erwähnt werden. Wenn 
ich mich — und zwar trotz so vortrefflicher Werke, wie derjenigen von 
Heymanns und Natorp — doch zu einer zwar stark zusammen«! 
gedrängten Darstellung der Lehren von Zahl und Raum entschloß, so 
hat das ganz vorwiegend darin seinen Grund, daß eben diese Lehren 
bereits von Forderungen im Sinne der Ordnungslehre geradezu voll 
sind; hier schon werden die »synthetischen Urteile a priori« Kants 
durch reine Ordnungspostulate nach gewissen Urgrundsätzen ersetzt ; 
in der Werdelehre werden sie es erst recht. Insofern sind die Lehren 
von Zahl und Raum eine Art von methodologischer Propädeutik für 
das, was folgt. 
Ein Lehrbuch soll dieses Werk nicht sein, wenigstens kein Lehrbuch 
für Anfänger. 
Es soll £in/ieiY schaffen, ein wirkliches System, alle Sonderausführung 
ist ihm der steten Beziehung auf das Ganze gegenüber Nebensache. 
Damit steht dieses Buch den Bestrebungen der Logiker von Aristo* 
TELES bis auf Christian Wo LFF und denen Hegels näher als den überall 
Schranken errichtenden Bestrebungen Kants. Wie viel aber auch mir 
Kant gewesen ist, ja wie viel ich auch den Neukantianern, persönlich 
in erster Linie Otto Liebmann, zu verdanken habe, sieht man wohl 
gerade dort, wo ich widerspreche. 
Daß die Ordnungslehre dem unbestimmt schillernden Begriff des 
»Transzendentalen« eine streng »subjektivistische« Wendung geben 
müßte, soll er ihr überhaupt Eindeutiges^ bedeuten, geht schon aus 
dem in dieser Einleitung Gesagten hervor; doch vermeidet die Ord* 
nungslehre sowohl ihn wie den Begriff »subjektiv« besser ganz — sie 
braucht beide gar nicht. 
* Er kann auch im Sinne einer prästabilierten Harmonie irgendeiner Form gefaßt 
werden, aber eine solche Fassung liegt im Bereich der Metaphysik. Was er sonst 
noch etwa nach der Ansicht Neuerer und vielleicht nach derjenigen Kants selbst 
soll bedeuten können, entbehrt unseres Erachtens der Klarheit. 
Mit dem neueren Empirizismus, zumal in der ihm von Mach in 
seiner Geschichte der Mechanik — nicht in der »Analyse der Emp^ 
findungen« — gegebenenen Form scheint mir eine Verständigung nicht 
ganz unmöglich zu sein: freilich müßte das Forderungsmäßige der 
Lehre von der »Ökonomie« im Denken viel mehr betont werden um 
eine Annäherung möglich zu machen. In bezug auf die Grundlagen 
des denkmäßigen Findens überhaupt steht wohl Losskijs »Intuitionis*« 
mus« meiner eignen Lehre nicht ganz fern. 
Was nun die eigentliche Ordnungslehre selbst in ihrer Ausgeführte 
heit angeht, so habe ich gerade in diesem Punkte mein Buch nur zu 
den Leistungen sehr weniger neuerer Denker in Beziehung zu bringen; 
denn es wird heutzutage sehr viel mehr über die Grundlage der »Logik« 
geschrieben, als Logik gemacht. 
Für das Logische im engeren Sinne und für das Mathematische 
kommen die Logistiker, Meinong und seine Schüler, sowie Russell in 
Frage; freilich eben nur für das genannte begrenzte Feld. 
Am nächsten liegen meinem eignen Einheitsziele wohl die Absichten 
Hartmanns und Rehmkes. 
Als ich des letzteren grundlegendes Werk kennen lernte, war das 
erste Manuskript dieses Werkes seiner Gesamtanlage nach schon seit 
nahezu einem Jahre fertig. Im einzelnen Bezug genommen auf Hart* 
MANNS »Kategorienlehre« und auf Rehmkes »Philosophie als Grund* 
Wissenschaft«, soweit diese die Ordnungslehre angeht, habe ich, wie 
auf fremde Autoren überhaupt, -— es käme vor allem noch Cohen in 
Frage — nur hie und da. Mir kam es, wie ja übrigens auch den eben 
genannten Denkern, vor allem auf die Einheit der Lehre an.^ 
Mit der Philosophie Bergsons hat dieses Werk, das ja eine Ord= 
nung-slehre ist, nur gelegentlich Berührungen. Als Ganzes genommen 
kann ein Werk, das sich bewußt »Ordnungslehre« nennt, einer Meta* 
physik — und Bergsons Lehre ist durchaus Metaphysik — ja weder 
widersprechen noch sie stützen; sie ist etwas ganz anderes. Es ist 
* Literaturnachweise sind diesem Werke absichtlich nur in beschränkter Anzahl bei« 
gegeben worden. Es wurden einerseits solche zusammenfassende Darstellungen von 
5oncfergebieten genannt, durch deren Kenntnis der Leser in den Stand gesetzt wird, 
in zuverlässiger Form die wichtigsten Sonderergebnisse und die Literatur des in 
Rede stehenden Gebietes kennen zu lernen; andererseits wurde angegeben, an 
welchen Orten des Ganzen irgendeine Auffassungsübereinstimmung ^anz besonderer 
und deutlicher Art mit den Lehren anderer, oder aber auch ein besonders scharfer 
Widerspruch besteht. Polemik ist ja in der Philosophie noch zweckloser als in den 
Sonderwissenschaften. 
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wichtig, das im Gedächtnis zu behalten, um nicht Verschiedenheiten 
der Absichten mit Gegensätzen der Lehren zu verwechseln. Einem 
wirklichen Kenner der Lehre Bergsons und ihm selbst braucht das 
freilich nicht gesagt zu werden. -— 
Daß dieses Werk sich bei allen eigentlichen Grundlegungen einer 
deutschen Terminologie befleißigt, wird den nicht überraschen, der 
weiß, wie vieldeutig alle fremdsprachlichen philosophischen Termini 
durch ihre wechselvolle Geschichte geworden sind. Es genügt an die 
Ausdrücke »Substanz«, »Kausalität«, »subjektiv^objektiv«, »absolut« 
zu erinnern — um von Worten wie »Idee«, »Idealismus« u. a. gar nicht 
zu reden. Etwas verbraucht sind sogar auch einige deutsche Worte, 
z. B. die Worte »Begriff«, »Erscheinung«, »Vorstellung«. 
Man möge mir glauben, daß mir bei Befolgung dieses mir selbst 
auferlegten sprachlichen Purismus — der sich übrigens nicht auf die 
Anmerkungen und nicht auf die meist eindeutigen Begriffe der Wissen* 
Schaft im engeren Sinne bezieht (»Energie«, »Potential« usw.) — nichts 
ferner gelegen hat als eine Absicht chauvinistischer Art. — 
Die Ordnungslehre ist hier in jedem ihrer Teile bis dahin geführt 
worden, wo sie in die Begriffsbildungen der Sonderwissenschaften 
übergeht. Ich möchte sagen: sie geht jeweils bis zu einem Begriffe oder 
Satze — einer Setzung — welche für das in Rede stehende Sondergebiet 
einen Anfang bedeutet und daher je nach Belieben als der Ordnungs* 
lehre oder als der Sonderwissenschaft oder als beiden zugehörig be* 
trachtet werden kann. So mag z. B. gefragt sein, ob die sogenannten 
Axiome der Geometrie selbst schon Geometrie seien oder nicht; sie 
sind gewiß zum größten Teil rein beziehliche Aussagen, nur dem 
Grundprinzip der Ordnungslehre unterstehend, aber sie gehen eben 
auf »Räumliches«, für dieses wird bestimmtes Beziehliches, in durch 
das Sosein des Räumlichen bestimmter Form, gefordert. Ähnlich ist 
es, um noch ein Paar rechte heterogene Gebiete zu nennen, bei der 
Ethik, bei der Mechanik. 
Das allgemeinste Prinzip des Weiterschreitens der Ordnungslehre 
ist im Werke selbst dargelegt und als der »Grundsatz der Sparsamkeit 
DER Setzungen« oder auch als der »des unbedingt notwendigen 
Schrittes« bezeichnet worden. Jede Stufe der Ordnungslehre ent* 
wickelt stets solche und nur solche Setzungen, ohne welche die nächste 
Stufe nicht sein kann. Aber nicht geht das Denken nach diesem Prin^ 
zipe vor, weil es dasselbe bequemer, »praktischer« findet als andere 
mögliche Wege des Vorschreitens, sondern es ist eben sein Weg; der 
11 
Weg macht sein Wesen aus. Das unterscheidet unsere Ordnungslehre 
von den Lehren eines Mach und Avenarius. Ich sage aber noch ein* 
mal, daß eine Verständigung mir in gewissem Grade hier möglich 
erscheint. Anderen sei es wie sonst so auch hier überlassen, Verwandt«« 
Schäften und Unterschiede aufzufinden ; sie mögen auch entscheiden, 
ob meine Lehre wegen der ihr eigenen Behandlung des Begriffs 
»Werden« und deswegen, weil sie die Ethik der Logik einordnet, als 
»rationalistische« Lehre zu bezeichnen ist oder nicht. 
Das Prinzip der »Sparsamkeit der Setzungen« ist von mir in der Tat 
in rigorosester Weise durchzuführen versucht worden: ich wollte wirk* 
lieh nur die Letztbestandteile der Ordnungslehre bringen und nichts 
weiter; nur so konnte diese sich rein und klar gestalten. Gerade mit 
Bezug auf die allgemeine oder, fälschlich sogenannte, »formale« Logik 
machte das besondere Schwierigkeiten, da diese in ihrer üblichen Form 
gar zu sehr an einer äußerlichen Angelegenheit, nämHch der sprach- 
liehen Form des sogenannten »Urteils«, haftet. — 
Im Jahre 1901 begann ich mit der Niederschrift einzelner Abschnitte 
des Textes. Im Sommer 1909 war ein Manuskript vollständig fertig«» 
gestellt. In den beiden folgenden Jahren ist aber der gesamte Text, 
ohne Berücksichtigung des ersten Manuskripts, noch einmal neu 
niedergeschrieben worden, so wie er hier vorliegt. Ich hoffe, daß die 
durch diese doppelte Abfassung bedingte Verzögerung der Veröffent* 
lichung und ebenso jene, die durch meine Berufung zum Gifford 
Lecturer und durch die damit verbundene Verpflichtung, meine Lehre 
vom Organischen endgültig zusammenzufassen, bedingt war, dem 
Ganzen nicht geschadet, sondern genützt hat. 
HEIDELBERG, IM OKTOBER 191 1 
HANS DRIESCH 
12 
VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE 
Das Vorwort zur ersten Auflage dieses Werkes ist hier unver«« 
ändert abgedruckt. Es ist auch für seine zweite Auflage eine 
passende »Einleitung«. Aber die zweite Auflage ist darum 
doch von der ersten, die ja mein »rein« philosophisches Erstlingswerk 
war, sehr wesentlich verschieden: es gibt keine Seite in ihr, auf der sich 
nicht Zusätze oder Änderungen finden, ja, sie ist etwa zur Hälfte ein 
GANZ NEUES, NEU GESCHRIEBENES BUCH. Die Abschnitte Über Natur im 
allgemeinen, über Ganzheit und über Seele sind ohne jede Rücksicht 
auf den alten Text von Grund aus neu verfaßt worden, von neuen 
Abschnitten kleineren Umfanges nicht zu reden. Etwa 135 Seiten des 
alten Werkes sind ganz gestrichen, etwa 200 Seiten des neuen Werkes 
sind neuer Text. 
Der Standpunkt im Ganzen ist der alte; aber erst jetzt ist ganz klar 
und eindeutig erfaßt, was in der ersten Auflage zwar gesehen, aber 
eben noch nicht »clare et distincte« gesehen wurde : Die Inaktivität des 
Ich. In meiner Schrift Wissen und Denken wurde ja bereits im Jahre 
1919 der alten »Ordnungslehre« eine Berichtigung in diesem Sinne 
nachgesandt. 
Einer besonderen Rechtfertigung bedarf das etwas aus dem Rahmen 
fallende Kapitel über die Psychologie. Es handelt sich hier um eine 
ursprünglich als selbständige Arbeit geschriebene Studie, welche nach^ 
träglich in die »Ordnungslehre« hineingearbeitet ist. Das Kapitel ist, 
formalsästilistisch gesprochen, »zu lang«, ebenso wie — (weil die »Philo*» 
Sophie des Organischen« da ist) — das Kapitel über personale Ganz* 
heit »zu kurz« ist. Ich habe mich, was die Psychologie angeht, aus zwei 
Gründen zu der geschilderten Stilwidrigkeit entschlossen: Einmal, weil 
man heutzutage überhaupt jede irgenwie überflüssige Veröffentlichung 
unterlassen soll; und es wäre, hätte ich meine Psychologie^^Studie ge^ 
sondert veröffentlicht, im Grunde das dann doch notwendig gebliebene 
Psychologie* Kapitel der »Ordnungslehre«, so kurz es auch vielleicht 
ausgefallen wäre, »überflüssig« gewesen. Zweitens, weil ich mir eine 
»Psychologie« so, wie ich sie für meine Ordnungsabsichten brauchte, 
erst selbst machen mußte. Es gab nämlich keine, welche zugleich ein 
Kapitel der Logik (des Empirischen) ist, und nur eine solche konnte 
ich brauchen. 
Auch das Manuskript der neu geschriebenen Teile dieser Auflage 
13 
hat, wie das ganze Manuskript der ersten, eine Weile, obschon von 
erheblich kürzerer Dauer, »geruht«, ehe es zum Druck gekommen ist. 
Geschrieben ist es der Hauptsache nach im Winter 1920—21 in Köln. 
Als etwas mir, auch aus äußeren Gründen, recht fremd und »objektiv« 
Gewordenes zum letztenmal gründlich durchgesehen ward es im 
Mai 1922. 
Daß der Begriff des Systems in voller Klarheit zur Geltung komme, 
ist dieses Werkes eigentliches Ziel. Alles Einzelne ist angesichts dieses 
Zieles Nebensache. Seine, äußerlich von ihm unabhängige, Fortsetzung, 
die »Wirklichkeitslehre«, ist im Jahre 1922 in zweiter, freilich weit 
weniger veränderter Auflage erschienen. Der Leser der zweiten Auf^* 
läge der »Wirklichkeitslehre« sei darauf hingewiesen, daß in ihr die 
»Ordnungslehre« nach dieser zweiten, damals erst als Manuskript vor«« 
handenen Auflage zitiert ist; natürlich waren da keine Seiten»», sondern 
nur AbschnittsssZitierungen möglich, zu deren Verständnis das Inhalts* 
Verzeichnis zu benutzen ist. 
LEIPZIG, DEN 3. JUNI 1922 
HANS DRIESCH 
14 
A. DIE ORDNUNGSLEHRE 
ALS ERSTERTEIL DER PHILOSOPHIE 
1. DIE PHILOSOPHIE 
a) DEFINITION 
Philosophie ist eine Angelegenheit des Wissens, und zwar des be^ 
wüßt vollständigen und gefügehaft gegliederten Wissens, also eine 
Wissenschaft. Jede Wissenschaft nun ersteht aus dem alltäglichen 
Wissen, dem »Erleben« heraus, also auch die Wissenschaft, welche 
Philosophie heißt. 
Obwohl Philosophie eine Wissenschaft ist, so unterscheidet sie sich 
doch von allen übrigen Wissenschaften durch ihren Gegenstand. Dieser 
Gegenstand ist nämlich nicht irgend etwas aus der Fülle des Gegen«! 
ständlichen Herausgegriffenes, sondern das Gegenständliche in seiner 
Gesamtheit. Weil aber alles Gegenständliche zugleich ein Gewußtes 
ist oder doch gewußt werden kann, weil Etwas, das gar nicht irgend* 
wie durch Wissen betreff bar wäre, auch nicht Gegenstand sein könnte, 
so kann auch kurz das Gewusste in seiner Gesamtheit Gegenstand der 
Philosophie heißen; ja, Philosophie darf sogar nie vergessen, dass 
Gegenständliches dasselbe wie Gewußtes ist, sie behandelt alles Gegen*» 
ständliche ausdrücklich als Gewußtes, jedenfalls auch als Gewußtes. 
Aber auch Wissen selbst ist Gegenstand für Philosophie, auch 
um Wissen will sie im Sinne einer Wissenschaft wissen. So ist sie 
also Wissenschaft von dem Gewußten, einschließlich des Wissens. 
Wir nannten Wissenschaft das bewußt vollständige und gefügehaft 
gegliederte Wissen. Mit diesem Worte soll gemeint sein, daß Ganzheit 
unter allen einzelnen Wissensaussagen bestehen, daß nichts übersehen, 
und daß nichts Zusammengesetztes für einfach gehalten werden soll. 
Das Streben nach dem Gefüge teilt Philosophie mit jeder Wissen«« 
Schaft; sie ist aber nicht etwa die Summe derjenigen Gefüge, welche 
die einzelnen Wissenschaften schon errichtet haben; dann wäre sie nicht 
viel wert. Sondern sie formt ein Gefüge aus dem Wesentlichen aller 
Gefüge aller "Wissenschaften. 
Im Sinne des VoUständigseinsoUens ist aber wissenschaftliche Philo* 
Sophie von jeder anderen Wissenschaft unterschieden, ganz ebenso wie 
sie sich durch ihren Gegenstand von jeder anderen Wissenschaft unter* 
schied. Was wir hier meinen, sagten wir schon vorher unter anderem 
Gesichtspunkt: als Gewusstes hat Philosophie alles zu nehmen, was 
sie überhaupt angeht. Davon darf eine Wissenschaft besonderer Art, 
etwa die Zoologie, die Geschichte, absehen, ihr Vollständigsein ist also 
immer in einer ganz bestimmten Hinsicht beschränkt. 
16 
Es hängt mit dem Gesagten zusammen, daß jede Sonderwissenscliaft 
zu einem Teil der Philosophie wird, sobald sie ihre Gegenstände aus^ 
drücklich auch als gewusste faßt. 
Philosophie ist also die Wissenschaft, d. h. das vollständige und 
GEFÜGEHAFTE WiSSEN VOM WiSSEN UND VON ALLEM GEWUSSTEN ALS Ge«* 
wusstem. — 
b) DIE SPRACHE ALS HEMMNIS 
Mit ihrer Herkunft aus dem alltäglichen Wissen, dem »Erleben«, 
haftet der Philosophie von allem Anfang etwas an, was nicht 
selbst philosophisch ist. Sie kann sich von diesen Schlacken des All* 
tags insofern befreien, als sie sich inmitten des alltäglichen Erlebens in 
Reinheit hinstellen kann; wir werden bald davon reden, wie sie das 
macht. Will Philosophie ja doch nicht das alltägliche Erleben verneinen 
oder »vergewaltigen«. Sie will es vielmehr bis in seine letzten Ver«» 
zweigungen verfolgen und sich Rechenschaft davon geben, was »Er^» 
leben«, »Wissen« eigentlich bedeutet. 
Viel schlimmer ist es für die Philosophie, daß sie sich nicht befreien 
kann von der Sprache. Sie soll ja doch »mitgeteilt« werden, und da 
muß sie sich »ausdrücken« können. Sie muß also von ihrem Ausgange 
an fortgesetzt gewisse Zeichen, nämlich Worte, gebrauchen, welchen 
sie doch eigentlich erst während ihres Fortganges eine Bedeutung gibtl 
Wer aber sagt, diese Schwierigkeit teile die Philosophie mit jeder 
Wissenschaft, da ja jede Wissenschaft aus dem »Erleben« herstamme, 
der vergißt, daß nicht zwar die Sonderwissenschaften, wohl aber die 
Wissenschaft »Philosophie« nichts vorbringen darf, von dem sie nicht 
in jeder Hinsicht vollständige Rechenschaft ablegt. 
Wie viel »Bedeutungen« haben wir nicht in den wenigen Sätzen, 
aus denen unser Werk bis jetzt besteht, schon einfach und schlicht, als 
ob sie »sich von selbst verstünden«, zeichenhaft hingesetzt. Jedes Wort, 
das wir anwandten, war ja eine solche Bedeutung, nicht etwa nur be«* 
sonders ausgezeichnete Worte wie »Wissen«, »Gefüge«, »Ganzheit«. 
Und was soll es denn eigentlich heißen, Philosophie solle »mit* 
geteilt« werden. Wem denn? Dem Leser, sagt man. Ja — was heißt 
denn das? — 
Sollen wir angesichts dieser Bedenken alles durchstreichen, was wir 
geschrieben haben, und noch einmal anfangen? Freilich — der Sprache 
würden wir auch dann nicht entraten können, da wir ja einmal ein 
Buch schreiben wollen, aber doch vielleicht der Sprache des Alltags. 
Fangen wir einmal an mit einer Philosophie in Reinheit: 
2 Driesch, Ordnungslehre 1/ 
Ich habe bewußt und um mein Wissen wissend Etwas 
Das Etwas ist geordnet 
Das Grundordnungszeichen: Dieses 
Dieses ist Dieses (Selbigkeit) 
Dieses ist nicht Nicht^^Dieses 
Dieses = A, Nicht^^Dieses aber = B, C, D usw. 
Also: Dieses, Jenes, Jenes . . .; Sosein 
usw. 
Das ist eine Probe »mathematisierender« Philosophie; auch sie sogar 
schleppt noch Sprachschlacken mit sich. 
Wer verstand die Probe? Vielleicht ein paar Kenner meiner früheren 
Schriften oder Schüler von mir. 
So also geht es nicht: 
Beginnen wir daher unsere Philosophie unerschrocken aus dem All^ 
zumenschlichen, dem »Erleben« heraus und im Rahmen des Allzus= 
menschlichen. Setzen wir unsere einzelnen Begriffe und Sätze hin, um»« 
wuchert vom Alltäglichen. Das Alltägliche wird ihnen, wenn sie einmal 
da sind, nicht mehr schaden. 
Ja auch, daß wir Philosophie in dem oben umgrenzten Sinn wollen 
müssen, um Philosophie treiben zu können, wollen wir, ehe wir die 
eigentliche Arbeit beginnen, noch ganz getrost im Sinne des Alltags 
sagen. 
2. DER URSACHVERHALT 
Philosophie will um »Alles« gefügehaft und in jeder Hinsicht, auch 
mit Rücksicht auf die Beziehung Gewußtsein, wissen. 
Womit nun soll sie beginnen? Offenbar mit Etwas, was ich »weiß«. 
Von Dingen, die ich »ganz sicher« weiß, über die jeder »Zweifel« aus«» 
geschlossen ist, gibt es nun eine ganze Menge. Daß 2x2 = 4 ist, gen 
hört hierher, ebenso der Satz, daß »Irgend etwas« entweder ein Löwe 
oder nicht ein Löwe ist, und endlich auch der Sachverhalt, daß ich 
jetzt eine weiße Fläche mit schwarzen Zeichen darauf »sehe«. 
Aber alle diese dem Zweifel freilich entrückten Sachverhalte sind 
darum doch nicht geeignet für einen Ausgang der Philosophie; sie 
können nicht die Philosophie, sozusagen, tragen. 
Es gibt nun aber einen Sachverhalt, der auch dem Zweifel entzogen 
ist, und der zugleich alle anderen überhaupt möglichen Sachverhalte 
gleichsam trägt. Wir nennen ihn den Ursachverhalt und geben ihm 
die Worte: 
18 
Ich habe, um mein Wissen wissend, bewußt etwas. Oder, kürzer. 
Um mein Wissen wissend, weiß ich Etwas. 
Dieses ist unser erster philosophischer Satz, der philosophische Un^ 
satz. Er weist noch auf die Geburtsstätte aller Philosophie, das »Er^ 
leben« hin, aber er hebt sich doch aus dem Alltag schon der Sprache 
nach heraus. 
Er kann nicht »bewiesen«, nicht »abgeleitet«, er kann nur als be* 
stehend geschaut werden. Er ist ein »Sachverhalt«, eine »Tatsache«; 
aber doch ein Sachverhalt, der sich von jedem anderen Sachverhalt, sei 
er »empirisch« oder »apriorisch« unterscheidet; ein Sachverhalt, der 
keine ihm ähnlichen neben sich hat. Daher sagen wir: L^r= Sachverhalt. 
Nur erläutern können wir unseren Satz, nur Mißverständnisse 
können wir von seiner Erfassung fern halten: 
Der Ursachverhalt, der sich im Ursatze in Worten ausdrückte, ist 
dreieinig; das heißt: seine drei Bestandteile »Ich, der um mein Wissen 
Wissende«, »habe bewußt« (oder auch »weiß«) und »Etwas« fordern 
sich gegenseitig, und haben nur in ihrem Verbundensein einen klaren 
Sinn. Das »Ich« ist das »Etwas wissende«, »Wissen« besteht — (als 
Urbeziehung, um eine später zu klärende Bedeutung vorwegzu* 
nehmen) — zwischen »Ich« und »Etwas«, »Etwas« ist das »von Ich 
gewußte«. 
Was Wissen oder Bewußt haben heißt, läßt sich nicht irgendwie 
mitteilen. Nur das Mißverständnis, als bedeute es »tun« oder »denken« 
ALS Tätigkeit ist von vornherein auszuschalten. Denn tuend schaue 
ich mich nicht. ^ Das von Rehmke stammende Wort haben soll eben 
dieser Ausschaltung dienen. Was Etwas heißt, ist auch unmitteilbar. 
Ein wenig mehr von abwehrender Erläuterung bedarf das Wort 
»Ich«. Ich soll NUR — nun eben »Ich« heißen und ist positiv gänzlich 
unerläuterbar. 
Es ist nicht gesagt worden: »Ich bin«; auch nicht: Ich sei »Eines« 
im Gegensatz zu »Vielem«, nicht: Ich sei »Person« oder »Überperson«, 
nicht: Ich sei »Substanz«, nicht: Ich sei in der »Zeit«. Nur »Ich« ist 
gesagt, also auch nicht: »Das Bewußtsein«, »Das Bewußtsein über^ 
haupt«, »der Geist«, »die Seele«, »die psychophysische Person« — und 
was sonst man noch erdenken mag, sondern nur »Ich«. Wer die reine 
^ Näheres in Wissen und Denken 1919. Übrigens meine ich, auch schon in der ersten 
Auflage der »Ordnungslehre« die Ich*Tätigkeit hinreichend scharf abgewiesen zu 
haben, und bin erstaunt, bei einigen Schriftstellern die Bemerkung zu finden, ich 
LEHRTE ein tätiges Ich! 
2. 19 
Bedeutung dieses Wortes nicht versteht, dem kann nicht geholfen 
werden. 
Ich weiß »um mein Wissen wissend« Etwas, sagt der Ursatz aus. 
Also habe ich Etwas und »mich«. Aber nun doch nicht im gleichen 
Sinne; denn das Etwas kann untersucht werden ohne stete Rücksicht 
auf sein Gehabtsein; das »Mich« ist aber nicht einmal dieser ^Zeic/isam 
möglichen Lostrennung vom Ich fähig. »Ich« schließt das Mich s* Wissen 
und »Mich« das Ichs»Gewußtsein ganz unmittelbar ein. 
Also : Ich, der Ich um mein Wissen weiß, habe bewußt Etwas. So 
war es geschaut, nicht getan oder gemacht, weder in »Unfreiheit« noch 
in »Freiheit«, welche Worte erst in der Lehre vom Geschehen einen 
möglichen Sinn haben. 
Cogito mit Descartes oder Scio mit Augustinus hätten wir auch an 
Stelle unseres Ursatzes sagen können. Denn diese beiden Denker, mit 
denen wir uns eng verwandt fühlen, faßten den Sinn ihrer lateinischen 
Worte ausdrücklich sehr weit, ganz und gar im Sinne unseres »bewußt 
haben«. Aber »ergo sum« dürfen wir nicht am Anfange des Philo»« 
sophierens sagen, und auch eine »res cogitans« kennen wir hier 
nicht. — 
3. DER BEGRIFF »ORDNUNG« / DIE »ORDNUNGSLEHRE« 
Aber wie können wir weiter kommen von diesem Ursachverhalte 
aus? Durch eine Vervollständigung der ersten Schau. 
Das ichssgehabte Etwas nämlich ist geordnet. 
Ich schaue, dass es geordnet ist, ich schaue, was Ordnung bedeutet, 
und ich schaue, inwiefern oder dank welcher Züge an ihm es geordnet 
ist. Oder anders: ich schaue, wann und wo im Rahmen des Etwas — 
(die Worte wann und wo bildlich verstanden) -- ich Endgültigkeiten 
mit Rücksicht auf Ordnung am Etwas antreffe. Ich schaue, wo und 
wann und inwiefern es mit dem Etwas »in Ordnung« ist. 
Was Ordnung heißt und was Ordnungs=endgültige Bedeutung oder 
kurz Ordnungszeichen heißt, läßt sich ebensowenig aufhellen wie der 
Ursachverhalt. 
Bildlich und allzu alltäglich können wir allein hier reden: Es ist so, 
als sei dem Ich ein »Urwissen« um die Bedeutung Ordnung und um 
das, was ein endgültiges Ordnungszeichen ist, eigen — aber in Strenge 
ist dem Ich auf dieser Stufe der Philosophie, gar nichts »eigen«, das 
Ich hat nur. Ich habe nur. Es ist weiter so, als fände ich durch »Selbst«« 
besinnung«, was Ordnung heißt und was Ordnungszeichen sind — 
20 
aber in Strenge »besinne« ich mich nicht, denn Ich »tue« ja überhaupt 
nicht. 
Es ist endlich so, als hätte Ich Ordnung »gefordert« und finde meine 
Forderungen (Postulate) erfüllt — aber, immer wieder sagen wir es: 
ich habe bloß. 
Unsere Bilder nützen uns also nicht, verwirren sogar vielleicht. 
BedeutungS'^schauend habe ich, dabeibleibt es; und bis jetzt wissen 
wir, daß »Ordnung« und »Ordnungszeichen« zu den geschauten Be:» 
deutungen gehört. 
Am besten ist es wohl schlicht zu sagen, daß das Bestehen des ur^ 
sprünglichen und des um den Begriff Ordnung erweiterten Sach* 
Verhaltes ein Urgeheimnis, besser: das Urgeheimnis ausmache. 
Die Bedeutungen Ordnung und endgültiges Ordnungszeichen stehen 
also als ichs'gehabt da. Das ist bis jetzt alles; das aber ist Philosophie^ 
bestandteil; alles andere Reden war Alltag, aus dem sich der granitene 
Bau, den wir suchen, zu erheben beginnt. 
»Den wir suchen« — schon wieder ein Alltagswort, offenbar nicht 
ohne Zusammenhang mit jenem, das wir früher aussprachen, als wir 
sagten, daß wir, um Philosophie treiben zu können, Philosophie 
»wollen« müssen. 
Was wir nun »wollen«, jedenfalls zunächst wollen müssen, ist jetzt 
klar. Nicht zwar aus dem allerursprünglichsten Ursachverhalt geht es 
hervor, aber aus seiner Erweiterung; daraus, daß das Etwas geordnet 
ist, und daß Ordnung und endgültiges Ordnungszeichen geschaute 
Bedeutungen sind. 
Die erste Leistung der Philosophie nämlich muß offenbar darin be* 
stehen: restlos die Gesamtheit der Ordnungszeichen am Etwas zu 
SCHAUEN, oder anders: restlos Rechenschaft davon zu geben, was denn 
das Wort vom »geordneten Etwas« eigentlich heißt. Nicht freilich, als 
solle Ordnung in einen »rohen Stoff« hinein »gemacht« werden. Es 
soll vielmehr die Gesamtheit alles Einzelnen von Ordnung an der Ge# 
SAMTHEIT DES GEGENSTÄNDLICHEN, deS »Erlebten«, GESCHAUT WERDEN. 
Nicht also, als übte ich »Synthesis« bewußt aus; sondern ich schaue, 
wenn man so will, in »Synthesen« das, was sie ausmacht. — 
Diese erste Leistung der Philosophie fällt der Ordnungslehre oder 
»Logik« zu. Ordnungslehre ist also die Lehre von den Ordnungs* 
zeichen oder Ordnungstönungen des Etwas, wobei die Worte 
»Zeichen« oder »Tönung« dastehen in Ermangelung besserer, die es 
nicht gibt. 
21 
Ich habe das geordnete Etwas und weiß, wann ich Endgültiges in 
bezug auf Ordnung an ihm oder in ihm — (das Wort ist, wie alles 
sprachliche, ungenügend) — schaue. Das halte ich (gleichsam) fest; 
finde ich solches, so ist mir 's, als hätte ich es (gleichsam) gefordert. 
Doch auch das ist der Ordnungslehre, wie wir schon sagten, bloß ein 
im Sinne des Alltags erläuterndes Wort, und nichts ist hier so scharf 
auszuschalten wie der Kantische Gedanke, es habe »die Natur unseres 
Gemütes« alle Formen, alle »Bedeutungen« in die bewußt gehabte 
Gegenständlichkeit als in ein für sich genommen Formloses »Ursprung* 
lieh hineingelegt« und hole sie dann bewußt wieder heraus, so daß der 
Philosoph im Grunde immer nur sein »Bewußtsein« aber nicht Gegen* 
stände untersuchen würde. Das ist Metaphysik oder mindestens Psy* 
chologie. Die Lehre mag vielleicht später einen gewissen Sinn erhalten, 
sowohl psychologisch wie, in anderer Form, metaphysisch. Aber sie 
geht uns hier gar nichts an, ebensowenig wie das Reden von »Ver* 
mögen«, »Eigentümlichkeiten« der Seele und anderem. Geht uns doch 
auch »die Seele« hier noch gar nichts an, sondern nur das Ich habe 
bewußt Geordnetes als dreieiniges Eines. Psychologie ist ein beson* 
derer später Teil der Ordnungslehre vom Etwas, und Metaphysik ist 
überhaupt nicht Ordnungslehre, sondern etwas ganz Anderes, wahr* 
lieh sehr Berechtigtes. 
Gänzlich von Anfang an fernzuhalten ist auch der Gedanke einer 
»Immanenz« in dem Sinne, als ob die Gegenstände, welche auf ihre 
Ordnungszüge hin untersucht werden sollen, »in mir« seien. Ich* 
BEZOGEN sind sie, gewiß; sie »sind«, insofern sie bewußt gehabt sind. 
Will man das »Immanenz« nennen, so haben wir nur der Mißverstand* 
lichkeit des Wortes etwas dagegen; aber man meint eben meist mit 
»Immanenz« etwas geradezu Falsches, ebenso wie mit dem ganz zu 
vermeidenden Worte Bewußtseins*»inhalt«. Mit dem Falschen, was 
man hier meint, wird dann meist noch sogar, was freilich nicht un* 
bedingt nötig ist, jene andere falsche Lehre von dem »Hineingelegt* 
sein« aller Formen in einen »rohen Stoff« seitens der »Natur unseres 
Gemütes« verknüpft. — 
Von END*gültigkeit (mit Rücksicht auf Ordnung) rede Ich und von 
END*gültigkeit weiß Ich, gleichsam im Sinne eines Ur* oder Vor* 
Wissens. Nicht aber rede ich von so etwas wie »Allgemeingültigkeit« 
(für »Jedermann«, für »alle Iche«, für »das Bewußtsein überhaupt«) ; 
das alles ist bedeutungslos für mich an dieser Stelle. Ich bin der, auf 
den alle Philosophie, jedenfalls soweit sie Ordnungslehre ist, be* 
22 
zogen ist; denn ich^bezogen ist das Etwas, dessen Ordnung sie unter«« 
sucht. 
Nicht soll das heißen, daß ich wisse, es habe das Reden von einem 
»An sich«, einem »Wirklichen«, einem »Absoluten« unter gar keinen 
Umständen einen Sinn. Es soll vielmehr nur dieses heißen: mag das 
»Etwas«, ja mag der ganze Ursach verhalt »bedeuten«, was er will; 
JEDENFALLS ist das Etwas des Ursach Verhalts ichbezogen, jedenfalls ist 
es »MEIN« Etwas. Untersuche ich also den Ordnungsbau des Etwas, 
insofern dieses jedenfalls mein Etwas ist, und lasse ich einstweilen jede 
Frage danach, ob mein Etwas »nur« mein Etwas sei oder nicht, bei 
Seite. 
Man mag diesen allein zweifelsfreien Boden der Ordnungslehre 
methodischen Solipsismus nennen; »dogmatisch«s'Solipsistisch wäre es, 
wollte ich von vornherein das »nurÄs'Meinsein des Etwas behaupten ; 
das wäre »negativer Dogmatismus«. 
Aber wohlverstanden : Ich heißt auf dem Boden unseres Solipsismus 
immer nur das, was wir »Ich« genannt haben, also — »Ich«, und nicht 
etwa »Ich als Mensch«, »Ich als Seele« oder anderes, und auch nicht 
Ich als »spontaner«, als »produzierender«.^ — 
Ich müsse (gleichsam) Philosophie wollen, um Philosophie treiben 
zu können, so sagten wir. Also muß ich, da die Ordnungslehre der 
Philosophie erster Teil ist, nun wohl Ordnung zwar nicht »machen«, 
wohl aber schauen wollen — oder sagen wir »ur? wollen«, da wir ja 
(bildlich) von einem Urs'Wissen um Ordnung geredet haben. Es ist, 
als stünde ich unter der Aufgabe »Ordnung4eisten«, um, aber auch 
wieder nur bildlich, im Sinne der neuen Psychologie zu reden; das 
wäre denn also die »Ur^^aufgabe«.^ Ich als Philosoph weiss, daß ich 
unter der Aufgabe Ordnung stehe; das aber scheidet mich von dem 
bloß Erlebenden, der zwar auch Ordnung erlebt -- denn alles Gehabte 
ist ja geordnet — aber nicht ausdrücklich um Ordnung als Ordnung 
und um sein Wissen von Ordnung weiß. 
Und auch als »Urs«wert« darf ich Ordnung selbst zwar nicht, wohl 
aber Ordnungsbesitz bezeichnen, wenn man »Wert« gleich »endgültig 
betontes Willensziel« setzen will.^ 
* Die Einwände Rehmkes (Grundwiss.) gegen den Solipsismus treffen also meinen 
methodischen Solipsismus nicht. Ich gehe ja nicht aus vom Ich als einem Gefäß mit 
Inhalt und auch nicht von dem Ich, das sich etwas produziert. Ist doch mein Aus* 
gang überhaupt gar nicht das »Ich« als solches, sondern der dreieinige Ursach* 
VERHALT. ^ Dieser Gedanke ist durchgeführt in meiner Schrift »Die Logik als Auf* 
gäbe« 1913. ' Darüber: »Wissen und Denken«, 1919, Seite 116. 
23 
Aber das alles ist Rede des Alltags, ist bestenfalls Psychologie an 
zu früher Stelle, oder auch Metaphysik an zu früher Stelle, nämlich 
Psychologie oder Metaphysik des Philosophen. Nur als Erläuterung, 
nicht aber als Inhalt gehört es an den Eingang der Philosophie. 
»Ich, der ich um mein Wissen weiß, habe bewußt durch Endgültig*« 
keitstönungen geordnetes Etwas« — das ist uns bis jetzt allein »Philo^« 
Sophie«. — 
Ich kann die Ordnungslehre auch (mit Meinung) Gegenstands* 
LEHRE nennen, indem ich das Etwas als »Gegenstand« bezeichne. Aber 
das Wort Ordnungslehre ist deshalb besser, weil es sagt, was am 
Gegenstande untersucht wird.^ 
Immerhin wollen wir uns merken, daß die Ordnungslehre auch 
Gegenstandslehre heißen darf. Damit nämlich halten wir uns alle 
FALSCHE »SUBJEKTIVIERUNG« VON VORNHEREIN nOch einmal GRÜNDLICH 
FERN, ohne daß wir deshalb, wenigstens im ersten, allgemeinen Teile 
unserer Lehre, die »Gegenstände« so etwas wie ein (platonisches) 
»Sein« führen lassen müßten, das vom bewußt gehab t«*» Sein« unter* 
schieden wäre. 
Von Gegenständlichem, das nämlich wissen wir nun, nicht vom 
»Ich« handelt die Logik. Denn obwohl alles Gegenständliche ich* 
gehabt ist, kommt es doch nur als Gegenständliches für sie in Frage, 
als auf seine Ordnung hin untersuchtes Gegenständliche. Wir werden 
alsbald Bedeutungen von der Form »A ist A«, »A ist nicht Nicht«« A« 
usw. aufstellen: das sind also (beziehliche) Sätze über Gegenstände, 
ganz ebenso wie der Satz, daß 3 -|- 4 = 7 ist; nicht sind es Sätze über 
das Ich oder gar Vorschriften für das Ich, etwa darüber, wie das Ich 
»denken« müsse, um »richtig« zu denken. Gewiß darf es später solche 
Vorschriften geben, (wenn schon nicht für das, was wir Ich nennen, 
sondern für das, was wir die Seele nennen werden) ; aber erst in der 
Psychologie darf es die geben, nicht früher, nicht hier im Anfange; 
und auch von so etwas wie einer »Analytik des reinen Verstandes« 
(Kant) darf hier ganz und gar nicht die Rede sein. Es gibt leider so 
viele »Psychologisten« wider Willen, 
»Besinnen« wir uns denn also auf Ordnungstönungen endgültiger 
Art am Etwas, am Gegenständlichen, und halten wir fest, was wir 
* Der Name »Ordnung« ist für irgend etwas, das mit unserer Logik oder Ordnungs* 
lehre zusammenhängt, oft verwendet worden, aber doch immer nur beiläufig — (so 
auch von Wulff und Kant) — oder in engerem Sinne (Ostwald, Royce) ; und wer 
das Wort verwandte, scheint mir in keinem Falle ein volles Bewußtsein davon ge« 
habt zu haben, was er da tat. 
24 
finden. Hat uns »Selbstbesinnung« doch schon den Ursachverhalt und 
die Bedeutungen Ordnung und Ordnungstönung »finden« lassen. Wir 
sind wieder einmal mitten im Alltagsdickicht — man merkt es hojffents» 
lieh — und da wollen wir uns ruhig noch etwas in ihm ergehen. Wie 
»merke« ich es denn, wenn Ich ein Endgültigkeitszeichen »gefunden« 
habe? An meinem EviDENz^^erlebnis, so sagt man, gelegentlich sagt 
man sogar, schlechter, an meinem »Evidenzgefühl«. Das ist alles »Psy^ 
chologie des Philosophen«, ist auch »Ordnungslehre«, gewiß, aber ein 
ganz später sehr zusammengesetzter Teil dieser Lehre. 
Wir dürfen nur das Geschaute hinsetzen, das muß uns alles sein. 
Wir dürfen nur sagen: »So ist es in Ordnung«; das schaue Ich. — 
Unsere Ordnungslehre oder »Logik« nehmen wir im weitesten Sinne 
des Wortes, als den ersten Teil der Philosophie, neben den sich später 
als zweiter die Wirklichkeitslehre oder »Metaphysik« stellen wird. Logik 
im engeren Sinne des Wortes, Ethik und Ästhetik werden sich als 
UNSERER Logik Teile erweisen. 
Übrigens behandeln unsere beiden Haupt*»teile« der Philosophie 
nicht verschiedene Gegenstände, sondern denselben Gegenstand in 
zwei verschiedenen Hinsichten, von denen die zweite aus dem Unss 
GENÜGEN der ersten entsteht, so daß es sich also nicht etwa um zwei 
einander nebengeordnete »Standpunkte« handelt. 
Mancher Leser wird das Wort »Erkenntnistheorie« in unseren Aus:« 
führungen vermißt haben. Wir haben es absichtlich nicht gebraucht, 
weil es gar zu vieldeutig ist. 
Einmal nämlich nannte man »erkenntnistheoretisch« solche Erörte* 
rungen, wie sie in diesem Abschnitt gepflogen worden; dafür sagen 
wir: Erörterung des Ursach Verhalts. Zum anderen ist Erkenntnis** 
theorie eine Angelegenheit der Psychologie; Psychologie nun ist selbst, 
wie schon gesagt, ein Abschnitt der Ordnungslehre, wennschon ein 
sehr später; in ihrem Rahmen werden wir, unter dem Namen einer 
»UNECHTEN« Erkenntnislehre manches von dem, was oft Erkenntnis* 
theorie genannt wird, behandeln. Echte »Erkenntnislehre« wird uns 
erst ein einleitender Abschnitt zur Metaphysik sein. 
4. »WAHRHEIT« UND RICHTIGKEIT 
Die Ordnungslehre nämlich kennt nicht den Begriff des »Er** 
kennens«; sie kennt auch nicht den Begriff »Wahrheit«. Man 
verdirbt sich den reinen Begriff der Ordnung, wenn man ihn, wie es 
meist geschieht, von Anfang an mit der Frage nach der Möglichkeit 
25 
»wahrer Erkenntnis«, das heißt nach der Möglichkeit des Wissens um 
ein Losgelöstes, ein »Absolutes« verknüpft. Aufgabe der Ordnungs* 
lehre ist ganz allein die Beantwortung einer Frage, die wir bereits in 
unserer Weise geformt haben und die wir auch in die Worte kleiden 
können: Worin besteht Erfahrung? Erfahrung aber soll uns die Ge* 
samtheit meines Wissens um das Erlebte, das Gegenständliche, als ein 
geordnetes Wissen, die Kenntnis des Erlebten in endgültig geordneter 
Form heißen. Erfahrung also ist uns zwar »Kenntnis« aber nicht »Er# 
kenntnis«, das heißt nicht ein Wissen um die Besonderheit eines An* 
sichseienden, eines durchaus Ichfremden, denn dieses allein soll uns 
»Erkenntnis« heißen. Es gibt doch auf alle Fälle mein Haben des ge* 
ordneten Etwas ; nun — von der Ordnung des Etwas wollen wir han* 
dein und von nichts anderem. 
Ja, die Ordnungslehre hat nicht einmal eine Untersuchung über die 
Frage zu führen, ob echte über Erfahrung hinausgehende »Erkenntnis« 
MÖGLICH sei. Sie hat nur soweit in ihrer Arbeit zu gehen, daß diese 
Untersuchung möglich werde, das heißt sinnvoll vorbereitet sei. Für 
sich genommen bleibt aber, wie wir ja schon wissen, die Ordnungs*» 
lehre durchaus im Gebiet des Icheignen: ich schaue Ordnung in dem 
von mir Erlebten durch meine für mich geltenden Endgültigkeits* 
betonungen. 
Die Ordnungslehre geht also nicht die Frage an, ob ihre Einzel« 
aussagen »wahr« oder »falsch« seien, denn diese Begriffe wollen wir 
nur anwenden auf Aussagen über ein »erkanntes« Wirkliche — falls 
es solche Aussagen und solches Wirkliche gibt. Aber kann nicht die 
Frage sie angehen, ob sie richtig seien oder unrichtig? Schon an dieser 
Stelle des Ganzen mag kurz gesagt sein, daß das in der Tat der Fall ist. 
Richtig soll in, wenn man will, willkürlicher Festsetzung die Gesamt* 
heit der Ordnungsergebnisse heißen, wenn sie vollständig und in sich 
widerspruchslos ist; ein einzelnes Ordnungsergebnis kann selbstredend 
nur im Sinne der Widerspruchsfreiheit richtig sein. Es wird sich zeigen, 
daß es leichter ist, die Ordnungslehre widerspruchslos als sie vollständig 
zu machen. Denn des Erlebten ist unsagbar Vieles und Mannigfaltiges. 
Ich weiß nie, ob ich für alles Erlebbare schon die Ordnungsform ge* 
funden habe. Freilich kommt mir zustatten, daß ich kraft meines ge* 
heimnisvollen Vorwissens gewisse Setzungen alsbald werde machen 
können, durch welche gewisse Ordnungszüge großen Stiles /lir immer 
und alles als bestehend geschaut sind; mit Rücksicht auf diese Züge 
habe ich dann also Richtigkeit nicht nur im Sinne des Widerspruchs* 
26 
losen, sondern auch des Vollständigen. Im übrigen aber hängt die 
Richtigkeit des Schauens in jedem Augenblick des Erlebens des Ich 
von der Gesamtheit des von ihm bis dahin bewußt Gehabten ab. Oder, 
besser gesagt, das Ordnungsschauen ist als Schauen immer »richtig«; 
daß seine Ergebnisse »unrichtig« seien, heißt nur, daß bereits gesetzte 
Ordnung sich in gewissen Teilen als unzureichend erweist angesichts 
neuer Erlebtheit. So wird also eine Ordnung durch die andere ersetzt; 
vielleicht wird auch die neue Ordnung wieder ersetzt werden. Im 
Augenblick ihrer Setzung für das Ich berechtigt waren aber auch die 
alten Ordnungen, wenn anders sie nicht, so wie sie waren, geradezu 
Widersprüche in sich bargen ; war das der Fall gewesen, dann waren 
sie eben gajr keine »Ordnungen« gewesen, dann hatte Ich gar nicht 
»geschaut«. 
In Strenge darf also nicht von »unrichtigem« Schauen geredet werden; 
unrichtiges Schauen ist kein »Schauen«. Unrichtig können aber Schau*« 
ergebnisse angesichts neuer Erlebtheit sein. Es wird sich zeigen, daß 
im Bereiche der allgemeinen Ordnungslehre der Begriff »Richtigkeit« 
keine eigentlich praktische Rolle zu spielen berufen ist; im Bereiche 
der iVa/urlehre, welche ein Teil der Ordnungslehre ist, wird aber der 
Begriff der Richtigkeit eine sehr bestimmte und bedeutsame Fassung 
erhalten, und daher ist schon an dieser Stelle seiner wenigstens kurz 
gedacht worden. 
5. VOM URMITTEL DER ORDNUNGSLEHRE 
Eine Einführung in die Grundzüge der Ordnungslehre muß auch 
über die Besonderheit des Weges, auf welchem Ordnung erzielt 
wird, einiges Allgemeine sagen. Das aber heißt erstens von dem Ur* 
MITTEL des Ordnungsschauens und zweitens vom Mittel des Fortss 
GANGES der Logik reden, zwei Worte, die freilich nur alltäglichen Sinn 
haben dürfen, denn, wir wissen es: Ich »tue« nicht. Ich habe. 
Das Urmittel der Logik soll Setzung heißen. »Setzung« bedeutet 
das bewußte Aussondern, Festhalten und Benennen irgendeines bes 
liebigen Erlebten als eines ausdrücklich zu einer Ordnung gehörigen 
»Etwas«. Daß im Dienste der Ordnung bewußt gehabt wird, ist das, 
worauf es ankommt, das, was die Setzung zur Setzung macht und von 
beliebigem im Sinne des Alltags Erlebten scheidet. 
Gesetztes Erlebtes also ist Etwas im Sinne der Logik: durch das 
Gesetztwerden ist Erlebtes mir ausdrücklich »logisch« gegenüber«« 
getreten. Es bedeutet jetzt es selbst; von ihm selbst also kann ich des 
27 
weiteren reden; freilich, nachdem ich ein für allemal ausgemacht habe, 
daß Ich es war, der es setzend faßte, was eben Selbstbesinnung mich 
wissen läßt. Aber es gibt jetzt gleichsam ein Reich des Etwas, und von 
ihm handelt, zunächst in ganz allgemeiner Form, die Ordnungslehre. 
Wir werden auf diesen Gedanken alsbald zurückkommen. 
Die Erlebtheit oder Gegenständlichkeit soll zunächst durchaus in 
IHRER Gesamtheit verstanden werden; sie soll also alles irgendwie ge^ 
habte einschließen, auch das Traumgegebene, das Erinnerungsgegebene 
jeder Art, das Erlebte durch sogenannte schöpferische Einbildungs* 
kraft, das Gewünschte usw., ja, auch alles je gehabt Gewesene, ein 
Ausdruck, der hier populär verstanden sein mag; seine echte Bedeu* 
tung kann erst viel später geklärt werden. 
Aus der Erlebtheit in diesem weitesten Sinne also wird etwas be* 
wüßt ausgesondert; d. h. es wird überhaupt erst als ein in einer Ord^ 
nung stehendes Erlebtes erfaßt. In der Besonderheit seines Erfaßt^» 
Werdens wird es festgehalten und benannt. Die Benennung ist nur ein 
Zeichen und geht die Ordnungslehre nicht an; wir werden später ge* 
legentlich sehen, daß die Ordnungslehre sich hüten muß, Zeichen* 
Verschiedenheit für Setzungsverschiedenheit oder Zeichengleichheit 
für Setzungsgleichheit zu nehmen. Wohl aber geht die Logik an, klar 
zu erfassen, was damit gemeint sei, wenn irgend etwas Gegebenes »in 
der Besonderheit seines Erfaßtwerdens« festgehalten werden soll. 
Wir untersuchen nicht die sogenannte »Entwicklung des Denkens«, 
sondern wir untersuchen, was »Gedanke«, d. h. bewußte Ordnungss« 
erfassung uns bedeutet. Wir können unseren Blick daher auf irgend* 
einen Bestandteil der tatsächlich von mir erfaßten Erlebtheit richten, 
wenn wir die Bedeutung der »Setzung« klar machen wollen. 
Es sei da erfaßt ein räumliches Zusammengesetztes, das vier Beine 
und eine Platte besitzt und zum Schreiben dient, also ein »Schreib* 
tisch«. »Schreibtisch« also ist ausgesondert, festgehalten und benannt. 
Aber er ist nur festgehalten, ja, er heißt nur »Schreibtisch«, insofern 
er »vier Beine hat und eine Platte« und insofern er »zum Schreiben 
dient«. Es wird, so setzen wir voraus, nicht ausgesondert und daher 
auch nicht festgehalten und nicht unter dem Namen »Schreibtisch« 
mit verstanden, welche Farbe und .Größe er hat, ja auch nicht, in 
welcher Lage er »gesehen« wird, ob von der Breit* oder von der Schmal* 
Seite oder schräg. Es hätte aber auch ganz im besonderen ein vier* 
beiniges Gegebenes mit einer Platte, das zum Schreiben dient, aus* 
gesondert werden können mit ausdrücklicher Rücksicht auf seine 
28 
Sonderform und Größe, ja auf die gesehene Lage seiner Beine in bezug 
aufeinander. Wäre dieses Schreibtisch benannt worden, so dürfte das, 
was wir oben so nannten, diesen Namen nicht führen. 
Als was ein Etwas ausgesondert ist, als dieses, nur als dieses also 
wird es festgehalten und benannt und zwar mit rücksichtslosester 
Strenge. Eine Setzung ist nur das, als was sie gesetzt ist. 
Das besondere Etwas, als welches eine Setzung gesetzt ist, kann, wie 
später des näheren darzulegen ist, allgemeinerer oder eingeschränkterer 
Art sein: davon hängt es dann ab, ob ein Gesetztes im tatsächlichen 
Erleben häufiger oder minder häufig wiedergesetzt, d. h. ob der ihr 
entsprechende Name häufiger oder minder häufig auf neu auftretende 
und ausgesonderte Erlebtheitsausschnitte in berechtigter Weise an»« 
gewendet werden darf. Benenne ich mit »Schreibtisch« ein Etwas im 
Sinne unserer ersten Darlegung, so kann ich oft »Schreibtisch« sagen; 
verstehe ich aber unter »Schreibtisch«jenes Eingeschränktere, nämlich 
einen Schreibtisch mit besonderer Rücksicht auf seine Form oder mit 
Rücksicht darauf, in welcher Lage ich seine vier Beine sehe, oder mit 
Rücksicht auf den Stoff, aus dem er besteht, so werde ich seltener, in 
einem Falle vielleicht nie wieder^ von »Schreibtisch« reden können — 
wenigstens mit Recht, also im strengen Sinne der Ordnungslehre. 
Wenn wir einen später einzuführenden Ausdruck verwenden und 
das Etwas als ausdrücklich Gesetztes, als ordnungshaft Erfaßtes, Be^ 
griff nennen wollen, so ist also jeder Begriff das, als was er gesetzt ist, 
und ganz und gar nichts anderes. Die heute so beliebten »schwebenden« 
Begriffe gibt es gar nicht. Wer von ihnen redet, kann nur meinen: 
»schwebend« gebrauchte Worte, d.h. Worte, die bald für einen, bald 
für einen anderen »Begriff« gebraucht werden, etwa weil man, was in 
der Lehre vom Empirischen, wie wir sehen werden, vorkommen kann, 
nicht recht weiß, welchen Begriff für bestimmte Absichten festzuhalten 
PRAKTISCH ist. Es geht auch nicht an zu sagen, ein Begriff sei »vielleicht 
reicher«, als man jetzt schaut. Ein empirischer Gegenstand kann das 
sein; dann muß eben der Begriff, der ihn bisher meinte, durch einen 
anderen Begriff ersetzt werden. Aber der Begriff ist nur das, als was 
er gesetzt ist — er »ist« ja nicht im Sinne des empirischen oder absoluten 
»Existierens«. 
Und noch eines sei den modernen Feinden der »Begriffe« in ihrer 
* Dieser seltsame Fall, daß »Schreibtisch« mit besonderer Rücksicht auf die gesehene 
Lage seiner Beine gesetzt ist, ist absichtlich beigebracht worden, um zu zeigen, auf 
was alles »Setzen« sich erstrecken kann. 
29 
ganzen Strenge gesagt. Der Begriff zerstöre das Erlebnis, heißt es. Als 
ob es ein »Erleben« gebe, was nicht das Erleben eines Etwas sei. Jedes 
Etwas aber ist latenter Begriff und wird actu Begriff, sobald ich aus* 
drücklich weiß, daß ich es habe. Was soll da »zerstört« werden? Was 
andererseits will man denn eigentlich? Sollte nicht die moderne Be** 
griffsfeindschaft weiter nichts sein, als ein Anzeichen von ignava ratio? 
Auch der primitivste Mensch hat doch voneinander gesondert gehabte 
»Etwasse« und gibt ihnen Namen; sonst könnte er gar nicht leben. 
Auch er steht »unter der Aufgabe Ordnung«, und was wir tun, ist nur, 
die Aufgabelösung des Primitiven bis in die letzten Möglichkeiten 
wissend verfolgen^. Wenn ich ein großes Bauwerk, etwa eine Kirche, 
zuerst aus der Ferne nur in den größten Umrissen und dann, nahe 
hinzugekommen, in allen Einzelheiten sehe — steht da das zweite Sehen 
dem ersten »entgegen«? — 
Von ganz besonderer Bedeutung ist der Umstand, ob eine Setzung 
mit ausdrücklicher Berücksichtigung desjenigen Erlebtheitskreises ge* 
setzt worden ist, welchem sie angehörte, als sie zuerst gesetzt wurde 
oder nicht. Ich will unter »Erlebtheitskreisen« in vorläufiger Weise die 
Bezirke der »Natur«, des »Geträumten«, des »Nur ;» Vorgestellten« ver# 
stehen. 
Wurde also »Schreibtisch« ausgesondert, festgehalten und benannt 
lediglich mit Rücksicht auf das, was wir anfangs als seine Kennzeichen 
anführten, dann darf auch das Erinnerungsbild an einen Schreibtisch 
mit Recht »Schreibtisch« genannt werden. Ist aber das »Naturwirklich* 
sein«, also etwa das durch meine Hand Bewegtwerdenkönnen aus= 
drücklich in die Kennzeichnung der festzuhaltenden Setzung »Schreib* 
tisch« aufgenommen worden, dann darf der geträumte oder in der Er* 
innerung auftauchende Schreibtisch nicht »Schreibtisch« heißen. In 
diesem Falle hätten wir die Setzungen »wirklicher Schreibtisch«, »nur 
vorgestellter Schreibtisch«, »geträumter Schreibtisch« als drei verschie* 
dene Setzungen. 
Kant war, wie aus unserer Darlegung hervorgeht, nicht im Rechte, 
wenn er meinte, daß »hundert vorgestellte Taler« und »hundert wirk* 
liehe Taler« derselbe Begriff seien. »Hundert Taler« freilich sind immer 
* Gutes hierüber in der, überhaupt als Ergänzung zu unseren grundlegenden Aus* 
Führungen sehr lesenswerten Schrift Hönigswalds »Die Grundlagen der Denk* 
Psychologie«, 1921, S. 204fF. Über J. Volkelts »Gefühlsgewißheit« und über seine 
philosophischen Grundlegungen überhaupt, welche den meinigen nahe verwandt 
sind, ist näheres in »Wissen und Denken<!^ (2. Aufl. 1922) gesagt worden. 
30 
derselbe »Begriff«, falls ausdrücklich nur von irgend etwas in unbe* 
stimmter Weise »Taler« genannten Erlebtem, das in hundert Einzig* 
keiten da ist, geredet wird ; »hundert vorgestellte Taler« aber sind — 
nun eben »hundert vorgestellte Taler« und nicht etwas auch nur 
irgendwie anderes. — 
Was immer ich »will«, kann ich also aussondern und festhalten und 
benennen; also etwa: »Diese Katze hier«, »diese meine Vorstellung 
dieser Katze« oder »Katze« oder »Fabrik« oder »2« oder »den vor:« 
gestellten Pegasus« oder »die Tugend« oder »die Setzung von Fabrik« 
oder »das Denken über die Setzung von 2« oder »Beziehung« oder 
»die Sonne« oder »meine heute gekaufte rote Tinte«. 
Jedes dieser Beispiele ist als Setzung das, als was es gesetzt wurde, 
und ist für mich eben dieses und ist nichts, das auch nur in irgend 
etwas von dem, als was es gesetzt war, abwiche. 
Soviel an dieser einleitenden Stelle über den Begriff des Setzens. 
Das ausdrücklich setzende Erfassen mag man »urteilen« (im weitesten 
Sinne) nennen, wenn man dieses Wort gern verwenden will. Uns hat 
es einen gar zu »psychologischen«, gar zu sehr auf »Tätigkeit« gehenden 
Nebensinn, ebenso wie das Wort »Akt«, auch wenn man, wie Husserl, 
jede Art von »Aktivität« davon fernhält. 
Daß bewußtes Haben von Ordnung und bewußtes Haben von Ord* 
nung MIT DEM Tone, dass man Ordnung hat, zweierlei ist, können wir 
zugeben. Dem soll wohl der übliche Unterschied zwischen »Erleben« 
und »Urteilen« Ausdruck verleihen. Aber um verschiedene Arten des 
Habens handelt es sich doch nun wieder nicht. Haben ist immer nur 
Haben. Das Gehabte, das Etwas ist es, das für mich als »bloß Erleben* 
den« und als »Philosophen« verschieden ist: habe ich als Philosoph^ 
also setze ich, so hat das Etwas den allgemeinen Ton des Ordnung^ 
bezogenseins überhaupt, der von jeder besonderen Ordnungstönung 
noch zu unterscheiden ist. 
6. VOM WEGE DER ORDNUNGSLEHRE 
Die Setzung ist das Urmittel des Ich bei seinem Ordnungsgeschäft; 
aber wie führt es dieses Geschäft durch? Gibt es einen königlichen 
Weg, dem Ich, nachdem ich ihn klar erkannt habe, vertrauensvoll folgen 
darf, um so zu einer vollständigen Ordnung der Gegebenheit und zu^* 
gleich zu einem Gefüge der endgültigen Ordnungssetzungen in ihrer 
Besonderheit zu gelangen? Man sieht, wir reden wieder im Sinne des 
Alltags. Wir treiben nicht eigentlich Philosophie, sondern »Psycho^ 
31 
logie des Philosophen«. Aber wir kommen nicht zu einer Verständigung 
ohne das. 
Kant glaubte, einen solchen Weg, eine solche »Methode« des Philo«« 
sophierens gefunden zu haben, oder vielmehr zwei solcher Wege: 
Zum ersten »deduzierte« er »metaphysisch« seine Kategorien aus 
der »Tafel der Urteile«; zum zweiten »deduzierte« er sie »transzen* 
dental« durch den Nachweis, daß ohne sie Erfahrung nicht Erfah* 
rung sein könne, und ging dabei von der Tatsache des Bestehens 
der Wissenschaft, wenn nicht gar lediglich der mathematischer Natura 
Wissenschaft, aus. 
Kants Gedanke bleibt als eine der tiefsten Leistungen der Philo* 
Sophie bestehen, auch wenn man ihn nicht annehmbar findet. Kant 
sah nämlich das, worauf es hier vornehmlich ankommt: die Aufgabe, 
in gewährleisteter Vollständigkeit die Stammbegriffe der Ordnungs* 
lehre zu entwickeln — • vielleicht freilich eine unlösbare Aufgabe. 
Einzuwenden ist gegen Kants Lehre dieses : 
Den Grundgedanken der »metaphysischen« Deduktion einmal zu* 
gegeben: aber wie fand denn Kant seine URTEiLs^tafel? Die konnte er 
doch wohl nicht wiederum »deduzieren«, sondern nur in ihrem ße* 
Stande schauen. Und was die »transzendentale« Deduktion, den Aus* 
gang von gewissen bestehenden Wissenschaften, angeht: was gewähr* 
leistet mir dann den Unterschied einer, sozusagen, guten von einer 
schlechten Wissenschaft, wie der Traumdeutungslehre, wenn nicht 
MEIN schauendes In*Ordnung*Befinden? 
Und dazu kommt, daß Kant in seinen Kategorien nur die Natur* 
Ordnungsbegriffe in Erwägung zieht. Gerade die, wie wir sehen werden, 
wichtigsten und grundlegendsten Ordnungszeichen, Bedeutungen wie 
solches, bezogen, verschieden spielen in seiner »Kritik« keine Rolle 
oder werden doch, als »Reflexionsbegriffe«, ganz beiläufig behandelt. 
Auch der Begriff Werden oder Veränderung hat in seinem System 
durchaus nicht die Stellung, welche ihm gebührt, und die Prinzipien 
der sogenannten »formalen« Logik kommen ganz und gar zu kurz. 
Es ist für uns zwecklos, an dieser Stelle des näheren auf Kants Dar* 
legungen einzugehen, nachdem wir eingesehen haben, daß er einen 
königlichen Weg zur vollständigen Aufstellung aller Stammbegriffe 
der Ordnungslehre jedenfalls nicht fand. Im Verlauf des Folgenden 
werden wir zeigen, daß die Ordnungslehre eine Reihe von Stamm* 
begriffen besitzt, welche Kant nicht berücksichtigte, daß aber anderer* 
seits diejenigen seiner Begriffe, welche auf »Natur« gehen, nicht, wie 
32 
er wollte, einfach, sondern, obschon einheitlich, so doch zusammen^ 
gesetzt und daher in gewissem Grade auflösbar sind. — 
Den zweiten bedeutenden Versuch, die letzten Ordnungsbegriffe 
vollständig zu entwickeln, stellt die »dialektische Methode« Hegels 
dar; eine Lösung der Aufgabe ist auch sie nicht. 
Nach Hegel soll das Denken zu einer Setzung — es ist gleichgültig, 
mit welcher es beginnt — jedesmal eine entsprechende andere auffinden 
können, welche ihr Gegenteil ist; nicht etwa im Sinne des bloßen 
Nicht«=A, also des echten Widerspruchs, sondern im Sinne des »kon«* 
trären Gegensatzes«. Setzung und Gegensetzung vereinigen sich zu 
einer dritten Setzung. Die Gesamtheit der so gewonnenen Dreiheit ge^* 
biert wieder etwas Neues, das Ausgang einer neuen Dreiheit wird und 
so fort. Angedeutet findet sich die »dialektische Methode« bekanntlich 
schon in einer Anmerkung Kants. 
Man sieht nun aber nicht ein, wie denn das Denken jenen »Gegen* 
satz«, welcher eben nicht das bloße Nicht^^A ist, eigentlich finden 
könnet Man kann jedenfalls das Auffinden dieses Gegensatzes nicht 
bewußt in seiner besonderen Notwendigkeit nachweisen; das Finden 
ist hier jedenfalls nichts, das sich aus dem schon Gefundenen ergibt. 
Sagt doch übrigens Hegel selbst, daß das Denken sich gewissermaßen 
vom »Begriff« treiben lasse, ja, daß es sich eigentlich nur darum handle, 
Bedeutungen, die man schon hat, in ihren wechselseitigen Beziehungen 
zu erfassen. Wir selbst werden in diesem Sinne später von einer Er= 
ledigung der Ordnungszeichen aneinander und von ihrer Durchdrin* 
gung reden. Das mag »Dialektik« heißen ; eine »Methode« ist es nicht. 
So wird denn also, wenn schon nicht eingestandenermaßen, eine ge* 
wisse unfaßbare Art der Selbstbesinnung auch von Hegel zur letzten 
Grundlage der Möglichkeit der Logik gemacht. 
Daß Selbstbesinnung nicht nur zur Schau des Begriffs »Ordnung«, 
sondern auch zur Auffindung der einzelnen Ordnungszeichen an aller 
Erlebtheit führt, ist hier nun in der Tat die einzig mögliche Lehre, 
wenn man ein bildhaftes, nicht ganz strenges Reden eine »Lehre« 
nennen wilP. 
^ Gute Kritiken der »dialektischen Methode«: F. I. Stähl, Phil. d. Rechts, Band 1,5, 
Buch II, 3. Trendelenburg, Log. Unters. I (3. Aufl., S. 36). E. v. Hartmann, Über die 
dial. Meth., 2. Aufl., 1910. * Das naive Erleben, obwohl es nach unserer Lehre stets 
ein ordnungsgemäßes Erleben, mindestens das Erleben eines Dieses und eines Sgl* 
CHES ist, genügt also nicht für den Aufbau der Ordnungslehre, ja nicht einmal für 
die Erfassung ihrer Möglichkeit. Selbsthesinnliches Erleben wird gefordert, Erleben 
als ausdrückliches Ich^Erleben. Nicht freilich — wie später — zum Zwecke der 
3 D r i e s c h , Ordnungslehre 3 3 
Ist das nun aber ein gerechtfertigter Weg? Wird hier nicht gar die 
Auffindung der letzten OrdnungsbegriflFe dem zugeschrieben, was man 
innere »Erfahrung« im Sinne von Wahrscheinlichkeitswissen, nicht im 
Sinne des Wortes Erfahrung, wie wir^ es verwenden — nennt? Würden 
etwa die letzten Ordnungsbegriffe nicht anders gefunden als gewisse 
Regeln des sogenannten Vorstellungs Verlaufs? 
Das ist denn doch nicht der Fall. Zwar müssen wir zugeben, daß, 
alltäglich gesprochen, lediglich Besinnung des schauenden Ich auf sich 
selbst, insofern es den Begriff Ordnung überhaupt hat, die Möglichkeit 
der Ordnungslehre überhaupt, daß Besinnung des Ich auf das, was 
Ordnung ausmacht, die Auffindung der einzelnen Stammbegriffe der 
Ordnungslehre gewährleistet; aber diese Selbstbesinnung schwankt 
nicht in ihren Ergebnissen, so wie etwa das der Psychologie dienstbare 
»Sichbesinnen« auf irgendein »früheres« Erlebnis; sie findet ihre End^ 
gültigkeiten im Gegenständlichen in durchaus sicherer Form ; sie findet, 
was ihr wie gefordert erscheint. »Wenn anders Ordnung überhaupt, 
dann diese Ordnung« — so schaue Ich. 
Hier sind wir nun wieder bei den Geheimnissen des »Vorwissens« 
von Ordnung, des »Ordnen s'Wollens« und der nur in der geordneten 
Gegebenheit bewußten Ordnung und Gegebenheit angelangt.^ — 
Daß Ordnen uns keine bewußt ausgeübte Tätigkeit, keine bewußte 
»Aktivität« bedeutet, sondern nur das bewußte Erleben oder Haben 
von Endgültigem, von Endgültigkeitsbezeichnetem, daß also auch das 
Wort »Forderung« uns nur ein Gewisses bedeutet, das dem bewußten 
Ich sich darstellt, als ob^ es gefordert worden wäre, das kann gar nicht 
oft genug betont werden. Wo unsere Worte anderes zu sagen scheinen, 
handelt es sich ausdrücklich nur um gewisse Freiheiten im Ausdruck. 
Dieses Buch würde unlesbar, wären wir in dieser Beziehung von starrer 
Strenge. 
Schaffung einer Psychologie, wohl aber, auf daß alles Erlebte ausdrücklich auf das 
Endgültige an ihm geprüft werde. Eben dazu muß ich nicht nur ein unbestimmtes 
»dieses Solches«, sondern »Mich als dieses Solches Erlebenden« erleben. 
* Siehe S. 26 und unten. ^ Ganz und gar nicht gründen wir unsere Ordnungslehre 
auf das, was üblicherweise »Psychologie« heißt. Das ist eine Sonderwissenschaft, 
und unsere Selbstbesinnung ist scharf davon getrennt. — Die Friesianer sollten ihre 
Methode der Entdeckung des Apriori nicht »psychologisch« nennen; ohne weiteren 
Zusatz kann das irreleitend sein. ' Wir werden häufig die von Vaihinger zum 
Mittelpunkt einer Lehre gemachte Wendung als ob benutzen (z. B. auch bei Erfas* 
sung der Begriffe Natur und Seele), ohne damit Vaihingers »Fiktionen«4ehre an* 
zunehmen. 
34 
Das bewußte Ich, das »Bewußtsein« »tut« nichts, sondern »hat« 
lediglich. Wie kann es da überhaupt einen »Weg«, eine »Methode« 
der Ordnungslehre, ja, wie kann es da irgend etwas Fortgangsartiges 
für das Ich und vom Ich aus geben? 
Erwägen wir einmal, wovon wir eingehend noch reden werden, daß 
das Ich an gewissen Erlebtheiten nicht nur Endgültigkeitss», sondern 
auch Erledigungszeichen oder *betonungen schaut. Wird zum Bei* 
spiel Bewegungslehre im Sinne der Ordnungslehre auf Endgültigkeiten 
hin geprüft, so hat alles, was den Raum angeht, das Erledigtseins«» 
Zeichen, wird Sittenlehre geprüft, so hat es alles, was das Werden im 
allgemeinen angeht. 
Ganz gut; aber das Erledigungszeichen sagt uns nur, was schon ge^^ 
leistet ist; es treibt uns nicht weiter, und eben das soll doch eine »Me* 
thode«. Nun gibt es freilich, wie sich zeigen wird, in gewissen Fällen 
WECHSELSEITIGE Erledigung, wie denn z. B. die Bedeutung bezogen ohne 
die Bedeutung soviel, die Bedeutung soviel ohne die Bedeutung be^ 
zogen unfaßbar ist. Hier mag Richtiges an Hegels Dialektik vorliegen; 
aber von »Methode« ist doch offenbar keine Rede. 
Wie denn also steht es mit dem königlichen Weg zur Auffindung 
der letzten Ordnungsbegriffe? Was muß Ich mit seinem Urmittel der 
Setzung beginnen, wenn ich die Ordnung des Etwas vollständig durchs» 
führen will? 
Seien wir kurz und offen : Es gibt keinen vor dem Ordnungsgeschäfte 
darzulegenden Weg für die Durchfuhrung dieses Geschäftes. Die 
Durchfuhrung der Ordnungslehre selbst ist die Aufzeigung des für 
sie allein möglichen Weges. Man soll nicht »Methode« nennen, was 
in Wirklichkeit kein bewußt befolgter Weg der Entdeckung, sondern 
lediglich der Ausdruck einer geheimnisvoll gekannten Bedeutungs«» 
gesamtheit ist. 
»Methode« ist vorweggenommene Sonderordnung von allgemeiner, 
IM EINZELNEN UNBESTIMMTER FoRM, sie ist ANTIZIPIERTES ScHEMA. »Nach« 
ihr arbeiten heißt, sie mit Inhalt erfüllen. So gibt es z. B. Methoden 
zur Lösung von Gleichungen und naturwissenschaftliche Methoden, 
und auch für Sonderzweige der Ordnungslehre wird es gelegentlich 
antizipierte Schemata, also »Methoden«, geben. 
Daß in diesem Sinne aber die allgemeine Logik, welche die Ur* 
Ordnungszeichen zum Gegenstand hat, eine »Methode« nicht haben 
KANN, ist nun klar, man müßte denn »Schauen« eine Methode nennen. 
Zwar »antizipiere« ich die Bedeutungen Ordnung und Ordnungs^^ 
3» 35 
tönung^y aber für den »Inhalt«, den ich diesem »Schema« einfügen will, 
habe ich keine allgemeinen Vorbilder, was allein eine echte Methode 
möglich macht. Jedem einzelnen Schritt der allgemeinen Ordnungs«« 
lehre liegt also eine Neuschau zugrunde^. 
Manche lieben es, die Logik eine^eie Leistung des Ich zu nennen. 
Wenn das heißen soll, daß die Ordnungslehre auf einem Geheimnis 
ruhe, so haben wir gegen solche Lehre nichts. Aber mit dem Worte 
»frei« sollte man hier nicht kommen. Es bedeutet etwas ganz Klares, 
nämlich: nicht irgend wie »bestimmtes« Geschehen oderWerden; lauter 
Dinge, die wir hier, im Anfange der Logik, noch gar nicht kennen. — 
Ordnungslehre also ist die Lehre von der Gesamtheit derjenigen 
Züge der Erlehtheit, welche endgültige Ordnung bedeuten. Darüber 
aber, was eine Ordnungssetzung, d. h. eine Setzung mit Endgültigkeits«« 
zeichen, sein soll, entscheide ich schauend, d. h. in einer Weise, über 
die Rechenschaftsablage nicht möglich ist. Eine eigentlich beratende 
Methode der Ordnungslehre gibt es nicht. 
Nun sind allerdings ein paar abwehrende (negative) methodologische 
Bemerkungen der Logik an ihrem Beginne doch immerhin erlaubt. Bei 
ihnen handelt es sich aber um Dinge, die in das Vorwissen und Vor* 
wollen einbeschlossen sind. Ich will Ordnung vollendeter Art; was 
das heißt, weiß ich in geheimnisvoller Weise, ob ich schon nichts dar* 
über sagen kann. Eine vollendete Ordnung aber muß alles Notwendige 
und doch nichts Überflüssiges enthalten. Das aber heißt: Das Denken 
wird bei Schöpfung der Ordnungslehre verfahren nach dem Grund* 
SATZ DER Sparsamkeit der Setzungen, einem Grundsatz, dem man noch 
den Grundsatz der nur*notwendigen Schritte beifügen kann. Auch 
diese Grundsätze der Ordnungslehre werden aber erst durch ihre Durch* 
führung ganz klar. Daß aber Ordnungslehre keine »Widersprüche« 
enthalten dürfe, folgt ohne weiteres aus der Bedeutung »Ordnung«. 
^ Kants »Synthetische Einheit der transzendentalen Apperzeption«, wenn man jeden 
Gedanken von Tätigkeit, Allgemeingültigkeit, Überpersönlichkeit usw. von ihr ab* 
streift, wäre wohl unser schlicht habendes Ich. Kant selbst geht hier nun bekannt« 
lieh subjektivierend weiter, redet von synthetischen Funktionen des Verstandes usw. 
Mehr »gegenständlich« klingt es bei Apelt, dem Friesianer, wenn er die »Ursprungs 
liehe Form der Apperzeption« seines Meisters als »unmittelbare Form des Ganzen 
meiner Vernunft« bezeichnet (Metaphs. S. 45). Das kann im Sinne antizipierter gegen* 
ständlicher Ordnung genommen werden. In Bosanquets Logik findet sich ähnliches, 
ja, es erscheint die Logik als »morphology of Knowledge«. ' Die »dialektische Me* 
thode« ist gleichsam das Wissen, daß irgendeine Setzung nicht vollständig ist, sondern 
ihre Ergänzung, meist beziehlicher Art, fordert. Aber — woher weiß ich das denn 
alles, woher zumal weiß ich von der Art der Ergänzungsbedürftigkeit jener Setzung? 
36 
B. ALLGEMEINE ORDNUNGSLEHRE 
Die ALLGEMEINE Ordnungslchrc handelt von den Ordnungstönun:« 
gen alles Gegenständlichen, insofern es unmittelbar Gegenständ* 
liches ist. 
»Unmittelbarer« Gegenstand sein aber heißt unmittelbar ein Etwas 
im Rahmen des Ursach Verhaltes Ich habe bewußt Etwas Sein. Also 2 ist 
ein unmittelbarer Gegenstand und der »Begriff« Tugend oder Katze, ja, 
auch »diese hier lauf endeKatze« als ausdrücklich icH^cEHABTERKomplex 
aller möglichen Letztheiten (Elemente), als »Bewußtseinsinhalt«, wie 
man oft so ungeschickt sagt — (als ob das Bewußtsein ein Gefäß wäre!). 
Aber nicht ist ein unmittelbarer Gegenstand: »Die Katze, welche da 
umherläuft«, insofern sie gemeint wird, als ein nur einmal daseiender 
Bestandteil der »Natur«. Sie ist vielmehr ein »mittelbarer« Gegenstand. 
Was das heißt, kann in Klarheit erst später verstanden werden, und 
wir redeten nur deshalb schon hier beispielsweise vom »mittelbaren« 
Gegenstande, um das, was wir unmittelbaren Gegenstand nennen, 
gleichsam durch Kontrast zu erläutern. 
Der unmittelbare Gegenstand ist nicht »gemeint«, sondern ist das, 
als was er gehabt wird; er ist schlicht gehabt. Der mittelbare dagegen 
ist gemeint (nämlich durch einen schlicht gehabten unmittelbaren). 
Das bloße Gehabtsein, im Sinne des GesetztsQins, erschöpft den un* 
mittelbaren Gegenstand. Die sogenannten »Begriffsinhalte« jeder Art 
also sind unmittelbare Gegenstände, mögen sie noch weiterhin mittels» 
bare Gegenstände meinen, (wie z. B. die Inhalte von »Natur«''begriffen), 
oder mögen sie sich in sich selbst erschöpfen, wie z. B. alle Begriffe der 
Mathematik. Also mit »Dingen« hat es die allgemeine Ordnungslehre 
nicht zu tun, wohl aber kann sie es zu tun haben, neben anderem, mit 
SETzuNGEN,welche Dinge meinen, ja auch mit der Setzung »Ding« selbst. 
Wir gehen nun also an die Arbeit. Das freilich können wir praktisch 
natürlich in zeitlichem Fortschritt tun. Aber darum hat nicht etwa 
unsere Leistung als solche mit Zeitlichem, also vielleicht mit »Ent^« 
wicklung«, auch nur das mindeste zu tun. Wir fangen mit den grund* 
legendsten Ordnungszeichen an, mit denen, die wir an »keinem« 
Etwas »nicht« schauen, und von ihnen gehen wir weiter zu dem ge^ 
wissermaßen »Seltneren«. Aber das ist Not, keine Tugend. Wir wollen 
aus der Not das Beste machen, was sich aus ihr machen läßt, d. h. wir 
wollen nicht springen, sondern schreiten; das sagt unser Grundsatz 
vom »nur notwendigen Schritt«. Im tiefsten Sinne schaue Ich ja doch 
ALLE Ordnungszeichen mit einem Blick. Aber schreiben und lesen kann 
ich nicht ein Buch als »Eines«. 
38 
I. DIE UR^SETZUNGEN 
Mit dem Urmittel, der Setzung, schaffe ich — (aber nicht bewußt 
tätig!) — aller Ordnung letzte Bestandteile im Gegebenen. Da^ 
durch, daß es gesetztes Erlebtes wird, wird Erlebtes überhaupt erst 
besonderer Ordnung fähig, ja erst durch das Gesetztwerden wird Er* 
lebtes eigentlich Gegenstand im Sinne der Ordnungslehre. 
1. SEIN 
Indem das Ich seine Erlebtheit überhaupt nicht nur erlebt, sondern 
ausdrücklich setzt, setzt es das Sein. Sein ist also die Gesamtheit des 
Gegenständlichen als gesetzte, d. h. als mit dem Ordnungstone be* 
haftete. Ich gehört nicht zum Sein, sondern Ich habe das Sein, obwohl 
Ich »mich« selbst auch weiß. Es gibt also keinen Ich*»begriff«. 
Sein — das ist das, was ich überhaupt setze — ist also der erste Ord^« 
nungsbestandteil, das erste Ordnungszeichen; Sein als im Dienste der 
Logik bewußt erfaßtes Erlebtsein überhaupt. Sagen »es ist« heißt also: 
ich habe ausdrücklich bewußt Etwas; ich habe Gesetztes. 
Man hat das »Sem als Nicht*Ich bezeichnet. Wir nennen es lieber 
Fürs»Ich; doch bringt solche Bezeichnung weiter keinen Nutzen. 
Mehr läßt sich über Sein als bewußtermaßen Gehabtsein, als Erlebt«» 
sein überhaupt im Sinne von Gesetztsein, schlechterdings nicht aus* 
sagen. ^ — 
Ich habe jetzt den Ordnungsbegriff »Sein überhaupt gesetzt. Vom 
»Anfang« her habe ich den vorgewußten Begriff Ordnung und »will« 
Ordnung in Erfülltheit schauen. 
Das Sein soll also die Ordnung erfüllen, »sollte« sie wenigstens er* 
füllen. Nur dann wäre mein Urwollen restlos befriedigt. 
Nun schaue ich aber, daß ich zwar um die Bedeutung dessen, was 
erfüllte Ordnung wäre, in Urform weiß, daß ich aber die Gesamtheit 
des 5eins dieser Bedeutung Ordnung nicht unmittelbar und ohne 
weiteres zuordnen kann. 
Ich kann Ordnung eine vorweggenommene Form, ein »antizipiertes 
Schema«, im allgemeinsten Sinne des Wortes nennen. Dann paßt also 
das Sein nicht ohne weiteres und unmittelbar zu der geschauten Form. 
Ich will als ordnun^smonistisches I deal bezeichnen mein Urwillens* 
Ziel, die Bedeutung Ordnung und das «Sem rejtlos^ zur ^^cku zu 
^ Sein in unserem ganz weiten Sinn fügt also — mit Kant zu reden — in der Tat 
einem Begriffe nichts hinzu. Ganz anders steht es aber mit der Setzung naturwirk* 
lich^Sein, die uns hier noch gar nichts angeht. (Vgl. oben S. 30 f.). 
39 
bringen. Dann ist also das ordnungsmonistische Ideal im Reiche des 
UNMITTELBAR GEGENSTÄNDLICHEN NICHT ERFÜLLBAR. 
Es ist reHrrS:K, sich klar zu machen, was die Erfüllung des ord^ 
nungsmonistischen Ideals bedeuten würde: Wäre das Ideal erfüllt, so 
würde das heißen, daß ich schauen würde, es habe jede Einzelheit des 
Seins diesen ihren bestimmten Ordnungsplatz. Ich würde restlos 
schauen: »So ist es in Ordnung«, »so und nicht anders kann es sein«. 
Ich würde »Sem so restlos »verstehen«, wie ich irgendeinen mathema* 
tischen Satz »verstehe«. 
Davon ist aber, soweit das unmittelbar Gegenständliche, also auch 
das unmittelbare Sein, welches ja das im Ordnungsdienste gesetzte 
unmittelbar Gegenständliche ist, in Frage steht, gar keine Rede: 
Oder wer möchte behaupten, daß er die Gesamtheit seines Erlebten 
so schaute, daß alles »in Ordnung« ist, daß gar nichts mehr zu fragen 
bliebe? Bei Erfüllung des ordnungsmonistischen Ideals mit Rücksicht 
auf das unmittelbare Sein nämlich bliebe in der Tat »gar nichts« mehr 
zu fragen; da bestünde die »Logik« in der Setzung eines erfüllten Ord* 
nungsbegriffes und für die Sprache also in einem Wort! 
2. DASEIN 
Ich schaue also nicht das Eine Sein als den Einen erfüllten Ord^ 
nungs^Gegenstand; ich schaue eine Fülle derGegenstände im Rahmen 
des Seins. In Schritten gehe ich an ihre Ordnungsformen heran, da 
ein Schritt, der monistische, nicht genügt. 
Dieses=sein oder Dasein sage ich aus von irgendeinem aus der Erlebt«» 
heit bewußt herausgehobenen Ausschnitt, der als gesetzter Ausschnitt 
erfaßt wird. Dasein kann also ich aussagen : von Viereck allgemein, von 
rotem Quadratischem, von diesem bestimmten vorgestellten roten Qua* 
drat, von V 2, von meinem Mitleid, von Hund, von meinem Hund, von 
Schwimmen, von Notwendigsein, von Zahnschmerz. 
Was irgendwie in seinem Dasein erfaßt ist, wird Dieses genannt; es 
sei auch A genannt. A also kann alles sein, was als Dieses sein, das 
heißt erfaßt sein kann. Wir erörterten das schon, als wir vom Setzen 
im Allgemeinen redeten. Jetzt sehen wir, daß wir Daseiendes setzen 
MÜSSEN und nicht nur Sein setzen dürfen. 
Wenn Ich ein Die^^, ein A, als daseiend erfasse, es also als A setze, 
so habe ich zwei Dinge vor mir, nämlich: 
den BEGRiFfÄTöKl 
das Urteil »A ist da« oder »Es gibt A« oder »A ist Gegenstand«. 
In der Setzung fallen Begriff und Urteil in ihren einfachsten Formen 
zusammen^; das »Urteil« erscheint als Urj^urteil, der »Begriff« un** 
bekümmert um Besonderheit und Allgemeinheit. 
Wir können, aber nur bildlich, für setzen auch »bejahen« sagen; 
oder auch »anerkennen«, nämlich, daß A da ist. Aber dieses Bejahen 
und Anerkennen hat nicht ein Verneinen und Ablehnen als Gegen^» 
satz, wenigstens auf dieser Stufe nicht; daher werden alle diese Aus«' 
drücke zunächst besser vermieden; sie haben erst psychologisch einen 
klaren Sinn, und hier treiben wir doch nicht Psychologie; dasselbe 
gilt, wie schon gesagt ward, von dem Wort »urteiZen«^. 
Wenn ich setzend nur »A« sagen würde, so würde ich für meine 
Ordnungsabsicht nur wenig leisten. Ich leiste aber in der Tat mit 
meinem »Dieses«, mit meinem »A«, welches da ist, sehr viel für meine 
Ordnungsabsicht. Denn ich sage eben nicht nur »A«, sondern ich sage, 
gleichsam fordernd: 
A SOLL A sein, so wahr ich Endgültigkeit halte; A soll mir stets A 
bedeuten. Wo ich A gesagt habe, da will ich wieder A sagen; und wo 
ich A sage, da soll A immer dasselbe bedeuten. 
Kurz: A ist A. A ist als A bestimmt. 
A ist mit sich selbst selbig (Satz von der Selbigkeit oder Bestimmt*» 
heit). 
Denken kann seelenmäßig nur in der Zeit statthaben und nur, wenn 
»Erinnerung« da ist. Aber das Schauen als Ausdruck von Ordnung ist 
unzeitlich und ist nicht Erinnerung. Das darf beim Verständnis der 
Selbigkeit nicht außer acht gelassen werden. 
Übrigens bekommt der Satz von der Selbigkeit seine sozusagen 
praktische Bedeutung erst davon, dass ich tatsächlich oftmals »das>* 
selbe« — zugleich oder nach einander — habe; aber davon wird erst 
später des Näheren geredet; das wird hier einfach vorausgesetzt. 
Haben wir doch ein für allemal in einstweilen schlichter Weise gesagt, 
daß zum Gegenständlichen auch das gehabt »Gewesene« gehöret 
* So lehren bekanntlich, neben anderen Neueren, auch die Vertreter der »sym* 
bolischen Logik«; es hängt des weiteren mit solcher Lehre zusammen die Hervor? 
hebung der größeren denkmäßigen Bedeutung des »Inhalts« gegenüber dem »Ums 
fang« von Setzungen, wovon später noch die Rede sein wird. A ist da ist aber, um 
das nochmal zu sagen, kein »Existenzialurteil« im Sinne einer auf Naturwirkliches 
gehenden Aussage, es geht nur auf Erlebtheit überhaupt. Daher ist es auch gleich? 
gültig gegen den Gegensatz richtigsfalsch als gegen eine Aussagen über Natur? 
wirkliches angehende Angelegenheit. Unser Begriff des »Urteils« ist also umfang? 
lieh sehr weit. » S. o. S. 31. » S. o. S. 28. 
41 
An DIESER Stelle des Ganzen sagen wir daher am besten: Dieses 
SETZEN heißt dieses mit dem Endgültigkeitston setzen, heißt: als dieses 
BESTIMMEN. 
Eine sich selbst nicht verstehende »Logik« hat aus dem Identitäts*« 
satze, welcher ein Gegenstandssatz, ein Satz über das A ist,^ eine 
»Norm« für »das Denken« gemacht, wofern es »richtig« sein wolle. 
So zu reden heißt Psychologie des Denkens, nicht aber Logik treiben. 
In der Psychologie freilich kann in der Tat ausgemacht werden, wie, 
nicht zwar »Ich«, wohl aber ein gewisses »Es« — (wir werden später 
»die Seele« sagen) — im Sinne eines Tätigseins »denken« müsse, auf 
daß Ich Ordnungsendgültigkeit schaue^ wobei das Wort »müsse« 
aber auch nur in abgeleitetem Sinne, weil Ich nämlich Ordnung schauen 
»will«, eine Vorschrift, in unmittelbarem Sinne vielmehr eine Gesetzes* 
einsieht bedeutet — (man vergleiche den Satz: Es »muß« einmal regnen, 
auf daß der Staub beseitigt wird). 
Ganz ebenso wie hier — es ist sehr nützlich, das zu sagen — - liegt 
übrigens alles auf dem Felde des sogenannten Mathematischen; die 
»Logik« im engeren Sinne, die fälschlich sogenannte »formale« Logik 
steht denkmäßig durchaus in demselben Verhältnis zum Ordnung 
schauenden Ich wie etwa die Arithmetik, ohne daß darum beide das* 
selbe wären. Es handelt sich aber beide Male um das Festhalten ge* 
wisser Ordnungszüge oder Endgültigkeitszeichen am Etwas; diese 
Endgültigkeitszüge sind nur im Gebiete der Logik im engeren Sinne 
andere oder, besser gesagt, weniger an Zahl als im Gebiete der Arith* 
metik. Für den Arithmetiker hat dann alles im engeren Sinne Logische 
schon das Erledigungszeichen. 
3. »VORSTELLUNG« UND »BEGRIFF« 
Absichtlich ist in dieser Darlegung das Wort »Vorstellung« ver* 
mieden und das Wort »Begriff« dem Worte Setzung hintan* 
gestellt worden. Man sagt meist »aus Vorstellungen« würden »Begriffe« 
gebildet; Vorstellungen seien das erste; Begriffe andererseits seien 
»allgemein«. 
Im Sinne der Seelenlehre mag man so reden, für die Ordnungslehre 
aber sind einerseits »Vorstellungen« selbst schon »Begriffe«, nämlich 
Setzungen, und sind andererseits, was damit zusammenhängt, Begriffe 
nicht immer »allgemein«. 
* BoLZANO (Wissenschaftslehre I, § 45) weist mit Recht den Satz A ist A der onto* 
logie zu. 
42 
Denn in der Tat: wenn irgend etwas aus der Erlebtheit als »dieses« 
erfaßt und ausgesondert ist, so ist es damit auch gesetzt, als »Begriff« 
gesetzt und für immer vom Denken festgehalten. Das gesetzte »Irgend*» 
etwas« kann gleichermaßen zu dem Bereich desjenigen gehören, das 
man meist als »sinnlich anschaubares« oder »empfundenes« oder »vor* 
gestelltes« Besonderes bezeichnet, ^ und auf das man das unbestimmte 
Wort »Vorstellung« zu beziehen pflegt, oder zu dem Bereich des All= 
gemeinen. 
Wenn die übliche Denklehre die nicht nur klassen^«, sondern inhalt*» 
mäßige Allgemeinheit ihrer »Begriffe« zu betonen pflegt,^ so hebt sie 
damit in der Tat ein praktisch, zumal für den Wissenschaftsbetrieb, 
bedeutsames Kennzeichen vieler Begriffe, der Begriffe im engeren 
Sinne, wie wir sie nennen, wollen, heraus, wie sich später zeigen wird. 
Der Ordnungslehre als solcher aber, wenn sie ganz streng ist, kommt 
es nur darauf an, daß irgendein A klar erfaßt ist, dieses A »ist« es dann 
eben als »Begriff«, oder, wie wir lieber sagen, als Setzung; es ist das* 
selbe A, wenn es im Bereich der Erlebtheit einmal wieder als A auf* 
tritt; ganz gleichgültig ob das A »Dreieck« oder »Rotes so großes 
Dreieck mit diesen bestimmten spitzen Winkeln« bedeutet. 
Ebenso wie wir unseren Begriff der Setzung, des Dieses, des Daseins 
nicht mit dem Vorstellungsbegriff verquicken, ebensowenig bringen 
wir ihn an dieser Stelle des Ganzen in irgendeine Beziehung zur 
»Natur«, zu »Dingen«, wie es leider oftmals an zu früher Stelle ge* 
schiebt. Wir wissen noch gar nicht, was Natur und Naturwirklichkeit 
heißt. Wir kennen nur geordnetes Erlebtes, in dem wir die Ordnungs* 
bestandteile gleichsam fordernd suchen, in dem wir Endgültigkeiten 
halten. 
Das Erfassen eines »Dieses«, das mit sich »selbig« ist und insofern 
die Setzung dasselbe — nämlich als Setzung — gebiert, das ist der erste 
besondere Bestandteil einer Ordnungslehre; ihr erster Bestandteil über* 
haupt war Sein. Damit ist alles, auf das es ankommt, in vollkommen 
genügender Weise bezeichnet; wir brauchen in der Tat gar keine wei* 
teren Worte — also auch nicht das Wort »Vorstellung« — einzuführen, 
es sei denn einen Ausdruck, zu dessen Ersatz wohl oft das Wort Vor* 
' An so etwas wie ein Einzebding« soll hier im Bereich der allgemeinen Ordnungs* 
lehre, die nur unterschiedslos Erlebtes kennt, freilich nicht gedacht werden. ^ All* 
gemeines in unserer Redeweise ist das »von vielem Mitgesetze« (s. später). Rehmke 
(z. B. Das Bewußtsein, 1910, S. 28 f., und sonst) will sogar nur das Allgemeine als 
Prädikat eines Urteils, also als »bestimmendes«, Begriff nennen. 
43 
Stellung hat dienen sollen und zu dessen Ersatz man es auch verwenden 
kann, wenn man es als realiter Gehabtes nimmt: 
Ein Dieses, insofern es »jetzt« und nicht »dann« gesetzt, also als 
»Gegenstand« erlebt wird, ist eine Einzigkeit, ganz gleichgültig, ob es 
»Besonderes« oder »Allgemeines« oder was sonst ist. Jedes dieses, 
jedes A also wird zwar, insofern es gesetzt wird, als dieses, als A für 
immer gesetzt; aber ob es schon »dieses gesetzte« für immer ist, ob es 
schon als Setzung A zeitlos A bedeutet, so ist es doch, als auch in 
seinem praktischen Erlebtwerden an ein jetzt gebunden, auch eine 
Einzigkeit der Setzung A. Und Einzigkeit ist auch, was »später« als 
DASSELBE A erscheint. Einzigkeit erscheint so als Setzungsersatz ^, als 
setzungbedeutend, als ein Gesetztsein erledigend oder besser erledigt»« 
habend. 
Jede Einzigkeit einer Setzung, auch die, mit deren Setzung die Setzung 
als diese überhaupt geschaffen wurde, hat also ein »jetzt«, das heißt 
gehört einem Punkte meiner »Dauer« zu; oft hat sie auch ein »hier«. 
Das sind Dinge, die an dieser Stelle des Ganzen einfach hingenommen 
werden müssen. 
Unsere Einzigkeit soll also freilich auch das umfassen, war oftmals 
Vorstellung im engeren, nämlich »anschaulichem« Sinne genannt 
wird; aber einzig ist auch V 2 als jetzt erlebte Setzung, obwohl das 
keine Vorstellung engeren Sinnes ist, und einzig ist auch die jetzt von 
mir erlebte Setzung »Gerechtigkeit«. 
^ Jede Setzung also wird als Einzigkeit erlebt, ist Einzigkeit, wenn sie als Diese jetzt 
erlebt wird, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie Besonderes, Allgemeines oder 
etwa Beziehliches, ob sie Erinnertes, Ersonnenes oder sogenanntes Naturwirkliche 
betrifft. Durchaus nicht zu verwechseln mit diesem Ersatz einer Setzung durch eine 
Einzigkeit im Einzelerlebnisfalle ist die Repräsentierung, die »Fundierung« einer 
Allgemeines, Beziehliches, Dinghaftes oder was immer bedeutenden Setzung durch 
eine (meist ganz beliebige) einzelne sinnfällige Einzigkeit, die ja so oft ein bloßes 
Wort ist. Bei »Dreieck« oder »Tisch« oder »Vogel« oder auch etwa »Tugend« schiebt 
sich — das sah zuerst in Klarheit Berkeley — seelenmäßig praktisch als Einzelerlebnis 
an Stelle des »allgemeinen« A ein »vorgestelltes« (»fundierendes«) A', wenn nicht 
gar ein bloßes Wort, ein B, unter, wobei aber das Denken ausgesprochenermaßen das 
einzelne besondere A', ja das B, das allgemeine A »bedeuten« läßt. A' und B haben 
eine gewisse Erledigungsbetonung, welche Endgültigkeit gewisser Art erschließt; sie, 
in ihrem unmittelbaren Erlebtwerden »sinnlicher« Art stehen cben/iir Allgemeines. 
»Es gibt« also zwar keine »Allgemeinvorstellungen«, wohl aber kann ich Allgemeines 
»haben«. Hierzu Berkeley, Principles, zumal 12 und 15; nicht »general ideas«, son* 
dern nur y>abstract general ideas« leugnet er; Allgemeinheit besteht »not ... in the 
absolute positive nature or conception of any thing, but in the relafion it bears to 
the particulars signified or represented by it«. Wir kommen darauf zurück. 
44 
Besonders zu warnen ist vor der Ansicht, es sei die Einzigkeit A 
»früher« als die Setzung A überhaupt. Beide sind durchaus zugleich, 
insofern eine Setzung wirklich als diese Setzung A erfaßt wird. Was 
überhaupt irgendwie als dieses erfaßt ist, für das gilt das »A ist A«, 
das ist Begriff, wenn es auch praktisch als »Begriff« im engeren Sinne 
keine Rolle spielt. Was »praktisch« ist und was nitht, das kann die 
Denklehre an ihrem Ausgang gar nicht wissen; aber daß sie, was sie 
setzt, setzt, das heißt mit dem Endgültigkeitszeichen dieses versieht, 
das weiß sie — sei es auch nur »ein am Horizonte befindliches unregel^» 
mäßig geformtes Graues« ; eben dieses, wenn es gesetzt, das heißt im 
Ordnungsdienste bewußt erfaßt ist, ist dieses, ist A und bleibt A. Ob 
dieses A gerade einmal praktisch bedeutsam wird, das heißt, ob die 
Ordnungslehre weiteres damit anfangen kann, das geht sie auf dieser 
Stufe ihrer Tätigkeit gar nichts an; ja nicht einmal geht sie an, ob das 
A je wieder eigentlich erlebt werden wird oder nicht. 
-^ 4. »NICHT.A« 
Daraus, daß Dasein in seiner Bedeutung von Sein verschieden ist, 
ergeben sich weitere Urbestandteile der Ordnung des Gegen»« 
ständlichen. 
Dieses Daseiende ist A, aber A erschöpft nicht das Seiende überhaupt. 
Alles, was ist, ohne als A da zu sein, heiße Nichts A. Im »Nicht« 
wird nur auf das A und auf das Sein überhaupt Nachdruck gelegt. 
Daß das möglich ist, daß Ich eine besondere Ordnungsurbedeutung, 
nämlich die des Wortes Nicht, innerhalb des Gegenständlichen als 
erfüllt schaue — nun, das ist eben so. Außer dem Dasein als dieses 
setze ich das Dasein als Nichtdieses, das Nicht=A. 
Beide sind gesetzt im Rahmen des »Sems. Das Nicht steht also nicht 
gegen das Sein, sondern gegen ein Diesess»Sein. Eine Bedeutung »nichts« 
gibt es sinnvoll nicht ^. 
a) DIE SÄTZE VOM NICHT^Ä 
An den Ordnungsbestandteil Nicht^^dieses, Nicht^A, knüpfen sich 
zwei wichtige Richtsätze der Ordnungslehre: der Satz vom Aus^ 
GESCHLOSSENEN Dritten und der Satz von der doppelten Verneinung. 
Beide hängen erstens am Begriff Selbig oder am Satz von der Selbig^ 
KEiT (A ist A), zweitens an der Bedeutung von Nicht^dieses, insofern 
es Sein in Diesess^Sein und Nichts^dieses^Sein sondert. 
' Vgl. Schopenhauer (Welt als Wille u. Vorst. I § 71), Bergson u. a. 
45 
Ich nehme eine bestimmte Setzung A, alsdann irgendein setzbares X 
und sage nun von X: X ist A oder Nicht:* A. Das ist der »Satz vom 
ausgeschlossenen Dritten«. Gerade in ihm tritt deutlich hervor, daß 
das Nicht nicht das Sein, sondern das Dasein »verneint« — nämlich 
zugunsten eines nicht:»dieses seienden Daseins. A und Nicht:«A sind 
eben das ganze Sein. 
Und weiter nehme ich ein A, setze ihm das Nicht=»A entgegen und 
sage nun: A ist nicht Nicht^A — nämlich, weil es doch eben, nach dem 
Satz A ist A, A ist. Das ist der »Satz von der doppelten Verneinung«. 
Einen eigentlichen »Satz« vom Widerspruch gibt es nicht; es gibt 
nur sozusagen die Setzung Widerspruch, Nicht:» A. 
Man wird bemerkt haben, daß sowohl im Satz vom ausgeschlossen 
nen Dritten wie im Satz von der doppelten Verneinung Ordnungs^ 
bedeutungen darinstecken, welche erst auf einer späteren Stufe der 
Ordnungslehre klar werden können ; in ersterem das »irgend ein X«, 
welches den Begriff der Möglichkeit erschließt, und in letzterem das 
weil. Arbeitet doch, wie wir wissen, die Ordnungslehre als mitteilbare 
Wissenschaft in unvermeidlicher Weise fortgesetzt mit dem, welchem 
sie selbst erst später Bedeutung gibt. 
In der Tat sind zwar die Setzungen Sein, Dieses, Nicht^dieses als 
unauflösbar hinzunehmen; aber die Sätze »X ist A oder Nicht* A«, 
»A ist nicht Nicht^A« sind »ableitbar« — wenn wir die neuen Unauf* 
lösbaren möglich und weil einführen. 
Freilich wird man besser sagen, es sei der Satz der doppelten Ver* 
neinung nur eine Erläuterung der geschauten Bedeutung des Wortes 
nicht, die Einsicht, daß zwiefaches Nicht sich aufhebt, die Einsicht 
auch, daß A und Nicht^A eben das Sein ausmachen. 
b) BEURTEILUNG ANDERER AUFFASSUNGEN DES NICHT^A 
Wir haben nun Einiges über die üblichen Darstellungen der Lehre 
vom nicht beizubringen. 
Wer die Bedeutung des Nicht^dieses klar erfaßt hat, für den erscheint 
alles, was die übliche Denklehre über den »Satz des Widerspruchs« 
und verwandte Dinge zu sagen hat, als abgeleitet und leicht ver* 
ständlich. 
Einem »Subjekt«, so heißt es, können nicht zwei einander wider* 
sprechende »Prädikate« zukommen,^ auch darf ein Prädikat nicht 
* Es dürfte unnötig sein, den Leser in eingehender Form daran zu erinnern, daß 
»Zeitliches« in den Satz des Widerspruchs gar nicht eingeht. 
46 
einem Merkmal des Subjekts widersprechen. Zwei einander wider** 
sprechende Urteile können nicht beide richtig oder beide falsch sein. 
Wer diese und ähnliche Sätze für den ursprünglichen Ausdruck des 
Begriffs des Widerspruchs ausgibt, der verwechselt Ursprünglichkeit 
mit Häufigkeit. Am häufigsten in der Tat mag dem Ich die Bedeutung 
des Widerspruchs in dem entgegentreten, was wir später als »ent** 
wickeltes Urteil« im Gegensatz zum Ururteil bezeichnen werden; am 
ursprünglichsten erscheint er, wo ich von einer Setzung ganz beliebiger 
Art aussage, daß sie nicht nicht^diese sei. Alle oben angeführten Formen 
des sogenannten Widerspruchssatzes sind richtig, weil eben unsere 
Form desselben, die ursprüngliche, zutreffend ist, und weil der Satz 
von der Selbigkeit gilt. 
Mit Rücksicht auf ein Dieses, welches da ist als Setzung, das übrige 
setzbare Sein als Nicht^^dieses bezeichnen, das mit allem, was unmittel^ 
bar dazukommt, ist also die reinste Bedeutung des Nicht im Sinne der 
Ordnungslehre. Das nein aber, das sagen wir schon an dieser Stelle, 
kennt die reine Ordnungslehre überhaupt nicht. 
Daß der Satz A ist Nicht^A der Gegenstandslehre angehört, ebenso 
wie der Satz von der Selbigkeit, daß er also ein Satz über das A ist, 
aber erst später, in abgeleiteter Weise, eine »Vorschrift für das Denken« 
werden kann, braucht wohl nicht besonders betont zu werden ^. 
c) GIBT ES ^»UNMÖGLICHE GEGENSTÄNDE^^? 
Dieses ist ein Dasein und Nicht^Dieses ist ein Dasein, beide zu^ 
sammen machen das Sein aus. 
Dürfen wir nun sagen, daß ein Dieses, welches Nicht^Dieses ist, 
Dasein habe, da sei? In dieser schroffen Form tritt die Frage praktisch 
nicht auf, sie ist aber gerade in der neueren Gegenstandslehre, wie sie 
von Meinong und seinen Schülern entwickelt ist, in der Frage nach 
dem »runden Viereck« aufgetreten^. 
Um Mißverständnisse auszuschließen, muß vorausgeschickt werden, 
daß »Dasein« bei Meinong dasselbe wie Naturwirklichsein, »empi** 
risch Existieren« bedeuten soll, also eine weit engere Bedeutung hat als 
unser Dasein. Unser Dasein ist Meinongs »als Gegenstand Bestand 
haben«, also, wie wir in unserer Sprechweise auch sagen können: ges* 
setzt, setzbar, unmittelbarer Gegenstand sein. Meinong und seine 
Schüler reden nun also von »daseinsfreien Gegenständen«, welche doch 
^ Vgl. oben S. 42. ^ Vgl. zumal Meinong, Stellung d. Gegenstandsth., S. 14 ff.; hier 
weitere Literatur. 
47 
Bestand haben, also in unserer Sprechweise da sind ; unter diesen he^ 
tonen sie die Gruppe der »unmöglichen«, und zu diesen gehört das 
»runde Viereck«. 
Das »runde Viereck« also soll, obwohl es nicht nur wie ja vieles 
Setzbare »daseinsfrei«, sondern sogar »unmöglich ist«, doch in seinem 
»Sosein« »Bestand« haben, es soll für das Ich als solches bestehen, soll 
Gegenstand sein; in unserer Sprechweise also als solches dasein, 
DIESES^SEIN. 
Ich meine aber, diese unmöglichen daseinsfreien Gegenstände sind 
trotz Meinongs scharfsinniger Ausführung abzulehnen. Sehen wir zu, 
ob wir sie nicht als jeder klaren Bedeutung entbehrend aufzeigen 
können. 
Es ist auch nach uns unverfänglich zu setzen »das als Vereinigung 
von rund und viereckig Gedachte«; hier heißt aber Vereinigung ganz 
unbestimmt ein Zusammenkommen, ohne daß zunächst die Art des 
Zusammenkommens beachtet wird; es soll also über das, was wir später 
»Beziehung« nennen werden, mit Rücksicht auf »viereckig« und »rund« 
etwas gesetzt werden. Wenn solches »das als Vereinigung von rund 
und viereckig Gedachte« bedeuten soll, dann haben wir nichts dagegen. 
Aber unsere endgültige Setzung ist dann nicht »das runde Viereck«, 
sondern »das Viereck ist nicht rund«. Mir scheint also nur für die 
Seelenlehre, als »Frage«, nicht aber für die Ordnungslehre darf das 
»runde Viereck« in Betracht kommen^. Wo aber gesetzt wird, da wird 
»das nicht runde Viereck« gesetzt — eine Setzung zwar, die keine grö* 
ßere Bedeutung hat, als die Setzung »das nicht^rote grüne Blatt« oder 
endlich als »das nicht nicht^grüne grüne Blatt«, also das nicht Nicht* 
dieses seiende Dieses. Als den Begriff der Setzung oder, was dasselbe 
^ Unsere Ablehnung gewisser daseinsfreier Gegenstände Meinongs, der wider=» 
spruchsvollen nämlich, wird notwendig, sobald man wie wir die Begriffe »wider« 
spruchsfrei« und »gesetzt« gleichsetzt und in der Setzung das Urmittel der Logik 
sieht, gleichgültig ob diese Setzung einen »Begriff« oder ein »Urteil« im engeren 
Sinne schafft. Die übliche Lehre pflegt vom entwickelten Urteil als einer Verknüps 
fung seiner Bestandteile auszugehen und diese Bestandteile in ihrer Verknüpfung 
zunächst als gleichgültig gegen Gesetztsein (»logisch indifferent«) anzusehen; sie 
sollen ein Material sein, das nun erst beurteilt wird. Geben wir diese uns zu »psy« 
chologisch« anmutende Lehre einmal zu, so bleibt doch auch dann zweierlei nicht 
ganz »gleichgültig« gegen Gesetztsein: nämlich erstens die Bestandteile eines ent* 
wickelten Urteils je für sich und zweitens ihre Vei?knüpfungsart; keinesfalls also darf 
die letzere denkmäßig widerspruchsvoll in sich sein ; ist sie es, so ist sie nicht ein* 
mal als »Material« für weitere Beurteilung setzbar. 
48 
heißt, den Satz der doppelten Verneinung verletzend sind also die 
Meinong sehen »unmöglichen« Gegenstände abzulehnen.^ 
Das »runde Viereck« war also überhaupt kein »Gegenstand«, weil 
rund »nicht^viereckig« und Viereck »nichts»Rundes« einschließt; eben 
deshalb ist es gar nicht ein dieses. Es war höchstens eine dem Ord^ 
nungsgeschäfte vorangehende Frage, wie ja auch für den Laien in 
der Raumlehre etwa »das euklidische Dreieck, dessen Winkelsumme 
vier Rechte ist«, eine Frage — eines Nochs^Nicht:» Wissens Ausdruck — 
sein mag. 
Etwas ganz anderes ist es natürlich mit denjenigen in Meinongs 
Sinne »daseinsfreien« Gegenständen, welche »Objektive« also z. B. 
»Beziehungen« zwischen »Daseiendem« in seinem Sinne sind. In un«« 
serer Sprache freilich haben diese »Objektive« Dasein — sie sind ja als 
Gegenstände gesetzt. Einen sachlichen Unterschied zwischen Mei:« 
NONGs und unserer Lehre begründet dieser Unterschied des Ausdrucks 
freilich nicht. ^ 
5. BEZIEHUNG, SOVIEL UND SOSEIN 
Die Ordnungslehre hat jetzt drei einander nebengeordnete Schritte 
gleichen Ranges zu tun; sie schaut drei neue Urordnungsbedeu^ 
tungen, welche über das Dieses und das Nichtdieses hinausgehen, ohne 
daß man sagen könnte oder müßte, es sei von diesen neuen Bedeutungen 
die eine ganz ausdrücklich die erste, die andere die zweite, die letzte 
die dritte. 
Ich rede von Beziehung, Soviel und Sosein. 
Das Soviel setze ich an dieser Stelle als Ordnungsbedeutung unzers« 
legbarer Art einfach hin, unter ausdrücklicher Betonung des Sach^ 
Verhaltes, daß seine allgemeinste Kennzeichnung schon an dieser Stelle 
gegeben werden könnte. Es erscheint aber zweckmäßiger, die allgemeine 
und die auf das Besondere gehende Kennzeichnung hier nicht zu 
trennen ; beides zusammen soll daher an späterer Stelle gegeben werden, 
da ja doch jeder praktisch weiß, was er unter einem Soviel, also unter 
einer »Zahl« versteht. 
Von Beziehung und von Sosein wollen wir dagegen allgemeine und 
besondere Kennzeichnung trennen und die allgemeine Kennzeichnung 
der in Frage stehenden Bedeutungen sogleich folgen lassen. 
' Ähnlich schloß B.Russell in einer Kritik Meinongs, Mind. 14, 1905, S.482f., 532 f. 
4 D r i e s c h , Ordnungslehre 49 
a) BEZIEHUNG 
Eine Setzung ist diese und ist mit sich selbig, A ist A. 
Ich habe gleichsam ein geheimnisvolles Vorwissen von Ordnung, 
ohne welches mein Endgültigkeitsschauen unverständlich wäre. Wende 
ich nun mein Urmittel der Setzung auf die von mir vorgewußte Ord* 
nung selbst bewußt an, so wird aus ihr diese mit sich selbige Ordnung. 
Damit ist jede daseiende Setzung als diese eine Setzung in dieser 
Ordnung geworden. Damit aber bin ich sogleich befugt, zwei weitere 
Ur^Setzungen zu machen, welche mir großen Gewinn bei meinem 
Ordnungsgeschäft versprechen : 
Das daseiende Dieses ist in dieser Ordnung, es ist in ihr als dieses 
gesetzt, und sie selbst ist diese. Damit erwächst die allgemeine Setzung 
der Beziehung, welche nicht irgendwie auflösbar ist. Das Dieses ist 
nicht nur für sich, sondern ist auch bezogen oder verhältnismässig, 
und zwar ist es bezogen sowohl auf diese Ordnung überhaupt wie 
auch auf ihre einzelnen Bestandteile. 
Wird Beziehung des Dieses in seinem verhältnismäßigen Dasein 
selbst als dieses gesetzt, so ergibt sich die Setzung eindeutige Beziehung 
oder Eindeutigkeit. Jede Setzung also ist diese daseiende, ist selbig, 
insofern sie überhaupt gesetzt ist, jede Setzung aber ist eindeutig, in* 
sofern sie in einer Ordnung gesetzt ist; zum A ist A tritt das R (A) 
ist R (A) : diese Beziehung des als dieses gesetzten A, dieses Verhältnis^« 
mäßige Dasein des A ist dieses und nur dieses, so wahr Ordnung be* 
stehen soll. Die Eindeutigkeit eines Dieses, ja sein Bezogensein über* 
haupt, geht, wie man sieht, nicht das Dieses allein an, sondern noch 
etwas dazu, sei es Ordnung überhaupt oder die nicht^diesen Bestand* 
teile von Ordnung. 
Das, wozwischen Beziehung (Relation) besteht, heißt Glied (Relat). 
Die meisten Glieder sind nicht »reine« Glieder, sondern enthalten 
selbst Beziehliches in sich. Was das heißt, und was »reines Glied« ist, 
wird später klar werden. 
Mit Recht hat man gelegentlich bemerkt \ daß schon hier die Setzung 
der Zahl in Form der zwei auftrete: ein Fall der Durchdringung der 
Ordnungsbedeutungen. Beziehung ist aber nicht zwei, sondern, seit* 
sam zu sagen, etwas »in bezug« auf zwei; etwas, das das dieses angeht, 
aber nicht allein, und auch ein nicht*dieses, aber auch nicht allein. Be= 
Ziehung ist selbst Setzung, also diese, aber sie ist nur faßbar, wenn zwei 
* Die grundlegende Bedeutung der Zwei ist von Dühring (Logik S. 178 ff.) besonders 
scharf betont worden. 
50 
Diese da sind, welche nicht sie sind; sie ist unfaßbar, wenn nicht das 
DIESES überhaupt gesetzt war; ja auch Ordnung und nicht^sdiesesss 
DASEIENDE Hiußten gcsetzt sein. Beziehung setzen heißt daher wahrhaft 
weitergehen im selbstbesinnlichen Ausbau der Ordnungslehre. 
In weitestem Sinne verstanden ist also Beziehung etwas zwischen 
zwei Dieses, und zwar ist sie dieses Zwischen als dieses. Nicht aber ist 
zwischen jedem der zwei Diese und dem beziehlichen zwischen ein 
neues »Zwischen«, das etwa die Beziehung auf jedes der beiden Dieses 
»beziehen« möchte -- das ergäbe einen regressus ad infinitum. ^ 
Und auch nicht ist das beziehliche Zwischen eines der bezogenen 
Diese »Eigenschaft«. Diese fehlerhafte Annahme macht gelegentlich 
die Hegel sehe »Dialektik« zur Konstruktion ihrer »Widersprüche«. 
Der Fehler, in der Beziehung eine »Eigenschaft« eines der Bezogenen 
zu sehen, wird verständlich, wenn man sich darauf besinnt, in welcher 
Form die Bedeutung, das Ordnungszeichen Beziehung unmittelbar er:« 
lebt wird. Dieses Ordnungszeichen wird nämlich allerdings unmittel«» 
bar erlebt als der besonderen Gegenständlichkeit irgendeines der Be:s 
zogenen anhaftend ; seine erlebte Gegenständlichkeit »bedeutet« eben 
mehr als sie selbst, trägt »Zeichen« für mehr, als sie selbst ist, an sich; 
nämlich erstens für das andere Bezogene und dann für Beziehung und 
ihr besonderes Sosein selbst; man besinne sich, was man erlebt, wenn 
man »rechts von«, »Vater von« denkt, d. h. »bewußt hat«, um Zu* 
sammengesetzteres hier beiseite zu lassen. Aber um »Eigenschaft« 
handelt es sich darum nicht. 
b) DAS ANDERE / SOSEIN 
Wir haben schon einige Arten der Beziehung kennen gelernt, ohne 
uns dessen klar bewußt zu sein : Das daseiende Dieses zusammen 
mit dem daseienden Nichts«dieses war das Sein, und »Etwas« war dieses 
Daseiende oder nicht^dieses Daseiende. Hier also ist das Dieses in ein* 
deutiger Bezogenheit auf das Nicht^dieses da. 
Nur wenn Dasein gleich Sein wäre, wenn also die Worte »Sein« und 
»Dasein« nur verschiedene Worte für dieselbe Setzung wären, würde 
daseiendes Dieses nicht bezogenes Dieses sein; nur dann also wäre 
auch die Setzung »eindeutig« überflüssig. 
* Zu dieser Frage Bradley, Appearance and Reality, 2"^ ed., S. 32fF., und Russell, 
Princ. of Math. I, S. 99 f. — Uns freilich geht nicht die Frage nach der »Realität« der 
Beziehung, sondern nur die Frage nach der klaren Setzbarkeit des Ordnungszeichens 
Beziehung etwas an. 
51 
Ich schaue, daß sich neben das auf das bloße Nicht^dieses bezogene 
daseiende Dieses eine neue Setzung stellen läßt, welche ebenfalls das 
verhältnismäßige Dasein angeht. 
Das ist das Setzungspaar: Dieses — Jenes oder auch das Eine — das 
Andere; beide Partner der gleiches bedeutenden Setzungspaare be*» 
deuten Daseiendes. Das Sein, mit anderen Worten, zerfällt nicht bloß 
in A und Nicht^A, sondern es erlaubt die Setzungen A, B, C usw. 
Nicht^A wird so zu B oder C oder . . ., Nicht:'B wird zu A oder C 
oder . . . und so fort. 
Und sogleicli tritt eine weitere Ursetzung klar hervor, welche in 
minder deutlicher Form auch schon das lediglich vom Nicht^A ab*» 
gegrenzte A betrifft: die Setzung Sosein. Jedes Daseiende Dieses ist 
so, ist SOLCHES, hat Sosein. In seinem Solchess»sein eben ist gesagt, daß 
es Anderes ist als Jenes in seinem Solches^sein, daß A und B ver* 
schieden sind. Ja, schon das bloße Dieses, ohne bestimmtes Jenes als 
Gegenstück, ist solches, weil Dasein nicht gleich Sein ist, so daß also 
Dasein und Sosein einander durchaus wechselseitig fordern. Die Setzung 
»Sosein« hätte also schon an früherer Stelle genannt werden können, 
wennschon sie jetzt erst für sich genommen bedeutsam wird^ 
Auf die Ordnung, welche sich aus dem Sosein in seiner eindeutigen 
Verhältnismäßigkeit ergibt, wird der weitere Gang der Ordnungslehre 
sich fast ausschließlich aufbauen. Gäbe es keine in Besonderheit zu 
setzende beziehliche Ordnung im soseienden Dasein, so wäre der Ord*« 
nungslehre Geschäft schon früh — nämlich jetzt — beendet. 
c) ALLGEMEINE ERWÄGUNGEN 
Wie alles, was wir in diesem von den Ursetzungen des Denkens 
handelnden Abschnitte ordnend unternehmen, gehen auch 
unsere neuen besonderen Setzungen: Beziehung, Eindeutigkeit, 
Anderssein (Verschiedensein), Sosein auf alles, was Gegenstand von 
Setzung irgendwie werden kann, also nicht etwa auf »Naturwirkliches«, 
auf »Körperwirkliches«, auf »Dinge«allein — ja, von dem allen wissen 
wir ja noch gar nichts auf dieser Stufe. 
Auf der anderen Seite muß betont werden, daß jede Setzung als 
Setzung, neben ihrem als Dieses und nicht als Nichts^dieses Dasein, die 
Kennzeichen des Bezogenseins, des Eindeutigseins, des Nichts«jeness« 
^ Vgl. K. H. Schmidt, Grundzüge einer Erfassungslehre, 1922, S. 12. In der ersten 
Auflage der »Ordnungslehre« war die theoretisch bestehende völlige Reziprozität 
von Dasein und Sosein nicht klar gesehen worden. 
52 
SEINS, des SoLCHESSEiNS bcsitzt. Alles mit diesen Worten bezeichnete 
ordnungsmäßig Gesetzte ist also ganz allgemeiner Art, geht alle und 
jede Erlebtheit an, anders gesagt: findet sich für das Ich, das sich seiner 
bewußt wird, in jeder und aller ihm als geordnet entgegentretenden 
Erlebtheit, also in »geträumter«, »erinnerter«, »gedachter«, »seelischer«, 
»naturwirklicher«, und was es sonst noch von derartigen Sondererlebt*« 
heiten geben mag, gleichermaßen. 
Dessen sich im Verlauf des gesamten Ordnungsgeschäfts bewußt zu 
bleiben, ist von höchter Wichtigkeit; denn man sieht, wenn man sich 
dessen bewußt bleibt, wie vieles an Arbeit schon in den allerersten 
Schritten der Ordnungslehre geleistet ist, man darf sich fragen, ob sich 
nicht vieles an später zu leistender Ordnungsarbeit auf das hier auf 
der ersten Stufe der Logik Geleistete möchte zurückführen lassen, ob 
sich später nicht oft scheinbar noch zu leistende Arbeit in schon ge«» 
leistete auflösen könne. 
Doch wir kennen noch nicht die Bedeutung der Worte »zurück* 
führen« und »auflösen«. 
6. ERLEDIGUNG 
Als wir die Frage nach der Möglichkeit eines vorher angegebenen 
Weges, einer »Methode« für den Ordnungsplan aufwarfen, redeten 
wir schon einmal von »Erledigung«. 
Das Zeichen der Erledigung hat ein Gesetztes, wenn es — nun eben 
schon »erledigt« ist, wenn es als Setzung schon bekannt ist. Höffdings' 
»Bekanntheitsqualität« von Wahrnehmungen — (welche dann gar 
keine echten »Wahrnehmungen« sind) — gehört hierher. Aber die 
Bedeutung des Wortes »Erledigung« ist viel weiter. 
Nicht nur, was ich kenne als Gesetztes, ist als solches erledigt, 
wenn es einmal wieder erlebt wird, sondern auch an irgendeinem Ge*« 
setzten kann ein gewisser Anteil von ihm, also im Grunde eine andere, 
aber in ihm enthaltene Setzung, erledigt sein; wir mögen in diesem 
Sinne die Erledigung in Eigen= und Fremd=erledigung sondern. Hoff»» 
DiNGs' »Bekanntheitsqualität« ist der einfachste Fall der ersten. Für 
die Frage nach dem System der Wissenschaften wird die zweite an 
späterer Stelle von großer Bedeutung sein; in der Mechanik ist z. B., 
wenn sie vom Parallelogramm der Kräfte redet, die Setzung Parallelo»» 
gramm »erledigt«, nämlich seitens der Geometrie, usw. 
Die Urordnungszeichen können wechselseitig aneinander erledigt 
sein; wir reden dann von ihrer Durchdringung und hatten ein Bei* 
53 
spiel solcher Durchdringung vor uns, als wir sagten, daß in jeder ße^ 
Ziehung eigentlich die Bedeutung zwei darinstecke — aber auch in der 
zwei, wie sich später zeigen wird, Beziehung. 
Viel Allgemeines sagen läßt sich über Erledigung nicht, aber die gQ» 
samte Ordnungslehre lieferte fortgesetzt Beispiele für sie. Nur das 
eine mag passenderweise hervorgehoben sein, daß sie eine Tönung 
am Gegenstande ist, ganz wie die »Endgültigkeitstönung mit Bezug 
auf Ordnung«, und daß sie, wenigstens an dieser Stelle des Ganzen, 
nicht das »Gemüt, Subjekt, Bewußtsein« oder, was man sonst noch 
will, angeht. Ich habe bewußt irgendein A oder B mit der Tönung 
des Erledigtseins an ihm. 
Nicht soll hiermit natürlich gesagt sein, daß ich nicht auch aus* 
drücklich mein Ichs'haben, seiner Gegenständlichkeit nach, als auss^ 
drücklich erledigtes Haben oder besser »Gehabthaben«, Tiaren könnte. 
Das gehört dann in einen besonderen Teil der Ordnungslehre, die 
Psychologie. Im praktischen Erlebensverlaufe durchdringen sich fort* 
während rein gegenständliche Erledigungs* (und Endgültigkeits*)töne 
mit Tönen der Habens*erledigung. 
7. DAS GEGEBENE 
Ich habe bewußt geordnetes Etwas; ich schaue Ordnungstönungen 
oder *bedeutungen am Etwas. 
Ich (ur*)weiß, was eine Ordnungstönung ist und was sie bedeutet. 
Aber zwei Dinge entziehen sich meinem Ur*wissen: Einmal habe 
ich schlicht hinzunehmen den Sachverhalt, dass nun diese von mir ge* 
schauten Ordnungsbedeutungen eben Ordnungsbedeutungen sind; 
zum anderen, daß sie, insofern sie es einmal sind, tatsächlich erleb:« 
NiSHAFT als GESETZTE GESCHAUT WERDEN, daß sie, wie wir kuTz Sagen 
wollen, Erfüllung finden. Wir wollen dem Zweiten näher nachgehen. 
Wir redeten von dem ordnungsmonistischen Ideal und seiner »Un* 
erfüllbarkeit«. Was heißt das? Es heißt, daß ich das Schema »die eine 
ganze Ordnung« in seiner Bedeutung schaue, aber in den Gegen*« 
ständen, welche ich bewußt habe, nichts finde, was diese Bedeutung 
deckt. Die Ordnungsbedeutungen Dieses, Beziehung, Jenes, Solches, 
Soviel dagegen werden gedeckt; Daseiendes gibt es, welches sie er^ 
füllt. 
Im Etwas, welches ich bewußt habe, liegt also offenbar ein Zwie* 
Spalt. Daß es diese Ordnung sozusagen verträgt, keine »bessere«, aber 
auch keine »schlechtere«, das ist nicht selbst etwas Ordnungshaftes, 
54 
sondern das ist, um es mit kurzem Worte zu bezeichnen, gegeben. In 
diesem Sinne reden wir von Gegebenheit. 
Gegeben also ist, daß das ordnungsmonistische Ideal nicht erfüllt 
ist, daß aber die Bedeutungen verschieden, dieses=jenes und nicht 
etwa nur die Bedeutungen diesesj^nichtdieses tatsächlich gesetzt wer^« 
den. Ja, schon daß nicht^dieses setzbar ist, ruht auf Gegebenheit: wäre 
das Etwas nur »rot«, dann würde »rot« Sein heißen, und ein Nichtrot 
würde gar nicht auftreten. Denn »Nichts« ist ja ein Unbegriff, und das 
Nicht hat ein Dasein zur Voraussetzung, was es, wäre das Etwas nur 
rot, nicht »gäbe«. 
Schon die Setzungen dieses und nicht dieses^ und erst recht die Setj» 
Zungen solches, solches andere usw. hängen also in ihrer Möglichkeit 
am Gegebenen. 
Wir schauen Ordnung am und im Erlebten, so haben wir gesagt. 
Nun eben, daß wir dieses an Ordnung schauen und nichts anderes, 
DAS ist die Ge^efeen/ieiYs- Seite des Etwas, was wir erleben; und diese 
seine Gegebenheitsseite zeigt sich schon in den allerersten Ursetzungen 
und durchaus nicht etwa erst in »Natur«. Es sieht tatsächlich so aus, 
als hätte ein x — (nicht »Ich«) — aktiv einen »Stoff« geordnet, indem 
jenes x im Besitze ganz bestimmter und nicht anderer Ordnungsfähig* 
keiten ist, und als ließe sich jener »Stoff« gewisse Ordnungstaten ge^ 
wissermaßen gefallen, andere nicht. So zu reden ist nun zwar unerlaubt 
im Beginn der Ordnungslehre, wie wir wissen. Im Beginn der Ord*» 
nungslehre ist alles viel schwerer in Worte zu kleiden als es sein 
würde, wäre uns solche Rede erlaubt. 
Wir müssen uns, in Ermangelung besserer, mit den Worten von der 
Gegebenheitsseite und der Ordnungsseite am Etwas zufrieden geben. 
Und dazu hat auch noch, wovon im Eingange kurz geredet wurde, 
die Ordnungsseite selbst ihr »Gegebensein« insofern, als sie ihrer Be* 
deutungshaftigkeit nach nur eben sie und keine andere ist. 
Wären die Worte nicht allzu abgegriffen, so könnten wir hier auch 
von »Form« und »Inhalt« reden. Inhalt am Etwas wäre dann die Seite 
an ihm, kraft welcher es diese und keine andere Ordnungsformen zeigt, 
Form wären die Endgültigkeitstönungen, an welchen nun aber auch 
wieder Inhaltsseite wäre, daß eben sie und nicht andere in ihrer Be* 
DEUTUNGs^haftigkeit da sind. 
Durch die Gegebenheit wird die gesamte Logik von Anfang an 
alogisch durchsetzt. Man hat das gesehen für Mathemat ik^ und natür* 
^ Näheres in Wissen und Denken S. 20 ff. 
55 
lieh erst recht für Natur. Daß es wirklich von Anfang an gilt, daß 
schon das Dieses und das Nicht-dieses alogisch durchsetzt sind, hat 
man aber, wenn ich mich nicht täusche, nicht gesehen — wohl des* 
halb, weil man die allgemeinste Logik nicht gegenständlich nahm, 
sondern »formal« nannte und als »Normenlehre« für das »Denken« 
ausgab. 
Um noch ein Beispiel aus dem Gebiet später zu erörternder Dinge 
zu bringen, so ist also bezüglich der Soseinssetzung Grün »Inhalt«, daß 
es Grünes in der Erlebtheit gibt, »Form« die Bedeutung von Grün, 
»Gegebenheitsseite der Form«, dass nun eben Grün als Bedeutung 
besteht. Ganz ebenso liegt aber alles schon bei der Bedeutung des 
Wortes »nicht«. 
8. DER INH ALTSEINSCHLUSS ; DAS »MITSETZEN« 
AUND NiCHTs»A und A und das andere B sind die beiden uns bis 
jetzt bekannt gewordenen Beziehungen zwischen Setzungen; es 
gilt nun zunächst die Beziehung anders des Näheren zu verfolgen. 
Was das Dieses des A zu Solchem macht und was sein Anderssein 
gegen ein dieses B bedingt, das sind des A Merkmale; sie eben 
machen das Sosein des A aus. Wir können in der Sprechweise der 
üblichen Lehre die Gesamtheit der Merkmale einer als diese aus* 
gesonderten Setzung den Inhalt der Setzung nennen. A hat also 
diesen Inhalt, das heißt diese sein Sosein ausmachenden Merkmale, 
B jenen. Was die Merkmale in ihrer Besonderheit sein mögen, geht 
uns zunächst noch nichts an; es genügt, daß jeder weiß, wie sich Set* 
Zungen voneinander durch »Räumliches«, »Zeitliches«, »Eigenschaft* 
liches«, »Beziehliches« und so weiter unterscheiden, die Lehre vom 
Sosein wird hier weiteren Aufschluß bringen. 
Wir untersuchen zunächst nur die einfachste Form aller besonderen, 
das heißt über den Rahmen des bloßen Verschiedenseins hinausgehen* 
den, Beziehungen. Das ist die Beziehung Einschluss oder Mitsetzen. 
Wenn eine Setzung A die Merkmale a, b, c, d und eine Setzung B 
die Merkmale f, g, h, i, k besitzt, dann bleibt es beim bloßen Ver* 
schiedensein beider Setzungen. 
Wenn aber eine Setzung A die Merkmale a, b, c, d hat, und wenn 
bewußt und ausdrücklich die andere Setzung a aus einem Teil der 
Merkmale von A, etwa aus a, c, d, gebildet wird, oder wenn A und a 
unabhängig voneinander gesetzt wurden, und wenn dann bewußter* 
maßen ihre Merkmalsbeziehungen als von der soeben geschilderten 
56 
Art befunden werden, dann sagen wir nicht nur aus, daß A und a 
VERSCHIEDEN seicn, sondern daß die Setzung a von der Setzung A 
MITGESETZT oder INHALTLICH EINGESCHLOSSEN Werde. 
Wir reden hier ja bis jetzt, um das immer wieder zu sagen, nur von 
dem geordneten Erlebten oder »bewußt Gehabtem« und seiner Oid* 
nung durch Setzungen überhaupt; wir sondern noch nicht etwa das 
»Naturwirkliche« aus ihm aus. Doch dürfen wir wohl insofern ein 
Zugeständnis an das gewissermaßen praktische Denken uns erlauben, 
als wir sagen, daß meist ein Mitgesetztwerden, ein Eingeschlossen*« 
SEIN von Setzungen dann in Frage kommt, wenn, wie die Dinge einmal 
liegen^ ein a nicht nur von einem A, sondern auch, von einem B und 
C und so fort mitgesetzt wird. Ein A möge in diesem Falle die Merk:« 
male a, b, c, d, ein B die Merkmale a, 1, c, d, ein C die Merkmale a, x, 
c, d haben; dann eben ist a mit seinen Merkmalen a, c, d von A und 
von B und von C mitgesetzt oder inhaltlich eingeschlossen. So setzen 
die Setzung Katze, Hund, Bär die Setzung Raubtier, so setzen die 
Setzung Treue, Gerechtigkeit, Mitleid die Setzung Tugend ^ mit. 
Eine von vielen Setzungen mitgesetzte Setzung heißt allgemein. 
Die Setzungen aber, welche gemeinsam dieselbe allgemeine Setzung 
mitsetzen, heißen Soseinsgruppe. 
Jede Setzung, welche sich als durch eine andere oder besser, weil 
praktisch wichtiger, durch mehrere andere Setzungen mitgesetzt, als 
von ihnen inhaltlich eingeschlossen ergibt, heißt begründet oder not*« 
WENDIG*^. Der sprachliche Ausdruck für das Begründet oder Not*» 
wendigst, oder für das Mitgesetzt=« oder Eingeschlossensein, ist das 
Wort weil. Es ist einzig dieses der ursprüngliche, unauflösbare Be** 
griff aller »Notwendigkeit«. 
Die Beziehung des inhaltmäßigen Einschlusses von Setzungen läßt 
sich, wie unmittelbar einleuchtend ist, als eine Beziehung teilweiser 
Selbigkeit bezeichnen. Die Setzungen A = a, b, c, d und B = a, 1, c, 
d und schließlich a = a, c, d sind, »teilweise selbig«, insofern sie alle 
die Merkmale a, c, d aufweisen. Aber darum hört nicht etwa die Set* 
zung der Beziehung Begründung, das weil also, auf, ein unauflös»» 
barer letzter Bestandteil der Ordnungslehre zu sein^. »Weil« sie teil»« 
^ Es sei denn, daß man Treue usw. als Teile (»Konstituenten«) der Tugend auffasse, 
was natürlich in unserem Beispiel ausdrücklich ausgeschlossen sein soll. ^ Eine von 
vielen mitgesetzte Setzung also ist allgemein, weil sie von vielen mitgesetzt, nots 
WENDIG, weil sie überhaupt mitgesetzt ist. ' Es muß an dieser Stelle bemerkt sein, 
daß selbstredend auch ein unbestimmtes Wissen um so etwas wie »Vielheit« und 
57 
weise selbig sind, »deshalb« setzen die Setzungen A und B die Set* 
zung a mit; »weil« a in besonderer Form teilweise selbig ist mit A, 
»deshalb« wird es durch A »begründet«. So sagten wir, und darin 
eben steckt ja das weil als unauflösbares. 
Die Einsicht, daß mit Setzung A, daß mit dem Setzen A = a, b, c, 
d auch a = a, by c ist, gesetzt ist, daß a in den Inhalt von A ein:« 
geschlossen ist, diese Einsicht eben ist das Wissen um die Beziehung 
der Notwendigkeit, um die Bedeutung des Weil. 
Auf dem in dieser einfachsten Form dargelegten Beziehungsbegriff 
der Begründung als dem inhaltlichen Mitgesetztsein von Setzungen 
ruht das ganze Gebäude von den Verhältnissen der sogenannten Be= 
griffsumfänge und vom Schlüsse. 
Wir kommen darauf zurück und betonen an dieser Stelle nur noch 
in Schärfe, daß also iNHALTS^^beziehungen zwischen Setzungen im Sinne 
der reinen Ordnungslehre das eigentlich erste, das heißt das neue Un«! 
auflösbare an der Schlußlehre sind. 
9. KLASSE UND EINZIGKEIT 
Die zweite Urart besonderer Beziehungssetzungen, unmittelbar 
neben der Beziehung des Mitgesetztseins, des Begründetseins, 
stehend, ist die Beziehung zwischen Klasse und Einzigkeit; diese Be^» 
Ziehung haftet für das praktische Denkerlebnis an einem gewissen 
Bestandteil der hier noch nicht in den Kreis unserer Erörterungen ein*« 
tretenden Setzung Zeit und meist auch der Setzung Raum; sie ist näm:« 
lieh für das praktische Denkerlebnis ohne den Begriff des Jetzt, oft 
auch ohne den des Hier unmöglich. Das »Soviel« tritt selbstredend 
auch wiederum ins Spiel. 
Eine Setzung A ist diese und ist mit sich selbig, das heißt, wo immer 
sie im Bereiche des Ordnungsgeschäftes auftritt, soll sie, als Setzung, 
als Gesetzes immer durchaus diese sein, dieses A bedeuten, als dieses 
»Mehr« bei der Aufstellung des Begriffs Mitsetzen eine Rolle spielt, ganz ebenso 
wie am Begriff Bezieöung überhaupt zum mindesten die »2« dunkel beteiligt er* 
schien. Um »Vielheit«, mag man sagen, handelt es sich, wenn unter Inhalt einer 
Setzung die Gesamtheit seiner Merkmale verstanden wird, um »Mehr« handelt es 
sich bei der Beziehung zwischen Mitgesetztem und Mitsetzendem. Aus dem allen 
aber ergibt sich nicht die Unrichtigkeit unserer Darstellung der Ordnungslehre, 
sondern nur die Möglichkeit auch anderer Darstellungsformen; alles ist nur ein 
Zeichen der wechselseitigen Durchdringung der letzten Ordnungsglieder. — Für uns 
eben erhalten »Vielheit« und »Mehr« ihren endgültigen, klaren Sinn erst später; dass 
es sich hier um einen unauflöslichen Sinn handelt, haben wir ja schon (S. 49) gesagt. 
58 
A gelten. Sie wird aber nur bedeutsam, wenn sie, nachdem sie einmal 
festgelegt war, erlebt wird. Jeder Fall ihres Auftretens in der Erlebt»* 
heit, stamme er, woher er wolle, heiße Einzigkeit der Setzung A; die 
Setzung A, als aus der Gesamtheit ihrer daseienden Einzigkeiten be*» 
stehend begrifiFen, heiße die Klasse A. Das allein bedeutet die Setzung 
Klasse hier, d. h. in der allgemeinen Ordnungslehre ^. 
Das Verhältnis von Einzigkeit zu Klasse hat mit dem Verhältnis des 
inhaltmäßigen Einschlusses oder Mitgesetztwerdensgar nichts gemein^: 
sam. Als Setzungen sind Klasse und ihre Einzigkeiten durchaus die^ 
selben, durchaus selbig. Jede Setzung wird immer nur als Einzigkeit 
dem Ich wirklich tatsächlich bewußt, freilich eben mit dem ausdrück* 
liehen Tone, daß hier einer Klasse Einzigkeit vorliegt, daß als Setzung 
also die Einzigkeit zeitlos diese, dieses A ist A ist. Auch kann eine 
Einzigkeit als setzungsbedeutend ausdrücklich als solche »wieder er* 
kannt« werden. Das geht aber die reine Ordnungslehre nichts an. Daß, 
was von der Klasse »gilt« oder nicht gilt, auch für die Einzigkeit 
»gültig« oder ungültig ist, bedarf nach dem Gesagten gar keiner be* 
sonderen Hervorhebung (sogenanntes »dictum de omni et nullo«); 
dieselbe Setzung sind ja beide als Setzungen. Bekanntlich hat erst die 
neuere Logik, zumal die »Logistik«, erkannt, daß man früher oftmals 
echtes Mitgesetztwerden mit Klassenzugehörigkeit verwechselte^ — 
ohne freilich damit notwendigerweise »Fehlern« anheimfallen zu 
müssen. 
Einzigkeiten derselben Klasse in ihrem Verhältnis zueinander sollen 
von uns als gleich bezeichnet werden. Gleich ist also nicht dasselbe 
^ Es ist, um Mißverständnisse zu verhüten, vielleicht nicht unangebracht zu be* 
tonen, daß unser hier entwickeltes Verhältnis KlassesEinzigkeit weder mit dem 
»Repräsentiertwerden« des »Allgemeinen« durch eine einzelne Vorstellung, noch 
mit den einzelnen »Dingen« der »Natur« irgend etwas zu tun hat. Unsere Einzig^ 
KEiT ist der Einzelerlebnisfall dieser Setzung als dieser, ganz unbekümmert um 
»Allgemeinheit« oder ihr Gegenstück. Es wird sich zeigen, daß die meisten Natur* 
Klassen in bezug auf irgendein Allgemeines bestehen; es gibt nicht zwei ganz 
»gleiche« Hunde, nur Hundsein ist als Klasse da. ^ Der in einem berühmten »Syllo* 
gismus« vorkommende Satz »Cajus ist ein Mensch« gehört hierher. Dieser Satz näm* 
lieh drückt, so wie er dasteht, gar keine Setzungsbeziehung, sondern Klassen* 
beziehung, und diese noch dazu in ihrer Sonderanwendung auf »Natur«, aus, 
während »Menschen sind sterblich« und etwa »Neger sind sterblich« Setzungss 
beziehungen ausdrücken. Zur Logistik vergleiche man B. Russell, Principles of 
Mathematics 1, 1903, Part. I, Couturat, Phil. Grundlagen d. Math., deutsch v. Siegel, 
1908, Kap. I, und Couturat, L'abgebre de la logique, 1905 (Scientia Nr. 224); da* 
selbst weitere Literaturangaben. 
59 
wie SELBIG (»identisch«); selbig ist eine Setzung mit sich »selbst« j es 
gibt nicht »zwei einander gleiche Setzungen«, wohl aber zwei einander 
gleiche Einzigkeiten einer (selbigen) Setzung. ^ 
Für den praktischen Ordnungsbetrieb im Gebiete des Natur*» 
wirklichen spielt das Verhältnis der Einzigkeiten oder »Fälle« zur 
Klasse -- freilich, wie sich zeigen wird, in besonderer, noch aus* 
zumachender Form — insofern eine große Rolle, als auf Grund vieler 
»Fälle« die meisten Setzungen im Gebiet des Naturwirklichen bewußt 
ausgesondert und als bedeutsam hingestellt, also besonders betont zu 
werden pflegen. »Katze« wird praktisch als Setzung ausgesondert und 
mit einem besonderen Worte bedacht, weil es eben »viele Katzen 
gibt«. Dieses von »Dingen« oder »Naturvorgängen« handelnde Ge«* 
schäft hat aber mit der Arbeit der allgemeinen Ordnungslehre, soweit 
sie bis jetzt entwickelt ist, nichts zu tun. 
Im Rahmen der allgemeinen Ordnungslehre wird der Begriff der 
Klasse nur für die Mathematik und für ihre Grundlage, die alU 
gemeine Beziehungslehre, bedeutsam, wie sich an seiner Stelle zeigen 
wird. Mit Rücksicht auf diese später auszuführenden Dinge sagen wir 
schon hier, daß überall, wo Klasse mit Einzigkeiten setzend erfaßt 
wird, ein gewisser Hintergrund oder Rahmen, ein gewisses Mittel 
(»Milieu«), oder wie immer man es, mit einem stets ungeschickten 
Namen, benennen will, bestehen muß, »auf« oder »in« dem die Einzig** 
keiten bestehen. Das ist, dem eigentlich Bedeutungshaften nach, durch*« 
aus nicht immer »der Raum«, obschon sich, wie Bergson gezeigt 
hat, die Erfassung auf raumhaftem Hintergrunde als unvermeidliche 
Nebensächlichkeit praktisch s^ »phänomenologisch« immer mit ein* 
schleicht. 
10. EINIGE BESONDERHEITEN DER LEHRE 
VOM MITSETZEN 
a) INHALT UND UMFANG 
Wir gehen über zu einigen Besonderheiten der Lehre vom Mit*« 
setzen : doch ist es nicht dieses Werkes Aufgabe, die Lehre 
vom Mitsetzen in alle feinsten Verzweigungen zu verfolgen ; das ge^* 
hört der sogenannten »formalen Logik« als einer Sonderwissenschaft 
zu. Wir entwickeln hier vornehmlich solche Ergebnisse, die uns im 
Verlauf des Folgenden zu eigenem Gebrauch dienen werden. 
* Leibniz definiert einmal Identität als Möglichkeit der Substitution. Es ist aber viel* 
mehr der GLEiCHHEixssbegriff, der so definiert werden kann. 
60 
Inhalt einer Setzung war uns die Gesamtheit ihrer Merkmale; die 
Feststellung des Inhalts einer Setzung geschieht durch ihre Umgren«« 
zuNG (»Definition«), welche eben in Angabe ihrer Merkmale besteht. 
Im Sinne der reinen Ordnungslehre gibt es keine »wesentlichen« und 
»unwesentlichen« Merkmale, sondern eben nur »Merkmale« und nichts 
anderes. Ohne eigentliche Bedeutung für die Ordnungslehre ist auch 
die Unterscheidung von Wort^ und Sachumgrenzung. (»Nominal«^ 
und »Realdefinition«). Alles eigentlich Letzte an Merkmalen, seien 
sie Merkmale reiner Solchheit oder im engeren Sinne beziehlicher Art, 
läßt sich selbstverständlich überhaupt nur aufzeigen und nicht zqt^ 
gliedern; das Wort ist hier lediglich ein Zeichen, dessen Aussprechen 
das Gemeinte in seiner Unauflösbarkeit vor das Bewußtsein stellt. 
Aber auch einer zusammengesetzten Setzung Umgrenzung deckt in 
ihrem zerlegten Dasein nie völlig das zu Umgrenzende in seiner Ein«« 
heit; man hat daher passend gesagt, daß die »Definition« eigentlich 
den Begriff zerstöre; eine »rote Scheibe« ist eben doch mehr als »Rotes« 
und »Scheibenförmiges«. Des näheren kann dieses Verhältnis des Gan«« 
zen zu seinen Bestandteilen erst an späterer Stelle klar werden. Auch 
dann erhält erst die alte Vorschrift, daß man nach »genus proximum« 
und »differentia specifica« umgrenzen solle, ihren tieferen Sinn. — 
Die ältere, passend als »Dinglogik« zu bezeichnende Ordnungs«« 
lehre pflegte, im Gegensatz zu unserer »Setzungslogik«, nicht im In:« 
HALT das eine Setzung ursprünglich Kennzeichnende zu sehen, son:« 
dern im sogenannten Umfang. 
Der Umfang einer Setzung ist die Gesamtheit aller Setzungen, von 
denen sie als allgemeine mitgesetzt wird. Da eine merkmal«« oder in»» 
haltreichere Setzung stets die merkmal:« oder inhaltärmere mitsetzt, so 
ergibt sich ohne weiteres der Satz, daß eine Setzung um so umfang«» 
reicher ist, je inhaltärmer sie sich erweist, und umgekehrt. Den Um«« 
fang einer Setzung kann man auch ihr Geltungsbereich nennen. 
Es ist gelegentlich bemerkt worden^, daß der Satz von der Wechsel 
seitigen Beziehung zwischen Armut und Reichtum des Inhalts und 
Umfangs von Setzungen nicht allgemein gelte, und zwar sind es zwei 
besondere Gruppen von Setzungen, auf welche man sich bei solcher 
Behauptung berief: die sogenannten einfachen Empfundenheitsinhalte 
(»Qualitäten«) und die räumlichen Sondergebilde; beide gehen uns 
im einzelnen freilich erst später an. 
^ J. Bergmann, Grundprobl. d. Logik, 2. Aufl. 1895, S. öOJff: H. Bergmann, Das phil. 
Werk B. Bolzanos, 1909, S. 52 f. 
61 
Es sei, sagt man, die Setzung Farbe, welche von den Setzungen rot, 
GRÜN usw. mitgesetzt wird, deren Umfang also alle diese Setzungen 
umschließt, ebenso inhaltreich, wie das sie Mitsetzende; beides näm^ 
lieh sei »einfach«, das heißt, habe ein Merkmal. Das ist aber rein 
denkmäßig nicht richtig; vielmehr muß rot und grün usw., damit es 
überhaupt Farbe mitsetzen kann, vom Denken ausdrücklich als be= 
sondere Farbe, das heißt, als Farbe und noch etwas dazu erfaßt sein; 
dann aber ergibt sich das von uns dargelegte Verhältnis. 
In bezug auf räumliche Sondergebilde (»geometrische Figuren«) 
liegen die Verhältnisse ganz eigenartig, wie erst in der Lehre vom Raum 
ausgeführt werden kann. An diese Stelle gehört nur folgendes : 
Die Setzung »regelmäßiges Polyeder« meint: Körper mit lauter 
gleichen Ecken, Flächen, Winkeln, Kanten. Es läßt sich nun aus dieser 
Setzung »ableiten«, das heißt, durch sie »mitsetzen«, daß es nur 5 regu* 
läre Polyeder von ganz bestimmter Art geben kann; und das scheint 
der Lehre vom Mitsetzen zunächst überhaupt grundsätzlich zu wider« 
sprechen, denn hier würde ja das »Besonderte« vom Nichtbesonderten 
mitgesetzt. Die gedachte Mitsetzung erfolgt aber eben denkmäßig gar 
nicht allein aus der Setzung »regelmäßiges Polyeder überhaupt«, son^» 
dern bedarf der ergänzenden Beihilfe unseres besonderen Wissens um 
Räumliches. 
So nur kommt es dazu, daß hier einerseits zwar die Setzungen »regu« 
läres Tetraeder, Hexaeder, Octaeder usw.« die Setzung »reguläres Poly* 
eder« in üblicher Weise mitsetzen, andererseits aber auch die Setzung 
»reguläres Polyeder« von sich aus jene Gesamtheit von besonderten 
Setzungen »mitzusetzen« scheint. 
Wenn ferner aus dem »Begriff« des Kegelschnitts die Arten der 
Kegelschnitte durch die Beweisgänge der »analytischen« oder der 
»synthetischen« Geometrie abgeleitet werden, so ist auch das kein 
Widerspruch zu unserer Lehre vom reinen Mitsetzen, sondern hängt 
ebenfalls an Eigentümlichkeiten der besonderen Setzungen Zahl und 
Räumlichkeit, wie sich zeigen wird. 
Wir werden solche AllgemeinbegrifFe (»genus«*»Begriffe), aus denen 
sich, dem echten Mitsetzen entgegen, besondere (»species«*) Begriffe ge* 
winnen lassen, unentwickelte entwickelbare Begriffe nennen. 
Noch anders geartet ist die angebliche Schwierigkeit, daß etwa die 
Setzung »gleichseitiges Dreieck« mit der Setzung »gleichwinkliges 
Dreieck« ja doch selbig sei, daß also das in dem Urteil »alle gleich* 
seitigen Dreiecke sind gleichwinkelig« ausgedrückte Verhältnis nicht 
62 
irgendwie an Inhalts«« und Umfangs^Armut* oder ^Reichtum hänge. 
Von hier hat die Lehre von der sogenannten »Quantifikation des 
Prädikats« ihren Ausgang genommen; es müsse, so sagt sie, in Strenge 
heißen : »Alle gleichseitigen Dreiecke sind alle gleichwinkligen Drei:* 
ecke.« Dagegen ist aber zu bemerken: erstens, daß in jenem Urteil 
»alle gleichseitigen Dreiecke sind gleichwinklig« denn doch in der Tat 
etwas sehr viel Inhaltärmeres und Umfangreicheres, nämlich »das 
Gleichwinklige überhaupt« mitgesetzt wird; zweitens, daß die Mits= 
Setzung hier ganz offenbar gar keine rein »formale«, sondern eine 
durch das Wissen vom Räumlichen vermittelte ist. 
Es bleibt also dabei: Mitsetzend im Sinne der reinen allgemeinen 
Ordnungslehre ist stets die inhaltreichere Setzung, mitgesetzt, also 
BEGRÜNDET, NOTWENDIG die inhaltärmere, also geltungs^ umfangs^» 
reichere; jedenfalls muß die allgemeine Ordnungslehre alles immer in 
diesem Sinne wenden. 
Es soll nun mit diesem Streben nach Einfachheit der Sachlage durch* 
aus nicht ein gewisser Unterschied zwischen den Mitsetzungen »Grün- 
Farbe«, »Ellipse— Kegelschnitt«, »Katze— Raubtier«, »Gerechtigkeit- 
Tugend«, »eisernes Dampfschiff«— »eisernes Schiff« geleugnet werden. 
Aber das ist ein Unterschied, der, wie uns scheint, eben nicht die 
Lehre vom Mitsetzen als solche, sondern durchaus die Lehre von den 
Besonderheiten des Soseins angeht und daher erst an späterer Stelle 
des Ganzen für uns Bedeutung erlangen wird. »Formal« nämlich läßt 
sich sicherlich jedes dieser vier Beispiele als Mitsetzen auf Grund von 
Merkmalsverringerung im allgemeinen und unbestimmten Sinne des 
Wortes fassen. Sachlich allerdings stehen gewisse unserer Beispiele 
als Fälle von sozusagen innerlicher »Abstraktion« — um auch dieses 
Wort einmal zu verwenden — gewissen anderen, zumal dem letzten, 
als gleichsam äußerlichen Abziehungen gegenüber. Bei ersteren ist 
echt=verallgemeinerty bei letzteren, zumal beim allerletzten ist, ganz 
wörtlich gesagt, etwas abgezogen, fortgenommen. In unserem letzten 
Beispiel wird die Dampfmaschine gleichsam »herausgeholt«. Nicht so 
äußerlich ist aber das »Abziehen« bei einem Verhältnis des Mitsetzens 
wie etwa »Automobil— Wagen« oder »Eisernes Schiff— Schiff«. Doch, 
wie gesagt, das alles gehört in die Lehre vom Sosein, in Sonderheit 
vom Natursosein; sie erst hat von den Formen des Allgemeinen zu 
reden ^. Die reine Ordnungslehre kennt nur »das Allgemeine«, das 
heißt, das von vielem Mitgesetzte überhaupt, 
^ Abgesehen von den Lehrbüchern der Logik vergleiche man zur Frage des AlU 
63 
b) DIE URFORM DES SCHLUSSES UND DIE BEIDEN GRUNDSÄTZE 
ÜBER SCHLÜSSE 
WEIL A IST, IST a oder, in nur sprachlich anderer Form : Wenn A 
IST, IST a; A ist: also ist a — nämlich »gesetzt«; das also ist die 
denkmäßig ursprüngliche Form des Inhalts* Einschlusses, der Begrünst 
düng, ja des Schlusses überhaupt. Denn das Verhältnis »mitsetzen« 
IST der »Schluß« in seiner Urform. Daß das Denken hier weil sagt, 
das eben ist das ordnungsmäßig Neue. 
Alles nun, was sich im besonderen über Schlüsse, sei es in der bis 
jetzt erörterten oder in der »erweiterten« Form, ausmachen läßt, das 
ruht auf zwei Grundsätzen, welche sich ohne weiteres aus der Bedeus» 
tung des Mitsetzens ergeben. Wenn wir sprachlich das Wort Grund 
für das Mitsetzende, das Wort Folge für das Mitgesetzte verwenden, 
so lautet der erste Grundsatz, den wir hier meinen: Grund bejahen 
HEISST Folge bejahen, Folge verneinen heisst Grund verneinen. An* 
ders und im Sinne der Ordnungslehre besser: Mitsetzendes Dieses 
SETZEN HEISST AUCH VOM DiESES MiTGESETZTES SETZEN Und NlCHT^DIESES 
SETZEN HEISST NICHTS SETZEN, WAS »DiESES« MITSETZEN WÜRDE. Man muß 
sich im Sinne der reinen Ordnungslehre hüten, hier an seelenmäßige 
oder gar dinghafte Verhältnisse zu denken; urteilsmäßiges Verhalten, 
erst recht natürlich »Ursächlichkeit« geht uns hier gar nichts an. 
Daß die Sätze »Grund verneinen heißt Folge verneinen« und »Folge 
bejahen heißt Grund bejahen« unrichtig sein würden, oder besser, in 
unserer Sprache, daß sie keine Sätze sind, ist unschwer einzusehen; 
unser a (= a, c, d) könnte doch mitgesetzt sein, auch wenn A (= a, 
b, c, d) sicherlich nicht gesetzt gewesen war, nämlich etwa von einem 
B (= a, 1, c, d); und wenn a als Mitgesetztes »bejaht« wird, so weiß 
man daraus offenbar gar nichts über Mitsetzendes — es mag A sein, 
aber es kann auch B sein, oder irgend etwas anderes. Freilich besitzt, 
wie sich sogleich zeigen wird, der eine der beiden von der üblichen 
Logik abgelehnten Sätze über Grund und Folge in einer ganz be^» 
stimmten Hinsicht doch seine Bedeutung. — 
Der zweite Grundsatz für alle Schlüsse läßt sich am besten formen 
unter Verwendung eines Wortes, dem wir an späterer Stelle seine 
strenge Bedeutung in allen ihren Einzelheiten geben werden, das wir 
aber auch hier schon verwenden können, da es dem Wesentlichsten nach 
gemeinen J. Bergmann, Grundprobl. d. Logik, II. Aufl. 1895, S. 60f.; Messer, Emp* 
findung und Denken« (1908), S. 124 ff., Hugo Bergmann, »Das phil. Werk B. Bol* 
zonos (1909) § 24 und 25 und, selbstredend, Husserls »Log. Unters.«, Bd. IL 
64 
aus sich selbst verständlich ist, des Wortes Mannigfaltigkeit. Mannig^» 
faltigkeit ist Setzungs*»inhalt« mit Rücksicht auf den Reichtum oder 
Grad an Zusammengesetztheit aus unzerlegbaren Letztheiten be^ 
trachtet. Da ergibt sich denn ohne weiteres aus dem Begriffe der 
Mannigfaltigkeit und ihres Grades der Satz: 
Die Folge ist nie reicher an Mannigfaltigkeit als der Grund. 
Dieser Satz ist berufen, in der gesamten Philosophie eine ganz 
grundlegende Rolle zu spielen, (in der Lehre von der Ursächlichkeit, 
mit Rücksicht auf die Wirklichkeitslehre oder Metaphysik und sonst 
noch.) 
Und dieser Satz ist es auch, welcher geeignet ist, den einen der 
beiden obengenannten »falschen« Sätze über Bejahung oder Ver* 
neinung von Grund oder Folge in gewisser Hinsicht doch richtig er* 
scheinen zu lassen: Setze (»bejahe«) ist Etwas als »Folge«, d. h. als 
Mitgesetztes, so weiß ich, daß irgendein für seine Setzung in Frage 
kommender »Grund« jedenfalls nicht mannigfaltigkeitsärmer ist, 
als es selbst. 
c) DER ERWEITERTE SCHLUSS 
Der »erweiterte« oder der »mittelbare« Schluß^ (»Syllogismus«) 
geht von einem ursprünglich Mitsetzenden über ein erstes Mit:« 
gesetztes hinaus zu einem zweiten Mitgesetzten, oder beliebig weiter 
(»Kettenschluß«) : 
A setzt a mit 
a setzt a mit 
ALSO setzt A a mit 
Kurz: Die Folge der Folge ist Folge des Grundes. 
Das wenigstens ist die letzte denkmäßige Grundlage alles mittel* 
baren Schließens^. Das Neue, das hier dem weil, das heißt dem Mit* 
SETZEN hinzugefügt wird, ist die Einsicht in das übergreifende, das 
^ über die aus dem ursprünglichen inhaltlichen Mitsetzungsverhältnis als sogenannte 
»unmittelbare Schlüsse«, unter Verwendung der Begriffe »alle«, »einige«, »nicht« und 
bei Beachtung der Umfangsverhältnisse, sich ohne weiteres ergebenden Setzungss 
beziehungen haben wir keine Veranlassung hier zu reden. Gelegentlich werden wir 
diese Dinge zum Teil kurz streifen. ^ Und dieses ist seine denkmäßig unmittelbare 
Form; in ihr steht also der »Untersatz« voran! So schon Leibniz (Nouv. ess. IV, 
cap. 2, § 1), der in besonderer Schärfe die prinzipiell einfache und einheitliche Natur 
der gesamten Schlußlehre betont. — Über die verschiedenen »Figuren« des Syllogis* 
mus vergl. die Handbücher der Logik. Sie sind bekanntlich alle auf die »erste Figur« 
zurückzuführen. 
5 Driesch, Ordnungslehre OD 
»transitive« Wesen der Bezeichnung mitsetzen; davon reden wir in 
allgemeiner Hinsicht erst später. 
Alles Schließen, sei es mittelbar oder unmittelbar, ist für die reine 
Ordnungslehre immer und überall dasselbe, und beruht lediglich auf 
der unauflöslichen Bedeutung des weil, oder, umgekehrt, des deshalb, 
des ALSO, und auf seinem übergreifenden Wesen. Wenn im Einzelnen 
die Lehre von den Schlüssen sich zu einem recht zusammengesetzten 
Gebäude ausgestaltet — wie in der »formalen Logik« untersucht wird 
— so liegt das immer nur an den Umkehrungsbeziehungen von Um* 
fang und Inhalt einer Setzung, an dem Hineinspielen des Nichts«A 
und an der größeren und geringeren Mittelbarkeit der Beziehung 
zwischen Mitsetzendem und Mitgesetztem. 
Aber Schließen bleibt immer Mitsetzen wegen eines Verhältnisses 
des Mannigfaltigkeitsgrades von Setzungen. Es ist nicht richtig, daß 
die Aussage »A ist größer als B, B größer als C, also ist A größer als 
C« ein »Schluß« sei.^ In diesem angeblichen Schluß liegt nur ein 
kurzer sprachlicher Ausdruck für das transitive Wesen der Beziehung 
GRÖssER:sSEiN, voT. Und ähnlich liegt es bei anderen angeblichen Son^ 
derarten des »Schließens« auf dem Gebiete der Lehre von den Be* 
Ziehungen, z. B. allgemein anordnungsmäßiger oder etwa insbesondere 
räumlicher Art. Will man jene Einsicht über das »Größersein« zu 
einem echten Schlüsse formen, so muß man sagen: »Was größer als 
etwas größer als C Seiendes ist, ist größer als C ; nun ist A größer als 
das größer als C seiende B, also A größer als C.« 
Wir könnten jetzt unsere Darstellung der Lehre vom Schlüsse, von 
der Begründung, für beendet erklären — sie ist der eigentlichen Sach* 
gemäßheit nach beendet — , wäre sie nicht von uns in einer Weise aus»» 
gestaltet worden, die gar zu sehr von der üblichen abweicht; ja so sehr, 
daß es unser Bestreben sein muß, ausdrücklich keine Zweifel darüber 
aufkommen zu lassen, wie so ganz und gar die übliche Lehre vom 
Schlüsse in der unsrigen enthalten ist. 
d) DAS ENTWICKELTE URTEIL 
Die üblichen Darstellungen der Lehre vom Schlüsse gehen aus 
von einem Gebilde, das zwischen ihm und dem »Begriffe« eine 
Mittelstellung einnehmen soll, dem »Urteil«. Wir selbst faßten nun 
in unsere Setzung den Begriff und das Urteil in seiner einfachsten 
* Die sogenannten unmittelbaren »Relations«?Schlüsse sind also keine »Schlüsse. 
Man darf hier nicht Psychologie mit Logik verwechseln. 
66 
Form zusammen, indem wir sagten, es sei eben jede Setzung gleicher** 
maßen Begriff und Urteil, sie sei nämlich gesetzt (A), aber eben gesetzt 
mit dem Bewußtsein, daß sie da sei (A ist). Was die übliche Denk* 
lehre »Urteil« nennt, wollen wir daher entwickeltes Urteil nennen ; 
es drückt sich aus in dem aus »Subjekt«, »Kopula« und »Prädikat« 
bestehenden Satz. 
a) DAS REINE ENTWICKELTE URTEIL 
Ohne weiteres in seiner Bedeutung durchsichtig erscheint uns nun 
das entwickelte Urteil, wenn es nichts anderes als Ausdruck der 
einfachsten Form des Mitsetzens überhaupt ist.^ Das entwickelte 
Urteil ist in diesem Falle der Urschluss. 
»S ist P« bedeutet hier: »die Setzung S setzt die Setzung P mit«. 
Das »ist« steht hier nur als kurzer Ausdruck des Verhältnisses des 
Mitgesetztseins. Hierdurch erledigen sich ohne weiteres viele angeb«» 
liehe Schwierigkeiten. 
Das entwickelte Urteil in diesem Sinne ist das auflösende (analy:* 
tische) Urteil der üblichen Logik. Wir werden darauf und auf das, 
was das »Urteil« sonst noch sein kann, zurückkommen. Zunächst ver* 
folgen wir die übliche Urteilslehre noch ein wenig. 
ß) ZUR ÜBLICHEN URTEILSLEHRE 
Die »Urteile« werden bekanntlich, auf Grund alter Überlieferung, 
nach den Gesichtspunkten der sogenannten »Quantität, Qualität, 
^ Hegel: »Das Einzelne ist das Allgemeine« (Encycl. § 169); freilich nur in dem 
Sinne : »Wo das Einzelne gesetzt ist, da ist auch in gewissem Sinne Allgemeines ge* 
setzt«. H. Maier (Psychol. d. emotional. Denk. 1908, S. 299): »Es gibt in Wirklich:: 
keit keinen besonderen Akt des Schließens, der dem Urteil gegenüberstände und 
zu ihm hinzu käme«. Man vergleiche auch Windelbänds Satz (Festschr. f. Sigwart, 
S. 46), daß Urteil und Begriff »nur verschiedene Stadien derselben logischen Funk* 
tion seien«, ferner der Logistiker (s. S. 59 Anm.) und B. Erdmanns (Logik I, S. 203 
und sonst, und auch Festschr. f. Sigwart, S. 18 des Sonderabdruckes) Eintreten für den 
Primat des Inhalts der Begriffe und seine Abweisung der »Subsumptionsdeutung« 
des Urteils. Ferner: Wundt, Syst. d. Phil. 1889, S. 65 und sonst, sowie Riehl, Phil. 
Kritiz. II, S. 43 f. LossKij (Logos III, S. 341 ff.; Encyclop. d. Phil., Logik I, S. 267). 
Bosanquet (Logik I, 31 ff.) u. a. — Immerhin braucht die »Logik« zwei Arten des 
Setzens: das reine Setzen und das Mitsetzen; ersteres verknüpft »Begriff« und 
»Urteil«, letzteres »Urteil« und »Schluß« der älteren Logiker. — Es geht aus unserer 
Darstellung hervor, daß wir die Lehre von der Notwendigkeit einer »Quantifikation 
des Prädikats« der Urteile nicht annehmen können und ebensowenig den Satz 
LoTZES (»Logik« S. 78; Grundzüge d. L., S. 26), daß alle Urteile sich »vor dem Gesetz 
der Identität rechtfertigen« müssen. Das »ist« des Urteils soll gar nicht dasselbe 
bedeuten, wie das »ist« im A ist A. 
'• 67 
Relation, Modalität« eingeteilt. Die neue Logik hat das durchaus 
ungleichwertige dieser Einteilungsgesichtspunkte erkannt. Die söge* 
nannte Modalität zumal bezeichnet nur ein Verhalten des Urteilenden 
zu einer Frage und gehört, so geformt wenigstens, der Seelen* und 
nicht der allgemeinen Ordnungslehre an. Allenfalls könnten wir, wenn 
wir rein gegenständlich sprechen wollen, sagen, daß die Modalität 
eines Urteils seinen »Endgültigkeitsgrad« ausdrücke, wozu später ge* 
redet werden wird. 
Zum Ausdruck der »Quantität« ihrer Urteile verwendet die übliche 
Denklehre bekanntlich die Ausdrücke Alle, Einige, Eines. Das kann 
zu Mißverständnissen führen; es kann nämlich den Anschein erwecken, 
als sage das Urteil unter allen Umständen nur etwas Klassenmäßiges 
und nichts eigentlich Setzungsmäßiges aus. Das kann nun das Urteil 
im Sinne der »empirischen« Wissenschaft ganz gewiß tun, wie wir 
später sehen werden; aber das Urteil, von dem wir jetzt reden, das ein^^ 
fache, klare, entwickelte Urteil im Sinne des Mitsetzungsverhältnisses 
tut das ganz und gar nicht. Für dieses heißt »alle Menschen« nur die 
Setzung »Mensch« und gar nichts anderes. Ein Mensch (Cajus) ist 
Einzigkeit der Setzung Mensch als Naturklasse gefaßt; das ändert an 
der Setzung nichts, wie denn ja auch die übliche »Logik« Einzigkeits* 
urteile wie allgemeine Urteile behandelt. 
Eine gewisse Schwierigkeit scheint das Einige der »partikulären« 
Urteile der klaren Erfassung von unserem Standpunkt aus zu machen. 
Diese Schwierigkeit ist aber nur scheinbar^. Ebensowenig wie das 
alle der allgemeinen Urteile braucht das einige der »partikulären« 
klassenmäßig gemeint zu sein, ja es soll so im Sinne der reinen Ord* 
nungslehre überhaupt nicht gemeint sein. »Einige Katzen sind grau« 
kann ja zwar heißen, daß gewisse abgezählte Katzen diese Farbe be* 
sitzen, womit denn über die nicht abgezählten nichts behauptet zu 
werden braucht^; im Sinne der reinen Mitsetzungslehre, in unserem 
^ SiGWART (Logik, 3. Aufl., I. S. 223): »Wo das Subjekt nicht in empirischem Sinne 
genommen werden soll, ist es [sc, das partikuläre Urteil] ein durchaus inadäquater 
Ausdruck für den Gedanken, welchen es bezeichnen soll, und verwirrt den durch* 
greifenden Unterschied der empirischen und der unbedingt gültigen Urteile«. 
Es . . . »gehört zu den unglücklichsten und unbequemsten Schöpfungen der Logik«. 
* Die übliche Logik lehrt, daß das einige das alle nicht ausschließen solle, vielmehr 
gar nichts über das alle sage. Das gilt natürlich auch von unserer Darstellung, die 
das EINIGE über den Inhalt eines Sonderumfangsbezirkes aussagen läßt; es hat aber 
wohl lediglich praktische Bedeutung. Gesetzt ist selbstredend auch nach uns nur, 
was gesetzt ist. 
68 
hier festgelegten Sinne, heißt es aber, wenn anders es in ihrem Sinne 
überhaupt etwas »heißt«: Die Setzung »Katze« gliedert sich umfang* 
lieh in mehrere Sondersetzungen, und von diesen Sondersetzungen 
setzt die eine inhaltlich die Setzung »grau« mit. Um das Einige zu ver* 
stehen, muß also auch einmal auf Umfangs* und nicht nur auf Inhalts«» 
Verhältnisse zurückgegangen werden^. 
Die »Relation« der Urteile auf unsere Weise zu deuten, haben wir 
nicht schwer: Das »kategorische« Urteil ist einfach unser entwickeltes 
Urteil in seiner ursprünglichen Bedeutung. Wenn dieses ein Mitsetzen, 
eine Begründung, ausdrückt, kann es eben auch »hypothetisch«, d. h. 
mit Hilfe der Worte Wenn oder Weil ausgedrückt werden: Weil 
Katze (gesetzt) ist, ist Raubtier (gesetzt). Beim »disjunktiven« Urteil 
muß, ganz wie beim »partikulären«, nicht nur auf Inhalts*, sondern 
auch auf Umfangsverhältnisse zurückgegangen werden: »Katzen sind 
grau oder weiß oder schwarz«, das heißt eben nichts anderes als: 
»Einige Katzen sind grau, einige weiß, einige schwarz«. Der Umfang 
der Setzung »Katze« wird hier auf Grund des ^X^ssens um verschie«« 
dene inhaltsreichere »Arten« zerfällt; verschiedene Setzungen von 
der Form »besonders gefärbte Katze« setzen eben inhaltlich alle 
»Katze« mit. 
Die übliche »Logik« hätte unseres Erachtens, eben weil sein Ur.» 
Sprung aus nicht rein denkmäßiger Quelle stammt, besser getan, das 
»disjunktive« Urteil als formale Sonderart zu streichen und an seiner 
Stelle das »vollständig ^konjunktive« oder »konstitutive« Urteil als 
Grundform aufzustellen, jenes Urteil nämlich, welches einem »Sub»« 
jekt« die Gesamtheit seiner »konstituierenden Prädikate« gibt, d. h. von 
einer Setzung die Gesamtheit seiner unzerlegbaren Mitgesetztheiten 
aussagt. Dieses Urteil ist dasjenige der Umgrenzung (Definition«)^; 
* Eine lehrbuchmäßige Darstellung dieser Verhältnisse hätte hier gewisser Mannig* 
faltigkeiten zu gedenken, die z. B. in den Urteilen »Einige Hunde sind schwarz« 
und »Einige Hunde sind Pudel« zum Ausdruck kommen. Im ersten Beispiel setzt 
eine unter den Umfang Hund fallende Sondersetzung eine andere Setzung (»schwarz«) 
mit, welche auch, aber umfangsmäßig gesondert, d. h. in bezug auf ihre anderen 
Sonderumfangsbezirke, von vielen anderen Setzungen (z. B. Katze, Pferd usw.) mit* 
gesetzt wird. Im zweiten Beispiel setzt eine unter den Umfang Hund fallende Son* 
dersetzung eine andere Setzung (»Pudel«) derart mit, daß ihr Umfang in das Mit* 
gesetzte völlig aufgeht; dieser zweite Fall wird übrigens passender als bloße Namen* 
gebung aufgefaßt: »Einige Hunde heißen Pudel«. Vergl. auch Lotzes Unterscheid 
düng von »Subordination« (= Unterordnung unter ein Genus) und »Subsumption« 
(= Unterordnung unter ein Merkmal). ^ Vergl. meinen Aufsatz in den »Kant* 
Studien« Bd. 16, 1911, S. 22. 
69 
es kann in seinem eigentlichen denkmäßigen Wesen erst später ver«* 
standen werden. 
Im übrigen muß hier alles der »formalen Logik« als einer Sonder^ 
Wissenschaft überlassen bleiben. Wir erwähnen nur noch, daß das 
»disjunktive« Urteil, wenn es vollständige Zerfällung eines Umfanges 
ausdrückt, sich auch »hypothetisch« fassen läßt, nämlich : »Wenn A 
nicht Ai ist, so ist es Ag oder A3«; läßt sich doch schon der Satz vom 
ausgeschlossenen Dritten »hypothetisch« fassen. 
Ein paar Worte mögen noch dem »negativen« Urteil gewidmet sein, 
und da ist nun an erster Stelle unserer schon an früherem Orte getanen 
Aussage zu gedenken, daß »nein«s'sagen und Nicht*« Aussetzen zwei ganz 
verschiedene Dinge sind. Das »nein«»»sagen gehört in denselben Rahmen 
wie die »Modalität« und bezeichnet Stellungnahme, also etwas Seelen* 
haftes. Psychologisches. Es gehört in die an viel späterer Stelle zu er* 
örternde Lehre vom »Nachdenken«. Wer die Logik mit dem »Urteilen« 
beginnt und dann Urteilen als »Stellungnahme« faßt, verdirbt sich die 
ganze Logik und ist »Psychologist«, mag er es nun wollen oder auch 
glauben, es nicht zu sein. 
Das negative Urteil ist also etwas ganz anderes als das Nein*sagen 
zu einem vorgelegten Urteilssinn, welcher seinerseits natürlich »positiv« 
oder »negativ« sein kann. »Nein«s'sagen nun heißt: »ist falsch«*sagen. 
Also gehört auch das »Dieser Urteilssinn ist falsch« oder »S ist P 
(bezw. Nicht* P) ist falsch« in die Psychologie. 
Nur das »nicht A«, also, in üblicher Form, das »S ist nicht P« ge* 
hört in die reine Ordnungslehre, und zwar im Sinne des »Nicht*A«. 
»S ist nicht P« kann aber immer durch »S ist Nicht* P« ersetzt werden, 
ja, SOLLTE immer so ersetzt werden. 
y) DAS AUFLÖSENDE URTEIL 
Unsererseits kennen wir das entwickelte Urteil bisher nur als auf* 
LÖSENDES (analytisches), d. h. als Ur*schluß. Ehe wir in der Be* 
trachtung alles dessen, was »Urteil« genannt wird, weitergehen, ist 
es nun von großer Bedeutung, zu betonen, dass in jedem zusammen* 
GESETZTEN SCHLUSSE ALLE »UrTEILE« als ANALYTISCH angesehen WERDEN, 
MÖGEN SIE IM LETZTEN GrUNDE SEIN, WAS SIE WOLLEN. 
Diese große Bedeutung des Begriffs der Auflösung oder Mitsetzung 
im eigentlichen »Schlüsse«, also zumal im Syllogismus, rechtfertigt 
es, dem Begriff der Auflösung gerade in ihm noch einige Worte zu 
widmen. 
70 
Der Schluß redet nur von Setzungen und Mitsetzungen und von gar 
nichts anderem. 
»Alle Menschen sind sterblich«, dieses Urteil ist ja sicherlich aus 
»Empirie« geboren, es ist in Strenge nur klassenmäßig. Aber die 
Schlußlehre nimmt das »alle Menschen« als mit sich selbige Setzung 
»Mensch«, welche in ganz bestimmter Weise inhaltlich umgrenzt ist, 
und eben diese Setzung setzt mit. Ja, sogar das Urteil »Mein Hund 
ist krank« wird, wenn es in einem Schlüsse steht, als analytisch be* 
trachtet. 
Nur auf das Mitsetzen kommt es beim Schlüsse an, nicht auf die 
Besonderheit dessen, was mitsetzt, insonderheit auch nicht auf dessen 
»Richtigkeit« oder »Unrichtigkeit«. Die Setzung »Grüne Katze« setzt 
»grün« und weiterhin »farbig« mit, obwohl es grüne Katzen »nicht 
gibt«; die Unsetzung »viereckiger Kreis« sogar setzt »viereckig« und 
weiterhin »eckig« mit. Oder in anderer, üblicher Form: 
Kreise sind viereckig 
Viereckiges ist eckig 
Kreise sind eckig. 
Der »Schluß« selbst ist hier »richtig«; eine der »Prämissen«^ war 
»unmöglich«,^ also ist der Schlußsatz inhaltlich unrichtig. Das aber 
ficht die Richtigkeit des Schlusses als solchen nicht an. 
Die Möglichkeit, aus Unrichtigem, ja sogar Unmöglichem, »richtig« 
auf Unrichtiges oder Unmögliches zu schließen, stellt es besonders 
deutlich vor Augen, daß das Mitsetzen, das Begründetsein, das Notj« 
WENDIGSEIN, ein letzter, unauflösbarer Bestandteil der Ordnungslehre 
ist, obwohl er auf teilweiser Selbigkeit beruht. — Sagten wir doch 
übrigens, daß das »beruhen« eben schon das weil einschließe. 
Das entwickelte Urteil, soweit wir es bis jetzt kennen gelernt haben, 
löste durch seine mitsetzende Kraft eine Setzung auf, besser vielleicht: 
löste etwas aus ihr heraus.^ Wir wollen es eben daher auch unsererseits 
das AUFLÖSENDE (»analytische«) Urteil nennen, was auch dem Sprach* 
gebrauche der üblichen Lehre entspricht. Da, wie wir sahen, die Logik 
bei ihrer Lehre vom Schlüsse jede Setzung streng nur als Setzung ver* 
wendet — gleichgültig ob dazu eine im engeren Sinne »sachliche« Be* 
^ Hier wie überall stellen wir den »Obersatz« nicht voran, sondern an zweite Stelle ; 
so allein entspricht es der ursprünglichen Ordnung des Mitsetzens (vergl. S. 65). 
* s. S. 47 f. ^ Wirklich eine Setzung »auf«4ösen tut nur das vollständig konjunktive 
Urteil von der Form »S ist Pi und Pa und Ps und Pn«, d. h. das Urteil der 
bis ins letzte gehenden Definition. 
71 
rechtigung vorliegt oder nicht — , so können wir nun verstehen, daß 
die Logik in der Lehre vom Schlüsse, nur das auflösende Urteil, oder 
besser vielleicht, das Urteil nur als auflösendes überhaupt kennt. Sie 
könnte es im Schlüsse, der ja auf dem übergreifenden Wesen der Be* 
Ziehung mitsetzen beruht, gar nicht gebrauchen, täte sie das nicht. 
»Es gibt« nun aber auch nicht auflösende Formen des »Urteils«, 
oder, strenger gesprochen, es gibt noch andere Sachverhalte als den 
des reinen Mitsetzens, welche sprachlich in der Form »S ist P« zum 
Ausdruck gelangen und herkömmlicherweise »Urteile« heißen. 
ö) REINE NATURSETZUNGEN IN URTEILSFORM 
Ein Beispiel mag, einleitend, die eine dieser Formen des entwickele» 
ten Urteils darstellen: 
»Dieser Hund läuft«. 
Wollen wir verstehen, was dieses Urteil für die Ordnungslehre he^ 
deutet, so müssen wir einmal den Boden der reinen allgemeinen Ord* 
nungslehre verlassen und einiges aus der Lehre von der Naturordnung 
vorwegnehmen. 
Wenn das entwickelte Urteil uns bisher der Ausdruck des Mit* 
Setzungsverhältnisses, also selbst schon ein »Schluß« war, wenn uns 
A IST a bedeutete: »A ist« setze ich, darum setze ich auch »a ist«, so 
ist klar, daß entweder jener Satz »Dieser Hund läuft« überhaupt nicht 
als entwickeltes Urteil bezeichnet werden darf, oder aber, daß dem 
Worte »entwickeltes Urteil« ein anderer Begriff zugeordnet werden 
muß als bisher. Es nützt uns jedenfalls nichts zu sagen, es sei unser 
Satz von dem laufenden Hunde doch nun einmal ein entwickeltes 
Urteil; der Sprachform nach ist er es gewiß, aber mit der Sprachform 
haben wir es nicht zu tun, sondern mit der Ordnungsform. 
In der Tat ist der Satz »Dieser Hund läuft« ursprünglich kein ent* 
wickeltes Urteil im Sinne unserer Lehre; er ist ursprünglich reine 
»Natur«s'Setzung, nicht drückt er irgendwie ein Mitsetzungsverhältnis 
aus; und zwar betont er in der Setzung, welche er setzt, sogar aus* 
drücklich deren Natureinzigkeit, von der später zu reden sein wird. 
»Dieser laufende Natur^Hund« oder »Laufender Naturhund ist jetzt 
hier« das ist es, was der Satz denkmäßig sagen will, weiter nichts. Und 
das Gleiche gilt von allen Einmaligkeits* oder Einzigkeitssetzungen. 
Aber freilich: für einen »Schluß« gilt auch »Dieser Hund läuft« als 
analytisch — (»was läuft, kann fallen«, »also kann dieser Hund 
fallen«). 
72 
e) DAS BEGRIFFSSCHAFFENDE URTEIL 
Etwas umständlicher gestaltet sich die Erledigung eines Beispiels 
von der Form »Die Walfische sind Säugetiere«. 
Die übliche »Logik« nennt diesen Satz, ebenso wie etwa den folgen* 
den »Die Planeten bewegen sich in Ellipsen«, ein durch »Induktion« 
gewonnenes Erfahrungsurteil. Damit ist ohne weiteres gesagt, daß es 
kein »deduktives«, kein ableitendes, also kein »mitsetzendes« Urteil 
in unserem Sinne sei. Ausdrücklich soll gemeint sein, daß da gewisse 
Setzungen vorhanden seien, die Setzungen »Walfisch« oder »Planet«, 
daß aber diese Setzungen, so wie sie als A und als B gesetzt sindy die 
Setzungen »Säugetier« und» sich in Ellipsen bewegen« nicht mitsetzen. 
»Erfahrung«, unsere Gewohnheitserfahrung, nun soll lehren, daß 
jene Setzungen derart inhaltlich »verändert« werden können, daß sie 
diese Mitsetzungen doch leisten; in die Begriffe »Walfisch« und 
»Planet«, so heißt es, werden »neue Merkmale aufgenommen«, welche 
eben diese Begriffe zu mitsetzenden machen. Ursprünglich aber, wie 
gesagt, setzen sie nicht mit; daher sind ursprünglich unsere beiden 
Beispielsätze der Ausdruck einer »Begriffserweiterung« im Gegensatz 
zur uns bekannten Begriffserläuterung oder Begriffsauflösung; unsere 
Beispiele sind, so heißt es, »(gewohnheits)erfahrungsmäßige begriffst 
erweiternde Urteile« (»synthestische Urteile a posteriori«), aber, wohl«» 
gemerkt, nur ursprünglich. 
In diesem scheinbar klaren, sich an die übliche Logik anschließenden 
Satzgebäude stecken manche Dunkelheiten. 
Zunächst einmal kann eine Setzung nicht »inhaltlich verändert«, 
sondern höchstens /lir die Zwecke des praktischen Denkens durch eine 
andere ersetzt werden; Setzung nämlich bleibt Setzung; A bleibt A. 
Es mag praktisch sein, für die Bewältigung der Erlebtheit, vornehmlich 
der »Natur«, durch das Denken anstatt eines A ein A' besonders betont 
festzuhalten. Daraus aber folgt, daß »Walfisch« als Setzung vor dem 
Wissen um das »sind Säugetiere« eine andere Setzungist als nachher ; nur 
das Wort »Walfisch« blieb sich gleich. Die übliche Denklehre begeht 
also eineUngenauigkeitimAusdrucLNicht von »begriffserweiternden«, 
sondern von begriffsschaffenden Urteilen muß hier geredet werden. 
Im einzelnen ist der Vorgang des Gewohnheitserfahrungsgewinnes, 
was schon an dieser Stelle gesagt sein mag, etwa dieser: 
Da sind viele Einzigkeitssetzungen (»Beobachtungen«): »Dieser 
Walfisch hat ein Junges an der Brust«, »Dieser Walfisch hat Milch* 
drüsen«, »Dieser Walfisch atmet an der Luft« usw. 
73 
Nun sage ich : Würde ich an Stelle der Setzung »Walfisch A«, welche 
»Fisch« mitsetzt, die Setzung »Walfisch B« setzen, welche die Setzung 
»Säugetier« mitsetzt, so wäre alles in jenen Einzigkeitssetzungen Ge* 
setzte mitgesetzt. 
Der Satz »Die Walfische sind Säugetiere« ist also zunächst nur Aus* 
druck des Versuchs, ein Mitsetzendes zu gewinnen; ja, alle »Induktion« 
bedeutet nichts anderes als Versuche, mitsetzende Setzungen zu ge= 
winnen und so recht viele Einzelsetzungen zu mitgesetzten zu machen^. 
Warum ich dieses Mitsetzende wünsche, warum ich möglichst viele 
Setzungen als mitgesetzt erscheinen lassen will, das geht uns hier noch 
nicht eigentlich an, das gehört in die Lehre von der Sparsamkeit der 
Setzungen, soweit sie die Lehre vom Gefuge der Naturbegriffe he^ 
rührt. Hier reden wir nur von der denkmäßigen Beschaffenheit gewisser 
sprachlich als entwickelte Urteile erscheinenden Sätze, wie eben »Die 
Walfische sind Säugetiere«, und da dürfen wir denn jetzt sagen: 
Das entwickelte Urteil kann neben seiner das reine Mitsetzungs^ 
Verhältnis, also das Mitgesetzte, das Abgezogene, das »Abstrahierte«, 
ausdrückenden Bedeutung, in welcher es begriffsauflösend ist, auch 
die Bedeutung haben, versuchsweise eine Vereinheitlichung des durch 
Gewohnheits^Erfahrung gewonnenen Wissens darzustellen; in dieser 
Bedeutung drückt es nicht ohne weiteres ein »Mitgesetztes« im so»« 
genannten Prädikate aus, sondern ein »als mitgesetzt erscheinen Sol^« 
lendes«. Es ist Ausdruck des Umstandes, daß, wenn an Stelle der zeits* 
lieh vor der neuen »Erfahrung« bestehenden »Subjekts«s'setzung eine 
andere Subjekts^^setzung treten würde, zu deren Merkmalen das im 
»Prädikate« Gesetzte gehören würde, nunmehr diese Prädikatssetzung 
und alle ihre einzelnen Folgen als mitgesetzt erschienen. 
Ein begriffsschaffendes Urteil besteht also seelenmäßig nur vorüber* 
gehend, streng genommen, nur bei seinem ersten Ausgesagtwerden ; 
sowie aber, ungenau aber verständlich gesprochen, das »Prädikat« in 
das »Subjekt« »aufgenommen« ist, ist das Urteil begriffsauflösend; 
freilich ist es dabei nur den Worten nach »dasselbe« geblieben. 
Oder, nicht psychologisch, sondern streng gegenständlich (»logisch«) 
gesprochen: Ob ein Urteil analytisch oder synthetisch ist, das hängt 
nur davon ab, wie der Subjektsbegriff definiert war. Ist er so definiert, 
daß seine Definition den Prädikatsbegriff enthält, so ist es analytisch, 
sonst nicht. »Naturgegenstände« mit selbständigen, vielleicht noch un«« 
* Durch den Satz »Planeten bewegen sich in EUipsen« werden alle einzelnen Be* 
obachtungsorte für einen Planeten ein für allemal mitgesetzt. 
74 
bekannten »Eigenschaften« gehen die allgemeine Ordnungslehre gar 
NICHTS an; nur Gesetztes als Gesetztes geht sie an. Auch mit Worten 
hat sie es nicht zu tun, sondern nur mit dem durch Worte bezeichneten 
Gesetzten. Davon allein, was das Wort »Walfisch« setzungshaft be** 
zeichnen soll, hängt es also ab, ob »Walfische sind Säugetiere« ein 
analytisches Urteil ist oder nicht. Überhaupt hat jede Beurteilung eines 
vorliegenden »Urteils«, auf seinen analytischen oder synthetischen 
Charakter hin, von der ganz einfachen Frage auszugehen: Wie sind 
Subjektssetzung und Prädikatssetzung definiert? Diese Anweisung 
gilt ohne Rücksicht auf das Seinsfeld, welches die Urteilsinhalte be^ 
treffen, also auch für das, was Kant »synthetische Urteile a priori« nennt. 
Man verdirbt sich einen einfachen Sachverhalt von vornherein gründ* 
lieh, wenn man das nicht beachtet. — 
Die Art der »Induktion« oder Erfindung oder Einführung, ganz 
wörtlich genommen, von der hier die Rede war, werden wir später als 
Klasseninduktion bezeichnen, da sie von der Erfassung einer (Natur:*) 
klasse ausgeht, obschon sie sich nicht in dem Begriff der »Klasse« er*» 
schöpft. 
Es gibt noch eine tiefere Art der »Induktion«, d. h. der Gewinnung 
von Setzungen, welche viele bekannte Setzungen mitsetzen; durch sie 
wird z. B. aus den Keplerschen Gesetzen das Newtonische Gesetz ge* 
Wonnen. Von dieser Art der Induktion, welche nur möglich ist, wo 
»mathematisiert« werden kann, wo »unentwickelte entwickelbare Be* 
griffe« ^ eine Rolle spielen, reden wir später. 
Inwiefern sachliche, auf Dinghaftigkeits^« und Eigenschaftsverhält* 
nissen beruhende, Unsicherheiten und Vermutungen (»Hypothesen«) 
hier in das rein Ordnungsmäßige mithineinspielen, das geht die reine 
Ordnungslehre natürlich gar nichts, die Lehre vom praktischen Wissen»* 
Schaftsbetriebe freilich um so mehr an. Ich stehe nicht an, in der Tat 
beinahe alles an der Lehre von der »Induktion« der eben genannten 
Wissenschaft zuzuzählen. In die Ordnungslehre im eigentlichen Sinne 
gehört nur die Erkenntnis, daß »Induktion« stets den Versuch bedeutet. 
Mitsetzendes zu gewinnen, d. h. an die Stelle bestehender Setzungen 
für den praktischen Denkbetrieb solche zu setzen, welche mehr mit* 
setzen. Den Versuch solcher Setzungss^Ersetzung stellt das begriffst* 
schaffende Urteil dar, welches aber im Augenblicke seiner Aufstellung 
schon unter Bedeutungswechsel der verwendeten Worte durch ein 
analytisches ersetzt wird. 
^ Vgl.S.62. 
75 
Wo nun im Einzelnen »Induktion«, als das Suchen von möglichst 
Vieles Mitsetzendem praktisch bedeutsam wird, das, wie schon gesagt, 
harrt erst später der Entscheidung. 
Man hat wohl gelegentlich »Induktion« als den Versuch »Obersätze« 
zu gewinnen bezeichnet, unter welche alsdann einzelne »Fälle« als 
»Untersätze« möchten untergeordnet werden. »Alle Menschen sind 
sterblich« und »Die Walfische sind Säugetiere« würden solche Ober«« 
sätze sein. Wer nun freilich hier einen Satz wie »Cajus ist ein Mensch« 
als Untersatz unterordnen zu können glaubt, der begeht, wir wir wissen, 
den Fehler, Klassenzugehörigkeit mit einem Mitsetzungsverhältnis zu 
verwechseln. Richtig wäre es, etwa »Neger sind Menschen« als Unter* 
satz gelten zu lassen. Aber das Obersatzs^gewinnen ist überhaupt nicht 
die EINZIGE Bedeutung der »Induktion«, sondern, ganz umgekehrt, 
gerade das mitsetzendeVermögen des Prädikates des induzierten Satzes 
als eines Untersatzes. Aus »sterblich« folgt, d. h. durch »sterblich« wird 
u. a. mitgesetzt »Krankheiten ausgesetzt«; durch »Säugetiersein« wird 
mitgesetzt »Junge säugen«, »Brustdrüsen haben«, »Eigenwärme haben«. 
Das alles nun ist unmittelbar »beobachtbar« und eben das Beobachtete 
wird hier »erklärt«, d. h. mitgesetzt dadurch, daß Walfisch »Säugetier« 
mitsetzt. 
Diesem »Erklären« gegenüber tritt die Einsicht, daß nun »dieses 
Tier«, weil ein Walfisch, darum auch ein Säuger sei, ganz zurück. 
Ganz ähnlich ist es bei sogenannten »quantitativen Naturgesetzen«, 
nur daß hier »Induktion«, wie gesagt, etwas viel Tieferes bedeutet. 
Wir haben da erstens: 
»Zwei Körper ziehen sich newtonisch an.« 
»Hier sind zwei Körper mit den Kennzeichen r, m^, mg.« 
Also .-»ziehen sie sich in größenmäßig bestimmt angebbarer Form an«. 
Hier ist der »Obersatz« betont, welcher »Unterordnung« erlaubt. 
Wir haben aber auch zweitens: 
»Zwei grobe Körper setzen newtonische Kraft.« 
»Newtonische Kraft setzt u. a. auch Keplers Gesetze.« 
»Keplers Gesetze sind also nicht nur ein Beobachtetes, sondern ein 
Erklärtes, ein Mitgesetztes.« 
Daß der zweite Fall der bedeutsamere ist, bedarf keiner Worte. Daß 
er so besonders bedeutsam ist, liegt freilich nicht am Mitgesetztwerden 
als solchem allein, sondern an den Eigentümlichkeiten des Räumlichen. 
Die reine Lehre vom Mitsetzen, vom Schlüsse, geht es aber immerhin 
an, daß der ganz oder teilweise durch »Induktion« gewonnene Satz, 
76 
sei er nun von der Form »Walfische sind Säuger« oder von der Form 
»Zwei Körper ziehen sich newtonisch an«, in der Sprache der üblichen 
Logik, nicht als Ober*«, sondern gerade als »Untersatz« seine Rolle 
spielt. Als solcher nämlich führt er nicht zu Gemeinplätzen von der 
Art, daß Neger nun auch sterblich seien, also nicht zu einem leeren 
Mitsetzen, sondern zu bedeutungsvoller Einsicht in ein Mitgesetzt* 
sein, d. h. auf Grund einer inhaltreicheren Setzung verstanden — »er* 
klärt« — sein. 
»Säuger haben Brustdrüsen« (Obersatz). 
»Wale sind Sauget« (Untersatz). 
Also : »haben Wale Brustdrüsen«. 
Das ist das Wesentliche ; das »Beobachtete« als Setzung erhält hier 
seine Begründung. 
Und weiter, um auch das andere unserer Beispiele im Sinne der üb* 
liehen »Logik« zu formen : 
»Bewegte, dem newtonischen Gesetz folgende Körper folgen auch 
Keplers Gesetzen« (Obersatz). 
»Die Planeten sind bewegte, Newtons Gesetz folgende Körper« 
(Untersatz). 
Also : »folgen die Planeten Keplers Gesetzen«. 
Wenn durch diese Betrachtungen die Bedeutung der »Induktion« 
als eines Versuches, Mitsetzendes zu finden, klar geworden ist, so wird 
auch klar geworden sein, daß die Ordnungslehre in Strenge von einem 
»Induktions« *sc/iZusse nicht sprechen darf. Aus dem Induktions* 
ergebnis läßt sich gewisses Beobachtete als erschlossen, als »erschließ* 
bar« aufzeigen; da ist das also am Platze. Aber ein »Induktions«= 
ergebnis mit also einzuleiten, ist logischer Unfug. 
»Induzieren« ist ein Versuchen, geschehend unter Leitung der Forde* 
rung von Sparsamkeit. Im Deutschen könnte man für »Induktion« 
wohl am besten Erfindung sagen: sie »führt hinauf«, nämlich zum 
Mitsetzenden, während die »Deduktion«, das Mitsetzen als solches, 
zum Mitgesetzten »hinabführt«. 
VORLÄUFIGES ÜBER y>ÄPRIORh UND y>APOSTERIORh 
Alle analytischen Urteile sind apriori, d. h. durch die Bedeutung der 
in ihnen vorkommenden Begriffe ist die Beziehung »mitgesetzt« 
zwischen ihnen einsichtlich als bestehend geschaut. Alle Urteile, welche 
bloß Natursetzungen in Urteilsform ausdrücken, und alle klassen* 
induktiven Urteile sind aposteriori, d. h. sie bedürfen zu ihrem Gesetzt* 
77 
werden eines Etwas, das nicht in den in ihnen vorkommenden Bedeu* 
tungen selbst liegt. Nennen wir sie synthetisch, so sind also analytische 
Urteile apriori, synthetische aposteriori. 
Ob es Kants »synthetische Urteile apriori« als etwas Besonderes 
gibt, werden wir später untersuchen, ebenso, ob wir vom Standpunkte 
unserer Ordnungslehre aus überhaupt der Worte »apriori« und»apo* 
steriori« bedürfen. 
ri) ZUSAMMENFASSUNG 
Es ist jetzt gezeigt worden, daß sich die übliche Lehre vom Schlüsse, 
welche vom entwickelten Urteil ausgeht, durchaus auf die Grunde* 
sätze zurückführen läßt, w^elche wir in unserer eignen, nur auf die Be# 
griffe Setzen und Mitsetzen gegründeten Darstellung desselben Gegen* 
Standes aufstellten. Unser Weg aber war der kürzeste, der von allem 
Nebenwerk freie, der ordnungsmäßig reinste: Mitgesetztsein war uns 
eine besondere Art des bezogenen gegenständlichen Daseins. Gar nichts 
von einem seelenmäßigen »Verhalten« haftete ihm an, wie es so leicht 
einer Darstellung anhaftet, die vom »Urteilen« im engeren Sinne, als 
dem Anerkennen oder Ablehnen der Einheit des Getrennten, ihren 
Ausgang nimmt. 
Gewiß nennen auch wir unser A ist ein Urteil, aber unser »Ver# 
halten« diesem Urteil gegenüber ist schlichtes Haben: Auch wir reden 
vom Nicht^Dieses, aber das ist uns ein als daseiend Gesetztes. Das 
eigentliche Verneinen und Bejahen überlassen wir der Seelenlehre. 
Es pflegt gesagt zu werden, daß erst im Urteil die Begriffe »vtr^ 
knüpft« würden, und daß erst auf diese Verknüpfung das Schließen 
sich gründen könne. Es ist aber nicht recht einzusehen, was diese »Ver*» 
knüpfung« der »Begriffe« im entwickelten Urteil denn eigentlich be* 
deuten solle im Gegensatze zu dem, was schon im »Begriff«, d. h. in 
unserer Setzung, verknüpft ist. Ich möchte geradezu sagen: in der 
Setzung — d. h. also im »Begriff« der üblichen Lehre — ist »Verknüpf 
fung«, nämlich ein bestimmtes Beieinander des Erlebtheits^Letzten ; das 
entwickelte Urteil aber löst eigentlich gerade das verknüpft Gewesene 
wieder, indem es einen besonderen Teil desselben dem Ganzen gegen* 
über stellt. Wenigstens gilt das vom entwickelten Urteil reiner Form. 
Anders ist es, wenn Dinghaftigkeitsverhältnisse ausdrücklich in Ur* 
teilsform dargestellt werden — aber der allgemeinste Abschnitt der 
Ordnungslehre, mit dem wir uns hier beschäftigen, der handelt eben 
nicht von »Dingen und Eigenschaften«. 
78 
Wenn wir von verknüpfen und Verknüpfung hier ein paarmal ge* 
redet haben, so war das natürlich auch wieder ein schlechtes Wort: 
denn Ich habe bloß, ich »tue« nicht bewußt. 
Gerade am Abschluß der Lehre von Urteil und Schluß ist es noU 
wendig, das noch einmal ganz besonders hervorzuheben, denn die 
Worte »urteilen« und »schließen« bedeuten doch wohl Tätigkeiten? 
Gewiß tun sie das; aber darum gehören sie auch in die Psychologie 
als in einen Teil der Logik, aber nicht in die Urlogik. Wir selbst haben 
sie ja auch vermieden und nur an einer Stelle derVerwendnung des 
Wortes »urteilen« im Rahmen der Urordnungslehre ein kleines Zu^ 
geständnis gemacht ^ Und in der Tat kann die Ordnungslehre »Das 
(entwickelte) Urteil« und »Den (zusammengesetzten) Schluß« fassen, 
ohne von urtei*»len« und schlies:s»sen« zu reden : 
Urteil und Schluß sind Gegenstände aus dem Kreise des Bezieh* 
liehen; sie sind trotz ihrer sprachlichen Zusammengesetztheit durchaus 
Eines, sind als Eines bewußt gehabt. Wir können darstellen: 
Das Urteil »S ist P« durch die Eormel : S > P. 
Den Schluß »S ist M, M ist P, also ist SP« durch die Formel: 
(S>M>P)>(S>P). 
Ausdrücklich bewußt gehabt im Dienst der Ordnung, also »gesetzt« 
wird in der Urteilsformel der Pfeil, d. h. das »setzt mit«, in der Schluß* 
formel der zwischen den Klammern stehende Pfeil, d. h. dasjenige 
»setzt mit«, das zwischen zwei Gliedern steht, welche selbst die Mit* 
setzungs^beziehung enthalten, also nicht rein sind. 
Urteile und Schlüsse sind also besondere Gruppen von in Einheit 
gehabten Gegenständen. 
e) DIE BEGRIFFE NOTWENDIG UND MÖGLICH 
Jede Setzung, welche mitgesetzt, welche begründet ist, ist notwendig, 
d. h. sie ist da als Setzung, weil eine andere Setzung als Setzung da 
ist. Sie ist also nicht nur selbig als diese, nicht nur eindeutig als diese 
in dieser Ordnung von Setzungen, sondern sie ist noch etwas dazu, 
was sich eben auf eine oder mehrere andere besondere Setzungen be* 
zieht. 
Es entsteht nun die Frage, ob jede Setzung möchte als notwendig, 
das heißt: als von anderen Setzungen mitgesetzt erscheinen können; 
nur das soll ja das Wort notwendig für uns bedeuten. 
Hier tritt eine nicht unbedeutende Schwierigkeit auf, welche sich an 
' S.S. 31. ~~~ 
79 
das von uns bis jetzt nur sehr kurz behandelte Wort »möglich« knüpft. 
Wir haben gesagt, im Sinne der üblichen Lehre von der Einteilung der 
Urteilsformen bedeute möglich eine Art des seelenmäßigen Verhaltens 
seitens des Urteilenden, ganz ebenso wie nein; der Urteilende weiß 
»noch nicht genau«. 
Davon wollen wir hier nicht reden. Wir wollen möglich jetzt jede 
Setzung nennen, welche nach der Art ihres Merkmalbeieinander dem 
Satze von der doppelten Verneinung nicht widerspricht. Von der Mög»« 
lichkeit ausgeschlossen sind damit — in Übereinstimmung mit unseren 
früheren Darlegungen — gewisse der sogenannten »daseinsfreien Gegen:« 
stände« Meinongs, nämlich die »unmöglichen« wie etwa das runde 
Viereck, weil sie geradezu Un^Setzungen sind; nicht ausgeschlossen 
aber ist »die blaue, fliegende und singende naturwirkliche Katze«, 
denn die Setzungen »blau«, »singend«, »fliegend«, »Katzenform« 
stören sich in ihrem Beieinander nicht im mindesten. Möglich also 
muß jede beliebige Zusammenfügung von nicht weiter auflösbaren 
Merkmalsarten in eine Setzung heißen, wenn nur denkmäßige Wider«* 
spruchslosigkeit gewahrt bleibt: eine »Katze mit sechs Flügeln, welche 
Mathematik treibt«, ist ebenfalls eine mögliche Setzung. 
Das ist jedenfalls die Bedeutung des Wortes »möglich« im Rahmen 
der allgemeinen Ordnungslehre. 
/; DIE FRAGE NACH DER ALLE ^MÖGLICHEN« SETZUNGEN 
MITSETZENDEN SETZUNG IM RAHMEN DER 
ALLGEMEINEN ORDNUNGSLEHRE 
ES sind also unbegrenzt viele Setzungen im Rahmen der allgemeinen 
Ordnungslehre möglich. Damit aber fällt nun die »Möglichkeit«, 
jede Setzung als notwendig erscheinen zu lassen. 
Notwendig sein heißt doch mitgesetzt sein. Wie nun könnte jecfe 
Setzung mitgesetzt sein? Doch offenbar nur, wenn sich eine inhalt* 
reichste Setzung finden ließe, welche alle möglichen inhaltärmeren als 
ihre Merkmale enthält. Das aber könnte sie allenfalls nur im Sinne 
eines Verknüpftseins dieser ihrer Merkmale durch das leere und^. 
Wenn man nun aber gar erwägt, daß die verschiedenen einzelnen 
MÖGLICHEN Setzungen des Denkens doch eben teilweise einander aus^ 
schließende Merkmale haben, so erhöht sich alle Schwierigkeit in 
Sachen des Notwendigmachens jeder einzelnen ganz erheblich. Man 
^ Und ist nur Ausdruck sprachlicher Bequemlichkeit — abgesehen von einer ganz 
bestimmten, später darzulegenden Bedeutung. 
80 
kann ja freilich hier sagen, vieles an Merkmalsunverträglichkeit, z. B. 
die zwischen einem »Ineinsdasein« verschiedener Zahlen, Farben, 
Raumgebilde, um von weiterem abzusehen, sei eine Angelegenheit der 
Soseinslehre im engeren Sinne, nicht aber der Ordnungslehre allerall^ 
gemeinster Form; und wir könnten dem beifügen, daß wir allerdings 
aus eben diesem Grunde bisher noch nicht von der Unverträglichst 
KEiT der Merkmale geredet haben. Aber was wird unsere gesuchte alles 
NOTWENDIG machende Setzung anderes als ein sinnloses Lautbeieinander, 
wenn man von der nicht nur der Widerspruchsvermeidung halber be^ 
stehenden Merkmals Verträglichkeit absieht? 
Das »Notwendigsein« jeder beliebigen möglichen Setzung ist im 
Bereiche der allgemeinen Ordnungslehre also ohne Bedeutung. 
Ganz anders wird alles sich nicht nur im Bereiche der Naturlehre, 
sondern schon im Gebiete der Lehre von den Besonderheiten des So«« 
seins überhaupt gestalten. 
Die Lehre von der Solchheits* Verträglichkeit wird uns da zeigen, 
wann wir sich ausschließendes dieses^jenes doch in gewisser Weise 
verständlich zu vereinigen imstande sind und so für eine gesuchte 
»oberste«, alles mitsetzende Setzung verwerten können; also etwa 3 
und 5, viereckig und dreieckig, rot und blau, eckig und rund. 
Die miteinander unverträglichen Soseine bilden nämlich Gruppen 
— wir werden sie Soseins^Gruppen nennen — und zwar sind gewisse 
von diesen Gruppen sehr seltsamer Art: es erlaubt in ihnen ein schein^» 
bar inhaltärmerer Begriff inhaltreichere Begriffe in ihrer Besonderheit 
mitzusetzen. Solche Gruppenoberbegriffe sind Raumgebilde, Zahl und 
vielleicht noch anderes.Wir treffen hier wieder, was wir entwickelbare 
unentwickelte Begriffe nannten ^ 
Machen wir uns diesen Umstand zunutze, so können wir vielleicht 
doch zu so etwas wie einer einzigen obersten, alle übrigen als not* 
wendige mitsetzenden Setzung gelangen, wenigstens in beschränktem 
Bezirke. Diese oberste mögliche alles übrige mitsetzende Setzung hätte 
zwar nicht an derselben »Stelle« die Merkmale »rot« und auch »blau«, 
»viereckig« und auch »dreieckig«, wohl aber hätte sie die Merkmale 
»Farbigkeit« und »Räumlichkeit«. Freilich wäre eine solche Setzung 
nur eine Annäherung an das, was wir anfangs wünschten, aber anderes 
kann es ja hier gar nicht geben. Kurz gesagt also; Zwar nicht »alle 
möglichen einzelnen« Setzungen, wohl aber alle soseinsmöglichen 
Setzungen möchten sich vielleicht der Forderung des Notwendigseins, 
' S. o. S. 62. 
6 D r i e s c h , Ordnungslehre 1 
des Mitgesetztseins fügen können — wenn schon freilich dieses »Mit* 
gesetzt«sein nicht dasjenige der reinen InhaltsbeziehHchkeit ist. 
Der Leser darf aber keinen AugenbHck vergessen, um was es sich 
bei dem allgemeinsten Ausdruck mögliche Setzung handeh: um 
Setzungen ganz allein, um bewußtes Herausheben von Setzungen 
aus dem dem Ich als ein bereits geordnetes entgegentretenden Erlebten 
überhaupt, wozu auch das gehört, was die Psychologie als Teil der 
Ordnungslehre später die durch »Einbildungskraft« ersonnenen Ergebe» 
nisse der Tätigkeit der »Seele« nennen wird, welche ja eben ganz vor* 
nehmlich die »möglichen« Setzungen darstellen. Nicht handelt es sich 
um Zahl*, nicht um Raum*, nicht um Naturmögliches als solches, erst 
recht nicht um ein irgendwie »erkennbares« losgelöstes (»absolutes«) 
mögliches Sein. Nur rein Ordnungsmäßiges ist im Spiel; in bezug auf 
dieses, auf das reine Setzen, fragen wir nach einer einzigen obersten 
Setzung, welche alles mitsetzt, und können sie grundsätzlich nicht 
finden. 
Würden wir nun sagen : Es soll jede mögliche, das heißt dem rein 
denkmäßigen Widerspruchsbegriffe nicht widersprechende Setzung 
nicht nur selbig und eindeutig, sondern auch notwendig, das heißt 
mitgesetzt sein, so würden wir hier von einer durch Erlebtheit un* 
erfüllten Forderung sprechen müssen. Aber im Rahmen der allge* 
meinen Ordnungslehre ist es uns wohl erlaubt, Notwendigkeit fest* 
zuhalten, wo sie uns, als Mitgesetztsein, entgegentritt, ohne sie als 
Ordnungszeichen a //es Möglichen zu fordern. Vieles Mögliche also ist 
zufällig^ und nicht notwendig, weil sich eben die es mitsetzende 
Setzung grundsätzlich nicht finden läßt — jene Setzung, welche etwa 
Katze, Tugend, V 3, Dreieck, Schmerz und Denklehre gleichermaßen 
mitsetzen würde, aber ebenso Hund, Laster, V 2, Viereck, Schönheit 
und Chemie. 
Im Gegensatz zu den Endgültigkeitszeichen der Ordnungslehre, 
welche sich in den Worten dieses selbige, nicht nicht*dieses, eindeutig 
BEZOGEN ausdrücken, drückt also das Wort notwendig nicht ein un* 
bedingtes Endgültigkeitszeichen jeder Setzung aus. 
Übrigens ist der unerfüllte Wunsch nach der Setzung, welche, frei* 
lieh im Sinne der »Entwicklung« aus einem unentwickelten entwickel* 
BAREN Begriff heraus, alle möglichen Setzungen mitsetzt, nicht ohne 
weiteres gleichbedeutend mit dem ebenfalls unerfüllbaren Wunsche 
^ Eine eigentlich faßbare Bedeutung gewinnt das Wort »zufällig« erst in der Natura 
lehre. 
82 
nach dem Ordnungsmonistischen Ideal ^; dort handelt es sich um 
(entwicklungshaftes) Mitsetzen, um Soseins#verstehen, hier um Ganz^ 
heit und ihre Teile. 
Es erübrigt sich, schon an dieser Stelle diesem Unterschiede weiter 
nachzugehen, da in der Allgemeinen Ordnungslehre beide »Wünsche« 
in so augenfälliger Weise unerfüllt bleiben, daß sie den meisten gar 
nicht als »Wünsche« werden erschienen sein. 
11. DIE ORDNUNGSGESAMTHEIT DER UR.ORDNUNGS. 
SETZUNGEN 
a) DIE UR=SETZUNGEN ALS UMGRENZUNGEN 
DER SETZUNG y>ORDNUNG« 
Wir haben jetzt die l!7r=Bestandteile der Ordnungslehre voll«* 
ständig entwickelt. Uns ganz klar darüber zu werden, was wir 
damit eigentlich getan haben, ist um so wichtiger, als sich alle folgen* 
den Sonderentwicklungen der Ordnungslehre auf das bis jetzt Ent*» 
wickelte aufbauen werden: aus den Setzungen dieses selbige, diese 
eindeutige BEZIEHUNG, ANDERS SEIN, SosEiN, Werden sich alle unsere 
weiteren Setzungen zusammenfügen; freilich mit Hilfe gewisser noch 
nicht ermittelter Einsichten. Ja, auch die Setzung notwendig, das heißt 
MITGESETZT, welche auf jede mögliche Setzung bezogen ihren Sinn ver* 
lor, wird im folgenden zu bedeutsamen — vielleicht den allerbedeut* 
samsten — Anwendungen dienen. — 
Unsere Leistungen waren bis jetzt von zweierlei Art: 
Erstens gaben wir gewisse Merkmale an, welche die Setzung »Ord«« 
nung«, um die wir ein Vorwissen besitzen, jedenfalls als diese Setzung 
kennzeichnen: Ordnungsein heißt Bestandteile haben, welche jeweils 
als DIESE SELBIGEN DA SIND und welche von einander als soseiende ver* 
SCHIEDEN sind; sie sind soviele und haben unter sich und zur Ordnung 
als Ganzem jeweils eindeutige Beziehung; sie sind teilweise durch 
andere Bestandteile notwendig begründet, das heißt mitgesetzt. 
Die Gesamtheit dieser ihrer Merkmale umgrenzt (»definiert«) in 
freilich noch unbestimmter Form die Setzung »Ordnung«. Aber jedes 
einzelne Merkmal muß unmittelbar in seiner Bedeutung gekannt sein, 
um überhaupt etwas zu bedeuten. Ja, auch was Ordnung sei, muß 
man noch dazu wissen, trotz des Wissens um die »Merkmale« von 
Ordnung. Diesen Sachverhalt, daß »Definition« einen Begriff nicht 
_____ 
83 
I. 
erschöpfe, sondern zerstöre, kennen wir zwar schon; er gilt von jedem 
Begriff. Die gänzliche Unauflösbarkeit der Merkmale ist aber dem Be^ 
griff Ordnung eigen: hier können die Merkmale nur einfach hingesetzt 
werden, es gibt da nicht etwa Merkmale in besonderer Ausprägung 
(nach »Zahl«, »Anordnungsbesonderheit« usw.), sondern eben nur 
»Merkmale«. 
Das einzige, was sich tun läßt, ist, die Merkmale in einer solchen 
Reihenfolge zu entwickeln, daß jedes später entwickelte ohne die früher 
entwickelten — also etwa Sosein ohne Dasein, Bezogensein ohne So* 
sein und Dasein — aber nur ohne sie, sinnlos ist. Das ist unser Grund* 
SATZ DER Sparsamkeit oder des nur notwendigen Schrittes. 
'Wir haben aber nicht nur den Begriff Ordnung in erster Annähe* 
rung umgrenzt, wir haben auch, zweitens, jeder Einzigkeit im Bereich 
der bewußt geordneten Erlebtheit einen Ordnungsbestandteil als End* 
Gültigkeitszeichen zugewiesen, jede Einzigkeit fest mit einem Ord* 
nungsbestandteil verknüpft. Es ist diese Leistung eine durchaus andere 
als das Sichbewußtmachen, was Ordnung eigentlich heiße, was Or J« 
nung alles »mitsetze«. Es wird jetzt nicht gesagt: irgend etwas, das in 
einer Ordnung steht, ist dieses, nicht Nichtdieses, nicht*jenes, solches, 
eindeutig, notwendig; es wird vielmehr gesagt^: jedes einzelne als 
dieses bewußt erfaßte Erlebte, jedes »Gesetzte« hat die soeben auf* 
gezählten Kennzeichen, bewußt Erfaßtsein heißt eben diese Kenn* 
zeichen haben. Vorher wurden die Kennzeichen als Merkmale auf die 
Setzung Ordnung bezogen, jetzt sind sie Einzigkeitskennzeichen im 
Bereiche der gesamten geordneten Erlebtheit, so wie sie in ihrer Un* 
mittelbarkeit ist. Das ist durchaus Zweierlei; denn es ist ein anderes, 
ob ich sage: eine jede Setzung ist solche, oder ob ich sage: diese 
Setzung hier in ihrer Einzigkeit ist solche. 
Für die Lehre von der Ordnung der Naturwirklichkeit wird diese 
Ausführung besonders fruchtbar werden. 
Wir können also zusammenfassend sagen, daß unsere zweite Leistung 
der Ur*Ordnungslehre die Erlebtheit ordne, die erste den Begriff Ord= 
nung. 
^ Auf später zu Entwickelndes vorgreifend können wir also z. B. sagen : »Größe« ist 
Bestandteil der Setzung Ordnung, »diese Größe haben« ist Kennzeichen eines Eins 
zelnen der geordneten Gegebenheit. (Unterschied von »Quantität« und »Quantum« 
in der Sprach weise der üblichen Logik ; ähnlich der Unterschied von »Raum« und 
»bestimmte Räumlichkeit«). 
84 
b) DIE URSETZUNGEN IN FORM ENTWICKELTER URTEILE 
Alle Setzungen der Ordnungslehre, welche wir bis jetzt kennen ge* 
lernt haben, und zwar gleichgültig, auf welche ihrer drei Sonder»« 
leistungsgebiete sie bezogen sind, lassen sich nicht nur in Form von 
gesetzten Begriffen wie Dieses, Verschieden, Eindeutig usw., sondern 
auch in Form entwickelter Urteile darstellen. Dieser Urteile können 
wir folgende aufstellen : 
Dieses ist dieses selbige (A ist A). 
Dieses ist nicht Nicht^dieses (A ist nicht Nicht^A). 
Irgend etwas ist dieses oder nicht^dieses. 
Dieses ist von jenem verschieden. 
Dieses ist solches. 
Dieses ist eindeutig (bezogen). 
Dieses kann notwendig (mitgesetzt) sein. 
Es entsteht die Frage, welcher Art diese Urteile sind. Wir kennen 
als entwickelte Urteile bis jetzt die reinen oder begriffsauflösenden, 
das bloße Verhältnis des Mitgesetztseins ausdrückenden, und die auf 
Grund von Gewohnheitserfahrung begriffsschaffenden, d. h. lAiU 
setzensollendes suchenden. 
Gehören die Urteile, in denen sich unsere Grundsätze, wie wir die 
aufgezählten Urteile nennen wollen, darstellen, zur ersten oder zur 
zweiten Gruppe — oder zu keiner? 
Jeder unserer Grundsätze bezieht den Begriff dieses, der erste auf 
sich selbst, der sechste auf das Ordnungsganze, die übrigen auf ein 
ANDERES Dieses. 
Es ist nun zunächst offenbar, daß in keinem der Grundsätze die 
zweite der durch ist verbundenen Setzungen, das »Prädikat«, durch 
die erste, das »Subjekt«, nämlich dieses, ohne weiteres mitgesetzt ist. 
Also sind unsere Grundsätze nic/i^ begriffsauflösende Urteile mit Rück* 
sieht auf das reine Dieses als solches. Im bloßen dieses liegt zunächst 
nur das als dieses daseiende, das als dieses bewusst erlebte, aber liegt 
nicht einmal das als dieses für das Ich auf immer selbig gesetzt, ge* 
schweige denn das, was die übrigen Grundsätze ausdrücken. 
Sind also unsere Grundsätze gewohnheits:*erfahrungsmäßig Begriffs* 
schaffende oder wie man, etwas ungenauer, aber verständlich, gern 
sagt, »begriffserweiternde« ^ Urteile, also »synthetische Urteile a poste* 
riori« in der üblichen Sprechweise? 
^ In Strenge läßt sich, wie wir wissen, ein als dieser gesetzter Begriff ja nicht »er? 
weitern«. 
85 
Ganz offenbar nicht. Wären sie es, so müßte ihr Nichtgelten denk* 
bar sein, wie es ja denkbar ist, daß Etwas, was für einen Walfisch aus** 
gegeben ist, nicht seine Jungen säugt: ja, so müßte ihnen die end>« 
gültige Sicherheit mangeln, welche sie eben als Ordnungsgrundsätze 
für das Denken besitzen. 
Aber woher haben wir sie? Woher wissen wir — wenn wir alles ge^ 
ordnete Haben »Wissen« nennen — woher wissen wir, daß »dieses« sel* 
BIG, NICHT NiCHTDIESES, VERSCHIEDEN, SOLCHES, EINDEUTIG, NOTWENDIG ist? 
Wir wissen es, weil wir es schauen, und wir schauen es, auf Grund 
unseres geheimnisvollen Vorwissens um Ordnung und auf Grund der 
Endgültigkeitsbetonung, mit welcher wir die Bedeutung der Ord* 
nungsbestandteile erleben. 
Freilich also sind unsere Grundsätze »begriffsschaffend« oder »be* 
griffserweiternd«, wenn man so will, sie machen das dieses zu einem 
ganz Besonderes bedeutenden Begriffe, zu einem Begriffe, der nun 
wirklich etwas ~ nämlich alle in den Grundsätzen ausgesprochenen 
»Prädikate« — mitsetzt. Aber sie machen das dieses zu einem solchen 
Mitsetzenden lediglich, weil ich seine mitsetzensollende Natur schaue. 
Tatsächliches Erleben, jenes nicht weiter ordenbare, sondern bloß 
feststellbare Geheimnisvolle, ist hier ganz gewiß nicht ausgeschaltet. 
Es muß »nicht dieses« und »jenes« geben, auf daß das Denken nicht*» 
DIESES, jenes, notwendiges Sagen kann; »gäbe« es nur dieses, wäre Da»« 
sein dasselbe wie Sein, so würde Ich die Sätze, von denen wir reden, 
nicht aufstellen. Aber daß ich sie aufstelle, das wird mir doch nicht 
von jenem letzten Gegebenen als solchem im Sinne eines Gewohnheits* 
erlebens gleichsam aufgezwungen, sondern das hat darin seinen Grund, 
daß ich um die Bedeutung des für mich Endgültigen weiß. Ich weiß, 
was nicht heißt, darum sage ich nicht Nichts'dieses. 
Unsere Grundsätze sind also gewohnheitsfreie ^ begriffsschaffende 
Urteile, also, wenn man durchaus so will: »synthetische Urteile a 
priori«. Wir ziehen es zwar vor, sie einfach geschaute Ursätze oder, 
^ Die übliche Logik sagt hier »unabhängig von Erfahrung«, besser (vgl. meine 
»Naturbegriffe« 1904, §§ 46): von der Menge, vom Quantum an Erfahrung, kurz: 
»erfahrungsfrei«. Wir nennen Erfahrung die Gesamtheit des Wissens, soweit es 
geordnetes Wissen ist, überhaupt; Gewohnheitserfahrung oder kurz Gewohnheit 
nennen wir die »Erfahrung« (»Empirie«) der üblichen Logik; Besinnungserfahrung 
könnten wir die Mittel zur Gewinnung des »a priori« der üblichen Lehre nennen, 
zögen wir es nicht vor, den Endgültigkeitsbegriff durchaus in den Vordergrund zu 
stellen und so unserer Lehre überhaupt ein der üblichen gegenüber fremdartiges 
Aussehen zu geben. 
86 
noch besser, Endgültigkeiten beziehlicher Art zu nennen. Es ist aber 
lehrreich zu sehen, wie sich der von Kant gebaute Begriff des gewöhn** 
heitserfahrungsfreien begriffsschaffenden Urteils schon an dieser Stelle 
der Denklehre und nicht erst in der Lehre vom Raum und von den 
eigentlichen sogenannten »Kategorien« verwenden läßt, wenn man 
sich überhaupt entschließt, ihn zu verwenden. Kant selbst untersuchte 
bekanntlich seltsamerweise die Natur der letzten Grundsätze aller 
Logik nicht. Wir selbst werden an späterer Stelle näher auf die hier 
nur gestreifte Lehre Kants von den »synthetischen Urteilen a priori« 
eingehen; alsdann wird sich zeigen, daß wir weniger auf die im engeren 
Sinne »urteils«mäßige als auf die schauend zusammenfassende Seite 
der hier in Rede stehenden Leistung den Nachdruck legen. Bis jetzt 
können wir in diesem Sinne also sagen: Ich schaue das dieses als einen 
mit vielem anderen Bedeutungshaften endgültig verknüpften Begriff 
oder auch als einen Vieles mitsetzenden Begriff. 
Kant nannte den »Satz des Widerspruchs« den obersten Grundsatz 
aller begriffsauflösenden Urteile; er hätte wohl den Satz der Selbigkeit 
als zweiten hier in Betracht kommenden Grundsatz beifügen müssen. 
Die obersten Grundsätze aller »analytischen« Urteile sind also, nach uns» 
serer Darlegung, selbst nicht etwa »analytisch«, sondern »synthetisch«, 
und zwar »a priori«; kürzer und besser: sie sind der Ausdruck von he* 
ziehlichen Ordnungsschauungen, sie sind das Urendgültige für das Ich. 
Man wird es vielleicht als gekünstelt bezeichnen, daß wir die Urteile 
der Urlogik, wie A ist nicht Nicht^^A und seine Genossen als »be* 
griffsschaffend« ausgeben und im dieses ein »MitsetzensoUendes« er*« 
blicken. Wollen wir das nicht tun, so müssen wir sagen, wie folgt: 
Im A ist A, im A ist nicht Nicht^^A, A ist solches usw. und im 
allgemeinen analytischen Urteil S ist P — (um vom empirischen »Ur* 
teil« hier ganz abzusehen) — bedeutet das Wörtchen »ist« jeweils etwas 
ganz anderes. 
Im A IST A heißt es : »ist selbig mit«. 
Im A IST NICHT Nichts« A meint es die geschauteGleichsinnigkeit zweier 
geschauter Bedeutungen, nämlich vom A und vom nicht Nicht^A. 
Im A IST SOLCHES und A ist eindeutig bezogen weist es auf eine vr* 
SPRÜNGLICHE UNWEIGERLICHE UND ENDGÜLTIG BESTEHENDE ZuSAMMEN^ 
GEHÖRIGKEIT hin. 
Nur im »S ist P« heißt ist: setzt mit. 
Aber noch einmal sagen wir, daß die Syllogistik alle »ist«, auch das 
»ist« des A ist A, als ob es »setzt mit« bedeutete, ansieht. 
87 
IL DIE LEHRE VOM SOSEIN 
Die in den Urforderungssätzen sich erschöpfende Lehre vom Da^ 
sein stellt den Begriff des Soseins nur auf, kümmert sich aber 
nicht weiter um ihn. Er ist es, der das Dieses vom Jenes verschieden 
macht. 
Inwiefern ist nun das Dieses vom Jenes verschieden? Diese Frage 
soll in der Lehre vom Sosein beantwortet werden. 
Wir beginnen mit einer allgemeinen Erwägung über den Anwen* 
dungsbereich der Setzung Sosein als eines Merkmals der Setzung 
Ordnung: 
Sosein haben Setzungen, und zwar haben sie es insofern, als ihre 
Merkmale Sosein haben; ist nur ein Merkmal vorhanden, ist also 
die Setzung einfach (elementar) d. h. nicht irgendwie zerlegbar, so 
ist dieses eine Merkmal ihr Sosein; ist die Setzung zusammengesetzt, 
so ist das Sosein der Merkmale in ihrer Gesamtheit das Sosein der 
Setzung. 
Trotz gleichen setzungsmäßigen Soseins ist nun aber auch das Da*» 
sein der erlebten Einzigkeiten einer Setzung in gewisser Hinsicht ein 
jeweils besonderes solches: nämlich in bezug auf Räumlichkeit und 
Zeitlichkeit. Jede Einzigkeit der geordneten Gegebenheit hat ein Jetzt 
und oft auch ein Hier, und damit eine eindeutige Einzigkeitsbezie^* 
hung zu anderem Jetzt und oft auch anderem Hier, sei es auch in bezug 
auf mit ihr gleiche Einzigkeiten. 
Diese Betrachtung zeigt uns, daß die Lehre vom Sosein, wenigstens 
in gewissen ihrer Teile, nicht nur auf Setzungen als solche und ihre 
solchen Merkmale geht, sondern auch auf Setzungseinzigkeiten im Be«» 
sonderen. 
Wenn wir von aller sogenannten »Zeitlichkeit« in bezug auf 
Setzungsmerkmale und auf Einzigkeiten einstweilen, als von einer 
nicht einfachen, unzerlegbaren, sondern zusammengesetzten und recht 
verwickelten Ordnungsangelegenheit absehen, so können wir sagen, 
daß alles Sosein sich darstellen läßt durch Verwendung von Setzungen 
aus den Gruppen: 
Reine Solchheit, Tönung, Beziehlichkeit, Anzahl, Räumlichkeit. 
»Sich darstellen lassen« soll hier heißen, mitgesetzt werden; mit an* 
deren Worten: wo ich eine der soeben genannten Setzungen setze, da 
setze ich die Setzung Sosein mit. 
88 
1. GANZES UND TEIL 
Wenn nun also Sosein sich durch reine Solchheit, Tönung, Bes» 
ziehlichkeit, Anzahl und Räumlichkeit darstellen läßt, so ist, 
wenn zusammengesetzte Setzungen in Frage stehen, Sosein überhaupt 
oder im einzelnen Setzungsfalle doch nicht eine bloße Aneinander»* 
reihung besonderer Ausprägungen dieser vier Kennzeichen. 
Einer Setzung Sosein ist vielmehr die Gesamtheit des Soseins ihrer 
Merkmale als Eines gefaßt. 
Es ist eine wichtige unauflösbare Art der Beziehung, welche uns in 
dieser Lehre vom Sosein einer Setzung als Einheit entgegentritt: die 
Beziehung des Ganzen zu den Teilen. Als wir vom Dasein redeten 
und uns damit begnügten, daß die Setzung A diese, die Setzung B 
JENE andere sei, da bedurften wir dieses Beziehungsbegriffs noch nicht, 
da genügte es vom Solches>»Sein ganz unbestimmt als von einem Ein*« 
fachen zureden. Aber das Solches^Sein für sich betrachtet erweist sich 
nun eben nicht nur als Beziehungen unter Teilen umfassend, sondern 
ist selbst Beziehung, nämlich die Beziehung Ganzess^Sein. 
Die Angabe der Umgrenzung (»Definition«) einer Setzung besteht 
bekanntlich in der Angabe der Merkmale ihres Soseins; jede Umgren«* 
zung ist ein begriffsauflösendes entwickeltes Urteil. Ja, es »löst« gar 
zu vollständig auf, es vernichtet, wie wir wissen, die Setzung rein äußeres 
lieh betrachtet, es sei denn, daß — was stets geschehen sollte — ein A 
in seinem Sosein stets umgrenzt wird durch einen Satz wie »A ist Eines 
aufgebaut aus a und b . . . .«S das Wörtchen und aber hat hier die 
Gesamtheit der Merkmale zu erschöpfen, nicht äußerlich sprachlich 
zu verbinden. Die zerstörende Kraft der »Definition« kann in der Tat 
erst im Rahmen der Lehre vom Sosein ganz verstanden werden. 
Umgrenzen (»definieren«) läßt sich Ganzheit nicht. Wer es ver* 
suchen möchte, würde einen Zirkel begehen. Denn wer da sagt: »Ganz 
ist, was sein Sosein verliert, wenn man ihm einen Teil nimmt«, der 
würde nun Teil definieren müssen und das wohl nur im Sinne von 
»Ganzheit mitbestimmend« können. Wer aber das Wort »Teil« ver«* 
meiden und sagen würde »Ganz ist, dessen Sosein zerstört wird, wenn 
ihm ,Etwas* genommen wird«, der würde ungewollt die Bedeutung 
»Teil« in dem »Etwas« doch einführen. 
Die Setzung »eindeutig bezogen« sagten wir früher aus sowohl von 
den Teilen der geordneten Gegebenheit im Verhältnis zu einander, wie 
auch von diesen Teilen im Verhältnis zur geordneten Gegebenheit 
^ Vgl. schon Aristoteles, Met. VIII, 6. 
89 
überhaupt. Ebenso kann jedes Merkmal der Setzung Ordnung als 
eindeutig bezogen gelten auf andere Merkmale und auf die Setzung 
überhaupt. 
In dieser Setzung Ordnung und in ihrer Anwendung auf Gegen* 
ständlichkeit kannten wir ja eben schon die Bedeutung des »Ganzen«, 
auch ohne daß wir es ausdrücklich sagten; ja, da wir von unserem Vor* 
wissen um Ordnung ausgingen, so können wir gewissermaßen sagen: 
Wir gingen gerade von der Setzung das Ganze als von einer Ursetzung 
aus. Jetzt in der Lehre vom Sosein enthüllt sich erst eigentlich, was wir 
taten: hat doch eben die Setzung Ordnung selbst Sosein. Die voll* 
ständige Angabe ihrer Merkmale als Eines ist die Ordnungslehre. Wir 
wissen um diese Merkmale durch eine geheimnisvolle Art des Vor* 
wissens, das an der Hand unserer »Erfahrung« um geordnete Ge* 
gebenheit geweckt wird — hier treffen wir wieder auf den Ausgangs* 
punkt unserer Betrachtungen. 
Wir treten jetzt in die Besonderheiten der Lehre vom Sosein ein. 
2. DAS »WESEN« 
Wir wissen schon, daß Ich jeden beliebigen »Ausschnitt« aus der 
Erlebtheit, d. h. aus der überhaupt daseienden und dagewese* 
nen Gesamtheit alles Erlebten im allerweitesten Sinne, setzen d. h. im 
Dienste der Ordnung erfassen kann. Jeder so erfaßte Ausschnitt aus 
der Erlebtheit nun hat sein im definierten Begriff festgelegtes Sosein. 
Wir wollen sein bedeutungshaft erfaßtes Sosein auch sein Wesen 
(essentia) nennen. Dann hat also jeder beliebige Ausschnitt aus der 
Erlebtheit »Wesen«. Man mag das »Nominalismus« nennen. Die 
Ordnungslehre muß auf alle Fälle so beginnen, mag sie später auch zu 
wesentlich anderen Ordnungsauffassungen fortschreiten. Wir wollen 
uns übrigens bemühen, unsererseits alle üblichen philosophischen 
Schlag worte, also auch Worte wie »Realismus«, »Idealismus«, »Sensua* 
lismus«, »Rationalismus«, »Empirismus« usw. zu vermeiden. Wer gern 
unsere Ansichten etikettieren will, mag es nach Belieben tun -- ich 
empfehle ihm aber einige Vorsicht an. Unseres Erachtens ist das sehe* 
matische Etikettieren in philosophischen Dingen nichts als ein aus 
Bequemlichkeit entspringender Unfug, so z. B. wenn Locke zum »Sen* 
sualisten« gestempelt wird, was ganz offenkundig verkehrt ist. 
Es ist lehrreich, an Beispielen kurz zu betrachten, was alles als Wesen 
habend gesetzt werden kann. Wir wollen dabei, spätere nicht ganz 
einfache Erörterungen vorwegnehmend, nicht vergessen, daß wir hier 
90 
zwar nur von unmittelbaren Gegenständen^ handeln, daß zu den un»» 
mittelbaren Gegenständen oder Erlebtheitsinhalten aber auch solche 
gehören, welche »Naturwirkliches« in seiner »Einzigkeit« und »gleich^ 
sam bestehenden Selbständigkeit« meinen, Angelegenheiten, die in 
populärer Form ja jeder kennt. Blicken wir also auf mögliche unmittel*» 
bare Gegenstände von beliebiger Form, so hat »Wesen«: 
1. Braunes vierbeiniges laufendes Naturwirkliches (als »Allge** 
meines«). 
2. Freude, Wille. _ 
3. Rechtwinkliges Dreieck; V 2. 
4. Dieser von der Trambahn überfahrene Hund. 
5. Sonnenuntergang; Splitter. 
6. Das auf der rechten Ecke meines Schreibtisches liegende und 
beinahe hinunterfallende Buch. 
7. Tier; Säugetier, Ratte. 
8. Tugend. 
9. Gott. 
Jedes Wesen kann durch ein Wort bezeichnet werden. Warum aber 
gibt es keine Worte für das von uns unter 1, 4 und 6 Genannte? 
Wir antworten : weil das nicht wesentlich ist. 
Wesen habend oder wesenhaft ist also nicht ohne weiteres »wesent* 
lieh«. 
Wann ist ein Wesenhaftes wesentlich ? Das werden wir später prüfen ; 
es wird keine leichte Prüfung werden. Einstweilen sagen wir nur, daß 
wir »praktisch« und »endgültig ^»ordnungshaft« Wesentliches unter** 
scheiden können; nur das zweite ist selbstverständlich von eigentlich 
logischer (vielleicht natur* oder seelenlogischer) Bedeutung. 
Und nun noch Eines : Es kann auch Worte geben für Wesen, welche 
nur praktisch, aber nicht logisch wesentlich sind; dahin gehören Son*» 
nenuntergang und Splitter. Es kann auch »noch« kein Wort geben 
für Wesen, welches »später vielleicht einmal« sich als wesentlich erj» 
weist. 
Der »Takt« entscheidet hier in erster Stufe, die »Wissenschaft« in 
zweiter. 
Das Wesen wird, wie alles Ordnungshafte, in seinem Bestände ge^ 
schaut. 
Die Lehre von der Schau von Wesen heißt nach Husserl »Phaeno^« 
menologie« — kein besonders glückliches Wort. Praktisch geht sie bei 
' s. o. S. 38. 
91 
ihm meist auf solche Wesen, welche für die Psychologie bedeutsam 
werden; (Wesen der Gefühle, »der« Wahrnehmung, »des« Phantasma 
usw.). 
Nach diesen vorläufigen und allgemeinen Erörterungen über Wesen 
gehen wir über zur Untersuchung derjenigen nicht weiter zerlegbaren, 
also ordnungsendgültigen Bedeutungen, welche tatsächlich erlebtes 
Sosein zusammensetzen. 
Das tatsächlich bewußt gehabte Sosein ist fast stets zusammen* 
gesetzt. Es ist seltsam, wie gering die Anzahl des Letzten ist, aus dem 
es sich aufbaut. 
3. REINE SOLCHHEIT 
REINE SoLCHHEiT kann man nur als diese erleben, nicht beschreiben; 
es sei denn, daß man sagt, sie sei das am Sosein, was nicht Be* 
ziehlichkeit, Tönung, Anzahl, Räumlichkeit ist. Reine Solchheit ist 
EINFACH, ich kann von ihr nur schlicht sagen: »So ist es«. 
Die Psychologie nennt die reinen Solchheiten »Empfindungsinhalte«. 
Wir wissen aber noch nicht, was Empfindung ist, und ebensowenig 
kennen wir »Sinne« oder gar »Sinnesorgane«. Wir untersuchen uns« 
MITTELBAR GEHABTE GEGENSTÄNDE. Allenfalls könnten wir von »Empfun* 
denem«, von »Anschaulichem« reden — aber auch das wären uns bloße 
Worte an dieser Stelle. 
Erörterungen der Beziehlichkeitslehre vorwegnehmend dürfen wir 
vielleicht sagen: Reine Solchheit ist Gegenständliches, das nur Glied, 
aber nie Beziehung in Beziehlichkeitsgefügen sein kann; aber positiv 
gekennzeichnet ist reine Solchheit dadurch nicht, denn es gibt noch 
mehr Gegenstände, die nur »Relate« aber nie »Relationen« sein können. 
Reine Solchheit ist zunächst einmal blau, rot, warm, so^^tönend, 
schmerzhaft, drückend und so weiter. 
Sie läßt sich in ihren verschiedenen Formen, soweit sie hier genannt 
sind — auch das ist nur erlebbar — zu Solchheitsgruppen zusammen* 
tun, die den verschiedenen »Sinnesgebieten« der Seelenlehre entspre* 
chen: Farben, Töne, Wärme usw. Solchheitsgruppen sind Soseins^ 
gruppen^ besonderer Form. 
Sie sind Reihen unzerlegbarer Solchheitsarten, angeordnet nach ihrer 
»Ähnlichkeit«, d. h. nach dem Grade ihrer Verschiedenheit in bezug 
auf Solchheit. Auch hat jede Solchheit im Einzelfall ihres Erlebt* 
Werdens einen Grad in bezug auf ihre Stärke; was das heißt, kann 
_____ 
92 
aber erst später verstanden werden. Es ist bedeutsam, daß sowohl der 
Grad an Solchheitsverschiedenheit wie der Grad an Stärkeverschieden* 
heit innerhalb einer und derselben Gruppe von Solchheit nur durch 
Beziehung auf andere Soseinskennzeichen — Beziehlichkeit, Zahl — 
erfaßt werden kann. Das zeigt, wie wenig die reine Logik mit der 
REINEN sinnesmäßigen Solchheit anfangen kann. Sie kann eigentlich 
nur ihr Dasein in verschiedenen Ausprägungen feststellen. 
Immerhin kann sie, sobald sie den Begriff der Reihen darstellenden 
Solchheitsgruppen einmal hat — welcher Begriff aber eben schon nicht 
der Lehre von der reinen Solchheit allein angehört — eine wichtige 
Setzung schaffen: nämlich die Setzung Gegensatz im Unterschiede 
von »Widerspruch«. Einen Gegensatz bilden verschiedene Glieder 
einer Solchheitsgruppe, und zwar ist er um so »größer«, je unähnlicher 
die Glieder in bezug aufeinander sind. 
Eine reine Solchheitsgruppe pflegt durch einen besonderen Namen, 
wie »Farbe«, »Ton« usw. ausgezeichnet zu werden. Farbe als Setzung 
hat dann also einen Umfang, welcher die Umfange aller besonderen 
Farben umfaßt. Kennen wir die besonderen Farben, so können wir 
von einem Etwas, von dem wir nur wissen, daß es farbig ist, sagen: 
»Dieses ist entweder rot oder grün oder ...... Hier treffen wir auf 
die Bedeutung des entweder — • oder im Bereiche derSolchheitslehre; 
diese Bedeutung ist bekanntlich nicht nur in der Lehre von den reinen 
Solchheiten, sondern in der Soseinslehre überhaupt, viel Inhalt* und 
folgereicher als diejenige desselben Wortpaares im Bereiche der Da* 
seinslehre. Dort hieß es nur »Etwas ist A oder Nicht* A«; jetzt heißt 
es »Dieses ist ai oder a2 oder as oder ... an«. Das »Nicht* A« verliert 
jetzt seine Leere, weil es eben als B, C usw. bestimmt ist. 
Gibt es in einer Soseinsgruppe A nur etwa 5 Arten, ai bis as, und 
kennen wir sie alle, so ist der Schluß erlaubt: »Weil dieses besondere 
A nicht ai oder as oder ai oder as ist, deshalb ist es a2«\ Hier liegt 
die Bedeutung der vollständigen Disjunktion. 
Im Gebiet reiner Solchheit läßt sich über Vollständigkeit des Wis* 
sens über die Glieder einer Solchheitsgruppe aber nur im Sinne ur* 
sprünglichen Schauens etwas ausmachen, es wird nicht eigentlich »ver* 
standen«, daß es nur diese Farben geben kann, denn Farbe (und Ton 
usw.) ist kein »unentwickelter entwickelbarer Begriff«^ wie Kegel* 
^ Weiteres über das »disjunktive Urteil« überlassen wir der eigentlichen »Logik«, 
z. B. die Abzweigung des »divisiven« Urteils (teils— teils— teils . . .) usw. (Vergleiche 
meinen Aufsatz in Kantstud. Bd. 16, 1911.) ^ s. o. S. 62. 
93 
schnitt, d. h. ich schaue wohl, daß dieses hier die Gesamtheit möglicher 
Farben ist, aber nicht, inwiefern sie durch die Setzung »Farbe« gleiches 
sam mitgesetzt werden. 
Farbengeometrie und Harmonielehre sind die »Mathematiken« von 
Farbe und Ton; es hängt mit dem soeben Gesagten zusammen, daß sie 
nur schlicht schauende, aber nicht ableitende »Mathematiken« sind. 
Von Wichtigkeit für Späteres sind gewisse Sonderkennzeichen der 
einzelnen Gruppen reiner Solchheit: Die Farben haben stets die Eigen* 
tümlichkeit des »da draußen« und werden daher später ganz vornehm* 
lieh zur Schöpfung des Begriffs Natur verwendet werden. Schmerz, 
Getastsolchheiten u. a. haben andere Eigenheiten, unter anderem auch 
die des jeweils besonderen »/izer« (»Lokalzeichen«); auch das wird 
später bedeutsam werden, nämlich für die Setzung des Begriffs mein 
Leib. Hier liegt ein weites Gebiet für künftige Gegenstandsforschung. 
Was sonst die Ordnungslehre noch über reine Solchheit zu sagen 
hätte, das kann sie erst sagen, wenn sie die übrigen Kennzeichenarten 
des Soseins kennt. 
4. TÖNUNGEN 
rönungen geben einer Setzung als Ganzem einen bestimmten So* 
seinszug. Sie sind ganz wie reine Solchheit, die auf einzelne Merk* 
male geht, etwas Unauflösbares. Sie sind »unanschaulich«. Wir wollen 
hier ganz kurz über sie sein, da sie für die große Mehrzahl der zunächst 
folgenden Teile dieses Werkes nicht in Frage kommen, und wir dort, 
wo sie in Frage kommen werden, ihrer besonders Erwähnung zu tun 
gedenken. 
Lust und Unlust^ sind eine Gruppe Von Tönungen. Sie machen die 
Gefühle genannten Gegenstände eben zu »Gefühlen«. Sie sind durch* 
aus Gegenstände, welche gehabt sind, und nicht etwa »Zustände« 
des Ich. 
Allgemeinheit, Endgültigkeit, Erledigtheit, Zukünftigkeit, Nur* 
VORGESTELLTHEIT, NaTURWIRKLICHKEIT, ErWÜNSCHTHEIT, ErINNERTHEIT, 
Unmittelbarerlebtheit und anderes sind weitere Beispiele von Tönun* 
gen, welche ganzen Setzungen anhängen und ihr Sosein mitbestimmen. 
Auch sie betreffen durchaus nicht etwa nur das Erleben als Erleben, 
sondern sind etwas am Erlebten, also etwas am »Gegenstand« ^ 
Sie sind nie allein erlebbar, ebenso, aber doch in anderer Weise, wie 
* »Schmerz« ist aber reine Solchheit, nicht »Gefühl«. ' Sie gehören also nicht etwa 
nur in das Bereich dessen, was wir später »Eigenerlebtheit« nennen werden. 
94 
etwa reine Solchheit nie ohne Stärke, ja oft nicht ohne Räumlichkeit 
erlebbar ist. Sie bedürfen eines gründenden (»fundierenden«) beson* 
deren Setzungssoseins von meist zusammengesetzter Art. 
Aber umgekehrt: auch reine Solchheiten oder beziehliche Vereinig* 
gungen von ihnen, werden nie allein erlebt^; irgendeine Tönung ist 
diesen stets als Zeichen angeheftet: sei es auch nur das Zeichen des 
»bloß Setzung sein«, oder des »ausdrücklich Vorstellung sein«, oder 
des »als wirklich erlebt sein«. 
Die allgemeine Ordnungslehre weiß auch mit dieser zweiten Haupt* 
gruppe reiner Solchheit nicht viel zu beginnen; sie überläßt ihre Be** 
handlung der Natur* und der Seelenlehre als besonderen Zweigen der 
Ordnungslehre. — 
Nur über ihr Zerfälltsein in Gruppen hat sie noch einiges Beson* 
dere zu sagen. 
Wie Lust und Unlust eine besondere von uns bereits klar abge* 
sonderte Gruppe unanschaulicher Tönungsgegenstände bildeten, so 
bildet eine zweite Gruppe die Allgemeinheitstönung, d. h. der Ton 
des in erster (Hund) oder zweiter (Raubtier) oder noch höherer 
(Wirbeltier) Stufe Mitgesetztseins. 
Eine dritte Gruppe bilden die Tönungen des Ordnungsendgültig* 
SEINS und des Erledigtseins, welche wir schon kennen. Unter End* 
gültigkeitsstörung verstehe ich hier nicht etwa die endgültige Ord* 
nungsbedeutung als solche, wie etwa Zahl, Beziehung, sondern den 
Ton, DASS da eine Endgültigkeitsbedeutung unzerlegbarer Art vorliegt, 
und ebenso, an zusammengesetzten Gegenständen, den Ton, dass hier 
alles »in Ordnung« ist, z. B. am pythagoreischen Lehrsatz. Der End* 
gültigkeits^on haftet also allen endgültigen Bedeutungen an, auch den 
Bedeutungen gut und schön. 
Hierher gehören auch die Gradtönungen mit Rücksicht auf das 
»In Ordnung seins«, also z. B. die Tönung des »vielleicht« (der »Hy# 
pothese«), die Tönung des »Annahme«. 
Eine besondere Gruppe bilden weiter die Seinskreiszeichen, welche 
von ganz außerordentlich hoher ordnender Kraft sind: Nurvorge«« 
STELLTHEIT, ErINNERTSEIN, NaTURWIRKLICHES MeINEN, SeELENWIRK* 
LiCHES Meinen, Der fremden Seele angehören. Metaphysisches 
Meinen. Ja, die Seinskreiszeichen gliedern sich gar mannigfaltig in 
^ Es gibt also kein »intentionsfreies« Erlebnis ; das ist aber gegenüber der Einsicht, 
daß es kein Erlebnis ohne irgendein Ordnungszeichen (»dieses«) gibt, ein neues 
Ergebnis. 
95 
Nebensächlichkeiten hinein: Richard III. hat für die Geschichte das 
Naturwirklichkeitszeichen, die ihn meinende Setzung kann aber auch 
den Ton »zu Shakespeares Drama gehörig« haben; und die Setzung 
»Kater« kann den Kater der Zoologie, den gestiefelten Kater und den 
Kater Murr kraft ihrer Tönung meinen. 
Alle Tönungen sind »Merkmale« an Setzungen, können also »Prä* 
dikate« in »Urteilen« sein ; freilich nicht, wenn wir so sagen wollen, 
»konstituierende«, sondern Seinskreiszugehörigkeitsprädikate. In die^s 
sem Sinne eben^ sind »100 wirkliche Taler« ein anderer »BegrijßF« als 
»100 nur vorgestellte Taler«. Diese Einsicht ist metaphysisch wichtig. 
Daß ALLE Tönungen gegenständlich sind und nicht etwa »Stellung 
gen«, »Haltungen«, »Gesichtspunkte« usw. des »Ich« bedeuten, kann 
gar nicht oft und scharf genug gesagt werden^. Manche von ihnen, 
vielleicht zumal Lust und Unlust, mögen nie ohne besonders starke 
Betonung des »Ich weiß Mich als Habenden« erlebt werden; aber das 
geht ihre Bedeutung nichts an. Erst die echte Psychologie darf hier 
vielleicht anders reden; in ihr ist dann der Begriff der »Stellungnahme«, 
(nämlich der »Seele«), selbst ein Ordnungsbegriff. 
»Stellungen« des Ich gibt es für die reine Logik nur eine: Ich habe 
bewußt, 
5. BEZIEHLICHKEIT 
a) ALLGEMEINES 
Was wir unter Beziehlichkeit als Kennzeichen des Soseins von 
Setzungen verstehen, wird ohne weiteres klar durch die Über* 
legung, daß von den durch reine Solchheiten ausgedrückten Merk* 
malen a, b, c, d, welche eine Setzung A kennzeichnen mögen, a zu b, 
c, d eine andere Art der Beziehung haben kann als b zu a, c, d und so 
fort. Die Merkmale stehen also nicht einfach neben einander: ihreBe^ 
Ziehungen sind selbst Merkmale, 
Diese Beziehungs* und eben damit Beziehlichkeitsbesonderheiten 
als Merkmale einer Setzung offenbaren sich in dem, was man eine 
Setzung A praktisch »mitsetzen« läßt; das ist der Möglichkeit nach 
eine Setzung mit den reinen Solchheiten a b c, oder a b d, oder a c d, 
oder b c d gleichermaßen; der »Wirklichkeit« nach, das heißt als prak* 
tisch bedeutsame, auch von anderen Setzungen mitgesetzte Setzung 
wird es meist nur eine unter jenen vieren sein; eben weil a b c d in 
^ s. o. S. 30. ^ HussERL steht übrigens dieser Ansicht, wie mir scheint, zum min^: 
desten sehr nahe. 
96 
Beziehlichkeitsbesonderheit stehen. Das wird in der Lehre von der 
Ordnung des Naturwirklichen bedeutsam werden und zwar in der 
Lehre vom Gefüge (»System«) des Natur^Soseins; die Lehre von der 
»richtigen« Umgrenzung einer Setzung (nach »genus proximum und 
differentia specifica«), derer wir schon einmal Erwähnung taten, hängt 
damit zusammen. 
Wie alle Kennzeichen des Soseins kann auch die Beziehlichkeit nicht 
nur auf Merkmale, sondern auch auf verschiedene ganze Setzungen in 
ihrem Verhältnis zueinander und auch auf Einzigkeiten einer Setzung 
bezogen werden. Man darf bei allen diesen Fragen nicht von vorns^ 
herein an den »Raum« denken, mag auch oft Beziehlichkeit »räumlich« 
sein, mag sich auch der Raum uns später als ein besonders ausgeprägtes 
Sonderfeld von Beziehlichkeit offenbaren. Auch an »Zahl« soll hier 
nicht gedacht werden; »Ordnungszahlen« sind eben Zahlen in Bezieh^ 
LICHKEITSBESONDERHEIT. 
Alle Anordnung ist Ausdruck eines Bezogenseins, aber sie ist, wenig* 
stens sowie mehr als zwei Bezogene da sind, mehr als dieses. 
Das was in Besonderheit angeordnet ist, nennen wir Glieder einer 
Beziehlichkeit. Ein Glied ist also, wenn es sich um die letzten Merk* 
male einer Setzung handelt, etwa durch reine Solchheit, wenn es sich 
aber um Anordnung mehrerer zusammengesetzter Setzungen handeln 
soll, durch das ganze Sosein jeder, das als festgelegt gilt, gekenn* 
zeichnet. 
Sind der Glieder nur zwei, so ist, wie gesagt, die Angelegenheit 
einfach: sie wird zu bloßer Beziehung; es kommt zur näheren Kenn* 
Zeichnung in Frage das Sosein der Glieder als solcher und das Sosein 
der Beziehung als solcher. Kann von ersterem abgesehen werden, weil 
Einzigkeiten derselben Setzung (etwa: »Männer«) vorliegen, so tritt 
der reinen Beziehung Sosein allein hervor. Die Beziehung ist Wechsel* 
SEiTiG*GLEicH, wenn sie dieselbe bleibt nach Vertauschung der Glieder 
(z. B. »Brüder«), sie ist einseitig (z. B. »Vater und Sohn«) im anderen 
FalF. 
Die meisten Glieder einer Beziehlichkeit enthalten wieder in sich 
selbst Beziehliches, d. h. sind in ihrem Sosein nur durch Verwendung 
des Begriffs Beziehung erschöpfend zu kennzeichnen. 
' Man vergleiche den guten Aufsatz von Höffding, »Über Kategorien« in Annal. 
Naturphil. 7, 1909, S. 121. Ferner Gutes bei Bolzano, Russell u. a. Sehr lehrreiche 
Ausführungen bei K H. Schmidt, Grundzüge einer Erfassungslehre, Roßwein 1922, 
S. 16-36. 
7 D r i e s c h , Ordnungslehre y / 
Reine Glieder können nur sein: alle reinen Solchheiten, alle von den 
Gruppen reinen Solchheiten mitgesetzten Allgemeinheitssetzungen, 
wie Farbe, Ton usw. und endlich das schlichte Etwas, das Dieses^ 
Solche. 
h) EINIGE BEISPIELE VON REIHEN UND VERWANDTEM 
Hat eine Beziehlichkeit mehr als zwei Glieder, so ist von beson* 
derer Bedeutung der Fall, daß ihre Glieder die Anordnung zu 
einer Reihe gestatten, das heißt, daß sie sich derart anordnen lassen, 
daß jedes Glied nur zu jeweils zwei anderen Gliedern, seinen Nach^ 
BARN, in Beziehung gesetzt wird. In einer Reihe steht also nicht nur 
jeweils eine Beziehung zwischen zwei Gliedern, sondern auch jeweils 
ein Glied zwischen zwei Beziehungen. Damit, daß eine Anordnungs*» 
besonderheit sich zur Reihe ordnen läßt, ist nicht gesagt, daß sie keine 
andere Art der Anordnung erlaubt; es genügt, daß sie auch die An^ 
Ordnung der Reihe gestattet. 
Den Gliedern nach kann eine Reihe gleichgliedrig und ungleich* 
GLiEDRiG sein; im ersten Fall sind die Glieder als Glieder beliebig ver«» 
tauschbar; sie sind Einzigkeiten einer Klasse. 
Den Beziehungen nach kann eine Reihe gleichbeziehlich oder un* 
GLEicHBEziEHLicH Sein. Ist sie ungleichbeziehlich ohne weiteren Zusatz, 
so bietet sie keinen Gegenstand weiteren Nachdenkens. Anders, wenn 
sie FORTSCHREITEND ist, das heißt, wenn die Beziehungen dem »Grade« 
nach mit weiterlaufender Reihe steigen, wobei es bestimmte Ordnungs*» 
typen geben kann, z. B. den, daß die Abfolge der Beziehungen von 
der Art ist, daß diese Beziehungen zwar unter sich verschieden sind, 
daß die Verschiedenheit ihrer Verschiedenheit aber, oder die Verschies» 
denheit der Verschiedenheit ihrer Verschiedenheit, in irgendeiner Hin«« 
sieht gleichbeziehlicher Art ist. Man kann hier den Begriff des Schrittes 
einführen, um den Gradunterschied der Beziehungen auszudrücken, 
kann von gleichschvittlichen und ungleichschrittlichen Reihen reden 
usw. Der Begriff der Schrittregel kann eingeführt werden. Reihen 
sind ZWEISEITIG, wenn, oder wenigstens insofern, bildlich gesprochen, 
ihre eine Hälfte das »Spiegelbild« der anderen ist, wobei aber das 
Raumhafte, wie gesagt, nur ein Bild ist, denn wir handeln ja von Be«« 
ziehlichkeit schlechthin. Reihen können in sich rücklaufend oder »ge^» 
schlössen« sein. 
Von besonderer Bedeutung sind übergreifende (»transitive«) Reis» 
hen; sie liegen vor, wenn beliebige Glieder einer Reihe gestrichen 
98 
werden können ohne das Wesen der Beziehlichkeit zwischen den übrig 
gebliebenen zu stören. 
Beispiele von Reihen 
a) GleichgliedrigsGleichbeziehlich : 
Eine Reihe von Punkten in gleichen Abständen auf einer Graden. 
b) Gleichgliedrigsungleichbeziehlich: 
Eine solche Reihe in verschiedenen Abständen. 
c) Ungleichgliedrigsgleichbeziehlich : 
Haus — Baum — Stock — Katze, alle nur als »verschieden« betrachtet. Jede 
arithmetische und geometrische Reihe. 
d) Ungleichgliedrig*ungleichbeziehlich : 
Die Zahlen 1-3-7-20-38-1000-1624- Die Bezeichnung ist: »mehr«. 
Diese Reihe ist zugleich fortschreitend und dabei schrittungieich und 
transitiv. 
Mops — Pudel — Katze — Schimpanse — Eiche — Quarz. Beziehung : ver* 
schieden. Die Reihe ist fortschreitend (»immer verschiedener«), schriit* 
ungleich, transitiv. 
e) Ungleichgliedrig — ungleichbeziehlich — fortschreitend — schrittungleich 
NACH Schrittregel — transitiv: Jede Reihe des Mitsetzens, z. B. Gelbe Katze 
— Katze — Felicide — Raubtier — Säugetier — Wirbeltier — Tier. 
Die Zahlen 1—2-4—7—11—16 usw. Die Unterschiede der Beziehungen bilden 
hier eine gleichbeziehliche Reihe mit der Bezeichnung + 1- 
f) Zweiseitig (zugleich ungleichgliedrig — ungleichbeziehlich — fortschreitend — 
schrittungleich — innerhalb jeder Seite transitiv) : 
Die Zahlen 1070-127-60-7-5-1-5-7-60-127-1070 (»gleichseitig«). 
Die Zahlen 1070-127-60-7-1-8-50-135-1000 (»ungleichseitig«). 
g) Geschlossen, d. i. in sich zurücklaufend. 
Die Reihe der Farben. 
Die Reihe der Orte der Erde auf ihrem Wege um die Sonne in bezug auf diese. 
Anordnungen, welche eine Reihe darstellen, heißen einstufig. 
Zweistufig sind Anordnungen, wenn jedes Glied einer Reihe auch 
Glied einer für sich bestehenden anderen Reihe ist. 
Dreistufige Anordnungen werden gebildet, wenn jedes Glied der 
zweiten Stufe einer zweistufigen Anordnung wieder Glied einer neuen 
für sich bestehenden Reihe ist; und so fort ohne Abschluß. 
Von besonderer Bedeutung für Späteres sind mehrstufige gleich* 
GLIEDRIGE GLEICHBEZIEHLICHE (»HOMOGENE«) ANORDNUNGEN. Sie gehen 
aus einer einstufigen gleichgliedrigen gleichbeziehlichen Reihe her«« 
vor, wie z. B. aus der Reihe — 7— 6— 5— 4— 3— 2— 1—0— 1 —2—3— 4—5— 
6—7—, wenn hier die Zahlen Einzigkeiten derselben Setzung bedeuten, 
und ihre Verschiedenheit nur die Besonderheit des Platzes jedes Gliedes 
bezeichnen soll; 1?— le- Is- U— Is- 12— li— lo— li— 12— la 
wäre vielleicht eine bessere Bezeichnung dafür. 
99 
L 
Es ist besonders zu betonen, daß hier jedes Glied die Rolle der 0, 
bezw. lo, spielen könnte. 
Jedes Glied dieser Reihe nun soll auch Glied einer zweiten Reihe 
von durchaus derselben Art sein, und es tritt weiter die folgende For* 
derung hinzu ^ 
Das n^, das heißt: ein beliebiges Glied jeder der durch die erste 
Reihe erzeugten zweiten Reihen, und zwar auf beiden Seiten der Ur* 
reihe, soll dieselbe Ordnungsbeziehung haben zum (a—n)*^" und zum 
(a-f-n)*^"" Glied der Urreihe, wenn a jeweils das die ins Auge gefaßte 
zweite Reihe erzeugende Glied der Urreihe ist. 
Also — (die Zahlen stehen wieder für Einzigkeiten derselben Setzung 
und bezeichnen nur den Ordnungsplatz 1): 
I I I i I 
I I I I I 
10 12 3 
1 I I I I 
2 10 12 
i I i I I 
3 2 10 1 
I I I i I I 
4 3 2 10 
I I I I I I I 
-7-6-5-4-3-2-1-0-1-2-3-4-5-6-7- 
I I I i 
6 5 4 3 
I I I I 
7 6 5 4 
I I I I 
8 7 6 1 
I I I I 
9 8 7 
I I I I ^ 
III 
III 
Es soll nun sein: 
Die Beziehung der 8 in der von der 5 der Urreihe ausgehenden 
zweiten Reihe zur 7 der Urreihe gleich der Beziehung ebenderselben 8 
zur 3 der Urreihe, gleich der Beziehung der 2 in derselben von der 5 
der Urreihe ausgehenden zweiten Reihe zur 7 der Urreihe, gleich der 
Beziehung derselben 2 zur 3 der Urreihe u. s. f. 
Ganz ebenso lassen sich noch höherstufige »homogene« Reihen er* 
sinnen. 
Hier liegen die Wurzeln des Satzes von den Parallelen in der 
Raumlehre. Dieser Satz ist also eine besondere Ausprägung eines 
100 
möglichen Falles mehrstufiger Anordnungsbesonderheit, und zwar 
desjenigen Falles, welcher die geringste Zahl an Beziehungsunters 
schieden setzt. 
c) VOM ORDNUNGSMÄSSIGEN WESEN DES BEGRIFFS 
y>BEZIEHLlCHKErr<^ 
Was ist in diesem Ausbau eines Zweiges der Lehre von der reinen 
Beziehlichkeit eigentlich geschehen? 
Ich habe gleichsam »gearbeitet« mit den Setzungen Bezogenes und 
Beziehung. Das Bezogene war angesehen als solche Setzung, die Bes» 
Ziehung als solche Beziehung. Nun konnten weiterhin sowohl solche 
Setzung (== Bezogenes) wie solche Beziehung sowohl dieses wie jenes 
sein; jedes dieses und jenes, sowohl von Bezogenem wie von Beziehung 
konnte als Einzigkeit auftreten. 
Soweit kamen nur Urbestandteile der schon entwickelten OrdnungSi* 
lehre in Frage. 
Etwas Neues, das in Frage kam, gehört dem sogleich zu beginnenden 
Abschnitt der Ordnungslehre an ; es war die Setzung Zwei, oder, alls» 
gemeiner. Soviel als eine Setzung gefaßt. Doch war diese Setzung für 
mich, soweit ich über Anordnungsbesonderheit arbeitete, nur Mittel 
zum Zweck; das Arbeiten über Beziehlichkeit blieb jedenfalls eine 
Sache für sich. Kann man doch, wie wir wissen, sagen, daß die Zwei 
bereits bei der Setzung von Beziehung überhaupt eine Rolle spiele S 
gleichgültig ob es sich um Beziehung auf das Ganze oder auf ein 
ANDERES Glied handelt. Die Urbestandteile der Ordnung werden ja 
doch von der Ordnungslehre gleichsam künstlich aus der geordneten 
Erlebtheit herausgetrennt. 
Ich sage also: Da sind viele Setzungen; sie sind verschieden oder 
aber Einzigkeiten derselben Setzung, also einander gleich; sie sind 
bezogen. Was kann alles vorliegen^ an Verschiedenheit der Beziehungs* 
besonderheit, wenn jede Setzung mit anderen im Sinne des »Zwischen« 
unmittelbar bezogen ist? 
Dieses »kann« fordert die Aufrechterhaltung der Sätze von der 
Selbigkeit und von der Widerspruchsvermeidung; Anordnungs^ 
besonderheiten, bei denen etwa eine Einzelbeziehung mit einer anderen 
* S. o. S. 50. ^ Wir entwickeln hier nur der Ordnungslehre Grundsätze. Eine aus? 
geführte Lehre hätte auch die Fälle der endlosen, endlichen und rückläufigen 
Reihe zu beachten. Der Satz von dem Bezogensein einer Setzung auf jeweils zwei 
»zwischen« würde auf endliche Reihen, welche ja Anfang und Ende haben, nicht 
ohne weiteres passen. 
101 
als Einzelbeziehung, das heißt als diese Setzung, selbig und doch nicht 
selbig wäre, »kann« es also z. B. nicht geben. 
Aber sehr Mannigfaltiges an Anordnungsbesonderheit »kann« es 
geben. Wie finde ich das, was es geben, was es als Setzung sehr zu* 
sammengesetzte Art hier geben kann? 
Ich finde die Gesamtheit der möglichen Setzungen in bezug auf 
Beziehungsbesonderheit gleichsam durch ein fieies Spiel mit den 
Setzungen diese Setzung, jene Setzung, diese Beziehung, jene Bezieh 
HUNG, Nachbarsetzung; das heißt durch den »Versuch«, alles, was es 
hier an Möglichkeiten des Zusammenfügens gibt, zu wagen und es 
dann zu prüfen an seinen Grundforderungen. 
Freilich, Ich weiß eben, welches Spiel ich hier spiele, oder, schon 
etwas strenger gesprochen S welches Spiel mir hier vorgespielt wird. 
Ich spiele das »Anordnungsspiel«, und das eben ist das Neue, das 
Neuentdeckte für die Ordnungslehre: Es gibt als unauflösbaren Be* 
standteil des geordneten Gegebenen Beziehungsbesonderheit, das 
heißt Ganze, besser Sonderganze, welche so aus solchen so bezogenen 
Teilen bestehen. Daß es diese Beziehungsbesonderheit der Sonder* 
ganzen geben kann, das schaue ich im geordneten Erlebten, ebenso wie 
ich auch Sosein und Eindeutigkeit überhaupt in ihm, Ordnung gleich* 
sam fordernd, schaue. 
Die Setzung Beziehlichkeit oder Anordnungsbesonderheit ist also 
der Ausgang der Anordnungsbesonderheitslehre. Jene Setzung setzt 
mit: DIESE Setzung, jene Setzung, diese Beziehung, jene Beziehung, 
Mehrheit, Zwei, Nachbar oder wie wir es formen wollen; wir können 
auch den Ausdruck zwischen zwei, der aber weder »räumlich« noch 
»zahlenmäßig«, sondern eben reihenmässig zu verstehen ist, ver* 
wenden. 
Ist nun die Setzung Anordnungssonderheit etwas anderes als jene 
»Merkmale« alle zusammengetan? 
Daß diese Merkmale zusammen eben eine einstufige oder mehr* 
^ Man vergesse nie, daß »Denken« keine erlebte »Aktivität«, keine »Tätigkeit«, 
sondern ein kurzer Ausdruck für seine besondere Art des bewußten Habens, näm« 
lieh des Habens von Endgültigkeit und Erledigung ist. — Das »Anordnungsspiel« 
spiele also nicht »Ich«: vor mich tritt vielmehr, gleichgültig von woher, eine Fülle 
von besonderen Anordnungen, fortwährend unterbrochen von dem Begriffe »An« 
Ordnung überhaupt« — (das ist die »determinierende Vorstellung«, auf welche die 
»Aufmerksamkeit« gerichtet ist). Ich halte alles fest, was das Endgültigkeitszeichen 
trägt. Es ist sehr nützlich, sich solcher selbstbesinnlicher Betrachtungen im Laufe 
des Ausarbeitens der Ordnungslehre ab und zu bewußt zu werden. 
102 
stufige oder eine andere Anordnungsform als eine Setzung bilden, das 
ist das Neue am Ganzen im Gegensatz zum bloßen Beieinander seiner 
Merkmale. In einem Akt erfaßte ich Beziehungsgesamtheit, das heißt 
Anordnungsbesonderheit, also Ordnung — wenn wir nicht dieses Wort 
für das, was im Anfang aller Logik steht, uns bewahren wollen. 
Insofern ist Anordnungsbesonderheit zwar kein Urbestandteil der 
Ordnungslehre; sie ist nicht in ihrer Bedeutung lediglich rein auf«« 
zuzeigen, wie dieses, solches, eindeutiges; sie ist zusammengesetzt, läßt 
sich »umgrenzen«. Aber als eine Setzung erschöpft die »Definition« 
sie doch nicht. Warum denn wählte ich gerade sie als zu umgren* 
zende?Weil ich sie gleichsam vorwissend hatte, weil ich sie schaute. 
Und weil es sie schaute, schaute ich auch alle ihre möglichen »Arten«, 
von denen wir einige aufgezählt haben, weiteres einer Sonderwissen* 
Schaft überlassend. Wir treffen hier auf den ersten Fall eines denk«« 
MÄSSIGEN Gefüges (»rationelles System«) ; später wird im Zusammens« 
hang davon geredet werden. Die Setzung Beziehlichkeit ist ein un* 
ENTWICKELTER ENTWICKELBARER BeGRIFF^ 
Was uns hier auch zum erstenmal entgegentrat, das ist die gleichsam 
aufbauende Fähigkeit des Ich. Ich hatte den Begriff Beziehungs»« 
besonderheit, ich hatte auch seine Merkmale, und nun hatte ich auch 
gleichsam das »Vermögen«, diese Merkmale, insofern sie Arten ver*» 
schiedener Gattungen waren, bewußt zusammenzusetzen: besser ge^» 
sagt: endgültig Zusammengesetztes festzuhalten. Merkmalsgattungen 
waren z. B. Bezogenes, Beziehung, Schritt; Arten: gleiches und vers* 
schiedenes Bezogenes, gleiche und verschiedene Beziehung. Daraus 
eben »baute« ich scheinbar die Arten der Anordnungsbesonderheit 
auf; ich kann in den mehrstufigen Anordnungen sogar recht zusammen* 
gesetzte Setzungen »aufbauen«; und ich bin dann imstande, aus dem 
Aufgebauten heraus wieder sehr Mannigfaltiges mitzusetzen. 
Doch davon reden wir im besonderen noch in der Zahlen* und in 
der Raumlehre. Beide sind nämlich nur Besonderungen der Lehre von 
der Beziehungsbesonderheit. 
Hätten wir, was aber nicht im Plan dieses Werkes lag, die Syllogistik 
eingehender betrachtet, so hätten wir auch dort schon die gleichsam 
aufbauende Tätigkeit des Ich entdecken können. 
Eine Sonderwissenschaft entsteht allemal da, wo solche »Tätigkeit« 
sich betätigen kann; in diesem Sinne ist die Syllogistik die erste, die, 
praktisch nur in Ansätzen vorhandene, allgemeine Beziehungslehre die 
' S. o. S. 62. 
103 
zweite Sonderlehre, die sich von der allgemeinen Philosophie abzweigt 
und selbständig wird. 
Streng gesprochen handelt es sich natürlich nicht um »Fähigkeiten« 
des Ich und sein tätiges »Aufbauen«. Ich schaue nur, habe nur te= 
wüßt 
Aber ich schaue Füllen dessen, was unter eine Setzung fällt; ich 
schaue mit gewissen Setzungen, die dann eben entwickelbare unent*« 
wickelte Begriffe sind, ihre Fülle an »Arten«. 
Ganz leer sind das Genus und die Arten. Was es für besondere 
Formen von Beziehung tatsächlich »gibt«, wird ja erst Geometrie, 
Natur*: und Seelenlehre ausmachen. 
In diesem Sinne sind alle Ermittlungen der Beziehungslehre, wie 
übrigens auch die der »Mathematik« im engeren Sinne vorweggenom* 
MENE Sonderordnungsformen (»antezipierte Schemata«) ^. Aus der Ge* 
samtheit des Etwas heraus schaue ich sie; ich schaue sie also in Er^ 
FÜLLTHEiT mit reinen Solchheiten und anderem. Aber habe ich auch 
nur die Bedeutung von Beziehlichkeit überhaupt in solcher Erfülltheit 
an einem Beispiel geschaut, so schaue ich mit »unerfüllte« Möglichs» 
REITEN im Rahmen dieser Bedeutung, und zwar mit dem Tone daran, 
daß sie wohl auch »erfüllt« möchten geschaut werden können, d. h. so, 
daß an Stelle der bloßen Bedeutungen »solches Glied«, »solche Be^« 
Ziehung« bestimmte Gegebenheiten gesetzt wären. 
Das heißt »antezipierte Schemata« schauen. Es heißt also : der allge*» 
meinen Bedeutung nach endgültig schauen. Erfülltheit schauen aber 
heißt MIT REINER SoLCHHEiT DURCHSETZT (oder. Später, mit Natura oder 
Seelens^Sosein durchsetzt) schauen. 
Wir werden später hier wieder anknüpfen. 
d) UNTRENNBARKEIT UND VERTRÄGLICHKEIT 
IM ALLGEMEINEN SINNE 
Die Lehre von der Beziehlichkeit darf nicht verlassen werden, ohne 
daß zweier seltsamer Sonderordnungssetzungen, die in ihr Bereich 
fallen, wenigstens kurz Erwähnung getan wurde; kurz deshalb, weil 
sich im Rahmen der allgemeinen Ordnungslehre eben nur wenig — im 
Rahmen der Naturlehre dann freilich um so mehr — über sie sagen 
läßt. 
Ich meine die beziehlichen Setzungen untrennbar und verträglich. 
' Bei Dingler (Krit. Bemerk, z. d. Grundlagen d. Relativ.theorie, 1921, S. 26) finde 
ich trefifend die Mathematik bezeichnet als »Bereitstellung von Formen«. 
104 
Beide drücken Beziehungen zwischen Merkmalen von Setzungen 
aus, die durch reine Solchheiten dargestellt werden ; die erste sagt aus, 
daß gewisse reine Solchheiten immer beisammen vorkommen, die zweite 
redet von einem beisammen Vorkommen^/:önnen, oder aber einem bei»» 
sammen Nicht=woTkomTnen!^können, 
Das Beieinandersein »müssen« oder »nicht können« ruht hier nun 
aber nicht auf der Forderung des Widerspruchausschusses; in diesem 
Falle würden wir hier ja gar nichts Neues sagen. Es handelt sich viel* 
mehr um im »Wesen« d. h. im geschauten Sosein reiner Solchheiten ge* 
legene Beziehlichkeiten, womit freilich nicht allzuviel gesagt ist ; immer^ 
hin ist so viel mit diesem Ausdruck gesagt, daß klar wird, es handele 
sich noch nicht etwa um irgendein notwendiges oder unmögliches Bqu 
einander im Gebiet des Naturwirklichen. 
Untrennbar, wir wissen es schon, sind reine Solchheiten und Töf 
nungen; nie ist eine ohne die andere. Untrennbar sind auch reine Solch:« 
heiten und ihre Stärken. Untrennbar sind ferner gewisse reine Solch* 
heiten von derjenigen Solchheit, welche »Ausdehnung« genannt und 
später eingehend von uns untersucht werden wird: die Farben sind es, 
die nur in Ausdehnung erlebt werden, und andererseits wird Aus* 
dehnung nie unmittelbar erlebt ohne Farbe. 
Über diese Sachlage ist, wenn man sie einmal schauend eingesehen 
hat, gar nichts weiter zu sagen. 
Dasselbe gilt nun von Verträglichkeit und Unverträglichkeit: 
Rot und Grün sind beide als Farben an Ausdehnung gebunden, aber 
Rotes ist nicht »auch« Grün, kann nicht auch Grün sein, wenigstens 
nicht »zugleich«, besser gesagt: dieser jetzt gesetzte Raumteil ist rot 
oder grün oder noch anderes. Wir können kurz sagen: Die reinen 
Solchheiten einer Solchheitsgruppe schließen sich raumhaft aus. Wir 
sehen ein, daß dem so sein müsse, können aber unserer Einsicht keine 
weitere Erläuterung geben; wir sehen »apriori« ein. Wesentlich anders 
werden mit Rücksicht auf das mögliche Beieinander die Dinge im Ge* 
biet der Natur liegen. 
Es ist wenig, was die allgemeine Ordnungslehre über Untrennbar* 
keit, Verträglichkeit und Unverträglichkeit zu sagen hat. Ist doch, von 
den wenigen hier mitgeteilten Einschränkungen abgesehen, alles für 
sie möglich, was widerspruchsfrei ist. 
105 
6. VON DER ZAHL 
a) GRUNDLEGENDES 
Die Einführung der Setzung Zahl gestaltet sich am einfachsten und 
klarsten in folgender Weise ^: 
Das ist Setzung A »und« das ist Setzung B; beide seien nur als Setzun* 
gen, also als Einzigkeiten des Gesetzten überhaupt betrachtet. Dann 
kann Ich das A »und« das B in eine Setzung zusammenfassen. Diese 
Setzung ist zwar als Setzung diese eine, aber sie bedeutet Zwei, sie be* 
deutet dieses und dieses. So ist eine Setzung von ganz besonderer Be« 
deutung, ganz besonderem Inhalt gewonnen. Sie auch erst schafft nun 
als ihr Gegenstück die 1, d. h. diese Setzung als eine, also nicht als zwei. 
Angesichts der 2 und der 1 nun erfasse ich weiter die 2 als mehr denn 
die 1, und zwar als um 1 mehr denn sie. So wird die 2 zu 1 + 1; aus 
dem UND wurde das +, das mehr, das dazu. 
Ich kann nun weiter zwei Setzungen zusammenfassen, welche sich 
nur dadurch unterscheiden, daß die eine die Bedeutung 1, die andere 
die Bedeutung 2 hat; ich nenne diese Setzung 3 und schaue, daß das 
Verschiedensein der 3 von der 2 durchaus dasselhige sei, wie dasVer^ 
schiedensein der 2, also des l-{-l, von der 1. Ebenso gelange ich von 
der 3 zur 4, ja von n zu (n + 1). Von den Schritten, welche von einer 
Zahl zur anderen führen, schaue ich allgemein, daß sie Einzigkeiten 
derselben Setzung, daß sie also »einander gleich«^ seien. 
Wir können also kurz sagen: ich setze kraft meines Ur*Wissens um 
eine besondere Form des bedeutungshaften Endgültigen die 2, schaue, 
ebenfalls kraft meines Urwissens um Endgültiges, die 2 als 1 + 1 und 
schaue endlich die Möglichkeit eines Weitergehens der »Soviel«*Be* 
deutungen nach Schritten, welche einer Setzung, nämlich der Setzung 
UM 1 MEHR Einzigkeiten sind. Ich setze also 1 + 1 + . . . 
Hiermit habe ich zugleich gewonnen: erstens die Setzung Zahl 
überhaupt, als Zusammenfassung einer Setzungsvielheit in eine jeweils 
durch bestimmtes Sosein gekennzeichnete Setzung, zweitens das schritt* 
^ Man vergleiche zu diesem Abschnitte außer den (s. Anm. S. 59) genannten Werken 
von B.Russell und Couturat, vornehmlich: Heymans, Gesetze u. Elem. d. wiss. 
Denkens, 2. Aufl. 1905; H. Poincare, Wissenschaft und Hypothese, erste deutsche 
Ausgabe 1904, Natorp, Log. Grundlagen d. exakt. Wiss., 1910. Zumal in dem aus« 
gezeichneten letztgenannten Werke findetsich die Literaturfast vollständig angegeben. 
Vieles Gute auch, zumal zur Kritik des »Begriffs« der Stetigkeit bei J. Cohn, Vor« 
aussetz. u. Ziele d. Erkennens 1908. K. H. Schmidt (vgl. S. 52 Anm.) nimmt die Arith« 
metik als Lehre von der »Daseinserfassung«, im Gegensatze zur Lehre vom Sosein. 
^ S. S. 59. 
106 
weise fortschreitende »Erzeugungsgesetz« der Zahlenreihe, drittens, 
sich aus beiden ergebend, die Zahlenreihe als geordnete Reihe. 
Etwas ganz rein der ZAHLENlehre angehöriges Neue ist hier nur die 
Zahl als zur Einheit, zu einer Setzung zusammengefaßtes Vielfaches, 
also als Anzahl. In die Zahlenreihe als Reihe spielt dagegen der Be** 
ziEHLicHKEiTsbegriff, das Wissen um Anordnungsbesonderheit als um 
ein Endgültiges mit hinein. 
Daß es »Zahlen« im Sinne des Mehrbaren sind, die als »Glieder« 
angeordnet werden, das ist freilich auch hier der reinen Anordnungs** 
lehre gegenüber etwas Neues, anders gesagt: der Umstand ist etwas 
Neues, daß aus der bloßen Setzung diese Beziehung, wie die reine An^ 
Ordnungslehre sie kennt, die besondere Beziehung mehr (weniger) ge* 
worden ist. 
Die Setzungen Anzahl, das heißt Vielheit als Einheit, und um 1 mehr 
sind also aller Zahlenlehre Grundlagen^. 
Das MEHR zeigt sich in der Bedeutung des reinen 1 + 1 + 1 4" • . . + 
Das Anzahl zeigt sich im (1 + 1), (1 + 1 4" D und so fort. 
Unsere Darlegung stellt, wie wir meinen, das der Setzung Zahl denk* 
mäßig Eigentümliche am reinsten dar. Wir schaffen also zuerst die 2. 
Sie ist weder »Kardinal«*, noch »Ordnungs«zahl; sie ist durchaus nur 
Zahl. Im Weitergehen bringen wir den Begriff des Schrittes der Be* 
ZIEHUNG aus der Anordnungslehre an die Zahl heran; der Schritt ist 
das -j- 1 -{- ; so kommen wir denn zur Reihe der Zahlen als geordneter 
Reihe. Im Erzeugungsgesetz der Zahlenreihe werden eben alle Zahlen 
außer der 2 sowohl als »Kardinal«* wie als Ordnungszahlen zugleich 
gewonnen. Keine Zahlenart hat einen Vorrang vor der anderen. 
In unserem 1-|-1 + 1 + 14''--» ^us welchem, sobald an einem Gliede 
abgebrochen und zur Zusammenfassung, zum Soviel geschritten wird, 
die Kardinalzahl, sobald auf die Reihenfolge des jeweils Zusammen* 
gefaßten im Sinne des mehr geachtet wird, die Zahlenreihe als Ord* 
nungsreihe hervorgeht, haben wir zugleich alle sogenannten »Gesetze« 
der »Addition« gewonnen. 
Wir haben auch eine Umgrenzung dessen gewonnen, was man Zä/i* 
len nennt; Zählen, sei es von »Dingen« oder von Merkmalen oder von 
Setzungen oder von Setzungseinzigkeiten, ist ein Zuordnen zu den 
Gliedern des 1 -f- 1 + 1 4" • • • und ein Zusammenfassen der Glieder des 
^ Arithmetik also ist nicht nur, als was sie lange Zeit allein angesehen wurde, Lehre 
vom WiEsViEL, sondern in mindestens demselben Maße Lehre von Anordnung, d. h. 
von besonderer Beziehung. 
107 
1 + 1 -|- 1 . . ., denen zugeordnet wurde, zu einer Zahl. Nicht also eigent* 
lieh die »Dinge« oder was man sonst will, haben Zahl; aber sie als 
Gesamtheit sind einer Zahl zuordenbar, »erfüllen« eine Zahl, weil 
jedes von ihnen einzeln einem Gliede des 1 + 1 + 1 + • • • zuorden* 
bar ist. 
Die Umgrenzung der Zahl auf das Zählen gründen, heißt natürlich 
das Pferd am Schwänze aufzäumen. Auch braucht auf den KANxischen 
Irrtum, die Zahl mit der »Zeit« zu verknüpfen, wohl nur hingewiesen 
zu werden. Zählen als seelenmäßiger Akt braucht Zeit; aber Zahl und 
Zeit haben nichts miteinander zu tun. 
Das sogenannte »Prinzip der vollständigen Induktion« oder der 
»Schluß von n auf n-\- 1« ist in unserem Erzeugungsgesetz der Zahlen*« 
reihe ohne weiteres mitgesetzt. Es liegt eben kein zureichender Grund 
dafür vor, irgendein + 1 + etwas anderes als irgendein anderes + 1 + 
bedeuten zu lassen. Dieses Fehlen des zureichenden Grundes für neue 
Setzungen werden wir noch oft anzuwenden haben; eben wegen dieses 
Fehlens bestehen schon gesetzte Setzungen in ihrer Gültigkeit fort; 
es wäre ein unbegründetes Durchbrechen des Gesichtspunktes der 
Setzungssparsamkeit, wollten wir das -\- 1 -\- Verschiedenes bedeuten 
lassen. Auch das sogenannte »Kommutationsgesetz« der Addition, 
nämlich der Satz a + b == b -}- a, beruht auf solchem Fehlen des zu* 
reichenden Grundes für eine Bedeutungs Verschiedenheit. 
Man braucht in der Tat nur alles festzustellen, was aus dem Begriff 
der Anzahl, des Mehr, der Anordnung oder kurz: des Zahlen* 
ERZEUGUNGSGESETZES folgt und nicht folgt, um das gesamte Gefüge der 
Zahlenlehre zu erhalten. Die genannten Begriffe aber sind als end^: 
gültig geschaute Ordnungs^ Bedeutungen. 
Wollen wir einmal das Wort »Axiom« verwenden, so können wir 
sagen, daß die Arithmetik zwei Axiome habe, deren erstes sich er* 
schöpft in dem Satz, dass es der Bedeutung des Soviel gibt, daß also 
1+1=2 ist, und deren zweites die überall gleiche Bedeutung des 
+ 1 -f- betont. Dieses zweite Axiom könnte man durch die Formel 
ausdrücken X n+i — X n = 2 — 1. 
Wer sich dem KANrischen Sprachgebrauch anschließen will, mag 
die Axiome »synthetische Urteile apriori« nennen, obschon die Urteils* 
form hier eine recht gezwungene Sache ist^: in 1 -|- 1 liegt nicht »dem 
Begriffe nach« das = 2, in -f- 1 + nicht seine Gleichwertigkeit an jeder 
* Im Urteil 1 + 1=2 wäre (1 + 1) »Subjekt«, (= 2) »Prädikat«. Dazwischen stünde das 
zunächst leere »ist«. 
108 
Stelle. Also sind die Urteile »synthetisch^; ebenso sind sie »apriori«, 
denn sie sind ja ganz ursprüngliche Schauungen endgültiger ordnungs»« 
hafter Zusammengehörigkeiten und haben mit »Empirie« sicherlich 
nichts zu tun. 
Alle abgeleiteten arithmetischen Sätze, von dem berühmten KANxii« 
sehen 7 -|- 5 = 12 angefangen bis zu den höchsten Höhen der Mathe:» 
matik, folgen »analytisch« aus dem, was die Axiome aussagen, sobald 
man hinzunimmt die Schau der Möglichkeit der zusammengesetzten 
arithmetischen Gebilde im Sinne »antezipierter Beziehungsschemata« ^. 
Aber darum sind jene abgeleiteten Sätze nicht etwa selbst »analytische 
Urteile«; wir mögen sie, wenn wir überhaupt diese Wortverwendung 
lieben, ABGELEixEx^synthetisch apriori nennen ; die synthetische Aprio* 
rität der Axiome wird durch alle Beweise hindurchgerettet. 
Doch wir haben hier schon Späteres vorweggenommen und kehren 
zur grundlegenden Untersuchung zurück. — 
Die Arithmetik ist Ordnungslehre, aber sie ist nicht »Logik« im 
ENGEREN Sinne des Wortes. Wer, wie z. B. Russell, versucht, Ariths» 
metik auf Logik im engeren Sinne »zurückzuführen«, bringt unein«» 
gestandenermaßen eine SoviELbedeutung in die Logik hinein. Die 
Arithmetik schaut neues gegenüber der »formalen« Logik, obwohl 
auch diese »gegenständlich« ist^. 
Das Neue, was sie schaut, sind unzerlegbare neue Bedeutungen: 
2,-1-1, der überall ist der Zahlenreihe gleiche Sinn von -f- L 
Die sogenannte »axiomatische Methode« (Hilbert, Peano u. a.), 
welche gewisse Undefinierte Symbole einfach hinsetzt und durch ein 
Gefüge von Axiomen festlegt, welche Verknüpfungen zwischen ihnen 
gelten sollten, mag für den praktischen Betrieb der Mathematik ge^« 
nügen; für die philosophische Grundlegung der Arithmetik (und 
ebenso später der Geometrie) genügt sie nicht. Denn erstens um* 
geht sie, was nicht umgangen werden darf und nicht umgangen zu 
werden braucht, die Festlegung des neu in seiner Bedeutung Geschau«« 
ten, und zweitens tut sie, als ob ihre axiomatischen Verknüpfungen 
»willkürlich« wären, während auch sie bestehender Schau von (bezieh* 
liehen) Bedeutungen entspringen. — 
Schon als wir von den Bedeutungen Klasse und Einzigkeit allgemein 
redeten, sagten wir, daß Einzigkeiten einer Setzung eines gewissen 
»Hintergrundes« oder »Milieus« oder »Rahmens« zu ihrem Erfaßt* 
* S. o. S. 74. ^ S. o. S. 35. ' Ähnlich Cassirer, Substanz* und Funktionsbegriff 
S.57ff. 
109 
werden bedürfen. Nun handelt die Zahlenlehre von Einzigkeiten einer 
Klasse, sei es auch nur der Klasse Dieses»«Sein oder Dasein. Also muß 
auch für sie ein (sehr unbestimmt gelassener) »Rahmen« des gegen«« 
ständlichen Bestehens angenommen werden. Daß freilich dieser Rahs« 
men praktisch immer der Raum ist (Bergson), ist unvermeidliches, man 
möchte sagen allzumenschliches Beiwerk und geht die Bedeutung der 
Zahl NICHT an. 
b) ABGELEITETES 
Wir redeten bis jetzt von den »natürlichen«, den ganzen positiven 
Zahlen und von nichts anderem. 
Es tritt nun der Begriff der Zahlenaufgabe auf; an ihm aber hängt 
die sogenannte »Erweiterung« des Zahlengebietes, also die Setzung 
der Null, der negativen, gebrochenen, irrationalen und imaginären 
»Zahlen«. Wir überlassen es der Zahlenlehre als einem besonderen 
Wissenszweig, diese Dinge auszuführen und bemerken hier nur Fol^ 
gendes: 
Es ist vielfach üblich (Kronecker), nur die positiven ganzen Zahlen 
als Zahlen gelten zu lassen, den Begriff der unvollziehbaren Aufgabe 
einzuführen und alsdann die »Null«, die »negativen«, »gebrochenen«, 
»irrationalen«, »imaginären« Zahlen als etwas anzusehen, das die Lö* 
sung einer Aufgabe nicht ist, aber »bedeutet«. Hier bedeuten dann 
also Null, Negatives, Gebrochenes, Irrationales und Imaginäres alle 
etwas ganz Eindeutiges im Sinne auszuführender Forderungen; sie 
sind aber für sich genommen sinnlos. Das — 2 ist bereits ebenso »sinn:* 
los« wie das V— 1. Alle diese Gebilde des »erweiterten« Zahlengebietes 
können gleichermaßen als rechnungsmäßig mitgeführte unvollziehbare 
Aufgaben gelten; sie mögen im Verlauf weiterer Rechnung in ihrer 
eindeutigen Bedeutung einmal zu »Lösungen« d. h. zu ganzen posi* 
tiven Zahlen führen. 
Solche Auffassung ist sicherlich möglich. Sachlicher im Sinne der 
Ordnungslehre ist es jedoch, nicht von der »positiven ganzen Zahl«, 
sondern vom Begriff der Zahlenerzeugung, wie wir ihn entwickelten, 
auszugehen, als dem denkmäßig Ersten. Dann ergibt sich das Nega«« 
tive, also etwa die — 3 bei der Aufgabe 4 — 7, ohne weiteres aus der 
Setzung der Zahlenreihe als einer gleichbeziehlichen zweiseitigen Reihe, 
und zwar einer solchen, welche, um im Bilde zu reden — (denn wir 
sprechen hier ja nicht vom »Räume!«) — durchaus spiegelbildlich ist. 
Irgendein »Ort« in der Gesamtheit der für die Reihe in Frage kom«« 
menden »Orte« wird als Ausgang, also als »Null« gesetzt. Jetzt »gibt 
110 
es« auch das Negative. Das Gebrochene andererseits wird gewonnen 
durch die Erwägung, daß das + 1 + der Urreihe der Zahlbildung 
selbst schon eine Anzahl, also etwa (3) bedeuten könne, woraus sich 
zunächst das Multiplizieren überhaupt als eine Sache für sich und 
nicht nur als »abgekürzte Addition«, die gebrochene Zahl aber sodann 
als Antwort auf die ganz allgemeine Frage nach der Einheitsart, welche 
»so oft« gesetzt »soviel« zum Ergebnis hat, ergibt^. Bei der Frage 
24 : 6? ist die Antwort 4, bei der Frage 3 : 5? ist sie eben »|«. 
Der BegriflF der »Funktion« hat bereits im Bereich des unerweiterten 
Zahlengebietes seinen guten Sinn; y = f(x) heißt hier, daß f(x) stets 
etwas Zahlenmäßiges bedeutet, mag man in f (x) für x jede beliebige 
ganze positive Zahl einsetzen. Arbeitet man mit dem erweiterten 
Zahlenbegriff, so wird natürlich auch der Begriff »Funktion« erweitert. 
Hier liegen gar keine neuen Schwierigkeiten^. 
Keine neue Schwierigkeit liegt auch im Begriff der »Gleichung«. Er 
besagt, daß dieser Rechenvorgang und jener Rechenvorgang zahlen^ 
mäßig DASSELBiGE Ergebnis haben oder, wenn eine »Unbekannte« vor*» 
kommt, haben sollen; besser, daß jeder zwar sein eignes Ergebnis hat, 
beide Ergebnisse aber einer und derselbigen Setzung Einzigkeiten, 
also GLEICH^ sind; zwei Zahleneinzigkeiten also sind es, die hier dem 
an und für sich nicht auf Zahlenmäßiges beschränkten Begriff der 
Gleichheit unterstehen; es handelt sich um Gleichheit im Rahmen 
des Soviel. Fast die gesamte Arithmetik dient dem Nachweise des 
Gleichseins; sie verwendet dazu die Urschauungen (»Axiome«) und 
schon als solches nachgewiesenes Gleichsein. Jede arithmetische Gleis* 
chung ist also, wenn man den Ausdruck verwenden will, ein abges« 
leitet synthetisch^aprioristisches Urteil, analytisch gewonnen aus den 
synthetisch^aprioristischen »Axiomen«. 
c) DAS UNENDLICHE UND DAS STETIGE 
ES liegt kein zureichender Grund vor, das +-^ ~l~ cles Zahlenerzeu^ 
gungsgesetzes Verschiedenes bedeuten zu lassen. Es liegt auch kein 
zureichender Grund vor, dem Fortlaufen des + 1 + ein Ende zu setzen. 
Das allein heißt es, daß die Zahlenreihe unendlich sei: es fehlt am 
zureichenden Grunde für ihre Beendigung. Dieser Begriff des Un^ 
' Man vergleiche die vorzügliche Darstellung Natorps (vgl. S. 106 Anm. 1), welche 
mich aller weiteren Ausführungen enthebt. Übrigens findet sich schon bei Hegel 
Ahnliches; z. B. Enzyklop. § 102. * Das y braucht nicht eindeutig zu sein, wie 
ja z. ß. Vx^ + x und — x sein kann. Dann liegt eine unvollständig gestellte Auf? 
gäbe vor. • s. S. 59. 
111 
endlichen ist also durchaus verneinend und weiter nichts \ er kann 
nicht durch Setzung als Einheit, als »ein Ganzes« gefaßt werden; ge^ 
setzt ist nur die Erzeugungsbeziehung, die zur Verneinung der End^ 
lichkeit führt. — 
Wie man die gebrochenen Zahlen auch auffassen möge, auf alle Fälle 
bedeuten sie jeweils etwas ganz Bestimmtes, und zwar bedeuten sie 
etwas ganz Bestimmtes im Sinne der Beziehung mehr— weniger. Daher 
hat es einen Sinn zu sagen, daß sie in der Anordnungsbesonderheit 
der geordneten Zahlenreihe jeweils eine bestimmte Stelle zwischen 
zwei Nachbarn einnehmen. Da nun die Anzahl der ganzen Zahlen 
ohne Ende, also, in kurzer Ausdrucksform, unendlich ist, so folgt 
ohne weiteres die unendliche Anzahl der echten Brüche; denn jede 
natürliche Zahl kann sowohl im Nenner wie im Zähler eines Bruches 
stehen. Zwischen je zwei ganzen natürlichen Zahlen, ja zwischen je 
zwei um ein Endliches verschiedenen Brüchen sind also jeweils un=s 
endlich viele echte Brüche eingeschaltet oder, besser gesagt, sind echte 
Brüche »ohne Ende« einschaltbar. 
Nun führt der Versuch der Lösung gewisser rechnerischer Auf^* 
gaben aber bekanntlich nicht nur auf Negatives und auf echte Brüche, 
sondern er führt — und zwar nicht nur »algebraisch«, sondern auch 
»transzendent«, z. B. in Form der Zahlen e und ji — auch auf die so** 
genannten »irrationalen« Zahlen. Stellt man sich letztere in der Form 
nichtperiodischer unendlicher Dezimalbrüche dar, so erhellt ohne 
weiteres, daß auch ihre Anzahl zwischen je zwei um ein Endliches 
verschiedenen natürlichen oder gebrochenen Zahlen unendlich groß 
ist. Brüche und irrationale Zahlen aber fallen nicht etwa zusammen: 
* Die »größte Zahl« oder die »Summe aller ganzen Zahlen« ist also keine Zahl, 
wie die sogenannte »Mengenlehre« es will, sondern allenfalls ein Beziehungsinbegriff. 
Ganz unmöglich ist es logisch, das Endliche vom Unendlichsgroßen aus begreifen 
zu wollen und mit Paradoxien wie der, daß das Ganze gleich einem beliebigen 
seiner Teile sei, anzufangen. Ich teile hier durchaus die Bedenken H. Poincares 
(Wissenschaft und Methode; Letzte Gedanken); vgl. auch H. Bergmann, Das Un^' 
endliche und die Zahl; mit Recht sagt Bergmann, es sei Cantors Fehler gewesen, 
das Stetige nicht analysieren, sondern aufbauen zu wollen (1. c. S. 83). Bolzanos 
Lehre vom Unendlichen ist in Bergmanns Buch Das philosophische Werk B. BoU 
zanos gut und kurz dargelegt. Ziehen hat mit Recht bemerkt (Verhältnis der 
Mengenlehre und Logik), daß der Vergleich der unendlichen Mengen verschiedener 
Mächtigkeit mit den verschiedener Stufen des Unendlichkleinen deshalb hinfällig 
sei, weil ja doch der DifferentialQUCxiENT, der allein in Frage kommt, jeweils 
endlich sei. Gutes zur Kritik der Mengenlehre auch bei F. Bon, Ist es wahr, daß 
2X2 = 4 ist? 
112 
lassen sich jene doch bekanntlich in Form endlicher oder periodischer 
Dezimalbrüche darstellen. 
Wir dürfen in eindeutiger Bestimmtheit jeder irrationalen Zahl 
einen Platz zwischen zwei echten Brüchen zuweisen. Daß die irra«« 
tionale Zahl sich nicht als eine — etwa in Form eines endlichen Dezi«» 
malbruches — vollendbare darstellen läßt, besagt hier nichts; sie be* 
deutet rechnerisch auf alle Fälle etwas ganz Bestimmtes, und, was sie 
bedeutet, steht, unter dem Gesichtspunkt des mehr — weniger be^» 
trachtet, jedenfalls zwischen dem, was zwei echte Brüche bedeuten. 
Daß die Reihe der echten Brüche unendlich groß ist, pflegt man 
mit Cantor unter Verwendung des Wortes dicht auszudrücken: die 
Reihe der echten Brüche ist dicht. Das heißt: es seien zwei echte Brüche 
um das sehr kleine Mehr s voneinander verschieden, dann lassen sich 
stets zwischen ihnen gelegene Brüche angeben, die um weniger als s 
von jedem verschieden sind. 
Schon der Begriff der Dichtigkeit führt zu unauflöslichen denk* 
mäßigen Schwierigkeiten: Jeder echte Bruch soll dieser, eindeutiges 
bedeutende sein, er soll aber vom nächsten Bruch in der Reihe des 
MEHR, vom »Nachbar«, welcher auch dieses Eindeutige bedeutet, durch 
einen Unterschied geschieden sein, welcher nicht als dieser eindeutige 
Unterschied zu fassen ist. Oder, unter Vermeidung des Wortes »Nach«« 
bar«: Eine Zahl sei A, jede Zahl, welche nicht A ist, ist auch eine 
bestimmte Zahl; es soll aber unter den Zahlen, welche nicht A sind, 
solche geben, deren Unterschied von A im Sinne des Mehr oder 
Weniger nicht als dieser bestimmte Unterschied faßbar ist. Wir kom*» 
men auf diese Dinge alsbald zurück, nachdem wir sie uns zunächst 
noch verwickelter gestaltet haben werden. 
Betrachtet man die Reihe der echten Brüche und der irrationalen 
Zahlen als eine Reihengesamtheit, so nennt man diese Reihengesamts» 
heit stetig. Stetig ist ein Etwas, das meist als aus dem Bereich der so* 
genannten sinnlichen Anschauung stammend angesehen wird. Hier, 
im Bereich des Räumlichen oder des sogenannten »Erlebnisstromes« 
soll angeblich unmittelbar klar sein, was stetig heißt. Von der angeb* 
lieh unmittelbar erfaßten Stetigkeit des Raumhaften nun werden wir 
an seiner Stelle reden, und von der Stetigkeit des »Erlebnisstromes« 
werden wir an anderer Stelle zeigen, daß es ihn selbst, den Erlebnis* 
»ström«, GAR nicht gibtI 
Alle eigentlich arithmetischen Versuche, Stetigkeit unmittelbar zu 
fassen, setzen so etwas wie »Stetigkeit« fordernd voraus, ohne aber 
8 D r i e s c h , Ordnungslehre 113 
andererseits in denkmäßiger Schärfe setzen zu können, was eigentlich 
sie voraussetzen; so z. B. Dedekind, wenn er sagt, an jedem Punkte 
der Zahlenreihe gäbe es einen »Schnitt«, welcher eben diese und nur 
diese eine Zahl bedeute^. Diese ganze Darlegung hat überhaupt nur 
Sinn, wenn so etwas wie »Stetigkeit« — ich sage nicht der »Begriff« 
Stetigkeit —, und zwar sogar in räumlicher Bildlichkeit, vorausgesetzt ist. 
Was wir in bezug auf die Zahlenreihe wirklich ordnungshaft fassen 
können, wollen wir zunächst einmal durch Verwendung des Dezimal:« 
bruch Verfahrens ausdrücken : 
Es seien zwei beliebige endliche Dezimalbrüche gegeben, welche 
sich erst in der trillionsten Stelle, also nur ganz außerordentlich »wenig«, 
voneinander unterscheiden mögen. Dann wissen wir: zwischen diesen 
zwei Dezimalbrüchen »gibt es« nicht nur unendlich viele endliche, 
sondern auch unendlich viele unendliche Dezimalbrüche: jene sind 
die gebrochenen, diese die »irrationalen« Zahlen. Das hier geschilderte 
nur durch einen Satz ausdrückbare Reihenverhältnis können wir na* 
türlich »Stetigkeit« nennen; aber wir haben damit keinen eigentlich 
gesetzten einheitlichen Begriff. Stetig heißt eigentlich nur: »so viel 
Zahlen beider Arten wir auch zwischen zwei rationalen Zahlen haben, 
es gibt da immer noch mehr Zahlen, es gibt nirgends keine Zahl — 
und doch soll jede Zahl diese Zahl sein«. 
Dunkel ist hier schon das immer noch mehr dazwischen und doch 
jeweils dieses, noch dunkler ist das nirgends keine; aber lassen wir 
letzteres fort, so erhalten wir nicht das stetig, sondern das durch die 
Reihe der echten Brüche dargestellte dicht. Gerade das nirgends nicht 
läßt sich nun gar nicht fassen, es sei denn, daß — ganz wie bei Dede* 
KINDS »Schnitt« — so etwas wie »Stetigkeit«, die ja doch erst gesetzt 
werden soll, bildlich vorausgesetzt wird. Ja, man mag sogar gegen 
unsere Ausführungen über die Dezimalbrüche schon einwenden, daß 
es unberechtigt sei, jedem unendlichen Dezimalbruch eine eindeutige 
Eigenbedeutung zuzuschreiben; denn auch das setzt das zu Ermit* 
telnde voraus. 
Nun ist es in der reinen Zahlenlehre zum Glück gar nicht nötig, 
gar nicht erforderlich, einen anderen Begriff der Stetigkeit als diesen 
unbestimmten, der dem Begriff dicht noch das nirgends nichts hinzu^ 
fügt, zu besitzen. Anstatt davon auszugehen, daß doch in der Lehre 
vom Raum und von der Bewegung offenbar Stetigkeit im »eigent»« 
liehen« Sinne unmittelbar gegeben sei, und daß Ich eben diese »eigent«* 
» Dedekind, Stetigkeit u. irrat. Zahlen, 3. Aufl. 1905. 
114 
liehe« Stetigkeit fassen müsse, muß es vielmehr heißen: Bekümmere 
ich mich doch gar nicht um diese angeblich »eigentliche« Stetigkeit in 
Räumlichkeit und Bewegung, nenne ich doch umgekehrt stetig auch 
in diesen Gebieten nur das, was ich im Gebiete des Zahlenmäßigen 
allenfalls noch fassen kann, nämlich erstens die schon in dem Begriff 
Dichtigkeit gemeinte Aussage: »jede Zahl ist diese, setzen wir irgend* 
eine um beliebig wenig von ihr unterschiedene Zähl, so gibt es immer 
noch um weniger von ihr unterschiedene«; und zweitens den Satz: »es 
gibt in der Zahlenreihe nirgends keine Zahl«. 
Das wäre ein für allemal und für alle Fälle die Annäherungsums» 
grenzung der Setzung stetig ; in ihrem immer noch dazwischen drückt 
sie bereits aus, daß sie eine einfache Setzung gar nicht sein will, son» 
dem nur ein Satz. Als Setzung ist eben schon das dieses, welches vom 
JENES DURCH EINEN NICHT ALS DIESER FASSBAREN UNTERSCHIED UNTER* 
schieden ist, also der Begriff dicht, nicht faßbar. 
Das STETIG bleibt aber trotz aller Versuche, es zu meistern, vor der 
Ordnungslehre immer das zwischen welches kein zwischen sein soll, 
also — Un^setzung. — 
Ist der Begriff der stetigen Reihe der Zahlen in der angegebenen, 
einzig möglichen satzmäßig umschreibenden Form einmal eingeführt, 
so hat es einen klaren Sinn zu fragen : Wie ändert sich eine »Funk* 
tion« y == f (x), in welcher sowohl y wie x »Veränderliche« sind, d. h. 
als ein Zeichen für jeden beliebigen Zahlen wert überhaupt stehen, 
wenn x das eine Mal als ein bestimmtes x und das andere Mal als ein 
um unbestimmt wenig vermehrtes x, als x -\- dx, gesetzt wird. Es soll 
dabei selbstredend nicht an ein echtes »sich verändern«, an ein »Wer* 
den« gedacht sein, mag auch später in der Lehre vom Werden der Be* 
griff des »in Abhängigkeit Zugeordnetseins« eine besonders wichtige 
Rolle spielen. 
Also für X sei gesetzt (x -f- dx), dann muß für y (y + dy) gesetzt 
werden. Wie verhält sich dy zu dx? 
y ist das Ergebnis einer zahlenmäßigen Aufgabe, in welcher ein x 
als X, als dieses x, eine Rolle spielt; x ist in diesem Falle dieses, obwohl 
es »jede« Zahl sein kann. Wird für x (x-[-<^x) gesetzt, so ist ohne 
weiteres klar, daß sich im allgemeinen für y ein (y -\- dy) ergeben 
wird. 
Die sogenannte Differentialrechnung geht nun bekanntlich so vor, 
daß sie zunächst für x ein x -|- Ax, d. h. ein um ein erklärtermaßen 
endliches Mehr vermehrtes x setzt und den Ausdruck ^ == ^^"""^^x^""^^'^ 
8- 115 
»ausrechnet«. Ist er ausgerechnet, dann wird in seinem Ergebnis Ax 
gleich Null gesetzt, d. h. vernachlässigt; so ist dy: dx gewonnen. 
Man ließ also ein zahlenmäßiges Etwas, von dessen Unterschieden* 
sein von x man zuletzt absah, dessen Unterschiedensein von x man 
zuletzt als eine Nicht^zahl setzte, zuerst doch in seinem Unterschieden* 
sein eine Rolle spielen. Hätte man den unterschiedsbezeichnenden 
Wert Ax sofort gleich »0« gesetzt, so hätte man dy :dx = 0:0 erhalten, 
also keinen eindeutigen, d. h. keinen als ein dieses zu fassenden Aus* 
druck. Man bestimmte also, kurz gesagt, eines Quotienten »Grenz* 
wert«, nicht den Quotienten zweier Grenzwerte. 
Hier zeigt sich wieder deutlich, was »Stetigkeit« bedeuten soll: das 
nächste dieses im Sinne des lückenlosen mehr, das doch nicht durch 
einen als diesen faßbaren Unterschied vom vorangehenden dieses ge* 
schieden ist. Da ist ein Etwas im Sinne eines mehr als Unterschied, er 
spielt seine rechnungsmäßige Rolle, aber nur ein Etwas ist er, nicht 
etwas als DIESES Mehr faßbares. 
Genau genommen wird ja das Ax nicht 0, d. h. sein Gesetztsein 
wird nicht aufgehoben zum ausdrücklichen Nichtgesetztsein; wohl 
aber wird gesagt: seine zahlenmäßige Kleinheit ist immer noch kleiner 
als irgendeine vom Denken setzbare Zahlenkleinheit; ein irgendwie 
als DIESER faßbarer Fehler wird also nicht begangen, wenn Ax wie 
behandelt wird. Auf das Mc/i^*Dasein des Mc/if*rechnungsmäßig* 
richtigen kommt es an. Es handelte sich um ausdrückliche doppelte 
Verneinung wie beim Unendlichen der fortschreitenden Form, an dem 
letzthin alles hängt. Nur auf dem Wege der doppelten Verneinung, 
also auf einem Umweg, ist das »Differential« faßbar. Was in Strenge 
ermittelt wird, ist ja überhaupt der »Differentialquotient«, und der ist 
eine Zahl als diese. 
Die »Anschauung« mag mit der hier gegebenen denkmäßigen Be* 
handlung der Stetigkeit unzufrieden bleiben; die Logik muß mit ihr 
zufrieden sein, denn sie sieht ein, daß sie nichts anderes leisten kann. 
Daher wird sie auch alles, was sie auf Sondergebieten mit Stetigkeit 
zu schaffen hat, so wenden, daß es nur das als geleistet ansieht, was 
sie leisten kann, und daß sie alles so formt, wie es ihrem Leistenkönnen 
entspricht. Was stetig überhaupt nur bedeuten kann, das muß die Ord* 
nungslehre bei jeder Anwendung dieses Begriffs immer ausdrück* 
lieber wieder hinsetzen. 
116 
d) ZAHL UND REINE SOLCHHEIT 
Ein besonders wichtiges Anwendungsbereich findet die Lehre von 
der Zahl in der Lehre vom Raum. Doch läßt sich nicht nur 
Räumliches der Zahlenreihe zuordnen. Der Zahlenreihe zuordnen 
läßt sich vielmehr alles, von dem ausgesagt werden kann, daß von 
ihm ein mehr oder ein weniger da sei. Es gehört zu Russells Ver^ 
diensten, das besonders betont zu haben. Nichts steht grundsätzlich 
im Wege, auch alles mögliche Beziehliche der Zahlenreihe zuzuordnen, 
z. B. die Setzung Verschiedenheit in ihrer Anwendung auf Solchheits«» 
gruppen. Doch bleibt es hier und bei Ähnlichem, wenigstens dann, 
wenn die Solchheiten in ihrem unmittelbaren Sosein, etwa als wer* 
schiedene »Töne«, verschiedene »Freuden«, in Frage kommen, prak»» 
tisch meist bei der bloßen Aussage mehr--weniger überhaupt. 
Was Zählen heißt, wurde schon an früherer Stelle gesagt ; Zählen 
lassen sich, kurz gesagt, Mengen; hier kommen nur die »natürlichen« 
Zahlen in Frage. Nicht minder einfach ist das zahlenmässige Ordnen 
von Setzungen, Einzigkeiten, Merkmalen, »Dingen« oder von was 
immer; es ist ein Zuordnen zu den Gliedern der Zahlenreihe als ge* 
ordneter Reihe und ergibt ein »Erstes«, »Zweites«, »Drittes« und so 
fort. Hier werden die Zahlen »Ordnungszahlen« als ordnende Zahlen, 
während sie als Glieder der Zahlenreihe geordnete Zahlen sind. 
Läßt sich etwas der stetigen Zahlenreihe derart zuordnen, daß ver^* 
schiedenem Mehr^^weniger des Etwas eindeutig bestimmt verschiedene 
Zahlen fest entsprechen, so sagt man, jenes Etwas lasse sich messen. 
Jedes besondere Soviel des Etwas »hat« alsdann Grösse und zwar diese 
Grösse; kurz und nicht ganz genau sagt man: es ist »so groß«. Grösse 
also ist eine in ihrer Verschiedenheit der Verschiedenheit der Zahlen 
zuordenbare Bestimmtheit am Sosein; Grösse ist Zahl von Etwas. 
Das Größehaben verschiedenen Soviel einer und derselben sinnes* 
MÄSSIGEN REINEN SoLCHHEiT wollen wir in Sonderheit die Stärke (»In* 
tensität«) dieser Solchheit nennen. Die Farbe Karminrot, der Ton C' 
kann also z. B. Stärke haben, warme Körper sind verschieden stark 
warm. 
Stärken sind dem Begriff nach stets meßbar. Hierauf allein kommt 
es der Ordnungslehre an, mag auch im Praktischen nie oder doch sehr 
selten die Stärke reiner Solchheit als solcher unmittelbar gemessen 
werden^. 
* Wegen der »subjektiven« Täuschungen. Man vergleiche übrigens zu dieser ganzen 
Frage Bergson: Essai sur les donnees immediat. de la conscience, Cap. I. Er leugnet 
117 
Alles Messen setzt einen Masstab voraus; das Messen von Stärken 
insbesondere setzt irgend einen als stetig angenommenen Stärken** 
Unterschiedszwischenraum (»Intervall«) der zu messenden reinen 
Solchheit voraus, dessen Anfangsstärke willkürlich die Zahl 0, dessen 
Endstärke willkürlich die Zahl 1 zugeordnet ist. Auf diese willkürlich 
festgelegten Zahlenwerte des »Maßstabs« werden alsdann alle ge* 
messenen Stärken bezogen. 
Das Messen braucht aber nicht etwa nur einen Helligkeitsmaßstab, 
sondern würde auch einen Karminmaßstab, einen Himmelblaumaßstab, 
einen g :»Maßstab usw. brauchen, wenn praktisch ein solches Messen 
überhaupt von Bedeutung wäre. Aber es ist wichtig, sich klar darüber 
zu sein, daß begrifflich ein echtes Messen reiner Solchheit möglich ist^. 
Von Ostwald ist darauf hingewiesen worden, daß Stärken sich 
nicht wie Raumgrößen zu einer Stärke zusammenfügen (»addieren«) 
lassen. Das ist in dieser Form gesagt nicht richtig. Freilich lassen sich 
nicht die Stärken zweier mit Rücksicht auf das Soviel an einer reinen 
Solchheit gemessenen »Dinge« zu einem »Dinge« mit einem größeren 
Soviel an derselben Solchheit zusammenfügen. Aber davon handeln 
wir hier ja gar nicht. Der stärkenmäßig bestimmten Solchheit eines 
Dinges, also der Stärke einer reinen Solchheit überhaupt, läßt sich nun 
aber sehr wohl ein Soviel an Stärke in Gedanken derart hinzufügen, 
daß man die Summe der ursprünglichen Stärke und der hinzugefügten 
erhält. Übrigens lassen sich doch auch nicht die Größe habenden 
Raumbestimmtheiten zweier »Dinge« so »addieren«, daß ein gleich»« 
geformtes »Ding«, welches doppelte Größe hat, herauskommt. 
Im übrigen ist die Lehre von der Größe und vom Messen Gegen^ 
stand einer Sonderwissenschaft ^. 
7. VON DER RÄUMLICHKEIT 
Viele, nicht alle Setzungen, sind in ihrem Sosein dadurch gekenn* 
zeichnet, daß ihre Merkmale zueinander eine ganz besondere Art 
der Beziehung besitzen, welche wir »räumlich« nennen; ja gewisse 
die Möglichkeit, den Begriff der Intensität auf »Empfindungen« anzuwenden; frei* 
lieh soll er im Sinne der Ordnungslehre ja vielmehr »Empfundenem« zugeordnet 
werden. — Durchaus unzutreffend ist die Ansicht, daß das Messen von Stärke eigent* 
lieh ein Zählen sei, daß also z. B. die Stärke des Rot einer Fläche durch die zahlens- 
mäßige Angabe der »Dichte« gewisser Flecken auf ihr gemessen werde. Denkmäßig 
ist Messen auf alle Fälle etwas ganz anderes. 
• Vgl. schon Aristoteles, Metaph. X, 1. ^ Hierzu B. Russell, vergl. S. 59, Anm.; 
und E. Mally: Meinongs Unters, zur Gegenstandsth. und Psychol., 1904, S. 121. 
118 
durch bestimmte Gruppen reiner empfindungsmäßiger Solchheiten, 
etwa die Farben, dargestellte Merkmale sind von »Räumlichkeit« 
durchaus unabtrennbar; das sind hinzunehmende Dinge. Auch Einzig* 
keiten von Setzungen in ihrem unmittelbaren Dasein können aufein* 
ander »räumlich« bezogen sein. Wenn wir weiter von einem Gegen* 
stand sagen, daß er Form habe, so bedeutet" das auch weiter nichts, 
als daß Bestandteile des Gesetzten, welche im übrigen von gleicher 
Solchheit sein mögen, in besonderer Art »räumlich« aufeinander be* 
zogen sind. 
Von dem »räumlichen« als einer Art des Soseins, welche zugleich 
Träger von Beziehungen ist, geht also die Logik bei ihrer Erfassung 
der »Räumlichkeit« aus^. 
Zunächst freilich kann sie nichts weiter tun, als gewisse Kenn* 
zeichen »der Räumlichkeit«^ in ihrem Sosein rein als daseiend setzen. 
Sie sind eben da und müssen als diese solchen festgehalten werden; 
ebensowenig wie von der als diese gesetzten Setzung »grün« läßt sich 
aber mehr von ihnen angeben, als daß sie da sind in ihrem Sosein. 
Es geht die allgemeine Ordnungslehre nicht die Frage an, wie mir 
»psychogenetisch« das bewußte Haben von Räumlichkeit ersteht; nur 
beiläufig mag daher gesagt sein, daß das auf optischem, kinästheti* 
schem (durch Bewegungen der Glieder und des Augapfels vermittelt) 
und taktischem Wege (durch Berührung der Leibesoberfläche ver* 
mittelt) der Fall ist. Die beiden ersten Wege geben zusammen das 
eigentliche Neben, der erste und dritte ergeben das Hier, der zweite 
die Tiefe, das erste das »da draussen«. 
Auch der sogenannte »psychologische« Raum interessiert die all* 
gemeine Logik nicht, sondern nur der geometrische^. Dieser mitsamt 
seinen »Axiomen« ist ihr unmittelbar geschauter Gegenstand, und alle 
»sinnlichen« Abweichungen von seiner Axiomatik, die etwa im psycho* 
logischen Räume auftreten, sind ihr erklärungsbedürftig, während 
^ Wir behandeln aber die Raumlehre rein als solche, ohne jede Rücksicht auf »Be* 
wegungcc; denn es lässt sich Raumhaftes rein als solches bewußt haben; auch ist es 
durchaus nicht zutreffend, wenn man sagt, daß Raumhaftes immer nur als Konstis 
tuent von Bewegung praktisch erlebt werde ; Bewegung ist also nicht einmal psycho* 
genetisch das »Erste«. ^ Aber »der Raum« ist nicht etwa die notwendige Form 
alles verschiedenen »Zugleich«. Ein Ton und ein Geruch z. B. können »zugleich« 
sein ohne »nebcn«einander zu sein. ' Die Frage nach der »Subjektivität« oder 
NichtsSubjektivität des Raumes (Kant) gehört überhaupt nicht in die Ordnungs» 
lehre, weder in die allgemeine, noch in die von der Seele handelnde, sondern in 
die Wirklichkeitslehre (Metaphysik). 
119 
diese Axiomatik selbst, z. B. in der Parallelenfrage, schlicht gehabt 
wird. Mit dem, was wir später »Naturraum« nennen werden, darf frei^ 
lieh der geometrische Raum nicht verwechselt werden. 
a) DAS SOSEIN DES RÄUMLICHFN'^ 
Die nur in ihrem dasein als solche festzulegenden Soseinskenn* 
ZEICHEN der Räumlichkeit sind folgende : 
1. »Da DRAUSSEN« oder »vor« mir — eine unauflösliche Bedeutung, 
welche das Wissen um sogenannte »Tiefe« schlechthin, aber nicht um 
bestimmte Tiefe, einschließt. 
2. Hier und Dort; oder: der Punkt. 
3. »Hier« ist neben »Dort«; »Hier« und »Dort« bedeuten aber auch 
eine Richtung, ein dorthin (aber nicht im Sinne einer Bewegung), 
unter vielen möglichen Richtungen; oder: die Strecke, der Strahl, 
durch zwei Punkte eindeutig bestimmt. 
4. Die Ebene, durch drei Punkte, welche nicht auf einem Strahl liegen, 
eindeutig bestimmt. 
5. Der Raumabteil. 
6. Es gibt »Stufen« der Räumlichkeit nur bis zum Raumteil hin, also 
nur DREI Stufen. Die Zahl drei tritt also als eine das Sosein des Räum*« 
liehen geradezu wesentlich kennzeichnende Zahl auf; es ist dies das 
erstemal, daß die Logik eine »absolute« Zahl als wesentlichen Ord= 
nungshestandteil setzt^. 
Mit dem Wissen um das Dasein dieser Kennzeichen der Räumlich* 
keit weiß ich aber noch mehr, nämlich dieses, daß der Raum als einer 
der gemeinsame Schauplatz ihres Daseins ist. Ich weiß nämlich: 
Erstens, daß sich Strecken, Ebenen, Raumteile durch Hinzufügen, 
von ihresgleichen um ein so viel vermehren lassen, ja, selbst ein so viel 
bedeuten. Strecken, Ebenen, Raumteile ordnen sich also jeweils einer 
Zahl zu, sie haben Grösse, und zwar ohne Ende vermehrbare Größe: 
»der Raum« ist »endlich« ^ 
* Vgl. hierzu vor allem die S. 106, Anm. genannten Werke und dazu Hilbert, 
Grundlagen der Geom., 2. Aufl., 1909. ^ In der Lehre von der Naturordnung wird 
sie das wieder tun. — Hartmann sagt (Kategorienlehre S. 331) mit Recht, daß die 
Zahl 3 mit Rücksicht auf die Abmessungen des Raumes die erste ^»Konstante« der 
Logik sei. ' Es mag Bedenken erwecken, schon an dieser Stelle des Ganzen und 
nicht erst in der Naturlehre, von »dem Raum« als »einem« zu reden. Ich finde aber 
bei Besinnung auf diese Frage, daß mir das Sosein der Setzung Räumlich das Eins* 
sein »des Raumes« unmittelbar einschließt, ganz gleichgültig, ob ich Räumliches im 
Bereich des Naturwirklichen, Geträumten, Erinnerten oder Erfundenen erlebe. 
120 
Zweitens, daß ich Strecken, Ebenen, Raumteile in beliebiger, aber 
jeweils bestimmter Richtung und Größe zu »Figuren« aneinander 
setzen, daß ich »aufbauen«, »konstruieren« kann^ »im« Raum, und 
WIE ich es kann. 
Indem ich die Ursetzungen — Dasein, Sosein, Eindeutigsein, Einzig* 
KEiT — in bezug auf das Räumliche fordernd spielen lasse, kommt es 
weiter zu Setzungen, welche, in Hinblick auf die eingangs in ihrem 
daseienden Sosein festgelegten Setzungen, als abgeleitete Setzungen 
in bezug auf Räumlichkeit betrachtet werden müssen: 
Diese Richtung ist diese Richtung, jene Richtung ist jene Richtung. 
Zwei durch einen Punkt gehende Strahlen können diese und jene 
Richtung haben. Es hat einen Sinn, vom Unterschied ihrer Richtungen 
zu reden und diesen mit einem kurzen Worte zu bezeichnen, als 
Winkel. 
Wie die Setzung »Richtungsunterschied«, so hat auch die Setzung 
»dieselbe Richtung« als Klasse mit Einzigkeiten einen eindeutigen 
Sinn, Einzigkeiten der Klasse »dieselbe Richtung« heißen »parallel«. 
Es ist in ihre Umgrenzung eingeschlossen, daß sie keinen Winkel mit»* 
einander bilden. Denn Winkel bedeutet »Richtungsunterschied« und 
»Parallelen« haben keinen Richtungs*»unterschied« ; man beachte hier 
die doppelte Verneinung. — 
Einer näheren Erläuterung bedarf von diesen Dingen nur die Un^^ 
ENDLICHKEIT des einen Raumes. Dieses Wort soll nicht bedeuten, daß 
ich »den Raum« in seinem Unendlichsein mit einer Soseinssetzung er* 
fasse, SONDERN es geht nur auf den Raum in seiner Eigentümlichkeit 
als Träger von Beziehungen. Die sinnvolle Anwendung des Wortes 
»unendlich« in bezug auf den Raum setzt stets voraus, daß irgendwo 
in sehr großer »Ferne« ein Hier gesetzt oder, alltäglich gesprochen, 
»gedacht« sei, und will dann sagen: so fern auch dieses Hier liegt, es 
gibt immer noch Ferneres. »Der Raum« ohne bestimmtes Hier in ihm 
ist nur allgemeiner »Hintergrund«, wie jede Klasse mit Einzigkeiten 
ihn braucht ^ nur daß hier freilich der Hintergrund bestimmtes Sosein, 
nämlich eben das Sosein Neben oder Ausgedehntsein, und zwar in 3 
Abmessungen, besitzt. Aber der Hintergrund »ist« nur »da«, insoweit 
»Orte« im Sinne des Gesetztseins in oder, um im Bilde zu bleiben, 
»auf« ihm da sind. 
^ Das angebliche Tätigsein des Ich ist natürlich wieder bildlich zu verstehen. 
* S. o. Seite 60. 
121 
b) DIE FORDERUNGFN ÜBER RÄUMLICHES 
Die Logik setzt also das Räumliche als eine Art der möglichen Be^ 
Ziehung, welche ein besonderes, hinzunehmendes Sosein von Be* 
ziehlichkeit überhaupt ist; sie schaut ferner, daß die Setzung Zahl sich 
als Größe räumlichen Gebilden zuordnen läßt. 
Zum zweiten Male in meinem Ordnungsgeschäft mache in nun einen 
im eigentlichen Sinn besonderten Gebrauch von einer wegweisenden 
Vorschrift, welche später, wenn über »Natur« gehandelt wird, in noch 
weit bedeutsamerem Maße zur Geltung kommen wird; von der Selbst* 
forderung der Sparsamkeit der Setzungen. Nicht als ob diese Selbsts^ 
forderung nicht auch die Setzung der Ursetzungen beherrscht hätte, 
aber hier wird sie insofern weniger »besondert« verwendet, als eine 
eigentliche »Wahl« zwischen mehreren sich als möglich darbietenden 
festzuhaltenden Endgültigkeiten nicht in Betracht kam. Im Gebiete 
der Zahlenlehre freilich war das mit Bezug auf das »immer dasselbe« 
bedeutende -f- 1 + bereits der Fall; darum sagen wir, daß ich jetzt 
zum zweiten Male jenen Grundsatz in Besonderung anwenden werde. 
Ich will jetzt ein besonderes Sosein, nämlich das räumliche, mit so 
wenig Setzungen wie möglich eindeutig kennzeichnen; natürlicherweise 
muß diese Sparsamkeit der Zusammengesetztheit des Soseins in ihrer 
Besonderheit Genüge tun. 
Aus der Forderung der Sparsamkeit der Setzungen ergeben sich nun 
über die Besonderheiten des Bezogenseins der Räumlichkeitsletztheiten 
untereinander folgende Aussagen, welche sämtlich Besonderungen von 
Aussagen der allgemeinen Lehre von der Beziehlichkeit sind: 
a) STETIGKEIT 
Der in der Lehre von der Zahl eingeführte Begriff der Stetigkeit 
der Zahlenreihe soll auf alles, was räumliche »Größe« hat. An* 
Wendung finden -- »der Raum ist stetig«. Der Begriff stetig soll dabei 
ganz so, wie er, in einer das Denken zwar nicht ganz befriedigenden 
Form, dort gefaßt war, festgehalten werden. 
Das ist durchaus etwas Neues. Ursprünglich erlebt in seinem hin* 
zunehmenden Sosein wird im Bereich des Räumlichen nur das Neben 
in seinen drei Formen. Das Neben aber ist wirklich nur Soseinsweise, 
nichts anderes ; wenn es rein erlebt wird, wird eben nur es erlebt. Im 
Größenbegriff bringe ich etwas Neues an das Neben heran; freilich 
nun mit allem, was daran hängt, auch mit der seltsamen Forderung — 
nicht »Setzung« ~ der Stetigkeit. 
122 
Kürzer und vielleicht auch strenger ausgedrückt heißt das Alles : Ich 
schaue im Raumhaften die Bedeutung stetig als ordnungsstiftend. 
ß) DER SATZ VON DER GERADEN 
Durch ein Hier und ein Dort, ein A und ein B, ist das Neben von 
A und B als Grösse und ist auch die Richtung von A »nach« B 
eindeutig bestimmt. Es wird jetzt gefragt: Läßt sich irgendeine Aus»» 
sage machen, welche die Strecke AB als größenmäßiges Neben und 
den Strahl AB als richtungsmäßiges Neben eindeutig aufeinander be^ 
zieht^? In der bloßen Setzung »Richtungsmäßiges Neben AB« ist 
offenbar gar nichts inhaltlich einbeschlossen, also mitgesetzt, über eine 
Setzung in bezug auf »Größenmäßigkeit des Neben AB«. 
Der Gegensatz zum »Richtungsmäßig Neben AB« ist »Nicht^Kich^ 
tungsmäßig Neben AB aber doch ein Neben«, also etwa der »Weg« 
AGB; der Gegensatz zum »Größenmäßig Neben AB« ist »Mc/if* 
Größenmäßig Neben AB aber doch ein Neben«, also kleiner oder 
größer als dieses. 
Das größenmäßige Neben AB ist nun natürlich »sich selbst gleich« 
und nicht etwa größer oder kleiner als es selbst. Es soll hier aber ge^ 
fragt werden: Bedeutet das richtungsmäßige Neben AB, d. h.: das 
»Neben AB« als diese Richtung AB, etwas Besonderes in bezug auf 
die Größen aller möglichen von A nach B führenden Wege -- von 
denen zu reden das Ich wegen seines »auf baulichen« Vermögens ein 
Recht hat? 
Ich sage nun: Unter allen von A nach B führenden Wegen ist der 
Weg, welchen das richtungsmäßige Neben AB bestimmt, derjenige, 
welcher das Geringste (das »Minimum«) an RichtungSifAbweichung 
von der durch A und B als diese bestimmten Richtung, nämlich »keine« 
Richtungsabweichung, besitzt. Wenn es andererseits unter allen mög* 
liehen von A nach B führenden Wegen, als größenmäßiges Neben 
betrachtet, einen ausgezeichneten Fall im Sinne dnes an Größe ge= 
ringsten^ Neben gäbe, und wenn diesen Fall der Weg AB als Neben 
darstellte, so wäre Eindeutigkeit der Beziehung zwischen Richtungs^ 
^ Enriques (Probleme der Wissenschaft, deutsch von Grelling, 1910) ordnet die 
Gerade als durch zwei Punkte bestimmte dem Sehraum, die Gerade als kürzeste aber 
dem Tastraum zu. Das ist aber keine Angelegenheit der reinen Ordnungslehre. 
* Der »größte« Weg ist als ohnsendlich größer dem Denken nicht faßbar ; der Weg, 
auf welchem B von A aus über C als etwa über den Eckpunkt eines gleichseitigen 
Dreiecks AGB erreicht würde, wäre zwar »ausgezeichnet«, aber nicht mit Rücksicht 
auf das grössenmässige Neben. 
123 
neben und Größen*neben in einfachster, d. h. setzungssparsamster 
Form erreicht. 
Es wird jenes Richtungsneben mit der geringsten Richtungsab»« 
weichung, also das Richtungsneben AB, dem denkmöglichen aus«« 
gezeichneten Fall von Größenneben zugeordnet sein: Die »Gerade«, 
d. h. »das« Richtungsneben AB, ist unter allen möglichen Wegen AB 
größenmäßig der »kleinste«; so sind zwei Minima einander zugeordnet. 
»Die Gerade AB ist der kürzeste Weg von A nach B.« 
Erst auf Grund dieser Festlegung^ ist nun ein Messen von Raum** 
großen, in Sonderheit von Strecken, möglich: eine Gerade wird eben 
als Maßstab verwendet. 
Wer aber alles hier Gesagte ganz schlicht im Sinne der Lehre von 
Schauen fassen will, der muß sagen: Ich schaue, dass Richtungsneben 
UND KÜRZESTE VERBINDUNG DASSELBE SIND. WaS daS BEDEUTET, daß eS 
nämlich die Zuordnung zweier Minima zu einander bedacht, hat unsere 
eingehendere Darstellung im Grunde nur in Breite ausgeführt. 
y) DER SATZ VON DER EINEN PARALLELE 
Daß der räumlichen Grundgebilde, wenn wir vom Punkt absehen, 
drei sind — Strecke, Ebene, Raumteil — ist nur in seinem Dasein 
festzustellen ; ebenso, daß zwei sich schneidende Gerade vier Winkel, 
drei sich in einem Punkte schneidende Gerade, welche nicht in einer 
Ebene liegen, acht Ecken bestimmen. Etwas Neues tritt aber dazu, 
wenn der Satz aufgestellt wird : »In einer Ebene gibt es in einem Punkt 
einer Geraden nur eine andere Gerade, welche mit ihr gleiche Winkel 
bildet, und zu diesem Geradenpaar ist wieder »im Räume« nur eine 
andere gleiche Ecken bestimmende Gerade in jenem Punkt möglich«. 
Diesen Satz und seine Ergänzung: »Zu einer gegebenen Geraden 
läßt es in einem beliebigen gegebenen Punkt nur eine Parallele ziehen« 
gilt es als Endgültigkeitsaussage sparsamster Art einzusehen. 
Eben hier ist es, wo sich Räumlichkeit als besondere Soseinsaus«« 
prägung von Anordnungsbesonderheit, als besonderes Beziehungs^ 
behältnis, sozusagen, darstellt, und zwar als ein Fall dreistufiger An«* 
Ordnungsbesonderheit. 
Wenn wir nämlich auf die sogenannte »Dreidimensionalität« des 
Raumes -- welche nur ein anderer Ausdruck dafür ist, daß »in dem 
^ Oder der entsprechenden : »Zwei Punkte bestimmen größenmäßig eine Gerade«, 
d. h. : Richtungsneben und Größenneben sind einander wechselseitig eindeutig zu* 
geordnet. 
124 
I 
Räume« Raumteile, Ebenen, Strecken, und sie allein, möglich sind — , 
wenn wir auf sie, nachdem wir sie als Sonderfall von Anordnungs:« 
Besonderheit erkannt haben, die Forderung von der Sparsamkeit der 
Setzungen anwenden, das heißt: wenn wir den Raum in seinem Sosein 
vollständig und doch mit Hilfe möglichst weniger verschiedener Set* 
Zungen als Anordnungsbesonderheitsfall kennzeichnen wollen, dann 
müssen wir uns desjenigen Falles von Anordnungsbesonderheit über*' 
haupt erinnern, welchem das Kennzeichen größter Einfachheit zukam: 
das aber war der Fall der mehrstufigen gleichgliedrigen gleich* 
BEziEHLicHEN (»HOMOGENEN«) ANORDNUNG. Dicser Fall einer Anord* 
nungsbesonderheit schließt sowohl in bezug auf die Setzung »Glied«, 
wie in bezug auf die Setzung »diese (nicht jene) Beziehung« die ge* 
ringste Zahl verschiedener Setzungen ein. 
Auf Raumordnung angewandt wird nun zunächst aus dem »mehr* 
stufig« ein »dreistufig«; die »Glieder« sind »Punkte«; ihre Beziehung 
in der Urreihe und in allen abgeleiteten Reihen — welche »Gerade« 
sind — heißt gleicher Abstand oder, vielleicht besser: »Gleichheit in 
bezug auf Größenmäßigkeit des Abstands (des Neben)«. Dann aber 
folgt ohne weiteres die Richtigkeit der Sätze, daß es in einer Ebene 
nur eine Gerade gibt, welche in einem Punkte einer anderen in dieser 
Ebene liegenden Geraden gleiche (»rechte«) Winkel bestimmt, und 
daß es durch einen Punkt zu einer Geraden nur eine »Parallele« gibt. 
Der Raum also wird durch Setzung des sogenannten Parallelenaxioms 
als eine »homogene« dreistufige Anordnungsbesonderheit geschaut: 
deshalb »eine« Parallele, deshalb »gleiche« (rechte) Winkel nur zwischen 
zwei Strahlen. Deshalb auch — um der Sache eine andere bekannte 
Wendung zu geben — wohl ein »absoluter« Winkel*, aber kein »ab* 
soluter« Streckenmaßstab ^ 
Im Einzelnen gestaltet sich die Auffassung des Raumes als einer dreistufigen An* 
Ordnungsbesonderheit von setzungssparsamster Form, als einer sparsamsten Form 
DER Beziehungsbesonderheit also, folgendermaßen: 
Es sei eine Reihe ohne Ende gesetzt, deren Glieder Punkte sind; in einem be* 
liebigen endlichen Abschnitt der Reihe wird zunächst die Anzahl der Punkte als 
endlich, also als abzählbar gesetzt. Jeder Punkt hat zu zwei Nachbarn die Beziehung 
NEBEN. Alle Punkte und alle Neben sind je einer Setzung Einzigkeiten. 
Durch das »ohne Ende« ist hier eine »kreisförmige« Anordnung ausgeschlossen ; 
durch die Forderung, daß alle neben setzungsmäßig dieselben sind, jede andere 
»Kurve«. Die gesetzte Reihe der Punkte, die Grundreihe, ist also die »Gerade«. 
^ Deshalb auch »ähnliche Figuren« (Wallis). Man vergleiche über die dem V. Euklis: 
dischen Postulat gleichwertigen Aussagen z. B. Bonola (deutsch von H. Liebmann). 
Die nichteuklid. Geom. 1908; H. Bergmann, das phil.Werk Bolzanos 1909. 
125 
Jeder Punkt der Grundreihe ist Glied einer anderen Reihe von der Art der Grund« 
reihe. Die so entstehende zweistufige Anordnung soll auch in ihrer Zweistufigkeit 
durchaus gleichbeziehlich sein. Das heißt folgendes: Die Zweistufigkeit führt zwar 
andere Beziehungen überhaupt als das reine neben der Grundreihe ein ; die Be? 
Ziehung des beliebigen Punktes n irgendeiner zweiten Reihe zu einem Nachbar* 
punkt des Punktes der Grundreihe, welcher sie erzeugte, ist jedenfalls nicht dasselbe 
neben wie das neben der Grundreihe. Aber eben dieses neue neben soll nun nicht 
nur für den Punkt n jeder Reihe in der Gesamtheit der zweiten Reihen entsprechend 
wiederkehren, sondern es soll auch jeweils dasselbe sein mit Bezug auf beide Nach* 
barn jedes Punktes der Grundreihe. Das heißt »senkrecht stehen«; ein »neben« also 
nur kann in jedem Punkte derselben senkrecht stehend sein. 
Ist nun, was bisher geschildert ist, der Fall, dann sind alle neben in bezug auf 
irgendeinen bestimmten Punkt n jeder zweiten Reihe und den erzeugenden Grunds 
reihenpunkt derselben Reihe Einzigkeiten einer Klasse, also einander »gleich«. 
Irgendein Punkt n in der Gesamtheit der zweiten Reihen bestimmt also mit allen 
anderen Punkten n dieser Gesamtheit, aber nur mit ihnen, zusammen eine und nur 
eine dritte Reihe. 
Das ist DIE Parallele zur Grundreihe. 
Mit Absicht ist dieser Erörterung keine Abbildung beigegeben: sie würde ja 
»räumlich« sein, also nicht das rein Beziehliche im Räumlichen lediglich als solches 
zum Ausdruck bringen. 
Die Untersuchungen des neunzehnten Jahrhunderts über die Frage 
nach der Möglichkeit einer sogenannten »nicht^^euklidischen Geo:« 
metrie« behaupten, erstens die beweismäßige Unabhängigkeit des 
Parallelensatzes von den übrigen »Axiomen« des Euklid gezeigt und 
zweitens den Nachweis geführt zu haben, daß ein »nicht^euklidischer« 
Raum möglich, d. h. setzungsmöglich, sei. Der euklidische Raum sei 
ein ausgezeichneter Fall unter vielen, nämlich er sei der Raum mit dem 
»Krümmungsmaße« O ; der Begriff Krümmungsmaß ist hier von der 
Ebene und Strecke, wo er auch sinnfällige Bedeutung hat, denkmäßig 
übertragen auf »den Raum«, wo er der sinnfälligen Bedeutung ent* 
behrt. 
Um die Aussage der Metageometer logisch würdigen zu können, 
müssen wir ihre beiden angeblichen Leistungen scharf trennen. 
Der Nachweis der Unbeweisbarkeit des Parallelenaxioms ist eine 
positive Leistung und von großer Bedeutung, ganz anders steht es 
mit dem angeblichen Nachweis der Möglichkeit nicht^euklidischer 
»Räume«. Das Bestehen der einen Senkrechten in einem Punkt einer 
Geraden und das Bestehen einer Parallele zu einer Geraden wird un«* 
mittelbar geschaut; erst hinterher wird eingesehen, dass durch diese 
beiden Sachverhalte der Raum insofern, als er ein Beziehlichkeits* 
rahmen ist, sich als »setzungssparsamster« Fall eines solchen erweist, 
126 
als solcher, der keiner besonderen »Konstante« (neben der Dimensions* 
konstante 3) zu seiner Kennzeichnung bedarf. 
Was nun leisten die Metageometer? Sie zeigen die Möglichkeit 
des Bestehens anderer Formen von dreistufiger Beziehlichkeit als nur 
der setzungssparsamsten. Aber zeigen sie die Möglichkeit anderer 
»Räume«? Mit nichten. Das können sie gar nicht, denn sie treiben 
eigentlich gar keine »Geometrie«! Und wollten sie echte nicht^euklis» 
dische »Geometrie« treiben — nun, so würde das wohl nicht angehen: 
DENN DAS Objekt der Geometrie ist als »euklidisch« unmittelbar ge«* 
SCHAUT. Es ist in diesem Zusammenhange wichtig, daß alle »Ver* 
anschaulichen« des sogenannten nicht*euklidischen Räume stets ana^s 
logienhafte euklidische Veranschaulichungen sind. 
Nicht^euklidische Geometrie ist also gar nicht »Geometrie«, sondern 
ein Abschnitt aus der allgemeinen Beziehlichkeitslehre, der fälschlich 
»Geometrie« genannt wird; und geometrisch liegt das Verdienst der 
Nichteuklidiker nur im Nachweis der Unbeweisbarkeit des Parallelen«« 
Satzes und in der Erkenntnis, dass der euklidische Raum als beson«* 
dere Soseinsausprägung von Beziehlichkeit überhaupt der »einfachste 
Fall« ist. 
Man darf nicht glauben, Geometrie, d. h. Lehre vom Neben zu 
treiben, wenn man das Neben zuerst beseitigt. 
Das also geben wir den Metageometern zu : Jeder nicht««euklidische 
Raum wäre ein zusammengesetzteres Gebilde^ als der euklidische. Aber 
wir fügen hinzu: nur der euklidische Raum ist der Raum. 
Von »Erfahrung«, von einer »Angemessenheit« an »Tatsachen« oder 
dergleichem ist hierbei natürlich gar keine Rede. Von »Dingen«, welche 
sich eben bei »Bewegung« im Raum ihrer Form nach nicht »verzerren«, 
welche »starr« sind, wo immer sie sich befinden, erst recht nicht. Ab*» 
weichungen von diesem Sachverhalt würden wir immer als durch etwas 
im Raum bedingt ansehen müssen; doch gehört diese ganze Angelegen* 
heit in die Naturlehre. 
Auch mit »Anschauung« im eigentlichen Sinne des Wortes darf 
man uns bei der Frage nach der »homogenen« Natur des Raumes nicht 
kommen : für die Anschauung, d. h. das Gesicht, verändert ja gerade, 
^ Das Parallelenaxiom ist also zwar aus den anderen »Axiomen« der Raumlehre — 
(d. h. aus den lediglich setzbaren Soseins*Kennzeichen des Räumlichen und aus der 
Forderung über die Gerade) — nicht ableitbar; »ableitbar« überhaupt aber, d. h. als 
Sonderfall eines Allgemeineren erkennbar ist es: nämlich als Sonderforderung, die 
aus der Allgemeinforderung der Sparsamkeit fließt; (vgl. H. Bergmann, Werk Bol* 
zanos S. 167 ff. und Couturat, Phil. Prinz, der Math.. S. 314fif.). 
127 
der »Perspektive« wegen, eine bewegte Figur fortwährend ihr äugen* 
blickliches Sosein und schneiden sich »Parallelen«! 
»Reine Anschauung« im Sinne Kants, als ein, unabhängig vom 
Widerspruchsatze endgültige Richtigkeitsüberzeugtheit Verleihendes, 
mag man, wie wir noch sehen werden, anrufen für die Dreiheit der 
Abmessungen des Raumes, das heißt dafür, daß es nur Strecken, 
Flächen und Raumteile, aber nicht mehr als Gebilde im Räume gibt^. 
Wird »reine« Anschauung für Aussagen über die Begriffe »senkrecht« 
und »parallel« angerufen, so tritt aber immer schon besonderes Ord* 
nungsmäßiges, das freilich auch »geschaut« wird, in sie hinein. So auch, 
wenn die Darlegung des Parallelensatzes sich etwa die Form gibt: 
Dieses Hier ist dieses, diese Richtung, welche Klasse mit Einzigkeiten 
sein mag, ist diese — also ist die Setzung »diese Richtungseinzigkeit in 
diesem Hier«, eindeutig bestimmt, d. h. es gibt in diesem Hier nur eine 
Parallele zu einer Geraden. Eben daß »Hier« und »Richtung« ein«» 
deutig zusammenhängen können, entspringt nicht ganz »reiner«, d. h. 
bloß soseinserfassender, sondern schon ordnungshaft durchtränkter 
»Anschauung«. Immerhin mag gesagt sein : 
Durch Schau (»Anschauung«) erhält der Raum ursprünglich seine 
Kennzeichen, und ausdrückliche Ordnungsschau bestimmt dann »hin* 
terher«, was an Ordnungshaftem diese Kennzeichen alles in sich bergen, 
d. h. was z. B. der Satz von der einen Parallele beziehungstheoretisch 
eigentlich heißt. 
Der Raum mag also »anschauungsmäßig« seine wesentlichste Bedeu* 
tung erlangen: nur das Denken kann fordernd seinen Kennzeichen bei* 
kommen. 
d) DER SATZ VON DER SPIEGELBILDLICHKEIT 
Zu erörtern bleibt endlich noch der Begriff der Spiegelbildlichkeit, 
welcher unter gewissen Umständen für die Raumlehre von Be* 
deutung wird. Die »Kongruenzsätze« für die Ebene werden bekannt* 
lieh ohne Rücksicht auf ihn ausgesprochen; man sagt da recht un* 
passend, man könne zwei spiegelbildliche, aber »kongruente« Dreiecke 
ja durch »Drehung« aus der Ebene heraus zur Deckung bilden. »Ge* 
dreht« aber soll hier ja doch überhaupt nicht werden, und aus dem 
Räume »hinaus« könnte man mit Rücksicht auf rechte und linke Hand 
denn doch wohl nicht! 
^ Im Sinne der »analytischen Geometrie« lassen sich Räume von beliebig, ja von 
unendlich vielen Abmessungen erdichten ; diese Seite der »Metageometrie« hat mit 
den Untersuchungen über die »Krümmung« des Raumes nicftfs zu tun. 
128 
Spiegelbildlichkeit soll nur bedeuten : man darf den Raum zur Kenn* 
Zeichnung gewisser Räumlichkeitsgebilde als zweiseitige gleichgliedrige 
gleichbeziehliche Anordnungsbesonderheit auffassen, wobei aber, da 
der Raum eine durchaus »homogene« dreistufige Anordnungsbesonder* 
heit sein soll, nicht nur der Ausgangspunkt der Zweiseitigkeit, sondern 
auch die Richtung der »zwei Seiten« durchaus beliebig ist. 
c) VON DER GEOMETRIE 
Auf die verschiedenen Arten von Geometrie gehen wir hier nicht 
ein; alle, auch die sogenannte »analytische« und »synthetische« 
hängen ja an den Sätzen über das Dreieck und damit an den Grund* 
forderungen über Räumliches. 
Daß alle »arithmetirierende«, also auch die sogenannte analy* 
tische Geometrie das eigentlich »Geometrische« gar nicht trifft, son* 
dern nur Etwas, daß das Geometrische sozusagen begleitet, geht 
wohl schon aus unseren Ausführungen über die Metageometrie 
hervor. Geometrie eben handelt vom »Raum«; Gleichungen handeln 
NICHT vom Raum. Wenn wir später auf die sogenannte mathematische 
Physik zu sprechen kommen, werden wir ähnliche Erwägungen an* 
stellen. 
Daß wir Kurven nicht durch die »Bewegung« eines Punktes erzeugt 
denken, geht aus dem ganzen Gange unserer Ordnungslehre, welche 
ja den Begriff^ Werden bis jetzt noch gar nicht kennt, hervor. 
»Stetige Richtungsänderung«, wie sie also z. B. beim Tangenten* 
Problem eine Rolle spielt und wie sie der Grund der Anwendung der 
Differentialrechnung auf Geometrie ist, ist uns keine Richtungs* 
»Änderung«, sondern ein »in diesem Punkte diese, in einem stetig* 
NAHEN jene Richtung haben«. 
Der Differentialquotient war uns in der Zahlenlehre eines Quo* 
tienten Grenzwert, nicht der Quotient von zwei Grenzwerten. Das 
war alles ganz eindeutig. Wie steht es nun aber, wenn, bei Anwendung 
der Infinitesimalrechnung auf Geometrie, der Begriff des nächsten im 
Sinne der Stetigkeit mit Rücksicht auf Raumgebilde in Frage kommt? 
Was ist hier »nächst«? 
Mit dem Begriff »Punkt« kommt man hier nicht aus. Punkt ist 
Punkt, ist Hier, und ist nichts weiter. Man braucht außer dem Punkt 
das Neben, den Abstand, er ist ja die Beziehung, mit Rücksicht auf 
welche Räumlichkeiten ein Sonderfall von Anordnungsbesonderheit 
ist. Mit Rücksicht auf das wie eine Farbe nur in seinem Dasein auf* 
9 D r i e s c h , Ordnungslehre 129 
zuzeigende Neben ist Raum eine gleichgliedrige gleichbeziehliche An# 
Ordnung dritter Stufe. 
Nicht Punkte also, sondern das Neben, oder, wenn man will: das 
Neben von »Punkten«, soll der stetigen Größenreihe zuordenbar 
sein\ und zwar das Neben in drei Stufen von Anordnung. Vom Neben 
soll es den »unendlichkleinen« Zuwachs geben. 
Wenn das festgelegt ist, dürfen wir wohl in der Tat die Räumlichst 
keitslehre der Zahlenlehre, und auch ihrem »Infinitesimalkalkül«, über»« 
geben ^. Aber die Logik muß erstens darauf bestehen, daß der Raum 
nicht nur als unendlich große Anzahl von Punkten, sondern als eine 
Punktgesamtheit, welche dreistufig geordnetes Neben hat, aufgefaßt 
werde, und zweitens darauf, daß die Zahlenlehre, welche ja ein Teil 
der allgemeinen Beziehungslehre ist, das Geometrische immer nur einer 
seiner Seiten nach, aber nie in seiner eigentlichen Fülle trifft. 
d) ZUR KANTISCHEN RAUMLEHRE 
Obwohl unsere Raumlehre, welche alle Aussagen über den Raum 
unter die Gesichtspunkte der sparsamen Ordnungssetzungen im 
Rahmen der beziehungstragenden Solchheit dreistufiges Neben stellt, 
für eine eindeutige erschöpfende Behandlung aller Fragen über Räum*! 
lichkeit vollkommen genügt, wollen wir, der großen Bedeutung ihres 
Urhebers wegen, an dieser Stelle auch der Raumlehre Kants noch 
einige zusammenhängende Worte widmen, damit zugleich ergänzend, 
was wir schon gelegentlich über sie gesagt haben. 
Daß uns freilich Kants Lehre von der sogenannten »Subjektivität« 
der Raumanschauung in diesem Werke gar nichts angeht, ist für den, 
der sich mit uns entschließt, Ordnungslehre von Wirklichkeitslehre 
zu sondern, ohne weitere Erläuterung klar. 
Es handelt sich also vornehmlich darum, daß nach Kant die Geo* 
metrie eine auf »reiner Anschauung« beruhende Wissenschaft »nicht 
* Wohl verstanden: Das Neben, wie es etwa »sinnlich« in Form von Flächen und 
Körpern erlebt wird, ist reine erlebte Form des So*Daseins, und hat mit Stetigkeit 
nichts zu tun. Die Frage nach dieser tritt erst auf, wenn die Logik die Setzung 
Grösse auf das Sosein Neben anwendet. Nicht also wird etwa »ansc/iau/ic/i« 
Stetiges unmittelbar erlebt, wie wohl gelegentlich gesagt worden ist; (vgl. S. 113). 
' Nur scheinbar ist natürlich nach unserer Lehre eine endliche Strecke, als aus »uns 
endlichüvielen« »unendlichskleinen« Neben bestehend, eine sogenannte »vollendete 
Unendlichkeit« und also das Unendliche doch setzbar. Die endliche Strecke »be«: 
steht« doch eben nicht aus jenen unendlichsvielen unendlich*kleinen Neben, son* 
dern sie ist, was sie ist. Nur weil sie auch Grösse hat, läßt sich der Teilungsgedanke 
»ohne Ende« auf sie anwenden ; sie ist aber das erste. 
130 
aus Begriffen, sondern aus der Konstruktion von Begriffen« ist, welche 
»synthetische Urteile a priori« aufstellt. 
»Reine Anschauung«, um mit ihr zu beginnen, mögen wir, wie schon 
gesagt wurde, die Erfassung des »da draussen« und des Neben und 
zwar des dreistufigen Neben nennen; wir mögen das tun, um die 
Soseinserfassung dieser Solchheit von der Soseinserfassung der »Emp* 
findungen« genannten Solchheiten zu scheiden. Ein scharfer Unter«» 
schied besteht hier aber nicht, und wir haben höchstens deshalb Grund, 
beide Soseinserfassungen zu scheiden, weil das Neben eine besondere 
Kennzeichnung hat, welche der reinen Solchheit fehlt. Sie ist es, die in 
Kants Bezeichnung der Geometrie als einer Wissenschaft »aus der 
Konstruktion von Begriffen« ihren passenden Ausdruck findet. 
In bezug auf das dreistufige Neben, also den Raum, soweit er nur 
»rein angeschaut« ist, können wir nämlich, wie wir schon wissen, ganz 
bestimmte Setzungen durch die »Einbildungskraft« »schaffen«, können 
wir »konstruieren«, wie man sagt, und gewinnen ein näheres Wissen 
um Räumlichkeit gerade im Anschluß an diese Setzungen. 
Natürlich sind für uns, die wir unseren Ursachverhalt »Ich habe 
BEWUSST geordnetes Etwas« zur Urgrundlage haben, die Ausdrücke 
»konstruieren« und »durch Einbildungskraft schaffen« bildlich zu ver# 
stehen. Streng muß es heißen : Ich schaue eine große Fülle von Raumes»» 
Sondergebilden, die Ellipse, das Dreieck, die Kugel, den Zylinder, als 
mögliche Setzungen, als vorweggenommene Sonderraumesordnungen, 
als »antezipierte Schemata«, und ich schaue auch, wenn etwa eine so^ 
genannte Hilfslinie, die in einem Beweise eine Rolle spielen soll, mög= 
lieh ist. 
Die Möglichkeit ist hier aber nicht gleich bloßer Widerspruchslosig»* 
keit, obschon es sich noch nicht um »Natur«s=möglichkeit handelt. Eben 
in diesem neuen Möglichkeitsbegriff liegt besondere, der Geometrie 
eigene Schau. 
Der Satz von der Geraden als der kürzesten, der Parallelensatz wird 
nun auch geschaut, meinetwegen »rein angeschaut«, aber hier tritt zu 
der bloßen »reinen Anschau« denn doch etwas hinzu, was Kant nicht 
sah, etwas, was man die Rechenschaftsablage der Ordnungslehre 
nennen könnte, die Einsicht nämlich, dass hier etwas »angeschaut« 
wird, was zugleich unanschaulich als im Rahmen reiner Beziehlich«« 
keitslehre setzungssparsamst, als »einfachster Fall«, »geschaut« wird. 
Die Euklidität des Raumes also wird nicht nur »angeschaut«, son*» 
dern auch bewußt ordnungshaft als mit besonderem Endgültig«* 
131 
keitstone behaftete bewußt gehabt. Leibniz war dieser Einsicht näher 
als Kant. 
Daß es sich nun endlich um ein Wissen »a priori«, also um ein ge^ 
wohnheitserfahrungsfreies und darum, wie sich des Näheren noch an^ 
läßlich der Naturtheorie zeigen wird, nicht nur »wahrscheinliches« 
Wissen bei allem Geometrischen handelt, geben wir Kant wiederum 
zu. Mein Wissen um Räumlichkeit gih in der Tat für mich unbedingt 
unabhängig vom Quantum der »Fälle«. 
Nun aber kommt der Begriff »synthetisches Urteil«, das heißt also 
in unserer Sprechweise: begriffsschaffendes Urteil, also ein Urteil, 
welches aus einem Begriff A und einem Begriff B einen Begriff C neu 
schafft. 
Das Urteil »Der Raum hat drei Abmessungen« ist jedenfalls nicht 
»synthetisch«, sondern »analytisch« — denn wir meinen als »Raum« 
eben durchaus das dreistufige Neben: dieses in seinem Sosein setzen 
wir als daseiend. Das gilt auch bezüglich der Zahl 4 als der Zahl der 
Winkel, die zwei sich schneidende Strahlen bilden: daran hängt dann 
weiter die Zahl n und alles möglich andere. Hier zuerst in der Ord* 
nungslehre treten ja, wie wir wissen, »absolute« solchheitsbestimmende 
Zahlen als in ihrem Dasein einfach setzbar auf. 
Wie steht es nun mit den Sätzen »die als Richtung Gerade ist die 
Kürzeste als größenmäßiges Neben« und »Es gibt durch einen Punkt 
nur eine Parallele zu einem Strahl«*? 
Mir scheint, hier ohne nähere Erläuterung von »erfahrungsfreien« 
begriffsschaffenden Urteilen, also »synthetischen Urteilen a priori«, zu 
reden, sagt nicht genug, obwohl es natürlich nicht falsch ist, wenn 
Gerade eben nur als »gerade«, Parallele nur als »Linie von überall 
gleichem Abstand« definiert ist. Denn dann ist sicherlich jedes der 
beiden Urteile »synthetisch« ^ und »apriori« ist es auch. Der erste Satz 
redet davon, daß erstens überhaupt, und zweitens in tesfzmm^er Weise 
Größenneben und Richtungsneben zusammenhängen; daß dieser Zus* 
sammenhang überhaupt besteht, liegt nun zwar bereits im lediglich 
»angeschauten« Räumlichen, daß er aber ein solcher ist, wie der Satz 
von der Geraden besagt, das schaute ich ja als Ausdruck einer beson* 
deren Form der beziehlichen Sparsamkeit; der Parallelensatz hängt, 
wie wir ausdrücklich darlegten, in anderer Weise an dem Sparsamkeits* 
begriff. 
* Echt »analytisch« ist aber der Satz : »Parallelen, das heißt richtungsunterschiedsfreie 
Grade, schneiden sich nicht«; aber das ist nicht der »Parallelensatz«. - S. o. S. 74. 
132 
Das »Urteils«:shafte an den Sätzen »Die Gerade ist die kürzeste«, 
»Die Zahl der Parallelen durch einen Punkt zu einer Geraden ist Eins« 
erscheint hier doch eigentlich als recht unwesentlich. Daß die Zu*« 
SAMMENGEHÖRIGKEIT von »Gerade« und »Kürzeste«, von »Parallel« und 
»Eins« besteht, das ist die Hauptsache. 
Apriori ist das, wir wissen es schon. Es ist andererseits nicht etwa 
apriori auf Grund des Widerspruchssatzes. Synthetisch ist es, insofern 
es verknüpft. Also : apriori wird Synthese geschaut. 
Das ist die Hauptsache. Ein nicht nur »formales« apriori des Schauens 
liegt vor. Besagt demgegenüber der Begriff des synthetischen »Urteils« 
apriori wirklich etwas besonderes Wichtiges? 
Doch wie steht es nun mit allen Sonderlehrsätzen der Geometrie? 
Die Kreissätze, die Ellipsensätze werden offenbar durch »Kreis« und 
»Ellipse« schlicht mitgesetzt. Denn Kreis und Ellipse waren ja nicht 
nur so obenhin gesetzt, sondern sie waren gesetzt als Gebilde im 
euklidischen Raum. Mit ihnen waren also gesetzt erstens alle Axiome, 
zweitens ihre eigene Möglichkeit als antezipierte Schemata, drittens 
die Möglichkeit aller etwa an ihnen möglichen Sondergebilden 
(Sekanten, Tangenten usw.). Das alles hatte man, als man »Kreis« 
oder »rechtwinkliges Dreieck« setzte, und nun »beweist« man Sekans» 
tensatz und Pythagoras durch bloßes »Herauslösen« aus dem, was 
man hat, mit Hilfe schon bekannter »Gleichheiten«^. Man muß 
eben immer, daß man eine euklidische Figur gesetzt hatte, mit in 
den Kauf nehmen. Die Einsicht in das Verhältnis zwischen einem 
axiomatischen und einem abgeleiteten Satz in der Geometrie ist 
also offenbar »analytisch« gewonnen. Aber darum wird der ab* 
geleitete Satz als solcher nicht analytisch, sondern bleibt, wenn man 
so will, »synthetisch*»apriori«^ wenn auch die Zusammengehörigkeit, 
welche er ausdrückt, nicht, wie Schopenhauer wollte, unmittelbar 
geschaut wird. 
e) DER UNENTWICKELTE ENTWICKELBARE BEGRIFF 
Für die »Geometrie« als Sonderwissenschaft ist, wie wir wissen, 
neben der Kenntnis des hinzunehmenden Soseins des Räumlichen 
und der Forderungssätze über den Raum als Beziehungsform das »aufi 
bauliche Vermögen der Einbildungskraft« in Sachen der Räumlichkeit 
die Hauptsache. Dieses Vermögen liefert dem weiteren Denken ja erst 
^ Ähnlich LoTZE, Logik S. 146 f; s. a. von der Pforten, Viertelsjahrsschrift f. wiss. 
Phil. 39 und 40. Vgl. auch oben S. 111. » Vgl. oben S. 109. 
133 
seine Gegenstände in Form von Dreiecken, Ellipsen, Rotationsflächen 
und so fort^. 
Aus der Lehre vom Sosein kennen wir bereits den Begriff der 
Soseinsgruppe als der Gesamtheit derjenigen Setzungen, welche 
gemeinsam dasselbe Allgemeine mitsetzen. Jetzt tritt er wieder auf, 
wenn etwa »die Kegelschnitte«, »die regulären Polyeder«, »die Poly** 
gone« zuerst in ihrem möglichen Bestehen geschaut und dann auf 
Grund gewisser Eigentümlichkeiten der Beziehung zusammengefaßt 
werden. 
War aber der Begriff der Soseinsgruppe bisher ein bloß Hinzu^ 
nehmendes, so tritt hier zu ihm ein Kennzeichen von ganz seltsam 
neuer Art, das, schon an früherer Stelle von uns kurz erwähnt, eben 
jetzt von unermeßlicher Bedeutung werden wird: 
Für die Farben z. B. Heß sich nur schlicht hinsetzen, daß es diese und 
keine anderen Farbenarten »gibt«; die Gesamtheit der Farben ist ein 
hinzunehmendes Sosein wie jede einzelne von ihnen. Für die Kegel* 
schnitte, die »regulären Polyeder« und andere Gruppen läßt sich ein- 
sehen, daß es sie nur in diesen Sonderheitsausprägungen, etwa als 
Ellipse, Parabel, Hyperbel, Kreis, Linie, geben kann^. Die Setzung 
»Kegelschnitt« oder »reguläres Polyeder« setzt hier, obwohl scheinbar 
die »inhaltärmere«, aus sich heraus jene Einzelsetzungen mit^. Freilich 
tut sie es nur wegen unseres Wissens um den Raum als besonders ge* 
arteten Beziehungsrahmen überhaupt. 
Wir wollen das ausdrücken durch den Satz: Im Gebiete der Raum* 
lehre enthält der Begriff einer Gattung die Arten dieser Gattung un* 
ENTWICKELT in sich. Aus diesem unentwickelten Enthaltensein der Arten 
in der Gattung stammt es, daß, seltsamerweise, der Anschein entsteht, 
als werde das inhaltreic/iere vom inhaltärmeren mitgesetzt. In der Tat 
waren Mitgesetztes und Mitsetzendes gleich inhaltreich; das schein* 
bare Verhältnis des Mitsetzens ist vielmehr ein Verhältnis der Besonde* 
^ Sie sind »Gegenstände« in jener ganz allgemeinen Bedeutung des Wortes (s.o.S.24), 
in der auch die Setzung Beziehung überhaupt Gegenstand ist. Selbstredend sind 
sie keine »Dinge«, ja, sie sind nicht einmal »Vorgestelltes« in unserm Sinne, sie sind 
ganz bestimmte einheitliche Beziehungsbesonderheiten von teilweis sehr zusammen* 
gesetzter Art. Freilich kann ich auch eine bestimmte Einzelfigur vorgestellt oder ding* 
haft erleben, und tue das sogar meist, wenn ich eine Figurart überhaupt bewußt 
habe — aber daran liegt der Geometrie nichts. — Von arithmetischen »Gegenständen« 
gilt Entsprechendes. ^ Kurze aber zutreffende Bemerkungen hierzu bei Riehl, Phil. 
Kritiz., Bd. III, Kap. 4, Nr. 7. " Deshalb erhält das »disjunktive« Urteil hier als 
»vollständig#disjunktives« seine eigentliche Bedeutung. 
134 
rung; das »Allgemeine« erscheint hier in seiner bedeutungsvollsten 
Form; es erscheint eben als unentwickelter entwickelbarer Be* 
GRIFF ^. 
In einfachster Form liegt die Möglichkeit vollständiger Artbesonde^ 
rung aus der Gattung heraus bereits in der Lehre von Anordnung und 
Zahl vor, denn auch diese Lehren kennen unentwickelte entwickelbare 
Begriffe. Aber erst in der Raumlehre gelangt jene Möglichkeit zu gleich:* 
sam praktischer — und zwar sehr großer — Bedeutung. 
Wir werden später davon zu reden haben, daß einer der Gründet 
welcher, wie wir sehen werden, alle Naturwissenschaft zur Mathe* 
matik treibt, der Wunsch nach der Verwendbarkeit unentwickelter 
entwickelbarer Begriffe ist. Denn nur solche Begriffe machen ratio* 
NELLE Systematik möglich^. Ja, auch die Metaphysik denkt sich 
wenigstens ein Wesen, das im Besitze unentwickelter entwickelbarer 
Begriffe ist für solche Gebiete des Soseins, für welche ich sie nicht be* 
sitze. 
Denn Ich schaue unentwickeltes Entwickelbares hur im Rahmen der 
Mathematik im weitesten Sinne des Wortes. 
8. VON DER MANNIGFALTIGKEIT UND IHREM GRADE 
Die Lehre vom Sosein hat mit der eingehenden Erörterung eines 
Begriffs abzuschließen, welcher in weiterhin zu entwickelnden 
Gebieten der Ordnungslehre eine sehr bedeutsame Rolle zu spielen be* / / - 
rufen ist, mit dem Begriff der Mannigfaltigkeit. 
Jedes SosEiN, beziehe es sich auf eine Setzung oder auf viele Set* 
Zungen oder Setzungseinzigkeiten, welche als Eines betrachtet, also in 
eine Setzung zusammengefaßt sind, ist ein Ganzes gekennzeichnet durch 
die nicht weiter auflösbaren, sondern nur aufzeigbaren Ordnungs* 
bestandteile : Reine Solchheit, Beziehlichkeit überhaupt, Zahl über* 
HAUPT, Raumanordnung und Raumzahl im besonderen, Tönung und 
Kreiszeichen. 
Reine Solchheit ist jeweils diese, sie ist in sich einfach, nur die Stärke 
tritt praktisch zu ihrer Kennzeichnung jeweils hinzu; sie ist also solche 
in dieser (zahlenmäßigen) Stärke, hat diese Stärke (Größe); einfach 
sind auch alle Arten der Tönung. 
Beziehlichkeit überhaupt ist auch diese, aber sie ist stets vergesell* 
schaftet, und zwar insofern, als sie diese Glieder, jeweils der gegen* 
standsmäßigen reinen Solchheit und ihrer Stärke nach gekennzeichnet, 
^ Vgl. S. 62. * Kristalltheorie, Materientheorie usw. 
135 
und insofern sie diese Beziehungen zwischen ihren Gliedern hat. Als 
Raumanordnung gefaßt wird Beziehlichkeit zu einer solchen, deren 
Beziehungen Abstände sind mit bestimmter Richtung. 
Zahl kennzeichnet, abgesehen von ihrer Beziehung zur Stärke reiner 
Solchheit, die Menge der Glieder überhaupt, die Verschiedenartigkeit 
des Soseins der Glieder — es sind »so viele verschiedene« Gliedarten 
vorhanden — , die Verschiedenartigkeit des Soseins der Beziehungen 
und endlich die Einzigkeiten, in denen jede Gliedart und Beziehungsart 
auftritt. 
Ein Sosein wird sich, von der Tönung und in Sonderheit dem Kreis«» 
zeichen abgesehen, also letzthin ausdrücken lassen als bestehend aus: 
so vielen der Stärke und Solchheit nach verschiedenen Gliedarten, in 
jeweils, das heißt den Einzigkeiten jeder einzelnen so starken Solchheit 
nach, SOLCHEN Anzahlen, zwischen denen so viele verschiedene Be* 
ZIEHUNGSARTEN, jcweils in SOLCHEN Anzahlen der Einzigkeiten vor*« 
banden, bestehen. 
Ein in dieser Weise als solches gekennzeichnetes Sosein einer Setzung 
— handle es sich um die Setzung »Gerechtigkeit« oder »Lokomo^» 
tive« oder »Nixe« — wollen wir die Mannigfaltigkeit der Setzung 
nennen^. 
Grad einer Mannigfaltigkeit aber wollen wir die Anzahl der zu 
ihrer vollständigen Kennzeichnung hinreichenden unzerlegbaren 
Setzungsarten nennen; diese unzerlegbaren Setzungsarten sind also 
Gliedarten oder Beziehungsarten oder Tönungen. 
Der Grad der Mannigfaltigkeit einer Setzung wird also, von den 
Tönungen abgesehen, bestimmt: 
durch die Anzahl ihrer, der stärkemäßig bestimmten Solchheit nach 
verschiedenen Gliedarten, 
durch die Anzahl der Einzigkeiten jeder Gliedart, 
durch die Anzahl aller Beziehungsarten zwischen den Gliedern, 
durch die Anzahl der Einzigkeiten jeder Beziehungsart. 
Räumlichkeitsbeziehungen sollen in den Begriff Beziehung mit ein* 
beschlossen sein. 'Wir können kurz die durch die Anzahl der Glied* 
arten und Gliedeinzigkeiten ausgedrückte Seite der Mannigfaltigkeit 
als Mannigfaltigkeit nach Zahl, ihre durch Beziehliches ausgedrückte 
Seite als Mannigfaltigkeit nach Bauart bezeichnen. 
* Dieses Wort bedeutet uns also nicht dasselbe wie Riemann und seinen Nachfolgern 
auf dem Gebiete der Mathematik. Wun dt (Syst. d. Phil. 1889, S. 247 ff.) verwendet es 
in wesentlich unbestimmterem Sinne als wir. 
136 
Um nicht den Grad einer Mannigfaltigkeit zu niedrig einzuschätzen, 
wird man gut tun, im Anfang auf die Beziehung jedes Gliedes zu jedem 
anderen das Denken zu richten. Es liegt aber im Wesen der Anordnungs»«, 
Zahlen** und Räumlichkeitslehre, daß sich am Ende die Anzahl ver*« 
schiedener Arten der Beziehung meist erheblich wird vermindern lassen, 
daß nämlich eine Beziehungsart viele andere Beziehungsarten mitzu«« 
setzen erlauben wird. 
In der Reihe 
...6-5-4-3-2-1-0-1-2-3-4-5-6... 
wird man z. B. zunächst die Beziehungen 1 — 0, 2 — 0, 3 — usw. und 
0— 1,0 — 2, — 3 usw. jeweils als verschiedene setzen, dann aber ein*« 
sehen, daß sie alle folgen aus den Setzungen zweiseitig, schrittgleich, 
-[- 1 -j- ALS Schritt. 
Die »Geometrie« ist in besonderer Vollkommenheit die Lehre von 
der Verminderung der letzten Beziehungsarten. — 
Zwei Setzungen sollen ihrer Mannigfaltigkeit nach gleichgradig 
heißen, wenn bei ihnen die vier Anzahlen, welche den Grad einer 
Mannigfaltigkeit kennzeichnen, jeweils einander gleich sind. 
Sind zwei Setzungen in ihrer Mannigfaltigkeit nicht gleichgradig, so 
wird die eine, da der Grad einer Mannigfaltigkeit ja durch Anzahlen 
angegeben wird, gradärmer, die andere gradreicher sein. Hier sind 
nun folgende Fälle zu unterscheiden : 
Zwei Mannigfaltigkeiten unterscheiden sich nur durch die Anzahl 
der verschiedenen, durch stärkenmäßig bestimmte reine Solchheiten 
dargestellten Gliedarten: gliedartreichere und gliedartärmere 
Mannigfaltigkeiten. 
Zwei Mannigfaltigkeiten unterscheiden sich nur durch die Anzahl 
der Einzigkeiten einer oder mehrerer Gliedarten; wir reden von glied* 
EINZIGKEITSÄRMER, GLIEDEINZIGKEITSREICHER. 
Hier wird noch für jede Gliedart gesondert der Einzigkeitsreichtum 
festzustellen sein. 
Ebenso ergeben sich die Begriffe: beziehungsartreicher (wärmer), 
BEZIEHUNGSEINZIGKEITSREICHER (j^ÄRMEr). 
Gradunterschiede zwischen Mannigfaltigkeiten, welche auf ver*» 
schiedenem Reichtum an Glied«» und Beziehungsarfen beruhen, werden 
im allgemeinen bedeutsamer erscheinen als auf einer Verschiedenheit 
an EinzigkeitsTtichtum beruhende. Doch sind Fälle denkbar, in denen 
auch das Umgekehrte statthat. Ja, eine der grundlegenden Fragen aller 
Naturlehre wird gerade an solche Gradverschiedenheit von Mannig* 
137 
faltigkeiten anknüpfen, bei welcher Einzigkeitsreichtums verschieden*« 
heit in Betracht kommt ^. 
Wir haben bis jetzt nur ganz allgemein von Mannigfaltigkeitss* 
Verschiedenheiten in bezug auf Beziehungen und Glieder, jeweils in 
Hinsicht auf Art und Zahl, geredet. Es muß nun noch der Begriff der 
Stufe der Mannigfaltigkeit gesetzt werden. Es ist nämlich der Fall 
schaubar, daß ein Gesetztes, das ja stets ein Ganzes ist, in Teile zer^ 
fällt, welche schon für sich genommen Ganze, also, mit Rücksicht auf 
ein Oberganzes, Teilganze sind. Mit Rücksicht auf die gleichsam in^ 
einandergeschachtelte oder aneinandergesetzte Reihe der Teilganzen 
eben reden wir von Stufen der Mannigfaltigkeit. 
Es genügt uns an dieser Stelle, die allgemeinen Grundlagen einer 
Lehre vom Mannigfaltigkeitsgrad entwickelt zu haben. Diese Lehre 
erscheint jetzt inhaltlich noch recht leer; denn der Mannigfaltigkeits* 
grad etwa von geometrischen Gebilden und die Gradverschiedenheit 
derselben ihrer Mannigfaltigkeit nach erscheint an und für sich ge* 
nommen als etwas, das der besonderen Kennzeichnung dieser Gebilde 
als solcher an Bedeutung erheblich nachsteht. In der Lehre vom Natur*« 
werden wird aber gerade die Beachtung von Mannigfaltigkeitsgraden 
rein als solchen zu Einsichten von der allerhöchsten Bedeutung führen. 
Betonen wir also zum Schlüsse noch einmal, daß es Mannigfaltigkeit 
nach Zahl, nach Bauart und nach Stufen im Sinne »antezipierter Sche^* 
matik« gibt. 
9. RÜCKBLICK UND ALLGEMEINBETRACHTUNGEN ZUR 
ALLGEMEINEN ORDNUNGSLEHRE 
Wir blicken zurück auf die Gesamtheit der Ermittlungen der all^ 
gemeinen Ordnungslehre. 
Die allgemeine Ordnungslehre untersuchte die unmittelbaren Gegen* 
stände auf ihr Geordnetsein. Das Ordnungshafte, was sie fand, bestand 
teils in letzten unzerlegbaren Endgültigkeitsbedeutungen mit Rücksicht 
auf Ordnung, teils in ordnungshaften Zusammengesetztheiten von be* 
ziehlicher Form ; von diesen waren die einen als ursprünglich bestehend 
schlicht geschaut, die anderen aber ableitbar, »beweisbar«. 
Beispiele für letzte Unzerlegbarkeiten sind dieses, nicht, solches, be»« 
ZOGEN, SOVIEL, GRÜN, ROT USW., CIS, DES USW., WARM, ScHMERZ, LuST, Un^ 
LUST, ENDGÜLTIG, ERLEDIGT Und alle KrEISZEICHEN. 
Beispiele für ursprüngliche Zusammengesetztheiten sind alle Formen 
^ Es ist dies die Frage nach der »Schöpfung«. 
138 
der Reihen und Gefüge, die Bedeutung des überall dasselbe bedeuten* 
den -|- 1 -f-, die Bedeutung von weil, die sogenannten Axiome der 
Geometrie. 
Beispiele für ableitbare Zusammengesetztheiten bieten Syllogistik, 
Arithmetik und Geometrie in allen ihren einzelnen Lehrsätzen. 
Alle Ermittlungen schon der allgemeinen Ordnungslehre sind, was 
sie sind, Kraft der Bedeutung des Ordnungsendgültigen und Kraft des 
»Gegebenen«. 
In diesem Sinne kann gesagt werden, die Ordnungsbedeutungen 
fänden durch das Gegebene Erfüllung. Das Wort »Erfüllung« ist hier 
aber recht leer und besagt nur, dass die in Reihe stehenden unzerleg»« 
baren zusammengesetzten Ordnungsbedeutungen im Rahmen des 
Gegenständlichen, des bewußt gehabten Etwas, überhaupt auftreten. 
Ein bißchen mehr an Inhalt gewinnt der Begriff der Erfüllung allen* 
falls in denjenigen Teilen der besonderten (spezifizierten) Beziehungs=» 
lehre, welche als Syllogistik, Arithmetik und Geometrie zu besonderen 
Wissenschaften geworden sind: die Beziehungsgefüge, welche durch 
die Worte weil, + 1 +» R^um bezeichnet werden, sind derart, daß 
gewisse bestimmte Beziehungsaussagen, z. B. der Modus Camestres, der 
B B B 
Satz log ab = log a -\- log b, der pythagoreische Lehrsatz, sinnvoll ge* 
macht werden können. Wir mögen hier sagen: gewisse bestimmte unter 
den unbegrenzt vielen bloß aus dem Satze von der doppelten Ver* 
neinung heraus möglichen »weil«*, »Zahlen«* und »Raumes«*Zu* 
sammengesetztheiten sind im Rahmen der allgemeinen Beziehungs* 
gefüge, welche die Worte weil, Zahl und Raum bezeichnen, ordnungs* 
haft endgültig oder »sinnvoll«, weil jene Beziehungsgefüge sind, was 
sie sind. 
Oder anders: unter den unbegrenzt vielen bloß auf dem Boden 
des Widerspruchsatzes möglichen vorwegnehmBAREN Beziehungs* 
besonderheiten (antezipierbaren Schematen) sind gewisse, welche, weil 
die Bedeutung von weil, Zahl, Raum ist, was sie ist, vorwegGENOMMENE 
Ordnungsbedeutungen (antezipiERTE Schemata) sind, und ich schaue 
AUS den Bedeutungen weil, Zahl und Raum heraus ohne weiteres, was 
nicht nur antezipierbar, sondern antezipiert ist. Unerfüllte aber erfüll* 
bare Schemata gibt es hier nicht, oder doch höchstens »noch« nicht, 
wobei sich aber das »noch« ohne weiteres aus der unmittelbaren Gegen* 
standsschau selbst heraus (»apriori«) aufheben läßt. Im Reiche alles 
mittelbar Gegenständlichen wird sich das ganz anders verhalten: Da 
139 
werde ich auch gewisse Schemata »antezipieren« können als (nicht nur 
auf Grund des Widerspruchssatzes) möglich, aber ich werde nicht aus 
der bloßen Bedeutung des Schemas heraus wissen, ob »Erfüllung« be* 
steht; die Lehre von den möglichen Formen der Kausalität und ihrer 
Erfüllung wird ein Beispiel für das Gesagte sein. »Erfüllung« selbst 
wird also in der Lehre vom mittelbar Gegenständlichen viel bedeuts^ 
samer werden, als sie es jetzt ist. 
Im Reiche des Unmittelbaren ist, was ich habe, ohne weiteres, so wie 
es ist, Gegenstand, in unlösbarer Verkettung von Bedeutung und Ge* 
gebenheit. Ich habe den bedeutungsvollen Gegenstand : V2 als V2, den 
Pythagoras als Pythagoras, Trauer als Trauer, sogenannte Werte als 
Werte,einenGedankeninhaltALS diesen Gedankeninhalt.Nicht »meine« 
ich mit Etwas etwas »Anderes« (abgesehen davon, daß mir Worte oder, 
bei Zusammengesetztheiten, Sätze als Zeichen für das gehabte Bedeu* 
tungshafte stehen, was bei allem Gehabten, sei es selbst nur unmittel^ 
barer oder auch einen mittelbaren Gegenstand »meinender« Gegen^« 
stand, der Fall ist). Deshalb eben heissen uns die unmittelbaren Gegen^ 
stände »unmittelbar«. Wenn ich also V2 habe, so besteht nur der Sach* 
verhalt Ich habe V2; sonst kommt gar nichts in Frage. Ich habe den 
»Begriff« oder die »Setzung«, das heisst: ich habe den Gegenstand ^ 
Und ich habe auch den Endgültigkeitston und, insbesondere bei zu* 
sammengesetzten Bedeutungen, den Richtigkeitston, wenn anders man 
das Wort schon hier verwenden und es nicht für die Lehre vom Mittel«* 
baren aufsparen will, am Gegenständlichen als ein selbst Gegenständ* 
LicHES. Wenn wir von »Evidenz« als dem alleinigen »Kriterium« für 
Endgültigkeit redeten, so sollte das also nicht heißen, daß ich den 
Endgültigkeitston und dann noch ein Erlebnis »Evidenz« habe, sondern, 
daß ich Endgültigkeitstönung bewußt habe, heisst, daß ich »in Evi* 
denz« habe. 
Wir fügten soeben der Verwendung des Wortes »Richtigkeit« die 
Worte bei: »wenn anders man das Wort schon hier verwenden will«. 
Ich möchte in der Tat vorschlagen, es im Rahmen der allgemeinen, 
vom unmittelbar Gegenständlichen handelnden Ordnungslehre über* 
haupt noch nicht zu verwenden und also auch ein Beziehungsgefüge 
von so reicher Inhaltlichkeit, wie etwa den pythagoreischen Lehrsatz, 
nur als schlicht endgültig zu bezeichnen. Denn wir brauchen ein be* 
* Der HussERLsche Gegensatz von Noesis und Noema besteht also unseres Erachtens 
für alle unmittelbaren Gegenstände nicht; beide fallen zusammen in den gehabten 
Gegenstand. 
140 
sonderes Wort für die Fälle des Habens, in denen der Begriff der Er^ 
fiillung von größerer Wucht ist als hier, wo ErfülIßARKEiT eines ante*» 
zipierten Schemas aus der schlichten Bedeutung der Sache selbst heraus 
geschaut werden kann und daher unerfüllbare Schemata -- (wie etwa 
B B _ ^ 
die »Möglichkeit« es möchte allgemein log a = Va sein) — höchstens 
für den Laien in Frage kommen. Von richtig wollen wir also nur 
sprechen, wo Erfüllung im tieferen Sinne in Rede steht; das aber ist 
nur der Fall, wo ein zum mindesten gleichsam selbständig für sich he^ 
stehendes »Seiendes« durch unmittelbar gehabte antezipierte Schemata 
gleichsam sekundär betroffen wird, also erst in der Natur»« und Seelen^ 
lehre — (wo das gleichsam gestrichen wird, also in der Wirklichkeits* 
lehre oder Metaphysik, sagen wir dann allerdings nicht mehr »richtig«, 
sondern wahr). 
Wir sind ganz von selbst zur Behandlung der berühmten Frage ge^ 
trieben worden, ob es wohl Sinn habe, von einem selbständigen Sein 
der unmittelbaren Gegenstände im weitesten, Einfachheiten und be* 
ziehliche Zusammengesetztheiten einschließenden Sinne des Wortes, 
zu reden; wir stehen vor der Frage nach der Zulässigkeit des so»* 
genannten Begriffsrealismus in jeder seiner möglichen Formen. 
Wir selbst haben alle unmittelbare Gegenständlichkeit als gesetzte 
Sein genannt. Das war zunächst bloße Namengebung. Darf es mehr 
bedeuten? Ich meine, daß es nicht mehr bedeuten darf, es sei denn, 
man wolle ohne weiteres, ohne jede Rechtfertigung in eine Metaphysik 
hineinspringen. Denn das tun alle, welche »Begriffe«, »Sätze an sich«, 
»Bedeutungen«, »Sinn«, »Wert« und was sonst noch ein Sein im Sinn 
eines an sich Seins, ein »Existieren« irgendeiner Form — (freilich nicht 
der sogenannten empirischen) — haben lassen. 
Also Ordnungsletztheiten und Ordnungszusammengesetztheiten, 
sei es ursprünglicher, sei es ableitbarer Art, »sind« nach unserer Lehre 
nur, insofern sie bewußt im Dienst der Ordnung als Gegenstände gc^ 
setzt, also »bewußt« bewußt gehabt sind. 
Nun kann ich aber doch »an« einer Reihe, einer Zahl, einer geome* 
trischen Figur etwas Neues »entdecken«, kann z. B. an der zunächst 
schlicht hingesetzten beziehlichen Bedeutung weil ihren transitiven 
Charakter, an der 49 ihre Teilbarkeit durch 7, am Dreieck den Satz, 
daß sich die Mittellinien in einem Punkte schneiden, »neu auf^ 
finden«. Das zeigt, daß hier gewisse Schwierigkeiten bestehen, daß 
der Begriffs* und Sinn=»»realismus« scheinbar gewisse Gründe für 
141 
sich hat, und so müssen wir denn vorsichtig und behutsam zu Werke 
gehen. 
Um mit dem Einfachsten zu beginnen, so scheint in der Tat schon 
jede schlichte letzte Bedeutung, wie etwa bezogen, insofern ein selb* 
ständiges Sein zu besitzen, als ich sie ja doch wiEOER^haben kann und 
alsdann sage, daß ich sie schon kenne. Hier liegt nun aber, meine ich, 
nichts anderes vor als eine Verbindung der beiden Sachverhalte, die 
wir mit den Worten Selbigkeit (Identität) und Erledigung bezeichnet 
haben: die Bedeutung bezogen, wenn sie »wieder«*gehabt wird, besitzt 
eben, wie alles Gehabte, den Selbigkeitss» und dazu noch den Erledi*» 
gungston. Ihr ein Sein zuzuschreiben, auch wenn sie nicht gehabt wird, 
ist jeden klaren Sinnes bar, es sei denn, man führe etwa schon an dieser 
Stelle den Begriff der Seele und des »in der Seele Seins« ein, was aber 
erstens sehr zusammengesetzte, an eine spätere Stelle des Ganzen ge** 
hörige Setzungen sind, und was zweitens auch die Meinung des echten 
von Platon stammenden »Realismus« durchaus nicht decken würde. 
Aber wie steht es mit den Reihen*, Zahlen*, Raumesgebilden, »an« 
denen ich etwas »entdecken« kann? Hier, meine ich, täuscht uns die 
Sprache Sachverhalte vor, welche nicht bestehen. Wir benennen eben 
mit demselben Worte »weil«, »49«, »Dreieck« ganz verschiedene be* 
deutungshafte Gegenstände. Das Wort »neunundvierzig« bezeichnet 
in ERSTER Stufe nur das/ + /-l-/+ -f-/, 49 mal gesetzt, das Wort 
»Dreieck« nur das »ebene von drei Geraden begrenzte Figur im eukli* 
dischen Räume sein«. Schaue ich später die Teilbarkeit des »49« Ge* 
nannten durch 7 oder am »Dreieck« Genannten das Bestehen jenes 
Satzes über die Mittellinien, so bezeichnet mir jetzt das Wort »neun* 
undvierzig« oder »Dreieck« im Grunde etwas Neues, Reicheres als 
vordem als Setzung; freilich bezeichnet es mir jetzt eine Setzung, an 
WELCHER die BeDEUTUNG DER SeTZUNG, DIE ICH VORDEM 49 ODER DrEIECK 
nannte, erledigt ist. Nur der Bequemlichkeit halber sage ich immer 
noch »49« oder »Dreieck«, wo ich es auf dem Boden ganz strenger 
Logik ebensowenig dürfte, wie ich jenes Tier, das ich zuerst für einen 
Fisch hielt, dann aber für ein Säugetier halte, beide Male »Walfisch« 
nennen darf ^. 
Also von einem platonischen »Sein« der Beziehungs*, Zahlen* und 
Raumes*gebilde braucht jedenfalls nicht geredet zu werden, und, da 
die methodisch*solipsistische Ordnungslehre nur tut, was sie »braucht«, 
so reden wir nicht davon. 
^S.o.S.73f. 
142 
Wir kennen also ein Sein bis jetzt nur als »bewußt im Ordnungs*» 
dienste gesetzt^sein« und werden es später als »empirisch^wirklich«* 
und »absolut*wirklich:ssein« kennen lernen. 
Daß die »Sinne« von »Sätzen«, d.h. daß gehabte Beziehungszusam^s 
mengesetztheiten erst recht nicht »an sich« sind, bedarf nach diesen Aus«» 
führungen keiner ausführlichen Darlegung, und so wollen wir denn, 
später erst in seiner ganzen Tiefe zu Verstehendes vorwegnehmend, an 
dieser Stelle nur sagen, daß nicht nur mathematische »Sinngefüge«, wie 
etwa der Inhalt als Lehrsatz des Thaies, sondern auch »empirische«, 
wie etwa der Satz, daß Wasser keine größte Dichte bei -)- 4 ^ C hat, 
kein »Sein« haben. Freilich stehen empirische Sinngefüge in Beziehung 
zu einem »Sein« von gewisser Form, wie sich zeigen wird, nämlich zum 
Naturwirklich'(odev Seelenwirklich»*)5em. Da »ist« also (wenigstens 
gleichsam) etwas, wenn wir solche Sätze aussprechen ; aber das unmittel«« 
bar Gegenständliche, was ich in und mit diesen Sätzen habe, wenn ich 
sie habe, ihr »Sinn« also meinetwegen, der hat kein »Sem. 
Hiermit ist gleich ein Problem der Logik der empirischen Wirklich»« 
keit vorweg erledigt, ein Problem, das uns also später nicht mehr be»* 
sonders zu beschäftigen braucht. 
Auch »Freude«, »Neid« usw. als Bedeutungen, als Wesen haben 
kein »Sein«, ob sie schon in sehr bedeutsamer Form später seelenwirk= 
liches Sein bekommen werden. Und ganz dasselbe gilt von den jetzt 
so oft genannten »Werten«, d. h. Wunsch* oder Willensinhalten mit 
dem Endgültigkeitstone irgendwelcher Form, zu denen auch unsere 
»urgeschaute« Bedeutung »Ordnung« im Sinne von Ordnungsbesitz 
gehört, die wir daher ja auch einmal als »Urwert« bezeichneten. Frei»» 
lieh legten wir nicht allzuviel Gewicht auf diese Namensgebung, denn 
das Wort »Wert« bezeichnet allzu verschiedenartige Dinge, um unseres 
Erachtens in seiner Anwendung besonders empfehlensi»»wert« zu sein. 
Das, was es in seiner tiefsten Bedeutung ausdrücken soll, läßt sich auch 
anders ausdrücken und ist übrigens zwar eine »Einheit«, aber durchaus 
keine »Einfachheit«, sondern etwas wohl Auflösbares, mag auch eine 
besondere Letztheit — (die Tönung Ganzheitsbezogen in verschieden^ 
artiger Form) — in ihm darinstecken. 
S.Wissen und Denken, 1919, S. 116ff. 
143 
C DIE LEHRE VON DER ORDNUNG 
DES NATURWIRKLICHEN 
I. ALLGEMEINE NATURORDNUNGSLEHRE 
1. DER AUFBAU DES BEGRIFFS NATUR 
a) DIE DÄMALS^TÖNUNG 
Wir glaubten mit der allgemeinen Ordnungslehre am Ende zu 
sein. Wir haben uns aber getäuscht, wenn wir das glaubten, 
denn noch eine Art von Tönung mit Bezug auf Ordnung müssen wir 
unseren vielen Urordnungszeichen hinzufügen, diejenige, welche 
AUF Zeit HINWEIST. 
Ich sage ausdrücklich: eine Tönung, »welche auf Zeit hinweist«, 
und nicht etwa schlechthin »Zeit«; denn es wird sich zeigen, daß »Zeit« 
zwar etwas Ordnungshaftes bedeutet, aber nicht in ihrer Bedeutung 
»einfach« ist und auch nicht unmittelbar ordnungshaft bewußt ge* 
habt wird. Andererseits wird sich aber auch zeigen, daß diejenige 
unmittelbar »auf Zeit hinweisende« Tönung, von welcher wir zu^» 
nächst allein zu reden haben werden, eine so unermeßliche Bedeutung 
nicht nur für die »mittelbare« Erfassung von Zeit, sondern auch für 
vieles andere mittelbar zu Erfassende besitzt, daß es gerechtfertigt ist, 
wenn wir mit ihrer Darlegung nicht den ersten Teil dieses Werkes ab* 
geschlossen haben, sondern vielmehr einen neuen, den zweiten, Teil 
mit ihrer Erörterung beginnen. 
Ich habe bewußt an manchen einfachen oder zusammengesetzten 
unmittelbaren Gegenständen die unmittelbar gegenständliche Tönung 
damals. Die Sprache des Alltags und der Psychologie sagt in solchem 
Falle, daß ich mich »erinnere«. Was ich mit dem damals ^Tone habe, 
das »hatte« ich also schon; insofern trägt es den Ton erledigt. Aber es 
trägt eben nicht nur den Erledigungston, sondern noch etwas Unzer* 
legbares dazu, was durch das Wort »damals« zum Ausdruck kommt. 
Die damals ^Tönungen sind aber nicht in schlichter Weise eine Klasse 
mit Einzigkeiten, sie bedeuten Verschiedenes, sie sind jeweils wesens* 
eigen (»spezifisch«) ; und zwar sind sie wesenseigen, können sie wenig* 
stens wesenseigen sein nach Maßgabe einer bestimmten unzerlegbaren 
und unzurückführbaren Beziehungsart, welche sich in den Worten 
früher als oder später als ausdrückt. 
Nach Maßgabe dcifirüher als (später als)*Beziehung bildet die Ge* 
samtheit aller c?ama /5*=Tönungen nun eine Reihe, und zwar eine transu» 
tive Reihe, denn was früher als ein früher als C Seiendes ist, ist früher 
als C. Das schaue ich »apriori«, d. h. aus der Bedeutung des früher als 
heraus. 
146 
Wir nennen die Reihe, von der wir hier redeten, kurz die Damals«« 
Reihe. 
Erst wenn die DamaZs-Reihe besteht, also erst an dieser Stelle unserer 
Untersuchungen wird das bisher »zeitunbezogen« genannte^ »Haben« 
des Ich zum Haben im Jetzt, zum Haben in diESEM Damals, nämlich 
eben dem Jefz^^Punkt, Das Damals also schafft erst das Jetzt, als 
»letztes« Glied der Damalsreihe. 
Die Damals^Reihe ist nicht »die Zeit«; das wird alsbald klar wer* 
den. Die Damals^^Reihe ist, andererseits, wenn man bildlich sprechen 
darf, eine Reihe von »Punkten«, eben von blossen »Damals«, ein* 
schließlich des Jetzt; nicht habe ich eine Jetzt^»Strecke«, so daß mir 
etwa auch jedes spezifische damals eine »Strecke« bedeuten würde. 
Selbstverständlich ist auch das der Raumlehre entstammende Wort 
»Punkt« nicht durchaus geeignet für das, was ausgedrückt werden 
soll. Das Wort »Punkt« für das damals und nun auch für das jetzt 
wird also nur deshalb von uns angewendet, um ganz und gar den Ge* 
danken abzuweisen, als erlebte Ich »zeitlich« so etwas wie eine »Strecke«, 
und als wiese das damals auf so etwas wie ein vergangenes »Strecken«* 
erlebnis »zeitlicher« Art hin. 
Ich erlebe, so wissen wir, originaliter ganz und gar unzeitbezogen, 
also auch nicht im Jetzt. Erst durch Bezug auf die Damalsreihe wurde 
das, was bisher nur populär »jetzt« hieß, zum jetzt im wahrhaft be* 
deutungsvollen Sinne. Dieses mein tatsächliches Erleben ist jetzt, 
insofern es die Damals^^Reihe abschließt, welche selbst eine Schau 
meines zeitunbezogenen bewußten Habens ist. 
b) y>MEIN SELBST<^ 
Doch ich schaue eine Unklarheit in dem, was erörtert wurde; eine 
neue Ordnungsbedeutung muß herausgehoben werden. 
Wenn Ich mit dem damals ^Tone Etwas bewußt habe, so sage ich, 
daß ich mich erinnere, nämlich daran, daß »Ich« den in Rede stehen* 
den Gegenstand bewußt »hatte«. 
Darf ich wirklich das Wörtchen »Ich« in Verbindung mit der Ver* 
gangenheitsform des Wortes »haben« anwenden? »Ich« habe doch 
ursprünglich bloß zeitunbezogen und, nachdem die Damals*reihe ge* 
setzt ist, bloß im Jetzt. »Ich habe, daß X hatte«, so muß es also in 
Strenge heißen. Für das X darf in Strenge nicht »Ich« stehen. Aber 
WAS darf stehen dafür? 
' S. o. S. 19. 
10* 147 
Setzen wir das Wortgebilde mein Selbst an Stelle des »gehabt haben* 
den« X; also: Ich habe im Jetzt, daß mein Selbst damab hatte. 
c) ^DIE ZEIT« 
Mein Selbst als das gehabt Habende kann jetzt den ihrer Bedeutung 
nach jeweils wesenseigenen (spezifischen) Damals=»Funkten« 
in seinem Gehabt*haben zugeordnet werden : In diesem Damalspunkt 
hatte es Dieses, in jenem Jenes, in jenem Anderen Jenes Andere. Dabei 
ist es immer mein Selbst gewesen. 
Mein Selbst ist also als überhaupt Gehabt^habendes mit sich selbig 
gewesen in den verschiedenen Damalspunkten, als besonderes Gehabt* 
habendes aber war es in ihnen jeweils anders. 
Inwiefern ist bis jetzt das Selbst mit seinem Gehabthaben, dessen 
letztes Glied das vom Ich im Jetzt Gehabte ist, zu einer Einheit ver*« 
bunden? Offenbar nur insofern, als alle Inhalte des Gehabthabens 
auf dasselbe Selbst als den Habenden bezogen sind. Aber das Selbst 
steht ja in der Dama/sreihe, und das ist eine Reihe einzelner (diskreter) 
Damals*»Punkte« nach Maßgabe der Beziehung yrü/iersspäf er. 
Ich schaue ein gewisses Mehr an Einheit, wenn ich nun die »dis* 
krete« Damalsreihe zu einer stetigen Reihe gleichsam umforme, wobei 
stetig dasselbe bedeutet wie in der Arithmetik, also nicht eine ein«* 
fache Setzung, sondern einen sehr zusammengesetzten Sachverhalt^. 
Die als stetig angesehene Reihe der Damalspunkte heisse Zeit, 
»Zeit« ist also eine »eindimensionale« Reihe. 
d) DIE SEELE 
Mein Selbst ist jetzt einer stetigen Reihe zugeordnet, steht aber, 
obschon immer dasselbige, doch nicht selbst stetig in dieser Reihe. 
Nur gewissen »Orten« der stetigen Zeitreihe ist es ja zugeordnet. Es 
war erstens »nicht da«, wenn »Ich« traumlos schlief; und es war zwei* 
tens auch, wenn »ich wachte«, deshalb nur in unsteter Form auf dem 
Plan, weil Haben von, bildlich gesprochen, punkthafter Art ist. 
Ich schaue, daß noch mehr an Ordnung gewonnen ist, wenn ich 
nun auch mein Selbst, um es grob aber verständlich auszudrücken, 
stetig »mache«. Das als stetig in der stetigen Zeit stehend gedachte 
Mein Selbst heiße meine Seele, Meine Seele soll auch als habend ge* 
dacht werden, aber als nicht^bewußt, als »unbewußt« habend. Wir 
reden von ihr an viel späterer Stelle. 
' S. o. S. 113. 
148 
e) BEHARRLICHKEIT UND WERDEN 
Was stetig der stetigen Zeit zugeordnet ist, soll beharrlich heißen, 
insofern es durch die Zeit hindurch soseinsselbig ist; alles 
Anderssein von Sosein an ihm in Zuordnung zur stetigen Zeit soll 
Werden oder Veränderung heißen. 
Meine Seele also ist beharrlich und wird doch auch — das zeigt mir 
mein unstetiges Selbst in seinem Haben zu gewissen »Punkten« der 
stetigen Zeit, und das zeigt mir mein Ich in seinem Haben jetzt an. 
Meine Seele aber, und »vorher« mein Selbst und Zeit, setze Ich. 
Hätte Ich »immer dasselbe« bewußt, so würde ich weder mein Selbst, 
NOCH meine Seele ja, wohl auch nicht »Zeit« und »immer« setzen. 
Jetzt ist Einheit, Zusammenhang in der Gesamtheit der gehabt«* 
gewesenen Inhalte meines habenden Selbst als gehabter Inhalte ; der 
gegenständliche Inhalt, den Ich jetzt habe, ist das letzte Glied in dieser 
Gesamtheit. 
Hier bricht einstweilen die Begriffsentwicklung ab, um an späterer 
Stelle wieder aufgenommen zu werden. Sie hat bis hierher die Mög^» 
LicHKEiT einer Seelenlehre (Psychologie) gezeigt, als einer Lehre von 
der Ordnung des Andersseins der dem Selbst (und Ich) bewusst ge»« 
wesenen (und seienden) Inhalte in Zuordnung zur stetigen Zeit. 
/; DER BEGRIFF NATUR 
Aber von dort aus, wo der Begriff Zeit, als stetig »gemachte« Da* 
maisreihe, auftrat, geht die Begriffsentwicklung noch einen zweiten 
anderen Weg. 
Um in AUSDRÜCKLICHEM Bezug auf das bewusste Gehabtsein alles 
Gehabten Einheit zu stiften, ward das Mein Selbst durch meine Seele er* 
setzt. Aber alle gehabten Inhalte stehen doch auch rein gegenständlich 
jetzt in der Zeit, wobei ihr Gehabtsein ein für allemal als erledigt gel* 
ten kann. Können die Begriffe beharrlich und werdend, d. h. in ge* 
wisser Hinsicht dasselbige= sein, in anderer aber doch in Zuordnung 
zur stetigen Zeit anders = sein, nicht auf die Inhalte nur als »Gegen*» 
stände« Anwendung finden? 
Ich schaue, daß das nicht angeht, solange ich auf das Gehabte in 
seiner Unmittelbarkeit den Blick gerichtet halte: da ist ein Chaos der 
Abfolge, aber keine Ordnung im Anderssein der Gegenstände. 
Ich schaue aber auch ein Anderes : Ich schaue nämlich, dass Ord* 
nung und Zusammenschluß zur Einheit nur im reiche des etwas, un«» 
bekümmert um sein Gehabtsein, besteht, wenn ich durch gewisse he* 
149 
stimmte meiner gehabten unmittelbaren Gegenstände ein gewisses x 
sozusagen treffe, es durch sie meine oder »intendiere«, und zwar meine 
als ein Eines und Einziges, welches sich in seinem Sein und Werden 
verhält, als ob es selbständig für sich bestünde: es ist beharrlich und 
wird doch als »dasselbige« auch. 
Jenes x, welches ich durch unmittelbare Gegenstände im Dienste 
der Ordnung »meine«, nenne ich mittelbaren oder naturwirklichen, 
auch »empirischen« Gegenstand. 
Die Gesamtheit aller mittelbaren Gegenstände aber heißt die Natur. 
Hier brechen wir einstweilen ab, ganz ebenso wie wir abbrachen, 
als sich zeigte, was meine Seele und die »Lehre« von ihr bedeuten 
könne. Gar vieles bedarf jetzt der tieferen Erfassung. — 
2. DER MITTELBARE GEMEINTE GEGENSTAND 
Noch einmal warnen wir gerade hier vor einem verbreiteten Miß* 
Verständnis, zu welchem die Sprache verführen kann : 
Nicht »mache« ich die Begriffe Selbst, Zeit, Seele, Natur, Beharr= 
liches. Werden, Dem Wortlaut unserer Ausführungen nach mag es so 
aussehen, als lehrten wir solche ordnende »Tätigkeit« eines Subjekts 
einem »Material« gegenüber. Tatsächlich ist es aber nur die Sprache 
und das Wesen der schriftstellerischen Mitteilung überhaupt, das uns 
zwingt, alles so darzustellen, als sei da ein Nacheinander verschiedener 
Tätigkeiten; und auch, wenn ich sage, daß ich Naturgegenständliches 
als dieses Eine Einzige so meine, als ob es für sich selbständig bestünde, 
bedeutet das Wort »als ob« nur einen sprachlichen Notbehelf in Er*« 
mangelung eines besseren, und an so etwas wie eine »subjektive« 
»Fiktion« im Sinne Vaihingers soll ganz und gar nicht gedacht sein. 
Wer hier fürchtet, es könne die Gegenständlichkeit des Begriffs Natur 
gefährdet werden, der vermeide die Worte als ob oder gleichsam und 
rede nur von dem geschauten Kreiszeichen »Naturwirklich«, wobei 
er freilich nicht an schlechthin Wirkliches (= »An sich«), also an 
Metaphysisches denken darf. Doch halte ich die Verwendung der 
Worte »gleichsam« oder »als ob« für harmlos. 
Dem tatsächlich bestehenden Sachverhalt nach nämlich schaue Ich, 
daß das von uns Dargestellte in den Begriffen Selbst, Zeit, Natur usw., 
so wie ich sie habe, gelegen ist. Psycho^physisch kann ich das natür»» 
lieh nur nacheinander darstellen, obschon an dieser Stelle des Werkes 
gar nichts »Psychogenetisches« in Frage kommt. Wir können das alles 
auch so ausdrücken, daß wir sagen, wir hätten ausführlich dargestellt, 
150 
was uns die Worte »Selbst«, »Zeit«, »Werden«, »Seele«, »Natur« 
BEDEUTEN, namentlich auch,DASs sie uns jeweils etwas scharf Umgrenztes 
bedeuten. Die Begriffe »Beharrliches« und »Werden« mögen sogar 
zunächst als bloße Wortfestsetzungen für »antezipiert« geschaute Be^ 
ziehlichkeiten gelten: Beharrlich soll heißen, was als dasselbe oder 
inwiefern etwas als dasselbe in der Zeit steht, wenn es ein solches als 
dasselbe in der Zeit Stehende »gibt«; und Werden soll heißen: das in 
Zuordnung zu den Zeitpunkten Anderssein eines im Übrigen Beharr* 
liehen, wenn es das »gibt«. Wir heben diese Beziehlichkeitsformen 
durch Worte heraus, weil, wenn es ihnen Entsprechendes »gäbe«, das 
Etwas sehr viel »sparsamer« ordnungshaft faßbar wäre, als wenn es 
das nicht »gäbe«. Und es »gibt« das nun in der Tat — (eine »glück»« 
liehe Tatsache«) — , so daß wir also z. B. von dem Beharrlichen »mein 
Hund« reden dürfen, welcher als derselbe bald liegt, bald steht, bald 
läuft, bald so, bald anders gegen mich gestellt ist, kurz, welcher, ob* 
wohl in gewissem Sinne beharrlich, doch wzrc?. Was für eine ganz 
außerordentliche Setzungsersparnis hier die Begriffe Dasselbe und 
Werden bedeuten, sieht man ein. Ohne sie wäre für jede aller denk* 
baren verschiedenen Lagen und Zustände »meines Hundes« ja, ganz 
allgemein für jedes Einzelne von dem im Laufe der Zeit vom Selbst 
bewußt gehabten Verschiedenen eine besondere Setzung erforderlich. 
Es liegt aber nicht alles so einfach wie diese Dinge. 
Man beachte, daß ich nur die Tönungen damals und früher als als 
unmittelbare Gegenstände bezeichnet habe; nur sie liegen also mit 
den Bedeutungen Dieses, Solches, Soviel, bezogen, Cis, rot, neben 
usw. auf sozusagen gleicher logischer Ebene. Auch der Begriff der 
Damals*Reihe liegt noch auf ihr, als »Gegenstand höherer Ordnung«, 
um einmal mit Meinong zu reden. 
Aber schon Selbst, d. h. das gehabt^habende »Ich« ist von anderem 
Seinsrange. Auch das Selbst ist sicherlich nicht »gemacht«, aber es ist 
doch auch nicht unmittelbar gehabt. Wir müssen schon von ihm sagen, 
daß es »gemeint« sei, ein Ausdruck, den wir oben absichtlich erst an* 
wandten, als von Natur die Rede war. Und ebenso gemeint ist nun 
Zeit, Seele und, wie schon gesagt wurde, Natur. 
Was heißt dieses Gemeintsein? 
Es bedeutet die geschaute Setzung eines ganz besonderen Kreiss 
Zeichens, nicht nur die Bedeutung »Kreiszeichen überhaupt«, von der 
früher die Rede war\ Die Damalsreihe ist schlicht gehabt in unmittel* 
' S. o. Seite 95. 
151 
barer Form. Daß ich in sie hinein das Selbst als seiend setze, ist das 
Neue; denn Sein heisst jetzt etwas ganz anderes als nur »Gegend* 
STAND sein«. Ich schaffe — man verzeihe wieder den Tätigkeitsaus* 
druck! — ich schaffe hier den ersten Fall eines Empirisch =WirkUch= 
Seins; ja ich hebe dadurch, daß ich das Selbst in sie setze als immer 
dasselbige, gewissermaßen die Damals* Reihe selbst aus dem »bloßen« 
Gegenstandsein heraus in eine Sphäre des »nicht nur« unmittelbaren 
Seins im Sinne des Gehabt^seins. 
Das eben nennen wir meinen oder »als nicht nur unmittelbar Ge^ 
habtes setzen«. Nicht als trieben wir hier schon Wirklichkeitslehre, 
Metaphysik. Diesem Mißverständnis soll eben dadurch vorgebeugt 
werden, daß wir sagen, es habe das Selbst (und damit auch die Damals** 
Reihe) gleichsam ein Sein, das »mehr« als nur gehabt sein sei. Dieses 
»gleichsam« wird alsbald noch deutlicher werden in seinem Sinn. 
Auch die Zeit, d. h. die als stetig gefaßte Damalsreihe, ist nun als 
gleichsam selbständig seiend gesetzt, als mehr als nur unmittelbar ge»» 
habt. Ich kann auch sagen, sie sei zwar Bedeutung, aber nicht un# 
MITTELBARES SoLCHHEITSERLEBNIS. 
Unmittelbare Solchheitserlebnisse nenne ich hier alle Urordnungs* 
bedeutungen einschließlich des Neben; sie sind mit dem Erleben un* 
weigerlich zusammen. Auch sind sie ganz und gar unzerlegbar, un* 
definierbar. Zeit aber ist zerlegbar, ist »definierbar«, gerade weil das 
stetig in sie eintritt, was ja nur umständlich umschrieben, aber nicht 
in positiver Weise schlicht gehabt werden kann^ Erlebte ich »mich« 
werdend oder gar tuend, so wäre das anders; dann schaute ich Stetig* 
keit als schlichtes Sosein, und dann schaute ich auch in unmittelbarer 
Schlichtheit das »Zeit*neben«, obschon freilich dadurch, daß das Selbst 
in sie gesetzt wird, die Zeit auch dann in die Reihe des Mittelbaren, 
des Gemeinten von vornherein rücken würde. 
Aber ich erlebe mich nicht werdend, ob ich schon Werden als ge* 
meinte Bedeutung an einem als gleichsam selbständig Gemeinten schaue. 
Ich erlebe nicht etwa zeitliche »Kontinuität« an der Fülle meiner 
gehabten Inhalte als gehabter, sondern ich erlebe nur ihr /nEiNANDER»« 
SEIN, ihr ^n^EiNANDERERLEDiGTSEiN, ALSO NUR Inhalts= Kontinuität. Das 
meint wohl Bergsons duree. Es ist hier noch nicht der Ort, dem weiter, 
als unbedingt nötig, nachzugehen. Aber das eine darf, um Mißver* 
Ständnisse auszuschließen, doch schon hier gesagt sein: Es ist kein 
Widerspruch, das Ich* Werden (und Ich:» »tun«) zu leugnen und zu* 
^S. O.Seite 113 f. 
152 
gleich zu lehren, daß ich die Bedeutungen Werden, Wirken, »Tuno^ 
mit Rücksicht auf Natur, und, wie sich später zeigen wird, mit Rück:* 
sieht auf Seele in Klarheit meinend schaue. Das »Stetige«, was in ihnen 
steckt, ist ja durchaus die Stetigkeit der Arithmetik, welche schon in 
DIESER Wissenschaft nicht eigentlich positiv fassbar war — nämlich 
eben weil ich Ich ^Werden nicht unmittelbar, als ob es reines Sosein 
wäre, bewußt habe. 
Es erhellt aus dem Gesagten, wie ganz anders ich als Habender 
stehe zu »Zeit« und zu »Raum«, welche phänomenologisch deshalb 
nicht gleichwertige Species eines Genus sind. Was neben in raum^ 
haftem Sinne ist, schaue ich in seinem vollen Reichtum in Erlebens* 
Schlichtheit^; was Zeitliches »Neben« ist, setze ich als Bedeutung so 
kunstvoller und so »erlebensferner« Art, daß es beinahe aussieht, als 
hätte ich diesen Begriff, den Begriff Zeit also, »gemacht«. Erst wenn nun 
der Raum auch ausdrücklich als »gemeinter« auftritt, was in Bälde der 
Fall sein wird, stehen »der Raum« und »die Zeit« als von gleichem Range 
nebeneinander; aber auch dann darf nicht vergessen werden, daß »der 
Naturraum« aus dem Raum der allgemeinen Ordnungslehre durch ein 
sehr viel einfacheres Verfahren gewonnen worden ist als »die Natur»* 
zeit« und »die Seelenzeit« aus den Damals^ und Früher aZs=Tönungen. 
Daß meine Seele und Natur Reiche des gemeinten gleichsam selb:* 
ständigen mittelbar erfaßten Seins sind, ist nun wohl nicht schwer zu 
begreifen. Beide sind ichs»fremd; sind jedenfalls so »gemeint«, als ob 
sie es wären, ob sie schon ich^^bezogen bleiben im Rahmen der metho»» 
disch^solipsistischen Ordnungslehre. Beide sind empirisch s wirklich, 
haben die Kreistönung »empirisch «»wirklich«; und diese Kreistönung 
hat auch alles Einzelne, was in bezug auf sie »ist«: also auch diese in 
meiner Seele bestehende »latente Einstellung« oder »Bewußtseinslage« 
und dieser der Natur angehörige »eine einzige« Hund oder Bleistift 
in seiner g-Zeic/isam bestehenden Seins* Selbständigkeit. Hier knüpfen 
weitere Erörterungen in Kürze an. — 
3. BEHARRLICHKEIT UND WERDEN ALS MITTELBARE 
GEGENSTÄNDE 
J^eharrlich= sein im Werden heißt mehr als selbig oder identisch»« 
-Usein; dieses gilt ja von Setzungen; die Bedeutungen beharrlich 
und werden aber gelten von Gemeintheiten, also von etwas, was durch 
eine Setzung als unmittelbar Gelebtes gemeint ist als mittelbarer, d. h. 
' S. S. 120. 
153 
eben gleichsam selbständig bestehender Gegenstand. Wenn später der 
Satz ausgesprochen werden wird : »Es gibt in Seele und in Natur Be^ 
harrliches«, so wird also gleichsam der Identitätssatz heraufgezogen 
in bedeutungsvollere Sphäre, nicht aber ist der Satz »Es gibt Beharr* 
liches« der Identitätssatz selbst. — 
Viele werden unserer Zergliederung der BegriflFe Zeit und Werden 
entgegenhalten, daß ich Zeit und Werden doch eigentlich gar nicht 
»begreifen« könnte, schaute ich ihre Bedeutungen nicht als unzerleg*» 
bare einfache Solchheiten, so wie ich rot, eis und neben schaue. 
Ich antworte meinen Gegnern, daß ich Zeit und Werden in der Tat 
NICHT »begreife«, sondern nur als Zusammengesetztheiten meine. 
Aber ich »sehe« doch Bewegung, und da erfasse ich doch, wenn* 
schon nicht Zeit als solche, so doch Werden unmittelbar? Nein, ich 
»sehe« nicht »Bewegung« als Unzerlegbares, sondern, wenn ich von 
Bewegung rede, so »meine« ich auch ein ganz und gar Ich* fremdes, 
das nur durch einen langen Satz umschrieben werden kann. Ich mag 
sagen, daß ich Bewegung ebenso »wahrnehme« wie ein Ding — aber 
auch ein Ding ist etwas sehr Zusammengesetztes, nur Umschreibbares, 
wie wir noch sehen werden ; und »wahrnehmen« im alltäglichen Sinne 
ist überhaupt nie eine schlichte unmittelbare Angelegenheit, so wie 
bewußt haben das ist. 
Aber wir müssen dem Gegner entgegenkommen und mit ein paar 
Worten ausführen, was wir hier meinen; um so mehr ist das unsere 
Schuldigkeit, als wir dabei dem Begriff der Erledigung eine neue, auf 
den BegriflF Zeit gehende Seite abgewinnen können. 
Ich sage: Ich »sehe« nicht im Sinne schlichten Habens Bewegung, 
sondern, wenn ich von Bewegung rede, so habe ich ein So in einem 
Jetzt und einem Hier mit dem Erledigungstone daran, daß dieses So 
als dasselbe früher dort, und noch früher woanders und nochnoch* 
früher nochwoanders, die Zeit* und Ort* Punkte im Sinne der stetigen 
Zeitreihe und Ortsreihe verstanden, gewesen ist. Auf Grund einer 
großen Reihe von Erledigungstönen bezüglich gewisser Zeit* und 
Ortsbestimmtheiten, welche alle dem So ^ Hier = Jetzt anhängen, auf 
Grund dieses Jetzt* Hier* So in seiner Erledigungsdurchtränktheit als 
des einzigen unmittelbar Gehabten, sage ich also »meinend« : da be* 
wegt sich Etwas. Das heißt von »Bewegung« reden ^. 
^ Im Sinne physiologischer Reiznachwirkung kann ich auch gelegentlich »Be# 
wegung« von A nach B als Linie AB »sehen«. Das ist aber auch nicht ein unmittel* 
bares Haben von Bewegung, sondern von einer Bewegung »meinenden« Linie. 
154 
Wir unterschieden früher^ zwischen Eigen= und Fremderledigung; 
jetzt tritt die Fremderledigung als Fremd=Zeit= und Fremde Ort- Erle^ 
digung auf, oder kurz als Damals^ und Dort = Erledigung. Übrigens 
spielt die Damals=Erledigung auch bei der sogenannten Perseveration 
eine Rolle, d. h. bei der Tatsache, daß ein lebhaft Wahrgenommenes 
oft noch »lange Zeit« hindurch im Innenleben sein Wesen treibt. Da 
habe ich es auch strikt im Jetzt, aber mit dem Tone daran, daß es früher, 
und früher und früher usw., im Sinne einer stetigen Reihe, gehabt ge* 
wesen ist. Aber beim sogenannten Sehen von Bewegung verbindet 
sich die Damals^ mit der Dort-Erledigung, beides in bezug auf Stetiges 
im Sinne der Arithmetik, also in sehr zusammengesetztem Sinne. — 
Endlich höre ich den Einwand, daß jetzt sei nicht als »Punkt« be* 
stimmbar, sondern sei trotz allem stets »Strecke«. Ich sage, die Bestimm* 
barkeit geht uns nicht an, sondern nur die Setzbarkeit. Und ich sage, 
es IST so, wie wir es setzen, setzbar; zunächst als bloßes Korrelat des 
Habens und nicht als eigentliches »Jetzt«, dann, wenn das Damals 
seinen Sinn hat, als echtes Jetzt. In beiden Fällen praktisch stets be*» 
haftet teils mit diskreten Dama/s =tönungen (bei schlichter »Erinne* 
rung«), teils mit den eigentlichen Damals = Erledigungszeichen mit 
Rücksicht auf ein gehabt* Gewesensein in Stetigkeit, denen sich (bei 
»Bewegungen«) Dorf = Erledigungszeichen ebenfalls in Stetigkeit an* 
schließen könnend 
Noch einmal also: »Ich erlebe nicht etwa zeitliche »Kontinuität« 
AN DER Fülle meiner gehabten Inhalte als gehabter, sondern ich er= 
lebe NUR ihr /HsEINANDERSEIN, ihr ^n=EINANDERERLEDIGTSEIN, ALSO IHRE 
7n/iaZfS»KONTINUITÄT«. 
4. NATUR ALS MITTELBARER GEGENSTAND 
a) NOCH EINMAL DER BEGRIFF NATUR 
Wir beginnen die Logik der empirischen Wirklichkeit oder mittel* 
baren Gegenständlichkeit mit der Naturordnungslehre. Vieles 
von dem, was bisher nur in seinen allgemeinsten Wesenszeichen hin* 
gesetzt worden war, wird da seine nähere Kennzeichnung erfahren und 
dadurch dem Leser zugänglicher werden. 
^ s. o. S. 53. 2 Auch die bekannte Tatsache der naiv realistischen Psychologie, daß 
ich zwar eine beschränkte Anzahl nacheinander erfolgender Eindrücke (sechs?) in 
»einem Akt« auffassen kann, aber nicht mehr, erledigt sich im Sinne unserer Betrach* 
tungen: Das Simultanerfassen des Nacheinander ist stets schon »Theorie«; streng 
gesprochen habe ich den letzten »Eindruck« versehen mit damalssErledigungen für 
die früheren, und diese sind unscharf und unbestimmt für mehr als fünf frühere. 
155 
Natur ist uns also eine gewisse Gesamtheit von Gegenständen, 
welche als diese Einen Einzigen und als gleichsam selbständig seiend 
und werdend gemeint sind, also eine Gesamtheit von mittelbar, d. h. 
DURCH unmittelbare Gehabtheiten wissend erfaßten Gegenständen. 
Sie ist als solche Gesamtheit Eines ; sie ist »das Es«, welches es nur 
einmal »gibt«, welches also eine Klasse mit einer Einzigkeit ist. 
Nicht sagen wir, daß Natur das »durch die Sinne Gekommene«, 
das »Wahrgenommene« sei. Von dem, was diese Worte bedeuten 
könnten, wissen wir ja noch gar nichts. Wir setzen den Begriff mitteU 
barer Gegenstand und den Begriff iVafur als Ordnungsbegriffe, dessen 
Erfülltsein wir aus der Gesamtheit des überhaupt bewußt Gehabten 
heraus schauen. Von der Setzung zum »Ding« heißt es bei uns, nicht, 
wie in der älteren Logik, vom Ding zur Setzung. Die Begriffe mittel* 
barer Gegenstand und Natur meistern ordnungshaft das bewußt Ge*« 
habte in bestem Maße; deshalb setzen wir sie. 
Dass Natur setzbar ist, daß also eine Zusammenhang stiftende Ord^ 
nungsbedeutung im Rahmen des Werdens der Gegenstände nur als 
solcher (ohne Rücksicht auf ihre freilich immer bestehende Ich* Gehabt* 
heit) möglich ist, das ist, um einen Ausdruck von Lotze zu verwenden, 
eine »glückliche Tatsache«, die, wie sich noch im Einzelnen zeigen 
wird, am Gegebenen hängt. Übrigens darf nicht vergessen werden, daß 
die Ordnung stiftende Bedeutung Natur sich ja nur dadurch ergab, 
daß wir aus dem Reiche des unmittelbar Gegenständlichen heraus* 
gingen und das Kreiszeichen des Gemeintseins, und zwar in Sonderheit 
des als naturwirklich Gemeintseins sinnvoll schauten. 
b) DIE LETZTEN NATURDATA 
Die nähere Kennzeichnung des Naturbegriffs beginnen wir mit 
der Bemerkung, daß Natur uns ein Gefüge von Beziehungen — 
(»gemeinter« Art, wohlverstanden) — bedeutet, deren letzte Glieder 
sämtlich die Form Jetzt-Hier=Solches, oder kurz: Jetzt-Hier^'So haben 
oder sich doch durch bestimmte Beziehungen Gliedern von dieser Form 
zuordnen lassen. Das ist so, das ist hinzunehmen. 
Anders gesagt: Lediglich Gehabtheiten von der Form: Hier ist jetzt 
ein Solches sind es, auf Grund von deren Gehabtheit ich zum »Meinen« 
eines gewissen Mittelbaren schreite, dem ich dann bestimmte Bezieh* 
lichkeiten zuspreche. Eben dass gewisse Jetzt* Hier* So* Gehabtheiten 
(durchaus nicht etwa alle), wenn sie das »Meinen« eines mittelbaren 
gleichsam Selbständigen begründen, den ordnungstiftenden Begriff 
156 
Natur ermöglichen, ist die »glückliche Tatsache«, von der wir 
redeten. 
Daß sie, in unserer Sprache, am Gegebenen hängt, ist klar. Das Ge*= 
gebene ist eben so, daß Gewisses an ihm den Naturbegriff sozusagen 
gebiert, und zwar Gewisses, das nun einmal — (hier lässt sich nichts 
WEITER auflösen) — die loim Jetzt=Hier=So besitzt. 
Die Bedeutung des Gegebenen tritt hier viel klarer hervor als in der 
allgemeinen Ordnungslehre, obschon sie ja auch dort nicht fehlte und 
sogar in die Urbegriffe, sogar in den Mc/i^Begriff, hineinspielte. Und 
sie wird noch immer klarer werden und z. B. den gesamten besonderen 
Ordnungstypus von Natur mitbestimmen. 
Und auch die Begriffe der Erfiillung und der Intention treten jetzt 
viel klarer und bedeutsamer hervor als früher, obwohl sie auch früher 
schon einen Sinn hatten. Aber früher, in der allgemeinen Ordnungs^* 
lehre, war uns das Gegebene nichts als das bloße in Frage kommen einer 
Ordnungsbedeutung, das bloße Bestehen ihres tatsächlichen gegen* 
ständlichen Geschautseins; nicht konnten wir das Gegebene in Rein»» 
heit, losgelöst von der Ordnungsbedeutung fassen. Jetzt ist das anders 
geworden. DieJetzt=Hier=So=Daia, welche Natur begründen, sind in 
Reinheit, sind »isoliert« setzbar, mögen wir auch alle Formen, alle 
Beziehungen an ihnen »schauen« und nicht etwa in bezug auf sie 
»machen«, und mag es sich auch nur um eine gleichsam Selbständig* 
keit von Natur handeln. 
Sagten wir doch schon früher^, einen ganz klaren Sinn erhalte der 
Begriff des »Intendierens« erst, wo ein zum mindesten gleichsam=selh* 
ständiges Sein in Frage komme. 
Es sieht jetzt wahrlich so aus — (nicht zwar ist es so) — als seien erst 
die Jetzt^Hiers^So^Data und dann ihre Formen da. Ja es sieht sogar so 
AUS, als bestände eine Harmonie zwischen einer Formbetrefffcar/ceiY der 
Data und der sie betreffenden Formen, obwohl dieser Gedanke, der 
übrigens nicht der LEiBNiizsche »Harmonie«gedanke ist, einen klaren 
Sinn erst in einer Metaphysik erhalten könnte. 
Wir könnten an dieser Stelle wohl in der Sprache einer Schule reden, deren 
Lehren wir sonst nicht teilen, wir könnten sagen : das Gegebene »gilt« für mich, 
fordert Unterwerfung unter sich, Anerkennung von sich. Freilich dürften wir, wenn 
wir überhaupt das doch nur bildlichen Sinn habende Wort »gelten« anwenden 
wollen, nun andererseits auch sagen, daß alle Ordnungssetzungen ihrer Bedeutung 
nach VON mir aus (also nicht »für« mich) gelten, insofern sie ja gleichsam meine 
Forderungen sind. »Gelten« gäbe es also in zwei Richtungen, und das würde sich 
_____ 
157 
zeigen in jedem einzelnen Naturbegriff: Daß gerade hier und jetzt von »Kausa* 
lität« geredet werden muß, das fordert das Gegebene (sozusagen) von mir, in dieser 
Hinsicht gilt das Gegebene für mich; daß ich mit der Bedeutung, dem Sinn »Kau* 
salität« erfasse, das fordere Ich (sozusagen) für das Gegebene, das gilt für das Ges 
gebene von mir aus. 
Doch lassen wir das »gelten«. Notwendig ist der Begriff für eine ordnungshafte 
Erfassung der Sachverhalte nicht, und er kann irreführen, sobald sich der Gedanke 
des Sollens einschleicht, der stets einen ethischen Beigeschmack behält. Uns ist die 
»Geltungslehre« gar zu subjektivistisch, gar zu versubjektivierend, wie wohl aus der 
Gesamtheit unserer Ausführungen hinreichend deutlich hervorgeht. 
c) DAS KRITERIUM FÜR NÄTURBEZOGENHEIT 
Jetzt=Hier=So=GQhahiheiten sind also, wenn man einmal so sprechen 
will, als käme ordnende Tätigkeit in Frage, sozusagen das Material 
für die Schöpfung des Naturbegriffs. Besser und strenger: Mit Rück* 
sieht auf eine gewisse Gesamtheit von Jetzt^Hier^So^Gehabtheiten 
wird die Bedeutung der Ordnungssetzung Natur geschaut. 
Diesem Sachverhalt gibt die Sprache des Alltags (und leider auch 
oft der Philosophie) Ausdruck durch die Worte, daß uns aller Aus* 
gang unseres Naturwissens »durch die Sinne« komme. Besser wäre 
noch allenfalls zu sagen, daß dieser Ausgang — (der aber durchaus 
nicht »zeitlich« verstanden werden darf) — in »anschaulichen« Erlebt* 
heiten bestünde, wenn sich nur der Begriff Anschaulich klar fassen 
und nicht nur durch Aufzählung dartun ließe ^. Reine Solchheit in 
Orts*(»hier«) und in Zeit*(»jetzt«)Bestimmtheit ist immer da und zwar 
als eigentliche Grundlage, wo die Bedeutung Natur ins Spiel treten 
kann — das ist es, was das Wort von der »Anschaulichkeit« der ur* 
sprünglichen Naturdata sagen will. Selbstredend soll mit dem allen 
nicht gesagt sein, daß nicht im weiteren Verlauf auch sehr viele »Un* 
anschaulichkeiten« und zwar nicht nur von beziehlicher, sondern auch 
von gliedhafter Art (Potentiale, Entelechien usw.) als in Natur be* 
stehend geschaut werden könnten. — 
Aber wann ist eine Jetzt*Hier*So*Gehabtheit der Ausgang für Natur* 
erfassung, wann darf eine Jetzt*Hier*So*Gehabtheit Naturwirkliches 
meinen? Daß nicht jede Gehabtheit dieser Art Naturwirkliches meinen 
darf, das ist einmal so. Und andererseits »ist es einmal so«, daß wir 
einem bestimmten Jetzt*Hier*So*Datum als solchem es nicht ansehen 
können, ob es uns in das Seinsreich Natur führen darf oder nicht. So* 
genannte »Leibhaftigkeit« (Jaspers) allein ist hier nämlich nicht zu* 
reichend: auch Traumgebilde und Halluzinationen haben sie, werden 
' s. o. S. 92. 
158 
aber doch nicht als Naturwirkliches meinend betrachtet; was »phäno*= 
menologisch« »Wahrnehmung« ist, ist also darum noch nicht »Wahr* 
nehmung« im Sinne des Bezogenwerdenkönnens auf Natur. 
Wir stehen hier einer sehr schwierigen Frage der sogenannten »Er** 
kenntnistheorie« gegenüber, ein Wort, das wir freilich lieber durch 
Naturkennzeichnungslehre ersetzen wollen, denn eine »Erkenntnis«^« 
lehre kennen wir nur als Tor zur Metaphysik. Gehen wir nun ins 
Einzelne. 
An erster Stelle ist da festzustellen, daß die .So** Data, welche das 
Material für Natur bilden, nicht allen Gruppen reiner Solchheiten an«* 
gehören. Schmerze und sogenannte kinästhetische Solchheiten z. B. 
werden nicht zu Natur schlechthin, sondern zu einem ganz besonderen 
Naturdinge — (»mein Leib«) — verarbeitet, wovon wir später reden 
werden. Farben und in geringerem Grade Töne sind es, die für Natur 
ganz vornehmlich in Betracht kommen. Tragen sie doch schon an sich 
selbst das Zeichen des »da draußen«, was zwar nicht ganz ohne weis» 
teres auf den »Natur«raum hinweist. Sogenannte Tastempfindungen 
andererseits geben Material für Beides, für »meinen Leib« und für 
»andere Dinge«. 
Aber auch nicht alle bewußt gehabten Farben und Töne werden 
auf Natur bezogen. 
Kant hat, wie man weiß, das Unterstelltsein unter seine »Kategorien«, 
zumal unter dem Begriff Kausalität als Kriterium für (empirische) »Ob:* 
jektivität«, d. h. Naturwirklichkeit, angegeben. Ein »anschauliches« 
Datum oder eine Gesamtheit solcher Daten darf Naturwirkliches 
meinen, wenn das dann Gemeinte mit der Gesamtheit alles anderen 
schon Gemeinten in Ursächlichkeitsbeziehungen steht. Ursächlichkeit 
also SCHAFFT Natur und ist insofern »Voraussetzung der Möglichkeit 
der Erfahrung«. 
Aber erstens gibt es doch auch Beharrliches, was gleichwohl Natur 
ist, und zweitens wäre, wie sich alsbald zeigen wird, eine sehr viel 
vollendetere Naturerfassung als die kausale, die ordnungsmonistische 
nämlich, denkbar. 
Ich meine nun überhaupt, daß die »Kriterien« frage, d. i. die Frage, 
WARUM eine Wahrnehmung, d. h. ein Jetzt^^Hier^So^Datum, als »Wahr^* 
nehmung« im nicht bloß phänomenologischen Sinne gelten darf, eine 
GANZ einheitliche LÖLUNG NICHT FINDEN KANN. 
Zusammenhang, Einheit soll da sein zwischen allem, was zur Natur 
gehört. Das ist die einzige allgemeine Wegweisung, die wir geben 
159 
können. Meist mag man sagen, daß ein anschauliches Datum Natur* 
haftes machen dürfe, wenn das so Gemeinte in Werdezusammenhang 
(»Kohärenz«) mit allem anderen als mittelbar Gemeinten steht. Aber 
eben nur »meist« ; denn wir reihen Anschaulichkeiten auch gelegent* 
lieh in Natur ein, wenn Werden, wie die Dinge liegen, gar nicht in 
Frage kommt, ja wohl gar, weil es gar nicht in Frage kommt, wie bei 
so vielen empirischen Beharrlichkeiten. »Zu dem Bekannten in Natur 
im Sinne einer Einheit Passen« — das ist dann das einzige »Kriterium«. 
Es ist ziemlich vage, aber es gibt kein anderes. Übrigens würde ja 
Kants Kausalitätskriterium einen Unterfall des allgemeinen Werden 
kriteriums bedeuten. 
Zusammenhang also ist es, aus dem die Kreistönung »naturwirk«* 
lieh« ersteht. Jedes JetztssHiers^So, das, als naturwirkliches meinend 
gefasst, diesen Zusammenhang gewährleistet, bestimmt damit und 
deswegen das Kreiszeichen Naturwirkliches meinend. Das leibhaftige 
Gesichtsbild eines Verstorbenen, durch die Möbel des Zimmers be* 
liebig hindurchschreitend, wird, von einem Halluzinierenden erlebt, 
also deshalb nicht für Naturwirklichkeit anzeigend genommen, weil 
der Halluzinierende, seine gesunde Urteilsfähigkeit vorausgesetzt, 
wenn er es so nähme, den NaturzusAMMENHANG vermissen würde; 
auch sehen die »anderen Menschen« jenes Bild ja nicht ^. Vorsicht ist 
hier natürlich geboten, und ganz eindeutig ist, wie gesagt, das »Krite* 
rium« nicht — denn, wie sich noch herausstellen wird, wir wissen nicht 
aus dem Wesen der Setzung Natur heraus, was alles es in ihr »geben« 
kann. 
Recht lehrreich ist die Erwägung, daß wir von zwei Naturwirklich* 
keiten reden würden und müßten, zeigten unsere Traumerlebnisse die* 
selbe »Kohärenz« wie die Erlebnisse des sogenannten Wachzustandes 
und knüpfte den Erlebtheitsinhalten nach Nacht an Nacht ebenso an, 
so wie Tag an Tag anknüpft. — 
Wir haben eine Gesamtheit von Jef2^=Hier«5osDaten den Ausgang 
alles Naturwissens genannt. 
Jene Gesamtheit »anschaulicher« Daten ist aber auch sein stets im 
Sinne zu behaltendes Regulativ. Wie viel an unanschaulichen Bezieh* 
lichkeiten die Naturlehre auch an ihren Daten schaue, wie weit sie 
sich auch, etwa in Physik oder Biologie, vom »Anschaulichen« ent* 
^ Ich halte den »Consensus« freilich nicht für ein eigentlich neues, sondern für einen 
Sonderfall des Kohärenz? (bezw. Kausalitäts)sKriteriums. Dasselbe gilt von der Über* 
einstimmung der Data verschiedener »Sinne«. 
160 
ferne: stets muß die Anschaulichkeit sozusagen wieder erweckbar 
sein. Mag also ein »Naturgesetz« noch so weit vom Anschaulichen 
wegführen. Es muß stets erlauben zu sagen: Erfüllst du diese oder 
jene Bedingungen, so hast du diese oder jene Wahrnehmung im Be*' 
reiche der Natur. Naturgesetze, welche diese Bedingung nicht erfüllen, 
sind eitel. 
Wir finden die Einsicht schon klar bei Kant ^: »Denn alles ist [natur^»] 
wirklich, was mit einer Wahrnehmung nach Gesetzen des empirischen 
Fortganges in einem Kontakt stehet.« Auch Schopenhauer wird mit 
Recht nicht müde, dasselbe mit allem Nachdruck, der ihm eigen ist, 
zu sagen und z. B. gegen die Lehren des sogenannten deutschen Idea^« 
listen zu verwerten. — 
Endlich mag auch noch als Kriterium für Naturwirklichkeit die 
Unabhängigkeit von vorhergegangenen Willenserlebnissen genannt 
sein. Dieses Kriterium aber ist erstens gemischten Wesens und nicht 
selbst rein naturordnungshaft, es gilt zweitens nicht für die Erlebnisse 
im Schlafzustande, die sogenannten Träume, denn die sind »ohne 
meinen Willen« da und meinen doch nicht Natur; und es gilt selbst 
im Wachzustande nicht für Halluzinationen. Es ist also ebensowenig 
eindeutig wie die anderen. 
d) DAS NÄTURDING 
Wir erörtern jetzt nicht mehr Natur als Ganzes, sondern das ein* 
zelne naturding, wobei das Wort »Ding« zunächst nur heißen 
soll : Etwas, das in den Rahmen von Natur im Sinne vergleichsweiser 
(relativer) Beharrlichkeit gehört. Mein Tintenfaß also ist ein Naturding, 
Was wir über das Naturding aussagen können, ja, müssen, ergibt 
sich nun ohne weiteres aus dem Wesen der festgelegten Bedeutung 
Natur. 
Ein Naturding ist ein auf eine gewisse Zeit hin beharrliches Soseins* 
beieinander im Rahmen der Natur, welches als dieses einzige Eine in 
gleichsam bestehender Selbständigkeit des Seins und des Werdens 
gemeint ist. Der Nachdruck liegt, von dem »gleichsam selbständig 
sein« abgesehen, auf dem »als dieses einzige Eine«. Diese Worte schei* 
den in der Tat jeden besonderen mittelbaren gemeinten Gegenstand 
vom unmittelbaren: Mögen 100 Kugeln auch einander durchaus gleich 
sein ; jede ist als diese einzige Eine Kugel gemeint. »Ellipse« als Be* 
deutung ist nur in ihrer Selbigkeit gehabt; diese gezeichnete natur* 
' Kritik d. r. V. Antinomie, 6 Abschn. 
11 Driesch, Ordnungslehre 161 
wirkliche Ellipse auf dem Papier meine ich aber auch als diese einzige 
Eine, d. h. ich meine mit der angeschauten Ellipse, die ich vor mir 
habe, nicht nur »Ellipse«, sondern eben diese Ellipse als Naturwirk* 
liches. — 
Ich »sehe« das Ding nicht, d. h. ich habe es nicht, in der Form des 
Sehens, unmittelbar, aber doch habe ich es, nämlich »meinend«. Im 
eigentlichen Sinne sehen kann ich von ihm stets nur etwas mehr oder 
weniger deutliches Flächenhaftes, (denn ich »sehe«, wie sich noch 
zeigen wird, überhaupt nur Flächen). Aber überhaupt haben tue ich 
es nun in seiner gesamten Beziehlichkeitsfülle, und nicht nur mit Rück«» 
sieht auf seine »Tiefendimension« und seine »Rückseite«, freilich nur 
»meinend«. 
Die Neukantianer nennen das naturwirkliche Ding einen Komplex 
von Beziehungen; sie haben, wie wir noch des Näheren sehen werden. 
Recht. Cornelius^ und andere sagen, das Naturding bedeute einen 
»Erwartungszusammenhang« von freilich nicht bloß »wahrschein* 
lieber« Art, z. B. die Erwartung, daß ich bei Erfülltsein bestimmter 
Bedingungen seine »Rückseite« sehen werde; auch Cornelius und 
seine Anhänger haben recht, und ebenso recht hat Mill, wenn er das 
Ding eine Wahrnehmungsmöglichkeit nennt. Unter meinem Tisch als 
einem Dinge verstehe ich also den Inbegriff aller seiner möglichen 
Stellungen und alles, was irgendwie von ihm ausgehen oder ihn be* 
treffen kann, z. B. daß er umfallen, mich stoßen, verbrennen »kann«. 
Aber alle soeben genannten Denker haben auch insofern unrecht, 
als ihre Kennzeichnungen des Naturdinges unvollständig sind. Denn 
es kommt eben bei dem, was mir das Wort »Ding« bedeuten soll — 
und darum handelt es sich — noch etwas hinzu, was die Ausdrücke 
»Beziehungsgesamtheit«, »Komplex von Erwartungen« usw. nicht aus*» 
drücken, was aber ausgedrückt werden muß, weil es ja doch, und zwar 
sogar als Hauptsache, im Begriff des empirischen Dinges bedeutungs* 
haft da ist. Die Hauptsache bezeichnen unsere Worte dieses einzige 
Eine gleichsam Selbständige. Als daseiend gemeint und zwar, wie 
sich noch zeigen wird, an einem bestimmten Raumort, ist das einzige 
Ding, auch wenn Ich nicht ein es meinendes Jetzt*Hier*So*Datum 
(eine »Wahrnehmung von ihm«) unmittelbar habe, wenn ich es viel* 
mehr unmittelbar nur durch »Unanschauliches«, durch einen »Ge* 
dankeninhalt« meinen kann und vielleicht gar nicht einmal tatsächlich 
(aktuell) meine. Gewiß, in dieser Aussage steckt der Sinn dessen, was 
* Transzend. Syst., S. 191 ff. 
162 
die Neukantianer, was Cornelius, Mill u. a. meinen, darin : Das »Ding« 
ist, wie sich noch zeigen wird, nicht nur selbst als Beziehungskomplex 
gemeint, sondern von einem bestimmten »Ding« reden heißt auch 
wissen, auf welchem beziehlichen Wege im Rahmen des Werdens ich 
es mir aktuell in jeder Hinsicht veranschaulichen kann, heißt also 
wissen um ein Gesetz des Werdens^ — (ich muß die Tür des Schrankes 
öffnen, um die auch sonst in ihrer Einzigkeit als daseiend »gemeinten« 
Kleider zu »sehen«; ich muß nach Rom fahren, um die Peterskirche 
zu »sehen«); und die Bedeutung »Ding« in unserem Sinne umschließt 
ganz sicher einen großen Komplex unausgesprochener, aber als erledigt 
gekannter Erwartungen, denn ich erfasse im Ding die Gesamtheit aller 
seiner möglichen Naturbeziehungen (als »Potenzen« usw.) mit. Man 
denke hier anVoLKEXxs Begriff des »Implicite Bewußten«. Aber die 
gleichsam selbständige Einzigkeit des Dinges, welche gemeint^ »inten«» 
diert« ist, die kommt doch zu kurz bei allen mir bekannten Definitionen 
des Dinges. 
Das Seinskreiszeichen »naturwirklich«, d. h. gleichsam nicht an Ge«« 
habtsein gebunden, gleichsam nicht nur für mich sondern »an sich«, 
das ist, so können wir auch sagen, das eigentlich grundlegend neue 
Ordnungsbedeutsame im Rahmen der Naturordnungslehre verglichen 
mit der allgemeinen Logik, das ist ein neues Endgültigkeitszeichen 
mit Rücksicht auf Ordnung, welches ebensowenig in Frage kam, als 
von unmittelbaren Gegenständen die Rede war, wie Zeit in Frage 
kommt, wenn Farbengeometrie getrieben wird. 
Dieses Seinskreiszeichen als solches, also auch das »Meinen« als 
solches (welches ja dasselbe ist wie das Kreiszeichen), werden un* 
MITTELBAR gehabt, werden recht eigentlich »erlebt«, so wie grün, be* 
zogen, neben, damals usw., während das Gemeinte, das Einzelne im 
durch das Kreiszeichen »naturwirklich« gemeinten Seinsreiche »Natur« 
nicht unmittelbar gelebt oder erlebt, sondern eben — »gemeint« wird. 
Etwas mit Rücksicht auf Natur, nämlich das Seinskr eiszeichen 
»Natur wirkliches Meinen« an unmittelbaren Gegenständen, wird also 
schlicht gehabt oder erlebt, mag es all dem Beziehlichen nach, was es 
einschließt, noch so viel »analysiert« werden können. Dieses Etwas 
* S. o. S. 161. Noch einmal also hören wir Kant: »Was mit einer Wahrnehmung 
nach empirischen Gesetzen zusammenhängt, ist wirklich (d. h. empirisch wirklich)«. 
»Vor der Wahrnehmung eine Erscheinung ein wirkliches Ding nennen, bedeutet 
entweder, daß wir im Fortgange der Erfahrung auf eine solche Wahrnehmung treffen 
müssen, oder es hat gar keine Bedeutung« (Reclamausgabe S. 403). 
"* 163 
aber bedeutet eben ausdrücklich ein nicht schlicht Erlebbares, sondern 
nur »Meinbarescc. Wir könnten das Seinskreiszeichen »naturwirk*« 
LicH« vielleicht AUCH DAS Fvemdheitszeicheix, (mit Rücksicht auf Ich 
nämlich), nennen, wobei freilich die »Analyse« der Bedeutung 
DANN SCHNELL EIN »GLEICHSAM« HINZUFÜGT. 
Etwas mit dem Fremdheitszeichen haben heißt also unmittelbar 
Haben, daß man das, was das so Getönte unmittelbar Gehabte »meint«, 
unmittelbar nicht haben kann. Ich habe also nicht das naturwirkliche 
Ding unmittelbar, so wie ich 2 oder Ellipse habe; ich »meine« es viel*» 
mehr. Aber an dem Unmittelbaren, wodurch ich es meine, sei es »Wahr^ 
nehmung« oder »bloßer Gedankeninhalt«, habe ich, und zwar aller*» 
DINGS unmittelbar, das Fremdheitszeichen, welches mir eben ein Seins* 
reich neben (oder »hinter«?) dem Unmittelbaren erschließt — freilich 
nur »gleichsam«. 
Ich habe also die Bedeutung Fremdheit und zwar in einer durch 
das Gegebene erfüllten Weise unmittelbar, aber das in seiner Fremd* 
heit gemeinte Einzige mittelbar. 
5. DIE ALLGEMEINSTEN LEISTUNGEN DER NATUR. 
ORDNUNGSLEHRE 
a) DIE ÜBERTRAGUNG DER URBEDEUTUNGEN 
Der erste Schritt der eigentlichen Naturordnungslehre führt dazu, 
allen Bedeutungen, welche die allgemeine Ordnungslehre fest*« 
gelegt hat, in bezug auf die gemeinten Bestandteile des Naturwirk* 
LICHEN einen SiNN ZU VERLEIHEN. 
Nicht nur Setzungen, sondern durch Setzungen gemeinte Natur* 
Wirklichkeiten sind also jetzt bezogen, solche, soviele, mannigfaltig 
usw. ; und alle von diesen Setzungen geltende Beziehlichkeiten gelten 
von ihnen im Rahmen der Nafur^ordnung, nicht bloßer »Ordnung« 
schlechthin. Zweimal drei Dinge also sind sechs Dinge, insofern eben 
drei Dinge zweimal gemeint sind. Damit ist freilich gar nichts darüber 
ausgemacht, ob es nicht etwa ein Natur*»gesetz« gäbe, nach dem alle* 
mal, wenn drei und drei Dinge im Rahmen der Natur zusammen* 
gebracht werden, durch »Schöpfung« ein siebentes Ding entsteht, so 
daß also nun sieben Dinge »da sind«, so daß der Satz: »Das Zusam* 
menbringen von zweimal drei Dingen gibt sieben Dinge« gelten würde. 
Freilich kennen wir kein Naturgesetz solcher Art ^; wird sich doch die 
^ Vgl. hierzu Sigwärt, Logik II § 67, 6. 
164 
Gesetzlichkeit der Natur als, wenn wir einmal wieder so sagen dürfen, 
unseren Sparsamkeitsforderungen in hohem Maße entgegenkommend 
erweisen. 
Besonders wichtig ist die Übertragbarkeit des Begriffspaars Klasse= 
Einzigkeit auf das Reich der Natur; ja hier wird dieses Begriffspaar 
erst eigentlich bedeutungsvoll. Es gibt also die Naturklassen Elek^ 
tronen, Wasserstoffatome, elektrische Ströme, fallende Steine, Hunde, 
Tiere, Raubtiere usw. Was alles für besondere Fragen diese Aufzählung 
zeitigt, werden wir später erörtern. 
Daß auch reine Solchheiten jetzt nicht nur als schlicht gehabt, son* 
dern als Naturwirkliches meinend, ja als selbst naturwirklich seiend 
gelten dürfen, bedarf wohl deshalb keiner besonderen Betonung, weil 
ja die ganze Setzung Natur an der gewissen reinen Solchheiten vers« 
liehenen Seinskreistönung hängt. Also Naturwirkliches kann jetzt 
grün, warm, tönend sein*. 
Von großer Wichtigkeit wird insbesondere die Übertragung des 
Mannigfaltigkeits=hegn&QS auf das Naturreich werden^: Naturdinge 
oder »Systeme« haben jetzt Mannigfaltigkeit, nicht nur »Begriffe«» 
obschon sich auch jetzt die Mannigfaltigkeit der Dinge nach ders» 
jenigen der Begriffe, durch welche sie »gemeint« werden, bemißt. 
Da gibt es nun, ganz wie früher, Mannigfaltigkeit nach Zahl der 
aufeinander bezogenen Glieder, nach Bauart, d. h. unter Berücksichtig 
gung der zwischen den Gliedern obwaltenden Beziehungsarten, und 
nach Stufen, d. h. unter Berücksichtigung des Umstandes, ob das in 
Frage stehende Ding oder System, als Eines betrachtet, selbst in deut^ 
liehe verhältnismäßig selbständige Teile zerfällt, wie das zum Beispiel 
beim Organismus, aber auch bei einem Gebirge der Fall ist, oder 
nicht. Auch der Begriff der Ganzheit, von dem noch viel zu reden 
sein wird, kann hineinspielen : es kann z. B. die höchste Stufe der Ding«» 
mannigfaltigkeit ganz sein, während die Teildinge, welche das Ding 
aufbauen, es nicht sind; oder es können sowohl das Ding als auch 
seine Teildinge ganz sein; oder das Ding als gesamtes ist nicht ganz, 
wohl aber seine Teildinge usw. usw. Solche Fragen werden z. B. in 
der Biologie, bei der Lehre vom »harmonisch^äquipotentiellen System«, 
von Bedeutung. 
* Vgl. hierzu Seite 140, Anm. 1. Man beachte, daß die Ordnungslehre auf dieser Stufe 
den Unterschied in Hinsicht »primärer« und »sekundärer« Qualitäten nicht kennt. 
Sie ALS Ordnungslehre wird ihn auch später zwar annehmen, aber doch nicht ohne 
weiteres im Sinne des Descartes und Locke. ^ S. o. S. 135 ff. 
165 
b) NATURZEIT UND NATURRAUM 
Daß die Setzung des eindimensionalen Beziehungsgefüges die eine 
stetige Zeit für Natur gilt, ist deshalb ohne weiteres klar, weil 
die Setzung des Begriffs Natur mit der Setzung Zeit zusammen, sozu*« 
sagen, erstanden ist. 
Aber auch die Setzung der eine Raum bekommt jetzt als der eine 
Naturraum seinen Natursinn. Und zwar bekommt er diesen Sinn 
DURCHAUS IM RaHMEN DER EIGENTLICHEN VON DEM SoSEIN Neben HANs« 
DELNDEN Geometrie und nicht etwa im Rahmen einer fälschlich »Geo* 
metrie« genannten Lehre von »unanschaulichen« mehrstufigen Be^ 
ziehlichkeiten^. 
Der eine Naturraum ist also unweigerlich euklidisch, weil der 
Raum der eigentlichen Lehre vom Neben, wie ich »in Reinheit an* 
schaue«, euklidisch ist. 
Hier muß die Logik unerbittlich sein. Nie darf ihr irgendeine nicht«» 
euklidische Formung von Naturbeziehungen ein letztesWort bedeuten, 
also den Endgültigkeitston tragen. Hier könnten wirklich »unendliche 
Aufgaben« bestehen, was übrigens, glücklicherweise, gar nicht der 
Fall ist. 
Würde also etwa ein Körper bei seiner Bewegung dauernd seine 
Form verändern, so müsste die Logik nach formverändernden Kräften 
IM euklidischen Naturraum suchen, nie und nimmer aber dürfte von 
einer »Krümmung« des Raumes die Rede sein. 
Unsere Ordnungslehre ist hier in sehr bewußter Weise »unmodern«. 
Ja, sie muß den Vorwurf mangelnder »Modernität« wohl noch in 
anderem Sinne auf sich nehmen: 
Die Ordnungslehre von der Natur kennt nämlich, weil sie den Einen 
Naturraum und die Eine Naturzeit kennt, »absolute« Raumorte, »ab* 
solute« Zeitpunkte, »absolute« Gleichzeitigkeit und »absolute« Be* 
wegung, d. h. stetige Änderung absoluter örtlichkeit in Zuordnung zu 
stetiger absoluter Zeitlichkeit, wobei das einmal eingebürgerte recht 
ungeschickte Wort »absolut« selbstverständlich keinen metaphysischen 
Sinn haben, sondern nur das als dieses bestimmte Setzbarsein he* 
zeichnen solP. 
Daß »Absolutes« im Rahmen des Zeit* und Raumhaften setzbar ist, 
heißt also nur, daß es sinnvoll ist, von diesem Hier, diesem Jetzt, diesen 
beiden Hier = So in diesem Jetzt (Gleichzeitigkeit) zu reden. Und ich 
* S. o. S. 127. 2 Vgl. auch A. Müller, Das Problem des abs. Raumes, 1911, S. 45 ff., 
58 ff. 
166 
weiß, was ich meine, wenn ich davon rede; nur darauf kommt es an; 
ob ich Absolutheit von Ort, Zeit, Gleichzeitigkeit und auch von Bes« 
wegung praktisch nachweisen kann oder nicht — (ich kann es, wie die 
Physik zeigt, nicht) — , das ist für die logische Erfassung der hier ge^ 
meinten Bedeutungen so gleichgültig wie nur irgend etwas. Übrigens 
ist es lehrreich, sich in diesem Zusammenhang eines Ausspruches von 
Höfler ^ zu erinnern : wenn zwei Dinge sich relativ zueinander bewegen, 
so bewegt sich mindestens eines von ihnen »absolut«. 
Der eine Naturraum und die eine Naturzeit sind also die Gefüge 
oder Rahmen für die Naturbeziehungen. Nicht sind sie selbst etwa 
»Dinge«, ja, sie »sind« überhaupt, im Sinne des Naturwirklichseins, 
nur, insofern etwas ist, was »in« ihnen ist. 
Der Naturraum ist also der Träger der Naturnebenbeziehungen, die 
Naturzeit die Trägerin der naturhaften ^ü/ier=spä7er-Beziehungen. 
Der Naturraum vermittelt auch in der Mehrzahl der Fälle die Beziehung 
des Zugleich, aber nicht allein, denn zwei Natursoseine von der Gruppe 
»Ton« oder ein Ton und ein Geruch (als naturhafte Gegenstände) 
können zugleich sein, ohne daß Raum in Frage kommt. 
c) NATUR UND MATHEMATIK 
Die Frage, wie es komme, daß Mathematik, in Sonderheit Geo* 
metrie, auf Natur »angewandt« werden könne, bietet für uns keine 
Schwierigkeiten, ja, sie verschwindet als besondere »Frage«, sobald 
man sich der logischen Bedeutung und sozusagen Erstehung des Be«« 
griffes Natur bewußt bleibt. 
Natur wird ja gesetzt als Etwas, das durch einen gewissen Ausschnitt 
(von Jetzt^sHier^Sos^Daten) aus der gesamten unmittelbar erlebten In* 
haltlichkeit gemeint ist. Für die gesamte unmittelbare Gegenständlich* 
keit, soweit das neben in ihr eine Rolle spielt, gilt nun euklidische 
Geometrie; also gilt sie auch für Ausschnitte aus ihr, und also »soll« 
sie gelten für das durch diese Ausschnitte Gemeinte, ebenso wie alle 
anderen Setzungen und Beziehlichkeiten der allgemeinen Ordnungs* 
lehre für dieses Gemeinte gelten sollen. 
Man sieht, unsere Ordnungslehre erledigt die Frage nach der Gültig* 
keit der Geometrie für Natur im geradezu umgekehrten Sinne wie die 
Lehre Kants, obschon wir darin mit ihm einig gehen, daß sie auch für 
uns keine besondere neue Frage bildet. Kant geht davon aus, daß es 
' Stud. zur gegenwärt. Phil. d. Mechanik, Leipzig, 1900, s. a. P. Volkmann, Erkennt" 
nistheor. Grundzüge d. Naturwiss., 2. Aufl., 1910, S. 121. 
167 
Dinge an sich gebe, wir aber nur »Erscheinungen« von ihnen kennen; 
Raum und Zeit mit allem Zubehör werden dann aufgefaßt als Formen, 
in denen sich alle Erscheinungen für uns darstellen müssen. Da also 
etwas überhaupt nur im Rahmen von Raum und Zeit erscheinen kann, 
so gilt ohne weiteres für die Erscheinung alles, was für den notwendigen 
Erscheinungsrahmen gilt. Wir kennen nun in der Ordnungslehre weder 
das Anj^sich noch »Erscheinungen«, wir kennen nur ordnungshaft Ge** 
habtes. Für das, soweit es neben ist, gilt Geometrie, also gilt sie auch 
für jeden Ausschnitt aus ihm und wird im Sinne eines »antezipierten 
Schemas« von vornherein als gültig angesehen für alles, was ein solcher 
Ausschnitt meint 
Es ergibt sich aus unserer Darlegung, ebenso wie übrigens aus der 
Kantischen, zum zweiten Male, daß Euklidität durch Naturwissenschaft 
NIE VERLETZT WERDEN DARF; ein Sachverhalt, auf den wir an besonderer 
Stelle, nämlich da; wo wir von Einsteins »Relativitätsprinzip« reden, 
zurückkommen werden. 
d) EINDEUTIGE BESTIMMTHEIT 
Das Ichi^Urwollen von Ordnung richtet sich jetzt also auch auf 
iVafur. Wie kann das sein? 
Gänzlich unrichtig würde es sein, von vornherein mit gewissen so# 
genannten »Gesichts«* oder »Standpunkten« an die Aufgabe heran* 
zutreten und gewissermaßen zu dekretieren, daß der Gegenstand »Das 
empirische Naturwirkliche« etwa das eine Mal auf das Allgemeine 
gehend (»nomothetisch«), das andere Mal auf das Einzelne gehend 
(»idiographisch«) untersucht werden müsse. Wie sollen wir solches von 
vornherein sagen können? 
Unsere Methode ist Ordnungschauen, und nur Ordnungschauen, 
und das ist, wie wir wissen, nicht im eigentlichen Sinne des Wortes 
eine »Methode«. 
Der Gegenstand iVa^ur muß uns also selbst sagen, welche Ordnungs* 
zeichen er tragen kann. 
Als selbstverständliche Voraussetzung für alles zu Leistende muß 
gelten, daß die verschiedenen, in bezug auf das Naturwirkliche ge*^ 
setzten Ordnungsbedeutungen nicht miteinander in Widerspruch ge«» 
raten, wie das bei den »Standpunkts«4ehren leider sehr oft der Fall ge* 
wesen ist (z. B. wenn ein Allmechanismus, aber auch eine sinnvolle 
Bedeutung des Begriffs »Individuum«, »Ethik« usw. gelehrt wird). 
In Strenge muß auch von der Ordnungslehre gefordert werden die 
168 
EINDEUTIGE Bestimmtheit alles empirisch wirklichen Seins und Ge«« 
schehens. Denn sie gehört zu den Grundsetzungen der Logik über* 
haupt. Sie wird im Rahmen der Ordnungslehre geschaut im Sinne eines 
für alles »Mögliche« antezipierten Schemas^^ und es muß nach ihrer 
Erfüllung gesucht, es muß ihre Erfüllung »gefordert« werden, auch 
wenn sie sich noch nicht darbietet. Natur ist also eine in allen ihren 
Gliedern eindeutig bestimmte Einheit; denn sie ist diese. 
6. DAS ORDNUNGSMONISTISCHE IDEAL 
UND SEIN ERSATZ 
Aber noch ein anderes »antezipiertes Schema« tritt für das Ganze 
der Naturordnungslehre wieder auf den Plan: das ovdnungs= 
monistische IdeaP. 
Es war nicht möglich, die Gesamtheit des unmittelbar Gegenständ*« 
liehen diesem Schema einzufügen. Könnte es aber nicht möglich sein 
für die Gesamtheit der mittelbaren Naturgegenstände? 
Dann würde Natur mir eine ganze Ordnung sein, in welcher jede 
Einzelheit des Seins und Werdens diesen ihren einen Platz hätte. Ich 
würde mit Rücksicht auf alles, was es in der Natur »gibt«, Ordnung 
schauen und würde nur sagen können: So ist es in Ordnung, so und 
nicht anders kann es sein. Oder vielmehr, ich würde alles mit einem 
Schlage begreifen, ich würde gar nichts mehr zu fragen haben, ja, ich 
würde wohl gar nicht verstehen, was »fragen«, was »noch nicht« oder 
»nur unsicher« wissen heißt. Das Wort »Natur« stünde nur da zur Be# 
Zeichnung eines ohne weiteres in seinem Ordnungssosein vollendet ge* 
schauten mittelbaren Gegenstandes. »Naturgesetze« als Regeln für das 
verschiedene Einzelne würde es gar nicht geben, wenigstens nicht in 
dem Sinne, daß das verschiedene Einzelne voneinander gleichsam un*« 
abhängig wäre. Freilich möchte auch in dem einen Ganzen dasselbe 
Einzelne vielleicht wiederkehren, aber doch nur so, wie etwa die 
einzelnen gleichen Fensterumrahmungen an einem Palast oder einer 
Kirche, das heißt so, daß ich schauen würde : diese Wiederholungen 
folgen aus dem Ganzen, sind also eigentlich gar nicht »einzeln«, sind 
nicht »unabhängig«. Und auch die besondere Soseinsausprägung aller 
Teile im Ganzen würde ich aus dem Sosein des Ganzen verstehen. 
Denn zwei Wesenszüge hätte das ordnungsmonistische Ideal: Zum 
ersten wäre die Setzung, welche es ausdrückt, Ausdruck eines all* 
gemeinen Soseins, aus welchem das Sosein alles Besonderen folgt, d. h. 
' S. o. S. 35. 2 S. o. S. 39. 
169 
jene Setzung wäre ein unentwickelter entwickelbarer Begriff, wie in 
der Geometrie »Kegelschnitt« ^ Aus der Setzung Natur würde ich 
»begreifen«, daß Tiere und zwar diese Tierformen, daß Steine und 
zwar DIESE Steinformen, Pflanzen und zwar diese Pflanzenformen, Ge^ 
schehnisse und zwar diese Geschehnisse, alles seinem Sosein, seinem 
Wesen nach betrachtet, sein muss, gar nicht anders sein kann. 
Zum anderen aber wäre auch Natur das Ganze im Verhältnis zu 
allen seinen Teilen. Aus dem Wesen des Ganzen heraus müssten auch 
alle seine Teile »dort« sein, wo sie sind, und »dann« sein oder ge»« 
schehen, wann sie sind oder geschehen. Nicht nur also das Wesen 
alles Besonderen, sondern auch, um scholastisch zu sprechen, sein hie 
et nunc würde ich ausnahmslos begreifen. 
Es genügt nun der Hinweis darauf, daß eben nur im Mathematischen 
unentwickelbare entwickelbare Begriffe von mir geschaut werden, um 
einzusehen, daß nach der ersten seiner Wesensseiten das ordnungs^ 
monistische Ideal unerfüllbar ist, und es genügt ein Spaziergang durch 
einen Wald, um von der UnerfüUbarkeit seiner zweiten Seite überzeugt 
zu werden. Denn keiner wird sagen, daß er »begreife«, es müssten diese 
einzelnen Felsblöcke und Bäume so daliegen und dastehen, wie sie es 
tun, und es müssten Vögel und Insekten gerade jetzt diese Bahnen in 
der Luft beschreiben; keiner wird sagen, daß er das und anderes »bes» 
■greife«, so wie er den Sinn des Pythagoreischen Satzes »begreift«. 
Unerfüllbar in seinen beiden Wesensseiten ist also das ordnungs* 
monistische Ideal für die Ordnungslehre auf ihrem von Ichi»Endgültig*s 
keit redenden Boden. Zujallig, d. h. nicht auf »die eine ganze Ord* 
nung« eindeutig und einsichtlich bezogen, ist mir das hie et nune, und 
nicht aus einem entwickelbaren Allgemeinen verstehe ich das Wesen 
fast alles besonderen Soseins. 
Ich muß die Ordnungsschau auf die Teile und das Besondere 
richten. Ich muß Bruchstücke der Natur ordnungshaft prüfen; nicht 
das Eine Natursem, sondern die vielen einzelnen Naturc/asefne, nicht 
»das Es«, sondern die einzelnen Es. 
Und ich schaue, daß ich auf diesem Wege wenigstens gewissen Er^ 
SATZ in bezug auf Ordnung für das unerfüllbare Ordnungsideal, das 
ordnungsmonistische, schauen kann. Das Beste »gibt« es nicht, aber 
»Surrogate« dafür: Naturklassen, Systematik und Kausalität sind die 
Worte, welche die drei erfüllbaren Ordnungs»surrogate« bezeichnen; 
davon wird eingehend zu reden sein. 
' S. o. S. 62. 
170 
Das »Beste« an Ordnung nannten wir das erfüllt gedachte ordnungs^ 
monistische Ideal. Seine Erfüllung würde uns also das Beste an Er=! 
fahrung geben, wenn wir »Erfahrung« die Gesamtheit des Gesetzten, 
d. h. des ausdrücklich im Dienste der Ordnung bewußt Gehabten 
nennen^. Ganz und gar nicht ist also, wie Kant will, Kausalität die 
»Voraussetzung der Möglichkeit Jer Erfahrung«; allenfalls kann die 
Schaubarkeit der Ordnungsform Kausalität als eine der Bedingungen 
der PRAKTISCH bestehenden sehr beschränkten Erfahrung in Sachen der 
Natur — (um die allein es sich jetzt handelt) — gelten. Es wird viel*» 
leicht an anderer Stelle des gesamten Systems der Philosophie von Be^ 
deutung werden, daß Erfüllbarkeit des ordnungsmonistischen Ideals 
wenigstens sinnvoll gedacht werden kann. 
7. DIE »TATSACHE« 
Wir müssen uns also mit Bruchstücken, mit Ausschnitten aus 
der Natur befassen, um nur überhaupt weiter zu kommen. Nicht 
die Natur, sondern diesesssolche in der Natur müssen wir in seinem 
gleichsam selbständigen Sein und Werden auf Ordnungsendgültigi* 
keiten prüfen ; freilich vielleicht in der stillen Hoffnung, die Bruchstücke 
doch irgendwie in Zusammenhang zu bringen oder auch in den Bruch* 
stücken selbst gelegentlich etwas zu entdecken, äas, zwar nicht »das« 
Ganze, aber doch eine Sonderganzheit beschränkten Ausmaßes ist, also 
zwar nicht »der« unentwickelte entwickelbare Begriff A/afur, aber doch 
immerhin ein solcher Begriff von beschränkter Leistungskraft. 
Wir fangen bescheiden an und fragen, was wir unter einer Tatsache, 
einer Naturtatsache, zu verstehen haben. 
Tatsache nennen wir das mit dem Tone naturwirklich gesetzte Jetzt" 
Hier=So, wobei es sich um ein einfaches Datum dieser Art oder um 
eine Verknüpfung mehrerer Jetzt*Hier#So*Daten handeln kann, und 
zwar ERSTENS um eine Verknüpfung MiTeinander in demselben Jetzt, 
ZWEITENS um eine Verknüpfung NACHeinander und drittens um die 
Verknüpfung zweier Verknüpfungen der zweiten Art. 
Da könnten wir nun offenbar als »Tatsache« setzen, was uns be«« 
liebt. Wesen hat ja jedes Sosein ^ also auch jedes Natursosein im wei* 
testen Sinne. Aber wesent/ic/i ist nicht jedes Sosein. Nun mangelt uns 
noch jedes Kennzeichen für »Wesentlichkeit«, und da gehen wir denn 
einstweilen so vor, daß wir als Tatsache setzen, was entweder praktisch 
bedeutsam ist oder etwa durch seine »Häufigkeit« oder auch durch 
^S. O.S.26. ' S. O.S.91. 
171 
besondere »Seltenheit« auffällt. Bewegen wir uns doch hier zunächst 
ganz im Gelände des Alltags. Wir können auch sagen, daß wir, im 
großen und ganzen, zunächst einmal das als Tatsache setzen, für das 
es ein Wort gibt, denn die Sprache stammt aus dem, zwar recht mangelst 
haften, Betriebe von Ordnungslehre. 
Unsere »Tatsachen« sind nicht Setzungen als unmittelbare Gegen:« 
stände, sondern sind Naturwirkliches, das durch das zu Setzende 
»gemeint« ist; das wissen wir. Was wir oben^ im allgemeinsten Sinne 
»Ding« nannten, war also schon eine Tatsache, und zwar von der ersten 
Art, denn es war ein Beieinander von (naturwirklicher) Solchheit: 
»Dieser rote Ball« ist also eine als daseiende, und zwar als jetzt^hier 
seiend gesetzte Tatsache. Ein gewisses unmittelbares »anschauliches« 
Gesichtss« und Tastbild lasse ich diesen Ball »meinen«, und ich kann 
ihn dann auch, wenn ich ihn weder »sehe« noch »taste«, durch einen 
unanschaulichen bedeutungshaften »Gedankeninhalt« meinen. 
In Tatsachensetzungen in unserem Sinne hat alles Wissen um Natur«» 
wirkliches seine letzten Wurzeln, auch alles Wissen um »Kultur«, 
»Geschichte«, denn auch das ist ein Wissen um Naturwirkliches in 
dem von uns festgelegten Sinne, wenigstens in erster Stufe. Geht doch 
auch praktisch alle Kulturwissenschaft davon aus, daß hier jetzt dieses 
Denkmal, diese Münze, dieses Aktenstück, also lauter als naturwirk«« 
lieh gemeinte Soseine, vorhanden sind. 
Das Feststellen von Tatsachensetzungen ist recht eigentlich Aufgabe 
der Wissenschaften im engsten Sinne des Wortes : Hier ist jetzt diese 
Verknüpftheit von naturwirklichem Sosein; das festzustellen, darin 
besteht sie. Sobald sie auch nur ein wenig »theoretisiert«, ja schon, wo 
sie auch nur von »Gesetz« oder von »Kausalität« (und nicht nur von 
einer Verknüpftheit des Nacheinander) redet, ist sie zum mindesten 
auf dem Wege zur Philosophie,^; es gibt hier viele Zwischenstufen. — 
Tatsachensetzungen sind hie et nunc-Setzungen. 
Man hat sie oft den nur auf Sosein gehenden und vom hie et nunc 
absehenden H^esens=setzungen als etwas sozusagen Minderwertiges 
oder doch mindestens ganz und gar Andersartiges gegenüber gestellt. 
Diese Anschauung teilen wir nicht, und zwar deshalb nicht, weil alle 
hie et nunc-Setzungen doch auch Ordnungssetzungen sind, weil sie 
doch alle darauf hinzielen, den Begriff Natur zu einem erfüllten Ord* 
nungsbegriff zu machen, mag diese Erfüllung auch nicht mit einem 
Schlage zu leisten sein, wie die Einsicht in die Unerfüllbarkeit des 
»S.S. 161. =^S. S. 17. 
172 
ordnungsmonistischen Ideals uns zeigte. In diesem Sinne stehen Tat* 
Sachensetzungen durchaus neben Wesenssetzungen; bedeuten doch 
auch Wesenssetzungen nur etwas Rechtes, wenn sie etwas treffen, was 
im Natur* (oder Seelen*)Reiche sich irgendwie, in noch aufzuhellender 
Weise, als nicht nur wesenhafl, sondern auch wesentlich herausstellt. 
Daß etwas »bloß« eine Tatsache sei, ist uns also ein die Tatsache zu 
Unrecht mißachtendes Wort. Gewiß wird es unwesentliche Tatsachen* 
Setzungen geben, ebenso wie es unwesentliche Wesenssetzungen — 
(man könnte in Erwiderung sagen: »bloß« auf das Wesen gerichtete 
Setzungen) — gibt; aber was wesentlich oder unwesentlich ist, weiß 
ich ohne weiteres von beiden nicht. Daß es Unwesentliches in beiden 
Gruppen von Setzungen geben wird, erhellt ja ohne weiteres aus der 
Unerfüllbarkeit des ordnungsmonistischen Ideals. 
8. DIE KLASSENINDUKTION / DAS GESETZ 
a) GRUNDLEGENDES 
Das erste eigentliche »Surrogat« für die Unerfüllbarkeit des hoch* 
sten Wunsches der Logik ist nun die klasseninduktorische Set* 
zuNG ; zu ihr führt, um einmal in weniger strenger Sprache zu reden, 
die Leistung der Klasseninduktion. 
Ich sage ausdrücklich nicht nur »Induktion«, denn durch dieses 
Wort will ich eine »Leistung« bezeichnen, welche sozusagen logisch 
tiefer bohrt als das, an was ich hier denke, das freilich meist einfach 
als »Induktion« bezeichnet wird. 
Alle Klasseninduktion geht aus von dem hinzunehmenden Sach* 
verhalt, daß es in Natur »Dasselbe« in vielen Fällen, also als Natura 
klasse »gibt«: da sind viele Tatsachen »Löwe«, viele Tatsachen »Hut«, 
»elektrischer Strom«, »Regeneration«, »Regen«, »Staat«, »Verbrecher«, 
»Molekül«, »durch Reiben warm werden« »sich bei Erhitzen auflösen«, 
»Sterben« usw. usw. 
Ich kenne viele Fälle; ich sage mit dem Tone des vielleicht — einer 
durchaus gegenständlichen Tönung, wie wir wissen — »alle« Fälle, 
und nun setze ich dasjenige Wesen, welches ursprünglich mit beson* 
derem hie et nunc Ton jeden einzelnen Fall deckte, für die Klasse über* 
haupt, so, als ob die das Wesen der Klasse treffende Setzung allgemein 
sei, d. h. mitgesetzt von den unzähligen Setzungen für die einzelnen 
Fälle. 
Klasseninduktorische Setzungen sind der Ausdruck von Natur= 
173 
gesetzen im allgemeinsten Sinne des Wortes, der also nicht auf »Kau* 
sales« beschränkt ist. 
Die Worte: Löwe, elektrischer Strom, Umwandlung von Reibung 
in Wärme, bei ^ Gefrieren des Wassers, Tisch, Republik, Embryo* 
logie usw. bezeichnen in diesem Sinne sämtlich Naturgesetze, das 
heißt FESTE KLASSENHAFT BESTEHENDE SoSEINSVERKNÜPFUNG im Bereich 
der Naturwirklichkeit. 
Es ist eine »glückliche« das Ordnungsgeschäft außerordentlich ver* 
einfachende Angelegenheit, dass es das Klassenhafte »gibt«. Wir dür* 
fen uns freilich auch nicht allzuviel zugute tun auf diese unsere erste 
Ordnungsersatzleistung im Rahmen von Natur. Wir haben, wenn wir 
das Wesen betonten, das hie et nunc einfach draußen gelassen und 
nicht etwa »verstanden« — (ebensowenig wie wir übrigens das »We* 
sen« selbst einstweilen verstanden haben). Aber ein (unverstandenes) 
Wesen mit unverstandenen Fällen bedeutet ein Weniger an Setzungen 
gegenüber einer Fülle unverstandener Wesen mit ebenfalls unver* 
standenem, jeweils hinzutretenden hie et nunc. 
h) DIE ^GÜLTIGKEIT« VON GESETZEN 
Alle Gesetzes* Setzungen müssen den Ton des vielleicht tragen, ja, 
sogar die Tatsachen*setzungen. 
Es ist hierbei ganz gleichgültig, welcher Art die Gesetzessetzungen 
sind, also auch ob sie von der »Form« kausaler Gesetze sind, von 
welcher später zu reden sein wird. Insofern sie NatursosEiN ausdrücken, 
haben sie den Ton des vielleicht zu tragen, und dieses besondere So* 
sein, das man »Inhalt« nennen könnte, eignet allerdings auch kausalen 
Gesetzen. 
Daß alle Gesetzes*setzungen den Ton des vielleicht haben müssen, 
ist ein etwas »gegenständlicherer« Ausdruck dafür, daß sie dem »Irr* 
tum« ausgesetzt sind. Wie die Lehre vom »Irrtum« nun aber eine An* 
gelegenheit der Psychologie ist, so ist allerdings auch die Bedeutung 
dessen, was das Wort vom Vielleicht =TonQ meinte* nur unter Hinzu* 
ziehen psychologischer, d. h. erst später von uns eingehend zu erörtern* 
der Dinge, voll zu fassen. 
Den Ton des »vielleicht« tragen heißt verbesserbar sein oder, strenger 
gesprochen, praktisch ersetzbar sein — denn eine Setzung als solche 
ist ja, was sie ist, und kann nicht eigentlich »verbessert« werden. 
Was heißt denn nun »verbesserbar« und »vielleicht«? Und in wie* 
fern ist sogar eine Tatsachen*setzung verbesserbar? 
174 
Im Jetzt, wo sie gesetzt war, ist natürlich jede Natursetzung richtig, 
d. h. dem eben jetzt gehabten unmittelbaren Sachverhalt ordnungshaft 
angemessen. Aber sie kann sich einem später gehabten Inhalt, der auf 
Natur geht, gegenüber nicht bewähren, d. h. die Natur würde seltsam 
unverständlich und verworren, wenn ich die alte und eine neue Set* 
zung bestehen ließe, sie wird aber viel einfacher und »sparsamer« er* 
faßt, lasse ich eine neue Setzung an Stelle der alten treten. Ich setzte 
z. B. als Ausdruck meines Schauens die Tatsache »Dort sitzt ein Mann«, 
dann »sehe« ich: es ist ja ein Baumstamm; und anstatt nun etwa zu 
sagen: »der Mann hat sich in einen Baumstamm verwandelt«, was den 
Satz vom Widerspruch durchaus nicht verletzen würde, streiche ich 
die Setzung »da war ein Mann« und sage, daß ich mich »geirrt« habe. 
Aber das Irren selbst, wie schon gesagt, ist der erst später von uns 
zu betrachtenden Seelenlehre Angelegenheit und daher auch alles, was 
den vielleicht -Ton angeht. Ich habe hier nicht eigentlich Natur zum 
Gegenstand, sondern mein Haben von Natur. Immerhin ist es erlaubt, 
hier einmal die »Subjektivität« heranzuziehen, wenn man sich nur he* 
wüßt ist, DASS man es tut, daß man also aus Gründen der Methodik, 
d. h. auf daß Natur »einfacher« erfaßt werde, im Rahmen der Natur* 
logik Gewisses aus der Seelen4ogik vorwegnimmt. Von einem »Tun« 
des Ich soll natürlich auch jetzt ganz und gar nicht die Rede sein. Aber 
es kommt dort ausdrücklich das Etwas als Gehabtes, und nicht, wie 
sonst in der allgemeinen und Natur* Ordnungslehre, unter Absehen 
von seinem Gehabtsein in Frage. — 
Alle Natursetzungen, sogar die »Tatsachen«* Setzungen sind also 
im letzten Grunde »Hypothesen«, denn sie »könnten« im Sinne des 
Sich*nicht*Bewährens yaZsc/i sein. Sie alle, nicht allein die Gesetzes* 
Setzungen, bedürfen also der Verifikation, welche letzthin darauf hinaus* 
läuft, daß sich jedes beliebige vorgefundene natur wirkliche Je^zf=Hzer= 
So mit ihrer Hilfe muß »erklären« lassen. Daß ausdrückliche Gesetzes* 
»Hypothesen«, wenn anders sie als einigermaßen endgültig gelten 
sollen, ihren eindeutigen klaren Bezug auf aufweisbare Jefzfsffier^^So- 
Data, also auf »Anschauliches«, jederzeit gestatten müssen, ist ja un* 
bestritten und z. B. von Schopenhauer besonders eindringlich gelehrt 
worden. Es gilt aber schon für die blosse Tongebung »naturwirklich« 
mit Rücksicht auf ein Jetzt* Hier* So, d. h. für die bloße »Tatsache«. 
Auch sie muß mit allen anderen Tatsachen einstimmig sein. — 
Längst gefundener Wahrheiten müssen wir hier gedenken. 
Aristoteles hat bekanntlich schon gewußt, daß von »richtig« und 
175 
»falsch« nur die Rede ist, wo VERKNÜPFUNGssetzungen in Frage kom^s 
men — (»Urteile« sagen die Neueren). 
Verknüpfungssetzungen kann es nun geben im rein Logischen, im 
Naturlogischen und in der Logik der Seele, wenn von Metaphysischem 
hier abgesehen wird. Ob es wirklich »falsche« rein logische Setzungen 
als Setzungen gibt, mag dahingestellt bleiben; seelenmäßig gibt es 
jedenfalls Irrtum als Erinnerungstäuschung; von beiden — (wenn es 
zwei sind) — Arten des Irrtums reden wir später. 
Natursetzungen können nun »falsch« sein in zweierlei Form : 
Erstens als schlichte Tatsachensetzungen: der Mann, bezw. Baum 
im Walde war ein Beispiel. Hier ist — »falsch«, daß ein bestimmtes 
Jetzt = Hier mit einem bestimmten »So im Sinne des Naturwirkliches** 
bedeutens verknüpft wurde. Der unmittelbar gehabte Gegenstand 
war, was er war; man ließ ihn »meinen«, was er nicht meinen durfte. 
Und in anderen Fällen von Tatsachenfeststellung läßt man »meinen«, 
wo man überhaupt nicht meinen lassen darf (Luftspiegelungen usw.). 
Daß schon Tatsachensetzungen Verknüpfungssetzungen sind, ist 
außer Zweifel: nicht nur ist in ihnen Jetzt = Hier und So verknüpft, 
sondern es ist auch mit dem gesamten Jetzt=Hier= So der Kreis Ton 
naturwirklich verknüpft; handelt es sich doch um das »Existential^ 
urteil« der üblichen Logik. Beide Arten der Verknüpfung sind dem 
»Irrtum« unterworfen. 
Gesetzessetzungen sind ebenso wie Tatsachensetzungen der Falsch«» 
heit ausgesetzt, aber in etwas anderer und zwar verwickelterer Form 
als diese. 
Um diese Sachlage voll zu erfassen, müssen wir uns daran erinnern, 
daß die Gesetzessetzung eine für »alle Fälle« gültige Setzung sein 
wollte und sollte; und zwar wollte sie aussagen, daß diese naturhaften 
Soseinselemente A, B, C, D, E, F immer in Verknüpfung, sei es im Sinne 
des Beu oder des Nach s« einander, vorhanden seien, daß, anders ge* 
sprochen, wo A, B, D, E, F angetroffen werde, stets auch C vorhanden sei. 
Wenn eine Gesetzessetzung »falsch« ist, so heißt das also, daß es nun 
eben doch »Fälle« gibt, in denen eben diese Verknüpfung von Sosein, 
die man wegen Vorhandenseins der meisten ihrer Bestandteile »er* 
wartet« hatte, nicht besteht. Das »Erwarten« in dem geschilderten 
Sinne ist hier wichtig; angesichts ganz neuer, nie erlebt gewesener 
Fälle von Natur s« Sosein ist natürlich keine Setzung »falsch«, weil gar 
keine sozusagen an sie herangebracht wird. Aber das Urteil »Alle 
Schwäne sind weiß« oder, in schlichter Setzungsform, der Begriff 
176 
»Der (unweigerlich) Weiße Schwan« ist falsch, weil es schwarze 
Schwäne »gibt«, d. h. ein gewisses naturwirkliches Etwas, das im übri* 
gen Schwan, aber nur eben nicht weiß ist. 
Hier liegt der »Irrtum« in Sachen der Erfassung des Naturhaften 
also darin begründet, daß vorschnell vom »Einige Fälle« zum »Alle 
Fälle« und damit zur Setzung geschritten wurde. Das Ganze ist im 
Grunde eine reine Angelegenheit der Subjektivität und damit der 
Psychologie und wird an dieser Stelle nur deshalb behandelt, um es 
zu rechtfertigen, daß alle Gesetzessetzungen, ja, wegen der möglichen 
Falschheit der Tatsachensetzungen, alle Natursetzungen, welche Sosein 
oder hie et nunc betreffen, überhaupt den Ton des vielleicht tragen 
müssen oder, besser vielleicht, das Zeichen des wahrscheinlich in ver«» 
schiedener Stärke der Betonung. 
Nun kann aber das Zeichen vielleicht oder wahrscheinlich Gesetzes^« 
Setzungen auch noch aus einem viel tieferen Grunde eignen müssen 
als aus dem einer allzu vorschnellen Subjektivität, welche die Ord# 
nungslehre von der Natur eigentlich gar nichts angeht. 
Hier kommen wir auf das große Problem Humes^: What is the 
foundation of our conclusions from experience? Wir setzen voraus, 
daß wir »alle Fälle« haben, daß wir nicht »vorschnell« gewesen sind. 
Was gewährleistet die Richtigkeit der bisher für alle Fälle richtig ge* 
wesenen Setzung für die Zukunft? Gewährleisten, so lautet die hnU 
wort, kann sie nichts ; nur geglaubt wird sie, d. h. ich bin von ihr über* 
zeugt ohne eigentliche Evidenz im Sinne der Logik. Denn die Voraus* 
Setzung aller Gültigkeit von Gesetzessetzungen für die Zukunft ist ja, 
um mit MiLL reden, die uniformity of the course of nature, und mit 
Rücksicht auf diese kann ich nur einen helief haben. 
Was das heißt, können wir erst später ganz verstehen, wenn der 
Begriff der naturwirklichen Entwicklung erörtert wird. Hier genügt es 
zu sagen, daß die von Hume gesehenen Sachverhalte, deretwegen jede 
Gesetzessetzung das Vielleicht fiZeichen haben muß, ganz wesentlich 
tiefer liegen als jene, welche bloß in meinem Nichtwissen um die All* 
heit der gekannten Fälle begründet sind. Bei dem HuMESchen Problem 
handelt es sich um echt Gegenständliches ; im Wesen der Natur, welche 
sich »vielleicht« entwickelt, liegt es begründet, daß ich von der Gültig* 
keit eines Gesetzes in der Zukunft nie wissen kann. — 
Daß sie sich »bewähren« müssen angesichts »künftigen« Erlebens, 
das ist es also, was alle Setzungen über Naturwirkliches von allen 
' Enquiry, III. 28. 
12 Dric seh, Ordnungslehre 177 
Setzungen im Bereiche der allgemeinen Ordnungslehre scharf scheidet. 
Auch hier gibt es Beziehlichkeitssetzungen, also Verknüpf ungssetzun* 
gen, also »Urteile«; aber es handelt sich bei ihnen um die unmittelbar 
schlichte Schau von Beziehungen zwischen schlicht geschauten Glie^ 
dem — (um Schau »apriori«) — , und da hat das Wort »falsch« wohl 
eigentlich keinen rechten Sinn : was überhaupt erfaßt ist, ist endgültig 
erfaßt \ Natursetzungen dagegen sollen das Einzige Natur^Es treffen, 
welches trotz seiner Teile, und obwohl es nicht ohne weiteres »die eine 
ganze Ordnung« ist, doch Eines ist, und welches wird, so daß ich es 
»heute« in seinem Sosein grundsätzlich gar nicht erfassen kann. Da 
muß wohl von einem »Sich bewährt haben« als Kennzeichen (Krite^ 
rium) für die mehr oder weniger hohe Güte von Natursetzungen die 
Rede sein; hier ist der sogenannte Pragmatismus durchaus am Platze. 
Alles Wissen, welches auf naturs=(oder seelen^») wirkliches Wesen 
oder hie et nunc geht und sich, der Natur der Sache nach, allmählich, 
in vielleicht oft verbesserter und wohl immer noch verbesserbarer 
Form aufbaut, wollen wir »Gewohnheitserfahrung« oder »empirisches 
Wissen« nennen, um es von »Erfahrung überhaupt«, welche uns ja^ 
Gehabtes überhaupt als Geordnetes bedeutet, und zu welcher also 
auch der Inhalt der gesamten allgemeinen Ordnungslehre gehört, zu 
scheiden. 
»Empirisch« gewußt ist also diejenige Gesamtheit von Setzungen, 
welche bewußt gehabt wird mit dem ausdrücklichen Tone, daß sie 
allmählich erstand aus einer minder »richtigen« Setzungsgesamtheit 
heraus, und daß sie auch heute den Ton des »vielleicht richtig« tragen 
muß. 
Davon zu reden, wie Gewohnheitserfahrung praktisch zustande 
kommt -- (eine Angelegenheit der Seelenlehre) — , hat dieses Werk nicht. 
Da neben Tatsachensetzungen die Gesetzessetzungen das Wesentliche 
an aller Empirie sind, diese aber aui Klasseninduktion beruhen, so wird 
also das, was meist schlechthin Induktion genannt wird, die »Ur>» 
methode« für die Erwerbung alles empirischen Wissens. Bacons und 
Mills Regeln sind es also, die eine lehrbuchmäßige Darstellung des 
Gegenstandes hier vorzubringen hätte, die wir aber eben deshalb nicht 
^ Bei Schlußketten, also, soweit die allgemeine Ordnungslehre in Frage kommt, 
2. B. in Syllogistik und Mathematik, kann allerdings »falsches« auftreten; das ges 
hört dann in die Lehre vom »Irrtum«, soweit sie der Psychologie angehört. Wir sehen 
in diesem Abschnitt von allem Psychologischen im eigentlichen Sinne, also auch 
von dem »Erinnerungs«slrrtum ab. Er kann natürlich auch zu »falschen« Gesetzes 
formungen führen. Vgl. Wirklichkeitslehre, 2. Aufl.. 1922, S. 223 ff. « s. S. 26. 
178 
vorbringen, weil sie ja in jedem guten Lehrbuch oder, noch besser, bei 
den Schöpfern selbst, nachgelesen werden könnend — 
Alle empirischen Setzungen, also alles, was auf Natur (oder Seele) 
geht, mögen apostetiori heißen, d.h. ganz wirklich: vom Späteren ge«» 
stützt, oder: in der Bewährung dem später Erlebten gegenüber den 
Richtigkeitsnachweis erhaltend, oder kurz: »verbesserbar«, bezw. er» 
setzbar durch etwas, was der Ordnung der Einen Natur sparsamer 
gerecht wird. 
Alle Setzungen der allgemeinen Ordnungslehre sind apriori, d. h. 
was in ihnen vorliegt, sei es einfach oder Verknüpfung, das wird end«» 
gültig in der Art seiner Einfachheit oder Verknüpftheit geschaut. Ob 
es sich im zweiten Fall nur um solche Schau handelt, die in analytischen 
Urteilen ihren Ausdruck findet, also nur auf dem Satz von der dop^ 
pelten Verneinung ruht, oder ob Kants »Synthetische Urteile a priori« 
in Frage kommen, das bedingt keinen wesentlichen Unterschied. Der 
Satz der doppelten Verneinung ist ja doch eine rein gegenständliche 
Beziehungssetzung und ist selbst ein synthetisches Urteil a priori^. 
Inwiefern der Begriff des apriori auf gewisse sehr allgemeine Be^» 
ziehlichkeitsaussagen über Natur, welche vor ihrem eigentlichen »Er«» 
fülltsein« sinnvoll gesetzt werden können, (also z. B. auf die Kausali* 
tätssetzungen), Anwendung findet, wird später geprüft werden. In 
diesem Abschnitt redeten wir ja nur vom sogenannten »Inhalt« der 
Natursetzungen, noch nicht von ihrer »Form«. 
c) DAS NATURMÖGLICHE 
Die empirischen Setzungen reden, soweit sie Gesetzessetzungen 
sind, von dem in sehr vielen, »also« wohl in allen Fällen Zusam«^ 
lenbestehen oder Nichtzusammenbestehen von Soseinseinzelheiten. 
>ie reden von Untrennbarkeit und Unverträglichkeit, aber eben von 
>empirischer«, nicht von solcher, die schlicht mit der Schau der Soseins* 
Einzelheiten selbst geschaut wird^: daß Wiederkäuer immer zweihufig, 
latzen nie grün sind, das ist so, aber wir »verstehen« es nicht. 
Nur mit dem Tone des vielleicht darf hier gesagt werden, daß etwas 
so verknüpft sein »müsse« oder nicht verknüpft sein »könne«. 
Hieraus ergibt sich nun ohne weiteres eine zweite Bedeutung des 
Wortes »möglich«: 
* Zu warnen ist vor dem Worte Induktions*»schluß,« Ein Schluß ist immer nur ein 
Mitsetzen auf Grund von Inhaltseinschluß. Man sollte hier streng im Ausdruck sein. 
« s. o. S. 87. » s. o. S. 105. 
12* 179 
Naturmöglich ist, was auf Grund der als endgültig vorausgesetzten 
Natursetzungen im bloß logischen Sinne möglich ist. 
Dieses ist die kürzeste und schärfste Umgrenzung des Begriffs 
»naturmöglich«; der von uns gewählte Wortlaut stellt zugleich den 
Anschluß her mit der berühmten Frage des Hume: »What is the foun# 
dation of our Conclusions from expecience?« Wir »schließen« ja auch 
im Reiche des Empirischen vom Gesetz auf den Einzelfall. Wir dürfen 
es freilich nur mit dem Tone des »vielleicht«, aber wir tun es im helief 
der Sicherheit. Das eben heißt von »Naturmöglichem« reden. 
Naturmöglich also ist, was nach Massgabe des gekannten Natur«« 
sosEiNS als erlebbar angesehen wird. Man weiß, daß Möglichkeit in 
diesem Sinne ganz besonders eng mit dem Begriff der Kausalität ver»* 
knüpft ist. Wir reden von ihr alsbald gesondert, dürfen sie aber bei:« 
Spiels weise schon hier heranziehen, da ja doch jeder einen mehr oder 
weniger klaren Begriff mit dem Worte »Kausalität« verbindet. Möglich 
also ist, daß ich einmal auf eine neue Spezies eines Zweihufers stoße : 
es wird ein Wiederkäuer sein. Möglich ist, daß es morgen blitzt, es 
wird dann auch donnern. 
Hier liegen keine Schwierigkeiten. Wohl aber liegen solche vor, wenn 
der Begriff des Möglichen im Sinne des Kausalmöglichen sozusagen 
in die Vergangenheit zurückgeworfen wird. 
Es »wäre möglich gewesen«, daß Napoleon in Ägypten getötet wäre ; 
dieser Regenwurm »hätte« regeneriert, hätte man ihn durchschnitten, 
er hatte die »Potenz« dazu; und diese Leidener Flasche, sie hatte ja das 
nötige »Potential«, »hätte« sich unter gewissen Umständen entladen. 
Was bedeutet, kurz gesagt, Naturmögliches, welches nicht natura 
WIRKLICH WIRD? War nicht nur »möglich«, was wirklich geworden ist? 
Die Welt ist doch, um mit Mach zu reden, nur einmal da. 
Man sieht, welche Fülle später erst zu erörternder »Wissenschaft* 
lieber« Begriffe hier auf den Plan tritt: Potenz, Potential, und weiter 
auch potentielle Energie, Affinität usw. Doch obwohl im Rahmen des 
Begriffs naturmöglich, zumal im Bereiche des kausal Möglichen, eine 
Fülle von Ordnungsbeziehlichkeiten geschaut ist, liegt in der Tat eine 
nicht ganz geringe Schwierigkeit in dem Worte, daß etwas möglich gc^ 
wesen sei, das nicht wirklich geworden ist, oder daß etwas möglich ist 
und nicht wirklich werden wird. 
Wäre das ordnungsmonistische Ideal erfüllt, so würde alles Mögliche 
wirklich, und möglich würde nur »noch nicht wirklich« heißen oder 
auch »erst zu einer späteren Zeit der in ihrem Sein und Werden eine 
180 
ganze Ordnung darstellenden Natur wirklich«. Der Begriff naturmög= 
lieh, wie er erfüllt besteht, hängt nun in der Tat an dem Unerfülltsein 
des ordnungsmonistischen Ideals. Er steht nämlich in enger Beziehung 
zum BegnE zufällig, d. h.^ nicht auf eine Ganzheit bezogen, und ebenso 
zum Begriff wahrscheinlich. 
DieserWurm »hätte« sich regenerieren können, wenn man ihn durchs 
schnitten »hätte«, heißt nämlich: »jeden beliebigen« Wurm »kann« das 
Durchschneiden treffen, es ist zufallig, welchen es trifft; da aber jeder, 
den es bisher traf, regenerieren konnte, so schaue ich an jedem das Da*» 
sein einer Potenz. 
Man kann gerade hier sehr leicht zurVersubjektivierung der Ord«* 
nungslehre verleitet werden und davon reden, daß von Naturmöglich»« 
keit reden nur ein nicht;sgenaus»wissen bedeutet. Gemeint ist das aber 
nicht; gemeint ist etwas am Gegenstande. 
Genauer gesprochen: gesagt wird in vager Form (natur*:) möglichy 
gemeint wird Natur*vermög-en, wobei das Vermögen, um mit Aristoteles 
zu sprechen, das Vermögen zu »tun« oder zu »leiden«^ bedeuten kann; 
mit Rücksicht auf den möglichen Tod Napoleons in Ägypten kommt 
das zweite, mit Rücksicht auf die Regeneration des Regenwurms das 
erste in Frage. 
Möglich im ganz strengen Wortsinne sind nur Setzungen, denn mög*» 
lieh heißt erlebbar. Wenn ein mittelbarer Naturgegenstand als möglich 
(Hund) oder als unmöglich (grüne Katze) bezeichnet wird, so gehen 
diese Worte also auch auf Setzungen, freilich auf Setzungen mit dem 
Tone des »naturwirklichen Meinens«, und sagen von ihnen als Set»« 
ZUNGEN, daß sie (nicht freilich wegen des Widerspruchsatzes, sondern 
wegen der Art des Gegebenen) erlebbar oder nicht erlebbar seien. 
Daraus wird nun mit Rücksicht auf die gemeinten mittelbaren Gegen^ 
stände selbst das Vermögen im Getriebe des Werdens : es »gibt« kein 
auf »grüne Katzen« gerichtetes Vermögen, es »gibt« aber Potenzen 
für die Erstehung von Hunden. Das ist das, was in den Sätzen »Hunde 
sind naturmöglich«, »grüne Katzen sind nicht naturmöglich« ge* 
meint ist. 
d) DAS WESEN DES NATURHÄFTEN 
Alle Klasseninduktion setzt Natur^5osefn ; Sosein aber nannten wir 
an früherer Stelle^ Wiesen ; Klasseninduktion, ja, in gewissem Sinne 
schon die Tatsachensetzung, setzt also Wesen, das Naturhaftes meint. 
' S. O. S. 82. 2 8vva[xig xov nadeiv. ^ S. 90f. 
181 
Was nun setzen wir klasseninduktorisch als Natur wesen? Die Häufig* 
keit allein macht es oft, aber nicht stets. Schon oft ist ein Hund von 
der Trambahn überfahren worden ; »von der Tram überfahrener Hund« 
ist also ein Klassenhaftes von bestimmter Allgemeinheitsstufe (wovon 
wir noch reden werden). Trotzdem heben wir es nicht heraus; haben 
wir doch kein besonderes Wort dafür, während wir für Katze, Tisch, 
Fluß, ja auch für Splitter ein besonderes Wort haben. Man sieht, wir 
stehen auf beschränkterem, nämlich dem Naturgegenständlichkeits«s 
Boden vor derselben Frage, vor der wir standen, einmal, als es sich im 
Rahmen der allgemeinen Ordnungslehre um die Setzung von Wesen 
oder Sosein überhaupt handelte und zum anderen, als wir von der 
Natur*»tatsache<K redeten^. Und wieder können wir nur sagen: ein ganz 
eindeutiges Kennzeichen für das, was gesetzt werden »sollte«, gibt es 
nicht. Häufigkeit mag oft ein solches Kennzeichen sein, zumal wenn 
sie sich mit Praktischem verbindet, gelegentlich spielt aber auch gerade 
»Seltenheit« eine Rolle (Erdbeben); viel bedeutsamer ist hier Sachs 
ganzheit, aber diesen Begriff lernen wir erst später kennen. 
Was BEDEUTET nun ein durch Gewohnheitserfahrung klasseninduk* 
torisch gewonnenes Wesen? Inwiefern »wissen« wir eigentlich um 
es? 
Wir wissen um es nur, insofern es gesetzt ist. Es ist das, als was es 
gesetzt, als was es definiert wurde. Das gilt vom Besonderen und vom 
Allgemeinen, also von »Katze« und von »Lebewesen« gleichermaßen. 
Ich darf sagen: ich »schaue« das »Wesen« von Katze, Pflanze, Leben 
als ein im Rahmen der Naturordnung Bestehendes, aber ich »schaue« 
dieses Wesen nur in seinem Gesetzt*» und Umgrenztsein. Nicht also 
wußte ich »apriori« im Sinne eines irgendwie bestimmt eingegrenzten 
antezipierten Schemas, was Leben, Katze, Pflanze »eigentlich sei«, so 
daß die klasseninduktorisch gesetzte Setzung Katze, Pflanze, Leben 
oder auch die besondere Tatsächlichkeit einer Katze, einer Pflanze, 
eines Lebewesens mir dieses Schema nur erfüllte, sondern ich habe 
überhaupt erst die Bedeutung des Wesens »Katze«, »Pflanzen, »Lebe* 
WESEN«, wenn ich zum mindesten einen ihrer Vertreter, meist wohl, 
wenn ich viele Vertreter erlebte, also »wahrgenommen« habe. 
Wer hier anders redet wie manche Phänomen ologen,der fällt durchaus 
in die Lehre von den angeborenen Ideen zurück, ja, er läßt nicht nur 
etwa die Ideen »Gott«, »Unsterblichkeit« usw. angeboren sein, sondern 
im Grunde jeden Begriff, der jemals seine Rolle spielt. 
^S.o.S. 171. 
182 
Mit Rücksicht auf alles Empirische seiner eigentlichen Inhaltlichkeit 
nach ist in der Tat, wenn hier schon einmal psychologisch geredet 
werden darf, die »Seele« eine tabula rasa, ein white paper, freilich aus^* 
gestattet mit der Fähigkeit des Aufnehmens wesenhafter Inhaltlichkeiten 
in unbegrenzter Fülle. Eine bloße dvva/uig zov uia^eiv aber ist keine Po^ 
TENz, DIE SICH ZU ÄUSSERN STREBT; nicht nur im Marmorblock, aus dem 
alles und jedes gemacht werden kann, ist sie das nicht. 
Selbstredend muß ich die Begriffe Lehen, Pflanze, Katze haben er^ 
fassen können, wenn ich sie praktisch erfasse; sie müssen logisch mög:« 
lieh gewesen sein. Aber in diesem weiten Sinne nützt uns der Begriff 
des (apriori) antezipierten Schemas nichts; so ein Schema muß, wie wir 
vor kurzem sagten, »irgendwie bestimmt eingegrenzt« sein, um etwas 
zu bedeuten. Mit Rücksicht auf die möglichen großen Kausalitätstypen 
werden wir selbst uns alsbald auf ein solches Schema in unserer Dar* 
legung stützen. Aber mit Rücksicht auf irgendwelche Verkettung von 
besonderen Jetzts'Hiers'Sos'Daten im Sinne des Beij» und Nach^^einander 
ist keine »bestimmte Eingrenzung« vorhanden. Da ist wirklich alles 
BELIEBIGE »apriori« möglich, so daß der Begriff des »apriori« gar nichts 
mehr bedeutet ^ 
Man wird sagen, daß ich dann das Wesen von Lebewesen, Katze, 
Pflanze nicht eigentlich »verstehe«. Das tue ich in der Tat nicht. In 
dem Sinne, wie ich die Bedeutungen der unmittelbaren Gegenständ«« 
lichkeit verstehe, verstehe ich gar nichts in der Natur. Und auch, wenn 
wir später ein unmittelbar gekanntes und »verstandenes« Quäle, näm^ 
lieh Wissen in die Natur, hinauswerfen und von gewissen Naturdingen 
sagen werden, daß sie gleichsam Wissen sich zugeordnet hätten, ver«» 
stehen wir dieses Wissen doch nicht eigentlich. 
Man wird vielleicht unsere Ansicht »Nominalismus« nennen; das 
ändert nichts an ihrer Richtigkeit. Übrigens werden wir alsbald von 
den Univevsalia in rebus reden, sind also doch keine »Nominalisten«; 
auch diese Universalia freilich werden uns in ihrem Sosein nur das 
sein, ALS was sie gesetzt und definiert sind. Zum mindesten die Ord* 
nungslehre darf gar nicht anders vorgehen. Am besten vermeidet man 
wohl die Worte »Nominalismus« und »Realismus« wie alle Schlag* 
Worte. 
* Man vergleiche hierzu Locke, und zwar vornehmlich Essay, I, Kap. 2, § 5! 
183 
9. DIE SYSTEMATIK 
a) DAS STUFENGEFÜGE 
War Klasseninduktion der erste Ersatz für das unerfüllbare ords« 
nungsmonistische Ideal, so ist der zweite Ersatz für seine Un:» 
erfüllbarkeit Systematik oder Klassifikation, d. h. die Möglichkeit, 
nicht nur das Sosein des Naturwirklichen treffende Klassenbegriffe zu 
setzen, sondern diese auch nach Maßgabe der Allgemeinheit zu einem 
Stufengefüge zu ordnen. 
Die eigentliche Grundlage der Möglichkeit der Systematik ist ein 
sehr seltsamer »glücklicher« Sachverhalt. Wir verstehen diesen Sach# 
verhalt am besten, wenn wir ausgehen von der Erörterung der Frage: 
Was ist als Klasse mit vielen Fällen naturwirklich? 
Das sind nun (vielleicht, wovon später zu reden sein wird, mit Aus* 
nähme der letzten Bestandteile der Dinghaftigkeit, der »Atome«), das 
sind NICHT die besonderen einzelnen Dinge oder Vorgänge des Naturs» 
wirklichen in ihrer letzten Besonderheit. Nicht zwei Pudel, Eichen, 
Tische, Hüte, Staaten, Kriege, Maschinen, elektrische Ströme usw. sind 
in jedem Bezug, von hie et nune ganz abgesehen, streng gleieh. Gleieh 
ist »Pudelheit«, »Eichenheit«; gleieh, das heißt als Klasse mit Fällen 
vorhanden, ist AllgemeineSy das heißt von Vielem, nämlich den Be* 
Sonderheitssetzungen, Mitgesetztes. Klassen, also »Gesetze«, kann es 
also geben, obwohl das Besondere durchaus unter sich verschieden ist, 
ja, gibt es tätsächlich nur mit dieser Einschränkung \ 
Und wir schauen gerade mit Rücksicht auf Natur wirkliches das 
Allgemeine im Besonderen ^ wir schauen die universalia »in« rebus, 
um den altbekannten Ausdruck zu gebrauchen. 
Das Allgemeine, welches wir in rebus schauen, gibt es nun aber, so 
wie Natur einmal ist, als stufen artiges Gefüge. Oder anders gesagt: 
wir schauen in den naturwirklichen Dingen und Vorgängen das AlU 
gemeine in verschiedenen Graden der Mannigfaltigkeit, derart, daß 
jedes in höherer Stufe Allgemeine merkmalsärmer ist als das Allgemeine 
der nächst niedrigeren Stufe. Das Allgemeine jeder Stufe bildet also 
eine Soseinsgruppe, welche als solche das Allgemeine der nächst höheren 
Stufe mitsetzt. Das »höchste« Allgemeine ist naturwirkliches Etwas 
* S. o. S. 63. ^ Die Polemik gegen »Gesetze« in der Geschichte (Lamprecht, Brey* 
siG u. a.) beruht auf einem Übersehen dieses Sachverhalts. Der Satz, daß das Eins 
zelne, vom hie et nunc ganz abgesehen, »nur einmal da ist«, gilt überall im Reiche 
des Empirischen (vielleicht, wie gesagt, mit Ausnahme der Atome) ; aber trotzdem 
gibt es Klassen, nämlich des Universale. 
184 
überhaupt, das zweithöchst Allgemeine würde naturwirkliches Ding 
und naturwirklicher Vorgang sein. 
Bärenartige, katzenartige Raubtiere einerseits, Fische und Vögel 
andererseits, sind also Bestandteile von jeweils einer besonderen So** 
Seinsgruppe. 
Raubtiere und Nagetiere aber bezeichnen eine andere Stufe der All*s 
gemeinheit als katzenartige und hundeartige Raubtiere. Die Setzung 
Raubtier wird ja durch die beiden letztgenannten Setzungen mitgesetzt. 
Einer gleichen Stufe gehören im allgemeinen solche Setzungen an, 
welche das Ergebnis einer gleichen Anzahl aufeinanderfolgender MiU 
Setzungsakte, welche also Allgemeines gleichen Grades sind. 
Löwe —Tiger — Leopard — . . . Fuchs —Wolf. . . . Eisbär — Brauner Bär .... 
Katzenartige Hundeartige Bärenartige usw. 
Weichtiere 
Affen usw. 
Wirbeltiere usw. 
Tiere 
Pflanzen 
Lebende Wesen 
Diese Tafel zeigt besser als viele Worte, was Soseinsgruppe, Stufe 
und gleiche Stufe in einem Gefüge heißt; eine ähnliche Tafel ließe sich 
für »Industriegegenstände«, »Chemische Dingarten«, aber auch für 
»Tugenden«^ entwerfen. 
Ordnungsmäßig richtig wird ein Gefüge in Form unserer Tafel an* 
geordnet und nicht etwa durch Voranstellen der Setzung »Lebende 
Wesen«. Diese Setzung ist ja durchaus mitgesetzt, und zwar hier sogar 
zum großen Teil durch echte Merkmalabziehung. Sie hat gerade in 
ihrem besonderen Sosein deshalb Naturbedeutung, weil sie in gleicher 
^ Der Bezug auf »Tugenden« nimmt freilich gewisse Ergebnisse der Lehre vom 
Werden hier vorweg. 
185 
Form von vielen ursprünglichen Setzungen und nicht nur von einer 
mitgesetzt werden kann. »Tier« ist das Allgemeine von sehr vielen 
Natur:sMannigfaltigkeiten, »Säugetiere« ist ein weniger, »Raubtier« 
ein noch weniger Allgemeines ; in Stufen nimmt die Allgemeinheit ab. 
b) ZUR LEHRE VON DER UMGRENZUNG DER BEGRIFFE 
Hier erst findet nun die Ordnungslehre, so wie wir sie formen, 
Veranlassung, auf jenen alten Satz der Lehre von der Setzungs* 
Umgrenzung einzugehen, daß jede »Definition« nach »genus proxi* 
mum et differentia specifica« zu geschehen habe; eine Regel, die sich 
aber nicht etwa nur auf Naturkörper, sondern auf alles irgendwie zur 
Naturwirklichkeit in Beziehung Stehende erstreckt. Eine Umgrenzung 
soll, kurz gesagt, der Stufenmäßigkeit der Soseinsgruppen des Wirk=» 
liehen Rechnung tragen und in dieser Hinsicht keine Sprünge machen; 
sie soll, anders gesagt, der Besonderheit der Mannigfaltigkeit, zumal 
der Anordnung des zu Umgrenzenden genügen. Darum soll sie das 
»genus proximum^ d. h. die näc/i5^sallgemeinere Solchheitsgruppe be^ 
tonen und mit einem Zusatz versehen; diese Gruppe selbst mag dann 
weiter »definiert« werden. Die Katze also »ist« nicht ein Säugetier, 
sondern ein Raubtier mit zurückziehbaren Krallen; Mitleid ist nicht 
ein lobenswerter Seelenzustand, sondern ein lobenswertes Gemein* 
Schaftsgefühl (auch nicht bloß: Gefühl)^. Anders vorgehen, würde 
hier zwar nicht unrichtig, wohl aber wirr und sachlich unpraktisch 
vorgehen bedeuten. 
c) DAS ENTWICKELBÄRE GEFUGE 
Aus der Lehre von der Zahl und vom Räume wissen wir, daß es 
»rationale« und nicht nur durch äußerliche oder innerliche Ab* 
Ziehung gewonnene Gefüge geben kann. Es gibt z. B. das Gefüge der 
Rechenarten, oder der regulären Polyeder, oder der Kegelschnitte. Hier 
handelt es sich nicht um bloße Fortnahme von Merkmalen, welche inhalt* 
ärmeres und umfangreicheres Mitgesetztes schafft, sondern um etwas 
ganz und gar anderes. Das scheinbar Mitgesetzte, z. B. »Kegelschnitt«, 
erlaubt hier aus sich heraus die »Arten« in ihrem Sosein vollständig 
aufzuzählen; es enthielt sie eben unentwickelt; daß sie entwickelt 
werden können, liegt in dem, was Raum und Zahl bedeuten. 
Einem denkmäßig reinen Gefüge die Gefüge aller, also auch z. B. 
der biologischen, Natursetzungen möglichst anzugleichen, wird das 
trotz aller Mißerfolge immer wieder in Angriff zu nehmende Streben 
* Das Wort »Gefühl« hier populär verstanden. 
186 
der auf Naturdinglichkeiten bezogenen Ordnungslehre sein müssen. 
Wo N aiurr äumliches rein als solches, gleichsam im Sinne reiner Ding* 
Geometrie, in Frage kommt, da wird solches Streben am ehesten von 
Erfolg gekrönt sein. Wenn also z. B. die Lehre vom Naturs^Urding 
(»Materie«) die verschiedenen Arten des »Stoffes« als mögliche Gleich* 
gewichtszustände einer oder weniger Urdingarten zu verstehen trachtet, 
so kann sie ihr Ziel in Sachen der Gefügebildung wohl erreichen. Sie 
vermag nämlich zu der Einsicht zu kommen : es kann nur diese und 
nur solche Stoffarten in dieser Ausprägung geben, weil es wegen des 
Soseins des Raumes nur diese Gleichgewichtszustände der Stoffurarten 
geben kann. Andere, das heißt nicht=diese Stoffarten kann es nicht 
geben. 
Es gibt ein Gefüge nicht nur der Naturdinge, sondern auch der 
Naturvorgänge, und gerade hier ist, w^enigstens wo die unbelebte Natur 
m Frage kommt, eine »Rationalität« der Systematik ebenfalls in hohem 
Grade möglich. Die gesamte mathematische Physik ist voll davon: 
die Grundgleichungen irgendeines Gebietes sind es hier, welche als 
UNENTWICKELTE ENTWICKELBARE Setzungen (von beziehHcher Art) alle 
»Gleichungen« für Sondergeschehnisse »mitsetzen«. 
Es gilt, solche mitsetzende Gleichungen schauend zu finden, ebenso 
wie jene allgemeinen Setzungen, wie »Gleichgewichtszustand« usw., 
schauend gefunden werden mußten, welche besondere Zustände ent* 
wicklungshaft mitsetzen sollen. 
»Klasseninduktion« nannten wir, was die übliche Logik meist nur 
»Induktion« nannte. Wir wollen nun Induktion im echten Sinne oder 
auch Einführung oder »Erfindung« (aber nicht im Sinne eines Tätig* 
seins) die Schau unentwickelbar entwickelbarer Setzungen jeder 
Art nennen, mögen sie Zustands* oder Geschehensbesonderheiten 
»mitzusetzen« erlauben. 
Praktisch wird ja schlichte Klassifikation auch im Rahmen der un* 
belebten Natur stets das erste sein: soviel StoflFarten, etwa Kohlenstoff* 
Verbindungen, mit diesen Soseinsgruppen und diesem AUgemeinheits* 
stufenbau; soviel »kausale Gesetze«, solche Gruppen, solche Stufen 
der Allgemeinheit. Dann — die Schau eines Genius, und wo Vieles 
war, ist Eines, wenigstens was das Wesen angeht. — 
Man verlangt von dem, was wir eine durch Induktions*Schau ge* 
wonnene entwickelbare Setzung nannten, eine sogenannte »Veri* 
fikation«. Da muß wohl unmittelbare und mittelbare Verifikation ge* 
schieden werden. 
187 
Unter mittelbarer Verifikation wollen wir den Sachverhalt ver«» 
stehen, daß eine Induktionssetzung besonderes Klassenhafte als »mög* 
lieh« mitsetzt, was zwar noch nicht als naturwirklich bekannt ist, aber 
dann »entdeckt« wird. 
UnmittelbareVerifikation ist die unmittelbare Schau des induzierten 
Sachverhalts in re, d. h. in einem besonderen Naturhaften : das Indu*= 
zierte »ist Tatsache«. 
Restlos Endgültiges leistet nur die unmittelbare Verifikation. 
d) IST DAS GEFÜGE DER ORGANISMEN ALS GANZES ENTWICKELBAR? 
Es wünscht die Logik, wie wir wissen, als letztes Ziel ihrer im Natur* 
wirklichen setzenden Tätigkeit, daß sich möchte eine oberste Natur** 
Setzung finden lassen, welche alle überhaupt gesetzten Natur Setzungen 
mitsetzt, indem sie diese, nach Art des Ausganges eines denkmäßigen 
Sondergefüges, unentwickelt in sich enthält. 
Wir konnten dieses ordnungsmonistische Ideal nicht erfüllen. Da* 
gegen konnte, wie wir soeben sahen, die Lehre von den unbelebten 
Dingen sich ihm wenigstens annähern, da sie sich auf Geometrie grün.» 
den konnte. 
Gestatten nun etwa auch die organischen Dinge »rationelle Systema* 
tik«, so daß wir, zwar nicht dem hie et nunc nach, aber doch dem Wesen 
nach, gleichsam eine beschränkte Ersatzleistung von logischer »Ent* 
Wicklung« anstelle der unerfüllbaren Höchstleistung haben würden? 
Wir wissen, daß auch diese Hoffnung zu Schanden wird, denn alle 
Systematik der Organismen ist nur Klassifikation. Freilich beruht sie 
meist auf innerer und nicht auf äußerer Abziehung, und zwar sogar 
derart, daß für den Geübten »Species«''Kennzeichen in jedem Organ, 
ja in jedem Keimesstadium, sich allerdings mehr und mehr verwischend, 
aufzufinden ist, so daß die Abziehung, psychologisch gesprochen, 
mehr ein Nichtbeachten als ein echtes Garnichthaben von Merkmalen 
ist. Aber trotzdem: der Begriff Tier sagt uns, im Gegensatz zum Begriff 
Kegelschnitt, gar nichts über das Sondersosein der Tiere, der Begriff 
Alge nichts über die Soseinsgruppen verschiedener Allgemeinheits«= 
stufe bei den Algen. 
Wir müssen die Notwendigkeit des Beieinander oder auch die Un* 
möglichkeit von Beieinander aus dem Wesen der Sache heraus, also 
apriori, schauen, wenn rationale Systematik möglich sein soll, und das 
können wir nur, wo Mathematik in Frage kommt. Oder könnten wir 
es doch auch auf anderem Felde? 
188 
Als wir von reiner Solchheit und von Räumlichkeit handelten, haben 
wir des Umstandes, daß etwa die reinen Solchheiten eines Gebietes, 
also etwa die Farben, oder daß die Eigentümlichkeiten der Drei^ und 
Viereckigkeit mit einander »unverträglich« seien, nur im Vorbeigehen 
gedacht. Durch die Einsicht, daß rot, blau, grün, oder 3, 4, 5 jeweils 
DIESES und jeweils einfaches, daß sie also nicht nicht^^dieses sind, war 
eigentlich alles wesentliche, was hier zu sagen war, schon gesagt. In 
der Lehre von den Soseinsgruppen kam es in anderer Form zum Aus«» 
druck. Nun sind aber auch die Merkmale »Katze«, »blau«, »sprechend«, 
die Merkmale »Mensch«, »Praktiker«, »Religionsstifter« — die letzteren 
wenigstens »der Regel nach« — miteinander unverträglich; ja, gerade 
darauf, daß die wirklichen Naturdinge nur ganz bestimmte Merkmals«* 
beieinander zeigen, beruhte ja die Möglichkeit, sie gefügemäßig, zu* 
nächst nach Soseinsgruppen, alsdann in Stufen, zu ordnen^. 
Folgte bei reiner Solchheit die Unverträglichkeit zwar nicht lediglich 
aus dem Satz vom Widerspruch, aber doch unmittelbar aus der Be* 
deutung des Unverträglichen, so ergibt sich die Naturunwirklichkeit 
eines Merkmal»sßeieinander weder aus dem Widerspruchssatze noch 
aus letzten apriori geschauten Solchheitsunverträglichkeiten. 
Man möchte nun zunächst vielleicht sagen, daß Unverträglichkeit 
reiner Solchheit eine Unverträglichkeit in einander — »dieses hier rote 
kann nicht hier blau sein« —, Merkmalsunverträglichkeit der soeben 
erörterten Art aber, wie gesagt, eine Unverträglichkeit tei einander sei; 
und das wäre ja gewiß eine richtige Unterscheidung, nur nützt sie uns, 
wie sich gleich zeigen wird, nicht viel zum Verständnis des Wesens 
der Unverträglichkeit. Und ebensowenig würde uns die Unterscheid 
düng einfacher Unverträglichkeiten von zusammengesetzten, die sich 
mit der erstgenannten übrigens sachlich decken würde, nützen. 
Wir wollen ja doch wissen, ob es ein Kennzeichen gibt, das uns eine 
Soseinsgruppe als aus einer unentwickelten Setzung entwickelbar er* 
scheinen läßt. »Einfachheit« und »Zusammengesetztheit« der Unver* 
träglichkeit ist ein solches Kennzeichen jedenfalls nicht. 
Unter einfachen Unverträglichkeiten nämlich kann Ich diejenige 
der Farben — natürlich als »Farben« — nicht, diejenige der Zahlen 
dagegen sehr wohl »verstehen«, und daß die Wissenschaft viele Fälle 
von Soseinsbesonderheit, welche auf besonderem Merkmalsfceieinander 
^ Der »Begriff« im engeren Sinne (s. S. 43), als das Allgemeine, wird zum Natur* 
begriff, zum »konkreten Allgemeinen«. Die Ordnungslehre hat hier nichts weiter zu 
sagen, vielleicht aber hätte es eine Metaphysik. 
189 
ruht, damit also auch viele Fälle von zusammengesetzter Unverträg* 
lichkeit »verstehen«, das heißt zu einem auf Räumlichkeitsbeziehungen 
gegründeten rein »rationalen« Gefüge verarbeiten kann, wissen wir 
schon. Das Beieinander der »Konstanten« in den Stoffarten und auch 
die möglichen Arten dieses Beieinander kann sie durch eine Lehre von 
der »Materie« ganz oder angenähert begreifen. Die Setzung »dieser 
Urstoff« oder »diese Urstoffe« — in das »diese« gewisse Urmerkmale 
eingeschlossen gedacht — genügt ihr also, neben dem BegriflFe des 
»Gleichgewichts im Räume«, um alle Stoffarten aus ihr zu »entwik* 
kein«. Aber mit Rücksicht auf die besonderen Formen der Himmels^ 
körper geht das nun schon nicht an — sie pflegen meist als »zufällig« 
zu gelten, also als nichtfragefähig abgestoßen zu werden. Da also ver^ 
sagt das Verstehen gerade in bezug auf Zusammengesetztes. Es ver:« 
sagt auch mit Rücksicht auf die Formen alles Lebendigen — einschließ* 
lieh seines »Seelenlebens«. Da sind ganz bestimmte zusammengesetzte 
Verträglichkeiten und Unverträglichkeiten. Da es nun hier nicht an* 
geht, wie später zu zeigen ist, alles unverstandene Beieinander einfach 
als »zufällig« abzustoßen, so bleibt hier die Aufgabe, eine unent* 
wickelte Obersetzung zu suchen, als zunächst ungelöst bestehen^. 
Ganz allgemein also müssen wir sagen, daß wir einfache L^nverträg* 
lichkeit im Zahlengebiet, zusammengesetzte Unverträglichkeit im Ge* 
biet reiner »Geometrie« verstehen, daß wir aber eigentlich nicht ein* 
sehen, weshalb wir andere Arten des Unverträglichen, seien sie ein* 
fach oder zusammengesetzt, nicht verstehen. 
10. DIE KAUSALITÄT 
a) GRUNDLEGENDES 
Die dritte, bedeutsamste Ersatzleistung für das unerfüllbare ord* 
nungsmonistische Ideal ist die Setzung Kausalität oder das Set* 
zungspaar Ursache ^Wirkung. 
Ich schaue, daß Kausalität eine das Naturwirkliche durchdringende, 
eine durch die Gesamtheit der Naturwirkliches meinenden Jetzt*Hier* 
* Es fehlt also zurzeit an einer »rationellen biologischen Systematik« ; aber doch, so 
scheint uns, dürfen wir eine solche von der Zukunft erhoffen (Phil. d. Org., IL Aufl., 
S. 246 ff.). Die große Bedeutung »rationeller Systeme« habe ich bereits vor nunmehr 
29 Jahren betont (»Die Biologie als selbständige Grundwissenschaft«, 1893, II. Aufl. 
1911). In der neueren Literatur finde ich nur bei H. Pichler eine entsprechende 
Würdigung dieses Problems (»Die Erkennbarkeit der Gegenstände«, 1909, und 
»Über Chr. Wulffs ontologie« 1910). 
190 
So^Data erfüllte Ordnungsform ist, welche eben erfüllt wird durch 
diese Daten, insofern sie Naturwirkliches meinen, also eigentlich nicht 
durch das Meinende, sondern durch das Gemeinte. 
Schon Systematik war ein Gefüge von Beziehungen, ebenso wie 
Kausalität das Naturwirkliche zu einem Gefüge von Beziehungen macht. 
Aber im Rahmen aller Systematik bestanden die Beziehungen, um die 
es sich handelt, doch im Grunde zwischen den meinenden Setzungen; 
DIESE erlaubten den Stufenbau der Soseinsgruppen. Nicht bezog sich 
hier im Rahmen des mittelbar Wirklichen als solchen das Eine auf das 
Andere, mochte auch gesagt sein, das mittelbar Wirkliche in seiner 
gleichsam bestehenden Selbständigkeit sei eben selbst ein solches ge** 
wesen, daß es jene Beziehlichkeiten zwischen den meinenden Setzun* 
gen gestattet. 
Kausalität gibt es im Rahmen des Werdens, und mit dem Begriff 
Werden ist ja der Begriff Na^ur zusammen erstanden. Wir steigen also 
hier in gewissem Sinne ins »Innere« der Natur hinab. 
Als in der Zeit beharrliches ein Naturding fassen hieß den Identitäts** 
satz gleichsam ins Reich des Mittelbaren hinauswerfen. Auf die Frage, 
was Kausalität eigentlich heißt, lautet die Antwort, daß in ihm auch ein 
Begriff der Urlogik sozusagen hinausgeworfen wird, daß er also, besser, 
etwas in bezug auf ihn, »gemeint« wird. Der Begriff des Mitsetzens, 
der LOGISCHEN Konsequenz ist es, dem das hier geschieht. Aber nicht 
er selbst wird hinausgeworfen in einen neuen Seinskreis, sondern, wie 
wir es sagten, »etwas in bezug auf ihn«. Denn Kausalität und Konse«» 
quenz sind nicht dasselbe ^ 
Man mag Kausalität eine Funktion des Konsequenzbegriffs nennen, 
übrigens auch Beharrlichkeit eine Funktion des Identitätsbegriffs; beide 
sind aber auch »Funktionen« des Begriffes Werden. 
Eine Veränderung, sei sie, wie sie sei, das heißt ein Anderssein eines 
Dasselbigen in Zuordnung zur stetigen Zeit kausal fassen heißt näm* 
lieh es so fassen, als ob es von einem/rü/ieren Werden mitgesetzt wurde 
und selbst ein späteres Werden mitsetzte. Freilich soll das Wort »als 
ob« hier wieder durchaus nicht etwa im Sinne Vaihingers verstanden 
werden, als handle es sich um eine von einem »Subjekte« ersonnene 
und gleichsam probierte »Fiktion«, sondern es soll dieses besagen; was 
ich da an Beziehlichkeit im Natur wirklichen schaue, ist Etwas, das als 
Setzung eine gewisse allgemeine schon in der Urlogik geschaute Be# 
^ In diesem Zusammenhang denke man an Kants Worte: »Der Satz des Widerspruchs 
treibt keinen Gegenstand zurück«. 
191 
ziehlichkeit, nämlich »mitsetzen«, mitsetzt. Als durchaus gegenständ* 
lieh geschaut gilt uns also Kausalität 
Aus Grund und Folge wird so naturlogisch Ursache oder Werde= 
grund und Wirkung oder Werdefolge. Das Ganze mag auch Werden 
folgeverknüpfung heißen. 
Liegt im KausalbegriflF das Verhältnis mitsetzen verborgen, so sind 
also die Urteile, welche dem Kausalverhältnisse Ausdruck geben in 
GEWISSER Hinsicht, nämlich insofern sie diesem Verhältnis Ausdruck 
geben, ANALYTISCHE Urteile^; sie »wollen« das wenigstens sein, sie gel* 
ten nicht als ganz endgültig, wenn sie es nicht sind. Aber doch nur 
eben, insofern in Kausalität der Konsequenzbegriff darinnen liegt, sind 
oder wollen Kausalurteile analytische Sätze sein. Dass im Werden das 
Verhältnis der Folgeverknüpftheit überhaupt gelegen ist, kann nicht 
durch Etwas anderes mitgesetzt, sondern kann nur geschaut werden ; 
und ebenso läßt sich nur schauen, welches Sosein im Rahmen des 
Werdens denn nun anderes Werdesosein mitsetzt oder von ihm mit* 
gesetzt wird. 
Das Bestehen der allgemeinen Ordnungsform Kausalität also wird 
geschaut; ist sie geschaut, so liegt in ihr die Möglichkeit zu analytischen 
Urteilen; aber diese Urteile haben selbst wieder einen auf das Sosein 
des Mitsetzenden und Mitgesetzten gehenden bloß schaubaren Be* 
standteil. Das letzte gilt sogar schon für die allereinfachsten »mecha* 
nischen« Kausalformen, z. B. den Stoß, wie sich zeigen wird. 
b) KAUSÄLE GESETZE 
Kausalität sagt, daß jedes Werden durch anderes Werden zu und 
in seinem Werden bestimmt ist. Aber nicht etwa wird erst durch 
den Kausalbegriff die Bestimmtheit alles Einzelnen selbst gesetzt. Sie 
war ja als Erstes in Natur gesetzt^; und sie wäre auch gewährleistet, 
würde das ordnungsmonistische Ideal als erfüllt geschaut. Nur um 
eine andere Form der Bestimmtheit des Einzelnen würde es sich da 
^ Vgl. schon meine Schrift Naturbegriffe und Naturuvteile 1904, S. 206 fif.; ferner 
BÜTSCHLI, Annal. d. Naturphil. 3. u. 4.; H. Pichler, Über Chr. Wolffs ontologie; 
Spir, Denken und Wirklichkeit, E. Meyerson, Idenfite et Realite (1908). Dühring 
(Logik, S. 2, 195), RiEHL (Phil. Kritiz. III, S. 322 f.), Wundt (Syst. d. Phil, S. 302) 
denken wohl nur an :omechanische<K Kausalität. Man könnte den analytischen Be^: 
standteil der Kausalurteile ihre »rationale« Seite nennen, wenn man das Mitsetzen, 
(das »Schließen«) als besonderen Wesenszug der »Vernunft« ansehen will. Wir selbst 
freilich möchten, wenn überhaupt etwas, lieber das Ganzheitsbezogene das »rational« 
Erfaßte nennen. Denn »Ratio« will als Höchstes Ganzheit. * s. o. S. 168. 
192 
handeln, nämlich um eine Bestimmtheit durch »das Ganze«, während 
kausal, wie gesagt wurde. Einzelnes durch Einzelnes bestimmt wird. 
Der Kausalitätsbegriff, d. h. also der Begriff des Wirkens, des »durch 
Werden Werden Bestimmens« bliebe sinnvoll und wäre etwas anderes 
als der Begriff »Werden« schlechthin, auch wenn jedes Ursache = Wirs 
/cung--Paar nur einmal da wäre; ja, mit Rücksicht auf das letzte Be^ 
sondere, die haecce'itas, ist es wohl sogar nur jeweils einmal da^, ebenso 
wie jedes einzelne Sosein der Natur, jeder Hund, jede Eiche, jeder 
Fall, nur einmal da war (vielleicht mit Ausnahme der Atome). 
Es ist nun aber einmal so, daß einer gewissen Stufe der Allgemeins« 
heit nach die Kausalverknüpfungen der Natur, ganz ebenso wie die 
Verknüpfungen des Beu und des schlichten Nacheinander, Klassen 
mit vielen Fällen darstellen. 
Kausalverkettungen, welche klassenhaft verwirklicht sind, 
HEISSEN Naturgesetze im engeren Sinne. 
Wenn ein Kausalgesetz als Klasse auftritt, so ergibt sich, weil die 
Ursache ja die Wirkung mitsetzt, daß eine Ursache A setzen auch die 
Wirkung B setzen heißt. Das ist der Sinn des Wortes »Gleiche Ur^ 
Sachen, gleiche Wirkungen«. 
Natürlich gelten für die Gültigkeit der kausalen Gesetze die von 
Hume und MiLL stammenden Vorbehalte für Gesetzesgültigkeit über^ 
haupt in ganzer Strenge. — 
Die Wissenschaft formt die Kausalgesetze des täglichen Lebens, wie 
»Dem Blitz folgt der Donner«, »Der Verwundung folgt die Heilung«, 
»Der Auflösung folgt die Abkühlung (oder auch Erwärmung!)«, zu 
endgültigen Kausalgesetzen um, d. h. zu Gesetzen, welche ein Maximum 
des propter, des »Mitsetzens«, im post enthalten, was jedesmal im Ein* 
zelnen festzustellen sein wird. Aber auch die alltäglichen Kausalgesetze 
SIND Kausalgesetze, wenn ihre Aussagen ausdrücklich dem Begriff der 
Ursächlichkeit unterstellt sind, mag sich das, wie beim Donner^Blitz* 
Beispiel später sogar als falsch erweisen. 
Die Wissenschaft bedient sich zur Feststellung endgültiger Kausalst 
gesetze — (wir reden hier der Bequemlichkeit halber psychologisch) — 
des Experimentes, d. h. der bewußten Isolierung, Stärkebestimmung 
|und Umgruppierung aller in Frage stehenden Naturletztheiten. Was 
letzten Sinne also als Klasse von Kausalverkettung gelten darf, 
ird so ermittelt. Gerade hier gewinnen Bacos und Mills sogenannte 
>Induktions«^regeln ihre Bedeutung. Die vollendetsten endgültigen 
Und zwar überall im Naturwirklichen, nicht etwa nur im »Historischen«. 
13 Driesch, Ordnungslehre 1-/J 
Kausalgesetze sind die zahlenmäßig (»quantitativ«) geformten. Der 
Unterschied von »Gesetz« und »Regel« ist flüssig. — 
Naturgesetze werden unmittelbar gehabt in Form von Beziehlich* 
keiten (»Urteilen«) zwischen Setzungen (»Begriffe«). Aber diese Bes» 
ziehlichkeiten »meinen« eben Beziehlichkeiten zwischen mittelbar 
Gegenständlichem. Nicht also »wirken« da in der Natur »Begriffe«, 
sondern durch Begriffe Gemeintes »wirkt« oder hat das »Vermögen« 
zu wirken, wie sich im Einzelnen zeigen wird. Naturbegriffe und 
Natururteile also sind nicht Natursach verhalte, Naturdinge, Natura« 
»faktoren«, sondern meinen sie. 
c) KÄUSÄLITÄTSSCHEMATIK 
Wir gehen über zu einer für alle Kausalität gültigen allgemeinen 
Zergliederung des Begriffs der Ursächlichkeit überhaupt. Es 
gilt hier vornehmlich, gewisse Worte in eindeutiger Sinngebung fest:* 
zulegen. Das erleichtert wesentlich die spätere Behandlung der ein^* 
zelnen Formen von Kausalität. 
Wir fassen dabei den Begriff »Kausalität« noch sozusagen halb 
populär, wir gehen noch durchaus nicht aufs Letzte. »Eine Verände* 
rung«, d. h. ein Geschehen, das ausdrücklich als »eine Veränderung« 
gesetzt ist, mag es in sich zusammengesetzt sein, liege vor. Wie kann 
diese Veränderung als »Wirkung« zustande gekommen sein? Wie soll 
das alles heissen, was an ihrem Zustandekommen beteiligt gewesen 
sein kann? 
Vollursache heiße die Gesamtheit aller ein Ding oder eine Ding* 
gesamtheit (ein »System«) betreffenden Zuständlichkeiten und Ge* 
schehnisse, welche erfüllt sein müssen, auf daß die W^zV/cung- geschehe. 
Zuständlichkeiten heißen hier relativ beharrliche Soseinsseiten des 
Dinges oder Systems. So ist z. B. die Vollursache für die Entwicklung 
des Eies eines Seetieres : sein Gereiftsein, seine Befruchtung oder ihr 
Ersatz, ein gewisses Minimum von Sauerstoff und Temperatur, richtige 
Salinität des Mediums, die Potenz des Eies; alles zusammen. Der Be* 
griff der Vollursache wird, in bestimmter Form, wichtig werden für 
den Satz von der Erhaltung der Energie. 
Ursache engsten Sinnes heißt das letzte aller in der Vollursache ein*» 
begriffenen Geschehnisse, nach dessen Eintritt die Wirkung als Ge* 
schehnis gezeitigt wird. In unserem Beispiel kann Befruchtung, aber 
auch, bei schon befruchtetem Ei, Herstellung des richtigen Sauerstoff* 
oder Wärmequantums oder der richtigen Salinität als Geschehnis be«» 
194 
trachtet Ursache engsten Sinnes sein. Nur die Potenz des Eies kann 
es nicht. Die Ursache engsten Sinnes ist insofern die »Ursache« im 
allerbedeutungsvollsten Sinne des Wortes, — als sie ja eben ein Wev= 
den ist, auf welches anderes Werden unmittelbar folgt; in ihr allein 
tritt ganz klar zutage, daß Kausalität Veränderung mit Veränderung 
verknüpft, nicht etwa Veränderung mit Zuständlichkeit oder doch 
sicherlich nicht allein mit ihr. Denn daß allerdings auch Zustände im 
Rahmen der Kausallehre eine Rolle spielen, wissen wir schon aus der 
Definition der Vollursache und werden wir sogleich noch im Einzel:« 
nen erwägen. Andererseits ist nun aber das Verhältnis von Ursache 
engsten Sinnes zu Wirkung deshalb sehr oft nicht das letzte Wort über 
Kausalität überhaupt, weil sehr oft (und bei allen »Auslösungen« ganz 
besonders scharf), in diesem Verhältnis allein die- Beziehung des Mit= 
Setzens nicht in Reinheit erfaßt wird. Kennt man auf irgendeinem 
Gebiete nur Ursache engsten Sinnes und Wirkung und schaut man 
im Verhältnis beider zu einander die Mitsetzungsbeziehung noch nicht, 
so ist so lange nach weiteren Bestandteilen einer Vollursache zu suchen, 
bis echtes Mitsetzen im Werden geschaut wird. Wohl nur beim Stoss 
erfüllt eine Ursache engsten Sinnes die Erfordernisse der Schau des 
Mitsetzens ohne weiteres. 
Bedingungen heißen alle für das Eintreten der Wirkung notwen»» 
digen Umstände zustandhafter Art. Wenn diese Umstände selbst 
die Ergebnisse früherer Veränderungen, also früherer Ursachen sind, so 
können diese früheren Ursachen Teilursachen mit Rücksicht auf die 
in Rede stehende, der Ursache engsten Sinnes unmittelbar folgende 
Wirkung heißen^: gewisse Bedingungen sind dann also selbst »ver^« 
ursacht«. Daraus ergibt sich die Einteilung der Bedingungen in: 
Verursachte und beharrliche Bedingungen, wobei aber nicht zu ver^« 
gessen ist, das auch verursachte Bedingungen, weil sie ja »Zustände« 
sind, relativ beharrlich sind. Als durchaus beharrliche Bedingung gilt 
in unserem Beispiel nur die Potenz des Eies. 
Die Ursache strengen Sinnes ist Auslösung oder Reiz, wenn das 
Quantum der Wirkung größer ist als ihr Quantum ^ mag im übrigen 
ihr Quantum das Quantum der Wirkung (proportional oder nicht 
proportional) mitbestimmen oder ganz gleichgültig für das Quantum 
der Wirkung sein ; hier könnte man weiter einteilen. 
* Die Ursache engsten Sinnes ist also auch »Teilursache«. Denkbar ist auch der 
Fall, daß es mehrere gleichzeitige »Ursachen engsten Sinnes« gibt. Man kann also 
von successiven und simultanen Teilursachen reden. ^ Was das heißt, wird später 
erörtert. 
.3- 195 
Sowohl die Ursache strengsten Sinnes wie jede einzelne Bedingung 
kann sein: 
soseinswesentlich oder soseinsunwesentlich, 
ortswesentlich oder ortsunwesentlich, 
d. h. sie kann Sosein und Ort der Wirkung allein bestimmen, mit^ 
bestimmen oder gar nicht bestimmen. 
Die Gesamtheit der Bedingungen (= Vollursache minus Ursache eng= 
sten Sinnes) muß die Empfangsjahigkeit für die Ursache engsten Sinnes 
in sich begreifen ; daß ein mechanisches System gestoßen werden, ein 
chemisches erwärmt werden, ein biologisches befruchtet werden kann, 
gehört z. B. hierher. 
Gleichgewicht heiße jeder nur relativ beharrliche Zustand des 
Systems. Das Gleichgewicht hat nicht als ein Nicht^^geschehen, son* 
dern als das Sichaufheben zweier (im weitesten Sinne des Wortes) 
entgegengesetzt gerichteter Geschehnisse zu gelten: eine auf beiden 
Seiten gleich belastete Wage ist im Gleichgewicht, aber auch ein fer^ 
tiger Organismus (das formende Agens wird hier in seiner Tätigkeit 
durch das Dasein des Geleisteten gehemmt). 
Für Naturwissenschaft, Geschichte, Medizin und Jurisprudenz ist 
eine klare Schematik des Kausalitätsbegriffs gleichermaßen von hoch* 
ster Wichtigkeit. Sie drückt aus, was alles als im Wesen von Kausalität 
gegründet geschaut wird. 
»Kausalität« als Setzung ist nämlich Beziehlichkeitsträger beson* 
derer Form, ebenso wie Reihe, Zahl, Neben Beziehlichkeitsträger be# 
sonderer Form waren. Schaue ich ihre Bedeutung, so schaue ich die 
Besonderheiten der von ihr getragenen Beziehungen mit. 
Ja, auch der Begriff Kausalität ermöglicht, ganz ebenso wie die an* 
deren soeben genannten Begriffe, geradezu dieses: Wenn ich ins 
tiefste seines Wesens schaue und zugleich beachte, was das ist: Natur, 
für die er gelten soll, dann vermag ich zugleich antezipierte Schemata 
aller möglichen Sonderformen von Kausalität aufzustellen. Aus diesen 
Schematen und aus der Frage nach ihrem Erfülltsein durch das Ge= 
gehene erwachsen der Ordnungslehre ihre reichsten und höchsten 
Aufgaben. 
Davon wird sogleich die Rede sein. An dieser Stelle legen wir aber 
noch einmal fest die Einsicht, daß die Reihe des Werdens, also das 
Verknüpftsein von Werden mit Werden der Kausalität eigentlichstesj 
Feld ist. Bei der Ursache strengsten Sinnes war das ohne weiteres ganj 
klar, aber auch für alle diejenigen bedingungshaften Zustände, welch< 
196 
verursachte Bedingungen sind, gilt es; denn solche Zustände sind 
Gleichgewichte, Gleichgewichte aber sind Werdensgesamtheiten. Nur 
für gewisse echt »konstante« Bedingungen gilt es nicht; aber die sind 
auch niemals die Bestimmer von Werden als Werden, sondern die 
Bestimmer vom Sosein des Werdens, wenn das Werden aus anderen 
Quellen mitgesetzt, d. h. verursacht ist. 
11. DIE URFORMEN DES NATUR.W^ERDENS 
Wir treten also jetzt in die Untersuchung der wichtigen Frage 
ein, welche Urformen das Werden des Naturwirklichen zeigen 
könne, und wie die Logik jeder dieser Formen im Einzelnen bei^ 
zukommen imstande sei. Wir suchen also die möglichen Urformen des 
Werdens, das soll heißen, diejenigen Formen, welche sich ohne Wider *» 
Sprüche denken lassen, wenn wir uns dessen erinnern, was die Worte 
Werden, Natur, Kausalität eigentlich bedeuten sollen^. 
a) DER BEGRIFF ^EIN WERDEN<k 
Alles Wissen um Natur geht, wie wir gezeigt haben, zurück auf 
Setzungen von der Form Jetzt=Hier=Solches mit dem Kreis* 
zeichen »naturwirkliches meinend«. Natur kann geradezu definiert 
werden als Beziehungsgefüge mit Jetzt s Hier = So sGueuern; diese 
Definition deckt alles in ihr. 
Werden oder Veränderung hieß uns das Anderssein eines in be* 
stimmter Hinsicht Beharrlichen in Zuordnung zur stetigen Zeit. 
Da nun Natur in jedem Zeitpunkt eine ff ier=5o= Gesamtheit ist, so 
liegt jedes Werden, wie klar ist, zwischen zwei zeitlich bestimmten 
Naturzuständen von der Form ff ier-5o. Jedes Naturwerden, welches 
überhaupt unmittelbar GEWUSST WERDEN KANN, ist also cingeschlossen 
von zwei RAUMesdaten oder zwei Zusammensetzungen von Raumes«» 
* Die strengen »Okkasionalisten«, zumal Malebranche, kennen kein Werden, son? 
dern nur ein Schaffen. Bei Malebranche bezieht sich der »Okkasionalismus« nicht 
etwa nur auf das Verhältnis zwischen Seele und Leib ; man sehe sich folgende Stelle 
an : »Un corps n'en peut mouvoir un autre sans lui communiquer de sa force mou* 
vante. Or la force mouvante d'un corps mü n'est que la volonte du Createur qui la 
conserve successivement en differents lieux. Ce n'est point une qualite qui appars 
tienne ä ce corps«; (Entretiens sur la metaph. VII § 10; Oeuvres, ed. J. Simon, Paris 
1871 I, S. 159). - Auch B. Russell (Princ. of Math. I. Part VII) kennt ein Werden 
gleichsam als Zustand nicht, sondern nur als ein Gesetz der Zuordnung zur Zeit. 
Naturgegebenheit läßt sich also auch ohne den Werdebegriff formen ; aber es ist 
sparsamer ihn zu benutzen. 
197 
daten, denn das »Hier« ging ja in die Kennzeichnung der Zustände, 
welche Werden eingrenzen, ein. 
Werden kausal fassen heißt: es fassen, als ob späteres Werden frühem 
ren Werdens Folge, früheres Werden späteren Werdens Grund wäre. 
Jeweils ein Werden steht nun mit Rücksicht auf seine kausale Ver* 
knüpftheit zur Untersuchung; dieses aber ist, wie gezeigt wurde, von 
zwei naturhaften i^aumeszuständen eingegrenzt. Nach Massgabe der 
Verschiedenheit dieser RaumeszvsTÄNUE ist also das Werden, wel»» 
CHES als Folge FRÜHEREN WeRDENS GEFASST WERDEN SOLL, IN SEINEM 
Wesen gekennzeichnet und nach Maßgabe ihrer muß auch die Ur* 
Sache oder der »Werde^^grund« gekennzeichnet sein. 
Es ist SEHR bedeutsam, sich klar bewußt zu bleiben, daß ein Werden 
bei aller Kausalerforschung ursprünglich zur Untersuchung steht. Wir 
SUCHEN, psychologisch gesprochen, seinen Werde*=»grund«, nicht haben 
wir ihn ohne weiteres in einem »früheren« ebenfalls von zwei Raumes* 
zuständen eingegrenzten Werden, nicht also haben wir ursprünglich 
zwei Werden als gegebene. 
Worin das eine Werden, welches zur Untersuchung steht, besteht, 
ist zunächst ganz gleichgültig; nur die beiden es eingrenzenden 
Raumeszustände kennzeichnen es; es ist auch gleichgültig, welchen 
»Zeitraum« es einnimmt. 
Gerade an dieser Stelle erscheint es nun passend, über das Werden 
als solches, das also jetzt ein Natur* Werden bedeutet, noch einiges 
beizubringen. 
Zwei raumhafte Naturzustände grenzen es ein, und sie können wir 
ohne weiteres fassen mit 5o=Hzer=Setzungen, welche bestimmte 
Naturbesonderheiten »bedeuten«. Von den beiden Zuständen ist der 
eine anders als der andere, bezieht sich aber doch, gleichgültig in wel* 
eher Form, auf ein gewisses dasselbe bleibendes Natursolche. 
Muß nun hier nicht die bedenkliche Frage auftreten: Fassen wir 
denn mit dem allen eigentlich das Werden als solches, d. h. als etwas 
vom bloßen Anderssem in zeitlichem Abstände Verschiedenes? Ist 
unser »Werden« nicht eigentlich nur ein leeres »Zwischen« und gar 
nichts weiter? 
Die Antwort auf diese Frage muß nun, so scheint uns, in der Tat 
dahin lauten, daß allerdings unser »Werden« nur ein leeres »Zwischen« 
sei, aber denn doch ein »Zwischen«, das für die Aussage eines ganzen 
langen Satzes steht, nämlich des Satzes: »ein mit Beziehung auf ge* 
wisses Sosein immer dasselbe Naturwirkliche ist mit Beziehung auf 
198 
gewisses anderes Sosein zwischen Zeitpunkt A und Zeitpunkt B in 
Zuordnung zur stetigen Zeit stetig ein anderes«; nur den Inhalt dieses 
Satzes soll allerdings unser »Werden« zum Ausdruck bringen, aber 
diesen Inhalt in seiner Vollständigkeit 
Wohl weiß ich, daß durch solche Wendung, die ja eigentlich das 
Werden gar nicht als echte »Setzung« erscheinen läßt, fest eingewurzelte 
Gewohnheiten der praktischen Alltäglichkeit verletzt werden. Aber 
um diese Gewohnheiten kann sich die Ordnungslehre eben so wenig 
bekümmern, wie um Gewohnheiten in Sachen des »Stetigen«. Wir 
können ja doch eben Stetigkeit nicht in Unmittelbarkeit fassen. Werden 
aber ist eine Art vom Stetigen. 
b) VOM URGRUNDSATZ DER LEHRE VOM NATURWERDEN 
Richten wir, klaren Ausdrucks halber, den Blick von j etzt ab auf einen 
räumlich begrenzten Ausschnitt aus dem Natur wirklichen. Wo* 
von wir ausgehen müssen, das sind also zwei seiner erlebten Raumes* 
Zustände, durch Werden verbunden. Wir nennen sie Zustand II zur 
Zeit tg und Zustand III zur Zeit tg, das Werden im Zeitabschnitte t^ 
bis tg wollen wir das »zweite Werden« nennen. Das also, ein »zweites 
Werden, ist unser Ausgang. Zu ihm suchen wir ein »erstes Werden«, 
das uns auf einen Zeitpunkt t^ zurückführen wird; — ob wir auch auf 
einen erlebbaren »Zustand I«, d. h. einen RAUMES*Zustand werden 
zurückgehen können? Das werden wir sehen. 
Die Zeiten t^ bis tg und tg bis tg mögen bei allen Betrachtungen zu* 
nächst als endlich und als von ganz beliebiger Größe gelten. 
Wir wollen also das zweite zwischen zwei unmittelbar erlebten 
Neben*Zuständen liegende Werden unseres Ausschnittes mit einem 
noch unbestimmten früheren Werden setzungssparsam verknüpfen und 
zwar derart, daß das zweite Werden aus dem ersten nach Möglichkeit 
als wahrhaft mitgesetzt, also teilweis*»selbig, folgt, in der festgelegten 
Bedeutung des Wortes; zugleich suchen wir ein im Werden beharr* 
LiCH Bleibendes. 
Wir haben früher^ die Begriffe Mannigfaltigkeit und Mannig* 
FALTiGKEiTSGRAD umgrenzt. Mannigfaltigkeit besitzt eine Setzung, inso* 
fern sie in ihrem Sosein durch eine bestimmte Anzahl von Letzt*Solch* 
heits^SetzungenundLetzt*Beziehungen gekennzeichnetist; ihr Mannig* 
faltigkeitsgrad ist um so höher, je mehr verschiedene Begriffe zur Kenn* 
Zeichnung ihrer Mannigfaltigkeit notwendig sind. 
» s.S. 135ff. ~~~ 
199 
Unschwer lassen sich die Begriffe »Mannigfaltigkeit« und ihr »Grad« 
auf gemeintes Naturwirkliche beziehen. Das Sosein jedes Zustandes 
unseres Naturwirklichkeitsausschnittes hat dann also einen bestimmten 
Mannigfaltigkeitsgrad. Den Zustand III unseres Ausschnittes auf sei* 
nen Zustand II überhaupt beziehen, was zu tun offenbar unsere erste 
Aufgabe ist, heißt beider Zustände Mannigfaltigkeitsgrad vergleichen. 
Ergibt diese Vergleichung, daß der Mannigfaltigkeitsgrad beider 
Raumes^Zustände gleich ist, und läßt sich ohne weiteres ein noch 
früherer Raumess^Zustand I von gleichem Grad der Mannigfaltigkeit 
an unserem Ausschnitte auffinden, so liegt alles einfach. 
Ganz anders, wenn Zustand III von höherem Mannigfaltigkeitsgrad 
ist als Zustand II, wenn also das »zweite Werden« den Mannigfaltig* 
keitsgrad in unserem Ausschnitt erhöhte. Dann schauen wir gleichsam 
fordernd, es müsse diese Erhöhung des Grades der Mannigfaltigkeit 
sich auf irgend eine Mannigfaltigkeit »außerhalb« des Ausschnittes im 
Werdelaufe beziehen lassen, wobei das Wort »außerhalb« einen ganz 
unbestimmten, sehr allgemeinen Sinn haben soll. 
Es stört uns also durchaus nicht, daß die Mannigfaltigkeit von Zu* 
stand III unseres Ausschnittes nicht der Mannigfaltigkeit des Zustan* 
des II desselben Ausschnittes erschöpfend zugeordnet werden kann. Wir 
fordern nur eben zugunsten unseres Verstehenkönnens der Sachlage, 
die Erhaltung von Mannigfaltigkeitsgrad überhaupt, jedenfalls ihre 
Nicht=Erhöhung, in irgend einer Form, mag auch das Beziehen in die 
Vergangenheit sich auf Mannigfaltigkeiten oder Mannigfaltigkeits* 
bestandteile erstrecken, welche — wie gesagt, im aller allgemeinsten 
Sinne des Wortes — »außerhalb« des Ausschnittes, dessen Zustand* 
lichkeiten wir untersuchen, gelegen sind. Jedenfalls liegt in der Mög* 
lichkeit eindeutigen Aufeinanderbezogenwerdens zeitlich einander 
folgender Werdezu stände ihrem Mannigfaltigkeitsgrade nach die un* 
erläßliche Voraussetzung dafür, daß ein früheres Werden das spätere 
gleichsam mitsetzt. Denn im Bereiche des rein Ordnungsmäßigen kann 
nie das Inhaltärmere das Inhaltreichere echt mitsetzen, kann das 
Reichere nie aus dem Ärmeren »folgen«. Und Werdeverknüpfung 
soll eine »Analogie« zum Folgen sein. 
Mannigfaltigkeitsgrad kann sich im Werden nicht von selbst er= 
höhen — das also ist die erste und allgemeinste Forderung der Lehre 
vom Werden und seinen Artend Dieser Satz ist der Schlüssel der 
GESAMTEN BESONDEREN KAUSALITÄTSLEHRE. 
* Der in der theoretischen Biologie übliche Begriff der »Epigenesis« — wenigstens 
200 
Bis jetzt haben wir, wie wir ja ankündigten, nur von der Mannig* 
faltigkeit von Zuständen im Werden und von einer Forderung über 
ihr Bezogenwerden gesprochen, wir haben aber nicht eigentUch ein 
zweites Werden als solches mit einem ersten Werden zeitlich nach 
rückwärts folgeverknüpft, auch nicht ein zweites Werden auf ein 
drittes nach vorwärts bezogen. Ja, wir haben sogar die Zeitläufe zwi** 
sehen unsern Zuständen I, II und III zwar endlich, aber ganz beliebig 
sein gelassen und haben nur ganz unbestimmt vom ersten und zweiten, 
als zwischen jenen Zuständlichkeiten liegendem Werden geredet. Es 
sollte zunächst nur überhaupt Mannigfaltigkeitsgrad auf Mannigfaltig!« 
keitsgrad eindeutig bezogen werden und zwar mit Rücksicht auf Zu«* 
stände. 
Wir haben also bisher nur vom Werden als der Verbindung zweier 
Zustände, aber noch gar nicht von Verknüpfung des Werdens mit 
Werden geredet. 
Noch einmal betonen wir die Bedeutsamkeit gerade dieses unseres 
Ausganges. Es ist der einzig unbefangene Ausgang der Lehre vom 
Werden, denn er setzt nichts als das unmittelbar Gehabte — nämlich 
das Anderssein des Hiers=So in Zuordnung zu verschiedenem Jetzt — 
und die Bedeutung des Begriffs Werden voraus, alles bezogen auf 
Natur. 
Man wird unser Vorgehen vielleicht tadeln und sagen, daß doch 
von vornherein ein Werden d. h. eine Veränderung eines Dinges im 
Räume auf ein Werden d. h. auf eine andere Veränderung eines Dinges 
im Räume, wie sie etwa im sogenannten Stoße vorliegt, hätte bezogen, 
eindeutig bezogen werden müssen. Es sollen doch, sagt man uns, gar 
nicht Zustände des Gegebenen, sondern Veränderungen des Ge*» 
gebenen auf einander bezogen, mit einander verknüpft werden. 
Das stimmt nun zwar, aber doch nur für eine ganz bestimmte Form 
des Werdens, die wir alsbald festlegen werden; es stimmt aber nicht 
für Werden überhaupt in der Fülle seiner Möglichkeiten, von denen 
wir jetzt reden. 
Gewiß, Werden soll mit Werden verknüpft erscheinen, das ist das 
letzte Ziel. Aber ausgehen muß die Lehre vom Werden doch immer 
von der erlebten räumlichen Zuständlichkeit als solcher; sie ist das Ge= 
gebene; ihre Änderung zwischen zwei Zeitpunkten, also das Werden 
als solches, ist die erste zu behandelnde, leider arg vernachlässigte Auf»« 
hvenn er Strenges bedeuten soll — fehlt gegen diesen Grundsatz und ist daher ein 
[logisches Unding. 
201 
gäbe. Diese Änderung als Beziehung zwischen zwei Zuständen von 
jeweils bestimmtem Mannigfaltigkeitsgrad soll dann weiter verknüpft 
werden, und zwar nach rückwärts mit Rücksicht auf das, was hat da«« 
sein müssen an Werden, um sie in Eindeutigkeit werden zu lassen, 
nach vorwärts mit Rücksicht auf das, was sie in Eindeutigkeit werden 
lassen kann. Wie aber ein vorhandenes Werden im Raum, d. h. eine 
tatsächliche räumliche Zustandsänderung, nach rückwärts eindeutig 
verknüpft werden könne, darüber ist noch gar nichts ausgemacht durch 
den Nachweis, daß das, was verknüpft werden soll, sich als Änderung 
räumlicher Zuständlichkeit darstellt. Wir haben nur die Änderung 
räumlicher Zuständlichkeit zwischen den Zeitpunkten tg und t^ ; wir 
nennen sie Werden ; wir suchen ein Werden, auf das sie eindeutig 
rückbeziehbar ist; ob dieses Werden, das uns bis zur Zeit t^ zurück«« 
geführt, sich ohne weiteres wieder als räumlich gegebene Veränderung 
darstellt, das wissen wir aber noch ganz und gar nicht. Wir schauen 
nur, daß jede Erhöhung des Grades der Mannigfaltigkeit eines Natur*» 
ausschnittes im Werden nicht von selbst, d. h. unbezogen auf frühere 
»irgendwo« befindliche Werdemannigfaltigkeit, statthaben kann. 
Mit Rücksicht auf WERDEverknüpfung, d. h. auf »Unterschieds«!* 
Verknüpfung, nicht auf »Zustands«*verknüpfung sagen wir also nur, 
können wir nur sagen: da ist jedenfalls Werden in der beliebigen end^ 
liehen Zeit tg bis tg, in diesem Zeitlauf hat sich jedenfalls der gegebene 
Zustand II zu dem gegebenen Zustand III, beide als räumliche Mannig^ 
faltigkeiten gekennzeichnet, geändert. Wir fragen: Wie ist dieses Wer«» 
den irgendwie auf ein Werden, das in der beliebig langen oder kurzen 
endlichen Zeit t^ bis tg einmal statthatte, beziehbar? 
Ist diese Frage erledigt, dann erst, also ganz zuletzt, tritt die weitere 
nach der »Dauer«, »Stetigkeit« usw. des Werdens auf — vielleicht wird 
sie nur auf gewissen Gebieten, oder besser innerhalb gewisser Arten 
des Werdens in einer behandelbaren Form auftreten. 
Mit Recht fragen wir also nicht von allem Anfang an nach der Ver^* 
knüpfung zwischen faßbarem, als räumliche Änderung gekennzeich* 
netemWerden mit anderem^^taren,ohne weiteres er/etbaren Werden: 
wir fangen mit dem Werden als solchem, als zwischen zwei Zuständen 
im Räumlichen gelegenem, an, die Zustände kennzeichnen wir ihrem 
Mannigfaltigkeitsgrade nach. Nun erst tritt die Frage auf: Wie ist diese 
Mannigfaltigkeitsgrad*»beziehung«, zumal wenn sie eine Erhöhung 
bedeutet, selbst rückwärts zu »beziehen«; ist da, insonderheit, eine 
andere Mannigfaltigkeitsbeziehung von ähnlicher Art im Räume, auf 
202 
die sie beziehbar sein möchte, so daß wir also eine faßbare Beziehung, 
ein faßbares Werden auf ein anderes faßbares Werden eindeutig be* 
ziehen könnten oder — ist das nicht der Fall?^ 
Da alle Werde*« Folgeverknüpfung (Kausalität) im Natur:» Werden 
von zwei in ihrem Mannigfaltigkeits^Sosein voneinander verschiedenen 
Zuständlichkeiten im Räume ausgeht, indem eben für das Verschieden** 
GEWORDENSEIN dieses Mannigfaltigkeitssoseins als Werdefolge ein zu* 
reichender, d. h. ein die Werdefolge eindeutig bestimmender Werde* 
grund gesucht werden soll, so läßt sich aus einer Betrachtung über die 
verschiedenen Arten von Beziehung hinsichtlich ihrer Mannigfaltigkeit, 
welche überhaupt räumliche Zuständlichkeiten, wenn sie miteinander 
in zwei durch einen Zeitzwischenraum getrennten Augenblicken ver* 
glichen werden, aufweisen können, vor aller Einzelnaturerfahrung eine 
für das Ich verbindliche Einsicht in die möglichen Formen der Folge* 
Verknüpfung im Werden, gleichsam ein Gefüge der möglichen Werde* 
arten, gewinnen. 
Diese Untersuchung über das Gefüge der möglichen Werdearten 
ist für die Ordnungslehre, soweit sie die Natur angeht, von grund* 
legender Wichtigkeit. Hat die allgemeine Lehre vom Werden und 
seiner Verknüpfung überhaupt die Begriffe Veränderung, Beharr* 
LicHES und Werde*FoLGEVERKNÜPFUNG, also auch das Begriffspaar 
Werdegrund* Werdefolge als für alle Natur gelten sollende Letzt* 
begriffe — freilich von nur einheitlicher, nicht etwa einfacher Art — 
geschaffen und somit dem KANxischen Begriff der »Kategorie«, indem 
sie ihn seiner angeblichen Unzurückführbarkeit beraubte, seine wahre 
Bedeutung als angesichts des Gegebenheitssoseins erfüllbare Ord* 
NUNGSFORM gegeben, so soll nun die besondere Lehre von den »mög* 
liehen Arten« des Werdens, wiederum angesichts des Gegebenheits* 
soseins, aber dieses Mal des möglichen, Forderungen für Natur auf* 
stellen, die sich ihren eigensten Einzelheiten gleichsam anpassen. 
Eine Art erweiterter Geometrie werden wir treiben mit unserer 
Lehre von den möglichen Werde* oder Ursächlichkeitsformen. Sagten 
wir doch, daß es sich um antezipierte Schemata handeln werde, ganz 
* Ich habe diese Grundlagen der Lehre von den Urformen des Werdens deshalb so 
besonders eingehend dargestellt und Wiederholungen nicht gescheut, weil unsere 
unvoreingenommene Ordnungslehre gerade hier gegen den Dogmatismus jeder 
Form, trete er in »materialistischem«, »neu*kantianischem« oder welch anderem Ge* 
wände auf, sich zu behaupten hat. Unsere Darlegung schließt eine durchaus ab* 
weisende Kritik der kantischen, von Fries und leider auch von dessen heutigen An* 
hängern unbesehen übernommenen »Kategorientafel« unausgesprochen in sich. 
203 
wie in der eigentlichen Mathematik, ja, der Beziehlichkeitslehre über* 
haupt^. Es lag im Wesen »euklidischer Räume«, daß diese bestimmten 
geometrischen Gebilde mit diesen bestimmten Eigentümlichkeiten 
möglich waren, und es liegt im Wesen der Begriffe Natur und Kaw 
salität, daß diese bestimmten Werdeformen möglich sind. »Machen« 
tun wir weder dort noch hier Etwas, obschon es bei aller antezipierten 
Schematik stets so aussieht »als ob« Ich »machte« — freilich dann wohl 
an einem Gegebenen, das dieses »Machen« sich gefallen läßt, also in 
seltsamer Art der Harmonie zu ihm steht. 
Wir schauten Werden und Kausalität als erfüllte Ordnungsformen 
an Natur. Einmal geschaut verselbständigen sich gleichsam die ge* 
schauten Formen. Sie sind jetzt selbständige unmittelbare Gegenstände 
von der beziehlichen Art, und nun schauen wir aus ihrem Wesen heraus 
das in ihrem Rahmen Mögliche — freilich ohne zunächst zu wissen, 
ob es Naturs'»erfüllung« finden werde. Von der unmittelbaren Naturs« 
schau zum verselbständigten Schema und dann wieder, bei der Erfülj* 
lungsfrage, zurück zur Naturschau, so ist der Weg. 
Wir stellen nun noch einmal alle für die Erforschung der möglichen 
Formen von Kausalität grundlegenden Sätze zusammen : 
1. Ein Naturwerden steht zur Untersuchung. 
2. Jedes erlebbare Naturwerden ist eingegrenzt von zwei raumhaften 
Naturzuständen. 
3. Werden kausal fassen heißt: es fassen, als ob es die Folge früheren 
Werdens wäre. 
4. Naturzuständlichkeit kann im Laufe des Werdens ihre Mannig* 
FALTIGKEIT NICHT VOH Selbst ERHÖHEN. 
c) VON DER EINZELHEITSKAUSALITÄT 
Es sei ein Naturwirklichkeitsausschnitt in seiner gradmäßig fest* 
gelegten räumlichen Mannigfaltigkeit zu den Zeiten tg und tg, also 
in den Raumes^Zuständen II und III, zwischen denen Werden liegt, 
gegeben. Dann ist als einfachster Fall der Folgeverknüpfung der (oU 
gende, welcher sich in zwei Sonderfälle spalten läßt, denkbar: 
Entweder: Es läßt sich zur Zeit t^ ein Zustand I unseres Ausschnittes 
auffinden, welcher, obwohl an Besonderheit des Soseins von den Zu*, 
ständen II und III verschieden, doch an Mannigfaltigkeit überhaupt^ 
mit ihnen gleichgradig ist. Das heißt, alle drei Zustände sind durch; 
gleich viele Begriffe kennzeichenbar. Wenn dann außerdem noch jeder 
' S. o. S. 104. 
204 
einzelnen Soseinsverschiedenheit zwischen den Zuständen II und III 
eine einzelne Soseinsverschiedenheit zwischen den Zuständen I und II 
entspricht, so läßt sich dem »zweiten Werden«, das heißt dem Werden 
zwischen Zustand II und III, dessen Werdegrund gesucht werden soll, 
ein »erstes Werden« im Räume, das den Zustand I in den Zustand II 
übergeführt hat, eindeutig zuordnen, und zwar derart, daß jede Wer»» 
denseinzelheit im zweiten Werden Stück für Stück auf eine Werdens^ 
einzelheit im ersten Werden beziehbar ist. Folgeverknüpfung läßt sich 
hier als eine Summe von einzelnen Folgeverknüpfungen im Räume 
auffassen. Jedem einzelnen Werden im Raum als Werdefolge geht 
als Werdegrund ein bestimmtes einzelnes Werden an demselben Be= 
harrlichen im Räume vorher. 
Oder: Es lassen sich zwar nicht die Werdeeinzelheiten unseres Aus^ 
Schnittes, welche ihn von Zustand II in Zustand III überführen, ein* 
zeln auf Werdeeinzelheiten desselben Ausschnittes zwischen einem 
Zustande I und Zustand II zurückführen. Aber doch sind die Werde*! 
einzelheiten zwischen Zustand II und III, als räumliche Werdeeinzel»» 
heiten überhaupt, auf räum/fc/ie Werdeeinzelheiten vor dem Zustand II 
beziehbar, nämlich auf solche, welche ihn von außerhalb des Aus* 
Schnittes, nämlich aus dem umgebenden Räume her, getroffen haben. 
Im zweiten Sonderfall wird der Mannigfaltigkeitsgrad des Aus* 
Schnittes erhöht, im ersten nicht. Seine Erhöhung im zweiten Falle 
stammt aber aus einer anderen im Räume vorhandenen sich verän* 
dernden Natur*Mannigfaltigkeit. 
In beiden Fällen läßt sich jede Einzelheit späteren Werdens unseres 
Ausschnittes, das ja doch als Veränderung räumlicher Mannigfaltig* 
keit Ausgang der ganzen Betrachtung war, eindeutig auf eine EinzeU 
heit früheren Werdens im Räume, das heißt auf eine andere frühere 
einzelne Veränderung räumlicher Mannigfaltigkeit beziehen. 
Wir nennen daher diese Art möglicher Verknüpfung im Werden: 
Einzelheitsfolgeverknüpfung oder Einzelheitskausalität. Von der 
besonderen Form, welche die allgemeinen Kausalitätssätze angesichts 
ihrer annehmen, werden wir das Wesentlichste später beibringen. Wir 
bemerken hier nur noch kurz Zweierlei: 
Die einzelnen Werdegeschehnisse von Werden, das von der Form 
der Einzelheitsverknüpfung ist, beziehen sich ursprünglich auf ein in 
Zuordnung zur Zeit Verschiedensein des Hier oder der reinen Solch* 
heit oder beider. Wenigstens läßt sich, wie die Einzellehre auszu* 
machen haben wird, auf diese beiden Formen des in Zuordnung zur 
205 
Zeit Verschiedenseins »desselben« Beharrlichen, also auf diese Formen 
der Veränderung, alles zurückführen, was die Einzelheitsfolgever^ 
knüpfung antrifft, mag auch die »Materientheorie« später die reine 
Solchheit (mit dem Tone »naturwirklich«) durch abgeleitete Begriffe, 
wie »Atom«, »Elektron« ersetzen. Insonderheit brauchen »Form«» 
änderung« und »Größenänderung« von »Dingen« nicht als besondere 
Arten der Veränderung aufgeführt zu werden; sie sind Änderungen 
des Hier der »Teile« der Dinge. Alle »Änderung« als solche, alles 
Werden als zu verknüpfendes solches, ist also, wenn Einzelheitsfolge«« 
Verknüpfung vorliegt, mit den Begriffen der Lehre von der reinen 
Solchheit und der Räumlichkeit darstellbar, insofern durch diese Be«* 
griffe Naturwirkliches »gemeint« wird. Es werden also, wo von Werden 
überhaupt die Rede ist, wie wir wissen, allemal zwei, durch reine 
Solchheit und Räumlichkeit gekennzeichnete räumliche Zuständlich* 
keiten, wo von Einzelheitsfolgeverknüpfung die Rede ist, aber allemal 
drei durch reine Solchheit und Räumlichkeit gekennzeichnete räum*» 
liehe NaturssZuständlichkeiten benutzt, um mit Rücksicht auf ihre Ver«» 
schiedenheiten aufeinander bezogen zu werden. — 
Einzelheitsfolgeverknüpfung ist nicht nur eine mögliche Form des 
Werdens, sondern ist in den Geschehnissen der nichtbelebten Natur 
verwirklicht, wenigstens soweit diese Geschehnisse von den Wissen«* 
Schäften, welche Mechanik, Physik und Chemie heißen, untersucht 
werdend 
d) VON DEN RÄUMLICH UNERFÜLLBAREN FORMEN DER KAUSALITÄT 
a) VON DER DINGSCHÖPFUNG 
Es besitze ein Ausschnitt aus der Naturwirklichkeit, wie sie räum«« 
lieh gegeben ist, bis zur Zeit tg einen Zustand von bestimmtem 
Grad der Mannigfaltigkeit und zwar sei, insonderheit, seine Mannig* 
faltigkeit gekennzeichnet als Anordnungsbesonderheit von Gliedern, 
also etwa »Dingen« oder, im Sinne der sogenannten »mechanischen« 
Naturlehre, »Urdingen«. Vom Zeitaugenblicke t2 an aber sei der Zu* 
stand unseres Ausschnittes durch eine um ein oder mehr Glieder 
* Unser Ausdruck erscheint wohl manchem als gar zu vorsichtig. Wozu der mit 
dem Worte »wenigstens« beginnende Zusatz? Der Verlauf der Untersuchung wird 
das aufklären; denn er wird zeigen, daß Einzelheitsverknüpfung, die ja doch da* 
seiende Mannigfaltigkeit hinnimmt und nur gleichsam weitergegeben werden läßt, 
als von einer anderen Werdeform benutzt erscheinen kann, einer Werdeform, welche 
gerade nach dem Dasein dieser Mannigfaltigkeit als solcher fragt. 
206 
(»Dinge«, »Urdinge«) vermehrte Mannigfaltigkeit gekennzeichnet, 
ohne daß doch eines dieser neuen Glieder der Mannigfaltigkeit räum* 
lieh in den Ausschnitt eingetreten sei. 
Um in diesem möglichen, das heißt hier: auf Grund meiner Er* 
fassungsart von Naturwirklichem überhaupt grundsätzlich als erlebhar 
denkbaren, um also in diesem möglichen Falle von Werden die in 
unserem Ausschnitt eingetretene Veränderung als Werdefolge ein* 
deutig und notwendig mit einem voraufgegangenen Werdegrunde 
verknüpft sein lassen zu können, müssen wir sagen, es sei da ein 
Werden unräumlicher Art gewesen, welches im Zeitaugenblicke t^ in 
dem räumlichen Dasein der neuen Glieder des Ausschnittes geendet 
habe. 
Wir nennen diese Art der möglichen Folgeverknüpfung Ding* 
SCHÖPFUNG. Wir kennen in der Natur keinen Fall, in dem sie verwirk* 
licht ist. Würden wir einen solchen Fall kennen, so würden wir um 
das Dasein, ja auch, wenigstens insofern es ein Wirkung?haben*können 
ist, um das Sosein des dingschafFenden Naturwerdegrundes ein genau 
so gutes und sicheres Wissen haben, wie um einen bewegten Körper, 
der durch »Stoß« einen anderen Körper bewegt; jenerWerdebestimmer 
wäre ebenso »naturwirklich« wie ein stoßender Körper als Naturwerde* 
bestimmer es ist, obwohl er sich nicht als räumlich gekennzeichnete 
Zuständlichkeit oder Veränderung darstellen ließe und daher nicht 
irgendwie o/ine Rücksicht auf sein Wirken*können erfahrbar wäre^ 
Es verdient Beachtung, daß bei Werden von der Verknüpf ungs form 
der Dingschöpfung die Werdefolge als solche in einen Zeitpunkt fällt, 
denn zwischen Dasein und Nichtdasein im Räume gibt es kein Drittes. 
Über die Zeitdauer des Werdegrundes nachzudenken ist aber in diesem 
Falle müßig. 
ß) VON DER VERÄNDERUNGSSCHÖPFUNG 
Es sei ein als bestimmte Mannigfaltigkeit gekennzeichneter Aus* 
schnitt vor der Zeit t2 immer als »derselbe« in Ruhe geblieben, 
zur Zeit t2 beginne er aber eine sich bis zur Zeit U erstreckende Ver* 
änderung, ohne daß diese Veränderung auf irgendeine vor dem Zeit* 
punkt t2 stattgehabte räumliche Veränderung außerhalb des Aus* 
Schnittes rückbeziehbar wäre. 
^ Also nicht »an sich« erfahrbar wäre, wenn man das Wort richtig verstehen will ; 
es soll mit »Absolutem« natürlich nichts zu tun haben, denn wir treiben ja nur 
Ordnungslehre. 
207 
Dann müssen wir ein unräumliches, vor dem Zeitaugenblicke t2 statte* 
gehabtes Werden fordern, welches als Werdegrund das Sichverändern 
unseres Ausschnittes als Werdefolge gesetzt habe. 
Wir können hier von Bewegungs* oder Veränderungsschöpfung 
reden. Wenn sie uns bekannt wäre, so wäre sie gerade so »wirklich« 
wie Dingschöpfung. Sie ist unseres Erachtens in keinem Falle bekannt. 
Es gibt aber Forscher auf dem Gebiete der Seelenlehre, welche die 
Wirkung der »Seele« auf den »Leib« im Sinne eines Veränderung* 
oder bewegungschaffenden Werdens ansehend 
Bei einem Werden von der Verknüpfungsform der Veränderungs* 
Schöpfung kann die Werdefolge auch, wie bei der Dingschöpfung, als 
in einem Zeitpunkt geschehend angesehen werden, wenn man es nicht 
vorzieht, den geschaffenen Veränderungsvorgang, der von zeitlicher 
Dauer sein soll, im ganzen als Werdefolge anzusehen. Über die ZeiU 
dauer des Werdegrundes gilt das bei der Dingschöpfung Bemerkte. -- 
Der dritte Fall möglicher, nicht räumlich erfüllbarer Folgeverknüp«« 
fung im Werden ist etwas schwieriger zu fassen als die beiden voran* 
gegangenen; er ist aber für die Naturwirklichkeit von ganz besonderer 
Bedeutung. 
r) VON DER GÄNZHEITSKAUSALITÄT 
Ein Naturwirklichkeitsausschnitt besitze zur Zeit t2 einen Zustand, 
dessen Mannigfaltigkeit eine bestimmte Anzahl von Gliedarten 
und eine bestimmte Anzahl von Beziehungsarten aufweist, jede Art 
hinwiederum in bestimmter Zahl von Einzigkeiten. Zur Zeit U besitzt 
er nicht mehr Glieder als vorher, aber er besitzt mehr Beziehungsar^en. 
Sein Mannigfaltigkeitsgrad ist also erhöht; was vordem etwa gleich^ 
schrittliche Verteilung war, ist ungleichschrittliche Verteilung gewora 
den; »homogene« Verteilung ist »heterogen« geworden. Wir brauchen 
mehr Begriffe, um das »Heterogene« als um das »Homogene« darzu* 
stellen, wobei es ganz gleichgültig ist, ob die Glieder als solche elemen* 
tar oder etwa Gebilde von hoher Mannigfaltigkeit sind. 
Läßt sich das Entstehen des höheren Mannigfaltigkeitsgrades unseres 
Ausschnittes nun darauf im Sinne der Werdefolgeverknüpfung zurück* 
führen, daß von einem Ausschnitte her, der in bezug auf den betrach* 
teten Ausschnitt »räumlich außen« ist, Mannigfaltigkeit gleichsam im 
Werden in ihn überging, so ist alles erledigt; das ganze Werden ist 
^ Näheres und Literatur bei Busse, »Geist und Körper, Seele und Leib« 1903; vgl. 
auch meine »Phil. d. Organischen«, 2. Aufl., 1921. 
208 
nämlich auf die Form der Einzelheitskausalität zurückgeführt. So liegen 
die Dinge bei den Leistungen sogenannter »Maschinen«. 
Es ist aber, wenn man sich eben daran hält, daß die Begriffe Wer« 
DEN und Kausalität doch gegebene Naturzustände nach Ähnlichkeit 
des Mitsetzungsverhältnisses verknüpfen, daß also Verschiedenheit 
aufeinander folgender Zustände der Ausgang der ganzen Lehre vom 
Werden ist, es ist, sage ich, wenn man sich dieses immer vor Augen 
hält, durchaus »denkmöglich«, daß eine Erhöhung des Mannigfaltig«» 
keitsgrades eines Naturausschnittes ohne »Schöpfung« von Dingen 
und Bewegungen, bloß als Erhöhung der Anzahl der Beziehungsar^en 
oder als Erhöhung der Zahl der Stufen^ statthat, welche doch nicht 
auf irgendeine räumliche äußere Veränderung setzende Mannigfaltig»« 
keit bezogen werden kann. 
Ist das Ergebnis des Vorganges der Mannigfaltigkeitserhöhung der 
genannten Art ein solches, daß es aus irgendeinem Grunde einen Be»* 
griff zu seiner Kennzeichnung als ein Ganzes verdient, welcher Begriff 
freilich durch Angabe seiner Merkmale des näheren zu umgrenzen sein 
wird, ist also aus einfacherer Anordnungsbesonderheit ohne Mitwirs» 
kung äußerer vorgebildeter Mannigfaltigkeit eine zusammengesetztere, 
aber irgendwie ganzheitliche Anordnungsbesonderheit geworden, so 
haben wir einen besonders bedeutsamen Fall der hier betrachteten 
Werdeart vor uns. 
Es ist dann ein geschlossenes Ganze entstanden, wo vorher eine 
bloße Summe, ein bloßes (»homogenes«) Nebeneinander von Gliedern, 
sei es von elementaren oder von in sich selbst schon mannigfaltigen, 
gewesen ist. Dieses Ganze ist geworden, ohne daß seine Teile Stück 
für Stück nach außen hin im Sinne der Einzelheits folge Verknüpfung 
folgeverknüpft waren. Um nun überhaupt von Folgeverknüpfung 
reden, um überhaupt unsere Ganzheit oder Einheit als Werdefolge 
ansehen zu können, müssen wir wieder aus dem Räume »hinaus«»« 
gehen: Gewiß ist da Werden gewesen, so müssen wir sagen, zwischen 
den Zeitpunkten ti und t2, und zwar mannigfaltigkeitserhöhendes 
Werden ; aber dieses Werden als Werdegrund war nicht eine Ver*« 
knüpfung zweier räumlicher Zustände, wie es bei der Einzelheitskausa^ 
lität das einer Werdefolge als Werdegrund vorausgehende Werden ist. 
Da also der wichtigste Sonderfall von Mannigfaltigkeitserhöhung 
der geschilderten Art die Bildung von Ganzheit ist, so wollen wir 
die hier betrachtete Art der Folgeverknüpfung Ganzheitskausalität 
_ -__ 
14 Driesch, Ordnungslehre 2,\Jy 
nennen. Die Naturwerdebestimmer aber, welche wir hier der Forde* 
rung des eindeutigen Insichverknüpftseins des Werdens zu Liebe 
setzen müssen, sollen uns Ganzheits= oder ganzmachende Natuv 
»faktoren« heißen. 
Sie sind naturwirklich, ganz ebenso wie eine jede Ursache in der 
Einzel Verknüpfungsform des Werdens wirklich ist; aber sie sind un* 
räumlich, un»anschaubar«^. Sie sind ja gesetzt um der Möglichkeit 
der Folgeverknüpfung willen; ohne sie ist nicht Endgültigkeit der 
Ordnung; »sinnliche« Erlebtheit, sei sie auch raum^^naturhaft gedeutet, 
gibt uns diese Endgültigkeit hier eben nicht; die Ordnungsschau ver« 
vollständigt die »Sinnlichkeit«^. 
Ganzheitsverknüpfung ist in der Natur verwirklicht im Bereiche des 
Lebendigen, wie weiterhin eingehender 'dargestellt werden wird. 
Zur Kennzeichnung der bei Ganzheitsverknüpfung beteiligten 
Werdebestimmer (»Naturfaktoren«) brauchen wir zusammengesetzte, 
aber einheitliche Begriffe, nicht, wie bei der Einzelverknüpfung, eins^ 
fache, unzerlegbare, bloß durch Hinweis erläuterbare Begriffe. Zu# 
sammengesetzte, aber einheitliche Begriffe erweisen sich hier als Kenn* 
Zeichner unzerlegbarer Naturgegenständlichkeit, welche im Laufe des 
Naturwerdens ihre bestimmende Rolle spielen. Es bedarf aber jedes* 
mal einer besonderen Untersuchung darüber, wann ein zusammenge* 
setzter Begriff, der rein logisch ja stets ein Ganzes ist, eine wahre Natur* 
ganzheit kennzeichnet; diese Frage wird uns später beschäftigen. — 
Von Wilke' ist gegen meine Ableitung der vier möglichen Formen des Natur* 
Werdens auf der Grundlage des Begriffs Mannigfaltigkeit eingewendet worden, daß 
sie angesichts der Ganzheitskausalität insofern versage, als Ganzheit mit Mannigfaltig« 
keit gar nichts zu tun habe und wohl gar unter Verringerung der Mannigfaltigkeit 
zu erstehen vermöge. Ich gebe das zu ; ich gebe auch zu, daß man die vier möglichen 
Werdeformen wahrscheinlich noch anders ableiten kann, als ich es getan habe, und 
würde mich freuen, wenn man es versuchte. 
* Die Werdebestimmer, welche die Ordnungslehre als schaffende oder ganzheitsbe« 
stimmende setzt, sind also jeweils, freilich im nichtmetaphysischen Sinne der Worte, 
ein y>voovfiEvov<si, ein »intelligibile«. Aber wir wissen von ihrem Naturdasein und von 
gewissen Seiten ihres Natursoseins — freilich nur ihres beziehlichen Soseins — ganz 
ebensowohl, wie wir von dem Dasein und Sosein solcher Naturwerdebestimmer 
wissen, deren Kennzeichen teilweise unmittelbare y>q)aiv6[i,sva<c sind. Übrigens ist ja 
kein Naturbestimmer reines yixpaivöfievov^ — als »Natur«bestimmer; (man denke an 
Kraft, potentielle Energie, Konstante). ^ Kerler (Die auferstandene Metaph. 
1921. S. 25 und sonst) nimmt die Lehre von der Autonomie des Lebens an, will 
aber Leben (und Seelisches) »aus dem Nichts» entstehen lassen. Das ist Mangel 
an aprioristischer Ordnungsschau. »Erscheinung« ist nicht nur das Anschauliche. 
" Log. Studien zum Problem teleol. Geschehens. Kölner Dissertation 1921. 
210 
Gleichwohl habe ich im Text hier der ersten Auflage gegenüber nichts Wesent* 
liches geändert, und zwar auf Grund folgender Erwägungen: Mag auch ein Anfangs* 
zustand mannigfaltiger sein als ein Endzustand, welcher ^anz ist; wofern dann nur 
die Mannigfaltigkeit des Anfangszustandes als solche nicht in Frage kommt, wofern 
von ihr abgesehen werden, sie als »gleichgültig«, als »zufällig« gelten kann, bleibt 
alles beim alten, d. h. bei meinen alten Erwägungen. In diesem Falle kann nämlich 
die anfänglich bestehende (gleichgültige) hohe Mannigfaltigkeit durch eine sehr 
niedrige summenhafte Mannigfaltigkeit ersetzt gedacht werden. Dann aber be* 
deutet Ganzheitsschaffung zugleich Mannigfaltigkeitsschafifung. 
Es liegt mir gleichsam aus »methodischen« Gründen daran, den GanzheitsbegrifF 
nicht von vornherein in die Ableitung der Werdeformen hineinzuziehen, sondern 
diese ganz einheitlich zu begründen. Sachlich kommt wohl meine und Wilkes Art, 
die Dinge anzusehen, auf dasselbe hinaus. 
e) VOM BEGRIFF DER »KÄTEGORIE<^ 
Daß ein Zustand II mit einem Zustand III durch Werden, daß 
weiter das Werden, welches von II zu III führt, als »zweites 
Werden«, als Werdefolge mit einem »ersten Werden« als Werde:« 
GRUND notwendig und eindeutig verknüpft sein solle, das war unsere 
allgemeine, in dem Werdebegriffe und allem, was an ihm hängt, aus«» 
gesprochene Ordnungsschau. 
Ganz allgemein können wir nun wohl, so sagten wir schon, unsere 
Werrdefolgeverknüpfung eine »Kategorie« im Sinne Kants nennen, 
wenn wir uns nur klar darüber bleiben, dass sie ein Zusammengesetzt 
TES^ IST. Ihre Setzung geht stets aus von zwei Raumzuständen, und zwar 
in jedem Falle ; zwischen ihnen eben liegt Werden. Das Werden, selbst, 
wenn man so will, schon »Kategorie«, soll dann irgendwoher als ein** 
deutig »mitgesetzt« erscheinen, im naturübertragenen Sinne dieses 
Wortes. Weiter sagt unsere allgemeine »Kategorie« des miteinander 
eindeutig verknüpften Werdens zunächst noch nichts. Alle »Erschein 
nungen« folgen sich »nach einer Regel«, um einmal kantisch zu spre^« 
chen, und zwar nach einer Mitsetzungsregel. Das eben ist »Kausalität« 
im weiten, vieles noch offenlassenden Sinne ^. Allerdings geben wir 
nun aber wahrhaft Rechenschaft von unserer »Kategorie« Kausalität, 
^ Und zwar letzthin aufgebaut aus den seit Kant (Krit. d. r. V. »Von der Amphibolie 
usw.«) einer weitgehenden Mißachtung verfallenen »Reflexionsbegriffen« — um uns 
auch einmal dieses eingebürgerten Ausdrucks zu bedienen. »Metaphysisch« freilich 
verwendet unsere Ordnungslehre die »Reflexionsbegriffe«, d. h. in unserer Sprache, 
die Urordnungsbedeutungen, nicht, wohl aber »konstitutiv« für Erfahrung. H. Heyse 
(Einl. i. d. Kategorienlehre, 1921, S. 28, 61) denkt über die Auflösbarkeit der kantis 
sehen »Kategorien« in die Urordnungsbedeutungen ebenso. ^ Kants eigner Stands 
punkt zum Kausalitätsbegriff ist bekanntlich schwankend; bald ist seine Kausalität 
mehr unserer Kausalität überhaupt, bald unserer Einzelheitskausalität ähnlich. 
211 
was Kant trotz seiner beiden »Deduktionen« nicht tut. Wir zeigen, 
was alles an Einzelnem in diesem ungeheuer zusammengefaßten Be^ 
griffe liegt. Das ist, sozusagen, eine »Rationalisierung« der Kausalität. 
Ganz gewiß wollen wir nicht den Unterschied zwischen Mitsetzen 
und Kausalität verschleiern; ganz gewiß sind uns »logische Konse^ 
quenz« und »Kausalität« nicht dasselbe. Wohl aber sagen wir: Hätten 
wir die Beziehung Mitsetzen nicht, so hätten wir auch nie und nimmer 
»Kausalität«^. Und die Erörterung des von Kant unberücksichtigt 
gelassenen, auch schon zusammengesetzten Begriffs Werden mußte 
der Aufklärung des Begriffs Ursächlichkeit vorangehen. 
Unsere Einzelheitsverknüpfung, Dingschöpfung, Bewegungs^ 
SCHÖPFUNG, Ganzheitsverknüpfung sind nun weiter die vier Sonderst 
»Kategorien« für alle Werdensverknüpfung. Sie und nur sie ergeben 
sich als möglich aus den Begriffen Werden und Folgeverknüpfung 
und aus dem Begriff des raumhaft erlebharen Werdens. Eindeutigkeit 
muß überall gewahrt bleiben, d. h. Mannigfaltigkeitsgrade können sich 
nicht von selbst erhöhen. Dann eben sind vier Werdeurformen ^ mögfi 
lieh. Nur die erste führt auf wahrhaft erlebbare »Ursachen«, d. h. auf 
»erstes Werden«, das wirklich als jRaumwerden, als Werdeverknüp^« 
fung von i^aumzuständlichkeiten, faßbar ist. Hier allein bleibt es nicht 
beim Raumwerden zwischen den Zuständen II und III, ein Werden 
zwischen den jRaumzuständen I und II tritt deutlich hinzu. 
Man könnte, wie gesagt, unsere vier Sonderformen des Werdens 
wohl auch, wenn man wollte, »Kategorien« nennen, wobei man frei* 
lieh immer wieder der Auflösbarkeit dieses Begriffs eingedenk sein 
muß. Aber es sind wohl eher Durchdringungen von »Kategorien«, 
wenn man einmal dieses Wort verwenden will: in der Einzelheitsverss 
knüpfung durchdringen sich, wie sich noch zeigen wird, Kausalität 
und Raum^beharrliches (Kants Substanz) in der Ganzheitsverknüp*« 
fung »Kausalität und Ganzheit« (Individualität^), 
Im Sinne unserer Ordnungslehre rein als solcher sind Betrachtungen 
wie diese überflüssig, da sich die Werdelehre hier viel einfacher und 
* Vgl. zu diesem allen Schopenhauers »Vierfache Wurzel«, zumal auch die geschieht* 
liehe Einleitung. * Daneben sind Werdemischformen erdenkbar; von einer solchen 
werden wir an späterer Stelle reden. Eine andere Mischform wird von den »Spiri* 
tisten« als tatsächlich behauptet, wenn sie Dinge in die »vierte Dimension« ver* 
schwinden und aus ihr wieder im zugänglichen Raum auftreten lassen; in unserer 
Sprechweise würde das ein wiederholtes Dingschaffen und Dingvernichten und 
dabei doch ein als dasselbe BEHARRLiCHsbleiben bedeuten. * Hierzu meinen Auf* 
satz in KANxstudien XVI, 1911. 
212 
ungezwungener gestaltet: Werden und Verknüpfung setzen wir, da 
ja nun einmal Gegebenes sich in Zuordnung zur Zeit ändert, die Arten 
des möglichen Werdens können wir erfahrungsfrei, »a priori«, enU 
wickeln, ebenso wie wir »Geometrie« im Einzelnen treiben können, 
nämlich auf Grund unseres Wissens davon, was Werden, Verknüp«* 
FUNG, Raum, Etwas im Raum und Mannigfaltigkeitsgrad bedeutet. 
Wenn das Wort »Kategorie« nicht nur BegriffsEiNHEiTEN, sondern 
BegriffsEiNFACHHEiTEN bezeichnen soll, so sind natürlich nur unsere 
Urordnungsbedeutungen »Kategorien«, wenigstens ihre »unanschau* 
liehe« Gruppe, wie nicht, solches, bezogen, soviel, denn grün, warm, 
eis usw., wird man kaum so nennen. 
Wenn andererseits auch Begriffseinheiten von zusammengesetzter 
Art, wie also eben Kausalität und ihre Sonderformen und Beharrliches, 
Kategorien heißen dürfen, wird man nun freilich fragen, warum denn 
Stoß, Auflösung, elektrischer Strom, Löwe, Pflanze nicht »Kategorie« 
sei; kurz: jede Natursetzung, die ja doch stets im Ordnungsdienste 
steht, scheint alsdann diesen Ehrennamen tragen zu dürfen. 
Da können wir nun wohl, wenn wir überhaupt das Wort »Kategorie« 
in irgendeinem Sondersinne halten wollen, nur, gleichsam willkürlich 
festsetzen : Kategorie soll nur eine einen Seinskreis in seiner Gesamtheit 
ordnende Bedeutung heißen, eine Bedeutung, welche in jeder für die* 
sen Seinskreis bestehenden Sondersetzung mit darin liegt.Da wären denn 
also die Urordnungszeiten Kategorien für alles Gegenständliche, Kau«« 
salität und ihre Genossen Kategorien für alles Naturgegenständliche ^. 
Ebensowenig wie wir von uns aus eigentlich Veranlassung haben, 
den einmal vorgefundenen Begriff »Kategorien« heranzuziehen, haben 
wir auch Veranlassung zu der Frage, ob die Hauptsätze aller Kausa» 
litätslehre »Alles Werden geschieht an einem Beharrlichen« und »Jede 
Veränderung hat ihren Werdegrund« synthetische Urteile apriori oder 
was sie sonst für »Urteile« seien. Wollen wir dieser Frage trotzdem 
ein paar Worte widmen, so müssen wir, in Übereinstimmung mit un* 
seren Darlegungen anläßlich der Mathematik^, dieses sagen: apriori 
sind diese Sätze, insofern sie eine Schau ausdrücken, welche nicht 
eigentlich Empirie bedeutet, synthetisch sind sie, insofern hier a priori 
Zusammengehörigkeit geschaut wird, welche nicht durch den Satz der 
doppelten Verneinung bedingt ist. Die Formung des Sachverhalts zu 
»Urteilen« ist aber nebensächlich; die Schau der Begriffe Werden, 
Beharrliches, Kausalität ist die Hauptsache. »Erfahrungsfrei«, wenn 
* Man denke an Husserls »regionale Kategorien«. * S. o. S. 108 f. S. auch S. 132 f. 
213 
Erfahrung »gehabte geordnete Erlebtheit« heißt ^, sind diese Begriffe 
natürlich nicht gewonnen, das ist ja nicht einmal der Begriff nicht- 
dieses; nur »Empirie«frei nannten wir ja das, was »apriori« heißt, d. h. 
es wird geschaut frei vom Quantum des Erlebten. 
Alle unsere (»aprioristisch* synthetischen«) Kausalitätssätze sind 
endgültig, auf Grund ihrer ist angesichts der Erlebtheit, also auch der 
Gegebenheit alles »in Ordnung«. Der von Kant und seinen An«« 
hängern gerade in die »Kategorien«lehre in besonderer Schärfe hineins« 
getragene Begriff der »Allgemeingültigkeit« hat für die Ordnungs* 
LEHRE an dieser Stelle ebensowenig wie an irgendeiner anderen einen 
angebbaren Sinn. Daß in der Tat die Kausalaussagen wie alle anderen 
Ordnungsaussagen für »Jedermann«, für »alle Menschen« (und wohl 
gar Tiere) gelten, ist — populäres Alltagsgerede, aber, an dieser Stelle 
jedenfalls, nicht Philosophie. 
12. DIE ARTEN DER DINGE 
Dem breiten Abschnitt über die Formen des Naturwerdens hat 
eine kurze, bloß grundsätzliche Darstellung der verschiedenen 
Formen des naturwirklichen Dinges zu folgen, eine bloß grundsätz* 
liehe deshalb, weil alles in tieferem Sinne Kennzeichnende erst bei Er^ 
örterung der beiden großen empirisch erfüllten Formen der Kausalität 
beigebracht werden kann. Der gesamten Kausalitätslehre wird dann 
noch eifimal ein bloß, aber dann in endgültigem Sinne, grundsätzlicher 
Aufsatz über das Ding folgen. 
Was ein Ding heißen soll, ist festgelegt^. Daß es »relativ beharrlich« 
sei, d. h. durch irgendwelche endliche Zeitstrecke hindurch als in ge* 
wisser Hinsicht dasselbe da sei, und daß sich doch auch Werden an 
ihm abspielen könne (wennschon nicht immer abspielen müsse), das 
waren des Dinges Grundkennzeichen. — 
Jedes Ding, als relativ beharrliches naturwirkliches Soseinsbeieinan* 
der nimmt einen bestimmten Raumteil ein. 
Erfüllt es diesen Raumteil derart, daß überall dieselbe Art von Ding^» 
haftigkeit in ihm vorhanden ist, so heißt das Ding einförmig (homo* 
gen), sonst zusammengesetzt. 
Neben diesem Unterschied besteht der Unterschied zwischen regeU 
haften und regellosen Dingen; er kann sowohl die einförmigen als 
auch die zusammengesetzten Dinge angehen. 
Einförmig«» regellos sind »amorphe« Körper, einförmig* regelhaft 
* S. o. S. 26. • S. o. S. 161. 
214 
Kristalle, zusammengesetzt^* regellos Gebirge, zusammengesetzt ^»regel*« 
haft Werke der Technik und Organismen. 
Es darf nicht vergessen werden, daß wir an dieser Stelle nur nach 
Dingen, wie sie als Tatsachen klassenhaft da sind, aber nicht nach 
»letzten Dingen«, nach »Substanz« oder ähnlichem fragen. Diese 
Untersuchung ist bloß einführend. 
Von den homogenen Dingen wird alsbald gesondert gehandelt 
werden; sie werden ihre »Einförmigkeit« in gewissem Sinne verlieren. 
Bei den zusammengesetzten ist es wichtig, zu beachten, von welcher 
der drei möglichen Formen von Mannigfaltigkeit^ sie sind, nament* 
lieh, ob sie einstufig oder höherstufig sind, d. h. ob sie Sonderteile 
haben, welche für sich genommen Ganze, also Teilganze in bezug auf 
ein Vollganzes sind. 
Als eine sehr bedeutsame Frage wird es sich später erweisen, ob das 
naturhafte Sosein eines zusammengesetzten Dinges sich vollständig 
durch das Sosein seiner Teile darstellen läßt oder nicht. Um diese Frage 
zu entscheiden,wird unter Sosein freilich etwas Reicheres als unmittelbar 
gehabte und dann mit dem Ton des »Meinens« versehene reine Solche 
heit oder irgend etwas in bezug auf Lage verstanden werden müssen. 
Begriffe, die in der Lehre vom Werden ihre Wurzel haben, werden das 
Sosein eines Dinges (als Vermögen, Potenzen usw.) mit kennzeichnen. 
Nennen wir die einzelnen Soseinsseiten eines Dinges in üblicher 
Weise Eigenschaften^ y ohne weitere Fragen, also auch ohne die Frage, 
»wer« sie hat, einstweilen aufzuwerfen, so können wir unsere Frage also 
auch formen: Hat ein zusammengesetztes Ding nur in seinen Teilen 
Eigenschaften, so daß es in jeder Hinsicht nur die Gesamtheit des 
Beieinander seiner Teile ist, oder hat es als ganzes Ding noch Eigen:* 
SCHÄFTEN DAZU? 
Aber erst an der Hand der Lehre vom Werden, also von dem, was 
sich an dem beharrlichen Dinge abspielt, wird diese Frage beantwortet 
werden können. Ihre Beantwortung wird sich mit dem Ergebnis der 
Werdelehre zugleich ergeben. 
Wir treten jetzt in die Erörterung der Einzelheiten ein, welche die 
beiden erfüllten grundlegenden Kausalitätss« und damit Werdeformen 
uns darbieten; bei jeder dieser Erörterungen wird es einen Abschnitt 
über das Ding geben, und auf sie wird alsdann folgen der abschließende 
Abschnitt über das Beharrliche überhaupt. 
* S. o. S. 135 f. Dieser Begriff war ja (S. 165) auf das Naturwirkliche übertragen 
worden. ' Eine Setzung hat Merkmale, ein Ding hat Eigenschaften. 
215 
IL DIE BESONDEREN ORDNUNGSSETZUNGEN 
DER LEHRE VON DER EINZELHEITS. 
KAUSALITÄT 
L ALLGEMEINES 
EINZELHEITSVERKNÜPFUNG hat CS IcdigHch mit Werdcii im Räume zu 
tun ; sie knüpft ein solches Werden an ein anderes ; das eine nennt 
sie Ursache, das andere Wirkung. 
Die Wirkung schließt sich in der Zeit stetig an die Ursache; es 
grenzen also Ursache und Wirkung in einem Zeit*«»Punkt« aneinander, 
die Wirkung als Werden löst die Ursache als Werden in ihrem Natur* 
wirklichsein in strengster Weise ab. Der Begriff Stetigkeit selbst aber 
ist in einem früheren Teil der Ordnungslehre festgelegt; er läßt sich 
bekanntlich nicht ganz so formen, wie »Anschauung« es wünscht. 
Alles Werden soll der Forderung gemäß an einem Beharrlichen 
geschehen, welches selbst nicht wird. Ebenso wie sie den Werdegrund 
als Ursache in Klarheit fassen will, so will nun auch die Einzelheits^ 
Verknüpfungslehre das Beharrliche in Klarheit fassen. Es soll, ganz im 
allgemeinen gesprochen, ein Etwas sein, das im Raum als dasselbe 
Eine beharrt und in ihm einen bestimmten Raumteil erfüllt. Es heiße 
Ding; es gibt viele Dinge. 
Alles räumliche Werden spielt sich an den Dingen ab, insofern ge* 
wisse ihrer Eigenschaften zeitlich verschieden sind. Eben aus diesem 
zu verschiedenen Zeitpunkten Verschiedensein von gewissen Ding^ 
eigenschaften schaffen wir das Werden. Die veränderlichen Ding«» 
eigenschaften werden für jeden Zeitpunkt festgelegt als eine bestimmte 
örtlichkeit und als gewisse reine Solchheiten. Daß örtlichkeit und ge# 
wisse Solchheiten eines Dinges jetzt diese, dann aber an Stelle dieser^ 
jene sind, wird eben kurz so ausgedrückt, daß Dingort und gewisse 
Dingsolchheiten »sich verändern«. Des weiteren werden den Dingen 
aber auch noch veränderliche Eigenschaften beigelegt, welcheVERMÖGEN 
bezeichnen, d. h. eine Beziehung aui zukünftiges Sosein derselben oder 
anderer Dinge ausdrücken. Diese Vermögen sind meist das Ergebnis 
von Denkf Order ungen ; ihre Bedeutung kann erst später erfaßt werden. 
* Diese Angelegenheit ist besonders klar und sehr eingehend behandelt in Rehmkes 
»Philosophie als Grundwissenschaft« Nr. 6. Vgl. auch Apelt, Metaph. S. 182 fF. und 
LoTZE, Grundzüge d. Metaph., 3. Aufl., § 19 und sonst. Aus Rehmkes Werk sind auch 
die Abschnitte 5, 7, 9, 10 für alles Folgende zu vergleichen ; freilich wird nur ein 
Vergleich im ganzen möglich sein. 
216 
Nicht alle Eigenschaften der Dinge dürfen aber als veränderlich 
angesehen werden, wo bliebe da das Ding? Gewisse beharrliche 
Eigenschaften machen das beharrliche Ding aus; das heißt: in ganz 
bestimmtem Sosein sind eben die Dinge beharrlich^. Was dieses 
Sosein, das Wesen heißen mag, ist, kann auch erst später erörtert 
werden. 
Die denkmäßig einfachste Form der Veränderung eines Dinges ist 
die REINE Veränderung seines Ortes in der Zeit, d. h. die Einnahme 
anderer Orte in anderen Zeitpunkten durch dasselbe Ding, derart, daß 
sowohl die Reihe der Orte wie die Reihe der Zeitpunkte stetig ist. Wir 
reden zuerst nur von dieser reinen Veränderung des Ortes eines Dinges, 
von der Bewegung; insofern es Bewegung zeigen kann, heißt ein Ding 
BEWEGLICH. 
2. VON DER BEWEGUNGSVERKNÜPFUNG 
a) DER BEGRIFF BEWEGUNG 
Ein bestimmter endlicher Raumteil sei von den anderen Raumteilen 
in einem bestimmten Zeitpunkte als dieser unterschieden, weil er 
ein solcher — gleichgültig in welcher Weise — ist. Er wird »gemeint« 
als ein Etwas im Naturraum und heißt Ding. Wir reden von Bewegung 
dieses Dinges, wenn in Zuordnung zur stetigen Zeit eine stetige Reihe 
von örtlichkeiten nacheinander Träger desselben ist; das bewegte Ding 
selbst nennen wir das Bewegliche. 
Wir beziehen dabei Zeitpunkte und Orte auf den einen einzigen 
Raum und die eine einzige Zeit, also auf »absoluten« Raum und »ah^ 
solute« Zeit, wenn man diese eingebürgerten Worte richtig verstehen 
will. Sie bedeuten, wie wir wissen, nur, daß dieser Ort und dieser Zeit^ 
punkt eben dieser ist in eindeutiger Beziehung zu allen anderen Orten 
und Zeitpunkten. Weder soll das Wort »absolut«, wie es scheinen 
könnte, »metaphysisch« verstanden sein, noch auch soll mit seiner An* 
Wendung behauptet werden, daß wir praktisch das Dieses eines Ortes 
oder eines Zeitpunktes verbürgen könnten. Wir können das sogar 
sicherlich nicht. 
Messend bestimmen können wir sogenannte fortschreitende Orts* 
Veränderungsbeträge eines bewegten Dinges immer nur von einem 
willkürlich als ruhend angenommenen, dinghaft gedachten Orte aus. 
^ Oder in anderer Sprachweise: Substanz ist nicht ein leerer »Träger«, ein bloßes 
Etwas, sondern ein Solches. Hierzu Leibniz, Monadol 8. Der metaphysische Be* 
griff des »Attributes« könnte hier eine rein ordnungsmäßige Verwendung finden. 
217 
Bei zwei in bezug aufeinander fortschreitend bewegten Dingen wissen 
wir immer nur, daß sicherlich eines sich »absolut« bewegt (Höfler ^). 
Wenn wir über den Gegensatz der Drehung zur Ruhe sicherere An# 
gaben für ein Ding machen können, so liegt das, wie z. B. bei den so# 
genannten Zentrifugalerscheinungen, an gewissen besonderen, der 
eigentlich denkmäßigen Bewegungslehre fremden Tatsächlichkeiten. 
Für Ortsabstände gibt es wenigstens einen Maßstab ^ ; f ür Zeitpunktss» 
abstände gibt es ihn nicht. Wir messen bekanntlich die Zeit, indem wir 
einen bestimmten Zeitablauf, innerhalb dessen ein Ding eine »Phase« 
einer wiederkehrenden, als »gleichförmig« vorausgesetzten Bewegung 
vollendet, willkürlich als Einheit festsetzen (Tag, Jahr). Zeit wird also 
in ganz und gar mittelbarer Weise gemessen, in einer Weise, die aufs 
deutlichste auf unserem Glauben an die Gleichförmigkeit der Natur 
beruht. 
Alles weitere gehört hier der praktischen Naturlehre an, auch das 
GESAMTE »Relativitätsprinzip«. 
b) DAS WESEN VON BEWEGUNG 
a) DAS BEWEGTE 
Bewegung ist etwas als mittelbar, d. h. gleichsam selbständig Ge^ 
meintes an einem als mittelbar selbständig Gemeinten, nämlich 
dem Beweglichen. Sie wird gehabt, insofern sie gemeint wird, aber sie 
wird nicht etwa »erlebt«, also etwa »gesehen«; sie ist »unanschaulich«'; 
und erst recht nicht kann, wie neuerdings einmal behauptet wurde, 
von Bewegung ohne ein Bewegliches, d. h. ein Etwas im Raum, das sich 
als dasselbe bewegt, sinnvoll die Rede sein*. Es ist mit der Bewegung 
wie mit der »Tiefe« und dem »Ding« — gehabt im Sinne eines Meinens 
werden sie alle, aber nicht unmittelbar gehabt werden sie, jedenfalls 
nicht »gesehen«^. Bewegung ist für die Ordnungslehre etwas Zus» 
^ Stud. zur gegenwärt. Phil. d. Mcch. Leipzig, 19(X), S. 133. Man vgl. zur Frage der 
»absoluten« Bewegung auch P. Volkmann, Erkenntnistheor. Grundzüge der Naturw., 
2. Aufl. 1910, S. 121 ; Hartmann, Weltansch. d. modern. Physik S. 81, Lenard, Rela* 
tivitätsprinzip, Äther, Gravitation S. 7, Dingler, Grundlagen der Physik S. 117, 
Cassirer, Subst.> u. Funktionsbegriffs. 225 fF., Heymans, Gesetze u. Elemente d. wiss. 
Denkens, 2. Aufl., S. 375 ff. S. auch o. S. 106. ' An dessen Gleichheit mit sich selbst 
im Laufe der Zeit wir freilich nur glauben können 1 Praktisch können wir Strecken 
nur in bezug auf einen wirklichen dinghaften Maßstab messen und setzen dannj 
voraus, daf^ sich der Maßstab und die anderen Dinge zum mindesten nicht nach| 
verschiedenen Gesetzen in bezug auf ein »Absolutes« verändern. • S. o. S. 154. 
* Hierzu Linke, Wahrnehmungslehre, 1918, S. 287 ff. * »Tiefe« wird immerhin] 
kinästhetisch, aber auch nicht optisch, unmittelbar gehabt. 
218 
sammengesetztes, nicht etwas Einfaches; aus den Begriffen Ort, Zeit 
und Werden baut sich der Begriff Bewegung- auf. Der Begriff Orf oder 
Lage, um von den anderen abzusehen, ist also logisch »früher« als der 
Begriff Bewegung: Geometrie läßt sich ohne Mechanik, aber nicht 
Mechanik ohne Geometrie treiben. Wer Bewegung zum »Ersten« macht, 
mag »metaphysisch« vielleicht Recht haben ; davon reden wir in diesem 
Werke nicht. Im Rahmen der Ordnungslehre hat er nicht recht. 
Der Begriff Bewegung verknüpft das An*verschiedenen?Ortens»Sein 
eines Dinges in Zuordnung zur Zeit — Orte und Zeiten als stetige 
Reihen gefaßt — in sich. 
Wir machen nun Ernst mit dem »in sich verknüpfen«: wir machen 
aus dem Sich^bewegen ein Etwas, das einem Dinge als Eigenschaft, 
d. h. als etwas sein Sosein kennzeichnendes, zukommen kann. 
Das Ding bewege sich, und zwar in bestimmter Richtung und in bej* 
stimmtem Betrage. Wir nennen seine Bewegung gleichförmig, wenn 
es in gleichen Zeiten gleiche Wege zurücklegt; den Weg, den es in einer 
willkürlich festgelegten Zeiteinheit zurücklegt, nennen wir seine Ge* 
SCHWINDIGKEIT (v). 
In jedem Zeitpunkt seines Daseins ist das Ding an diesem bestimmten 
Naturorte; damit, daß wir von ihm aussagen, nicht nur, daß es »sei«, 
sondern daß es werde, nämlich sich bewegt, sagen wir von ihm etwas 
in bezug auf es selbst Mögliches aus, ein »Vermögen«; nämlich das 
Vermögen in genau angebbarer Weise zukünftig an anderen bestimmten 
Orten zu sein. Naturmöglichkeit ist Vorausnähme künftiger Natur«« 
Wirklichkeit. 
Für die Naturwirklichkeit in ihrer erfahrbaren Gegebenheit, so wie 
sie dem Ich gegenübersteht, ist diese Vorwegnahme ein Glaube. Es 
läßt sich nun aber ein Geßige von Forderungen aufstellen, bei dessen 
Erfülltsein durch Natur die allgemeinen Forderungen der Eindeutig* 
keit und der Sparsamkeit beide zugleich erfüllt sein würden. 
Jede einzelne solcher Forderungen für Werdensbesonderheiten, wie 
sie besonders im Gebiet der Einzelheitsverknüpfung möglich sind, soll 
ein für allemal als wesensmässiges Vorbild (»ontologisches Prototyp^«) 
bezeichnet werden. Wir werden eine ganze Reihe solcher wesens* 
mäßiger Vorbilder im Gebiete der Einzigkeitsfolgeverknüpfung enU 
wickeln. Sie erschöpfen das reine Wesen von Bewegung oder von Vcr^ 
änderung überhaupt. 
Zunächst also suchen wir das Ding als bewegtes so zu fassen, daß, 
* Der Begriff ist eingeführt in meiner »Philos. d. Organ.« 1. Aufl. II, S. 330. 
219 
falls empirisch^wirkliche Natur^sDingbewegung sich entsprechend 
fassen ließe, sie als Erfüllerin der sparsamen Eindeutigkeitsforderung 
erscheinen würde. 
Das bewegte Ding nun wird mit Rücksicht auf seine raum*zeitHche 
Beziehung — und Bewegung eben ist Beziehung auf Raum und Zeit — 
am einfachsten gekennzeichnet, wenn von ihm gesagt wird : Ist es in 
einem Zeitpunkt einmal in einer durch bestimmte Geschwindigkeit 
und Richtung gekennzeichneten gleichförmigen Bewegung, d. h. hat 
es seinen Ort in der Vergangenheit nach dem in eben dieser Ge* 
seh windigkeit und Richtung ausgedrückten Orts^Zeitänderungsgesetze 
geändert, so wird es sich auch, falls es frei von fremden Werdebeein* 
flussungen bleibt, mit derselben Geschwindigkeit und in derselben 
Richtung weiterbewegen. 
Das aber ist der wesentliche Inhalt des von Galilei aufgefundenen 
Satzes von der Trägheit des Bewegten. 
Der Satz von der Trägheit läßt des Dinges Werden, d. h. sein Sich^ 
verändern der örtlichkeit nach, in der Zeit t^ bis t^ den Werdegrund 
seines sich Veränderns in der Zeit tg bis tg sein und so fort. Sein »erstes 
Werden« setzt, in einem als »homogen« gesetzten Raum, sein »zweites 
Werden« mit, ja sogar als ein selbiges, nur der Einzigkeit nach vom 
ersten unterschiedenes. 
Wir haben hier gar nichts mehr zu fragen und zu sagen. Wäre es 
anders, so müßten wir »fragen«: warum denn diese ^tweic/iung- vom 
Trägheitssatze ?^ Man sieht, wie der Satz von der Einzelheitsverkettung 
im Trägheitsprinzip gewissermaßen in negativer Form zum Ausdruck 
kommt: wo nichts an Ursache ist, kann auch nichts an Wirkung sein, 
muß also alles bleiben, wie es ist, und es »ist« nun eben ein sich gleich«« 
sinnig in bestimmter Richtung Bewegendes da. 
Die Alten kannten den Trägheitssatz nicht, weil sie es unterließen, 
die Frage nach dem Bewegten als solchem aufzuwerfen. Sie fragten so* 
gleich nach der Ursache von Bewegung in bezug auf ein von außen 
her das Bewegliche Bewegendes. Uns wird das die zweite Frage sein. 
Die Alten sahen nun im Besonderen in einer endlichen durchlaufenen 
Strecke das Maß der Ursache der Bewegung des Beweglichen; nach 
Durchlaufen dieser Strecke sollte es von selbst zur Ruhe kommen. 
Denkmäßig widerspruchslos wäre auch das; aber es wäre nicht ein* 
deutig gefaßt, denn über das Geschwindigkeitsgesetz des Durchlaufens 
* Man vergleiche hierzu den Satz von der »vollständigen Induktion«, den »Schluß 
von n auf (n-j-l)« in der Zahlenlehre, (s. S. 108.) Auch er ist ein Setzungssparsamstes. 
220 
jener Strecke wäre nichts ausgemacht. Galilei also mußte hier über 
die Alten siegen. 
Wirken von außen bewegende Ursachen auf das Bewegte, so ist die 
Trägheit seines Bewegtseins etwas, das seine wirklich werdende Be* 
wegung nur miY^bestimmt. Besonders bedeutsam ist hier der Fall, daß 
zeitlichssstetig eine bewegende Ursache auf das Bewegte wirkt. In die»« 
sem Falle kann es seine Richtung oder seine Geschwindigkeit ebenso 
falls stetig, in dem in der Zahlenlehre festgelegten Sinne, ändern. Für 
jeden Zeitpunkt wird es hier aber als mit bestimmter Richtung und 
Geschwindigkeit des Bewegtseins begabt angesehen; d. h.: würde in 
diesem Augenblicke nichts Äußeres mehr auf das Bewegte wirken, so 
würde es seine Bewegung fortsetzen mit derjenigen Geschwindigkeit 
und in derjenigen geradlinigen Richtung, welche ihm eben jetzt in die»» 
sem Augenblicke eigen ist. 
ß) DIE BEWEGUNGSURSACHE 
Bewegtsein ist Ursache seines eigenen Fortganges. Nun kann aber 
auch Bewegtsein und »Ruhe«, als sein Sonderfall, geändert werden. 
Um zu wissen, wie wir das Bewegungsändernde fassen sollen, müssen 
wir zunächst untersuchen, wie wir denn Bewegungsänderung selbst 
eindeutig fassen können und durch welche Merkmale eigentlich ein 
besonderes bewegtes Bewegliches — ein bewegtes »Ding« — in jedem 
Augenblick seiner Bewegung gekennzeichnet ist. 
Daß das bewegte Ding, als lediglich seine örtlichkeit veränderndes 
Etwas im Raum angesehen, durch Bewegungsrichtung und Geschwind» 
digkeit in seinem Bewegtsein bestimmt wird, wissen wir schon. Weitere 
Kennzeichnungen des Dinges als eines bewegten wären nun zur ein* 
deutigen Festlegung seines Bewegtseins unnötig, wenn es nur einerlei 
Dinge »gäbe«, richtiger gesagt, wenn wir alle Dinge als Einzigkeiten 
einer Naturklasse setzten. Wir wollen das aber nicht tun ; Dinge als 
Bewegliche sollen in Zuordnung zu ^rq/3enmäßigen Abstufungen \on^ 
einander verschieden sein. Jedes Ding soll durch einen auf eine fest* 
gelegte Einheit bezogenen beharrlichen Betrag von Etwas als dieses 
Ding bestimmt werden. »Das Etwas«, von dem wir reden, soll nicht 
etwa durch den Betrag seines Raumerfüllens als von anderen unter* 
schiedenes Dieses bestimmt sein. Es soll aber trotzdem dieses beweg* 
liehe Ding von jenem beweglichen Ding unterscheiden. Dann gehört 
also im Sinne einer Forderung der Betrag unseres »Etwas«, neben Rieh* 
tung und Geschwindigkeit und der von uns als unwesentlich vernach* 
221 
lässigten Raumerfüllungsgröße, zu dem, was ein bestimmtes Bewegtes 
kennzeichnet. 
Das betragsmäßige Etwas des Dinges soll beharrlich sein, er eben 
ist das, an dem sich die Veränderung, welche Bewegung heißt, zeigt; 
er ist beharrliche Bedingung im Sinne unserer allgemeinen Kausalitäts* 
schematik. Änderung der Bewegung des Bewegten wird also nicht 
durch seine Änderung, sondern nur durch Änderung von Richtung 
oder Geschwindigkeit der Bewegung oder von beiden bestimmt. Das 
betragsmäßige Etwas geht ungeändert in den neuen Bewegungszustand, 
wenn der kurze Ausdruck erlaubt ist, über; er kennzeichnet also das 
Bewegte auch nach der Änderung. 
Bei einer Bewegungsänderung wird also, und zwar in einem Zeit:* 
punkte, aus der durch die Geschwindigkeit v^ gekennzeichneten Be^ 
wegung unseres Dinges eine durch die Geschwindigkeit Vg gekennzeich«« 
nete; zugleich möge die Bewegungsrichtung geändert sein; aber unser 
das Ding beharrlich kennzeichnendes Etwas, das einstweilen x heiße, 
bleibt dasselbe. 
Jetzt gehen wir daran, eine Bewegungsänderung als Werdefolge ein^» 
deutig auf einen Werdegrund zu beziehen; wir nennen den Werden 
grund, die Ursache, Kraft. 
Der Richtung nach würde zwischen der Kraft, welche ja doch, da 
wir hier von Einzelheitskausalität reden, ein Vorgang im Räume sein 
soll, also selbst Richtung besitzt, und ihrer Wirkung die Beziehung 
des Mitsetzens im Werden, also der Kernpunkte der »Kausalität«, 
dann bestehen, wenn die Kraft einem vorher ruhenden Dinge eine in 
ihre eigene Richtung fallende Bewegung erteilen würde; wirkt sie be* 
wegungsändernd auf ein schon bewegtes, also ein durch bestimmte 
Bewegungsrichtung bereits gekennzeichnetes Ding, so würden wir 
von EINDEUTIGER ZUREICHENDER BEGRÜNDUNG des Bewegungszustandes 
nach der Änderung, soweit Richtung in Betracht kommt, jedenfalls 
dann reden dürfen, wenn ursprüngliche und aufgezwungene Richtung 
sich, um in der kunstgemäßen Sprache zu reden, »geometrisch addier^ 
ten«, wenn also eine noch des näheren festzulegende Zwischenrichtung, 
d. h. eine Bewegung winkelmäßig »zwischen« der ursprünglichen Rieh«» 
tung und derjenigen der Kraft, sich für die neue Bewegung ergeben 
würde. 
Eindeutig wäre ja freilich auch die neue Bewegung ihrer Richtung 
nach bestimmt, wenn sie nur durch die Richtung der Kraft oder nur 
durch die überkommene Richtung bestimmt sein würde. In solchem 
222 
Falle würde aber doch der Zusammenhang im Werden in seltsamer 
Weise unterbrochen erscheinen: es wird weit mehr am Werden wirk* 
lieh MITGESETZT, es wird in weit höherem Grade das Werden in sich 
verknüpft — ja derart, daß gar nichts mehr unverknüpft erscheint — 
wenn wir alte^ und aufgezwungene Richtung sich in der neuen »geo*» 
metrisch addieren« lassen. 
Wir sind vom Bewegten und der Änderung seines Bewegtseins hier 
ausgegangen ; in Strenge müssen wir unser Ergebnis also so ausdrücken : 
Wenn ein Bewegtes seine Bewegung der Richtung nach ändert, so be^ 
ziehen wir diese Änderung auf eine Kraft, deren Richtung aus alter 
und neuer Bewegungsrichtung des Bewegten berechenbar, aber weder 
der einen noch der anderen gleich ist. 
Um hier »berechnen« zu können, müssen wir freilich noch wissen, 
was wir jetzt lernen wollen : 
Seine Geschwindigkeit v^möge das Bewegte durch eine Augenblicks*« 
kraft auf Vg vermehrt haben, Vg— Vj nennen wir dann die Beschleunig 
GUNG (/), welche es erfuhr. Diese Beschleunigung kennzeichnet seine 
Bewegungsänderung dem Betrage nach; sie also wird auch das Be^ 
wegungsändernde, die Kraft, betragsmäßig kennzeichnen. Aber nicht 
nur sie. Das Bewegte soll ja auch durch das beharrliche Etwas, x, das 
es von anderem Bewegten unterscheidet, gekennzeichnet sein; x ist 
auch ein Betrag, ist einer Zahl zuordenbar, ist meßbar. Daß also gerade 
DIESES X hier die Beschleunigung y = Vg— v^ erfährt und kein anderes, 
das würde, zur Kennzeichnung der Kraft verwendet, sie recht eindeutig 
kennzeichnen, insofern sie einen Betrag hat; denn y und x sind Beträge, 
beide auf eine Einheit bezogen. Das Produkt x . y kennzeichnet also 
eindeutig eine gewirkthabende Kraft ihrem Betrage nach. Besser ge^ 
sagt: wo das durch das beharrliche x Gekennzeichnete seine Geschwin*» 
digkeit von v^ auf Vg erhöht, da sagen wir: es habe auf x eine Kraft 
* Überkommene der Trägheit unterstehende Bewegung erscheint hier und später 
also gleichsam als einer früheren Kraft Ergebnis. Man vergleiche Newtons Bezeich* 
nung der Trägheit als der »vis insita«, den Satz von der Trägheit nennt er ein passives 
Prinzip. Übrigens spielen in Newtons Trägheitsbegriff neben rein denkmäßigen auch 
gewohnheitserfahrungsmäßige Kennzeichen (z. B. der Begriff des Widerstandes) 
hinein. Zu allem vergleiche man von Neueren vornehmlich Machs und Dührings 
bekannte Geschichten der Mechanik, Volkmanns auf S. 218 Anm. 1, genanntes Werk, 
PoiNCARE.Wissenschaft un d Hypothese, Duhem, Ziel und Struktur der physik.Theorie, 
1908, Enriques, Probleme der Wissensch., und gewisse Kapitel bei Natorp (s. S. 106 
Anm. 1). Sehr lehrreich sind auch die von der Philos. Gesellschaft zu Wien heraus* 
gegebenen »Vorreden und Einleitungen zu klassischen Werken der Mechanik« (1899). 
223 
vom Betrage x . / gewirkt. Wäre bei gleichem x das y ein anderes ge# 
wesen, so hätte die Kraft einen anderen größenmäßigen Betrag ge^ 
habt, ebenso aber, wenn sie, die Beschleunigung y erteilend, auf ein 
anderes x gewirkt hätte. 
Nun erst können wir auch aus allem, was wir jetzt wissen, die Rieh:» 
tung der Kraft wirklich bestimmen: wir kennen Richtung und Ge^ 
schwindigkeit des Bewegten vor und nach der Kraftwirkung. Ge«» 
schwindigkeit ist der Weg in der Zeiteinheit. Wir denken uns die 
beiden uns bekannten Zeiteinheitswege als längenmäßig bestimmte 
Strecken, setzen sie aneinander im Sinne der uns bekannten Richtungen 
und fassen die ursprüngliche Richtung als, jetzt längenmäßig bestimmte, 
Seite, die endgültige Richtung als längenmäßig bestimmte Diagonale 
eines Parallelogrammes auf, dann haben wir in der anderen Parallelo* 
grammseite Betrag und Richtung der »Kraft«. Anders gesagt: Wäre 
in eben dieser Form die gesuchte Kraft an Betrag und Richtung be* 
stimmt gewesen, so würde sie das, was vorliegt, eindeutig und zu»» 
reichend begründen; deshalb soll sie als so bestimmt gewesen an:* 
gesehen sein. 
Was wir hier abgeleitet haben, ist der rein denkmäßige Kern des 
zweiten der mechanischen Prinzipien Newtons. 
yj DIE ^^WECHSELWIRKUNG« 
Das dritte seiner »Prinzipien«, dasjenige von der Wechselwirkung, 
hat als rein denkmäßig*forderungsmäßigen Bestandteil nur diesen : 
Ein Werdegrund in Form räumlicher Ursache, welcher seine Werde«» 
folge als räumliche Wirkung »gesetzt« hat, wirkt nicht mehr; er ist 
eben, weil er gewirkthabend geworden ist, nicht mehr wirkend. Die 
Wirkung vernichtet die Ursache als Wirkenkönnendes; wäre sie nicht 
eingetreten im Zeitpunkt t^, so würde in irgendeinem folgenden Zeit*s 
punkte tg die Ursache als vor sich gehende Veränderung noch eine 
wirkenkönnende sein. 
Von »Wechselwirkung« zu reden, hat zunächst nur mit Bezug auf 
zwei Dinge bedeutsamen Sinn, das heißt, wenn die Veränderung des 
einen Werdegrund der Veränderung des anderen ist. Faßt man bei 
einem gleichförmig bewegten Dinge, im Sinne des Trägheitssatzes, 
seine Bewegung in der Zeit t^ bis tg als »Ursache« seiner Bewegung 
in der Zeit tg bis tg, d. h. als eben die zweite Bewegung »mitsetzend«, 
so verliert das Wort »Wechselwirkung« jede Bedeutung. Man müßte 
denn sagen: das sich ^»jetzt»» zwischen »»den* Orten «»B^undssC*' Bewegen 
224 
habe das frühere sich >» zwischen^ den s« Orten ««A«»und:*B:* Bewegen ver^* 
nichtet. 
Aber angewandt auf verschiedene Dinge, deren eines als sich ver>« 
änderndes irgendwann einmal auf ein anderes Ding, es verändernd, 
wirkt, hat das Wort »Wechselwirkung« als Ausdruck der Vernichtung 
der Ursache durch die Wirkung einen guten Sinn. 
Übrigens sehen wir gerade an diesem Punkte schon Zweierlei, das 
uns bald noch immer eindringlicher beschäftigen wird : einmal näm«» 
lieh dieses, daß Veränderung an Dingen geschieht, und zum anderen 
jenes andere, daß die Frage, was denn »eine Veränderung« eines Dinges 
sei, eine sehr bedeutsame Angelegenheit ist. 
Bis jetzt haben wir uns mit Rücksicht auf diese Fragen unsere Arbeit 
absichtlich leicht gemacht. — 
Der Satz von der Wechselwirkung sagt nicht aus, daß ein Ding, das 
als Träger einer Veränderung gewirkt hat, nach erfolgter Wirkung 
durchaus aufgehört habe Träger von Veränderung überhaupt zu sein. 
Es ist nur nicht mehr Träger desjenigen Sich^Veränderns, welches ge«« 
wirkt hat; dieses ist als Ursache vernichtet durch das Gewirkthaben, 
durch die Wirkung. Gerade dann, wenn ein gewirkthabendes Ding 
doch noch irgendeine Veränderung überhaupt zeigt, welche Verände^* 
rung also von derjenigen, die es vor dem Wirken zeigte, verschieden 
ist, wird der Satz von der Wechselwirkung zu einer eigentlich bedeut*« 
samen Aussage: Die Wirkung ist es ja gewesen, welche die Verschieden^ 
heit an Sich*verändern überhaupt am Dinge, das Träger ihrer Ursache 
war, gleichsam »bewirkte«. Ding A als Ursachenträger setzt Wirkung, 
d. h. Veränderung, an Ding B, damit aber ist es selbst, ob es schon 
weiter Veränderungsträger ist, insofern ein von seiner früheren Ver** 
änderungszuständlichkeit verschiedener Veränderungsträger gewor* 
den, als es nicht mehr gerade der Ursachenträger ist, der es war. 
SJ DIE ERHALTUNGSSÄTZE 
Wir wollten unter dem als x bezeichneten Etwas beweglicher 
Dinge dasjenige verstehen, was sich an ihnen erhält, was an 
ihnen beharrt, wenn nur echte Einzelheitsverknüpfung in Frage kommt. 
Wir redeten also von der Erhaltung des beharrlichen Raumj'Ding«« 
HAFTEN. 
Es tritt nun die Frage auf, ob wir nicht noch von einem anderen 
BEHARRLICHEN Erhaltenbleibenden reden können, das so recht das 
Werden selbst als Beharrlichkeit vor Augen führt. Es soll sich jetzt 
15 Driesch, Ordnungslehre ZiZiJ 
also nicht um das Werden an einem Beharrlichen, sondern um etwas 
Beharrliches am Werden handeln (nicht um »Substanz«, sondern 
um eine allgemeine »Invariante«). 
Ein bewegtes Ding kennzeichnen, wie wir wissen, von der Richtung 
seiner Bewegung abgesehen, in jedem Augenblicke sein x und sein v. 
Wir fassen den Fall ins Auge, daß in jedem Augenblicke, d. h. zeitlich 
stetig, eine Kraft von dem Betrage p derart auf es wirkt, daß sie v ver^ 
ringert; diese Kraft erteilt dem Ding gleichsam eine unendliche Zahl 
kleiner Stöße seiner Bewegungsrichtung entgegen. Das Ding bewegt 
sich also, so sagen wir, »der Kraft entgegen«. Es bewege sich ihr ent** 
gegen über einen endlichen Weg s hin; dann sei es in Ruhe. Wir 
nennen das Produkt p s die Arbeit, welche es leistete, während es die 
fortdauernd wirkende Kraft überwand. 
Können wir nun p s irgendwie durch die Größen x und v auss» 
drücken, welche das Ding betragsmäßig als bewegtes kennzeichnen, 
ehe es die entgegenwirkende Kraft zu überwinden begann? Des Dinges 
Geschwindigkeit am Anfang der Überwindung war v, am Ende ist sie 
Null. Die Verlangsamung der Geschwindigkeit soll gleichförmig er»« 
folgt sein, im Durchschnitt war die letztere also y, d. h. in der Zeit:« 
einheit legte das Ding im Durchschnitt den Weg y zurück. Wenn 
wir daher t diejenige Zeit nennen, welche unser Ding zum Durchlaufen 
des Weges s gebraucht, so erhalten wir für s den Ausdruck y t. 
Wir suchen nun einen Ausdruck für p. Diese Kraft p mag dem 
Dinge x in der Zeiteinheit die Beschleunigung y erteilt, d. h. seine 
Geschwindigkeit um y verzögert haben, p wird also als gleich x y be^ 
stimmt sein; p s wird so gleich x / y t. 
Dieser Ausdruck läßt sich wesentlich vereinfachen, wenn beachtet 
wird, daß das dem x fortdauernd mitgeteilte, seine Geschwindigkeit 
verzögernde y ihm durch die Zeit t hin mitgeteilt ward, dann aber 
eben sein v vernichtetet hat; v ist also gleich y t; setzen wir diesen 
Wert ein, so erhalten wir als endliches Erlebnis: p s == y v^. 
In dem Ausdruck yv^ der sogenannten »lebendigen Kraft« eines 
Beweglichen, haben wir also eine größenmäßig lediglich durch x und 
V bestimmte Kenntnis seines Arbeitsvermögens: Kennen wir seine 
lebendige Kraft und kennen wir eine ihm entgegenwirkende Kraft, so 
wissen wir auch, auf welchen Weg hin die letztere überwindbar ist. 
Das Wissen um die Möglichkeit, Arbeit durch x und v auszudrücken, 
also durch diejenigen Beträge, welche ein Bewegliches als dieses so 
bewegte vor Leistung der Arbeit kennzeichnen, hat nun noch eine 
226 
ganz besondere Bedeutung; damit eben kommen wir zum Wesent»« 
liebsten: 
Die Forderung der Eindeutigkeit des Bewegungsgescbebens verlangt, 
daß Gleichheit des Betrages herrsche zwischen dem Vermögen eines 
bewegten Dinges, eine Kraft zu überwinden und zwischen dem ihm 
von eben dieser als beschleunigend gedachten Kraft erteilten Vermögen 
zu künftiger Überwindung. Anders gesagt: kraft seines y v^ kann ein 
Ding die Arbeit p.s leisten; wirkt andererseits auf ein ruhendes Ding 
X eine beschleunigende Kraft über den Weg s hin, so erteilt sie dem 
Ding die lebendige Kraft y v^ kraft deren es jene Kraft wiederum auf 
den Weg s hin überwinden könnte. 
Und nicht nur dieses. 
Hat ein Ding, eine Kraft p auf den Weg s hin überwindend, die 
Arbeit p . s geleistet und damit seine lebendige Kraft y v^ verzehrt, so 
ist es in Ruhe. »Hat« es da nun wircklich nichts mit Bezug auf Wer* 
den? Die seiner ursprünglichen Bewegung entgegenwirkende Kraft 
wirkt doch weiter auf das Ding, es jetzt nicht verzögernd in seiner 
Bewegung, sondern im wahren Wortsinne beschleunigend; hat sie 
aufs neu über s hin gewirkt, so wird unser Ding wieder y v^ besitzen. 
Man sieht: bei dieser Art der Betrachtung, der newtonischen, ist der 
sogenannte Satz von der »Erhaltung der Arbeit« nichts eigentlich 
Neues, sondern etwas Abgeleitetes. 
Anders, wenn man y v^ = ps = E setzt und als Einheit ansieht. 
Die Naturlogik verlangt dann, um die Eindeutigkeit des Mannig»« 
faltigkeitsgrades des Geschehens, genauer gesagt der Zuständlichkeiten 
des Werdens in verschiedenen Zeitpunkten, zu retten, etwas ganz be# 
sonderes: nämlich Gleichheit des Betrages an Uvsächlichkeitsv ermögen 
überhaupt, oder anders: Zuordnung des Betrages des Ursächlichkeitsi« 
Vermögens überhaupt zu derselben Größe, durch alle Zeit hindurch. 
y v^ kennzeichnete des Dinges Ursächlichkeits vermögen im Anfang 
seines Bewegtwerdens; dieser Betrag als Einheit, als E gefaßt soll als 
Ursächlichkeitsvermögen überhaupt dauernd seinem Betrage nach ge* 
wahrt bleiben, auch dort, wo das Ding einen wahren Augenblick — 
keine endliche Zeit — lang geradezu ruht, um dann in seiner Bewegung 
umzukehren, wo es scheinbar also keinen Ursächlichkeitsbetrag mehr 
darstellt. Es handelt sich dabei, wohlverstanden, nur um Wahrung, 
um »Invarianz«, eines größenmäßig festgelegten Betrages an Ursäch»« 
LiCHKEiTSVERMÖGEN ÜBERHAUPT. Da einen solchen Betrag das von uns 
betrachtete Ding, wenn es ruht, in »anschaulich« zugänglicher Weise 
15« 
227 
nicht besitzt, so setzen wir ihn in »unanschaulicher« Form und legen 
ihn im Ruhepunkte auf das Ding. Wir nennen ihn »potentielle Ener»* 
gie«, messen ihn durch p s und sagen nun, der Betrag an Ursächlich* 
keitsvermögen überhaupt sei stets »erhalten« geblieben. Ursache und 
Wirkung würden ja sonst einander nicht dem Größenbetrage nach 
»mitsetzen«; »potentielle Energie« ist also so etwas wie eine Anweisung 
auf die Zukunft. 
Auf den Begriffen Eindeutigkeit und Mitsetzen also ruht der Begriff 
der »potentiellen Energie«, auf ihnen allein der »Satz von der Erhalt 
tung der Arbeit«, wenn man ihn als Ursatz, also E als Einheit, faßt. 
Lebendige Kraft geht in Arbeit über, und diese bleibt als Vermögen, 
als »potentielle Energie« erhalten. 
Auf jedem EiNZELpunkt seiner Bahn aber, auf welcher das Ding x 
ja noch eine bestimmte, gegen die anfängliche freilich verminderte Ge^ 
seh windigkeit, also etwa Vn, besitzt, gestaltet sich unsere Angelegen!» 
heit so, daß der Betrag an Ursächlichkeits vermögen E sich jeweils aus 
zwei Bestandteilen zusammensetzt, nämlich aus der augenblicklichen 
lebendigen Kraft des Dinges y Vn^ und der in diesem Augenblick ge*» 
leisteten Arbeit p Sn. Es ist also stets ^Vn^ + p Sn eine »konstante« 
Größe, eine »Invariante«, nämlich E. 
Die Newtonische Formung der mechanischen Urbeziehungen ist 
Ordnungshaft befriedigender als die »energetische«; diese setzt am 
Ausgang Etwas, was ganz klärlich noch aufgelöst werden kann, jene 
allein geht von logisch Elementarem aus. Auch braucht die Energetik 
auf alle Fälle so etwas wie eine »gerichtete« Energie; sie macht also 
eine Anleihe bei der Lehre von der »Kraft«, ohne daß das eigentlich 
zu ihrem Wesen paßt. 
Hiermit beschließen wir die Darlegung des Wesensmäßigen an der 
Bewegungslehre, also der »rationellen Mechanik« im strengen Sinne ; 
was es hier sonst noch in gewissen Sätzen der »Mechanik«, z. B. dem* 
jenigen von der »kleinsten Wirkung«, von der Erhaltung des Schwer«* 
punkts, der Flächen an Forderungsmäßigen gibt, das ist auf das Aus^» 
geführte zurückführbar. 
In Kürze hat sich nun aber die Ordnungslehre zu beschäftigen mit 
der Form der Erfüllung ihrer Forderungen in Sachen der Bewegung 
durch das Inhaltliche der Natur, ein Gegenstand, dessen nähere Aus* 
führung freilich der Naturlehre angehört. 
228 
c) DIE ERFÜLLUNG DER ORDNUNGSSÄTZE DER BEWEGUNGSLEHRE 
Die Natur erfüllt die Forderungen in Hinsicht des Werdens, soweit 
es Bewegung und Bewegungsverknüpfung ist, in großer Annähe* 
rung dort, wo die wirklichen beobachtbaren Bewegungen dessen, was 
wir die groben Dinge nennen wollen, in Frage kommen. Auf diesem 
Gebiete des Naturwirklichen lassen sich allen Einzelbestandteilen jener 
Forderungen ganz bestimmte Wirklichkeitsbestandteile zuordnen. 
Es gibt zunächst einmal Dinge, welche als bewegliche im Räume 
sind; sie besitzen auch das sie in bestimmtem Größenbetrage kenn«« 
zeichnende beharrliche Etwas, das wir x nannten und jetzt Masse (m) 
nennen wollen. Und zwar ist Masse der Dinge in der Tat nicht durch 
ihren Rauminhalt gegeben, sondern von ihm unabhängig (»Spezi:* 
fische Masse«). 
Es gibt, zweitens, Bewegung, d. h. stetige Ortsänderung von Dingen 
in Zuordnung zu stetiger Zeit. Daß gerade auch das »empirisch« ist, 
sah in besonderer Schärfe Lotze\ 
Ein bewegtes, sich selbst überlassenes Ding ändert seine Bewegungs«« 
richtung nicht; das entspricht der einen Hälfte des Trägheitssatzes. Es 
kommt aber scheinbar von sich aus zur Ruhe, und das scheint der an«« 
deren Hälfte des Trägheitssatzes zu widersprechen. Es läßt sich jedoch 
zeigen, daß ein scheinbar von selbst zur Ruhe kommendes Ding eben 
doch immer nur scheinbar von selbst zur Ruhe kommt; es läßt sich 
nämlich bei genauerer Betrachtung zeigen, daß denn doch immer etwas 
Fremdes, als »Reibung«, »Widerstand« oder dergleichen, auf das Ding 
»wirkte«. Übrigens zeigt gerade der Umstand, daß »erfahrungsmäßig« 
der Satz von der Trägheit, wenigstens für die alltägliche Beobachtung, 
nicht zu gelten scheint, so recht seine denkhaft^forderungsmäßige Art. 
Stets lassen sich Ursachen für die empirischen Abweichungen vom 
Trägheitssatze finden. 
Die »variable scheinbare Masse«, von der die neuere Elektrizitäts«« 
lehre redet, gehört erstens der »Materientheorie«, aber nicht der Lehre 
von der Bewegung der groben Dinge an, von der wir hier reden ; zwei* 
tens mag schon hier bemerkt sein, daß da denn eben doch nicht Masse, 
sondern, wie ja auch gesagt wird, »scheinbare« Masse in Betracht 
kommt, welche denn ja auch offenkundlich als Ergebnis des Zusam* 
menwirkens von Elektron und von elektrischem Feld sowohl »schein* 
bar*massig« wie »variabel« ist. »Masse« ist hier nichts einfaches Letztes 
mehr, sondern in viel allgemeinerer Form definiert. 
* Grundzüge d. Metaph. 3. Aufl. § 51 und sonst. 
229 
Es ist also jedenfalls ein naturwissenschaftlicher Standpunkt in Hin*» 
sieht der Bewegungen der groben Dinge erlaubt, welcher sich um an* 
deres noch gar nicht kümmert und jetzt einfach das m als Beharrliches 
dem beharrlichen x der früheren Betrachtung gleichsetzt. — 
»Ursachen« der Bewegung gibt es in der Welt der groben Dinge 
von zweierlei Art: die Dinge wirken bewegend aufeinander durch Stoß 
und in die Ferne. Das sind reine »Tatsachen«; das ist Natur^lNHALx, 
ruht letzthin auf dem Gegebenen und ist nicht im Rahmen der Ord* 
nungslehre irgendwie »verständlich«, sondern schlicht hinzunehmen. 
Denkbar wäre es zum Beispiel, daß es Dinge im freien Räume gäbe, 
welche durch Stoß nicht aus ihrer Lage gebracht würden, von denen 
vielmehr das stoßende Ding abpralltet Das würde ja auch den Ein»* 
deutigkeitsforderungen für die Werdeverknüpfung genügen, wenn nur 
das bewegte abprallende Ding seine Bewegung alsdann der Richtung 
nach spiegelbildlich umkehre, seine Geschwindigkeit aber bewahrte. 
Der wirkliche Stoß wäre am einfachsten zu fassen, wenn er, um in 
der üblichen Sprache zu reden, stets als »vollkommen elastischer« Stoß 
aufträte. Die wirkliche durch Stoß bedingte Bewegung der wirklichen 
groben Dinge kann immerhin als Annäherung an eine Welt voUkom* 
men elastischer Dinge dargestellt werden. Freilich führt andererseits 
gerade die Tatsache des unelastischen Stoßes, welche dem Satze von 
der Erhaltung der Arbeit scheinbar widerspricht, tiefer in die Erfassung 
der Naturwirklichkeit durch eine »Materientheorie« hinein. 
Beim stoßenden und gestoßenen, ja überhaupt bewegt werdenden 
Ding kommt seine Masse recht eigentlich als Kraft**, bezw. »Wider*» 
stand«f Bestimmer in Frage. Bewegt stellt es Kraft dar, und um bewegt 
zu werden, erfordert es Kraftaufwand. Wenn die Physik von träger 
Masse redet, meint sie meist das Ding nicht nur als Bewahrer von 
Richtung und Geschwindigkeit, sondern denkt zugleich an die Rolle 
der Masse im Kraft«» und Widerstandsspiel; das Ding ist eben zugleich 
träge im engeren Sinne und in größenmäßigem Betrage massig. 
Die Tatsächlichkeit der Fernwirkung zwischen den groben Dingen 
ist von Newton zuerst größenmäßig gefaßt worden; sie folgt einem 
Gesetze, welches die Logik unter allen möglichen Gesetzen als das 
geometrisch einfachste erschaut. Das Denken kann geradezu sagen; 
gibt es einmal in die Ferne wirkende grobe Dinge, so ist nur bei dieser 
Gesetzesform nichts weiter zu fragen. JEs ist also, als ob vom Mittel* 
* Wenn beim Stoß beide Dinge in Ruhe liegen blieben, so würde freilich das Denken , 
sich nicht beruhigen können ohne neue Forderungen. 
230 
punkt eines »schweren«, d.h. der Fernanziehung unterworfenen Dinges 
Strahlen in bestimmter Dichte in den Raum strahlten; ihre Dichte 
auf der Flächeneinheit ist dann stets »umgekehrt proportional dem 
Quadrat der Entfernung«. Man kann die Strahlen passend geome= 
irische Orte möglichen Geschehens nennen^: »käme« ein Ding in ihr 
Bereich, so würde es sich bewegen. Wir wissen für jeden Ort genau, 
wie es sich bewegen würde. Hier liegen die Wurzeln des Potential:« 
begriffs. »Kräfte« sind natürlich die Strahlen nicht, wohl aber Inbe^ 
griffe möglicher Kräfte, geometrisch festgelegt ^ 
Die strenge Form der Lehre von der Einzelheitsverknüpfung will 
DIESER Ursache hier diese Wirkung in der Zeit stetig, d. h. ohne Lücke, 
folgen sehen. Beim Stoß ist klar, was das heißt: das Stoßende in seiner 
Bewegung bis zum Stoß ist ein sich, nämlich dem Orte nach, Veräns^ 
derndes; es setzt jetzt, in betragsmäßig ganz klarer Weise, neue Ver^« 
ander ung. Auch was hier »Wechselwirkung« heißt, ist so einleuchtend, 
daß es keiner Ausführung bedarf. 
Soll angesichts der Fernwirkung die Formel diese Veränderung als 
Ursache — diese Veränderung als Wirkung gewahrt bleiben, so muß 
das Von:!einander*=entfernt*worJenssem^ zweier Dinge als die eine, das 
sich*einander>«bis*zur?Berührung:»nähern derselben als die andere »Ver^ 
änderung« gelten. Im Tatsächlichen werden nun diese Veränderungen 
nicht als gleichförmige Bewegungen vor sich gehen, sondern als »gleiche 
förmig beschleunigte«. Ist also jede von ihnen »eine« Veränderung? 
Hier liegt eine Schwierigkeit vor, die später in allgemeinem Zusam*» 
menhang gehoben werden soll. 
Wechselwirkung in bezug auf Wirkung in die Ferne kann nur heu 
ßen: das Genähertwerden hebt dasEntferntwordensein alsBewegungs:* 
Ursache auf. Im Gegensatze zur Lehre vom Stoß ist hier die Anwen»» 
düng des Satzes von der Wechselwirkung recht leer. — 
Endlich wäre noch der Natur ^Verwirklichung des Satzes von der 
Zusammensetzung der Kräfte nach dem Schema vom »Parallelogramm« 
zu gedenken. Daß das »so ist«, besser gesagt: daß sich Naturangelegen* 
heiten immer so wenden lassen, ist reine Tatsache. Es könnte anders 
sein; dann wäre Natur weit weniger einfach. Die Ursachen, welche 
* Vgl. meine »Naturbegriffe« (1904) S. 18. ^ Hierdurch erledigt sich Stallos be* 
kannter Einwand, daß es konstant wirkende Kräfte definitionsmäßig nicht geben 
könne. Ähnlich übrigens bei Nietzsche Werke X, S. 432. Die Strahlen sind also 
Möglichkeits^orte, nicht Kraftsorte. " Das kann von der Mechanik als solcher in 
»unendlich« weit zurückliegende Vergangenheit verlegt, also hingenommen werden, 
es muß aber als dagewesen gesetzt werden. 
231 
grobe Dinge bewegen, wirken eben wirklich in Unabhängigkeit von^ 
einander und haben eine der Lage und Größe nach angebbare »Re* 
sultante«. 
Alles weitere muß nun, als die eigentliche Ordnungslehre nicht an«» 
gehend, der Naturlehre im engeren Sinne, mag sie »Naturwissenschaft« 
oder »Naturphilosophie« heißen, überlassen werden, namentlich auch 
die von uns nur angedeutete Ausbildung des Begriffs »Potential«. 
Die »Prinzipien« Newtons sind, wie man sieht, aus Wesensmäßigem 
und aus Tatsächlichem gemischt. Wir haben versucht, ihre Bestand^ 
teile so scharf, wie es nur irgend möglich ist, zu sondern. 
Daß sich auch die aus den NEwxoNischen ableitbaren oder auch in 
Selbständigkeit aufstellbaren Sätze der Bewegungslehre, ihre »Integral* 
Prinzipien« also, mit tatsächlichem Inhalte füllen lassen, bedarf wohl 
keiner näheren Ausführung. Im Satz von der Erhaltung der Arbeit 
wird so z. B. aus der Kraft, »gegen« welche Arbeit geleistet wird, die 
beschleunigende »Sc/iwerkraft ; die »potentielle Energie« wird zur 
»potentiellen Gravzfafions=Energie«. 
Die neueste Forschung hat einen besonderen »Satz des größten 
Umsatzes« (Ostwald) geformt, des Inhalts, daß in jedem Wirklich* 
keitsausschnitte stets so viel »potentielle Energie« in »aktuelle«, also 
in Bewegung, umgesetzt werde, wie den Umständen nach möglich 
sei, daß also »potentielle Energie« nicht aufgespeichert werde, wo sie 
sich umsetzen »kann«. Mir scheint, daß dieser Satz nichts Neues aus* 
drückt, wenn man einmal den Begriff der »Erhaltung« in seiner An* 
Wendung auf Arbeit und dazu die NEWTONischen Sätze in ihrer Son* 
derheit hat. Zwar aus dem Erhaltungsbegriffe allein ergibt er sich nicht; 
erhalten bliebe Arbeit in möglicher Form auch bei Stapelung »poten* 
tieller Energie«. Aber Newtons zweiter Satz sagt aus, daß eine be* 
schleunigende Kraft eben »beschleunigt«, d. h. Bewegung ändert, 
falls sie da ist. Wo Kräfte da sind, da wirken sie — so könnte man den 
Satz vom größten Umsatz kurz ausdrücken^. Daß er sich aus dem Er* 
haltungssatze nicht ergibt, zeigt nur das Ungenügen des letzteren ohne 
Newtons Sonderaussagen, aber nichts anderes. Ähnlich gilt von allen 
Almimum-Sätzen, welche erst in ganz anderem Zusammenhange, näm* 
lieh im Rahmen der Lehre von der Ganzheit vielleicht eine neue grund* 
legende Bedeutung erlangen werden. 
* Der kleinste Stoß überwindet den größten Druck, wenigstens im Augenblick. Das 
ist auch eine Folge des in Rede stehenden Satzes. 
232 
d) DAS GLEICHGEWICHT 
Die Lehre vom Gleichgewicht, die sogenannte Statik, geschichtlich 
vor der Dynamik entwickelt, ergibt sich denkmäßig und natur:* 
inhaltlich durchaus als Folge der Uraussagen über Bewegung. Sie ist 
ein Sonderfall. Nicht liegt in ihr ein Nichts an Geschehen vor, viel:* 
mehr ist sie die Lehre vom Nicht=Geschehen wegen Sichaufhebens 
von Kräften. Wenn man will, kann man der Bequemlichkeit halber 
ein »Prinzip der Symmetrie« als obersten Satz der Statik aufstellen ; er 
sagt aber nur das aus den allgemeinen Sätzen über Werden, Einzels^ 
heitsverknüpfung und in Sonderheit Bewegung schon Bekannte in 
besonderer Form aus. 
Auf solche Dinge, wie Druck, Widerstand, stabiles und labiles^ 
Gleichgewicht können wir hier nicht eingehen. Der Begriff Auslösung 
oder Veranlassung im Rahmen der reinen Mechanik mag aber noch 
ganz kurz umgrenzt sein^: Veranlassung oder Auslösung ist ein Glied 
eines Folgeverknüpfungsverhältnisses, wenn es wegen der besonderen 
Anordnung eines Gefüges von Dingen eine Veränderung setzt, durch 
die mit Rücksicht auf ein zweites ungleiches Folgeverknüpfungsver* 
hältnis eine Veränderung gesetzt wird ; woraus sich dann im Bereiche 
dieses zweiten Verhältnisses weiteres ergibt ^ 
e) DIE GESAMTHEIT DER SETZUNGEN DER BEWEGUNGSLEHRE 
Die von uns zuerst ihrem denkmäßigen Kern nach entwickelte und 
dann mit Naturinhalt gefüllte Bewegungslehre nimmt die Set^ 
Zungen Raum, Grösse, Werden, Zeit, Kausalität, Bewegung, Bej« 
WEGLICHES hin und schafft sich zunächst die drei Setzungen: Zeitlänge, 
Raumstrecke, Masse. Alsdann schafft sie den Begriff Geschwindigkeit 
aus Raum, Zeit und Grösse und bedarf des Trägheitsbegriffs, als eines 
besonderen Ausflusses der Sparsamkeitsforderung für Bewegung als 
Werden, sowie einer besonderen Grundaussage über die Verbindung, 
über das Zueinanderkommen von Zeit, Raum und Masse im Sinne der 
Werde^Folgeverknüpfung. 
Die Verbindungs* Aussage kann in Formung des KRAFTbegriffs oder 
in derjenigen des ENERGiEbegriffs — aber mit Besonderung der Rieh«« 
tung^ — bestehen, also p = m >' oder y v^ = p s lauten, wo y Beschleu«« 
nigung, V Geschwindigkeit, also Weg in der Zeiteinheit, bedeutet. Die 
' In voller Strenge ist dieses in der Natur nie verwirklicht. ' Vgl. auch S. 195. 
' Eine Kugel stößt eine andere auf dem Tische liegende Kugel so, daß sie zuerst 
fortrollt und dann — fällt. * Für jede der drei Achsen eines Koordinatensystems 
muß der Satz von der Erhaltung gesondert gelten. 
233 
Mechanik von Hertz umgeht die Verbindungsaussage nur scheinbar; 
sie setzt eine aus dem Trägheitssatze und dem »Prinzip des kleinsten 
Zwanges« gemischte Forderung und die »Hypothese verborgener 
Massen und gesetzmäßiger Zusammenhänge« an ihre Stelle. 
Die Setzungen Zeitlänge, Raumstrecke, Masse sind, obwohl nicht 
einfach, doch in ihrem Sosein lediglich aufzeigbar; die Verbindungs= 
aussage ist aber nur durch ein entwickeltes Urteil unter Benutzung der 
Ursetzungen umgrenzbar, aber auch sie ist eine Einheit; sie ist »aprio»» 
ristische« ^ Wesensschau mit Rücksicht auf eindeutig mitsetzendes 
FoLGEVERKNÜPFTSEiN im Gebiet der Bewegungslehre; sie also ist die 
Hauptsache, denn sie allein redet von Verknüpfung im Werden und 
nicht nur, wie der Trägheitsbegriff, von Werden allein. 
/; DIE >^RELäTIVITÄTSTHEORIE<< 
Wenn Einsteins »Relativitätsprinzip«, das »spezielle« sowohl wie das »allge* 
meine«, eine mathematische Formung derjenigen allgemein relationstheore^ 
tischen Beziehlichkeiten sein will, welche in den physikalischen Geschehnissen zum 
Ausdruck kommen, so ist es von der Logik als geniale mathematische Leistung 
rückhaltlos hinzunehmen. Es drückt das allgemeine Relationstheoretische, das hier 
in Frage kommt, am kürzesten, d. h. am setzungssparsamsten aus, wobei die Relate 
ganz und gar willkürlich bestimmt werden. 
Wenn Einsteins Prinzip eine eigentlich physikalische Ordnungsleistung sein will, 
so ist es von der Naturlogik ebenso rückhaltlos abzulehnen, denn es arbeitet mit 
RelatsBegriffen, welche jeder möglichen naturlogischen Bedeutungslehre zuwider 
sind, welche gar keine naturlogischen »Begriffe« sind, sondern bedeutungslose Worte 
für allgemein Beziehungstheoretisches, das von der Naturwirklichkeit grundsätzlich 
gar nicht erfüllt werden kann. 
Denn ich schaue den einen euklidischen Naturraum und die eine Naturzeit, und 
Einstein arbeitet mit nichtseuklidischen Naturraum*abteilen und mit »vielen Zeiten« 
(und Längen), d. h. mit verschiedenen »Sekunden« (und »Metern«). 
Alles, was Einstein auf seine Weise mathematisch formt, lässt sich auch anders 
FORMEN. Es wird dann freilich weniger »elegant« in seiner Formung; aber die For? 
mung arbeitet dabei mit naturlogisch klar bedeutungshaften Begriffen und muß 
daher, sobald nicht nur Mathematik, oder besser Relationstheorie, in Frage kommen 
soll, trotz ihrer größeren Umständlichkeit der Einstein sehen vorgezogen werden. — 
Daß man »absolute Bewegung« für ein gradlinig mit gleichförmiger Geschwindigs 
keit bewegtes System nicht feststellen kann, weiß man seit langem. Einstein fügt 
hinzu, daß man das auch für rotierende und beschleunigte Systeme nicht könne, 
zeigt, daß man auch »Gleichzeitigkeit« nicht feststellen kann und liefert angeblich 
eine »Erklärung« der Gravitation. 
Wir reden zunächst nur von der »speziellen« Relativitätstheorie Einsteins, welche 
die absolute Invarianz der Lichtgeschwindigkeit, und zwar bezogen auf jedes beliebig 
gradlinigsgleichförmig bewegte System behauptet. 
^S.o.S. 132f 
234 
Die EINZIGE physikalische Tatsachengrundlage für diese Einstein sehe Lehre ist der 
Michelsonsche Versuch. Er zeigt, daß Licht, welches von einer einem System an* 
gehörigen Lichtquelle ausgeht, sich bezogen auf dieses System, nach allen Rieh* 
tungen hin mit gleicher Geschwindigkeit bewegt, gleichgültig, ob das System gegen 
ein beliebiges anderes ruht oder sich bewegt. 
Nur dieses, also die Gleichheit der Lichtgeschwindigkeit nach allen Seiten für 
Licht, das von einer von dem in Rede stehenden System mitgeführten Lichtquelle 
ausgeht, und zwar mit Rücksicht auf das System selbst, ist von Michelson fest* 
gestellt worden. Die Hypothese vom »mitgeführten Äther« genügt hier^ 
Es wird aber nun von Einstein das folgende ohne neue Tatsachengrundlage ge= 
setzt: In einem beliebigen System soll sich auch dann das Licht stets mit gleicher Ge* 
schwindigkeit fortpflanzen, ganz gleichgültig, ob das System der Lichtquelle 
gegenüber sich bewegt oder ruht, wenn die Lichtquelle dem System selbst nicht 
ANGEHÖRT. Ob ich also etwa »dem Lichte« — darauf allein kommt es an — mit mei* 
nem System entgegenkomme oder nicht, es soll für seine Geschwindigkeit in bezug 
auf mein System nichts ausmachen. 
Denn die Lichtgeschwindigkeit c (= 300000 Kilometer in der Sekunde) soll ab* 
solut »konstant« sein. Daß das eine willkürliche Festsetzung, ein »Dogma« sei, wird 
zugegeben. Eine Folge der Lehre ist die, daß in einem der Lichtquelle gegenüber be* 
wegten System die Einheiten der Länge und der Zeit, also Meter und Sekunde, 
anders sind als im ruhenden System. 
Verifizierbar, ja überhaupt prüfbar ist diese Lehre natürlich grundsätzlich nicht: 
mag ich ruhen gegen die Lichtquelle, mich von ihr ab oder auf sie zu bewegen, ich 
nehme, so heißt es, immer mein Meter als »Meter« und meine Sekunde als »Se* 
künde« — (obwohl sie, »absolut« genommen, je nach dem Bewegungszustand meines 
Systems zur Lichtquelle jeweils verschieden sind) — und nehme daher auch immer 
meine Geschwindigkeitseinheit als die Geschwindigkeitseinheit. Übrigens ist durch* 
AUS nicht festgestellt, daß bei Bewegung »meines« Systems auf eine systemfremde 
Lichtquelle zu oder von ihr weg die Geschwindigkeit des von dieser Quelle aus* 
gehenden Lichts in bezug auf »mein« System immer konstant gefunden wird 1 Würde 
sie so gefunden, so würde offenbar die »Lorentzkontraktion« genügen zur Erklärung*. 
Aber Einstein will grundsätzlicher sein und scheut nicht eine offenkundige Para* 
doxie. Die »Naturgesetze« sollen, so sagt er, für jedes System, unbekümmert um 
seinen relativen Bewegungszustand, dieselben sein. 
Warum bedeutet denn, so fragt man wohl zunächst, die Geschwindigkeit von 333 
Meter in der Sekunde, welche für den sich in Luft fortpflanzenden Schall gilt, kein 
»Naturgesetz«? Von ihr wird das in der Tat nicht behauptet, und es gibt keinen 
5c/ia//=»Relativitätstheoretiker«, welcher lehrte: »Wenn Schall in Luft von einer 
systemfremden Schallquelle aus durch ein System hindurchgeht, so ist seine Ge* 
^ Oder auch die Lehre von Ritz, welche freilich, als »Emissions«*Theorie, den Satz 
aufgibt, daß Eigenbewegung einer Lichtquelle die Geschwindigkeit des von ihr 
ausgesendeten Lichts nicht beeinflusse. ^ Die Lorentzsche Kontraktionshypothese 
ist natürlich gerade eine »Absolutheits«* und ganz und gar nicht eine »Relativitäts«* 
theorie. Sie arbeitet mit dem Begriff der absoluten Bewegung in bezug auf den 
durchaus unbewegt gedachten Äther. Es wäre erwünscht, wenn man auch sie ver* 
meiden könnte, denn auch sie ist bizarr. 
235 
schwindigkeit »konstant«, auch wenn sich das System bekannterweise auf die Schall* 
quelle zu oder von ihr weg bewegt.« 
Die ungeheure naturlogische Paradoxie des Licht«Relativitätsprinzips erhellt gerade 
dann, wenn man es so einfach und »naiv*realistisch« wie möglich faßt: Es sei eine 
Lichtquelle A gegeben und längs eines von ihr ausgehenden Strahles ein zur Lichts 
quelle ruhender Beobachter B; er setzt c = 300000 metsec. Längs jenes Strahles 
befindet sich auch ein in seiner Richtung bewegliches, aber zunächst im Verhältnis 
zu A ruhendes, also auch im Verhältnis zum Beobachter B ruhendes System S, etwa 
ein ungeheuer langer Eisenbahnzug aus Glas. Dann setzt natürlich auch ein Be* 
obachter in S (mit Recht) c = 300000 metsec. Nun beginnt das System S eine sehr 
schnelle Bewegung mit der Geschwindigkeit v in Richtung des Lichtstrahls, der 
Lichtquelle zugewandt oder von ihr fort. Dann soll der Beobachter in S, auch wenn 
ER UM DIE Bewegung relativ zur Lichtquelle A weiss, doch nicht die Licht« 
geschwindigkeit in bezug auf sein eignes System gleich c --[- v oder c — v, sondern 
er soll sie gleich c finden. 
Ob das wirklich der Fall sein würde, wissen wir nicht. Wäre es der Fall, so würden 
wir, wie gesagt, die Lorentzkontraktion annehmen, bis eine bessere Theorie vors 
banden ist. 
Denn wir würden nicht der Invarianz einer zusammengesetzten Grösse vom 
Range einer bestimmten »Geschwindigkeit« die Invarianz der naturlogischen 
Urbedeutungen, ja, die Logik, opfern: Es sagt, wie wir meinen, der vielleicht ein? 
mal als zu Recht bestehend nachgewiesene Geschwindigkeitsbefund in Sachen der 
Lichtbewegung für ein zur Lichtquelle bewegtes System, welches vielleicht zur An? 
nähme der Lorentzkontraktion führen würde, über »die« Lichtgeschwindigkeit gar 
nichts aus, sondern nur darüber, daß ich sie wegen der Deformation meiner Maß* 
Stäbe gar nicht bestimmen kann, ja, sie falsch bestimme! 
Man erwäge doch einmal, wie es, wenn man nicht die gesamte Logik umwerfen 
will, sein müßte, in dem Falle, daß ich weiss, ich bewege mich in einem System mit 
V = Va c von einer systemfremden Lichtquelle weg. Da würde ich also mit »meinen« 
Maßen »mein« c bestimmen. Aber wenn ich nun von der Lorentzkontraktion etwas 
weiß, würde ich doch sagen müssen : »mein« c kann sicherlich nicht das c sein, denn 
ich eile ja vor dem Lichte weg. 
Soll alles »Schein« sein, nämlich deshalb, weil das Licht sich eben nicht mit uns 
endlicher Geschwindigkeit fortpflanzt, so ist natürlich alles gut; aber dann geht die 
ganze Frage nicht über gewisse leicht lösbare Faradoxien heraus, wie sie, etwa als 
»rückwärts verlaufende Weltgeschichte« und dergleichen, seit langem bekannt sind. 
Dann erledigt sich alles dahin, daß Gleichzeitigkeit nicht feststellbar ist — womit 
aber nicht gesagt ist, daß sie nicht setrbar sei und daß »die eine absolute Zeit« ein 
sinnloser Begriff sei: Dann wird alles »Relative« ein, vielleicht unvermeidlicher, Nots 
behelf, aber nicht mehr. Setzbar keit und praktische Feststellbarkeit sind eben zwei 
Dinge I 
Sollte es nicht genügen, wenn man Einstein als edlen auf jedem Felde das Wahre 
suchenden Menschen und als Mathematiker (Relationstheoretiker) von höchster 
Genialität gelten läßt? 
Wir sehen, meine ich, an der Aufnahme, welche Einsteins Theorie bei Mathes 
MATiKERN und MATHEMATISCHEN Physikern fand, recht klar das Wesen des Mathes 
matikers. Der eigentliche Mathematiker ist ganz unfähig einer naturlogischen Volls 
236 
r 
ständigkeit; er kennt nur das eigentlich relationstheoretisch Behandelbare und 
SIEHT gar nicht, daß es Ordnungsbedeutungen gibt, welche Sosein betreffen. Schon 
daß »Geometrie« ein besonderes, freilich relationstheoretisch durchtränktes Sosein 
ausdrückt, sieht er nichts und daß »Kausalität« nicht nur »funktionale« Abhängig* 
keit bedeutet, sieht er auch nicht. Er lebt und lehrt nach dem Leitsatz »fiat sim* 
plicitas mathematica, pereat ratio naturae«. Schon hier aber sei es gesagt, wie be!= 
dauerlich es ist, daß manche (zum Glück nicht viele) Philosophen ihm die ancilla 
beigeben zu müssen glauben^. — 
In der »allgemeinen« Relativitätstheorie werden den naturlogischen Paradoxien 
der speziellen noch weitere Paradoxien hinzugefügt. Der Begriff des einen eukli« 
dischen Naturraums wird aufgegeben, auf daß »die Naturgesetze« in jedem beliebig, 
also nicht nur gleichförmig translatorisch, gegen ein beliebiges anderes bewegten 
System gültig bleiben. Es wird mit ganz beliebigen Koordinatensystemen, also ganz 
beliebigen Raumarten, gearbeitet, auf daß das der Fall sei. Auf daß etwa eine dem 
»Naturgesetz« nach als geradlinig vorausgesetzte Bewegung in bezug auf jedes Be* 
zugssystem »geradlinig« bleibe, werden die Koordinaten in beliebiger Weise krumm» 
linig gemacht. Alles kommt schließlich auf eine bloße Beschreibung des Natur* 
raumes hinaus, welcher in seinen Teilen alle nur erdenkbaren verschiedenen metass 
geometrischen Formen haben könne. Das soll »Erklärung«, »Verstehen« z. B. der 
Gravitationserscheinungen seini Der echte t/rsac/isbegriff kommt gar nicht vor, in 
keiner seiner Formen. 
Zugegeben, daß so alles mathematisch einheitlicher wird — aber nur rein kine? 
matischl — , als wenn Ursachsagentien verschiedener Art im euklidischen Raum ein* 
geführt werden, so ist naturLOGiscH doch ein für allemal zu sagen: der Naturraum 
ist euklidisch, das gehört zu den sichersten, den wenigen ganz sicheren Bestand* 
teilen des auf Natur bezüglichen Wissens^, und die Zumutung, beliebige nicht*car* 
tesische Koordinaten für irgendeinen Teil des Naturraums zuzulassen, um die Gültig» 
keit von »Naturgesetzen« für jedes beliebig bewegte Bezugssystem zu retten, be» 
deutet ganz dasselbe, als wenn mir jemand zumutete, ich solle gelegentlich einmal 
zulassen, dass nicht das Orange dem Rot ähnlicher sei als das Blau, sondern 
DASS DAS Blau ihm ähnlicher sei als das Orange, oder daß es verschiedene Csdur» 
Tonleitern gebe, je nach Bedürfnis. 
* S. o. S. 126 f. * Wir sehr ich mit Lenards theoretischen Ansichten hier zusammen» 
gehe, wird man gesehen haben (vgl. Äther und Materie, 2. Aufl., 1911; Über Relat.» 
Prinzip, Äther, Gravitation, 1918). Unrecht hat er nur, wenn er meint, »die« Philo» 
sophen hätten die mehr als Mathematik sein wollende Relativitätstheorie begeistert 
begrüßt; es handelt sich hier um ganz wenige Philosophen. Hönigswald, Frisch» 
eisen»Köhler, J. Schultz haben sich ganz wie ich selbst geäußert. Vgl. auch Schön» 
HERR (Naturw. Wochenschr. Nr. 20, 1921, S. 1), welcher besonders klar zeigt, wie in 
der Relativitätstheorie mathematische Möglichkeiten ohne besondere Prüfung für 
naturlogisch zulässig erklärt werden. Die besten kritischen durchaus (im Physika» 
LiscHEN Sinne) ablehnenden Erörterungen der Relativitätstheorie sind die von 
Dingler (Physik und Hypothese, 1921, S. 150 ff.) und von Kraus (Kantstudien, 26, 
1921, S. 454). Dinglers Auffassung der Physik kommt der in diesem Werke ver» 
tretenen ganz besonders nahe; leider ist er biologisch mechanistischer Dogmatiker. 
•S.o.S. 126f. 
237 
Der, euklidische Naturraum ist, ebenso wie die eine Zeit, ein noli me fangere. Ge* 
wiß kann ich das nicht »beweisen«. Aber hier ist das Wort vom Schauen nun wirk* 
lieh am Platze. Und hier muß die phänomenologische ontologie dem Physiker das 
Bereich der für ihn möglichen Theorien geradezu vorschreiben. »Wir können es im 
Prinzip beliebig wählen,« sagt ein Vertreter der allgemeinen Relativitätstheorie von 
dem raumszeitlichen »Ordnungsschema«. Nein — alle möglichen Naturagentien, die 
wir brauchen, dürfen wir, wenn man es so nennen will, »beliebig« setzen', aber 
GERADE DAS RAUMZEITLICHE ORDNUNGSSCHEMA NICHT. 
Geometrie ist nicht Naturlehre, sondern ein Teil der allgemeinen Gegenstands« 
lehre (Ontologie); aber sie gilt unweigerlich in ihrer euklidischen Form, also als 
echte Geometrie und nicht als relationstheoretische Spekulation, für Raumes* 
Verhältnisse der Natur, ganz ebenso wie die Farben* und Tonsontologie für natur? 
wirkliche Farben und Töne gilt. Wenn die Geometrie bei Reflexion auf sich selbst 
erkennt^, daß sie als echte, d. h. euklidische, Geometrie der einfachste durch das 
»Neben« erfüllteFall aus einer gewissenGruppe von möglichen Beziehlichkeitsgefügen 
überhaupt ist, so heißt das nicht, daß geometrisch, d. h. nebeni»erfüllt«, andere Fälle 
dieser Gruppe »möglich«, daß sie »vielleicht« empirisch verwirklicht wären. 
Die Relativitätstheoretiker behandeln, obschon sie nicht müde werden, das Gegen? 
teil zu sagen, den Raum wie ein »Ding«, das man »erforschen« müsse. Gerade über 
ihn, also über die Relation neben, weiß man aber schon alles, wenn man die Natur* 
lehre beginnt; man hat ihn nur als mittelbar gemeinten anzusehen', und die Physik 
kann beginnen. 
Was endlich den »Beweis« der allgemeinen Relativitätstheorie durch Nachweis 
der empirischen Tatsächlichkeit gewisser ihrer Konsequenzen, z. B. der Ablenkung 
vom Fixsternlicht, das nahe bei der Sonne vorbeigeht, anlangt, so zeigt schon der 
elementare logische Satz, daß »Folge bejahen« keinen Schluß auf den Grund er* 
laubt*, ohne weiteres, wie es überhaupt mit solchen »Beweisen« bestellt ist. Gewiß, 
die festgeselltte Tatsächlichkeit kann formal?logisch als Folge der Richtigkeit der 
Relativitätstheorie gelten, aber sie kann auch Folge aller möglichen anderen Sachs 
Verhältnisse sein. Und sie muss das zweite sein, da eben das erste naturontologisch 
nicht angeht, sondern höchstens relationstheoretisch. — 
Der Naturraum ist euklidisch, die Zeit ist eine, und Zeit* und Raumeskoordinaten 
sind nicht beliebig wechselseitig vertauschbar, denn Zeit, welche ja' auch in der ganz 
und gar raumfreien Psychologie ihre Rolle spielt, ist durchaus sui generis. Das sind 
die Grundpfeiler aller Naturlehre, und sie bleiben bestehen trotz Einsteins genialer 
Mathematik oder Relationslehre und trotz Minkowskis »vierdimensionaler« Lehre 
vom Universum. Alles muss sich auf jene Grundpfeiler aufbauen. Ja, es ist sogar 
der Wunsch der Logik, daß, wo immer Einzelheitskausalität in Frage kommt, alles 
sich möchte newtonisch formen lassen. Doch hier wissen wir nichts von Erfüllbar* 
keit des »antezipierten Schemas«. Wir dürfen aber auf die Erfüllung hoffen, da nicht, 
wie im Rahmen der Lebensgeschehnisse, der Rahmen von Einzelheitsverkettung 
überhaupt durchbrochen wird. Also bleibt die Erfüllung des Newtonismus Aufgabe. 
Viele Mißverständnisse seitens der Relativitätstheoretiker stammen offenbar, so* 
^ Daher ist z. B. die LoRENTZ*kontraktion logisch legitim; sie läßt etwas im Raum, 
nicht »den« Raum oder die Zeit sich verändern. * S. o. S. 131. ' S. o. S. 166. 
* S. o. S. 64. 
238 
weit die Raumesfrage zur Erörterung steht, daher, daß sie nur die Alternative »sinnen* 
haft erlebter Raum« oder »Naturraum« sehen. Der erste ist offenkundig un^euklidisch, 
nicht aber etwa »nicht«*euklidisch ; die Frage der Euklidität spielt vielmehr gar keine 
Rolle in bezug auf ihn. Der zweite ist euklidisch, weil etwas anderes euklidisch ist, 
was eben von Einstein und seinen Anhängern übersehen wird: der »rein«, nicht 
etwa »sinnenhaft« geschaute Raum als unmittelbarer Gegenstand. Er ist euklidisch, 
der sinnenhaften Schau, für die sich z. B. Parallelen schneiden, geradezu zum Trotz*; 
und sein Wesen wird, wenn die Naturlehre beginnt, einfach auf deren Blatt über* 
schrieben*. 
So IST es; mag sich dabei auch mathematische Naturlehre, die übrigens dazu noch 
die echten Begriffe des Wirkens gebraucht, weniger »einfach« gestalten. 
3. VON DER VERKNÜPFUNG DER VERÄNDERUNGEN 
IM RÄUME ÜBERHAUPT 
Räumliche Veränderung, das heißt Veränderung von naturwirk* 
liehen Dingen im Räume, wie sie hier nach der Form der Einzels» 
heitsfolgeverknüpfung untersucht werden soll, ist nicht nur Bewegung, 
das heißt reine Ortsveränderung in der Zeit, sondern kann auch Ver»« 
änderung, das heißt Wechsel, ja, in Strenge »Auswechslung«^ des So* 
seins im Sinne dessen sein, was wir reine Solchheit genannt haben 
(»Qualität«). 
Es fragt sich, wie Ich die Veränderung reiner Solchheit, oder ge* 
nauer: Natursolchheit, in ihrer Einzelheitsverknüpftheit zu fassen ver* 
mag. Dabei wird der Begriff des NATUR*Gegebenen selbstredend als 
schon endgültig festgelegt vorausgesetzt; es wird ebenfalls voraus* 
gesetzt, daß Ich schon weiß, es handle sich um die Veränderung des So* 
seins von Dingen, d. h. von im Raum beharrlichen einzigen Etwassen, 
es solle also die Veränderung, die Auswechslung von Eigenschaften 
folgeverknüpft werden. Über solche Verknüpfung nun will Ich for* 
dernd aussagen; ich will sowohl Dinge, wie Eigenschaften, wie Ver* 
KNÜPFUNGSAussAGEN haben, bei denen ich mich als bei letzten Bestand* 
teilen der von ihm gewünschten Ordnung beruhigen kann. 
Die Einzelausführung der hier gesetzten Aufgabe gehört dem einen 
Hauptteil desjenigen Wissenszweiges an, den man passend »Natur* 
Philosophie«* nennt; an dieser Stelle kann es sich nur darum handeln, 
gewisse Leitlinien zu ziehen und um nicht mehr. 
' S. o. S. 127 f. ' S. o. S. 166. Vgl. Cärnap, Kantstud. Erg.^Heft 56. 1922. Carnap 
nennt »formalen Raum« das allgemeine der Geometrie unterlegte Relationsgebilde. 
Sein »Anschauungsraum« müsste von vornherein durch das euklidische Axiom 
(Krümmungsmaß = O) vervollständigt werden; der »physikalische Raum« muss 
alsdann der Axiomatik des Anschauungsraumes gehorchen. ' Vgl. S. 216. * Vgl. 
meine »Zwei Vorträge zur Naturphilosophie«, 1910, zweiter Vortrag. 
239 
a) DINGE UND EIGENSCHAFTEN' 
Wir haben über das Ding im Allgemeinen geredet. Hier soll von 
Anfang an von einförmigen (homogenen) Dingen die Rede sein. 
Was ist ein einförmiges Ding, was sind seine Eigenschaften? Diese 
Vorfragen der Lehre von der Verknüpfung der Veränderungen des So«« 
seins erledigen wir zuerst. 
Ding soll heißen, was bei allen im Raum geschehenden Änderungen 
beharrlich bleibt, was also ein beharrliches Solches ist. Ein »Solches«, 
so sieht man, ist das einförmige Ding auch und muß es sein*, aber das 
Sosein, in bezug auf welches es ein Ding ist, ist in äußerster Strenge 
immer dasselbe Sosein. Eben dieses Sosein macht das Ding aus, »ist« 
das Ding. Der Unterschied zwischen Ding und Eigenschaft ver* 
schwindet hier, aber nur hier: das Ding ist gleichsam beharrliche 
»Eigenschaft« seiner selbst; eben das heißt »Ding«. 
Das Denken des täglichen Lebens nennt »Dinge« gewisse Beharr* 
lichkeiten von keineswegs »ewiger«, sondern nur von langzeitlicher 
und darum für das praktische Leben bedeutsamer Dauer. Zumeist sind 
das Beharrlichkeiten des Rauminhalts, der Form und gewisser Solchs» 
heitsallgemeinheiten: sie sind dieselben, ob auch »an« ihnen »Eigen* 
Schäften« wechseln. Diese Kugel hier ist also dasselbe Ding, mag sie 
ruhen oder rollen, mag sie rot, grün oder weiß sein, je nach der Be* 
leuchtung, mag sie warm oder kalt sein, elektrisch oder unelektrisch. 
Ja, sie kann auch, etwa in Verbindung mit ihrer Temperatur, größer 
oder kleiner sein, und ist doch »dieselbe«, auch kann sie bald »hart« 
sein, bald »weich«. Ganz streng beharrlich, man sieht es, ist schon 
am »Ding« des täglichen Lebens nur, daß es Rauminhalt, Form, Farbe, 
Härtegrad, Wärmezustand und anderes überhaupt hat; das allein ist 
dinghaft an ihm. 
Ruhen und Rollen, Rot, Weiß und Grün, Warm und Kalt, Elek* 
trisch und Unelektrisch, Größer und Kleiner, Hart und Weich — das 
alles sind »Eigenschaften«, sie machen dasselbe »DiNG«/e/2f in dieser 
Bestimmtheit zu solchem, und darauf in jener Bestimmtheit zu jenem 
anderen solchen. Viele andere Dinge haben auch diese Eigenschaften, 
welche daher, setzungsmässig (»begrifflich«) als Solchheiten erfaßt, 
etwas sehr Allgemeines, das heißt Etwas von sehr weitem Geltungs* 
bereiche bedeuten; aber daß dieses Ding in diesem Augenblick eben 
diese Zusammenstellung dieser Eigenschaften von jeweils diesem Grade 
* Näher ausgeführt ist der Inhalt dieses und einiger der nächsten Abschnitte in 
meinen »NaturbegrifFen« (1904). 
240 
besitzt — dieser Umstand und dieser Umstand allein gibt einem Ding 
das volle Sosein in diesem bestimmten Zeitpunkt^; hat es in einem 
anderen Zeitpunkt andere Eigenschaften oder auch nur einen anderen 
Grad der früheren, so ist es, genau genommen, dem Sosein nach ein 
anderes Ding — es soll aber doch dasselbe Ding als Ding sein, da doch 
an ihm etwas für sehr wesentlich Gehaltenes beharrt. 
Was also beharrt? Was machte das Ding zum Beharrlichen, zum 
»echten« Ding. 
Um das zu erkennen, betrachten wir zunächst die verschiedenen 
Arten der Eigenschaftlichkeit unseres Dinges. Es gibt deren zwei 
Gruppen: Die eine Gruppe, wie Farbe, Temperatur, elektrischer Zus* 
stand, betrifft jeden Teil des Dinges durchaus als solchen, macht ihn 
und damit das Ding zu solchem; derartige Eigenschaften wollen wir 
REINE Eigenschaften nennen. Die zweite Gruppe, größer und kleiner, 
hart und weich, betrifft die Teile des Dinges in ihrem Verhältnis zu* 
einander; sie bestimmt, sozusagen, die Dinghaftigkeit des Dinges; wir 
wollen daher von dinghaften Eigenschaften im Gegensatz zu den 
REINEN Eigenschaften reden. 
Zunächst gehen wir in der Untersuchung der reinen Eigenschaften 
weiter. Sie sind ganz sicherlich nichts Beharrliches, sie sind zeitweise 
(»temporäre«) Eigenschaften, d. h. sie sind Soseinsarten, welche zeit«: 
punktweise das Ding als solches bestimmen. Könnte man nicht aus 
ihnen etwas Beharrliches »machen«? Zunächst einmal müssen sie fest 
gefaßt werden, und das können sie nicht in ihrem unmittelbaren So^^ 
sein für das Erleben. Ein vorher warmes Ding fühlt sich »kalt« an, 
wenn ich inzwischen die Hand in heißes Wasser tauchte, und es gibt 
andere »physiologische Kontraste«. 
Die Naturlehre sagt uns nun, daß sehr viele der zeitweisen reinen 
Eigenschaften des Dinges aus seinen leidenden Beziehungen^ zu an»« 
deren Dingen entspringen, daß viele andererseits ein VerändernA:önnen 
anderen Dingen gegenüber bedeuten: das Ding ist warm und rot, weil 
andere Dinge warm und rot sind, und kann andere Dinge warm und 
rot machen; alles das in fest bestimmbarem Grade. Der Begriff des 
leidenden oder tätigen Vermögens tritt also in die Kennzeichnung der 
zeitweisen Eigenschaftlichkeit der Dinge ein. Ja, viele zeitweise Eigen* 
* Man vgl. hier Rehmkes Begriff des »Dingaugenblicks«. * Man vergleiche den Be? 
griff J? rov jia'&eXv dvva/Liig bei ARISTOTELES (Metaph. 1046 1 1) und überhaupt das ganze 
Buch IX (0) seiner »Metaphysik«. Vieles kann hier auch im Rahmen einer bloßen 
Ordnungslehre verwertet werden. 
16 Drie seh, Ordnungslehre Z41 
Schäften sind überhaupt nur in dieser Weise gekennzeichnet: haben 
wir doch z. B. keinen »elektrischen Sinn«. 
Und weiter: die Naturlehre sagt uns auch, daß nur gewisse »tem* 
poräre« Eigenschaften streng meßbar sind, daß es aber andererseits ge* 
wisse Gruppen von diesen Eigenschaften gibt, welche immer zusammen 
da sind, so daß eine von ihnen die Gruppe vertritt Da nehmen wir 
uns also die am besten meßbare als Vertreter heraus: wo Ton ist, ist 
auch Schwingung, wo Wärme ist, auch Ausdehnung; wo Rot ist, auch 
elektromagnetische Schwingung bestimmter Wellenlänge; Tönen und 
Warmsein entschlüpft der Messung, Schwingen und Ausdehnung ist 
meßbar. 
Halten wir uns also an die gut meßbaren Vertreter unter den zeit«» 
WEISEN Eigenschaften der Dinge, und zwar an solche, welche stets in 
möglicher Naturbeziehung zu den zeitweisen Eigenschaften anderer 
Dinge stehen, und versuchen wir, ob wir aus ihnen nicht etwas machen 
können, was wenigstens vorläufig als beharrlich erscheint. 
Das können wir nun in der Tat ; die Naturlehre tut es, indem sie 
durch eine neue, höchst eigenartige Verwendung des Begriffs der 
Möglichkeit ihre sogenannten Konstanten schafft. Die Konstante 
gibt die Rolle des Körpers, dem sie angehört, im Kausalgetriebe der 
Natur an; sie ist ein kurzer, quantitativ bestimmter Ausdruck des 
Sachverhaltes, daß jede Wirkung nicht nur von der Ursache engsten 
Sinnes, sondern auch von dem Wesen des von dieser Ursache Be* 
troffenen abhängt^. 
Spezifische Wärme, Brechungsvermögen, Leitfähigkeit für Wärme 
und Elektrizität usw. sind Konstanten der ersten Art oder »homogene« 
Konstanten, sie umfassen alles »Mögliche« im Rahmen ein und der* 
selben Soseinsart; die »heterogenen« Konstanten treten hinzu, sie sind 
zahlenhaft gefaßte Möglichkeitsaussagen über den Übergang von 
einer Gruppe des eigenschaftlichen Soseins zur anderen, über »Um* 
Wandlungen« von Energie; die »affinitiven« Konstanten endlich sind 
Konstanten für Änderung der Konstanten der beiden ersten Gruppen; 
sie spielen in der Chemie ihre bedeutsame Rollet Je nach der Art der 
Untersuchung gelten die Konstanten der ersten und zweiten oder der 
dritten Art als beharrliche Bedingungen im Sinne der allgemeinen 
Kausalitätsschematik; sie bestimmen nicht Werden als Werden, son* 
dern das Sosein eines aus anderen Quellen mitgesetzten Werdens ^ 
* S. o. S. 196. ' Näheres in meinem Buche Naturbegriffe und Natururteile 1904, 
S. 13£f. »S. o. S.195. 
242 
Jetzt haben wir eine bestimmte Anzahl bestimmter Dingarten ge«« 
Wonnen, jede durch das Beieinander ihrer »Konstanten«, d. h. durch 
den Inbegriff ihrer möglichen meßbaren zeitweisen reinen Eigenschaft 
ten als etwas Beharrliches gekennzeichnet; denn Konstanten sind In»» 
BEGRIFFE möglicher temporärer Qualitäten. 
Man wird bemerkt und vielleicht getadelt haben, daß wir rof, warm, 
fönencf usw. für Eigenschaften der Dinge ausgeben und nicht vielmehr 
als »sekundäre Eigenschaften« in das »Subjekt« verlegt haben. Aber 
die rein gegenständliche Ordnungslehre kennt ein »Subjekt«, in das 
im Sinne von Locke oder Kant etwas hinein verlegt werden könnte, 
nicht, jedenfalls an dieser Stelle, wo sie von Natur handelt, nicht, sie 
kennt überhaupt keineVersubjektivierung, abgesehen von dem schlich* 
ten Bezug auf das Ich habe. Wo rot ist, ist auch Schwingung beson* 
derer Art, so sagten wir, und ebenso wo Cis ist. Dieses »auch« ist nun 
sicherlich ein Problem. Wir wissen, daß dasselbe Ding warm und 
AUCH in seinen Teilen bewegt, rot und auch (elektromagnetisch) 
schwingend ist. Das alles haben wir an dieser Stelle einfach als eins 
deutige Zusammenhänge hinzunehmen; uns genügt, daß wir Eindeu* 
TiGKEiT des Zusammenhanges hier schauen; diese Schau wird uns eben 
durch das ^uc/ii^Dasein des »Mechanischen« erlaubt. Und nun halten 
wir uns für die weitere Ordnungserfassung der Natur an das »mecha«« 
nische« Glied dieses Zusammenhanges, an das Meßbare, und vernach* 
lässigen alles, was sonst »auch« noch da ist, mag auch das, was »auch« 
da ist, also etwa das Farbig»«, das Tönendsein, viel unmittelbarer sein 
als das Meßbare, Bewegliche, ja mag dieses Meßbare nur mit beson* 
deren Hilfsmitteln »wahrnehmbar« (Moleküle von Kolloidlösungen) 
oder sogar nur (mit guten Gründen) als daseiend gesetzt sein (Atome, 
Elektronen). 
Jetzt setzt die Betrachtung der dinghaften Eigenschaften der Dinge 
ein: dasselbe Ding kahn weich oder hart sein; ja, mehr: es kann fest, 
flüssig, gasig sein. Was heißt da »dasselbe Ding«? Verneint das 
»Gasigsein« nicht den Begriff des »Dinges«? 
Wirklich »dasselbe« Ding innerhalb einer bestimmten Dingart 
könnte, man sieht es, jedenfalls nur ein gewisses TeiZding der »Dinge« 
des täglichen Lebens sein, dann nämlich, wenn die Zerteilbarkeit der 
Dinghaftigkeit nicht ohne Ende weiterginge. Sie tut dies nun in der 
Tat, wie die Naturlehre zeigt, nicht: es gibt endliche letzte Teildinge 
jeder Dingart. »Moleküle« nennt sie die Naturlehre und ist imstande, 
aus der Lehre von der Oberflächenspannung oder von den Gasen 
16* 243 
heraus ihre Größe, auf eine beliebige Einheit bezogen, anzugeben; 
Dinghaftes also ist in bestimmter endlicher Weise unstet.^ Aus den 
Dingarten sind die Molekülarten geworden. 
Aber die Moleküle der Dingarten sind noch nicht das letzte Beharr*» 
liehe; die Gewohnheitserfahrung (»Empirie«) in Sachen der Natur 
zeigt, daß sie es nicht sind, und diese Gewohnheitserfahrung kommt 
den Sparsamkeitsforderungen des Denkens entgegen^. 
Die Dingarten, wie sie bisher gefaßt wurden, lassen sich wechsele 
seitig in andere umwandeln, bis man auf eine bestimmte endliche An*« 
zahl nicht mehr mit »chemischen« Mitteln umwandelbarer Dingarten 
trifft. Das sind die sogenannten »chemischen Elemente«; sie sind, meist 
selbst nur in »Molekül«:sform existierend, in ihrer »Atom«?form, d. h. 
in Form weiter zerlegter Dinghaftigkeit^ der Moleküle Aufbauer. 
Wir verstehen die Mannigfaltigkeit des Gefüges (»Systems«) der 
Molekülarten als mögliche Gleichgewichtszustände des Beieinander 
der Atomarten. Neueste Forschungen haben freilich gezeigt, daß nur 
in Gasen und gelösten Stoffen die Atome zu echten »Molekülen« zu*« 
sammentreten, daß dagegen Kristalle, als ob sie ein Übermolekül wären, 
sich unmittelbar aus bestimmt gelagerten Atomen oder sogar »Elek* 
tronen« zusammensetzen, was für das rationelle System der Kristalle 
(Theorie der Raumgitter) von Bedeutung ist. 
Aber auch die Atomarten sind, wie die neueste Physik lehrt, nichts 
letztes Beharrliches; und eben das ist wieder gerade, was das Denken 
wünscht. Die Lehre von den Spektren der Atome und von den Er* 
scheinungen der Fluoreszenz zeigt schon, daß eine Atomart etwas in 
sich Mannigfaltiges ist, daß sie nicht durchaus »homogene« Ding»» 
haftigkeit bedeutet. Die Lehre vom »periodischen System« auf der 
anderen Seite weist bestimmte größenmäßige Regelmäßigkeiten in der 
Mannigfaltigkeit der Atomarten auf. 
Die neuere Elektrik bietet die Lösung: Die Atomarten, welche, in 
freilich zunächst noch geringem Grade, sogar als ineinander verwandele 
bar erscheinen, könnten Gleichgewichtsgruppierungen von Elektronen 
* Die Naturlehre hätte hier auszumachen, was für »zeitweise Eigenschaften« und 
»Konstanten« denn eine Molekülart als Molekül haben kann. Sicherlich nicht alle 
diejenigen, welche die zugehörige Dingart als Beieinander beharrlicher Konstanten 
hat. Kann ein Molekül »warm« sein ? ^ Es ist Sache der besonderen Naturordnungs* 
lehre auf Ostwalds »kolligative, konstitutive und additive« Eigenschaften einzugehen. 
" Es ist beachtenswert, sich bewußt zu sein, daß die Unstetigkeit der Dinge mit 
Rücksicht auf Atome eine Folge ihrer nachgewiesenen Unstetigkeit mit Rücksicht 
auf Moleküle ist. 
244 
sein. Die beiden Arten von Elektronen wären nun wirklich Beharr*« 
LiCHEs: Alles andere Dinghafte wären räumliche Anordnungsmannigs* 
faltigkeiten dieses wirklich Beharrlichen. Ja, mehr: alles Artmäßige am 
Dinghaften wäre gefügemäßig verstanden, wäre auf Geometrie zurück^ 
geführt: 
Es kann nur diese Dingarten mit diesen konstanten Eigentümlich= 
keiten geben, da, wie die Elektra und der Raum einmal sind, es nur 
DIESE Gleichgewichtszustände der Elektra, der Urdingarten, gehen 
kann. 
Die Arten des Dinghaften und des Beieinander der Konstanten in 
jeder Dingart sind also »erklärt«. Die Logik wird durch diesen Bei^ 
trag der reinen Dinghaftigkeitslehre zu einer »Materientheorie« in 
hohem Maße befriedigt. Ist doch die Gesamtheit des unbelebten Dings» 
haften im Sinne eines rationalen Systems faßbar. Denn »Gleichgewicht« 
ist ein unentwickelter entwickelbarer Begrifft, Freilich, der Ursprung«» 
liehe »Ding«begriff hat sich uns dabei unter den Händen so gut wie 
vollkommen verflüchtigt. 
Von ganz besonderer Bedeutung ist es, sich darüber klar zu sein, 
daß Moleküle, Atome, Elektronen im Sinne ganz bestimmter zahlen* 
mäßig angebbarer Unstetigkeiten des Materiellen »da sind«, daß sie 
nicht etwa »Fiktionen« sind. Können doch Kolloidmoleküle geradezu 
»sichtbar« werden, man muß nur (mittels des Ultramikroskops) »nahe 
herangehen«. Das Ro t»». Warm*, Tönends» Sein ist gewiß empirisch wirk* 
lieh ~ aber Moleküle, Atome, Elektronen sind das »auch«. Ist doch 
auch der Keim eines Tieres als derselbe bald für mich eine homogene, 
ganz kleine Kugel, bald, wenn ich nämlich (mit dem Mikroskop) »nahe 
heran«gehe, in Zellen, ja in Chromosomen aufgelöst, und ist doch ein 
großer Dom aus der Ferne, bloß in seinen Umrissen und aus der Nähe 
in allen seinen plastischen Einzelheiten gesehen »derselbe«, in welchem 
Falle sogar das »Nahe heran gehen« ganz wörtlich genommen ist. 
Nicht anders stehen homogenes und in seine Bestandteile aufgelöstes 
Ding zueinander. 
Doch für uns sind an dieser Stelle alle diese Darlegungen nur vor* 
läufig; die Frage nach dem Urding werfen wir rein denkmäßig erst 
später auf und werden dann freilich die hier gewonnenen Einsichten 
nutzen können. Für die allgemeine Lehre von der Veränderungsver* 
knüpfung brauchen wir aus der Dinglehre nur wenig: es genügt da, 
wie sich zeigen wird, das »Ding« so zu fassen, daß seine Masse als 
' S. o. S. 62. 
245 
»Träger« seiner Konstanten erscheint; ja, vieles von der üblichen Ver*« 
änderungsverknüpfungslehre hängt überhaupt gar nicht an irgend* 
einem Ding:»begriff — was freilich unseres Erachtens ein Mangel dieser 
Lehre ist. 
Noch einmal sagen wir, daß wir Rot, Warm und Tönen ganz ebenso haben Eigen* 
Schäften sein lassen wie Schwingen, Ausdehnen usw. Denn unsere Ordnungs* 
lehre kennt den Unterschied von primären und »bloß subjektiven« sekundären 
Qualitäten jedenfalls an dieser nur von der Natur handelnden Stelle nicht. Ihr ist 
das alles »naturwirklich«. Und zwar kennt unsere Logik deshalb nicht die LocKEsche 
Unterscheidung, weil sie »Subjektivität« (an dieser Stelle) überhaupt nicht kennt, 
sondern nur ichgehabte Gegenständlichkeit. Die ^uc/i »Verkettung zwischen dem 
sogenannten Primären und dem sogenannten Subjektivssekundären geht allein sie 
an. Aus ihr bevorzugt sie jeweils das Meßbare. Daß es für Elektrizität keinen »Sinn« 
gibt, ist ihr also auch ganz gleichgültig; sie sagt nur: es gibt zwar keine reine Solch* 
heit »Elektrisch«, aber in genau festlegbarem Sinne ist darum doch Elektrischsein 
Eigenschaft, nämlich im Sinne des »Ein Vermögen besonderer Art Habens«. 
h) DER BEGRIFF »EINE VERÄNDERUNG<^ 
Kann also die Lehre von der allgemeinen Veränderungsverknüpfung 
die feineren Erörterungen über das Beharrliche beiseite lassen, oder 
glaubt sie wenigstens, das tun zu können, so bedarf sie auf der anderen 
Seite eines anderen um so mehr: nämlich einer endgültigen Klarheit 
darüber, was ihr denn eigentlich eine Veränderung bedeuten soll. Es 
soll ja doch im Rahmen der Einzelheitskausalität eine Veränderung im 
Raum mit einer anderen Veränderung im Raum im Getriebe des Wers« 
dens folgeverknüpft werden. 
Was überhaupt als veränderlich angesehen werden soll, wissen wir 
bereits, fassen es aber für unsere nächsten Zwecke hier noch einmal 
zusammen: 
Eigenschaften, und zwar zeitweise (temporäre), von irgend etwas 
Dinghaftjsbeharriichem sollen veränderlich, d. h. auswechselbar, ver*« 
lierbar und gewinnbar sein. 
Zeitweise Eigenschaften heißen uns zu Natur wirklichem ver* 
selbständigte reine Solchheiten jeder Art, also Farben, Töne, Wärmen 
usw.; praktisch freilich immer von solcher Art, daß die Möglichkeit 
genauen Messens auf Grund der Verknüpfung mit »Vermögens«:» 
eigenschaften vorliegt. Geschmäcke, Gerüche werden also ganz aus^ 
geschaltet, aber auch Farben und Töne als solche werden praktisch 
selbst von der echten »qualitativen Energetik« denn doch eigent* 
lieh bei Seite gelassen, was schon ein erhebliches unbewußtes Zu^ 
geständnis an die sogenannte »mechanische Physik« bedeutet. Ja 
246 
auch bei der »Wärme^Energie« liegt das »Warme« eigentlich nur im 
Namen. 
Wir können also jedenfalls einmal feststellen — und es verlohnt sich, 
das zu tun —, mit was allem die allgemeine Veränderungsverknüpf ungs* 
lehre, praktisch also die »qualitative Energetik«, es nicht zu tun hat: 
Zum ersten ganz sicherlich nicht mit »Empfindungen«; von diesen 
als eigentlichen Ich»sErlebtheiten hier zu reden, hätte ja gar keinen 
Sinn. Aber auch nicht mit »Empfundenem« in seiner gegenständlichen 
Unmittelbarkeit, also nicht mit dem Solchen rein als diesem und jenem 
ANDEREN, das mir gegenständlich gegenübersteht in seinem Sosein; das 
hätte denkmäßig wenigstens einen Sinn, aber mit Recht ist gegen diese 
Lehre eingewendet worden S daß als »Empfundenes« der Donner und 
das Rollen eines Eisenbahnzuges nahe Verwandte sein würden. Emps« 
fundenes in seinem Sosein muß naturverselbständlicht sein, und zwar 
zu einer zeitweisen Eigenschaft eines Dinges. In diesem Sinne möchte 
also von einem Dinge als von einem sos^roten, so*warmen, so^tönenden 
geredet werden. Es wäre jedenfalls klar, was das hieße. 
Aber eben an diesem Punkte tritt nun die Frage auf: Welche »Eigen»« 
Schaft« ist meßbar, welche nicht? Und da ergibt sich denn, daß allenj» 
falls noch die »Wärme«, aber auch sie nicht eigentlich als Wärme, 
sondern als Ausdehnenkönnendes, das dann »Wärme« genannt wird, 
meßbar ist. In allen anderen Fällen von Eigenschaften wird etwas ge«» 
messen, was erfahrungsgemäß das durch ein Sosein im Sinne einer 
reinen Eigenschaft gekennzeichnete Ding »auch« besitzt -- es genügt, 
an den Begriff der Wellenlänge zu erinnern. 
Ist so auf der einen Seite der Begriff der »Eigenschaft« vom prak* 
tischen Wissenschaftsbetrieb stark beschnitten worden, so wird er auf 
der anderen auch stark erweitert. Der Begriff des Naturmöglichen im 
Sinne der Fähigkeit wird herangezogen, und ebenso, wie die »Kon«* 
stante« einen Inbegriff des Möglichen überhaupt bezeichnet, so be* 
zeichnet etwa ein »Potential« ein unmittelbar Mögliches, ein unmittel* 
bares Verändernkönnen, und wird damit zur »Eigenschaft« im zeit«« 
weisen (»temporären«) Sinne. 
Nun also soll Eigenschaf ts««änc/erung mit Eigenschaf ts««änJerung- 
verknüpft sein. 
Was ist eine Veränderung? 
Wir untersuchen diese Frage zunächst, rückgreifend, an der einfach* 
sten Veränderungsart, der Ortsveränderung oder Bewegung, und er* 
' Vgl. Stumpf »Zur Einteilung der Wissenschaften«, Abh. k. pr. Akad., 1906, S. 10 ff. 
247 
ledigen damit eine Aufgabe, welche bereits im Gebiet der reinen Bes^ 
wegungslehre, z. B. bei Erörterung des Satzes von der Erhaltung der 
Arbeit, ja bei der gleichförmig beschleunigten Bewegung überhaupt 
aufgetreten ist. 
Der Begriff Bewegung entspringt ebenso wie der allgemeine Begriff 
Werden, dem Wesen der einen in sich verknüpften verselbständigten 
Natur. »Sich bewegen« ist zunächst nur ein kurzer Ausdruck dafür, 
daß ein Etwas als Dasselbe^ in Zuordnung zur Zeit stetig andere Orte 
einnimmt; dann aber wird das »sich bewegen« zu einem Zustand des 
Etwas, der geradezu als Eigenschaft erscheint, wenigstens wenn es vom 
Denken als gleichförmige Bewegung, d. h. als Bewegung mit sich gleich* 
bleibender Geschwindigkeit gesetzt wird. Dieses Sichbewegen als 
Eigenschaft ist eine Setzung von der allers eltsamsten und zugleich 
folgereichesten Art: Gewiß, dieses Etwas ist in diesem Zeitpunkt hier 
und nirgendwosonst. Aber doch »ist« es nicht nur hier; besser: das 
nurs^hiersssein kennzeichnet es nicht erschöpfend in seiner Rolle im 
Werden: es wird dannsdassein, und zwar in größenmäßig bestimm«« 
barer Weise wird es sein; und ferner: es wird an jenem Orte sein, weil 
es an jenem anderen gewesen ist. Das alles ist inbegriffen in das eine: 
es BEWEGT sich, obwohl es in diesem Zeitpunkt hier und nirgend sonst 
ist; es ist ein anderes, als wenn es in diesem, aber ebenfalls in jenem 
Zeitpunkt hier wäre. 
So also wird Bewegung, die ursprünglich Veränderung ist, selbst 
* Der Begriff Bewegung hängt durchaus an dem »Dasselbe«, d. h. an der Identität 
des Bewegten. Man versuchte das Haften an dem Dasselbe und damit den echten 
Begriff Bewegung fallen zu lassen, indem man als Bewegung die Änderung des 5o» 
Seins von stetig aneinander schließenden Raumteilen in stetiger Zuordnung zur Zeit 
ansah (vgl. z. B. Helm, Die Theorien der Elektrodynamik, 1904, S. 150). Dann »be? 
wegt sich« kein »Ding«, sondern ein Zustand, wie das bei einer Welle der Fall ist. 
Diese Auffassung, für Urdinge, etwa Elektronen, möglich, würde aber für jedes 
heterogen zusammengesetzte Ding, etwa eine Maschine, einen Hund, in unabseh« 
bare Verwicklungen führen. Übrigens würde der »Zustand«, welcher sich bewegt 
und die scheinbare »Ding«sbewegung vortäuscht, nun doch selbst wiederum eine 
echte, an die Identität des Bewegten geknüpfte Dingbewegung, auf ein Ding von 
sozusagen niedrigerer Ordnung bezogen, sein müssen. Man denke an Wasserwellen 
und die »eigentlichen« Bewegungen der Wasserteile. So käme man für die echten 
»Ur«sDinge doch wieder bei echter Bewegung an, mag man auch etwa Elektronen«! 
bewegung als »Zustands«?bewegung erklärt haben. Etwas Entsprechendes ist es 
natürlich, die »Atome« nach Descartes oder Kelvin als (unzerstörbare) Wirbeln» 
Systeme anzusehen. Die bewegen sich als »Dieselbigen« in toto (Zyklone), wobei 
sich freilich eine Dingart niederer Ordnung in anderer Form, nämlich kreisend, 
auch »bewegt«. 
248 
zur Eigenschaft gemacht, wenigstens gleichförmige Bewegung: das 
Ding »ist« nicht im Hier, sondern wird im Hier, wird durch das Hier 
hindurch^. 
Was nun ist im Reiche des Bewegten »eine Veränderung«? 
Ehe gleichförmige Bewegung zur Eigenschaf t gemacht ward, solange 
sie also selbst »Veränderung« war, war eine Veränderung offenbar eine 
gleichförmige Bewegung von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende, bezw. 
bis zu ihrer Geschwindigkeits»« oder Richtungsveränderung. 
Nun aber soll gleichförmige Bewegung »Eigenschaft«, ein Beschleus 
nigtsweiden der Bewegung also »Änderung« sein. Wo eine einzige 
Augenblicksbeschleunigung vorliegt, wie beim Stoß, ist nun ganz klar, 
was eine Veränderung ist. Aber wie bei gleichförmig beschleunigter 
Bewegung, z. B. beim freien Fall? Da ändert sich ja Geschwindigkeit 
in der Zeit stetig. 
Mit der Lösung dieser einen Frage werden wir die Gesamtheit der 
später auftretenden im wesentlichen gelöst haben. Diese eine Frage 
aber wollen wir fordernd lösen: 
Wir wollen als eine Veränderung jedesmal dann ein Werden an 
einem Dinge bezeichnen, wenn dieses Werden unter Wahrung seines 
Werdegesetzes, d. h. der Beziehung seines Veränderungshetrages zum 
Zeitablauf, im Bereiche eines und desselben zur Eigenschaft verselbs 
ständlichten Soseins verbleibt; eine Veränderung ist also ein durch 
diese Worte gekennzeichnetes Werden von seinem Anfang bis zu sei= 
nem Ende, gleichgültig wie der Verlauf des Werdens in sich selbst ge^ 
staltet ist, wenn nur sein Werdegesetz sich nicht ändert. Eine Verän* 
derung macht also der fallende Körper vom Beginn seines Fallens bis 
zu dessen Ende durch, trotz der fortwährenden Änderung seiner Ge* 
schwindigkeit. 
In ähnlicher Weise nun soll forderungsmäßig der Begriff eine Vers 
änderung für Solchheitsveränderung im Natur «»Werden überhaupt be* 
stimmt werden: Wo Änderung sich im Rahmen desselben Werde* 
gesetzes und im Bereich derselben Eigenschaftlichkeit abspielt, da soll 
von einer Änderung die Rede sein, gleichgültig ob die Geschwindig* 
keit der Änderung, d. h. der Änderungsbetrag in einer willkürlich ge* 
setzten Zeiteinheit, derselbe bleibt oder nicht ^. Gleichen zwei einander 
* Hier liegen die Wurzeln der eleatischen Antinomien der Bewegung. ^ Der Be* 
griff der Trägheit, als des von selbst gleichförmig Weiterlaufens eines Werdens 
ist nur für die Bewegung, aber nicht für Solchheitsveränderung überhaupt 
praktisch bedeutsam geworden. Grundsätzlich setzbar ist er aber für Werden im 
249 
berührende Körper durch Wärmeleitung ihre Temperaturen aus, so 
geschieht also bis zur Erreichung des Temperaturgleichgewichtes hin 
eine Änderung, trotz des verwickelten Gesetzes, dem die Wärme* 
leitung in bezug auf die stetige Änderung ihrer Geschwindigkeit folgt; 
Entsprechendes soll bei chemischem Umsatz und sonst gelten. 
Unser BegrifF eine Veränderung mag künstlich, die mit ihm zusam* 
menhängende Frage mag als gar zu rasch erledigt erscheinen; es wird 
sich zeigen, daß unsere Fassung für die allgemeinsten Aussagen über 
Veränderungsverknüpfung genügt. 
c) DIE FORMEN DES WERDENS IM RAUM 
Veränderung, also auch eine Veränderung, ist Werden unter bes» 
stimmtem Werde^Zeitgesetz. Je nach der Besonderheit ihres Zeit* 
gesetzes lassen sich nun die verschiedenen Fälle von Werden, in denen 
wir künstlich von jeweils einer Veränderung reden wollten,in Gruppen 
sondern, lassen sich also Formen des Werdens im Raum — nur von 
Raum werden redet ja die Lehre von der Einzelheitswerdeverknüpfung 
— unterscheiden. 
Für die einfachste Werdeform ist ein sich mit gleichförmiger Ge* 
schwindigkeit bewegender Körper ein Beispiel, recht einfach ist auch 
noch der Fall gleichförmiger Beschleunigung. Aber es gibt andere 
Werdefälle, z.B. bei der Wärmeleitung, bei der Diffusion, beim Schwin* 
gen, beim chemischen Umsatz, bei der »Autokatalyse«. In den beiden 
zuletzt genannten Fällen z. B. hemmt oder vermehrt der Betrag des 
bereits Umgesetzten die Geschwindigkeit des Umsatzes; es ist wie bei 
Geld, das auf Zinseszins liegt; eine sogenannte Exponentialfunktion 
stellt das Geschehen in Rücksicht auf das Größenmäßige seiner Ge* 
setzlichkeit dar. 
Man kann sagen, daß es so viele Raumwerdeformen gibt, wie For* 
men von Differentialgleichungen in der Naturlehre zur Verwendung 
Gebiet jedes Soseins, also auch z. B. des thermischen, des chemischen, und gerade 
die »qualitative Energetik« sollte ihn eigentlich entwickeln. Wenn sie wirklich streng 
das ist, was sie zu sein vorgibt, so darf sie ja z. B. einen »absoluten Nullpunkt« der 
Temperatur nicht kennen, denn zu diesem kommt man durch der eigentlichen Ener* 
getik fremde Erwägungen. Dann aber wäre denkbar der Fall, daß ein warmer Körper 
»sich selbst überlassen« wärme?träge wäre, d. h. sich aufs — oo" abkühlt. — Daß der 
Trägheitsbegriff sich im Gebiet der qualitativen Energetik als so durchaus entbehrlich 
erwies — auch z. B. auf chemischem Gebiet — zeigt, wie mir scheint, wie wenig 
Ordnungshaftes in dieser Lehre steckt, wie viel Hinzunehmendes — das freilich für 
eine mechanisierende Physik auflösbar istl — ; dieser Umstand spricht nicht gerade 
zu der reinen qualitativen Energetik Gunsten. 
250 
kommen^. Die nähere Ausführung dieses Gedankens gehört in die 
besondere »Naturphilosophie« der unbelebten Natur; gesagt mag nur 
noch sein, daß dieselben Werdeformen verschiedenen Geschehens* 
gebieten eignen können, wie denn z. B. dieselbe Differentialgleichung 
zur Darstellung der Lehre von der Wärmeleitung und von der Diffu«« 
sion von Flüssigkeiten dient. 
Es ist sehr beachtenswert, daß »Naturmathematik« fast stets von 
besonders einfacher Art ist: höhere als die zweiten Differentialquo«» 
tienten nach der Zeit braucht sie nicht, und die Kurven zweiten Gra:* 
des spielen in ihr eine besonders bevorzugte Rolle, was mit dem New*« 
tonischen Gesetz zusammenhängt. Nur sehr einfache »antezipierte 
Schemata« der allgemeinen Mathematik finden also durch Natur 
»Erfüllung«. Das darf wohl auch »glückliche Tatsache« heißen; ja es 
läßt der Vermutung Raum, es möchte, wo die Dinge heute anders 
liegen, Natur in ihren Relationen noch nicht endgültig erfaßt sein. 
Diese Vermutung auswerten könnte wohl nur eine Metaphysik. 
d) DIE GLEICHUNGEN DER MATHEMATISCHEN NATURWISSENSCHAFT 
Hier ist nun der Ort, allgemein über das Verhältnis des Rechne:* 
rischen zur Lehre vom Werden, wie es in der »mathematischen 
Physik« zum Ausdruck kommt, zu reden; es kann das kurz geschehen, 
da alles Wesentliche eigentlich schon in die Darlegungen der früheren 
Abschnitte dieses Buches einbeschlossen ist. 
Der Begriff der Grösse, d. h. der Zahl von Etwas, des Betrages, 
den Etwas im Vergleich mit anderem hat, hat, wie wir wissen, als 
solcher mit dem Begriff des Werdens, und erst recht mit dem Begriff 
der Folgeverknüpfung gar nichts zu tun, auch dann nicht, wenn von 
der STETIGEN Reihe der Zahlen und der Größen die Rede ist; da »wird« 
nicht etwa eine Zahl oder Größe in irgendeiner Weise zu einer ande* 
ren, sondern jede Zahl oder Größe ist eben diese und keine andere. 
Die Gleichungen der Naturlehre sind entweder gewöhnliche Glei* 
chungen oder Differentialgleichungen. 
Bei ersteren ist es ohne weiteres klar, daß sie nichts weiter bedeuten 
wollen als die Aussage, daß verschiedene für ein Werden im Bereiche 
irgendeines Soseins ge wohnheitserfahrungsmäßig bedeutsame, großen»» 
* Hier gibt es Boden für künftige Forschungen. Man vergleiche in Lotzes Logik 
(S. 387 f.) die gründliche Erörterung der naturtheoretischen Bedeutung von Expo* 
nentialfunktion und Logarithmus. S. a. Nernst, Einfuhr, in d. math. Behandi d. 
Naf.-lTiss., 3.Aufl., S.56ff. 
251 
mäßig bestimmte Natursoseinsbesonderheiten, jeweils auf eine fest:« 
gelegte Einheit bezogen, dem Ergebnis dieses Werdens seiner Größe 
nach eindeutig zugeordnet sind. Die Gleichung zwischen zwei Aus;« 
drücken also besagt hier wie allgemein, daß zwei Rechenergebnisse, 
zwei Zähleneinzigkeiten einander gleich sind; die Bezugseinheiten, die 
»Maßstäbe« in ihrer Besonderheit »heben sich fort«^ Aus solchen 
Gleichungen kann man natürlich eine »Unbekannte« ausrechnen. Von 
Werden als solchem ist hier gar keine Rede. 
Eine Differentialgleichung sieht nun aber in der Tat zunächst so aus, 
als solle sie ein Werden bezeichnen oder wohl gar zwei Werden mit* 
einander verknüpfen; zumal dann ist das der Fall, wenn nach der Zeit 
differenziert worden ist: ^. Ist doch geradezu, z. B. für die Gleichun* 
gen Maxwells, die Frage erörtert worden, ob die linke Seite hier das 
»Frühere«, die rechte das »Spätere« bezeichnet In Wahrheit kommt 
auch hier ein Werden oder gar eine Werdeverknüpfung gar nicht in 
Frage. Es soll nichts weiter ausgesagt werden als dieses : Das Größen* 
Zuordnungsgesetz zwischen gewissen Natursoseinsbesonderheiten, die 
in ihrem Betrage stetig vermehr* oder verminderbar sind, ist in be* 
stimmt angebbarer Weise verknüpft mit einem Größenzuordnungs* 
gesetz zwischen anderen Natursoseinsbesonderheiten ^ Eine dieser 
Naturwirklichkeiten kann die stetige meßbare »Zeit« sein; aber darum 
hat doch eine Differentialgleichung mit einem ^^ mit Kausalität gar 
nichts zu tun. 
Jede Gleichung, sei sie endlich oder differential, handelt nur von 
eindeutigen größenmäßigen Beziehungen zwischen Natursoseins* 
besonderheiten, welche Werden und Folgeverknüpfung begleiten, aber 
sie gibt nicht dem Werden selbst Ausdruck und erst recht nicht der 
Werdensverknüpfung*. Bei allen Gleichungs* Aussagen über Gleich* 
gewichte, wie etwa der »Phasenregel«, ist das ja ganz ohne weiteres 
klar: hier wird ja gerade ausgemacht, unter welchen Umständen nichts 
geschieht; irgendeine »dynamische« oder »kinetische« Formel aber 
gibt auch nie eine Aussage über Werden als solches oder gar über 
^ Hierher gehört die Lehre von den »Dimensionsformeln« der mathematischen 
Physik. 2 Hertz (Ges. Abt. II 263) lehnte das freilich mit Recht scharf ab. 
' Clapeyrons Gleichung lautet f ^ J j = — T C^J ; das heißt : das Größengesetz 
nach welchem Q_ (Wärmemenge) seinen Wert ändert, wenn p (Druck) die stetige 
Größenreihe durchläuft, ist dasselbe wie, mit — T multipliziert, dasjenige, nach weis 
chem V (Volumen) seinen Wert ändert, wenn T (absolute Temperatur) die stetige 
Größenreihe durchläuft. * Vgl. hierzu das auf S. 129 über die analytische Geo* 
metrie Gesagte. 
252 
Werdeverknüpfung, sondern faßt lediglich ein Werdegesetz als wichtig 
für die Kennzeichnung einer ^u^entZic/:ssZuständlichkeit. 
Wir sagten früher, der gleichförmig bewegte Körper, ob er gleich 
in jedem Augenblicke »hier« sei, sei doch ein anderer als der jetzt hier 
ruhende Körper; er hat eben in jedem Jetzt^^hier eine Anweisung auf 
die Zukunft in sich; sein Jetzt^Hier ist, um mit Cohen zu reden, zu^ 
gleich »Ursprung« des Dann »* Dort. Das eben wird mit Hilfe der auf 
die Lehre von der Stetigkeit der Größenreihe aufgebauten Differentials* 
gleichung ausgedrückt, ohne daß darum das dt der Gleichung selbst 
Werden bedeute. Werden ist etwas Stetiges, aber nicht ist Stetigkeit 
Werden; mag immerhin das Gebiet des Werdens das vornehmste An# 
Wendungsbereich der Lehre von der Stetigkeit sein. 
Wenn man sich klar darüber bleibt, daß alles im engeren Sinne 
Mathematische nur begleitenden Sachverhalt zu physikalischen (oder 
auch rein geometrischen) Beziehlichkeiten ausdrückt, daß es sie als 
besondere Soseinsausprägungen allgemeiner Beziehlichkeiten auf re* 
lationstheoretischem Boden darstellt, dann ist es natürlich lehrreich 
zu ermitteln, welche allgemein beziehlichen Aussagen den bestimmten 
geometrischen und physikalischen Beziehungen in begleitendem Sinne, 
als das relationstheoretisch Allgemeine in ihnen, zugeordnet sind. 
Geometrisch gibt da also die Funktion die Kurve, die erste Abgeleitete 
den Tangens des Tangentenwinkels, das Integral der Derivierten die 
Enveloppe usw.; wie es physikalisch steht, haben wir oben^ schon an:« 
gedeutet. 
Es ist, wie man sieht, nicht notwendig, der Werdelehre zuliebe in 
die Stetigkeitslehre das »Unendlichkleine« im Sinne eines für das 
Denken eigentlich Setzbaren einzuführen ^ das sogenannte Infinitesi* 
male also. Daß, um in der Sprache der »Eleatischen Antinomie« zu 
reden, x\chilles die Schildkröte einholt, das liegt nicht an der Ver* 
schiedenheit »unendlich kleiner« Maßeinheiten, mit denen des Achilles 
und der Schildkröte Wege gemessen werden, sondern das liegt an der 
verschiedenen Werdezuständlichkeit des Achilles und des Tieres in 
jedem Zeitpunkte, diese Werdezuständlichkeit verstanden als Inbe»» 
griff ihres Bewegungsgesetzes; das ^ des Achilles ist Vi, das ^^ der 
* s. S. 250 f. ^ Gänzlich unzutreffend war der Versuch Boltzmanns, den Atom* 
begriff, also den schärfsten Ausdruck für das Unstetige, mit dem Begriff des Diffe? 
rentialen zu verknüpfen. Dieser Begriff bereitet vielmehr der Anwendung der In* 
finitesimalrechnung geradezu Schwierigkeiten; sie muß von der vorhandenen Un=* 
Stetigkeit der Materie geradezu absehen ! 
253 
Schildkröte Vg; Vj ist größer als Vg; deshalb können nach bestimmtem 
Zeitablauf t Achilles und die Schildkröte trotz der letzteren Vorsprung 
am gleichen Orte sein. Und der fliegende Pfeil ruht zwar in diesem 
Zeitpunkt an diesem Ort, aber er ist nicht der ruhen*werdende, weil er 
nicht der geruhts»habende ist. Das eben heißt es, wenn ihm »augen^ 
blickliche Geschwindigkeit« zugeschrieben wird: Möglichkeit im Hin* 
blick auf Werden wird ihm als Eigenschaft beigelegt. »Infinitesimale« 
sind auch hier unnötig: im ZciUAugenblick jetzt ist wirklich gar kein 
Werden, auch kein »unendlich kleines«, aber auch im Zeit** Augenblick 
JETZT bleibt der Pfeil Träger seines ganz besonderen Werdegesetzes. 
Das Bedeutsame an den Gleichungen der mathematischen Physik 
ist also: erstens die Angabe unseres »empirischen« Wissens um das 
besondere Sosein derjenigen Natursolchheiten, welche in eindeutig 
fester Zuordnung zu irgendeiner anderen in Frage stehenden Natur«» 
solchheit stehen, welche »Bedingungen« des Wirklichseins dieser 
Natursolchheit sind; zweitens die grössenmässige Festlegung dieses 
eindeutigen Verhältnisses. Das Erste ist wohl die bedeutsamste Leis« 
stung, da wir eindeutige Bestimmtheit im Naturwirklichen ja doch 
überhaupt fordern, auch wenn wir sie noch nicht größenmäßig fest* 
legen können; in solchen Fällen ersteht eine Gleichung von der ganz 
allgemeinen Form w = 9? (x, y, z ^, ^ ). 
Mit Recht hat man gesagt, daß die mathematische Physik nur »funkst 
tionale« Abhängigkeit feststellen könne. Sie kann in der Tat nicht 
mehr. 
Aber die Logik will und kann mehr und hat eben deshalb die Be* 
griffe Werden und Kausalität gesetzt, findet sie auch »erfüllt«. 
Wir wollen die Leistungen der mathematischen Naturwissenschaft 
gewiß nicht unterschätzen, aber viel wichtiger ist es heute, vor ihrer 
Überschätzung zu warnen^: mit einer Letztform des Werdens, mit der 
Einzelheitsverknüpfung, hat es mathematische Physik lediglich zu 
tun, und im Rahmen dieser einen Werdeform untersucht sie lediglich 
Begleitendes, Die Philosophie, welche stolz ist, nicht mehr die ancilla 
theologiae zu sein, sollte nicht die ancilla mathematicorum werden und 
jedem mathematischen oder mathematisch^physikalischen Einfall in 
rückhaltloser Bewunderung nachlaufen. Sie allein schaut in Ur* 
spRÜNGLicHKEiT, Und ihres Amtes ist es, für den Mathematiker und den 
Physiker wegweisend zu sein und ihm zu sagen, was er als wahrhaft 
* Die Überschätzung der mathematischen Physik eint sogar philosophische Gegner; 
die Marburger und die Neufriesianer reichen sich hier die Hand. 
254 
Endgültiges setzen darf. Als wir vom sogenannten »Relativitätsprinzip« 
redeten, gaben wir bereits diesem Gedanken Ausdruck; er geht übri*» 
gens auch die Mengenlehre und die nichteuklidische sogenannte »Geo* 
metrie«, welche eben nicht »Geometrie« ist^ an. Elementargesetze 
des Wirkens, wie etwa das Newtonsche, das Coulombsche, das Am:« 
peresche Gesetz und anderes, sind das, was die mathematische Physik, 
viel mehr als es heute geschieht, bevorzugen sollte. Solche Gesetze 
nämlich verschleiern den Begriff der echten Kausalität nicht, so wie 
bloße Gleichungsformulierungen das tun; sie wahren eine gewisse 
»Anschaulichkeit«, die hier, wo es sich ja lediglich um etwas, das im 
Räume geschieht und wirkt, handelt, ohne jede Einschränkung gewahrt 
werden darf; und sie erlaul^en, was wohl das Bedeutsamste ist, alle 
Totalerscheinungen an einem eine Wirkungseinheit ausmachenden 
System, als Resultierende aus Elementargesetz und Systembedingungen 
in ECHT KAUSALEM Sinne darzustellen. Die bloße »Gleichung« dagegen 
sagt nichts über Dinge, über die etwas gesagt werden kann und muss. 
e) DIE BEIDEN ORDNUNGSSÄTZE DER LEHRE VON DER VERÄNDE» 
RUNGSVERKNÜPFUNG' 
Wir gehen nun dazu über, ebenso wie für die reine Bewegungs:* 
lehre, die »Mechanik«, für die Lehre von der Verknüpfung 
räumlichen Sichveränderns überhaupt Forderungen aufzustellen. 
Die Logik will, wenn anders Einzelheits Verknüpfung des Werdens 
im Räume ihr vorliegt — und wir setzen ja hier voraus, daß sie und 
nur sie ihr vorliege — , die Logik will, daß früheres Raum »»Werden 
wie ein »Grund« des späteren erscheine, daß also jedenfalls die Mannig:» 
FALTIGKEIT des Späteren der des früheren eindeutig zugeordnet sei. 
Anders gesagt: der Grad der Mannigfaltigkeit von Werdezuständen 
darf sich, wenn wirklich Einzelheitsfolgeverknüpfung in Frage steht, 
nicht nur ohne Bezug auf andere Mannigfaltigkeiten überhaupt nicht 
erhöhen, sondern nicht einmal ohne Bezug auf irgendeine räumliche 
Mannigfaltigkeit. Ferner will die Logik die Verknüpfungen im räum«» 
liehen Werden in so sparsamer Weise, wie möglich, das heißt mit so 
wenig verschiedenen Begriffen, wie möglich, meistern. 
In der reinen Bewegungslehre gelang es nun, wenn man einmal 
wußte, was Bewegung ist, ganz bestimmte Denkforderungen für Be^ 
Wegungsverknüpfung aufzustellen, wie sie im wesentlichen bereits von 
^ S. o. S. 126 f. ' Für Einzelausführung des hier Behandelten sei auf meine »Natur? 
begriffe« (1904) verwiesen, sowie auf die verschiedenen hier als bekannt voraus* 
gesetzten Werke Ostwalds. 
255 
Galilei und Newton gefunden worden sind. In der allgemeinen Lehre 
von der Veränderungsverknüpfung werden sich nur zwei oder, wenn 
man will, drei solcher bestimmten Forderungen aufstellen lassen, und 
diese werden einen wesentlich unbestimmteren Anblick gewähren als 
die rein denkmäßigen Bestandteile der sogenannten »Prinzipien der 
Mechanik«. 
Es ist nicht überflüssig, noch einmal ganz besonders zu betonen, daß 
alle wesenmäßigen Vorbilder (»ontologischen Prototypen«) des Wers« 
dens, also auch sowohl die »mechanischen« wie die »energetischen« 
Hauptsätze, nur für gewisse als wirklich vorausgesetzte Naturumstände 
gültig sind. Anders, und mit besonderer Rücksicht auf die Lehre von 
der Einzelheitsfolgeverknüpfung geformt, gesagt: Wenn lediglich die 
Verknüpfung von räumlicher Veränderung mit räumlicher Verände»* 
rung in Frage steht, dann fordert die Logik für diese Verknüpfung, 
auf Grund ihrer Allgemeinforderungen der Eindeutigkeit und Spar* 
samkeit, gewisses Bestimmte. Oh aber und wann echte »Einzelheits* 
folgeverknüpfung« im Werden vorliegt, das steht hier g-ar nicht in 
Frage; die Logik »konstruiert« sich hier mögliche Fälle, ganz wie etwa 
im Geometrischen, und sagt dann über sie unbedingt Verbindliches 
aus. Sie könnte also auch umgekehrt sagen: Wenn gewisse Kenn*« 
zeichen des Geschehens erfüllt sind, dann, nur dann liegt Einzelheitsss 
folgeverknüpfung vor. 
a) DER »SATZ DES GESCHEHENS<ü 
Die Darlegung der Grundforderungen für Einzelheitsverknüpfung 
hat insofern von vornherein mit gewissen Schwierigkeiten zu 
kämpfen, als das echte und reine Raumwerden bekanntlich — wie 
Naturwirklichkeit nun einmal ist — nicht eine unaufhörliche Folge 
einander ablösender Werdeeinzelheiten ist. »Es gibt« auch, und sogar 
in erheblichem Maße, RuheS d. h. Nichtänderung des Änderbaren; 
Veränderungszeiten wechseln mit Ruhezeiten; beide Zeiten können 
jede beliebige Länge haben. Hier erinnern wir uns auch an das, was 
wir über »eine Veränderung« und über Gleichgewicht^ gesagt haben. 
Wie nun kann es zu Veränderung an einem ruhenden Ding oder 
Dinggefüge kommen? Wo es zu solcher Veränderung ganz und gar 
von außen her kommt, liegt die Sache nicht schwierig. Es kann aber 
auch geschehen, daß eine Veränderung in einem Naturausschnitt an* 
* Das Wort sei im folgenden ganz allgemein, also nicht nur im Gegensatz zu »Be* 
wegung« verwendet. * S. S. 196. 
256 
fängt, nachdem in ihm vorher eine endliche Zeitlang Ruhe war, ohne 
daß doch von außen kommendes Werden dafür den vollen Werde»» 
grund abgäbe. Nur eine gewisse Werdeanregung, die man »Auslösung« 
oder »Veranlassung« zu nennen pflegt, war von außen hergekommen; 
aber eine »Veranlassung« ist nun eben nicht der zureichende Werden 
grund des Neuen an Veränderung^. Man sieht das neue Werden daher 
als Ergebnis eines früheren an, das man freilich meist nicht kennt; da 
muß, so sagt man, früher jedenfalls einmal etwas geworden sein, und 
dieses frühere Werden, oder doch sein Ergebnis, nämlich eine gewisse 
Verschiedenheit des Soseins am untersuchten Gefüge, ist neben der 
»Veranlassung« verantwortlich für das, was geschieht. Ruhe also, aus 
welcher durch bloße Veranlassung Neu werden entsteht, muß als ge= 
worden, als Veränderungsergebnis aufgefaßt werden, muß Werde*» 
möglichkeit in sich bergen. Das schafft eine gewisse Erleichterung. 
Was aber bedeutet das? 
Es bedeutet nichts anderes als einen Ausdruck unserer Forderung, 
daß jede Veränderung, betreffe sie Lage, Solchheitsart oder Solchheits^ 
grad, einen sie in ihrer Mannigfaltigkeit zureichend bestimmenden 
Werdegrund haben müsse; jedenfalls können wir also für den Über** 
gang von Ruhe zu Veränderung dieses sagen: 
Wo Geschehen in einem Gefüge einsetzen soll, nachdem für eine 
Zeitlang nichts an ihm geschah, da muß es entweder an ihm Vei^ 
schiedenheiten des Soseins geben, welche Werdefolgen früheren Ge* 
schehens sind und jetzt nur der »Auslösung« zu neuem Werden harren, 
oder da muß von anderen Dingen her Geschehen geradezu auf es ein«« 
wirken. Fehlt es, von Auslösungen abgesehen, an von außen kommens» 
dem Geschehen, so muß sich also die bis dahin ruhende Zuständlich- 
keit des in Rede stehenden Dinggefüges als, wegen ihres Geworden= 
seins, ihrer Mannigfaltigkeit nach zureichender Werdegrund des 
statthabenden neuen Werdens fassen lassen. 
Oder kürzer: 
Gleichförmigkeit des dinglichen Soseins gestattet kein Geschehen 
auf Grund dieses Soseins. Solches zulassen, würde den Satz von zu»» 
reichendem Werdegrund, ja, den Satz von der Eindeutigkeit verletzen. 
Auf Grund eines Soseins, in bezug auf welches Gleichförmigkeit in 
einem Gefüge herrscht, geschieht jedenfalls nichts; mag aus anderen 
Quellen her etwas geschehen. Ein in sich dem Sosein nach gleich«» 
förmiges Ding oder auch ein Gefüge von dem Sosein nach gleich* 
' S. S. 195 und 233 
17 Driesch, Ordnungslehre 2,J I 
förmigen (»homogenen«) Dingen gestattet keine Veränderung, auch 
nicht durch »Auslösung«. Irgend etwas muß an einem Gefüge ver« 
schieden^ also werdevermöglich sein, wenn Geschehen an ihm wirklich 
werden soll; es sei denn, Geschehen trete als echter Werdegrund von 
außen an das Geschehen heran. Anders, das heißt umgekehrt gesagt: 
Wo etwas geschiehty da waren, als früheren Werdens Ergebnis, Vers 
schiedenheiten. 
Was hier mit mannigfachen Ausdrücken als erste Forderung frir 
Einzelheitsfi)lgeverknüpfiing überhaupt ausgesprochen ist, ist der ord* 
nungsmäßige Kern eines Satzes, welcher in der allgemeinen »Ener»« 
getik« und, in besonderen Formen, in den verschiedenen Sonder«* 
gebieten der Physik eine große Rolle spielt und meist als »Zweiter 
Hauptsatz« der Energetik bezeichnet wird. Helm und Ostwald haben 
hier passend von einem »Satz des Geschehens« gesprochen. Natürlich 
geht uns nur der wesensmäßige Kern des Satzes etwas an, namentlich 
also der Nachweis, daß es einen solchen wesensmäßigen Kern hier 
gibt. 
Gewohnheitserfahrung füllt nun diesen Kern mit Inhalt: sie zeigt, 
daß die sogenannten Intensitäxen^ der Energie es sind, die verschieden 
sein müssen, damit etwas geschehe, daß also etwa Wärme nur bei Tems 
perafurverschiedenheiten, Schwerkraft nur bei Niveauunterschieden 
Wirkung, in letzterem Falle in »auslösbarer« Form, erlaube. »Empirie« 
auch zeigt, wie die Intensitäten verschiedener »Energiearten« in be«« 
stimmtem Betrage »gekuppelt« sein können, wie sie unter bestimmten 
Umständen »kompensiert«, unter anderen »unkompensiert« sind, also 
Geschehen bewirken. Das alles geht uns hier nichts an, ist übrigens 
anderenorts^ eingehend von mir behandelt worden. 
Wohl aber müssen wir Nachdruck darauf legen, daß im zweiten 
»Hauptsatz der Energetik«, im »Satz des Geschehens«, ein rein ord«« 
nungsmäßiger, auf der Eindeutigkeitsforderung beruhender Kern ver*« 
borgen liegt, und daß Physik diesen Kern nur mit Inhalt füllt, indem 
sie zeigt, was an den Naturbestandteilen nun in Sonderheit durch sein 
Verschiedensein für Geschehen verantwortlich ist. 
* Der Begriff und Name stammt von Helm, Die Lehre von der Energie 1887, S. 61 f. 
Über die verschiedenen Arten von Intensitäten reden wir hier nicht, sie hängen mit 
den Arten von »Konstanten« zusammen (s. S. 242) und lassen sich einteilen auf 
Grund der möglichen Arten von Ding Veränderung: es kann sich nur der Solch? 
heitsgrad oder auch die Solchheitsart (»Energieverwandlung«) oder auch das Solch? 
heitsbeieinander (»chemischer Umsatz«) ändern, usw. ^ Naturbegriffe und Natur? 
urteile 1904, Teil C und E. 
258 
Wie ich zeigte^, ist in allen eigentlich physikalischen Darstellungen 
des sogenannten »zweiten Hauptsatzes« — der, nebenbei gesagt, in der 
Wärmelehre, durch Bezugnahme auf einen besonderen mathematischen 
Ausdruck, als Satz von der »Vermehrung der Entropie« ausgesprochen 
zu werden pflegt — mit dem reinen Geschehenssatze und seiner em^ 
pirischen Erfüllung ein zweiter rem gewohnheitserfahrungsmäßiger 
Satz verknüpft; der Satz von der » Zerstreuu ng«, d. h. der Ausdruck 
der Tatsache, daß Naturgeschehen, wie es nun einmal ist, zu einem 
Ausglei ch d er Intensitäten, oder doch jedenfalls dazu führt, daß die 
Summe aller Intensitätsdifferenzen immer kleiner wird, und zwar, ob= 
wohl stets ein irgendwo statthabender Intensitätsfall einen Intensitäts:« 
anstieg irgendwo anders zur Werdefolge hat — das eben heißt nämlich 
»geschehen« in »energetischer« Sprache^. 
Das alles ist remgewohnheitserfahrungsmäßig; es »könnte« anders, 
die unbelebte Welt »könnte« ein Pendel in der allgemeinsten Bedeutung 
des Wortes sein. Denn der Satz des Geschehens fordert ja nur Verschies« 
denheit als Voraussetzung von Geschehen; nach ihm könnte die Vers» 
schiedenheit etwa der Temperatur zwischen zwei miteinander verbun^« 
denen Öfen A und B, von denen A der heißere ist, zu einem Wärmen* 
geschehen führen, das nun B zum heißeren macht, dann wieder A und 
so fort; so würden Intensitätsfall und Intensitätsanstieg in den beiden 
Ofen, wie beim »idealen Pendel«, ohne Ende miteinander abwechseln; 
wir hätten eine Wärme ««»Trägheit« vor uns^ Das »ist« aber nicht so, 
sondern beide Ofen gelangen auf einen Temperaturmittelwert; und 
auch wo in beschränktem Maße wahrhaft »gependelt« wird, wird doch 
nie »ideal« gependelt: Wärmeerzeugung, durch Reibung und anderes, 
ist »unvermeidlich«, und Wärme eben zerstreut sich*. 
Also alles, was sich auf Zerstreuung- bezieht, ist am üblichen »zweiten 
Hauptsatz« der Physik rem gewohnheitsmäßig; wie wenig aber alles 
über die Voraussetzung von Geschehen überhaupt in ihm Ausgesagte 
gewohnheitsmäßig ist, das geht nun in besonderer Klarheit daraus 
hervor, daß stets, wenn »Intensitätsdifferenzen«, als die wesensmäßigen 
Voraussetzungen für Geschehen, nicht in ohne weiteres nachweisbarer 
Form vorhanden sind, wie etwa im Gebiet des Chemischen, sie nach 
' Naturbegriffe S. 81 ff. ^ Es fällt stets der höhere die Differenz am Sosein bestim* 
mende Intensitätswert, es steigt der niedere. Nur das ist eindeutig, es gibt in großen* 
mäßiger Bestimmtheit die Möglichkeit des Anstiegbetrages des niederen Wertes an. 
Es mag zunächst scheinen als könne »a priori« auch der höhere Wert weiter steigen, 
der niedere weiter fallen — aber wo wäre da die Grenze der Veränderung? ' Vgl. 
S. 249 Anm. 2. * Aber »Zerstreuung« gibt es auch sonst, z. B. bei Diffusionen. 
17« 259 
dem Geschehen, etwa als sogenannte »chemische Potentiale«, gleich* 
sam erfunden und an bestimmte Naturorte verlegt werden: Geschehen 
im Rahmen der Einzelheitskausalität kann eben wesensmäßig ohne 
Intensitätsunterschiede nicht zustande gekommen sein ; hat man solche 
Unterschiede nun nicht in ohne weiteres meßbarer Form vor sich, so 
setzt man, sie seien, und zwar in größenmäßig ganz bestimmtem Bes 
trage, doch da gewesen. 
Wir werden später noch von einer anderen Art solcher Erfindungen 
zu reden haben, welche die Physik, sich selbst dessen meist nicht he* 
wüßt, zum Zwecke der Wahrung wesensmäßiger Forderungen macht. — 
Unsere erste Forderung für Einzelheitsfolgeverknüpfung überhaupt 
handelte nur von der Voraussetzung- von Veränderung: Gleichförmig* 
keit des Soseins erlaubt kein Geschehen oder, physikalisch gesprochen: 
Unkompensierte Intensitätsdifferenzen sind des Geschehens Voraus* 
Setzung. 
ß) DER SATZ VON DER ERHALTUNG DES URSÄCHUCHKETTSBETRAGES 
Wir gehen nun zu einer zweiten Forderung der allgemeinen Ver* 
änderungslehre über, welche nicht von den Voraussetzungen 
des Geschehens handelt, sondern von einem wesentlichen Zuge alles 
rein räumlichen Geschehens selbst. 
Die reine Bewegungslehre vermag, wie wir wissen, aus den Eigen* 
tümlichkeiten eines Bewegten einen Ausdruck zu bilden, welcher sein 
Vermögen zur Leistung von »Arbeit« kennzeichnet. Dieser Ausdruck 
mißt seinen B etrag an Ursächlichke it. Damit die Bewegungsvorgänge 
eindeutig faßbar seien, fordert die Logik die Erhaltung des Betrages 
an Ursächlichkeit oder, wenn man lieber will, an Werden für ein so* 
genanntes »System«; sie schafft den Begriff der »potentie llen Ene rgie«, 
damit diese Erhaltung gelte, wo sinnfällig »lebendige Kr^^^^ in Arbeit 
verzehrt wird. Es soll da eben später wieder auftretende lebendige Kraft 
nicht aus dem Nichts kommen. 
So hängt also in der reinen Bewegungslehre der Begriff der Er haltu ng 
der »Energie« an der E indeutigkeitsforderung fü r einen bestimmten 
Begriff: Ursächlichkeitsbetrag. Anders gesagt: im Laufe des Werdens, 
so weit es Bewegung ist, soll jeder Werdezustand, insofern er zugleich 
Träger des Werdegesetzes ist, an Größe den folgenden, wenigstens 
dem Betrage nach, mitsetzen und vom vorhergehenden mitgesetzt sein. 
Werden selbst soll eben als etwas in gewissem Sinne Beharrliches — 
obschon nicht als das Beharrliche, an dem es ja geschieht — erscheinen. 
260 
Gleiches fordert nun die allgemeine Veränderungslehre: auch sie geht 
vom Begriff des Ursächlichkeitsbetrages aus, der »erhalten« bleiben 
müsse. Ein geschlossenes Gefüge stellt in der Gesamtheit des Raum* 
wirklichen eben einen und nur einen Ursächlichkeitsbetrag E dar, 
gleichgültig, was in ihm selbst geschieht; und wirken zwei Gefüge mit 
den Beträgen E^ und E^ aufeinander, so kann das nur so geschehen, 
daß das eine an Ursächlichkeitsbetrag gewinnt, was das andere ver*» 
liert; die Summe der Ursächlichkeitsbeträge muß »konstant« bleiben. 
Von solchen oder doch von ähnlichen Erwägungen ging der Ent* 
decker der Forderung von der Erhaltung der Energie^ Robert Mayer, 
aus, wenn er Sätze wie »causajiequat effectum«, »nihil fit ex nihilo aut 
ad nihilum« an die Spitze seiner Ausführungen stellte. 
Ein Etw as am Werden also soll erhalten ble iben. Was ist dieses 
»Etwas«? 
Die Naturlehre zeigt, daß es sich in jeder Gruppe von Soseins* 
änderung der Eigenschaftlichkeit von Dingen finden läßt. Es läßt sich 
nämlich für jede solche Gruppe ein Ausdruck bilden, welcher seine 
Arbeitsmöglichkeit überhaupt^ größenmäßig mißt. Man nennt diesen 
Ausdruck, dieses Mass, allgemein Energie. 
In einem geschlossenen Systeme bleibt also die »Energie« konstant, 
und alle Veränderung ist »Energie«:« Austausch. 
Es ist sehr erfreulich f ür die Logik, daß Natur ihrem Streben nach 
Veremfachun^ s^^ entgegenkommt: vieles Werden, so zeigt sich, 
nämlich jedenfalls das gesamte Werden im Bereiche der unbelebten 
Natur, ist reines Raum werden, reine Einzelheitsverknüpfung. Eben 
weil das so ist, findet die Forderung der Erhaltung des Ursächlichkeits«« 
betrages in der Energieerhaltung so weitgehend ihre Erfüllung; ja viel;« 
leicht wird diese Forderung sogar noch durch eine andere Form des 
Werdens erfüllt; das wird sich zeigen. 
Energie ist stets, wie schon in der Mechanik, ein zusammengesetzter 
Größenausdruck, ein »Produkt« aus zwei »Faktoren«, die man Inten:* 
sitäts* und Kapazitätsfaktor nennt. Den ersten dieser Faktoren kennen 
wir schon aus dem Satze vom Geschehen, er wird z. B. durch Tem* 
peratur, elektrisches Potential dargestellt. Der zweite ist in den meisten 
Fällen der Masse proportional Im einzelnen gehört die Ausführung 
dieser Dinge in die Philosophie der unbelebten Natur. 
* Also auf einen idealen Nullpunkt bezogen; die in jedem Falle wirkliche Arbeits* 
fähigkeit hängt ja an Intensitätsdifferenzen; diese bestimmen, wieviel an Energie 
überhaupt verwandelbar, ausnutzbar ist. 
261 
Wie schon die reine Mechanik sich den Begriff der »potentiellen 
Energie« schuf, um die Forderung der Erhaltung dem Anschein enU 
gegen zu wahren, so schafft nun auch die allgemeine Veränderungs^« 
lehre der Forderung des eindeutigen Mitsetzens zu Liebe alle mög* 
liehen »potentiellen« Energiearten, z. B. im Chemischen, Elektrischen, 
damit so recht die denkhaft*forderungsmäßige Natur des Satzes von 
der Erhaltung — des »ersten« Hauptsatzes in der üblichen Sprech«« 
weise — oft wider Willen bezeugend. 
Daß es sich im Erhaltungssatze eben um das »Erhaltenbleiben« eines 
Etwas im Werden handelt, hat schon Robert Mayer und viele nach 
ihm verführt, die Energie als das »Beharrliche« anzusehen. Das ist aber 
unrichtig: im Sinne der Lehre vom Werden überhaupt ist im Werden 
beharrlich ein Dinghaftes, an dem Werden geschieht; in der reinen 
wesensmäßigen Bewegungslehre ist z. B. die Masse beharrlich. Die 
Energieerhaltung drückt nur das beharrliche Weitergegeben werden des 
Werde Gefrages aus: der Betrag an Werden wird beharrlich an einem 
(noch unbekannten) Beharrlichen weitergegeben. Kurz gesagt: Im 
Werden beharrlich ist Dinghaftes, Werden selbst ist dem Betrage nach 
beharrlich in der Maßform der Energie. Also: Energie ist nicht »Sub«» 
stanz«, obwohl sie »Invariante« ist. 
Schon allein das Aufgebautsein der Energie aus zwei Faktoren spricht 
deutlich für die Richtigkeit dieser Darlegung, ganz abgesehen von rein 
denkmäßigen Erwägungen. Wenn in gewissen Fällen, z. B. auf dem 
großen und wichtigen Felde der Strahlungserscheinungen, vielfach nur 
ein Energiebetrag und sein Erhaltenbleiben überhaupt bekannt sind, 
ohne daß Faktorenzerlegung oder auch nur irgendeine Dinghaftigkeits^ 
beziehung möglich ist, wenn in diesen Fällen also nur von Örtlichkeit 
oder Wanderung^ von »Energie« als solcher geredet werden kann, so 
weist das eben nur auf ein Nochnichtwissen auf diesen Gebieten hin, 
aber nicht auf die »Substanz«:'Natur der Energie. 
Die Richtigkeit unserer Darlegung, welche also Energie durchaus 
und lediglich ein Mass des Ursächlichkeitsbetrages sein läßt, leugnen, 
heißt die ganze Lehre vom Werden in grenzenlose Verwirrung bringen. 
Diese Lehre hat ihre ganz bestimmten Forderungen, und diese werden 
' W 
* Wir denken hier an Strahlen im Gebiete der optischen und elektromagnetischen 
lFe//enerscheinungen, nicht an das, was wir früher (S. 231) »Kraftstrahlen« nannten. 
Bei den letzteren, auch wo es sich um pARADAYsche Kraftlinien handelt, wandert 
Energie nicht; sind sie doch nur ein kurzer Ausdruck für unser Wissen um dieVer:« 
teilung von Geschehensmöglichkeit. Weiteres über die Arten von »Strahlung« folgt 
später. 
262 
nicht dadurch beschwichtigt, daß man sie, weil man sie noch nicht er^ 
füllen kann, beiseite schiebt. 
Daß der reine Energiebegriff als solcher für die eigentliche Natur«! 
lehre von größter Bedeutung ist, daß ganz gewiß er allein die Forschung 
schon ein gutes Teil weiterzubringen imstande ist, soll mit allem diesen 
nicht geleugnet werden. Aber er bringt doch eben nur »ein gutes Teil« 
weiter, er bringt nicht ans Ende. Vor allen Dingen ist die Berufung auf 
den Erhaltungssatz immer ein gutes Mittel zur Verhütung von Fehlern 
rechnerischer Art; er ist stets eine Art Prüfstein für die Richtigkeit weit*» 
läufiger Betrachtungen; er darf eben nicht »verletzt« werden. — 
ß) OSTWÄLDS ^SÄTZ DES GRÖSSTEN UMSATZES<^ 
Der Satz des Geschehens redet von den sachlichen Umständen, 
unter denen Werden möglich ist, der Erhaltungssatz redet von 
einem in allem Werden gewahrten Verhältnis. Beide Sätze sagen nichts 
aus über die Zeitlichkeit, insonderheit die Geschwindigkeit des 
Werdens; da läßt sich in allgemeiner Form nichts aussagen. 
Ostwald ^ hat neben den beiden »Hauptsätzen« der Energetik — 
deren Zahlenbezeichnung wir aus denkmäßigen Gründen der üblichen 
entgegen umgekehrt haben — noch einen »Satz des größten Umsatzes« 
aufgestellt. Dieser Satz sagt aus, daß, wo immer wegen »unkompen** 
sierter Intensitätsdifferenzen« ein Geschehen, also ein Energieumsatz 
möglich ist, ein solcher auch eintritt; anders gesagt: potentielle Energie 
bleibt nicht potentiell, wenn sie es nicht bleiben muß. Das Erhaltungs* 
gesetz würde ja auch gewahrt sein, wenn potentielle Energie sich in 
solchem Falle gar nicht oder nur zum Teil umsetzen würde. Aber im 
ersten Falle würde es eben kein Geschehen geben, im zweiten würde 
das Geschehen der eindeutigen Faßbarkeit ermangeln. Eben aus letzs« 
terem Grunde scheint es mir, als drücke der Satz vom größten Umsatz 
eigentlich nicht eine neue selbständige Denkforderung im Bereich der 
Lehre von der Einzelheitverknüpfung aus. Zu einem ähnlichen Er* 
gebnis waren wir im Gebiet der reinen Mechanik gelangt^. 
/; UNGELÖSTE AUFGABEN 
Unbefriedigend bleibt die allgemeine Lehre von der Veränderung 
als solcher, die »qualitative Energetik«, aus folgenden Gründen: 
Sie mißt Veränderungsvoraussetzungen und Veränderungsbeträge mit 
verschiedenen Maßen — nämlich mit »Intensität« und »Energie« — 
' Physikal. Chemie, Band II, S. 37. « S. S. 232. 
263 
deren Bezug aufeinander, mittelst der »Kapazität«, man nicht versteht, 
sondern einfach hinzunehmen hat; 
sie hat alle Sonderheiten ihrer Energie»»» Arten« hinzunehmen ; 
sie versteht die Wirkung aus der Ursache nur zu einem ganz geringen 
Teil, nämlich nur nach Maßgabe ihres Erhaltungsgesetzes und nach 
Maßgabe der Einsicht, daß nichts »von selbst« geschieht; ja, was denn 
überhaupt diese Ursache, was diese Wirkung jeweils als bestimmte 
eine Veränderung sei, kann sie meist nur ganz unscharf angeben, da sie 
keinen allgemeinen Trägheits* und Wechsel wirkungsbegriff formt; 
sie hat die Tatsache der »Zerstreuung« einfach hinzunehmen, was, 
wie sich zeigen wird, bei Zuhilfenahme anderer Setzungen nicht 
nötig ist; 
sie arbeitet mit einem wenig geklärten Dingbegriff, nämlich dem der 
Verknüpfung gewisser Konstanten als Möglichkeitsinbegriffen mit der 
Konstante »spezifische Masse«, ja, gelegentlich ist sie überhaupt nicht 
imstande, auf ein Dingliches zu beziehen; 
sie versteht ihr Beieinander von Konstanten im einzelnen Falle in 
keiner Weise, auch versteht sie nicht, warum es nun eben diese und 
keine anderen Dingarten, d. h. Arten des Beieinander von Konstanten 
gibt; sie hat die ungeheure Fülle der Konstanten einfach hinzunehmen 
und kann sie höchstens klassifizieren. 
Das alles stellt die Forderung nach weiterer Vertiefung der Lehre 
vom Werden im Räume. Die Logik will eine »Materientheorie«, 
wenigstens will sie die Richtlinien einer solchen von sich aus auf* 
zustellen versuchen. Sie findet allzuviel an hinzunehmenden Natur* 
ZAHLEN und Naturanordnungsbesonderheiten im Gebiete der so* 
genannten »qualitativen Energetik« vor. Sie will wenig hinzunehmende 
Zahlen und will ein Zahlenbeieinander, wie es sich im Konstanten* 
Beieinander zeigt, verstehen. 
D 
1 DIE LEHRE VON DER URDINGLICHKEIT 
a) DIE AUFGÄBE 
ie »Materientheorie« ^ oder, wie wir zu sagen vorziehen, die Lehre 
von der Urdinglichkeit ersteht aus dem Unbefriedigtsein mit 
* Zum Eindringen in die Einzelheiten des Gegenstandes verhelfen: Lasswitz, Ge* 
schichte der Atomistik, 1890; E. v. Hartmann, Die Weltanschauung der mod. Physik, 
1902; J. Ward, Naturalism and Agnosticism (2. ed. 1903), Vol. I; J. Schultz, Die 
Bilder v. d. Materie 1905. — Von älterer Literatur kommen selbstredend Kants 
»Metaphysische Anfangsgründe« in erster Linie in Betracht. 
264 
den Ergebnissen der Lehre von der Veränderlichkeit von Dingen und 
Eigenschaften, wenn deren Sosein in seiner mehr oder weniger un* 
mittelbaren Erlebtheit erfaßt wird, so wie die »qualitative Energetik« 
das tat. 
Auf dem Gebiete der eigentlichen Soseinsveränderungslehre bleibt 
gar zu viel an unverständlichem, hinzunehmendem Rest, vor allem 
werden ja das Beieinander der Eigenschaften am Ding und die Arten 
dieses Beieinander ganz und gar nicht verstanden. Wie, wenn man 
nun auf anderem Wege diese Aufgaben befriedigend lösen, wenn man 
das Arthafte des Beieinander hier als denkmäßiges Gefüge verstehen 
könnte ? 
Und weiter die von der Physiologie gelehrte enge Abhängigkeit des 
»empfundenen« Soseins von Beschaffenheiten »meines Leibes«, von 
den Nerven, von narkotischen Mitteln, vom »Kontraste«! Kann die 
Logik an Stelle des gegenständlichen Soseins nicht etwas setzen, das 
weniger oder gar nicht solchen unvermeidbaren Verworrenheiten aus^ 
gesetzt ist? 
Kann Ich nicht wenigstens versuchen festzustellen, was für Kenn* 
zeichen eine Lehre von der Einzelheitsfolgeverknüpfung der Verände* 
rungen im Raum jedenfalls haben müßte, wenn sie befriedigen, wenn 
sie insonderheit den Forderungen der Sparsamkeit und Vollständig.« 
keit entgegenkommen soll, und zwar eben als Lehre vom rein=räums 
liehen Sich^verändern ? 
Man weiß, daß von alters her die Logik diese Aufgabe zu lösen 
versucht hat. Man weiß auch, daß es ein besonderes Gebiet von Ge»« 
schehnissen war, das dem Wunsche der Logik hier sozusagen vor allen 
anderen entgegenkam : das Gebiet des Tonhaften. Hier konnte man 
schon populär sagen: Wo Ton ist, da ist auch Bewegung, nämlich etwa 
von Saiten, weiterhin von Luftteilen; stellen wir also das Gesetzliche 
am Tonhaften dar durch die Bewegungsgesetzlichkeiten dessen, was 
auch da ist, wo es Tonhaftes gibt. 
So schaltete man die veränderlichen Beziehungen des Naturwirk* 
liehen zu gewissen Besonderheiten meines Leibes aus. 
Ich sage nicht, daß man die »Subjektivität« ausgeschaltet und nun 
also Einsichten über das »wahre Objekt« gewonnen, daß man »primäre« 
Eigenschaftlichkeit an Stelle »sekundärer« untersucht habe. Mit Er* 
KENNTNIS* Fragen, also mit Fragen nach dem Losgelöst* Wirklichen, 
haben wir es hier ja überhaupt nicht zu tun, sondern mit Ordnungs* 
fragen. Mag das Naturwirkliche mir ein einziges gleichsam verselb* 
265 
ständigt gegenüberstehendes Gegenständliche sein, es bleibt immer 
noch das mir gegenüberstehende, das für mich einzig verselbständlichte 
Gegenständliche, das gleichsam in sich Ruhende. Weiter brauche ich 
auch für meinen Ordnungszweck gar nichts zu wissen; es genügt mir 
vollkommen, daß ich dieses weiß. 
Also nicht ein Losgelöst* Wirkliches will ich durch die »Materien:^ 
theorie«, die Lehre von der Urdinglichkeit, erkennen. Ich will viel* 
mehr nur wissen: Welche Kennzeichen muß eine Lehre von der rein 
räumlichen Veränderung im Werden, von der Einzelheitsfolgeverknüp* 
fung also, jedenfalls haben, damit ich sie als endgültig geordnete Lehre 
anerkenne? Oder anders: Welche Bestandteile einer solchen Lehre 
könnten wohl, und weshalb könnten sie es, als endgültige Ordnungs* 
bestandteile gelten? 
Um eine Urdinglichkeitslehre bemüht sich neben der reinen Ord* 
nungslehre noch ein anderer Zweig des Wissens: die Naturwissens 
Schaft. Verstehen Ordnungslehre und Naturwissenschaft ihre Auf* 
gaben richtig, so können sie sich in ihrer Arbeit nicht stören. Die 
Naturlehre will — auch von dem Streben nach Eindeutigkeit und Spar* 
samkeit beseelt — ihre tatsächlichen Einzelermittlungen in Hinsicht 
der beobachtbaren Sonder^^Gesetzlichkeit des reinräumlichen Werdens 
aus möglichst wenig Formen vorausgesetzten Grundgeschehens denk* 
mäßig ableiten, d. h. mitsetzen ^ können. Diese ihre Voraussetzungen 
sind gleichsam kurze unentwickelte Darstellungen der Gesamtheit ihrer 
wirklichen Ergebnisse; das durch sie Mitgesetzte, seine »Folgen« also, 
sollen sich den Einzelermittlungen im Gebiete des Tatsächlichen zu* 
ordnen lassen^. Je bewußter hier die Voraussetzungen als vorläufig ge* 
faßt sind, um so besser. Wenn sie nur möglichst gering an Zahl und 
wenn sie nur nicht zueinander widerspruchsvoll sind. 
Die Ordnungslehre geht ganz anders vor; sie fragt: welche Kenn* 
zeichen müssen Ding, Eigenschaft, Veränderung, Veränderungsver* 
KNÜPFUNG im Rahmen der Lehre von der Einzelheitsfolgeverknüpfung 
* Freilich nicht nur auf Grund echten Inhahseinschlusses, sondern vornehmlich auf 
Grund »aprioristischer« Aussagen über Anordnung, Raum, Zeit, also auf Grund von 
Entwicklung des Unentwickelten (s.S. 162 und 133) und von Konstruktionen der 
Einbildungskraft (s. S. 103 und 131). ' Hertz (Einl. zu den Prinz, d. Mech., An* 
fang): »die denknotwendigen Folgen der Bilder« sollen sein »die Bilder von den 
naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände«; außerdem wird von den 
Bildern innere Widerspruchslosigkeit und möglichst große Einfachheit verlangt. 
Man vergleiche hierzu das Siaoco^eiv za cpatvöfisva des Demokrit (s. Windelband, 
Lehrb. d. Gesch. d. Phil., 3. Aufl., S. 88). 
266 
jedenfalls haben, wenn sie letzter Ordnung Bestandteile sein sollen, 
und welche Kennzeichen dürfen sie dann jedenfalls nicht haben? Mit 
anderen Worten: Was wäre eine endgültige, was eine noch nicht end«s 
gültige Urdinglehre? Und alsdann tritt die Ordnungslehre zur Physik 
und prüft, was denn nun an der Urdinglehre dieser endgültig oder 
nicht endgültig sei: 
Möglich, daß sie hier niemals Endgültigkeit in ihrem Sinne findet: 
dann wäre eben Natur nicht so begreiflich, wie die Logik es wünscht. 
Der Natur »Gesetze vorschreiben« also tut die Logik ganz und gar 
nicht; sie entwirft nur schauend ein Gefüge derjenigen Sätze, bei deren 
Gültigkeit für Natur diese Natur verständlich wäre; das tat sie schon 
bei der Lehre von der Folgeverknüpfung überhaupt, und insofern ist 
»Materientheorie« nur eine Fortsetzung dieser allgemeineren Lehre. 
Aber der Wissenschaft schreibt allerdings die Logik vor: Sie sagt ihr 
aus ihrer eigenen Wesensschau heraus, erstens, was überhaupt nicht ge* 
sagt werden darf, und zweitens, was noch bearbeitet werden muß, um 
(vielleicht) zur Endgültigkeit zu führen^. 
b) DAS UNGENÜGEN EINER LEHRE VON DER STETIGKEIT 
DES URDINGHAFTEN 
Die Lehre von der Urdinglichkeit als Teil der Ordnungslehre geht 
von der Betrachtung eines endlichen Abschnitts des einzigen 
Naturraums aus. Sie setzt, daß Etwas als dinghaftes Beharrliches in 
diesem Raumabschnitt sei, und daß dieses Etwas trotz seiner Beharr»« 
lichkeit mit Rücksicht auf gewisse Seiten seines Soseins auch veränders» 
liehe Eigenschaften habe; Veränderung soll »wirkend« Veränderung 
setzen. 
Das dinghafte Etwas kann nun offenbar entweder den Raum stetig 
oder unstetig erfüllen. Erfüllt es ihn stetig, so ist nirgends im Raum 
kein Etwas, es gibt eigentlich nur das eine Urding; erfüllt es ihn un^ 
* Ähnlich H. Dingler in seinen Grundlagen der Physik, 1919. Freilich hält er es für 
zu selbstverständlich, daß Natur sich inhaltlich dem antezipierten Schema, (welches 
für ihn das newtonische ist), fügen muss. Es ist aber zweierlei, gewisse »Wissenschaft« 
liehe« Theorien für schlechterdings unzulässig zu erklären und zu sagen, hier füge 
sich experimental gefundene Inhaltlichkeit noch nicht dem Schema und müsse daher 
weiter bearbeitet werden, um sich ihm vielleicht zu fügen (Begriff der »unend? 
liehen Aufgabe« im Sinne der Neukantianer); das Gegebene braucht doch nicht 
das Schema zu erfüllen, soweit dieses über die allgemeine Kausalitätsschematik 
heraussgeht. — Über das Leben denkt dingler dogmatisch*mechanistisch, weil er den 
Begriff der Kausalität selbst nur wenig untersucht und die Lehre von den möglichen 
Kausalformen nicht kennt. 
267 
stetig, so gibt es gewisse Raumorte, welche fiei von Etwas sind ; der 
Raum ist alsdann eine besondere Beziehungsart zwischen den in ihrer 
Besonderheit daseienden Etwassen. 
Wir prüfen zunächst die Folgen der Setzung stetiger Dinghaftigkeit. 
Trotz seines Nirgendnichtseins muß das Dinghafte, also das eine Ur»« 
ding, auch hier mindestens ein beharrliches Soseinss»Kennzeichen haben 
und muß als in gewisser anderer Hinsicht veränderbar erscheinen. 
Als beharrlich könnte vielleicht gelten: erstens sein Dasein im Raum 
an und für sich, zweitens sein Bewegen«« und Bewegtwerdenkönnen 
mit Rücksicht auf seine Teile. Aber hier treten sofort Schwierigkeiten 
auf: Was soll »Bewegung« von Teilen bei Annahme eines den Raum 
durchaus gleichförmig (»homogen«) erfüllenden Etwas überhaupt 
heißen? Die Frage hat keinen Sinn^. Aber das stetige Etwas, so sagt 
man, braucht nicht überall gleichförmig zu sein, es kann in irgendeiner 
Hinsicht in seinen Teilen verschieden sein. In welcher Hinsicht? Jeden* 
falls nicht in einer solchen, die man sich etwa als »verschiedene Dichte« 
im Sinne verschiedener Anhäufung vorstellen könnte, denn das Etwas 
»ist« ja eben in jedem Punkte als Dinghaftes; da kann es kein Mehr 
oder Weniger im Sinne eines Verteiltseins geben. Aber man könnte 
»Dichte« als gradmäßiges (»intensives«) Mehr oder Weniger auf:« 
fassen^ und sagen: hier ist s^är/cere Dinghaftigkeit als dort. Das Dich* 
tigkeitsstärke* Habens» Können wäre alsdann beharrliche Eigenschaft 
des Dinghaften, Veränderung seiner Stärke wäre seine Veränderungs* 
art, und auch echte Bewegung, als Ortsänderung eines räumlich aus* 
gesonderten Desselben in Zuordnung zur stetigen Zeit, die doch nun 
einmal naturwirklich ist^ würde es jetzt geben können, da ja Ding* 
haftigkeit nicht überall im Raum dieselbe ist. 
Möglich also ist eine »Kontinuitätstheorie« der Materie, freilich 
nur in dieser bizarren Form. Denn in einem wirklich »homogenen« 
Dinggebilde hat »Bewegung« eben einmal keinen Sinn, und wer, wie 
Descartes und Kelvin »Atome« als Wirbel in einer angeblich durch* 
aus homogenen stetigen Urmaterie faßt, läßt, ohne zu wollen, seine 
Urmaterie schon in (Unter*) Atome zerfallen. 
* So schon Leibniz, Monadol. 8. ' Hierzu bedeutsame Äußerungen in Kants 
»Antizipationen der Wahrnehmung« in der Kritik d. r. V. ' Vgl. S. 248 ; daselbst 
wurde der Versuch, den Bewegungsbegriff als solchen aufzulösen, durchaus ab« 
gelehnt. 
268 
c) DIE LEHRE VOM UNSTETIGEN URDINGHAFTEN 
Wie nun kommt das Denken bei der Annahme unstetiger Urding* 
haftigkeit im Raum am einfachsten zur Setzung möglichen Wer«* 
dens und möglicher Verknüpfung im Werden? Offenbar so, daß sie 
die Setzungen der reinen »ontologischen« Bewegungslehre, der »ratio^ 
nellen Mechanik«, im Sinne eines »antezipierten Schemas« Verwertet, 
sie vielleicht noch nach der Seite neuer Möglichkeiten hin bereichert 
und dann ermittelt, wo sich das »Empirische« diesem Schema möge 
zuordnen lassen. 
Die Urdinge seien in einem endlichen Raumabschnitt in endlicher 
Zahl, d. h. jedes in endlichem Raumgrößen=Betrage. Nur so sind sie 
als DIESE setzbar. Sie seien alle gleich, d. h. in strengster Weise Einzigst 
keiten einer Natur^^Klasse, sich nur durch den Ort unterscheidend. 
Was heißt »endlicher Raumgrößens^Betrag« unserer als diese faßbaren 
Urdinge? Sie erfüllen, wo sie auch sind, immer denselben endlichen, 
und zwar alle einen größenmäßig gleichen Raumteil, der, an einem he^ 
liebig als Einheit gesetzten Raumteil gemessen, die Größe a habe. 
Bis jetzt ist die Möglichkeit des in Schärfe setzbaren Daseins der 
Urdinge gezeigt. Nun handelt es sich um ihr Sosein, wie es sich im 
Werden offenbart. Die Veränderungsart der Urdinge soll nur Bewe«* 
gung im echten Sinne des Wortes sein. Es soll aber Veränderung Ver»« 
änderung, also Bewegung Bewegung setzen können. Wie das? Am 
einfachsten für das Denken so, daß das Urding zwei Eigentümlichst 
keiten besitzt: 
Es ist erstens durchaus raumerfüllend, d. h. raumteilbehauptend ; 
und es ist zweitens bewegungsübertragend und bewegungsausweichend 
bei »Berührung« im geometrisch strengen Sinne des Wortes. Der Sxoss 
wird hier als wesensmäßig strenge Setzung eingeführt, und zwar, physi«» 
kaiisch gesprochen, der »absolut elastische Stoß«, aber nicht als aus 
der »Elastizität« als aus einer zusammengesetzten Kennzeichnung ab^ 
geleitete, sondern geradezu als Grundsetzung^. Da ist nichts zu »er* 
klären«; die Grundsetzungen vielmehr, sie erklären; sie sind das Ge* 
ringste an Setzungen, was erklären kann. 
Es ist nun Angelegenheit der Naturlehre zu sehen, wie weit sie mit 
einem Urdinggefüge, wie dem von uns gesetzten, in ihrer Aufgabe, 
aller Solchheits^Veränderung und Veränderungs Verknüpfung im Raum 
eindeutig Urding:« Bewegungen zuzuordnen, kommen kann. Erlaubt 
* S. o. S.35, 139 u. sonst. ' Man vergleiche die ähnliche Betrachtung bei A. Stöhr, 
Philos. der unbelebten Materie, 1907. 
269 
muß ihr da werden, beliebig viele Urdinge in beliebiger Lage zu einem 
beliebigem »Anfangs<:<»»Zeitpunkt anzunehmen und jedes Urding mit 
nach Richtung und Größe bestimmter Geschwindigkeit begabt zu 
denken. 
Bekannt ist, daß die Naturlehre mit dieser einfachsten Form der von 
der reinen Ordnungslehre schaff baren Ur dinglehre ^ nicht auszukom* 
men behauptet, nicht einmal für die Mechanik der groben Naturdinge. 
Erweitern wir also ohne weitere Umstände unsere Urdinglehre da* 
hin, daß wir sagen: die Urdinge haben außer der beharrlichen, einen 
Teil ihres Wesens ausmachenden Eigentümlichkeit, raumteilbehaup* 
tend zu sein, durch Stoß bewegen und bewegtwerden zu können, auch 
noch die Fähigkeit einer anziehenden Wirkung in die Ferne, und zwar 
nach dem NEwxoNschen rein raum^geometrischen Gesetz. Mit dieser 
Neusetzung ausgestattet, welche übrigens dadurch, daß sie die Ur* 
dinge durch Kraftstrahlen ^ verbindet, ihre Gesamtheit wieder zu einem 
Stetigen im Raum, wennschon nicht einem Dinghaft^Stetigen, macht, 
genügt unsere »Materientheorie« für folgende Gebiete der Natur«« 
Wissenschaft: Für die eigentliche Mechanik der wirklichen groben 
Dinge, für die Lehre von den Aggregatzuständen einschließlich der 
.Akustik und wohl auch für den größten Teil der Wärmelehre. 
Wir erledigen nun, ehe wir hier weiter gehen, eine andere grund^^ 
legende Frage. 
Wir haben die Lehre von dem einen stetigen Urding abgelehnt; 
unter den möglichen Annahmen unstetiger »Materie« haben wir uns 
zunächst für eine reine »korpuskular^kinetische« Lehre, wie man zu 
sagen pflegt, entschieden, um dieser Lehre sodann einen gewissen 
»dynamischen« Zug zu geben. 
Was haben wir da eigentlich getan und warum haben wir das getan, 
was wir getan haben; warum nicht mehr und nicht anderes? 
Das Urding sollte dieses im Räume sein und sollte durch seine Ver«? 
änderung Veränderung ermöglichen: diese Forderungen wurden be* 
friedigt dadurch, daß es als in festem endlichen Betrage durchaus 
raumteilbehauptendes gesetzt war, und daß ihm bewegende Kraft 
durch Stoß zugeschrieben ward. Das Urding, insofern es bewegen* 
und bewegtwerden:»könnend ist, ist Einheit der Masse geworden, in 
dem Sinne, den dieses Wort früher erhalten hat. Auch wenn dem Ur* 
ding Anziehungskraft zugeschrieben wird, wird ihm etwas fest Be* 
stimmtes zugeschrieben. Zwei Urdinge ziehen sich im Abstand 1 mit 
* Der rein »kinetischen Materientheorie«. * s. S. 231. 
270 
der Kraft 1 an; der Maßstab ist willkürlich; des Urdings Masse und 
Raumgröße und seine Fernkrafteinheit sind »absolute«, hinzuneh«» 
mende Naturzahlen. 
Warum nun lassen wir die Anziehung der Urdinge nach einem von 
ihrer Entfernung abhängigen Gesetze geschehen, während wir in ihr 
Abstoßungs Verhältnis durch Stoß eine durchaus feste räumliche 
Schranke einführen? Warum sagen wir nicht: Auf kleine Entfernungen 
stoßen sich zwei Urdinge nach einem bestimmten, jedenfalls nicht dem 
umgekehrt^newtonischen Gesetze ab, auf größere ziehen sie sich new* 
tonisch an? Diese »refn=dynamische« Lehre, den Lehren von Kant und 
BoscovicH verwandt, würde die Urdinge zu »Kraftpunkten« machen. 
Geht denn das nicht an? 
Er nützt, kurz gesagt, nicht viel und bedeutet etwas Bestimmtes 
überhaupt nur dann, wenn für jeden Kraftpunkt eine ganz feste Grenze 
gesetzt wird — von Kugelform — in welcher sein Abstoßungsvermögen 
in sein Anziehungsvermögen geometrisch scharf übersetzt. Eine »abs« 
solute« Größe hätte das Urding also auch dann, wenigstens praktisch; 
alles wäre aber sehr viel umständlicher und verwickelter als bei »korpus* 
kularen« Urdingen, ohne daß es doch Nutzen brächte. Das »Korpus^ 
kel«, das Durc/iaus = Widerstehende, Durchaus =Raumteilbehauptende 
von bestimmter Größe streift die Sinnlichkeit in weit erheblicherem 
Maße ab, als ein gleichsam zusammendrückbares Urding, wie der 
Kraftpunkt es ist^. — 
Wir gehen nun in unserem Aufbau einer Urdinglehre als Teiles der 
reinen Ordnungslehre weiter, wobei wir als bekannt voraussetzen, daß 
gewisse große Gebiete der Naturlehre — die Optik, die Elektrik — sich 
einer mit newtonischer Fernkraft und mit durchaus harten, bewegten 
Urdingen arbeitenden Materienlehre leider nicht zuordnen zu lassen 
scheinen. 
Wie kann denn nun die reine Logik ihre Urdinglehre in sparsamer 
und bestimmter Weise überhaupt noch erweitern? 
Sie kann das nach zwei Richtungen hin tun, indem nämlich entweder 
die beharrliche Eigenschaftlichkeit des Urdinges, sein Wesen um neue 
' Von manchen Denkern, in besonderer Schärfe von Hartmann, ist die Auflösung 
des »Materiellen« in Aktuelles, in »Kraft« geradezu gefordert worden. Solche Forde* 
rung hatte aber stets metaphysische Gründe und bekümmert die Lehre von der 
Materie als Teil der Ordnungslehre nicht; was unsere Urdinge »an sich« sind oder 
besser, bedeuten, wollen wir hier ja gar nicht wissen. Übrigens könnte man in der 
Setzung raumteilbehauptend sogar schon einen »dynamischen« Zug sehen. 
271 
Züge bereichert wird, oder indem Urdinge von verschiedenem Wesen, 
also verschiedene Urdingarten geschaffen werden. 
Neue Züge eines Urdinges können aber nur so geschaffen werden, 
daß erstens das Wirken des Urdinges, oder besser die Raumausbrei* 
tung seines Wirkens geometrisch verständlich bleibt, und daß zwei* 
tens dieses Wirken durchaus als von einer wohl bestimmbaren Zu* 
ständlichkeit des Urdinges abhängig erscheint. 
Eine solche wohl bestimmbare Zuständlichkeit des Urdinges ist sein 
augenblicklicher Bewegungszustand der Größe nach, also seine Ge* 
schwindigkeit : wenn die von ihm ausgehende anziehende »Kraft« in 
ihrer Stärke also von seiner Geschwindigkeit abhinge, so wäre damit 
nichts Ordnungsungemäßes eingefiihrt.Die elektromagnetischeTheorie 
Wilhelm Webers arbeitete bekanntlich mit diesem Denkmittel; ebenso 
die neuere Lehre von Ritz. 
Aber nicht nur der Geschwindigkeitsbetrag, sondern auch die Rieh* 
tung der Bewegung kennzeichnet die Bewegungszuständlichkeit des 
Urdinges in jedem Augenblicke. Für das Wirken zweier Urdinge auf* 
einander dürfte also im Sinne der Ordnungslehre auch der Winkel, 
welchen ihre Bewegungsrichtungen miteinander bilden, in Betracht 
kommen. Ordnungsungemäß wäre auch das nicht. 
Die NEWTONische Fernkraft des Urdinges haben wir bisher als sich 
mit »unendlicher Geschwindigkeit« ausbreitend, d. h. als keine Zeit 
brauchend, angesehen. Notwendig ist diese Forderung nicht, obwohl 
sie besonders einfach ist. Ebenso wie das Urding bestimmte endliche 
Größe hat, könnte auch seine Fernkraft eine bestimmte endliche Fort= 
Pflanzungsgeschwindigkeit haben; das wäre freilich eine neue hinzu* 
nehmende besondere Naturzahl. 
Soweit die rein ordnungshafte Schaffung neuer Wesenszüge am 
Urding. 
»Verschiedene Arten« von Urdingen würden sich ergeben, wenn 
gewissen Urdingen entweder Züge gewisser anderer fehlten, oder 
aber, wenn es sich um Urdinge mit verschiedenen Größenbestimmun* 
gen handelte; Beides könnte sich natürlich verbinden. 
Das Entstehen und Vergehen »neuer« Urdinge im Räume — oder 
besser: aus dem Räume »hinaus« und in den Raum »herein« — dürfte 
die Logik auch nicht abweisen; doch wäre damit die erste Form des 
Werdens, die Einzelheitsfolgeverknüpfung, zugunsten einer »Schöp* 
fung« durchbrochen. Nur im äußersten Notfall wird die Logik solche 
Durchbrechung gutheißen. 
272 
d) DIE ERFÜLLUNG DER LEHRE VON DEN URDINGEN 
Wie findet sich nun Physik mit den von uns dargelegten denk* 
mäßigen möglichen Urdinglehren ab, wenn anders sie meint, 
wirklich erwiesen zu haben, daß sie sich mit einer kinetischen, ja auch 
mit einer newtonisch^dynamischen Urdinglehre sicherlich nicht ab* 
finden könne? Kann sie ihre Ermittelungen restlos einer der zusammen* 
gesetzteren Formen der Materienlehre zuordnen? 
Man weiß, daß lange Zeit die Optik mit einem seltsamen stetigen 
unwägbaren Stoffe, dem »Äther« arbeitete, auf dessen elastischen 
Schwingungen das, was seiner Solchheit nach Licht heißt, beruhen 
sollte. Die Elektrik nahm gleichzeitig zwei andere Urdingarten, die 
sogenannten Fluida, an; dazu kamen die körperhaften Urdinge, die 
Einige sich freilich als beharrliche Zuständlichkeiten (Wirbel) des ste* 
tigen Äthers dachten. 
Von Deckung mit einer denkmäßig klaren Urdinglehre konnte da 
nicht wohl die Rede sein. 
Die neue Physik hat bekanntlich Optik und Elektrik vereint, indem 
sie erstere der letzteren unterordnete. Es gibt heutzutage, vielleicht 
neben einem gewissen anderen Dinghaften, für den Physiker jedenfalls 
zwei Urdingarten: das negative und das positive Elektron. Ersteres 
hat den Vorteil, eine größenmäßig angebbare, endliche Unstetigkeit 
des Raumwirklichen darzustellen. Ja, man hat die »Atomarten« als 
Gefüge negativer Elektronen, in ein positives eingebettet oder um ein 
solches kreisend, verständlich zu machen gesucht und in der Tat hier 
ein Gefüge geschaffen, das die größenmäßigen Züge des »periodischen 
Systems« der chemischen Elemente aufweist; auch haben sich »Ele* 
mente« ineinander umwandeln lassen. Man hat ein rationelles System 
der Elemente, und man hat auch eine rationelle Theorie der Moleküle 
und Kristalle ^ 
Das alles muß die Logik freudig begrüßen. Leider weiß man vom 
positiven Elektron nur, daß es von anderer Größenordnung als das 
negative, also nicht so etwas wie sein »Spiegelbild« ist; vielleicht ist 
es das Wasserstoffatom. 
Daß die elektromagnetischen Induktionswirkungen Zeit zur Fort* 
Pflanzung gebrauchen, ist, wie oben ausgeführt, nicht denkwidrig. 
Freilich wird seltsamerweise über den zeitlichen Verlauf der elektro* 
^ Moleküle und Kristalle faßte man früher als zwei«, bezw. drei> stußge Mannigs 
faltigkeiten (s. o. S. 165), jetzt faßt man sie als einstufig, d. h. als unmittelbar aus 
Elektronen zusammengesetzt auf. 
18 Brie seh, Ordntmgslehxe 273 
statischen Anziehung und Abstoßung ^ gar nichts ausgesagt, und er* 
scheint die Schwerkraft immer noch als sich »momentan« ausbreitend. 
Wir müssen nun aber über die Rolle des sogenannten »Äthers« in 
der neuesten Physik reden. Er gilt den Meisten — nicht Allen — als in 
seiner Dinghaftigkeit abgeschafft. Erfunden war er ja vornehmlich um 
die endliche Fortpflanzungsgeschwindigkeit der fraglichen Erschein» 
nungen zu erklären und um in der Elektrodynamik die Abhängigkeit 
der Wirkung von der Geschwindigkeit des Wirkenden als nur scheinst 
bar erscheinen zu lassen; er sollte die einfachste, d. h. die newtonische 
»Mechanisierung« der Natur retten. Wenn, unserer Darlegung ent* 
sprechend, zugegeben wird, daß jene beiden Erscheinungen als Letzt* 
gegebenheiten uns nicht zu beunruhigen brauchen, ob sie schon nicht 
im engeren Sinne »mechanisierbar« sind'^ so ist der Äther in der Tat 
überflüssig. 
Will man ihn als Ding, also als drittes Urding fassen, so darf er^ 
heißt es, jedenfalls nicht stetig gefaßt werden, sondern »atomistisch«. 
Dann aber, so heißt es weiter, sei er zur Zeit rechnerisch nicht zu be* 
wältigen, erledige also die Lehre von der Dinghaftigkeit doch nicht 
endgültig. Uns scheint, was noch wichtiger ist, daß Einführung eines 
dritten Urdinges — und das wäre der Äther, so lange die beiden Elektra 
nicht als seine Zuständlichkeiten erweislich sind — überhaupt eine 
mindestens ebenso große Verminderung der Einfachheit bedeutet wie 
Ausstattung zweier Urdinge mit neuen denkmäßig klaren Zügen des 
Wirkens, wie die Abhängigkeit der Wirkungsstärke von derGeschwin* 
digkeit und die Endlichkeit der Wirkungsausbreitungsgeschwindig* 
keit es sind. 
Der Raum, besser der Naturraum kann also jedenfalls, an Stelle des 
»Äthers«, selbst als Träger aller echten »Strahlung« angesehen werden, 
* Also über die zeitliche Ausbreitung der pARADAYschen Kraftlinien. Diese Frage ist 
praktisch zwar bedeutungslos, ist aber doch für die Logik da in der Form: In den 
»leeren« Raum hinein sei zur Zeit t ein Elektron geschaffen; ist sein Wirkenkönnen 
auf ein etwa erstehendes zweites Elektron im Augenblick seiner Schöpfung überall? 
* Die elektrodynamischen Fernwirkungsgesetze sind jedenfalls grundsätzlich faßbar 
bei Annahme eines von der Geschwindigkeit der elektrischen Teile abhängigen 
»retardierten« Potentials (vgl. W. Ritz, Ann. Chem. et Phys. 8 sec. 13, S. 145. 1908), 
d. h. einer von der Geschwindigkeit abhängigen, sich endlich ausbreitenden Kraft; 
und damit kann die Logik sich zufrieden geben, mag so auch zunächst manches, 
wie z.B. die Interferenz, noch nicht »erklärt« sein. Der Satz von der Gegenwirkung 
freilich würde zwischen Dinghaftem nicht für den Augenblick (nicht »momentan«) 
gelten. Zur Theorie von Ritz s. a. Becher, Weltgebäude, S. 136ff., 182. » Vergl 
Witte, Annalen der Naturphilosophie, VIII, und sonst. 
274 
also, im Sinne der Energetik, als Träger und Verbreiter der »strahlen* 
den Energie«. Eben hier hat die von uns abgewiesene Lehre, daß »Ener* 
gie« etwas einfaches Naturwirkliches und nicht nur ein Maß sei, ihre 
Wurzeln^. — 
Es bleibt nun noch der dunkelste Punkt der neueren Physik aufzu* 
hellen, nämlich das Verhältnis ihrer beiden Urdinge zur Masse. 
Das negative Elektron soll nur »scheinbare« Masse haben, d. h. nur 
wegen des von ihm selbst erzeugten »elektrischen Feldes«, das auf es 
zurückwirkt, soll ein Aufwand von Energie zur Änderung seines Be* 
wegungszustandes notwendig sein. »Echte« Masse, also Raumteil«» 
behauptung, Stoßkraft, Widerstandskraft, hat es nicht; und seine 
scheinbare »Masse« nimmt noch dazu mit seiner Geschwindigkeit zu, 
ist also veränderlich. Man sagt auch wohl, ein Impuls würde dem 
Elektron für sich allein, ohne das »Feld«, eine unendliche Geschwin* 
digkeit erteilen, wobei man aber wohl nicht hinreichend beachtet, daß 
es echtem »Impulse« ohne »Masse«, als welche das größenmäßig be*« 
stimmte Widerstehende bedeutet, gar nicht zugänglich wäre, und daß 
es das »Feld« eben durch sein Dasein setzt, so daß es ohne das Feld 
eben nicht »es« wäre. 
Über Masse oder Nicht^masse des positiven Elektrons weiß man 
nichts. Die Lehre vom Praktisch^massigen würde am einfachsten, wenn 
man dem positiven Elektron, welches ja mit negativen Elektris zu»« 
sammen das praktisch^massige Urding aufbauen soll, Masse im alten 
Sinne der Mechanik, also beharrliche HAasse^ zuschriebe; daneben mag 
es »scheinbare« haben ^. 
* In der Tat ist aber diese Lehre auch hier unberechtigt. Denn echte »Strahlung« — 
also nicht die dinghafte Kathodenstrahlung und was ihr verwandt ist — bezeichnet 
in Strenge immer nur dieses, daß bestimmt angebbare Raumorte oder Folgen von 
Raumorten auf Grund der gegebenen Dinge, ihrer Zuständlichkeiten und ihres 
In*die*Ferne*Wirkens eine Beschaffenheit besitzen, kraft deren Dinghaftes möglicher^ 
weise, d. h., wenn es an diese Orte gebracht wird, bestimmte Veränderungen erfährt. 
»Strahlen« sind also -»geometrische Orte^ von Möglichkeiten. Diese möglichen Ver* 
änderungen sind ihrem Arbeitswert nach, also »energetisch«, vorher bestimmbar. 
Das allein heißt es und nichts anderes, daß »Energie« durch den Raum »transpor* 
tiert« werde. Es ist aber durchaus gleichgültig für diese unsere Lehre, ob »Strahlen« 
im Sinne der Kraftlinien Faradays oder unserer an früherer Stelle eingeführten 
Newtonischen Kraftstrahlen verstanden werden, oder ob sie die sich »wellenförmig« 
mit endlicher Geschwindigkeit ausbreitende Folge gewisser Zuständlichkeiten be? 
deuten: geometrische Orte von Möglichkeiten sind sie in je&m Falle. ' Über die 
bezüghch der »Masse« der Elektronen bestehenden Möglichkeiten s. a. Foincare, 
Wissenschaft und Methode, S. 192 f. 
18* 275 
Will man das nicht, soll auch des positiven Elektrons Masse durchaus 
»scheinbar« sein und doch das praktisch^massige Urding aus beiden 
Elektris sich aufbauen, so hätte man den alten mechanischen Begriff 
der unveränderbaren Masse als eines ganz wesentlichen Letzt^Kenn«« 
Zeichens der Beharrlichkeit der beiden Urdingarten überhaupt auf= 
gehoben. Denn alle scheinbare »Masse« ist ja von der Geschwindigkeit 
abhängig, indem sie mit ihrer Zunahme zunimmt, und ist auch sonst 
eine seltsame Sache. Freilich bewegt sich Praktischs^massiges praktisch 
nicht so schnell — auch astronomisch nicht — , daß die Veränderlichkeit 
seiner Massigkeit praktisch in Frage käme. 
Es fragt sich, wie die Naturlogik sich mit diesen Lehren der neuesten 
Physik abfinden soll. Sie darf sich Wohl zunächst einmal der UnvolU 
ständigkeit der neuen Lehren erinnern, unter anderem der Tatsache, 
daß die Grunderscheinung der ganzen älteren Mechanik, der Stoß, als 
»elektrodynamische« Erscheinung denn doch noch ganz und gar nicht 
wirklich verständlich gemacht worden ist. An die Lehre vom Stoß 
knüpfte, neben der Lehre vom Gleichgewicht, der alte Massenbegriff 
recht eigentlich an. 
Nach der neuen Lehre müßte die Stoßkraft eines sehr rasch be* 
wegten Körpers sich mit der Geschwindigkeit ändern, nicht nur, weil 
sich die Geschwindigkeit selbst, sondern auch weil sich durch sie die 
Masse ändert. 
Doch sehen wir für das weitere einmal von Unvollständigkeiten und 
Unsicherheiten der neuen Lehre ab^ 
Wenn alle »Masse« scheinbar wäre, also nur aus dem durch Dasein 
und Bewegung der Elektra, der Urdinge, gesetzten Felde, d. h. in 
Strenge aus ihrem Wirkungsgesetz, stammte, dann würde das nichts 
anderes heißen als dieses, daß das Wesen der Urdinge beider Arten 
eben nicht in strenger Raumteilbehauptung und Stoßfähigkeit bestehe, 
sondern in etwas wesentlich anderem. 
Anders gesagt: Man würde die Erscheinungen des Raumwerdens 
einer Urdinglehre zuordnen, welche zwei Urdingarten kennt, die nicht 
^ Man wird weiter auch Eines nicht vergessen dürfen: bei allen elektrodynamischen 
Untersuchungen wird nicht des negativen Elektrons Masse (m), sondern wird uns 
mittelbar stets das Verhältnis s/m, d. h. das Verhältnis der Ladung zur Masse bestimmt; 
dieses findet man mit der Geschwindigkeit veränderlich ; da nun e sich nicht ver? 
ändern könne, so sagt man, deshalb ist m veränderlich. Ist dieser Schluß zwingend? 
Wäre er es nicht, so läge alles ganz anders, als es zu liegen scheint; erst recht natür* 
lieh läge alles anders, sollte es sich herrausstellen, daß die Elektrizitätseinheiten doch 
nicht, wie jetzt gelehrt wird, Einzigkeiten einer Klasse sind. 
276 
massig und nicht stoßend sind; wohl wären sie raumerfüllend in 
größenmäßiger Bestimmtheit, also sie wären nicht raumbehauptend. 
Gleichnamige Elektra können sichnämlichnach Voraussetzung — d.h. 
nach ihrem Wirkungsgesetz der Abstoßung — nie berühren, ungleich* 
namige können sich aber sogar durchdringen. 
Man hätte also dem Urding oder vielmehr den Urdingarten die Masse 
als denkmäßig Gesetzes und beim Sichbewegen seine feste Rolle Spie* 
lendes genommen; als diese bestimmten Beweglichen aber hätte man 
die Urdinge bestehen lassen: daß sie das auf sie rückwirkende Feld 
mit seinem Wirkungsgesetz bestimmen, das ist jetzt, neben ihrer Größe, 
ihr beharrliches Wesen; von diesem ihrem Wesen und von ihren zeit* 
weisen Zuständlichkeiten hängt dann ihre »Trägheit«, ihre »schein* 
bare« veränderliche Masse als etwas Abgeleitetes ab. Mit echter Masse 
hat diese scheinbare nur eine ganz äußerliche Begriffsverwandtschaft: 
sie kann ja nicht »stoßen«, sie ist nur noch Etwas, »zu dessen Bewegung 
Kraft ^ nötig ist«, sie ist vor allen Dingen nicht beharrlich. 
Läßt man dem positiven Elektron echte beharrliche Masse neben 
seiner elektromagnetischen scheinbaren, so würde man praktisch frei* 
lieh nie den Anteil dieser beiden an seiner wirklich feststellbaren Augen* 
blicks*Massigkeit — im allgemeinsten Sinne des Wortes — feststellen 
können; ein Unterschied zwischen beiden Anteilen wäre vor dem 
Denken aber doch da. — 
Fassen wir kurz zusammen : 
Was wir am liebsten sehen würden, wäre eine rein »korpuskular* 
kinetische« Urdinglehre, d. h. eine solche, welche nur eine Art echt 
massiger, d. h. durchaus raumteilbehauptender, nur durch Stoß wir* 
kender, als bewegt überkommener Urdinge kennt. Diese Lehre, so 
heißt es, genügt nicht. 
Wir geben den Urdingen newtonische Fernkraft, ohne Zeitverbrauch 
wirkend, dazu. Diese Lehre, so heißt es, genügt auch nicht. 
Diese beiden Formen der Urdinglehre wären aber doch der Logik 
das Wünschbarste. Sie wünscht, es möchte doch noch die Naturlehre 
in einem atomhaft zerklüfteten, kinetisch newtonischen »Äther« die eine 
Urdingart, Elektra und Elektrodynamik aber als abgeleitete Phäno* 
^ Plancks »Allgemeine Dynamik« arbeitet mit diesem unbestimmt verallgemeinerten 
MassenbegrifF; rein aus »Strahlung« bestehenden Systemen schreibt er dann folge:* 
richtig auch »Masse« zu. Vgl. Ann. Naturphil. VII, S. 297 und Physikal. Zeitschr. 10, 
S. 62. Plancks Atomisierung der strahlenden Energie (»Quantentheorie«) ist wohl 
eine Folge der Atomisierung der Materie; freilich trägt sie auch Züge der alten 
Emissionslehre (Ritz, Becher). 
277 
mene erkennen ; das wünschen auch einige Physiker trotz allem noch, 
2. B. Lenard\ 
Vorläufig gestehen wir der heutigen Naturwissenschaft das Fols^ 
gende zu: 
Wir setzen zwei Urdingarten, die beiden Elektra, und ein von der 
Geschwindigkeit des Wirkenden abhängiges Wirkungsgesetz mit end* 
lieber Ausbreitungsgeschwindigkeit. Da können nun entweder beide 
Elektra keine echte oder das negative zwar nur scheinbare, das positive 
aber scheinbare und echte Masse haben; letztere Annahme wäre be* 
friedigender. Allein WIRKLICH befriedigend wäre aber nur eine £r/iiZ/ung 
desjenigen »antezipierten Schemas«, welches »klassische Mechanik« 
heißt. 
e) DIE LEISTUNGEN DER URDINGLEHRE 
Was eine Urdinglehre leisten soll und auch leistet, ist bekanntlich 
alles dasjenige, was von der allgemeinen »Energetik« für eine 
Lehre von der Einzelheitsverknüpfung nicht geleistet wird: 
Sie macht aus den Eigentümlichkeiten ihrer Urdinge und aus den 
Eigentümlichkeiten des Raumes, also aus sehr wenigen Setzungen, ver«« 
ständlich, warum es so viele praktisch erfahrbare Dingarten gibt, und 
warum jede Dingart diese »konstanten« Eigenschaften und daher in 
jedem Zeitpunkte bei bekannter Umgebung diese zeitweisen Eigen«« 
Schäften hat. 
Die verschiedenen Dingarten nämlich erscheinen als mögliche Gleiche 
gewichtszustände der Urdinge. Die Konstanten einer Dingart aber sind 
Durchdringungen der verschiedenen Urdingwirkungsgesetze. 
Freilich : die heutige »Materientheorie« kann nicht im einzelnen alles 
leisten, was hier versprochen wird, aber wir sehen ein, daß eine »Ur*« 
dinglehre« es leisten könnte. 
Die eigentliche »Energetik« erscheint der Urdinglehre gegenüber 
als ein Vorläufiges, als ein gar zu sehr im großen, gleichsam im Ramsche, 
Arbeitendes. Und dabei muß sie mit einer sehr großen Menge von 
Gegebenheiten, nämlich ihren Konstanten und Konstantenbeieinander, 
d. h. Dingarten, arbeiten. 
Wir können auch so sagen: Die allgemeine Veränderungslehre ar«» 
beitet mit einer sehr großen Menge von Naturzahlen, nämlich mit 
allen ihren Konstanten der verschiedensten Formen. Die Urdinglehre 
^ Über Relativitätsprinzip, Äther, Gravitation, 1918. S. a. Sahulka, Erklärung der 
Gravitation usw., 1907; K. Jellinek, Das Welten geheimnis, 1921, S. 60flF.; Dinqler, 
Grundlagen der Physik, 1919, und Physik und Hypothese, 1921. 
278 
braucht nur die wenigen in die Kennzeichnung der Eigentümlichkeiten 
ihrer Beharrlichen eingehenden Naturzahlen und daneben das Ur»« 
zahlenmäßige der euklidischen Raumlehre. Mit Hilfe dieser wenigen 
Zahlen setzt sie alle Zahlen der »Energetik« mit, da sie ja eben mit dem 
unentwickelten entwickelbaren Begriff »Gleichgewicht« arbeitet. 
Daneben arbeitet die Urdinglehre freilich mit der überkommenen 
Lage und Bewegung jedes einzelnen Urdinges, aber Lage und Bewegung 
der einzelnen Urdinge gelten ihr — wenigstens zunächst — als Zu«« 
FÄLLIGES, d. h. als bewußt Beiseitegesetztes. — 
Die allgemeine Veränderungslehre mußte auch die sogenannte »Zer* 
Streuung« der Energie als unauflösbare Tatsache hinnehmen. 
Die Urdinglehre kann auch hier Aufklärung schaflFen, und bekannt«! 
lieh ist es Boltzmann gewesen, welcher Zerstreuung als Übergang von 
unwahrscheinlicheren in wahrscheinlichere Zustände der Verteilung der 
Urdinge mechanisch gedeutet hat^. Diese Deutung ist vom feineren 
Ausbau der Urdinglehre unabhängig und kann sich mit einer ziemlich 
einfachen Form derselben, wie ja die Wärmelehre überhaupt, begnügen. 
»Von selbst« nimmt im Raum werden die Verteilung der Urdinge einen 
möglichst gleichförmigen Zustand an; bestehende Ungleichförmig* 
keiten können wo anders neue Ungleichförmigkeiten schaffen, aber 
langsam und allmählich strebt doch alles dem »Wahrscheinlichen«, 
dem Gleichförmigen zu^ 
Es mag noch kurz bemerkt sein, daß unter dem Gesichtspunkte des 
* Mit dem echten »Satz des Geschehens« hat das nichts zu tun. Man hat wohl gesagt» 
dieser gelte nicht für die Mechanik. Das ist falsch ; er nimmt nur in der Mechanik 
die folgende sehr einfache, »selbstverständliche« Form an: Ein Gefüge sich in der* 
selben Richtungen mit derselben Geschwindigkeit bewegender Massen erzeugt aus 
sich selbst nicht in sich irgendwelche Veränderungen. ' Ein Ereignis für in bes 
stimmtem Grade »wahrscheinlich« oder für »wahrscheinlicher« als ein anderes 
erklären heißt, auf Grund seiner Häufigkeit im Gegensatze zu anderen oder auf 
Grund der Häufigkeit aller es bestimmenden Naturfaktoren in der Vergangenheit 
eine Erwartungsaussage über seine Häufigkeit für die Zukunft machen. Näheres 
gehört in die formale Logik im engeren Sinne. Wahrscheinlichkeit bestimmt den 
Grad der Möglichkeit; sie geht durchaus auf Gegenständliches und ist nicht etwa 
etwas »bloß Subjektives«. Die Gleichförmigkeit des Naturverlaufs (S. 177) setzt sie 
voraus. Vgl. Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt, 1916 (seltsame Zwiespältig« 
keiten zwischen theoretischer »Wahrscheinlichkeit« und praktischem Eintreffen, 
z. B. bei Glücksspielen). — Der Zerstreuungssatz würde für die Wärme nicht gelten, 
wenn die Bewegungsrichtung jedes einzelnen Moleküls umkehrbar wäre; eben das 
ist »unendlich unwahrscheinlich«; nur ein »kohärentes System« könnte es oder Ent* 
sprechendes leisten. Planck, Einheit des physik. Weltbildes, 1909, S. 27f.; 8 Vor« 
lesungen, S. 43 ff. Näheres gehört in die Mechanik. 
279 
Wahrscheinlichseins auch die vergleichsweise /fäu/ig-fceiY der einzelnen 
praktisch unterschiedenen Dingarten betrachtet werden kann; gewisse 
Gleichgewichtszustände der Urdinge sind eben wahrscheinlicher als 
andere ~ wenigstens wenn, wie es ja in der reinen »Materientheorie« 
zunächst geschieht, die Verteilung der Urdinge und ihrer Bewegung 
als ZUFÄLLIG angesehen wird. 
5. DIE GESAMTHEIT DES DINGLICHEN 
Als letztes hat die Lehre vom Urding und die Lehre von der Einzel* 
heitsfolgeverknüpfung überhaupt die Fragen nach der Anzahl der 
Urdinge und nach der Zeit ihres Daseins zu beantworten, anders ge* 
sagt: die Fragen nach räumlicher Ausdehnung und zeitlicher Dauer 
der dinghaften Welt. 
Vorausgeschickt sei dabei, daß die Logik, so lange sie nicht zu 
Anderem gezwungen wird, alle Urdinge einer Art als unter sich durch* 
aus gleich, also auch als von gleicher Form ansieht. Aus nahe liegen* 
den Gründen wird sie dafür die Form der Kugel wählen. 
Das Naturwirkliche ist diesen Forderungen bisher entgegengekom* 
men ; was man über die naturwirklichen Urdinge aus der Erfahrung 
entnehmen kann, läßt in der Tat die Annahme zu, daß sie, um mit 
Herschel und Maxwell zu reden, gleichsam aus einer sehr genau 
arbeitenden Fabrik stammen. 
a) ENDLICHKEIT ODER UNENDLICHKEIT DER DINGHAFTEN NATUR 
Es ist zunächst zu untersuchen, ob die Frage nach der Ausdehnung 
des Dinghaften im Raum, also auch die Frage nach der Zahl der 
Urdinge — wenn anders jedes Urding selbst als von endlicher Größe 
gesetzt ist — überhaupt vernünftigerweise in Angriff genommen werden 
kann. 
Hierbei sind zwei Möglichkeiten zu scheiden, welche übrigens beide 
die Uns Endlichkeit des einzigen Naturraumes, als Trägers der rein 
dinghaften Naturbeziehungen, annehmen; durch Setzung der Un^End* 
lichkeit des Naturraumes ist nämlich über Endlichkeit oder Un»End* 
lichkeit des Dinghaften ohne weiteres gar nichts ausgemacht; bedeutet 
das IM Raum sein der Naturdinge doch nur eine besondere Art ihres 
Bezogenseins; »der Raum« ist nicht etwa so etwas wie ein »Ding«, 
welches da ist, und seine »Unendlichkeit« heißt nur, daß Raumes* 
beziehungen, wenn Bedürfnis nach ihnen da ist, »immer noch« zur 
Verfügung stehen^. 
^ Wo »leerer Raum« ist — und dasselbe gilt von »leerer Zeit« — da ist im Sinne der 
280 
Trotz der in beiden Fällen gleichermaßen zugrunde gelegten Un* 
Endlichkeit des Naturraumes als eines Beziehungsgefüges kann näm* 
lieh die Frage nach der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Zahl der 
Dinge bei einer bestimmten Annahme von vornherein unhehandelhar, 
bei einer gewissen anderen Annahme immerhin vorläufig behandelbar 
sein. Beide Annahmen beziehen sich auf die Frage, ob der un^endliche 
Raum durc/iweg-Träger möglicher Ursächlichkeitsverbreitung zwischen 
Dinghaftem sein könne oder nicht durchweg. 
Wer Wirkung in die Ferne — sei sie zeitlos oder zeitverbrauchend — 
an einen besonderen Dinghaftigkeitszustand des Raumes, an einen 
»Äther« geknüpft sein läßt, dem ist die Annahme erlaubt, daß dieser 
Äther — mag er im engeren Sinne dinghaft, wohl gar »atomisiert«, oder 
mag er nur als »Rahmen für die Gültigkeit der MAxwELLSchen Gleu 
chungen« gefaßt sein — nicht überall »sei«. »Wäre« er aber nicht 
ÜBERALL, so hätte der Raum leere Stellen; was »hinter« diesen leeren 
Stellen wäre, könnten wir niemals wissen, denn sie würden die Werde«« 
gemeinsamkeit im Raum durchaus unterbrechen. Es hat bei der An^ 
nähme eines für Wirkungsgemeinschaft notwendigen, aber nicht überall 
vorhandenen Äthers oder überhaupt bei Zulassung irgendeiner Mög* 
lichkeit der Unterbrechung der Werdegemeinschaft im Raum also von 
vornherein gar keinen Sinn, nach der Gesamtheit »der Dinge im Raum« 
zu fragen. Wir können uns nur um die Anzahl der Dinge in unserer 
Welt, d. h. in der uns zugänglichen raumbeziehlichen Werdegemein:* 
Schaft kümmern. 
Anders dagegen, wenn man den Naturraum als solchen Träger und 
Verbreiter des Dingwirkens sein läßt; dann ist unsere Welt zugleich 
die Welt der Dinge. 
Vielleicht gilt das erste für die allgemein attraktiven, das zweite für 
die elektrischen und magnetischen Wirkungen* — 
Wir untersuchen nun, und können nur untersuchen, ob »unsere 
Welt«, also vielleicht »die« Welt, eine endliche oder unendliche Zahl 
von Urdingen^ aufweist. 
Naturwirklichkeit nichts »da«; da ist also überhaupt nicht Naturwirklichkeit. Denkt 
man sich irgendein Hier im »leeren« Naturraum, so denkt man sich eben irgendein 
bestimmtes Natursdieses — also nicht das, was man eigentlich denken will. Sehr zu* 
treffend sind diese Angelegenheiten von Hartmann (Kategorienlehre, S. 104, 140) 
behandelt worden; s. a. Leibniz, Nouv. Ess. Deutsche Ausg. d. Phil. Bibl. S. 128 ff., 
und oben S. 167. 
* Kraftstrahlen NEwrcNischer Art und, wenn man sie nicht an ein dinghaftes Mittel 
gebunden denkt, auch Faradays »Kraftlinien« könnten natürlich auch bei endlicher 
281 
Es ist gesagt worden^, in einer unendlichen Dingwelt hätte der Satz 
von der »Konstanz« der Summe aller Einzelenergien keinen Sinn. Das 
stimmt; aber der sogenannte erste Hauptsatz der Energetik handelt 
praktisch doch überhaupt nur von der Erhaltung der Energiesumme 
in einem geschlossenen Gefüge, vom betragserhaltenden Austausch 
von Energie zwischen zwei Gefügen und von der »Äquivalenz« der 
Energiearten. 
Mit mehr Recht ist die praktisch genaue Gültigkeit des NEwxoNischen 
Schwerkraftgesetzes für die Endlichkeit unserer, also vielleicht »der« 
Welt verwertet worden. Es läßt sich zeigen, daß bei Annahme eines 
unendlichen Betrages des Dinghaften Newtons Gesetz nur dann gelten 
könnte, wenn man eine bestimmte Art der Verteilung des Dinghaften 
annimmt. Sonst hätte nämlich die Welt keinen »Schwerpunkt«. Auch 
hier bietet sich also nur die Möglichkeit einer vielleicht als wahrschein* 
lieh zu bezeichnenden Aussage zugunsten der Endlichkeit der Dinge. 
Wesentlichere Einsichten lassen sich bei Verwertung der Tatsache 
der Zerstreuung der Energie gewinnen, und zwar betreffen diese Ein* 
sichten die Fragen nach dem räumlichen und dem zeitlichen Dasein 
unserer Welt gleichermaßen: 
Wir gehen davon aus, daß rein denkmäßig sowohl die Zahl, also 
die Ausdehnung, wie auch die verflossene Zeitdauer der Urdinge 
unserer Welt sowohl endlich wie unendlich sein könnte, und unter* 
suchen, was in jedem Falle mit Rücksicht auf Zerstreuung jetzt gelten 
müßte. 
Wäre die Ausdehnung des Dinghaften unendlich, seine verflossene 
Zeitdauer auch unendlich, so bliebe es unbestimmt, ob heute der Zer* 
Streuungsvorgang bereits zu Ende sein müßte oder nicht. 
Wäre die Ausdehnung unendlich, die Zeitdauer endlich, so bliebe 
die Frage auch unbestimmt. 
Wäre die Ausdehnung endlich, die Zeitdauer unendlich, so müßte 
heute der Zerstreuungsvorgang erledigt sein. 
Wäre die Ausdehnung endlich und auch die Zeitdauer endlich, so 
bliebe die Frage unbestimmt. 
Zahl der Dinge den Raum ins UnsEndliche erfüllen. Aber sie sind nur 3i>geometrische 
Orte möglichen Geschehens« (s. S. 231). 
* Auf die Versuche, aus Zählungen der sichtbaren Himmelskörper oder aus den all» 
gemeinen Belichtungsverhältnissen des Himmels Aufschlüsse über Endlichkeit oder 
Unendlichkeit des empirischen Universums zu erlangen, gehe ich nicht ein, weil 
sie jeder sicheren Grundlage entbehren. Es könnte ja nicht leuchtende Himmels* 
körper geben. Und die Lichtgeschwindigkeit ist endlich. 
282 
t 
Ausschließen von allen Möglichkeiten läßt sich also nur die Ver* 
einigung von räumlicher Endlichkeit und rückzeitlicher Unendlichkeit 
unserer Welt; denn es gibt heute noch Zerstreuung, die ja an jedes 
Geschehen in tatsächlicher Unvermeidbarkeit geknüpft ist. 
Die drei anderen Möglichkeiten haben Anspruch auf gleiche Be^ 
achtung; insofern ist unser Ergebnis dürftig. Von Wichtigkeit erscheint 
immerhin, daß, wegen Ausschlusses der dritten Möglichkeit, die Auf* 
gäbe jedenfalls dahin eingeschränkt ist, daß ein wirkliches Wissen um 
die Endlichkeit der Welt im Räume zugleich ein Wissen um die End* 
lichkeit ihres verflossenen zeitlichen Daseins bedeuten würde; denn 
Endlichkeit im Räume und Unendlichkeit in der Zeit gehen eben nicht 
zusammen. Aus einem wirklichen Wissen von Unendlichkeit im Räume 
freilich ließe sich nichts entnehmen. 
b) ÜBER DIE SOGENANNTEN y>ANTINOMIENoi KANTS 
Wir halten die Frage nach Endlichkeit oder Unendlichkeit »unse* 
rer« (vielleicht »der«) Welt für eine »empirische« Angelegen* 
heit. Hierdurch stehen wir im Gegensatz zu Kant, welcher diese Frage 
für im Wesen unlösbar erklärte, und zwar sollte sie, seltsamerweise, 
ebenso wie auch die Frage nach dem endlichen oder unendlich* kleinen 
Ausdehnungsbetrage der einzelnen Urdinge, in dem Sinne unlösbar 
sein, daß »das Bewußtsein« sich hier sowohl eine »Thesis« wie eine 
»Antithesis« streng »beweisen« könne, womit sich eben die ganze Be* 
weiserei als Schein erwiese. Eine »Antinomie« des Denkens liege vor, 
und sie wieder rühre daher, daß hier das Denken das »Ding an sich« 
erfassen wolle, was es nicht könne. 
Es ist schon sehr häufig bemerkt worden, daß, ganz abgesehen von 
Kants Vorliebe für Versubjektivierung aller ontologischen Probleme 
überhaupt, seine Verquickung der »Antinomien«*frage mit der Er* 
KENNTNisfrage, also mit der Frage nach dem »Ding an sich«, unberech* 
tigt war. Am eindringlichsten erscheint in dieser Hinsicht die Be* 
merkung von Erhardt^, daß doch weder in den Beweisen der Thesis 
noch in denen der Antithesis von dem losgelösten (»absoluten«) Sein 
der Welt ausdrücklich die Rede sei, daß also auch die »Antinomien« 
* Kritik der KANiischen Antinomienlehre, 1888; vgl. auch Wundt (Phil, Stud. II. 
1885) u. CouTURAT, Phil. Prinz, d. Math. S. 318 fF. — Man vergleiche auch Schopen? 
HAUERS Kritik der Antinomienlehre im Anhangsteil des ersten Bandesseines Haupt« 
Werkes und den Abschnitt über Kant im zweiten Bande von Hartmanns Gesch. 
d. Metaph., eine äußerst lichtvolle kritische Darstellung in jeder Hinsicht. 
283 
nicht etwa durch Beschränkung auf die Welt der »Erscheinungen« 
ohne weiteres erledigt sein könnten. 
Also mit echten ERKENNXNisfragen haben die sogenannten »Anti* 
nomien« Kants gar nichts zu tun, womit natürlich nicht geleugnet 
werden soll, daß sie als Fragen im Rahmen der Ordnungslehre, also 
als Fragen mit Rücksicht auf die von mir erlebte Naturwirklichkeit 
auftreten. 
Das tun sie ganz gewiß, aber — und das ist die Hauptsache — da 
sind sie nun gar keine »Antinomien«, gar keine für »das Denken« 
grundsätzlich unlösbare Fragen, in bezug auf die wohl gar Gegen«» 
teiliges bewiesen werden könnte, sondern reine Sachfragen, die unter 
gewissen klar festlegbaren reinen Sachumständen durchaus behandele 
bar sind. Als einer solcher »Umstände« erschien uns bei der ersten 
»Antinomie« ihre Beschränkung auf »unsere« Welt, in wohl fest* 
gelegtem Sinne, als welche nur vielleicht »die« Welt ist. Kants zweite 
»Antinomie« muß, wie wir wissen, ein Denken, das wirklich eindeutige 
Bestimmtheit will, durchaus im Sinne endlicher Urdinge erledigen; 
die »Materie« eben ist nicht wie »der Raum« ins »Unendliche« teil* 
bar; sie ist »Materie«, sie ist dieses Dinghafte, weil sie das nicht ist. 
Ich kann nie mit Bestimmtheit wissen, ob das, was die Physik irgend 
einer Zeit für das wahre materielle atofiov hält, dieses äro/iov ist; aber 
daß da ein letztes endliches sein muß, das weiß ich. 
Kants erste Antinomie, die uns hier ja vor allem angeht, bedeutet 
also durchaus keinen »Widerstreit des Denkens«, sie bezeichnet nur ein 
Nichtwissen, vielleicht ein Nichtwissen endgültiger Art; aber selbst 
dann bedeutet sie ein solches Nichtwissen nicht wegen des »Wesens« 
des »Denkens«, sondern wegen der Art und Weise der erlebten Natur* 
gegebenheit; Kants zweite Antinomie aber ist sogar, forderungsmäßig, 
geradezu zu erledigen. 
Entscheidbar ist die Frage nach zeitlicher und räumlicher Endlich* 
keit oder Unendlichkeit der Welt der Dinge auch nach unserer Dar* 
Stellung von der Ordnungslehre nicht. Innerhalb der Ordnungslehre 
als solcher tritt daher auch die Frage nach Ding* und Bewegungs* 
Schöpfung nur als Frage auf, aber nicht als mehr; der Logik zugäng* 
lieh wären beide Arten der Schöpfung, wenigstens soweit die Werde* 
FOLGE bei ihnen in Frage kommt; beide sind möglich. 
284 
III. NATURGANZHEIT UND GANZHEITS. 
KAUSALITÄT 
Die Überschrift dieses Abschnittes deutet es schon an, daß von 
Ganzheitskausalität im Einzelnen nicht wohl geredet werden 
kann, ohne daß der Begriff der Naturganzheit selbst auf sein Wesen 
geprüft wird. In dem Begriff »Ganzheitskausalität« liegt ja der Begriff 
Ganzheit, und zwar, da es sich um Naturhaftes handelt, der Begriff 
Naturganzheit darin. Haben wir doch ausdrücklich den Namen »Ganz«* 
heits«*kausalität zur Bezeichnung für einen im Grunde noch weiter*» 
reichenden Kausalitätsbegriff deshalb gewählt, weil dieser Kausalitäts* 
begriff dann besonders bedeutsam wird, wenn er sich mit dem Ganz^ 
heitsbegriff vereinigt^. 
1. NATURGANZHEIT 
Das Begriffspaar Das Ganze und seine Teile trat schon in der all^ 
gemeinen Ordnungslehre auf. Jede Setzung war ganz, ihre Merk* 
male waren ihre Teile; die Definition zerstört in gewissem Sinne die 
Ganzheit des Definierten. 
Ganzheit ist ursetzung; sie kann nicht definiert werden; denn Sätze 
wie »Ganz ist, dessen Wesen (Sosein) durch Wegnahme von Etwas 
zerstört wird« und »Teil ist, was notwendig ist, auf daß Etwas ein 
Ganzes sei«, sind keine Definitionen, sondern nur Erläuterungen, die 
in Aussagen von der Form eines idem per idem münden. 
Wird der Begriff Ganzheit auf das Blatt, das vom Naturwirklichen 
handelt, überschrieben, so wie die anderen Urbedeutungen auf dieses 
Blatt überschrieben wurden, so wird aus Ganzheit schlechthin Natura 
ganzheit oder, wie wir auch passend sagen können, Sachganzheit; aus 
Teil aber wird Natur«» oder Sachteil und zwar, zunächst jedenfalls, im 
raumhaft^EXTENSivEN Sinne, denn alles Zusammengesetzte in der Natur, 
auf das allein ja der Begriff der Sachganzheit gehen kann, ist extensiv 
zusammengesetzt. 
Naturzustände und Naturvorgänge werden durch Setzungen ge= 
meint; Setzungen aber sind stets ganz. Ist darum nun alles durch eine 
bestimmte, meist in einem Wort zum Ausdruck gebrachte Setzung 
gemeinte Naturhafte ohne weiteres sachganz, weil eben die es mei«* 
nende Setzung ganz ist? 
So vorgehen hieße mit dem Worte Sachganzheit spielen und es 
^seines tieferen Sinnes berauben. Drückt doch auch nicht jedes mit 
[^ S. o. S. 209. 
285 
dem Worte »wenn« gebildete Satzgefüge ohne weiteres Kausalität aus : 
Kausalität ist mehr und anderes als Konsequenz, und ebenso ist auch 
nicht Begri£fsganzheit ohne weiteres Ausdruck von Sachganzheit. 
Es wird also im Einzelnen zu prüfen sein, ob die durch jeweils eine 
begriffsganze Setzung gemeinten Naturwirklichkeiten Löwe, Staat, 
Gebirge sachganz sind oder nicht. 
Wir werden die Sachganzheit des »Löwen« zugeben, die des »Ge* 
birges« ablehnen, die des »Staates« in gewissem Sinne zugeben, in ge* 
wissem ablehnen; und es wird Fälle geben, in denen wir überhaupt 
keine endgültige Entscheidung in Sachen der Sachganzheit werden 
treffen können. 
Sachganz soll eine Naturgegenständlichkeit, (also meist, aber nicht 
immer, ein echtes Natuvding) dann heißen, wenn sie unmittelbar oder 
mittelbar das Ergebnis ganzheitskausaler Vorgänge ist. Das ist zu* 
nächst REINE DEFiNiTORiscHE FESTSETZUNG, Weiter nichts. Man wolle be* 
achten, daß also jetzt der Begriff der Ganzheitskausalität aufgetreten 
ist; sein Erfülltsein ist Kriterium für Sachganzheit — freilich sagt sich 
das leichter als es sich im Einzelnen durchführen läßt, wovon zu reden 
sein wird. Ganzheitskausalität ist ja im Grunde nur als »Nicht* Einzel«« 
heitskausalität« (und »Nicht^Schöpfung«) definiert I 
Wir sagen einstweilen nur, daß Organismen und Werke der Kunst 
und Technik »sachganz« sind ; weshalb gerade sie es jedenfalls sind — 
— (vielleicht sind es auch noch andere Naturwirklichkeiten) — werden 
wir später zeigen. Einstweilen sind Organismen und Werke, wie wir 
kurz sagen wollen, deshalb von uns als Sachganzheiten schlicht hin«» 
gesetzt worden, damit uns ein nicht allzusehr der »Anschaulichkeit« 
ermangelnder Boden bereitet sei für die Aufstellung gewisser wich* 
tiger neuer Begriffe, die wir zunächst, wie alles in diesem einführen* 
den Kapitel, ihr sinnvolles Wesen schlicht schauend, definitorisch 
hinsetzen. 
Man wird vielleicht meinen, daß wir uns unser Problem allzusehr 
und in unnötiger Weise erschweren dadurch, daß wir die unmittel* 
bare oder mittelbare Beziehung auf Ganzheitskausalität den Prüfstein 
für bestehende Sachganzheit sein lassen. Haben wir doch, wennschon 
nicht im Sinne einer Definition, gesagt, begriffsganz sei das, dessen 
Wesen durch Fortnahme eines Teiles vernichtet werde, und diese 
»Fortnahme«, wird man sagen, werde nun doch etwas anderes, viel 
Konkreteres und darum vielleicht praktisch Verwertbares, weil es sich 
jetzt eben doch um das echte Wegnehmen eines Sachteiles aus einem 
286 
extensiven Sachganzen handele. 5ac/iganzheit, wird man vielleicht 
sagen, könnte doch, ohne große Umwege über den Begriff der Ganz«« 
heitskausalität, geradezu definiert werden. 
Man könnte in der Tat sagen, wie folgt: Ein zusammengesetzter 
Naturgegen stand ist dann sachganz und nicht nur summenhaft, wenn 
die Wegnahme eines seiner SACHteile die logische Ganzheit des ihn 
meinenden Begriffs stört. Einem Hund könnte man z. B. kein Bein 
nehmen, ohne daß er aufhöre, »Hund«, wohl aber einem Walde einige 
Bäume, ohne daß er aufhöre, »Wald« zu sein. Der Hund sei daher 
sachganz, der Wald sei Sachsumme. 
Aber bleibt ein Hund nicht »Hund«, wenn man ihm einige Haare 
nimmt? Und wo ist die Grenze zwischen »Wald« und »Baum* 
gruppe«? 
So ganz einfach ist die Sachlage nicht, und eben deshalb nun muß, 
auf daß Sachganzheit in Endgültigkeit erfaßt werde, ein neues Kri* 
terium auf den Plan treten. 
Gewiß, den ersten Ausgang der Betrachtung wird ein unbestimmtes 
unmittelbares Erfassen der Sachganzheit eines Naturdinges immerhin 
schon bilden, gegründet darauf, daß es »doch wohl« das Wesen dieses 
Dinges zerstöre, wenn ich ihm Teile nehme. Aber eben nur — »doch 
wohl«. Und vielleicht wird dieser unbestimmten Erfassung von Sach*« 
ganzheit sogar noch vorangehen müssen der Nachweis, daß es sich 
überhaupt naturhaft um »Eines«, um eine »Einheit« handele, eine 
Frage, die im Reiche der bloßen Setzungen gar nicht gesondert auftrat. 
Davon reden wir alsbald im Konkreten. 
Aber endgültig wird Sachganzheit erst erfaßt, wenn gezeigt wird: 
das Werden dessen, was in Frage steht, ist aus summenhafter Kausa«» 
lität NICHT zu begreifen, sei es unmittelbar oder wenigstens mittelbar. 
Sachganzheiten, also, wir sagen es noch einmal, sind stets unmittel* 
bar oder mittelbar das Ergebnis ganzheitskausaler Vorgänge. 
Sie können nun, wenn sie einmal da sind, in ihrem Gebahren ent* 
weder selbst einer Ganzkeitskausalität unterstehen oder nur Einzel* 
heitskausalität an sich zeigen. Diejenigen Sachganzheiten, welche, 
wenn sie da sind, selbst in ihren Veränderungen einer Ganzheitskau* 
salität unterstehen, sind stets in ihrem Dasein das unmittelbare Er* 
gebnis von Ganzheitskausalität gewesen, diejenigen, welche an sich 
nur Einzelheitskausalität zeigen, können das unmittelbare, können 
aber auch das nur mittelbare Ergebnis von Ganzheitskausalität sein. 
Die Organismen unterstehen selbst in ihren Veränderungen einer 
287 
Ganzheitskausalität, sind also auch das unmittelbare Ergebnis einer 
solchen in ihrem Dasein. 
Maschinen sollen solche Werke heißen, welche zwar das unmittel«* 
bare Ergebnis von Ganzheitskausalität sind, aber selbst einzelheits*« 
kausal sich gebahren. 
Maschinenprodukte endlich sind das nur mittelbare Ergebnis von 
Ganzheitskausalität (sie sind nämlich das unmittelbare Ergebnis von 
Maschinen); sie unterstehen in ihrem Gebahren der Einzelheits* 
Verkettung. 
(Kunstwerke sind das unmittelbare oder mittelbare [»Reproduk«« 
tionen«] Ergebnis von Ganzheitskausalität. Ihre eigene Kausalität 
kommt nicht in Frage, sie bedeuten nur etwas als Zustände). 
Besonders bedeutsam ist von dem hier Erörterten der Sachverhalt, 
daß es unmittelbar aus Ganzheitskausalität stammende Sachganzheiten 
geben kann, deren eigene Kausalität von der Art der Einzelheitss» 
kausalität ist, welche also »unbelebt« sind — nämlich die Maschinen, 
Von ihnen darf gesagt werden, daß sie von Ganzheitskausalität ur* 
sprünglich herstammende Ganzheit einzelkausal übertragen, nämlich 
auf Maschinenprodukte, von denen es ineinander verkettete Reihen 
geben kann, so daß ein Maschinenprodukt in bezug auf ein anderes 
wieder »Maschine« — (aber eben keine unmittelbar aus Ganzheits* 
kausalität hervorgegangene Maschine) — ist. Ein Maschinenprodukt, 
welches sich wieder wie eine »Maschine« verhält, nennen wir abgee 
leitete Maschine. 
Es wird später die Sachfrage aufgeworfen werden, ob es in der Natur 
Ketten von abgeleiteten Maschinen gibt, und ob es für solche Ketten 
einen realiter bestehenden »Anfang« gibt, der in dem Wirken von 
Ganzheitskausalität (oder auch Schöpfung) bestand; gibt es solche 
Ketten abgeleiteter Maschinen, ist aber kein »Anfang« realiter auf* 
zuzeigen, so verlegt die Logik diesen in die Zeit — oo^ 
Diese ganze Erörterung ist aber nur sinnvoll, wenn von vornherein 
»doch wohl« Sachganzheiten in Frage stehen, also nicht für die Ver^* 
kettung der Zustände ausgesprochenermaßen summenhafter Systeme 
in der Zeit. 
^ Problem der »Entstehung« des unbelebten materiellen Universums. 
288 
2. HÄUFUNG UND ENTWICKLUNG 
Es ist, wenigstens in der Hauptsache, nur ein anderer Ausdruck für 
das an früherer Stelle^ in der Lehre von den vier apriori möglichen 
Formen der Kausalität Dargelegte, wenn wir sagen, daß alles Mannig^ 
FALTIGERWERDEN einer Gesamtheit von Elementen apriori entweder 
H äufung (»Kumul ation«) oder Entwicklung (»Evolution«) sei. Frei«» 
lieh wird sich zeigen, daß die neue und die ältere Lehre von »Mög^ 
lichkeiten« nicht durchaus nebeneinander herlaufen. 
Bei Häufung wird eine Gesamtheit mannigfaltiger lediglich im Ges^ 
folge einzelner voneinander unabhängiger Ursachen; sie wird enU 
weder geradezu von außen her, im raumhaften Sinne des Wortes, von 
ihnen betroffen, so daß sich im Laufe der Zeit die Wirkungen dieser 
Ursachen auf das System und aufeinander legen, oder einzelne in sich 
zusammengesetzte Abteile der Gesamtheit wirken einzeln auf andere 
solche Abteile, ohne daß irgendeine Ganzheit in bezug auf dieses 
Wirken in Frage käme — (mögen die Abteile für sich genommen 
irgendwie ganzheitlich sein oder nicht) —, weswegen wir die Worte 
»Abteil« (und nicht etwa Teil) und »Gesamtheit« (und nicht etwa 
Ganzheit) verwendet haben. Summenhaft, das ist die Hauptsache, ist 
alles, was geschieht. Ja, man mag sagen, daß bei der zweiten Art der 
Kumulation im Grunde gar keine »Erhöhung« der Mannigfaltigkeit 
der Gesamtheit statthabe, sondern nur eine Umgestaltung im Rahmen 
desselben Grades: das eine Abteil gibt ab, das andere empfängt, nach 
Maßgabe des Zufalls ^ Wenn die Geologie von der Gebirgsbildung, 
der Talbildung, der Deltabildung handelt, redet sie von »Kumula«« 
tionen«. Sie kann Regeln für die Kumulationsabfolge, also Kumula= 
tionsregeln, aufstellen, aber etwas Naturletztes bedeuten solche Regeln 
nicht; das letzte Regelhafte sind vielmehr die Gesetze der Physik und 
Chemie, also Gesetze aus dem Rahmen der Einzelheitskausalität. 
Auch im Organischen gibt es Kumulationen; die sogenannten An«» 
PASsuNGSvorgänge, soweit sie sich strukturell äußern, sind z. B. solche. 
Denn die Anpassungsreize sind vom System, das sie treffen, oder doch 
voneinander unabhängig. Mag nun auch ihre unmittelbare Wirkung 
auf das System in ihm vorhandene Ganzheit stören und dadurch ge* 
radezu ganzmachende Agentien wachrufen, nämlich mit Rücksicht auf 
das funktionelle Leben, so stammt das Wachgerufen werden dieser 
Agentien in jedem einzelnen Falle und ihre jeweilige Formleistung 
* S. o. S. 197 ff. 2 Vgl. meine Log. Stud. über Entw. Sitzungsber. Akad. Heidelberg 
1918, Nr.3. S.lOff. 
19 Drie seh, Ordnungslehre 289 
doch eben von der äußeren Zufälligkeit her und ist die Gesamtheit 
der Formleistungen nicht »ganz«. Eben im Gedanken an diese Adap* 
tationen sagten wir, daß nur »in der Hauptsache« die Lehre von dem 
Mannigfaltigerwerden eines Systems dasselbe böte wie die Lehre von 
den vier Kausalitätsformen. Wir sehen nämlich, daß im Bereich der 
organischen Formadaptationen Kumulation nicht mit Einzelheits^ 
kausalität zusammengeht, obschon sie »einzelnen« Reizen ihr Dasein 
verdankt, also sicherlich Kumulation ist. Kumulationen im Geschicht* 
LiCHEN werden später gesondert erörtert werden. 
Bei Entwicklung stammt ein Mannigfaltigerwerden eines Systems 
irgendwie, sei es auch nur mittelbar, ja fiktiv, allein aus einer auf das 
Endergebnis gerichteten Ganzheitskausalität und nicht aus einzelnem 
Äußeren her; bei ihr ist jede Phase, jede Zuständlichkeit des Systems 
im Strome des Werdens — (wenn es mehrere solche aufeinander (oU 
genden Zuständlichkeiten an ihm gibt) — sachganz. 
Aber es braucht, wie die Definition es ja andeutet, eine Entwicklung 
nicht unbedingt selbst unmittelbar ganzheitskausal zu verlaufen. Tut 
sie es, so reden wir von ctüelechialer, tut sie es nicht, von mas chinel ler 
Entwicklung — (beide Worte bedeuten zunächst reine Definitionen, 
ohne daß irgendwelche Sachentscheidung vorläge). 
Bei maschineller Entwicklung können zwei Fälle vorliegen. Ent* 
weder ist der Anfangszustand als Ganzes eine Maschine und der End^ 
zustand ist auch als Ganzes eine Maschine. Oder im Anfangszustand 
ist ein Teil des Systems Maschine, ein Teil nicht, und die Wirkung 
jener anfänglich vorhandenen Maschine besteht darin, daß sie auch 
das, was im Anfang nicht Maschine (sondern Summe) war, zu einer 
Maschine macht. Den ersten dieser beiden Fälle wird man wohl besser 
gar nicht »Entwicklung«, sondern vielmehr Scheinentwicklung nennen, 
denn im Grunde wird hier ja nur ein und dieselbe Maschine aus einer 
früheren Zuständlichkeit in eine spätere übergeführt, und ihre frühere 
Zuständlichkeit war, wenn auch in ihr vielleicht die LACEverschieden* 
heit der Elemente weniger mannigfaltig war als die LACEverschieden* 
heit im späteren Zustande, doch sicherlich, wenn die Geschwindig^ 
keiten und Kräfte der Elemente mit in Betracht gezogen werden, nicht 
mannigfaltigkeitsärmer als ihre spätere. 
Die Embryologie der Organismen ist, wie sich zeigen wird, »ente*» 
lechiale Evolution«. Aber man sah sie in früheren Perioden der For^ 
schung, denen das experimental gewonnene Tatsachenmaterial über 
die Gesetze der Formbildung mangelte, nicht so an, sondern als 
290 
»maschinelle Evolution«, ja als Scheinentwicklung (Evolutionisten 
des 17. Jahrhunderts, Weismann). Da bestritt man sicherlich nicht die 
Sachganzheit des sich gestaltenden Organismes, man glaubte aber, 
seine Gestaltung geschähe durch Umgestaltung einer vorhandenen 
»Maschine«, welche selbst das Ergebnis des Wirkens einer anderen 
»Maschine« gewesen sei und so fort bis zurück zu einem Maschinen«» 
erbauer, der zur Zeit — oo tätig war. In unserer Sprache müßten wir 
hier von einer Kette abgeleiteter Maschinen reden; und der »erste 
Maschinenerbauer« ist hier postulatorische Fiktion. 
Wer will, kann im Begriff der maschinellen Evolution ein Gegen»» 
stück zu unseren Bemerkungen über die Adaptation finden. Hier ging 
(ausnahmsweise) Kumulation im Rahmen von Ganzheitskausalität vor 
sich; bei maschineller Evolution wird Evolution (ausnahmsweise) aus* 
geführt, wenigstens unmittelbar, durch einzelkausale (»anorganische«) 
Vorgänge. Übrigens scheint maschinelle Evolution empirisch nur in 
sehr wenigen Fällen vorzuliegen. Maschinen der Technik, welche zu»» 
SAMMENGESETZTE Gebilde aus einem (zum »System« gerechneten) »Ma* 
terial« schrittweise erzeugen, würden hierher gehören. 
Es ist bei einer Entwicklung nicht unbedingt erforderlich, daß ihr 
Ablauf OHNE JEDEN Anlaß von außen erfolge. Anders gesagt: es sind 
Fälle denkbar, in denen eine bestehende Entwicklung sich wegen 
Mangels gewisser Geschehnisse nicht aktuell äußert, sondern latent 
bleibt. Ja, falls die Entwicklung in vielen Phasen verläuft, ist es denk*» 
bar, daß für jede Phase ein besonderer Anstoß von außen nötig ist, 
und daß Phasen übersprungen werden, wenn Anstöße fehlen. Bio* 
logisches, das hierher gehört, findet man an anderer Stelle erörtert^; es 
handelt sich um noch wenig geklärte Dinge. Auf seelischem Gebiete 
gehört hierher die Möglichkeit des »Genies«, das sich nicht »ent* 
wickelt«, weil zur richtigen Zeit, vielleicht wegen Armut, die richtigen 
Reize fehlen. Doch ist Vorsicht in der Deutung sehr geboten; Ver* 
wechslungen von Kumulationen mit Anstoß^Evolutionen sind mög«» 
lieh. Im übrigen wird ja auf die Frage geschichtlicher Evolution später 
eingegangen werden. 
' Phil. d. Organ., 2 Aufl., S. 481 ff. 
291 
3. ENTWICKLUNG 
a) BEGRIFFSSCHEMATIK 
Wenn eine Entwicklung» sei sie entelechial oder maschinell, in 
einem relativ beharrlich bleibenden Endzustand ihren Abschluß 
findet, so nennen wir diesen Endzustand das Endganze. 
Es sind Entwicklungen denkbar, bei denen das Endganze durch 
einen einzigen Werdeschritt verwirklicht wird ; sie müßten einschrittig 
heißen. Alle bekannten Entwicklungen geschehen in vielen Werde* 
schritten, die aufeinander folgen, sind also vielschrittig. 
Bei vielschrittigen Entwicklungen kann außer vom Endganzen von 
mehr oder minder zahlreichen Durchgangsganzen (»Stadien«) geredet 
werden. Die einzelnen zum Endganzen einer Entwicklung führenden 
Geschehnisse heißen endganzheitshezogen; Entsprechendes bedeutet 
das Wort durchgangsganzheitshezogen. 
Erwägt man, daß eine Evolution entelechial, aber auch maschinell 
sein kann, und nennt man bei maschineller Entwicklung das potentielle 
Schon^bestehen des Endganzen in materiellen maschinellen Zustand«« 
lichkeiten ihr Vorgehildetsein, so kann von vorgehildet-endganzheitss 
bezogenen (bei maschineller) und nicht -vorgebildet sendganzheitss 
bezogenen Geschehnissen (bei entelechialer Entwicklung) geredet 
werden. Auch in bezug auf Durchgangs=ganzhcit lassen sich ent:* 
sprechende Begriffe bilden. 
Alle diese Begriffe sind sehr schwerfällig; glücklicherweise bedarf 
die Naturlogik bei ihrer Durchführung ihrer nicht, denn es »gibt« in 
der »Natur« im engeren Sinne realiter nur entelechiale Entwicklung, 
und da mag man denn kurz von Ganzheitsbezogenheit überhaupt 
reden, wenn man das Einzelne, was zum Ganzen führt, bezeichnen 
will. In der Tat : nicht nur die Zusätze »vorgebildet«, »nichtvorgebildet« 
kann man hier fallen lassen, sondern meist kommt man sogar um die 
Zusätze »end*«, »durchgangs?« herum. Denn bei entelechialer Ent* 
Wicklung ist das eigentlich Materielle, das »sich entwickelt«, als Ma* 
TERiELLES ja im Anfang überhaupt noch nicht »ganz«, sondern wird 
erst »ganz«. Das gilt nicht etwa nur von der Embryologie, sondern 
auch vom Maschinenbau, ja von jedem Werden eines »Werkes«, Vor* 
gangen, welche ja auf dem Boden unserer Sprechweise, so seltsam es 
klingen mag, als »entelechiale Evolutionen« bezeichnet werden müssen : 
das »Material« (Steine, Eisenteile, beim Gemälde Farbstoffe) geht ja 
durch Ganzheitskausalität aus summenhaf ter oder doch aus als summen* 
292 
haft angesehen werden könnender Verteilung in Ganzheitsverteilung 
über. Und nur von den erfassbaren Zuständlichkeiten des Mate«« 
RIELLEN HANDELT JA UNSERE ScHEMATIK DER BeGRIFFE KAUSALITÄT UND 
Entwicklung. 
Sachlich reden wir über diese Dinge alsbald. 
Echt maschinelle Entwicklung kennen wir, seit die embryologische 
Maschinentheorie gestrichen ist» nur da, wo eine echte Maschine ihrer^ 
seits Ganzheitliches »macht«, also in der Industrie gelegentlich. Das 
gemachte Ganzheitliche pflegt aber hier, wenigstens zurzeit, nie selbst 
(abgeleitete) Maschine, sondern stets reines Maschinenprodukt zu 
sein; denn Maschinenbaus«maschinen kennt die Technik noch nicht. 
So bietet denn die Lehre von maschineller Entwicklung, also von Ent- 
wicklung eines Materiellen rein auf Grundlage von einzelheitskausalen 
Maschinenkräften, welche die Ganzheitlichkeit ihrer »vorgebildeten« 
Anordnung schlicht übertragen, praktisch kein großes Interesse; 
logisch bietet sie das auch nicht, jedenfalls würde ein noch tieferes 
Eindringen in die Wesenskennzeichnung von maschineller Entwick«« 
lung und ihren Besonderheiten nicht gerade Dinge von grundlegender 
Bedeutung zutage bringen. 
b) DIE ^TELEOLOGIE<^ 
Wir beschließen diesen einleitenden Abschnitt damit, daß wir 
unsere allgemeine Lehre von der Ganzheit und Ganzheits*! 
kausalität in Beziehung setzen zu den Lehren anderer, zumal den 
Lehren Kants. 
Unsere Begriffe Gßnzheit, Ganzheitskausalität, Ganzheitsbezogen, 
Entwicklung usw.; kurz, alle Bestandteile unserer »antezipierten Sehe* 
matik« des Ganzheitsbegriffs sind, um in der Sprache jenes großen 
Denkers, der hier sachlich zwar anders dachte, zu reden, durchaus 
^^PÜSiilytiv« : kraft ihrer ist Erfahrung, was sie ist; sie sind »Voraus«« 
Setzung der Möglichkeit der Erfahrung«, so wie sie besteht; sie sind 
also »Kategorien« oder doch sozusagen die Abkömmlinge solcher. 
Wir selbst, wie man weiß, würden hier andere Worte gebrauchen und 
von einem Schauen von Ordnungsbedeutungen im Gegenständlichen 
reden; aber es läßt sich der bestehende Sachverhalt auch kantisch, und 
auch noch viel subjektivistischer, als wir es getan haben, ausdrücken. 
Seltsam ist nun, daß wir, ob wir schon kantisch redeten, doch nicht 
kantisch lehrten, denn Kant kannte, wie gesagt, die Bestandteile un«« 
serer Ganzheitsschematik als Kategorien nicht, ja, kannte Ganzheit 
293 
überhaupt nicht als Kategorie. Er hat aber einen Ersatz dafür: »Zwecke 
mäßigkeit« oder »Teleologie«, einen Ersatz, der freilich eine recht 
wenig bestimmte Rolle spielt und den Meister, wie es scheint, recht in 
Verlegenheit gebracht hat. Es ist ihm jedenfalls nicht gelungen, seinen 
Begriff der Teleologie den »Kategorien« gegenüber scharf abzugrenzen ; 
die Überweisung dieses Begriffs in das Bereich der »Urteilskraft« (und 
nicht des »Verstandes«) ist ganz und gar gekünstelt, und die Behaup* 
tung, daß Teleologie von bloß »regulativem« Gebrauche sei, wird fort* 
während durch echt »konstitutive« Verwendung derselben, wenigstens 
soweit das Werden des organischen Individuums in Frage kommt, 
durchbrochen \ 
Nach unserer Auffassung gehören die Begriffe »Zweckmäßigkeit« 
und »Teleologie« sowie die entsprechenden Adjektive durchaus in die 
Psychologie (und vielleicht später in eine Metaphysik). Wir setzen an 
IHRE Stelle unsere Begriffe aus dem Rahmen der Ganzheits=schtTnatik; 
insonderheit ist uns »t eleologisc h« = s^nzheitshezo^en^. 
Aber unsere gesamte Ganzheitsschematik ist durchaus gegenständ* 
LiCH (»konstitutiv«) gemeint: ich schaue ihre Bedeutungen als Ord* 
nungszeichen in Natur; von irgend etwas »Subjektivem«, einer »Re«« 
flexion« oder dergleichen ist, solange nicht Psychologie in Frage kommt, 
gar keine Rede^. 
4. DIE KRITERIEN FÜR BESTEHENDE GANZHEITS. 
KAUSALITÄT 
Wie weiß ich nun, wo und wann Ganzheitskausalität bei Naturi« 
geschehnissen am Werke ist? Wie also erfasse ich endgültig 
Sachganzheiten? Ich schaue sie, müssen wir sagen. Aber an was schaue 
ich sie? 
Machen wir uns zunächst noch einmal recht deutlich, was Ganzheits= 
kausalität eigentlich heißen soll: 
* Näheres in Kanfstudien XXII, 1917, und in meiner Geschichte des Vitalismus, 
2. Aufl. 1922. * »Statischsteleologisch« ist gleich vorgehildet^ganzheitsbezogen, »dys 
namisch?teleologisch« gleich nicht vorgebildet ganzheitsbezogen, vgl. meine Geschichte 
des Vitalismus. ' F. Krüger ist einer der wenigen zeitgenössischen Denker, welche 
die konstitutivsgegenständliche Bedeutung des Entwicklungs=hcgnSs erkennen (vgl. 
seine Entw. "psych.; 1915, S. 33 f., 167 f.); er scheidet aber nicht scharf Entwicklung 
von Häufung und arbeitet unseres Erachtens zu viel mit dem Begriff der »Wechsel* 
Wirkung«. Die Begriffe der Ganzheitsschematik verwendet er nicht. 
294 
a) NOCH EINMAL GANZHEITSKÄUSÄLITÄT 
Die Einzelheitskausalität verbindet ein bestimmt als dieses faß»* 
bares Werden, eine als diese räumlich faßbare Veränderung eines 
als dieses faßbaren Dinges im Raum mit einer anderen, ihr in der ste* 
tigen einen Zeit vorangehenden räumlich faßbaren Veränderung des«» 
selben oder eines anderen faßbaren Dinges; der Begriff Ding kann 
dabei mehr oder weniger weit zu denkmäßig endgültiger Klarheit auf«» 
gelöst sein. Ein zelheitskausalitä t verknüpft also in eindeutiger Form 
das Werden in einem in seiner Beharrlichkeit klar erkennbaren Dm^s* 
gefüg e St ück fiir Stück mit den Stücken des Werden s in demselben 
Di nggefüge ode r in einem andern. 
Wir können auch sagen, daß Einzelheitsverknüpfung Zustände von 
Dinggefügen in fortlaufender Reihe eindeutig aufeinander, und zwar 
Stück für Stück, beziehe, wobei das Wort »Stück« oder auch »Glied« 
jeden durch Soseinsgleichförmigkeit in sich gekennzeichneten Gefüge*» 
teil bezeichnen mag. 
Mit Rücksicht auf ihre Einzelheitsfolgeverknüpfung lassen sich die 
verknüpften Zustände eines Dinggefüges durch Setzungen kennzeich^ 
nen, welche dem augenblicklichen Zustand jedes einzelnen Gliedes 
des Gefüges als einer Mannigfaltigkeit nichts anderes zuschreiben als 
Dasein, reine Solchheit und Ort, jeweils in Naf ur^Bedeutung; zu«» 
gleich werden ausdrücklich die Zustände des in seinem Werden ver»» 
knüpften Gefüges als Summen, als bloßes Nebeneinander der Zu»* 
stände seiner einzelnen Glieder angesehen, als Summen, die man sich 
beliebig um irgendwelche Glieder vermehrt oder vermindert denken 
könnte. Ich verwende zur Kennzeichnung des Wesens der Einzelheits** 
Verknüpfung lediglich die Begriffe Natur, Dinggleichförmigkeit 
(»homogenes« Ding), eigenschaftliche Solchheit, Anderssein und 
Mehrere. 
Die Lehre von der Ganzheitskausalität braucht zur Kennzeichnung 
des von ihr untersuchten Werdens noch mindestens einen neuen Be«» 
griflF neben den Begriffen Natur, Ding, Solchheit, Anderssein und 
Mehrere und zwar den Begriff ganz oder auch das Begriffspaar Das 
Ganze — die Teile. Nicht nur die Teile eines Dinges, sondern das 
Ding als G anzes hat für sie »Eigenschaften«, sei es auch nur als »Vei^ 
mögen«, und zwar Eigenschaften, welche nicht die Resultante der 
Eigenschaften der Bestandteile sind. 
Wo es sich um Ganzheitsverknüpfung handelt, wird zwar nicht die 
Zahl der Dinge, insonderheit der Urdinge, eines Gefüges im Laufe 
295 
des Werdens vermehrt, auch wird nicht irgendein einzelnes Werden, 
eine einzelneVeränderung in ihm zu irgendeinem Zeitpunkt begonnen, 
welche nicht auf irgendeine andere einmal vorangegangene einzelne 
Veränderung eines Dinges im Räum bezogen werden könnte, es ge* 
schiebt also nicht irgendeine Veränderung, welche nicht auf Grund 
der rein räumlichen Beziehungen der vorhandenen Dinge möglich war, 
es geschieht keine Schöpfung. Was aber geschieht und was Ganzheits* 
Verknüpfung von Einzelheitsverknüpfung sondert, ist dieses: 
Bei der Ganzheitsverknüpfung ist zwar der den Ausgang der Be«« 
trachtung bildende Werdezustand eines Gefüges, insofern er im Räume 
materiell ausgeprägt ist, eine »Summe, ein späterer Werdezustand des«» 
selben Gefüges aber, insofern er im Räume ein solcher ist, ist das nicht, 
ohne daß doch das zwischen beiden Zuständen liegende Werden, 
welches also zu einem höheren Mannigfaltigkeitsgrad des Gefüges 
führte oder wenigstens als zu ihm führend angesehen werden kann^, 
auf irgendeinen vorgebildeten Raumzustand und damit auf irgendein 
Werden im Räume eindeutig bezogen werden könnte. Aus einer 
Summe wird räumliche Ganzheit ohne Bezug auf vorgebildete ra'um- 
liche Ganzheit. 
Wenn Einzelheitsfolgeverknüpfung für ein von ihr untersuchtes 
Werden eines Gefüges kein früheres Werden in diesem Gefüge selbst 
findet, auf welches sie das neue Werden eindeutig rückbeziehen kann, 
dann steht ihr doch hierzu immer ein Werden »außerhalb« des Ge* 
füges im räumlichen Sinne des Wortes zur Verfügung und, wenn 
anders ich immer nur »eines« Gefüges Werden in sich verknüpfen 
will, kann ich mir einen kleinen Kunstgriff erlauben und sagen: ich 
rechne das ursprünglich »außerhalb« stehende Werden eben mit zum 
Gefüge. Der Ganz/ieiYsverknüpfung hilft dieser KunstgrifiF nicht; 
anders gesagt: Ganzheitsverknüpfung im Werden eines Gefüges liegt 
dann eben vor, wenn sich das eine Werden nicht »Stück für Stück« 
auf irgendein vorausgegangenes Stückwerden irgendwo im Raum be«« 
ziehen läßt, wenigstens nicht insofern, als es sich eben jetzt um diese 
Gesamtheit des Werdens — nicht insofern es sich um als »möglich« 
vorgebildetes Werden überhaupt — handelt. 
Daß da Etwas überhaupt »wird« bei jedem Einzel Vorgang innerhalb 
einer Ganzheitsverknüpfung, das ist, wie wir sehen werden, vielleicht 
in bestehenden »Intensitätsdifferenzen«, in bestehenden »Potentialen«, 
also in Raumgegebenheiten vorbereitet; aber daß das als möglich vor^ 
' S. o. S. 208 ff. 
296 
bereitete Werden nun nicht nur Summe in Summe umwandelt, son^ 
dem Summe in Ganzes, daß es nicht zu »Homogenem« führt, sondern 
zu in seinerVerteilung »Heterogenem«, zu einer Erhöhung des Mannig* 
fahigkeitsgrades, indem es eben eine in deutlichster Form ganzheit** 
liehe Mannigfaltigkeit aus einer in deutlichster Form nicht ganzheit«» 
liehen Mannigfaltigkeit schafft, das ist nicht irgendwo im Raum vors 
bereitet. 
Kausalität überhaupt soll Werden mit Werden in der Zeit eindeutig 
verknüpfen, so daß das frühere Werden als das spätere soweit als 
möglich, also namentlich dem Mannigfaltigkeitsgrade nach, mitsetzend, 
als »zureichender Grund« des späteren Werdens erscheint Wir haben 
nun bei unserer Ganzheitsverknüpfung zunächst nur, wie stets, zwar 
zwei Zustände, den summenhaften und den ganzheithaften, aber doch 
nur ein Werden, nämlich dasjenige, welches zwischen diesen beiden 
Zuständen liegt, unmittelbar vor uns. Das genügt für den Ausgang; 
aber wo liegt das frühere, das »erste« Werden, auf das wir nun das 
uns bekannte als das »zweite« eindeutig rückbeziehen? 
Eben dieses erste Werden, den mitsetzenden Werdegrund, finden 
wir nicht irgendwo im Raumwerden oder doch nur insoweit, als es 
sich um die Ermöglichung von Raumwerden überhaupt handelt. Wir 
wollen aber, wir fordern eindeutige Rückbeziehung des zweiten Wer* 
dens, das wir als Raumwerden, nämlich als im» Raum^zur* Ganzheit* 
Werden kennen, auf irgendein erstes Werden. Da nun dieses erste 
Werden nicht ein Werden im Räume ist, aber doch irgendein Werden 
sein soll, so wahr Ich Eindeutigkeit der Werdeverknüpfung fordere, so 
muß es ein raumfreies Werden sein oder vielmehr gewesen sein, von 
dem wir im Raum nur das Ergebnis kennen, das sich mit dem Er* 
gebnis räumlich überhaupt ermöglichten Werdens gleichsam paart. 
Nur so erscheint, was da wird, als wenigstens mit Rücksicht auf den 
Grad der Mannigfaltigkeit vorbereitet, als »nicht neu«, als mitgesetzt; 
und das soll es für die Logik. 
Dieses unraumhafte, sich an Raumdingen nur in der Werdefolge 
äußernde Werden ist ebenso »naturwirklich« wie alles andere Werden. 
Es »ist da«, wenn wir auch über sein Sosein nichts kennen als sein Er* 
gebnis. Wer das nicht zugibt, verzichtet auf die Erfüllung der Denk- 
forderung der eindeutigen Verknüpfung im Werden nach Maßgabe 
des Mitgesetztwerdens. 
Wir können den grundsätzlichen Unterschied zwischen Einzelheits- 
und Ganzheitskausalität endlich auch noch so formen; Bei beiden 
297 
Kausalitätsformen besteht eine raum:*zeitliche Kontinuität des An*« 
schaulichen an den in Frage kommenden Geschehnissen, weil ja bei 
beiden keine Jetzt-Hier-SosData. »geschaffen« werden, aber nur bei 
der Einzelheitskausalität betrifft die Kontinuität des Anschaulichen 
zugleich das Kausale. Die neukantischen Dogmatiker behaupten 
fälschlich, auch das Kausale müsse bei allem Naturgeschehen in an* 
schaulicher Kontinuität vorhanden sein. 
b) DIE KRITERIEN 
Gehen wir nun auf die Kriterienfrage im einzelnen über, so knüpfen 
wir sie am besten nicht an den Begriff der Ganzheitskausalität 
rein als solcher, sondern an den Begriff der Entwicklung an. Die Frage 
lautet also: Wo und wann liegt in der Natur nicht*maschinelle, also 
en telechiale Entwi cklung vor? Oder, einfacher im Ausdruck, indem 
wir das Wort » Evolution«, unter Ausschaltung des Gedankens an 
maschinelle Entwicklung, ein für alle Mal an Stelle des Ausdrucks für 
entelechiale Entwicklung setzen: wo und wann gibt es Evolution? 
Als erstes Kriterium schauen wir da nun dieses : Wenn es sich, wie 
praktisch in der Natur stets, um m ehrschrittige Entwick lung handelt, 
liegt dann Evolution in unserem Sinne vor, wenn irgend ein^Stadium« 
A LS materieller Zustand nicht den zure ichenden We rdegrund in s ich 
bi rgt für das Auftreten des folgenden Stadiums X 
Unmittelbar wird man das freilich praktisch nicht erkennen können, 
wird also auch nicht ohne weiteres wissen, ob z. B. eine »Blastula« in 
der Embryologie als materielles Gebilde den zureichenden Grund für 
die »Gastrula« in sich trägt oder nicht. Um das unmittelbar zu wissen, 
müßte man ja die elementare Konstitution der Blastula bis ins letzte 
kennen. 
Wir brauchen also mittelbare Kriterien , und wenigstens ein mittel* 
bares Kriterium haben wir in der sogenannten Regulation . 
Regulation heiße uns die Wiederherstellung einer Ganzheit nach 
St örungen , die von außen geschehen sind, und zwar unterscheiden wir 
zwei Formen derselben. Wir reden von Restitution , wenn sich ein mate* 
rielles Ganzes als Konfiguration, als »Form« nach Störungen aus sich 
selbst wiederherstellt; wir reden von Adaptation (Anpassung), wenn 
eine Gesamtheit von Geschehnissen (»Funktionen«) von einem Form* 
gebilde, welches selbst ganz ist, nach Störungen von außen her aus 
sich selbst auf das »Normale« oder wenigstens auf eine Annäherung 
an dieses zurückgebracht wird. 
298 
Es ist klar, daß Regulationen nur festgestellt werden können, wenn 
DASSELBE GanzheitHche an Form oder Funktion als Klasse mit vielen 
Fällen vorliegt, so daß das Experiment einsetzen kann. Dieser Umstand 
ist wohl im Gedächtnis zu behalten; an ihm liegt es, daß auf vielen 
Gebieten des Naturgeschehens unser Wissen in Sachen des Evolutiven 
nie restlos erfüllt werden kann; denn es gibt — (im »Überpersön* 
liehen«) — Geschehnisse von durchaus einmaliger Art. 
Aber der bloße Nachweis von Regulation genügt nun auch noch 
nicht, um endgültig das Bestehen entelechialer Evolution zu schauen, 
denn gewisse »Regulationen« gibt es auch an Maschinen. Hier gibt es 
Regulationss»einrichtungen«. Daß keine auf Regulation eingestellte 
»Einrichtung« vorliegt, muß festgestellt werden, soll Regulation als 
Kriterium für Evolution dienen. 
Man wird sagen, damit seien wir wieder auf das ursprüngliche Kri:» 
terium für Evolution zurückgekommen, denn, um zu wissen, daß eine 
»Einrichtung« nicht vorliege, müßten wir doch offenbar die materielle 
Elementarkonstitution des sich regulierenden Systems unmittelbar rest»» 
los kennen, und das hätten wir, wenn überhaupt, doch wohl auch ohne 
den Umweg über die Regulation gekonnt. 
Aber die Dinge liegen bei dem Umweg über die Regulation doch 
günstiger .Wir brauchen nämlich nicht die Elementarkonstitution eines 
sich regulierenden Systems zu kennen, um unter gewissen Umständen 
zu wissen, daß entelechiales Geschehen vorliegen muss, weil maschiss 
nelles nicht vorliegen kann. 
Maschinelle Evolution, also auf »Einrichtung« beruhende Evolution 
kann nämlich nicht vorliegen: 
ERSTENS, wenn das sich Regulierende, sei es Endganzes oder Durchs 
gangsganzes (embryonales »Stadium«) sich fo rmal richtig regulier t 
nach GANZ beliebiger fortnahme von Material; 
ZWEITENS, wenn richtige Regulation geschieht nach ganz beliebiger, 
in »unen dlicher« Man nigfaltigkeit yariierbarer Störung des gegebenen 
Zustand es; 
DRITTENS, wenn Teilung des Ausgangszustandes viele vollgültige 
»nor male« neu e Ausgänge setzt. 
Für alle diese Fälle kann es keine »Einrichtung« maschineller Art 
geben, welche überdies für die praktisch vorliegenden Fälle eine echte 
»Präzisionsmaschine« sein müßtet 
* Näheres in Log. Stud. über Entw. I. Sitzungsber. Akad. Heidelberg 1918 Nr. 3, 
und II. ebenda, 1919 Nr. 18. 
299 
5. DIE ERFÜLLUNG DES BEGRIFFS GANZHEITS. 
KAUSALITÄT 
Wir gehen über zur Behandlung der Frage, wo denn tatsächlich 
das Schema Ganzheitskausalität in der Natur, also durch das 
Gegebene Erfüllung findet; bis jetzt redeten wir ja nur im Rahmen 
eines »antezipierten Schemas«. 
a) DAS ORGANISCHE INDIVIDUUM 
a) DIE BEWEISE DES y>VITALISMUS<^ 
Tedes organische Individuum gehört mit vielen seinesgleichen, also 
I als Fall einer Klasse, einer »Spezies« an. Die Spezies fügt sich ihrem 
Wesen nach dem »System« der Organismen an besonderer Stelle ein. 
Das Individuum ist eben deshalb auch Träger von Allgemeinem in 
verschiedener Abstufung ^ 
Das Individuum ist den großen Zügen seines Baues und seinen Vers« 
richtungen nach »vorläufig« sachganz, d. h. es hat Teile^ die man ihm 
nicht nehmen kann, ohne sein Wesen zu zerstören. Hier, aber hier 
allein, schaue ich Sachganzheit als solche schon ohne die Prüfung am 
Begriff der Ganzheitskausalität ^. 
Das Individuum ist ganz und spezifisch vornehmlich als Form, und 
zwar im Sinne einer hochstufigen' Mannigfaltigkeit (Organe, Gewebe, 
Zellen usw.). Es ist aber auch ganz und spezifisch seinen Verrichtungen 
nach, und man könnte auch eine »Systematik« auf Verrichtungen, auf 
Chemismus usw. bauen anstatt nur auf Form (Spezifizität des Eiweiß* 
körpers usw.). 
Die schlichte, aber echte Ganzheit des Individuums findet ihren 
wesentlichsten Ausdruck in den Harmonien, welche sein morpho* 
logisches und physiologisches Werden gleichsam durchtränken: alles 
ist da aufeinander abgestimmt; wo ein Teil auf den anderen wirkt, kann 
dem Reize entsprochen werden; was unabhängige^ durch »Sei bstdiffe* 
renzierung« (Roux) entsteht, paßt nachher zueinander; und jede Funk* 
tion löst die spätere im Dienste des Ganzen aus. 
Das Individuum ist ein materielles System, d. h. es besteht in jedem j 
Augenblick seines Daseins aus materie in spezifischer Anordnung. 
Damit ist aber über die Art der Kausalität, welcher es untersteht, noch, 
gar nichts gesagt. 
Das Individuum ist durch einen gewissen Zeitabschnitt hindurch] 
dasselbe, obwohl es während dieses Zeitabschnittes nicht aus den<i 
'S.o. S. 184f. »S.o.S.286f. • S. o. S. 138 u. 165. 
300 
selben Teilchen von Materie besteht, sondern »Stoff^^wechsel« zeigt. 
Seine Dasselbigkeit betrifft also nur die form (und die Verrichtungss« 
gesamtheit), durch welche ein Stoffstrom gleichsam hindurchgeht 
(Atmung, Assimilation, Dissimilation). Die Verrichtungen des Indi^« 
viduums gliedern sich in Verrichtungen der Reizaufnahme (Sinnes^ 
organe), der Ernährung (Darm, Zirkulationsorgane, Niere), der Ver«* 
mittlung (Nervensystem, Hormone) und der Bewegung (Gelenke, 
Muskeln). 
Das Individuu m entwickelt sich aus minderstufiger Mannigfaltig* 
k eit (Ei) zu hochstu figer. 
Seine Entwicklung ist entelechiale Evolution, 
Das Werden des organischen Individuums bietet also den ersten 
FALL einer Erfüllung des antezipierten Schemas Ganzheitskausalität 
Ob Sachganzheit oder nicht, ja sogar ob Entwicklung oder nicht, 
das stand hier, beim organischen Individuum, ja schon von Anfang an 
eigentlich gar nicht in Frage. Nur was für eine Form der Entwicklung 
vorläge, konnte zweifelhaft sein, und auch das ist nun bei genauer, auf 
Experimente gegründeter Kenntnis der Sachverhalte ohne weiteres ent* 
scheidbar. 
Daß aber in der Tat das Werden des Individuums und auch die 
Wiederherstellung seines erwachsenen Zustandes nach Störungen ganz 
unmittelbar ganzheitskausales Geschehen ist, erhellt aus dem Erfüllt* 
sein aller mittelbaren Kriterien für solches Geschehen durch die orga* 
nische Formgestaltung: 
Man kann den jungenJCeimen oder, auf späteren Stadien, den ein* 
zelnen Keimteilen beliebige Teile (Zellen) an beliebiger Stelle nehmen, 
ohne die Erreichung des typischen Endganzen zu stören. Man kann 
die Keimesteile verlagern oder die Keime deformieren, und das End* 
ganze wird doch erreicht. Und die Urkeime (Eier) selbst bilden sich 
aus einer Urkeimanlage durch fortgesetzte Teilung, Begriff des /lar« 
monisch-äquip otentiellen und des kgmplex=äquipotentieUen Systems^. 
Nicht nur durch experimentell gestützte Analyse der eigentlichen 
Entwicklung (Embryologie), sondern auch durch das Stadium der 
i^esfffufion des Erwachsenen läßt sich die ganzheitskausale Natur 
seines Werdens aufzeigen. 
Daneben zeigt der Organismus die Erscheinung der Adaptation in 
reichem Maße; insofern diese Adaptationen in Bewegungsleistungen 
bestehen, zeigt sich in ihnen eine solche Fülle der Variierbarkeit, daß 
» Philosophie des Organischen, 1. Aufl. 1909, 2. Aufl. 1921. 
auch hier das eine der Kriterien für Ganzheitswerden Erfüllung findet 
(Theorie der Handlung) ; für andere Adaptationen ist diese Erfüllung 
zum mindesten wahrscheinlich. Aber alle Adaptationsleistungen, wie 
sie sich z. B. in besonderen histologischen Strukturen ausprägen, ges» 
hören nicht zur Evolution des Organismus, sondern sind kumulativ, 
weil ihr jeweiliges Dasein zufälligen äußeren Reizen verdankt wird^. 
Es lagert sich eine zweite kumulativ^adaptive Organisation über die 
ursprüngliche evolutive, was für die Bedeutung des »Systems« der 
organischen Wesen von Wichtigkeit ist^. 
Von ganz besonderer Bedeutung unter allen diesen Kriterienerfül* 
lungen ist die erste, der Sachverhalt, daß harmonisch=äquipotentielle 
Systeme embryologisch (und restitutiv) da sind, d. h. Zellengesamt»« 
heiten, welche nach ganz beliebiger Entnahme oder Verlagerung doch 
das proportional richtige ganze Endgebilde leisten. Hier ist das 
Schema von Ganzheitskausalität geradezu ideal erfüllt; Ein_suMMEN' 
HAFTES Beieinander von Möglichkeiten geht ohne raumhafte Präfor* 
mation über in eine Ganzheit des Verwirklichten ^ Oder anders ge* 
sagt: Eine summenhafte Verteilung gleicher, in sich selbst freilich recht 
hochstufig mannigfaltiger Glieder, nämlich der Zellen mit ihren Kernen, 
geht über in eine ganzhafte Verteilung dieser Glieder, welche dazu 
noch untereinander verschieden werden; und raumhafte Präformation 
ist ausgeschlossen. 
ß) DIE VITALE LEISTUNG 
Der Naturfaktor, welchem alles ganzheitsbezogene Werden am 
organischen Individuum verdankt wird, heiße Entelechie, ein 
Wort, dem also jetzt seine bloß schematische Bedeutung genommen 
und eine empirischs^wirkliche Bedeutung gegeben wird. 
Entelechie »ist« im Sinne empirischen Wirklichseins ebenso wirk* 
lieh wie potentielle Energie, Potential, Affinität usw. ; erfahrbar ist aber 
immer nur ihre Wirkung, ihr Gewirkthaben, im Produkt. Nicht ist sie 
vor ihrem Gewirkthaben erfahrbar. 
Wer sich im einzelnen ausgestalten will, wie wohl das unrau mhafte, 
unanscha uliche A^ens Entelechie gl eichsam »in den Raumjnnein« auf 
Natur wirke, der mag folgende Vermutungen prüfen: 
Entweder Entelechie DREHT_Sy steme von materi ellen Letz tdingen 
(Hypothese des Descartes und Hartmann), 
' S. o. S. 289f. ' Phil, d. Org.. 2. Aufl., S. 286fF. « I ch selbst habe an diesem Sach^ 
ve rhalt zu erst die Unmöglichkeit mechanischer Auflösung von Lebensphänomenen 
u nd sodann die Gesamtheit meiner Ka usalitätsschematik geschaut. 
302 
oder sie suspendiert als mögli ch vorgebildetes materielles Geschehen 
und läßt es regulatorisch zu, d. h. sie hält gegebene Potentialdifferenzen, 
vornehmlich chemisch*aggregativer Art, welche nach dem Satze des Ges» 
schehens zu Veränderungen führen könnten, in statu potentiae so lange 
es im Ganzheits*»plane« liegt, um alsdann die Suspension aufzuheben, 
oder, endlich, sie setzt unraumhafte, un*»sichtbare« absolute Widern 
stände in bestimmter Konfiguration iiL4^?_l^^Ä?ILbJl}.6i'^» damit der im 
übrigen sich selbst überlassenen Materie gewisse Bahnen für ihre Be^ 
wegung »verbietend«; so zwingt sie mittelbar die Materie unter 
»Form«. 
Allen diesen Lehren ist eigen, daß sie weder den Satz von der Er* 
haltung der Energie, noch den Satz des Geschehens verletzen. Einst«« 
weilen liegt kein Grund vor, eine Verletzung dieser Sätze im Organis* 
mus anzunehmen^. 
y) das ENTWICKLUNGSSUBSTRAT 
WAS »entwickelt« sich eigentlich, wenn sich ein Organismus ente* 
lechial entwickelt? 
Seine Materie als solche offenbar nicht; dieser als solcher ist der Be* 
griff des sich entelechial Entwickeins überhaupt fremd. 
Die Entelechie andererseits ist, was sie ist, in Beharrlichkeit ihrem 
Wesen nach. 
Aber ihre Aktualität, im Sinne einer besonderen Zuständlichkeit, 
ist es, die »entwicklungshaften« Wechsel zeigt. Also wir dürfen sagen : 
AN der Entelechie entwickelt sich sozusagen eine Seite, nämlich die 
Aktualität. 
Die Aktualitätsentwicklung der Entelechie zeigt sich an der Abfolge 
der Formstadien der von ihr beherrschten Materie. Populär sagen wir, 
daß die Formstadien es eben seien, welche »sich entwickeln«, aber es 
darf nie vergessen werden, daß sie das nicht als materielle Gebilde tun. 
»Die Materie« eines Keimes »entwickelt« sich aus sich gerade ebenso* 
wenig, wie sich ein Steinhaufen aus sich entwickelt, wenn Arbeiter aus 
ihm ein Haus bauen. Das ist viel mehr als bloße »Analogie«. 
Wir gehen diesen Gedanken nicht weiter nach, ebensowenig wie 
wir die Frage, ob es eine oder mehrere »Entelechien« gebe, hier be* 
handeln wollen. 
Alle diese Dinge sind auch Fragen der Ordnungslehre, sind »metho* 
disch solipsistisch« zu behandeln. Eigentlich bedeutungsvoll werden 
' Phil. d. Org., 2. Aufl., S. 434-480. ~ 
303 
sie, und vieles andere, aber doch erst, wenn ein anderes Tor aufge# 
schlössen, wenn der Boden einer Wirklichkeitslehre oder »Meta^ 
physik« betreten ist, und so soll denn ihre Behandlung dem Werke, 
das von dieser handelt, vorbehalten bleibend 
d) ALLGEMEINERWÄGUNGEN 
Zu sagen, daß das Schema Ganzheitskausalität erfüllt wird durch 
gewisse Dinge und Geschehnisse in der Natur, heißt nichts anderes 
als zu sagen, daß es Lebendiges als Naturwirklichkeit gibt; denn wir 
nennen Naturwirkliches, welches die Schemata Ganzheit und Ganz«» 
heitskausalität erfüllt, »Lebendiges«. 
Jede »Erfüllung« eines Schemas in der empirischen Welt hängt am 
Gegebenen, hängt daran, daß die Gesamtheit aller Jef2f=Hier^5o- Data 
eben so ist, wie sie ist, und nicht anders. Mit der Frage, »warum« das 
so sei, hat die Ordnungslehre sich überhaupt nicht zu beschäftigen; 
das Gehabte als »in Ordnung« stehend schauen ist ja ihre einzige 
Aufgabe. Die Frage, »warum« es Lebendiges gebe, ist also keine Frage 
für die Ordnungslehre. 
Es handelt sich hier, wohl verstanden, um Lebendiges oder um 
»Leben« als Bestandteil der Natur, nicht handelt es sich um »Erleben«. 
Und da ist nun noch dieses zu sagen: 
Ich schaue nicht in Unmittelbarkeit ein Wesen »Leben«, so wie ich 
ein Wesen »rot«, »grün«, »Beziehung«, »soviel«, »neben«, »damals« 
und auch — »wissen« schaue. Ich schaue unmittelbar und »apriori« 
nur das Wesen Ganzheit und »relativ apriori«, wenn man so will^ 
das Wesen Ganzheitskausalität. 
Man vergesse nie, daß das Biologische eine reine Angelegenheit der 
A/'a/urslogik ist; Psychologisches, also auch so etwas wie ein »fremdes« 
Erlebendes oder Subjekt, ein »Du«, darf hier gar nicht hereintreten. 
Das wird in der Logik des sogenannten Fsycho:«physischen noch be* 
handelt werden; und in der Metaphysik mögen dann vielleicht Psycho«« 
physisches und Biologisches zusammenkommen. Aber in der Ord* 
nungslehre dürfen sie es sicherlich nicht. Eben deshalb ist auch der 
Begriff des »Teleologischen«, des »Zweckmäßigen« von uns so strenge 
aus der Logik des Lebendigen ferngehalten und durch den Begriff 
des Ganzheitsbezogenen ersetzt worden; auch das mag in der Meta* 
physik sich anders gestalten. 
Wir suchen nun nach weiteren Erfüllungen unserer Schematik. 
' Vgl. Wirklichkeitslehre, 2. Aufl. 1922. s. a. Phil. d. Org., 2. Aufl. 192L • S. o. S. 213. 
304 
b) DAS UNBELEBTE UNIVERSUM 
l I Aas gekannte Werden der unbelebten Natur erfüllt das Schema 
I; JL/der Einzelheitsverkettung. 
Es tritt aber berechtigterweise die Frage auf, ob es in der unbelebten 
Natur nichts anderes an Ordnung geben möchte als nur sie. 
Als grundlegend bedeutsam und als für alles Folgende, nicht nur 
für die Erörterungen dieses Abschnittes gültig ist nun zu beachten, 
daß die Frage nach »Anderem« hier, im Gegensatz zur Lehre vom 
Individuum, ZWEI Sonderfragen einschließt. Die Frage nach »Anderem« 
soll doch jedenfalls die Frage nach einer anderen Kausalitätsform, 
neben der Einzelheitsverkettung, bedeuten und zwar, da wir das Er^ 
fülltsein der Schöpfungsschemata wohl empirisch nicht aus irgend* 
welchen Gründen heraus zugeben können, die Frage nach Ganzheits* 
kausalität. 
Aber da müssen wir doch erst wissen, ob Ganzheit überhaupt vor* 
liegt. Und diese Vorfrage ist, wie gesagt, überall da zuerst zu behan* 
dein, wo nicht, wie beim personalen Individuum, Ganzheit sich ohne 
weiteres schauen läßt. 
Wir fragen also: Ist das unbelebte Universum ganz und, wenn so, 
gibt es neben Einzelheitsverkettung auch Ganzheitsverkettung in ihm, 
so daß es also in gewisser Hinsicht auch »lebendig« ist? 
aj EINHEIT 
Der Behandlung der Frage nach Ganzheit muß hier nun aber sogar 
noch eine andere Frage vorhergehen: die nach Einheit, die oft 
mit jener verwechselt wird^ Ist die materielle Welt überhaupt Eines, 
d.h. EINE Wirkungsgesamtheit, ein »System«? 
Das ist sie nun sicherlich. Nicht nur ist sie in dem einen Naturraum, 
sondern es gibt auch Kausalität zwischen ihren Elementen, ein Ein* 
heits*(nicht »Ganzheits«Ozug, den schon Lotze gesehen hat. 
Einheit also ist mehr als Summe oder, wie man neuerdings passend 
sagt, bloße (Jncfs Verknüpfung, ist aber noch nicht Ganzheit. Das 
übersieht z. B. Koehler, und es wird auch auf geisteswissenschaft* 
lichem Gebiete, wie noch zu zeigen sein wird, oft übersehen. Man sagt 
gern, schon jedes rein materielle System habe »neue« Eigenschaften 
gegenüber der Summe der Eigenschaften seiner isoliert gedachten Be* 
^ Ich selbst habe in der zweiten Auflage meiner Philosophie des Organischen, in 
meinen vor 1921 veröffentlichten Werken aber noch nicht klar gesehen, daß Einheit 
und Ganzheit zwei verschiedene Sachverhalte sind. 
20 D r i e s c h , Ordnungslehre 305 
standteile. Man kann aber doch dieses »Neue« vorhersagen, wenn man 
die Konstituenten und alle ihre affinitiven Vermögen, im weitesten 
Sinne des Wortes, kennt. 
Das newtonische Prinzip der Gegenwirkung, alle Minimumprin= 
zipien, das elektrodynamische Prinzip von Lenz, das physikalisch* 
chemische von Le Chatelier sind ebenfalls »Einheitszeichen«. Die 
elementaren Materiengesetze haben geradezu in sich einen Zustandst» 
(nicht »Ganzheits«ss)ERHALTENDEN Zug, welcher, wenn man sich zu 
einer Materientheorie entschließt, schließlich auf ein, wohl gar »echt« 
mechanisches Grundgesetz, nämlich den in den leges motus Newtons 
ausgedrückten Sachverhalt zurückgeht. 
ßj GANZHEIT 
Bei der Frage nach echter Ganzheit handelt es sich um die Verteil 
lung der Materie. Ist diese irgendwie als Gesamtheit ganz, oder 
hat sie wenigstens gewisse Züge an sich, ohne in jeder Hinsicht ganz 
zu sein, welche man harmonisch nennen könnte, d. h. zugeordnet der 
anderen Seite des empirischen Universums, der belebten, derart, daß 
diese vielleicht ohne jene harmonischen Züge der unbelebten Natur 
nicht das sein könnte, was sie ist? 
Ich rolle in diesem Werke die Frage nur auf; eingehender erörtert, 
soweit das überhaupt möglich ist, habe ich sie in der »Wirklichkeits* 
LEHRE«. Denn alles muß hier mit einem sehr starken vielleicht =Tone 
versehen, muß »hypothetisch« sein und gewinnt in diesem seinem 
hypothetischen Wesen eigentliche Bedeutung erst für eine Wirklich* 
keitslehre, ob es schon selbst noch Bestandteil der Natur^Ordnungs* 
lehre wäre. 
Es handelt sich schlichter Ganzheit nach um die Verteilung zumal 
der großen siderischen Massen, es handelt sich der Harmonie nach 
um die Verteilung von Wasser, Erzen u. a. auf der Erde, mit Rücksicht 
auf das Lebendige. Die zweite Frage ist von Henderson dadurch auf 
eine ganz neue Grundlage gestellt worden, daß dieser Denker die 
»Konstanten«^ der lebenswichtigen Verbindungen, zumal COg und 
HgO, auf ihre Ausnahmestellung allen übrigen Konstanten gegen* 
über untersucht hat. 
Wo die bedeutsamen Ermittlungen Victor Goldschmidts über 
»Harmonien« bei der »Komplikation« der Kristallbildung, des musi* 
kaiischen und malerischen Schaffens und Aufnehmens, der Ausge* 
» S. o. S. 242. 
306 
staltung des Planetensystems unterzubringen sind, ist wohl heute 
noch nicht zu entscheiden. Höchst seltsam ist, daß so verschiedenes 
artige Erscheinungen dasselbe arithmetische Gesetz zeigen. Ob hier 
nur Einheit, oder auch Ganzheit, nämlich bezüglich der Verteilung 
des Materiellen, vorliegt, das steht in Frage ^. — 
y) ENTWICKLUNG 
Das Problem einer Ganzheitskausalität im Rahmen der unbelebt 
ten Natur wird passend nicht unmittelbar in Angriff genommen, 
sondern an die Frage nach der Entwicklung dieser Natur geknüpft, und 
alsdann ergibt sich noch eine Sonderfrage nicht unbedeutsamer Art: 
Wir wissen, daß Entwicklung gegen Kumulation steht, und daß 
Entwicklung ihrerseits maschinell oder entelechial sein kann. 
Es wäre nun angesichts der unbelebten Natur zunächst wohl an die 
Möglichkeit maschineller Entwicklung vom Typus der »Scheinent* 
Wicklung« 2 zu denken. Daran denken aber heißt die Frage auf werfen, 
ob »die materielle Welt« eine große Maschine sei, welche sozusagen 
aufgezogen und mitten in ihrem Ablauf ist, welcher auf ein Endganzes 
hin geschieht. Da wäre, wie wir wissen, im tiefsten Grunde jeder 
Zustand, auch schon der »Anfangs«zustand zur Zeit — oo 2, ganz, denn 
er ALS materieller Zustand trüge potentia das Endganze in sich. Das 
Endganze wäre ein »Gleichgewicht«, welches »heute« eben noch nicht 
erreicht ist, auf das aber alles »eingestellt« ist, so daß im Grunde doch 
immer nur schon bestehende Ganzheit von Zustand zu Zustand weiter^ 
gegeben wird. 
Man sieht, die Frage nach maschineller Entwicklung ist beim unbe«« 
lebten Universum mit der Frage nach Ganzheit (der Verteilung) 
schlechthin eng verkettet, ja, ist eigentlich gar keine besondere Frage, 
denn diese Entwicklung wäre, wie gesagt, doch wohl als Scheinent= 
Wicklung zu denken. 
Entelechiale Entwicklung der unbelebten Natur würde eine entwick* 
lungshafte Änderung der Naturgesetze bedeuten. Es liegen keine An* 
zeichen für eine solche Änderung vor. 
c) DIE GESAMTHEIT DES LEBENDIGEN (y>PHYLOGENIEoi) 
Auch diese Frage wird in diesem Werke nur aufgerollt und der 
Wirklichkeitslehre sowie der Philosophie des Organischen über* 
lassen, denn auch hier bleibt alles im Rahmen eines starken vielleicht. 
^ Harmonie und Komplikation. 1901, ferner Ann. Naturphil. 3, 4, 5, 9. * S. o. S. 290. 
» S. o. S. 288. 
20* 
307 
Es handelt sich um die sogenannte Stammesgeschichte oder Phylo^ 
genie. Ist sie Entwicklung — (dann sicherlich entelechiale) — oder nur 
Kumulation? 
a) EINHEIT UND GANZHEIT 
Auch hier geht die Frage, ob überhaupt Ganzheit, diesmal ühevs 
persönlicher Art vorliege, voran; und dieser Frage geht auch 
wiederum noch voran die Frage nach Einheit. 
Die Einheit der belebten Gesamtheit wird angezeigt durch die Tat* 
Sache der Fortpflanzung. 
Ganzheit der organischen Welt wird angezeigt durch die Existenz 
des Systems: ein »Chaos« ist die Fülle der tierischen und pflanzlichen 
Formen nicht. Und andere Ganzheitszeichen im Rahmen der Lebens* 
gesamtheit sind das Bestehen der Fortpflanzung, das Dasein »homo* 
loger«, d. h. ähnlich gebauter und funktionierender Gebilde in syste* 
matisch nicht »verwandten« Tiergruppen, das Dasein wechselseitiger 
Anpassung (Geschlechter, Blumen und Insekten) und »fremddienlicher 
Zweckmäßigkeit« (E. Becher). 
ß) ENTWICKLUNG 
Die Lehren Darwins und Lamarcks — (alle beide, wohl zu mer* 
ken I) — sahen, wenigstens in ihren modernen Formen, die Phylo* 
genie als durchaus kumulativ, also als »zufällig«, als nicht eigentlich 
in sich wesentlich ^ an. 
Beide Lehren sind falsch. Also ist die Phylogenie jedenfalls zum 
Teil NICHT unwesentlich, ist sie Evolution. Aber in welchem Sinne sie 
es ist, ist unbekannt und vielleicht von der reinen NATUR^lehre gar 
nicht auszumachen, denn das, was sich materiell ausprägt, trifft hier 
vielleicht gar nicht die Hauptsache. 
Mit Rücksicht auf alle Sonderfragen — (es gibt hier zurzeit nur 
SoNDERfragen) — verweise ich auf die »Wirklichkeitslehre« und auf 
die »Philosophie des Organischen« und sage an dieser Stelle nur noch 
das Folgende: 
Es scheint, daß die Phylogenie sich aus zwei übereinander gelager* 
ten Bestandteilen zusammensetzt, einem evolutiven, der es mit allem 
Typenhaften zu tun hat, und einem kumulativen, der alle Sondern 
AUSPRÄGUNGEN, vielfach »angepaßter« Art, angeht. Es wäre möglich, 
daß die eigentlichen »Species«, vielleicht sogar die »Genera« der Syste* 
matik lediglich auf die kumulative Seite der Phylogenie gehören. 'Wir 
' S. o. S. 91. 
308 
wissen nichts darüber; ist doch nicht einmal ordentlich durchgearbeitet 
die Frage, ob die systematischen Kategorien »Familie«, »Ordnung«, 
»Klasse« in jedem Tier=* und Pflanzen*»Kreise« logisch Gleichwertiges, 
d. h. ob sie in jedem Allgemeines gleich hoher Abstraktionsstufe be* 
deuten oder nicht. 
Das lebendige Universum als evolutives Ganzes wäre jedenfalls 
NICHT, wie das Individuum, »ein Ding«; und das hie et nunc jedes ein:* 
zelnen Individuums in diesem Ganzen wäre sichtlich unwesentlich, 
also z. B. daß hier jetzt dieser Regenwurm kriecht oder dieser Hund 
läuft. Um Soseins-, um PFesens^ganzheit würde allein es sich handeln. 
Und diese Wesensganzheit, wie schon angedeutet, beträfe vielleicht 
die »Form« nur mittelbar, unmittelbar aber wohl etwas, das wir, vor* 
greifend, als Wissens- oder »Charakter«4ypik bezeichnen können. 
Die Endganzen der Embryologie, der personalen Biologie, welche 
ja »sterben«, wären natürlich für eine Phylogenie nur Durchgangs«« 
ganze und sogar nur Durchgangs «»Teilganze. 
d) ZWISCHENBETRACHTUNG: y>RE FLEKTIEREN DE URTEILSKRAFT*^ 
Ich überschreibe absichtlich diese Zwischenbetrachtung mit einem 
KantischenWort.Allen Überpersönlichkeitsproblemen— auch später 
den geschichtlichen — stehen wir nämlich, wenn wir einmal psycho«« 
logisch sprechen dürfen, in der Tat nur »reflektierend«, d. h. strenger 
gesprochen: als mit dem vielleicht sTon^ Schauende gegenüber, ganz 
anders also, als wir das Wesen des biologischen Individuums erfaßten. 
Es ist schon früher^ angedeutet worden, woran das liegt; es mag 
aber hier, zugleich für die »Geschichte« gültig, noch einmal gesagt 
sein: Alles Überpersönliche evolutive Werden ist, erstens, in nur einem 
Fall, also nicht als »Klasse« mit vielen Fällen da, seine Evolution ist, 
zweitens, unvollendet, ihr Endganzes endlich, psychologisch gespro«« 
chen: ihr »Ziel«, ist unbekannt. 
Hier liegen die Wurzeln unseres NichtwissenKÖNNENS in allen über* 
persönlichen Fragen. 
Daß wir eine »Urteilskraft« etwas Besonderes neben dem »Ver* 
Stande« (und wohl gar auch neben der »Vernunft«) bedeuten ließen, 
sollte unsere Überschrift natürlich nicht besagen. Wir kennen nur 
EINE »Stellung« zum Etwas, die des Ich habe; und mit »Vermögen 
des Gemütes« arbeiten wir erst in der Psychologie, in deren Rahmen 
uns diese Dinge aber auch Ich-gehabte Gegenstände, und nicht etwa 
Arten des urausgänglichen Habens sein werden. 
/S.o. S. 299. 
309 
e) VON DER UNVO RAUS SAG BARKE IT ÜBERPERSÖNLICHEN 
GESCHEHENS 
Der Ordnungslehre sind alle Naturgeschehnisse eindeutig bestimmt, 
weil sie eben den Ton der Eindeutigkeit an allem schaut. 
Faßt sie Stammesgeschichte (und Geschichte) als überpersönliche 
Evolution, so setzt sie also eine überpersönliche Entelechie als den sie 
bestimmenden Faktor von demselben Grade der empirischen Wirk* 
lichkeit, wie die personale die Embryologie leitende Entelechie es ist. 
Diese überpersönliche Entelechie arbeitet freilich nicht mit der Ma* 
terie, wie die personale es tat, sondern sie arbeitet mit den personalen 
Entelechien. Es tritt hier die von uns der Wirklichkeitslehre zuge* 
schobene Frage ^ auf, ob Entelechie eine sei oder ob es der Entelechien 
mehrere gebe; der Wirklichkeitslehre schieben wir denn auch die neue 
jetzt auftretende Frage zu. 
Personale Entelechie kannten wir nicht »an sich«, wenn der hier 
durchaus unmetaphysisch gemeinte Ausdruck erlaubt ist, sondern nur 
in ihrem materiellen Produkte^; es »gab« sie immerhin in vielen Fällen, 
denn es gibt viele Organismen als ihre materiellen Ergebnisse. Über*! 
personale Entelechie gibt es — eine, denn überpersonale Entwicklung 
ist EIN »Fall« in Einzigkeit. 
Das erscheint seltsam, wie fast alles hier seltsam erscheint. Die über* 
personale Entelechie ist eigentlich etwas ganz Leeres, sie ist bloss das 
Schema der eindeutigen Bestimmtheit im Rahmen von Ganzheits* 
kausalität. 
Wir können dasselbe auch anders wenden: Im Personal* Biologi* 
sehen gibt es, von der Entelechie ganz abgesehen, immer das Natura 
gesetz in roher Form als Klasse mit vielen Fällen : Nimm dem Regen* 
wurm den Kopf — er repariert sich ; nimm der Blastula beliebige Zellen 
— der Rest gestaltet sich in verkleinertem Maßstabe ganz aus. Sehr 
»vorsichtigen« Naturforschern genügt das wohl gar. 
Aber eben das gibt es nun nicht im Überpersönlichen: der eine Fall 
ist hier das »Gesetz« ; Phylogenie (oder Geschichte) als Evolution an* 
sehen, heißt sie als gesetz ansehen, obwohl sie nur »Fall« ist. 
Das führt uns nun noch auf etwas anderes, das in rein schematischer 
Form schon früher kurz angedeutet wurde. 
Wo immer es sich um Ganzheitskausales handelt, kann aus Kennt* 
nis der materiellen Daten allein nie »vorausgesagt« werden. Kennten 
wir ein Ei materiell bis ins Letzte: wir würden nicht wissen, was für 
1 Phil. d. Org. 2. Aufl. S. 582ff., Wirklichkeitslehre 2. Aufl. S. 332ff. ' S. o. S. 297. 
310 
ein Tier es ergibt; ist doch schon, wie wir sagten, sogar ein späteres 
»Stadium« aus vollkommener Kenntnis des vorhergehenden nicht 
voraussagbar. Immerhin kann im Bereich des Personalen in anderer, 
roherer Weise »vorausgesagt« werden : Dieses Ei ist das eines Laub»« 
frosches — also wird es einen Laubfrosch geben. 
Freilich, auf der uniformity of the course of nature ruht, wie wir 
wissen^, alles Voraussagen über Natur überhaupt. 
Es ist nun des höchsten bedeutsam, daß jeder, der eine »Deszen* 
denz«, eine Stammesgeschichte annimmt, die Gesamtheit der belebten 
Welt sich ja doch verändern läßt, also mit Rücksicht auf sie jedenfalls 
die »Gleichförmigkeit des Naturverlaufs« ausdrücklich ablehnt. 
Damit wird nun selbst das rohe noch überhaupt mögliche Voraus*» 
sagen in biologischen Dingen problematisch, ja soll problematisch 
werden. Ei vom Huhn gibt Huhn — ja, wenn nicht »das Gesetz« der 
Phylogenie gerade jetzt einen evolutiven Schritt tutl 
Ist aber schon, soweit nur das Materielle in Frage kommt, jedes 
embryologische Stadium dem vorhergehenden gegenüber »neu«, d. h. 
aus seiner materiellen Konstellation nicht voraussagbar, obschon durch 
Entelechie bestimmt, so wird jetzt bei Annahme einer Phylogenie die 
gesamte Embryologie B der gesamten elterlichen Embryologie A 
gegenüber — vielleicht »neu«, nämlich wenn gerade jetzt die Evolu* 
tion weiter geht. 
Das bedingt grundsätzlich, praktisch freilich nur selten, eine große 
Unsicherheit. Alles ist wie bei einem Werke der Kunst: schon 20 gleiche 
Fenster haben wir an einem Palaste gezählt, sie werden also wohl »alle« 
gleich sein. Nein — im Zentrum und an den Ecken des Gebäudes sind 
sie »anders«; und wenn ein Komponist für drei Strophen eines Ge* 
dichtes dieselbe Vertonung wählte, braucht er sie für die vierte nicht 
zu wählen. 
Aber — für die Logik bleibt es trotz allem bei dem Bestimmtsein alles 
Überpersönlichen durch eine überpersönliche Entelechie. Die Wirk* 
lichkeitslehre wird hier vielleicht anders reden ; auch auf ihrem Boden 
erst wird es zu einer Auseinandersetzung mit Bergson kommen kön* 
nen. Denn dieser große Denker ist Metaphysiken 
f) DAS BEHARRLICHE IM RAHMEN DER GANZHEITSKAUSALITÄT 
Im Rahmen der unbelebten Natur war das Beharrliche das materielle 
Urding, gleichgültig wie die Naturlehre es faßt. 
Was ist beharrlich, ist »Substanz« in der belebten Welt? 
' S. o. S. 177. 
311 
Wollten wir die Frage nach der »Zahl« der Entelechien in diesem 
Werke behandeln, so würde die Antwort vielleicht lauten können : die 
EINE Überentelechie mit allen ihren Verzweigungen. 
Aber wir wollen die Frage hier nur in einem viel bescheideneren 
Sinne behandeln und nur fragen: Was ist denn beharrlich an einem 
GEGEBENEN INDIVIDUELLEN ORGANISMUS? Was ist das eigentliche Wesen 
DIESES Organismus? Oder, noch anders: Was »hat« hier alle »Eigens* 
Schäften«, so wie im Unbelebten, wenigstens im Rahmen der quali«» 
tativen Energetik, nicht der Materientheorie, gesprochen, eine be* 
stimmte Massens'Art ihre konstanten und temporären Eigenschaften 
»hat«^? 
Die Materie der organischen Person sicherlich nicht. Es handelt sich 
ja doch um ein Ganzes an Lagebeziehungen zwischen ihren materiellen 
Bestandteilen. Aber auch das erschöpft offenbar den Sachverhalt noch 
nicht. Der Organismus hat ja »Potenzen«, sowohl für physiologische 
Funktionen wie für Restitution und Adaptation aller Art. Und er hat 
weiter das »Vermögen«, sich fortzupflanzen und wohl gar »Muta*« 
tionen« in seinen Nachkommen zu erzeugen. 
An das alles müssen wir denken, soll pas Beharrliche, das, was »hat« 
an einem Organismus erfaßt werden. Wir wollen daher das beharrliche 
Wesen eines Organismus kurz seine Form im aristotelischen Sinne 
nennen. Sie ist die Gesamtheit dessen, was er als Ganzes ist und 
kann; sie ist auf jedem seiner »Stadien« in einen aktuellen und einen 
potentiellen Teil zerteilt; auf dem Ei^stadium überwiegt der potentielle, 
auf dem Stadium des Erwachsenen der aktuelle Anteil; aber nie ver* 
schwindet der potentielle Teil, denn auch der Erwachsene hat ja noch 
»Vermögen«. 
So wären denn also Stoff und Form die beiden Substanzen der 
Naturwirkli chkeit. 
Daß wir die Form, welche ja eine »intensive Mannigfaltigkeit« ist, 
nur »unanschaulich«, nicht aber »anschaulich« erfassen können, ändert 
daran nichts; ja nicht einmal der Umstand ändert etwas daran, daß 
Formen (Entelechien) nur wegen ihrer Wirkungen in den Stoff hinein 
überhaupt als empirisch^daseiend gesetzt werden, und daß das Sosein 
ihrer intensiven Mannigfaltigkeit nur nach Maßgabe der Mannigfaltig«» 
keit ihrer Wirkungen gesetzt werden kann. 
Wir können aber denselben Sachverhalt auch noch anders und 
zwar logisch wohl noch grundlegender wenden: 
' S. o. S. 243. 
312 
In der allgemeinen Beziehungslehre warfen wir^ die Frage nach dem 
reinen Gliede auf, d. h. dem Relat, welches nicht selbst Relation sein 
kann und gar keine Relationen in sich trägt. Reine Glieder waren im 
Rahmen der allgemeinen Ordnungslehre nur Reine Solchheit, Solche 
heitsallgemeines (»Farbe«, »Ton«) und Etwas. 
Wir dürfen nun die materiellen Urdinge und die »Formen« reine 
Naturglieder nennen. 
Ganz ebenso »rein« wie die reinen Glieder der Urordnungslehre 
sind sie zwar nicht, denn sie tragen Beziehlichkeiten in sich: die Urs» 
dinge haben einige »Vermögen« und die Formen haben sehr viele. 
Aber doch dürfen Urdinge und Formen insofern reine Naturglieder 
genannt werden, als sie im Rahmen der Naturwirklichkeit selbst nur 
Relaxe, aber nie Relationen sein können. 
' S. o. S. 92 u. 97f. 
313 
D. DIE LEHRE VON DER ORDNUNG 
DER ERLEBTHEIT (LOGIK DES 
SEELISCHEN) 
1. DIE AUFGABE 
Wir knüpfen an unsere Zergliederung^ der Begriffe Zeit, mein 
Seihst "Werden wieder an, und zwar jetzt, um den Gegenstand 
der Psychologie zu gewinnen, um eine »Logik der Psychologie« zu 
erarbeiten. Denn der populäre Satz, daß die Psychologie von dem 
»Kommen und Gehen unserer Vorstellungen« handele, genügt uns 
nicht. 
Erster Ausgang für das Verlangen nach einer »Psychologik« ist, 
ebenso wie ja auch für das Verlangen nach einer Naturlogik, mein be* 
sonderes Wissen darum, daß manches aus dem Bereiche des Etwas, 
obschon, wie alles Etwas, schlicht und zeitunbezogen gehabt, doch 
mit dem Tone des schon gehabt Gewesenseins gehabt wird. Man nennt 
in der Sprache des Alltags Erlebnisse mit dem Tone des schon gehabt 
Gewesenseins Erinnerungs* oder Gedächtniserlebnisse. Ihr Dasein also 
erzeugt die Psychologie, ebenso wie es, aber in anderer Weise, Vor* 
aussetzung des Erstehens der Naturwissenschaften gewesen ist. Wir 
wollen, wie früher, Gedächtniserlebnisse in strenger und kurzer Weise 
Gehabtheiten mit dem Tone damals nennen. Wir wissen nun schon 
das Folgende: 
Die Tönungen oder Zeichen des damals sind jeweils spezifisch, d. h. 
es handelt sich nicht um ein »damals« schlechthin, sondern das eine 
Damals ist früher oder später als das andere. Ich schaue die Gesamt* 
heit der damals als eine eindimensionale Reihe mit der Beziehung 
früher ^später. 
Diese Reihe ist zunächst diskontinuierlich, denn die verschiedenen 
Damals sind »wie« diskrete Punkte. Ich schaue aber, daß es ordnungs* 
stiftend ist, die Reihe der Damals in Zuordnung zur stetigen Zahlen* 
reihe zu fassen : die als stetig gefaßte Reihe der »Damals« heißt Zeit. 
Bin Ich der Zeit zugeordnet? Bei raschem Hinsehen auf den Sach* 
verhalt: ja, bei tieferer Besinnung: nein. Gewiß: von allem, was ich 
zeitunbezogen als c/amaZs=getönt bewußt habe, weiß ich, daß »ich« es 
hatte; so stünde denn also ich, der Habende, mit meinem Haben in der 
Zeit. Aber es sollte das Wörtchen »ich« ganz streng und mit durchaus 
einzigartiger Bedeutung gefaßt werden. Dann aber bin Ich nur der 
Habende (der sich freilich auch selbst hat), und zwar habe ich auch 
mein Gehabt*haben. Dafür könnte ja nun freilich gesagt werden: »Ich 
habe, daß ich hatte«. Um der Reinheit des Ich willen ziehen wir es 
aber vor, für das zweite »ich« zu sagen mein Selbst. Also: »Ich habe, 
' S. o. S. 146 ff. 
316 
daß mein Selbst hatte«. Nicht »Ich« also, sondern »mein Selbst« steht 
in der Zeit; mein Selbst hatte, und, daß dieses der Fall ist, /lafce »Ich«, 
Das echte /c/i^haben aber ist das letzte Glied in der Kette des Gehabt»» 
habens des Selbst: nun erst darf ich sagen, daß ich im Jefz^habe, denn 
jetzt ist das letzte Glied in der Dama /s^Reihe. 
Mein Selbst nun, obwohl als mit sich identisches in der stetigen Zeit 
stehend, beharrt nicht stetig in ihr. Traumloser Schlaf und Ohnmacht 
zeigen das, ja, eindringlicher als beide zeigt die nicht »stetige« Natur 
des Selbst der Umstand, daß das Haben, also auch das Gehabt^haben, 
um analogienhaft zu reden, punktuell, aber nicht streckenhaft, gestaltet 
ist: das Selbst hat also diskret in der stetigen Zeit. Wir werden an 
späterer Stelle das Selbst stetig machen (und es dann »Seele« nennen) ; 
zunächst dürfen wir das aber wohl nicht, denn hier ist unsere Aufgabe 
nur zu zeigen, daß es Psychologie geben kann und muß, und das ist 
durch die bis hierher geführte Untersuchung gezeigt worden: 
Die Gesamtheit der vom Selbst (bezw. Ich) gehabt gewesenen, 
SEIENDEN UND KÜNFTIG WERDENDEN GeBILDE IN IHRER ZUORDNUNG ZUR 
Zeit ist es nämlich, die in der Psychologie zur Untersuchung steht, die 
das »Material« der Psychologie ausmacht. Der Nachdruck liegt auf 
dem Worte gehabt (gewesenen, seienden und künftig werdenden). 
Denn als gehabte untersucht Psychologie alle Gebilde, von denen sie 
redet, nicht untersuchte sie sie, wie das Naturwissenschaft, aber auch 
in anderem Sinne Mathematik und allgemeine Logik tun, unter Ab* 
sehen von dem ein für allemal erledigten Gehabtsein. 
In der Gesamtheit der in der Zeit vom Selbst gehabten Gebilde als 
gehabter nun will Psychologie Ordnung schauen. Das ist ihre eigent* 
liehe Aufgabe. Ganz streng gesprochen: Ich will (als Psychologe) Ord* 
nung schauen in den der Zeit zugeordneten gehabten Gebilden meines 
Selbst ALS meinen bewußt gehabten Gegenständen. 
Die gestellte Aufgabe zu erfüllen ist für die Psychologie, sei sie 
wissenschaftlich oder philosophisch, viel schwieriger als die Erfüllung 
der entsprechenden Aufgabe in der Naturlehre. Diese sieht ja von dem 
Gehabtsein ihrer Gegenstände ausdrücklich ab, findet sie schlicht vor, 
gibt sich ihnen hin und schaut Ordnungsformen in ihnen. Populär 
gesprochen, ist ihr also das Material gegeben, sie suchte seine Form. 
Der Psychologe aber muß sowohl Material wie Form gleichsam 
»suchen« im Wege der Selbstbesinnung, das heißt, streng gesprochen, 
er ist in seinem Ordnungsschauen an sehr seltsame und seltene Er«« 
lebnisse gebunden. Das macht Psychologie zur schwierigsten aller 
317 
Wissenschaften und zwar, obwohl andererseits die »Gegenstände« der 
Psychologie gewissermaßen die aller unmittelbarsten und intimsten 
sind. 
Es geht aus dem Dargelegten unmittelbar hervor, daß im eigent* 
liebsten Sinne Psychologie nur meine Psychologie sein kann, und zwar 
nicht nur in dem Sinne, in welchem in Strenge jede Wissenschaft nur 
meine ist. Psychologie nämlich ist in Strenge nicht nur mein Besitz, 
sondern handelt auch nur von »mir«, d. h. von meinem Selbst. So muß 
es wenigstens im Anfang sein; erst im Verlaufe der Psychologie wird 
der Begriff »das andere Selbst« seinen Sinn bekommen und dann auch 
methodisch verwertbar sein. Das hindert nicht, gelegentlich, der Er* 
leichterung des Ausdrucks halber, dem populären Wissen von Anfang 
an Zugeständnisse zu machen und so zu tun, als verstünde sich das 
Dasein vieler, einander ähnlicher »Selbste« von selbst, wie das z. ß. bei 
der »experimentellen« Psychologie der Fall ist. Aber das ist immer nur 
ein kurzer Ausdruck für einen sehr zusammengesetzten Sachverhalt. 
2. MATERIALIENLEHRE 
An erster Stelle muß sich offenbar die Psychologie über das Quäle, 
das Wesen der Gegenstände ganz klar werden, von denen als in 
Zuordnung zur Zeit jeweils anderen sie handeln will. Wir wollen diese 
Klärung als psychologische Materialienlehre bezeichnen. 
Der psychologischen Materialienlehre haften nun von vornherein 
gewisse ganz seltsame Schwierigkeiten an : Wenn ich einen »Gedanken« 
oder ein »Gefühl« bewußt habe, nun, so habe ich eben diesen Gedanken 
und dieses Gefühl als Gegenstände. Ich muß aber für die Zwecke der 
psychologischen Materialerfassung, für die Erfassung des »Wesens« 
des Gehabten, »mein diesen Gedanken Haben«, »mein dieses Gefühl 
Haben« haben. Das nun kann ich immer nur »hinterher«; ich habe 
da also im Grunde stets ein Gehabt=haben. Dabei muß mir also die 
»Erinnerung« zu Hilfe kommen, d. h. ich muß für die Zwecke der 
psychologischen Materialerfassung diesen Gedanken und dieses Ge* 
fühl NOCH EINMAL haben mit dem Tone daran, daß ich ihn gehabt 
habe^ 
Das kann zu »Irrtum«, zu Täuschungen über den Sachverhalt, wie 
er tatsächlich bestanden hat, führen. Ja, ganz in Strenge, kann ich sogar 
* HussERL (Jahrbuch I, S. 68) sagt von dem, was er »immanent gerichtete Akte« nennt, 
ihre »intentionalen Gegenstände gehören zu demselben Erlebnisstrom wie sie selbst«. 
Wir würden hier nur das Wort Erlebnis«»strom« vermeiden. 
318 
(wie in anderem Zusammenhang an die »Gleichförmigkeit der Welt« ^) 
NUR »GLAUBEN« AN DIE SICHERHEIT DER AnGABEN MEINES GEDÄCHTNISSES 
in Sachen des vergangenen Soseins. Dieser Glaube an die sogenannte 
»Erinnerungsgewißheit« gilt übrigens natürlich für den gesamten Be* 
trieb der Ordnungslehre und nicht nur für die Logik des Seelischen, 
wo er allerdings besonders bedeutsam wird. Auch wird gerade hier 
dieser »Glaube« alsbald noch einmal in anderer Form auftreten. 
Es kommt eine weitere Schwierigkeit hinzu: 
Macht nicht eigentlich die Materialienlehre von vornherein eine ge* 
wisse uneingestandene Voraussetzung, welche über sie selbst hinaus* 
geht? Sie will etwa Dinge wie Gefühl, Wille, Wahrnehmung so er* 
fassen, wie sie »eigentlich« ihrem »Wesen« nach sind. Sie verbessert 
auch oft ihre früheren Ergebnisse und sagt, daß sie sich »geirrt« habe. 
Da wird doch offenbar vorausgesetzt, daß jene Dinge »sind«, auch 
wenn sie nicht bewußt gehabt werden, daß sie jedenfalls so angesehen 
werden, als ob sie seien, ganz wie das bei Naturgegenständen der Fall 
war und bei den eigentlichen »Seelen«gegenständen der Fall sein wird. 
Stillschweigend wird also, so scheint es, schon in der »Phänomenologie« 
das, was später »Seele« genannt werden wird, oder doch etwas auf das 
Reich Seele Bezügliches vorausgesetzt. Aber doch nur ganz im un* 
bestimmten. »Wieso« jene Dinge als gleichsam selbständige »seien«, 
diese Frage tritt nicht auf den Plan ; und so wird denn doch im Gebiet 
der Materialienlehre das Gebiet der »mittelbaren« Gegenstände noch 
nicht eigentlich betreten, sondern eben nur »Phänomenologie« ge* 
trieben. Jedenfalls geht die quas/=Selbständigkeit, von der hier geredet 
wird, stets auf ein ausdrückliches ERLEBTgewesensein und nicht auf 
ein bloßes »Gemeint«sein wie bei allem Mittelbaren im echten Sinne. 
An der Hand des Begriffspaars einf ach:: zusammengesetzt läßt sich 
die Materialienlehre nun in zwei Teile zerfallen : 
a) ELEMENTARLEHRE 
ES gilt in der Elementarlehre das Einfache, das nicht weiter Zer* 
legbare am bewußt Gehabten als Gehabtem aufzudecken. Für diese 
Elementarlehre ist nun eine höchst bedeutsame Vorarbeit bereits ge* 
leistet worden durch die Allgemeine Ordnungslehre. 
Die allgemeine Logik redete vom Elementaren rein als Gegenständ* 
lichem, und sah ein für allemal als erledigt an, daß es gehabt ist. Wir 
benutzen nun ihre Ergebnisse und setzen vor jedes der von ihr ge* 
» S. o. S. 177. 
319 
fundenen Elementarien oder Letztheiten das Wörtchen »gehabt«; dann 
haben wir die elementaren Materialien der Psychologie. 
Zu den Letztheiten im Gegenständlichen gehören nun gleichermaßen 
die sogenannten »anschaulichen^«, das reine Sosein angehenden Ele^ 
mentarien wie grün, rot, eis, ges, warm, süß, Schmerz usw. und die 
»unanschaulichen« unzerlegbaren Bedeutungen wie dieses, solches, he^ 
zogen, verschieden, weil, soviel, neben, damals usw. ; alle diese Letzt* 
heiten werden mit dem Tone der ordnungshaften Endgültigkeit erfaßt, 
ebenso alle zwischen ihnen und ihren Besonderungen bestehenden Be«» 
Ziehungen. 
Diese Letztheiten als gehabt gehen uns jetzt an, also nicht »grün« 
und »bezogen« als solche, sondern »grün als vom Selbst gehabt«, »be* 
zogen als vom selbst gehabt« usw. 
Zu den unanschaulichen Elementarien der Psychologie gehören auch 
Lust und Unlust^ sowie alle die Zeichen oder Tönungen des »Gemeint* 
seins«, welche im Gegenständlichen das »empirisch Wirkliche«, das 
»bloß Vorgestellte«, das »Geträumte«, aber auch die »Annahme« (das 
»vielleicht«) sondernd kennzeichnen und welche wir Seinskreis-zeichen 
oder ^Tönungen nannten. 
Endlich gehört hierher auch die Tönung des Endgültig=sems (oder 
auch des Richtig=seinSj des »in Ordnung«s=seins) schlechthin, wie sie 
vielen bewußt gehabten Komplexen anhängt, und ebenso die Tönung 
der Erledigung. Alles aber kommt nicht in seiner Gegenständlichkeit, 
sondern als irgendwann bewußt Gehabtes in Frage. 
Die anschaulichen reinen Solchheiten pflegt man als ausdrücklich 
gehabte »Empfindungen« zu nennen. Wir ziehen es vor, dieses Wort 
der PsYCHOPHYSiK zu reservieren und zunächst nur von gehabten Solche 
heiien zu reden. 
Es verdient hervorgehoben zu werden^, daß einige der gehabten 
Solchheiten (oder meinetwegen »Empfindungen«) ganz unmittelbar 
das Zeichen des da draußen an sich tragen, nämlich Farben und, in 
beschränktem Maße, Töne, während andere, wie Schmerz, »Organ* 
* Das Wort hat, wie wir wissen (S. 92), strikte an dieser Stelle noch gar keinen klaren 
Sinn. * Vgl. meine Wirklichkeitslehre, 2. Aufl., S. 183, Anm. 2: »Lust ist immer das? 
selbe. Aber eben das macht die Menschen verschieden, daß sich bei den einen an diese, 
bei den anderen an jene Inhalte die stärksten Lusttöne anhängen«. S. a. Wissen und 
Denken S. 123. Sehr zutreffend ist Külpes Bemerkung (Vorles. üb. Psych., herausgeg. 
V. Bühler, 192Q, S. 248 f.), daß, wenn Lust und Unlust nicht immer dasselbe wären, 
das Wertleben der einheitlichen Skala ermangeln und daher selbst nicht einheitlich 
sein würde. ' S. auch oben S. 94. 
320 
empfindungen« usw., stets durch besonders scharfe und ausdrückliche 
Betonung der Ich-Gehahtheit ausgezeichnet sind (ebenso wie übrigens 
Lust und Unlust) und ferner gewisse Besonderheiten an sich tragen, 
welche sie befähigen werden, das seltsame Ding »mein Leib« zu be^ 
deuten. — 
Unsere Elementarienlehre sichert von allem Anfang an der Psycho* 
logie eine Leistungsmöglichkeit von ganz außerordentlicher Bedeu* 
tung, welche ihr später durch Ablehnung der »Assoziations«4ehre 
noch einmal gesichert werden wird : die Möglichkeit, als empirische 
Werdewissenschaft des »Sinnes« der »Bedeutungen« Herr zu werden. 
Die zergliedernde Psychologie braucht eben nicht, wie z. B. Spranger 
meint^, das »Sinnvolle« zu zerstören. Sie hat es als gehabte Uvhedeu* 
tungen, als gehabte Zeichen der Endgültigkeit, der Erledigung usw. 
UNTER IHREN Elementarien, erst recht natürlich später unter ihren 
»Komplexen«. 
Diese Lehre — ein Verdienst der Denkpsychologen und Gegen* 
Standstheoretiker — ist in der Tat von unermeßlicher Bedeutung. Hier 
wird von allem Anfang an jede Analogie zu »Mechanischem« unter* 
bunden; die Verknüpfungslehre, die psychologische Dynamik, wird 
später nur das Werk fortzusetzen haben, das schon die Materialienlehre 
begann. 
b) KOMPLEXLEHRE 
Was tatsächlich bewußt gehabt wird, sind nie Elementarien rein 
als solche, sondern sind stets Komplexe. So stellt sich die 
Komplexlehre neben die Elementarlehre. Das Einzelne hat hier die 
Phänomenologie (in Husserls Sinn) auszumachen, soweit die Lehre 
von der Noesis ist, (die Lehre vom Noema befaßt sich mit dem Gegen* 
ständlichen und seiner essentia als solchem). Auch die sogenannte 
Denkpsychologie, welche hier also noch gar nicht eigentliche »Psycho* 
logie«, sondern nur Vorbereitung zu dieser ist, findet ein Feld ihrer 
Betätigung. Es schadet dabei nicht, wenn sie das »andere« »mir« 
ähnliche Selbst populär nimmt. 
Wahrscheinlich tritt in jeden gehabten Komplex (jede »Vorstellung« 
im alten Sinne des Wortes) aus jeder der großen Gruppen der Ele* 
mentarien mindestens je ein Bestandteil ein, also jeweils ein »Anschau* 
liches«, eine oder mehrere reine Bedeutungen, ein Gefühlston, ein Ton 
des Meinens, so daß es also im tiefsten Grunde nur eine Art von 
Komplex, nämlich eben »das Gehabte« (den »Gedanken«) geben 
^ Lebensformen, 2. Aufl., S. 12. 
21 Drie seh, Ordnungslehre 321 
würde. Nur verschiedene Mischung derselben Elementarien scheidet 
also die Komplexe in »Arten«. 
Praktisch können immerhin mehrere Gruppen von Komplexen unter:» 
schieden werden, je nach dem Vorwiegen eines Elementarbestandteils. 
Wir nennen als besonders bedeutsame Gruppen: 
1. Die Wahrnehmungen schlechthin, d.h. anschauliche Gebilde von 
»Leibhaftigkeit« (Jaspers), deren »Realitäts«*charakter dahingestellt 
bleibt, und zu denen z. B. auch echte Halluzinationen und Traum«» 
gesiebte gehören^. 
2. Die Vorstellungen engeren sinnes, d. h. vornehmlich anschau* 
liehe Gebilde ohne Leibhaftigkeit; sie können einerseits Phantasie* 
gebilde oder unbestimmte Gedächtnisgebilde ohne zeitliche Lokali* 
sation, andererseits Erinnerungsgebilde, d. h. Gebilde mit spezifischer 
Lokalisation in der Zeit sein. 
3. Gefühle, d. h. Komplexe mit überragendem Lust* oder Unlustton. 
Auch sie sind vom Ich gehabt und nicht etwa seine »Zustände«, ein 
Wort, dem, wenn das Ich rein erfaßt ist, gar kein Sinn beigelegt 
werden kann. Sie können originär oder vorstellungshaft sein, aber 
das macht nur für das Anschauliche an ihnen, nicht für die Lust* oder 
Unlusttönung einen Unterschied, es sei denn der Stärke nach. 
4. Reine Gedanken oder Bedeutungskomplexe oder »Sinngebilde« ; 
unter ihnen können wir besonders hervorheben die Ordnungs* oder 
Endgültigkeitsgedanken, d. h. diejenigen, an denen alles als in end* 
gültiger Ordnung bestehend, als »richtig« erschaut wird. 
5. Dingwahrnehmungen, d. h. Wahrnehmungen im Sinne von Nr. 1 
mit dem ausdrücklichen Tone, daß Bestandteile der empirischen Wirk* 
lichkeit »gemeint« sind; wie wir wissen ^ eine recht verwickelte An* 
gelegenheit. 
Endlich nennen wir noch in unserer Auswahl 
6. DAS Willenserlebnis. Es ist nichts anderes als ein gehabter Kom* 
plex von besonders gearteter Zusammensetzung. Nichts spezifisch 
Neues tritt in ihn ein, das heißt nichts, was sich nicht auch in anderen 
Komplexen fände. 
Es ist da in dem Willenserlebnis, wenn es auf »Äußeres« gerichtet 
ist, erstens der gegenständliche kern, z. B. daß ich einen Brief schrei* 
ben »will«, zweitens die, wie man sieht, aus 6 Elementarien zusammen* 
gesetzte Tönung, daß jener Kern jetzt in unlustbetonter Weise nur 
* Es handelt sich hier also, wie man sieht, um eine lediglich »phänomenologische« 
Definition von Wahrnehmung. ' S. o. S. 158 f. 
322 
VORGESTELLT ist, SPÄTER aber in LUSTBETONTER WciSC NATURWIRKLICH SCill 
wird. Drittens kommt als Wesentlichstes noch eine besondere Tönung 
hinzu, nämlich diese: ich habe im Willenserlebnis das erZec/igfe Wissen 
darum, daß mein Leib sich an der Verwirklichung des Gewollten kausal 
beteiligen kann. Schon allein dieses Element — (»Ich kann es«) — 
scheidet Willen von Wunsch; ich kann nicht fliegen »wollen«. 
Viertens endlich tritt, beim sittlichen Willen besonders deutlich 
hervortretend, aber in matterer, ja oft in ganz trivialer Form nie fehlend, 
noch eine Endgültigkeitstönung in den »Willen« als Erlebnis ein, 
welche besagt: »das soll sein«, »das ist in Ordnung, wenn es geschieht«, 
sei die »Ordnung« auch eine Sonderordnung alltäglicher Art. Diese 
Endgültigkeitstönung ist es wohl, welche die meinen, welche beim 
Willenserlebnis von einem Element des »Jasagens« oder Ähnlichem 
reden. 
Auf den Willen folgt alsdann ohne bewußtes Zwischenglied, wenn 
Hindernisse fehlen, die Tat, wenigstens dann, wenn er »stark genug« 
gewesen ist. — 
Ganz Entsprechendes gilt von dem auf »Inneres« gerichteten Willen, 
also davon, daß ich »will«, es möge mir etwas »einfallen« (sogenanntes 
»Nachdenken«), daß ich »aufmerksam« sein »will«. Nur ist es natura 
lieh nicht mein Leib, um dessen mögliche Kausalbeteiligung ich hier 
ein erledigtes Wissen habe, sondern ein gewisses X, das ich später 
meine Seele nennen werde ^; und es liegt natürlich, wenigstens bei der 
auf einen »Einfall« gerichteten inneren Willenshandlung, insofern ein 
großer Unterschied von der äußeren vor, als der »gegenständliche 
Kern« hier nur seinen Relationen nach bekannt, seinem Sosein nach 
aber eine leere Stelle ist, welche erfüllt werden soll. Hätte ich den 
Namen, die Jahreszahl, die Aufgabelösung, auf die ich »mich besinne«, 
so brauchte ich dieses ja nicht zu tuni Hier liegt ein seltsames Para«« 
doxon vor. Über mögliche der inneren »Tat« im Wege stehende Hin* 
dernisse wissen wir hier freilich nichts Klares. 
Ein besonderes Elementarium wollen ist nicht vorfindlich; alle Ele*» 
mentarien des Komplexes »Wille« finden sich auch anderswo. Nament* 
lieh liegt nichts Bewußtes, etwa im Sinne eines »Tuns«, ja auch nur 
eines »Werdens« zwischen Wille und Tat: jener ist das frühere, diese 
das spätere diskrete Gehabte, mag später die theoretische Psychologie 
soviel »zwischen« beide setzen — (im Sinne unbewußten stetigen 
Werdens und Wirkens) — , wie sie will. Auch ist es Aufgabe der er^ 
' Näheres in Logik als Aufgabe, 1913, S. 77, und Wissen und Denken, 1919, S. 119. 
323 
klärenden Psychologie und nicht dieser unserer Vorbereitung zu ihr, 
zu zeigen, welcher Grad von »Spannung« etwa zwischen »gegenwärs« 
tiger Unlust« und »zukünftig gedachter Lust« vorhanden sein müsse, 
welche Stärke die Endgültigkeitstönung haben müsse, auf daß dem 
Willen die Tat folgt, auf daß also der Wille »echt« sei; denn das ein:* 
zige Kennzeichen dafür, daß »echter« Wille dagewesen sei, ist die Tat 
allein. Spannungen und Stärken der genannten Art dürften Ausdruck 
eines bestimmten dynamischen unbewußten Verhältnisses sein. 
Aber phänomenologisch finde ich nur vor, was ich hier kurz und 
mit Fortlassung von Nebensachen, anderenorts aber in größerer Breite 
beschrieb K Dieses in seiner Gesamtheit ist das, was man gelegentlich 
»Entschluß« genannt hat; nicht steckt dieser, sei es auch im Sinne eines 
nur sozusagen statischen Elements besonderer Art, noch als etwas 
Neues darin, ganz abgesehen davon, daß auch dann kein bewußtes 
»Tun« erlebt würde. 
Überhaupt mag noch einmal in besonderer Schärfe gesagt sein, daß 
alles bewußte Haben, wie es das Material der Psychologie bildet, eben 
Haben, aber kein »Tun« ist; es ist also weder Denken noch Wollen 
noch Urteilen im Sinne von Tätigkeit; Tätigkeit, ja Werden, Verände* 
rung kommt hier ganz und gar nicht in Frage. Das, was vulgo »Urteil 
len«, als angeblich elementare bewußte »Tätigkeit«, heißt, ersetzten 
wir ja durch unseren Begriff des mit dem ausdrücklichen Tone der 
Endgültigkeit Gehabten (»Evidenz«). Wir kennen also allenfalls das 
Urteil als endgültigen beziehlichen »Sachverhalt«, aber nicht das Urs 
teilen im Rahmen des schlicht Vorgefundenen. Und wir kennzeichnen 
das Urteil positiv, nicht aber in der üblichen unbestimmten Weise als 
etwas, das »wahr oder falsch« sein könne, was eine rein empirische, 
mit dem empirischen Bestehen der Möglichkeit des Irrtums zusammen* 
hängende Angelegenheit ist. — 
Alle von uns aufgezählten Typen gehabter Komplexe können nun 
auch als schon erledigte gehabt werden; Erledigung ist ja ein beson* 
deres elementares Ordnungszeichen (»Bekanntheitsqualität«, nach 
HöFFDiNG, bei Dingwahrnehmungen, intellektuelle Bekanntheitsquali* 
tat bei Gedanken). 
* In meinen früheren Darlegungen sah ich aber den Endgültigkeitshestandtcil nur 
im sittlichen 'Willen. Ich meine jetzt, daß er sich in irgendeiner Form stets vorfindet. 
324 
c) DAS PHÄNOMENOLOGISCHE GEDÄCHTNIS 
Die Erledigungs=tönung nun ist so recht das Grundwesens^Kenn* 
zeichen aller gehabten Komplexe und bedarf daher noch einer 
näheren Erläuterung. 
In ihrer einfachsten Form meint sie, daß etwas schon einmal da war, 
daß es bekannt ist. Da bezieht sich also das Erledigungszeichen ledige 
lieh auf die mit ihm verbundenen Inhalte selbst. 
Aber — und eben das ist das »Grundwesenskennzeichen« alles Ge* 
habten — nichts ist im eigentlichsten Sinne des Wortes das zweite^ 
mal »ebenso« da, wie das erstemal, weil ja alles zwischen jenem »ersten« 
und »zweiten« Mal gehabt Gewesene sozusagen aufbewahrt worden 
ist. In diesem Sinne trägt jedes Gehabte ein Ededigungszeichen nicht 
nur für sich selbst als gehabt Gewesenes, sondern auch für Fremdes, 
ja im Grunde für alles fremde je gehabt Gewesene an sich. 
Wir mögen jene zuerst genannte einfachste Form der Erledigung 
die eigeninhaltliche, ihre zweite Form die fremdinhaltliche nennen. 
Habe ich z. B. bewußt den Gedanken »der Kölner Dom«, so trägt 
dieser Inhalt zum ersten das eigeninhaltliche Erledigungszeichen an 
sich, daß ich eben ihn schon kenne; zum anderen aber hängt ihm auch 
mein gesamtes anderes früheres Erleben seiner Inhaltlichkeit nach als 
in seinen einzelnen Teilen mehr oder weniger deutlich bewußtes an. 
Und das alles ist nun auch noch mit damaZs «Tönungen und mit damals^ 
Erledigungs sTönen durchsetzt. 
Diese seltsame Sachlage kann Gedächtnis im phänomenologischen, 
d.h. im eigentlich erlebnismäßigen (nicht im »psychologischen«) Sinne 
heißen. Was Bergson »duree« nennt, ist wohl das, an was auch ich 
hier denke: Jeder beliebige gehabte Inhalt ist in diesem Sinne das 
Ganze an Erleben, mein Ganzes an Erleben. Nicht daß »Ich« ein an^ 
derer würde durch mein Erlebthaben; Ich bin immer schlicht und 
schlechthin Ich; und auch bewußt haben ist immer bewußt haben. 
Aber das Gesamte des Ich habe bewußt Etwas kann nie wieder »das^ 
selbe« sein, was es gewesen ist, weil es im Wesen des Etwas als des 
gehabten Etwas liegt, jeweils die Gesamtheit alles gehabt Gewesenen 
mehr oder minder klar mit sich zu tragen. Nur in Krankheitsfällen 
(Amnesien, Paramnesien) ist das anders. 
Dieser Sachverhalt des Sichdurchdringens, Sicheinschließens, Sich* 
umhüllens, Sichumfassens alles je gehabt Gewesenen im Jetzt*Gehabs» 
ten — (oder wie sonst man durch die gänzlich unzureichende, weil 
immer in räumlicher Verkleidung einherschreitende, Sprache das aus«« 
325 
drücken will, was hier vorliegt) — dieser Sachverhalt allein bringt 7.u* 
sammenhang, »Kontinuität«, in die Fülle des Gehabten, obwohl Ich 
mich nicht als tuenden oder »machenden« erlebe, so daß also bewußt 
»zeitliche« Kontinuität nicht vorliegt. Nirgends ist, um mit Bruno 
zu sprechen, das Minimum so sehr zugleich das Maximum wie im be*» 
wüßt gehabten Gegenstand. Aber es handelt sich nur um eine Inhalts«, 
nicht um eine ZEiT*'»Kontinuität«. — 
Betrachten wir gerade an dieser Stelle noch einmal das Verhältnis 
des Habens des Ich und des Gehabthabens des Selbst zur Zeit. 
Ich in meinem Haben bin zeitunbezogen und habe, wenigstens ur^ 
sprünglich, nicht einmal im Jetzt. Ich setze »meinend« den Begriff 
Zeit an der Hand der Reihe der gehabten Dama/s ^Tönungen und 
setze mein Selbst als das gehabt habende hinein. Dann, aber erst 
DANN, setze ich auch mein Ichs» haben in einen »Zeitpunkt« und sage, 
daß Ich im Jetzt, als dem Abschluß der Zeitreihe, habe. 
Im Rahmen der gemeinten Zeit^reihe rücke also ich, sozusagen, mit 
jedem neuen Haben sprunghaft vor. Aber so »meine« ich es eben nur, 
WENN ich ausdrücklich die Gesamtheit des Gehabten als Gehabtes 
zum Gegenstand, zum »Objekt« mache. Für das unmittelbare Haben 
bleibt auch jetzt alles ganz anders, und zwar sehr seltsam: Da rücke 
ich nicht vor in meinem Haben, sondern da »habe« ich ganz und gar 
»stationär«, aber die Vergangenheits* Kette des Erlebten, also die 
Kette des von meinem Selbst gehabt Gewesenen, wird immer länger. 
Ich gehe also nicht der »Zukunft« entgegen — (das gehört in den Rah* 
men des »Meinens«) — , denn ich »gehe« überhaupt nicht, wohl aber 
wächst meine »Vergangenheit«, und zwar »intercalar«, um einen em* 
bryologischen Ausdruck bildlich zu verwenden. Das unmittelbar ge** 
habte Zeithafte, d. h. die Reihe der gehabten Dama/s -Tönungen, läuft 
also NACH rückwärts! Das »gestern« wird zum vorgestern, zum vor* 
vorgestern usw. Der Habenspunkt, im Sinne des »Meinens« das Jetzt, 
bleibt dabei zeitfrei stehen. Und auch das ist schon nicht das »Aller«* 
unmittelbarste, welches vielmehr, wie gesagt, lediglich in einem Haben 
von Durchdringungen aller möglichen besonderen Tönungen von 
Eigenerledigung, Fremderledigung, Damals und Damalserledigung be* 
steht. Das allein ist die wahre »donnee immediate de la conscience«. 
Mit dem Tatbestand des phänomenologischen Gedächtnisses hängt 
nun eine schon angedeutete Schwierigkeit für die gesamte psycho* 
logische Wissenschaft oder Philosophie zusammen, die hier noch ein 
für allemal genannt und damit als erledigt gelten mag: Nicht zwei Er* 
326 
lebnisse des Selbst können strikte dieselben sein, denn das zweite, sei 
es materialiter den meisten Zügen nach wie das erste, unterscheidet 
sich doch eben schon dadurch von ihm, dass es das »zweite« ist und 
damit Erledigung für das erste mehr oder minder klar an sich trägt. 
Aus diesem Grunde nun kann es psychologisch keine Klassen mit 
vielen Fällen, kein »Gesetz« geben, die strikte auf das Einzelnste in 
seiner letzten Besonderheit gehen; denn es gibt auch nicht zwei ein^« 
ander ganz gleiche »Einzelnste«. Alle Gesetze in der Psychologie kön«» 
nen also nur Allgemeines, können nur das Universale betreffen. Man 
wird sagen, das sei auch in der Naturlehre der Fall, insofern auch hier 
das hie et nunc jedes Naturetwas einzig sei. Aber das Quäle kann hier, 
wenigstens bei den Urdingen, als klassenhaft seiend gedacht werden; 
UND GERADE DAS QuALE ALLES ErLEBTEN IST EINZIG, SO daß alsO UnserC 
Klassifikation der komplexen psychischen Materialien im letzten Sinne 
nur aus praktischen vorläufigen Bedürfnissen entsprang und aus nichts 
anderem, wie wir auch schon früher gesagt haben. 
d) DER y>TRÄGER<^ 
ES scheint, als könnten selbst die »unanschaulichsten« gehabten 
Komplexe eines anschaulichen »Trägers« nicht entbehren, was 
schon Aristoteles gewußt hat. Der Gedanke »Kants Beziehung zu 
Hume« ist gewiß »abstrakt« ; wird er gehabt, so wird nun aber stets 
AUCH etwas Anschauliches gehabt, sei es ein »gesehenes« großes H 
oder eine Empfindung bewegter Lippen, die »Kant« aussprechen, oder 
je nach dem »Typus« des Erlebens etwas anderes. Es besteht keine 
feste Verknüpfung zwischen Träger und Getragenem; aber der Träger 
ist immer da, er ist unvermeidliches gehabtes Beiwerk, das aber die 
»Noesis«^Lehre anmerken muß. 
Hierher gehört, wie mir scheint, auch das Richtige an Bergsons Lehre, 
daß Zahlen und Zahlbeziehungen nur auf dem Grunde eines räum* 
haften Mediums erfaßt werden können. Nicht als ob den Bedeutun*« 
gen von 3 oder von ^VS etwas »Raumhaftes« anhaftete; aber ihr aktu*« 
elles Gehabtsein ist stets mit Raumhaftem als unvermeidlichem Bei*» 
werk beladen. — 
e) ABGELEHNTE BEGRIFFE 
Gar nicht oder doch nur beiläufig verwendet haben wir in unserer 
Darlegung der Arten der gehabten Elemente und Komplexe die 
heute so üblichen Worte »Akt« und »Intention«. Wir brauchten sie 
nicht, jedenfalls nicht schon an dieser Stelle. 
327 
Das Wort »Akt« hätten wir ja vielleicht für unser sich selbst wissen»* 
des Haben verwenden können» wenn es uns nicht gar zu sehr nach 
»Tätigkeit« aussehe. Aber Haben wäre uns auch dann die einzige Spe^ 
cies des Genus »Akt« gewesen. Wozu zwei Worte für ein und die*» 
selbe Sache? 
Das Wort »Intention« könnte vielleicht an Stelle dessen stehen, was 
wir das »Meinen« mittelbarer, empirischer Gegenstände mittelst un* 
mittelbarer Gegenstände nennen, also das »Meinen« natur»* oder seelen^ 
wirklicher Gegenstände. Aber auch das Wort »Intention« suggeriert 
gar zu leicht ein nicht vorfindliches Tun, eine »Stellungnahme« oder 
dergleichen. Sagt man uns aber, das tue unser Wort »meinen« auch, 
so wollen doch wir noch einmal ganz ausdrücklich betonen, daß es 
das jedenfalls nicht soll. Das »als empirisch Wirkliches bedeutend 
Gemeintsein« ist, wie wir auch oben auf Seite 163 gesagt haben, nichts 
als eine Tönung, ein Zeichen, das gewissen gehabten Gegenständen 
anhängt. Und wenn ich sage: ich »meine« mit einem unmittelbaren 
Inhalt einen mittelbaren Gegenstand, so ist das nur ein kurzer Aus* 
druck für eben jenen Sachverhalt. Nicht »verhalte« Ich mich anders 
im Sinne einer Stellung oder gar eines Tuns, wenn ich den unmittel* 
baren Gegenstand »2« und wenn ich den mittelbaren Gegenstand 
»Mein Hund« habe. Die Gegenstände, welche ich habe, sind andere 
ihrer Konstitution nach, der eine hat eine Tönung, welche der andere 
nicht besitzt. 
»Funktionen« aber, wenn wir das Wort zu verwenden Anlaß hätten, 
wären uns geschaute Bedeutungs* Begriffe der eigentlichen konstru* 
ierenden Psychologie, ebenso wie »potentielle Energie« ein geschauter 
BedeutungsbegrifF der Naturlogik ist, nicht aber Vorfindliches, das 
etwa besondere Seiten der Ichheit bezeichnete. — 
Soviel über die einen Vorraum zur Psychologie bedeutende Material* 
lehre, welche im Grunde eine Wissenschaft für sich ist und ja auch 
anfängt, als solche zu gelten. In ihr schaue ich mein Selbst in den 
DURCH DIE Inhalte bestimmten Wesenstypen seines Habens, welches 
aber als Haben immer dieselbe »Akt«*art bleibt. 
3. VERKNÜPFUNGSLEHRE 
Es erwächst die Aufgabe, Ordnung in der Gesamtheit der Mate* 
rialien zu schauen, d. h. es erwächst die Aufgabe : »Psychologie«. 
Was ich als otdnungsmonistisches Ideal bezeichnet habe, besteht nun 
in Form eines Wunsches auch hier, d. h. ich »möchte« gern die Ge* 
328 
samtheit des Materials als eine ganze Ordnung mit einem Blicke 
schauen, so daß jede Einzelheit der in der Zeit nacheinander vor dem 
Selbst stehenden Materialien ihren einen bestimmten Platz in dieser 
einen Ordnung hätte. Aber ebenso wie in der allgemeinen Logik und 
in der Naturlogik ist auch hier das ordnungsmonistische Ideal uners« 
FÜLLBAR. Wie dort, so müssen wir uns auch hier mit Surrogaten he^ 
helfen und zufrieden sein, wenn wir wenigstens etwas an Ordnung an 
den in der Zeit in mannigfachem Wechsel vor dem Selbst stehenden^ 
Materialien schauen können. Dabei wollen wir so vorsichtig und lang^ 
sam vorgehen wie möglich. 
Wir suchen also besondere psychologische werdebezügliche Ord^ 
NUNGSBEGRiFFE, den Begriffen Kraft, Energie, Potential, embryonale 
Potenz usw. aus der Naturlehre vergleichbar. Die neue Aufgabe ist 
NACH Seite des gegenständlichen statischen »Schauens« von der be»« 
reits erledigten Aufgabe, die sich auf die Materialien bezog, nicht ver*» 
schieden. Der so oft und noch jüngst in guter Weise von Koffka^ be^ 
handelte Unterschied von »Deskriptions«^ und »Funktions«?begriffen 
ist in diesem Sinne also äußerlich. »Gemacht« werden auch die Funks» 
tionsbegriffe nicht; sie werden in der Gesamtheit der psychologischen 
Gegenständlichkeit, des psychologischen Etwas, als bestehend ge^ 
schaut, ganz ebenso wie das Wesen etwa von »Wille« in der Material^ 
lehre geschaut war. Daß sie so oft »verbessert« werden müssen, jeden«! 
falls viel öfter als Wesenskennzeichnungen von Materialien, täuscht 
ihr Gemachtsein vor. Die Kantische Lehre von gegebener »roher« 
Materie und hinzutretender aktiv gemachter »Form« ist hier gerade 
so falsch wie in der Naturlehre. 
Mit Rücksicht auf das gegenständliche Geschautwerden ihrer Be>» 
deutungen besteht also kein Unterschied zwischen »Deskriptions«* 
und »Funktions«s'begriffen der Psychologie. In anderer Hinsicht frei* 
lieh besteht nun ein solcher, und zwar ein sehr tiefgreifender, Unter»» 
schied allerdings: 
Die Materialienbegriffe bedeuten mir unmittelbar Erfaßtes, Erlebtes, 
Verstandenes, oder wie man hier sagen will, »Rot« oder »Freude« — 
nun, das »ist« eben so, wie ich es habe. Alle Funktionsbegriffe aber 
betreffen, wie sich des Näheren zeigen wird, Verknüpfungen zwischen 
den Materialien im Sinne eines Werdens und Wirkens. Ich erlebe 
^ Man beachte, daß ich nicht sage: an den »kommenden und gehenden«. So darf 
höchstens populär gesagt werden. ' Zur Analyse der Vorstellungen und ihrer Ge* 
setze, 1912, S. 1-17. 
329 
aber nicht mich als Werdenden und erst recht nicht als Wirkenden, 
kurz als »Tuenden«, so wie ich mich als Habenden erlebe. Alle Tuns*, 
Werdens*», Wirkens^begriffe im Psychologischen, wie wir sie aufstellen 
werden, sind also, sozusagen, ich* fremd, ganz ebenso wie im Natur* 
haften; sie sind bloß gemeint, d. h. zwar bedeutungshaft geschaut, aber 
nicht »erlebt«, und das Stetige, was in ihnen steckt, ist stets in dem 
umständlichen Sinne des arithmetischen Stetigkeitsbegriffs zunehmen^. 
Das ist es wohl, was man meint, wenn so oft gesagt wird, Assoziation, 
determinierende Tendenz und was sonst noch seien »unbewußt«, wäh* 
rend die unmittelbaren Gehabtheiten — wozu also auch das Meinen 
der Werdens* und Wirkens*begri£fe selbst gehört — »bewußt« seien. 
Wir selbst werden freilich bald den Begriff des »Unbewußten« schär* 
fer und allgemeiner fassen. 
Es war ein Irrtum Kants, daß er nicht nur alle Verknüpfungen, zumal 
kausaler Art, »gemacht« sein ließ, sondern dazu noch dieses Machen 
oder Tun als ein erlebtes, »bewußtes« ansah. 
Unmittelbar erlebt wird also nicht ein Tun, also auch nicht ein 
»Machen« des einen gehabten Gegenstandes zu einem anderen. Erlebte 
ich mich »tuend« und »machend«, so wäre die Psychologie eine viel 
einfachere Angelegenheit, als sie ist. — 
Es soll nun also in der Gesamtheit der psychologischen Materialien, 
d. h. in der Abfolge der Erlebnisse Ordnung »geschaut« werden, und 
zwar im Rahmen des Werdens, d. h. des Andersseins eines in gewissem 
Sinne Beharrlichen in Zuordnung zur stetigen Zeit. Wir werfen pas* 
send, ehe wir an die Arbeit gehen, einen kurzen Rückblick auf die 
»Methodologie« der Naturlehre. 
Auch in der Naturlehre gab es Materialien und Ordnung des Wer* 
dens. In der Naturlehre waren alle Materialien von der Form Jetzt= 
Hiev=So, aber nicht alle JetztsHiersSo-Daia durften als Materialien 
für Natur gelten^. 
Jetzt sind die Materialien von der ¥oTmJetzt=So, oder, wenn man 
so will, Ich-JetztsSo, d. h. »Ich habe bezw. mein Selbst hatte in einem 
bestimmten Zeitpunkt bewußt solches«. Das »hier« der Naturlehre 
fehlt, wie man sieht, obschon »hier«*Kennzeichnungen natürlich in die 
erlebten Soseine eintreten können. Denn die Erlebnisse sind doch nicht 
selbst »irgendwo«. Das »ich«, im Sinne des »von mir (bezw. vom 
Seihst) erlebt«, spielt dagegen eine besonders ausgeprägte Rolle. 
Und noch ein anderer Unterschied besteht zwischen den Materialien 
^ S. o. S. 113fF. * S. o. S. 158ff. 
330 
der Natura und der Seelenlehre : Alle /c/i=7ef2^=5o=Data sind Material 
für diese, denn sie handelt von der Abfolge alles Erlebens als Er«» 
lebens; aber nicht alle Jefz^- Hier« »So = Data waren für jene Material, 
denn sie verknüpfte ja nicht alles gehabte raumhafte Etwas als Etwas, 
sondern nur solches gehabte raumhafte Etwas, welches mittelbare 
Naturgegenstände »meinen« durfte. 
Anders gesagt: Nichts Gegenständliches ist nicht erlebt, aber nur 
einiges erlebte Gegenständliche — (das Geträumte z. B. nicht) — 
meint Natur, 
Freilich darf man nun nicht etwa denken, man habe es mit der 
Materialienbeschaffung in der Psychologie leichter als in der Natur* 
lehre. In dieser bot die Auswahl der richtigen Jetzt = Hier = So = T>ata. 
bekanntlich eine große Schwierigkeit. Diese Schwierigkeit besteht nun 
für die Seelenlehre freilich nicht; aber an ihre Stelle tritt eine andere, 
welche uns das Problem der sogenannten Erinnerungsgewissheit^ 
noch einmal in neuer Form vor Augen stellt. Ich habe ja doch alle 
Materialien, die ich als solche verknüpfen will, im Jetzt mit dem Da= 
maZs^tone spezifischer Art. Eben in dieser Hinsicht nun kann ich mich 
»irren«, und zwar sowohl in bezug auf das So wie das spezifische Da= 
mals. Nur praktisch lassen sich bekanntlich einigermaßen befriedigende 
Kriterien für »richtige« Erinnerung aufstellen. Man sieht, es handelt 
sich um ähnliches wie früher, nur daß es dort bloß auf das »Wesen« 
ging, während jetzt die spezifische 5o= da ma/s« Verkettung in Frage steht. 
Andere Ergebnisse der Methodologie der Naturlehre gestatten eine 
viel einfachere Überschreibung auf das Blatt der Seelenlehre, denn sie 
gelten im letzten Grunde für alles »Empirische«. 
Da ist zunächst die Übertragung der Urbedeutungen vom Reiche 
des Unmittelbar* Gegenständlichen auf das Reich mittelbarer Gegen* 
stände, zu denen ja das Seinsreich der »Seele«, von dem wir zu reden 
haben werden, gehört. Es soll also einen Sinn haben, von dieser Seele 
oder von vielen »Seelengegenständen« — (wenn es solche gibt) — zu 
sagen, daß sie als mittelbar gemeinte gleichsam Selbständige diese^ 
solche, soviele, bezogen, verschieden usw. seien ^. Hier liegt weder 
etwas Neues noch eine Schwierigkeit vor. 
Beides gibt es aber auch nicht angesichts der Begriffe Klassen^ 
induktion und Systematik. »Assoziation« z. B. gibt es als Klasse mit 
vielen Fällen, als »Gesetz«, dessen Formung freilich stets den Ton des 
»vielleicht« tragen muß. Die verschiedenen seelischen »Faktoren« la ssen 
' S. o. S.319. ' S.o. S.164f. 
331 
sich auch klassifizieren, zu einem System gestalten, und zwar zu einem 
System mit Stufenbau, ganz wie etwa das System der Organismen 
oder der Naturkräfte es ist; es mag z. B. die großen Gruppen der 
summenhaften und der ganzheitlichen Faktoren geben und in jeder 
»Arten«, vielleicht mit »Unterarten«. 
Man wird sagen, wir hätten diese Betrachtungen der Materialien^ 
lehre voranstellen sollen. Das wäre aber doch nicht ganz sachgemäß, 
es wäre nämlich überflüssig gewesen, und zwar deshalb, weil ja die 
Materialien der Psychologie unmittelbare, d. h. unmittelbar gehabte 
(oder doch gehabt s* gewesene) Gegenstände sind, und weil für un# 
mittelbare Gegenstände die Urbedeutungen, der Klassen* und der 
SystembegriflF originaliter gelten. 
Wir treten nun vorsichtig an unsere Ordnungsaufgabe heran. 
a) DIE VERKNÜPFUNGSBEGRIFFE ERSTER STUFE 
a) ALLGEMEINSTES 
Ich setze ein unbestimmtes Etwas, das meinem Selbst und seinem 
Haben zugrunde liegt, ein Etwas, welches ich zunächst noch so 
unbestimmt fasse, daß ich ihm fürs erste nicht einmal einen Namen 
gebe. Aus diesem Etwas stammen die bewußt gehabten Gegenstände 
— wenigstens soweit das sogenannte »Innenleben« in Frage kommt; 
in ihm »sind« sie, solange sie nicht gehabt sind, in unbestimmbarer, 
aber jedenfalls nicht in der gehabten, »bewußten« Form. Das un* 
bestimmte Etwas hat Retentionsvermögen, d. h. das Vermögen, die 
Gegenstände in ihrem nicht bewußt gehabten Zustand aufzubewahren; 
es hat auch Reproduktionsvermögen, d. h. es kann sie in den bewußten 
Zustand übergehen lassen, es kann Reproduktion leisten. Der erste 
dieser Vermögensbegriffe ist sehr allgemein, der zweite ist sehr un* 
bestimmt. Wer hat denn das »Reproduktions«« vermögen? Das un* 
bestimmte Etwas, »in« dem alles ist, als Ganzes, oder einige der un* 
bewußten Gegenstände in ihm inbezug auf andere? Und auf dasVer* 
mögen der einzelnen Gegenstände, reproduziert zu werden, kann das 
Wort doch wohl auch gehen; es kann also auch eine dvvafugxovna'&eXv 
im Sinne des Aristoteles bedeuten. Diese passive Dynamis, für die 
gelegentlich auch das Wort Reproduktionsvermögen steht, drückt man 
meist freilich so aus, daß man sagt, es habe jeder einzelne Gegenstand, 
der gewußt gehabt werden kann, jeweils eine Disposition oder Bereit* 
SCHAFT, stärkeren und schwächeren Grades, in den bewußten Zustand 
übergeführt zu werden. 
332 
Reproduktionen von Gegenständen erfolgen also auf Grund von 
Dispositionen derselben im nicht*bewußten Zustand und auf Grund 
des Retentions* und Reproduktionsvermögens des Etwas, was »Grund« 
des Selbst und seines Habens ist. 
Das alles sind — recht unbestimmt ordnende Worte, nicht viel mehr; 
vielleicht sind es sogar schlechte Worte, denn ob wirklich ein »Re««« 
produzieren statt hat, ist zum mindesten nicht ausgemacht, wie noch 
gezeigt werden wird. 
Von Bedeutung ist bis jetzt vor allem dieses: es wird ohne viel Zau»« 
dern ein Un^bewußtes gesetzt, das zum Selbst in Beziehung steht, und 
zwar sogar gleich in mehrfachem Sinne: sowohl jenes »Etwas« über»* 
haupt ist unbewußt als auch die Gegenstände, solange sie »in« ihm — 
(ein anderes als dieses unpassende Wort steht nicht zur Verfügung) ~ 
reteniert werden. Das Unbewußte wird dabei nicht etwa als »physisch« 
gedacht, sondern als eine zunächst noch unbestimmt gelassene An* 
gelegenheit sui generis. 
ßj PERSEVERATION UND ASSOZIATION 
Der nächste Schritt der ordnenden Psychologie knüpft an ein aktus« 
elles Wissen um die vor dem Selbst stehenden Gegenstände an: 
Zunächst einmal ist mir bewußt, daß Gegenstände, welche ich er*» 
lebte, namentlich wenn das Erleben affektbetont, besonders klar oder 
interessebetont war, gern wiederkommen. In solchen Fällen spreche 
ich von ihrer Perseveration und schreibe den Gegenständen in ihrem 
unbekannten unbewußten Zustande eine Perseverationstendenz zu, 
welche sich besonders gern bald nach ihrem affektbetonten oder be«! 
sonders klar oder interessebetonten Erlebtgewesensein äußert^ 
Aber nicht nur treten ungefähr^ dieselben Gegenstände gern zu 
häufigen Malen vor das Selbst, so daß sie nicht nur gehabt, sondern 
ausdrücklich wiedergehabt (»wiedererkannt«) werden, sondern es 
treten auch dieselben paarweisen zeitlichen Verkettungen ungefähr 
derselben Gegenstände, mögen sie Vorstellungen engeren Sinnes, oder 
GefühP und Vorstellung, oder Vorstellung und Gedanke betreffen, in 
vielen Fällen auf und werden als schon dagewesene Verkettungen er* 
lebt. Das wiederholte V^erkettetsein derselben Paare von bewußten 
* Man beachte, daß wir hier den der Psychophysik angehörigen Begriff einer Wahr« 
nehmung durch die »Sinne« noch gar nicht kennen. ' Daß es nicht »ganz die« 
selben« sein können, wurde auf S. 327 gesagt. ' Im einzelnen wird in diesem 
Werke, welches nur das Grundbegriffliche bringen soll, auf die strittigen Fragen 
nach der Gesetzlichkeit des Auftretens der Gefiihle nicht eingegangen werden. 
333 
Gegenständen heißt Assoziation. In diesem Sinne bezeichnet also Asso* 
ziation einen vorgefundenen bewußten Sachverhalt, der natürlich mit 
der Perseveration in Konkurrenz tritt. Ebenso ist es ein schlichter Sach^ 
verhalt, daß Gegenstände um so öfter zeitlich verkettet sind, je häus* 
figer sie schon zeitlich verkettet waren, und daß affektbetonte Gegen^ 
stände besonders gern in Verkettung auftreten, auch wenn noch keine 
häufige Verkettung vorherging. 
Das alles gilt von bewußten Gegenständen beliebiger Art, gleiche 
gültig, »woher« sie kommen; es gilt also nicht nur von Gegenständen, 
welche das erstemal als »anschauliche« Wahrnehmungen von empi«« 
rischen »Dingen« verkettet waren. Wohlverstanden, es gilt von »Gegen* 
ständen«, so wie sie wirklich erlebt werden, also von KoMPLEx^gegen* 
ständen, nicht von den durch Selbstbesinnung künstlich heraus* 
geschälten Elementen des Gehabten. »Rot« oder »Cis« oder »Warm« 
sind also nicht etwa mit »Grün« oder »Dis« oder »Kalt« in Asso* 
ziation, oder sie sind es doch nur sehr selten und dann in ganz be* 
stimmter Betonung — (z. B. »Rot*Grün«*Blindheit), so daß sie also 
auch dann nicht eigentlich als Einfachheiten auftreten. 
Es handelt sich hier, wohlverstanden, nur um zeitliche Verkettung. 
Wenn die übliche Psychologie von Berührungs^assoziation spricht, 
im Unterschiede von einer anderen »Assoziations«*form, von der wir 
alsbald zu reden haben werden, und wenn sie räumliche und zeitliche 
Berührung unterscheidet, so muß dem gegenüber gesagt sein, daß es 
psychologisch »räumliche« Berührung nicht gibt, weil es nämlich hier 
nichts Raumhaftes gibt. Daß »Dinge« oder »Vorgänge« beieinander 
im Räume sind, geht doch offenbar die Psychologie nichts an; ihr 
kommt es nur darauf an, dass in zeitlicher Verkettung erlebt wird. 
Wenn beieinander im Räume befindliche Dinge wahrgenommen 
werden, ist ja eben auch zeitliche »Berührung« mit Rücksicht auf das 
Erleben da, und nur diese steht psychologisch in Frage. — 
»Assoziation« war uns bis jetzt nur das schlicht^gekannte Verkettet* 
sein oder Verkettetgewesen sein, also ein Wort für einen bewußt ge* 
habten Sachverhalt. Nun geht man aber weiter. Man redet wieder, wie 
schon früher, von Gegenständen in un^bewußter Form, befindlich in 
jenem unbestimmten unbewußten Reiche des Etwas, und schreibt 
diesen nach Maßgabe ihres bewußten zeitlichen Verkettetgewesenseins 
eine assoziative Affinität zu als so etwas wie ein Vermögen oder eine 
Potenz: Der Gegenstand A steht vor dem Bewußtsein, er trat früher 
sehr oft in Verkettung mit B bewußt auf, also hat er jetzt die »Kraft«, 
334 
B aus dem unbewußten Zustand in den bewußten zu überführen, B 
andererseits hat das (passive) Vermögen, der Überführung zu ge* 
horchen. A kann also »reproduzieren« nach Maßgabe assoziativer 
Affinität, B kann reproduziert werden. Wenn wir uns an die oben er»* 
wähnte Mehrdeutigkeit des Wortes »Reproduktion« erinnern, so sehen 
wir also, daß jetzt — (ob endgültig, stehe dahin) — das aktive oder 
passive Vermögen zur Reproduktion ausdrücklich den einzelnen 
psychischen Gegenständen als solchen zugeschrieben wird. 
Bedenklich ist nun, daß ganz offenbar assoziative Verkettungen 
nicht in dem Sinne eindeutig sind, daß stets auf das bewußte A das 
bewußte B folgt. Doch davon später und an dieser Stelle nur schon 
das Eine, daß assoziative Affinität offenbar höchstens nur einer von 
den Faktoren ist, welche für das bewußte Auftreten von Gegenständen 
in Frage kommen. Wäre sie allein tätig, wäre also der psychische Ab* 
lauf sozusagen eindimensional, so könnte offenbar nie Neues im reinen 
Erleben, also von der Wahrnehmung abgesehen, auftreten; alle so«* 
genannte »Phantasie«*gebilde wären unmöglich ; sie sind aber doch da. 
Die dynamische Äusserung assoziativer Affinität wird nun, leider, 
auch kurz »Assoziation« genannt. 
Assoziation in diesem Sinne, also als Vorgangs^bestimmer ist ganz 
offenbar »unbewusst«; das Wort meint also hier etwas ganz anderes 
als da, wo es einem Sachverhalt bewußter Art Ausdruck geben sollte. 
Assoziation als Vorgangs^bestimmer ist Bedeutungsbegriff der theo«« 
retischen Psychologie. Wo irgendein bestimmtes assoziatives Verhält«« 
nis als wirkend gesetzt wird, wird es also gemeint als gleichsam für 
sich bestehend »in« jenem unbestimmten und bis jetzt noch namen* 
losen »Etwas«, ganz ebenso wie eine bestimmte potentielle Energie 
irgendwo in der Natur. — 
Neben die Berührungsassoziation stellte die übliche Psychologie 
die (dynamische) Assoziation nach Ähnlichkeit. Nicht nur nach 
Maßgabe zeitlichen Verkettetgewesenseins im bewußten Zustande 
sollen sich psychische Gegenstände mit Rücksicht auf ihr Bewußt»« 
werden hervorrufen, sondern ein bewußter Gegenstand A soll auch 
die Reproduktion solcher anderer Gegenstände bedingen können, 
welche ihm »ähnlich« oder auch besonders »unähnlich« (Assoziation 
durch Kontrast) sind, wobei wieder, wie bei der Berührungsassoziation 
im eigentlich psychologischen (nicht im phänomenologischen Sinne) 
das eigentlich Dynamische, das Veränderung Bestimmende »unbewußt« 
gedacht wird, so daß also nicht das bewußt gehabte Erlebnis »ähnlich« 
335 
in Frage kommt. Wir erkennen nun, meine ich, sofort eine bedenkliche 
Seite auch dieser Lehre: jeder Gegenstand ist doch offenbar in gewisser 
Hinsicht jedem anderen ähnlich und auch unähnlich. »Ähnlich« und 
»Unähnlich« sind zwei sehr allgemeine und unbestimmte ßeziehungs* 
arten ; ein Kater ist dem Kaffee »ähnlich«, insofern die deutschen Worte 
für beide mit einem Ka anfangen, aber auch dem Hunde als Raubtier 
und der Nixe, insofern er, als gestiefelter Kater, in die Fabel eingeht. 
Offenbar kann von »Kater« aus das Vorstellungsspiel auf allen drei 
und noch auf sehr vielen anderen Wegen weitergehen, je nach — nun, 
sagen wir einstweilen, den »Umständen«. Damit aber ist gesagt, daß 
»Ähnlichkeits«assoziation eigentlich ein so gut wie nichts besagendes 
Wort ist. BfiziEHUNGsassoziation könnte man ebensogut, und ebenso 
sinnleer, sagen. 
Man hat auch von einer »Assoziation« nach dem Schema Ganzes >- 
Teil und Teil > Ganzes geredet. Meint man das im Sinne echter 
Assoziation, so daß also erst der Teil, dann das Ganze bewußt ge* 
habter Gegenstand ist oder umgekehrt, so bleibt alles ebenso unbe* 
stimmt, denn ein Ganzes hat bekanntlich meist sehr viele Teile, und 
ein Teil kann Teil in unbestimmt vielen Ganzen sein ; (der Fuchs ist 
Teil des zoologischen Systems, des zoologischen Gartens, einer Jagd, 
eines Märchens usw.). Anders natürlich, wenn gelehrt wird, die all^ 
mähliche unbewusste Ergänzung eines Einzelnen zu einem als solchen 
früher einmal bewußt erlebt gewesenen Komplex sei das dynamisch 
Wesentliche, überhaupt sei schon bei der Berührungsassoziation das 
Erlebtgewesensein des Zusammenhanges, nicht die bloße zeitliche Ver* 
knüpftheit, grundwesentlich. Mit dieser Lehre wird natürlich die echte 
»Assoziations«lehre preisgegeben. Wir kommen darauf zurück. — 
Auf alle Fälle hat die Erwähnung der sogenannten Ähnlichkeits* 
assoziation uns weitergebracht, weil sie uns zu dem Begriff der (7m= 
stände führte. In diesem zunächst noch sehr unbestimmten Begriff 
ruht in der Tat die Möglichkeit weiteren ordnenden Fortschritts. 
Weil echte, nämlich Berührungs^Assoziation nicht in unwiderruf»« 
lieber Eindeutigkeit das nächste Bewußte zu einem bewußt gegebenen 
Gegenstand A liefert, ganz abgesehen davon, daß sie das Auftreten 
von Phantasiegebilden nicht erklärt, weil andererseits ein bloßes Ope>« 
rieren mit Begriffen wie »ähnlich«, »bezogen« usw. zu nichts führt, so 
muß man sehen, ob man nicht weiter kommt, wenn man sich ent* 
schließt, die Reflexion auf eine bloße kettenartige, eindimensionale 
Verknüpfung psychischer Gegenstände aufzugeben. Man muß gleich* 
336 
sam eine neue Dimension einführen; mit der bloßen »Linie« geht es 
nicht; vielleicht braucht man sogar mehrere neue »Dimensionen«. 
y) KONSTELLATION 
Zunächst schaute man den Begriff der Konstellation : Die seelischen 
Gegenstände in ihrem hypothetischen unbewußten Zustand be*« 
finden sich in einer bestimmten (selbstredend nicht räumlichen) »Lage« 
zueinander. Steht nun ein Gegenstand A in seiner bewußten Form vor 
dem Selbst, so hängt, was auf ihn in bewußter Form folgen wird, nicht 
nur von seiner assoziativen »Kraft« ab, sondern auch von der »Kon* 
stellation« alles Unbewußten überhaupt. Bei anderer Konstellation er* 
gibt sich an Stelle eines B^ ein B^. Hier ist nun zwar der ganz strenge, 
praktisch wohl nie rein vertretene Assoziationsbegriff durchbrochen, 
aber auch hier spielen, obwohl der Rahmen des bloß Linienmäßigen 
und Faarweisen verlassen ist, die seelischen unbewußten Gegenstände 
als JEWEILS EINZELNE eine durchaus summenhafte Rolle. Es handelt sich 
um eine Analogie zur mechanischen »Resultante« oder auch »Be«* 
dingung«, wenigstens, wenn der Begriff »Konstellation« im ganz 
strengen Wortsinne genommen wird und nicht in dem Sinne (wie Selz 
z. B. ihn faßt und übrigens auch als unzureichend bekämpft), daß die 
gleich zu erörternden »determinierenden Tendenzen« Konstellationen 
dadurch schaffen, daß sie gewisse Bereitschaften sozusagen ein*, ge* 
wisse andere Bereitschaften abstellen. Hier arbeitet ja schon etwas 
Höheres mit der Konstellation als mit einem Mittel. 
8) EINSCHRÄNKENDE UND TOT ALISIEREN DE FAKTOREN 
Aber eben diese Vereinzelung der seelischen Dinge, ihr bloßes, 
wenn auch mehr als nur »eindimensionales« Beieinandersein ge* 
nügt nicht. Nicht nun Analogien zu »Lagen« müssen eine Rolle spielen. 
Das eben besagen nun die Begriffe der neuesten Psychologie: Bewußt^ 
seinslage (Marbe), Determinierende Tendenz (Ach), Latente Eins 
Stellung (Koffka), Aufgabe usw. Verschiedene Schichten (oder wie 
man es nennen will), des für den Vorstellungsablauf Wesentlichen 
werden angenommen. Da sind noch die seelischen Gegenstände in 
ihrem unbewußten Zustand mit ihren assoziativen Affinitäten und 
auch Konstellationen, aber etwas anderes ist auch da und übt gleich* 
sam eine wählende Wirkung. Stehe ich unter einer mathematischen 
oder historischen Aufgabe, so kommen mir »Einfälle« zwar assoziativ, 
aber doch nur aus bestimmten, nämlich den mathematischen oder histo«« 
22Driesch, Ordnxmgslehre 337 
Tischen Gegenstandsgebieten und in Beziehung auf die Aufgabe. Stehe 
ich unter einer Stimmung, so kommt mir in den Sinn, was mit der 
Stimmung zusammenhängt. 
Hier ist nun aber gleich im Beginne die Notwendigkeit einer klaren 
Scheidung zweier verschiedener Dinge ersichtlich: 
Wenn durch »Stimmung« oder durch allgemeines »Interesse« Ge«« 
habtheiten aus nur einem bestimmten Bezirke des assoziativ überhaupt 
Möglichen in mir bewußt aufsteigen, so bleibt die Gesamtheit dessen, 
was in mir aufsteigt, offenbar noch summenhaft. Es handelt sich nur 
um eine Einschränkung der Möglichkeiten. Wir wollen, nicht ganz im 
Sinne Marbes, diese bloß einschränkende unbewußte »Tätigkeit«, 
welche zur bloßen Assoziation hinzutritt, ausdrücklich als Wirkung 
einer Bewußtseinslage bezeichnen, dieses Wort also in ganz bestimmtem 
absichtlich festgelegten Sinne verwenden. 
Ganz anders bei »Einfällen«, welche sich ausdrücklich auf die Lösung 
einer Aufgabe, überhaupt auf irgendein »Ziel« beziehen. Da ist neben 
der Einschränkung noch ein Richtunggeben im Spiel. 
Etwas Ganzmachendes ist am Werk, sagen wir kurz: Totalisierungs= 
faktoren. Hier treffen wir determinierende Tendenzen echten Sinnes. 
Von determinierender Tendenz im engeren Sinne wird geredet, wenn 
das Bestimmende, die Aufgabe, einmal gewußt und zwar »gewollt« 
gewesen ist und auch wohl gelegentlich im psychischen Verlaufe wieder 
als bewußte auftritt. Ist ihr psychisches Dasein nur erschlossen, sie 
selbst aber nie bewußt, so heißt sie latente Einstellung (Koffka). Eine 
determinierende Tendenz, welche als »Ziel«, als »Aufgabe« gelegents» 
lieh bewußt, also eine solche Tendenz im engeren Sinne ist, ist natür»» 
lieh, so LANGE sie bewußt ist, ein gehabter »Gegenstand« wie jeder 
andere. Aber ihr wählendes und richtunggebendes Wirken übt sie als 
Unbewußtes ebenso wie die durchaus unbewußte latente Einstellung. 
Der Anteil, welchen assoziative Affinitäten und Totalisierungs^ 
faktoren an dem bewußten Auftreten eines bestimmten Gegenstandes, 
sei er anschaulicher oder rein gedanklicher Art, haben, wird meist 
schwer auszumachen sein. 
Gar kein Anteil wird der Affinität zuzuschreiben sein bei dem he* 
wußten Auftreten eines wirklich Neuen, wie der schöpferische Künstler 
oder Gelehrte es erlebt. Davon reden wir noch. 
Gar kein Anteil kommt den Totalisierungsfaktoren zu beim »mecha* 
nischen« Aufsagen eines Gedichts oder, erst recht, einer auswendig 
gelernten Reihe sinnloser Silben. (Ganz und gar unrichtig ist es dagegen, 
338 
denTraum als reines »Assoziationsspiel« zu bezeichnen ;imTraum wird, 
wie sich zeigen wird, durchaus Ordnungshaftes, Aufgaben Erfüllendes 
erlebt, wird, populär gesprochen, »geurteilt« — allerdings sachlich 
FALSCH.) 
Die Frage, wie Tendenzen und Einstellungen^ wirken, wie sie mit 
der assoziativen Affinität zusammenarbeiten, ist noch sehr strittig. 
Der Ansicht, daß sie reine Konstellationen bestimmen durch Be«« 
einflussung der »Bereitschaft« gewisser seelischer Dinge, und diese 
dann sich selbst überlassen, wurde schon gedacht (Watt, Ach, Mos«! 
KiEwicz u. a.^). 
Diese Ansicht deckt eine Seite, aber nicht das Ganze der vorliegen^ 
den Sachverhalte. Wir wollen daher zurückblicken auf jene oben kurz 
erwähnte Lehre, daß »Assoziation« nach dem Schema Ganzes > Teil 
und Teil > Ganzes geschehe. Vielleicht können wir mit dieser Lehre, 
von der wir schon sagten, daß sie gar keine eigentliche Assoziations*» 
lehre mehr sei, etwas anfangen, wenn sie uns auch in nicht weiter analy*« 
sierter Form bisher gar zu Unbestimmtes besagte. 
Daß nämlich die Lehre, es beeinflußten determinierende Tendenzen 
die »Bereitschaft« und schüfen dadurch sich selbst überlassene Kon«« 
stellationen, nicht zum Verständnis der Tatbestände genügt, ist, wie 
mir scheint, endgültig von Selz^ gezeigt worden. Etwas anderes liegt 
vor, und das hat in der Tat Verwandtschaft mit jener Lehre, welche 
mit den Begriffen »Ganzes« und »Teil« arbeitet, nur daß nun nicht 
Ganzes und Teil gefaßt werden dürfen als einzelne bewußt seelische 
Dinge, zwischen denen als zwischen vereinzelten »Assoziation« be* 
stünde. Das von Selz geprägte Wort Komplexergänzung drückt in 
guter Form aus, um was es sich handelt: 
Selz untersucht die Erlebnisse, welche bewußt gehabt werden, wenn 
eine »Aufgabe« gelöst wird, deren Lösung in das Bereich dessen fällt, 
was »dispositionell« gewußt wird — (eine Wortverbindung, in der 
* Über ihre verschiedenen Formen Gutes bei Koffka 1. c. S. 301fF. * Hierher ge* 
hört auch der, freilich nicht rein psychologische Begriff der »zentralen Einstellung«, 
den V. Kries (Zeitschr. f. Psych. 8, 1895) verwendet. Ein sehr gutes Beispiel bieten 
in der Tat die von ihm herangezogenen verschiedenen »Schlüssel« in der Musik. 
' Gesetze des geordneten Denkverlaufs, 1913. In seinem neuesten Werke Zur Psychol. 
d. produktiven Denkens und des Irrtums, 1922, kommt Selz zu Anschauungen, die 
den in diesem Buche vertretenen ganz außerordentlich nahe verwandt sind, bis zu 
den verwendeten Worten hin. So sagt er z. B. »schematische Antizipation« (z. B. 1. c. 
S. 105, 109, 119, 166, 191ff., 371, 549 u. s.), wo ich »antezipiertes Schema« sage. Diese 
Übereinstimmung völlig unabhängig erworbener Ergebnisse ist sehr erfreulich. 
22« 339 
»Wissen« also nicht ein bewußtes Haben, sondern etwa soviel wie 
»reproduzieren können« bedeutet). Um diese Erlebnisse in ihrem 
Werdezusammenhang zu verstehen, genügt eben irgendeine Form der 
Konstellationslehre nicht^. Es wird vielmehr ein »dispositionelles« 
Wissen »aktualisiert«. Dieser Vorgang findet nun statt weder nach 
dem Prinzip der Assoziation, nach dem der Konstellation, noch end«» 
lieh dem des in»Bereitschaft«setzens; er findet statt nach dem Prinzip 
der Komplexergänzung. Das dispositionelle Wissen, das ja einmal 
aktuell war, ist ein Ganzes; dargeboten in der Aufgabe wird dem Ich 
ein inhaltlich erfülltes Bruchstück dieses Ganzen; und nun tritt, sei es 
»sukzessiv« oder »unmittelbar«, das Bruchstück im Rahmen des er* 
füllten Ganzen dem Ich bewußt entgegen. Sicherlich ist die »Reaktion« 
bei der Aufgabelösung hier nicht assoziativ durch den Reiz erweckt 
worden, sicherlich auch nicht konstellativ. Dagegen sprechen zumal 
alle »Berichtigungen« von vorläufig versuchten Aufgabelösungen ^. 
Die Komplexergänzung von Selz ist also etwas ganz anderes als 
Assoziation nach dem Schema Teil > Ganzes, wie Höffding etwa sie 
lehrt. Nicht ist der Teil eine Sonder* »Vorstellung«, welche das Be* 
wußtwerden des Ganzen als einer SoNDERs»Vorstenung« assoziativ 
nach sich zieht, sondern »Komplex^ergänzung« ist ein Wort für einen 
gemeinten »unbewußten« Vorgang eigener Art. 
Im einzelnen sei hier aus den Untersuchungen von Selz mehr heu 
läufig bemerkt, daß Komplexe von raumzeitlicher Ordnung und von 
OrdnungdurchBeziehungsverknüpfungunterschiedenwerdenkönnen. 
Diese Dinge sind an und für sich gewiß wichtig, und in demselben 
Sinn sind bedeutsam die Rollen, welche »Schwierigkeits* und Leichtig* 
keitsbewußtsein«, »Bewußtsein der Richtigkeit« usw. spielen. Aber 
die eigentliche Hauptsache ist doch der Nachweis, daß Komplex* 
ERGÄNZUNG durch Aktualisierung dispositionellen Wissens dereigent* 
liehe bei Aufgabenlösungen theoretisch zu fordernde psychische Pro* 
ZESS ist. 
Von besonderer Bedeutung kann hier, wie mir scheint, der Begriff 
* Es sei bei dieser Gelegenheit angemerkt, daß die moderne experimentelle »Denk^ 
Psychologie« zwei ganz verschiedene Aufgaben bearbeiten kann und tatsächlich be* 
arbeitet: zum ersten untersucht sie, was als realiter bewußt Gehabtes vorliegt, also, 
in unserer Sprache, die Materialien (Typus: Bühler), zum anderen sucht sie die (»un* 
bewußten 1«) Ordnungsformen in der Abfolge der Materialien (Typus: Selz). Prak« 
tisch wird sich beides meist durchdringen. * Gutes Beispiel bei Selz Seite 222, wo 
das Wort Krebs, das mit dem Begriff Ursache''Wirkung zusammengebracht werden 
soll, zuerst als Tier, dann, richtig, als Geschwulst gefaßt wird. 
340 
des ANTEziPiERTEN ScHEMAS^ Werden oder vielmehr der phänomeno«« 
logische Sachverhalt, dass ich antezipierte Schemata, d. h. Beziehlich«« 
keiten mit noch unbestimmten Gliedern, bewußt haben kann. Dieses 
Faktum spielt im täglichen Leben und beim wissenschaftlichen Denken 
eine gleich große Rolle. Die antezipierten Schemata aber sind un>» 
anschauliche Komplexe von Beziehungen, z. B. daß in irgendeinem 
wissenschaftlichen Sachverhalt die Sätze der Energetik gelten müssen, 
ich weiß nur noch nicht, wie; daß irgendeine Kausalregel gilt. Es wird 
sich später zeigen, daß, neben dem Erleben unerfüllter Bedeutungen 
schlechthin, das ausdrückliche Erleben antezipierter Schemata den 
WESENTLICHEN UNTERSCHIED DES MENSCHLICHEN VOM TIERISCHEN DeNKEN 
bildet. Übrigens kommen antezipierte Schemata auch z. B. beim »Lösen« 
von Gleichungen in Frage. 
Ich möchte nun, gerade von dem aus, was bei Selz, Koffka u. a. Be»* 
wußtsein der Richtigkeit, Erfüllungsvorstellung oder anders heißt, ver* 
suchen, noch einen Schritt weiter zu kommen. 
Wie steht es denn bei wissenschaftlichen und künstlerischen Neu«» 
schauungen, also auch bei »Entdeckungen«? Da wird doch offenbar 
KEIN »dispositionelles« Wissen aktualisiert, denn es ist gar keines da. 
Hier, meine ich, können wir nun den Ausgang alles Philosophierens 
mit der eigentlich psychologischen Theorie zusammenbringen: Ord* 
nung ihrer Bedeutung und ihrem starren Wesen nach schauen war 
Voraussetzung aller Philosophie, Ordnung als erfüllt schauen wollen 
war der philosophische Urwunsch. Da war von Psychologie, ja von 
Werden keine Rede. Aber nun steht das Selbst mit seinen immer 
anderen gehabten Gegenständen in der Zeit — so schaue Ich —, und 
der unbewußten Grundlage dieses Selbst müssen nun zugeschrieben 
werden unbewußte Vorgänge, welche auf Erfüllung des allgemeinen 
antezipierten Schemas »Ordnung« abzielen. Erfüllung des starren 
Ordnungsschemas mit Inhalt — das wird so das eigentlich psychische 
Grundgeschehnis, das heißt »Denken«. Diese »Erfüllung« aber be* 
deutet das Einsetzen bestimmter Glieder in ein Beziehungsschema, in 
dem die Glieder bisher unbestimmt gelassen waren. Wer bisher un* 
erfüllte Stellen des Schemas »Ordnung« mit Inhalt erfüllt, ist der »Ent* 
^ S. o. S. 35. ' Hier ein kurzes Wort zur fälschlich sogenannten ^oÄhnlichkeitsasso^ 
ziation«, besser: Beziehungsassoziation. Die unbestimmteste und allgemeinste Ord* 
nungsleistung ist offenbar »beziehen«; sie ist das freieste Ordnungsspiel, aber 
immerhin Ordnungsleistung. So äußert sich also in der »Ahnlichkeits««assoziation 
341 
Mit dieser Einsicht kommen wir aber über das, was wir »Verknüpf 
fungsbegriffe erster Stufe« nannten, und dessen Setzung das Ziel der 
eigentlichen psychologischen Einzelforschung ausmacht, heraus. Wir 
sagen daher an dieser Stelle, zusammenfassend zugleich und vorweg*» 
nehmend, nur noch dieses : Stets ist ein Ganzes tätig bei der Produktion 
der bewußt erlebten Inhalte, ja, in gewissem Sinne stellt sich »mir« sos« 
gar immer dasselbe Ganze, im Laufe der Zeit angereichert an Inhaltss* 
erfüUung, vor, nur ist bald das eine klarer an ihm, bald das andere, so 
daß also die Sonderganzen, welche vor mich treten, im letzten Grunde 
alle dasselbe Großganze nur mit Betonung bald dieser, bald jener Seite 
sind. Diese psychologische »Produktions«?theorie stimmt gut zur 
phänomenologischen Grundeinsicht, von der wir auf Seite 325 redeten, 
als wir sagten, es liege im Wesen des Etwas als des gehabten Etwas 
JEWEILS DIE Gesamtheit alles gehabt Gewesenen mehr oder minder 
KLAR mit sich ZU TRAGEN^. — 
Wir beschließen diesen Abschnitt mit der Erwähnung einiger Einzel:« 
heiten: 
e) ÜBUNG 
Als eingeübt bezeichnet man eine assoziative Kette, deren Ablauf 
durch sehr häufige Wiederholung fest und so gut wie eindeutig 
gesichert ist. Die Disposition der zur Bewußtheit zu weckenden un* 
bewußten Gegenstände, nach Maßgabe ihrer assoziativen Affinität, ist 
es, die durch »Übung« bis zum möglichen Maximum verstärkt wurde. 
Von dieser Assoziationsübung ist aber offenbar etwas anderes, das 
man Totalisierungsübung nennen könnte, scharf zu scheiden. Was wir 
hier meinen, erlebte der frei Vortragende, wenn er oft über dasselbe 
Thema, ohne bis ins einzelne gehende Vorbereitung, redet. Das geht 
jedesmal besser und ist doch jedesmal in seinen Einzelheiten, zumal 
die unbestimmteste »Aufgabe«, welche es gibt, aber immerhin eine Aufgabe. Ihre 
»Lösung« KANN sogar gelegentlich eine »Entdeckung« sein. — Diese Auffassung der 
Ähnlichkeitsassoziation erscheint uns sachgemäßer als die, welche in ihr eine »teil« 
weise Perseveration« sieht (Peters). 
^ Ich glaube mich hier in enger Übereinstimmung mit den Ergebnissen A. A. Grün* 
BAUMS zu befinden (Unters, üb. die Funkt, d. Denkens u. d. Gedächtn., Arch. ges. Phys. 38, 
1919, zumal Teil IV, S. 234 ff.): »Kein psychisches Nebeneinander ist daher dem 
anderen gleich« (235); »Die psychischen Elemente sind durch den Organisations* 
Charakter gebunden« (249) ; »die besondere Eigenart der psychischen Verbindungen« 
ist »ihre spezifische lebendige Einheitsfunktion« (252); »Insofern jede Funktion an 
diesem Wesenszusammenhang« — [nämlich »der Einheit des Bewußtseins«] — »kon* 
stitutiv beteiligt ist, ist mit jeder Funktion die Einheit des Bewußtseins repräsen« 
tiert« (267). 
342 
in den verwendeten Worten, anders. Hier ist eben die totalisierende 
Wirkung der Aufgabe, der determinierenden Tendenz, das, was »ge* 
übt« war. 
Den der Übung entgegengesetzten Effekt hat sogenannte Ermüdung, 
welche aber deshalb nicht etwa Übung mit negativem Vorzeichen ist. 
Was sie ist, geht uns an dieser Stelle nichts an. Übrigens gingen uns 
auch in Sachen der Übung an dieser Stelle, wo wir nur vom Psychischen 
reden und den »Leib« noch gar nicht kennen, geübte Abläufe natürlich 
nur als gehabte Erlebnisse etwas an und nicht etwa die mit solchen ge* 
übten gehabten Erlebnissen, wie wir populär ja wissen, in Beziehung 
stehenden Leibes*, also z. B. Sprachbewegungen. — 
y) abschluss 
Was sich in der Kette der dem Selbst bewußten Gegenstände 
weder dem Schema der assoziativen Affinität noch dem Schema 
der Totalisation fügen will, nennt man oft noch »frei steigende Vor* 
Stellung«. Mit diesem Wort ist nur gesagt, daß man über sein Her»* 
kommen nicht einmal eine Vermutung hat. Meist verwendet man heute 
das Wort »Perseveration«, das aber auch nicht viel besagt ^ 
Soviel über die psychologischen Verknüpfungsbegriffe erster Stufe. 
Sie alle sind Begriffe der wissenschaftlichen Einzelarbeit, den Begriffen 
spezifische Wärme, Leitfähigkeit, Reflexionsvermögen vergleichbar. 
Sie stehen nur in lockerer Beziehung zueinander, ja, passen nicht ein»« 
mal immer ganz zueinander, geradeso, wie es auf früheren Stadien der 
Physik mit ihrem Begriffsapparat stand. 
Der Begriff der Totalisierungsfaktoren ist der einzige Begriff, welcher, 
wenn er auch noch nicht entschieden weitergeht, so doch weiterzeigt. 
b) DER KONSTÄNZBEGRIFF ERSTER STUFE 
An erster Stelle sind jetzt die psychischen Gegenstände in ihrem 
»unbewußten«, der Erweckung je nach Disposition fähigen Zu*» 
Stande zu untersuchen. Sind sie wirklich wie »Dinge«, also wenigstens 
relativ, d. h. durch eine mehr oder weniger lange Zeit hindurch, te* 
harrlich, so daß, wenn sie wieder reproduziert werden, dasselbe gegen^ 
ständlich als »erinnertes« vor dem Bewußtsein steht wie früher — von 
neu gewonnenen Zeit* und Erledigungstönungen ^ abgesehen? 
Das ist nun sicher nicht der Fall; jedes Erinnerungsbild ist viel«« 
mehr seinem Original gegenüber gefälscht (obschon es jeweils ein 
individuelles Bild ist). Am deutlichsten ist das bei echt anschaulichen 
^S.o.S.333. S.o. S. 325 f. 
343 
Gegenständen im Vergleich zur originalen Dingwahmehmung; aber 
es ist auch bei Gedanken, Gefühlen usw. der Fall. 
Dazu kommt die sogenannte Phantasietätigkeit und kommen die 
echten. Neues bietenden Einfälle. 
Diese Erwägungen sprechen strikte gegen die Konstanz, also gegen 
echte Dinghaftigkeit der unbewußten seelischen Gebilde. Zugleich 
bilden diese Erwägungen einen Teil der Kritik der reinen Assoziationss« 
Psychologie und der Lehre vom »Parallelismus«, wovon später zu 
reden sein wird. 
Was »da« ist im unbewußten Zustand, ist also nicht eine Fülle 
seelischer Dinge, welche bloß reproduziert werden brauchen, sondern 
ist die ganz allgemeine Disposition nach Maßgabe bestimmter Gesetze 
zu produzieren. 
Von den Elementarien, also von rot, grün, eis, warm, Lust, neben, 
soviel, bezogen usw., könnte vielleicht allenfalls gesagt werden, daß 
sie im unbewußten Zustande »da« seien. Aber das kann doch auch 
schwerlich als quasi^dinghaftes Dasein gedacht werden, sondern nur 
als allgemeine, zum Wesen gehörige Potenz der Grundlage des be«« 
wußten Selbst, die wir bisher mit dem unbestimmten Worte eines un«« 
bewußten Etwas bezeichneten. 
Hier ist auch jener oben (S. 319) genannten stillschweigenden Vor^ 
aussetzung aller phänomenologischen Wesensforschung wieder zu ge** 
denken, welche so tut, als ob Trauer, Wille, Gedanken usw. ein selb«« 
ständiges Wesen hätten, das mehr oder weniger scharf erfaßt werden 
kann. Wir stehen hier insofern vor einer gewissen Schwierigkeit, als 
einerseits doch offenbar immer nur gehabt wird, was eben gehabt wird, 
während andererseits seelische »Dinge« unzulässig sind. Hält man sich 
an das erste, so wird die Frage nach der »richtigen« Wesenserfassung 
etwa des Willenserlebnisses sinnlos, an das zweite aber eben darf man * j 
sich nicht halten. Die Lösung ist diese: es wird als gleichsam selbstän* 
dig seiend ein gewisser Zustand des unbewußten Etwas angenommen, 
welcher ein bestimmtes bewußt Gehabtes produzieren kann, und es 
wird ausgesagt, daß bei einer früheren noch »unklaren« Erfassung dieses 
Gehabten hemmende Umstände im Spiel gewesen seien. Nur so wer* 
den einerseits die seelischen Dinge vermieden und wird andererseits 
der Phänomenologie ihr Sinn gewahrt. — 
Wir fragen jetzt weiter nach der Konstanz eben jenes von uns noch 
unbenannten unbewußten Etwas, jenes Reiches oder Seinskreises, von 
dem die populäre Rede sagt, daß es der »Ort« der seelischen Dinge 
344 
sei. »Ort« nun im eigentlichen Sinne ist es selbstredend nicht, und daß 
»Dinge« nicht in ihm sind, wissen wir auch. Aber Vermögen sind oJEfen«» 
bar, bildlich gesprochen, in ihm. Zunächst einmal, und davon wollen 
wir an dieser Stelle allein reden, kann es produzieren auf Grund dessen, 
was es RETENiERT hat. 
Wenn wir nun unserem Etwas endgültig einen Namen geben und 
es meine Seele nennen, so können wir also dieser Seele, als einem 
Bezirke des vom Ich gesetzten empirischen Seins, eine Doppelfähig*« 
keit zuschreiben, für deren Bezeichnung wir das eingebürgerte Wort 
Gedächtnis verwenden wollen. Dieses Wort soll also jetzt seinen 
PSYCHOLOGISCHEN Sinn bekommen im Unterschied von seinem phäno*« 
menologischen (S. 325). 
Daß das Wort »Gedächtnis zwei Fähigkeiten der Seele bezeichnet, 
ist nach dem Vorigen außer Zweifel; es handelt sich, um in der Sprache 
von G. E. Müller zu reden, um seine generative und um seine effektive 
Seite: die Seele kann sich Dispositionen neu schaffen, und sie kann 
vorhandene Dispositionen zum Bewußtsein erwecken. Beides kann 
in verschiedenem Grade ausgebildet sein, wie denn (wenn uns einmal 
diese hier noch unklare Rede erlaubt ist) der eine gut und lange be*« 
hält, aber langsam »sich besinnt«, während der andere weniger behält, 
aber das sofort zur Verfügung hat; beides kann auch je für sich ge* 
nommen »gehemmt« sein^. Auch besteht bekanntlich ein Unterschied 
zwischen raschem Lernen nebst kurzem »Behalten« und langsamem 
Lernen nebst langem Behalten. 
Wichtiger noch erscheint uns eine Gliederung des Gedächtnis^ 
begriffs nach Maßgabe einer besonderen Eigentümlichkeit der rete* 
nierten und reproduzierten Inhalte: Die Seele kann spezifische In* 
halte MIT IHRER GANZ BESTIMMTEN STELLUNG IN DER Zeit retenieren und 
reproduzieren oder auch spezifische Inhalte als bloss dagewesene, aber 
ohne Zeitzeichen; wir können von einem Vermögen zu spezifischer 
Erinnerung und von einem Vermögen zur Speicherung und Freigabe 
VON Gedächtnismaterial reden. Dieser Unterschied wird noch oft 
wichtig werden. Er berührt sich mit Bergsons Unterscheidung zwi* 
sehen dem Souvenir pur und dem Übungsgedächtnis, das sich z. B. 
beim »Aufsagen« äußert, ohne sich ganz mit ihm zu decken. 
* »Generative Hemmung« (G. E. Müller): Es ist schwieriger, eine neue Assoziation 
a— c in Festigkeit zu bilden, wenn schon eine feste Assoziation a— b besteht. »Effek* 
tuelle Hemmung«: Ein c (re) produziert sich im Gefolge eines a in um so größerer 
Unsicherheit und mit um so geringerer Geschwindigkeit, je mehr andere Assozia* 
tionen mit a bestehen. 
345 
Die effektive Fähigkeit des Gedächtnisses reproduziert nicht, wie 
wir wissen, sondern produziert; eben deshalb gab es keine festen seeli:* 
sehen Dinge. Aber doch produziert das Gedächtnis in naher Ähnlich* 
KEiT mit dem früher Dagewesenen. Ja, wir können uns ein ideales Ge* 
dächtnis denken, welches geradezu reproduzieren kann, obschon auch 
dann, allein der neuen »Einfälle« wegen, die seelischen Dinge abzu* 
lehnen wären. 
Gibt es auf der andern Seite ein Gedächtnis, welches alles je vom 
zugehörigen Selbst erlebt Gewesene behält? Behält vielleicht jedes 
Gedächtnis alles und kann nur nicht alles wieder ins Bewußte über«« 
führen aus unbekannten Störungs*» und Hemmungsgründen? 
Diese Fragen mögen an dieser Stelle des Ganzen nur aufgeworfen sein. 
c) DIE PSYCHOLOGISCHEN ORDNUNGSBEGRIFFE 
DER HÖCHSTEN STUFE 
a) DIE SEELE 
Die Seele, soweit sie Gedächtnis ist, behält und (re)produziert. 
Aber die Seele, die wir ja nun einmal gesetzt haben als ein be«* 
sonderes Sein, aus dem das bewußte Selbst gleichsam gelegentlich auf«» 
blitzt, leistet noch viel mehr. Sie soll mehr leisten, so will es der Ords» 
nung stiftende Psychologe; und ich schaue, daß sie mehr leisten kann. 
Ja, ich will sie sogar jenes Große und Wichtige leisten lassen, was die 
Psychologie braucht, aber bis jetzt noch nicht hat: »In« ihr soll es 
kontinuierliches werden geben, wobei sie selbst mit sich identisch 
bleibt. So wird der Begriff Seele zur echten Vervollständigerin des 
Begriffs Selbst: das Selbst stand Diskontinuierlich in der kontinuier* 
liehen Zeit, seine Grundlage ist in ihr selbst stetig, seiend und werdend. 
Das Werden »in« der Seele aber ist Ordnen, ist ganzmachende Tätige 
keit. So muß ich sagen, weil ja das durch den SeelenbegriflF zu Er«: 
klärende die Ordnungsschau des Selbst ist. Jetzt gibt es psychische 
Tätigkeit — (obschon keine bewußt erlebte Tätigkeit, sondern eine 
»gemeinte«). Jetzt dürfen die Verben denken, nachdenken, wollen, 
urteilen, eine Rolle spielen; sie gelten von der 5eeZe;im Begriff ordnen 
oder ganzmachen fallen sie zusammen \ Und auch alle Vermögens«« 
* Was Jaspers (Allg. Psychopathologie, 1913, S. 104) »Aktverbindung« nennt, ist 
unser Ordnen. Wir können ihm aber nicht zugeben die Sätze: »Aktverbindungen 
geschehen bewußt. Die Verbindung ist Gegenstand für den Erlebenden«. Es han« 
delt sich vielmehr beim Erfassen geordneter Synthesen um ein schlichtes Haben 
dessen, was die Seele unbewußt tätig »verbunden« hat, (wie Ich, der Habende aus 
Ordnungsgründen schaue, oder, wenn man will, dekretiere). 
346 
begriffe, wie Sinnlichkeit, Verstand usw., mit denen Kant an viel zu 
früher Stelle arbeitete, bekommen jetzt ihren berechtigten Platz. 
Ist die Seele Ordnerin, so darf nun auch ihr Gedächtnis noch des 
Näheren gekennzeichnet werden. Jetzt dürfen wir sogar sagen, daß 
das generative Gedächtnis sich Neues nicht nur »an«:*, sondern ein= 
gliedere, nämlich in das primär bestehende Ordnungsgefüge der Seele. 
Jedes Neue, über dessen Herkunft wir noch reden werden, bekommt 
seinen Platz im Rahmen eines Ganzen, im Rahmen der »Erfahrung«; 
das wird zwar erst an späterer Stelle ganz verständlich sein. 
ß) IHRE ORGANISATION 
Was ich logisch Ordnungszeichen (»Kategorien«) nenne und bes» 
wüßt habe, das beziehe ich jetzt auf die Seele im Sinne einer 
Organisation. Aber, wohlverstanden, das alles ist selbst Logik, was 
ICH HIER treibe; »See/e und Organisation sind selbst ichgeschaute Ord* 
nungsbegriffe, und nicht wird etwa in naiver Weise mit dem Begriff 
eines »Angeborenseins« gearbeitet. 
Eine wirklich befriedigende Vorstellung von der Organisation der 
Seele kann es nicht geben, weil wir Mannigfaltigkeiten nur, wenn sie 
raumhaft geordnet sind, in ihren Einzelheiten erschauen. Nur symbo* 
lische Veranschaulichung also ist in psychologischen Dingen möglich; 
stellen wir doch auch arithmetische Mannigfaltigkeiten durch raums« 
hafte Symbole dar. Aber im Rahmen des Psychologischen mag man 
»symbolisch« nun wahrlich Ernst machen mit den unanschaulichen 
Mannigfaltigkeiten, von denen die Metageometrie gern redet; nur daß 
es sich hier noch um ungeheuer viel Verwickelteres handelt als um 
n^dimensionale Räume von bestimmter Krümmung. 
Daß die Seelenorganisation eben eine »Organisation«, d. h. eine 
Ganzheit, und daß sie zentriert ist und insofern in Gegensatz zu 
allem »Neben« steht, ist so ziemlich das Einzige, was bestimmt gesagt 
werden kann. Denn das bewußte Haben ist ja ganz und Ichs^zentriert, 
und das soll »erklärt« werden. Selbstverständlich ist hier das Wort 
»zentriert« auch ganz und gar ungeschickt, weil es raumhaft ist, wäh^ 
rend es sich doch eben um so etwas wie »Mittelpunkt« »unten«, »oben« 
usw. usw. gerade nicht handelt. Die Psychologie kämpft einen fort^ 
währenden Kampf mit der Sprache. Sie will von einem Ganzen mit 
seinen Einzelheiten und Beziehungen reden und braucht dafür Auss^ 
drücke, die auf jRaumes= ganzheit, i^aumes« dinge und Raumes= 
beziehungen gehen, während im Grunde das, wovon sie reden will, 
347 
ihr GÄNZLICH sosEiNSUNzuGÄNGLiCH ist, SO daß man sagen kann, 3 Un* 
BEKANNTE, (unbekannte Ganzheit, Dingheit und Beziehlichkeit), seien 
der Psychologie Grundlage. 
Auf gewisse »Organisations«^eigentümlichkeiten der Seele werden 
wir noch zurückkommen. 
Es geht aus unseren Ausführungen hervor, daß von etwas, das der 
mechanischen Naturkausalität ähnlich sieht, auf psychologischem 
Felde ganz und gar nicht die Rede sein kann ; allenfalls mag an die 
biologische Ganzheitskausalität gedacht werden. Aber auch ihr Be^ 
griff trifft den Sachverhalt nicht ganz, denn Ganzheitskausalität wirkt 
in bezug auf Natur, sachliches Wirken bezieht sich auf — (sit venia 
verbo) — »seelische Dinge«. 
Wir sagten an früherer Stelle S daß Ich im letzten Grunde zu jedem 
Zeitpunkt mein Ganzes an Inhaltlichkeit erlebe, d. h. eine ungeheure 
Durchdringung aller nur denkbaren Glieder und Beziehungen, alles 
durchsetzt mit eigeninhaltlichen und fremdinhaltlichen Erledigungen, 
mit Zeitzeichen, Zeiterledigungszeichen usw., weshalb es denn, wie 
wir ausführten, auch nicht zwei einander »gleiche« Erlebnisse haben 
kann. 
Diesen Sachverhalt muß der Begriff Seele auch »erklären«. Er aber 
bedeutet, daß im Seelischen nie das Einzelne auf das Einzelne wirkt, 
sondern stets ein Ganzes der Form, das »Dynamis« nach auf ein auch 
schon Ganzes an Material, es immer und immer wieder zu neuem 
reicheren Ganzen gestaltend. Ich weiss jeweils unmittelbar um das 
jeweils vorhandene, materiale Ganze; es ist ja das geordnete Etwas, 
welches ich habe. Ich setze als seinen Grund das Formganze, welches 
ganz »macht«, welches verganzheitlichend wirkt, nämlich die wer* 
dende wirkende Seele, wobei, wie wir wissen ^ der Umstand, daß ich 
mich nicht als werdend (oder gar tuend) erlebe, mich nicht zu hindern 
braucht, meinend die Bedeutung des Werdens und Wirkens zu setzen. 
Ist doch das »Stetige«, was in ihnen liegt, immer nur in dem lediglich 
umschreibbaren Sinne der Arithmetik gemeint. 
Es sieht nun wohl auf den ersten Blick so aus, als schüfe die Seele 
geradezu »Neues«. Aber das darf die Logik, des Satzes von der Be* 
stimmtheit wegen, nun doch nicht zulassen, und so muß sie denn 
sagen, daß ein unbewusstes dynamisches Formganze, die Seele^ sich 
im Laufe der Zeit allmählich in immer anderer Weise in Materialien 
hinein abbilde, so wie die Entelechie in die Materie. Um das In* 
'S.o.S.325f. «S.O.S.152. 
348 
r 
haltsganze aber, was jeweils da ist, weiß die Seele in Form des Ich 
habe. 
Reden wir doch in diesem Abschnitt nur vom »Innenleben« und 
seinem Werden, und da ist jedenfalls die Lehre von einer Ganzheits^ 
präformation in der Seele, von ihrem potentiellen Besitz alles Wiß^ 
baren nicht paradox — (vielleicht ist sie es auch später nicht). Freilich 
wissen wir ja populär und werden noch davon zu reden haben, daß 
der Seele ursprünglich Seelenfremdes, »Neues«, (im Wege der »Wahr* 
nehmung«) hinzukommen kann. Damit werden wir uns noch ab* 
finden. Aber was das Innenleben allein angeht, so darf hier eine eigent* 
liehe »Neu«:fbildung von Inhalten von der logik nun eben nicht zu* 
gelassen werden: aus dem Material an seelischen Dingen, welches die 
Seele in einem gegebenen Zeitpunkt einmal besitzt, kann sie nur auf 
Grund präformierter Seelenganzheit den Inhalten nach bewußtes 
Ganze, aber nicht eigentlich im echten Sinne »Neues« machen. Die 
bewußte Schau neuer »Aufgaben« in Wissenschaft, Kunst oder Technik 
also stammt aus dem originären Seelenganzen und auch die »Lösung« 
einer Aufgabe stammt aus ihm. Die Seele hat originär schon aus ihrem 
Wesen heraus sowohl Aufgabe wie Lösung; nur Data, welche Glieder 
»antezipierter Schemata« bedeuten, können ihr (durch die »Sinne«) 
NEU kommen. 
In DIESEM Sinne, also der Schematik nach, ist die Seele ab origine 
ein »miroir de l'univers«. 
Das alles aber sind — ich*gesetzte Ordnungsbegriffe. 
Der Begriff meine ganze ganzmachende unbewußte Seele ist im 
Grunde der einzige Ordnungsbegriff der gesamten Psychologie, und 
was die Sonderforschung »determinierende Tendenz«, »latente Ein* 
Stellung« usw. nannte, sind nur Erläuterungen zu ihm, ganz ebenso 
wie im Biologischen der Begriff Entelechie im Grunde der einzige 
Ordnungsbegriff war. 
Entelechie nun gehörte immerhin zur Natur, Meine Seele »gehört« 
zu nichts anderem. Sie ist ein besonderes als gleichsam selbständig 
gemeintes Reich des Seins, so wie Natur als Ganzes betrachtet. Stets 
ist sie GANZ am Werk ^, und nur mit Einschränkung darf gesagt sein, 
daß z. B. determinierenden Tendenzen im Sinne eines besonderen 
gleichsam Selbständigen »in« ihr seiend 
^ Die Einheit der Seele sehen auch Grünbaum (s. S. 342) und, in etwas abweichen* 
der Form Spranger (Lebensformen, 2. Aufl., S. 31—37). Besonders ist hier natürlich 
Bergsons zu gedenken. * W. Haas (Die psychische Dingwelt, 1921) hat in einer 
349 
Immerhin bringt uns der Vergleich der Seele mit der organischen 
Entelechie, die ja doch analogienhaft »seelisch« auch von der Logik 
GEDACHT WERDEN DARF, obschon sie zur Natuv gehört, insofern ein 
wenig weiter in Sachen der Frage nach der Organisation der Seele, als 
Entelechie sich in ganz besonderen sichtbaren Produkten manifestiert. 
Aus der raumhaften Organisation dieser Produkte dürfen wir auf die 
»Organisation« der Entelechie, aus dieser aber auf die Organisation 
von Seelischem überhaupt schließen. 
Da wird nun wichtig der Begriff der Mannigfaltigkeit und ihrer 
verschiedenen Formen \ zumal die Mannigfaltigkeit »nach Stufen«. 
Der Organismus, also die Entelechie, also Seelisches überhaupt ist 
von hochstufiger Mannigfaltigkeit, und zwar derart, daß Teilganze 
von oft großer Selbständigkeit bestehen, welche von dem einen Ganzen 
herstammen und dieses eine Ganze affizieren, welche aber auch untere» 
einander in Wirkungsbeziehungen stehen und einzeln ihre Wirkungen 
äußern können. Aus solchen Erwägungen heraus verstehen wir etwa 
die pREUDSchen »Komplexe« und ihre Äußerungen. Das ist natürlich 
nicht in dem Sinne zu verstehen, daß diese Komplexe selbst Organi* 
sationsbestandteile der Seele seien; wohl aber sind sie empirische Er* 
fülltheiten seelischer Organisationsbestandteile von jeweils individuell 
besonderer Art. Daß es gerade die »Komplexe« geben kann, lehrt uns 
also sozusagen noch Intimeres über die Seelenorganisation, als uns 
der rein relationstheoretische Vergleich der Mannigfaltigkeit der Seele 
mit der Mannigfaltigkeit der Produkte der Entelechie lehrt. — 
Das »Denken« der Vulgärpsychologie — (und auch die Psychologie 
vieler philosophischer Systematiker ist Vulgärpsychologie) — wird 
also im Rahmen unserer Lehre von der Seele wieder an seine Stelle 
gesetzt, nachdem es aus dem Ausgange der Philosophie von uns ver* 
bannt und durch das »Ich habe« ersetzt war. Die (unbewußte) mit 
Komplexergänzung, Wissensaktualisierung und antezipierten Sehe« 
maten arbeitende Tätigkeit der Seele nennen wir eben »Denken«. 
bedeutsamen Schrift, der weitere folgen sollen, den Versuch gemacht, die Logik der 
Psychologie auf ganz neuen Boden zu stellen. Es bestehe eine »Einheit der Erkennt* 
nisformen jeder Materie gegenüber«, und deshalb könnten Begriffe wie »Ding«, ja 
sogar »Raum« — obschon natürlich nicht in ihrer Naturbedeutung — auf das See* 
lische angewendet werden. Auch spricht er von psychischen Sinnesorganen, psy« 
chischem Leib, ja, psychischer Ernährung. Man wird zur endgültigen Stellungnahme 
die weiteren Schriften des sehr selbständigen Denkers abwarten müssen; die eine, 
Kraft und Erscheinung, 1922, soeben erschienen, bringt noch nicht die Hauptsache. 
^S.o.S. 135ff. 
350 
»Wollen« und »fühlen« sind andere ihrer Tätigkeiten. Und die Seele 
betätigt auch verschiedene Arten von »Akten«, während Ich nur die 
Aktart habe, nicht etwa »betätige«, sondern als mir zugehörig schaue. 
Auch von verschiedenen »Stellungnahmen« der Seele darf natürlich 
jetzt geredet werden, ebenso wie, wenn man es liebt, von verschiedenen 
»Vermögen« zu Stellungnahmen oder Tätigkeiten. Doch darf nie ver^^ 
gessen werden, daß alle diese Dinge eben die Seele, aber nicht das 
»Ich« betreffen, und daß Ich der bin, welcher »Aktarten«, »Stellung:» 
nehmen«, »Vermögen« usw. der Seele als Ordnungsbedeutungen 
schauend setzt. 
Es erscheint passend, angesichts dieser Sachverhalte auch noch ein 
paar Worte über die oft, leider meist ohne klare Definition, gebrauchten 
Worte DISKURSIV und intuitiv zu sagen. 
Ich definiere »diskursiv« als: Keine einzige Beziehung, namentlich 
keine Beziehung aus dem Bereiche des Mitsetzens, (des »weil«), über*« 
sehend. In diesem Sinne ist die Abfolge der Inhalte meines Habens 
nun NIE streng diskursiv, nicht einmal bei ausdrücklichen mathema«» 
tischen Beweisen. Auch hier werden praktisch stets gewisse Be» 
Ziehungen nicht ausdrücklich gehabt, auch hier wird stets »abgekürzt«, 
liegt also, wenn wir das Gegenteil des Diskursiven so nennen wollen, 
»Intuition« vor. Aber doch eben nur im Rahmen der Abfolge der In«« 
halte meines Habens. 
Der Seele bei ihrer ganzmachenden Verarbeitung muß nun aber 
[STETS das echt diskursive Denken zugeschrieben werden; so zu denken, 
das IST ihre dynamische Organisation. Sie kürzt nicht ab, sie ist durch 
und durch »pedantisch« bei ihrer Arbeit — wenn sie nicht »irrt«^. 
* Sehr Gutes über diskursives und intuitives Denken finde ich bei Girgensohn, Der 
seelische Aufbau des religiösen Erlebens, 1921, S. 339 ff. — Ich bemerke bei dieser 
Gelegenheit, daß ich die Lust^UnlustsLehre des verdienten Denkers leider nicht an? 
nehmen kann. Ich muß in Lust und Unlust gehabte Elementarien sehen ; in »Organs 
empfindungen und in Ichfunktionen« (S. 297) lösen sie sich mir nicht auf. In be? 
zug auf die allgemeine Gefühlslehre dagegen weiche ich in vielem von Girgensohn 
wohl nur in der Sprechweise ab. Er nennt »Gefühl«, was ich Erledigungs*, End* 
gültigkeits*, Vielleicht*Ton usw. nenne. — Sehr nahe steht meine Lehre derjenigen 
[. VoLKELTS (Gefühlsgewißheit, 1922, S. 24, 29 u. sonst), welcher für das, was man 
fallenfalls »intuitiv« nennen mag, (abgesehen natürlich von dem »intuitiven« Er? 
|fassen der Urbedeutungen), die Worte »Unentfaltetsein«, »implicite begrifflich« 
verwendet. 
351 
y) ihre ENTWICKLUNG 
Auch von einer Entwicklung der Seelenorganisation darf geredet 
werden (Krüger) und zwar sowohl »ontogenetisch« wie, (was 
allerdings in Strenge erst an spätere Stelle gehört) »phylogenetisch«. 
Was man freilich wissen möchte mit Rücksicht auf diese Entwick* 
lung, das kann man nicht wissen, weil man ja eben den Organisations* 
begriff selbst hier nur ganz vag hat. Selbstbesinnung lehrt hier nichts, 
da an die ichgehabten Zustände der eigenen frühen Kindheit die Er* 
innerung fehlt (und, wie es scheint, auch in der Hypnose noch nie 
geweckt worden ist). Durch »Beobachtung« am »Anderen«, also an 
anderen Kindern und Tieren, kann man suchen, weiter zu kommen. 
Aber hier bleibt grundsätzlich immer der Einwand bestehen, daß viel* 
leicht nur die Fähigkeit der Seele sich zu äussern sich »entwickelt«, 
nicht aber die Seele selbst, insofern als jene Äußerungsfähigkeit von 
der KÖRPERLICHEN Entwicklung, von dem, was jeweils an Körperlich* 
keit da ist, abhängen mag. 
Läßt man eine echte ontogenie der Seele zu, so wäre sie wohl nach 
Art biologischer ontegenese zu fassen^, das heißt so, daß da nicht 
eigentlich Mannigfaltigkeit vermehrt wird, sondern nur schon vor* 
handene Mannigfaltigkeit aus dem Status der potentia in den des 
actus übergeht. 
Wir brechen hier die Erörterung der Begriffe Organisation und Ents 
Wicklung der Seele bewußtermaßen ab, um sie später aus anderen 
Quellen her zu bereichern. 
S) ABGELEHNTE BEGRIFFE 
Die Seele macht sich das Ich! Oder anders gesagt: in einer bestimmten ihrer Zu« 
ständlichkeiten erscheint sich die Seele als Ich und weiß, daß sie sich erscheint, 
daß sie selbst sich hat. So aber setze Ich! 
Das Ich habe ist immer das Ich habe. Was ich habe, also das Etwas, kann seiner 
Inhaltlichkeit nach reicher oder ärmer, klarer gegliedert oder unklarer gegliedert 
sein. Aber haben ist immer sich selbst gleich; nicht gibt es »Grade« des Habens (oder 
des Ich) als solchen. 
Hier werden wir auf die Begriffe »Enge des Bewußtseins«, »Klarheit des Bewußt* 
seins« und »Aufmerksamkeit« geführt, welche eine recht unglückliche Rolle in der 
Psychologie zu spielen pflegen. 
Soll das Wort »Bewußtsein« hier für Ich stehen, so sind, wie aus dem eben Gc* 
sagten hervorgeht, alle diese Worte ohne klaren Sinn ; denn Ich »bin« schlechthin 
habendes Ich, Ich »bin« nicht in verschiedenem Grade aufmerksam oder klar. 
Setzt man dagegen das Wort »Bewußtsein« für Seele, so mag man einen Sinn mit 
jenen Worten verbinden: Die Seele mag aufmerksam heißen, wenn ihre Zustand* 
*S.o.S. 300f. 
352 
l 
lichkeit in längerer Dauer so ist, daß Ich Weniges in großer Gliederung und Schärfe 
bewußt habe (und vielleicht eine große Menge von anderem daneben in sehr ge* 
ringer Gliederung) ; von der Seele mag auch gesagt sein, daß sie sich gleichsam zu 
einem Weniges habendem Ich »eingeengt« habe. Darf doch auch mit Recht von dem 
später zu erörternden »Wahrnehmen« gesagt sein, daß in ihm die Seele sich nicht 
nur passiv verhalte, sondern daß sie eine gleichsam auswählende Tätigkeit unter den 
vielen die »Sinne« treffenden »Reizen« ausübe, daß sie sich gleichsam partiell öffne. 
Auch der Begriff »Klarheit des Bewußtseins« mag auf die Seele angewandt werden 
und ebenso die Unterscheidung von bloßem Bemerken, Beachten und Beurteilen. 
Aber von Ich muß gesagt werden, daß es in den Fällen, die hier gemeint sind, vers 
scHiEDENE GEGENSTÄNDE »habe«, Gegenstände, die sich als solche, also nicht nach 
der ART des Gehabtseins, unterscheiden, nämlich durch Detailausprägung, Ends 
gültigkeitstönung usw. Denn Ich steht nur in der einen Beziehung des Habens zum 
Etwas. 
Vorsichtig wird man mit allen diesen Begriffen immer umgehen müssen; sie 
dürfen nie ohne ganz klare Angabe dessen, was eigentlich gemeint ist, verwendet 
werden, und ganz besonders scharf ist allemal zu sagen, ob mit dem Worte »Be« 
wußtsein« Ich, Selbst oder Seele gemeint sein soll. — 
Wir müssen nun auch noch auf einen Gegenstand zu sprechen kommen, welcher 
zwar eigentlich zu den überwundenen Gebilden wissenschaftlichen Denkens ge« 
hören sollte, aber doch auch heute noch bei solchen Philosophen, die sich um neue 
phänomenologische und psychologische Begriffsbildungen nicht kümmern, seine 
Rolle spielt. Ich denke hier an die altbekannte Redeweise, daß »Verstand« und 
»Wille« Seelenvermögen seien und an die Frage, wie sie beide aufeinander »wirken«. 
Gerade diese Frage ist bekanntlich schon in dem berühmten Streite zwischen Thomas 
und DuNS, utra facultas nobilior sif, berühmt geworden. 
Die neuere analytische Psychologie kann eigentlich herzlich wenig mit all diesen 
Dingen anfangen. »Verstand« und »Wille« (dazu noch »Gefühl« und »Vernunft«) 
werden wie Dinge gedacht, von denen das eine das andere wirkend beeinflußt. »Der 
Verstand« hat etwas erkannt, teilt das gleichsam dem Willen mit und setzt ihn in 
Aktion (Thomas), oder auch »der Wille« will etwas und gibt das hinterher an den 
Verstand zur näheren Durcharbeitung (Duns). 
Die Worte Denken und Wollen verwenden wir nun freilich auch ; sie bedeuten 
uns aber nur besondere dynamische Seiten im Rahmen des Getriebes der Seele und 
ganz und gar nichts Dinghaftes. Und Ich, um das immer wieder zu sagen, habe nur 
bewußt gewisse Ergebnisse dieses dynamischen Getriebes in Form von Gedanken 
und Wollungen. Die Frage, was »das Erste«, was nobilior sei, tritt eigentlich in Klar 
heit gar nicht auf. Irgend etwas »Gedankliches«, d. h. als Bedeutung Bestehendes 
muß offenbar da sein, auf daß die als Wollen bezeichnete seelische Dynamik ins 
Spiel treten könne, und andererseits muß die Potenz zu dieser Dynamik da sein, 
auf daß sie sich äußern könne. »Blinder« Wille ist ein logisches Unding, und der 
als Gedanke sich dem Ich vorstellende Seelenzustand würde unfruchtbar sein, 
stünde er nicht im Rahmen der Dynamik, welche Wollen genannt wird. Dynamik 
an einem bedeutungsvoll Behafteten ist das, was realiter vorliegt. 
In recht dunkler Weise wird auch oft das Wort »Trieb« verwendet. Selbst* 
besinnlich (»phänomenologisch«) handelt es sich stets um einen wenig explizit ge* 
gliederten Komplex vom Gefühlstypus; psychologisch könnte man das Wort ja 
23 D r i e s c h , Ordnungslehre 353 
allenfalls auf die Seele beziehen, um deren unbekannter Dynamik noch eine beson« 
dere unbekannte Komponente anzufügen. Ich sehe nicht ein, daß viel damit ges 
Wonnen wäre. — 
1 »MEIN LEIB« 
Bis zu diesem Punkte war alle Psychologie meine Psychologie, d. h. 
Wissenschaft auf methodisch:»solipsistischer Grundlage, und ihre 
Objekte waren lediglich mein Selbst und sein Gehabtes. Von jetzt ab 
soll sie zwar durchaus meine Psychologie, d. h. unmetaphysische Psycho* 
logie, noch bleiben, aber sie wird von anderem handeln als nur vom 
Selbst und seinem Gehabten, als ausdrücklich Gehabtem. 
Bekanntlich^ ist die unmittelbare Erlebtheit ihrem Inhalte nach so 
beschaffen, daß Ich aus Ordnungsgründen einen gewissen Ausschnitt 
aus ihr zur Natur, d. h. zur empirischen Wirklichkeit im Raum objek* 
ti viere, als ob es sich da um ein selbständiges Sein und Werden handele. 
Sehen wir uns alle unmittelbaren Erlebtheiten auf ihre Objektivier* 
barkeit zu Natur sein an, so finden wir, daß diese Erlebtheiten in drei 
Gruppen zerfallen: 
Die eine Gruppe wird gar nicht objektiviert, sondern spielt nur 
als unmittelbare Gehabtheit (und, in der allgemeinen Logik, als »Be* 
deutung«) eine Rolle. Dahin gehören Gefühle, reine Gedanken, 
Wünsche, Wollungen, kurz das, wovon unsere Psychologie bisher 
ganz vorwiegend gehandelt hat unter dem Namen des »Innenlebens«. 
Die zweite Gruppe wird zu den Dingen der Natur objektiviert. 
Vornehmlich sind es Erlebnisse vom Typus der Wahrnehmung, die 
hier in Frage kommen, und dann Dingwahrnehmungen, d. h. ein 
gleichsam selbständiges Ding meinende (phänomenologische) Wahr«« 
nehmungen genannt werden. Es ist aber zu bedenken, daß auch ge^ 
wisse Gedanken ganz ausdrücklich Bestandteile der empirischen Wirk^ 
lichkeit »meinen« können. Welches die »Kriterien« dafür sind, daß 
ein unmittelbar Gehabtes einen mittelbaren Naturgegenstand meinen 
DARF, haben wir eingehend erörtert^; ansehen tut man es einer »Wahr:» 
nehmung« als solcher bekanntlich nicht, ob sie Ding»wahrnehmung« 
ist oder nicht. 
Die dritte Gruppe der Erlebtheiten nun wird zu einem ganz beson* 
deren ausgezeichneten einzigen Naturdinge objektiviert: zu meinen 
Leib, 
Mein Leib ist zwar ein Naturding, unterscheidet sich aber von allen 
anderen Naturdingen durch folgendes: 
^Vgl. S. 149f. »S.o.S. 158f. 
354 
1. Er kann, im Gegensatz zu allen anderen organischen Körpern, 
nicht (unmittelbar) in allen seinen Teilen »gesehen« werden, Stirn und 
Augen z. B. sind nicht unmittelbar sehbar. 
2. Nur SEINE Bewegungen, aber nicht die Bewegungen anderer or«« 
ganischer Körper, geben mir »kinästhetische« Empfindungen, nur seine 
Berührung Tastempfindungen mit zu einem ganzen System zusammen^» 
geschlossenen »Lokalzeichen«, nur die Reizung seiner Augen Licht«» 
empfindung usw. Nur von ihm aus empfinde ich Schmerz. 
3. Nur ER bewegt sich im Gefolge meines Willenserlebnisses. 
4. Auf gewisse seiner Bewegungen hin (Schließen der Augen) ver>« 
schwindet meine gesamte gesehene Welt. Änderungen an ihm (Ver# 
giftungen, Seelenblindheit nach Hirndefekten, Läsion der Sinnes* 
Organe) ändern meine Welt. 
Kehren wir alles um, wie es dem eigentlichen ordnungshaften Sach* 
verhalt entspricht, so dürfen wir sagen: Gewisse meiner Erlebtheiten 
aus dem Kreise der reinen Solchheiten, wie Schmerz, Haut:*, Organ«*, 
kinästhetische Empfindungen sind nur dann in das einheitliche Ord# 
nungsbild des empirisch Wirklichen vollständig, widerspruchslos und 
sparsam einzufügen, wenn ich sie einen ganz bestimmten empirischen 
Gegenstand, nämlich meinen Leib in seiner Einzigkeit, nicht aber 
»fremde Körper«, meinen lasse S wozu noch kommt, daß auch die Be* 
Ziehung gewisser Phänomene zu meinen vorangegangenen Willens-» 
erlebnissen und, umgekehrt, die Beziehung gewisser Phänomene zu 
gewissen meiner nachfolgenden Gehabtheiten auf eben diesen selben 
Leib in seiner Einzigkeit hinweist. Mein Leib ist dabei durch die Ge* 
samtheit der jenen »Empfindungen« anhaftenden, jeweils auf seine 
Ganzheit bezogenen Lokalzeichen im Sinne einer spezifischen Ganz*« 
heit gleichsam schematisch vorweggenommen ^ 
* Nicht eigentlich im Sinne von »Eigenschaften« meines Leibes, sondern im Sinne von 
MIT Eigenschaften derselben verknüpften ausdrücklichen Erlebtheiten. Bei manchen 
anschaulichen Erlebtheiten kann übrigens in Frage stehen, ob sie Eigenschaften von 
anderen Körpern sind oder Erlebtheiten meiner, die mit Eigenschaften meines Leibes, 
(welche aber in diesem Falle ausdrücklich von fremden Körpern herrühren), ver« 
knüpft sind; Worte wie »naß«, »scharf« usw. bezeichnen das, an was wir hier denken. 
' Pierre Janet (Rev. philos. 69, 1910, S. 493) berichtet von einer Patientin mit hyps 
notisch erzeugbarem Spaltbewußtsein (s. u.), daß sie in gewissen Zuständen die 
Lokalzeichen vollständig verloren habe, in anderen Zuständen habe sie innerhalb 
jeder Körperhälfte richtig Berührungen lokalisiert, aber rechts und links verwech^ 
seit, in noch anderen habe einseitige Berührung ihr beiderseitige Empfindungen 
gegeben. Diese Dinge sind theoretisch von höchster Bedeutung. — Vgl. auch Scheler 
(Jahrb. f. Phil. u. phän. Forsch. II, 1916, S. 271 ff.). Übrigens scheint mir Lotze schon 
23. 355 
Das alles klingt seltsam und vielleicht pedantisch. Es ist aber in 
strengstem Ausdruck das, was im tiefsten Grunde mit dem Worte 
mein Leib ordnungshaft gemeint ist; es ist der »Sinn« des Begriffes 
»mein Leib«. Weil ich alles eben Aufgezählte bewußt habe, setze ich 
meinen Leib. 
Man sieht es: Der Begriff mein Leib ergibt sich erst auf Grund eines 
ganz besonderen phänomenologischen Sachverhalts. Er gehört daher 
in die Mitte des psychologischen Systems, nicht aber, wie populär 
üblich ist, an seinen Anfang, als ob er sich von selbst verstünde. In 
einem wahrhaft logischen psychologischen System muß unbedingt die 
Kausallehre des schlichten Erlebens, des sogenannten »Innenlebens« 
oder »Vorstellungslebens«, vorausgehen. 
5. PSYCHOPHYSIK 
a) PROBLEME 
Mein Leib gehört zur Natur, aber ist durchaus einzig, ausgezeich* 
net in ihr. Es gibt eben mehr und andersartige Data mit Rück* 
sieht auf ihn, als mit Rücksicht auf das, was sonst zur Natur gehört. 
Habe ich nun den Begriff mein Leib gewonnen, so nützt er mir ord* 
nungshaft in hohem Maße zur Erfassung gewisser erlebnismäßiger 
Sachverhalte, die bisher der Erfassung sich entzogen und daher von 
uns beiseite gestellt worden sind: 
In der Abfolge der Erlebnisse unseres Selbst gibt es nämlich gewisse 
Dinge, die sich mit keinem der bis jetzt verwendeten (teilweise recht 
problematischen) Ordnungsbegriffe der Psychologie fassen lassen; 
Assoziation, Perseveration, Totalisierungsfaktoren — nichts deckt den 
Sachverhalt. »Anschaulichkeiten« sind es, um die es sich handelt, und 
zwar »neue«, eine grundsätzliche Bereicherung bedeutende Anschau* 
lichkeiten. Ich könnte sie »Einfälle« nennen, wie gewisse gedankliche 
Neuheiten. Aber sie haben eine Regelmäßigkeit. Freilich ist diese 
Regelmäßigkeit nicht intrapsychisch; mit Rücksicht auf das vorher«« 
gegangene Erlebte ist vielmehr sogar die größte Regellosigkeit da. Aber 
eine Regelmäßigkeit besteht, wenn ich Beziehungen knüpfe zwischen 
dem anschaulichen »Neuen« und gewissen Tatbeständen der Natur 
und meines Leibes als eines ausgezeichneten Bestandteiles der Natur. 
Die sogenannten Wahrnehmungen (im phänomenologischen Sinne) 
sind es, von denen ich rede. Sie werden mir zum größten Teil — (näm* 
den Sachverhalt so gemeint, d. h. die einzelnen Lokalzeichen jeweils als ganzheits? 
bezogene gedacht zu haben. 
356 
lieh mit Ausnahme der »halluzinatorischen« und der »Traum«wahr^ 
nehmungen) — verständlich, wenn ich sie sozusagen »herstammen« 
lasse aus der ATafur, ein Begriff, der ja von uns an früherer Stelle ge^ 
klärt worden ist^. Ich kann insofern Gesetzlichkeiten in meinen Wahr«» 
nehmungen feststellen, als ich sie zu Geschehnissen in Natur und in* 
Sonderheit an meinem Leib, in funktionale Beziehung bringe. 
Man beachte das neutrale Wort »in funktionale Beziehung«; mehr 
soll zunächst noch gar nicht gesagt werden als: wenn das Eine, dann 
auch das Andere. 
So werden denn also viele Wahrnehmungen im phänomenologischen 
Sinne des Wortes als Dmg- ««Wahrnehmungen gefaßt, und in ihrem 
jeweiligen Dasein nun nicht mehr rein psychologisch, sondern psycho= 
physisch »erklärt«. 
Die Sonderfragen und Sonderlösungen, die sich hier ergeben, sind 
allgemein bekannt. Wir zählen nur das Wichtigste auf. Es handelt sich 
allemal um dreigliedrige Beziehungskomplexe, petal um die Reihe 
Naturvorgang > Leibesgeschehnis > Wahrnehmung, fugal um die 
Reihe Wollung > Leibesbewegung > Naturvorgang. Noch einmal 
sagen wir, daß psycho^sphysisch zunächst nur die (im mathematischen 
Sinne) funktionale Zuordnung, aber noch nicht ohne weiteres Kau* 
sales in Frage steht. Kausales steht bis jetzt nur insoweit in Frage, als 
ein Vorgang der äußeren Natur auf meinen Leib als Körper einen 
»Reiz« ausübt. 
Geht man ganz rigoros phänomenalistisch vor und setzt gar nicht von 
Anfang an ein für allemal »meinen Leib«, so darf man natürlich nur 
von der Verkettung unmittelbarer Gehabtheiten reden. Von Reizung 
des inneren Ohres und des nervus acusticus darf ich dann nur als von 
unmittelbar »Erlebtem«, also etwa (mit Hilfe eines Spiegels usw.) Ge* 
sehenem reden; beider Reizung besteht nur, insofern sie als gesehen 
gilt. Ihr folgt das »Hören«. Von gebietsübergreifendem Werden kann 
man hier reden. Diese ganze, anderenorts^ von mir durchgeführte 
Betrachtung ist ganz lehrreich, aber äußerst schwerfällig. 
Die wichtigsten im Rahmen der psychopetalen Reihe sich ergeben* 
den psychophysischen Probleme sind diese: 
1. Frage nach der Zuordnung der Reizung der Sinnesnerven und 
Hirnteile zu spezifischen unmittelbar gehabten reinen Solchheiten 
(sogen, »spezifische Sinnes*, resp. Hirnteilenergie«). Wahrscheinlicher 
' S.S. 149 f. ' Phil. d. Org. 1. Aufl. II S. 271 ff. In der zweiten Auflage wurden diese 
Betrachtungen, als nicht besonders fruchtbringend, nur angedeutet. 
357 
Entscheid: Originäre Indifferenz, erworbene Spezifikation der Hirn^ 
teile, welche aber regulabel ist. 
2. Frage nach der Zuordnung der Intensitäten von Reiz und Emp^ 
findung (sogen. »Weber#Fechnersches Gesetz«). Schwierigkeiten des 
psychischen »Intensitäts«begriffs überhaupt (Bergson, Ebbinghaus). 
Was ist »Einheit« des Empfindungszuwachses? 
3. Frage der Erfassung der Dreidimensionalität des Raumes, inson«» 
derheit der Tiefe. Wahrscheinlicher Entscheid: Optisch ist, abgesehen 
vom Zweidimensionalen, nur das »draußen« und »vor mir« überhaupt 
gegeben, aber nicht die spezifische Tiefe und nicht das spezifische »hin^ 
ter«einander; das wird in unmittelbarer Form nur kinästhetisch (Augen:* 
bewegungen bis zur deutlichen Einstellung usw.) gehabt. Besondere 
optische Phänomene wie Klarheits»« und Färbungsunterschiede können 
ferner sekundär, d. h. auf Grund gewonnener Erfahrungen im Sinne 
unanschaulicher Tönungen, für die Beurteilung der Tiefe verwertet 
werden. Auch im Stereoskop wird nicht originär Dreidimensionales 
»gesehen«; Querdisparation nämlich gibt stets unmittelbar nur ver* 
schiedene Grade der »Klarheit«, aber nicht spezifische »Tiefen« als 
»gesehene«. 
Ganz scharf müssen stets »sehen«, »kinästhetisch haben« und »haben 
überhaupt« geschieden werden. Spezifische Tiefe also wird nie »ge^ 
sehen«; sie kann kinästhetisch gehabt werden; sehr oft wird sie nur 
»gehabt überhaupt«. 
4. Frage, ob zusammengesetzte Reize nichts sind als die Summe ihrer 
Elemente oder ob sie als Ganzes, als individualisierte Reize, als »Ge* 
staltreize« (im weitesten z.B. Zeit* oder Tontotalitäten einschließenden 
Sinne) wirken. Diese Frage ist im Sinne der zweiten Möglichkeit ent* 
schieden. 
Im Rahmen der psychofugalen Reihe sind wichtig: 
1. Die Beziehung des Willenserlebnisses (welches das »Gewissens«»« 
erlebnis einschließen kann) zur Tat. Wiederum tritt die Lokalisations* 
frage auf; sie ist hier zwar, vornehmlich anatomisch:'physiologisch, lös»« 
bar, aber offen bleibt die Frage, ob es eine eigentliche motorische Hirn* 
»zentrale« gibt. 
2. Bedeutung der zur »Mechanisierung« führenden Übung von 
Willenshandlungen; (s. o. S. 342). 
3. Beziehung von Gemütsbewegungen (Angst) usw. zu Körper* 
lichem (Herzklopfen usw.). 
Es darf nie vergessen werden, daß auf Psycho^physischem Gebiete 
358 
grundsätzlich nur ganz wenig »erklärt« werden kann, wenigstens wenn 
man unter Erklären mehr als den Nachweis versteht, daß Etwas als Fall 
unter eine schon bekannte Klasse gehört, also, trotz anfänglich anderen 
Anscheines, erledigt ist. Psychophysisch kann eigentlich nur in sehr 
primitiver Art klassifiziert werden ; allenfalls mag man sagen, daß in der 
Zuordnung des einen Gradhaften zu dem anderen Gradhaften mehr 
erreicht werde. Aber meist handelt es sich ja um rein Qualitatives, und 
da ist nichts weiter zu sagen. Wie auf eine Wollung Bewegung als em* 
pirisches Naturphänomen in notwendiger Verkettung folgen, wie Be^ 
wegung und Struktur andererseits mit Empfindungsqualität, und zwar 
je nach ihrer Verschiedenheit mit verschiedener Empfindungsqualität 
eindeutig verknüpft sein könne, das ist, jedenfalls zunächst, das Uns* 
verständlichste, was es überhaupt gibt. 
b) DIE LEHRE VOM PARALLELISMUS UND IHRE KRITIK 
Eben aus dieser Unverständlichkeit heraus ist eine bestimmte Lehre 
über das Verhältnis des Erlebten als Erlebten zu denVerände* 
rungen des materiellen Leibes erstanden, eine Lehre, welche einen Sinn 
haben kann, gleichgültig, ob der Begriff Natur, zu dem ja mein Leib 
gehört, naiv realistisch (also im Grunde metaphysisch) oder kritisch 
als ein »gleichsam« Selbständiges »meinender« Begriff gefaßt wird. 
Die Lehre vom ps ychophysischen P arallelismus, an welche wir hier 
denken, macht aus demjenigen Verhältnis zwischen Erlebten und Leibs* 
liehen, welches wir bisher in unbestimmter Weise »funktionale Be^ 
Ziehung« nannten, ein ganz eigenartiges Verhältnis, das der »Paralleli=s 
tat«; beide. Erlebtes und Leiblic^^^ sollen Bilder derselben Sache sein: 
una eademque res, sed duobus modis expressa (Spinoza). Leibliches 
Geschehen wird dabei ausdrücklich als mechanisches Geschehen 
gefaßt. 
Ich habe anderenorts eingehend^ gezeigt, daß die parallelistische 
Lehre unhaltbar ist, und zähle hier nur meine wichtigsten Argumente 
kurz auf; es sind zum Teil Argumente, welche auch gegen eine rein psy** 
chologisch gefaßte ausschließliche Assoziationstheorie verwertbar sind. 
Kann doch der Parallelismus eigentlich nur eine reine Assoziations^« 
lehre als sein psychologisches »Korrelat« gebrauchen, denn alle »Dis«» 
Positionen« sind ihm ja physisch als Hirn*»spuren«, also dinghaft, ge»» 
geben. 
Die wesentlichsten Argumente gegen den Parallelismus : 
' Leib und Seele, 1916, 2. Aufl. 1920. 
359 
1. Es gibt Phantasietätigkeit und »JEinfäUe«. 
2. Das Haben von Endgültigkeit (das »Urteilen«) wird unver* 
ständlich. 
3. Das Erlebte ist I ch^zentriert , das materielle Geschehen läuft im 
Rahmen des Neben ab. 
4. Schon als Naturphänomen betrachtet, kann die Handlung nicht 
mechanisch, sondern muß »vitalistisch« verstanden werden. 
5. Der Grad der Mannigfaltigkeit des Psychischen i st weit höher a ls 
der des Physischen. 
Wer den psychos«mechanischen Parallelismus ablehnt, muß, wenn 
er hier überhaupt eine endgültige Aussage machen will, den Begriff 
der »funktionalen Beziehung« zwischen Erlebtem und Leiblichem in 
irgendeiner Form ins Kausale wenden, also das vertreten, was meist 
unscharf als Lehre von der psychosphysischen Wechselwirkung be«« 
zeichnet wird. Unscharf ist dieser Ausdruck deshalb, weil zwar nicht 
Psychisches zu Mechanischem in Parallelität stehen, aber auch nicht 
»Psychisches« auf »Physisches« kausal wirken kann. 
Der Sachverhalt ist vielmehr dieser: 
Natur und Seele sind zwei ganz verschiedene Reiche oder Kreise 
des Seins. Kausalität zwischen jhnen anzunehmen ist für die Logik, 
d. h. im Rahmen dessen, was logisch beide Begriffe nach festgelegter 
Definition bedeuten, ein Unding, (womit natürlich nicht ausgeschlossen 
ist, daß METAPHYSISCH den Worten Natur und Seele später ein Sinn 
gegeben wird, der psycho»^physische Kausalität erlaubt). Es bleibt viel«» 
mehr bei einem psydios^physischen »Parallelismus«, aber dieser Paral*« 
lelismus darf kein p sychoi'»mechanischer« sein. Mein Leib, als Natur* 
objekt gefaßt, untersteht nicht^mechanischer, »vitaler« Gesetzlichkeit. 
Eine Entelechie greift in das materielle Geschehen an ihn ein; sie affi«« 
ziert Materie und wird von Materie affiziert. Ihrer Tätigkeit und ihrem 
Leiden, kurz: ihrem Werden, geht parallel ein Werden in der Seele, und 
dessen Knotenpunkte, um bildlich zu sprechen, leuchten als die Ge* 
habtheiten des Selbst auf. Also: mechanisch^entelechiale Natur* Kau* 
SALiTÄT verbunden mit seelischer Parallelität zur entelechialen Kom* 
ponente des Kausalverhältnisses. Das ist es, was das Wort von der 
»psycho^^physischen Wechselwirkung« allein meinen darf. 
Nun ist k eine Diskrepanz mehr da zwischen den Grad en derMann igs 
fa Itigkeit des Psychischen und des (e ntelechial) Ph y sischen. Jedenfalls 
liegt nichts im Wege, sich die Entelechie (als naturhafte »intensive 
Mannigfaltigkeit«) so mannigfaltig zu denken, wie das Wissen um die 
360 
Mannigfaltigkeit des Seelischen es erfordert. Mehr als schematisch ge* 
dacht kann hier ja überhaupt nichts werden. 
Entelechie hat ihre j>Orgamsation<<, und die Seele hat eine gleich 
mannigfaltige, ihr »parallele<ic. Beide sind unbekannt. Daß die ver^ 
schiedenen ßewegungsformen des Mediums und weiterhin die ver^ 
schiedenen gereizten Strukturen im Hirn meines Körpers qual itativ 
verschiedene Empfindungen ergeben, das ruht eben im Wesen der prä^ 
formierten Organisation des Psychoidal en und damit des Psychischen. 
Man wird sagen, es werde hier nur durch Worte erklärt, also eigentlich 
ebensowenig wie vorher. Aber eine rein logisch formale Schematik ist 
besser als nichts. 
Der Kürze des Ausdrucks wegen mag nun immerhin von psycho«« 
physischer Wechselwirkung geredet und gesagt werden, daß z. B. meine 
Gesichtswahrnehmungen durch elektro^magnetische Schwingungen, 
welche Netzhaut, opticus und bestimmte Hirnteile als materielle Sy* 
steme^ erregen, »verursacht« werden. Der Ausdruck ist harmlos, wenn 
ein für allemal als erledigt angesehen wird, was allein er bedeuten 
darf — nämlich das, was oben ausgeführt wurde. In dem, was wir aus# 
führten, liegt, wenn der Ausdruck erlaubt ist, der Sinn des BegrifiFs 
»meine von der Natur her verursachte Wahrnehmung«. Anders gesagt: 
Ich schaue ordnungshaft, daß es den BegrifF »meine von der Natur 
her verursachte Wahrnehmung« in dem geschilderten Sinne als legitimen 
Ordnungshaften Begriff geben darf. 
c) DIE ROLLE DES HIRNS 
Zu der Frage, welche Rolle eigentlich das Hirn im Ablauf des 
Seelenlebens im einzelnen spielt, läßt sich nur ganz Weniges mit 
Bestimmtheit sagen. Ganz sichere Aussagen wären nur möglich, wenn 
ich an meinem Gehirn experimentierte oder experimentieren ließe; 
immerhin sind fremde Aussagen verwertbar, so lange sie nicht irgend«« 
eine Form des »Wahnsinns« bekunden; ist das der Fall, so ist die 
Deutung irgendeiner Wortaussage mit Rücksicht auf das vom Aus«« 
sagenden Erlebte höchst unsicher. Kann er sagen, was er meint? 
Daß das Hirn für die Reproduktion nicht in dem Sinne in Frage 
* ScHELER (Ethik I, S. 559 des »Jahrbuchs«) meint, als »Reiz« dürfe nicht ein Be? 
standteil der mechanisiert — (im Sinne des »auch«sDaseins, s. o. S. 243) — gedachten 
Natur gelten, denn das Sinnesorgan fasse man qualitativ. Ich meine, man soll hier 
zwar keine Vermischung der Betrachtungsweisen eintreten lassen, aber man kann 
doch SOWOHL Reiz wie reizempfangenden Leibesteil als Naturbestandteil im Sinne 
der Materientheorie (darum natürlich nicht etwa den letzteren »mechanisch«) denken. 
361 
kommt, daß es als Träger von festen »Spuren« angesehen werden 
dürfte, durch deren »Anklingen« Reproduktion erweckt wird, geht aus 
unserer gesamten Darlegung hervor. Spuren, aber auch nicht in allzu 
»dinghafter« Weise gedacht, wird man mit Beneke und E. Becher in 
die Seele verlegen. Die Ausfallerscheinungen nach natürlichen oder 
experimentellen Hirnverletzungen sind, z. B. bei den beiden Formen 
der Aphasie, bekanntlich alle nicht eindeutig^. Daß Hirnverletzungen 
Störungen ergeben können, teils ausgleichbare, teils irreparable, ist aber 
sichergestellt. Man wird hier erwägen, daß das Hirn auf alle Fälle ein 
ungeheuer kompliziertes System der Verbindungen zwischen seinen 
eigenen Teilen und damit zwischen den Teilen des gesamten Leibes 
darstellt. Motorische Störungen dürften leichter verständlich sein als 
rezeptorische (sog. Seelenblindheit und ähnliches, kurz: alle Agnosien). 
Aber wie das alles zu deuten ist, wissen wir nicht. 
Über die kausalen Beziehungen der »Seele« oder, strenger, des ihr 
parallel entsprechenden unraumhaften Naturfaktors, zum Hirn gelten 
die allgemeinen Erwägungen des Vitalismus. — 
Es besteht in der zeitgenössischen Psychologie noch immer die Nei* 
gung, im Theoretisieren recht oft auf Physisches, also letzthin auf Hirn* 
ge^chehnisse zurückzugehen. Auch unter den Psychologen, welche 
nicht Parallelisten sind, gibt es solche, die innerseelische Kausalität 
nicht kennen, sondern jedes neue vor dem Bewußtsein stehende Etwas 
vom Physischen, d. h. vom Hirn her gleichsam bezogen sein lassen, so 
wie die Wahrnehmung vom Physischen her bezogen ist. 
Es gelten nun aber gegen diese Lehre teilweise dieselben Argumente 
wie gegen den üblichen Parallelismus, es muß jedenfalls jeder einzelnen 
Behauptungüber ein physischesBezogensein gegenübergeprüft werden, 
ob nicht ein Argument gegen den Parallelismus auch hier gelte. Was 
ich in meiner Schrift »Leib und Seele« über das Wiedererkennen und 
über das Verhältnis von Gedächtnisbildern zu ihren Originalen gesagt 
habe, wird hier von Bedeutung, ebenso alles über das Logische und 
das »Neue« vorgebracht. 
Als Beispiel für das, was wir meinen, diene uns noch die klare bei 
Jaensch ausgeführteUntersuchung von Paula Busse ^ über verschiedene 
Stufen des »Gedächtnisses«: Nachbilder, Anschauungsbilder und Vor* 
Stellungsbilder werden unterschieden. Offenbar sind davon nur die 
^ Gute Darstellung bei Jaspers, Allg. Psychopathol., 1913, S. 199 f., vgl. zu allem auch 
die Werke Monakows. ' Zeitschr. f Psych. 84, 1920. S. auch Jaensch in Bericht 
7. Kongreß exp. Psych. 1921. 
352 
beiden ersten, wenn der kurze Ausdruck erlaubt ist, physisch bezieh:^ 
bar. Sie allerdings stammen wohl geradezu aus Sinneserregungen, 
wennschon aus solchen von innerkörperlicher Art. Die Vorstellungs** 
bilder aber auch nur irgendwie in ihrem Auftreten physisch zu beziehen 
versuchen, heißt ganz denselben Schwierigkeiten sich aussetzen, wie 
sie den Parallelisten begegnen. 
Wir WARNEN also ganz allgemein vor »physischem Bezug« als Ei^ 
klärungsversuch. Man beziehe psychisch, d. h. verwende den Seelen* 
begriff in unserem Sinne, und man befreunde sich rückhaltlos mit dem 
Gedanken iNXRApsychischer, nicht irgendwie in ihren Einzelheiten phy«» 
sisch beziehbarer Kausalität. 
Die Gesamtheit des physisch nicht Beziehbaren an einem seelischen 
Ablaufe mag intrapsychische Reihe heißen ; das sogenannte Innenleben 
besteht ganz vornehmlich aus solchen Reihen. Eine intrapsychische 
Reihe hat nicht nur nicht ihre »Parallele« in materiellem Hirngeschehen, 
sondern braucht nicht einmal mit irgendeinem bestimmtenHirnzustande 
irgendwie eindeutig verknüpft zu sein; ihre Bestimmtheit gründet sich 
im gegebenen und erworbenen Wesen der Seele. — 
Wissen wir so gut wie nichts im einzelnen über die Bedeutung des 
Hirns für Seele und Erleben, so sind wir doch andererseits imstande, 
im GANZEN die Bedeutung des Hirns für das Seelische einigermaßen 
befriedigend zu kennzeichnen. Von Bergson ist ein erster Versuch 
dieser Art ausgegangen; wir können seine Lehre vom Hirn als einem 
Organ der Stellungnahme (attitude) im großen und ganzen an* 
nehmen. 
Die psychophysische Person steht inmitten der materiellen Natur. 
Diese Natur wirkt normalerweise^ unmittelbar stets auf ihren Leib, und 
zwar, soweit das Psychophysische in Frage steht, auf ihre Sinnesorgane; 
diese geben ihre Veränderungen an das Hirn weiter. Der zum Hirn 
weitergegebene Sinnesreiz affiziert das Psychoid ; damit steht in Parallel* 
korrespondenz eine Affektion der Seele, und zu dieser kann in Parallel* 
korrespondenz stehen ein bewußtes Erlebnis. 
Vom Hirn gehen andererseits die Bewegungen des Leibes der psycho* 
physischen Person aus. Bei den Reflexen im weitesten Sinnet ein* 
schließlich aller trial and error=Bewegungen, ist nichts Intrapsychisches 
(oder strenger: Intrapsychoidales)zwischen dasGereiztwerden desHirns 
infolge der Affektion des Sinnesorgans und seinen Bewegungsimpuls 
Feingeschoben. Es wird, psychologisch gesprochen, nichts »gewollt«, 
•* Vom »Hellsehen« reden wir später. * Vgl. Phil d. Org., 2. Aufl., S. 293 ff. 
363 
womit nicht gesagt sein soll, daß das, was geschieht, ohne weiteres ein 
maschinelles Geschehen sei. 
Wird etwas »gewollt« und geschieht infolge der Wollung, so ist eine 
besondere, aus Intrapsychischem stammende Einstellungsleistung des 
Hirns zu setzen, welche eben diese »Handlung« erst materiell ermög* 
licht; und auch auf »Wahrnehmungen« kann das Hirn »eingestellt« 
werden ^ (sogenannte »willkürliche Aufmerksamkeit«). 
Das Hirn ist also ganz allgemein das Vermittlungsorgan der psycho* 
physischen Person; es vermittelt zwischen Reizen und Bewegungen; 
aber nicht in ein für allemal festgelegter Weise. Denn das Hirn ist nicht 
SELBST Maschine, wennschon jede besondere von ihm in Gang gesetzte 
Bewegung in ihrem besonderen Ablauf maschinell sein mag. 
Das Hirn ist also mehr als jedes andere Organ unter steter ente* 
lechialer Kontrolle. Es ist ein Inbegriff möglicher dynamischer Ver* 
BINDUNGSSCHÖPFUNGEN zwischen Sensorischem und Motorischem, zwi* 
sehen Zentripetalem und Zentrifugalem. In diesem Sinne ist es ein Mittel 
für die attitude der psychophysischen Person in toto. 
Nicht, als ob die anderen Leibesteile für sich genommen Maschinen 
wären; aber das Hirn ist dasjenige Organ, dessen vitale, nicht in seiner 
Materie gegründete Kausalität wir »von innen sehen«. 
d) NOCH EINMAL: DIE ORGANISATION DER SEELE 
Der »Organisation« des Seelischen überhaupt, von der wir, bloß 
mit Rücksicht auf das »Innenleben«, schon oben^ redeten, müssen 
nun an dieser Stelle weitere Betrachtungen gewidmet sein. Ich sage ab* 
sichtlich »des Seelischen« und nicht »meiner« Seele, denn ich denke 
auch schon an »fremd«*seelische Phänomene, welche ja populär be* 
kannt sind, mögen wir sie streng logisch auch erst auf späteren Seiten 
erfassen. 
Der Begriff »Organisation« der Seele ist uns immer reicher geworden. 
Anfangs war die Seele nur Stapelplatz (Gedächtnis), dann wurde sie 
»Ordnerin«; sie war im Besitz der Urordnungsbedeutungen und stellte 
die Ergebnisse ihres tätigen Ordnens dem Ich vor, welches alsdann 
»Geordnetes schaut« — (diesen ganzen Sachverhalt schaut aber als 
Ordnungshaft zu recht bestehend Ich selbst). 
Nachdem wir das psy cho*physische Problem behandelt hatten, wurde 
die Seele weiter ausgestattet mit Organisationsmannigfaltigkeiten, auf 
Grund deren sie erstens AfFektionen des Psychoids von der Materie 
' S. o. S. 347 ff. u. 353. ' 347 ff. 
364 
her mit dem bewußten Haben von Qiaalitäten in Parallelkorrespondenz 
beantwortet und zweitens mit der Wollung die Wirkung des Psychoids 
auf die Materie begleitet. 
Wir versuchen nun zunächst, über diejenige Seite ihrer Organisation, 
welche sich, sozusagen, in die Natur hinaus entlädt, etwas Näheres 
auszumachen. 
Bei der Handlung arbeitet die Seele nach Maßgabe ihres Gedacht«» 
nisses, ihrer Bedeutungsschau und ihres Urteilsvermögens; das sind 
allgemeine »Vermögen« im Rahmen des Seelen^organisatorischen. 
Aber wo Instinkte vorliegen, da sind wohl ganz bestimmte Be* 
SONDERHEITEN der Seelenorganisation zu postulieren, da muß die Seele 
offenbar im Besitze von etwas sein, was man eine »inhaltliche Kate* 
gorie« oder inhaltliches Apriori nennen könnte. Wir verstehen nun 
die tierischen Instinkte gar nicht und wollen auch nicht von ihnen 
reden. Wir fragen aber: gibt es auch menschliche Instinktleistungen, 
d. h. von Bewußtsein begleitete Bewegungen, welche auf spezifische 
Reize hin das erste Mal, wo sie geschehen, in vollendeter Typik ge* 
schehen^? Was würde das mit Rücksicht auf die Seele und ihre »Or«« 
ganisation« bedeuten? 
Nur im Vorbeigehen erwähne ich hier die Fortpflanzungsinstinkt* 
leistungen, denn hier ist noch recht wenig analytisch bekannt. Ein paar 
Worte aber seien dem seltsamen Phänomen des Nachahmens gewidmet, 
das neuerdings verschiedentlich Beachtung gefunden hat. 
Es scheint ein seelisches Grundgesetz zu sein, daß wahrgenommene 
Komplexe ganzheitlichen Wesens Bewegungen desselben Ganzheits* 
TYPUS als Reaktionen hervorrufen, aber, sozusagen, transponiert in ein 
anderes Qualitätengebiet. Gehörter Musikrhythmus setzt sich in diesem 
Sinne in Kehlkopf* und Mundbewegungen (Pfeifen) oder in Bein* 
bewegungen (Tanzen) um, gesehene Ausdrucksbewegungen rufen die 
Produktion derselben Bewegungen am eignen Gesicht hervor. 
VoLKELT^ hat das, in Verbindung mit seiner alsbald zu erörternden 
Lehre von der ursprünglichen »Du^Gewißheit«, für seine Theorie der 
ästhetischen Einfühlung verwertet. Er legt mit Recht großen Nachdruck 
darauf, daß kleine Kinder in diesem Sinn gesehene Ausdrucks* 
bewegungen spezifischer Art »nachahmen«, auch wenn sie noch nie ihr 
* Über das Instinktproblem überhaupt s. meine Philos. d. Organ. * Das ästhet. Be* 
wußtsein 1920, S. 128 ff. Vgl. auch den guten Aufsatz von I. K. von Hösslin in Arch. 
ges. Psych. 38, 1918. Auch in den tierpsychologischen Arbeiten Wasmanns wird der 
Begriff der Nachahmung viel benutzt. 
365 
eigenes Gesicht im Spiegel erblickten (anders können sie es ja optisch 
überhaupt nicht wahrnehmen). Hier liegt offenbar eine »Instinkt«^ 
artige Disposition vor^. 
Es dürfte schwer sein, angesichts dieser Tatsachen eine sehr ins 
EINZELNE gehende »Organisation« von Psychoid und Seele abzulehnen, 
und zwar eine solche, welche individualisierten möglichen Reizen, 
also sogenannten »Form«#reizen, im Sinne eines dynamischen Vers« 
mögens harmonisch zugeordnet ist. Das Mißverständnis, daß es sich 
bei den Nachahmungsbewegungen um »Reflexe« handele, braucht 
wohl nicht besonders abgewiesen zu werden. Es handelt sich aber auch 
nicht um Instinkte im eigentlichen Sinn, sondern um eine Sache ganz 
eigener Art. Wollten wir nämlich den eigentlichen Instinkt seelisch 
deuten, so müßten wir wohl sagen, daß auf gegenständliche Besonder^» 
heiten gerichtete Willensziele, vielleicht in anschaulicher Form, in der 
Seele erfahrungsfrei gegenwärtig wären, während es sich bei der Nach:« 
ahmung eben nur um Dispositionen handelt, erfahrbare Ganzheit«« 
LICHKEITEN MIT GANZHEITEN DESSELBEN OrDNUNGSTYPUS ABER VON ANDE«« 
REM SosEiN ZU beantworten. Immerhin sind diese Dispositionen auf 
einen gewissen beschränkten Kreis des Erfahrbaren eingestellt, nämlich 
eben auf optisch erfahrbare menschliche Bewegungen und auf gehörten 
»Rhythmus«, und dieser Umstand nähert immerhin die Nachahmung 
der Instinktleistung. Hier liegt ein weites Feld künftiger Forschung. — 
Die sie zum Ordnen befähigende Organisation der Seele betätigt 
sich jedenfalls, wie wir also gesehen haben, sozusagen in die Natur 
hinein. Wo betätigt sie sich sonst noch, und was wird eigentlich über* 
haupt »geordnet« von ihr und wie wird es das? 
Wurde nur das »Innenleben« berücksichtigt^, so war die Antwort 
auf die Frage nicht schwer. Die gesamten »Materialien«, gleichgültig 
»woher« sie kommen, welche ja tatsächlich immer ganze »Komplexe« 
sind, werden umgeordnet zu neuen ganzen Komplexen nach Maß* 
gäbe gewisser dynamischer Organisationsbestandteile der Seele. So 
allein darf der Satz verstanden werden, daß die Seele nicht »re«*produ«« 
ziere, sondern produziere. 
Diese Seele »ordnet«, was schon »in« ihr ist, um. 
* E. Becher (Geisteswiss. u. Naturwiss. 1921, S. 120 f.) will diese Annahme umgehen. 
Das gelingt vielleicht für das »Verstehen« der lächelnd oder erzürnt blickenden 
Eltern seitens des kleinen Kindes, aber schwerlich für das spezifische Nachahmen. 
Lachen und Weinen des Kindes selbst sind ja rein reflektorisch, also nicht Nach* 
ahmungsbewegungen. ' S. o. S. 348 f. 
366 
Wie nun »ordnet« sie das, was im Wege der Dingwahrnehmung 
NEU in sie hinein kommt? Sicherlich nicht in dem Sinne, daß sie ein 
ungeordnetes »chaotisches« Material zu einem Geordneten überhaupt 
erst macht. Diese Einsicht ist von großer Bedeutung. 
Man vergesse nie, daß in diesem Werk keine Metaphysik, sondern 
Logik getrieben wird. Von dem Verhältnis eines »Wirklichen« zur 
»Erscheinung« ist also gar nicht die Rede. Es handelt sich um die 
Frage, wie die gleichsam selbständigen Natursolchheiten und Natur:« 
beziehungen jeweils im Einzelnen als Dingwahrnehmungsinhalt an 
das Ich und damit an meine Seele heran kommen. Und da kann Ich, 
DER ICH DOCH DEN GANZEN IN FrAGE KOMMENDEN VeRLAUF ALS OrD* 
NUNGSBEGRiFF IN SEINEM Bestehen SCHAUEND SETZE, nur Sagen : sie koms« 
men eben so, wie sie als gleichsam selbständige sind, an Ich und Seele 
heran. Anders gesagt: so oft ich davon rede, daß ich eine Dingwahr^* 
nehmung bewußt habe, setze ich als »Werdegrund« für dieses Erleben 
als Erleben ein Ding, welches gleichsam selbständig da ist, und auf 
meinen Leib und damit auf mein Fsychoid und, in Parallelkorrespon»« 
denz, meine Seele wirkt. Man sieht, die Analyse ist ganz einfach und 
beinahe trivial (für die methodischs^solipsistische Logik). 
Man mißverstehe uns nicht etwa dahin, daß wir lehrten^ es käme 
überhaupt erst zum Begriff Ding- durch einen »Schluß« — (sei es auch 
einen »unbewußten«) — von einer Wahrnehmung als einer ausdrück** 
lieh »subjektiven« Gehabtheit aus. Davon ist beim »Meinen« eines 
Dinges gar keine Rede; dieses Meinen ist unmittelbar gehabt (obschon 
das Ding selbst in seiner quasi Selbständigkeit mittelbar gehabt ist). 
Und davon, was mir Ding bedeutet, reden wir hier ja überhaupt gar 
nicht 1 
Von diesem Sachverhalt vielmehr reden wir: So oft ich mir im 
Rahmen der Logik der Psychophysik ordnungshaft Rechenschaft 
darüber geben will, was es eigentlich bedeutet, daß ich von einer be* 
STIMMTEN Dingwahrnehmung rede, welche ich gerade jetzt erlebe, so 
sage ich: es ist, als ob ein gleichsam selbständiges bestimmtes Natur*« 
ding Werdegrund dieser bestimmten Wahrnehmung gewesen sei. Ob 
dieses Naturding als Qualitäten*Beieinander oder im Sinne der Mate«» 
rientheorie gefaßt wird, ist dabei ganz gleichgültig; das eine ist uns 
ja nicht »wirklicher« als das andere und den Unterschied zwischen 
»primären« und »sekundären« Qualitäten kennen wir als Nicht^meta^* 
physiker, die wir ja in diesem Werke sind, nicht — (womit nicht ohne 
weiteres gesagt sein soll, daß wir ihn als Metaphysiker kennen). 
367 
Man sieht: das, was »empirisches Ding« überhaupt heißt, war hier 
schon VORAUSGESETZT. 
Also NICHT ordnet die Seele einen »Stoff«, wenn Ich wahrnehme. 
Die Seele übernimmt nur, freilich ein nur »gleichsam« für sich Be* 
stehendes, und zwar im Sinne eines Eingliederns in ihren geordneten 
Bestand an Inhalten. 
Dieses Eingliedern in ein Ganzes, das also kein bloßes »An«*gliedem 
ist, mag Ordnen, Einzuordnen heißen; und mit allem bereits Eingeglie^ 
derten. Eingeordneten werden dann, wie früher geschildert wurde, 
i[/m=ordnungen vorgenommen ; in ihnen besteht das eigentliche »Innen* 
leben«. Wir werden alsbald auf noch breiterer Grundlage auf diesen 
Sachverhalt wieder zurückkommen. 
Niemals vergesse man, daß der ganze hier geschilderte Sachverhalt 
für die solipsistische Ordnungslehre ein Gefüge von Ordnungs* 
SETZUNGEN VON DER »MEINENDEN« Art ist und nichts Weiter. Ich setze 
»meinend« Dinge, Leih, meine Seele, Kausalität Ich setze auch als 
Setzung von Ordnungskraft den Sachverhalt, daß, wenn mein Selbst 
etwas Bestimmtes »wahrnahm«, ein Ding, dessen gleichsam^Selbstän* 
digsein als schon erledigt gilt, auf meine gleichsam selbständige 
Duplizität Psych oid* Seele durch Vermittlung meines gleichsam selb* 
ständigen Leibes gewirkt habe, und zwar im Sinne eines »Über* 
gehens«^ 
Ich setze also denjenigen »Subjekts«*begriff, welcher im Rahmen 
der Kausalität in Frage kommt: meine Seele, und als ihren Ausdruck 
mein Selbst, 
Die dynamische Organisation, nach Maßgabe deren die Seele um* 
ordnet, ist es, welche oft mit dem dunklen Wort »Norm«, insonder* 
heit »Denknorm«, bezeichnet wird. 
Ich erlebe Endgültiges, z. B. das Bestehen des Satzes A ist nicht 
Nicht'^A oder das Bestehen der Schematik Kausalität. Das sind mir 
»antezipierte Schemata«, d. h. ihrer gliedhaften Erfüllung nach noch 
unbestimmte gehabte Beziehlichkeiten. 
Von der Seele darf ich nun sagen, daß sie gleichsam unter dem Ge* 
setz dieser Sachverhalte tätig sei oder »denke«, daß sie jedenfalls nach 
Maßgabe ihrer denken »muß«, wenn ich Endgültiges erleben will; 
daß sie also nach ihnen denken »soll«. Für die Seele also, nicht für 
* Ich finde einen ähnlichen Gedanken in Klarheit nur von Dingler (Physik und 
Hypothese, 1921, S. 122) ausgesprochen: »Daß ich Ohren habe und »mittels« dieser 
Ohren höre, dies auch ist logische Konstruktion.« 
368 
Ich, sind die Ursätze der Logik und auch manche Sätze über Natur, 
z. B. der Satz von der Erhaltung der Energie, »Normen«. 
Wir haben hier das Logische bewußtermaßen psychologisiert. Das 
bedeutet uns natürlich nicht eine psychologische Grundlegung der 
Logik, als ob wir von Eigentümlichkeiten und Fähigkeiten des »Ge»* 
mütes« ausgingen. Der Sachverhalt ist vielmehr dieser: in ihrem Ver;* 
LAUFE STELLT DIE OrDNUNGSLEHRE SICH SELBST NOCH EINMAL IN PSYCHO* 
LOGISCHEM Gewände dar. Unsere Psychologisierung der Logik ist also 
eine logische Setzung. 
e) DER IRRTUM 
Von der Möglichkeit des Irrtums, wegen dessen alle empirischen 
Setzungen den Ton vielleicht haben müssen, ist schon wieder»» 
holt geredet worden. Schon dort wurde gesagt, daß irren eine psycho* 
logische Angelegenheit sei, es sei -denn, daß Nichtbestehen der »uni* 
formity of the course of nature« eine Rolle spiele^. 
Der Irrtum betrifft erstens das Einordnen und zweitens das Ein* 
geordnetsein der Inhalte in die Organisation der Seele. 
Bei der bloßen Sinnestäuschung und bei der Verwechslung eines 
Phantasiebildes mit einem »Dinge« wird ein Datum falsch eingeordnet, 
ebenso wenn »viele« Fälle fälschlich für alle gehalten werden. Diese 
Art des Irrtums ist es, aus welcher die Notwendigkeit der Kriterien* 
FRAGE in Sachen der Richtigkeit empirischer Aussagen über Natur 
erwächst^. 
Dagegen kommt ein Mangel des EingeordnetsEiNS offenbar bei allen 
Gedächtnisirrtümern in Frage, welche sowohl in der Natur*, wie in 
der Seelenlehre eine Rolle spielen: ich bestimme ein vergangenes So 
falsch, oder ich ordne einem bestimmten damals zu Unrecht ein be* 
stimmtes So als gehabt gewesenes zu; ich »meine erlebt zu haben«, 
was mein Selbst überhaupt nicht oder doch jedenfalls »damals« nicht 
erlebt hatte^ 
Irrtum bedeutet einen Mangel in der Ganzheitlichkeit der Seele. 
Es genügt der Logik, sein Dasein und seine Formen genannt zu haben; 
erst metaphysisch wird sein Bestehen bedeutsam, daher ist es in der 
»Wirklichkeitslehre«* eingehender behandelt worden. 
f) DIE GEFÜHLE 
Endlich ist in diesem Zusammenhang des bewußten Habens von 
Gefühlen zu gedenken. Wir gedenken ihrer absichtlich erst an 
^ S. o. S. 175fF. «S.o.S. 158. »S. o.S.331. * Wirklichkeitslehre. 2. Aufl., S. 221 fF. 
24 D r i e s c h , Ordnungslehre 369 
dieser Stelle, also im Anschluß an das sogenannte Psychophysische, 
haben sie dagegen, als wir von der Organisation der Seele mit Rück* 
sieht auf das reine »Innenleben« redeten, unerwähnt gelassen, und 
zwar aus ganz besonderen Gründen. 
Das Erleben von Gefühlen, von denen wir aber, wie bekannt^, nur 
Lust und Unlust als unzerlegbare Qualitäten kennen, gilt uns als An^^ 
zeichen von DAUERzuständen der Seele, also nicht, wie das Erleben 
sogenannter Gedanken als Anzeichen von Momentanzuständen, mögen 
auch beide Formen des Zuständlichen das Ergebnis einer Tätigkeit der 
werdenden Seele sein. Hat man doch auch oft die Gefühle als Aus* 
druck von Zuständlichkeit dauernder Art bezeichnet — freilich mit 
Rücksicht auf das »Ich«, was wir, wie man weiß, nicht annehmen 
können, denn Ich »habe« nur in zeitunbezogener Weise. 
Mit Spinoza können wir viele Gefühle als Ausdruck eines Gefördert* 
oder Gehemmtseins der Seele ansehen. Hat sie sich ihrem Wesen nach 
geäußert und kann sich weiter so äußern, so sind die »positiven«, kann 
sie es nicht, so sind die »negativen« Affekte da, wobei naturgemäß alles 
im Unbestimmten bleiben muß, und wobei von den »sittlichen« Ge* 
fühlen absichtlich einstweilen Abstand genommen wird. 
Aber es handelt sich bei den Gefühlserlebnissen doch wohl nicht aus* 
schließlich um rein Seelisch*Zuständliches als solches. Die Seele steht, 
wie wir wissen, in Parallelkorrespjond_enz^im_Psyc als Natur* 
faktor, dieses aber steht in Wirkungsbeziehung zum Leibe. Es können 
also durch die Gefühle auch Leibeszustände in ihrem zuständlichen 
Gefördert* oder Gehemmtsein dem Ich vermittelt werden, und eben 
deshalb gehören die Gefühle in die Lehre von der Seelenorganisation, 
insofern sich diese auf Psycho*PHYSiscHES bezieht. 
Daß die Ausdrücke »Gefördert«* und »Gehemmt«*sein in diesem 
ganzen Zusammenhange recht vag sind, entgeht mir durchaus nicht. 
Sie hängen an dem Begriff der »Normalität«, beziehungsweise der ent* 
wicklungshaften Normalität, und der ist empirisch immer vag. 
Es kann also seelisch, kann aber auch »biologisch« bedeutsam sein, 
daß sich Lust* oder Unlust*töne bestimmten Inhalten anhängen. Un* 
zeitgetönte Gefühle könnte man von Zeitgetönten, wie Vorfreude, 
Angst, Hoffnung, sondern; die zweiten sind stets »empirisch« ge* 
gründet. 
Ganz unmittelbar und unauf hellbar zum Wesen der Seele gehört 
es, daß sie überhaupt dem Ich Gefühle vorstellen kann, und auch, daß 
_____ 
370 
sie sie eben in diesen Inhaltsverbindungen schafft, wie sie es tut. Es 
gehört das ganz ebenso zu ihrem Wesen, wie daß sie eben allem Un^« 
anschaulichssBedeutungshaften für das Ich die Formen des dieses, nicht, 
solches, soviel usw. gibt, oder daß sie das Ich in den Formen der Fars* 
ben. Töne usw. »anschauen« läßt. 
6. DAS »ANDERE« ICH 
Jetzt erst sind wir imstande, einen Ordnungsbegriff in Strenge abzu^ 
leiten, den das populäre Leben und auch die naiv wissenschaftlich 
arbeitende Psychologie, zumal die experimentelle, als selbstverständ«« 
lieh ansieht und an den Ausgang aller ihrer Betrachtungen stellt, den 
Begriff das andere Ich, bezw. die anderen »Iche«. 
Wir kennen die Bedeutungen der Worte Ich, mein Selbst, meine 
Seele; wir wissen, daß meiner Seele die Entelechie meines Leibes als 
Naturfaktor parallel zugeordnet ist. Wir wollen die Gesamtheit des in 
der Parallelität von meiner Seele und meiner Leibesentelechie Erfaßten 
meine psychophysische Person nennen, ein Ausdruck, den wir übrigens 
schon gelegentlich verwendeten. 
Dann dürfen wir sagen: Es gibt (empirisch) viele »psychophysische 
Personen«. Das aber heißt im Sinne der Ordnungslehre das Folgende: 
Es »gibt«, im Sinne von als gleichsam selbständig seienden und 
werdenden Naturgegenständen, viele meinem Leibe ähnliche Körper, 
nämlich diejenigen der anderen Menschen und der Tiere, deren nichts 
mechanische Natur ich kenne, und welche ich ansehe, als seien sie 
gleichsam einer Seele und einem Selbst parallel zugeordnet. Man be* 
achte hier das doppelte »gleichsam«. 
Solches ist die Bedeutung des Begriffs die andere psychosphysische 
Person für die Logik, sie schließt, wie man sieht, die Bedeutung dessen 
ein, was allein die Logik unter dem »andern Ich«, dem »Du« verstehen 
darf. Erst Metaphysik möchte vielleicht anderes darunter verstehen. 
Die Bedeutung des »Du« bleibt, was sie ist, gleichgültig wie im be^ 
sonderen man psychogenetisch zu ihr gelangt, eine Frage, über die be* 
kanntlich gestritten wird. Am populärsten ist es, hier von der Betätigung 
eines Analogieschlusses zu reden: Hier mein Leib und mein Ich in 
paralleler Korrespondenz, dort auch so ein Leib — »also« auch ein Ich. 
Th. Lipps hat Schwächen dieser Beweisführung aufgedeckt, er sieht in 
seiner Einfühlung so etwas wie einen originären »Instinkt«, aus dessen 
Betätigung das Du hervorgehen soll. Scheler geht sogleich auf den 
Boden des Metaphysischen und will das andre Ich, obschon natürlich 
2** 371 
nicht sinnlich, »wahrnehmen«. Zuletzt hat in sehr tiefgehenden Er# 
örterungen Volkelt ^ die Lippssche Gedankenreihe gewissermaßen um* 
gedreht: es gibt nach ihm eine mit dem Sichselbstwissen des Ich gleich 
ursprüngliche intuitive »Du*GEwissHEiT«,sie ermöglicht »Einfühlung«, 
zu deren Rechtfertigung und zu deren Ausbau im einzelnen freilich 
das Verfahren des Analogieschlusses heranzuziehen ist. Volkelts Du* 
Gewißheit geht übrigens nur, und auch das nur im Sinne des »Implicit* 
bewußten«, auf das Du überhaupt, nicht wie Schelers^ »Wahmeh* 
mung« auf das besondere fremde Ich. 
Mir selbst erscheint Volkelts Du^Gewißheit und erst recht Schelers 
Erfassung des besonderen Du als ein allzu inhaltliches »Apriori«, um 
einmal kantisch zu sprechen; beide wären zugleich Instinkt und »Kate* 
gorie«. Ich setze daher eine Psychogenese des Du* Wissens von fol* 
gender Form (wobei selbstverständlich nicht von einem bewußten 
Machen seitens des Ich die Rede ist) : 
Das Bewußtsein ist Träger aller Urordnungsbedeutungen; zu diesen 
gehört Ganzheit. GANZHEiTS*»gewißheit« also ist originär da. Sie wird 
ihrer Schemenhaftigkeit entkleidet und inhaltlich erfüllt: erstens durch 
das Gebaren des eignen und fremder Leiber, rein als Naturdinge ge* 
nommen, zweitens durch die Erfahrungen über das eigene Innenleben. 
Weiter wird erfahren die parallele Korrespondenz zwischen der vitalen 
Seite des Eigenleibes und Eigeninnenlebens, und auf Grund dieser 
wird in Parallelkorrespondenz zum Gebaren des fremden Leibes das 
Du, das »andere« Ich gesetzt. Ich arbeite also mit einem Ursprung* 
liehen: der GanzAeiYsgewißheit, und mit dem Analogieschluß. Die 
Hauptschwierigkeit des gesamten Problems, die Frage, wie es eben zu 
dem »anderen« kommt, wird meines Erachtens zuerst auf dem Boden 
der Naturwirklichkeit erledigt (der »andere« Leib im Unterschied vom 
eigenen); ist sie hier erledigt, so ergibt sich das andere »Ich« wirklich 
rein analogisch nach der Proportion a : b = c : x. 
Es wird also nicht ein gegebenes »fremdes Seelenleben« einfühlend 
oder unmittelbar wahrnehmend erfaßt, sondern ich setze, wenn ich den 
»anderen Ganzen« überhaupt schon habe, in Analogie zu dem von mir 
»verstandenen« eigenen Seelenleben, als einen sehr komplizierten Be* 
^ Das ästhet. Bewußtsein, 1920, Abschnitt 4. Hier alle Literatur. • In seinem »Ro* 
binson«sBeispiel nähert sich übrigens Scheler sehr der Auffassung, die dann Volkelt 
in eingehender Darlegung vertrat; vgl. Schelers Ethik, S. 542 des »Jahrbuchs« II, 
1916. E. Bechers Polemik gegen Scheler (Geisteswiss. u. Naturwiss. 1921, S. 119 f. 
und 285 ff.) geht nur auf dessen ältere Lehre. 
372 
gri£F, das fremde Seelenleben und »verstehe« es dann natürlich auch, 
nämlich aus der ungeheuren Fülle der mir durch die Phantasie ge# 
gebenen Möglichkeiten heraus. Versagt meine Phantasie, so nenne ich 
das fremde Seelenleben »unverständlich«. 
An dieser Stelle sei der »verstehenden« Psychologie von Jaspers kurz 
gedacht: 
Im Grunde stellt die »verstehende« Psychologie nur fest, daß ges» 
wisse empirisch, etwa historisch, vorliegende Sachverhalte Fälle einer 
schon bekannten Klasse sind. Dadurch vereinfacht sie numerisch; aber 
auflösen, »erklären« tut sie gar nichts. Das kann immer nur durch ord»* 
nungshaftesSetzen empirisch daseiender entelechial*»psychischerWerde* 
faktoren geschehen. Die »verstehende« Psychologie ordnet also nur 
das Material für die eigentlich ordnungshafte Untersuchung. Daß ich 
den »andern« verstehe, heißt nur, daß ich mir seine Erlebnisfolge als 
die meinige denken kann, daß in der seinen kein neues Problem vor:« 
liegt — aber meine eigene Erlebnisfolge selbst »verstehe« ich ja doch 
NICHT aus dem bloßen Erleben heraus im wissenschaftlichen Sinne, 
sondern erst dadurch, daß ich in ihr als in einer für Ich rein gegenständ*« 
liehen Angelegenheit gewisse Formen aus dem Gebiete der Kausalitäts^* 
schematik schaue. Zum Behufe kausaler »Erklärung« muß das eine 
als aus dem anderen ER^folgend geschaut werden, nicht nur als dem 
anderen folgend. Soll doch das kausal »Erklärte« sich wie eine Folge zu 
einem Grunde verhalten. Die Erlebnisreihe aber folgt nur auf^», sie er* 
folgt nicht auseinander als unmittelbar gehabte Erlebnisreihe, und sogar, 
wenn sie in dem Erleben der Glieder einer Schlußkette besteht, ist das 
der Fall. Dann sind zwar die Glieder der Schlußkette als Gegenstände 
zueinander Grund und Folge, aber nicht gilt das von ihrem bewußten 
Gehabtsein als Gehabtsein. 
»Verstehende« Psychologie ist also etwas Vorwissenschaftliches. 
Sind übrigens doch das eigentlich (empirisch) Gegebene auf dem 
ganzen Felde des Wissens um »den anderen« immer nur Bewegungen 
der anderen Leiber und ihre Folgen, zu denen ja auch alles Geschriebene 
und Gesprochene gehört. Die Besinnung darauf, wie armselig das em^» 
pirisch Gegebene ist, darf nie vergessen werden. Ja, man möchte wohl 
gar der Vermutung Raum geben, daß »fremdes« Seelenleben seinen 
höherenFunktionen nach noch in gewissemSinne »normal« sein möchte, 
wo es mir aus den vorliegenden Bewegungsäußerungen heraus ein* 
schließlich der Sprachäußerungen abnorm erscheint. Vielleicht liegen 
da für das Du nur Hemmungen normaler Äusserung vor oder auch 
373 
Hemmungen und Störungen normaler Rezeption; der Paranoische 
wäre dann angesichts dessen, was ihm erlebheitsmäßig gegeben ist 
(Wahnideen, Wahnstimmungen usw.), gar nicht »irre«, er bekommt 
eben »falsche« Data. »Zwangsideen« aber würden sich dadurch von 
»Wahnideen« scheiden, daß bei jenen die Falschheit des Datums noch 
erkannt wird, bei diesen nicht. Verschiedenheiten des angeborenen 
Urteilsvermögens möchten da eine Rolle spielen, auch wohl Ver*» 
schiedenheiten der »Bildung«, z. B. Halluzinationen gegenüber. Und 
so wären vielleicht »Geisteskrankheiten« in Wahrheit »Leibeskrank:« 
heiten«. Doch ist Entscheidung auch hier wieder einmal grundsätzlich 
ausgeschlossen; denkbar ist eine »Krankheit« der »Seele« ihren höheren 
Funktionen nach auch. 
Es GIBT also empirisch viele, wie sich noch zeigen wird, in Typen 
zerfallende andere psychophysische Personen, die Menschen und die 
Tiere. Die Frage, inwiefern es z. B. im Typus Mensch noch verschiedene 
Untertypen gibt, wie den des optischen, akustischen, kinästhetischen 
Vorstellungslebens, überlassen wir der ausführenden Wissenschaft. 
7. »ERKENNTNISTHEORIE« IM PSYCHOLOGISCHEN 
GEWÄNDE 
a) UNBEFANGENE FORM 
Habe ich das »fremde Ich« und die »fremde Seele« gesetzt, so darf 
ich nun auch von einem Begriff Verwendung machen, der sich 
seit AvENARius, und zwar nicht nur bei seinen Anhängern, keiner 
großen Beliebtheit mehr erfreut, des BegriflFs der »Introjektion«; frei* 
lieh darf ich das nur im Rahmen der Ordnungslehre, denn ich he^ 
treibe hier ja diese und nichts anderes. 
Ich habe nichts »in« mir, sondern Ich habe bewußt Gegenstände; 
dasselbe gilt von mein Selbst^. Aber meine Seele hat, bildlich ge*« 
sprochen, seelische Dinge »in« sich, insofern sie Gedächtnis ist, und 
verarbeitet diese Dinge zu neuen anschaulichen Dingen (Phantasie* 
bildern, Gefühlen und Gedanken). 
Eben das gilt nun auch von fremden Seelen: sie alle haben »in« 
sich und »tun« etwas, auf Grund ihrer Organisation, mit dem, was 
sie »in« sich haben: Der Sachverhalt, daß es seelisches Innenleben 
gibt, FORDERT diese Annahme; sie aber bedeutet »Introjektion« im ge* 
* Daß auch »mein Kopf« oder »mein Hirn« nichts »Psychisches« in sich hat, braucht 
wohl nur unter dem Text kurz gesagt zu werden. Sollte jemand das »Introjektion« 
nennen, so verwerfen wir natürlich diesen Begriff ebenso wie er. 
374 
klärten, rein ordnungsmäßigen Sinne des Wortes. Angesichts der In* 
trojektion kommen wir nun zum dritten*«^ und letztenmal auf die Frage 
nach der seelischen Organisation. 
Wir beginnen mit einer Voruntersuchung und sagen an erster Stelle: 
Der Unterschied der sogenannten »bloß subjektiven« sekundären 
von den »objektiven« primären Qualitäten spielt auch jetzt keine Rolle 
in unserer Lehre. Der Naturordnungslehre waren rot, warm, tönend 
Eigenschaften der Dinge, die sie freilich, da sie nicht meßbar waren, 
zugunsten »auch« vorhandener meßbarer Eigenschaften vernach* 
lässigte^; da hatte das »Subjekt« überhaupt keine Eigentümlichkeiten, 
sondern war schlechthin Ich. 
Aber jetzt habe Ich ja als »Objekt« für mich Subjekte, nämlich die 
Seelen, einschließlich meiner, gesetzt. Und diese für das Ich als Ob*= 
jekt bestehenden Subjekte besonderer Art haben »Eigenschaften«, 
»Vermögen«, »Tätigkeiten«, und zwar das alles »in« sich. Auch die 
»Empfindung«, als ein dem bewußten Haben einer reinen Solchheit 
entsprechenden Seelenzustand, ist jetzt etwas in der Seele — (nicht in 
»mir«). Oder anders: da ist etwas in der Seele, wenn Ich oder ein 
»Anderer« rot, warm, eis gegenständlich hat; ja — so muß Psychos« 
physik sagen — Ich habe nur deshalb rot, eis, warm, weil dieses Etwas 
»in« der Seele ist. 
Sieht das nun nicht doch nach einer »bloßen Subjektivität« der 
sogenannten sekundären Qualitäten aus ? Wohl nur scheinbar. Denn 
die Dinge der Natur bleiben für die Logik farbig oder tönend, auch 
wenn aus bestimmten Gründen von diesen ihren Eigenschaften ab* 
gesehen wird bei weiterer wissenschaftlicher Behandlung, und eben 
deshalb sind die reinen Solchheitseigenschaften der Dinge, obwohl 
sie durch die Introjektion »subjektiv« geworden sind, doch auch 
immer noch »objektiv« im Sinne mittelbarer naturwirklicher Gegen* 
ständlichkeit. 
So schaue Ich es als in Ordnung bestehend. 
Von Metaphysik ist hier gar keine Rede, und nicht wird etwa die 
Welt der Materientheorie als »wirklich« gesetzt ^ Höchstens darf ich 
sagen, es sei so, als oh die Natur als Welt der Materientheorie selb* 
ständig im Räume bestünde und in Seelen (besser: in psychoidal* 
psychischen Parallelverknüpftheiten) etwas »auslöse«, auf Grund 
dessen Iche Qualitäten »empfinden«. Aber dabei ist von allem, was 
' S. o. S. 347 u. 364. ' S. o. S. 242 f. " Das dürfte freilich auch eine Metaphysik nicht 
tun] Vgl. meine Wirklichkeitslehre. 
375 
in der Natur selbst »qualitativ« ist, nur aus besonderen methodischen 
Gründen abgesehen, nichts weiter! 
Aber die beziehlichen Ordnungsformen der Natur, die »Kategorien«, 
werden bei Zulassung der Introjektion doch offenbar »bloß subjektiv«? 
Nein, auch sie brauchen das jedenfalls nicht, so lange wir Logik 
treiben — (ob auf metaphysischem Boden oder ob nicht auf ihm, steht 
ja nicht zur Untersuchung). 
Da IST, so KÖNNEN wir sagen ^, im empirischen Sinne des Wortes, die 
Natur mit ihren raum^zeitlichen, kausalen, substantiellen Beziehungen. 
Da IST auch das entsprechende Natur^Bild der Seelen. Keine Rede 
also ist auch jetzt von einem »rohen Stoff«, den das »Gemüt« gleich*« 
sam willkürlich ordne. Geordnetes geht, durch Parallelkorrespondenz 
mit dem »Psychoid« vermittelt, über von dem Seinsreich Natur in 
das Seinsreich Seele mit seinem zweiten Parallelkorrespondenten »Ich«. 
Allenfalls dürfen wir, wenn wir für Natur den Boden der Materien* 
theorie betreten, also, wie gesagt, von den Naturqualitäten wieder he^ 
wüßt absehen, sagen, eine »farblose« Welt erfahre gleichsam eine 
»bunte« Abbildung unter Wahrung aller für jene bestehenden Rela:* 
tionen. Aber das ist eben wieder nur ein »Absehen«. 
Von einem »Wirklichen«, welches die Seele als ein auch Wirkliches 
»affiziere«, ist wiederum keine Rede. Übrigens würde auch eine echte 
Metaphysik der Wahrnehmung nicht die in diesenWorten sich kund *= 
gebende rohe Form haben dürfen. 
Wir vertreten hier implizit die Lehre von den »Gestaltreizen« und 
zwar sogar in sehr primitiver Form: Hier (in Natur) besondere 
Raum:»Form — dort (in Seele) dieselbe Raum^Form als Erlebnis ; hier 
besondere Dingheit oder Kausalität — dort als erlebte dieselbe be* 
sondere Dingheit oder Kausalität. Immer wieder sagen wir aber, daß 
das mit einer Metaphysik der Wahrnehmung gar nichts zu tun hat; 
es ist »nur« Ordnungslehre. 
b) KÄNTIÄNISIERENDE FORM 
Freilich ist nun auch noch eine andere ordnungshafte Auffassung 
der gesamten hier in Frage kommenden Sachlage möglich ^ eine 
Auffassung, die ein wenig mehr nach dem aussieht, was man unter 
einer »kritischen Erkenntnislehre« heute zu verstehen pflegt. Um ein 
Erkennen in unserem Sinne, d. h. um irgendeine Form des wissenden 
* Was die Worte »fcraucften jedenfalls nicht« und »feönnen wir sagen«, bedeuten, 
wird alsbald klar werden. " Vgl. die vorige Anm. 
376 
Erfassens eines Ansich, eines Wirklichen, soll es sich freilich auch jetzt 
nicht handeln; wir bleiben in unserer Logik. Aber vielleicht könnte 
die Angelegenheit so geformt werden, daß es sei, als ob wir etwas Ich*» 
fremdes »erkennten«, wo denn das Wörtchen als ob dasselbe bedeuten 
soll, wie da, wo wir von den Gegenständen der Natur redeten, welche 
sich verhalten, als ob sie selbständig für sich bestünden, oder von dem 
»anderen« psychophysischen Wesen, welches sich dazu noch verhielt, 
als ob seiner Entelechie Seele in Parallelkorrespondenz zugeordnet sei. 
So kämen wir also im Rahmen der Logik zu etwas, das gleichsam 
eine »Erkenntnistheorie« ist, wohl wissend, daß eine echte Erkenntnis«« 
theorie nur da ihren Platz hat, wo erkannt werden soll, also als Ein* 
gang zur Metaphysik. 
Mit den reinen Solchheiten und der raumzeitlichen Ordnung bleibt 
auf dem neuen Standpunkt alles, wie es war: diese gehen einfach in 
das Gehabtwerden seitens der Subjekte »über«; den Unterschied 
zwischen Primärem und Sekundärem gibt es auf diesem Felde auch 
jetzt nicht. Aber bezüglich der beziehlichen »Kategorien«, insonder* 
heit Dinghaftigkeit, Kausalität und Ganzheit, könnte man die Sach* 
läge noch anders wenden, als wir sie bis jetzt gewendet haben. 
Dinghaftigkeit, Kausalität und Ganzheit, so sagten wir bisher, 
sollten auch »übergehen« aus dem gegenständlichen in den Gehabt^« 
seins^sZustand. Liegt da nicht eine gewisse Schwierigkeit? Das Wissen 
um diese Sachverhalte ist doch nicht mit einem Schlage da, sondern 
wird »erworben« und zwar in »verbesserbarer« Form. Von der Kausa* 
lität gilt das ganz klärlich für jedermann: das bloße post ist ja doch 
ohne weiteres kein propter; und das Kind hat sogar auch »lernen« 
müssen, wann jeweils eine Gesamtheit des unmittelbar Gegenständ* 
liehen ein Ding meinen darf. 
Wir finden uns hier einem Sachverhalt gegenüber, den die Populär* 
Philosophie mit den Worten auszudrücken pflegt, daß Qualitäten und 
ihre raumzeitliche Ordnung angeschaut, Dinghaftigkeit und Ursäch* 
lichkeit aber »bloß gedacht« seien. Wie wir selbst ausdrücken, was 
hier gemeint ist, weiß der Leser. Wie nun steht das alles zu einer »Er* 
kenntnislehre«, soweit die methodisch*solipsistische Ordnungslehre 
eine solche im Sinne des gleichsam überhaupt kennen kann? Wie läßt 
sich alles wenden, wenn man die Lehre vom bloßen »Übergehen« aus 
dem Gegenstands* in den Gehabtheitszustand für das Empirische, 
insoweit es den Ordnungsformen Ding^ Kausalität, Individualität 
unterstellt ist, nicht zulassen will? 
377 
Die Frage ist, scharf geformt, offenbar diese: Ich schaue im Etwas 
die Ordnungstönungen Ding, Kausalität und Ganzheit; diese Worte 
bezeichnen Ordnungsbeziehungen des (mittelbar) Gegenständlichen. 
Ich setze mein Schauen in jedem Einzelfall als Folge eines Affiziert* 
Werdens meiner gleichsam selbständigen Duplizität Psychoid= Seele 
durch das als erledigt geltende gleichsam selbständige Naturhafte (ja, 
ich rede in demselben Sinne vom Schauen gleichsam selbständiger 
»anderer Ich« und dem Affiziertwerden anderer Psychoid* Seelen). 
Kann nun das »Kategoriale« der Natur ebenso einfach als aus ihr in 
die Seelen »übergegangen« angesehen werden, wie das bei den Quali* 
täten und ihrer raumzeitlichen Ordnung möglich ist? Oder welche 
Möglichkeit bestünde sonst? 
Erinnern wir uns an unsere Lehre vom Irrtum bei der Erfassung 
des Naturwirklichen ^: Der »Mann« im dunklen Walde war »wirklich« 
ein Baumstamm; Ich hatte mich »geirrt«. Hier vermengte sich die 
Logik des Naturwirklichen mit der Logik des bewussten Habens in 
DER Abfolge des praktischen Erlebens. Ich schaute ordnungshafte 
Sachverhalte beider Gebiete durcheinander gemengt, und eben da^ 
durch wurde mir Natur besonders klar und einfach. Könnten wir 
nicht die Aufgabe, welche jetzt vor uns steht, ich sage nicht ebenso, 
aber doch ähnlich lösen? Wir sagen, wie hier folgt: 
Das mittelbare, als gleichsam selbständig gemeinte Naturgegenständ«» 
liehe, soweit es eine raumzeitlich geordnete Gesamtheit von Qualitäten 
ist, affiziert die als gleichsam selbständig gemeinten Psychoide und, 
in Parallelkorrespondenz dazu, die Seelen (fremde und meine); die 
Seelen »verarbeiten«, unbewußt, diese Materialien, welche sich, wie 
das »Gegebene« einmal ist, eine solche Verarbeitung gefallen lassen, 
mit den ihnen eigenen Urordnungsformen zu Ding, Kausalität, Ganz= 
heit und stellen dem Ich das so Verarbeitete in zeitlich immer größerer 
Klarheit vor. So schaue Ich die in den Formen Ding, Kausalität, Indi= 
vidualität stehende Natur. 
Das alles steht natürlich im Rahmen des als gleichsam selbständig 
gemeinten Seins und ist durchaus unmetaphysisch. 
Man sieht, wie jetzt, aber erst jetzt, unsere Bedeutungsanalyse des 
Naturbegriffs, des Dingbegriffs usw. eine »psychogenetische« Auf^ 
fassung gestattet. Tätig, freilich nicht bewußt ich »«tätig, ist z. B. aus 
/etefs/ifers5o=Daten und Urordnungsfunktionen derDzng=begriff all*« 
MÄHLICH von der Seele »gemacht« worden. Das kleine K ind »lernt« ja 
' S. o. S. 175. 
378 
doch, was ein Ding sei, und es mag dabei geradezu »unbewußt« den 
Einzelschritten unserer Bedeutungsanalyse folgen. 
Man sieht ferner, wie sich auch hier, ganz wie beim Irrtum, Natur*» 
HAFTES UND Seelenhaftes mit Rüclcsicht auf das Gehabtwerden durch:» 
DRINGEN. Sie tun das in noch viel engerer Weise als beim Irrtum: was 
ich populär »Natur« nenne, so sagt diese AufiFassung, das ist »eigent*» 
lieh« gar nicht in Reinheit Natur als ein gleichsam Ich^fremdes, son* 
dern ist Natur nach ihrem Hindurchgehen durch die unbewußte Or^ 
ganisation und Dynamik meiner Seele oder, um mit Kant zu sprechen, 
meines »Gemütes«. 
c) DIE ENTSCHEIDUNG 
Es muß dem Leser überlassen bleiben, für welche »Erkenntnis«* 
theorie im Rahmen der Ordnungslehre er sich entscheiden will. 
Nie darf vergessen werden, wie das Pseudo«=»Erkenntnis«:'problem hier 
überhaupt ersteht; Es würde nicht auftreten, schaute Ich endgültig 
Ordnung in uNverbesserbarer, irrtumsfreier Form, sozusagen in einem 
Akt, und gäbe es nicht die »Anderen« als meine Gegenstände, hätte 
ich nicht quasi^Subjekte zu Objekten. 
Unsere zuerst dargestellte Lehre ist einfacher als die zweite; aber 
sie hat gegen sich die Tatsache der Irrtumsmöglichkeit und der Ver:* 
besserbarkeit in Hinsicht jeder Ding«» und Ursächlichkeitserfassung 
und, mit Rücksicht auf Kausalität insbesondere, den Umstand also, 
daß in irgendeinem post vom Stoß vielleicht abgesehen, doch eben 
nicht ohne weiteres das propter erfaßt wird, so daß es mit dem ganz 
schlichten »Übergehen« des Gegenständlichen in seiner ordnungs* 
haften Gesamtheit in das Gehabtsein hinein seine Bedenken hat. 
Daß Ich diese ganze seltsame quasi=»Erkenntnis«*»theorie als Orc/- 
nungsverhältnis sehr zusammengesetzter Art schaue und setze, ist na«» 
türlich nie zu vergessen; und irgendein metaphysischer Gedanke darf 
sich hier nun eben gar nicht einschleichen. Daß sich, wenn wir schon 
hier Metaphysik treiben wollten, alles ganz und gar nicht etwa im 
Sinne einer »Affektion« wirklicher Seelen durch wirkliche materielle 
Gegenstände, etwa nach Descartes oder Locke, gestalten würde, haben 
wir oft genug gesagt. 
Ganz besonders wolle man beachten, daß wir nicht dem Ich, son* 
dern der Seele »Vermögen« zur weiteren Verarbeitung von bloß räum* 
zeitlich geordneten Solchheitsdaten, also etwa zum »Machen« einer 
besonderen Dingvorstellung, zugeschrieben haben. Seele aber ist für 
379 
das Ich ganz ebenso gemeinte mittelbare Gegenständlichkeit wie Na= 
tut. Was wir an zweiter Stelle gelehrt haben, ist Dieses: Die ich»»ge^ 
schaute Natur ist zusammengesetzt aus Ordnungsbestandteilen, welche 
schlicht geschaut sind und nur auf das Gegebene zurückgehen, und 
aus solchen, die auch auf ein Verarbeitetsein durch die Seele zurück* 
gehen. Aber Ich habe ja »die Seele« mit dem, was »in« ihr ist, und ihr 
Verarbeiten als meinen Ordnungsbegriff gesetzt! 
Manches an diesen Ausführungen klingt kantisch. Unsere Lehre 
erinnert in der Tat an jenen Satz von der »Natur unseres Gemütes«, 
welche alle unanschaulichen Formungen »ursprünglich« in eine un* 
anschaulich noch ungeformte Gesamtheit »hineingelegt haben« soll. 
Aber sie ist doch darum nicht kantisch — (ganz abgesehen davon, daß 
sie uns erst an dieser Stelle des Ganzen, aber nicht in der Naturlogik 
als solcher oder gar am Beginn alles Philosophierens beschäftigt) — 
und zwar ist sie es deshalb nicht, weil wir eben die methodisch^solip*» 
sistische Grundlage der Ordnungslehre keinen Augenblick verlassen, 
und weder von Dingen an sich, noch von Ichen an sich, noch von 
»Bewußtsein überhaupt« reden. Unsere »AfFektion« geschieht durch* 
aus im Reiche des gemeinten Gegenständlichen. Und natürlich muß 
auch bei der zweiten der möglichen »erkenntnistheoretischen« An* 
fassungen der Umstand, daß nun eben bestimmte Daten der Seele zur 
kategorialen Verarbeitung dargeboten werden, andere aber nicht, auf 
Rechnung des Gegebenen gesetzt werden. 
Noch einmal sagen wir, daß unsere kantisch klingende »Erkenntnis* 
theorie« zwar möglich, aber nicht durchaus notwendig ist; die Lehre 
vom TOTALEN »Übergehen« der Natursachverhalte in die Seelen ist 
ebenso »möglich« und wäre, sozusagen, reiner. Ich schaue hier zwei 
mögliche beziehliche Ordnungstypen an demselben Sachverhalt seiner 
Gegebenheit nach, von denen nun freilich die »reinere« Form den Irr* 
tum und die »Verbesserung« meiner Naturbegriffe einschließlich des 
Wissens um ihr seelisches Gewordensein von der Zeit her, als mein 
Selbst einem »kindlichen« Leibe zugeordnet war, nicht erklärt. 
Den ersten Typus können wir kurz den aristotelischen, den zweiten, 
wie schon gesagt, den kantischen Typus nennen. 
Beim ersten ist die Seele mit Rücksicht auf den Empfang des »Neuen« 
tabula rasa, ausgestattet mit der Fähigkeit unbegrenzten Empfangens 
von Inhalten und Formen; ihre »Organisation« kommt nur für die 
»Verarbeitung«, d. h. Umarbeitung dessen, was sie bereits besitzt, in 
Frage sowie für die EiNgliederung des Neuen in ihren Besitz. 
380 
Beim zweiten, kantischen, Typus kommt ihre Organisation schon 
für den Empfang des Neuen selbst in Frage: sie gibt ihm Form, wenig«* 
stens unanschaulich kategorische Form, rein empfangend verhält sie 
sich nur den bloß raumzeitlich geformten Inhalten gegenüber. 
Alles das aber im schlichten Rahmen der Ordnungslehre. Alles ist 
ich^gehabte Ordnungsschau. 
d) ÜBER y>ERKENNTNISTHEORIEoi ÜBERHAUPT 
Ein paar Worte über den Begriff einer Erkenntnistheorie über^ 
HAUPT mögen unseren Betrachtungen noch anhangsweise beigem 
geben werden, um auch den leisesten Anschein zu vermeiden, als 
brächten wir in unsere methodisch *solipsistische, durchaus unmeta»» 
physische Ordnungslehre Dinge hinein, die nicht in sie hinein gehören. 
Fast alles, was sich heute, zumal im Kreise der Neukantianer, »Er*» 
kenntnistheorie« nennt, ist keine Theorie des »Erkennens«, sondern 
des Wissens, des Bewußt ^habens. Denn das Wort »erkennen« soll 
doch nun einmal^ das Wissens ^Verhältnis des Ich zu einem An »s sich 
ausdrücken, und davon ist gerade bei den strengen Neukantianern so 
wenig die Rede wie in meiner Ordnungslehre ; davon kann nur in der 
Einleitung zu einer Metaphysik die Rede sein; gerade das Beste z. B. 
an den Leistungen der verdienten Marburger Schule ist »Ordnungs=» 
lehre«, ist »nur« Ordnungslehre, mag es auch, etwa im Begriff des 
Allgemeingültigen oder des Bewußtseins überhaupt, zu gelegentlichen 
Entgleisungen gekommen sein. Man kann jedenfalls gerade das Beste 
an den Leistungen der Schule als »bloße« Ordnungslehre fassen. Bei 
Kant selbst sind echt erkenntnistheoretisch nur die recht leeren Sätze, 
daß es Dinge an sich gebe, daß ihr Wesen unerkennbar sei, daß es 
auch Iche an sich gebe, und daß die Dinge an sich die Iche an sich 
»affizieren«. Alles andere ist auch bei ihm reine Ordnungslehre mit 
gelegentlichen Fehlern und Entgleisungen, wobei ich die Lehre von 
der Tätigkeit (»Handlung«) des Ich (nicht der Seele!) bei der Kate* 
gorienverwendung zu den Fehlem, den Begriff der Allgemeingültig* 
keit und was damit zusammenhängt zu den Entgleisungen rechne. 
Erkenntnislehre im echten Sinne kann es wirklich nur geben, wo das 
* Nach Schlick (AUg. Erkenntnistheorie, 1918) ist Erkennen ein »Wiederfinden« 
(S. 9), ein »Zurückführen des einen auf das andere« (10). Daneben steht das »Ken* 
nen lernen« (69), das stets intuitiv * anschaulich sei. Vom Wirklichen soll es eine 
Kenntnis, keine Erkenntnis geben (152). Mir scheint diese Terminologie nicht prak? 
tisch zu sein, weil sie dem geschichtlich vorliegenden Gebrauch widerspricht. Von 
»Falschheit« kann man einer Terminologie gegenüber selbstverständlich nicht reden. 
381 
An sich gesetzt oder, gleichsam ungewollt, sozusagen in reine Ord»« 
nungsangelegenheiten hineingeschmuggelt worden ist, etwa indem 
man das gleichsam der Selbständigkeit der Natur gelegentlich vergaß. 
Eine allgemeine Wissens ^^theorie, soweit eine »Theorie, und nicht 
nur ein schlichtes Hinsetzen hier überhaupt möglich ist, haben wir im 
Eingange dieses Werkes selbst entwickelt; über das Erkennen handelt 
ein Abschnitt unserer »Wirklichkeitslehre«. In die Psychologie hin* 
EIN, also in einen Teil der reinen Ordnungslehre, gehörte uns aber 
das, was wir Theorie eines gleichsam bestehenden »Erkennens« ge* 
nannt haben, dabei wohl anmerkend, daß das Wort »gleichsam« oder 
»als ob« hier ebensowenig wie dort, wo es mit Bezug auf Natur, meine 
Seele, das andere psychophysische Wesen auftritt, im Sinne Vaihin* 
GERS, d. h. zur Bezeichnung einer »Fiktion« besonderer Art genommen 
wird. Allenfalls könnte von einer unausweichlichen Urfiktion ge# 
redet werden. 
In die Psychologie und nicht etwa an den Anfang des Philosophie* 
rens gehört unsere Pseudo * Erkenntnistheorie, die gelegentlich kan* 
tisch klingt, aber deshalb, weil erst angesichts des schlicht ordnungs* 
haften Gesetztseins von Seelen, welche (»unbewußt«) wissen, denken 
und wollen, und welche in Parallelkorrespondenz Psychoiden als 
Naturfaktoren zugeordnet sind, die Frage auftritt, wie sie im Laufe 
der Zeit zu ihren besonderen Wissensinhalten kommen und diese be* 
SONDEREN Wissensinhalte verarbeiten, d. h. wie sie gleichsam die (für 
»Ich«) gleichsam selbständig bestehenden Naturwirklichkeiten als (für 
»Ich«) gleichsam selbständig bestehende Erkenner erkennen. Die See* 
len, zunächst meine Seele, waren aber selbst gesetzt, weil ich Ordnung 
in der Abfolge der Erlebnisse meines Selbst will, so daß also schließ* 
lieh die gesamte Pseudo* Erkenntnislehre, als im Rahmen der Psycho* 
logie und weiter der Logik stehende Ordnungssetzung, ihren Grund 
darin hat, dass ich Inhalte mit DamaZs «Tönungen von jeweils spezi* 
FISCHER Form bewusst habe. 
Innerhalb der Psychologie also tritt als eine rein psychophysische 
Angelegenheit unsere Pseudo*erkenntnislehre überhaupt erst auf. Man 
MAG sie die zusammengesetzteste ALLER OrDNUNGSSETZUNGEN NENNEN. 
Unsere Pseudo*erkenntnistheorie durfte, wie gezeigt werden konnte. 
Formen haben, welche entweder aristotelisch * scholastischen oder 
lockisch* kantischen ^ Klang — aber nur eben »Klang« — hatten. Tat* 
* Freilich nur, wenn Kant physiologisch und zugleich im Sinne eines transzendent 
talen Realismus gefaßt wird, nicht aber dann, wenn das echt »Logischecc seiner 
382 
sächlich handelte es sich hier eben überhaupt nicht um echtes Erkennen 
als einen Grundsachverhalt, sondern um ein besonderes Problem der 
Psychologie als einen Teil der rein und streng methodisch ^solipsisti*« 
sehen Ordnungslehre im Rahmen des Ich habe bewußt geordnetes 
Etwas; zum ich^gehabten Etwas gehörten Natur, meine Seele^Psychoid, 
andere Seelen^^Psychoide und ihre wechselseitigen Beziehungen. — 
Endlich gehört in die psychologische Pseudo^erkenntnistheorie nun 
noch das Problem »der Philosoph« oder auch »die Philosophie als 
Ordnungslehre«. 
Philosophie als Ordnungslehre ist eine »Lehre«, d. h. ein System 
von, praktisch durch Worte bezeichneten, Bedeutungen mit »Sinn«, 
mögen das »Begriffe« oder »Urteile«, um einmal in der üblichen Sprache 
zu reden, sein. Ich habe die Philosophie; aber ich habe in voller Klar* 
heit jeweils nur einen Teil von ihr, mit dem Reste in Form von EvledU 
gungstönungen daran \ Meine Seele hat meine Philosophie »gemacht« 
und stellt sie mir vor — so sage Ich als »der Philosoph«. Philosophie 
ist also ein Besitz meiner Seele mit Rücksicht auf das ich^gehabte Et:* 
was in seiner Gesamtheit — so setze und sage Ich. 
Das ist in ganz kurzen Zügen eine »Psychologie des Philosophen«, 
welche der Philosoph als Bestandteil seiner Ordnungslehre bewußt hat. 
Meine Philosophie ist meinem Selbst und »mir« im Laufe der Zeit 
geworden, und zwar »wurde« sie immer reicher an Endgültigkeits* 
schau. Ich weiß das, weil ich an ihrem Sosein im Jetzt für mich alle 
ihre früheren Soseine für mein Selbst mit damals^ und Fremderledi= 
^ng"s =Tönungen schaue. Meine Philosophie hat also ihre »Psycho^* 
genese« ganz ebenso wie etwa der schließlich zur Klarheit gekommene 
Dmg-sbegriff. 
Philosophie und »Ding«s'begriff hat meine Seele gemacht. 
Aber — das setze ordnungsschauend Ich. »Psychogenese meiner 
Philosophie« ist also — Ordnungssetzung 1 
8. DAS NICHT.MENSCHLICHE SEELISCHE 
Wir betrachten kurz wenige Formen der nichts'Menschlichen 
Beseeltheit. 
Es hat einen klaren Sinn, vom empirischen Dasein verschiedener 
Formen des tierischen Seelischen, ja von tierischer Ichheit, tierischem 
Lehre aller psychologischen, naiv? metaphysischen und sublimiert* metaphysischen 
Umhüllungen entkleidet wird (hierzu Wirklichkeitslehre, 2. Aufl., 1922, S. 34 ff.)- 
' S. o. S. 325. 
383 
»Bewußtsein« zu reden. Nur freilich wissen wir hier sehr wenig. 
Denn wie sollen wir erfahren, ob »Bewußtsein« vorliegt oder nicht? 
Gegeben sind stets nur Bewegungen in bestimmter Kombination. 
Das allein ist nun freilich auch beim anderen Menschen der Fall, aber 
da können wir uns wenigstens immer »vorstellen«, wir selbst machten 
in gewissen seelischen Zuständen die beobachteten Bewegungen. Im 
Reiche des Tierischen hat diese Überlegung doch nur für die Säuge* 
tiere und allenfalls die Vögel einen Sinn, bei den niederen Wirbel 
tieren und Wirbellosen dagegen muß alles ganz im Unbestimmten 
bleiben, obschon wir eine »Psychologie« sogar der Infusorien nicht 
ganz von der Hand weisen können. 
Und dazu kommt, daß die Tiere nicht sprechen. 
Was wüßten wir vom Seelenleben des anderen Menschen, spräche 
er nicht, und wären wir nur auf die Ausdeutung seines »Verhaltens« 
(behaviour) angewiesen? Eines könnten wir da einmal ganz sicherlich 
nicht feststellen, nämlich das Vorkommen von Souvenir pur (S. 345). 
Also ist auch die Feststellung eben dieses — (und wie vieles anderen!) — 
bei Tieren grundsätzlich ausgeschlossen, und ferner auch die Fest*» 
Stellung von Phantasiebildern. 
Wenn nun also Amoeben oder Würmer Bewegungen aufs Gerate= 
wohl machen, wie Jennings es nennt, »suchen« sie dann etwas? Emp* 
finden sie in anderen Fällen »Schmerz«? Hier ist wohl jede Aussage 
unmöglich. Etwas besser steht es, wenn tierische Bewegungen deut* 
lieh vom Typus der Handlung sind, wenn sie auf einer historisch er- 
worbenen Reaktionsbasis erfolgen nach dem Prinzip der Ganzheit der 
Zuordnung zwischen Reiz und Effekt. Da mag von »Gedächtnis« 
und »Intelligenz« geredet werden. 
Die »klugen« Pferde und Hunde scheinen erledigt zu sein. Ab* 
strakte Ordnungsbedeutungen in Reinheit scheinen selbst höhere 
Tiere nicht erfassen zu können. Aber die Tiere, und zwar bis weit 
hinab im System, haben nicht nur ein »assoziatives Gedächtnis«, son* 
dem können ordnungsdurchtränkte Besonderheiten erfassen und 
auch, unter determinierenden Tendenzen stehend, für künftige Fälle 
verwerten; sie wissen z.B. zwar nicht um die reine Bedeutung »ver* 
schieden«, erfassen aber »verschiedene« Gegenstände als verschiedene. 
Die höheren Tiere verhalten sich wie ein«» bis zweijährige menschliche 
Kinder^ 
* Abgesehen natürlich von den bei Kindern in diesem Alter schon bestehenden 
Sprachrudimenten. 
384 
Wie es mit den uns ganz unähnlichen Tierstämmen steht, wissen 
wir nicht. Daß sogar Seesterne, Würmer, Infusorien usw. in be* 
schränktem Sinne »Erfahrung« machen, haben Jennings und andere 
amerikanische Forscher gezeigt. Vergessen darf selbstredend bei allen 
»niederen« Tieren nicht werden, daß ihre Sinnesorgane (auch die 
»Augen«) ihnen eine viel weniger mannigfaltige, eine viel »gröbere« 
Umwelt vermitteln als uns, ein Mangel, der durch das Vorhandensein 
gewisser uns unbekannter Arten von Sinnesorganen schwerlich aus*« 
geglichen wird. 
Man kann die Grundaussage über das Seelenleben der Tiere, in* 
sofern es überhaupt mit dem menschlichen Seelenleben Ähnlichkeit 
zeigt, wohl am besten in die Worte fassen, dass unanschauliche Be* 
DEUTUNGEN VON IHNEN NUR iti vebus, ABER NICHT Sine vebus (also auch 
nicht ante oder post res) erfasst werden, wo »res« eine anschauliche 
Gegenständlichkeit bedeuten soll. Antwortet man hierauf, daß doch 
auch der Mensch etwas Unanschauliches nur in Verknüpftheit mit 
einem unanschaulichen »Träger« haben könne (s. S. 327), so bestimmen 
wir unser »in rebus« des Näheren noch dahin, daß eben für die Tiere 
im Gegensatz zum Menschen eine ganz feste Verknüpfung zwischen 
anschaulichem Träger und anschaulichem Getragenen bestehe, und 
zwar derart, daß hier gar keine eigentliche Elementarauflösung mög* 
lieh ist. Komplexe sind für die Tiere wie Elemente; die Tiere haben 
also viel mehr, was für sie »Element« ist, als der Mensch. In diesem 
Sinne sagte ich schon in der Philosophie des Organischen: »ein Stock 
und eine Wurst sind gewissermaßen Buchstaben des Hundealpha* 
bets«. Immerhin haben sie die Bedeutung Wurstheit, und nicht nur 
»diese Wurst«; aber sie auch nur in re. 
Die wichtigen Untersuchungen Koehlers am Schimpansen^ zeigen, 
was immerhin im Rahmen eines an die res gebundenen Seelenlebens 
möglich ist; daß hier »Werkzeuge« zur Verwendung kommen, ist 
wohl die Hauptsache, und zwar zur Verwendung kommen nicht nur 
nach Maßgabe der trial and error=Methode, sondern als Folge von 
Einfällen : »Die Schwierigkeit, welche die neue Situation bietet, wird 
nicht durch äußere Tätigkeit, nicht durch variierendes Probieren, son* 
dern offenbar durch ein inneres (psychophysisches) Geschehen über:« 
WUNDEN, und dann tritt die Lösung plötzlich fertig in Erscheinung« 
' Abh. Berl. Akad. Wiss. 1917 Nr. I. Gute kritische Darstellung bei Bühler, Die 
geistige Entw. des Kindes, 1918, S. 270 fF. S. a. 3. Aufl. § 1 und Selz, Psych, d. produkt. 
Denkens, S. 610ff., wo weitere Liter. 
25 Drie seh, Ordnungslehre 385 
(Bühler, 1 . Aufl. S. 278). Wenn Bühler hier trotzdem nicht, wie Koehler 
von »einsichtigen«, sondern von »blinden« Einfällen sprechen will, so 
möchte ich dieser Unterscheidung keine so große Bedeutung bei^* 
messen. Ich »tue« ja nie, ich habe bloß. Alle Einfälle sind, wenn sie 
geschehen, in bezug auf /c/i »blind«; erst hinterher schaue ich den 
gesamten seelischen Ablauf als »einsichtig« — ob das auch der Schim^ 
panse tut, dürfte nicht festzustellen sein. 
Wichtig ist aber ein anderes: Mit dem Erleben abstrakter reiner 
Ordnungsbedeutungen hängt beim Menschen die Möglichkeit zu* 
sammen, das zu erleben, was wir oben (S. 35) antezipierte unerfüllte 
Schemata genannt haben. Weil den Tieren jene reinen Bedeutungen 
in ihrem Erleben fehlen, fehlen ihnen nun auch die antezipierten 
unerfüllten Schemata oder sind — wer könnte hier mehr zu sagen 
wagen 1 — doch nur sehr unvollkommen bei ihnen vorhanden. Dass 
ihre »Einfälle« nicht von antezipierten Schematen durchsetzt sind, 
macht also wohl den eigentlichen Grundunterschied des »Denkens« 
der Tiere vom menschlichen Denken aus\ — 
Es gibt nun aber noch ganz andere Typen des Wissens. 
Denn es gibt die Instinktleistungen in ihrer primären, nicht auf »Er* 
fahrung« beruhenden Vollendung. Ordnen wir ihnen Ichheit zu, so 
ist das eine ganz andere Ichheit (und Seele) als die unsere. 
Vielleicht dürfen wir auch der formbildenden Entelechie eine ganz* 
lieh unfaßbare Form der Ichheit zuordnen. In ein seltsames Verhältnis 
zur Seele tritt das sich physiologisch oder formbildend äußernde 
Agens, wenn suggestiv in der Hypnose (oder Autohypnose) Men* 
struation, Blutungen, Katarrhe, Haarausfall, Säuregehalt des Magens 
^ Einen Wesensunterschied sehe ich nur zwischen Instinkt und Handlung, aber 
nicht ohne weiteres zwischen verschiedenen Formen der Handlung; zumal dann 
nicht, wenn es sich um einen und denselben Typus, z. B. die Säugetiere, handelt. 
H. Volkelt (Arb. z. Entw. Psych. I, 2, 1914) macht einen großen Einschnitt sogar 
zwischen primitiven und höheren Menschenrassen. Den Begriff des Dinghaften 
sollen nur diese haben, jene und alle Tiere besäßen nur »Komplexqualitäten«, und 
zwar in dem Sinne, daß sie jeweils ein Ganzes bewußt hätten. Mir scheint, daß 
zwar, wie wir selbst (S. 325) lehrten, das Gehabte in gewissem Sinne stets das Ganze 
ist, daß aber doch in diesem Ganzen sich stets gewisse Teile gesondert abheben, 
und zwar vermutlich — (»fragen« können wir es nicht!) — auch beim Tiere, zum 
mindesten beim Hund. So ein Teilkomplex aber ist in gewisser Hinsicht immer so 
etwas wie »Ding«, wennschon vielleicht nicht stets unser »Ding«. Volkelt trennt 
Instinkt und Handlung zwar, aber doch nicht scharf genug; die eigentliche Reiz? 
frage hätte für Instinkte ganz isoliert betrachtet werden müssen, denn wie es hier 
mit dem bewußten Haben steht — das ahnen wir nicht einmal. 
386 
beeinflußt wird, ganz besonders natürlich bei den sogenannten Stig*» 
matisationen. Wir reden noch davon. 
Der Seele als solcher, die wir unbewußt nannten und von Ichen, 
die in unserer oder einer der unseren ähnlichen Form bewußt haben, 
scharf sonderten, dürfen wir Ichheit in ungekannter ganz allgemeiner 
Form natürlich auch zuschreiben. »Un«bewußt soll ja nur heißen: 
nicht in der gekannten Ichs^Form bewußt. Seele wäre so ein »meinem« 
Ich FREMDES IcH UNFASSBARER Art. Auch .davon reden wir noch im 
Besonderen. — 
Anläßlich der Erörterungen über mögliche menschenfremde Be# 
wußtseinsformen der Tiere ist gelegentlich die Vermutung aus*« 
gesprochen worden, es möge erstens Bewußtsein ohne Gedächtnis 
und zweitens Bewußtsein ohne »Selbst«bewußtsein geben. Ich möchte 
einer vielleicht möglichen Beantwortung dieser Fragen die neue Frage 
vorausschicken, ob Bewußtsein ohne Selbsts» (oder Ichs»)lDENTiTÄT 
sinnvoll gedacht werden kann. Das nun scheint mir nicht möglich zu 
sein, denn wir nennen doch »Bewußtsein« geradezu ein Etwas, für 
welches Identität des Wissenden im Wechsel der gewußten (gehabten) 
Inhalte wesenskennzeichnend ist. 5e/ts^=bewußtsein freilich braucht 
das wohl nicht ohne weiteres zu sein, d. h. das Seihst (das Ich) braucht 
SICH selbst nicht ausdrücklich bewußt zu haben — bin ich selbst doch 
oft nicht selbst=hewußt 
Bewußtsein ohneSelbstbewußtsein (aber doch mit Selbst*permanenz) 
möchte es also empirisch geben können. 
Bewußtsein ohne Gedächtnis aber wäre wohl hinwiederum über* 
haupt kein »Bewußtsein«. Zum mindesten, daß »anderes« da war, als 
jetzt da ist, muß ich wissen, soll ich mich bewußt nennen dürfen. Das 
»andere« braucht vielleicht nicht inhaltlich explizite gegeben zu sein, 
aber dass Inhaltswandel da ist, muß gegeben sein. Bloßes Wieder* 
erkennen ohne Gedächtnis im engeren Sinne, als Haben echter Er* 
innerungen, würde dafür genügen. 
Wie es nun damit bei den Tieren steht? Nun, das würden wir em* 
pirisch wissen, wenn wir sie — fragen könnten. — 
25- 387 
9. MODIFIKATIONEN DES SEELENLEBENS 
Wir haben bis jetzt das sogenannte normale Seelenleben im 
»WACHEN« Zustande auf seinen Ordnungstypus hin untersucht. 
Das wichtigste Ergebnis dieser Untersuchung war die Notwendig* 
keit, schon hier das Reich des unbewussten Seelischen zu schaffen \ 
ja, soweit es anging. Aussagen über Besonderheiten in diesem Reiche 
zu machen. Denn Tun und Werden war ja nicht unmittelbar erlebt, 
und wir brauchten der Ordnung halber Begriffe aus dem Bereiche des 
Werdens und Wirkens. 
Es ist sehr bedeutsam, dass schon das Studium des normalen Seelen* 
lebens zum Begriff des Unbewußten und zur Einsicht in das Ungenügen 
einer reinen »Bewußtseinspsychologie« führt. Schon lange vor aller 
»Denkpsychologie« hatte das E. v. Hartmann erkannt. 
Viel klarer und, ich möchte sagen, aufdringlicher wird jener Begriff 
nun freilich, wenn wir uns jetzt der großen Fülle der nicht im »Wachen« 
erlebten seelischen Vorgänge Ordnung schauend zuwenden, dem Traum 
und gewissen anderen Sachverhalten, die zwar nicht im engeren Sinne 
»pathologisch«, aber doch außerhalb des Durchschnitts gelegen sind. 
Hier erst enthüllt uns die »Seele« ihre gesamten »Potenzen«. Hier 
erst zeigt sie, was sie kann, zeigt sie alle Verbindungen, in denen sie 
stehen kann zum Ich. Jetzt erst geht es aufs Letzte und Höchste. Und 
auch da, wo wir etwa experimentieren können, geht es jetzt aufs be* 
grifflich Höchste und nicht etwa nur auf die klare Herausschälung von 
Sonderphänomenen. 
a) DER BEGRIFF y>UNBEMERKT<i< ' 
Wir beginnen mit einer Voruntersuchung über den Begriff un= 
bemerkt. Gibt es »unbemerkte« Vorstellungen? Manche be* 
jähen es, ja, wollen den Begriff des Unbewußt*seelischen, so wie wir 
ihn verwenden, streichen und ihn durch den des Unbemerkten er* 
setzen^. .^_ 
* Geiger (Jahrb. f. Phil. u. phän. Forsch. 4. 1921) will das Unbewußt*Seelische nicht 
»erschließen«, sondern in gleichsam unmittelbarer Weise haben. Er kommt aber 
praktisch selbst auf das Unbewußte immer nur durch »Einzelargumente«, so sehr er 
sich dagegen sträubt. Auch ist recht unbestimmt, was er (S. 83ff.) gegen die Be* 
deutung der »Einzelargumente« vorbringt. Unbedingt falsch ist seine Ansicht, alle 
»erklärende« Psychologie sei dem Wesen nach Assoziationspsychologie (S. 76). Mit 
dem Begriff des Ich*tuns arbeitet er ohne Rechenschaftsablage. ^ Recht lehrreich 
ist Hellpachs Aufzählung der verschiedenen Bedeutungen, in denen das Wort 
»unbewußt« verwertet wird. Zeitschr. f. Psych. 48. 1908. — Sehr Zutreffendes bei 
Volkelt, Das ästhetische Bewußtsein, 1920, S. 85 ff. 
388 
Wir sagen zunächst, in Ergänzung früherer Erwägungen, noch 
einiges über den Begriff »seelisch^unbewußt«. 
»Unbewußte Vorstellung«, wenn Vorstellung das bewußt Gehabte 
bezeichnen soll, ist ein hölzernes Eisen. Aber etwas, was in Analogie 
zu »Dingen« gedacht wird, einem besonderen Reiche des Seins zu*» 
zuordnen, »in« dem es, bildlich gesprochen, ist, und dieses Reich mit 
allem, was ihm zugehört, unbewußt-seelisch zu nennen, ist keine 
logische Ungeheuerlichkeit, wenngleich vielleicht ein schlechtes Wort 
— man sage uns ein besseres! 
Und nun erwäge man das Folgende : Ausgang ist immer das bewußte 
Haben und das bewußt Gehabte. Wo dieses nicht ist, ist jedenfalls 
etwas bewußt Gehabtes nicht. Es ist also sinnlos zu sagen, etwas sei 
bewußt, aber unbemerkt, d. h. als bewußtes doch eben nicht da. Das»« 
selbe gilt vom Selbst, insofern es aktuell bewußt hatte: es kann nur 
gehabt oder nicht gehabt haben. Insofern sind »unbemerkte VorsteU 
lungen« ebenso ein Unding wie »unbewußte Vorstellungen«, denn 
»Vorstellung« heisst das bewußt Gehabte; das Wort »unbemerkt« für 
sich genommen aber sagt nichts anderes als das Wort »unbewußt«. 
Sinnvoll dagegen könnte es sein, von rasch Vergessenem zu reden: da 
glaube ich, mein Selbst habe etwas nicht gehabt, und es zeigt sich später, 
daß es doch für das Selbst dagewesen war. Auf diese Weise erklärt sich 
vielleicht das bekannte »nachträgliche« Zählen von Glockenschlägen 
und Verwandtes. Hier ist dann aber das Wort »unbemerkt« gar nicht 
am Platze, die Glockenschläge sind ja doch bemerkt gewesen. 
Wir schalten also den Begriff des Unbemerkten aus. Soll er dasselbe 
bedeuten wie der Begriff des Unbewußten, so ist er unsinnig, wenn 
er auf »Vorstellungen«, überflüssig, weil durch den Begriff unbewusst 
schon ersetzt, wenn er auf ein besonderes Seinsreich gehen soll. Soll 
er rasch Vergessenes bedeuten, so ist er auch nicht am Platze. Einen 
noch anderen Sinn kann er nicht haben. 
Mit dem Problem des »Unbemerkten« hängt nun freilich noch eine 
andere Frage zusammen, nämlich die Frage, ob jede Sinnesreizung die 
Seele affiziert, auch wenn Ich in ihrem Gefolge kein bewußtes Erleb* 
nis habe. Ich könnte dann doch vielleicht ein »Erinnerungs«erlebnis 
haben an etwas, das gar nicht erlebt gewesen ist, ein Erlebnis also, 
welches das Zeichen der Erinnerung im Grunde zu unrecht trüge. Auf 
solche Weisfe könnte vielleicht auch das nachträgliche Zählen von 
Glockenschlägen erklärt werden. Unbemerkt dürfte da die Ursprung* 
liehe Seeleni'affektion natürlich auch nicht heißen, sondern eben ein* 
389 
fach und klar: unbewußt. Es handelt sich um eine Affektion der Seele, 
welche später dem Ich erscheint, als wäre sie für das Ich dagewesen. 
Übrigens ist die Frage, ob es diese Dinge in dieser unmittelbaren Form 
gibt, weit davon entfernt, gelöst zu sein^. Unmöglich aber erscheint es 
nicht, daß unbewußte frühere seelische Affektionen das Erleben des 
Ich später totalisierend, als »latente« Faktoren, beeinflussen^. 
Es sei endlich in diesem Zusammenhange noch ein Gedanke er^ 
wähnt, der zumal oft von deutschen Psychiatern, insbesondere an^ 
gesichts der Hypnose, der »Bewußtseinsspaltungen« und verwandter 
Tatsachen, von denen alsbald gehandelt werden soll, geäußert wurde, 
die Annahme nämlich, daß vieles angeblich Unbewußte oder Un»» 
bemerkte doch eben »bemerkt« und auch nicht etwa dann »vergessen«, 
aber eben nur unbestimmt und dunkeP bemerkt worden sei. Es sei das 
angeblich »Unbemerkte« in Form einer gewissen Tönung unbestimmt 
ter Art, welche dem klar Bewußten gleichsam anhing, doch bewußt 
gehabt gewesen. 
Zugegeben, daß das richtig ist, so ist, meine ich, eine unbestimmte 
Tönung als bewußt Gehabtes doch nur — eben eine »unbestimmte 
Tönung«, aber nichts anderes, so daß das, worauf es ankommt, eben 
doch entweder gar nicht gehabt oder gehabt und dann vergessen ist*. 
Wir kommen hier wieder auf die S. 319 genannte Schwierigkeit: Darf 
ich sagen, daß ein Erlebnis »eigentlich« anders gewesen sei, als ich es 
erlebte, daß es früher, um mit Bergson zu reden, »confusement apevgu« 
gewesen, jetzt aber klar und seinem Wesen nach erfaßt sei? Doch 
sicherlich nur im Sinne eines »gleichsam«, was aber ein anderes »gleich* 
sam« ist als das, in dessen Sinne wir Natur und Seele ein »gleichsam 
selbständiges« Dasein führen lassen, also nur ein populäres, ein prak# 
tisches »gleichsam«, das freilich auf das echte »gleichsam« der Seelen* 
Selbständigkeit hinweist. Ein analysierter Akkord und »derselbe« 
Akkord unanalysiert sind eben zwei verschiedene Erlebtheiten, zwei 
^ Vgl. oben S. 353, wo wir sagten, es sei für das »Wahrnehmen« eine gewisse Akti* 
vität, ein Entgegenkommen der Seele notwendig. Die Frage ist also jetzt, ob dieses 
Entgegenkommen statthaben könne, ohne zur Ich*bewußtheit zu führen. Dann 
könnte die Seele (und nicht nur das materielle Sinnesorgan) affiziert werden ohne 
korrespondierendes Erlebnis, und später könnte doch das »Erlebnis« dagewesen zu 
sein SCHEINEN. ^ Das Experiment hätte zu entscheiden, ob in der Hypnose un* 
bewußt gebliebene Seelenaffektionen ins Bewußtsein gebracht werden können, als 
WÄREN sie aktuell erlebt gewesen. " Im »Randfeld des Bewußtseins«. * Es han* 
delt sich hier um etwas ganz anderes als bei unseren »Erledigungstönungen«, denen 
jeweils eine ganz bestimmte, jederzeit explicit darstellbare Bedeutung zukommt. 
390 
verschiedene unmittelbare Gegenstände. Das analysierte Erlebnis war 
doch eben, als unanalysiert erlebt wurde, nicht da. Qualitativ Ver»* 
schiedenes war in beiden Fällen da als Erlebnis, obschon der gemeinte 
Seelenzustand vielleicht beidemal nur quantitativ verschieden war. 
»Unbemerkt« ist also = nicht gehabt! Gar zu leicht schleicht sich hier 
Populäres oder Theoretisches in die »donnees immediates de la Conss 
cience« ein — sogar bei Bergson. 
Aber selbst, wenn man das Erleben unbestimmter Tönungen mehr 
bedeuten läßt, als wir es tun, selbst dann braucht die Psychologie das 
Unbewußte zur zeitlich:skausalen Verknüpfung des Bewußten, welches 
auf KEINEN Fall bewußte Verknüpfung in sich selbst trägt. Assoziative 
Affinitäten, determinierende Tendenzen usw. nehmen doch auch die 
Forscher, an die ich hier denke, rückhaltlos als »unbewußt« dynamische 
Agentien an ; warum nicht Agentien von sozusagen höherer Art, wie 
etwa, um Künftiges schon hier anzudeuten, das »Unterbewußtsein« 
es ist? 
Wir glauben mit diesen Bemerkungen die Einwände gegen diesen 
und verwandte Begriffe erledigt zu haben, werden also nicht wieder 
auf sie zurückkommen. — 
Wir haben uns die Seele als Gegenstand für das Ich, also, obwohl 
gemeint als Grundlage des Ich, doch als ichs^fremd gedacht. Wir haben 
sie aber gedacht in Analogie zum Ich, gleichsam als höhere Ich*Form. 
Denn wir faßten sie reicher als Ich und ließen sie tätig, werdend sein, 
was Ich nicht ist. In diesem Sinne wäre meine Seele dem echten Ich 
gegenüber wie ein fremdes Ich von fremdem Ich^typus. 
Die ichartige tätige Seele nun schafft sich (in unbekannter Weise), 
unserer Lehre gemäß, das echte Ich (bezw. Selbst) als im unmittelbar 
bekannten Sinne nur habendes. 
Reicher sei Seele als Ich, so sagten wir. Wie weit geht ihr Reichtum? 
Etwa viel weiter als dem Ich je offenbart wird. »Behält« sie etwa alles 
je ihr Zugestoßene und »vergißt« nichts, auch wenn es dem Ich nie 
wieder aktuell bewußt wird? Denkt sie etwa immer richtig? Behält 
sie auch alle Träume? 
Das alles können wir wohl so ohne weiteres nicht entscheiden. Schritt* 
weise wollen wir versuchen, etwas mehr über die Seele und über ihr 
Verhältnis zum Ich zu erfahren. — 
Was wir jetzt noch zur Logik der Psychologie beizubringen haben, 
wird eingehender und weiter ins einzelne gehend dargestellt werden 
als alles sonst in diesem Werke Ausgeführte; und zwar deshalb, weil 
391 
erstens die empirischen Sachverhalte wenig bekannt sind, zweitens 
eine eigentlich logische Durcharbeitung derselben überhaupt noch 
nicht vorliegt, und drittens alles, um das es sich handeln wird, von 
GAR NICHT zu ÜBERSCHÄTZENDER BeDEUTUNG FÜR DIE STRUKTUR DES GEs* 
SAMTEN Empirischen ist. 
Ich bin mir wohl bewußt, daß ich Ungewöhnliches tue, wenn ich 
mich anschicke, Dinge wie »Traum«, »Hypnose«, »Unterbewußtsein«, 
»Bewußtseinsspaltung« und sogar noch anderes in das, was man die 
»Grosse Philosophie« nennen könnte, einzubeziehen, ja, an einen her^ 
vorragenden Platz in ihr zu stellen. Aber es muss sein, und zwar schon 
im Rahmen der reinen Ordnungslehre vom Empirischen. 
Das Verhältnis zwischen Seele und dem sich selbst habenden Ich 
kann die Ordnungslehre, soweit wir es bis jetzt betrachtet haben, in 
den Worten auszudrücken, daß da im Sinne eines gemeinten mittel^ 
baren gleichsam selbständigen Gegenständlichen ein gewisses Etwas, 
die Seele, sei, welches zu einem Teile (nicht im ganzen), sich selbst 
und gewisse seiner Inhalte in Form des Ichs^wissens bewußt hat. Die 
durch die Worte »zu einem Teil« ausgedrückte Einschränkung istdes^* 
halb notwendig, weil ja die Seele als Gedächtnisträgerin und tätige 
Ordnerin als etwas Reicheres gemeint ist als das Ich. 
Wir kommen nun auf das Allergrundlegendste an aller Psychologie, 
wenn wir die Frage aufwerfen, ob einer Seele nur ein »Ich« angehören, 
oder anders gesagt, ob sie sich nur in Form eines Ich teilweise selbst 
haben könne, oder ob einer Seele mehrere »Iche« zugeordnet sein 
können. 
Den Begriff »die andere Seele«, »das andere psychophysischeWesen« 
setze ich im folgenden als geklärt voraus, freilich, da wir ja Ordnungs:* 
und nicht Wirklichkeitslehre treiben, stets im Sinne des als gleichsam 
selbständig Gemeint^seins. 
b) DER TRÄUM 
Im Traum gehört ein und derselben Seele eine andere Ich'Modi= 
fikation zu als im Wachzustande. Ich sage nicht: ein anderes Ich, 
denn Wachich und Traumich wissen in erheblichem Maße den In*» 
halten nach voneinander und wissen auch wechselseitig, daß »Ich« es 
eben war, der da erlebte. Aber der Erlebenstypus ist für beide Ich* 
modifikationen ganz verschieden. 
Wir bringen hier aus der Wesenskennzeichnung des Traumes nur 
das, was unsere Zwecke nahe angeht. 
392 
Die Bewegungen sind in ihm, wenn nicht nächtliche Somnambulie 
vorliegt, gehemmt; der Erlebtheitsablauf dagegen ist an Gesch windig** 
keit gesteigert und zwar, was zunächst allein in Betracht kommt, auch 
für das subjektive Erleben (also nicht, wovon später, nur im Sinne des 
Gemessenseins an der Naturzeit). Durchaus zu unrecht ist gelegentlich 
geäußert worden, daß Träume nur den assoziativen und nicht den 
totalisierenden Faktoren unterstehen. Gewiß, Träume spielen sich ganz 
vornehmlich im Rahmen des »Anschaulichen« und zwar, phänomeno* 
logisch gesprochen (s. o. S. 322) der echten »Wahrnehmungen«, ab; 
sie sind wie Werke der bildenden Kunst. Aber trotzdem haben Träume 
»Sinn«. Sie sind einheitliche Ganze; in ihnen wird »geurteilt«; nur daß 
sie, freilich nicht stets, aber sehr oft, einen empirisch »falschen« Sinn 
haben, daß ihr Sinn sich nicht im Rahmen dessen bewegt, was empi* 
risch »richtig«, ja auch nur empirisch möglich ist. Und es wird nicht 
bemerkt, daß sie, obwohl in sich sinnvoll, empirisch unsinnig sind. 
Man wundert sich gar nicht darüber; spielt doch überhaupt das Affekt»* 
leben im Traum eine geringe Rolle. Es ist also sehr oft vergessen im 
Traum, was empirisch möglich ist; die Kenntnis der Naturgesetze z. B. 
ist vergessen, ebenso Sitten, Gewohnheiten, ja das Alleralltäglichste. 
Ja, vergessen ist auch meine erlebte Vergangenheit in ihrer Besonder«* 
HEIT. 
Aber, und damit kommen wir zu etwas sehr Wesentlichem und zu** 
gleich zu einer für alles folgende wichtigen Begriffsunterscheidung: 
NICHT vergessen ist das, was wir in Zukunft^ das Gedächtnismaterial 
nennen wollen. 
Durch dieses Wort und durch sein Gegenstück Gedächtnisspezifi^ 
KATION wollen wir folgendem Unterschied Ausdruck geben: Gedacht^» 
nismaterial nennen wir die summenhafte Gesamtheit der einzelnen 
»Dinge«, die ich einmal bewußt gehabt habe, also die Gesamtheit der 
Erinnerungsbilder ohne Zeitzeichen und ohne beziehlichen Zusam«» 
menhang; als Gedächtnisspezifikation bezeichnen wir eine Gruppe 
erlebt gewesener Dinge mit Zeitzeichen und in ihrem Zusammenhang. 
Nur am Gedächtnismaterial hängt ja auch vieles andere, z. B. daß man 
eine Sprache »versteht«. 
Das GedächtnisMATERiAL des Wachich also ist im Traum nicht yer^ 
gessen; ja es wird aus der Gesamtheit des vorliegenden Materials sogar 
oft vieles reproduziert, was im Wachen so gut wie nie reproduziert 
wird, z. B. zeitlich sehr weit zurückliegende Dinge. 
' Vgl. auch oben S. 345. 
393 
Das Gedächtnismaterial wird aber im Traum, kurz gesagt, »falsch« 
verarbeitet. Und dazu kommt bei denjenigen Träumen, bei welchen 
gewisse Sinnesdata mit hineinspielen (also bei den sogenannten »Ein«« 
schlaf«* und »Aufwach«j! träumen im Gegensatz zum »Tief schlaf«* 
träum, bei den »Weckerträumen« insonderheit), eine »falsche« Deu* 
tung eben dieser Data, wodurch die Falschheit des Trauminhaltes ge* 
wissermaßen potenziert wird. — 
Bekannt sind die traumhaften Täuschungen über das Zeitliche im 
Sinne objektiv messenden Vergleichs : in einer Minute träumt man, 
zumal bei »Weckerträumen«, die längsten Zusammenhänge. 
Bekannt, obwohl selten, sind Träume, die sich mit Wachunter* 
brechungen fortsetzen; besonders bedeutsam sind sie, was aber sehr 
selten (und von mir z. B. nie erlebt) ist, wenn sie sich durch mehrere 
Nächte hindurch echt fortsetzen. (Beiläufig sei als bedeutsam hier be* 
merkt, daß wir wohl von zwei empirischen Wirklichkeiten, von zwei 
»Naturen« reden würden, bildeten alle Träume aller Nächte ein zu* 
sammenhängendes Ganze ^.) 
Neues bietet uns die Dramatisierung der Träume : ich frage im Traum 
nach Dingen, die »Ich« nicht weiß, und »man« antwortet mir. Hier 
treffen wir zum erstenmal auf eines derjenigen Phänomene, welche 
leider so oft unkritisch in den einen Begriff der »Bewußtseinsspaltun* 
gen« zusammengeworfen werden. 
»Ich« frage, »man« antwortet. Aber Ich allein bin doch der Trau* 
mende, ich habe alles, weiß alles Geträumte 1 Sicherlich; aber ich habe 
Einiges des von mir Gewußten in einer Form, als ob es dem subjektiven 
Wissen eines anderen angehöre: ich weiß um als »objektiv« (d. h. 
als mit einem anderen Subjekt, das für mich Objekt ist, verbunden) 
angesehenes Wissen, oder, wie wir von jetzt ab sagen wollen: ich weiß 
in der Form des Wissens um fiemdes Wissen. 
Hier »macht« sich die Seele gleichsam zwei »Iche« — aber doch 
immerhin nur so, daß tatsächlich das eigentlich erlebende Ich allein 
ALLES in Frage kommende weiß, nur freilich zum Teil in der Form, als 
»wüßte« es ein anderer. Also nicht sind zwei Iche da, die von ein* 
ander nichts wissen. 
Wie nun sollen wir im Ganzen das Verhältnis des Wachichs zum 
Traumich bezeichnen? 
Das Traumich ist nicht ganz gleich dem Wachich. Es ist eine Form 
des Wechselbewußtseins zu ihm. Aber nicht so, als ob es geradezu ein 
' S. o. S. 160. 
394 
anderes »Ich« wäre: Ich als Wacher weiß ja doch oftmals um meine 
Träume, und Ich als Träumender weiß vieles aus meinem Wachsein. 
Also nicht sind zwei einander durchaus ich^fremde Iche da. Das Traum* 
ich weiß, daß es dasselbe ist wie das Wachich, und umgekehrt. Aber 
Inhalt und Erlebtheitsform sind für Wach;* und Traumich verschieden. 
Das Ich habe bewußt Etwas ist beide Male von anderem Bau, aber 
doch im Rahmen desselben Ich. Wir wollen von Wechselbewußtsein 
nach Bau und Inhalt in Kürze reden. 
Seltsam ist das rasche Vergessenwerden der meisten Träume. Sehr 
seltsam ist auch (aber zugleich sehr selten) das Erleben von »Einfällen« 
mit Bezug auf zu lösende Aufgaben im Traum (welche sogar »somnam* 
bul« aufgeschrieben werden können). 
Der Traum also ist ein nach Inhalt und Bau besonderer Habens* 
zustand desselbigen Selbst^. Die Seele schafft sich diesen Zustand, wie 
sie sich das mit ihm abwechselnde Wachich schafft. 
c) DIE HYPNOSE 
Der hypnotische Zustand, oder kurz die Hypnose, ist wie der 
Traum ein vom Wachich unterschiedener seelischer Zustand, 
welcher aber eine andere Struktur als der Traum besitzt. Vom Traum 
unterscheidet sich die Hypnose auch psycho* physisch: die Person 
»schläft« nicht in ihr, sondern steht nehmend und gebend mit der 
Welt in Verbindung. 
Ob Hypnose auf Befehl oder spontan (»Autohypnose«) zustande 
kommt, ist für ihre Wesenskennzeichnung ziemlich gleichgültig. 
Wesentlicher ist, ob die Ereignisse in ihr unter ausdrücklich »sugge* 
stiven« Einflüssen, welche auch »autosuggestiv« sein können, ver* 
laufen oder ohne sie. 
^ Daß, wie Freud will, das Wunschleben im Traum in hohem Maße zur Geltung 
kommt und sich besondere Symbole schafft, daß dem »symbolischen«, mit »Tages« 
resten« und »infantilen Erinnerungen« arbeitenden »manifesten« ein »latenter« 
Trauminhalt zugrunde liegt, ist gewiß oft richtig, doch darf sicherlich nicht, wie 
gewisse Anhänger Freuds das getan haben, das Wunschleben hier als auf die sexuelle 
Sphäre eingeschränkt angesehen werden; und daß alles Traumerleben Wunsch« 
erfüUungen anschaulich#symbolisch darstelle, scheint auch zum mindesten frag« 
lieh zu sein. Auf Freuds wichtigen Begriff der »Traumzensur« und seine damit zu« 
sammenhängende Erklärung der Traumangst kann hier nicht eingegangen werden. 
395 
a) DIE REINE HYPNOSE 
Wir betrachten zuerst das für unsere Zwecke Wesentliche an der 
Hypnose, soweit suggestive Beeinflussung nicht in Frage 
kommt. Diesen Zustand wollen wir reine Hypnose nennen, wobei uns 
gleichgültig sein soll, daß er in seiner »Reinheit« wohl selten vor.» 
kommt. 
Es herrscht da eine große Verschiedenheit der Erscheinungen. Uns 
kommt es weniger auf ein typisches, ein Durchschnittsbild an, als viel* 
mehr auf gewisse Phänomene insofern, als sie überhaupt vorhanden 
sein KÖNNEN, mögen sie auch selten sein. Das Seltene ist doch eben 
AUCH DA und kann durch seine Möglichkeit wichtige Beiträge liefern 
zur Kenntnis der Seele überhaupt. 
Wesenswichtige Kennzeichen der Hypnose ohne Rücksicht auf be* 
sondere Suggestion während ihres Daseins sind: 
Ein Mangel an seelischer »Aktivität«. 
Eine ungeheuer reiche Reproduktion und zwar, im Gegensatz zum 
Traum, nicht nur dem Gedächtnismaterial, sondern auch der Gedächt*» 
nisspezifikation nach: in früher Kindheit gesprochene und längst ver»» 
gessene Sprachen und Gedichte werden wieder bewußt gehabt. Der 
Hypnotisierte kennt oft den Inhalt aller früheren Hypnosen und aller 
Wachzustände^, diese sogar besser, als sie sich untereinander selbst 
kennen. 
Die Sensibilität ist meist erhöht; es kann aber auch Anästhesie vor»» 
banden sein; die einzelnen Sinne können sich verschieden verhalten. 
Nach der suggestionsfreien Hypnose besteht Amnesie für das in ihr 
Erlebte, um so vollständiger, je tiefer die Hypnose war, es sei denn, 
der hypnotisiert Gewesene werde mitten in einer Tätigkeit erweckt 
oder man leiste seiner Erinnerung irgendwelche Nachhilfe. — 
Wie steht das hypnotische Ich zum Wachich? 
Es ist offenbar reicher an Menge reineu Inhalte als dieses, denn es 
»weiß« ja, was dieses weiß und noch vieles dazu; aber es ist ärmer an 
Bedeutungsvollem, und es lebt nicht im Neuen, sondern im Vergan* 
genen. Es spiegelt nur das frühere Getanhaben der Seele, aber nicht ihr 
aktuelles Tun. Die Frage, ob es dem Wachich gegenüber ein »höheres« 
Ich sei, ist daher nur gleichsam nach Geschmack entscheidbar. 
Kann das hypnotische Ich alles reproduzieren, was von dem ihm 
zugehörigen Normalich je erlebt war, auch alle Träume, die dessen 
* Gelegentlich wird um die Wachzustände in Form des »Wissens um fremdes Wissen« 
gewußt. 
396 
Traummodifikation je erlebt hat? Dann wäre es wohl das vollendete 
Abbild der Seele. Die Frage ist aber nicht entscheidbar. 
Wachich und Hypnoseich sind, wie Wachich und Traumich, 
Wechselbewußtseine ; sie stehen aber daneben offenbar auch noch in 
der Beziehung des Ganzen und des Teiles zueinander, wenigstens 
soweit die Summe der gehabten Inhalte in Frage kommt. Das Wach;* 
ich ist seinen gehabten Inhalten nach offenbar der »Teil«. Es wech^^ 
sein also beim Wechsel von Wachich und Hypnoseich zugleich Par^ 
tialich und Ganzich, wobei sich die Begriffe »Teil« und »Ganzes« aber 
nur auf die gehabten Inhalte, nicht auf die Ichheit als solche beziehen. 
Dazu kommt für Partial.» und Ganzich eine Verschiedenheit im Ha^» 
bitus. — 
ß) DIE SUGGESTIONSHYPNOSE 
YYypnose mit Suggestion (welche sowohl Fremdsuggestion wie 
-1. X » Auto«:«suggestion, d. h. Suggestion unbekannter Herkunft, sein 
kann) ist vom Traum, namentlich wo es sich um Fremdsuggestion, um 
»Rapport« handelt, noch viel wesentlicher verschieden als die sugge* 
stionsfreie Hypnose. Eine »wache Insel« des Bewußtseins, wie man 
passend gesagt hat, steht zur Wahrnehmungswelt in deutlicher Be*= 
ziehung. 
In der Suggestionshypnose geschehen bekanntlich auf »Befehl«, 
bezw. auf unbewußten Selbstbefehl (von dessen Wesen noch zu reden 
sein wird), die seltsamsten Dinge: 
Sensibilitätserhöhung oder Erniedrigung, je nach Befehl. 
Mangel von Muskelermüdung; Starre der Muskeln. 
Annahme des Benehmens von fremden Personen einschließlich ihrer 
Handschrift, von Kindheitsstadien usw. 
Dramatische Unterhaltung mit »fremden« Personen. 
Beliebige positive und negative Halluzinationen. 
Stigmatisationen und andere Beeinflussungen des vegetativ Physio»» 
logischen. 
Das der reinen Hypnose eigne ganz und gar geöffnete (sie venia 
verbo) Gedächtnis tritt überall hinzu; Kraffts»Ebing will das An*= 
nehmen bestimmter KiNDHEirsstadien auf seine Rechnung setzen, also 
kein »Schauspielen« sein lassen. 
Es ist mit den meisten hier geschilderten Vorgängen natürlich ein 
Vergessen oder doch eine entstellte Erinnerung (Amnesie oder Param* 
nesie) der im Wachen erlebt gewesenen Vorgänge verbunden, wodurch 
397 
(s. o.) das Wesen der reinen suggestionsfreien Hypnose wesentlich 
gestört wird. Übrigens kann auch ohne eigentliche positive Suggestion 
Amnesie oder Paramnesie für das Wache ausdrücklich suggestiv be«« 
fohlen werden, ebenso wie für die Zeit nach dem Erwachen Erinne»* 
rung für die Erlebnisse in der Hypnose befohlen werden kann, während, 
wie gesagt, ohne solchen Befehl die hypnotischen Erlebnisse später 
vergessen sind, wenigstens wenn die Hypnose tief war. 
Die Suggestion setzt in jedem Falle ein Kunstprodukt, ein künst* 
LiCHES hypnotisches Ich ; und dieses hat stets den Typus der Ganzheit 
wie jedes Ich; bloße Assoziation erschöpft es nicht. — 
Knüpfen wir jetzt an die dramatische Unterhaltung mit »Fremden« 
an. Wir kennen sie aus dem Traum. Aber jetzt werden die »Fremden« 
in einem Zustand des Halbwachens leibhaftig gesehen und gehört. 
Alles ist hier also mit »Halluzination« gepaart^. 
Die »Spaltung« der Person in der dramatischen Unterhaltung ist 
natürlich, wie beim Traum, eine scheinbare und sollte daher nicht so 
heißen: Das hypnotische Ich weiß gewisse Dinge in der Form als ob 
ein anderer sie wüßte, in Form eines Wissens um fremdes Wissen^. 
Etwas besonders Merkwürdiges, das uns grundsätzlich einen Schritt 
weiterführt, sind gewisse Fälle der sogenannten negativen Halluzina:: 
tionen, d. h. des WEGSuggeriertseins von Wahrnehmungsinhalten, z. B. 
von Personen, Stühlen oder auch bestimmten Strichen und Zahlen 
einer gegebenen Gesamtheit. Bekanntlich können die negativen Hallu* 
zinationen sowohl jeweils ein ganzes Sinnesgebiet als auch ein be^ 
stimmtes Objekt in seinen Beziehungen zu einigen wie zu allen Sinnen 
betreffen: im letzten Falle wird z. B. ein bestimmter Mensch weder 
gesehen, noch gehört, noch getastet usw. (»Systematische Anästhesie«). 
Sehr seltsam an diesen Dingen ist es nun, daß in vielen Fällen das 
hypnotische Ich zwar aussagt, es sehe bzw. höre nicht, daß aber ein 
^ Was ist das Primäre, die Halluzination als solche oder das aufsuggerierte Urteil 
über einen (falschen) Tatbestand? Oesterreich (Phänomenol. d. Ich, S. 371) meint, 
das zweite; es werde z. B. zuerst das (falsche) Urteil »Da fliegt ein Schmetterhng« 
suggeriert, und dann werde er gesehen; daß es aber auch das Umgekehrte gibt, 
läßt er zu. ^ Die »anderen« Personen können gelegentlich Wahnideen haben (böse 
Geister) und stellen wohl im Grunde, wenn sie nicht fremdsuggeriert sind, die Per* 
sonifikation solcher Ideen dar. Hier gelangen wir aber ins echt Pathologische, was 
wir beiseite lassen wollen ; wir weisen nur kurz auf die Schilderungen Staudenmaiers 
(Exper. Magie, 1912) hin, welcher seine Selbsterlebnisse halluzinatorischer fremder 
Personen meisterhaft und größtenteils über der Sache stehend dargestellt hat. Er 
erlebte spontan (also nicht fremdsuggeriert) und zwar in einem merkwürdigen Zu* 
stand zwischen Wachich und hypnotischem Ich. 
398 
»anderes« Ich, demselben Leibe zugeordnet, während der Hypnose 
auf leises Befragen mit leiser veränderter Stimme sagt oder auch schreibt, 
daß das nicht Gesehene selbstverständlich da seil Überhaupt muß man 
ja doch, in paradoxer Weise, sagen: ein gewisses »Ich« als Teil der 
einen Seele muss das Wegsuggerierte sehen, auf daß das hypnotische 
Ich es »nicht sehe«; so z. B. wenn befohlen wird, von 10 Strichen solle 
der 3. und 7. nicht vorhanden sein. Es liegt hier also gleichsam ein 
zweites Ich »unter« dem hypnotischen Hauptich und verbietet ihm, 
gewisse Dinge wahrzunehmen; und dieses zweite Ich kann sich ge»» 
legentlich in Selbständigkeit desselben Leibes wie das hypnotische 
Hauptich bedienen. Wichtig ist auch in diesem Zusammenhang, daß 
das in der Hypnose auf Befehl nicht Wahrgenommene später erinnert 
werden kann. 
Hier zum erstenmal treffen wir so etwas wie zwei Schichten von 
Ichheit an. Es ist hier nicht nur die Seele als Eines, welche sozusagen 
unter dem Ich liegt. Die liegt stets, wo ein Ich ist, von welcher Form 
es sein möge, »unter« ihm. Es ist hier das eine Ich als ein SeelenTEiL 
die sozusagen tiefere Schicht für ein anderes Ich als den anderen 
SeelenTEiL. Wir wollen dieses zugrunde liegende Ich einstweilen seiner 
seltsamen Fähigkeit zum Schreiben wegen als automatisches Ich be«» 
zeichnen ; es wird sich zeigen, daß wir auch noch von anderen Phäno^ 
menen aus zu ihm gelangen. Offenbar nun aber verdient ein auto«« 
matisches Ich, solange es nicht schreibt und nur das Hauptich sozusagen 
»kontrolliert«, noch eine andere Benennung. Wir kommen da auf ein 
eingebürgertes Wort, das uns von jetzt ab ständig begleiten wird: Das 
automatische Ich bei negativen Halluzinationen ist Unterbewußtsein 
für das hypnotische Ich als das Oherhewußtsein, d. h. es ist im Vergleich 
zu ihm ein anderes Ich, welches »unter« ihm liegt und es beeinflußt. 
Man muß freilich die Frage aufwerfen, ob das unterbewußte auto»« 
matische Ich in den Augenblicken, in welchen es sich, etwa schreibend, 
unmittelbar äußert, noch den Namen »Unter«s«bewußtsein verdiene. 
Da ist es offenbar unmittelbar auf dem Plan, und »Unterbewußtsein« 
sollte ein Ich nur heißen, so lange das nicht der Fall ist, so lange es als 
Ich gleichsam latent ist und sich nur mittelbar äußert, nämlich durch 
Beeinflussung desjenigen Ichs, was zu ihm Oberbewußtsein ist, mag 
das selbst Wachich, hypnotisches Ich oder was sonst sein. Nennen 
wir daher das automatische Ich in den Momenten, wo es sich äußert, 
Nebenhewußtsein. — 
Wir lernen jetzt Unter»» und Nebenbewußtsein noch in einer ande«« 
399 
ren Form kennen, damit zugleich die Erörterung der Hypnose abschlie:» 
ßend. 
Es handelt sich um Dinge, die sich nach der Hypnose, also im 
Wachzustand, ereignen, aber in der (suggestiven) Hypnose befohlen 
worden sind, und zwar um die sogenannte posthypnotische oder 
Terminssuggestion. In der Hypnose wird befohlen, daß der Hypno* 
tisierte nach dem Erwachen zu bestimmtem Zeitpunkte etwas tun soll ; 
er tut es in vorgeschriebener Weise, wenn es seinem »Charakter« nicht 
allzu sehr entgegen ist, in seltsamer Weise nach »Motiven« suchend 
und auch solche findend ; er glaubt, »frei« zu handeln. 
In der Zeit zwischen der Hypnose und der Ausführung der Tat 
WEISS der hypnotisiert Gewesene als Wachich nichts von dem Befehl, 
aber — ein gewisses automatisches Ich (dem ja auch die Zeitabschätzung 
obliegt 1) weiß doch offenbar dauernd von ihm, und sorgt für seine Aus* 
führung: das ist deutlich Unterbewußtsein. Ja, dieses andere Ich kann 
den Befehl sogar in der Zeit vor seiner Ausführung automatisch auf* 
schreiben; in solchem Momente ist es unserer Definition gemäß natür* 
lieh nicht als »Unterbewußtsein«, sondern als Nehenbewußtsein zu be* 
zeichnen, denn, was als Ich da ist und sich unmittelbar in Körper* 
bewegungen äußert, soll ja nie Unterbewußtsein heißen. 
Dieser Fall von Unter* und Nebenbewußtsein liegt, wie man bemerkt 
haben wird, in einer bestimmten Hinsicht anders als der anläßlich der 
negativen Halluzination besprochene. Es handelt sich hier um ein Unter* 
und Nebenbewußtsein nicht wie dort für das hypnotische, sondern 
FÜR DAS Wachich, und zwar ist geradezu das hypnotische Ich selbst 
Unter* bezw. Nebenbewußtsein für das Wachich, während bei der ne* 
gativen Halluzination ein gewisses anderes unbestimmteres Ich Unter* 
bezw. Nebenbewußtsein für das hypnotische Ich war. 
Hier stellt sich nun eine Schwierigkeit ein: Handelt bei Ausführung 
des Befehls das Wachich vom Unterich beeinflußt oder ist in diesem 
Momente das automatische Ich Oberich? Meist nimmt man die erste 
dieser beiden Deutungen an; Binet^ aber neigt der zweiten zu, und 
zwar deshalb, weil die Ausführung des Befehls, wenn sie erfolgt ist, 
meist sofort wieder vergessen wird, so daß sie für das Oberich wie ein 
Traum war. 
Und noch eine zweite schwierige Frage tritt auf : 
»Gibt« es das Automatische, so lange es unterbewußt ist und sich 
nur gelegentlich in das Wachich als sein Oberbewußtsein hinein äußert, 
^ Alterations de la pers. S. 248. 
400 
wirklich als »Ich«? Einer der verdienstvollen Denker auf diesem Ge* 
biete, Morton Prince^, bestreitet das für das Unterbewußte in der 
Hypnose (bei negativen Halluzinationen) und nach ihr (bei Termin*» 
Suggestion) ; er bestreitet es freilich nicht für Fälle, von denen später 
zu reden sein wird. Es handle sich bei jenen Dingen nicht um ein »Ich« 
als unterbewußt seiendes, sondern nur um Rudimente eines Ich, um 
abgesprengte Inhaltskomplexe (ähnlich wie bei Angaben Freuds), 
welche unterbewußt wirkende Faktoren, aber kein Ich darstellten. In 
unserer Terminologie würde es sich also wohl um ein direktes Wirken 
einer bestimmten Zuständlichkeit der Seele, also des UNbewußten, 
handeln, und wir würden, wenn Prince recht hätte, hier den Begriff 
des U^nfer^bewußten gar nicht brauchen. 
Hat nun Prince recht? Ich meine, das ist auf diesem Felde nicht ent* 
scheidbar. Denn wir haben ausser dem beobachtbar Vorliegenden, dem 
Umstände nämlich, dass automatisch bei Gelegenheit der negativen 
Halluzination oder der Terminsuggestion geschrieben wird, keine Mög* 
lichkeit, irgend etwas über die Ichheit des Automatischen zu wissen ; 
und was es leistet, sind ja in der Tat ganz beschränkte Bruchstücke. 
Immerhin mag der Umstand, daß in der nächsten Hypnose das hypno»* 
tische Ich weiß, es habe, während das Wachich auf dem Plan war, auto«* 
matisch geschrieben, für den echten Ich*=Charakter des Automatischen, 
also gegen Prince, verwertet werden. 
Später werden wir mehr und Klareres über die Ichheit des Unter*» 
bewußten erfahren. Vorsicht ist hier geboten, und es geht meines Er»« 
achtens z. B. nicht an, alle sogenannten mechanischen Handlungen, wie 
Gehen, Treppensteigen usw., auf ein unterbewußtes Ich zu beziehen. 
Daß die Seele, das I7nfeewu^f-psychische schlechthin, doch auch da 
ist, darf nicht vergessen werden. — 
d) DER ÄUTOMATISMUS 
Es bleibt uns übrig das Studium desjenigen Zustandes, welcher 
Automatismus oder Trance oder Somnambulismus heißt, da, wo er 
rein, und nicht im Dienst der Hypnose, vorkommt. 
Spontan, also ohne vorhergegangene Spaltung oder Hypnose, tritt er 
auf bei hysterischen und bei gewissen höchst seltsamen und leider sehr 
seltenen Personen,den sogenannten Medien. Ein Medium kann geradezu 
definiert werden als eine psychophysische Person begabt mit der Fähig»» 
keitzurAutomatieALS normaler (also nicht »pathologischer«) Fähigkeit. 
* Dissociation of a Personality S. 192. 
26 Driesch, Ordnimgslehre 401 
Im automatischen Zustand kann das Medium schlafen oder wachen. 
Die Automatie kann sich äußern durch Sprechen (mit veränderter 
Stimme), äußert sich aber meist durch Schreiben. Das wache Schreib:* 
MEDIUM ist der interessanteste Fall: Es lebt mit seinem Wachich normal, 
liest oder unterhält sich vielleicht, und zugleich schreibt es, sei es als 
Antwort auf leises Sprechen oder spontan. Sinnvolles auf, ohne mit 
seinem Wachich davon zu wissen^. 
Hier haben wir deutlich und ohne daß Bedenken, wie wir sie oben 
anführten, möglich wären, das Automatische als »Ich« vor uns, näm«» 
lieh wegen des Mannigfachen und Sinnvollen, was es produziert. 
Eine andere Frage ist die, ob das automatische Ich hier, wie es üblich 
ist, den Namen »Unterbewußtsein« tragen darf. Die eigentliche Be«« 
wußtseinshauptstelle wird ja (beim wachen Schreibmedium) sicherlich 
vom Wachich eingenommen. Es handelt sich nun aber nicht um ein 
kontrollierendes Eingreifen des automatischen Ich in die Äußerungen 
des Wachich; und nur in solchem Falle, also z. B. wenn dem hypno«« 
tischen Ich von einem »anderen« Ich negative Halluzinationen gemacht 
werden, wenn das Wachich posthypnotisch einen in der Hypnose ge^ 
gebenen Befehl ausführt, wollten wir von Unterbewußtsein reden. Die 
Dinge liegen in unserem neuen Falle offenbar ähnlich, wie wenn in 
der Zeit zwischen Erwachen aus der Hypnose und Befehlsausführung 
die Person den Befehl automatisch aufschreibt oder, bei negativen 
Halluzinationen, in der Hypnose schreibt, die nicht wahrgenommenen 
Dinge seien selbstverständlich doch da. Von Nehenhewußtsein müssen 
wir also reden. Aber nun doch nicht in ganz demselben Sinne wie bei 
den früher erörterten Fällen. 
* Wir gehen hier weder auf die Automatie der Hysterischen noch auf Rudimente 
von Automatie ein. Näheres findet man bei Binet usw. Kurz erwähnen wollen wir 
nur folgendes: Rudimente von Automatie liegen vor, wenn eine Person Bewegungen, 
welche man ihre Gliedmaßen passiv ausführen läßt, nach einer Weile aktiv wieder* 
holt, wenn man eine Person passiv ein Wort schreiben läßt und sie es dann aktiv, 
ohne darum zu wissen, nachschreibt (dabei vor orthographischen Fehlern stutzend 
und sie verbessernd!), wenn sie ein Wort schreibt, das man ihr auf den Handrücken 
mit dem Finger geschrieben hat, wenn sie einen Gegenstand, z. B. eine Schere, die 
man ihr in die Hand gibt, gebraucht usw. Hysterische, welche »seelenblind« sind, 
schreiben auf, was ihr Unterbewußtsein »sieht«. Überhaupt liegt die Empfindlichkeit 
des Unterbewußten, das sich automatisch äußert, weit unter der normalen »Schwelle« 
(bis zum sofachen I). Bei Hysterischen ist partielle Anästhesie des Wachichs wohl 
Veranlassung für die Erweckung des automatischen Ich. Im übrigen ist Einengung 
der Aufmerksamkeit ein gutes Mittel, um Automatie zu erzeugen. Anästhesie eines 
Sinnes zieht stets Amnesie für alles auf diesen Sinn Bezügliche nach sich. 
402 
Wir wollen einmal die Begriffe HaupU und Nebenhandlung eins^ 
führen. Beide sind Handlungen desselben Leibes; Haupthandlung 
nennen wir, was zu dem sachlich dominierenden Ich in Beziehung 
steht, Nebenhandlung, was mit einem anderen Ich verkettet ist. Neben»« 
handlungen sind also in der Hypnose bei negativen Halluzinationen 
jene Schreibakte eines automatischen Ich, in denen das Dochdasein 
des nicht Wahrgenommenen ausgesagt wird; Nebenhandlungen sind 
in der Zwischenzeit zwischen Erweckung und Befehlsausführungen 
bei der Terminsuggestion die Niederschriften des Befehls, und Neben»« 
handlungen sind nun auch die echten Automatien des Wachmediums ^. 
Aber die automatischen Iche der ersten beiden Fälle treten auch als 
Unterbewußtsein auf; das automatische Ich des neuen Falles tut das 
nicht. Wachich und Nebenich sind hier ganz beziehungslos, während 
dort das Nebenich das eine Mal mit dem Hypnose Jch, das andere Mal 
mit dem Wachich dynamisch nach dem Typus Ober=Unterich ver^ 
knüpft ist, eine Verknüpfung, die zwar die größte Zeit nur potentia 
und latent besteht und nur actuell wird in den Momenten, wo das 
Hypnose^Ich die negative Halluzination wirklich actu erlebt, das 
Wachich den Befehl ausführt. 
Wir können wohl von verketteten und unverketteten Nebenbewußt:« 
seinen reden. Unser neuer Fall zeigt uns also unverkettetes Neben»« 
BEWUSSTSEIN i Wachich und automatisches Ich sind ganz getrennt^; nicht 
bestimmt, wie in den anderen Fällen, das automatische Ich gelegentlich 
auch einmal eine Haupthandlung (Befehlsausführung seitens des 
Wachich bei der Terminsuggestion) oder Hauptrezeption (Erleben 
der negativen Halluzination seitens des Hypnoseich). 
e) RÜCKBLICK 
Wir fassen jetzt, ehe wir weitergehen, kurz alles, was wir bis jetzt 
in diesem Abschnitt ermittelten, zusammen: 
Traum : Das Wachbewußtsein mit relativ armem, aber klar geord* 
netem Reproduktionsinhalt und das Traumbewußtsein mit reichem, 
aber wenig geordnetem (und »falschem«) Reproduktionsinhalt sind 
^ Weiteres Beispiel von Nebenhandlungen : Eine Person besinnt sich auf einen Namen, 
und ihre Hand schreibt ihn automatisch. Dagegen ist das folgende eine unterbewußt 
beeinflußte Haupthandlung: Im Gefolge von drei der Hand einer Person unbemerkt 
beigebrachten Strichen tritt dem Wachich dieser Person die Zahl 3 vor das Bewußt* 
sein (nach Binet). ^ Wenigstens scheint das so zu sein; sicher läßt es sich nicht 
feststellen. Es möchte ja sein, daß das automatische Ich um alles vom Wachich 
Erlebte weiß, sich also zu ihm wie Ganzes zum Teil verhält. 
I «• 403 
Wechselbewußtseine. Es handelt sich um dasselbe Ich in verschiedener 
Modifikation. Spaltung des Ich im Traum ist keine »Spaltung«, sondern 
ist Ich ^Wissen in Form des Wissens um fremdes Wissen. 
Hypnose ohne Beziehung zu besonderer Suggestion: Das hypno* 
tische Ich ist von ungeheurem Reichtum der Reproduktionsinhalte, 
aber lebt nur in der Vergangenheit. Es ist Wechselbewußtsein zum 
Wachich und verhält sich außerdem zu ihm wie das Ganze zum Teil. 
Hypnose mit besonderer Suggestion : Wahnideen, selbsterzeugt oder 
fremd^suggeriert, bedingen Inhaltsumwandlungen des Ich (fremde 
Personen werden »gespielt«) oder Scheinspaltungen wie im Traum, 
d. h. es wird gewußt in der Form des Wissens um fremdes Wissen. 
Das Suggestionsich kann (befohlene Amnesie für das Wache) als 
echtes Spaltich (wovon später), erscheinen, indem weder es vom Wach«» 
ich, noch das Wachich von ihm weiß. 
Negative Halluzination: In das Erleben eines hypnotischen Ich 
kann ein automatisches Ich als Unterbewußtsein negativ bestimmend 
eingreifen. Als Nebenbewußtsein kann dasselbe automatische Ich sich 
selbständig des Leibes in Nebenhandlungen bedienen. 
Terminsuggestion : In die Handlungen des WAcnich kann ein auto^ 
matisches Ich positiv eingreifen als Unterbewußtsein ; auch dieses auto# 
matische Ich kann als Nebenbewußtsein (schreibend) auftreten. 
Reiner Automatismus : Ein echtes Ich ist neben einem Wach«: oder 
(hypnotischen?) Schlafich da, nicht seine Handlungen mitbestimmend, 
sondern nur Nebenhandlungen leistend an demselben Leibe, also nur 
als Nebenbewußtsein. 
Echte Spalte folgeiche, das heißt zwei Iche A und B, welche als der 
Inhaltlichkeit und der Ichheit nach ganz verschiedene, nichts von ein* 
ander wissende, nacheinander auftreten, haben wir in allem bisher 
Mitgeteilten nur einmal flüchtig kennen gelernt, nämlich in gewissen 
Fällen der suggestiven Hypnose (befohlene Amnesie für das Wache). 
Wir kennen dagegen bis jetzt W^ec/ise/ic/ie mit gleicher obschon modi*» 
fizierter Ichheit, aber wechselndem Inhalt (Traum), Wechseliche mit 
EiNseitigem Nichtwissen des Einen vom Anderen (gewöhnliche Hyp* 
nose), welche im Verhältnis des Ganzen zum Teil stehen, und Neben= 
iche (reine Automatie). Ferner kennen wir das Unterbewußte in ge* 
wissen Formen der Automatie, und zwar der Ichheit nach rudimentär 
oder voll ausgebildet; das Unterbewußte wirkt bei negativer Hallu* 
zination und Terminsuggestion auf das Wachich oder Hypnoseich, 
dem es »unter«liegt, als Mitbestimmer von Handlungen. 
404 
Allem liegt »unter« die unbewußte Seele. 
UnverketteteNebeniche verhalten sich zueinander wie völlig fremde 
Ichpersonen ; ebenso ist allen Ichformen ein völlig »fremdes« Ich die 
Seele, falls wir ihr Ichheit zuschreiben wollen. Wo sich ein Ich zum 
anderen wie das Ganze zum Teil verhält (gewöhnliches Hypnoseich: 
Wachich, Automatischesich: Wachich bei Terminsuggestion, Auto»« 
matischesich : Hypnoseich bei negativer Halluzination), da kann von 
einseitiger Fremdheit gesprochen werden. 
/; DIE ECHTE y>BEWUSSTSEINSSPÄLTUNG« 
Wir gelangen zur Erörterung gewisser seelischer Phänomene, 
welche, an der Grenze zwischen dem bloß Seltenen und dem 
eigentlich Pathologischen liegend, für die psychologische Grund* 
theorie von ganz besonderer Bedeutung sind: Es kann bei gewissen 
Personen Wechsel^Iche geben, welche im echtesten Sinne Spalt ssbe*« 
wußtseine sind, d. h. verschiedene, voneinander nichts wissende Ich«* 
heiten mit verschiedener Inhaltlichkeit des bewußt Gehabten^. 
Der einfachste Fall liegt vor, wenn, etwa in Folge einer seelischen 
Erschütterung, zwei Spaltiche miteinander schlicht abwechseln. Beide 
verdienen den Namen Oberbewußtseine, denn beide sind vom Typus 
eines normalen Wachich, mag auch das eine für die in Rede stehende 
Person nach Maßgabe ihrer früher gekannten seelischen Struktur »ab* 
norm« sein. 
Nennen wir die beiden Spaltiche A und B, wobei A dasjenige Ich 
bezeichnen soll, welches vor Auftreten der Spaltung allein da war, so 
können die folgenden zwei Fälle verwirklicht sein : 
A und B wissen wechselweise nichts voneinander, oder B (der 
»abnorme«) Zustand weiß alles von A, jedoch A nichts von B (nie 
kommt das Umgekehrte vor). 
Im ersten Fall, in welchem übrigens alle A* und alle B^Zustände je 
unter sich in mnemischer Kontinuität stehen, können zwei Unterfälle 
verschiedener Art insofern zum Ausdruck kommen, als das eine Mal 
das GedächtnisMATERiAL (s. o. S. 393), wie Kenntnis der Sprache und 
der sozialen Sitten, durch beide Zustände hindurchgeht, so daß also 
> AzAMS »Feiida« (1887) ist der erste scharf analysierte Fall; ein mit der Zeit immer 
kürzer werdender Schlafzustand, der spontan eintritt, trennt ihren einen Spalt* 
zustand vom anderen. Vor allem Pierre Janet wird sodann neues Material und als 
erstem eine tiefgehende Analyse verdankt. Die jüngsten sehr gut zergliederten und 
aufgeheUten Fälle sind die »Miß Beauchamp« von Morton Frince und die »Doris 
Fischer« von Walter F. Frince. 
405 
nur die besonderen Erinnerungen dem A und dem B wechselseitig 
fehlen, während das andere Mal die Amnesie des B alles betrifft, so 
daß B wie ein kleines Kind sprechen und schreiben lernen muß, was 
freilich sehr rasch geschieht^. 
Der zweite Fall, in dem also das Wissen von B das Wissen des A 
umfaßt (aber nicht umgekehrt), weist Unterfälle in dem Sinne auf, 
daß B bald in schlichter Weise, bald aber in Form des »Wissens um 
fremdes Wissen« um das Wissen des A weiß. In diesem Fall redet B 
von A wie von einer ihr intim bekannten fremden Person. Es ist klar, 
daß in allen Abarten des zweiten Falles das »abnorme« Ich B dem 
»normalen« A gegenüber den reicheren Typus darstellt; es ist Ganz* 
ich im Verhältnis zum Teilich. 
Besondere Beachtung verdient der Umstand, daß in allen bekann*« 
ten Fällen A und B von sehr verschiedener Art des »Charakters« sind, 
so daß also nicht nur der Gedächtnisbesitz die Spaltiche voneinander 
scheidet. 
Sehr seltsam sind gelegentlich^ die Ergebnisse einer Hypnotisierung 
von A und von B gewesen. A und B gaben dieselbe hypnotische Per:« 
son C, welche sich als neues Ich weiß, aber von den Wach* und Traum« 
Erlebnissen des A sowohl wie des B Kenntnis hat in Form des »Wis* 
sens um fremdes Wissen«, wie wir es aus der Lehre vom Traum ken* 
nen. C bestand zunächst — (ich rede jetzt von »Miß Beauchamp«) — 
im hypnotischen Schlafzustand mit geschlossenen Augen. Es wird ihr 
nun befohlen, die Augen zu öffnen und zu erwachen. Sie erwacht und 
BLEIBT dabei C, jetzt aber als Wachich. 
Wir haben also jetzt drei Wechseliche, von denen zwei Spaltiche, 
eines ein »Ganzes« ist. Aber C ist nicht einfach A+B, sondern ist trotz 
allem ein anderes Ich. Erstens weiß seine Ichheit sich als andere, zwei* 
tens ist es wiederum von ganz anderem »Charakter«, drittens hat es, 
trotz des Wissens um die Inhalte von A und von B im allgemeinen, 
doch nicht alle ihre Kenntnisse: der Zustand »Sally« der Miß Beau* 
champ, an den ich hier denke, kann z. B. im Gegensatz zu A und B 
^ Solche Fälle bei Binet, Alterations de la personnalite, S. 4 f., James, Principles of 
Psychology, I. S. 381 f. und Ribot, Maladies de la memoire, S. 70f. — Auf reine Am* 
nesien ohne Ich* Spaltzustände gehen wir hier nicht ein; von Interesse sind zumal 
die sogenannten partiellen, in denen das Gedächtnis etwa für Zahlen, für Musik, 
für eine bestimmte Sprache fehlt. Auch die abnormen Gedächtnissteigerungen im 
Gefolge von Schock, Krankheit, Giftwirkung berühren wir nicht. ' Es gibt auch 
Fälle, wo die hier geschilderte Vereinigung der Iche in der Hypnose nicht statthat. 
Vgl. den Fall Ansei Bourne bei James I. S. 391. 
406 
nicht französisch sprechen und ist ohne akademische Bildung, welche 
A und B besitzen. C hat aber, in Form des Wissens um fremdes Wis«» 
sen, Erinnerungen an alle Besonderheiten der alltäglichen Erlebnisse 
von A und B. 
C ist reicher an Inhalt als A und B, jedes für sich genommen, ist 
aber, ich möchte sagen, ärmer an Bedeutungshaftem als jedes der 
Spaltiche. 
Im Falle der Miß Beauchamp ist alles in Wirklichkeit noch viel vev^ 
wickelter, als wir es geschildert haben ; es gibt z. B. noch zwei andere 
Spaltpersonen D und E, welche aber gleiche Träume haben, d. h. deren 
jeweilige Träume auch von der Traummodifikation des anderen Spalt»« 
ich erlebt werden. Wir haben hier natürlich nur auf das ganz Grunds« 
legende einzugehend 
Ehe wir weitergehen, fassen wir zusammen: 
Gewisse Komplexe des besonderen Erinnerungsmäßigen, der »Ge* 
dächtnissperifikation« (s. S. 393), sondern sich voneinander, und die 
Seele schafft jedem der gesonderten Komplexe ein Ich. Beides kommt 
zusammen; das erste ist gleichsam Anstoß für das zweite. Nicht ge^ 
nügt es, von der Sonderung der Erinnerungskomplexe allein zu reden, 
wie oftmals geschieht. "Vielleicht kann es in unbegrenzter Zahl und 
Mannigfaltigkeit abgegrenzte Erinnerungs^Komplexe und zugehörige 
Iche gebend 
Bisher redeten wir von Wechselichen, welche alle Wachiche sein 
konnten ; zwei der Wechseliche waren Spaltiche, das dritte war, heu 
* Der Fall »Doris Fischer« (gutes Referat von Schiller in Proc. Soc. Psych. Res. 
Vol. 29, Part. 74, S. 386 und von Peter in Psych. Stud. 49, 1922), unterscheidet sich in 
manchem vom Fall »Miß Beauchamp«: Die Modifikation »Sick Doris« verhält sich 
wie ein ganz kleines Kind (»psychological baby«), wird aber von »Margaret«, welche 
der »Sally« entspricht, aber freundlichen Wesens ist, sehr instruktiv »unterrichtet« — 
beide haben ja einen Leibl »Real Doris« kennt hier nur sich; »Sick Doris« weiß aber 
alles, was R. D. tut und denkt (Unterschied von den A* und Bs Formen der Beau# 
champ, denen im übrigen Real und Sick Doris entsprechen). Sick Doris verschwindet, 
indem sie, nachdem sie »erwachsen« geworden, wiederum immer »jünger« wird; 
ebenso verschwindet, aber langsamer, Margaret durch »Jünger«?werden. — Pierre 
Janet schildert einen Spaltungsfall (Rev. philos. 69. 1910), in welchem die eine Spalte 
phase, und zwar der eigentlich normale und ursprügliche Typus, welcher aber 
dauernder Depression wegen schon ganz in Vergessenheit geraten war, durch Hyp* 
nose erzielt wurde. * Ein mögliches Experiment, um in der Einsicht weiterzukom* 
men, wäre wohl dieses: Man hypnotisiere eine Person und suggeriere ihr, daß sie 
nach dem Erwachen bestimmte Zeiten ihres Lebens vergessen haben werde, oder 
auch, daß sie etwa einen um den anderen Tag jeweils ein anderer sei; dann wecke 
man. Freilich ein gefährliches Experiment. 
407 
lieh nur im großen und ganzen und bei verändertem Charakter, das 
Vollich. 
Es kann nun ein Wechselich für das andere Wechselich Untere 
bewußtsein sein, und zwar sowohl ein Spaltich für das andere Spalt«* 
ich, als auch ganz besonders das charakterveränderte Vollich für ein 
Spaltich ^. In solchem Falle begeht die im Wachzustand vorhandene 
Spalt^Person automatisch Handlungen, welche ein anderes Ich als 
Urheber haben. Die Wachperson weiß erst darum, wenn die Hand»* 
lung vollbracht ist und erschrickt dann meist sehr^. 
Ist hier das Unterbewußte ein Ich oder bedeutet es nur das unters* 
bewußte Dasein gewisser Dispositionen (die vielleicht sogar unmittel*» 
bar in die »Seele« zu verlegen sind), wie Prince das (s. o. S. 401) für 
die Leistungen des Unterbewußten bei Terminsuggestionen vor ihrer 
Ausführung will? 
Wäre es ein Ich, so wären also das oberbewußte Spaltich A und ein 
für A un^bewußtes (nämlich ihm »unter«*bewußtes) Ich C, das aber 
nicht für sich genommen unbewußt ist, gleichzeitig da. C wäre ebenso 
gleichzeitig »da« mit A, dem A aber unbewußt, wie irgendein Ich 
irgendeiner ganz anderen psychophysischen Person gleichzeitig mit A 
im empirischen Sinne des Wortes »da ist«. C müßte in den Momenten, 
in welchen es sich, die Tätigkeit des A störend, äußert, in Strenge 
Nebenbewußtsein zu A heißen, und zwar verkettetes Nebenbewußt^ 
sein ; denn es begeht ja eine Nebenhandlung an demselben Leibe. 
Ich meine, man wird sich hier rückhaltlos für diese Annahme enU 
scheiden, da ja C als Ich von besonderem Charakter bekannt ist, und 
da die unterbewußt beeinflußten automatischen Taten des A dem 
Charakter des C entsprechen, ja, im Grunde gar nicht des A Taten sind. 
Was im Falle der Miß Beauchamp scharf analysiert und durch die 
gelungene Erweckung der bis dahin nur hypnotisch gekannt ge^ 
wesenen »Sally« in hohem Maße geklärt ist, muß naturgemäß im Un* 
bestimmten bleiben, wenn Zustand C nie als waches Folgeich auftritt. 
Dann kann man nur unbestimmt von »Unterbewußtseinswirkungen«, 
»Komplexwirkungen« usw. reden. 
* Bei Doris Fischer ist »Sick Doris« und »Margaret« unterbewußt zu »Real Doris«» 
»Margaret« (das Ganze) ferner zu »Sick Doris«. Bei Miß Beauchamp ist nur Sally 
unterbewußt zu A und B, welche einander durchaus fremd bleiben. * Im Beau^ 
champsFall träumt das Spaltich A gelegentlich, was »Sally« denkt, ja, Schiller 
meint sogar, diese mache dem A die'Träume (Proc. Soc. Es. Res. 70, 1915, S. 505 f.). 
Das kompliziert die Sachlage. 
408 
Es tritt endlich die Frage auf, ob in der Kette der Wechseliche ein 
Ganzich C oder ein Spaltich A auch dann »da ist«, wenn es weder als 
Wachich auf dem Plan ist, noch auch sich beeinflussend äußert. Un# 
mittelbar entscheidbar ist diese Frage grundsätzlich nicht; nur In*= 
dizien für eine Entscheidung lassen sich beibringen, und da möchte 
ich folgendes sagen: Echte Spaltiche (A und B der Beauchamp) »sind« 
nur, wenn sie als Wachiche da sind; führten sie sonst ein Leben, als 
dem während ihres Verschwundenseins agierenden Ich gegenüber 
FREMDE Iche, so würden sie doch wohl bei erneutem Auftreten von 
diesem »Leben« mitteilen. Oder träumen sie vielleicht, wenn sie »nicht 
da sind?« Dann würden sie in zweiter Modifikation fortexistieren. 
Das Ganzich (Sally, Margaret) aber könnte »da sein«, auch wenn es 
als Wachich verschwunden ist und sich auch in keiner Weise unter»« 
bewußt äußert. Freilich, selbständig erleben tut es während dieses Da* 
seins nichts, es berichtet später wenigstens nichts davon. Aber rein 
rezeptiv scheint es »erlebt« zu haben — nämlich die Erlebnisse des A 
oder B, von denen es ja später in Form eines »Wissens um fremdes 
Wissen« »weiß«. 
Alle diese Dinge sind sehr dunkel, und wir dürfen nicht vergessen, 
daß doch auch die Seele als Eines »da ist«. 
Wären mit einem Wachich A zusammen ein Spaltich B und ein 
Vollich C »da«, so wären sie- als latente Nebeniche zu bezeichnen, 
zum Unterschied von den aktuellen Nebenichen bei wachen Schreib** 
medien. 
Unser Hauptergebnis ist also dieses^: 
^ Es ist von höchster Bedeutung, mit der echten Ich*Spaltung nicht zu verwechseln, 
erstens das Wissen in Form des »Wissens um fremdes Wissen« und zweitens die 
sogenannte DepersonaHsation. Bei beiden handelt es sich nicht um Spaltbewußt* 
sein. 
Wissen in Form des Wissens um fremdes Wissen liegt überall bei Staudenmaier 
vor, wenn er sich mit seinen Dämonen oder Besuchern unterhält. Hier hat Oesters 
REICH recht, wenn er (S. 422 ff. seiner »Phänomenologie des Ich«) sagt, Zwangsideen 
unbekannter Herkunft seien die Veranlassung des Phänomens. Aber hier gibt es 
nicht zwei echt GEGENeinander getrennte, aus einem Vollich heraus»gespaltene« 
Iche. Depersonalisation dagegen ist ein Mangel an Intensität der Ichheit und Mangel 
an gehabten Bedeutungen. 
Auch ist »Spaltung« von uns nie so gemeint, als gäbe es gleichzeitig, sich gleich* 
sam durchdringend, zwei bewußte Iche mit sich durchdringenden gehabten Inhaltss» 
folgen. Das scheint uns ein geradezu unvollziehbarer Gedanke zu sein; wir mögen 
ihn als »Irrationales« der Metaphysik zuschreiben, aber wir kennen ihn bedeutungs* 
mäßig nicht. 
409 
Es gibt Spaltiche als Wechseliche; zu ihnen kann sich, durch Hyp^^ 
nose mit folgender Erweckung produziert, als altruierendes Wechsel* 
ich ein Vollich gesellen. Alle diese Iche sind, wenn sie da sind, W^ac/i= 
iche. Sie sind NAcneinander; sie haben verschiedenen »Charakter«. 
Das Vollich der Reihe kann für ein Spaltich L^nferbewußtsein sein; 
in gewissen Fällen kann das auch ein Spaltich für das andere sein. Ein 
solches Unterbewußtsein darf als zugleich mit dem Oberbewußtsein, 
in das es wirkend hineinragt, bestehendes Ich gelten, aber als ein dem 
Bewußtsein nach fremdes Ich, ebenso fremd wie das Ich irgendeines 
»Du«. In den Momenten seines Agierens in das Wachich hinein darf 
es Nebenich heißen, da es alsdann Nebenhandlungen vollführt. 
Wenn von »Effekten« des Unterbewußtseins, von einem »Hinein^ 
wirken« desselben in das Oberbewußtsein usw. geredet wird, so ver* 
gessen wir dabei nicht, daß ein Ich oder Selbst niemals »wirkt«, son* 
dern immer nur hat. 'Wir meinen also mit unseren kurzen Ausdrücken, 
daß ein Teil des Seelischen auf den anderen Teil wirkt, ihn beeinflußt 
usw. usw., d. h. wir reden mit unzureichenden Ausdrücken vom 
Werdegetriebe in der Seele, uns dabei haltend an das, als welches 
dieses Werdegetriebe sich am Leibe äußert und diese seine Äußerung 
psychisch deutend ^ 
g) BEGRIFFLICHES 
Warum setzen wir alle diese Begriffe Spaltich, Nehenich, Unter- 
Bewußtsein usw.? Was bedeuten sie für die Ordnungslehre? 
Haben sie überhaupt einen Wert, der über den von Worten für unwiß^ 
bare Dinge hinausgeht? 
Gewiß haben sie ihn. Sie ordnen die mit Rücksicht auf die psychi* 
sehen Sachverhalte gewußten Inhaltlichkeiten. Sie bezeichnen empirisch 
Daseiendes und seine Relationen ganz ebenso wie die Worte »Repro* 
duktionsvermögen«, »determinierende Tendenz« usw. Nur gehen sie 
auf VIEL Grundlegenderes. Daß eine Seele sich in Mannigfaltigkeit 
Iche bildet, und daß das Werden und Wirken in der Seele sich ab* 
spielt in Beeinflussungen der verschiedenen jeweils in einem Ich sich 
* Was heißt psychisch normal? Prince sagt einmal: das, was frei von Stigmata sei. 
Aber was ist frei von Stigmata, d. h. frei von den Einflüssen eines als Ich unbekannten 
Unterbewußtseins oder von rudimentären unterbewußten Residuen? Das wissen wir 
nie, auch bei uns selbst nicht. 
So würde ich denn vorschlagen, als anormal nur das zu benennen, was mit aus^: 
drücklichen Wahn* oder Zwangsideen zusammenhängt, ja, vielleicht sogar nur das 
mit Wahnideen Zusammenhängende. 
410 
erscheinenden Seelenbezirke, das ist es, was hier, als das Fundaments 
talste aller Psychologie, zum Ausdruck gebracht wird. Wir müssen, 
wenn wir überhaupt Ordnung wollen, alle diese Begriffe und Rela^ 
tionen setzen, wir müssen z. B. sagen, daß ein Spaltich das andere im 
Sinne eines Unterbewußtseins beeinflußt/Ganz ebenso müssen wir 
das, wie wir im Reiche des Naturhaften von Kräften, Energien und 
anderem reden, oder, wenn wir »funktional« bleiben wollen, bestimmte 
Gleichungssysteme aufstellen müssen. Daß alles psychologisch sehr im 
Unbestimmten und Unbefriedigenden bleiben muß, weil es sich weder 
UM Raumhaftes noch um quantitativ Fassbares handelt, beeinträch^ 
tigt nicht den ordnenden Wert der allgemeinen Schematik. Diese 
Schematik ist hier die Wissenschaft^. 
Und alles liegt ja doch im Grunde nicht anders, als wenn ich, in 
kurzer Ausdrucksweise, vom Ich oder Selbst oder von der Seele einer 
anderen psychophysischen Person, eines auch körperhaften Du rede. 
Wir wissen, wie hier die Dinge lagen: recht verwickelt, aber doch »in 
Ordnung« (s. o. S. 371 ff.). Schreibe ich einem fremden Leibe zwei nach:* 
einander als Spaltbewußtsein auftretende Iche zu oder zwei gleich«« 
zeitige Iche, die im Verhältnis der Untev= zum Obevbewußtstm oder 
in dem zweier Nebenbewußtsein stehen, so heißt das, ganz ent^ 
sprechend wie früher, daß ich die Bewegungen jenes Leibes nur eben 
in dieser Form ordnungshaft meistere, wobei psychologische Anas= 
logien der Kürze des Ausdrucks halber erlaubt sind. Und wenn »ich« 
selbst eines von zwei zu »meinem« Leibe gehörigen Spaltichen wäre, 
* Janet mag recht haben, wenn er echte Spaltungen auf bestimmte Anästhesien, auf 
partielle Sensibilitäten zurückführt, derart, daß im Zustand B andere Sinnesdata »ver* 
wertet« werden als im Zustand A, wobei an die Verschiedenheiten des sogenannten 
optischen, akustischen, kinästhetischen Erlebenstypus zu denken ist. Störing mag 
recht haben, wenn er den Nachdruck auf die in den verschiedenen Spaltzuständen 
in verschiedener Weise bestehenden Organempfindungen legt, so daß jeweils ein 
bestimmter Typus der Organempfindungskonstellation nur das als Reproduzier? 
bares mit sich führt, was gerade mit ihm einst erlebnismäßig verknüpft war. 
Aber beide übersehen, daß die Bildung verschiedener Iche bei den Spalt? 
erscheinungen die Hauptsache ist; das, wovon sie reden, sind nur Anstöße für das 
Auftauchen der verschiedenen Iche aus dem Mutterschoß einer Seele heraus. Iche 
aber, welche ihre bestimmten Erlebnisse wechselseitig nicht kennen, sind ver* 
schiedene Iche. Nur wo (wie z. B. bei der Hypnose) A von B (sei es auch in Form 
des Wissens um fremdes Wissen) weiß, aber nicht B von A, wird der Begriff der 
Verschiedenheit der Iche gemildert, obwohl auch nicht ganz aufgehoben, durch 
den Umstand, daß A und B im Verhältnis des Ganzen zum Teil stehen. 
Daß das allgemeine GedächtnisMAXERiAL (Sprache, Sitten) für zwei Iche dasselbe 
ist, beeinträchtigt ihr Verschiedensein nicht. 
411 
so würde ich mein »alter Ego« (im wahren Wortsinne) setzen als etwas 
Ordnungshaft Objektives auf Grund dessen, was man mir von ihm 
oder vielmehr von den Bewegungen »meines« Leibes während »seines« 
Daseins erzählt hat. — 
h) DAS EINE UND DAS VIELE 
Bei allen den Dingen, die wir hier erörtert haben, handelte es sich 
um Beziehungen der Ich*einheit oder Ichs^vielheit zu einer psycho*» 
physischen Person, d. h. zu einer Seele und einem ihr parallel korre*» 
spondierenden Psychoid als entelechialem Naturfaktor. 
Anderen Verhältnissen werden wir zugeführt, wenn wir gewisse 
Ergebnisse der experimentellen Biologie ihrer psycho^physischen Seite 
nach betrachten : Man kann einen Keim durch Zuteilung seiner Fur^« 
chungszellen veranlassen, viele Leiber, mehrere Keime, einen Leib der 
Form nach zu bilden. Da wird auch, was ein Psychophysisches gebildet 
hätte, zu VIELEM, was vieles Psychophysische gebildet hätte, zu einem 
Psychophysischem. Spaltung (und Verschmelzung) des Psychischen 
geht also hier mit Spaltung (und Verschmelzung) leiblicher Ganzheit 
einher, und eben das unterscheidet diese Dinge von den bloßen so*» 
genannten »Bewußtseins«:*spaltungen. 
Es ist klar, daß eine große Menge neuer Ordnungsfragen durch Auf* 
rollung der experimentaUembryologischen Sachverhalte, ebenso übri# 
gens durch gewisse Erscheinungen der Regeneration, gezeitigt wird. 
Wir haben aber eine nähere Erörterung dieser Dinge der »Philosophie 
des Organischen« und der »Wirklichkeitslehre« vorbehalten^, denn 
nur auf dem problematischen metaphysischen Boden sind diese selbst 
sehr problematischen Verhältnisse mit Gewinn zu erörtern. Aus den* 
selben Gründen soll auch alles, was im Anschluß an die Probleme der 
Vererbung, Phylogenie und Geschichte etwa über die Beziehungen 
zwischen einem Überpersönlich*Psychischen zu den psychischen Per* 
sonen, den Seelen, zu sagen wäre, durchaus der Behandlung im Rahmen 
einer Metaphysik vorbehalten bleiben. 
i) PARAPSYCHOLOGIE 
An das Ende der eigentlichen Psycho*logik, der Ordnungslehre 
vom Seelischen, gehört nun aber noch die kurze Erörterung ge* 
wisser Dinge, welche wir nicht mehr umhin können, für »Tatsachen« 
allgemeiner Art, besser: für gesetzeshafte Tatsachen, zu halten trotz 
' Vgl. zumal Phil. d. Org., 2. Aufl., S. 582 fr. 
412 
aller Ablehnung, welche sie noch immer von den Vorsichtigen, die hier 
eben wohl die Allzu!*»vorsichtigen« sind, erfahren. 
Ich denke hier an das, was man, unter Vermeidung des irreführen*» 
den Wortes »Okkultismus«, neuerdings als Para** oder Metapsycho*! 
LOGiE zu bezeichnen pflegt^. 
Die größten Verdienste haben hier die Mitglieder der britischen 
Society for Psychical Research ^, unter Deutschen haben sich Schrenck* 
NoTziNG, Tischner, Wasielewski, Grunewald u. a. durch ihren geistigen 
Mut und ihre Kritik Anspruch auf hohe Achtung erworben. Oester^ 
reich ^ und Tischner* verdanken wir gute kurze Gesamtdarstellungen. 
Es handelt sich zunächst um drei verschiedene Gruppen von Tat*« 
Sachen, welche alle drei, was wichtig ist anzumerken, sowohl im som* 
nambulen als auch im normal:«wachen Zustande auftreten können, also 
nicht etwa an den somnambulen fest gebunden sind^ 
Beziehungen des bewußten Habens zwischen Ichen und rein natura 
wirklichen gegenständlichen Zuständen ohne die normale Vermittlung 
der Sinne. 
Beziehungen der Willensbeeinflussung naturwirklicher Gegenstände 
seitens psychophysischer Personen ohne Verwendung der für die nor*» 
male Handlung in Frage kommenden Leibesorgane. 
Beziehungen des bewußten Habens wechselseitiger Art zwischen 
zwei Ichen oder Seelen ohne Vermittlung der Materie. 
Die erste Tatsachengruppe nennt man Hellsehen (»Clairvoyance«), 
die zweite je nach ihrer Sonderausprägung Materialisation, Levitation, 
* Die Angelsachsen sagen »Psychical research«, im Unterschied von »Psychological 
Research«, die Franzosen »Sciences psychiques«. 
* Die wertvollen VeröffentHchungen dieser Gesellschaft sind in Deutschland durch? 
aus nicht nach Gebühr bekannt. Ich nenne daher einige von ihnen; das Organ, auf 
das ich mich beziehe, sind die Proceedings ofthe Society for Psychical Research. 
Zu Gedankenlesen, spontaner Telepathie, »Cross*Correspondence« usw.: Vol. 13 
(Hodgson), Vol. 14 (Podmore), Vol. 17 (Mrs. Verrall, Carrington und Podmore), 
Vol. 20 (Mrs. Verrall), Vol. 21 Go^nson), Vol. 23 üames). Vol. 25 (Balfour und 
Johnson), Vol. 28 (Mrs. Sidgwick), Vol. 29 (Lodge und Balfour), Vol. 30 (Barrett). 
Experimentelle Telepathie: Vol. 21 und 27 (Miles and Ramsden). 
Über Eusapia Palladino: Vol. 23. 
Über Levitation: Vol. 30 (Smith). 
Die Autornamen der wichtigsten Arbeiten, mit denen der Leser beginnen möge, 
sind GESPERRT gedruckt. S. a. Podmore, Studies in Psych. Res.; J. A. Hill New Evi* 
dences in P. R. usw. 
' Der Okkultismus im modernen Weltbild. * Einführg. in d. Okkult, u. Spirit. Hier 
und bei Österreich weitere Literatur. ^ Sogenannte »Medien« sind sogar oft durch* 
aus nicht hypnotisierbar. 
413 
Telekinese usw., die dritte je nach ihrer Sonderausprägung Telepathie 
oder Gedankenlesen (»mind reading<ic). — 
Der »Hellseher« weiss in bildhaft anschaulicher, halluzinatorischer 
Form ohne Sinnesvermittlung um ferne, sehr kleine oder verborgene 
naturhafte Zustände; sein Wissen kann im Wachen oder im Traume 
oder im hypnotischen oder im automatischen Zustand stattfinden. In 
vielen Fällen spielen sogenannte »Rapportobjekte«, d. h. Gegenstände, 
welche mit den im Hellsehen erfaßten Umständen in irgendwelcher 
Beziehung stehen, eine rätselhafte Rolle dabei ^ Ob es auch Hellsehen 
in die Zukunft gibt (»Prophetie«), bleibe noch dahingestellt. 
Der »Materialisator« bewegt Gegenstände ohne Berührung, hebt 
Gegenstände der Schwerkraft entgegen, dabei um ihr Gewicht zuneh* 
mend (Crawford), beeinflußt elektros^magnetische Zustände (Grüne* 
wald) und, was die Hauptsache ist, ordnet die überall vorhandene 
Letztmaterie zu organähnlichen Formen im Dienste seiner Vorstel«« 
lungssä oder Willensinhalte (Schrenck^Notzing). 
Bei den beiden bis jetzt erörterten Phänomenen parapsychologischer 
Art handelt es sich um Beziehungen zwischen Psychoid=Psyche und 
gegenständlich dinghafter Natur; bald laufen die Beziehungen in der 
einen, bald in der anderen Richtung. Das »Normale«, d. h. das Alltags* 
liehe an Vermittlung ist beidemal ausgeschaltet. Um eine Art Ȇber* 
vitalismus« handelt es sich, der den, welcher einmal Vitalist ist, eigent* 
lieh kaum verblüffen kann. 
Ihre hypothetische Andeutung erfahren diese Dinge besser erst in 
der Metaphysik und zwar da, wo sie auszudeuten versucht, was eigents= 
lieh wissen und wollen im Reiche des »Wirklichen« heißt. — 
Die materiell unvermittelten Beziehungen zwischen zwei Ichen oder 
Psychoids* Seelen haben wir in Telepathie und Gedankenlesen geson>« 
dert, man nennt oft auch beides »Telepathie«. 
Unter Telepathie im engeren Sinne (Myers) versteht man den Sach# 
verhalt, daß ein Ich, der »Empfänger«, im Wachen oder im Traume, 
ohne sein Zutun plötzlich der Zuständlichkeit eines anderen fernen 
Ich, des »Gebers«, kund wird. Ob das Ober«« oder ein Unterbewußt»* 
sein des Gebers, also ein Seelenteil, oder geradezu seine Seele als Eines 
agiert, bleibt dahingestellt ; es scheint alles vorzukommen. Nur im ersten 
Fall wäre das »Geben« bewußt gewollt. Fast stets, obwohl nicht immer, 
^ Das Starren in eine Glaskugel oder einen Kristall erhöht wohl nur das halluzina^» 
torische Vermögen überhaupt. Einige der so hervorgerufenen Halluzinationen sind 
dann »wahr«. 
414 
wird »gegeben« im Zustande hohen Affektes, wie großer Gefahr oder 
Todesnot; meist wird affektiv nahe stehenden Personen »gegeben«^. 
Die Art der Gebung kann von bloßer Ahnung bis zur Vision alle 
Stadien durchlaufen ; ein Affekt wird im letzteren Falle in Anschaulich*« 
keit gleichsam umgesetzt. 
Beim Gedankenlesen ist, im Gegensatz zur eigentlichen Telepathie, 
der Geber meist inaktiv, der Empfänger aktiv; dieser »will«, daß ihm 
gegeben werde. Daher das Wort Gedanken:5»lesen« oder auch Ge*» 
danken^»abzapfen«. Der Empfänger, also der aktive »Leser« ist meist 
nicht im wachen, sondern im automatischen Zustand. Der inaktive 
Geber kann in derartigem Maße bewußt inaktiv sein, daß er überhaupt 
das, was ihm »abgezapft« wird, gar nicht aktuell bewußt hat, obschon 
ihm gelegentlich auch das aktuell bewußt Gehabte abgezapft werden 
kann. Meist wird er, wenn aus ihm heraus gelesen wurde, was er nicht 
aktuell bewußt hatte, hinterher sagen, daß er sich dieses Sachverhaltes 
allerdings als eines richtigen, den er nur vergessen habe, erinnere. Es 
kommen aber auch Fälle vor, in welchem ihm abgezapft wird, was er 
weder aktuell weiß noch auch, unter noch so starken Hilfsmitteln, 
reproduzieren kann, was er aber doch, wie sich unweigerlich zeigt, 
einmal gewusst hat. Immer weiß, oder hat gewußt, wenigstens irgend^ 
EIN lebendiger Mensch, was das »Medium« »liest«, mag auch oft die 
Abzapfung erfolgen nicht aus denjenigen Personen heraus, welche bei 
ihm sind, sondern aus beliebigen anderen, oft in weiter Ferne. 
Das »Lesen« seitens des, wie wir wissen aktiven, Empfängers oder 
»Mediums« findet in den eigentlich klassischen Fällen^ in sehr selt«* 
SAMER Form statt, nämlich in Form des Wissens um fiemdes Wissen^, 
und zwar gibt das Medium den »Fremden«, um dessen Wissen es 
weiß, für einen Verstorbenen (»spirit«) aus, nur in seltenen Fällen 
sagt das Medium, daß es unmittelbar auch wisse, was der, dem es ab* 
zapft, weiß. 
Wir werden hierauf sogleich zurückkommen und sagen einstweilen 
über Telepathie und Gedankenlesen nur dasselbe, was wir früher in 
anderem Zusammenhang sagten, nämlich, daß die Ordnungslehre sich 
mit der bloßen Feststellung der seltsamen Sachverhalte begnügen und 
alle weitere Erörterung der Metaphysik des Wissens überlassen muß. — 
* Viele kritisch durchgearbeitete Fälle im englischen Sammelwerk Phantasms ofthe 
Living — (also nicht »of the Dead«l). Deutsch von Feilgenhauer unter dem Titel 
»Gespenster lebender Personen«. ^ pjo^. Soc. Psych. Res. 13 (Hodgson) und 23 
(W.James). ' S. o. S. 394. 
415 
Daß das Medium aussagt, es habe sein Wissen von einem Ver* 
storbenen, besagt an und für sich für die empirische Existenz der im^* 
materiellen Duplizität Psychoid=Seele dieses Verstorbenen gar nichts. 
Weiß man doch\ daß in der Hypnose und in hypnoseartigen Zu*= 
ständen Wissensinhalte beliebig »dramatisiert« werden. Warum nicht 
einmal zur Person eines »Geistes«? 
Nun ist aber allerdings in Form der sogenannten »spiritistischen« 
Hypothese die Vermutung aufgestellt worden, daß vieles von dem, 
was wir hier als Telepathie und Gedankenlesen ausgaben, wirklich, 
natürlich für uns Logiker im empirischen Sinne des Wortes, vonVer^ 
storbenen herstamme. 
Der Spiritismus ist eine besondere metapsychologische Hypothese 
und darf natürlich nicht mit der Parapsychologie als Ganzem vers= 
wechselt werden; so handeln hieße tun wie die, welche Darwinismus 
und Deszendenztheorie verwechseln. Sinnlos ist die spiritistische Hypo* 
these nicht. Warum sollte Entelechie sich nicht von der Leibgebunden** 
heit lösen und doch noch äußern können? Es ist eine reine Tatsachens* 
frage, ob sie es tut oder nicht tut; auch ist es eine Frage der Ordnungs»» 
LEHRE, und man glaube ja nicht, daß hier ohne weiteres der metaphy^ 
sische Boden betreten werden muß. Metaphysik ist ganz und gar eine 
Sache für sich; ist sie da, so bemächtigt sie sich aber jedes Problems 
der Ordnungslehre und nicht etwa nur besonders »problematischer 
Probleme«. 
Drei Gruppen von Tatsachen pflegen als Indizien zugunsten der 
spiritistischen Hypothese angeführt zu werden : 
Erstens das Faktum, daß die Äußerungen des Mediums, z. B. mit 
Rücksicht auf die Kenntnis der klassischen Sprachen, weit über seinen 
Bildungsgrad hinausgehen. Doch fällt das doch wohl nicht grundsätz»« 
lieh aus dem Bereiche möglicher »Abzapfung« heraus. 
Zweitens die sogenannten» Cr oss=Corresponc/ences«, das heißt Fälle, 
in denen verschiedene Medien an verschiedenen Orten Bruchstück!» 
aussagen von sich geben, welche erst zusammen einen Sinn ergeben, 
und von denen sie sagen, daß sie ihnen von demselben Verstorbenen 
eingegeben seien. Doch ist Telepathie und Hellsehen zwischen den 
Medien hier ein anderer möglicher Erklärungsgrund. 
Das dritte Indizium für die Richtigkeit der spiritistischen Hypothese 
nennen die angelsächischen Autoren The Minutes^. Der durch dieses 
Wort bezeichnete Sachverhalt ist dieser: Die Gesamtheit dessen, was 
' S. o. S. 397 f. ' Deutsch: Die Einzelheiten. 
416 
ein im Trance:*zustand befindliches Gedanken abzapfendes Medium 
automatisch durch Schrift oder Sprache von sich gibt und für die Ein^» 
gebungen eines Verstorbenen hält, gibt in der Tat Wesen und Be* 
NEHMEN DIESES VERSTORBENEN BIS IN DIE LETZTEN ZÜGE HINEIN WIEDER, 
bis in seltsame Gewohnheiten, seltsame Ausdrucksweisen und der*» 
gleichen hinein. Man kann hier mit der Annahme des bloßen Gedanken*» 
lesens auskommen und wird das aus Gründen der wissenschaftlichen 
Ökonomie auch zunächst tun, denn entia non sunt creanda praeter 
necessitatem. Aber einheitlicher wird, das gibt selbst James zu, alles 
auf Basis der spiritistischen Hypothese ^ Wer nämlich die »Minutes« 
auf Grundlage bloßen Gedankenlesens (und dazu vielleicht bloßer 
Telepathie) erklären will, muß die Hilfsannahmen machen, daß das 
Medium sich aus allen möglichen anwesenden oder abwesenden Men^ 
sehen gerade nur das zu dieser einen bestimmten verstorbenen Person 
Passende bei seinem »Abzapfen« aussucht, wobei nicht nur der aktuelle, 
sondern auch der latente, ja, sogar der gar nicht mehr reproduzierbare 
Gedächtnisvorrat in Frage kommt, und daß das Medium ferner das 
von allen möglichen Seiten her bruchstückhaft Zusammengeholte dann 
zu dem Wesen und Benehmen einer »Person« richtig zusammensetzt, 
WELCHE ES IN VIELEN FÄLLEN GAR NICHT KANNTE. 
Als Beweis der Äußerung materienfreier Psychoide könnte allenfalls 
ein Versuchsergebnis wie das Folgende gelten : Ein Lebender schreibt 
irgend etwas nieder, versiegelt es und läßt es nach seinem Tode, dann, 
wenn er sich einmal als »Geist« eines Mediums kund gibt und, auf 
Befragen, den Inhalt des versiegelten Schriftstücks angegeben hat, 
öffnen. Der Versuch ist meines Wissens dreimal ausgeführt; jedesmal 
mit negativem Ergebnis, d. h. der angebliche Kontroll*»geist« des 
Mediums gab etwas an, was durchaus nicht stimmte. Aber selbst bei 
positivem Ausfall dieses Versuchs gäbe es vielleicht noch Bedenken 
gegen seine Reinheit, d. h. dagegen, daß Hellsehen und früher, zu Leb* 
Zeiten des »Geistes«, erfolgte Telepathie gänzlich ausgeschlossen ge*» 
wesen sei. — 
Wir fassen zum Schlüsse noch einmal zusammen, was in den para«» 
psychologischen Sachverhalten an eigentlich ordnungshaften Ermitt* 
lungen vorliegt, alle weitere hypothetische und ausdeutende Erörterung, 
wie gesagt, der Metaphysik überlassend. 
^ James* eigene Lehre von einem »Weltgedächtnis« oder »psychischen Reservoir«, 
aus dem das Medium schöpfe, erklärt natürlich die auf eine bestimmte Person zu« 
geschnittene Auswahl des Geschöpften auch nicht. 
27 D r i e s c h , Ordnungslehre 417 
Beim Hellsehen handelt es sich, naturtheoretisch gesprochen, um 
eineÄFFEKTioN von Entelechie durch Naturdinghaftes, welcher Affektion 
eine Zu Standsänderung in der Seele parallel korrespondiert, die sich 
ihrerseits wiederum in bewußtem Haben ausdrückt. Alles ist also ganz 
wie bei der Wahrnehmung, ja, das Hellsehen ist »Wahrnehmung«, nur 
nicht auf den längst bekannten Wegen. Hier könnte man wohl sogar 
mit den so beliebten »Strahlungen« in irgendeiner Form auskommen, 
wenn auch nur im Sinne gewisser unserer früheren Erörterungen^. 
Alle Materialisationen, das Wort im weitesten Sinne genommen, 
sind, ganz wie das Hellsehen, im tiefsten und letzten Sinne auch »nichts 
Neues«, wenigstens für den, welcher die mechanische Auflösbarkeit 
schon der alltäglichen Lebensvorgänge leugnet. Bei Formgestaltung, 
Anpassung, Handlung usw. wirkt Entelechie in das Materielle hinein ; 
sie ist das Eine, die Materie das Andere. Ganz ebenso bei den »para* 
physischen« Geschehnissen. Man wird nun freilich sagen, bei den 
normalen Vitalphänomenen beeinflusse Entelechie, wie die materielle 
Kontinuität des Lebens zeige, doch immer dieselbe, nun einmal von 
Urzeiten her in Kontinuität von ihr gleichsam kontrollierte Materie. 
Das wäre aber gar nicht zutreffend, denn im assimilativen Stoffwechsel 
wird fortwährend neue Materie in die entelechiale Kontrolle einbezogen. 
Bei den paraphysischen im Vergleich zu den normal^vitalen Geschehe 
nissen handelt es sich also nur um — Distanzunterschiede, so weit das 
unter die Herrschaft von Entelechie gelangende Physische in Frage 
kommt. Für den Vitalisten müssen also im Grunde alle Restitutions«» 
Vorgänge, alle menschlichen Handlungen, sobald auf das eigentlich 
Letzte, also etwa die unmittelbare Beeinflussung der motorischen Hirn* 
teile durch das Psychoid geblickt wird, ganz ebenso als »paraphysisch« 
gelten wie etwa Schrencks Materialisationen, nur daß hier die unmittel* 
bare Aktion des Psychoids sozusagen einen weiteren Radius hat. Ob 
ein Psychoid unmittelbar, im Sinne der paraphysischen Geschehnisse, 
eine »teleplastische« Hand formt oder ob ein Bildhauer eine massive 
Hand aus Ton formt, das kommt also im tiefsten Grunde auf dasselbe 
hinaus, nur daß für das zweite viel mehr materielle Mittelglieder er* 
forderlich sind. 
Sehr bedeutsam ist es, daß alle Materialisationen, seien sie bloße 
Fäden oder Träger oder echte Formen, stets vom Leibe des Mediums 
ihren Ursprung nehmen. Nehmen wir nun an, daß hier nicht Materie 
geschaffen, sondern nur schon vorhandene Materie geordnet wird, so 
* S. o. S.231. Hier galt uns »Strahl« als »geometrischer Ort möglichen Geschehens«. 
418 
wird sie also im Anschluss an schon geordnet gewesene, nämlich den 
Leib, geordnet, und gerade das reiht die paraphysischen Ergebnisse 
den im engeren Sinne vitalistischen ohne weiteres an. 
Telepathie und Gedankenlesen bieten nun aber der »normalen« 
Wahrnehmungslehre und dem »normalen« Vitalismus gegenüber wirk«* 
lieh etwas ganz Neues: Psychoid wirkt hier unmittelbar, ohne mate»« 
rielle yermittlung auf Psychoid, denn alle »Strahlungs«theorien sind 
hier, wie namentlich Tischner ^ klar gezeigt hat, ausgeschlossen. Frei^ 
lieh kenne Ich diesen Sachverhalt einer unmittelbaren Wirkung von 
Form auf Form nur durch materielle Vermittlung, indem nämlich zum 
mindesten die eine der beteiligten Personen mir »sagt«, was sie erlebt. 
Aber in allem, was ich da bewußt habe, schaue ich doch eben den 
Ordnungstypus der materiell unvermittelten Wirkung und Gegen* 
Wirkung unter Psychoiden. 
Wir geben hier wiederum unseren Gegenstand an die Metaphysik 
weiter und sagen nur noch, daß auf metaphysischen Boden sich alles, 
was parapsychisch und paraphysisch bekannt ist, vielleicht als Modi* 
fikation einer und derselben Grundgesetzlichkeit darstellen möchte. 
' Psych. Studien 1918. 
27- 419 
E. DIE ORDNUNGSFORMEN DES 
GEISTIGEN 
(»KULTURPHILOSOPHIE«) 
1. DIE AUFGABE 
Wir bringen jetzt die Behandlung der Probleme des Überpersön* 
LicHEN zum Abschluß. Die Frage, wie es mit der Gesamtheit 
DER Menschen stehe, harrt hier noch der Erledigung. 
Der Weg ist durch unsere allgemeinen Erwägungen^ vorgezeichnet. 
Wie stets beim Überpersönlichen liegt, wenn anders überhaupt eine 
Entwicklung in Frage kommen sollte, diese Entwicklung als Einmalige 
keit, als nur ein »Fall« vor; wie stets beim Überpersönlichen ist ihr 
Ziel vielleicht noch nicht erreicht und ist unbekannt. 
Diese drei großen Bedenklichkeiten, die alles wirklich endgültige 
Wissen von Anfang an unmöglich machen, sehen wir am Beginne 
der Untersuchung. 
Aber auch, was allein Aufgabe sein kann, steht an diesem Beginne 
fest: DIE Zuordnung des gesamten inhaltlichen Wissensstoffes zu 
DEN Begriffen Einheit, Ganzheit, Häufung, Entwicklung^. 
Es handelt sich um die Gesamtheit der Menschen als psycho^phy»» 
sischer Wesen, ja sogar als psychischer Wesen allein, denn alle Rasse* 
fragen sind im Grunde phylogenetischer Art. Die Seelen der Men* 
sehen also in ihrem Zusammenschluss und in der Abwandlung ihres 
Wesens (Soseins) stehen zur Untersuchung. 
Ich weiss um fremde Wissensträger oder Wissenssubjekte ; das ist 
der Ausgang; was es heißen kann, wissen wir^ 
Den UNMITTELBAREN Untersuchungsgegenstand freilich bilden auch 
hier naturwirkliche Dinge: Monumente, Akten, Bücher, Kunstwerke, 
Lautgebilde (Gespräche usw.). Freilich nur als von seelischen Wesen 
ausgegangen werden sie betrachtet, und in diesem Sinne ist z. B. Musik* 
geschichte die Lehre von der Abwandlung der Seelen der Menschen, 
INSOFERN SIE MusiKER SIND. Immerhin gilt also auch für die Soziologie 
und Geschichtsphilosophie, um die es sich hier ja handelt, unser Satz, 
daß die letzten materialen Daten die Form des Jetzt = Hier = Solches 
besitzen*. 
* S. o. S. 285 ff. * Das Wort Windelbands und Rickerts von der auf »Werte«, 
d. h. bestehende Interessezentren, bezogenen »idiographischen« Methode geht nur 
auf die GeschichtsscHREiBUNG, d. h. auf die erste Ordnung des geschichtlichen Roh* 
Stoffes. Die »Sinn«*, die »Bedeutungs«sfrage wird hier gar nicht berührt, ganz ab* 
gesehen übrigens davon, daß offenbar ein guter Teil aller Geschichtslehre, der 
»kumulative« Teil nämlich, auf »Allgemeines« geht, also »nomothetisch« ist. Gutes 
zur Kritik der RiCKERTSchen Lehre bei E. Becher (Geisteswiss. u. Naturwiss., 1921, 
S. 129ff.), wo auch die gesamte Literatur. » S. o. S. 371 ff. * S. o. S. 156. 
422 
2. EINHEITS- UND GANZHEITSZEICHEN 
Wir prüfen zunächst die Frage, ob die Menschheit überhaupt 
Eine und ob und inwiefern sie ganz ist. Wir erörtern diese 
Frage — mit einer einzigen, einen besonderen Sachverhalt treffenden 
Ausnahme — in diesem Werke gedrängt und kurz, wie alles Über* 
persönliche, da alles im Hypothetischen bleiben muß und auch erst 
im Metaphysischen eigentlich bedeutsam wird, weshalb denn der 
Leser in meiner »Wirklichkeitslehre« eine eingehendere Darstellung 
aller dieser Dinge findet. 
Schon allein die Tatsache, daß die Menschen sich fortpflanzen, 
macht die Menschheit, und zwar schon auf biologischem Boden, zu 
Einem. 
Im Rahmen des Seelischen gehören gewisse in meinem metaphy»« 
sischen Werke eingehender erörterte Dinge hierher: die Tatsachen 
einer Harmonie zwischen »Berufs^s^notwendigkeiten und »Berufs«»* 
erfüllungen und einer Harmonie zwischen Gebendem und Nehmen** 
dem (Lehrer und Schüler). Man mag geneigt sein, hier nicht nur 
Einheits-, sondern schon Ganz/ieiYszeichen des Menschlichen zu sehen. 
Die zweite Art von Harmonie könnte sogar schön als Entwicklungs= 
zeichen angesehen werden, ebenso wie die Tatsache der sogenannten 
Heterogonie der Zwecke (Hegels »List der Idee«) und die Tatsache 
des unabhängigen gleichzeitigen Auftretens derselben Gedanken in 
verschiedenen Individuen. 
Das vornehmste aller hierher gehörigen »Zeichen« und zugleich das 
einzige, welches in diesem Werke in breiterer Form zur Darstellung 
gebracht werden soll, ist das Dasein des sittlichen Bewusstseins, wel^ 
ches nach der einen seiner Seiten als Einheits-, nach der anderen als 
Ganzheitss, ja, als Entwicklungs^zQichen der Menschheitsgemeinschaft 
gelten darf. 
a) DAS SITTLICHE BEWUSSTSEIN (^ETHIK<^) 
a) DIE SETZUNG y>GUT<^ 
Ich habe Schauungen, welchen ich den sprachlichen Ausdruck gebe : 
Dieses sollte sein, sollte nicht sein, hätte sein sollen. 
Diese durchaus gegenständlichen Ordnungsschauungen gehen vor^ 
nehmlich auf menschliche Handlungen und drücken sich alsdann in 
der Sprachform : Dieses ist gut, dieses ist böse aus. Sie gehen aber ge* 
legentlich auch auf die Handlungen von Tieren, ja auch, was besonders 
anzumerken ist, auf irgendwelche Geschehnisse, welche Menschen 
423 
oder gar Tiere bloß betreffen oder auch etwas, was den Menschen 
bloß betrifft, betreffen. Man klagt in solchen Fällen gleichsam ein un«* 
bekanntes Es, das »Schicksal«, an, so z. B., wenn ein Hund qualvoll 
verletzt wird, wenn einer Familie der Ernährer durch einen Unglücks«« 
fall entrissen wird, ja auch, wenn ein Kunstwerk, also etwas, das »den 
Menschen bloß betrifft«, durch Feuer zugrunde geht. 
Die Schauungen, daß empirische Sachverhalte gut oder böse seien, 
wie wir jetzt der Einfachheit des Ausdrucks wegen an Stelle der schwer* 
fälligen Formungen durch das Wort »sollte« in allgemeinstem Sinne 
sagen wollen, sind in bestimmtem, noch darzulegendem Sinne unmittel:« 
BAR gehabt und unterscheiden sich dadurch von allen anderen auf 
das Empirische gehenden Schauungen, mit Ausnahme der Schau der 
Bedeutung des »als mittelbar gegenständlich Meinens«^. Das »Gute« 
steht hier also im Gegensatz sogar zu den Schauungen »Ding« und 
»Ursächlichkeit«. 
In diesem Sinne ist die »sittliche« Schau wie ein »Instinkt«, ja, ist 
sie der einzige »Instinkt« bestimmterer Art, den Ich habe, wenn anders 
man dieses eigentlich der Seelenlehre als besonderem Zweige der Ord* 
nungslehre angehörige Wort hier verwenden darf ^. In gleichem Sinne 
darf man mit der Stoa (und auch mit Hegel) sagen, daß sittliche Schau 
zur Natur, zur »zweiten« Natur, des Menschen gehöre; ja, sie gehört 
geradezu zum Wesen des Ichs^habens, wie die Schau der Urordnungs* 
bedeutungen. 
Die sittliche Schau ist stets gefühlsbetont und zwar in starker Weise. 
Diese ihre Seite, die sich in Worten wie »Reue«, »Gewissensbiß«, 
»gutes Gewissen« usw. zum Ausdruck bringt und übrigens im Nega* 
tiven sehr viel schärfer ausgeprägt ist als positiv, ist aber unberück* 
sichtigt zu lassen, wenn das rein Bedeutungshafte zur klaren Anschau*! 
ung gebracht werden soll; sie geht die Phänomenologie als ausdrück* 
liehe Vorbereitung zur Seelenlehre an. 
Gut oder böse sein können Handlungen ANDERERWesen, insonderheit 
Menschen; alsdann reden wir von wegweisender sittlicher Schau. Als 
gut und böse können aber auch geschaut werden die Handlungen des 
EIGENEN Leibes, ja, auch eigene Willenserlebnisse, welche Handlun* 
gen, populär gesprochen, gebären oder doch gebären könnten; in die* 
sen Fällen nennen wir die sittliche Schau rückweisend. 
Bleiben wir bei der rückweisenden Schau, so geht auch diese, was 
^ S. o. S. 163. 2 Mit Recht nennt Rehmke (Ethik als Wissenschaft, 1920. S. 8) »gut« 
ein Beziehungswort. 
424 
für die wegweisende selbstverständlich ist, stets nur auf empirisch 
Gegenständliches, d. h. auf die empirische Zuständlichkeit, welche 
die eigene Handlung erzeugt oder erzeugen könnte. Diese Zustand«* 
lichkeit »sollte sein« oder »sollte nicht sein«. 
Die Schau arbeitet hier sehr fein und nennt eine eigene Hand*» 
lung oder ein eigenes Willenserlebnis von im übrigen nicht irgendwie 
tadelnswerter Art schon dann nicht gut, wenn auch nur der Gedanke 
an eigene zu erringende Gewissenslust oder zu vermeidende Gewissens^ 
Unlust irgendwie als »Motiv« ins Spiel tritt. Schon in solchem Falle ist 
die Handlung oder der sie erzeugende Wille »egoistisch« und nicht 
»altruistisch«, sei er auch nur egoistisch im niedersten Grade. Der 
Gedanke an künftige Gewissensbefriedigung durch gute Tat wird 
sich zwar nicht verbannen lassen, er darf aber nicht, sei es noch so 
wenig, »Motiv« sein. Ist er es, so ist es mit dem Guf=sein der Tat aus. 
Hier hat Kant sehr klar gesehen, ob er schon das Ich^eigensein, das 
»Natur«i»hafte der sittlichen Schau, im Sinne der Stoa, übersah und 
fälschlich das »Du sollst« an Stelle des »Es sollte sein« setzte, so daß 
ScHELER mit Recht seine Lehre »das Gegenteil von Liebe, von Ver«* 
trauen zur Welt« genannt hat. 
Das Gute schauen und »gut handeln« können sind zweierlei Dinge. 
Beides geht, wenn anders wir hier psychologisch reden dürfen, auf 
Vermögen, aber auf verschiedene Vermögen, der Seele zurück. Der 
das Gute gut schauen Könnende ist eben ein reiner »Schauer« wie der 
gute Mathematiker, aber es ist sehr wohl möglich, daß er gelegentlich 
die eigene Seele als eine zum mindesten nicht immer das Gute erzeu* 
gende schaut. Die Seele ist ja nicht Ich; sie ist ich*fremd, ist Objekt 
für Ich^ 
Kant hat den Kernpunkt des Wesens alles Sittlichen in seinem 
»Kategorischen Imperativ« festgelegt: »Handle so, als ob die Maxime 
deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz 
werden sollte^.« 
Wir beanstanden hier, wie schon aus früher Gesagtem hervorgeht, 
zum Ersten die imperativische Form. »Meine Seele sollte so handeln. . .« 
— mit diesen Worten hätte vielmehr die Formung zu beginnen. Doch 
ist das eine Nebensache, weil sich die eine Form leicht in die andere 
* Das handelnde und das erkennende Subjekt sind nicht »Eines«, wie N. Hart? 
MANN will (Metaph. d. Erkenntnis S. 103), sondern nur das erkennende und das 
Wollungen habende Subjekt. ^ So die endgültige Formung in Grundlegung z. 
Metaph. d. Sitten (Reclam S. 56). In der Kr. d. prakt. Vern., § 7, ist von dem »Prin? 
zip einer allgemeinen Gesetzgebung« die Rede. 
425 
überführen läßt, und weil man ja sagen kann, die Sachlage sei gleich* 
SAM wie ein Imperativ. Bedenklicher ist, wie sich zugleich zeigen wird, 
die Verwendung des Wortes »Gesetz« oder »Naturgesetz«. Denn es 
»sollten« eben durchaus nicht alle Menschen so handeln, daß ihre 
Handlungen Fälle einer Klasse werden, jedenfalls sollte sich nicht 
ALLES an ihrem Handeln so bestimmen. Allenfalls mag man sagen, daß 
alle Menschen insofern gleich handeln sollten, als alle stets nur der 
sittlichen Schau überhaupt Folge leisten sollten, unbekümmert um das 
vielleicht jeweils Besondere an dieser Schau. Aber das meint Kant doch 
wohl nicht, und seine seltsam trivialen, schon oft, z. B. von Schopen«» 
HAUER, getadelten Beispiele^ für seinen »Imperativ« zeigen, daß hier 
etwas bei ihm nicht zur restlosen Klarheit gekommen war. Seine Bei* 
spiele könnten, was sie durchaus nicht sollen, sicherlich auch eine 
»eudämonistische« Ethik veranschaulichen. 
Wenn nun auch, wie wir sagten, sittliche Schau wie ein »Instinkt« 
ist, so können wir doch dem, was sie meint, weiter auf den Grund 
kommen. Nicht zwar durch bloße Bedeutungszerlegung wie angesichts 
der Begriffe Ding und Ursache, denn sie ist ursprünglich^unmittelbar 
wie das »Meinen«. Wohl aber dadurch, daß wir uns diejenigen Sach* 
verhalte gegenständlich näher betrachten, auf welche tatsächlich die 
sittliche Schau sozusagen Anwendung findet. 
ß) LIEBE UND PFLICHT 
Oben haben wir das sittliche Schauen in wegweisendes und rück= 
weisendes gegliedert. Wir nehmen jetzt eine andere Spezies* 
Zerlegung mit ihm vor: 
Was »sein sollte« im Bereich der Menschengemeinschaft, ist zu* 
nächst einmal ein gewisses Verhalten, welches alle Menschen gleich* 
mäßig betrifft. Ich schaue, daß es gut ist, wenn jeder für jeden steht. 
Das Christentum hat für diese Forderung den Ausdruck, daß jeder 
jedem der »Nächste« sein solle, geprägt; die indische Formel »Das 
bist Du« sagt dasselbe. Das Schopenhauersche Wort »Mitleid« ent* 
springt seinem grundsätzlichen Pessimismus, dem das Leid die Freude 
bei weitem überwiegt; man mag es durch »Mitleben« oder auch durch 
»Liebe«, in dem Sinne, in welchem Scheler dieses Wort versteht, er* 
setzen. 
Das Wort »Liebe« drückt also aus, was jeder jedem gegenüber er* 
leben »sollte«; es ist der Ausdruck für den erlebnismäßigen Zustand, 
* Metaphys. d. Sitten, Reclam, S. 56. 
426 
aus dem das, was naturhaft sein sollte, als Handlung hervorgehen 
kann. Denn der »gute Wille«, um mit Kant zu reden, ist ja der Ur* 
sprungsort alles Guten, wenigstens in populärer Ausdrucksweise. 
Was »sein sollte« im Bereiche der Menschengemeinschaft ist aber, 
wie ich schaue, noch ein anderes. Dieses zweite an sittlich Gefordertem 
schaue ich nur in rückweisender Form, während jenes erste, das er? 
lebenshaft »Liebe« hieß, auch wegweisend als sein sollendes geschaut 
werden kann. Ich schaue das neue sein Sollende, von dem wir jetzt 
reden, in Form des sogenannten »Gefühls« der Pflicht. Freilich wird 
nun auch den »anderen Menschen« ein Erleben von Pflicht introjis« 
ziert, so daß also allgemein gesagt werden kann, daß jeder Mensch 
unter der Leitung von Liebe und Pflicht handeln sollte. 
Das Pflichterlebnis nun aber ist höchstpersönlich; sein Erleben 
sagt mir, was ich, d. h. meine psychophysische Person, angesichts 
dieser bestimmten naturhaften Zuständigkeit tun sollte, aber nichts 
weiter. Durchaus endgültig schaue ich zwar das Pflichtmäßige; aber 
doch nicht so, wie andere Endgültigkeiten, welche ich, um populär 
und zugleich kantisch zu sprechen, »jedermann zumute«, sondern als 
NUR FÜR MICH in dieser seiner Besonderheit verbindlich. Scheler^ hat 
dafür das Wort »Das an sich Gute für mich« geprägt. 
Auf dem Boden des Pflichtmäßigen aber gibt es keinen »Nächsten« ; 
da ist jeder nur er selbst. Man sieht, daß es gerade unsere Fassung des 
Pflichtbegriffes gewesen ist, welche uns die Kantische Formung des 
kategorischen Imperativs ablehnen ließ: Liebe mag in ihrem Bestehen 
als »Gesetz« gewünscht werden, Pflicht kann das ihrem Wesen nach 
gar nicht werden, es sei denn, daß man an das ganz unbestimmte 
»überhaupt seine Pflicht tun« dächte, was aber Kant nicht tat. 
Es hängt weiter mit dem höchstpersönlichen Wesen des Pflicht* 
mäßigen zusammen, daß es eine Ethik als inhaltlich ins Einzelne 
gehendes wissenschaftliches Gefüge im Sinne einer Vorschriftenlehre 
nicht geben kann. Es kann hier nur Bekenntnisse geben. Was allein 
in bezug auf ein solches »inhaltsethisches« Bekenntnis in allgemeiner 
Hinsicht gesagt werden kann, ist die Forderung, daß es sich nicht in 
sich widerspreche, also nicht etwa in seinen späteren zusammens* 
gesetzten Teilen Maximen ausspricht, welche gewissen Elementar* 
maximen zuwider sind. Solches ist z. B. mit Rücksicht auf das Ver* 
hältnis zwischen einer »Staatsethik« und einer »Individualethik« nicht 
* Formalismus i, d. Ethik, S. 510; mit Recht nennt er allgemeingültige Werte ein 
»Minimum« von Werten. 
427 
selten geschehen ; es ist aber gerade so zu beurteilen, wie eine euklidische 
Geometrie, welche gelegentlich einmal den pythagoräischen Lehrsatz 
verletzt, zu beurteilen wäre. 
y) DAS SITTLICHE BEWUSSTSEIN ALS EINHEITS^ UND 
GANZHEITSZEICHEN 
Nun aber können wir zu der Frage zurückkehren, von der diese 
ganzen Erörterungen ihren Ausgang genommen haben: Wie 
steht es mit Einheit und Ganzheit der Menschengesamtheit, und 
warum und inwiefern ist sittliches Bewußtsein ein »Anzeichen« für sie? 
Da ist nun klar, daß das empirische Dasein von Wesen, welche 
Träger des sittlichen Bewußtseins sind, nur dann »verständlich« wird, 
d. h. in irgendeinen ordnungshaften Zusammenhang kommt, wenn 
dieses Dasein in ganzheitsbezogenem Sinne also als Anzeichen irgend«« 
einer Ganzheit aufgefaßt wird. 
Der Inhalt der sittlichen Schau geht ja über die Person hinaus, 
geht auf »Überpersönliches«. 
Von Mitleben oder Liebe, die, wie wir wissen, auf den »Nächsten« 
geht, möchte man nun sagen, daß sie in ihrem Dasein aus bloßer Ein= 
heit der Menschengesamtheit verständlich, also nur ein Zeichen von 
dieser sei, ebenso wie etwa im Unbelebten das Dasein von wechsele 
seitigem Wirken überhaupt^, wie im Reiche des Personal* Belebten die 
Tatsache der Fortpflanzung ^ 
Aber das Dasein des höchstpersönlichen Pflichtgefühls zeigt Höheres 
an. Es geht nicht auf ein Reich des Neben««, sondern auf ein Reich des 
Überss und Untergeordneten, in welchem sein jeweiliger Träger diese 
bestimmte eine Stelle hat. »Handle als du selbst,« ruft es seinem Träger 
gleichsam, aber eben nur »gleichsam^,« zu. Es geht also auf etwas, das 
ein Ganzes ist, ja sogar ein Ganzes in Entwicklung, denn es weist ja 
in die Zukunft. 
Das Dasein sittlicher Wesen, wie wir jetzt kurz für Wesen, welche 
Subjekte der sittlichen Schau im empirischen Sinne des Wortes sind, 
sagen wollen, das Dasein sittlicher Wesen ist also ein Zeichen dafür, 
DASS DIESE Wesen Glieder einer überpersönlichen entwicklungss* 
haften Ganzheit sind, deren Entwicklung noch unvollendet ist. 
Im wegweisenden ethischen Schauen schaue ich das Gegenständ* 
liehe dieser Ganzheit schlechthin, und daß meine psycho»»physische 
Person, als Bestandteil der ich^^gehabten empirischen Welt, das kann, 
' S. o. S. 305. =» S. o. S. 308. ' S. o. S. 426. 
428 
ist allein schon Ganzheitsanzeichen. Im rückweisenden auf meinen 
Willen bezogenen Schauen aber erlebe ich »meine« Rolle, d. h. die 
Rolle »meiner psychophysischen Person« als eines ichsgehabten Gegen* 
Standes, in diesem Ganzen völlig unmittelbar. 
Ich erlebe, daß fremde oder eigene Tat »sein sollte«. Weshalb »sollte« 
sie sein? Auf daß gefördert werde die Entwicklung der Ganzheit, zu 
der sie gehört^. 
Eines Zusatzes freilich noch bedarf unsere Lehre, daß sittliches Er* 
leben Zeichen des Eingereihtseins in überpersönliche evolutive Ganz* 
heit sei : Es muß angenommen werden, daß das Endganze, das »Ziel«, 
auf welches hin die hypothetische überpersönliche Entwicklung tat* 
SÄCHLICH, im empirischen Sinne des Wortes, abläuft, so ist, daß ich, 
wenn ich es kennen würde, es billigen, es zu dem, was »sein sollte«, 
zählen könnte. Nur dann nämlich wird das Dasein sittlicher Wesen, 
so, wie sie empirisch sind, »erklärt« durch die Lehre von ihrer Ein* 
reihung in ein sich entwickelndes Ganze. 
Und auch noch ein zweiter Zusatz ist nicht zu vermeiden ; gewisse 
mögliche Mißverständnisse sind von vornherein fem zu halten. Mit 
Recht hat schon Kant gelehrt, daß das, was sein soll, nie folgt aus 
dem, was ist. Es scheint nun, als brächte unsere Lehre »Sein« und 
»Sein*Sollen« doch in gewisser Weise zusammen. Aber ganz und gar 
nicht haben wir das, was sein sollte, dem, was ist, entnommen; wir 
haben vielmehr gesagt, daß das sein Sollende von jedem in höchst* 
persönlichem Erleben unmittelbar geschaut werde. Das Dasein der 
Schauer will unsere Lehre »erklären« dadurch, daß sie sie einer über* 
persönlichen Entwicklung mit von ihnen gebilligtem Ziele einfügt. 
Nicht also, »daß dieses sein sollte«, wird durch etwas, welches ist, zu 
erklären oder wird einem empirisch seienden Sachverhalt, wie etwa 
einer beobachteten »Fortschrittstendenz« irgendwelcher Art zu ent* 
nehmen versucht, sondern »daß vom Sollen redende Wesen da sind« — 
dieser Sachverhalt ist es, der zur Untersuchung steht. — 
Auch wir können schließlich unsere Lehre in Befehlsform fassen 
und einen neuen »kategorischen Imperativ« an Stelle des Kantischen 
setzen : 
»Handle so, wie du glaubst, eine von dir als bestehend angenommene 
und gebilligte Entwicklung der Menschheitsgesamtheit zu fördern.« 
* Rehmke (Ethik als Wissenschaft, S. 29) redet zwar mit Bezug auf das »Lieben« von 
einem »Sicheinswissen«, will aber dieses Wort wörtlich nehmen und nicht als »in 
einer Lebenseinheit sich wissen«. Hier kann ich nicht mit Rehmke gehen, dem ich 
sonst in vielem zustimme. 
429 
Freilich liegt es uns fem, mit unseren Worten die sittliche Schau in 
ihrer Unmittelbarkeit, als Erlebnis, ausdrücken zu wollen; denn erstens 
bleibt hier allgemein unser früher ausgesprochener Satz in Geltung, 
daß überhaupt alle begriffliche Zerlegung der sittlichen Schau erst 
hinterher, in der »Reflexion« kommt, und zweitens gilt mit Rücksicht 
auf die besondere »imperativische« Form unserer Formel dasselbe, was 
von der Kantischen Formel galt^: es ist erlebnismäßig nicht richtig, 
daß das sogenannte Sittengesetz mir im Einzelfall wie ein durchaus 
Fremdes gebietend gegenüber tritt. In schwierigen Sonderfällen mag 
allenfalls der Inhalt des »Imperativs« in der »Reflexion« einmal richtungs« 
gebend ausdrücklich zur Geltung kommen; aber auch dann nicht als 
»Imperativ«. 
Das Dasein sittlicher Wesen ist also ein »Anzeichen« empirischs« 
wirklicher überpersönlicher Ganzheit, weil mir meine eigene sittliche 
Schau und die »Anderer« nur verständlich wird als »Anzeichen« unserer 
Rolle in einem solchen Ganzen. Aus dem Wesen der ursprünglichen 
sittlichen Schau, aus ihrem personenübergreifenden Wesen aber ist hier 
die hypothetische Ganzheitslehre entstanden, nicht etwa aus einem 
"Wissen um empirische Ganzheit der Inhalte der sittlichen Schau; das 
wäre in der Tat eine falsche Vermengung von »Sein« und »Sollen«. 
Nur daß überhaupt das Problem »Entwicklung« angesichts des Werdens 
der Menschheitsgemeinschaft ersteht, muß mir freilich bekannt sein. 
Wie nun aber das Endganze, das »Ziel«, jener Entwicklung, in 
welche als in eine zu billigende die Menschen sich auf Grund ihres 
sittlichen Schauens eingereiht wissen, beschaffen sein möchte, das kommt 
in diesem Abschnitt noch nicht zur Untersuchung. Daß es nicht im 
endgültigen Sinne als solches gewußt werde, haben wir oftmals gesagt; 
das Pflichtgefühl sagt mir, nach unserer Lehre, immer nur, daß dieser 
oder jener Willensinhalt in Richtung auf das Endganze gelegen ist. 
Man möchte sagen : im Pflichterleben bin ich Mitwisser des Überpersön«* 
liehen, in dem ich stehe ^. 
Man sieht: das Pflichterleben kann doch wohl nur dadurch, daß es 
in unbestimmter (meist negativer) Weise den Willensinhalten eine 
Tönung gibt, ihre Endganzheitsbezogenheit andeuten; ein eigentliches 
Wissen um das »Warum« fehlt, und insofern ist alles dem (ja auch nur 
^ Daß Kant in unklarer Form die Beziehung des Sittlichen zum Begriff des über« 
persönlichen Ganzen doch auch gesehen hat, scheinen mir seine Begriffe »Reich der 
Zwecke«, »Würde des Menschen« anzudeuten. Sie passen nicht recht zu seinem 
»Imperativ«. * Baader hat einst das Wort Con^scientia so gedeutet. 
430 
warnenden) Daimonion des Sokrates zu vergleichen. Hinterher mögen 
Erwägungen bestimmter Art kommen, aber sie müssen im Ungewissen 
bleiben, denn: das Ziel ist bei allem Überpersönlich:sEntwicklungSi« 
haften unbekannt^. 
Aus solchen Erwägungen heraus ergibt sich, was wir den Primat der 
Liebe über die Pflicht nennen möchten, denn den Menschen als »Nach* 
sten« stellt mir die sittliche Schau in gänzlich zweifelsfreier Form vor. 
d) TUGEND UND WISSEN 
Die Frage, ob »die Tugend lehrbar« sei, ist sehr alt. Wir müssen 
hier offenbar das Wissen um die Sachverhalte, auf die sich sittliche 
Schau und sittliches Handeln richten kann, von den Vermögen zu sitt^ 
lieber Schau und zu gutem Handeln, welche, wie wir wissen ^ zwei 
deutlich verschiedene Vermögen sind, sondern, und dürfen dann sagen : 
Das Vermögen zu sittlicher Schau und gutem Handeln, also die »Tu«* 
gend« potentia, »theoretisch« sowohl wie »praktisch«, ist nicht lehrbar, 
sondern kann höchstens durch Übung gestärkt werden; die Tugend 
actu aber, d. h. die Basis für die Äußerungen jener Vermögen ist »lehr«« 
bar«, d. h. durch Wissen vermehrbar, ja, wird vielleicht durch Wissen 
um empirische Sachverhalte überhaupt erst möglich. 
Ruht doch, was nicht immer scharf genug betont wird, alles be* 
sondere gute Wollen und Tun durchaus auf Wissen, und jede einzelne 
Wollung und Tat ist doch eine »besondere«. Es kann nämlich einer 
nicht schlechthin »gut«, sondern nur mit Rücksicht auf besondere Sach* 
lagen gut handeln. Er muß die Umstände kennen, innerhalb deren er 
handelt; was »Arms«sein«, »Kind«»sein«, »Krank^sein« usw., um nur 
das Roheste zu nennen, heißt, muß er wissen'. Und je mehr von 
»Sozialem« er weiß, um so mehr kann seine Tugend actu sich entfalten*. 
Ja, in gewissen Fällen vermag wohl sogar das empirische Beobachten 
von so etwas wie einer »Entwicklungs«mchtung in der Abfolge der 
menschlichen Wollens«« und damit Handlungsweisen das tugendhafte 
Handeln inhaltlich zu beeinflussen, indem Einem plötzlich »ein Licht 
aufgeht«. Da würde also, ausnahmsweise, das Wissen um das, was 
sein sollte, geradezu von dem, was ist, abhängen ^ freilich nur im Sinne 
eines Ausgelöstwerdens. 
' S. o. S. 309. « S. o. S. 425. • Ähnlich Eisler, Der Zweck, S. 79 ; Windelband, Einl. 
in die Phil. S. 23 und sonst. * Mit Recht ist gelegentlich behauptet worden, daß 
das »Gut«*sein actu auch von dem Grade des Phantasievermögens abhänge. * S. o. 
S. 429. Die Stellung zum Problem »Sklaverei«, »Folter« ist vielleicht so beeinflußt 
worden ; gleiches mag von der Stellungnahme zu »Krieg« und »Todesstrafe« gelten. 
431 
Was bleibt aber nun eigentlich von der Tugend potentia mit ihren 
beiden verschiedenen »Vermögens«seiten übrig, wenn alle Tugend 
actu auf empirischen Wissensdaten ruht? Geht sie nicht ganz verloren 
bei dieser Wendung der Dinge? 
Sie tut es deshalb nicht, möge geradezu alles besondere Sittliche, 
dem Schauen und dem Wollen nach, empirisch gegründet, also durch 
Erfahrung im engeren Sinne und Erziehung bedingt sein, sie tut es 
deshalb nicht, weil doch eben erstens die Schau der allgemeinen Tö^ 
nung, welche die Worte »es sollte oder sollte nicht sein« ausdrücken, 
URSPRÜNGLICH ist und nicht anerfahren oder anerzogen, und weil die 
Tätigkeit zu gutem Wollen und Tun eben eine »Anlage« der psycho:* 
physischen Person ist. 
Wie sich ein Mensch, der nie seinesgleichen, ja, der nie ein Tier sah, 
verhalten würde, träten ihm plötzlich andere ebenso unwissende Wesen 
gegenüber, mit denen er nun zusammen zu leben gezwungen wäre, das 
wissen wir freilich nicht. Jede Möglichkeit ist hier zuzulassen, jede 
Übertretung der »zehn Gebote« zum Beispiel. Aber das »es sollte oder 
es sollte nicht« wäre doch da, und eine besondere »Anlage« zur eigenen 
sittlichen Betätigung ebenfalls. 
Übrigens wollen wir nicht ganz und gar die Möglichkeit abweisen, 
daß noch ein wenig mehr, daß ein wenig Bestimmteres ursprünglich 
»da wäre«, vielleicht im Sinne einer allgemeinen Sympathie und Hilfs*« 
bereitschaft. Da würde dann freilich die originäre ethische Schau schon 
zum INHALTLICHEN Apriori und gewissermaßen zu einem echten In* 
stinkt werden. 
An unserer theoretischen Zerlegung des »Es sollte sein« ändert das 
nichts, ebensowenig an ihrer Formung zum »kategorischen Imperativ« 
neuer Form. 
Alles, was hier über »Vermögen« gesagt wurde, gilt natürlich von 
Seelen, von »meiner« und von fremden, aber nicht vom Ich. Ich habe 
keine »Vermögen«, keine »Übung« usw. ; Ich schaue bloß. 
Gilt doch übrigens, was vielleicht passend einmal wieder betont 
wird, unsere gesamte Lehre vom Überpersönlichen und dem sittlichen 
Bewußtsein als einem Anzeichen für das Eingereihtsein in dieses Über* 
persönliche durchaus von der Seele^. Sowohl das »Vermögen« zu sitt* 
lieber Schau, wie das »Vermögen« zu sittlichem Handeln — wir trennten 
* Auch von der Seele gilt also der bekannte Satz Schopenhauers, daß es das eigent? 
liehe Grundrätsel der Philosophie sei, wie das »Subjekt« des Denkens zugleich das 
Subjekt des Handelns sein könne; s. auch S. 425, Anm. 1. 
432 
ja beide scharf — sind seelisch. Nur die Schau selbst ist ich^bezogen 
und — der Begriff Seele selbst ist ich^gesetzt. Die Schau aber ist wirk* 
lieh NUR »Anzeichen« von einer Rollen* Erfüllung oder Rollen^Nicht* 
erfüUung; denn Ich »tue« ja nichts. 
e) DIE ETHIK 
Was »ist« nun eigentlich die Ethik? 
Zunächst einmal ergibt sich aus unseren Erwägungen, daß sie 
ein recht zusammengesetztes, keineswegs in sich einheitliches JGebilde, 
also nur praktisch eine Wissenschaft ist. 
Der REINEN Ordnungslehre oder, wenn man hier so will, der »Phäno* 
menologie«, gehört die Feststellung des Daseins und Soseins der sitt* 
liehen Schau an und die Rechenschaftsablage darüber, was sie bedeutet. 
Der Psychologie, als einem Teil der Ordnungslehre vom Empirischen, 
gehört an die Lehre von dem »Vermögen« zu Schau und zu Handeln. 
Der Philosophie von der Natur und vom Psychophysischen, als dem 
anderen Teil der Ordnungslehre vom Empirischen, gliedert sich ein 
alles, was sich ausdeutungshaft auf das Überpersönliche, und alles, 
was sich auf das Soziale bezieht, also zwei ganz verschiedene, von der 
»Ethik« behandelte Gegenstände. Wie wir an früherer Stelle die 
NICHT AUSGESPROCHEN SITTLICHEN GeFÜHLE AnZEICHEN, NÄMLICH VON 
Seelenzuständen dauernder Art, sein liessen, so lassen wir, ausdeu* 
TEND, IN diesem AbSCHNITT AUCH DIE SITTLICHEN GeFÜHLE »AnZEICHEN« 
sein — ABER NICHT UM PERSÖNLICHE, SONDERN UM ÜBERPERSÖNLICHE Zu* 
STÄNDLICHKEIT HANDELT ES SICH JETZT. 
Endlich noch gibt es die eigentliche moralische Vorschriftenlehre, 
welche aber, wie uns klar ward, überhaupt keine »Wissenschaft«, 
sondern nur Bekenntnis ist. Sie ist an das individuelle Vermögen 
sittlicher Schau und an das immer höchst bruchstückhafte individuelle 
Wissen in überpersönlichen Dingen geknüpft. Sie möchte arbeiten 
nach dem Schema: »Was würde ich gut nennen, wenn meine oder 
eine fremde Person es täte?« Aber wo darf sie sich anmaßen zu 
sagen, daß sie Endgültigkeiten habe, vergleichbar etwa denen der 
Geometrie? 
Das Wesentliche von allem diesen ist das Erste, also die Ethik, so** 
weit sie der reinen Ordnungslehre angehört. Da dieses Erste sich ohne 
weiteres, dem eigentlichen Schauen nach, bereits auf Überpersönliches 
bezieht, so gehört also das Wesentlichste an der Ethik an die Stelle der 
Ordnungslehre überhaupt, welche eben vom Überpersönlichen han«» 
28 D r j e s c h , Ordnungslehre 433 
delt; das heißt: die Ethik gehört an eine bestimmte Stelle der Ord^ 
NUNGSLEHRE VOM EMPIRISCHEN. 
Die Ethik ist also der »Logik« Teil, ist in ihr an einer bestimmten 
Stelle sozusagen verankert, ganz ebenso wie Arithmetik oder Mechanik 
in ihr verankert sind: Die übliche Einteilung der Philosophie in die 
nebengeordneten Zweige »Logik«, »Ethik« und, wie wir noch sehen 
werden, »Ästhetik« trifft also nicht den Sachverhalt, und zwar für die 
Ethik noch viel weniger als für die Ästhetik. 
Windelband ^ hat einmal in treffender Weise den Gesamtgegenstand 
der Ethik so geformt, daß er ihr vier verschiedenen Fragen zur Be«» 
antwortung stellt, die Fragen nach Inhalt, Erkenntnisquelle, Sanktion 
und Motiv. Die Antwort auf die erste Frage, nach dem Inhalt, gibt in 
Kürze unsere Formung des kategorischen Imperativs. Erkenntnis:* 
quelle ist nach unserer Lehre die unmittelbare, der geometrischen ge»* 
radezu vergleichbare sittliche Schau. Sanktioniert wird das sittliche 
Schauen und Verhalten vom Überpersönlichen her, in das meine Seele 
eingereiht, durch das also meine »Natur«, im Sinne der Stoa, bestimmt 
ist. Motiv endlich ist der Umstand, daß Sittlichkeit wie ein »Instinkt« 
meiner Seele innewohnt, daß meine Seele, soweit sie gut ist, gar nicht 
anders kann als gut handeln; ist doch der Gedanke an »Glückselig:» 
keit« auch nach unserer Lehre nicht das Motiv einer wahrhaft sitt:« 
liehen Handlung, obschon dieser Gedanke eine solche Handlung un* 
ausweichlich begleiten mag^ 
Das Problem der Freiheit, das man in unseren Darlegungen über*« 
haupt und in unserer Aufzählung der Bestandteile der Ethik insbeson:» 
dere vermißt haben mag, gehört überhaupt nicht in die ordnungs* 
lehre, sondern in die Metaphysik. Denn der Ordnungslehre gilt 
ALLES Gegenständliche ein:« für allemal und ausnahmslos als eindeutig 
bestimmt — auch wenn sie den Bestimmer nicht aufweisen kann. 
b) DER »GOTTESSTAATo: UND SEINE TRÜBUNGEN 
a) DAS BÖSE 
Wir wollen die Gesamtheit der Menschen, insofern sie durch die 
von uns aufgezählten Einheits* und Ganzheitszüge, vornehm* 
lieh aber durch ein reines und vollendetes sittliches Schauen und Han»« 
dein, zur Einheit und Ganzheit zusammengeschlossen sind, mit einem 
augustinischen Wort den Gottesstaat nennen, ein Ausdruck, der uns 
» Einl. i. d. Phil, 1914, S. 261. « S. o. S. 425. 
434 
freilich an dieser Stelle nicht mehr als ein kurzes brauchbares Wort 
sein soll. 
Nun ist aber der Gottesstaat getrübt. »Berufe« werden »verfehlt« 
durch die Macht der Umstände. Die sittliche Schau ist in sehr ver** 
schiedenem Grade bei den einzelnen Menschen ausgebildet, ganz ebenso 
so wie es »gute« und »schlechte« Mathematiker gibt; und das sittliche 
Handeln ist oft, wohl gar trotz besserem Wesen der sittlichen Schau, 
nicht gut, sondern böse, d. h. unganzheitlich, wenn nicht gar gegen:* 
ganzheitlich. Sittliche Schau ist eben nur ein Motiv für den »Willen«, 
Triebe sind andere Motive. 
Es gibt »Konflikte« zwischen Trieben und sittlicher Schau als Mo»* 
tiven. Nicht als ob es Konflikte zwischen Pflichten geben könne. Im 
tiefsten Grunde kann es die nicht geben, denn, wenn anders das Prinzip 
von der Eindeutigkeit gilt, — und die Logik will, daß es gelte — , so 
kann meine Pflicht in dieser Lage nur diese bestimmte sein; wo es 
anders zu sein scheint, da ist entweder ein Trieb, der eine »Pflicht« 
vorgaukelt, mit im Spiel, oder aber die sittliche Schau ist mangelhaft, 
ich »weiß nicht recht«, was meine Pflicht ist. 
Die Menschheit ist also nicht eine »Gemeinschaft von Heiligen«. 
Da will sie sittliches Handeln wenigstens soweit sichern, als sie, negativ, 
das Unsittliche abwehrt und, positiv, ein Minimum des Sittlichen 
erzwingt. 
Beides geschieht im Rahmen besonderer Einrichtungen, der EinzeU 
Staaten, wie wir diese Gebilde ausdrücklich im Unterschiede von dem 
einen »Gottesstaat« benennen wollen. 
Wir behandeln in diesem Werke alle Fragen, welche es mit dem 
Einzelstaat und den ihm zugehörigen Sondergebilden zu tun haben, 
nur der allgemeinen logischen Schematik nach. 
ß) DER EMPIRISCHE EINZELSTÄÄT UND DAS RECHT 
Der Gottesstaat, soweit er besteht, ist die Grundlage für die Mög«^ 
lichkeit von Einzelstaaten und überhaupt von allen menschlichen 
Gemeinsamkeitsbildungen, welche es gibt; denn sie alle gründen sich 
eben auf die Einheits^^ und Ganzheitszüge der Menschen, auf den Men«« 
sehen als C(pov nohxixov, wenn wir diesen Ausdruck des Aristoteles in 
unserem Sinne fassen dürfen, nämlich als: Mensch mit überpersön^« 
liehen Zügen. 
Solcher Gemeinsamkeitsbildungen gibt es zwei Gruppen; die eine 
ist überwiegend auf den Menschen als Träger überpersönlicher allge^« 
; 28* 435 
meiner Lebenszüge gegründet, sie ruht auf dem Menschen als bio»» 
logischen Wesen; die andere ruht vornehmlich auf der psychischen 
Seite des Menschen, und zwar auf deren höchster Ausbildungsstufe, 
der sogenannten »Vernunft«. Familien, Völker usw. gehören der ersten, 
alle Arten der »Vereine«, und als wichtigste eben die Einzelstaaten, 
gehören der zweiten Gruppe an^. 
Der Einzelstaat kann als »Verein mit absoluter Souveränität« defi*« 
niert werden; ein »Territorium« gehört praktisch fast stets zu ihm. Wie 
er zustande kommt, d. h. welches die »staatenbildenden Faktoren« sind, 
kommt für die einzelwissenschaftliche Untersuchung in Frage: Geo»' 
graphie, Rasse, Sprache, am meisten aber das durch das unbestimmte 
Wort »Schicksalsgemeinschaft« bezeichnete Unbestimmte spielen hier 
ihre Rolle. Das ausschlaggebende Erste sind wohl gemeinsame Not, 
oder Macht eines Einzelnen oder einer Gruppe gewesen. 
Ist ein Einzelstaat vorhanden, so ruht sein Bestand auf der Macht 
des Ganzen oder eines Einzelnen oder einer Gruppe den Angehörigen 
des Staates gegenüber, und auf Recht. 
Das Recht ist eine, auf bewußter oder unbewußter Zustimmung der 
Staatsgenossen beruhende, Abmachung^, erwachsen auf dem Boden 
gemeinsamer sittlicher Schau. Hier erst, nicht bei »Gründung« des 
Einzelstaates, spielt also der Begriff des »Vertrages« eine Rolle. Das 
Recht eben ist es, durch welches, wie wir oben sagten, in Ermanglung 
des reinen Gottesstaates die nicht heiligen Menschen das Unsittliche 
abwehren und ein Minimum des Sittlichen erzwingen wollen. Mit 
Recht hat G. Jellinek daher geradezu von dem Recht selbst als dem 
»sittlichen Minimum« gesprochen. 
Alle bisher in diesem Abschnitt erörterten Begriffe sind keine eigenU 
liehen neuen Wesensbegriflfe, d. h. sie bedeuten nichts, das entweder 
unzerlegbar oder doch eine wesentliche Einheit, wie etwa der Begriff 
»Ding«, wäre. Wir mögen von Kumulativbegriffen reden, denn alles, 
^ Man vergleiche die Begriffe »Gemeinschaft« und »Gesellschaft« bei Tönnies. 
Rehmke (Ethik als Wiss., S. 15) nennt »Gesellschaft« eine Willens^Gesamtheit, in 
welcher das gemeinsam Gewollte Mittel ist und jeder seinen eigenen Zweck hat, 
»Gemeinschaft« eine solche mit gemeinsamem Zweck. * Mit Recht sagt A. Baum«» 
GARTEN (Wissenschaft vom Recht, 1920, S. 172): »Das sog. Naturrecht, welches 
mit dem positiven Ausspruch auftritt, außerhalb des positiven Rechtes und über 
demselben zu stehen, ist nicht Recht, sondern Moral.« Ahnlich auch W. Schulze? 
SoELDE (Der Einzelne und sein Staat, 1921). Beiden Denkern gilt Sittlichkeit als 
das Erste, Recht als das Zweite aus dem Ersten fließende, was auch unsere An* 
sieht ist. 
436 
was wir hier meinen, ist, wie sich noch zeigen wird, aus Kumulationen, 
nicht aus Evolutionen, seinen Besonderheiten nach entstanden. 
Also »Recht« ist nicht, wie gut, ein eigentlicher Grundbegriff der 
Ethik im weitesten Sinne. 
Aber wir werden nun doch noch einen zweiten ethischen Grund* 
begriff auf dem Boden der sittlichen Bedeutungsschau begegnen. 
y) DIE STRAFE UND DIE GERECHTIGKEIT 
Das Recht wehrt das Unsittliche ab und erzwingt das Minimum 
des Sittlichen durch Strafe. Obwohl aber auf Grund jeder Art 
von Recht gestraft werden kann, so ist doch die übliche Unterscheidung 
in ein eigentliches Strafrecht und ein »bürgerliches Recht« am Platze. 
Beide Rechtsarten sind nämlich den beiden Absichten des Rechts über«» 
haupt zugeordnet. 
Das Strafrecht geht aus vom Dasein des Bösen, des Unrechts; von 
ihm gilt, was Schopenhauer vom Recht überhaupt sagt, daß das Un«» 
recht früher sei als das Recht. Das bürgerliche Recht geht aus vom 
Dasein des sittlich Gleichgültigen und will, z. B. in sozialer Fürsorge, 
Frauen*, Kinderschutz, Handels*, Besitzschutz und dergleichen, an 
Stelle der Gleichgültigkeit wenigstens ein Weniges von dem, was sein 
sollte, erzwingen. 
Die Strafe selbst nun — was ist sie? Man sagt uns, sie sei geschaffen 
zur Abschreckung, zur Besserung des Bestraften oder auch zur Siche* 
rung. Das alles mag richtig sein. 
Aber die Lehre von der Heterogonie der Zwecke sagt uns ja, daß 
das, »wozu« etwas geschaffen ist, nicht immer sein ganzes Wesen auf* 
hellt. Mögen wir doch vielleicht sogar schon mit Rücksicht auf die 
Entstehung des Einzelstaates sagen, daß Macht irgendeines Menschen 
ihn »gründete«, daß der Gründer aber das Recht sozusagen mit in den 
Kauf nehmen mußte, um ihn zu erhalten. Ich denke nun angesichts 
des Problems der Strafe nicht etwa daran, daß sie, wie Scheler einmal 
ausgeführt hat^, der Entladung der Haßaffekte des durch Unrecht Ge* 
schädigten diene, obschon das auch eine (psychologische) sittliche 
Nebenwirkung der Strafe sein mag. 
Ich denke trotz allen Bedenken an den alten Begriff der Vergeltung, 
der Gerechtigkeit, und dieser Begriff ist es, also nicht der des »Rechts«, 
an den ich dachte, als ich oben von der Möglichkeit eines zweiten ethi* 
sehen Grundbegriffs, neben dem Begriffe gut, redete. 
' Formalismus i. d. Ethik, S. 377 ff. 
437 
Es gibt freilich zwei Bedenken S die sich der Auffassung des Begriffs 
Gerechtigkeit als eines sittlichen Begriffs entgegenstellen: 
Zum ersten: Die Strafe ist ein Übel für den, der sie erleidet. Er er* 
»leidet« sie ja doch. Gewiß sollte sie nicht sein; und dieser Satz besteht 
zu Recht, obschon sein begangenes Unrecht allerdings auch nicht hätte 
sein sollen. Die Gesamtheit dessen, was nicht sein solltet wird also auf 
alle Fälle durch die Strafe vermehrt. 
Zum anderen steht das Wort da : »Die Rache ist mein. Ich will ver«» 
gelten, spricht der Herr.« Welcher Mensch denn könnte sich vermessen 
zu sagen, daß er Gerechtigkeit endgültig schaue? 
Und doch bleibt die Schau, daß Strafe gerecht sei; doch bleibt es 
bei der lustitia mit ihrer Wage. 
Man sieht es, der Begriff der Gerechtigkeit leitet über ins Meta* 
physische ^ und die Ordnungslehre kann wohl nur sagen: Gerecht ist 
Strafe, wenn der Strafende, als Vertreter des Ganzen, von jedem Haß»» 
oder Rachegedanken, der geschädigt Gewesene von jedem Gedanken 
einer »Schadenfreude« frei ist, und wenn der Gestrafte die Strafe als 
VERDIENT weiß Und sich ihrer freut! 
3. DAS ENTWICKLUNGSPROBLEM (»GESCHICHTSPHILO. 
SOPHIE«) 
a) HÄ UFUNG UND ENTWICKL UNG 
Wir geben jetzt die grundsätzlichen Richtlinien zu einer »Ge^« 
SCHICHTSPHILOSOPHIE«^. 
An früherer Stelle allgemein umgrenzt sind die Begriffe Häufung 
(Kumulation) und £nfwicfcZung(Evolution)^ Aufgabe der sogenann* 
ten Geschichtsphilosophie ist die Zuordnung des in erster Stufe von 
den Geschichtsschreibern geordneten Materiales zu diesen Begriffen. 
Meist pflegt »geschichtsphilosophisch« nicht gerade vorsichtig mit 
dem Entwicklungsbegriff umgegangen zu werden: von allem, was sich 
an kulturellen Einrichtungen mit der Zeit ändert, sagt man kurzweg, 
daß es sich »entwickele«. So »entwickelt« sich z. B. eine Universität. 
Das ist meist rein deskriptiv gemeint. Auch wird meist nicht weiter ge* 
fragt, was denn das eigentliche »Entwicklungs»sSuBSTRAT sei, d. h. das, 
WAS sich »entwickelt«. Oder, um diesen voreiligen »Entwicklungs«* 
begriff nun bis auf weiteres beiseite zu lassen, es wird nicht gefragt, 
* Vgl. z. B. Schopenhauer, Welt als W. u.V. I § 62; ähnlich Guyau und Hartmann. 
* Hierzu den § 63 des in vor. Anm. genannten Werkes. * Ausführliches in meiner 
Wirklichkeitslehre, 2. Aufl., S. 198 ff. * S. o. S. 289 ff. 
438 
was eigentlich das Dasselbe sei, von dessen Veränderung im Laufe der 
Zeit man redet. 
Nun wird zwar keiner hinter einer sich »entwickelnden« mensch»» 
liehen Einrichtung ein besonderes geheimnisvolles dasselbe bleibende 
Es unzerlegbarer Art vermuten. Wir bewegen uns hier ja ganz offens* 
sichtlich auf kumulativem Boden, und die Festlegung, was eigentlich 
dasselbe bei einer sich verändernden (vulgo : »entwickelnden«) Ver# 
einigung oder Institution sei, ist deshalb, obschon durchaus nicht etwa 
sehr einfach, doch für unsere Absichten so nebensächlich — nämlich 
rein »formal« —, daß wir sie ruhig kulturwissenschaftlicher Sonder*» 
arbeit überlassen können^. — 
Daß es im geschichtlichen Werden Kumulationen gibt, ist außer 
Zweifel. Sie liegen überall da vor, wo im geschichtlichen Werden 
Dinge geschehen, welche ohne Zwang zurückgeführt werden können, 
erstens auf die im engeren Sinne psychische Natur der einzelnen Men* 
sehen, zweitens auf die überpersönlichen Züge dieser Natur, drittens 
auf die allgemeine Konstellation der Ereignisse, welche auf die Men»» 
sehen als »Reiz« wirkt, wozu für jeden einzelnen Menschen auch die 
»anderen« Menschen gehören. Grundwissenschaft ist hier natürlich 
nicht, wie z. B. in der Geologie, die Mechanik, sondern die Psycho»» 
logie (einschließlich der Lehre von den Überpersönlichkeitszügen im 
einzelnen Menschen). Die »Geschichte«, soweit sie Kumulation ist, 
ist als Wissenschaft angewandte Psychologie, als Gegenstand die Re^ 
sultante des einzelnen psychischen Geschehens in den Einzelnen, wobei 
der Begriff »das andere psychophysische Wesen« als geklärt angesehen 
wird. 
Eine Wirkung setzt sich in den einzelnen Seelen, welche beteiligt 
sind, auf die andere: eben deshalb reden wir von »Häufung«. 
Man wird vielleicht sagen, daß insofern unsere bis hierher geführte 
Darlegung unserer allgemeinen Definition des Kumulationsbegriffs 
widersprochen habe, als die meisten der Wirkungen im Rahmen der 
menschlichen Gesamtheit, welche wir »Kumulationen« nennen, doch 
eben nicht von »außen« kommen, sondern Wirkungen von Einzel* 
mensch zu Einzelmensch sind. Also, so wird man sagen, gestaltete das 
»System«, das heißt die Gesamtheit der Einzelmenschen, aus sich 
seine Mannigfaltigkeit um; denn »alle« Einzelmenschen sind das 
»System«. 
' Die von Litt (Gesch. u. Leben 1918) geprägten Begriffe »Ursprungseinheit« und 
»Zweckeinheit« können hier gute Dienste tun. 
439 
Man vergesse aber nicht, wie wir auf Seite 289 Kumulation oder 
Häufung definiert haben: Entweder von außen her, so hieß es, erfolge 
bei Häufung die Umgestaltung einer »Gesamtheit«, oder »einzelne in 
sich zusammengesetzte Abteile der Gesamtheit wirken einzeln auf 
andere solche Abteile, ohne daß irgendwie Ganzheit in bezug auf 
dieses Wirken in Frage käme«. Bei historischer Kumulation nun liegt 
aufs klarste das Zweite vor: Einzelperson wirkt auf Einzelperson, »ohne 
daß Ganzheit in bezug auf dieses Wirken in Frage käme«. 
Im Anschluß an Früheres können wir die Frage der historischen 
Kumulation auch so wenden: Die Personalbiologie braucht Neues, 
Ganzheitliches gegenüber dem Mechanischen, da das individuelle 
Leben nicht als mechanische Summe oder Resultante verständlich ist; 
die Phylogenie brauchte Neues gegenüber der Personalbiologie, da ihr 
Gegenstand sich nicht restlos — (sondern höchstens, soweit vererbte 
Anpassung in Frage kommt) — summen** oder resultantenhaft auflöst 
in das aus der Personalbiologie Gekannte. Die Frage ist nun : Braucht 
die Historie, als Seelen Wissenschaft, Neues gegenüber der Personal* 
Psychologie, einschließlich der Lehre von den Überpersönlichkeits* 
»zügen«, oder löst sich ihr Gegenstand restlos summen** oder resub 
tantenhaft in das aus der Personalpsychologie Gekannte auf? Kumu* 
lation liegt vor, soweit das der Fall ist, soweit also Historie auf Grund 
der Personalpsychologie »verstanden« wird. 
Etwas neues Grundwissenschaftliches lehrt uns die Geschichte, 
soweit sie von Kumulationen handelt, nicht; sie bietet neue Fälle für 
grundwissenschaftlich schon Bekanntes. Und auch alles geschichtliche 
»Verstehen«, das ja stets psychologischer Art ist, sagt uns immer nur: 
Das kenne ich ja grundsätzlich, das ist ein neuer Fall einer bekannten 
Klasse^. Das meiste an aller Geschichtsschreibung ist in diesem Sinne 
PSYCHOLOGISCHE Chronistik. Wissenschaftlich genommen sagt sie eigent^ 
lieh nur : »das ist erledigt«, ein Umstand, der natürlich ihren ästhetischen, 
emotionalen und praktischen Wert nicht schmälert. 
Es gibt nun freilich in den verschiedenen Gemeinschaften, also 
Staaten, Völkern usw., immer wiederkehrende Regeln der Häufung, 
die es sich lohnt besonders aufzuzeichnen, ganz wie in der Geologie. 
Das eben sind die vielberufenen Gesetze der Geschichte, wie Vico, 
Taine, Buckle, Lamprecht, Breysig, Spengler sie studiert haben, z. B. 
daß dem Nomadentum die Seßhaftigkeit, der Naturalwirtschaft die 
Geldwirtschaft folgt. Auch besondere Erscheinungskreise, z. B. Revo*« 
^ Vgl. das oben S. 373 über die »verstehende« Psychologie Gesagte. 
440 
lutionen, haben solche Gesetze^; alle Gesetze der Sprachwissenschaft 
gehören ebenfalls hierher. 
Natürlich betreffen diese Kumulativgesetze, ganz wie diejenigen der 
Geologie, nicht das letzte Einzelne, sondern Allgemeines meist ziem*« 
lieh hoher Stufe. — 
Die weitere Frage ist nun also diese: Ist alles an der Geschichte 
kumulativ, oder gibt es auch Evolution an ihr. 
Gäbe es sie, so stünde neben den »Gesetzen der Geschichte« als 
Wesentlicheres die Geschichte als Gesetz — freilich mit nur einem 
»Fall«, nämlich eben »der Geschichte«. Es würde als geschichtlicher 
Werdebestimmer neben dem Individuahpsychischen, ja, sogar neben 
DEN EiNHEiTS!« UND SELBST Ganzheitszügen psychischer Art, deren 
Träger das Individuum ist, etwas durchaus Neues, in vollster Strenge 
Überpersönliches hinzukommen, das kaum mehr den Namen eines 
»psychologischen« Faktors verdienen würde, so daß sich also erst 
jetzt Geschichte über »angewandte Psychologie«, im schon sehr weit 
gefaßten Sinne, erheben würde, während bloß kumulativ gefaßte Ge^ 
schichte angewandte Psychologie ist und bleibt trotz überindividu^ 
eller seelischer Züge, die sie etwa dann verwendet, wenn sie von seeli# 
sehen »Massen«wirkungen redet und sagt, eine »Menge« von Men=* 
sehen sei »mehr« als die Summe aller Einzelnen und zeitige ihr gegen* 
über »Neues«. 
Dieses »Neue« ist ja doch, wenigstens grundsätzlich, obschon nie 
praktisch, aus Kenntnis der Individuen ihrer personals=psychischen 
Seite nach vorauszusagen, ganz ebenso wie das »Neue« an einem 
mechanischen System aus der Kenntnis aller seiner Bestandteile und 
ihrer affinitiven Vermögen vorauszusagen ist. Aber jetzt tritt grund* 
SÄTZLICH Unvoraussagbarkeit, ja »Unverständlichkeit«, auf den Plan, 
denn nur Kumulatives wird, wie wir schon sagten, im eigentlichen 
Sinne »verstanden«. 
Der Erledigung der geschichtlichen Entwicklungsfrage muß nun 
die Erledigung einer wichtigen Vorfrage vorausgehen; sie wird uns 
zugleich Gelegenheit geben, ein Wort zu benutzen, welches in der 
zeitgenössischen Philosophie eine große Rolle spielt, nach dem aber 
ein Bedürfnis von unserer Ordnungslehre bisher noch nicht emp* 
funden wurde. 
^ Zusammenfassendes über »historische Gesetze« bei E. Becher, Geisteswiss. u. Na« 
turwiss., 1921,S.167ff. 
441 
b) DER MÄSSSTAB FÜR GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG 
(DER y>WERT<0 
Das Wort Wert pflegt — leider — in vier ganz verschiedenen Be* 
deutungen angewendet zu werden. Es bezeichnet erstens ein vor^ 
läufig oder abschließend endgültiges Ziel des Wünschens oder Wol«* 
lens, zweitens das Ziel eines rein gegenständlichen Geschehens von 
der Form der Entwicklung, drittens, im Sinne von »wertvoll« oder 
»Wert habend«, die Beschaffenheit eines »Mittels« des Wünschens 
oder Wollens in Hinblick auf ein zu erreichendes Ziel, viertens, in 
unserer Sprache^, das Wesen ganzheitsbezogener Vorgänge. Die erste 
und dritte dieser Bedeutungen gehen auf das Erleben, sind »subjek* 
tiv«, die zweite und vierte sind »objektiv«. Die erste und zweite 
nennen Wert gewisse künftige Zuständlichkeiten, die dritte und 
vierte nennen so gewisse beziehliche Eigentümlichkeiten, die an einem 
»Endgültigkeitsrelate« (Gerda Harms) oder »Maßstab« (Wiederhold) 
gemessen werden^. Es käme als fünftes hinzu die Lehre, daß es »Werte« 
im Sinne platonischer Existenz »gäbe«, eine Lehre, die wir früher^ ein 
für allemal abgewiesen haben. 
Wir KÖNNTEN ja nun auch unsererseits alle möglichen Dinge, die 
wir in diesem Werke behandelt haben, mit dem Worte »Wert« aus*s 
zeichnen und haben gelegentlich ja auch einmal dieses Wort an«» 
gewandt: Ordnungsbesitz z. B. ist mein »Ur«?werf im ersten Sinne, 
endgültige oder richtige Setzungen haben Wert im dritten Sinne, denn 
sie dienen der Erwerbung von Ordnungsbesitz, und daß einer »die 
Wahrheit sagt«, wäre wiederum ein Unterwert im vierten Sinne, wäh«* 
rend »das Gute« überhaupt je nach Belieben und Betrachtungsweise 
sich bei jeder der vier »Wertbegriffe« möchte als Unterwert unter* 
bringen lassen. 
Verwenden wir also lieber das Wort »Wert« überhaupt nicht. Aber 
ein Gewisses, das jedenfalls auch gelegentlich durch dieses Wort be^ 
zeichnet worden ist, müssen wir nun allerdings verwenden. 
Wie sollen wir von einer Entwicklung in der Geschichte, die sich 
' S. o. S. 292 f. ^ Heyde (Grundlegung der Wertlehre, 1916) und Wiederhold (Kant;: 
stud. Erg.sHeft 52, 1920) lassen nur die beziehliche Bedeutung des Wortes »Wert« 
zu; Wiederhold will, mit Recht, die Anwendung des Wortes auf seine Ursprung* 
liehe Sphäre, die Nationalökonomie, eingeschränkt wissen. Vgl. zu allem Gerda 
Harms, Der Begriff des Materialen in Schelers Ethik, eine sehr klare Schrift, Leip* 
ziger Dissertation 1922. ' S. o. S. 141 ff. Näheres zu der ganzen Frage in Wissen und 
Denken, S. 116. Hier ist auch jede Art von (platonischer) »Existenz« von Werten 
aufs schärfste abgewiesen. 
442 
ja doch durch Vermittlung menschlicher Handlungen gestaltet, reden, 
ohne auch nur irgendeine Vorstellung von ihrem Ziele zu haben, d.h. 
von dem, mit Rücksicht auf was entwicklungshafte Geschichts»* 
Vorgänge eben ganzheitsbezogen wären? 
Offenbar doch kann ich eine Vermutung über das Geschichts*» 
endganze nur nach Maßgabe der Art und Weise aufstellen, aufweiche 
meine psychologische Person selbst in den Geschichtsverlauf gestellt 
ist. Davon aber gibt mir, nach unserer Lehre, mein sittliches Bewusst* 
SEIN Kunde. Mein höchstes sittliches Willensziel also ist der »Maß»* 
Stab«, das »Endgültigkeitsrelat« für meine Stellung zum Geschichts* 
ziel. Freilich werde ich mir auch betrachten, was empirisch den eigents» 
liehen Geschichtsförderern aller Zeiten als ihr höchstes Willensziel, 
nach Maßgabe dessen sie eben »Geschichte machten«, gegolten hat. 
Aber messen muß ich die Endgültigkeit ihrer Ziele an meinem ends» 
gültigen Ziel. 
Mein höchstes Willensziel nun ist Ordnungsschau oder Wissens:: 
schau oder kurz: Wissen. Und dieses Ziel kann auch weitergegeben 
werden, durch Sprache und Schrift, ist also in gewissem Sinne un^ 
verlierbar. Alle Zuständlichkeiten der Menschheitsgemeinschaft, alles 
»Soziale«, sei es von noch so vollendeter, jeden Einzelnen zu voller 
Entfaltung bringender Form, ist doch nur Mittel für das Wissensziel. 
Hieraus nun ergibt sich unsere hypothetische Lehre von der Ge* 
Schichtsentwicklung: 
c) DIE ENTSCHEIDUNG 
Es liegt kein Grund vor, in der Abfolge der Völker, Einzelstaaten 
und politischen Geschehnisse überhaupt anderes als Vorgänge 
KUMULATIVER Art ZU erblicken, wobei wir das im letzten Grunde phy*» 
logenetische »Rasse«!»problem als gänzlich unbehandelbar bei Seite 
stellen. 
Aber wie ein roter Faden scheint^ die Geschichte eine evolutive 
Wissenslinie zu durchziehen. Mit dem entwicklungshaften Fortgange 
der Wissenslinie ist nicht die inhaltliche Anreicherung mit Wissen 
gemeint; die ist auch kumulativ bedingt. Gemeint ist die Abfolge der 
Schau neuer Fragen in Sachen des Wissens, und der Begriff »Wissen« 
ist als Ordnungsschau überhaupt verstanden, so daß »Wissenschaft;« 
^ Man beachte das »scheint«. Selbst hier noch, angesichts dieses wenigen vielleicht 
Evolutiven in der Geschichte, reden wir hypothetisch! Näheres »Wirklichkeits* 
lehre«, 2. Aufl., S. 2I5fF. und 339 ff.; wir sind hier absichtlich ganz kurz. 
443 
liches«, »Ethisches«, »Ästhetisches«, »Religiöses« gleichermaßen unter 
ihn fällt, also Buddha, Newton, Kant, Beethoven, Michelangelo, 
Goethe gleichermaßen Träger der Wissenslinie sind. 
Wahrscheinlich sind nur ganz wenige Menschen und sie nur in 
seltenen Augenblicken ihres Daseins Förderer der Wissenslinie und 
vom Überpersönlichen her gleichsam »begnadet«. Meist sind wohl 
auch sie der Kumulation unterstehende psychophysische Wesen, wie 
die Mehrzahl der Menschen für immer. Und alle Wissensausbreitung 
ist rein kumulativer Abfall des einzigartigen Schrittes der Wissens»» 
linie; alles Politische aber ist wieder Abfall dieses Abfalls. 
i 
444 
F. ABSCHLUSS DER ORDNUNGS. 
LEHRE 
1. DER DUALISMUS 
Das letzte Wort der Lehre von der Ganzheit ist das Wort vom 
Dualismus, das einen Sachverhalt ausdrückt, welcher in seinen 
allgemeinsten Zügen schon durch die Einsicht in die UnerfüUbarkeit 
des ordnungsmonistischen Ideals zum Ausdruck gekommen ist. 
Aber jetzt wird doch noch mehr gesagt: nicht nur stellt das empi^ 
rische Universum als Gesamtheit nicht Ganzheit in Reinheit dar, sont* 
dern auch diejenigen Ausschnitte aus dem Empirischen, welche dem 
Ganzheitsbegriff, ihn erfüllend, unterstehen, sind nicht rein ganz. 
Ich verstehe unter dem Dualismus des Wirklichen den Zwiespalt 
zwischen Ganzheit und Zufall, wobei ich den Begriff »Zufall« aus»« 
drücklich als Nichtganzheitsbezogenheit — (also nicht etwa als »Ur* 
sachlosigkeit«) -— definiere. Dieser Gegensatz zwischen Ganzheit und 
Zufall ist das Grundlegende, auf das alle Gegensätze, die man ge^ 
legentlich »dualistisch« zu nennen pflegt, zurückgehen, also der Gegen«* 
satz von Belebtem und Unbelebtem, Form und Materie, Geist und 
Körper, Seele und Leib und andere. Auch wer, wie z. B. der große 
Embryologe C. E. v. Baer, den Zufall als das Zusammentreffen von* 
einander unabhängiger Kausalreihen definiert, fixiert damit etwas Be* 
stimmtes, das sich unserer ganz allgemeinen Umgrenzung des Zufalls 
einfügt^. 
Der dualistische Urgegensatz ist also rein ordnungshafter, »formal 
logischer« Art. 
In dieses Werk gehört nur eine Aufzählung der Sachverhalte, in 
denen der empirische Dualismus sich ausdrückt: 
In der unbelebten Natur tritt der Dualismus unter ungeheurem 
Überwiegen der Zufallsseite auf: hier herrscht im hie et nunc der 
Materie der Zufall schlechthin ; wenige Einheitss» und Ganzheitszüge 
sind in ihn eingebaut. 
In der personalen belebten Natur überwiegt Ganzheit; der »\^tass 
lismus« redet von ihr. Aber doch nur der allgemeine Bauplan ist ganz; 
zufällig ist, ganz abgesehen von der Krankheit, Form und Lage der 
einzelnen Zellen in den einzelnen Organen und damit die individuelle 
haecce'itas. Also viel an Ganzheit, aber doch auch Nichtganzheit. 
^ Ein Gegenstück zu dieser bestimmten Zufallsart sind die embryologischen Hars 
MONiEN (S. 300); Phil d. Org., 2. Aufl., S. 99): Hier spielt auch das Zusammentreffen 
zweier Kausalreihen eine Rolle ; diese sind aber, obschon in sich voneinander uns 
abhängig, doch auf einen gemeinsamen ganzheitlichen Ursprung bezogen. Hier ist 
das Zusammentreffen »vorgesehen«, ebenso wie für den Ordnungsmonisten jeg« 
LiCHES Zusammentreffen »Vorsehung« werden würde. 
446 
Im Rahmen der überpersonalen belebten Natur ist das hie et nunc 
aller Personen zufällig; ebenso sind das alle Adaptationen und viel^ 
leicht sogar gewisse Kategorien des Systems. Ganzheit und Entwick= 
lung werden immerhin auf Grund gewisser Züge mit Recht vermutet. 
Das Seelische ist seinem Urwesen nach ganzseiend und ganzmachend. 
Aber es gibt das »Vergessen« und den »Irrtum«; ein »miroir de Tunis» 
vers« ist die Seele jedenfalls ihrer bewussten Seite nach nicht. 
Geschichtlich, im weitesten Sinne, überwiegen die Kumulationen 
über die Evolution; und es gibt das sittlich Gleichgültige und das — 
Böse. 
Auf den wichtigen Sachverhalt, daß Krankheit, Irrtum und Böses 
nicht nur »un«*, sondern geradezu GEGEN*ganzheitlich zu sein scheinen, 
sei in diesem Werke nur kurz hingewiesen ; ebenso darauf, daß wohl in 
jedem der Reiche des Empirischen die Materie der die Ganzheit 
störende Faktor ist. 
Mehr als irgendein anderer Zweig der Ganzheitslehre kann das 
Problem des Dualismus erst im Rahmen einer Wirklichkeitslehre, oder 
doch als Vorbereitung zu ihr, erfolgreich erörtert werden. 
2. VOM SCHICHTENBAU DER ORDNUNGSZEICHEN 
Dem Abschlüsse unserer Ordnungslehre nahe, wollen wir noch 
einmal in allgemeiner Form eine Frage aufwerfen, welche wir in 
ihren Sonderausprägungen bei verschiedenen Einzelgelegenheiten 
schon behandelt haben, nämlich die Frage, welche Ordnungsbedeu^ 
tungen Ich in unmittelbarer Weise als ein Unzerlegbares, ein Ein* 
FACHES und dazu als ein primär Endgültiges, ein durchaus Unverbesser»* 
bares schaue, welche also gewissermaßen zum Wesen des sich selbst 
schauenden »Ich habe bewußt geordnetes Etwas« gehören. Wenn wir 
uns gleichzeitig an unsere psychologischen Untersuchungen über die 
Organisation der Seele erinnern \ so dürfen wir auch sagen, daß wir 
das eigentlich Letzte an ursprünglichem Ordnungsbesitz der Seele 
noch einmal zusammenstellen wollen. 
Freilich bleiben das immerhin zwei verschiedene Fragen, und die 
erste ist die eigentliche Ausgangsfrage. Denn das Ich habe ist ja der 
Ausgang von allem. Das Ich hat keine »Vermögen«, kein »Angeborenes« 
oder dergleichen ; kannten wir doch sogar nur eine »Akt«*art, nämlich 
Haben ; und bin Ich es doch, der die Setzung Seele als OrdnungsbegrifF 
schaut. 
»S.o. S. 347 fr., 364ff.,374ff. 
447 
Die Beantwortung unserer Fragen ist für die allgemeine Ordnungs? 
lehre nicht schwer: das Urordnungshafte ist insgesamt ursprünglich 
als Unzerlegbares und vollendet Endgültiges geschaut; es haben heißt 
Ordnung schauen. Hierher gehören also, abgesehen von allen reinen 
Solchheiten, die Ordnungstönungen Dieses, Nicht, Solches^ Bezogen, 
Verschieden, Soviel, um Eins mehr. Neben, Damals, Ganzheit. Aber 
auch die Setzung »der euklidische Raum« als Angelegenheit der eigent»* 
liehen Geometrie (nicht einer allgemeinen Beziehlichkeitslehre) gehört 
hierher, und wir sagten ja früher S daß ich dem »sinnlichen« Anschein 
entgegen das Wesen der »einen« Parallele ursprünglich schaue und 
gerade die »sinnliche« Abweichung davon für »erklärungsbedürftig« 
halte. 
Lust und Unlust schaue ich auch ursprünglich und als Unzerleg^ 
bares, aber nicht etwa die einzelnen Gefühlsarten, zu denen ich mich, 
was das Sosein angeht, vielmehr verhalte wie zu dem Wesen, d.h. Sosein, 
der verschiedenen Dinge der Natur. 
Endlich schaue ich Wissen dem Wesen nach in Ursprünglichkeit; 
hier hat der Ursachverhalt sich selbst. 
Die Begriffe Natur, Zeit, Seele, Ding, Kausalität mit ihren vier mög:* 
liehen Formen, das andere psycho^physischeWesen, das Du und anderes 
mehr werden aber nicht in Ursprünglichkeit und Einfachheit geschaut, 
das heißt, sie sind nicht etwas, was zum Wesen des Ich habe Etwas ge^ 
hört, was gar nicht anders »gedacht« werden kann, als es ist. Sagten wir 
doch, daß erst im »Empirischen« der Begriff der Erfüllung seinen eigen t^* 
liehen Sinn bekomme. 
Gewiß sind auch die soeben genannten Setzungen Ordnungs*» 
schauungen, aber sozusagen abgeleitete. Der Begriff des antezipierten 
Schemas ist es, der hier auf den Plan tritt. Es handelt sich um allgemeine 
Beziehlichkeiten, d. h. um im Laufe des Erlebens unmittelbar vor mich 
tretende, im logischen Sinne »mögliche« Beziehungsformen, welche 
natürlich »Gegenstände« sind, aber um deren Erfüllbarkeit durch 
Glieder von der Form jetzt=hier=so oder Jet zt= So ich von vornherein 
nichts wissen kann. Ich könnte andere solche Beziehungsgesamtheiten 
»ersinnen«; sie würden reines Spiel bleiben. 
Freilich kommt es tatsächlich nicht zur Ersinnung dieser anderen 
spielerischen Schemata; freilich erstehen mir tatsächlich nur die erfüll* 
baren Schemata, und zwar mit dem Haben des erfüllenden Materials 
zusammen. Aber begrifflich muß hier doch getrennt werden. 
^S.o. S. 127f., 239. 
448 
i 
Das Wort »apriori« bietet sich hier zur Verwendung dar; allzuviel 
können wir nicht damit anfangen, wie wir wissen. Was z. B. Natur und 
Kausalität angeht, so ist die Erfüllbarkeit dieser Beziehlichkeits* 
Begriffe durch Materialien ganz und gar nicht »apriori« gewiß; die 
Schemata als solche freilich sind es, im Sinne von logisch Möglichem, 
aber nicht anders als jedes beliebige »spielerische« antezipierte Schema 
auch. Ist doch das ordnungsmonistische Beziehlichkeitsschema, das 
nun freilich nicht »spielerisch« ist, unerfüllbar. 
Man wird hier erwidern, daß Ich doch schon, ehe ich »Philosoph« 
bin, das Wesen von Natur, Kausalität, dem Guten, Zeit und anderem, 
was wir für zusammengesetzt erklärt und ausführlich seinem Bedeu*» 
tungsgehalte nach zerlegt haben, schaue, daß also doch auch hier ein 
ursprüngliches Verhältnis zwischen Ich und Wesen vorliegen müsse, 
um von den Gefühlen an dieser Stelle abzusehen. 
Ich leugne nun keineswegs, daß EiNHEiTs^^schau hier ursprünglich 
besteht und zwar sogar ohne das Bewußtsein von der Zusammengesetzt«» 
heit dessen, was seinem Wesen nach geschaut wird. Aber in einem (oh 
genden Haben kann dann doch eben die Zusammengesetztheit ge^ 
schaut werden und damit die Überzeugung erstehen, daß eben nur 
Einheit, aber nicht auch Einfachheit war, was da ursprünglich geschaut 
ward. Echte, ganz ursprüngliche Wesen können nicht »hinterher« so 
zerlegt werden. Die zerlegbaren bedeutungshaften Wesenheiten wie 
Lehen, Ding, Gut, Ursache, Du gehören aber eben wegen ihrer Zer* 
legbarkeit und deshalb, weil auch andere zerlegbare Wesenheiten lo^ 
gisch möglich wären, nicht zum Wesen des Ich^habe selbst. Die zer** 
legbaren Wesen sind, wie schon früher gesagt wurde, ich^sfremd; es sind 
ja auch Wesenheiten, die »gemeint« sind oder wenigstens mit Gemein* 
tem zusammenhängen, wie das Gute, das sich immer auf empirisch 
Wirkliches bezieht. 
Die Schau gut (»es sollte sein«) könnte noch am ehesten als echtes 
ich *» unmittelbares Wesen gelten, zumal da sie in so starkem Maße 
affektbetont ist. Aber auch das ist doch wohl nur empirisch als tat«* 
sächliches Bei ««einander hinzunehmen, ebenso wie etwa das unaus* 
bleibliche Beis^einander von Farbe und Ausdehnung. — 
Führen wir den, freilich ichjsgesetzten, Ordnungsbegriff meine Seele 
ein, so wird alles verständlicher — (deshalb wird ja Seele gesetzt) — 
und zugleich wird ganz klar verständlich der Begriff einer Organisation 
der Seele ^. 
*S. o. S.347ff., 364ff., 374ff. 
29 Drie seh, Ordnungslehre 449 
Wir haben die Seele, unter gewisser Einschränkung freilich, mit dem 
LsiBNizschen Worte eines »miroir de l'univers« belegen können. Sie 
hat eben die ursprüngliche Schauenspotenz für alle ursprünglichen 
Wesen des Gegenständlichen unmittelbar: was Urwesen des Gegen*» 
ständlichen ist, ist auch dynamisches Urwesen ihrer. Und dazu hat sie 
eine unbegrenzte Fähigkeit der Schau von möglichen Kombinationen 
des Urwesenhaften, zumal im Rahmen der Beziehlichkeiten, von wel# 
chen Kombinationen freilich nur gewisse »erfüllt« werden. — 
Eine seltsame Rolle spielt unser »Meinen« in diesem ganzen Zu*« 
sammenhange. 
Wir haben an früherer Stelle^ gesagt, ein gemeinter Gegenstand (der 
Natur oder der Seele) sei zwar ein mittelbarer, der ihn meinende 
Gegenstand mit seinem Tone des Meinens sei aber ein unmittelbarer 
Gegenstand. Also ist das Haben des Meinen =Tones selbst etwas Un^» 
mittelbares. Hier treffen wir denn allerdings noch auf ein neues un* 
mittelbar und ursprünglich erschautes Wesen, das zu den in der all:« 
gemeinen Ordnungslehre erörterten hinzukommt. Wir können es wohl, 
da alles Meinen ja auf Selbständigkeit des Gemeinten geht, mag sie 
auch nur als »gleichsam« bestehend angesehen sein, als Wesen der 
Ichs Fremdheit überhaupt bezeichnen. Sie tritt nun freilich in alles 
Gemeinte ein, und dadurch ist wohl bei vielen der Anschein erweckt 
worden, als seien »Ding«, »Ursache«, »Zeit«, »Seele«, »Du« selbst 
unmittelbar geschaute Wesen. — 
Was wir hier noch einmal zusammengefaßt haben, gilt, wie schon 
gesagt ward, vielen als sogenannte »Erkenntnistheorie« ; darf aber na«» 
türlich nicht so heißen, wenn man, wie wir, das Wort »Erkenntnis« 
nur für die Erfassung eines Wirklichen verwenden, es also für eine 
Metaphysik, oder vielmehr für die Einleitung in sie, aufsparen will. 
Freilich wird auch eine zur Metaphysik überleitende Erkenntnis«» 
theorie echter Art ihren Sachverhalt nicht so roh fassen dürfen, daß 
sie sagt: hier bin Ich, dort ist das auf Ich wirkende "Wirkliche, daraus 
ergibt sich die Erscheinung. Das hieße, das Ich dem Wirklichen 
GEGENÜBER, es AUSSERHALB Seiner stellen; und das ist eine Unsinnig* 
keit; da gäbe es ja das Wirkliche und — noch etwas. Aber die Frage, 
wie Ich an Ich^Anderes herankann, hat metaphysisch immerhin einen 
Sinn. 
Gerade diese Frage tritt nun aber in der Ordnungslehre, welche 
ja NUR das ichj^gehabte Etwas mit Rücksicht auf seine Ordnungs* 
» S. o. S. 163. 
450 
tönungen prüft, gar nicht auf. Ich = Fremdheit im Sinne der Ords« 
nungslehre ist etwas ganz anderes als Ich:» Anderes, ist eine gehabte 
Bedeutung. 
Nur im Rahmen des Psychologischen mag so etwas erstehen, was 
gleichsam eine »Erkenntnistheorie« ist — aber, das ganze Reich des 
Psychologischen und Psychophysischen mitsamt seiner quasi*»Erkennt* 
nistheorie ist meine Ordnungsbedeutung. 
In der Tat haben wir ja auf psycho :« physischem Boden etwas ent* 
wickeln können, das wie eine Erkenntnistheorie aussaht — 
Wir kennen im Rahmen der Ordnungslehre nur eine »Akt«s«art: 
hewußuhaben, und zwar Geordnetes bewußt haben. Ich »verstehe« 
alles das, was ich in Endgültigkeit als Geordnetes habe. Auf das Ichs« 
haben geht das alles. »Verstanden« wird im Rahmen des Habens und 
des Gehabten und nur des Habens und des Gehabten. »Warum« das 
Haben und diese besonderen Formen des Gehabten seien, das wird 
nie »verstanden«, das ist »gegeben« ^ 
In diesem Sinne »verstehe« ich nun die grundlegenden Sätze der 
musikalischen Harmonielehre, etwa in bezug auf Dissonanz und ihre 
Auflösung, ganz ebenso wie die grundlegenden Sätze der Geometrie; 
d. h. ich verstehe, daß es mit ihnen »in Ordnung« ist, ohne zu ver* 
stehen, »warum« nun gerade sie mit endgültiger Ordnung behaftet 
sind. In dieser Hinsicht »verstehe« ich beide Gruppen von Sätzen 
NICHT. Und das Gleiche gilt von der endgültigen Schau des Guten^ 
mag man sie nun für restlos zerlegbar oder trotz allem für in gewissem 
Sinne unmittelbar und einfach halten. 
Nicht etwa erfaßt das eine Ordnungshafte, etwa das Syllogistische 
und Mathematische, der »Verstand« und das andere Ordnungshafte^ 
etwa das Musikalische und das Sittliche, das »Gefühl«. Im Rahmen 
der reinen Ordnungslehre, so lange sie vom Ich* haben redet, ist es 
vollkommen ohne Sinn und klare Bedeutung, so etwas zu sagen. In 
ihrem Rahmen wird eben nur gehabt in ordnungshafter Endgültigkeit, 
und zwar in »verständlicher« Form, wo es sich um Abgeleitetes, in 
»unverständlicher«, wo es sich um das Grundlegende handelt, wobei 
aber die Bedeutung ableiten (= mitsetzen) selbst zu den »Unver* 
ständlichkeiten« gehört. 
Setze Ich die habende Seele, so wird das natürlich anders -- aber 
Ich habe die »habende Seele«. 
Die Psychologie mag, wenn sie glaubt, daß es ihr nützt, von Akt^ 
' S. o. S. 374ff. ' S. o. S. 54ff. 
29* 
451 
arten reden, rein Logisches und Mathematisches mit dem »Verstände«, 
Musikalisches mit dem »Gefühl« erfaßt werden lassen und Gutes viel*« 
leicht mit noch einem anderen Vermögen (der Seele). 
Das alles ist nicht Ordnungsursprung, sondern Ordnungs** 
ERGEBNIS, 
452 
G. DAS SCHÖNE 
1. DIE SETZUNG SCHÖN 
Gewisse Gegenstände der empirischen Wirklichkeit sind schön. Sie 
sind es durchaus als bewußt gehabte Gegenstände. 
Der schöne Gegenstand kann Bestandteil der Natur oder des Phan^ 
tasieerlebens sein. Als Bestandteil der Natur kann er der Natur, wie 
sie ohne das Zutun des Menschen da ist, angehören, dann haben wir das 
Naturschöne; oder er gehört der vom Menschen geformten Natur an, 
dann haben wir das Kunstwerk, Das Kunstwerk geht jeweils auf das 
Schöne als geschauten Phantasiegegenstand zurück. 
Der schöne Gegenstand ist stets ein einzelner, daher denn alle 
ästhetischen Urteile »einzelne Urteile« sind (Kant) ; er trägt stets Ends 
gültigkeits= und Lus^-Betonung; er ist stets von der »anschaulichen« 
Art, d. h. durch reine Solchheiten, rein Raumhaftes und rein Zeithaftes 
ausgedrückt. 
Kant hat das Schöne mit Recht vom Guten, vom »Angenehmen« 
und vom »Erhabenen« gesondert. Das Angenehme ist angenehm nur 
als Lustträger. Das Erhabene steht neben dem »Lieblichen«, »Reizen* 
den«, »Romantischen« usw. und bildet mit ihnen zusammen eine 
Gruppe, welche das Stimmungshafte genannt werden kann. 
Im Stimmungshaften habe ich auch einen Gegenstand, aber an ihm 
habe ich zugleich mein gefühlsbetontes Haben dieses Gegenstandes, 
und daß ich da eben zugleich mein Haben /lafceS ist das, was Stim«« 
mungshaftes vom Schönen im reinen Sinne trennt. 
Daß unsere Ordnungslehre sowohl das Stimmungshafte als auch 
das Schöne in dem hier dargelegten rein gegenständlichen Sinne 
fassen muß, ist aus ihren Grundlagen heraus klar. 
Wie nun aber steht die »Ästhetik« zur Ordnungslehre überhaupt? 
Steht sie an einem besonderen Orte in ihr, wie die Ethik ^? 
^Wir antworten: Sie steht neben ihr als auch »Ordnungslehre«. Sie 
ist die Ordnungslehre noch einmal. Die Worte, es sei die Ästhetik 
eine »Logik zweiter Hand«, sie sei die »nachgeborene Schwester der 
Logik« (Alex. Baumgarten), haben uns also einen guten Sinn. Freilich 
sollen die Worte »zweiter« und »nachgeboren« hier keine Art von 
Minderwertigkeit ausdrücken, und auch soll nicht gesagt sein, daß das 
ästhetische Schauen eine »Verstandesangelegenheit« sei; aber Ord^ 
nungsschauen ist ästhetisches Schauen allerdings. 
* Das meinte wohl Volkelt, wenn er sagt, der ästhetische Gegenstand habe stets 
auch einen »eingefühlten seelischen Gehalt« (Das ästhet. Bew. 1920) ; für den rein 
schönen Gegenstand gilt das freilich unseres Erachtens nicht. - S. o. S. 433. 
454 
► 
Denn so definieren wir nun das Schöne: 
Schön ist eine vorgefundene anschauliche Gegenständlichkeits* 
einzigkeit oder die künstlerische Bildung einer solchen, wenn sie irgend^ 
einen wesentlichen klassenhaften Zug des Soseins der empirischen 
Wirklichkeit so deutlich und so rein verkörperty daß sie recht eigent* 
lieh als Vertreter dieses Soseins dasteht. 
Ähnlich^ haben schon Plotin, Schelling, Schopenhauer definiert. 
Daß wir Kants Satz vom »interesselosen Wohlgefallen« dem Schönen 
gegenüber annehmen können, ist durch unseren Begriff des Schönen 
als einer rein gegenständlich geschauten Angelegenheit ausgedrückt. 
Und ebenso dürfen wir ihm zugeben, daß Zustimmung zum ästhe:» 
tischen Urteil jedermann (im empirischen Sinne) »angesonnen wird«; 
es ist ja dieses Urteil, in unserer Sprache, ich= endgültig. Freilich wissen 
wir praktisch, daß der »Jedermann«, von dem wir erwarten, daß er 
unser Urteil teilt, von gleicher »Anlage« und ungefähr gleichem »Bil* 
dungsgrad« sein muß. 
Daß Kunst nicht Nachahmung, nicht vorgetäuschte Wirklichkeit, 
wie z. B. beim sogenannten »Panorama«, ist, bedarf keiner weiteren 
Ausführung. 
Die Lehre aber vom eigentlichen Erleben des schaffenden Künstlers 
auf der einen, des genießenden Kunstempfängers auf der anderen Seite 
gehört in die Psychologie. Nur was schön heisst, und wie das Schöne 
sich ausprägen kann, geht die eigentliche Ästhetik, als Schwester der 
»anderen« Ordnungslehre, an. Daß der Künstler »das Schöne«, ehe er 
es als empirischen Naturgegenstand schafft, als Phantasieerlebnis in 
sich haben muß, haben wir schon gesagt. 
Was nun ist ein »wesentlicher Zug des Soseins der empirischen 
Wirklichkeit«? Offenbar, im Rahmen der Ästhetik, das, was künst* 
lerisch dargestellt worden ist, so seltsam dieser Zirkel anmuten mag! 
Aber etwa nur Ganzheitshezogenes als »wesentlich« gelten lassen, geht 
nicht an, wie z. B. das Dasein von Architektur, von Teppichkunst zeigt. 
Das »Wesentliche« ist hier praktisch zu nehmen, vielleicht freilich 
unter Ausschluß des ausdrücklich Gegenganzheitlichen, wie Kranke« 
heit, »Schmutz« usw., — falls das nun nicht hinwiederum im Rahmen 
eines anderen »Wesentlichen« anschaulichen Ausdruck erheischt. 
^ Den aristotelischen Begriff »Einheit des Mannigfaltigen« nennen wir nicht als für 
den schönen Gegenstand besonders kennzeichnend, denn er trifft auf alle möglichen 
Gegenstände ganz abgesehen vom Schön*sein zu. 
455 
2. DIE KÜNSTE 
REINE KUNST 
ARCHITEKTUR, ScHMucKKUNST (»Dekorations«*Kunst) jeder Art und 
Wasserkunst geben das Schöne im Rahmen von Geometrie und 
Mechanik. Zählen wir einen Teil der Musik hinzu und denken wir 
auch an eine noch nicht vorhandene reine Farbenkunst, so können 
wir sagen, daß die erste Gruppe der kunstschönen Gegenstände reine 
Raums«, Zeit^, Qualitäts* und KRAFTverhältnisse ausdrücke^. 
Soweit die Musik in Frage kommt, denke ich hier nicht nur an den 
»Rhythmus«, sondern auch an die reinen Relationen der Tonhöhen 
(Fuge); poetischen Rhythmus rechne ich selbstredend auch hierher. 
Alles Rhythmische ist Zeit^Kunst. 
Das Übersichtliche ist hier »wesentlich« für das »Schöne«. Es kann 
»experimentelUpsychologisch« gearbeitet werden. — 
An der Plastik und Malerei ist nur ein geringer Teil »reine« Kunst, 
an der Plastik immerhin ein größerer Teil als an ihrer Schwester. 
Die Darstellung organischer Wesen, einschließlich des Menschen, 
rein als organischer Formen gehört hierher (Tierbild u. a.). Hier wäre 
also das »Wesentliche« Ganzheitliches. Aber Plastik und Malerei 
können auch den anschaulichen Ausdruck des seelisch Wesentlichen 
darstellen (das meiste aus der antiken Plastik, das Porträt usw.). 
Endlich kann die Malerei, selten die Plastik (Meunier), das sozial 
Wesentliche darstellen; es wird meist nicht im Sinne des rein Schönen, 
sondern »Stimmungshaft« geschehen. Hier kann, z. B. bei Darstellung 
der christlichen Tugenden, geradezu Gegenganzheitliches, wie Krüppel, 
im Rahmen eines höheren Wesentlichen zur Darstellung kommen. 
Alle bisher genannten Künste waren unmittelbar. Die Dichtkunst 
ist eine mittelbare Kunst; unmittelbar ist an ihr nur das Rhythmische 
und gewisses Klanghafte, was also in unsere erste Gruppe gehört. 
Die Dichtkunst muß im Leser oder Hörer ein schönes Bild im Sinne 
eines Vorstellungsbildes erst erzeugen. Da gibt es denn dieselben Typen 
wie bei Plastik und Malerei. Jede Art der Dichtkunst kann »rein« sein 
— man sagt gern »objektiv«; aber wenige Dichterwerke sind »rein«. 
^ Das sogenannte »Formal«?Schöne ist also auch gegenständlich*, also »inhaltlich«? 
schön. Denn was für andere Inhalte »Form« ist, ist fiir sich genommen selbst »Inhalt« 
oder Wesen. Der Unterschied zwischen »Form«? und »Inhalts«*Ästhetik fällt also 
in sich zusammen. Im schlechten Sinne »bloß formal« dürfen immerhin solche 
Kunstwerke heißen, welche Wesen höherer Stufe geben wollen und bloß Wesen 
niederer Stufe geben. 
456 
STIMMUNGSKUNST 
In der Stimmungskunst wird mir mein Erleben in seinen verschieß 
DENEN Formen dargeboten, mag der Gegenstand, an dem es hängt, 
ein schöner im strengen Sinne des Wortes sein oder nicht. Unzählbar 
viele Arten des Stimmungshaften gibt es hier, nach ihrer »Wesentliche* 
keit« wird gar nicht gefragt. Hier kann das Höchste und das Trivialste 
geleistet werden. 
Große schöne Bauwerke sind meist voll von Stimmungsgehalt, sie 
sind z. B. erhaben; Teppiche sind dasselbe jedenfalls für den Orien» 
talen. 
Daß in Malerei (weniger in Plastik) und in der mittelbaren Dichte» 
kunst das Stimmungshafte meist überwiegt, wurde schon gesagt. Ich 
nenne das Landschaftsbild, die Lyrik, das meiste der Dramatik. 
Aber das Stimmungshafte ist in allen diesen Künsten doch meist 
flüchtig, »subjektiv«, »momentan«, ist nicht Wesen; es wird gleichsam 
assoziativ mitgeführt; sein Träger ist etwas Rein^Schönes oder auch 
nur etwas Bekanntes. 
Das ist nun ganz anders bei der höchsten aller Künste, der Musik, 
die sich uns als DOPPELT:fSCHÖNE Kunst erweisen wird. 
Schopenhauer hat zuerst die Sonderstellung der eindrucksvollsten 
aller Künste, der Musik, erkannt, und diese seine Erkenntnis behält ihre 
Bedeutung, auch wenn man die Begründung, die er ihr gibt, abweist. 
In ihrem unmittelbaren rhythmischen und tönenden Dasein und 
Sosein sind musikalische Kunstwerke sicherlich schön in dem bis jetzt 
festgelegten Sinne. Aber Musik wirkt doch vornehmlich durch Züge, 
welche zunächst als schönheits/remc? erscheinen, nämlich, ebenso wie 
viele Landschaftsbilder und wie sehr viele lyrische Dichtungen, durch 
»Stimmung«. Im Gegensatz zu Landschaftsbild und mancher Dich** 
tung, welche in der Mehrzahl der Fälle höchstpersönlich bleiben und 
mit allem möglichen besonderen Sinnfälligen gepaarte zufällige Stims« 
mungen vermitteln, schafft nun aber Musik Typen von Stimmung übers 
haupt. Sie schafft, was an Stimmungen typisch möglich ist und zwar 
in ihrer Seelenerlebtheit. Je klarer und reiner sie diese Stimmungen 
schafft, je »wesentlicher« sie sie erweckt, je »typischer«, um so höher 
steht sie. Damit kommen wir zu einer seltsamen Einsicht. 
Auch Lyrik gibt Stimmung, dadurch, daß sie WirkHchkeitsbilder 
erweckt. Musik gibt, abgesehen von ihrer rein formalen Seite, »Stim*« 
mung überhaupt«. Sie ist um so schöner, je reiner und wesentlicher 
die von ihr gegebenen Typen von Stimmung sind. Schön darf sie 
457 
heißen gerade wegen der durch sie dargestellten Stimmung, denn 
Stimmung ist für sie Wesen. Freilich wird auch hier nicht etwa die 
Stimmung schön genannt, sondern ein Gegenständliches, eben die 
Musik; aber doch nur insofern, als sie Stimmungsträger ist, Träger 
freilich von Stimmung überhaupt in ihren verschiedenen wesentlichen 
Arten, nicht von ganz persönlichen, mit allen möglichen »Assozia^« 
tionen« behafteten Sonderstimmungen, wie den von einer Landschaft, 
einem Gedicht erweckten. 
Wir können also das Wesen der Musik als Kunst uns nur dann zur 
Klarheit bringen, wenn wir uns auf denjenigen Abschnitt der Ord»» 
nungslehre, der vom Erlebten als Ich:»Erlebten handelt, beziehen. Dann 
nämlich können wir sagen: Musik allein, allen anderen Künsten gegen»« 
über, stellt dem Ich seine eigne IchsErlebtheit überhaupt, seine Bewußt= 
heit in ihrem Sosein mittelbar als »Wesen« gegenüber. Ganz fremd ist 
eine solche Auffassung der Lehre Schopenhauers über die Musik wohl 
nicht. 
Aller Text zu Musikalischem, in Oper also und Programmusik, soll 
nur der Musik Auffaßbarkeit erleichtern, setzt ihr aber nichts Wesent^ 
liches, sondern gerade Unwesentliches hinzu ; erwirkt schädlich, wenn 
das Unwesentliche für das Wesentliche genommen wird. Auch bei 
einem Lied ist, entsprechend, der Text die Begleitung zur Musik und 
nicht umgekehrt; nicht ein Gedicht wird »in Musik gesetzt«, sondern 
eine Musik wird durch ein Gedicht gedeutet — sie könnte noch durch 
viele andere Gedichte gedeutet werden^. 
Musik also ist stimmungshafte Kunst, insofern sie Stimmungsträger 
ist, aber sie ist trotzdem nur schöne Kunst, weil sie auf Stimmung als 
ein Wesentliches gerichtet ist. Ihr »Gegenständliches« ist aber Stim* 
mung, ja Erleben überhaupt in allen seinen wesentlichen Formen als 
gegenübergestelltes Ich=Erleben. Insofern ist Musik, abgesehen von 
der Beteiligung reiner naturgegenständlicher, d. h. rhythmischer und 
rein klanghafter Schönheit an ihrer Wirkung, selbst »schön« gerade 
ALS Stimmungskunst. Was bei den anderen Künsten Beiwerk war und 
wohl gar ihre »Reinheit« störte, das Stimmungshafte, das wird in ihr 
zum dargestellten Wesen und macht sie als Stimmungskunst zur 
»schönen« Kunst, so daß also Musik in doppelter Hinsicht rein 
SCHÖN ist. 
Wie es nun aber kommt, daß gerade die Töne das Ausdrucksmittel 
dieser beiden Form des Schönen sein können, das hat die Ordnungs^ 
* Grundlegendes über diesen Punkt in Nietzsches »Geburt der Tragödie«. 
458 
lehre ebenso hinzunehmen wie den Sachverhalt, daß Farbiges nicht 
ohne Neben sein kann. 
3. DAS NATURSCHÖNE / DAS NICHT. SCHÖNE 
Wir sagen noch einiges über das Naturschöne. 
Man hört oft sagen, Natur sei gegen das »Gute« und gegen 
das »Schöne« gleichgültig. Sie enthält es aber doch in sichl Nur ent:* 
hält sie eben, da sie Zufall enthält, auch anderes. Diese Tat hier 1*5^ 
gut, da sie eine freilich nur vermutete Ganzheitsentwicklung über** 
persönlicher Art fördert, jener in der Natur verwirklichte Baum ist 
schön, da er den NaturbegrifiF Eiche oder Buche besonders klar und 
zufallsfiei zeigt. Die Tat und der Baum sind auf alle Fälle etwas, was 
andere Taten und andere naturwirkliche Bäume nicht »sind«. 
Gäbe es keinen »Zufall«, im Sinne unserer Definition S dann gäbe 
es im Bereich des überpersönlichen Ganzheitswerdens nur »Gutes« 
und im Bereich des Naturseins überhaupt nur »Schönes«. Eigentlich 
bedürfen also nicht die Kennzeichnungen des Naturwirklichen, welche 
durch die Worte gut und schön ausgedrückt sind, der Rechtfertigung, 
sondern diejenigen Kennzeichnungen, welche in den Worten böse und 
HÄSSLICH liegen. Sie erklären sich eben aus dem Zufall, dieser aber, 
wie wir wissen, aus dem Dasein der Materie. 
Das Dasein des Häßlichen ist also ein Ausdruck des allgemein 
bestehenden empirischen Dualismus. 
Seelenmäßig ist es freilich richtig, daß das erlebende Bewußtsein das 
zufallsfreie, also entwicklungsfördernde Ganzheitswerden unmittelbar 
als GUT, das zufallsfreie Natursein überhaupt unmittelbar als schön 
»fühlt«. Aber daß dieses Fühlen den hier genannten Inhalt hat und 
keinen anderen, daß es sich eben das eine Mal auf Ganzheitswerden, 
das andere Mal auf gegenständliches klares Wesens*»Sosein in ganz 
bestimmtem Sinne bezieht, das herauszuschälen aus der »Ethik« und 
der »Ästhetik« ist die Aufgabe, welche die Ordnungslehre diesen 
beiden Sondergebieten des Wisss» und Lehrbaren gegenüber hat. 
Im ästhetischen Urteil zumal sagt also das Ich aus, inwieweit durch 
anschauliche gegenständliche Einzelheit eine gegenständliche wesents 
liehe Soseinsseite der empirischen Wirklichkeit klar ausgedrückt wird. 
S. O.S.446. 
459 
H. DAS GEFÜGE DER ORDNUNGS= 
LEHRE UND DAS GEFÜGE DER 
WISSENSCHAFTEN 
Die ALLGEMEINE Ordnungslehre als Lchrc von der Ordnung des 
Gegenstandes überhaupt setzt alle diejenigen in ihrer Bedeutung 
ohne weiteres klaren Begriffe und Sätze, kraft deren die Gesamtheit 
des Gegenständlichen dem Ich als ein Geordnetes gegenübersteht; 
diese Begriffe und Sätze fordert gleichsam das Ich als ein Ordnung*« 
wollendes. Wir können auch sagen, daß die Begriffe und Sätze, von 
denen wir hier reden, den Begriff" Ordnung inhaltlich bestimmen 
(»definieren«). Es sind diese: 
Etwas 
Sein 
Dieses (Dasein) Dieses ist Dieses, Dieses ist selbig 
Nicht^sdieses Dieses ist nicht Nicht^dieses 
Etwas ist Dieses oder Nicht*dieses 
Diesess'Jenes, Das Andere, Verschieden 
Die Beziehung Die Beziehung ist eindeutig 
Klasse*Einzigkeit Einzigkeiten sind gleich. 
Die Begründung (notwendig, mitgesetzt, »weil«) 
[LOGIK im engeren Sinne] 
Solches (Sosein) 
Beziehlichkeit 
Solch t < ^^^^^ (Solchheitsgruppe, Gegensatz) 
\ Räumliche (Vier Forderungen) 
[GEOMETRIE] 
y f Reine Zahl (Zahlenerzeugungssatz) 
( Grösse (Grad) 
[ARITHMETIK] 
Mannigfaltigkeit 
Das Ganze — die Teile. 
Hiermit ist die Bestimmung der Setzung Ordnung vollendet. Die 
Logik findet aber angesichts der Erlebtheit Weiteres zu tun und setzt: 
Damals, Selbst, Zeit, Werden, Beharrliches. 
Es zeigt sich schon hier, wie die Setzung Werden der tiefsten Ur^» 
sprünglichkeit des bewußten Habens widerstrebt; Haben ist ja gerade 
Festhalten, Setzen. Doch muß die Ordnungslehre das Werden zulassen, 
um überhaupt nur Etwas am Anderssein der Erlebtheit in Zuordnung 
zu den Augenblicken des Habens des Selbst zu fassen. — 
Beim Entwurf ihres Begriffsgefüges ging die Logik so vor, daß sie 
bei jeder Erweiterung des Gefüges nur den jedesmal unbedingt nötigen 
Schritt tat (Grundsatz der Sparsamkeit). Dieser Grundsatz wird be«* 
462 
i 
sonders deutlich bei Schaffung derjenigen Setzungen, an denen die 
SoLCHHEiT des Erlebten einen stark hervortretenden Anteil hat; ganz 
ohne Anteil ist diese bekanntlich bei keiner Ordnungssetzung. 
Im Bereich des Gefüges der allgemeinen Ordnungslehre läßt sich 
der Grundsatz der Sparsamkeit auch so ausdrücken: Jeder neuen StU 
zung gehen im Gefüge nur solche Setzungen vorher, welche unbedingt 
notwendig sind, um ihr einen Sinn zu erteilen. 
Es ist lehrreich, diejenigen Setzungen besonders hervorzuheben, an 
deren Behandlung sich besondere Wissenschaften angliedern, sei es, 
daß sie das ausschließlich auf Grund unmittelbar schaubarer Be»« 
Ziehungsverhältnisse, sei es, daß sie es vornehmlich auf Grund inhalt*« 
lieber Gewohnheitserfahrung tun. Letzteres freilich ist erst in der Lehre 
von der Natur der Fall. Aber andererseits sei wieder einmal gesagt S 
daß kein einziger Begriff oder Satz auch der allgemeinen Ordnungs*» 
lehre durchaus ohne Beziehung auf »Erfahrung« im weitesten Sinne 
des Wortes gesetzt worden ist; schon das Dieses, und erst recht das 
Jenes hat nur Sinn angesichts der Tatsache, daß es nicht nur »Etwas«, 
daß es Unterschiedenes »gibt«. 
Für die Räumlichkeitslehre also ist z. B. das besondere Auftreten 
der Zahl 3 in diesem Sinne Erfahrungsangelegenheit, während die 
»Axiome« die Gesamtheit räumlicher Verknüpfungen so ausdrücken, 
daß »der Raum« ein möglichst einfacher Fall von Anordnungsbeson*» 
derheit ist. 
Die Namen der einzelnen sich an bestimmte Setzungen der Ordj« 
nungslehre angliedernden Wissenschaften sind hier und später unserer 
Übersicht an richtiger Stelle in besonderem Druck beigefügt; man wird 
bemerken, daß irgendeine beliebig herausgegriffene Wissenschaft 
jeweils die ordnungsmäßigen Grundsätze aller ihr in der Liste voran^ 
gehenden als erledigt voraussetzt. 
Hieraus folgt, daß die Ordnungslehre die alte Frage nach einem denk* 
mäßig gestalteten Gefüge der Wissenschaften gleichsam von selbst 
mit erledigt. Daß es eben diese und keine anderen Wissenschaften 
als 5onc/erwissenschaften gibt, ist darin bedingt, daß eben nur ge^ 
wisse der Ursetzungen der Ordnungslehre selbst ein Gefüge von Arten, 
über das sich etwas sagen ließe, einschließen. Ein Unterschied in der 
denkmäßigen Wertigkeit der einzelnen Setzungen der Ordnungslehre 
als solcher wird selbstredend nicht durch den Umstand bedingt, ob 
sich tatsächlich eine im gewissen Sinne selbständig gewordene bedeute« 
_____ 
463 
same Sonderwissenschaft an diese Setzung angegliedert hat oder nicht; 
hier spielen ja Bedürfnisse des praktischen Lebens mit hinein. Auch 
bedingt natürlich Verschiedenheit im gegenwärtigen Zustand der 
Sonderwissenschaften keinen Rangunterschied der sie gründenden 
Ordnungszeichen. Übrigens ist unser System der Wissenschaften zu* 
GLEICH EIN System der »Methoden«, denn wir wissen, daß alle Metho* 
den sich aus den Gegenständen ergeben. 
Wir haben die Gesamtheit der Letztbestandteile der allgemeinen 
Ordnungslehre die Umgrenzung der Setzung Ordnung genannt; sie 
sind also dieser Setzung Merkmale. Freilich kommen da in bezug auf 
das SosEiN nur die erststufigen Unterbegriffe dieser Setzung, also Be* 
ziEHLiCHKEiT, SoLCHHEiT, Zahl, in Bctracht, nicht aber die zweitstufigen, 
welche sich ja an die Besonderheit des Soseins, so wie sie erlebt wird, 
anschließen, wie zum Beispiel Räumliches. Die echten Merkmale der 
Setzung Ordnung dürfen wohl in Strenge als die einfachen Begriffe, 
die L^rbegriffe bezeichnet werden, also auch der Begriff Beziehlichkeit, 
der Begriff Zahl überhaupt. Besondere Anordnungsbesonderheiten, 
Besonderheiten an Zahlen aber sind nichts setzungsmäßig Einfaches 
mehr, ob sie schon, wenn sie ursprünglicher Denkforderungen Aus*» 
druck sind, Einheitlichkeiten letzter Art darstellen; dahin gehören die 
Setzungen euklidischer Raum, Zahlenreihe und andere; diese sind 
also für sich »definierbar«, werden aber dadurch ihrer Lefzf »Beschaffen* 
heit nicht entkleidet: das Einheitlichmac/ienc/e an ihnen ist eben wie* 
der etwas Einfaches. — 
Die Lehre von der Ordnung des Naturwirklichen setzt Folgen* 
des: Natur als ein einziger in sich verknüpfter Werdezusammen* 
hang, welcher als gleichsam selbständiger »gemeint« ist in dem einen 
gemeinten Naturraum und der einen gemeinten Naturzeit 
Das Naturding 
Die Naturklasse und das Natursystem 
Kausalität (Werdegrund * Werdefolge). 
Die Arten des Werdens (4 mögliche Formen). 
Einzelheitskausalität. 
Trägheit 
Kraft, Masse 
Gegenwirkung 
Erhaltung der Arbeit 
Bewegungslehre 
[MECHANIK] 
464 
Allgemeine Veränderungslehre f Satz des Geschehens 
[ENERGETIK] \ Erhaltung der Energie 
Urdinglehre [PHYSIK, CHEMIE als ihre Vorbereitungen] 
Ganzheitskausalität 
Einzelwesenganzheit 
Überpersönliche Ganzheit^ 
Menschheits. [KULTURLEHRE 
gemeinschaft GESCHICHTE 
Seele als 
(PSYCHOLOGIE) 
ETHIK]. 
Das Ganze der natur, als alle Natureinzelheit, auch im Werden, miU 
setzender unentwickelter BegrifF (er bleibt unerfüllbar). 
Die Lehre von der Eigen^Erlebtheit, d. h. von der Gegenständ«: 
lichkeit in ihrem ausdrücklichen Ich^Erlebtsein setzt als Grunde 
legendes nur den Begriff: 
Denkende (als solche Träger der Ordnung) 
wahrnehmende! (als solche tätiger Weltabbil*« 
WOLLENDE / DER im Verhältnis zutWelt). 
Man wird bemerken, daß in unserer Liste der sich an die Natur:« 
Ordnungsbegriffe angliedernden Wissenschaften Begriffe wie Natur:« 
»Philosophie«, Geschichts«=»philosophie« und andere entsprechend ge«« 
bildete fehlen. Es hat dieses Fehlen seinen Grund in dem Umstände, 
daß in der Tat diese verschiedenen Arten von »Philosophien« keine 
selbständigen Gebilde sind: Biologie zum Beispiel ist Natur*»wissen* 
Schaft«, wenn auf das Gewohnheitserfahrungsmäßige in ihr, Natur* 
»Philosophie«, wenn auf das Ordnungsmäßige oder auch das »Metho«» 
dische« in ihr der Nachdruck gelegt wird. »Naturphilosophie« im 
Rahmen einer Wirklichkeitslehre freilich wäre etwas ganz anderes; aber 
wir treiben ja nur Ordnungslehre. 
Da die Aufzählung aller Ordnungsbegriffe in der durch ihre Bedeu«= 
tung gegebenen Reihenfolge und Anordnungsbesonderheit die Um# 
grenzung der Setzung »Ordnung« darstellt, also derjenigen Setzung, 
mit welcher die Logik ihre Tätigkeit sowohl anfängt wie beschließt, 
so handelt es sich bei ihr nicht etwa um ein »Gefüge« im Sinne einer 
Gesamtheit von Unterordnungen und Nebenordnungen von Solch* 
^ Hierher gehören in vorläufiger Weise auch Astronomie, Geologie usw., falls diese 
Gebiete nicht dazu verurteilt sind, teils rein »idiographische«, teils angewandte 
Wissenschaften zu bleiben. 
30 D r i e s c h , Ordnungslehre 40J 
heitsgruppen, wie etwa das Gefüge der Lebewesen es ist. Jedes Merkst 
mal der Setzung Ordnung hat vielmehr eine ganz bestimmte Stelle in 
der ganzen Setzung, welche ja selbst als Setzung eine solche mit allen 
Kennzeichen des Soseins, also auch mit dem Kennzeichen der Bezieh* 
lichkeit — freilich in der Form der Beziehlichkeit überhaupt — ist. Die 
Gesamtheit der Ordnungsfeegrz^e ist also ein Ganzes, jeder einzelne 
OrdnungsbegriiBF ist Teil dieses Ganzen. Und ebenso ist jeder Einzel* 
zweig der Ordnungs/e/ire, mag er zu einer besonderen, selbständigen 
Wissenschaft ausgewachsen sein oder nicht, eines Ganzen Teil oder 
Bestandteil oder »Konstituent«, wenn man ein Fremdwort wünscht. 
»Logik im engeren Sinne«, »Geometrie«, »Mechanik«, »Ethik« sind 
also neben anderen solche Bestandteile der Ordnungslehre, sind aber 
nicht etwa des »Genus« Ordnungslehre verschiedene »Spezies«. 
Noch einmal mag ein Wort über den Begriff »Erfahrung« gesagt sein : 
Nicht kann im strengen Sinne »erfahrungsfrei« das Ich seine Setzung 
»Ordnung« mit Inhalt füllen, umgrenzen; nicht kann es »erfahrungs* 
frei« sagen, was für »Merkmale« diese Setzung haben muß. Erst im 
Erleben wird es dieser Merkmale inne, dann freilich sind sie ihm wie 
Forderungen, dann auch erkennt es sie als der »Sparsamkeit« und des 
»notwendigen Schrittes« Ausdruck. Aber wenn es meint, wirklich »er* 
fahrungsfrei« bewußt zu wissen, so täuscht es sich selbst; gewohnheits= 
frei, also nicht »empirisch«, freilich weiß es vieles: nämlich alles, was 
Ordnung eigentlich zu Ordnung macht. 
Warum nun aber das Ich gewisses bewußt Gehabte mit dem End* 
gültigkeitszeichen versieht, gewisses nicht? — Diese Frage ist keine 
Frage vor dem Ich. Das Ich kann sich nur auf sich selbst besinnen — 
weiter kann es nichts; und wenn es sich mit Rücksicht auf Endgültig* 
keit auf sich selbst besinnt, dann eben schaut es die Ordnungslehre. 
Alles Geordnete an der Erlebtheit erscheint als ihre »Form«; was 
denn eigentlich, um auch diese Frage noch einmal heranzuziehen, ist 
ihr »Inhalt«? Und was ist Inhalt und Form insonderheit an einer der 
zusammengesetzten Setzungen etwa im Bereich des Naturwirklichen? 
Man darf sich hier, wie wir wissen, nicht die Sache leicht machen 
und etwa einfach sagen: alles »Empfundene«, allereine Solchheit also, 
sei Inhalt, alles andere sei Form. Ein »Gelb« nämlich ist nicht »Inhalt«, 
jedenfalls nicht nur: es ist dieses Solche innerhalb dieser Soseins* 
GRUPPE, es ist ausdrücklich dieses, nicht Jenes an Sosein. Was dem Ich 
hier freilich entschlüpft und insofern als Inhalt bezeichnet werden 
könnte, das ist der Umstand, daß diese Solche nun eben — »gelb« als 
466 
i 
gelb ist, oder in anderem Falle »räumlich« als Räumliches. Solches 
also mag das Wort »Inhalt« bei jeder beliebigen Setzung immerhin 
bedeuten; wir treffen wieder auf unseren Begriff (oder Unbegriff?): 
das Gegebene. 
Das Wort »Inhalt« im Gegensatz zur Form gewinnt, wie wir wissen, 
größere Bedeutung, wenn es auf die geordnete Natura« Erleb theit oder 
auf die Erlebtheit als ausdrückliche EicENerlebtheit angewendet wird. 
Was ist da der Erlebtheit »Inhalt«, was der Erlebtheit »Form«? 
Inhalt der Erlebtheit ist in diesen beiden Sonderfällen eine unbe^» 
stimmte Fülle von Hier Jetzts»So*Dasein oder Jetzts^So^Dasein, jedes 
als dieses bestimmt. Die Gesamtheit dieser Daseine in ihrer Bestimmt* 
heit, als Hier^Jetzts^So oder als Jetzt^So, das ist der Inhalt des Naturs« 
Erlebten, des Eigenerlebten. Und alle Form im Bereiche der Natur* 
und Eigen^Erlebtheit ist Festhalten, Benennen und Für^^dies^Zukunft* 
fordern der mit dem Tone der Endgültigkeit gehabten Beziehungen 
zwischen den Hier Jetzt^So* oder Jetzt*So*Daseinen, wobei das Wort 
»Beziehung« den weitesten Sinn hat. 
So eben schaut das Ich »Formen« wie hoMOGENE Anordnungs* 
BESONDERHEIT, PaRALLEL, WeRDEN, UrDING, KrAFT, GuT, DETERMINIER 
RENDE Tendenz, Unterbewusstsein, Entelechie, potentielle Energie 
usw. 
Diese Begriffe »ordnen« den Inhalt. 
Konnten sie ihn nun wirklich »endgültig« ordnen? 
Mit der Beantwortung dieser Frage schließen wir die Betrachtungen 
dieses Werkes, als einer Ordnungslehre, ab. 
30* 
467 
I. DIE FRAGE NACH »ERKENNTNIS« 
ALS DER ORDNUNGSLEHRE 
AUSGANG 
Wenn es die Ordnungslehre schafft, dann arbeitet gleichsam das 
Ich mit seinem Festhalten und Fordern nur für Ordnung und 
für nichts anderes. Es will Ordnung im Erlebten um jeden Preis. 
Das Erlebte bleibt dabei sein Erlebtes, die Ordnung bleibt seine 
Ordnung. Alles erlebte Sein ist ein für es, für das Ich Sein. Das eben 
soll ein geordnetes Sein sein. 
Auch Naturwirkliches mit allen seinen Ordnungssetzungen, mit dem 
überpersönlichen Ganzen, das da sein wird und »soll«, ja selbst — wenn 
solche Setzung möglich wäre im Sinne des Ordnungsschaffens — mit 
dem Weltenganzheitsmacher, dem Demiurgos — alles das »ist« oder 
»wäre« fiir das Ich, vom Ich erlebt, von ihm als Geordnetes erlebt; 
und ebenso ist es mit der Seele, meiner »Seele«. 
Das Ich kennt nur sich und was für es ist. 
Die Geschichte der Philosophie pflegt eine Art des Begreifens, wie 
sie hier für die Ordnungslehre vertreten wurde, als »strengen Subjekts 
tiven Idealismus« oder »Solipsismus« zu bezeichnen^. Es ist heutzutage 
üblich, diese Lehre kurz mit einigen Worten abzutun, indem man etwa 
sagt, der »Solipsist« widerlege sich ja selbst, wenn er seine Lehre vor»» 
trüge: damit sage er ja doch, daß es etwas anderes als ihn selbst »gebe«, 
nämlich andere »Iche«. Diese Art, aus dem Solipsismus, besser aus der 
Lehre vom reinen Für^michssein, hinauszukommen, ist nun freilich, wie 
wir wissen, etwas gar zu rasch. »Andere Menschen« sind von mir nur 
als sich bewegende Körper, freilich als solche mit besonders geartetem 
Werdegesetz und seelischer Parallelkorrespondenz meinend gehabt, 
und es hat doch offenbar, eben wegen der Kenntnis dieses Sachverhaltes, 
dessen Gültigkeit ich auch von der Zukunft erwarte, gar nichts Wider»* 
sinniges in sich, daß ich mich mit ihnen »unterhalte«, von ihnen »lerne«, 
sie »belehre«^. Ein »für mich« bleibt das alles. 
So leichten Kaufs kommt man also aus der Lehre vom reinen Für* 
michs'Sein nicht heraus. Kann man denn überhaupt aus ihr heraus* 
kommen? Und was heißt das: »aus ihr herauskommen«. Und möchte 
^ Man vergesse aber nicht das auf Seite 23 über den »Solipsismus« Gesagte! 
* »Ich frage jemanden,« das heißt »solipsistisch«: Ich erwarte, daß die geordnete Er* 
lebtheit unverändert weitergehen wird; dann wird auf ein gewisses Handeln meines 
Leibes hin, eben die »Frage«, ein gewisses Leibesding mit mir bekannter Werde* 
gesetzlichkeit, nämlich der »andere Mensch«, in gewisser Weise sich bewegen 
(»sprechen«, »antworten«), und zwar so, daß dieses sein Sichbewegen für mich eine 
gewisse Ordnungsbedeutung hat (»mich belehrt«), von deren Möglichkeit ich eben« 
falls von früherer »Erfahrung« her erwartend überzeugt bin. »Für mich seiend« bleibt 
hier alles in reinster Form. 
470 
i 
man, oder besser Ich, denn aus ihr herauskommen? Und wenn ich es 
»möchte« — warum denn? 
Nun »möchte« ich allerdings aus der Lehre vom reinen Für^^mich* 
sein hinaus, und zwar nicht nur aus bloß gefühlsmäßigen Gründen, 
sondern aus Gründen der Ordnungslehre selbst Ich möchte die Ord*» 
NUNGSLEHRE AUS OrDNUNGSGRÜNDEN SICH GLEICHSAM SELBST ÜBERWINDEN 
LASSEN. Dieser Gründe sind folgende: 
Zunächst einmal erinnern wir uns ganz allgemein an das, was wir 
in einem der ersten Abschnitte dieses Werkes^ das Gegebene genannt 
haben. Wir »verstanden« trotz allem ordnungshaften Bedeutungs* 
verstehen zwei Dinge nicht, nämlich, wie es komme, daß gerade diese 
und keine anderen Ordnungsbedeutungen nun eben »Ordnungsbedeu»« 
tungen« sind, und wie es komme, daß, wenn sie es sind, gerade sie er^* 
lebnismäßig »erfüllt« werden. Bei diesem Nichtverstehen möchte man 
sich nun freilich noch beruhigen, indem man es einfach hinnimmt. 
Aber es gibt gewisse sehr ausgeprägte Besonderheiten des Nicht* 
verstehens für die reine Ordnungslehre. 
1 
Ich habe aus der erlebten Gegenständlichkeit überhaupt das Natur=« 
wirkliche als ein einziges Es meinend ausgesondert, da ich so einen 
in sich verknüpften Zusammenhang des Werdens und daher Werden* 
Ordnung finden konnte. Weil ich Ordnung wollte, sonderte ich Natur 
aus, stellte ich mir das Natur^Es gegenüber. Ja, ich stellte mir dieses 
Natur*« Es sogar gegenüber als ein Etwas, das, wenigstens in gewissen 
seiner Züge, in »Zukunft« werdend das sein werde, was es in »Ver>» 
gangenheit« werdend gewesen war. 
Gewisse Sätze über das Werden des Natur^^Es sah ich als gültig an 
nicht nur im allgemeinen Sinne der auf mich zurückbezüglichen gültigen 
Gesetztheit, sondern im Sinne der Richtigkeit, das heißt der inhalt^' 
liehen Gültigkeit für mich als den das einzige Es in seinem Sosein er* 
fassen Wollenden. Ein gewisser Ausschnitt aus dem gesamten erlebten 
Gegenständlichen war eben so, daß ich das konnte, daß ich mich bisher 
nicht täuschte in dem, was ich erwartete. 
Ich verstehe nun aber die Möglichkeit des Daseins der Natur ganz 
und gar nicht. »Es ist so« kann ich nur sagen. Es ist da etwas, das ich 
als gleichsam Selbständiges meinen kann. 
Aber warum das? Gibt es eine für das Ich notwendige Setzung, 
______ 
471 
welche Natur, das heißt das Dasein eines bestimmten geschlossenen 
Werdezusammenhanges als eines gemeinten Ausschnittes aus gegen* 
ständlicher Erlebtheit überhaupt, mitsetzt? 
Nein; jedenfalls nicht in dem Sinne, daß sie Bestandteil der Ord^ 
nung des Fürs^mich^Seienden wäre. 
Wir treffen hier auf etwas, das uns in anderer Form schon früher, 
als wir uns nämlich mit Natur ordnend beschäftigten, anging: Wir 
fanden da keine Setzung von den Natursetzungen aus, welche alles 
gesonderte Sosein in Natur — auch alles Werden — mitsetzte. Nun 
finden wir solche Setzung ebenfalls nicht vom Begriffe der Ordnung 
des Fürssmich^Seienden überhaupt aus. 
Sollen wir dabei stehen bleiben? Oder sollen wir etwa sagen: Muß 
es denn nur Für^mich^^Sein geben? Kann es nicht ein Losgelöst *= Wirk* 
LiCHES geben und nicht bloß ein »Naturwirkliches«, das so ist, »als ob« 
es in sich losgelöst wäre; ein in Wahrheit Seiendes, ein An^Sich* 
Seiendes, das ich zwar in seinem Sosein nicht eigentlich »setzen« kann 
— denn dann wäre es Für^mich* Seiendes! -— das ich aber setzen kann 
als ein Etwas, das für dasjenige, was ich Natur nenne, zwar nicht der 
Werdegrund, wohl aber das allgemein Mitsetzende, das Bedeutung= 
gebende ist? Dieses in Wahrheit Seiende wäre dann freilich das die 
Richtigkeit meiner Aussagen über Natur Ermöglichende: diese Aus* 
sagen wären richtig, weil sie wahr wären. 
Kann es — so frage ich hier nur — kann es dieses Bedeutung*gebende, 
dieses An*sich*seiende geben? Mit anderen Worten : kann ich in irgend* 
einer, bis jetzt natürlich noch unbekannten Weise — denn bisher trieben 
wir nur Ordnungslehre im Bereich des Für*mich — an das An*sich 
heran? Kann ich — erkennen? Und wie etwa und was? Und hilft mir 
etwa zum Erkennen, wenn schon nicht das Ausgehen von Natur allein, 
die vielleicht für sich genommen das ewig Unverstandene »als ob« 
bleiben müßte, so doch das Ausgehen von Natur in Verbindung mit 
anderem für sich allein genommen ebenfalls Unverstandenem? 
In der Lehre vom Erlebten als der Eigen*Erlebtheit setzte ich ord* 
nend eigentlich nur eine Setzung: meine Seele. Sie setzte ich als 
wahrnehmende, denkende, wollende, um einen Einheitsbezug zuhaben 
für das Werden meiner Eigen* Erlebtheit, welches nicht in sich ohne 
weiteres Verknüpf theit trägt. »Ich« als Habender bin nämlich nur Ein* 
heitsbezug, aber nicht Werdeverknüpf er. Verknüpfung habe ich erst im 
472 
Ordnungsbegriff Seele, und zugleich verknüpft jetzt die Seele meine 
Eigen*Erlebtheit in seltsamer Weise mit dem Naturwirklichen. In der 
Schaffung der Seele werfe ich das Eigen^Erlebte gleichsam aus »mir« 
heraus und lasse ein anderes es in sich für mich machen, ebenso wie 
ich in der Schaffung der »Natur« ein anderes sich in sich machen ließ. 
Aber die Seele als mir Entgegengestelltes, als »Verselbständlichtes«, 
verknüpft sich nun parallel mit jenem anderen verselbständlichten 
Gegenstand, der Natur. 
Die Seele, so wissen wir, ist die eigentliche Ordnerin ; »Ich« sage nur 
aus, wann sie zu meiner Befriedigung geordnet hat. So will es mein 
Ordnungsschauen. Ich also stellte mich selbst in der »Seele« vor mich. 
Aber ich will das so. Und dazu soll die Seele in Beziehung zur Natur 
stehen, zu der »Ich« doch nicht »gehöre«, soll wenigstens mit Natur 
in seltsam verwickelter Werdebeziehung stehen, soll der »tätige Welt*» 
abbilder« im Verhältnis zur Welt sein. 
Was heißt das alles? Ist das denn nun wirklich der Ordnungslehre 
Ende? Ist das nicht ein Laufen im Kreise? 
Wie, wenn sich nun Etwas »setzen« ließe, das ich zwar nicht in 
seinem Sosein erfassen kann, das aber doch als ein An:»sich den se\U 
samen Umstand mitsetzen würde, daß »Ich« da ein gleichsam Selb»» 
ständiges meinend setze, das gleichsam klüger ist als ich und »mich« 
gleichsam mitsetzt, und das dazu noch sich auf Natur »parallel« be# 
zieht — die Seele? 
Ließe sich da nicht etwa ein Etwas erkennen •— in seinem Dasein 
wenigstens — welches mitsetzt, jenen Sachverhalt, der sich aus drei 
Sondersach verhalten zusammensetzt: daß »Ich« ordne, daß ich ord= 
nend Natur schaue, daß ich ordnend meine Seele als Naturbezogenes 
und als meine Eigen=Erlehtheit bedingend schaue? 
Volkstümlich sprechend könnte ich hier sagen: Die Möglichkeit des 
Innenlebens, der Eigenerlebtheit, der Erinnerung zumal führt über das 
Ich und das Für^^Mich hinaus zu einem Ansich als dem, das dem allen 
Bedeutung gibt. 
Das sittliche Fühlen sollte den zureichenden Grund seines Da^ und 
Soseins erhalten durch das Eingereihtsein des Einzelnen in eine 
ÜBERPERSÖNLICHE SICH ENTWICKELNDE GEMEINSCHAFT, Und nach beWußter 
Schau dieses Beziehungsverhältnisses sollte nun auch das eigene Han«* 
dein »pflichtgemäß« beurteilt werden. 
473 
Aber wie, wenn das alles nur »für mich« ist? Das sittliche Bewußt«« 
sein in seiner Unmittelbarkeit ist ja sicherlich »meines«; eben darum 
bedeutete es uns, allein genommen, nicht gar viel. 
Wie nun, wenn der ganze verwickelte Gedankengang vom über* 
persönlichen werdenden Ganzen, der ja doch jenes Gefühl rechtfertigen 
soll, auch nur ein »Fürs^mich« feststellte, eine Ordnungsschau in der 
Erlebtheit, nichts weiter? 
Befriedigen würde solche Einsicht das Ich nicht. Könnte es aber da 
nicht wiederum ein Wissen um wenigstens das Dasein eines Ansich 
geben, das, ich sage nicht dem sittlichen Fühlen unmittelbar, wohl aber 
dem Ergebnis der Ordnungslehre, das es rechtfertigen soll, Bedeutung 
verleiht? Ein solches Ansich würde dem sittlichen Fühlen auf alle Fälle 
eine andere als nur eine Rück^Beziehung auf seinen Träger, das Ord** 
nung schauende Ich, verleihen. 
Dieses also sind die drei wesentlichen Fragen der Ordnungslehre, 
welcheßir sie selbst unbeantwortet, ein ungeordneter Rest bleiben 
müssen : Was heißt es, daß das gleichsam selbständige Reich Natur, 
das gleichsam selbständige Reich meine Seele, was heißt es, daß sitt= 
liches Bewußtsein erfahrungshaft »da ist«? 
Was würde das erfahrungshafte Dasein dieser drei Sachverhalte 
»erklären«, was würde ihr Dasein mitsetzen? 
Um reines Mitsetzen freilich würde es sich hier nicht handeln, aber 
auch nicht um diejenige »Funktion« des Begriffs Mitsetzen, welche in 
der Ordnungslehre Kausalität heißt. Und das Unbekannte, welches 
gesucht wird von der sich aus Ordnungsgründen aufhebenden Ord* 
nungslehre, das würde offenbar auch zum Ich in einer ganz anderen 
Beziehung stehen als das, was uns bisher »Gegenstand« gehießen hat, 
obschon der Rahmen des Habens hier nicht durchbrochen würde: Ich 
würde jenes Unbekannt als das »An sich« erkennen. 
Es erhellt aus unseren kurzen Andeutungen wohl schon, daß wir 
uns »das Erkannte«, das »Ansich« nicht in so naiver Weise denken, 
daß wir uns etwa zufrieden geben möchten mit der Aussage: die Dinge 
der Natur sind es eben, die denn doch nicht nur fürs«mich, sondern 
auch so ein bißchen an^sich sind; auch sind andere Iche und ist nicht 
nur mein Ich an^sich; das fremde Ansich aber wird wohl auf mein Ich, 
als ein Etwas, das auch so ein bißchen Ansich ist, »wirken«. Wenn 
solches einer Erkenntnislehre letztes Ergebnis wäre, dann wäre Er* 
kenntnislehre wohl nicht allzu viel wert. 
474 
Sie hat ein anderes Ziel, ein weit höheres: sie sucht ja als Letztes das 
Allem ' Bedeutung = Verleihende, das in sich Bedeutung Habende, das 
wahre »höchste Wesen«. Aber vielleicht muß sie durch jene naive 
Ansicht von Erkenntnis /imcfurc/igehen, um aus diesem Hindurchgang 
zu lernen. 
Zu wiederholten Malen haben wir im Verlauf der Darlegung unserer 
Ordnungslehre darauf hingewiesen, daß ihre später entwickelten 
Setzungen jeweils die früher entwickelten im Sinne von Erledigungs* 
zeichen an sich tragen. So ist z. B. im Bereich der Naturordnungslehre 
alles erledigt, was der allgemeinen Ordnungslehre auszuführen oblag, 
oder umgekehrt gesagt: die allgemeine Ordnungslehre war Vorarbeit 
für alles Spätere. In dieser Fassung besagt unsere Einsicht wohl noch 
mehr als in jener anderen. In dieser Fassung sagt sie uns nämlich unter 
anderem, daß eben sehr vieles von dem, was scheinbar die Aufgabe 
einer Raumlehre ist, in Strenge der Urs«ordnungslehre, vieles von dem, 
was scheinbar der Naturordnungslehre obliegt, in Strenge der Urord;» 
nungslehre oder der Raumlehre angehörte. 
Nachdem wir nun in diesem Schlußabschnitt unseres Werkes den 
Boden der Ordnungslehre wenigstens insofern verließen, als wir den 
Wunsch nach anderem aus der Lehre von der Ordnung selbst heraus 
laut werden ließen — ohne freilich im Einzelnen von »Erkenntnis«, ja 
auch nur von der Möglichkeit ihrer Gewinnung als solcher zu reden — 
wollen wir jetzt diesen Schlußabschnitt selbst beschließen mit einer 
Frage, welche sich an den soeben dargelegten Begriff der Vorarbeit des 
einen Teiles der Ordnungslehre für den anderen anschließt. 
Dürfen wir sagen, daß die ORONUNGslehre als Ganzes »Vorarbeit« 
für eine Lehre vom Wirklichen geliefert habe? Dürfen wir hoffen, 
daß Ordnungslehre, »Logik«, eine echte lohnende Vorarbeit für An:« 
deres, für »Metaphysik«, gewesen sei? 
Ich meine, eine solche Hoffnung ist uns in wenigstens vorläufiger 
Weise erlaubt, und zwar deshalb, weil, wenn wir den Blick schweifen 
lassen über alles das, was üblicherweise als »metaphysische«, als echt 
ERKENNTNismäßige Einsicht gilt oder gegolten hat, wir finden, daß von 
diesem überlieferungsmäßig Erkenntnismäßigen manches durch unsere 
Ordnungslehre geradezu erledigt oder wenigstens geklärt ist. Das so 
durch die Ordnungslehre als solche Erledigte oder Geklärte sei ja nun, 
wird man freilich sagen, eben weil es schon vor Inangriffnahme echter 
Metaphysik geklärt ist, gar kein echter Vorwurf der Wirklichkeitslehre 
475 
gewesen, jedenfalls nicht mit Rücksicht auf diejenige seiner Seiten, mit 
Bezug auf welche Klärung schon durch die Ordnungslehre erreicht 
wurde. Insofern zeigt unsere Bemerkung allerdings nur, wie vieles die 
Ordnungslehre von sich aus kann und wie vieles angeblich Meta* 
physische noch nicht »metaphysisch« ist. Aber eben diese Einsicht 
bedeutet denn doch, meine ich, gerade eine hohe Wertschätzung der 
Leistungsfähigkeit unserer Ordnungslehre überhaupt. Wenn man ihre 
eigensten Ergebnisse sogar oft schon, fälschlich, als metaphysisch 
nehmen konnte, so wird sie echter Metaphysik sicherlich in wohl be^* 
arbeiteter Form vorgesetzt haben, was weiter zu bedenken nun ihres 
Amtes ist. Das aber heißt Vorarbeit leisten. 
Wer sich lieber an bestimmte Sachverhalte als an diese unbestimmt« 
ten und vielleicht dunklen Allgemeinerwägungen hält, der denke an 
unsere Behandlung des ordnungsmonistischen Problems, welche in 
der Aufstellung eines Dualismus endigen mußte. Das metaphysische 
Problem der »Theodizee« war es, welches wir hier, aber als reines 
Ordnungsproblem, behandelten. Wer möchte nun zweifeln, daß das 
eine Vorarbeit bedeutet, welche der eine Grundteil der Philosophie 
dem anderen geleistet hat? 
Aber Vorarbeit für Metaphysik ist noch nicht diese selbst. 
Mit Unrecht hat man in der Tat oft für Metaphysik ausgegeben, 
was selbst noch Bestandteil der Ordnungslehre war. Denn die Ord** 
nungslehre birgt großen Reichtum in sich selbst. Sehr vieles an meta* 
physischen Versuchen, ja oft ganze metaphysische Systeme sind aber 
nichts als ausgebaute Entwürfe einer Ordnungslehre gewesen, nichts 
als gewisse Aussagen über die Bedingungen von Endgültigkeit für 
das Ordnung schauende Ich, nichts als ein Beieinander von leeren 
»Kategorien«. 
Wenn anders Erkenntnis überhaupt möglich ist, so müssen also die 
Ergebnisse der Ordnungslehre in ihrer Gesamtheit als Vorarbeit für 
sie betrachtet werden, aber nicht als mehr; nur dann wird der Fehler 
vermieden, unter dem falschen Namen einer »Metaphysik« der Ord* 
nungslehre bloß einen neuen Abschnitt anzugliedern oder aber leere 
Worte für Metaphysik auszugeben. 
Darzulegen aber, was denn nun wirklich ein Zur^ERKENNTNis* 
Kommen, ein Aus*der*Ordnungslehre*Herauskommen bedeutet — das 
ist nicht mehr dieses Werkes Aufgabe. 
476 
REGISTER 
Absolut, s. Metaphysik 
Abstraktion 63 
Ach 337, 339 
Ästhetik 2, 4, 25, 434, 454 fF. 
Äther 235, 273fF., 281 
Akt 31, 327f., 351, 451 
Allgemein 43, 57. 61, 240 
Allgemeingültig 2fr., 22f., 214 
Alogisch 55 
»Als ob« 34, 150ff. 
Anderes 51 f. 
Annahme 95 
Anpassung 289f., 298, 301 f. 
Anschauung 127ff., 130flf. 
Antezipiertes Schema 35, 39, 104, 139, 
151, 182 f., 196 ff., 339, 341, 386, 448 
Antinomie, eleatische 249, 253 
Antinomie, kantische 283 f. 
Apelt 36, 216 
Apriori 77, 132, 179. 234, 449 
Arbeit 226 f., 260 
Aristoteles 9, 89, 118, 175, 181, 241, 312, 
327, 332, 380, 435, 455 
Assoziation 334 ff., 359 
Atom 244 ff., 253 
Aufmerksamkeit 352 f. 
Augustinus 19, 434 
Auslösung s. Reiz 
Automatie 399 ff., 404 
AVENARIUS 12 
Axiom 108 ff. 
AzAM 405 
Baader 430 
Baer 446 
Baumgarten, Alex 454 
Baumgarten, Arthur 436 
Becher, E. 277, 308, 362, 366. 372, 422, 441 
Bedingung 194 f. 
Begriff 29 f., 42 ff. 
Begriffsrealismus 141 
Begründung 57, 63, 71 
Beharrlich 149, 153, 191, 222, 225ff.. 
311 ff., 343 
Bekanntheitsqualität 53 
Beneke 362 
Bereitschaft, s, Disposition 
Bergmann, H. 61, 64, 112. 125. 127 
Bergmann. I. 61, 64 
Bergson 6, 10, 45, 60. 110, 117. 152, 325, 
327, 345, 349, 358, 363, 390f. 
Berkeley 44 
Beschleunigung 223 
Bewegung 154, 217ff., 233f., 248f. 
Bewegung, absolute 217 f. 
Bewußtsein 352, 387 
Bewußtsein, sittliches 423 ff., 473 f. 
Bewußtseinslage 337 f. 
Bewußtseinsspaltung 355, 394, 404 ff., 410 
Beziehlichkeit 96 ff. 
Beziehung 49ff., 313 
BiNET 400, 402 f., 406 
Biologie 165 
Böse 423 ff., 434 ff. 
BOLTZMANN 253, 279 
BoLZANo42, 97, 112 
BONOLA 125 
BOSANQUET 36 
BoscoviCH 271 
Bradley 6, 51 
Breysig 184, 440 
Bruch 111 ff. 
Buckle 440 
Bühler 320, 340, 385 f. 
Bütschli 192 
Busse, L. 208. 
Busse, Paula 362 
Cantor 112f. 
Carnap 239 
Cassirer 109 
Chatelier, Le 306 
Chemie 244 
Clapeyron 252 
Cohen 253 
COHN, I. 106 
Cornelius, H. 162 f. 
CouTURAT 59, 106, 127, 283 
Crawford 414 
CrosssCorrespondence 416 
477 
Damals^Tönung 146ff., 151, 316f. 
Darwin 308 
Dasein 40 ff. 
Dedekind 114 
Definition 61. 83, 89. 186 
Demokrit 266 
Denken 102, 341. 350 
Denken der Tiere 341 
Descartes 20. 165, 248, 268, 302. 379 
Deszendenztheorie 308 
Determinierende Tendenz 337 f., 384 
Dialektische Methode 33 f.. 36, 51 
Dichtigkeit (der Zahlenreihe) 113 f. 
Differentialgleichungen 251 ff. 
Differentialrechnung 112, 115, 129 
Ding 161 ff., 172, 214f. 240ff., 367 
Dingler 104, 218, 237, 267, 278, 368 
Diskursiv 351 
Disposition (psychol.) 332 
Dramatisierung (im Traum usw.) 394, 398 
»Du« 365, 371 ff. 
Dualismus 446 ff., 459 
DüHRiNG 50, 192, 223 
Duhem 223 
DuNS 353 
Ebbinghaus 356 
Egoismus 425 
Eigenschaft 215ff..240ff 
Eigenschaft, »sekundäre« 243, 246 
Eindeutigkeit 50, 168, 310f. 
Einfühlung 365, 371 
Einheit 305 f., 308, 423, 428 
Einstein 168, 234ff. 
Einschluß (von Begriffen) s. Mitsetzen 
Einzelheitskausalität 204ff., 216ff., 295 
Einzigkeit 44, 58 ff. 
Eisler 431 
Elektron 244 ff., 273 ff. 
Embryologie 290, 293, 301, 309, 412 
Empfindung 320, 358 
Empirie 86, 466 
Endgültigkeit 5. 22, 35, 42, 54, 86 f., 95. 214 
Endlichkeit der Welt 280 ff. 
Energie, Energetik 256 ff., 278 f.. 282 
Energie, potentielle 228 f. 
Energie, spezifische Sinnes* 357 
Energie, Zerstreuung der 259. 279, 282 f. 
478 ^ ^^ft''^ 
>Entelechie 290 ff., 298 ff., 3 10 ff., 349 f., 
360f., 418 
Enriques 123, 223 
Entwicklung (logisch) 62, 186; s. auch 
unentwickelter Begriff 
Entwicklung (sachlich, »Evolution«) 
289 ff. 303 f., 428 ff., 438 ff., 443 f. 
Entwicklung, Kriterien von 298 ff., 301, 
307 
Epigenesis 200 
Erdmann, B. 67 
Erfahrung 26. 34. 86. 466 
Erfüllung 139 
Erhardt 283 
Erinnerung, Erinnerungsgewißheit 318, 
331, 343 
Erkenntnis If., 25 f., 159. 374ff.. 450f., 
470 ff 
Erledigung 33, 35, 42, 53 ff.. 95, 155, 324ff. 
390 
Erscheinung 367 
Ethik 2, 4, 25, 433 f. 
Euklid 126 ff.. 131 ff., 166f., 234ff. 
Evidenz 140 
Existentialurteil 41 
Experiment 193 
Faraday 274f., 281 
Farbe 92 ff. 
Farbengeometrie 94 
Fechner 358 
Fernwirkung 230 
Forderung 7 f. 
Freiheit 36, 434 
Freud 350, 395, 401 
Fries 34, 203 
Frischeisen?Köhler 237 
früher (später) als 146 ff. 
Fühlen, s. Gefühl 
Funktion, mathem. 111, 115 f. 
Funktion, psychol. 328 f. 
Galilei 220, 256 
Ganzheit 89f., 170, 209f., 285ff.. 305ff, 
308, 342, 347 ff. 372. 423 
Ganzheit, überpersönliche 305 ff., 422 ff., 
428 
Ganzheitskausalität 208 ff., 285 ff., 295 ff. 
Gedächtnis 3 19, 325 ff., 345 f., 362, 364, 393 
Gedächtnismaterial 345, 393, 405, 411 
Gedanke 321 f. 
Gedankenlesen 415, 419 
Gefüge (System) 9, 97, 103, 135, 184ff., 
245, 331, 462 ff. 
Gefüge der Wissenschaften 463 ff. 
Gefühl 320, 322, 351, 369 ff. 
Gegebenes 54ff., 139, 230 
Gegensatz 93 
Gegenstand, Gegenstandslehre 24, 42, 
134 ff. 
Gegenstand, unmittelbarer 38, 91 f., 138, 
151, 155ff. 
Gegenstand, mittelbarer 150 ff, 
Gegenstand, unmöglicher 47 ff., 71 
Gegenwirkung, s. Wechselwirkung 
Gehirn, s. Hirn 
Geiger 388 
Gelten 157 f. 
Geologie 289 
Geometrie 129 f. 
Geometrie,nichteuklidischejl26fiF.,237ff., 
255 
Gerade 125 
Gerechtigkeit 437 f. 
Geschehen, Satz vom, 256 ff., 279 
Geschichte 310, 422ff., 438ff. 
Geschwindigkeit 219 
Gesetz 173 ff. 
Gesetz der Geschichte, 440 f. 
Gesetz der Natur, s. Naturgesetz 
Gestaltreiz 358, 366 
Gewissen 424 
Gewohnheitserfahrung, s. Empirie 
GiRGENSOHN 351 
Gleich 59, 111 
Gleichgewicht 196, 233 
Gleichung 111 
Gleichung der Physik 251 ff. 
Glied (Relat) 50, 97 f., 313 
Goldschmidt, V. 306 
Gottesstaat 434 ff. 
Grad, s. Stärke 
Grad der Mannigfaltigkeit 136, 199 ff. 
Gravitation 230 f., 237 
Größe 84, 117 
Grünbaum 342, 349 
GrundsFolge, s. Mitsetzen 
Grunewald 413 f. 
Gut 423 f., 449 
GuYAu 438 
Haas 349 f. 
Häufung (»Kumulation«) 289 f., 307, 
438 ff. 
Halluzination 389, 404 
Handlung 360 
Harmonie der Berufe 423 
Harmonie der Natur 306 
Harmonie (organische) 300, 446 
Harmonielehre 94 
Harms, G. 442 
Hartmann, E.v., 6, 10, 33, 120, 218, 264", 
271, 281, 283, 302, 388, 438 
Hartmann, N. 425 
Hegel 9, 33ff., 51, 67, lll,423f. 
Hellpach 388 
Hellsehen 363. 413 ff., 418 
Helm 248, 258 
Henderson 306 
Herschel 280 
Hertz, H. 234, 252, 266 
Heterogonie der Zwecke 423, 437 
Heyde 442 
Heymans 9, 106, 218 
Heyse211 
HiLBERT 109, 120 
Hirn 361 f. 
HoDGsoN 413, 415 
HöFFDiNG 53, 97, 324, 340 
Höfler 167, 218 
HÖNIGSWALD 30, 237 
HössLiN 365 
HuME 177, 180, 193 
HussERL 6, 64, 91, 96, 140, 213, 318, 321 
Hypnose, 390, 395 ff.. 404 
Hypothese 95, 175 
Jaensch 362 
James 406, 413. 415. 417 
Janet355, 405, 407, 411 
Jaspers 158, 322, 346, 362, 373 
Ich 19f., 388ff., 410ff. 
Ich, »anderes«, siehe »Du« 
Idealismus, s. Solipsismus 
Identität, s. Selbigkeit 
479 
Jellinek, G. 436 
Jellinek, K. 278 
Jennings 384 f. 
Jetzt 317, 326 
Individualität (Kategorie), siehe Ganz? 
heit 
Induktion 73 ff., 187 f. 
Infinitesimal 253 
Immanent 22 
Imperativ, Kategorischer 425 fF. 
Inhalt (eines Begriffs) 56ff., 60ff. 
Instinkt 365, 386, 424 ff. 
Intensität, s. Stärke 
Intention 95, 157, 327 f. 
Intrapsychische Reihe 363 
Introjektion 374 f. 
Intuition 351 
Invariante 226, 236 
Irrationale Zahl 112 f. 
Irrtum 174 f., 369, 378 
Kant 2, 9, 22, 24, 30, 32 f., 36. 39, 78, 87, 
108 f., 119, 128, 130f., 161, 163, 167 f., 
171, 179, 191, 211 ff., 243, 264, 268, 271, 
283 f., 293f., 309f., 329f., 379ff., 425 ft., 
454ff. 
Kategorie 9, 211 ff., 293f., 377 f. 
Kausalität 171, 190ff., 211 f., 286 
Kelvin 248. 268 
Kerler 210 
Klasse 58 ff.. 109 f., 331 
Klasseninduktion 173 f. 
Koehler, W. 305, 385 
KoFFKA 329, 337 ff. 
Komplexergänzung 339 f. 
Konstante 242 f., 258, 306 
Konstellation (psych.) 337 ff. 
Konstitutiv 293 f. 
KrafftsEbing 397 
Kraft 222 ff. 
Kraftstrahl 231, 274f., 281 
Kraus 237 
Kries, V. 339 
Kronecker HO 
Krüger 294, 352 
KüLPE 6, 320 
Kulturphilosophie 422 ff. 
Kumulation, s. Häufung 
480 
Kunst 454 ft. 
Ladd 6 
Lamarck 308 
Lamprecht 184, 440 
Lask 6 
Lasswitz 264 
Latente Einstellung 337 f. 
Leben 304 
Leib 94, 354ff. 
Leibniz 60. 65, 217, 218. 281 
Lenard 218. 237. 278 
Lenz 306 
Liebe 426 f. 
Liebmann 6, 9 
Linke 218 
Lipps. Th. 7. 371 
Litt 439 
Locke 90, 165. 183. 243. 246, 379 
Logik, s. Ordnungslehre 
Logistik 10, 59 
Lokalzeichen 94, 355 
Lorentz 235 f. 
LossKij 10, 67 
LoTZE 67, 69, 133, 156, 216, 229, 251, 305, 
355 
Lust (Unlust) 94 ff.. 370 
Mach 10. 12. 180. 223 
Maier H. 67 
Malebranche 197 
Mally 118 
it Mannigfaltigkeit 65. 135ff., 165, 199f., 
215, 350, 360 
Marbe 279, 337 f. 
Maschine 288, 290 f.. 299. 307 
Masse 229 
Masse, scheinbare 229. 275 ff. 
Materialisation 413 f.. 418 
Materie. Materientheorie 264 ff.. 278 f.. 
447 
Mathematik 106ff.. 167 
Mathematische Naturwissenschaft 251 ff. 
Maxwell 252. 280 
Mayer. R. 261 f. 
Mechanik 217 ff. 
Medium 401 
Mehr 108 ff. 
»Mein Leib«, s. Leib 
Meinen 150ff., 163, 424. 450 
Meinong 10, 24, 47fF., 80. 151 
Menge 117 
Mengenlehre 112 
Merkmal 61, 215 
Messer 117 f., 
Metageometrie 126 fr., 237 f. 
Metaphysik Iff.. 22, 25 f., 135, 283. 304, 
311, 367, 375, 379, 381f., 412. 414, 416, 
419, 423, 434, 447, 450, 470fr. 
Methode 32 fr. 
Meyerson 192 
MiLL, I. A. 162 r., 177, 193 
Mitrühlen (Mitleid) 426 
Mitsetzen 56fr., 60fr., 212 
Möglich 79 f. 
Molekül 243 fr., 273 
Monakow 362 
MosKiEwicz 339 
Müller, G. E. 345 
Musik 452 fr. 
Myers 414 
Nachahmen 365 
Nachdenken 323 
Natorp9, 106, 111,223 
Natur 149fr., 155 ff., 354, 471 f. 
Naturdata, letzte 156 ff., 330 
Naturganzheit 305 ff. 
Naturgesetz 173 ff., 193 
Naturklasse 165 
Naturkriterien 158 r. 
Naturmöglichkeit 179 ff. 
Naturphilosophie 465 
Naturraum 166, 234 ff., 280 ff. 
Naturrecht 436. 
Natursetzung 164 f. 
Naturwerden, Urformen des 197ff. 
Naturwissenschaft 266, 465 
Naturzeit 166, 234 ff. 
Neben s. Raum 
Nebenbewußtsein 399 ff.. 404, 410 f. 
Nein 8, 70 
Nernst 251 
Newton 223 ff., 230ff., 256, 277 f., 281, 306 
Nicht 45 ff. 
Nietzsche 231, 458 
Noesis (und Noema) 140 
31 Driesch, Ordnungslehre 
Nominalismus 90, 183 
Norm 4 f., 368 f. 
Notwendig 57. 63. 71, 79f. 
Objekt s. Gegenstand 
Oesterreich 398, 409, 413 
Okkasionalismus 197 
Okkultismus s. Parapsychologie 
Ordnung, Ordnungslehre Iff., 20ff., 
25, 36, 83ff., 90, 266, 341, 381, 447ff., 
464 
<^Ordnungsmonistisches Ideal 39 f., 54, 83, 
169, 328, 446, 476 
Organismus 188 f., 286ff., 300ff. 
Ostwald 24, 232, 244, 255, 263 
Parallel 100, 121, 124ff., 127 
Parallelismus, psychophysischer 359 f., 
362, 370 
Parapsychologie 412 ff. 
Peano 109 
Perseveration 333, 343 
Peter 407 
Peters 342 
Pflicht, 427 ff. 
Pflicht, Konflikte der 435 
Pfordten, V. D. 133 
Phänomenologie 91, 319, 321 
Philosophie 1, 16ff. 
Phylogenie 307 ff. 
Physik 299ff., 241 ff., 273ff. 
PiCHLER 190, 192 
Planck 277, 279 
Platon 141 f. 
Plotin 455. . 
Poincare 106, 112, 223, 275. 
Posthypnotische Suggestion 400 ff., 404 
Potential 231 
Pragmatismus 178 
Prince, M. 401, 405, 408 
Prince, W. 405 
Prophetie 414 
Prototyp, ontologisches 219. 256 
Psychical Research, s. Society of 
^Psychoid 360f., 370, 419 
Psychologie 5ff., 22, 34, 149, 316ff., 348. 
472 f. 
Psychologie, letzte Data der 330 f. 
Psychologie, Materialien der 318 ff. 
481 
Psychologie, VerknüpfungsbegrifFe der 
328 ff. 
Psychologie, »verstehende« 373, 440 
Psychologismus 8 
Psychophysik 320, 333, 356 ff. 
Qualitäten (primäre und sekundäre) 243, 
246, 367 
Quantentheorie 277 
Quantifikation des Prädikats 67 
Rationalismus 192 
Raum 118ff., 153. 239 
Raum, absoluter 166 
Realismus (platonischer) 141 f. 
Recht 436 ff. 
Reflektierende Urteilskraft 309 f. 
Reflexionsbegriffe 211 
Regulation 298 f. 
Rehmke 10, 19, 23, 43, 216, 241, 424, 429, 
436 
Reihe 98 ff. 
Reihe der Zahlen 107 
Reiz 195. 361 
Relativitätsprinzip 168, 218, 234 ff. 
Reproduktion 332 f.. 344 
Restitution 298. 301 
Retention 332 
RiBOT 406 
Richtigkeit 2ff.. 26f. 
Richtung 120 f.. 123 
RiCKERT 6 f., 422 
RiEHL 6, 67, 134, 192 
RiEMANN 136 
Ritz 235, 272. 274, 277 • 
Roux 300 
Royce 6, 24 
Russell 10, 49, 51, 59. 97. 106. 109. 118. 
197 
Sachganzheit 285 ff. 
Sahulka 278 
Scheler 355. 361. 371 f.. 425 ff.. 437 
SCHELLING 455 
Schiller 407 f. 
Schlick 381 
Schluß 64ff., 79 
Schmidt, K. H. 52, 97, 106 
Schön 454 ff. 
Schönherr 237 
482 
Schöpfung 138, 206f 
Schopenhauer 45, 133, 212, 426, 432, 
437f., 455, 457f. 
SchrencksNotzing 413 f. 
Schultz, I. 237. 264 
ScHULZEsSoELDE 436 
Seele 148, 345ff.. 368. 387, 391, 410ff., 
449ff. 
Seele, Entwicklung der 352 
Seele, Organisation der 347 ff., 364 ff., 
374ff 
Seele, tierische 383 ff. 
Sein 39 f. 
Seinskreiszeichen 95 f., 150, 163 
Selbigkeit 41. 60 
Selbst 147f., 151, 316f. 
Selbstbesinnung Iff., 25, 33 
Selz 337, 339ff., 385 
Setzung 27 ff., 42 f. 
Sigwart 68 
Sinn (^Bedeutung) 321 
Sittlichkeit (sittliches Bewußtsein) 423 ff., 
473 f. 
Society for Psychical Research 413 
Sokrates 431 
Solchheit, Sosein (Qualität) 49, 51 f., 88ff., 
320 
Solchheit. reine 92 ff. 
Solchheit, reine und Zahl 117 f. 
Solipsismus 2 ff., 23, 470 
Somnambulismus, s. Automatismus 
Soseinsgruppe 57, 81, 92f., 105, 134 
Souvenir pur 345, 384 
Soviel 49 
Soziales 443 
Spaltbewußtsein, s. Bewußtseinsspaltung 
Sparsamkeit, Grundsatz der 11, 36, 84. 
122. 132, 462f. 
Spengler 440 
Spiegelbild 128 f. 
Spinoza 359. 370 
Spir 192 
Spiritismus 212, 416 f. 
Spranger 321, 349 
Staat 435 ff. 
Stärke (Intensität) 92, 117, 356 
Stahl, F. J. 33 
Stallo 231 
Staudenmaier 398, 409 
Stetigkeit 111 ff., 117, 148,216 
Stetigkeit des Raumes 122 
Stimmungskunst 457 ff. 
Stoa 424 f. 
Stöhr 269 
Störring 411 
Stoß 230 
Strafe 437 f. 
Stumpf 247 
Subjekt 368ff. 
Subjektiv 243, 246. 265 
Substanz 217, 226, 311 ff. 
Syllogismus 65 ff., 70f., 103 
System, s. Gefüge 
Taine 440 
Tatsache 171 f., 175 f. 
Teleologie 293 f., 304 
Telepathie 414ff. 
Terminsuggestion, s. posthypnotische 
Thomas 353 
Tiefe 358 
Tischner 413, 419 
Tönnies 436 
Tönung 94 ff., 320 
Trägheit 220, 229, 249 f., 259 
Transitiv 65, 98 f. 
Traum 392 ff.. 403 
Trendelenburg 33 
Trieb 353 
Tugend 431 f. 
Übung 342 f., 358 
Umfang 60ff. 
Unbelebtes Universum 305 ff. 
Unbemerkt 388 ff. 
Unbewußt 333, 388 ff. 
Unterbewußt 399 ff., 404, 410 ff. 
Und 106 
Unendlich 111 ff., 121 
Unentwickelter entwickelbarer Begriff 
62, 75, 81, 93, 103, 133f., 170, 186f. 
Untrennbarkeit 104 ff. 
Urding, s. Materie und Atom 
Ursachverhalt 18ff. 
Ursächlichkeit, s. Kausalität 
Ursetzungen 39ff., 85 ff., 164f.. 331 
31* 
Urteil 31, 41, 79, 85ff, 324 
Urteil, auflösendes (analytisches) 70 ff. 
Urteil, begriffschaffendes (synthetisches) 
73 ff.. 85 
Urteil, disjunktives 69 f.. 93, 134 
Urteile, Einteilung der 67 ff. 
Urteil, entwickeltes 66 ff., 85 
Urteil, konjunktives 69, 71 
Urteil, negatives 70 
Urteil, partikuläres 68 f. 
Urteil, synthetisches apriori 9, 86 f., 108f., 
132 ff., 179, 213 
Urwissen 20 
Vaihinger 34, 150, 191 
Veränderung 239 ff. 
Veränderung, »eine« 246 ff. 
Veranlassung, s. Reiz 
Vergeltung 437 
Vergessen 389 f. 
Verifikation 175, 187 f. 
Vernunft 4 
Verschieden 52 
Verstand 4, 353 
Verträglichkeit 81. 104 ff., 189 
Vico 440 
Vielleicht 95, 174f. 
Vitalismus 300ff., 360, 418 
Volkelt, H. 386 
Volkelt, J. 30, 163, 350, 365. 372, 388, 454 
Volkmann 167, 218, 223 
Voraussagbarkeit 3 10 f. 
Vorstellung 42 ff., 322 
Vorwissen, s. Urwissen 
Wahnsinn 361 f., 374 
Wahrheit 2 ff., 25 ff. 
Wahrnehmung 322, 333. 353, 356f.. 390 
Wahrscheinlichkeit 279 
Wallis 125 
Ward 264 
Wasielewski 413 
Wasmann 365 
Watt 339 
Weber, W. 272 
Webersches Gesetz 358 
Wechselbewußtsein 394 ff., 404 
Wechselwirkung 224 f. 
Wechselwirkung, psychophysische 360 f. 
483 
Weismann 291 
Werden 149, 153 
Werdens, Urformen des 197 fif. 
Werden, Urformen des Raumwerdens 
250 f. 
Werdegrund, Werdefolge, s. Kausalität 
Wert 23, 442 ff. 
Wesen 90ff., 181 f. 
Wesentlich 91. 455flF. 
Widerspruch 46, 87, 93 
Wiedererkennen 387 
Wiederhold 442 
Wille (Wollen) 322 f.. 353 
WiLKE 210f. 
Windelband 6, 67, 266, 422, 431, 434 
Wirklichkeitslehre, s. Metaphysik 
Wissen 16 
Wissenschaft 16 f., 463 
Wissenschaft, System der 53 
Witte 274 
Wolf, Chr. 9, 24 
WuNDT 6, 67, 136, 192, 283 
Zählen 107 f., 117 
Zahl 106ff. 
Zerstreuung der Energie, s. Energie 
Zeit 146f., 148, 153, 166, 316. 326 
Ziehen 112 
Zufall 82. 181, 446f., 459 
Zweckmäßig, s. Teleologie 
Zwei 50. 106 ff. 
484 
INHALT 
EINLEITUNG UND VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE 1 
VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE 13 
A. DIE ORDNUNGSLEHRE ALS ERSTER TEIL DER PHI. 
LOSOFHIE 15 
1. Die Philosophie 16 
a. Definition 16 
b. Die Sprache als Hemmnis 17 
2. Der Ursachverhalt 18 
3. Der Begriff »Ordnung«. Die Ordnungslehre .. 20 
4. »Wahrheit« und Richtigkeit 25 
5. Vom Urmittel der Ordnungslehre 27 
6. Vom Wege der Ordnungslehre 31 
B. ALLGEMEINE ORDNUNGSLEHRE 37 
L DIE URSETZUNGEN 39 
1. Sein 39 
2. Dasein 40 
3. »Vorstellung« und »Begriff« 42 
4. »Nicht^A« 45 
a. Die Sätze vom Nicht*»A 45 
b. Beurteilung anderer Auffassungen des Nichts«A 46 
c. Gibt es »unmögliche Gegenstände«? 47 
5. Beziehung, Soviel und Sosein 49 
a. Beziehung 50 
b. Das Andere. Sosein 51 
c. Allgemeine Erwägungen 52 
6. Erledigung 53 
7. Das Gegebene 54 
8. Der Inhaltseinschluß; das »Mitsetzen« 56 
9. Klasse und Einzigkeit 58 
10. Einige Besonderheiten der Lehre vom Mitsetzen 60 
a. Inhalt und Umfang 60 
b. Die Urform des Schlusses und die beiden Grundsätze über 
Schlüsse 64 
c. Der erweiterte Schluß 65 
d. Das entwickelte Urteil 66 
a. Das reine entwickelte Urteil 67 
ß. Zur üblichen Urteilslehre 67 
y. Das auflösende Urteil 70 
d. Reine Natursetzungen in Urteilsform 72 
e. Das begriffsschaffende Urteil 73 
C. Vorläufiges über »Apriori« und »Aposteriori« 77 
??. Zusammenfassung 78 
e. Die Begriffe »notwendig« und »möglich« 79 
f. Die Frage nach der alle »möglichen« Setzungen mitsetzen*» 
den Setzung im Rahmen der allgemeinen Ordnungslehre 80 
11. Die Ordnungsgesamtheit der Ur:«Ordnungssetzungen 83 
a. Die Ursetzungen als Umgrenzung der Setzung »Ordnung« 83 
b. Die Ursetzungen in Form entwickelter Urteile 85 
II. DIE LEHRE VOM SOSEIN 88 
1. Ganzes und Teil 89 
2. Das »Wesen« 90 
3. Reine Solchheit 92 
4. Tönungen 94 
5. Beziehlichkeit 96 
a. Allgemeines 96 
b. Einige Beispiele von Reihen und Verwandtem 98 
c. Vom ordnungsmäßigen Wesen des Begriffs »Beziehlichkeit« 101 
d. Untrennbarkeit und Verträglichkeit im allgemeinsten Sinn 104 
6. Von der Zahl 106 
a. Grundlegendes 106 
b. Abgeleitetes 110 
c. Das Unendliche und das Stetige 111 
d. Zahl und reine Solchheit 117 
7. Von der Räumlichkeit 118 
a. Das Sosein des Räumlichen 120 
b. Die Forderungen über Räumliches 122 
a. Stetigkeit 122 
^. Der Satz von der Geraden 123 
y. Der Satz von der einen Parallele 124 
d. Der Satz von der Spiegelbildlichkeit 128 
c. Von der »Geometrie« 129 
d. Zur Kantischen Raumlehre 130 
e. Der unentwickelte entwickelbare Begriff 133 
8. Von der Mannigfaltigkeit und ihrem Grade 135 
9. Rückblick und Allgemeinbetrachtungen zur allgemeinen Ord*» 
nungslehre 138 
C. DIE LEHRE VON DER ORDNUNG DES NATUR. 
WIRKLICHEN 145 
I. ALLGEMEINE NATURORDNUNGSLEHRE 146 
1. Der Aufbau des Begriffs Natur 146 
a. Die Damals^Tönung 146 
b. Mein Selbst 147 
c. Die »Zeit« 148 
d. Die Seele 148 
e. Beharrlichkeit und Werden 149 
f. Der Begriff Natur 149 
2. Der mittelbare gemeinte Gegenstand 150 
3. Beharrlichkeit und Werden als mittelbare Gegenstände .. .. 153 
4. Natur als mittelbarer Gegenstand 155 
a. Noch einmal der Begriff Natur 155 
b. Die letzten Naturdata 156 
c. Das Kriterium der Naturbezogenheit 158 
d. Das Naturding 161 
5. Die allgemeinsten Leistungen der Naturordnungslehre 164 
a. Die Übertragung der Urbedeutungen 164 
b. Naturzeit und Naturraum 166 
c. Natur und Mathematik 167 
d. Eindeutige Bestimmtheit 168 
6. Das ordnungsmonistische Ideal und sein Ersatz 169 
7. Die »Tatsache« 171 
8. Die Klasseninduktion. Das Gesetz 173 
a. Grundlegendes 173 
b. Die »Gültigkeit« von Gesetzen 174 
c. Das Naturmögliche 179 
d. Das Wesen des Naturhaften 181 
9. Die Systematik . .. 184 
a. Das Stufengefüge 184 
b. Zur Lehre von der Umgrenzung der Begriffe 186 
c. Das entwickelbare Gefüge 186 
d. Ist das Gefüge der Organismen als Ganzes entwickele 
bar? 188 
10. Die Kausalität 190 
a. Grundlegendes 190 
b. Kausale Gesetze 192 
c. Kausalitätsschematik 194 
11. Die Urformen des Naturwerdens 197 
a. Der Begriff »ein Werden« 197 
b. Vom Urgrundsatz der Lehre vom Naturwerden 199 
c. Von der Einzelheitskausalität? 204 
d. Von den räumlich unerfüllbaren Formen der Kausalität .. 206 
a. Von der Dingschöpfung 206 
/9. Von der Veränderungsschöpfung 207 
y. Von der Ganzheitskausalität? 208 
e. Vom Begriff der »Kategorie« 211 
12. Die Arten der Dinge 214 
II. DIE BESONDEREN ORDNUNGSSETZUNGEN DER LEHRE VON 
DER EINZELHEITSKAUSALITÄT . .. 216 
1. Allgemeines 216 
2. Von der Bewegungsverknüpfung 217 
a. Der Begriff Bewegung 217 
b. Das Wesen von Bewegung 218 
a. Das Bewegte 218 
ß. Die Bewegungsursache 221 
y. Die »Wechselwirkung« 224 
^. Die Erhaltungssätze 225 
c. Die Erfüllung der Ordnungssätze der Bewegungslehre . .. 229 
d. Das »Gleichgewicht« 233 
e. Die Gesamtheit der Setzungen der Bewegungslehre 233 
f. Die »Relativitätstheorie« 234 
3. Von der Verknüpfung der Veränderungen im Raum über:« 
haupt 239 
a. Dinge und Eigenschaften 240 
b. Der Begriff »eine Veränderung« 246 
c. Die Formen des Werdens im Raum 250 
d. Die Gleichungen der mathematischen Naturwissenschaft 251 
e. Die beiden Ordnungssätze der Lehre von der Verändes= 
rungsverknüpfung 255 
a. Der »Satz des Geschehens« 256 
ß. Der Satz von der Erhaltung des Ursächlichkeitsbes* 
träges 260 
y. Ostwald's »Satz des größten Umsatzes« 263 
f. Ungelöste Aufgaben 263 
4. Die Lehre von der Urdinglichkeit 264 
a. Die Aufgabe 264 
b. Das Ungenügen einer Lehre von der Stetigkeit des Ur* 
dinghaften 267 
c. Die Lehre vom unstetigen Urdinghaften 269 
d. Die Erfüllung der Lehre von den Urdingen 273 
e. Die Leistungen der Urding:»Lehre 278 
5. Die Gesamtheit des Dinglichen 280 
a. Endlichkeit oder Unendlichkeit der dinghaften Natur .. .. 280 
b. Über die sogenannten »Antinomien« Kant's 283 
,( III. NATURGANZHEIT UND GANZHEITSKAUSALITÄT 285 
L Naturganzheit 285 
2. Häufung und Entwicklung 289 
3. Entwicklung 292 
a. Begriffsschematik 292 
b. Die »Teleologie« 293 
4. Die Kriterien für bestehende Ganzheitskausalität 294 
a. Noch einmal Ganzheitskausalität 295 
b. Die Kriterien 298 
5. Die Erfüllung des Begriffs Ganzheitskausalität 300 
a. Das organische Individuum 300 
a. Die Beweise des Vitalismus 300 
/ö. Die vitale Leistung 302 
y. Das Entwicklungssubstrat 303 
b. Allgemeinerwägungen .. 304 
b. Das unbelebte Universum 305 
a. Einheit 305 
ß, Ganzheit 306 
7. Entwicklung 307 
c. Die Gesamtheit des Lebendigen (»Phylogenie«) 307 
a. Einheit und Ganzheit 308 
ß. Entwicklung 308 
d. Zwischenbetrachtung: »Reflektierende Urteilskraft« 309 
e. Von der Unvoraussagbarkeit überpersönlichen Geschehens 310 
f. Das Beharrliche im Rahmen der Ganzheitskausalität 311 
D. DIE LEHRE VON DER ORDNUNG DER ERLEBTHEIT 315 
(LOGIK DES SEELISCHEN) 
1. Die Aufgabe 316 
2. Materiahenlehre 318 
a. Elementarlehre 319 
b. Komplexlehre 321 
c. Das phänomenologische Gedächtnis 325 
d. Der Träger 327 
e. Abgelehnte Begriffe 327 
3. Verknüpfungslehre 382 
a. Verknüpfungsbegriffe erster Stufe 332 
a. Allgemeinstes 332 
/5. Perseveration und Assoziation 333 
y. Konstellation 337 
b. Einschränkende und totalisierende Faktoren 337 
E. Übung 342 
^. Abschluß . .. 343 
b. Die Konstanzbegriffe erster Stufe 343 
c. Die psychologischen Ordnungsbegriffe der höchsten Stufe 346 
a. Die Seele 346 
ß. Ihre Organisation 347 
y. Ihre Entwicklung 352 
(5. Abgelehnte Begriffe 352 
4. »Mein Leib« 354 
5. Psychophysik 356 
a. Probleme 356 
b. Die Lehre vom Parallelismus und ihre Kritik 359 
c. Die Rolle des Hirns 361 
d. Noch einmal: die Organisation der Seele 364 
e. Der Irrtum 369 
f. Die Gefühle 369 
6. Das »andere« Ich 371 
7. »Erkenntnistheorie« im psychologischen Gewände 374 
a. Unbefangene Form 374 
b. Kantianisierende Form 376 
c. Die Entscheidung .. 379 
d. Über »Erkenntnistheorie« überhaupt 381 
8. Das nicht^menschliche Seelische 383 
9. Modifikationen des Seelenlebens 388 
a. Der Begriff »unbemerkt« 388 
b. Der Traum 392 
c. Die Hypnose 395 
a. Die reine Hypnose 396 
ß. Die Suggestionshypnose 397 
d. Der Automatismus 401 
e. Rückblick 403 
f. Die echte »Bewußtseinsspaltung« 405 
g. Begriffliches 410 
h. Das Eine und das Viele 412 
i. »Parapsychologie« 412 
E. DIE ORDNUNGSFORMEN DES GEISTIGEN 421 
(»KULTURPHILOSOPHIE«) 
1. Die Aufgabe 422 
2. Einheits«« und Ganzheitszeichen 423 
a. Das sittliche Bewußtsein (»Ethik«) 423 
a. Die Setzung »gut« 423 
/^. Liebe und Pflicht 426 
y. Das sittliche Bewußtsein als Einheits^ und Ganzheits^ 
zeichen 428 
S. Tugend und Wissen 431 
e. Die »Ethik« .. 433 
b. Der »Gottesstaat« und seine Trübungen 434 
a. Das Böse 434 
ß. Der empirische Einzelstaat und das Recht 435 
y. Die Strafe und die Gerechtigkeit 437 
3. Das Entwicklungsproblem (»Geschichtsphilosophie«) 438 
a. Häufung und Entwicklung 438 
b. Der Maßstab für geschichtliche Entwicklung. (Der »Wert«) 442 
c. Die Entscheidung 443 
F. ABSCHLUSS DER ORDNUNGSLEHRE 445 
1. Der Dualismus 446 
2. Vom Schichtenbau der Ordnungszeichen .447 
G. DAS SCHÖNE 453 
1. Die Setzung schön 454 
2. Die Künste 456 
3. Das Naturschöne; das Nichtschöne 459 
H. DAS GEFÜGE DER ORDNUNGSLEHRE UND DAS 
GEFÜGE DER WISSENSCHAFTEN 461 
I. DIE FRAGE NACH »ERKENNTNIS« ALS DER ORD. 
NUNGSLEHRE AUSGANG 469 
REGISTER 477 
GEDRUCKT BEI DIETSCH6.BRÜCKNERIN WEIMAR 
EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA 
HENRI BERGSON 
SCHÖPFERISCHE ENTWICKLUNG. 6. Tausend. 
MATERIE UND GEDÄCHTNIS. Essays zur Beziehung zwischen 
Körper und Geist. Mit Einleitung von Wilhelm Windelband. 
ZEIT UND FREIHEIT. Eine Abhandlung über die unmittelbaren Be. 
wußtseinstatsachen. 5. Tausend. 
EINFÜHRUNG IN DIE METAPHYSIK. S.Tausend. 
DAS LACHEN. 6. Tausend. 
In Henri Bergson hat die philosophische Neuorientierung unserer Zeit einen ihrer 
klarsten und bedeutendsten Vertreter gefunden. Er vereinigt in seinen Werken die 
denkerisch strengste Eindringlichkeit der abendländischen Seele mit ihrem ganzen 
aufgeschlossenen Sinn für das Irrationale und Metaphysische. Den Strömungen 
seiner Zeit folgend, baut er seine Gedanken auf dem festen Grund der naturwissen? 
schaftlichen Forschungsweise auf, um von hier aus die großen monumentalen Linien 
in das Bereich des Philosophischen zu ziehen. Den unvermitteltsten und allgemein? 
sten Einblick in sein Denken gibt die »Schöpferische Entwicklung«. 
fiMILE BOUTROUX 
ÜBER DEN BEGRIFF DES NATURGESETZES IN DER WIS^^ 
SENSCHAFT UND IN DER GEGENWART. 
DIE KONTINGENZ DER NATURGESETZE. 
Boutroux ist neben Bergson der Vertreter der französischen neuidealistischen Btf 
wegung. Seine Auffassung der Naturgesetze als der künstlichen und festen Abbilder 
eines wesentlich lebendigen und beweglichen Modells gibt ihm das Recht, einen 
Zusammenhang zwischen dem Leben des Geistes und dem, was das Leben der Ma# 
terie ausmacht, zu behaupten. Durch den so gewonnenen Freiheitsbegriff überwindet 
er jeden Determinismus. Seine Naturgesetze sind keine Notwendigkeit, denn in und 
außer uns ist fortwährende Schöpfung, d. h. Leben und Freiheit. Aber sie gestatten 
uns, über die Kontemplation, zu welcher die Alten gezwungen waren, hinauszugehen 
zu einer Wissenschaft der Tat. 
AUGUST VETTER / DIE DÄMONISCHE ZEIT. Eine Unter, 
suchung der erkenntnistheoretischen Voraussetzungen. 
Inhalt: Das Problem / Die absolute Relation von Zeit und Raum / Die Kausalität. 
Die Frage von Raum und Zeit, die neuerdings Bergson psychologisch zu lösen ver? 
suchte, wird hier zu einer überraschenden Lösung gebracht, die sich mit der Relas 
tivitätstheorie in der Physik berührt. Raum und Zeit sind der feste Mittelpunkt im 
kreisenden Wandel des Geschehens und Denkens, sind das Absolute an sich. 
K. JOEL / SEELE UND WELT. Versuch einer organischen Auffassung. 
Joel sieht in der Welt überall organische Einheit. Er bekämpft mit edler Leidens 
Schaft den oberflächlichen Mechanismus und bleibt nicht bei den vielen kons 
struierten Gegensätzen des Verstandes stehen, sondern wandelt sie in Stufen inner* 
halb eines Lebensprozesses um. Die Welt ist — im ganzen wie im einzelnen — ein 
Organismus, d. h. sie ist von geistiger Einheit durchseelte Mannigfaltigkeit. 
EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA 
WILHELM NESTLE 
DIE VORSOKRATIKER. 5. Tausend. 
Inhalf: Thaies / Pythagoras / Heraklit / Zeno / Empedokles / Anaxagoras / Hippos 
krates / Protagoras / Gorgias / Kritias u. a. 
Allgemeines Literaturblatt: Auch wer die »Fragmente der Vorsokratiker« in der be? 
rühmten Ausgabe von Hermann Diels besitzt, muß diese vorzügliche Edition von 
Nestle haben, schon darum, weil hier die metrischen Partien in Versen wieder* 
gegeben werden. Die poetischen Stücke stehen bei Diels nur in Prosa. Auch sind 
Reste der Sophisten übertragen, die bei Diels unübersetzt sind. Ein Musterstück 
historischsphilosophischer Darstellung und Deutung ist die Einführung von leben? 
diger Wirkungskraft, straff im Zusammenhang, mit der Festigkeit geübten Denkens 
und geschrieben in dem scharf geschliffenen Stil des echten Philosophen. 
DIE SOKRATIKER. 3. Tausend. 
Inhalt: Die Kyniker / Die Kyrenaiker / Die Megariker / Die ElischsEretische Schule / 
Die Akademie / Die Alte Akademie / Die Peripatetiker. 
DIE NACHSOKRATIKER. 2 Bände. 3. Tausend. 
Inhalt: Epikuros / Kolotes / Metrodoros / Hermarchos / Polystratos / Philonides / 
Apollodoros / Zenon von Sidon / Phaidros / Siron / Philodemos / Amafinius / 
Lucretius / Diogenes von Oinoanda. 
Mit der Auswahl dieser Bände will der Herausgeber nicht nur ein Hilfsmittel für 
Studierende schaffen, sondern auch nicht fachmännisch gebildeten Freunden der 
griechischen Philosophie dienen. Daher war es sein Bestreben, vor allem eine gut 
lesbare Übersetzung zu geben. Da Hilfsmittel für die Herausgabe nur streckenweise 
vorlagen, mußte er zuerst an die schwierige Aufgabe herangehen, die vorhandenen 
Fragmente zusammenzustellen. In einer Einführung orientiert er den Leser kurz 
über die Persönlichkeiten der Philosophen und stellt den mangelnden Zusammen? 
hang der Bruchstücke her. Ihre Anordnung ist, soweit es möglich war, nach den 
Schriften getroffen, aus denen sie stammen, Anmerkungen, in denen bei wichtigen 
Stellen auch auf die Textgestaltung Rücksicht genommen wurde, sind beigegeben, 
und eine Quellenübersicht ermöglicht es dem philologischen Leser, überall den 
Grundtext nachzuschlagen. Besonders interessieren dürfte es, daß die bisher vor? 
handenen Bruchstücke des Aischines von Sphettos durch die während der Kriegs? 
zeit in Ägypten gemachten Papyrusfunde ergänzt werden konnten. 
HIPPOKRATES, ERKENNTNISSE. Im griechischen Text ausge. 
wählt, übersetzt und auf die moderne Heilkunde vielfach bezogen. Von 
Theodor Beck. 
Hamburger Correspondent: Ein mit der Altertumswissenschaft wie mit der Heil? 
künde vertrauter Gelehrter hat eine Auswahl aus diesen Werken getroffen, den 
griechischen und den deutschen Text einander gegenübergestellt, Erklärungen hin? 
zugefügt, dem Ganzen eine vortreffliche allgemeine, kulturgeschichtlich fesselnde 
Einführung vorangestellt und so eine wertvolle, besonders für Naturforscher und 
Arzte anregende Sammlung von Aphorismen, Vorschriften und Betrachtungen ge? 
schaffen. Weitere Kreise wird es neben den Äußerungen mehr philosophischen, 
psychologischen oder ethischen Inhalts vor allem interessieren, zusehen, wie modern 
in vielen medizinischen Ratschlägen und Meinungen dieser große Zeitgenosse Piatos 
oft anmutet. 
EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA 
HANS FREYER 
ANTÄUS. Grundlegung einer Ethik des bewußten Lebens. 5. Tausend. 
Nietzsche hat das Tor aufgestoßen, durch 
das der Verfasser eingezogen ist. Gg.Simmel 
St. Galler Tagblatt: Man wird, indem man Freyers Darlegungen folgt, an Bergsons 
Weltbild erinnert. Antäus ist der Sohn der Erde, der Riese, der durch jede Beruh« 
rung mit der Mutter Erde, wenn er mit den Fremdlingen ringt, immer neue und 
größere Kraft gewinnt. Antäus ist der Mensch, der ringt mit Leben und Zeit, das 
Erbe der Menschheit aufnimmt und des Werdearbeit nie ein Ende vorfinden wird. 
Immer steht er auf Ruhendem, auf Gewesenem, auf Überkommenem; aber nie wird 
er seine Richtung dadurch erfassen, daß er nur Normen denkt. Denn wohl wird 
alles, was er lebt, mit jedem entschwundenen Augenblick Historie und bleibt hinter 
ihm, hinter der unaufhörlich sich erneuernden Menschheit als ein Erledigtes, un* 
veränderlich Gewordenes zurück. Immer wieder schöpft er aus dem Gewesenen, aus 
dessen Elementen. Aber das produktive Leben wird nicht erfaßt als bloße Bestimmt« 
heit durch die Summe des Vorangegangenen. Der »lebendige Atem der Aktivität«, 
so gewiß er allzeit Historie schafft, will dennoch besondere Wertung; er hat unend« 
lieh mehr Möglichkeitsfälle, mehr Freiheit, mehr Lebensregiment in sich, als das, 
was er im Weiterwalten als historisches Erzeugnis hinter sich zurückläßt. Von dieser 
besonderen Art und Fülle der Aktivität einen recht ergreifenden Begriff zu ver« 
mittein ; darum ist es Freyer vor allem zu tun. 
KarlJoeUBasel: Das Buch eines ganz reifen, souveränen Menschen von ganz eigener 
Geisteshaltung, der an allen Künsten gesogen, Hellas und die Romantik und die 
ganze Geschichte der Philosophie geschluckt hat, zumal Hegel, Bergson, Dilthey 
und Nietzsche, der da ins Objektive entladen und überwunden ist. Ein Buch wie 
ein Baum mit Wurzelkraft und voll Kronenrauschen, ganz Plastik in Musik getaucht, 
halb Hodler, halb Hölderlin. Das Buch ist ein Ereignis. 
Paul Natorp= Marburg: Das war wirklich ein guter Griff. Freyer versteht etwas von dem 
Kontrapunkt des Gedankens, den Nietzsche nie gezwungen, im Grunde gehaßt hat . . . 
In den Resultaten trifft er mit Fichte, vielfach Leibniz und der besten Mystik überein. 
PROMETHEUS. (Erscheint 1925) ~ 
ELSE STROH / SELBSTVERWIRKLICHUNG. Eine Formenlehre 
der Liebe und des Lebens. 
Der Liebe und dem Leben hegt eine Gesetzlichkeit zugrunde, aber es ist nicht die 
mathematischsformale der Wissenschaft, sondern die aus eigener Kraft sich entfal* 
tende organische Struktur der unmittelbaren lebendigen Wirklichkeit selbst. Wer 
fähig ist, aus seinem persönlichen Leben die Struktur des Allgemeinen und der Idee 
herauszuarbeiten, der wird sich wiederfinden in diesen Briefen, die so ganz persön* 
lieh beginnen, um von einem voll ausgetragenen Erleben zum Gesetzlichen und 
Strukturellen emporgetragen zu werden und in einer weiten Schau der ganzen 
Lebensgesetzlichkeit zu enden. Hier kommt das neue Lebensgefühl der Jugend zur 
Darstellung. Wie das Mädchen zur Liebe der Frau heraufwächst, und wie diese 
vollgelebte Liebe ihr ganzes Menschtum läutert, bis sie die Welt auf eine neue 
Weise nach all ihrer Liebverlorenheit gewonnen hat, — das ist der Mythos der Weib* 
lichkeit, der hier gestaltet worden ist. Eine lebendige Wissenschaft von der Liebe 
macht eine lebendige Erkenntnis der Welt möghch, im Sinne Friedrich Schlegels: 
»Wer die Welt nicht durch die Liebe kennen lernt, der lernt sie nie kennen.« 
EUGEN D TED ERICHS VERLAG IN JENA 
ARTHUR DREWS 
DIE RELIGION ALS SELBSTBEWUSSTSEIN GOTTES. Eine 
philosophische Untersuchung über das Wesen der Rehgion. 
Der religiöse Glaube kann nur in der Einsicht gipfeln, daß das Wesen Gottes kein 
anderes als das eigene Wesen des Menschen ist, dies Wesen des Menschen ist aber 
nicht sein Ich, sondern sein Selbst, zu dem sich sein Ich wie eine vergängliche Er# 
scheinung verhält. Das überempirische Selbst darf nicht mit dem empirischen Ich 
verwechselt werden. Religion ist somit das Bewußtsein des eigenen Selbst als Gottes 
Selbst, der Identität des göttlichen und menschlichen Selbst. 
PLOTIN UND DER UNTERGANG DER ANTIKEN WELT. 
ANSCHAUUNG. 
Plotin, »der größte Metaphysiker unter den Philosophen des Altertums«, überwindet 
den alten Gegensatz von Denken und Sein, indem er ihre Identität als Denkbewegung 
auffaßt und kommt damit dem modernen Begriff des Bewußtseins nahe. 
DER STERNHIMMEL IN DER DICHTUNG UND RELI. 
GION DER ALTEN VOLKER UND DES CHRISTENTUMS. 
Eine Einführung in die Astralmythologie. Mit 25 Abbildungen, 12 Stern*: 
tafeln und einem Porträt des Verfassers. 
Drews gibt dem modernen Menschen den Schlüssel zur Symbolik unserer Mythe* 
logien und erschließt den Kosmos in seinen Beziehungen zu menschlichen Vorstel;: 
lungen wieder unserem Denken. 
HEINRICH GOMPERZ 
DAS PROBLEM DER WILLENSFREIHEIT. 
Der Verfasser bekämpft der Form nach Determinismus und Indeterminismus und 
empfiehlt eine »dritte Theorie«, nach der die Willensentscheidung weder ein bloß 
mögliches, noch ein notwendiges Ergebnis der vorhandenen Reize ist, sondern bei 
der es sich um bloße Wahrscheinlichkeit handelt. 
WELTANSCHAUUNGSLEHRE. Ein Versuch, die Hauptprobleme 
der allgemeinen theoretischen Philosophie geschichtlich zu entwickeln 
und sachlich zu arbeiten. Bd. I : Methodologie. 
Über die herrschende empirische positivistische Richtung in der Philosophie hinweg 
erweitert Gomperz die Metaphysik zu einer allgemeinen Weltanschauungslehre. 
CHRISTIAN VON EHRENFELS /KOSMOGONIE. 
In scharfem Gegensatz zur monistischen Weltauffassung bekennt sich der Verfasser 
zum Dualismus und zeigt, wie die Welt das Erzeugnis zweier gegensätzlicher Prin* 
zipien ist: eines einheitlichen Urquells aller aktiven Wirksamkeit und des absolut 
Grundlosen, des ewigen, unendlichen Chaos, in dessen Wesen nur passiver NX^der* 
stand gelegen ist. In Ablehnung des Positivismus begründet Ehrenfels das Recht 
der Metaphysik und damit zugleich die Wirklichkeit der religiösen Weltanschauung. 
JOHANN KEPLER / DIE ZUSAMMENKLÄNGE DER WEL. 
TEN. Neue Sternkunde / Auseinandersetzung mit dem Sternenherold. / 
Schöpfungsgeheimnis in Weltentiefen. Herausgegeben von Otto J. Bryk. 
Mit 4 Tafeln und 7 Abbildungen im Text. 
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